ARD

Um den 1. September 955 Keferloh * Nach der Schlacht auf dem Lechfeldverkaufen die Männer des Grafen Eberhard von Ebersberg in Keferloh angeblich mehr als 17.000 herrenlose Pferde der Ungarn. Damit begründen sie den Keferloher Markt, der bis heute besteht. Es gibt dazu aber weder Dokumente noch archäologische Funde.

1130 Clairvaux * Inwieweit Bernhard von Clairvaux an der Erstellung der "Ordensregel" der "Templer" beteiligt war, ist umstritten.

Der "Zisterziensermönch" konnte aber den "Templern" bei der Findung eines angemessenen Rahmens helfen und mit seinem rhetorischen Talent diesen auch gegenüber Skeptikern durchsetzen.

Bernhard von Clairvaux sieht in den "Templern" die neuen "Glaubenskrieger", die den "freien Zugang zu den Heiligen Stätten" wieder herstellen, die "Pilger schützen" und den "Frieden sichern". Kein Wunder also, dass die "Ordensregeln der Templer" ganz im Geiste der von Bernhard von Clairvaux stark beeinflussten "Ordensregeln der Zisterzienser" gehalten sind und die "Tempelritter" bei ihrem Eintritt in den Orden "Armut, Keuschheit und Gehorsamkeit" geloben müssen.

In seinem Traktat "Lob der neuen Ritterschaft" preist Bernhard die "Tugenden" sowie die "Werke der Nächstenliebe" der "Tempelherren" und gibt damit dem "Ritterorden" eine theologische Begründung.

Bei so viel Unterstützung durch Bernhard von Clairvaux verwundert es nicht, dass sich die "Tempel-Ritter" zu den "Zisterziensern" hingezogen fühlen. Aufgrund ihrer Kleidung werden diese Kirchenmänner auch als "weiße Mönche" bezeichnet. Und nachdem die "Tempelherren" die "Zisterzienser" als ihren "Mutterorden" empfinden, übernehmen sie auch die "Farbe weiß" für ihren Umhang.

1130 Clairvaux * Für Bernhard von Clairvaux ist der "gerechte Krieg" als das "kleinere Übel" akzeptiert.

Unter Christen ist er nur gerecht, wenn die "Einheit der Kirche" auf dem Spiel steht. Gegen die "Juden", die "Ketzer" und die "Heiden" soll Gewalt vermieden werden, weil sich die "Wahrheit" nicht mit Gewalt durchsetzen lässt.

Der Christ soll überzeugen, weshalb - aus der Sicht des später zum "Heiligen" erklärten Bernhard von Clairvaux - gegen diesen Personenkreis nur ein "Verteidigungskrieg" gerechtfertigt ist, bei dem er allerdings die Gewalt auf ein Mindestmaß reduziert wissen will.

Vom "Gerechten Krieg" zum "Heiligen Krieg" ist es damit nicht mehr weit, solange er gegen die "Heiden" und "Ungläubigen" gerichtet ist. Bernhard von Clairvaux hebt in seinen "Kreuzzugpredigten" die islamische Aggression und Bedrohung der gesamten christlichen Kirche hervor. Sein Fazit lautet: Nur durch einen "Gerechten und Heiligen Krieg" kann der "Frieden" wieder hergestellt werden. Unter "Frieden" versteht der Kirchenmann die "Aufrechterhaltung der gottgewollten Ordnung".

Seite 1/176 Bernhard von Clairvaux will aus "Raubrittern", "Weiberhelden", "Totschlägern", "Meineidigen" und "Friedensbrechern" zutiefst beherrschte, asketische und christliche Ritter machen. Dabei will er aber die natürlichen Triebe - wie Aggression - nicht unterdrücken, sondern sie durch höhere Ziele - sozusagen - "veredeln". Im Zentrum seines Werkes steht deshalb der Begriff der "militia Christi". "Gute Ritter" kämpfen, um Glauben und Kirche zu verteidigen, "Schlechte Ritter" wirken in prunkvollem Aufzug und folgen eigensüchtigen Motiven. In einer Werbeschrift für die "Tempel-Ordensritter" sagt der heilige Bernhard: "An erster Stelle stehen Disziplin und uneingeschränkter Gehorsam. Jeder kommt und geht, wie es der Vorgesetzte befiehlt. Jeder trägt die ihm zugeteilte Kleidung, keiner besorgt sich Nahrung oder Kleidung nach seinem Gutdünken. Hinsichtlich Ernährung und Gewandung gibt man sich mit dem Notwendigsten zufrieden und meidet alles Überflüssige. Die Templer leben maßvoll und fröhlich in einer Gemeinschaft, ohne Frauen und Kinder. Um der apostolischen Lebensweise möglichst nahe zu kommen, leben sie alle unter gleichen Bedingungen im gleichen Haus, auch nennen sie nichts ihr eigen, um einer einheitlichen Gesinnung und eines friedlichen Zusammenlebens willen. Ungebührliche Reden, nutzlose Beschäftigung, lautes Gelächter, heimliches Tuscheln und selbst unterdrücktes Kichern sind unbekannt. Sie verabscheuen Schach und Würfelspiel; sie hassen die Jagd, ja, sie erfreuen sich nicht einmal am Flug des Falken. Sie verachten Komödianten, Taschenspieler, Schwätzer und zweideutige Lieder sowie Vorstellungen von Possenreißern, denn sie erachten das alles als sinnlose, nichtige Torheiten. Sie tragen das Haar kurz geschnitten, weil es ihrer Ansicht nach beschämend für einen Mann ist, langes Haar zu haben. Niemals übertrieben gekleidet, baden sie selten; sie sind schmutzig und behaart, und ihre Haut erscheint gebräunt vom Tragen des Kettenhemds und von der Sonne". Die "Glaubenskrieger" sollen in die "Schlachten Gottes" ziehen. Und sollte ein "Templer" dabei sein Leben verlieren, so stirbt er "selig" als "Blutzeuge" für den "christlichen Glauben". In der Werbeschrift Bernhards liest sich das so: "Freue dich, starker Kämpfer, wenn du in dem Herrn lebst und siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich mit dem Herrn vereinst". Die Gegner der "Glaubenskrieger" sind ja "nur" Heiden ohne Glauben.

Um 1132 Clairvaux * Dass sich kriegerische Auseinandersetzungen nur schwer mit dem Wort und Sinn des "Neuen Testaments" in Einklang bringen lassen, bekümmert den Ordensmann, Mystiker und Prediger Bernhard von Clairvaux nur wenig.

Mit welchen rhetorischen Mittel er arbeitet und welche menschenverachtende Argumentation er dabei benutzt, lässt sich anhand eines Zitats aus einer Predigt zeigen, mit der der Heilige für den "Zweiten Kreuzzug" wirbt: "Wenn sich dein Vater auf die Schwelle legte, wenn deine Mutter die Brust zeigte, die dich genährt, so steige über deinen Vater hinweg, tritt deine Mutter mit Füßen und folge trockenen Auges dem Kreuzbanner nach. Hier für Christus grausam sein ist die höchste Stufe der Seligkeit".

Denn, so Bernhard weiter: "Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selbst, wenn er tötet, nützt er Christus". Wer aber so argumentiert, wem man "Honigsüße" nachsagt, weil er eine ideologische Grundlage für einen "Gerechten und Heiligen Krieg" und eine Argumentationskette schafft, die aus einem "Angriffskrieg" einen "Verteidigungskrieg" macht, der ist wirklich ein "komischer Heiliger".

1135 Rom-Vatikan * Papst Innozenz II., ein ehemaliger "Zisterziensermönch" und Schüler von Bernhard von Clairvaux, treibt die Gründung von "Bruderschaften" zur finanziellen Unterstützung der "Templer" voran.

März 1146

Seite 2/176 Rom-Vatikan * Papst Eugenius III. erlässt eine päpstliche "Kreuzzugbulle", in der er die "Privilegien für die Kreuzfahrer" festlegt:

die "Vergebung der Sünden", den "Schutz für Eigentum und Angehörige" und einen "Zinserlass".

Zum "Hauptprediger des Kreuzzugs" beruft er Bernhard von Clairvaux.

April 1146 Vézelay * Bernhard von Clairvaux wirbt an Ostern für die Teilnahme am "Kriegszug".

Vor der StadtVézelayer auf einem freien Feld, wo sich Tausende von Menschen einfinden: hoher und niedriger Adel, Kleriker, Söldner und viele, die der himmlische Lohn lockt, oder die normalen Zugewinne im Krieg, oder beides.

Der "Zisterzienser-Abt" predigt: "Du tapferer Ritter, du Mann des Krieges, jetzt hast du eine Fehde ohne Gefahr, wo der Sieg Ruhm bringt und der Tod Gewinn". Bernhard von Clairvaux wendet sich auch an die Kriminellen und fordert sie zur "Kreuzfahrt" auf: "Ist es denn nicht eine ausgesuchte und allein für Gott auffindbare Gelegenheit, dass der Allmächtige Mörder, Räuber, Ehebrecher, Meineidige und mit anderen Verbrechen Belastete in seinen Dienst ruft. [...] Misstraut nicht, Sünder, der Herr ist bei euch!"

Und weiter: "Selige nenne ich die Generation, die den Zeitpunkt derart reichlicher Vergebung ergreift und dieses wahrhafte Jubeljahr lebend angetroffen hat. [...] Gürtet euch mannhaft und ergreift im Eifer für den christlichen Namen die Glück bringenden Waffen". Die versammelte Menge ist derart begeistert, dass sie die Teilnahme an dem "Kreuzzug" gelobt und Bernhard, um genügend Stoffkreuze für die Gewänder der "Kreuzfahrer" zur Verfügung zu haben, seine Kleider zerreißen muss. Die "Kreuzzug-Ideologie" ist inzwischen auf die verschiedensten Schauplätze christlicher Kriegsführung übertragbar gemacht worden. Deshalb soll der "Zweite Kreuzzug" nicht nur mehr im "Nahen Osten", sondern gleichzeitig an zwei weiteren Fronten stattfinden: gegen die "Mauren" in Spanien und gegen die heidnischen "Wenden" im Norden Deutschlands.

Oktober 1147 Clairvaux * Bernhard von Clairvaux gibt den norddeutschen Fürsten die Erlaubnis, ihre Angriffe auf die heidnischen "Wenden" als "Kreuzzug" zu betrachten.

Juli 1148 Damaskus * Die "Kreuzfahrer" können zwar die Obstgärten von Damaskus erobern, stoßen aber auf heftigen Widerstand und verlegen deshalb ihre Truppen in den Osten der Stadt.

Doch dieses Gebiet war eine offene Ebene, die weder Schutz noch Wasser bot, sodass die christlichen Kampftruppen schließlich zum Rückzug gezwungen waren. Die "Templer" erwerben sich durch ihre Teilnahme am "Zweiten Kreuzzug" den Ruf "fanatischer Kämpfer von großem Mut", "äußerster Disziplin", aber auch von

Seite 3/176 "außerordentlicher Überheblichkeit".

Frankreichs König Ludwig VII. berichtet, dass es nur den "Tempelherren" zu verdanken sei, dass der falsch geplante und schlecht geführte "Kreuzzug" nicht in einem Desaster endete.

Es folgen wechselseitige Beschuldigungen, die das Verhältnis zwischen dem "Abendland" und den "Kreuzfahrerstaaten" auf Jahre hin vergiften. Und die Akteure des "Zweiten Kreuzzuges" beschönigen die Geschichte, indem sie eisern die "Schmach" verschweigen oder schön reden.

Die Kritiker, die den Tod von vielen Tausenden als sinnlose Opfer bezeichnen, werden immer lauter. Bernhard von Clairvaux, der in seinen "Kreuzzug-Predigten" sagte: "Im Tod des Heiden sucht der Christ seinen Ruhm, weil Christus verherrlicht wird", erklärt jetzt, dass das Desaster durch die "Sünden der Pilger" verursacht worden ist und dass Gott deshalb den "Kreuzfahrern" seinen Segen entzogen habe. Bischof Otto von Freising, ein Bruder des "Stauferkönigs" Konrad III. und selbst aktiver Teilnehmer am "Zweiten Kreuzzug", räumt zwar den Misserfolg des Unternehmens ein, versucht aber zumindest einen kleinen Gewinn zu erkennen, wenn er den Kritikern entgegnet: "Wenn [...] unser Feldzug nicht gut war zur Ausweitung unserer Grenzen, noch für die Wohlfahrt unseres Leibes, so war er dennoch gut für das Heil vieler Seelen".

Bernhard von Clairvaux ist von der Kritik an seiner Person schwer enttäuscht, weshalb er sich gegenüber Papst Eugenius III. ausführlich rechtfertigt und dabei jede Schuld von sich weist: "Wir eilten nicht dorthin wie ins Ungewisse, sondern auf Deinen, ja durch Dich auf Gottes Befehl". Der "Zisterzienser-Abt" lässt sich schließlich in Chartres erneut zum Anführer eines "Kreuzzuges" wählen, doch der Papst will nach den gemachten leidigen Erfahrungen diesen Plan erst fördern, wenn die Aussicht auf Erfolg auch gesichert ist.

20. April 1153 Clairvaux bei Lyon * Bernhard von Clairvaux, der "Chefideologe der Templer" und des Ordens der "Zisterzienser", stirbt, ohne einen weiteren "Kreuzzug" in die Wege geleitet zu haben.

Dennoch hat mindestens eine seiner Parolen für die kommenden Generationen von "Kreuzfahrern" über viele Jahrhunderte hinweg Bestand.

Diese lautet: "Vollständige Ausrottung der Heiden oder sichere Bekehrung".

Vor diese Alternative - "Tod oder Taufe" - stellen die "Kolonisatoren" die Bevölkerung der von ihnen eroberten Kontinente.

Der Verfasser dieser Ideologie wird nur einundzwanzig Jahre nach seinem Tod heiliggesprochen.

1160 Bingen * Hildegard von Bingen beschreibt in ihrem "Buch von den verschiedenen Naturen der Geschöpfe" die Wirkung des Hopfens.

Scheinbar hält sie nicht allzu viel von dieser Pflanze, attestiert ihr aber, dass sie mit ihrer Bitterkeit "gewisse Fäulnisse von Getränken" fernhält, "so dass sie umso haltbarer sind".

Seite 4/176 1174 Rom-Vatikan * Bernhard von Clairvaux wird heilig gesprochen.

Um den 1. Februar 1176 Chiavenna * Es kommt zum Bruch zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen, nachdem der Herzog in Chiavenna am Comer See dem Kaiser die militärische Unterstützung für dessen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Lombardei versagt. Denn als Gegenleistung verlangt Herzog Heinrich der Löwedie Kaiserpfalz Goslar und deren reichen Silberminen. Eine Forderung, die der Kaiser strikt ablehnt.

Es kommt angeblich zum Kniefall des Kaisers vor dem mächtigen und uneinsichtigen Herzog - und damit kommt es unausweichlich zum Konflikt. Nun beginnt der Stern des Löwenzu sinken, denn ein kaiserlicher Kniefall gehört zum Zeremoniell der staatlichen Ordnungund gilt zugleich als ein Verfassungselement. Da sich aber der Welfenherzog auch durch diese kaiserliche Geste nicht erweichen lässt, verletzt er die Regeln, was ihm als Überheblichkeit, Hochmut und Verachtung gegenüber dem Reich und dem Kaiser ausgelegt wird.

Um den März 1176 München * Im Februar und März 1176 hält sich Herzog Heinrich "der Löwe" zum letzten Mal seinem baierischen Herzogtum auf.

Denn je rasanter es mit Münchens Wirtschaft aufwärts geht, desto steiler vollzieht sich der Abstieg des "Welfenherzogs". Der Grund liegt in der Verweigerung Heinrichs des Löwen an, den Kaiser in seinen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Lombardei zu unterstützen.

29. Mai 1176 Legano * In der Schlacht bei Leganonordwestlich von Mailand werden die kaiserlichen Truppen Friedrich Barbarossas vom lombardischen Fußvolk besiegt. Damit ist Kaiser Friedrich Barbarossas Italienpolitikgescheitert, weshalb er stattliche Besitzungen abgeben muss.

November 1177 Montgisard * An dem Sieg der "Kreuzfahrer" vor Montgisard sind die "Tempelherren" beteiligt.

13. April 1180 Köln * "Fürstbischof" Philipp von Köln hat sein Ziel erreicht: Er erhält den gewünschten westlichen Teil des "Herzogtums Sachsen" übertragen.

Sein Verbündeter, "Bernhard aus dem Haus der Askanier", erhält den östlichen Teil.

1191 Zypern * Trotz aller Rückschläge und Niederlagen bleiben die "Tempelherren" reich, privilegiert und versuchen in immer neuen Vorstößen an einen eigenen "Ordensstaat" zu kommen.

Seite 5/176 Anno 1191 kaufen sie König Richard Löwenherz das von diesem eroberte "Zypern" um 100.000 "Goldbyzantiner" ab. Doch die Inselbevölkerung wehrt sich mit einem Aufstand gegen die geplante Herrschaft der "Tempelordens-Ritter".

So verfügen am Ende die "Johanniter" und der "Deutsche Orden" über einen eigenen Staat, nicht aber die "Tempelherren".

Vor 1202 München-Graggenau * Die Münchner "Seelhäuser" mit ihren kleinen Gemeinschaften der "Seelnonnen" haben ihren Ursprung in der "Armenbewegung" und der "religiösen Frauenbewegung" des Spätmittelalters. Sie stehen damit in Beziehung zu der weite Teile Europas erfassenden "Beginenbewegung".

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hat sich die Lebensform der weiblichen "Beginen" und der männlichen "Begarden" rasch in Flandern, Brabant, den nördlichen Niederlanden, in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz ausgebreitet.

In einem Bericht aus dem Jahr 1241 heißt es dazu: "Die Anzahl gewisser Frauen, die das Volk Beginen nennt, mehret sich, vor allem in Deutschland, bis zu Tausenden und Abertausenden in unglaublicher Weise; sie geloben und beobachten die Keuschheit und fristen von ihrer Hände Arbeit ein Leben der Zurückgezogenheit".

Die frühesten zeitgenössischen Berichte über "Beginengemeinschaften" verweisen auf das "Herzogtum Brabant", auf die "Diözese Lüttich". Als älteste nachweisbare Niederlassung gilt das "Beginenhaus" von Tirlemont in Brabant. Es besteht bereits vor dem Jahr 1202.

In die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts fallen die Entstehung der brabantischen "Beginensiedlungen" von Nivelles [1220] und Herentals [1226] sowie der große "Beginenhof" von Löwen [1232]. In der "Grafschaft Flandern" entstehen die "Beginenhöfe" in Gent [1234], Kortrijk [1238] und Brügge [1245].

Die Hochburgen der "Beginen" im deutschen Sprachraum sind Großstädte und Bischofssitze wie Köln, Straßburg, Mainz, Basel, Worms, Trier und Würzburg, die als soziale, wirtschaftliche und geistige Zentren günstige Voraussetzungen für das Entstehen von "Beginengemeinschaften" bieten.

Schon für das Jahr 1211 - oder kurz danach - ist der Ursprung eines "Beginenkonvents" in Nürnberg bekannt, aus dem später das "Dominikanerinnenkloster Engental" hervorgeht. Der erste "Beginenhof" in Ulm, die "Sammlung", wird kurz nach dem im Jahr 1229 entstandenen "Franziskanerkloster" gegründet.

Für 1241 sind "Beginen" in Nördlingen, 1243 in Dillingen belegt. Anno 1242 wird eine "femina religiosa" in Frankfurt, 1244 eine "sorores conversae" in Straßburg genannt.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstehen auch in München mehrere "Seelhäuser" als "Stiftungen" wohlhabender Bürger.

1213 München * Die "Leprosen" selbst - nicht das "Leprosenhaus am Gasteig" - werden mit einer Stiftung des

Seite 6/176 venezianischen Kaufmanns Berhardus Teutonikus an die "malsani de ", die Leprosen Münchens, bedacht.

Das setzt eine Organisation voraus, weshalb man auch auf das Vorhandensein eines "Leprosenhauses" schließt.

5. Juni 1305 Avignon * Frankreichs König Philipp IV. gelingt es, seinen Wunschkandidaten Bertrandde Got, den Erzbischof von Bordeaux, durch ein französisch dominiertes Kardinalskollegium, auf den Papstthron zu setzen. Der neue Pontifex maximusClemens V. lässt sich nicht nur außerhalb Roms krönen, sondern residiert dauerhaft in Avignon.

Das bedeutete eine Abkehr vom päpstlichen Universalismus.Denn während der Papst in Rom und dem Kirchenstaat einigermaßen autonom ist, besitzt er um Avignon herum nur wenig Ländereien, die zudem vollständig vom französischen Staatsgebiet umschlossen sind. Das Papsttum gerät damit in Abhängigkeit zur französischen Krone. Der Papst verliert seine überparteiliche Autorität.

30. Oktober 1307 London - Paris * König Eduard II. von England antwortet dem Regenten der Franzosen, König Philipp IV., er glaube kein Wort von den gegen die Templererhobenen Vorwürfe.

18. März 1314 Avignon - Paris * Die Verfügungsgewalt über die höchsten Würdenträger des "Templer-Ordens" hat sich der Papst vorbehalten.

Sie werden von einem "Kardinalskollegium" zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei von ihnen, der "Großmeister" Jacques de Molay und der "Praeceptor der Normandie", Geoffroy de Charnay, pochen auf ihre Unschuld und lehnen das Urteil ab.

Jacques de Molay und Geoffroy de Charnay werden - ohne Rücksicht auf den Papst - noch am gleichen Tag auf der "Ile de la Cité" in Paris verbrannt.

Der letzte "Templer-Großmeister" soll den Papst und den König noch auf dem Scheiterhaufen verflucht haben, weshalb Clemens V. später "der verfluchte Papst" genannt wird.

Der "Templer-Prozess" ist bis heute einer der ganz großen Justizskandale geblieben. Dem "Templer-Orden" wurde bis zum heutigen Tage keine Genugtuung erteilt.

Das Hauptziel der Verfolgung der "Tempelherren" durch König Philipp "dem Schönen", sich das bewegliche Vermögen des "Ritterordens" anzueignen, war allerdings gescheitert. Der sagenhafte "Schatz der Templer" wird nie gefunden, sein Verbleib nie geklärt. Das bildet wiederum die Grundlage für eine Vielzahl von Spekulationen. Und kein "Orden" bot so viel Anlass zu Spekulationen wie der der "Templer".

Durch ihr Engagement im "Heiligen Land" kamen die "Tempelritter" mit Traditionen der jüdischen Welt, des Islam und nicht zuletzt der Antike in Berührung, die ihren mittelalterlichen Horizont enorm erweiterten.

Ihre beachtlichen Erfolge auf technischem und finanziellem Gebiet lassen sich darauf zurückführen.

Seite 7/176 Sie entwickelten ein eigenes Weltbild, das höchstwahrscheinlich als Fernziel die "Vereinigung der monotheistischen Religionen" anstrebte. Gleichzeitig musste der "Ritter-Orden" erkennen, dass sein neu erworbenes Wissen für das abergläubische mittelalterliche Europa noch nicht nachvollziehbar war und deshalb Schwierigkeiten heraufbeschwören musste. So wurde vieles geheim gehalten, und aus diesen Geheimnissen entstanden sowohl die "Arroganz der Wissenden" als auch viele Legenden.

Nach April 1314 Paris * Wirklich aufgehoben wird der "Orden der Tempel-Ritter" nur in Frankreich.

In Aragón werden sie ähnlich wie in Frankreich behandelt, in England ergreift King Edward II. zunächst die Partei des Ordens und schwenkt später - nur widerwillig - auf die päpstlich-französische Linie ein, sodass die "Tempelritter" der Verfolgung größtenteils entgehen.

In Schottland wird die "päpstliche Bulle" nie verkündet, weshalb der "Templerorden" dort ungehindert fortleben kann.

Im "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation" findet eine Verfolgung der "Templer" nicht statt. Sie schließen sich nach der offiziellen Auflösung des "Ordens" den "Johannitern" oder dem "Deutschen Orden" an.

7. August 1316 Leyden* Der 67-jährige französische Kardinal Jacques Duèze - in deutschen Quellen auch Jakob von Cahors genannt - wird in Leyden in den Niederlanden nach einem vierzigtägigenConclavezum Papst gewählt. Als Johannes XXII. besteigt er den Apostolischen Stuhlin Avignon.

Zuvor hatte Dante die sieben italienischen Kardinäle beschworen, einen Italiener zum Papst zu wählen, der die Kurie wieder nach Rom bringen sollte.Das Ansinnen hatte jedoch gegen die 17 französischen Kardinäle keine Chance. Johannes XXII. ist der zweite in Avignon residierende Papst.

Im deutschen Thronstreit nimmt Johannes XXII. lange eine abwartende Haltung ein und betrachtet den Thron des Reiches als vakant.

17. Mai 1327 Mailand * König Ludwig der Baierzieht in Mailand ein. Um seinen Herrschaftsanspruch auf Italien zu demonstrieren, lässt er sich mit der "Eisernen Krone der Langobarden" krönen.

7. Mai 1342 Avignon * Der Erzbischof von Sens und Rouen sowie Bischof von Arras, Pierre Roger, wird nach zehntägiger Sedisvakanz zum neuen Papst gewählt. Der 1338 zum Kardinal erhobene Kleriker nimmt den Namen Clemens VI. an.

9. März 1344 Landshut * Herzog Meinhard III. wird in Landshut geboren.

Seite 8/176 Er ist der Sohn von Herzog Ludwig "dem Brandenburger" und dessen Ehefrau Margarete von Tirol.

4. September 1359 Passau * Der 15-jährige baierische Herzog Meinhard III. wird in Passau mit der 13-jährigen Herzogin Margarete von Österreich verheiratet.

13. Januar 1363 Schloss Tirol *Herzog Meinhard III. stirbt auf Schloss Tirol.Herzog Stephan II., der Bruder Herzog Ludwig des Brandenburgers, übernimmt das Teilherzogtum Baiern-München und die Grafschaft Tirol.

29. September 1369 Tirol * Nach mehr als sechs Jahren Krieg und trotz zäher Gegenwehr muss Herzog Stephan II. die Grafschaft Tirolgegen eine Entschädigung von 116.000 Gulden an die Habsburger abtreten. Die GrenzgerichteSchärding, Kufstein, Rattenberg und Kitzbühel bleiben bairisch und werden in der Folgezeit dem Teilherzogtum Baiern-Ingolstadt zugeteilt.

27. März 1378 Rom-Vatikan * Als Papst Gregor XI. stirbt, befürchten die Römer, dass der neue Papst wieder nach Avignon zurückkehren wird.

Auch deshalb, weil sich an der französischen Dominanz im "Kardinalskollegium" nichts geändert hat.

8. April 1378 Rom-Vatikan * Die Kardinäle einigen sich zwar nicht auf einen Römer, wohl aber auf einen Italiener, den Erzbischof von Bari namens Bartolomeo Prignano.

Weil jedoch das "Konklave" am Wahltag erneut von römischen Bürgern gestürmt wird, schiebt man "um sich zu retten"für kurze Zeit den Seniorkardinal Tebaldeschi als angeblich neu gewählten Papst vor.

9. April 1378 Rom-Vatikan * Erst einen Tag nach der Wahl wird die Ernennung Bartolomeo Prignanos zum Papst Urban VI. bekannt gegeben.

Die Wirren des "Konklaves" bietet den Kardinälen später die Möglichkeit, das Wahlergebnis öffentlich anzufechten.

August 1378 Rom-Vatikan * Papst Urban VI. regiert sehr autokratisch und unerbitterlich streng.

Insbesondere die elf französischen Kardinäle und der Spanier Peter von Luna rücken daher von ihm ab und monieren, dass die Wahl unter Zwang stattgefunden und der Gewählte sich zudem als "unfähig und geisteskrank" erwiesen hat - und erklären ihn für abgesetzt.

Seite 9/176 Papst Urban VI. ernennt daraufhin 29 neue Kardinäle, wodurch das Kollegium erheblich vergrößert wird.

Dagegen protestieren nun auch italienische Kardinäle, denn üblicherweise entscheiden Papst und Kardinäle gemeinsam über die Ernennung neuer Purpurträger.

An einer Ausweitung des Kreises haben die Kardinäle kein Interesse, weil die Einkünfte des Kollegiums dann auf mehr Köpfe verteilt werden muss.

20. September 1378 Fondi * Die protestierenden Kardinäle verlassen den päpstlichen Hof, schließen sich mit den Franzosen zusammen und wählen in Fondi Robert von Genf zum Papst Clemens VII.. Damit ist das Schismabesiegelt: Zwei Päpste konkurrieren um den Anspruch, der "wahre Inhaber der kirchlichen Höchstgewalt" zu sein.

Das Abendländische Schismaunterscheidet sich gegenüber früheren Kirchenspaltungen fundamental. Waren es in vergangenen Zeiten meistens Könige und Kaiser, die im Streit mit dem Papst ihnen genehme Gegenpäpsteeinsetzten, so war die jetzige Trennung aus der Mitte der Kirche entstanden. Außerdem gleicht es einem revolutionärer Akt, dass sich das Kardinalskollegiumselbst die Kompetenz zusprach, einen Papst abzusetzen und einen Nachfolger zu wählen.

Frankreich, England und Spanien erklären Clemens VII. zum rechtmäßigen Papst.Das deutsche Reich ist uneins, aber Kaiser Carl IV. und sein Nachfolger Wenzel unterstützten Urban VI., ebenso Schottland, Ungarn und weitere Territorien.

Ab 1405 München-Graggenau * Zu einem weiteren spirituellen Anziehungspunkt des Franziskaner-Klosterswird das Grab des am 29. April 1327 im Ruf der Heiligkeit verstorbenen Fraters Marquard Weismaler. Seine irdischen Überreste werden in einem Schrein auf den Altar erhoben und verehrt.

Juni 1407 Livorno * Dreizehn "Kardinäle" treffen sich in Livorno.

Ihr Ziel ist die Beendigung der Kirchentrennung ["Schisma"]. Sie berufen ein "Konzil" nach Pisa ein.

25. März 1409 Pisa * Das "Konzil von Pisa" beginnt.

Noch nie zuvor hat ein "Kardinalskollegium" - ohne Rücksprache mit Papst oder Kaiser - ein allgemeines Konzil der Gesamtkirche einberufen. Die Initiative der "Kardinäle" stößt auf breite Zustimmung: Über 600 Kleriker nehmen am "Konzil von Pisa" teil.

Die parallel einberufenen "Konzilien" der beiden Päpste Gregor XII. in Cividale und Benedikt XIII. in Perpignan haben nicht annähernd so viele Teilnehmer. Die überwiegende Zustimmung des Klerus zum "Konzil in Pisa" isoliert die beiden Päpste auf Dauer.

Seite 10/176 Das "Konzil von Pisa" zitiert die Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII. nach Pisa und macht ihnen nach deren Weigerung einen förmlichen "Ketzerprozess" als hartnäckige "Schismatiker". Damit ist die entscheidende Grundlage für das weitere Vorgehen geschaffen.

Ab dem 5. November 1414 Konstanz * DasKonzil von Konstanzbeginnt.Es dauert bis zum 22. April 1418. Der wichtigste Tagesordnungspunkt desKonzilsist die Beendung desAbendländischen Schismaund damit dieWiederherstellung der Einheit der Kirche.Die Lösung besteht darin, alle drei Päpste abzusetzen und einen neuen, von allen anerkannten Papst zu wählen.

Doch auf dem Konzil wird nach kurzer Zeit eine ungewöhnliche Reform des Stimmrechts unternommen:Fortan gilt nicht mehr das Prinzip ein Teilnehmer, eine Stimme, sondern es wird nach Nationen abgestimmt, wobei jede Nation nur eine Stimme haben soll. Damit haben die Italiener nur noch eine Stimme, die gegen die drei anderen Nationen England, Deutschland und Frankreich sowie die des Kardinalskollegiums steht.

Dem Kirchenkritiker Jan Hus, dem König Sigismundfreies Geleitzugesichert hatte, wird auf demKonzil von Konstanzder Prozess gemacht und am Scheiterhaufen verbrannt.

26. Juli 1417 Konstanz - Avignon * Der Avignoner Gegenpapst Benedikt XIII., der erst gar nicht zum Konzil von Konstanzerschienen ist, wird für abgesetzt und sein Papsttum für ungültig erklärt.

Nach der Absetzung beziehungsweise der Abdankung der drei Päpste ist der Weg frei für eine Neuwahl.Das in Konstanz versammelte Kardinalskollegiumerklärt sich bereit, an der Wahl auch die Vertreter der Nationen zuzulassen.

Um 1425 Norditalien - Mittelitalien * Bernardino von Siena, ein "franziskanischer Bußprediger", der später "heiliggesprochen" wird, predigt auf seinen "Missionsreisen" durch Nord- und Mittelitalien vehement gegen "Juden", "Häretiker", "Sodomiten" und "Ehebrecher".

Auch glaubt er, überall auf "magische Praktiken, Wahrsagerei, Zauberei und das Wirken von Dämonen" zu treffen. Er bezeichnet die "Hexerei" als eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen, für dessen Duldung Gott die Menschheit hart bestrafe.

Seine Zuhörer fordert der "heilige Mann" auf, die "Hexen, Wahrsager und Zauberer" aufzuspüren und zu vernichten. Seine Predigten enden regelmäßig in regelrechten Verfolgungen und Hinrichtungen.

Das "Verfolgunsgebiet" ist so erweitert worden.

1475 München * In der inneren Stadt dürfen keine Schweine gehalten werden.

Seite 11/176 Im Bereich an der heutigen Erhardstraße werden auf städtischem Grund Schweinställe angelegt.

Januar 1522 Kreuzviertel * Der "Augustinereremit" Leonhard Beier, ein Münchner Bürgersohn, wird für drei Jahre in den "Falkenturm" gesperrt, nachdem er die "Wittenberger Artikel" in das Münchner Kloster bringt.

Sie stellen unter anderem jedem Mönch frei, das Kloster zu verlassen.

Juni 1527 München * Der aus Weißenburg im Bistum Eichstätt stammende ehemalige Priester Leonhard Dorfbrunner predigt in München als "Wiedertäufer" und tauft vier Bürger.

26. Juli 1576 Augsburg * Der als Hexenbischofbekannte Marquard II. vom Berg regiertim Hochstift Augsburgals Bischof. Er behält gleichzeitig sein Bischofs-Amt in Bamberg.

9. September 1576 München * Herzog Philipp Wilhelm von Baiern, der spätere Fürstbischof von Regensburg, wird in München geboren. Er ist der Sohn von Herzog Wilhelm V. und Renata von Lothringen und ein Bruder des späteren Kurfürsten Maximilian I..

1579 München - Regensburg * Der dreijährige Herzog Philipp Wilhelm von Baiern wird Fürstbischof von Regensburg.

Mit Philipp Wilhelms Wahl soll das hoch verschuldete Bistum Regensburg stärker an das baierische Herzogtum gebunden werden. Gerade auch deshalb, weil sich in der Reichsstadt Regensburg die Protestanten eine einflussreiche politische Position erarbeiten konnten.

1582 Köln * Als der "Erzbischof und Kurfürst von Köln", Gebhard Truchseß von Waldburg, zum evangelischen Glauben übertreten, heiraten, aber auf seine Ämter nicht verzichten will, marschiert ein "bairisch-spanisches Heer" in Köln ein und besiegt die Truppen des Truchseß.

Ab 1586 Oberstdorf * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Oberstdorf werden zwischen 1586 und 1587 etwa 25 Personen als "Hexen" verbrannt.

1587 Dillingen * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Dillingen gibt es zwischen 1587 und 1591 aufgrund der "Hexenverfolgungen" mindestens 17 weibliche Todesopfer.

Seite 12/176 1589 Schwabmünchen * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Schwabmünchen beginnen die "Hexenverfolgungen", wo der als "Hexenbischof" bekannte Marquard II. vom Berg bald das Gefängnis erweitern lassen muss, um die Angeklagten unterzubringen.

Hierher kommt der Biberacher "Hexenspezialist" Christoph Hiert.

Das Ergebnis des bischöflichen "Hexenwahns" sind 27 Hinrichtungen.

Ab 1590 Oberstdorf * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Oberstdorf werden zwischen 1590 und 1592 noch einmal 68 Frauen als "Hexen" verbrannt.

Um 1590 Rettenberg * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden "Pfleggericht Rettenberg" werden 25 "Hexen" ermordet.

1591 München * Peter Binsfelds Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" erscheint in München in deutscher Sprache.

Der Münchner "Stadtgerichtsassessor" Bernhard Vogel hat das Werk aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Der "Verleger" Adam Berg lässt es im Einverständnis mit dem "Geistlichen Rat" drucken.

Gewidmet ist das Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" Herzog Ferdinand, der den "Schongauer Hexenprozess" der Jahre 1589/90 führte und nachträglich für seine abscheuliche Tat gerühmt werden soll.

Adam Berg schreibt im Vorwort des Buches, dass es gerade jetzt notwendig sei, da man "zu diser zeit etliche Personen finden möchte, die sagen dörfften, man thue den Leuthen unrecht". Das Buch verfolge also vornehmlich den Zweck, "das diejenigen, so irgent hierinn zweiflen, ein Bericht haben und nit also freventlich die hohe Obrigkeit in Straffung solcher Laster urtheilen und Nachreden".

1593 München * Der "Bildhauer" Hubert Gerhard erschafft die mit 2,17 Meter überlebensgroße, ursprünglich feuervergoldete und als Bronzehohlguss hergestellte "Mondsichelmadonna", die im Jahr 1638 auf der "Mariensäule" Aufstellung fand.

Sie gilt als das Hauptwerk Hubert Gerhards.

18. Dezember 1596 Regensburg - Rom * Der Regensburger Fürstbischof Philipp Wilhelm wird im Alter von 20 Jahren von Papst Clemens VIII. zum Kardinal erhoben.

Seite 13/176 21. Mai 1598 Dachau * Der 21-jährige Kardinal und Fürstbischof von Regensburg, Philipp Wilhelm, stirbt in Dachau. Er wird in der Münchner Frauenkirche beigesetzt.

1. August 1602 Degenberg * Der Degenbergische Pfleger und BräuverwalterLeonhard Mair wird beauftragt das weiße Brauwesenwie bisher und mit dem selben Personal als landesherrliches Unternehmen weiterzuführen. Das ist die Geburtsstunde des wittelsbachischen Weißbierbrauwesens. Die Brauereien befinden sich in Schwarzlach, Zwiesel und Linden.

Weil auch sämtliche weiteren Einnahmen der Degenberger Güter an den Herzog gehen kommt es zu einem langjährigen Rechtsstreit.

1607 München-Kreuzviertel * Der alte "Drei•flügelaltar" aus dem 15. Jahrhundert wird im Rahmen der Neugestaltung des "Chorraumes" der "Frauenkirche" abgerissen.

An seine Stelle tritt ein Provisorium, für das die von Hubert Gerhard geschaffene "Madonna mit dem Kind" verwendet wird. Allerdings fehlt dieser Lösung die absolut nötige Monumentalität für den Chorabschluss der "Frauenkirche".

Mai 1608 Markt Schwaben * Der "Beyerin von Winden", einer Bäuerin aus der Gegend um Markt Schwaben, wird der Prozess gemacht.

"Ankläger" ist erneut der "Hofrat" Dr. Johann Simon Wagnereckh.

Es kommt wiederholt zur Auseinandersetzung mit dem "Hofoberrichter" Dr. Bernhard Barth von Hermatingen, sodass sich der Prozess monatelang hinzieht und die Frau im Mai 1608 einen Selbstmord verübt.

1620 Berg am Laim * Der inzwischen zum "Generalkriegskommissar" aufgestiegene Albrecht von Lerchenfeld kauft den "Großmeierhof" und den "Kleinmeierhof" in Echarding und fügt beide in seine "Hofmark Berg am Laim" ein.

Zudem erwirbt er die drei "Schwaigen" Harlaching, Geiselgasteig und Harthausen, die heutige "Menterschwaige".

Noch im gleichen Jahr stirbt Albrecht von Lerchenfeld.

Mai 1620 Schärding * Der bereits 60-jährige "Karmelitengeneral" Dominicus a Jesu Maria geht auf päpstliche Weisung nach Baiern.

Noch in Rom hat er den Sieg von Prag vorausgesagt:

Seite 14/176 "Wenn die Schlacht anfangen wird, werde ich auf einem mutigen Pferd sitzen, durch die Glieder des Kriegsheeres reiten, die Soldaten anfrischen: Die mich erblickenden Feinde werden aufschreien: Was für ein Teufel aus der Hölle kommt zu dem katholischen Kriegsheer?"

In Schärding am Inn, wo die "Liga" ihre Truppen gesammelt hat, trifft der "Karmeliter-Pater" Dominicus a Jesu Maria erstmals auf Herzog Maximilian I. und dessen Ehefrau Elisabeth Renata von Lothringen.

Gemeinsam begeben sich die zur "Strafaktion" versammelten Regimenter und Maximilians Hofstaat nach Böhmen. Der "Karmeliter-Pater" reist in einer Sänfte.

In einem von den böhmischen Aufständischen zerstörten Dorf findet der Ordensmann ein kleines Bild, das die Geburt Jesu darstellt.

Calvinistische Bilderstürmer haben Maria und Josef die Augen ausgekratzt. Sofort hängt sich der "Karmelit" dieses "Gnadenbild" um den Hals.

1626 Berg am Laim * Maria Jacobäa Freifrau von Lerchenfeld, die Witwe des Berg am Laimer "Hofmarkherren", lässt am nördlichen Ortsrand eine "Loretokapelle" errichten.

Die "Loretokapelle" war eine maßstabsgetreue Nachbildung der "Santa Casa von Loreto" bei Ancona an der italienischen Adriaküste, die als "Wohnhaus der heiligen Familie in Nazareth" gilt.

Der Legende nach wurde das kleine Gebäude aus Sandstein und Ziegeln am 10. Mai 1291 vor den Mohammedanern gerettet. Engel trugen das Haus von Nazareth nach Dalmatien, wo sie es auf dem Berg Trsat bei Rijeka absetzten. Doch schon am 12. Dezember 1294 brachten Engel das heilige Haus in die Gegend von Recanati, wo sie es in einem Lorbeerhain, italienisch "Loreto", niederließen. Da viele Pilger bei dem einsam gelegenen Heiligtum ausgeraubt wurden, fand man das Haus eines Tages näher am Ort Recanati, auf dem Grundstück zweier Brüder. Als diese anfingen, sich um die Opfergaben der Pilger zu streiten, entfernte sich das Haus am 7. September 1295 nochmals und steht seither an der Stelle, wo es im 16. Jahrhundert von einer riesigen Kathedrale überbaut wurde und sich zu einem der größten Wallfahrtsziele Italiens entwickelte.

Zum Unterhalt der Kirche stattet die Freifrau die "Loretokirche" mit einem "Benefizium" aus, das aus einem Kapitalstock von 1.000 Gulden besteht. Der Zinsertrag kommt zur Hälfte der Erhaltung der Kirche, zum anderen Teil dem Kaplan zu Gute, der die im "Stiftungsbrief" festgelegten Messen lesen musste.

Außer der finanziellen Zuwendung erhält er ein Haus, das bis zum Jahr 1968 an der Echardinger Straße 6 steht. Es war "gemauert samt einem Statl, Stallung [...] großen Garten und Pflanzgärtl" und enthielt zudem "dreieinhalb Joch Acker".

Der Weg, der die Münchner Wallfahrer über Haidhausen zur Kapelle führte, hieß "Loretosteig". Es ist dies die heutige Berg-am-Laim-Straße, die damals an der Kapelle endete.

Seite 15/176 1629 Paris - München * Kardinal Richelieu, der Leiter der französischen Politik, bietetBaiern ein "Defensivbündnis" an.

15. Mai 1632 München * Die schwedische Schutzgarde wird nach München verlegt und nimmt Einquartierungen in den "Klöstern und Häusern der Vornehmen in München, deren Insassen meist nach Tirol oder Italien geflohen waren".

Die innerhalb der Stadtummauerung lebenden Münchnerkommen wieder einmal glimpflich davon. Die Soldateskaplündert, verwüstet, drangsaliert und vergewaltigt dafür um so stärker in den Vororten - besonders in der bevölkerungsreichen Au und in Haidhausen.

17. Mai 1632 München - Haidhausen * Unterwürfig überreichen die Münchner Stadtväter dem anrückenden KriegsherrnGustav II. Adolf am Gasteigdie Stadtschlüssel. Der Schwedenkönigzieht in München ein, um in der Residenz Quartier zu nehmen. Sein Weg führt ihn über die Isarbrücke zum Roten Turmund dem Isartor. In seiner Begleitung befindet sich der "Winterkönig" Friedrich V., der Pfalzgraf August von Sulzbach und die Herzöge Bernhard und Wilhelm von Weimar sowie Johann von Holstein.Diesen folgen noch drei Regimenter.

Gustav Adolf ist von München angeblich so begeistert, dass er am liebsten die Residenzmit nach Schweden genommen hätte - sagt man.Es stimmt wohl, dass er München - angesichts des eher kargen Umlandes - mit einem "goldenen Sattel auf einem mageren Pferde" verglichen hat.Seine Schwärmerei für die Residenzistjedoch eine Ausschmückung späterer Jahre.Denn eigentlich war es nur ein Ofen, der ihm so gut gefiel, dass er "gewinschet, daß dieser ofen zu Stockholm wehre".

Die Schweden besetzen die baierische Haupt- und Residenzstadt.Siegmund Riezler schrieb dazu: "Im Übrigen aber wurde weder Eigentum noch Person angetastet". Das stimmt so nicht!Denn die Hauptleidtragenden der Kriege sind immer die Vorstädter. Sie bieten den Belagerern der Stadt Ersatz fürs Morden, Plündern, Brandschatzen, Foltern und Vergewaltigen. Die Hauptarmee lagert nicht in der Stadt, sondern ist auf die Dörfer vor den Stadttoren verteilt worden. Und diese Soldateskaraubt und stiehlt alles, was nicht niet- und nagelfest ist und verkauft es in der Stadt, sodass die Münchner Waren zu billigsten Preisen kaufen können.

25. Dezember 1645 San Vittore * Giovanni Antonio Viscardi wird in San Vittore bei Roveredo in Graubünden geboren.

1655 Paris - München * Der französische Kardinal Jules Mazarin trägt Kurfürst Ferdinand Maria die Kandidatur für die Nachfolge des am 9. Juli 1654 verstorbenen Kaisers Ferdinand IV. an.

1657 München-Isarvorstadt * Ein Kupferstich von Matthäus Merian zeigt "Weingärten" im Bereich der heutigen Baader- und Erhardtstraße.

Seite 16/176 Ab 1674 Giovanni Antonio Viscardi ist für Enrico Zuccalli als "Palier" auf verschiedenen Baustellen tätig.

1675 München * Giovanni Antonio Viscardi übernimmt die Stelle eines Hofmaurermeister.

1677 München * Der Graubündner Giovanni Antonio Viscardi siedelt auf Empfehlung des Kurfürsten Ferdinand Maria mit der Familie nach München über.

1. Februar 1681 Wien - München * In einem Brief teilt Kaiser Leopold I. dem baierischen Kurfürsten mit, dass er "mit kleinem Hofstaat" die Wallfahrt nach Altötting unternehmen wird und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, den Kurfürsten am Ziel treffen zu können

"Kleiner Hofstaat" bedeutete 455 Personen, 297 Pferde, 16 Kutschen und 16 Maultiere. Im kaiserlichen Gefolge befinden sich unter anderem 15 Köche und zusätzlich zwei extra für die Kaiserin, dazu ein Küchentürhüter und der Kammerzwerg, der Hofnarr.Im Hofstaat der Kaiserin ist neben den Hofdamen, Garderobenda­men, Kammerzofen und sonstigem, meist weiblichen Personal, auch ein "Extraweib" aufgeführt. Ihre Funktion ist ungeklärt.

1685 München * Giovanni Antonio Viscardi wird zum Hofbaumeister ernannt.

9. September 1685 Haidhausen * Aus Anlass der Hochzeit des Kurfürsten Max Emanuels mit der österreichischen Kaisertochter Maria Antonia erlebt Haidhausen erneut ein aufwändiges Fest. Nachmittags um drei Uhr versammeln sich auf dem Anger vor dem Besitztum des Freiherrn Franz Pongraz von Leiblfing die Kavaliere mit Kutschen und Handpferden. Auch die kurfürstliche Leibgarde zu Pferd und eine Kompagnie der Bürgerschaft zu Pferd ist angetreten.

Nach dem Eintreffen der frisch vermählten Eheleute, die zuvor ihr Mittagsmahl in Schloss Berg am Laimeingenommen haben, werden sie nun am Haidhauser Schlossangervon den dort versammelten Anwesenden feierlich empfangen. Nach einer ausführlichen Huldigung des jungen Ehepaares erfolgte der triumphale Einzug in die nahe Residenzstadt München.

Für die erwiesene Gastfreundschaft wird Kurfürst Max Emanuel dem Haidhauser Schlossbesitzer wieder ein kleines Stück entgegenkommen. Der Landesherr akzeptiertzwar die von seiner Hofkammergemachten Einschränkungen, wonach Haidhausen nicht zur geschlossenen Hofmarkernannt werden darf, weil dort auch andere die Jurisdiktionausüben, nämlich:

das Leprosenhaus am Gasteigüber den Kotterhof,

Seite 17/176 Graf Preysing, die Ridler und die Jesuiten über ihre Gartengüter sowie der Kurfürst selbst über das Brunnhausund den Jäger im Brunntal.

Außerdem, so die Hofkammerweiter, darf der Kurfürst die Jurisdiktionfür eine so große Ortschaft nahe der Landeshauptstadt nie vergeben, da er sich sonst bei auftretenden Unregelmäßigkeiten zuerst an den Hofmarkherrenwenden muss, statt sofort selbst einzuschreiten. Dies könnte besonders beim Ausbrechen der Pestoder bei der unerwünschten Ansiedelung von Bettlern und vagierendem Gesindelnötig sein.

25. Juli 1688 Peterwardein *Kurfürst Max Emanuel trifft mit seinen baierischen Truppen bei Peterwardein ein und überquert die Save.

1689 München * Nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten Enrico Zuccalli um die Nutzung des gemeinsamen Gartens vor dem Schwabinger Tor wird Giovanni Antonio Viscardi aus dem Hofdienst entlassen.

Viscardi ist in den nächsten Jahren als "freier Baumeister-Architekt" tätig und unter anderem am Bau des Jesuitenklosters in Landshut, an Erweiterungsbauten im Kloster Fürstenfeld und an der Theatinerkirche beteiligt.

Weitere Aufträge folgen. Für den Reichsgrafen Ferdinand Franz Lorenz Xaver von Tilly zu Breitenegg übernimmt Viscardi verschiedene Bauaufträge.

1693 München-Kreuzviertel * Ihr ererbtes und erworbenes Vermögen ermöglichte es Anna Maria Katherina Gräfin von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn das Haus des Grafen Aheim - das jetzige "Palais Portia" - in der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße 12 zu kaufen.

August 1700 Freystadt * Giovanni Antonio Viscardi beginnt mit dem Bau einer neuen Wallfahrtskirche Maria Hilf in Ferdinand Franz Lorenz Xaver von Tilly zu Breiteneggs Herrschaft Freystadtin der Oberpfalz.

7. November 1704 Ilbesheim * Therese Kunigunde, seit 17. August 1704 Regentin Baierns, schließt mit Kaiser Leopold I. den Waffenstillstandsvertrag von Ilbesheim, durch den Baiern aus dem Spanischen Erbfolgekrieg ausscheidet. Der Kurfürstin verbleibt der größte Teil des Rentamtes München. Das gesamte restliche Kurfürstentum wird von der habsburgischen Kaisermacht besetzt.

Außerdem beinhaltet der Ilbesheimer Vertrag

die Auflösung des baierischen Heeres mit Ausnahme einer 400 Mann starken Garde, die Übergabe der Festungen an die Kaiserlichen sowie die Verpflichtung der Kurfürstin "gegen Sr. kaiserl. Majestät und das heilige römische Reich nichts Nachtheiliges

Seite 18/176 oder Schädliches gestatten, hegen und noch weniger vernehmen [zu] lassen."

15. Mai 1705 München * Die Kaiserliche Administrationverweigert der Kurfürstin Therese Kunigunde die Rückreise nach München.

8.000 Soldaten marschieren um 7 Uhr vor den Stadttoren auf und drohen mit Bombardierung.Die Münchner kapitulieren. Nun ist die baierische Hauptstadt München, das RentamtMünchenund damit ganz Baiern besetzt. In der Folge verlegt man den Sitz der Kaiserlichen Administrationin die Herzog-Max-Burg.

16. Mai 1705 München * Nachdem Kurfürstin Therese Kunigunde am 16. Februar 1705 zu ihrer Mutter nach Venedig reiste, besetzen die Kaiserlichen auch das Rentamt München und verweigerten der Kurfürstin die Einreise nach Baiern. 8.000 Soldaten marschieren um 7 Uhr vor den Stadttoren auf und drohen mit Bombardierung. Die Münchner kapitulieren.

Zur Besetzung des Rentamtes Münchenkommt es auch deshalb, weil man in München keinen großen Eifer zeigt, die vereinbarten Abrüstungsmaßnahmen aus dem Ilbesheimer Vertragumzusetzen. Eine Kaiserliche Administrationunter Reichsgraf Maximilian Carl von Löwenheim-Wertheim-Rochefort bemühtsich nun um eine ordnungsgemäße Verwaltung des Kurfürstentums Baiern.

24. Juli 1705 München * Die Kaiserliche Administrationbefiehlt, alle ledigen und herumziehenden Bauernburschen aufzugreifen und dem Militärdienst zuzuführen.

16. November 1705 Burghausen * Burghausen kapituliert vor denAufständischen. Sie ist die erste Stadt, die den Aufständischenin die Hände fällt. In den Kapitulationsverhandlungenverlangen die Unterländer,

dass "der Landmann bei seinen alten Privilegien verbleibe, dass man von ihm nicht mehr fordere als unter dem Kurfürsten geschehen, damit die Bauern [...] ihre schuldigen Abgaben entrichten können; alle Bauernsöhne und Knechte sollen zu Hause verbleiben und allein zur Verteidigung des Landes dienen."

Die Bauern erheben sich also zunächst nur gegen die allzu maßlosen Forderungen der Kaiserlichen Administration, nicht gegen die Besatzungsherrschaft. Weil sie zu Verteidigung der Heimat bereit sind, wehren sie sich gegen den Missbrauch der Landfahnenzum kaiserlichen Militärdienst. Die Aufständischenverstehen sich als "ganze Gemein der Kurlande Baiern".

Um ihnen die Legitimation des gesamten Kurfürstentums zu geben, wird der RegierungsratFranz Bernhard von Prielmayer zum Kriegskommissär der Landesdefensiongezwungen. Prielmayer versucht mäßigend auf die Aufständischeneinzuwirken. Doch der Erfolg der Rebellenverändert deren Ziele, weshalb sie schon bald die

Seite 19/176 Beseitigung der Kaiserlichen Administrationfordern, weil sie für die "unerträglichen Lasten" verantwortlich zeichne.

4. Dezember 1705 Schärding * Die Aufständischenerobern Schärding.

Um den 8. Dezember 1705 Burghausen * Die Aufstandsbewegungunter der Führung des Pfarrkirchner GerichtsschreibersGeorg Sebastian Plinganser erzielt bedeutende Erfolge und kontrolliert nach der Einnahme der Städte Burghausen, Braunau und Schärding die Innlinie und große Teile des Rentamtes Burghausen.

Als sich die Rentamtsregierungnotgedrungen auf die Seite der Aufständischenstellt, breitet sich die Rebellion über das Rott- und das Vilstal weiter aus.

25. Dezember 1705 München * Gegen 6 Uhr wird einTambourvon denAnführern der Aufständischenvor dasSendlinger Torgeschickt. Er soll dieKaiserliche Administrationzur Übergabe der Stadt auffordern, wird aber von denKaiserlichennicht angehört und muss unverrichteter Dinge wieder abziehen.

DieBeamtenführungin Untersendling gibt das Unternehmen daraufhin verloren und zieht ab.Mit ihnen auchHauptmannJean Philipp Gauthier,LeutnantJohann Houis, der TölzerPflegskommissärJoseh Ferdinand Dänkel und die gesamteBauernreiterei.Nur der MünchnerJägerwirtJohannJäger,derStudentAntonPassauer,HauptmannMatthias Mayer undLandleutnantxxxxxx Heller verbleiben bei denOberländern.

1706 München * Enrico Zuccalli wird wie alle Gefolgsleute des Kurfürsten Max Emanuel aus dem Hofdienstentlassen.

Zuccallis Aufgaben und Aufträge werden nun Giovanni Antonio Viscardi übertragen. Seine Tätigkeiten in dieser Funktion sind vor allem weite Kontrollreisen zur Überwachung von Kasernen- und Festungsneubauten.

14. Januar 1706 Schärding * Schärding wird den Aufständischengeräumt.

17. Februar 1706 Wien * Ein kaiserlicher Erlass beendet die Zwangsrekrutierungen. Kein baierischer Rekrut darf mehr mit Zwang zum Militärdienst berufen werden.

Mai 1706 Klagenfurt * Die vier ältesten baierischen Kurprinzen Carl Albrecht (* 1697), Philipp Moritz (* 1698), Ferdinand Maria Innozenz (* 1699) und Clemens August (* 1700) werden nach Klagenfurt gebracht.

Prinzessin Maria Anna (* 1696) und die jüngeren Prinzen Johann Theodor (* 1703) sowie Max Emanuel Thomas

Seite 20/176 (* 1704) bleiben in München.

Spätestens Januar 1708 Wien - Freystadt - München * Giovanni Antonio Viscardi wird aufgrund seiner vom ihm gebauten Wallfahrtskirche Maria Hilf bei Freystadt spätestens im Januar 1708 zum "kayserlichen Hofpaumeister" ernannt.

Für Giovanni Antonio Viscardi bedeutete die Ernennung die höchstmögliche Anerkennung. Denn in Diensten des Kaisers zu stehen war - neben einer Anstellung beim Papst - durch nichts mehr zu toppen.

1709 München-Kreuzviertel * Mit dem Bau des Bürgersaals und der Bürgersaalkirche für die Jesuiten erhält Giovanni Antonio Viscardi in München einen neuen zivilen Bauauftrag.

Der Bürgersaal ist eine gestreckte rechteckige Halle von 46,6 m Länge, 14,3 m Breite und 13,3 m Höhe.

Wieder ist es die kaiserliche Besatzungsmacht, die mit Viscardis Ernennung enormen Einfluss auf den Bau der Bürgersaalkirche und der Dreifaltigkeitskirche und deren Aussehen ausübt.

1710 Freystadt * Aufgrund des Übergreifens des Spanischen Erbfolgekriegs auch auf die Oberpfalz - kann die von Giovanni Antonio Viscardi errichtete Wallfahrtskirche in Freystadt in der Oberpfalz erst im Jahr 1710 eingeweiht werden.

Die Wallfahrtskirche Maria Hilf bei Freystadt wird als der "einheitlichste Zentralbau des bayrischen Hochbarocks" bezeichnet. Das Bauwerk beeinflusste die "Weiterentwicklung der Sakralbaukunst" im 18. Jahrhundert nachhaltig.

11. Mai 1711 Wien - München * Die Kaiserwitwe Eleonore Magdalena Theresia aus Wien gibt ihre Zustimmung, in München ein "Karmelitinnenkloster der theresianischen Reform" für zwanzig Frauen zu bauen und das Haus der Nonnen mit der gelobten Dreifaltigkeitskirche zu verbinden.

Als Architekt soll Giovanni Antonio Viscardi tätig werden.

27. September 1713 München * Giovanni Antonio Viscardi stirbt.

Den Bau der Dreifaltigkeitskirche beenden sein Palier Johann Georg Ettenhofer und der neue Hofbaumeister Enrico Zucalli.

6. März 1714 Rastatt * Da der Kaiser dem Frieden von Utrecht nicht beigetreten ist, bleibt der Oberrhein Kriegsschauplatz. Hier finden die Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und dem Kaiser statt. Die beiden Heerführer, Prinz Eugen von Savoyen für den Kaiser und der französische Marschall Claude-Louis-Hector de Villars, führen ihre

Seite 21/176 Verhandlungen im badischen Rastatt.

Kaiser Carl VI. sieht sich dann aber gezwungen, auf der Grundlage des Utrechter Friedensden Frieden von Rastattabzuschließen. Das bedeutet, dass das Elsass bei Frankreich bleibt, Österreich dafür die Herrschaft über die Lombardei, Neapel und Sardinien behält.

Kurfürst Max Emanuel wird wieder in seine Rechte und Ehren eingesetzt, ja selbst die Oberpfalz bekommt er wieder.Und er darf wieder nach Baiern zurückkehren; doch das stellt für ihn die am wenigsten wünschenswerte Option dar. Auch Sein Bruder Joseph Clemens, Kurfürst von Köln, kann wieder seine Funktionen ausüben.

5. August 1716 Peterwardein * Prinz Eugen von Savoyen besiegt die Türken bei Peterwardein.

Juli 1719 Regensburg * Johann Theodor, der jüngste Sohn des baierischen Kurfürsten Max Emanuels muss als 16-jähriger das Bistum Regensburg von seinem älteren Bruder Clemens August übernehmen, obwohl er überhaupt keine Neigung zum geistlichen Stand in sich fühlt.

Der übermächtige Vater droht ihm - mit unbeugsamer Härte - mit der rechtlichen Zurücksetzung innerhalb der Familie. Damit bewegt er seinen Sohn zur Annahme dieses hohen und einträglichen Kirchenamtes.

Obwohl Johann Theodor bis zu seinem Tod im Jahr 1763 das Bistum Regensburg insgesamt 44 Jahre als Erzbischof regiert, glänzt er dort durch Abwesenheit und hält sich bevorzugt in den väterlichen Schlössern, später in seinem "Jagdschloss in Ismaning" auf.

Die tatsächliche Bistumsverwaltung übernehmen die vom Fürstbischof eingesetzten geistlichen Ratskollegien, Generalvikare und Weihbischöfe. Ungeachtet seiner Untätigkeit für die ihm anvertrauten Aufgabengebiete macht der Wittelsbacher Herzog dennoch Karriere.

1723 Freising * Der Freisinger Bischof Johann Franz Eckher von Kapfing, der im Jahr 1695 die Wahl gegen Joseph Clemens gewonnen hatte, schlägt den 20-jährigenBaiernherzog Johann Theodor zu seinem Nachfolger auf dem Bischofsstuhl vor.

1727 Freising * Der Baiernprinz und Fürstbischof von Regensburg, Johann Theodor, wird zum Bischof von Freising gewählt.

28. Januar 1728 München-Ludwigsvorstadt *Der Bierbrauer Bernhardt Rüdt will einen Bierkelleran der heutigen Landsberger Straße erbauen lassen. Der Märzenkellerist beim Stadtrat nicht erwünscht, weshalb durch eine Expertenrunde Argumente gegen das Bauwerk gesucht werden sollen.

Seite 22/176 8. April 1730 Ismaning * Fürstbischof Johann Theodor von Freising und Regensburg lässt sich in seiner "Ismaninger Schlosskapelle" zum Priester weihen.

1. Oktober 1730 Köln * Fürstbischof Johann Theodors erhält durch seinen Bruder Clemens August, demKurfürsten von Köln, in Kölndie Bischofsweihe.

17. Juli 1732 Mergentheim * Der 31-jährige Kölner Kurfürst Clemens August wird in Mergentheim zum Hochmeister des Deutschen Ordensgewählt. Trotz der kurbaierischen und der französischen Unterstützung unterliegt Fürstbischof Johann Theodor seinem Bruder, dem Kölner Kurfürsten Clemens August, bei der Wahl zum Hoch- und Deutschmeister.

28. April 1738 Vatikan * Papst Clemens XII. ist ein hochbegabter Jurist und Finanzexperte, der - blind und Krank - die katholische Welt mit einem eisernen Willen vom Bett aus regiert. Er erlässt die Verdammungsbulle "In eminenti apostolatus specula", die den Freimaurern aus ihrer Geheimniskrämerei einen Strick dreht. "Wenn sie nichts Böses täten, würden sie nicht so sehr das Licht hassen", argumentiert der greise Papst. Die Zugehörigkeit zur Freimaurerei wird bei Strafe der Exkommunikation verfolgt.

Während man in Spanien, Portugal und Polen Logenbrüder foltert und hinrichtet, bekleiden in Frankreich viele Priester hohe freimaurerische Ämter. In Deutschland gehören Domherren, Äbte und Kardinäle den Logen an, darunter der Kölner Kurfürst und Fürsterzbischof Clemens August.

9. September 1743 Rom-Vatikan * Papst Benedikt XIV. nimmt den Freisinger und Regensburger Fürstbischof Johann Theodor als"Kardinal in pectore" [= unter Geheimhaltung] in dasKardinalskollegiumauf.

23. Januar 1744 Lüttich - Berg am Laim * Mit Unterstützung seines älteren Bruders Clemens August wird der Fürstbischofvon Freising und Regensburg, Johann Theodor, zum Bischof von Lüttich gewählt. Auch bei der Wahl zum Bischof von Lüttich hat Clemens August - trotz seiner Ämterfülle - die besseren Chancen.

Johann Theodor setzt sich gegen den ranghöheren Bruder nur deshalb durch, weil er sich standhaft weigert, in der neuen Berg am Laimer Michaelskirchedie Kirchenweihezu vollziehen. Der Regensburger und Freisinger Bischof Johann Theodor bekämpft gemeinsam mit dem Baumkirchner Pfarrer diesen Neubau. Die Wende kommt erst mit dem Verzicht Clemens Augusts auf das Bistum Lüttichzu Gunsten seines Bruders.

17. Januar 1746 Rom-Vatikan - Freising - Lüttich * Die bereits am 9. September 1743 durchPapst Benedikt XIV.erfolgte Ernennung des Freisinger, Regensburger und Lütticher Fürstbischofs Johann TheodorzumKardinalwird erst jetzt offiziell

Seite 23/176 publiziert.

Was zunächst wie eine Rangerhöhung aussieht ist aber in Wirklichkeit das Karriere-Ende des an Macht und Einfluss Gefallen findenden Wittelsbachers. Denn kein noch so "handgesalbtes" Domkapitel würde einen Kardinal zum Bischof küren. Das verbot schon der Standesdünkel.

Johann Theodor gehtdeshalb als "Kardinal von Baiern" in die Geschichte ein. Seine Zeit verbringt der Kardinalswürden- und Purpurträger bis zu seinem Lebensende in Lüttich.

26. April 1747 Leimen * Aron Elias Seligmann, der spätere "jüdische Hoffaktor" und Finanzier des Bayerischen Staates, wird in Leimen geboren.

11. März 1751 Berg am Laim * Joseph Clemens? Nachfolger und Neffe, Kurfürst Clemens August von Köln, plant mit dem Neubau der Berg am LaimerMichaelskirchegleichzeitig die Errichtung eines Exerzitienhausesfür die Franziskaner. Auch hier gibt es Widerstände des Ortspfarrers von Baumkirchen, die den Pfarrer einsetzenden St.-Veit-Chorherrenin Freising und des Freisinger Ordinariats, an dessen Spitze Bischof Johann Theodor, ein Bruder Clemens Augusts.

Auch der andere Bruder, Baierns Kurfürst Carl Albrecht, will diese Aufgabe lieber von den Jesuitenals von den Franziskanernausgeführt sehen, weshalb noch nach seinem Tod die Kaiserin-Witwe Maria Amalia die in Berg am Laim gelegene Josephsburg- im Geheimen und ohne den Kölner Bischof in die Entscheidung einzubeziehen - den Jesuitenübertragen will.

Nach langem Hickhack kommen drei Franziskanerdoch noch nach Berg am Laim. Am 11. März 1751 wird das Hospizin Anwesenheit von drei Wittelsbachern - dem kurkölnischen Fürstbischof Clemens August, dem Freisinger BischofJohann Theodor und dem neuen baierischen Kurfürsten Max III. Joseph - eingeweiht. Clemens August hatte zuvor schriftlich zu bestätigen, dass die "Franziskaner nirgends betteln, noch den Pfarrern die Messen wegnehmen und den pfarrlichen Funktionen Eintrag tun".

6. Februar 1761 Köln * Der Kölner Kurfürst Clemens August stirbt in Köln und wird in der dortigen Domkirche beigesetzt. Die Hofmark Berg am Laimerbt der Freisinger und Lütticher Fürstbischof Johann Theodor, der freilich auch aus der wittelsbachischen Familie stammt.

11. März 1761 Rom-Vatikan - Köln * Papst Clemens XIII. verweigert seine Zustimmung zur Wahl desKardinalsJohann Theodor zum Kölner Erzbischof. Er begründet dies mit dem"skandalösen und ungeistlichen Lebenswandel" des Kirchenfürsten.

27. Januar 1763 Lüttich - Berg am Laim * Nach dem Tod des Freisinger Fürstbischofs Johann Theodor in Lüttich fällt die Hofmark Berg am Laiman das kurfürstliche Haus. Der Bergam LaimerHofmarkherrist jetzt Kurfürst Max III. Joseph.

Seite 24/176 1771 Au * Das "Lehen Schmalzhof" wird dem Grafen Marquart von Kreuth verliehen.

7. Dezember 1774 München * Wolfgang Amadeus Mozart hält sich bis 5. März 1775 anlässlich der Uraufführung der Opera buffo "La finta giardiniera" zum dritten Mal in München auf.

29. Dezember 1774 München * Die Uraufführung von Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "La finta giardiniera" muss wegen Zahnschmerzen des Komponisten und der damit verkürzten Probezeiten des Ensembles verschoben werden.

13. Januar 1775 München-Kreuzviertel * Der - als "Gärtnerin der Liebe" eingedeutschte - Geniestreich des 18-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart - "La finta giardiniera" - wird im Opernhaus am Salvatorplatz, dem ersten freistehenden Opernhaus nördlich der Alpen, uraufgeführt.

2. Februar 1775 München-Kreuzviertel * Wolfgang Amadeus Mozarts Oper "La finta giardiniera" wird im Redoutenhausan der Prannerstraße 8, während einer maskierten Akademiezum zweiten Mal aufgeführt.

2. März 1775 München-Kreuzviertel * Die Oper "La finta giardiniera" von Wolfgang Amadeus Mozart wird im Opernhaus am Salvatorplatzzum dritten Mal aufgeführt.

10. Dezember 1776 Mailand * Maria Leopoldine, die spätere bairische Kurfürstin und Ehefrau von Kurfürst Carl Theodor, wird in Mailand geboren. Ihr Vater ist Ferdinand Carl Anton, Erzherzog von Österreich-Este und Generalgouverneur der Lombardei, ihre Mutter Maria Beatrix, eine Prinzessin von Modena d?Este und Herzogin von Massa und Carrara.

9. Januar 1784 Au * Die Wirte der Au beschweren sich über die auf dem Gasteigbergerbauten Märzenkeller. Die dortigen Bierbrauer bewirten im Sommer und Herbst ihre Gäste mit Bier, das mass- und halbmassweise ausgeschenkt wird. Außerdem gestatten sie das Musizieren und Tänzen und bieten Kugelplätze[= Billard] und Spieltischean. Die Oberlandesregierungsoll im kurfürstlichen Auftrag diese Exzesse abstellen.

31. März 1784 München * Der Stadtrat ermahnt die Bierbrauer und droht ihnen mit Geldstrafen und mit "unliebsameren Strafen".

Der Grund sind die Beschwerden der Auer Wirte.

Seite 25/176 Die Brauer dürfen künftig nur noch in der Zeit, in der sie den "ordentlichen Kranz" besitzen, in ihren "Märzenkellern" Gäste mit Bier bewirten, Kugelplätze und Spieltische betreiben sowie durch Musikanten zum Tanzen aufspielen lassen.

April 1784 Geldern * Die dreizehn Münchner, die Ende Januar von dem tollwütigen Hund gebissen worden sind, werden nach "St. Hubert" im österreichischen Geldern - "im Ardenner Wald" - geschickt.

Dort wird ihnen zur Heilung die Stola des heiligen Hubertus aufgelegt oder einFaden aus der Stola des Heiligen in die Kopfhaut einnäht. Drei von ihnen sterben unterwegs.

1785 München * Ignaz Mayer heiratet Chaila oder Caroline Seligmann.

Ihr Vater ist der im Jahr 1814 erste in den "Adelsstand" erhobene Jude in Baiern, der dann Leonhard Freiherr von Eichthal heißt. Ursprünglich hieß er Aron Elias Seligmann, war der "Tabak- und Salzhändler", zugleich der bedeutendste "Hof- und Heereslieferant" und außerdem "Hauptgläubiger" der immer finanzschwachen Kurpfalz.

In den "Napoleonischen Kriegen" avanciert er zum einzigen Heereslieferanten der baierischen Truppen, der die enormen Kosten für das Militär mit eigenen Anleihen finanziert und dafür ansehnliche Provisionen erhält.

1790 München-Englischer Garten - Lehel * Der vom "Geometer" Adrian von Riedl geplante, etwa 2 Kilometer lange "Isardamm" ist fertig gestellt.

Er schützt den "Englischen Garten" nicht nur vor Hochwasser, sondern ermöglicht auch die Entwässerung des Parkgeländes.

22. März 1793 München - Wien - Paris *Pfalz-Baiern tritt nach heftigen Drohungen der Österreicher in den "Reichskrieg" gegen Frankreich ein.

Um genügend Soldaten zu rekrutieren zu können, werden zunächst in München und dann in den anderen Amtsbezirken "mit keinem hinreichend gewissen Nahrungsstand versehene oder übel beschriebene dienstlose und müßiggehende Personen ledigen Standes" zwischen 17 und 42 Jahren zwangsweise für den Militärdienst eingezogen.

19. September 1794 München - Wien * Kurfürst Carl Theodor bittet Kaiser Franz II. um die Hand der 17-jährigen Maria Leopoldine von Österreich-Este. Er wendet sich mit dieser Bitte also nicht an den Vater der auserkorenen Braut, sondern an dessen Bruder.

Seite 26/176 27. November 1794 München * 63 Schlossergesellen legen aus Protest gegen die Kündigung und Lohnverweigerung der zwei Schlossergesellen die Arbeit nieder.

Der Stadtmagistrat lässt daraufhin zwei Rädelsführer und zwei Altgesellen einsperren. Neun Gesellen verweigern die Arbeitsaufnahme weiterhin. Sie werden zum Militärdienst verurteilt.

3. Dezember 1794 München * Die Altgesellen von 21 Zünften fordern die Zurücknahme des Urteilsspruchs gegen die verhafteten und zum Militärdienst verurteilten Schlossergesellen.

19. Dezember 1794 München * Die zum Militärdienst verurteilten Gesellen werden wieder freigelassen. Durch den Erfolg wächst das Selbstbewusstsein der Bevölkerung.

15. Februar 1795 Innsbruck * Der 70-jährige pfalzbaierische Kurfürst Carl Theodor heiratet am Faschingssonntag, um 18 Uhr, die 52 Jahre jüngere Maria Leopoldine von Österreich-Este.

Die Ehe wird im "Thronsaal der Innsbrucker Hofburg" geschlossen. Erzherzog Ferdinand, der Brautvater, bezahlt das "Heiratsgut" von 162.000 rheinischen Gulden in einer Summe.

27. Mai 1797 München * Reinhard Freiherr von Werneck tritt als General-Leibadjutantund Oberst der Invanteriefür ein Jahresgehalt von 400 Gulden in baierische Dienste.

14. Juni 1797 München * Reinhard Freiherr von Werneck muss den vorgeschriebenen Schwur leisten, dass er nicht dem radikal aufklärerischen - und deshalb verbotenen - Geheimbund der Illuminatenangehört.

19. August 1798 München - London * Sir Benjamin Thompson Reichsgraf von Rumford wird zum "Bevollmächtigten Minister Baierns am Kgl. Großbritannischen Hofe" ernannt und verlässt deshalb Baiern. Die Oberaufsicht über den Ausbau des Englischen Gartensgibt er gleichzeitig an seinen Nachfolger Reinhard Freiherr von Werneck ab.

November 1798 München-Englischer Garten * "Zur Ausfüllung seiner Mußestunden" erhält Reinhard Freiherr von Werneck die "Intendanz des Englischen Gartens" übertragen.

Seite 27/176 1799 Leimen - München * Aron Elias Seligmann aus Leimen bei Heidelberg kommt nach München und wird dort kurbaierischer "Hofagent".

Seligmann betreibtseit 1779 eine Tabakmanufaktur und istdurch den Salzhandel sehr reich geworden.

In München ist er "Verpflegungsadmoniateur" der baierischen Armee und "Anleihennegoziant".

März 1799 München-Englischer Garten * Der "Englische Garten" ist inzwischen nicht mehr der "Militärbehörde", sondern dem "kurfürstlichen Kabinett" unterstellt.

Reinhard Freiherr von Werneck ist hauptamtlicher "Direktor" des 375 Morgen großen "Englischen Gartens". Er untersteht aber dem zum "Gartenbaudirektor für die Rheinpfalz und ganz Baiern" ernannten Friedrich Ludwig Sckell.

Werneck achtet hauptsächlich auf die wirtschaftliche Rentabilität der Gartenanlage. Durch landwirtschaftliche Einrichtungen soll sich das Gartenprojekt selbst tragen - und möglichst sogar einen Gewinn erwirtschaften.

Dies will Werneck durch die Erweiterung der Wiesen- und Waldflächen, durch eine Vergrößerung des Viehbestandes und den Ausbau der Ökonomie und der Mühlen erreichen. Die Ökonomie und die "Schweizerey" wird dem "Englischen Garten" einverleibt.

16. Juni 1799 München - Leimen * Kurfürst Max IV. Joseph erklärt öffentlich, dass er "die bayrischen Finanzen in großer Unordnung, alle Staatskassen ausgeleert und selbe überdies noch mit unerschwinglichen Rückständen belastet angetroffen habe". In den baierischen Regierungskreisen erinnert man sich an den umtriebigen jüdischen Leimener Finanzier Aron Elias Seligmann.

28. Juni 1799 München * Kurfürst Max IV. Joseph erteilt dem Leimener FinanzierAron Elias Seligmann "und dessen sämtliche Kinder sowohl Söhne als Tochtermännern das vollkommene Bürgerrecht nebst der Befugnis, dass sie in Churpfalz allenthalben sich niederzulassen, liegende Güter an sich zu bringen und überhaupt alle Gewerbe, die sonst ein Christlicher Unterthan nur zu unternehmen befähiget, nach ihrem gutfinden ebenfalls zu treiben befugt und ermächtigt seyn sollen".

Damit besitzt der Hoffaktorauch die Voraussetzungen für das Münchner Bürgerrechtund kann schließlich von Leimen an die Isar umsiedeln. Aron Elias Seligmann rettet den bayerischen Staat vor dem Ruin, besorgt weitere Darlehensgeber und kann damit Bayerns Finanznöte mildern und die Regierung stabilisieren.

Seite 28/176 27. März 1803 München-Kreuzviertel * Freiherr Maximilian Joseph von Montgelas erwirbt vom Grafen Maximilian Johann Nepomuk de la Perouse [Perusa] für 66.000 Gulden ein "Barock-Palais".

Da Freiherr von Montgelas jedoch seinen Wohnsitz zugleich auch als Ministerbüro und für repräsentative Zwecke nutzen will, gibt ihm sein Arbeitgeber Kurfürst Max IV. Joseph 53.000 Gulden als Geschenk dazu.

Maximilian Joseph von Montgelas beauftragt für die Umbau- und Vergrößerungsplanungen den aus Portugal stammenden und gerade zum "Oberbaukommissär" beim "Ministerium des Innern" ernannten Emanuel Joseph von Herigoyen mit der Vergrößerung des Palais.

Das palastartige Gebäude am Promenadeplatz 2/ Ecke Kardinal-Faulhaber-Straße trägt den Namen seines Erbauers: "Palais Montgelas".

1804 München * Aron Elias Seligmann wird das "Rechnungswesen des Ministerialauswärtigen Départements" übertragen.

Das heißt, er übernimmt die Auszahlung der Gehälter an die Beamten des auswärtigen Dienstes des baierischen Kurfürsten Max IV. Joseph in München und im Ausland.

Gleichzeitig gründet Seligmann ein Bankhaus und gewährt dem wirtschaftlich zerrütteten Kurfürstentum Baiern Darlehen und Zuschüsse in Millionenhöhe.

Dadurch stabilisiert sich die wirtschaftliche Situation im durch Landzuwächse immer größer werdenden Kurfürstentum. Durch die bessere Finanzausstattung Baierns finden sich weitere Geldgeber.

Im Gegenzug werden der Familie die vollen "bürgerlichen Rechte" zugestanden.

9. März 1804 München * Friedrich Ludwig Sckell übernimmt die extra für ihn geschaffene "Hofgartenintendanz" mit Sitz in München. Zu diesem Zeitpunkt ist der "Englische Garten" bereits weitgehend angelegt.

Freiherr Reinhard von Werneck wird seiner Stellung als "Direktor des Englischen Gartens" enthoben. Er wird vom Kurfürsten zum Trost zum "Generalmajor ála suite" befördert und mit der "Reorganisation des Kadettenkorps in München" beauftragt.

Für den "Englischen Garten" treten nun ökonomische Gesichtspunkte zugunsten der Anlage eines großflächigen "Landschaftsgartens" in den Hintergrund. Friedrich Ludwig Sckell legt aus diesem Grund einen "Plan A" an, der den vom ihm vorgefundenen Zustand der "Gartenanlage" festhält.

31. Dezember 1804 München * Offiziell gibt es in München 31 Kaffeeschenken.Davon elf Realrechteund zwanzig persönliche

Seite 29/176 Konzessionen. Der Unterschied zwischen den Kaffeeschenkenund den Traiteurswird beseitig.Beiden wird gestattet "Billards zu halten und nebst Kaffee und anderen Getränken auch Kost zu geben".

24. Oktober 1805 München * Napoleon zieht triumphal durch das Karlstor in München ein. Kurfürst Max IV. Joseph befindet sich noch in seinem Exil in Würzburg. Die Kurpfalzbaierische Staats-Zeitung von München berichtet am 25. Oktober 1805: "Endlich hatten wir gestern das sehnlich erwartete Vergnügen, Se. Majestät Napoleon Kaiser in Frankreich und König in Italien hier eintreffen zu sehen.

Se. Majestät kamen von Augsburg, fuhren in einem 6-spännigen Reisewagen, welchen der Herr Reichs-Marschall Bernadotte, nebst noch einigen H.H. Reichsmarschallen zu Pferde begleitete, unter dem Donner der Kanonen, und dem Zusammengeläute aller Glocken durch die Neuhauser-Kaufinger- über den Platz durch die Diener- in die Residenz-Gasse heran, und stiegen [?] in der kurfürstl. Residenz ab.

Die ganze Stadt war zur Tageshelle beleuchtet, und die Mittags zuvor angekommenen kaiserl. königl. Garde-Regimenter hatten sich durch die ganze Einzugsstrecke à la haie aufgestellt. Es war ½ 8 Uhr Abends, und die Menge des hier befindlichen, zum Theile noch mit der Einquartierung beschäftigten Militärs nebst dem zusammenströmenden Volke zeigte das Bild eines durch Ströme aufgetriebenen Meeres, das sich schwer und langsam dahinwälzt."

25. Oktober 1805 München * Die Kurpfalzbaierische Staats-Zeitung von München berichtet vomEinzug Napoleons:

"Endlich hatten wir gestern das sehnlich erwartete Vergnügen, Se. Majestät Napoleon Kaiser in Frankreich und König in Italien hier eintreffen zu sehen. Se. Majestät kamen von Augsburg, fuhren in einem 6-spännigen Reisewagen, welchen der Herr Reichs-Marschall Bernadotte, nebst noch einigen H.H. Reichsmarschallen zu Pferde begleitete, unter dem Donner der Kanonen, und dem Zusammengeläute aller Glocken durch die Neuhauser-Kaufinger- über den Platz durch die Diener- in die Residenz-Gasse heran, und stiegen [?] in der kurfürstl. Residenz ab.

Die ganze Stadt war zur Tageshelle beleuchtet, und die Mittags zuvor angekommenen kaiserl. königl. Garde-Regimenter hatten sich durch die ganze Einzugsstrecke à la haie aufgestellt. Es war ½ 8 Uhr Abends, und die Menge des hier befindlichen, zum Theile noch mit der Einquartierung beschäftigten Militärs nebst dem zusammenströmenden Volke zeigte das Bild eines durch Ströme aufgetriebenen Meeres, das sich schwer und langsam dahinwälzt".

29. Oktober 1805 Salzburg - Kufstein * Die baierischen Truppen unter der Führung von General Bernhard Erasmus von Deroy nehmen Salzburg ein und dringen über Reichenhall und Lofer nach Kufstein vor.

1807 München * Im "Morgenblatt für gebildete Stände" heißt es zum Theater der breiten Masse:

"Endlich sind die bretternen Bühnen, auf welchen Schweiger und Lorenzoni den Sommer hindurch unser Publikum belustigen, geschlossen. Trauriges Zeichen der Zeit, wenn solche Gesellschaften auf eine sichere und

Seite 30/176 im Verhältnis zu ihrem Werte glänzende Unterstützung zählen dürfen!

Manches Stück, das auf unserem Nationaltheater nicht ohne allen Eifer gespielt ward, fand ein leeres Haus, indessen Lorenzonis und Schweigers Hütten mit Zuschauern aller Stände angefüllt waren. [...] Dass übrigens beide Banden auf den ästhetischen Sinn unseres Publikums nachteilig einwirken, ist nicht zu bezweifeln.

Der häufige Anblick des Rohen, Plumpen und Ungeschliffenen, die gänzliche Geschmacklosigkeit, die in der Komposition und Deklamation der Stücke liegt, die Misstöne, welche besonders in den Singspielen unzählig sind, erzeugen Nachlässigkeit im Urteil und jene ärgerliche Genügsamkeit, die immer nur um den billigen Preis lachen will".

3. April 1807 München * Das "Mandat über die Uniformierung und Organisation des bürgerlichen Militärs in den Städten, Flecken und Märkten des Königreichs" wird erlassen.

Es bildet eine allgemein verbindliche Rechtsgrundlage für den Wach- und Sicherheitsdienst des "Bürgermilitärs", denn bisher hatten die Bürger diese Aufgabe ja freiwillig erfüllt.

Wichtigster Punkt für den Staat ist die neue allgemeine Musterungspflicht aller Bürger zum "Bürgermilitär". Untaugliche müssen eine "Wehrersatzgebühr" bezahlen. Als Gegenleistung gesteht der Staat den "Offiziers- und Unteroffizierskorps" der einzelnen Waffengattungen des "Bürgermilitärs" ihre Ergänzung und Beförderung zu höheren Chargen zu.

Über die Aufgabe des "Bürgermilitärs" sagt das "Mandat" folgendes: "[...] Nie kehrt der Bürger seine Waffen gegen den äusseren Feind. Seine Bestimmung bleibt ausschliessend, den friedlichen, rechtlichen Einwohner zu beschützen, und die Wirkungen des Gesetzes gegen polizeiliche Vergehungen und das Verbrechen zu unterstützen. Er übernimmt demnach bei dem Abzuge der Feldregimenter aus den Garnisonen den Dienst daselbst, besorgt denselben in jenen Städten, wo keine gewöhnliche Garnison liegt, für beständig, um durch auszusendende Sicherheits-Patrouillen die Umgebungen vor allem, der öffentlichen Ruhe und Sicherheit gefährlichen Gesindel rein zu halten".

Das unmittelbare Kommando über das "lokale Bürgermilitär" hat der jeweils ranghöchste beziehungsweise rangälteste "Bürgeroffizier". Dieser untersteht wiederum in einer "Garnisonsstadt" der "militärischen Stadtkommandantschaft", ansonsten dem zivilen "Landrichter" oder "Polizeidirektor".

Der Vorschlag für ein "Pferderennen" aus Anlass der "Kronprinzenhochzeit" (1810) kommt aus den Reihen der "Königlich-Baierischen Nationalgarde III. Klasse". Diese entwickelt sich aus dem "Städtischen Wehrwesen". Dieses "Münchner Bürgermilitär" gehört nicht im eigentlichen Sinne zur "Münchner Garnison".

Die traditionelle Abgrenzung von "Armee" und "Bürgertum" beziehungsweise von "Garnison" und "Bürgerwehr" bleibt bis weit ins 19. Jahrhundert bestehen.

13. September 1808 München-Englischer Garten - Tivoli * Adrian von Riedl erbittet bei Kurfürst Max IV. Joseph den Bau einer Mühle

Seite 31/176 mit vier Gängen.Sie soll auf seinen Wiesen unterhalb der Bogenhausener Brücke, zwischen Isardamm und Schwabinger Bachentstehen. Zum Betrieb der Mahlmühle will er "mittels eines Kanals durch seine Wiesen das Wasser aus dem Eisbach hereinleiten und unterhalb der Mühle wieder in denselben einlassen".

1809 München * Durch eine Neuorganisation des Militärs wird die bisher freiwillige "Bürgerwehr" nach französischem Vorbild in die dreigliedrige "Nationalgarde" eingegliedert.

Die "Nationalgarde I. Klasse" bildet das "Stehende Heer", die "II. Klasse" wird zur "Landesverteidigung innerhalb des Königreichs" verpflichtet. Die "Nationalgarde III. Klasse" war die ehemalige "Bürgerwehr". Sie untersteht jetzt den staatlichen Behörden für "polizeiliche Aufgaben".

Seit dem Spätmittelalter hatte die "Bürgerwehr" in zunehmenden Maße "repräsentative Funktionen bei festlichen Anlässen" der Städte und des Fürstenhauses wahrgenommen. Die vornehmsten Aufgaben - "Ehrengeleit und Ehrenwache für höchste Herrschaften" blieb der "Bürger-Kavallerie" vorbehalten. Eine "Kavallerie-Division" gibt es - neben dem "Invanterie-Regiment" und der "Artillerie-Kompanie" - auch in München.

Sie wird unter ihrem "Major" Andreas von Dall?Armi das "Pferderennen" aus Anlass der Hochzeit von "Kronprinz" Ludwig I. und "Prinzessin" Therese von Sachsen-Hildburghausen austragen. Eine "Schicki-Micki-Armee".

18. April 1809 Tirol * Im "Schärdinger Manifest" wird von Kaiser Franz I. die Vertreibung der Baiern und Franzosen aus Tirol sanktioniert.

Anfang Mai 1809 München - Wien - Tirol * Napoleon Bonaparte kanndie anfangs durchaus erfolgreichen Österreicher aus Baiern herausdrängen und nach Wien vorrücken.

Gleichzeitig befiehlt er seinem Marschall Pierre FrançoisJoseph Lefèbvre mit zwei baierischen Divisionen unter den Generälen Philipp von Wrede und Bernhard Erasmus Graf von Deroy Tirol wieder zu unterwerfen.

11. Mai 1809 Rosenheim - Kiefersfelden * General Bernhard Erasmus von Deroy rückt von Rosenheim ab und wirft dabei die Tiroler Besatzer aus Kiefersfelden.

12. Mai 1809 Kufstein * Die baierischen Truppen unter General Bernhard Erasmus von Deroy erobern Kufstein zurück.

19. Mai 1809

Seite 32/176 Innsbruck - Tirol * Die DivisionenWrede und Deroy rücken kampflos in Innsbruck ein. Napoleon Bonaparte gibt den Befehl, General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles "als Räuberanführer, als Urheber der an den gefangenen Franzosen und Baiern verübten Mordtaten und als Anstifter des Tiroler Aufstandes in die Acht erklärt, vor ein Kriegsgericht zu stellen und binnen 24 Stunden zu erschießen".

Andreas Hofer verhandelt inzwischen am 19. in Mühlbach und am 20. in Bruneck mit General Chasteler und kann ihn zum Verbleib in Tirol überreden.

23. Mai 1809 Tirol *General Bernhard Erasmus vonDeroy erkennt die von Andreas Hofer ausgehende Gefahr und setzt seine Truppe in Alarmbereitschaft.

8. August 1809 Tirol * Bei den Kämpfen an der Pontlatzer Brückewerden Teile der Division Deroyaufgerieben.

11. November 1809 Tirol * Andreas Hofer hat sich inzwischen in das Sandwirtshausin Sankt Leonhard zurückgezogen. Wieder ändert er seine Meinung und bricht sein gegebenes Wort, indem er einen weiteren Kampfaufruf unterschreibt."Wenn Wir nachgeben ist Glaube, Religion, Volk und alles hin. Wer widerstrebt, ist ein Feind Gottes und des Vaterlands."

18. November 1809 Tirol * Eine französische Einheit kommt General Rusca zu Hilfe. Sie wird aber bei Sankt Leonhard eingekesselt und nach viertägigem Kampf am 22. November zur Kapitulation gezwungen.

5. Januar 1810 Tirol * Franz Raffl verrät das Versteck von Andreas Hofer in der Pfandlerhüttean den zuständigen Richter Auer. Die Franzosen hatten ein Kopfgeldvon 1.500 Gulden ausgesetzt. Richter Auer benachrichtigt General Huard.

28. September 1810 München * Der Münchner LohnkutscherFranz Baumgartner, der in der Kavallerie-Division der Nationalgarde III. Klasseseine Wehrpflicht als Unteroffizierableistet, schlägt - neben den vom Staat ausgerichteten und finanzierten Hochzeitsfeierlichkeiten - ein Pferderennenvor.

13. Oktober 1810 München * Andiesem Abend ist die bei Fürstenhochzeiten übliche Ausspeisung, die die Bevölkerung in großen Scharen herbeilockt. Es gibt dabei natürlich deutliche Unterschiede.

Denn während "die angesehenen Bürger, d.h. welche zur Nationalgarde gehörten, [?] mit ihren Familien in vier großen Gasthäusern, bei 6.000 an der Zahl, auf königliche Kosten zum Tanz und Abendessen versammelt" sind, hat man für "die herbeygeströmten Volkshaufen" am Schrannenplatz, dem heutigen Marienplatz, am Promenadeplatz, in der Neuhauser Gasse und am Anger "Tische und Bänke hergerichtet, wo man ihnen zu essen und trinken bot". Aktenbelegen zufolge werden an diesem Abend

Seite 33/176 32.065 Laibln Semmelbrod, 3.992 Pfund Schweizerkäseüber 80 Zentner gebratenes Schaffleisch, 8.120 Cervelat-Würsteund 13.300 Paar geselchte Würsteausgegeben. Brauknechte verzapften rund 232 Hektoliter Bier. Aus sieben Fässern werden knapp vier Hektoliter österreichischer Weißwein ausgeschenkt. 150 Musikanten sorgen für Stimmung und in zwei Volkstheatern wurden Vorstellungen zu freiem Eintritt gegeben. Sogar die Münchner Gefängnisinsassen erhalten eine - von der Israelitischen Gemeinde finanzierte - Ausspeisung.

13. Oktober 1810 München * Nicht das einfache Volk benimmt sich während der Hochzeitsparty in der Innenstadt schlecht, sondern die bessere Gesellschaft. Das belegt ein Geheimprotokoll des damaligen Vizedirektors der Münchner Polizei, Markus von Stetten. Im einfachen Volk kommt es weder zu Ausschreitungen noch zu Raufereien oder grobem Unfug.

Er notiert lediglich: "[?] dem Bacchus und der Liebe wurde in der letzten Nacht treulich geopfert [?]" und berichtet weiter von Bierleichen, die im Polizeigebäude gestapelt werden und auch am Abend des nächsten Tages ihren Rausch noch nicht ausgeschlafen haben. Von Stetten: "Doch dies gehört zu dem Ganzen und ist ein wesentlicher Teil eines Volksfestes."Er stoppt den Ausschank von Bier und Wein, als er merkt, dass die Menge auf den Festplätzen der Stadt nur noch lallt und wankt.

Dann widmete sich der Polizeivize der Münchner Gesellschaft, die in der Hofoper feiert. Dort kommt es zu Schlachten am kalten Buffet, Herren in staatlichen Spitzenpositionen sitzen mit hochrotem Kopf inmitten von geleerten Flaschen. Ein Offizier schlägt eine Garderobenfrau nieder, ein Geheimer Rat gibt eine Portion Eis zurück, als er hört, dass er sie selbst bezahlen muss. Nach dem Fest wirdein Haufen Silber vermisst.

Mehrere Besucher schickt man volltrunken aus der Oper, eine Dame bleibt bewusstlos auf der Straße liegen. "Ein Fall, der sich unter Frauen bei einem Volksfeste nicht ereignete."

17. Oktober 1810 München * An diesem Mittwoch, es ist ein milder Herbstag mit hellblauem Himmel, wird nochmals eine breite Bevölkerungsschicht in die Feierlichkeiten um die Kronprinzenhochzeit einbezogen, nachdem die zuvor abgehaltenen Opernaufführungen und Bälle nur einem kleinen ausgesuchten Kreis geladener Gäste vorbehalten waren.

Diese Festveranstaltungen wurden vom Staat ausgerichtet und finanziert. Doch angesichts von Kriegszeiten und leeren Staatskassen hält sich der sonst bei Fürstenhochzeiten übliche Glanz und Glamour in Grenzen. Und da im Jahr 1808 die städtische Selbstverwaltung abgeschafft worden ist, verfügt München über kein Vermögen, aus dem sie einen eigenen Beitrag zu den Feierlichkeiten hätte leisten können.

Dankbar überlässt man deshalb die Ausrichtung der Feier der gehobenen Bürgerschaft, die dazu in der Lage ist und die die eigentliche Volksbelustigung, ein als Huldigung gedachtes Pferderennen, das in der Tradition des Scharlachrennens steht, durchführen kann.

Seite 34/176 Es ist der Kavallerie-Major der Nationalgarde 3. Klasse, der Bankier Andreas Michael Edler von Dall?Armi, der im Namen der Nationalgarde, also des Bürgermilitärs, ein Schreiben an den König richtet, in dem er bittet, eine solche Veranstaltung ausrichten zu dürfen. Das Pferderennen soll den Abschluss, aber zugleich auch den Höhepunkt der Feierlichkeiten um die Kronprinzenhochzeit bilden.

17. Oktober 1810 München-Kreuzviertel * Andreas Michael von Dall?Armi hat in einer "Disposition des Festes" den Ablauf der Veranstaltung peinlichst genau festgelegt. So wird früh um 9 Uhr eine Messe im Bürgersaal abgehalten, bei der "die National-Garden für die lange Erhaltung Ihrer Majestäten des Königs, und der Königin [?] und der ganzen königl. Familie" beten müssen.

17. Oktober 1810 München * Im Anschluss an die Messe im Bürgersaal versammeln sich die Kavallerie-Divisionen am Hofgarten, um sich im Abstand von einer Stunde in zwei Zügen auf den Weg zum Rennplatz zu machen. Beide Züge des Bürgermilitärs durchqueren dabei die Stadt in Nord-Süd-Richtung.

Auf der Landstraße nach Sendling nehmen sie eine Abzweigung, um auf die Festwiese zu gelangen. Dort, am Fuße des Sendlinger Berges, befindet sich der Königliche Pavillon, bei dem Gardisten eine Ehrenwache halten. Der Pavillon ist das ursprünglich hellgrüne, circa 67 Meter lange Audienzzelt des türkischen Großwesirs, das Kurfürst Max Emanuel im Jahr 1683, bei der Befreiung Wiens, eroberte hat.

Der von türkischer Musik angeführte zweite Zug der Nationalgarde begleitet die Rennpferde und die Preisfahnen zur Rennwiese. Auf dem Sendlinger Berg, der Landsberger Straße und am Filserbräukeller sind Zelte und Bänke aufgestellt worden. Nach Andreas von Dall?Armi kommen rund 40.000 Zuschauer aus allen Volksschichten zum Sendlinger Berg, der späteren Schwanthaler Höhe, und säumen die unterhalb der Anhöhe bis nahe an die Stadtgrenze sich ausbreitende Festwiese.

17. Oktober 1810 München-Theresienwiese * Nachdem die königliche Familie endlich eingetroffen ist und im Königspavillon Platz genommen hat, gratuliert eine Gruppe von "Kindern im Nationalkostüme" dem Kronprinzenpaar. Die Kinder, allesamt Töchter und Söhne von Angehörigen der k.b. Kavallerie Division, überbringen in verschiedenen Landestrachten gekleidet, stellvertretend für die baierische Nation, der Königsfamilie die Huldigungsgrüße des Volkes.

17. Oktober 1810 München * Beim Aufmarsch der National-Garde III. Klasse zum Oktoberfest-Pferderennen werden die Fahnen, die ihnen König Max I. Joseph am 12. Oktober 1808 überreicht hatte, als stolzes Zeichen der Verbundenheit mit dem Königshaus mitgetragen.

13. Dezember 1811 Stepperg * Maximilian Bernhard Graf von Arco-Zinneberg wird auf Schloss Stepperggeboren. Seine Mutter ist die Kurfürsten-Witwe Maria Leopoldine, sein Vater Ludwig Joseph Graf von Arco.

Seite 35/176 24. Juni 1812 Russland * Mit der Überschreitung der Memel durch die französische Armee beginnt - ohne Kriegserklärung - derRusslandfeldzug. Unter den 450.000 Soldaten der Großen Armeebefinden sich 30.249 baierische Soldaten, die von den GenerälenCarl Philipp Joseph von Wrede und Bernhard Erasmus von Deroy kommandiert werden.

23. August 1812 Polck * Bernard Erasmus von Deroy stirbt bei Polck in Russland.

November 1812 Untergiesing * Die männlichen Bewohner der "Lohe" und der "Oberen Falkenau" werden aus der "Nationalgarde" entlassen, da die männlichen Bewohner der Städte den Militärdienst ableisten mussten.

22. Mai 1813 Leipzig * Wilhelm Richard Wagner wird als jüngstes von neun Kindern des Polizeiaktuars, einem Schriftführer im Polizeipräsidium, und LaienschauspielersCarl Friedrich Wilhelm Wagner und dessen Ehefrau Johanna Rosine in Leipzig geboren.

29. Januar 1814 Brienne-le-Château *Bei Brienne-le-Château sur Aube kämpft die Große Armee- mit Beteiligung Baierischer Truppen unter dem Befehl von GeneralCarl Philipp Joseph von Wrede - gegen die Napoléonischen Streitkräfte. Die Schlacht endet mit einem Sieg Frankreichs unter Napoléon Bonaparte gegen die Russen, Preußen und Baiern unter GeneralfeldmarschallGebhard Leberecht von Blücher.

Der Name des Schlachtortes findet sich seit 1826 in der Brienner Straßewieder.Diese hieß zuvor Königsstraße beziehungsweise ab dem KönigsplatzKronprinzenstraße und ist aus dem ehemaligen Fürstenwegnach Nymphenburg entstanden.

22. September 1814 München?Der mittlerweile zum Königlich Baierischen Hofbankieraufgestiegene Aron Elias Seligmann wird von König Max I. Joseph als erster Jude in Baiern in den erblichen Adelsstand erhoben, nobilitiert. Seither nennen sich er und seine zehn Kinder von Eichthal. Damit verbunden ist auch die Verleihung des Wappens der ausgestorbenen Familie von Thalmann in Augsburg.

Ende April 1818 München-Isarvorstadt * Die "Neue Kavalleriekaserne an der Isar", an der Zweibrückenstraße, ist insgesamt fertiggestellt.

Sie bietet jetzt Platz für 1.558 Soldaten und 359 Pferde.

Die Kapazität der Mannschaftszimmer schwankt zwischen 3 und 17 Bettladen für je zwei Personen. Die Standardzimmer haben entweder 8 oder 14 Bettladen.

Seite 36/176 Juni 1818 München-Isarvorstadt * Das Eliteregiment "Garde du Corps" erhebt erfolgreich Einspruch gegen die Absicht der Militärverwaltung, die Mannschaft in der "Neuen Isarkaserne" sehr dicht zu kasernieren und einen Teil der Zimmer leer stehen zu lassen, um dadurch Brenn- und Beleuchtungsmaterial sparen zu können.

August 1818 München-Isarvorstadt * Die "Neue Isarkaserne" wird dem Regiment "Garde du Corps" übergeben und auf 876 Mann Friedensbelegung bzw. 1.140 Mann in Ausnahmesituationen festgelegt.

1819 München * Leonhard von Eichthal hat Größeres vor.

Deshalb konvertiert er zum katholischen Glauben, da nun seine sieben Kinder in den bayerischen Adel einheiraten können.

Er nutzt diese politischen Verbindungen, um sein Geld in den "Aufbau des bayerischen Eisenbahnnetzes" zu investieren. Gleichzeitig bringt er große Grundstücke in seine Hand, die als potenzieller Baugrund gelten.

21. Oktober 1819 München-Au * Baron Aron Elias von Eichthal konvertiert - wie zuvor schon seine Söhne Simon, Bernhard und Arnold - zum Katholizismus. Er lässt sich in der Auer Carl-Borromäus-Kirche[?] taufen und nimmt zusätzlich den Namen Leonhard an.Seine Ehefrau Hindele/Henriette, eine geborene Levi, lässt sich hingegen nicht taufen.Ihre gemeinsamen Kinder können nun auch in den bayerischen Adel einheiraten.

1. Oktober 1820 München-Theresienwiese * Zum zehnjährigen Hochzeitsjubiläum von Kronprinz Ludwig I. und Prinzessin Thereseund damit zehnjährigen Bestehen des Oktoberfesteslässt man sich eine besondere Attraktion einfallen: eine Ballonfahrt. Die in einem altbaierischen Dirndl gekleidete und aus Dresden stammende Wilhelmine Reichard steigt mit ihrem aus gezwirnter Leinwand bestehenden Ballon in den Himmel. In der Nähe von Zornedig landet sie wohlbehalten.

17. Februar 1821 Grange * Die "Spanische Tänzerin" Lola Montez wird als Elizabeth Rosanna Gilbert in Grange, einem irischen Dorf im Nordwesten der Insel geboren. Ihre Mutter war das uneheliche Kind des angesehenen Landadeligen Charles Silver Olivier und seiner langjährigen Mätresse Mary Green. Edward Gilbert heiratet die Mutter der später als Lola Montez berühmt gewordenen Tänzerin.

1822 Untergiesing * Die "bürgerliche Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" entschließt sich, nachdem sie

Seite 37/176 jahrelang dem Geschehen in der "Mayer'schen Lederfabrik" tatenlos und voller Neid zugesehen hat, zu einem Protest bei "allerhöchster Stelle" - vermutlich dem "Königlichen Ministerium des Inneren" - gegen die "gewissenlosen Gewerbebeeinträchtigungen, welche wir von den hiesig- und umliegenden Lederfabrikanten und Israeliten durch die widerrechtliche Anmaßung der Selbstfabrikation ihrer in Accord übernommenen MilitaÌ?rlieferungen viele Jahre hindurch sehr empfindlich zu erdulden hatten".

In der Folge fordert die Behörde den "Lederfabrikanten" auf, künftige Militäraufträge bei den ansässigen Schuhmachermeistern fertigen zu lassen. Doch die Freude der Schuster über ihren Sieg gegenüber dem Lederfabrikanten dauert nur kurz.

Dem geschäftstüchtigen Fabrikbesitzer Ignaz Mayer gelingt es nämlich, den Schwabinger Schumacher Hanrieder davon zu überzeugen, dass er seine Werkstatt mit "Sack und Pack" sowie mit der Genehmigung der zuständigen Behörden in die "Untergiesinger Lederfabrik" verlegt. Der "Schuhmacher" erhält dafür "eine wöchentliche Entschädigung [...], und [kann] sonach genüßlich sein Leben in Wohltätigkeit durchbringen". Ignaz Mayer aber kann über den Trick der ausgeliehenen "Hanriederischen Konzession" - sehr zur Empörung der "bürgerlichen Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" - seine Militärlieferungen auch künftig weiter in eigener Regie herstellen lassen.

Der "Schuhmacherzunft" bleibt nur mehr das Beschreiten des Protestwegs. Ihr Protest gegen die "unerlaubte Transferierung einer Gewerbekonzession von einer Vorstadt in die andere" findet beim "Königlichen Landgericht" zunächst positives Gehör.

Doch die "Regierung des Isarkreises" hebt das Verbot umgehend wieder auf. Eine "königliche Anweisung" zieht schließlich einen Schlussstrich unter die Affäre - und zwar zugunsten der industriellen Produktion in der "Lederfabrik".

Es war das "Königliche Handelsministerium", das sich in den Vorgang um die umstrittene Konzession einmischte und die Entscheidung zugunsten des "Hoflieferanten" beeinflusste.

Wenn schon nicht das Einzelmitglied, so hätte doch die "Schuhmacherzunft" den Einfluss ihres Kontrahenten und damit die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkennen müssen. Immerhin ist Ignaz Mayer nicht nur der Schwiegersohn des dem bayerischen Königs als millionenschweren Kreditgebers unentbehrlich gewordenen Leonhard von Eichthal, sondern seit dem Jahr 1809 auch der Schwiegervater von Simon Freiherr von Eichthal, der bei der Gründung der "Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank" eine zentrale Rolle spielte.

Der "Hofbankier" organisiert nicht nur die neue Kreditbank, sondern stellte auch dem späteren König Ludwig I. Mittel für seine Kunsteinkäufe zur Verfügung.

11. Januar 1824 München * Baron Leonhard von Eichthal, der erste nobilitierteJude, Hoffaktorund Finanzier des Bayerischen Staates, stirbt in München. Erwird auf demAlten Südlichen Friedhofbeigesetzt. Das Privatbankhaus in der Theatinerstraße führt der jüngste Sohn Simon weiter.

1. September 1828 München-Kreuzviertel * Als Bauernopferfür die gescheiterte Stände-Versammlungmuss der liberal gesinnte Freiherr von Zentner herhalten, der von dem als liberal geltenden Joseph Ludwig Graf von Armansperg, keine zwei Wochen nach dem Ende der Stände-Versammlung, ersetzt wird.

Seite 38/176 Armanspergs bisherige Aufgabe als Innenministerübernimmt der als konservativ geltende Eduard von Schenk. Er giltKönigLudjwig I. als wesentlich gefügiger als sein Amtsvorgänger, der die "Trennung von Religion und Staat" vertritt.

22. Mai 1831 München-Kreuzviertel * Die schwäbischen und fränkischen Oppositionellen zwingen in der Frage der Pressefreiheit- sehr zum Ärger von König Ludwig I. - den InnenministerEduard von Schenk zum Rücktritt. Dadurch muss König Ludwig I. die Zensurverordnungwieder zurücknehmen, was allerdings nichts an der Praxis der Zensurändert.

19. Mai 1832 Neustadt * Der Neustadter Stadtrat richtet - neben der Gendarmerie - eine aus Neustadter Bürgern zusammengesetzte, uniformierte Sicherheitsgardeein. Das Tragen von Feuer- und sonstigen Waffen wird verboten.

17. Juni 1832 Haardt/Neustadt * Der Jurist Dr. Philipp Jakob Siebenpfeiffer, ebenfalls ein Wortführer des Hambacher Festes, wird in seinem Haus in Haardt/Neustadt verhaftet.

3. Juni 1833 München * Maximilian Bernhard Graf von Arco-Zinneberg heiratet Leopoldine Gräfin von Waldburg-Zeil-Trauchburg.

Oktober 1835 München-Theresienwiese * Gottfried Reichardt wird sich mit einem Ballon in die Lüfte erheben. Er erreicht Eggenfelden.

1837 München * Der inzwischen 80-jährige Freiherr Reinhard von Werneck erhält von König Ludwig I. das "Großkreuz des Civil-Verdienstordens der Bayerischen Krone".

1838 München-Englischer Garten - Schwabing *In Erinnerung an Freiherr Reinhard von Wernecks "verdienstvolle Tätigkeit" als "Direktor des Englischen Gartens" veranlasst König Ludwig I. die Errichtung des "Werneck-Denkmals" auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe des Ostufers des "Kleinhesseloher Sees".

Architekt ist Leo von Klenze.

1842 Vorstadt Au * Die "Zacherl-Brauerei" in der Vorstadt Au betreibt mit Anlagen der Firma Engelhardt aus Fürth

Seite 39/176 Münchens erste "Dampfbrauerei".

Das Maischen wird statt mit Menschenkraft durch Dampfkraft erledigt. Ach die Darre und der Braukessel werden mit Dampf erhitzt.

Ab 1842 Dresden * Zwischen 1842 und 1845 bringt Richard Wagner in Dresden seine drei Opern "Rienzi, der Letzte der Tribünen", "Der fliegende Holländer" und "Thannhäuser" zur Uraufführung.

26. März 1846 Großkarlowitz * Eduard Theodor Grützner kommt als siebtes Kind einer wenig begüterten Bauernfamilie im schlesischen Großkarlowitz zur Welt.

Schon als Hüterbub zeichnet er auf alles, was ihm in die Hände fällt.

21. April 1847 München * Friedrich von Gärtner stirbt.

Eduard Metzger übernimmt daraufhin die Bauleitung für die Arbeiten am "Siegestor".

26. Juli 1847 München * Dem Korps Alemanniawerden alle Rechte garantiert, die auch die anderen Korps haben. Die neue Studentenverbindung Alemanniasteht unter dem Schutz der Lola Montez - und versteht sich umgekehrt als ihre Garde. Angeblich sind ihre roten Mützenaus den Unterröcken der Tänzeringeschneidert.

Es wird nicht lange dauern, bis man die Alemannenals "Lolamannen" diffamiert. Mehr wie achtzehn Mitglieder zählt die Verbindung nie. Wenn sie die Hörsälebetreten, ertönt ein gellendes Pfeifkonzert, weshalb sie sich bevorzugt im Kaffeehaus Rottmanntreffen. Es befindet sich gegenüber dem Hofgartencafévon Luigi Tambosi, am anderen Ende des Bazargebäudes.

Der 23-jährige JurastudentElias [genannt Fritz] Peißner aus Vilseck in der Oberpfalz ist der leitende Seniorder Verbindung. Er hat eine Art Büro im Palais Montezeingerichtet und ist verdächtigt, Lolas Liebhaber zu sein.

9. Februar 1848 München-Maxvorstadt * König Ludwig I. lässt wegen der öffentlichen Proteste der katholisch-konservativen Partei gegen die königliche "Mätressenwirtschaft" die "Universität" schließen und verfügt, dass alle Studenten umgehend München zu verlassen haben.

Als der der "Burschenschaft Alemannia" zugehörige Eduard Graf von Hirschberg am Odeonsplatz von anderen "Burschenschaftlern" bedrängt wird, zieht der Graf sein Messer und fuchtelt damit in der Luft herum. Dadurch eskaliert die Situation. Verletzt wird bei dieser Aktion jedenfalls niemand.

Lola Montez mischt sich unter die Schaulustigen und sieht sich sofort einer bedrohlichen Verfolgungsjagd ausgesetzt.

Seite 40/176 Sie kann gerade noch vor der aufgebrachten Menge in die "Theatinerkirche" flüchten, wo sie von ausgerückten "Kürassieren" in die "Residenz" eskortiert werden muss.

König Ludwig I. tobt und lässt daraufhin umgehend die "Universität" bis zum "Wintersemester" schließen. Außerdem verfügt er, dass alle nicht aus München stammenden Studenten innerhalb von 48 Stunden die Stadt zu verlassen haben.

In München sind etwa 1.500 Studenten "immatrikuliert". Rund die Hälfte davon zieht vor das Haus des "Rektors" Friedrich Wilhelm von Thiersch, der die Betroffenen mit den Worten beruhigt: "Sagen Sie überall, Sie seyen arme Studenten aus München, die man aus der Stadt gewiesen, aus Gründen, die Sie vor aller Welt aussprechen dürfen".

20. März 1848 München * König Ludwig I. dankt ab und übergibt die Bayerische Krone an seinen Sohn Maximilian II.. Sein Enkel Ludwig (II.) wird dadurch "Kronprinz".

Auch wenn sich Max II. nach Außen hin als Musterbild eines bürgernahen, konstitutionellen Staatsoberhauptes darstellt so plagt ihn zeitlebens die Furcht, dass ihm von seinem Volk ein ähnliches oder gar schlimmeres Schicksal bereitet werden könnte, wie seinem abgedankten Vater Ludwig I..

Die revolutionären Begleitumstände, die König Max II. auf den Thron verhalfen und seinen Vater vom selben stießen, haben den neuernannten Bayernherrscher geradezu traumatisch geprägt. Er fühlt sich, nachdem auch das Militär auf die Verfassung vereidigt worden ist, "schutzlos der Demokratie preisgegeben".

Doch nachdem sich die revolutionäre Situation wieder beruhigt hat, kann König Max II. seine politischen Visionen endlich in die Tat umsetzen.

Dazu gehören auch Maßnahmen zur Förderung einer bayerisch-monarchischen Gesinnung. Greifbare Formen nehmen das "Athenäum-Projekt? und der Bau des "Prachtboulevards" an.

1849 ??? * Zwischen 1849 und 1851 entstehen viele musiktheoretischen Schriften von Richard Wagner, darunter das antisemitische Pamphlet "Das Judenthum in der Musik".

9. Mai 1849 Dresden * Richard Wagner wird wegen seiner Beteiligung am Dresdner Mai-Aufstandin Deutschland steckbrieflich gesucht. Er istbeim Aufstandin Dresden als Schriftführer der Revolutionsregierungund als Beschaffer von [Semper'scher] Barrikadenarchitekturaufgefallen. Der Aufstandwird jedoch niedergeschlagen.

Zuvor sprachRichard Wagner in einem anonymen Artikel von der "Zerstörung der bestehenden Ordnung der Dinge" durch die "erhabene Göttin Revolution".Unterstützt von Franz Liszt flieht er über Weimar nach Zürich, wo er als Komponist und Musikschriftsteller arbeitet.

Seite 41/176 28. August 1850 Weimar * Die Richard-Wagner-Oper "Lohengrin" wird unter der Leitung von Franz Liszt in Weimar zur Uraufführung gebracht.

Um Juli 1852 München-Graggenau - München-Lehel * König Max II. gibt den Architekten Bürklein, Gottreu, Riedel, Voit und Ziebland Aufträge zur Anfertigung von "Musterfassaden für die neue Straße".

Dass sich der König statt an einen, an mehrere Architekten wendet, ist vorbildlich. Doch er macht wieder den Fehler, den Architekten bindende, alle Einzelheiten festlegende Vorschriften vorzugeben und damit jede Bewegungsfreiheit und Kreativität der Fachleute einzuengen. Damit macht er eine unabhängige Lösung des Problems unmöglich.

Kein Wunder, dass die Ergebnisse ziemlich gleich sind und den Wünschen des Königs entsprechen. Bürkleins Vorschläge finden volles Lob und Anerkennung, weshalb er den Sieg davonträgt.

Um das Projekt zu beschleunigen und die Verhandlungen über die Grundstückskäufe in Gang zu bringen, stellt König Max II. den notwendigen Betrag zunächst aus seiner Privatkasse zur Verfügung, sodass die ersten Verhandlungen über die Grundstückskäufe aufgenommen werden können. Die Ankäufe gehen rasch und reibungslos vor sich. Auch deshalb, weil sich der König - entgegen seiner sonst üblichen Sparsamkeit - sehr großzügig zeigt. Er will eben den Bau seines "Prachtboulevards" möglichst schnell umgesetzt sehen.

Freilich möchte der Bayernherrscher auch, dass auch die Stadt zur finanziellen Beteiligung herangezogen wird, da sie ja immerhin der Hauptnutznießer des Bauvorhabens ist. Bei der künstlerischen Ausgestaltung der "Prachtstraße" soll die Obrigkeit der Stadtgemeinde allerdings keinerlei Mitspracherechte haben. Nur die Herstellung des Straßenkörpers will ihr der Regent überlassen.

13. Januar 1854 Höchstadt an derAisch * Leonhard Romeis, der spätere Haupt-Architekt der Richard-Wagner-Straße, wird in Höchstadt an der Aisch geboren.

12. August 1855 München-Graggenau * Die Richard-Wagner-Oper Thannhäuserwird imMünchner Hof- und Nationaltheateraufgeführt.

3. Januar 1856 München-Kreuzviertel * Das unbestreitbar erste große Kaffeehaus Münchens mit einer aufwändigen Ausstattung ist das Café Probstan der Neuhauser Straße. Es befindet sich von 1856 bis 1903 an der Stelle des heutigen Kaufhauses Oberpollinger. Zur Eröffnung vermerkt der Münchner Stadtchronist: "[...] viel bewundert wurden [...] die Schnitzereien des Buffetts und die Oelgemälde im Billardsaale, die Szenen aus dem Caféhaus-Leben darstellten."

Gewölbte und glasgedeckte Raumkompartimente, getrennt durch Säulen und Karyatiden, wechseln sich ab; Stuckornamente überziehen die Wände.König Ludwig I. soll bei der Besichtigung geäußert haben: "Was, was!

Seite 42/176 Stuck! So viel Stuck! Was bleibt mir dann noch für meine Kirchen!"

Der Vergleich zu den kargen Kaffeestuben macht das Aufsehen, welches das Café Probsterregt, nachvollziehbar.Dabei hat König Ludwig I. angeblich bezweifelt, "dass ein so nobles Kaffeehaus sich halten kann".

18. August 1857 * Der Pianist und Dirigent Hans von Bülow heiratet in Berlin Cosima, die Tochter von Franz Liszt.

1858 München-Graggenau - München-Kreuzviertel * Eine von "Kriegsminister" von Manz vorgelegte "Denkschrift" will die Bürgerhäuser am "Max-Joseph-Platz", zwischen der "Perusagasse ab nach Norden bis auf die Höhe des ludovicianischen Königsbaues abzureißen", um den "Rebellen" keinen Unterschlupf und ein "freies Schußfeld" zu ermöglichen.

Zwischen der "Prannergasse" [heutige Kardinal-Faulhaber-Straße] und der "Theatinerstraße" will er in den geschlossen bebauten Häuserblock eine Bresche schlagen, den gesamten Häuserblock zwischen der "Perusagasse" und der "Schrammergasse" demolieren und auf der dadurch freiwerdenden Fläche eine "Defensivkaserne" errichten.

Zum Glück haben sich all diese Planungen aus verschiedenen Gründen nicht realisieren lassen.

28. Februar 1858 München * Die Richard-Wagner-Oper "Lohengrin" wird in München aufgeführt.

August 1858 Zürich - Venedig - Paris - Karlsruhe * Richard Wagner trennt sich von seiner Frau Minna, verlässt Zürich und übersiedelt nach Venedig. Danach folgen Paris und Karlsruhe.

3. November 1858 München-Graggenau - München-Lehel * Der neue Boulevard erhält die offizielle Bezeichnung Maximilianstraße. Es ist eine großartige Straßenachse entstanden, die in der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die Münchner sind allerdings weniger mit den neugotischen FassadenvorstellungenFriedrich Bürkleins einverstanden und so hagelt es durchwegs vernichtende Kritik am neuen Baustil.

Leo von Klenze schreibt unter anderem:"Der Einfluß des Hofsekretärs Hofmann für seinen Freund Bürklein [...]bewirkte nun, daß der König sich der Illusion hingab, ein gewisses architektonisches Ragout, ein Mixtum compositum, welches ihm der Baurath Bürklein servierte, für einen wirklich neuen Baustyl anerkennen zu dürfen, dasselbe den maximilianischen Styl taufte und seine Anwendung bei allen nur aufzufindenden Gelegenheiten durch eigene Verordnung befahl.?

Noch erbarmungsloser fällt die Kritik des Ex-Königs aus:"Was man da gebaut hat?, sagt Ludwig I. zu Leo von

Seite 43/176 Klenze, "ist das Abscheulichste, das ich kenne? und weigert sich strikt, die Konkurrenz seiner Prachtstraßezu besich­­­­tigen.

Doch in der Maximilianstraße, immerhin "Münchens teuerstem Boulevard", pulsiert das großstädtische Leben - im Gegensatz zur menschenleeren, sterilen, verkehrsreichen und autobahnählichen Ludwigstraße. Dass es zu der teilweise vernichtenden Kritik am Maximilianischen Stilkommt, liegt zu einem erheblichen Teil an dem ewig zaudernden und unsicheren Bayernkönig Max II., indem er mitten im Bau der Maximilianstraße die Konzeption abändert. So lässt er das fast fertiggestellte Taubstummeninstitutwieder abreißen, um eine einheitliche Bebauung am Forumzu erhalten.

Und kurz vor seinem Tod ordnet er noch an, dass am Maximilianeumdie gotisierenden Spitzbögen in Rundbögenabgeändert werden müssen, wodurch der Bau im Gegensatz zum ganzen Straßenzug einen Renaissance-Charaktererhält. Diese Stiländerung nimmt der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt in seiner Kritik auf.Er schreibt zum Maximilianeum: "[...]Ich habe nur deshalb Dankbarkeit für das Gebäude empfunden, weil es wenigstens äußerlich in die Formen der Renaissance hinüberleitet und den Geist von dem jämmerlichen Gotisch der Maximilianstraße befreit.?

31. Oktober 1859 München-Au * Das Irrenhaus Giesingwird in die Hochau verlegt, wo die Kreisirrenanstalteröffnet hat. Sie steht später auch unter der Leitung des ObermedizinalratsDr. Bernhard von Gudden, dem Gutachter König Ludwig II., und gilt über eine lange Zeit als Musteranstalt.

Mit der Eröffnung der Kreisirrenanstaltnutzt man die Gebäude am Kolumbusplatz für das St.-Nikolai-Spital für Unheilbare, das vorher am Gasteig stand. König Max II. hatte zuvor das Leprosenhaus am Gasteigerworben, das mittlerweile den Namen Spital der Unheilbarenerhalten hat, um es in den Maximiliansanlagenaufgehen zu lassen. Der Magistrat der Stadt muss daraufhin die aufgelassene Irrenanstaltin Untergiesing - zur Unterbringung der Unheilbaren- kaufen.

21. November 1859 München-Au * Die Kreisirrenanstalt für Oberbayernwird eröffnet. Das neue Nervenkrankenhauses liegt bei ihrer Errichtung in einem völlig unbebauten Gebiet zwischen der Rosenheimer- und der Auerfeldstraße. Unter der Leitung desObermedizinalratsDr. Bernhard von Gudden gilt die Einrichtung als Musteranstalt.

Der quadratische Gebäudekomplex hat vier Höfe. Die Länge der Flügelbauten betragen hundert Meter. Im Südflügel sind die Verwaltungsräume, in der Mittelachse die Küche, die Anstaltskapelle mit Werkstätten ist im Erdgeschoss, ebenso eine Turnhalle mit dem zentralen Bad und den Beschäftigungsräumen.

In den beiden südlichen, nur auf drei Seiten geschlossenen Höfen sind die "ruhigen Irren", in den beiden nördlichen geschlossenen Höfen die "unruhigen Kranken" untergebracht. Die Zimmer der "ruhigen" Patienten liegen außen. Die Räume der "unruhigen" Kranken sind genau umgekehrt angeordnet.

Nur die Fenster und Türen im Erdgeschoss haben Gitter und da sie die Form der rundbogigen Fenster aufnehmen, bleiben sie relativ unauffällig. Die Anlage um die vier Höfe entspricht den zeitgemäßen Forderungen

Seite 44/176 nach Trennung der Patienten nach Geschlechtern und der Schwere ihrer Erkrankung. Eine Trennung nach Klassen ist nicht vorgesehen.

Die Beschäftigten der Kreisirrenanstaltfinden allerdings keine mustergültigen Arbeitsbedingungen vor. Das Pflegepersonal untersteht der Gesindeordnung.Es gibt weder eine Pflegequote, noch Urlaubsregelungen oder eine Altersversorgung für die Pflegekräfte. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt einhundert Stunden und mehr. Der Dienst beginnt um 5:00 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Selbst verheiratete Pfleger müssen in der Anstalt schlafen und dürfen nur einen Nachmittag pro Woche bei ihren Familien verbringen.

Durch das rapide Bevölkerungswachstum der Stadt - München wächst vom Jahr 1854 von 100.000 Einwohnern auf fast 500.000 im Jahr 1900 - kommt es in der Kreis-Irrenanstaltzu einer über fünfzigprozentigen Überbelegung und wird unter diesen Umständen den Bedürfnissen nicht mehr gerecht.

15. Juli 1860 Deutschland ohne Sachsen * Richard Wagner erreicht seine Teil-Amnestierungfür Deutschland - mit Ausnahme von Sachsen.

1861 München-Maxvorstadt * Da die Gemälde Adolf Friedrich von Schacks an ihrem Aufstellungsort aufgrund der Feuchtigkeit "dem sicheren Verderben" ausgesetzt sind, lässt der Kunstmäzen von Eduard Gerhardt ein neues "Galeriegebäude" im Garten seines Anwesens an der Brienner Straße 19 erbauen.

2. Februar 1861 München-Graggenau * Der 15-jährige bayerische Kronprinz Ludwig erlebt die Münchner "Lohengrin"-Aufführung. Damit wird der Grundstein für seine schwärmerische Begeisterung für Richard Wagner und dessen Musikwelt gelegt. Es heißt, dieser Abend sei Ludwigs "wahrer Geburtstag" gewesen.

Ab April 1861 Wien * Am Wiener "Hofoperntheater" soll Richard Wagners "Tristan und Isolde" aufgeführt werden. Nach 77 Proben wird das Stück Ende 1863 wegen "Unspielbarkeit" abgesagt.

16. Juni 1861 München-Graggenau * Kronprinz Ludwig II. erlebt Ludwig Schnorr von Carolsfeld in der Titelrolle des Lohengrin.

22. Dezember 1861 München * Kronprinz Ludwig II. wohnt der Aufführung der Wagner-Oper "Tannhäuser" bei.

1862 München * Richard Wagner spricht im Vorwort zu "Der Ring des Nibelungen" den Wunsch nach einem eigenen Theater konkret an.

Er will "ein provisorisches Theater, so einfach wie möglich, vielleicht bloß aus Holz".

Seite 45/176 28. März 1862 Sachsen * Richard Wagner wird auch in Sachsen amnestiert. Damit ist er kein politischer Flüchtling mehr.

September 1863 München * Mit Professor Karl von Pilotys Befürwortung kann Eduard Theodor Grützner ein Kunststudium in München beginnen.

Um den 10. Oktober 1863 München-Kreuzviertel * Der Bayerische Landtaggenehmigt die für die Stadtviertel des Münchner Ostens so wichtig werdende Eisenbahnstrecke über Mühldorf zur österreichischen Landesgrenze.Zeitgleich bewilligt er 15,4 Millionen Gulden für den Bau der Linie. Die genaue Streckenführung ist zu diesem Zeitpunkt allerdings an mindestens zwei Stellen noch offen.

Einmal, weil auf österreichischer Seite die rund fünfzig Kilometer lange Teilstrecke von der Grenze in Richtung Linz nicht von der Eisenbahnverwaltung, sondern von einem privaten Konsortium aus Großgrundbesitzern, Unternehmern und Bankiers finanziert wird und sich als Alternativen der Grenzübergang bei Braunau oder das vierzig Kilometer innabwärts gelegene Schärding anbieten. Von einem dieser Grenzübergänge soll die Eisenbahn das oberösterreichische Neumarkt und darüber hinaus Linz erreichen. Die zweite ungeklärte Streckenführung war gleich am Beginn der Bahnlinie.

Die Generaldirektion der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen- als zuständige Planungsbehörde - will jedenfalls die Strecke unmittelbar nach der Großhesseloher Brücke- der seit dem Jahr 1858 bestehenden Hauptverkehrsstrecke München - Holzkirchen - Rosenheim - Salzburg- abzweigen lassen.In einem weiten Bogen soll die Bahntrasse dann durch den Perlacher Forst, weiter über das Obergiesinger Feld, südlich an Haidhausen vorbeiführend das Stadtgebiet in östlicher Richtung verlassen.So jedenfalls sieht die grobe Planung lange Zeit aus.

Nun ist aber in Obergiesing, östlich der Tegernseer Landstraße, ein großes Neubaugebietgeplant.Und um zu verhindern, dass die Bahnverwaltung baureife oder möglicherweise schon bebaute Grundstücke teuer erwerben muss, verweigert das Ministerium des Inneren, das bei allen Bauvorhaben in der Haupt- und Residenzstadt ein Planungs- und Einspruchsrecht besitzt, ihre Zustimmung zum Wohnungsbau so lange, bis eine detaillierte Bahnplanung vorliegt.Erst danach will das Innenministeriumden künftigen Baulinien zustimmen.

28. November 1863 Berlin * Cosima von Bülow und der 24 Jahre ältere Richard Wagner werden ein Liebespaar. Bei einer gemeinsamen Spazierfahrt durch Berlin gestehen sie sich ihre Zuneigung. Cosima schreibt: "Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir das Bekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören."

28. Dezember 1863 München * Kronprinz Ludwig II. will an Richard Wagner schreiben, setzt seinen Entschluss aber erst vier Monate

Seite 46/176 später in die Tat um.

24. März 1864 München-Kreuzviertel * Richard Wagner hält sich bis 26. März in München auf und wohnt im "Hotel Bayerischer Hof".

Er ist wieder auf der Flucht, da er in Österreich wegen seiner hohen Schulden täglich mit "Inhaftierung" rechnen muss.

8. April 1864 Stuttgart * Der geniale Musiker Richard Wagner schreibt an seinen Freund Peter Cornelius:

"Ein Licht muss sich zeigen: Ein Mensch muss mir erstehen, der jetzt energisch hilft. Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muss mir jetzt begegnen; sonst ist's aus!"

14. April 1864 München * Eine der ersten Taten des jungen Bayernskönigs Ludwig II. ist die Berufung Richard Wagners nach München.

KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister muss sich - nur einen Monat nach Ludwigs Thronbesteigung - mit dem schwierigen Auftrag aus München abreisen, den verehrten Musiker ausfindig zu machen und ihn zum König zu bringen. Der hoch verschuldete Komponist ist - wieder einmal pleite - mit unbekanntem Ziel abgereist, denn in Wien und der Schweiz verfolgen ihn die Gläubiger so sehr, dass er sich kaum mehr auf die Straße traut.

Nach über zwei Wochen gelingt es Pfistermeister, den europaweit gesuchten Schöpfer wichtiger Musikwerke in Stuttgart aufzuspüren.

Mai 1864 Stuttgart * Richard Wagner ist ohne Hoffnung und spricht in einem Brief an Mathilde Maier sogar von Selbstmord: "Ich fürchte, nun ist's mit Allem aus. [...] So tief zerstreut und lebensmüde war ich noch nie".

3. Mai 1864 Stuttgart * "Kabinettssekretär" Franz Seraph von Pfistermeister trifft in Stuttgart auf Richard Wagner. Er überreicht ihm Brief, Bild und Ring des bayerischen Königs Ludwig II..

Gemeinsam reisen sie noch am gleichen Tag nach München.

4. Mai 1864 München * Am Nachmittag treffen der Komponist Richard Wagner und der fast dreißig Jahre jüngere Bayernkönig Ludwig II. das erste Mal zusammen.Mit der Anstellung am bayerischen Hof endet für Wagner die Zeit der Schulden und seine schier ausweglose finanzielle Notlage.

König Ludwig II. verspricht Richard Wagner in einem Brief:"Seien Sie überzeugt, ich will alles tun, was irgend in

Seite 47/176 meinen Kräften steht, um Sie für vergangenes Leid zu entschädigen, die niedrigen Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, damit Sie im reinen Äther Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können!"

Die Großzügigkeit des Wittelsbachers gegenüber den von ihm vergötterten Komponisten kennt keine Grenzen:

Der Musiker erhält ein Jahresgehalt von 4.000 Gulden, was dem Gehalt eines "Ministerialrats" nach achtzehn Dienstjahren entspricht. Als "öffentlichen Beweis der königlichen Freundschaft" erhält Richard Wagner vom bayerischen Regenten die Gartenvilla an der Brienner Straße 18 (heute Haus Nr. 37) mietfrei gestellt. Und er bekommt darüber hinaus 16.000 Gulden, womit er seine in Wien hinterlassenen Schulden begleichen kann. Und weil das immer noch nicht reicht, verlangt der Neu-Münchner einen Vorschuss von 30.000 Gulden für die Fertigstellung des "Rings der Nibelungen", obwohl er die "Partituren" bereits anderweitig verkauft hat. Er bekommt den Vorschuss, wenn auch nur in Raten. Daneben eröffnet der König dem Musiker die Aussicht, für sein"unvergleichliches Werk"- wie es der König nennt - eine eigene Spielstätte errichten zu können.

10. Mai 1864 München * König Ludwig II. weist sein Hofsekretariatan, Richard Wagner ein Jahresgehalt von 4.000 Gulden zu bezahlen. Um keine "Neiddiskussion" hochkommen zu lassen, wird gegenüber der Öffentlichkeit nur ein Jahresgehalt von 1.200 Gulden angegeben. Zusätzlich erhält der Musiker ein ganzes Jahresgehalt "zur Bestreitung der Übersiedelung zur Verfügung" gestellt.

14. Mai 1864 Kempfenhausen * Richard Wagner bezieht das Landhaus des Gastwirts Pellet inKempfenhausen am Starnberger See, das Ludwig II. für ihn gemietet hat. Fast drei Wochen lang trifft er täglich mit dem König auf Schloss Bergzusammen.Der Aufenthalt dauert bis zum 27. September.

22. Mai 1864 München * König Ludwig II. schenkt Richard Wagner zu dessen 51. Geburtstag sein von Friedrich Dürck gemaltes Porträt in Generalsuniform.

25. Mai 1864 Starnberger See * Als König Ludwig II. nach München zurückkehrt, bleibt Richard Wagner bis Oktober am Starnberger See, fährt aber öfter zu Audienzen nach München.

10. Juni 1864 München - Wien * Richard Wagner fährt nach Wien, um dort seine Schulden zu begleichen. Dazu werden ihm aus der Kabinettskasse16.000 Gulden zur Verfügung gestellt. Mit einem Schlag ist der Musiker von seinen Geldsorgen befreit.

Seite 48/176 11. Juni 1864 München-Hackenviertel * Der Komponist Richard Strauss wird in München geboren.

29. Juni 1864 Starnberger See * Cosima von Bülow trifft mit ihren beiden Töchtern bei Richard Wagner zur Sommerfrischeim Landhaus Pelletam Starnberger See ein.

7. Juli 1864 Starnberger See * Hans von Bülow, Cosimas Ehemann, trifft ebenfalls am Starnberger See ein.

25. Juli 1864 Schloss Hohenschwangau * Richard Wagner besucht König Ludwig II. an dessen 19. Geburtstag auf Schloss Hohenschwangau"

27. September 1864 München-Maxvorstadt * Richard Wagner mietet für sich das Haus in der Brienner Straße 21, nahe der Propyläen. Bereits bei der ersten Audienz hat der Komponist dem MärchenkönigLudwig II. erklärt, dass er sich in München nur dann "heimisch und zur Arbeit angeregt" fühlen kann, wenn er "ein Häuschen in einem Garten allein bewohne".

1. Oktober 1864 München * Richard Wagners Gehalt erhöht sich stufenweise auf 8.000 Gulden.

Ab 3. Oktober 1864 München-Maxvorstadt - München-Kreuzviertel * Während sein Haus in der Brienner Straße 21 entsprechend seinen Wünschen und Vorstellungen eingerichtet wird, wohnt Richard Wagner im Hotel Bayerischer Hof.

5. Oktober 1864 München-Graggenau * Unter den Fenstern der königlichen Wohnung in der Münchner Residenz wird der von Richard Wagner komponierte "Huldigungsmarsch" zur Aufführung gebracht. Die Uraufführung dieses Werkes war ursprünglich am 25. August 1864, dem 19. Geburtstag des Märchenkönigsin Schloss Hohenschwangaugeplant, musste dann aber aus verschiedenen Gründen vertagt werden.

7. Oktober 1864 München * König Ludwig II. vereinbart mit Richard Wagner die Vollendung und Aufführung des "Ring des Nibelungen" innerhalb der nächsten drei Jahre.

12. Oktober 1864 München-Maxvorstadt * Der Komponist Richard Wagner schlägt sein Domizil in der von König Ludwig II.

Seite 49/176 gemieteten Villa in der Brienner Straße 21 (heute 37) auf. Der bislang total verschuldete Komponist richtet sich in dem prachtvollen Haus wie ein "orientalischer Grandsigneur" ein. Er bleibt dort bis zum 10. Dezember 1865.

18. Oktober 1864 München * Richard Wagners "Ring der Nibelungen" geht in das Eigentum des Bayernkönigs über.

Ab November 1864 München-Graggenau * Der "Nibelungen-Gang" bezeichnete neue Zugang zu den "Königsappartements" König Ludwigs II. in der "Residenz" wird von dem Maler und Graphiker Michael Echter mit dreißig Fresken aus dem Richard-Wagner-Zyklus "Der Ring der Nibelungen" ausgemalt.

Die Arbeiten dauern bis 1866 an.

1. November 1864 München * Richard Wagners Jahresgehalt beträgt aktuell 5.000 Gulden.

26. November 1864 München-Haidhausen *Dem Bayernkönig Ludwig II. schwebt ein monumentales Bauwerk für ein Festspielhaus vor. Deshalb schreibt der Monarch an Wagner, er habe "den Entschluß gefaßt, ein großes steinernes Theater erbauen zu lassen, damit die Aufführung des Ringes der Nibelungen eine vollkommene wäre".

König Ludwigs Vorstellungen eines Richard-Wagner-Festspielhausesin München werden jedoch von seiner unmittelbaren Umgebung und von einem großen Teil der Bevölkerung mit Skepsis beobachtet, da der prachtvolle Monumentalbau nur an wenigen Festspieltagenbenutzt worden wäre. Das Interesse der Zeitzeugen am weiteren Verlauf von Gottfried Sempers Planungen ist deshalb ebenso groß wie widersprüchlich.

4. Dezember 1864 München * "Der fliegende Holländer" kommt, von Richard Wagner selbst dirigiert, in München erstmals zur Aufführung.

Mit diesem Werk und der gezeigten Inszenierung gelingt es Wagner, sich beim Münchner Publikum mit großem Erfolg einzuführen.Außerdem ist diese "Holländer"-Aufführung das einzige große und damit herausragende Ereignis des Münchner Opernspielplansin diesem Jahr.

13. Dezember 1864 München - Dresden * Durch einen Brief Richard Wagners erfährt der ArchitektGottfried Semper von der Aussicht, "ein großes Theater im edelsten Stile" für Wagners Musikdramen in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt ausführen zu können.

Drei Tage später zeichnet dieser eine erste Skizze und reist danach umgehend nach München, um die genaueren Bedingungen zu erfahren. Doch dort sind die Vorstellungen noch nicht sehr weit gediehen, nicht einmal ein Bauplatz ist im Gespräch.

Seite 50/176 29. Dezember 1864 München-Graggenau * König Ludwig II. empfängt den ArchitektenGottfried Semper und gibt ihm einen mündlichen Planungsauftrag für ein neues Opern- und Festspielhaus. Man fasst ein Terrain südlich des seit dem Jahr 1857 im Bau begriffenen Maximilianeumsins Auge.

Da Richard Wagner aber keine sechs Jahre bis zur Fertigstellung des neuen Theaters warten will, überredet er den König, für die Zwischenzeit noch ein provisorisches, hölzernes Theater im Glaspalastzu errichten, um - so die Begründung - nach Abschluss des "Nibelungen Rings" im Sommer 1867 sofort mit den Aufführungen beginnen zu können.

Doch damit wäredie Nutzung des Glaspalastesals Ausstellungsort massiv eingeschränkt worden, weshalb nun zusätzliche Gegner des Projekts auf den Plan treten.

31. Dezember 1864 München * Ohne Berücksichtigung der Kosten für die Sachgeschenke von Ludwig II. an Wagner betragen die im Jahr 1864 getätigten baren Zahlungen aus der königlichen Kabinettskassean Richard Wagner insgesamt 42.333 Gulden und 20 Kreuzer.

Dem König stehen etwa 300.000 Gulden zur freien Verfügung.

Februar 1865 München* Die Anfeindungen einiger bayerischer Zeitungen gegenüber Richard Wagner und seiner "Verschwendungssucht" werden immer massiver.

März 1865 München - Augsburg * Richard Wagner ist in München Anfeindungen ausgesetzt, die in ihm Abwanderungspläne in Richtung Italien reifen lassen.

Die "Augsburger Allgemeine Zeitung" veröffentlicht einen Artikel von Oskar Redwitz, der in einer Pressekampagne gipfeln sollte. Unter dem Titel "Richard Wagner und die öffentliche Meinung" wird schon damals die Verschwendungssucht des Komponisten und Dichters angeprangert.

23. März 1865 München * Richard Wagner erstellt ein Konzept für eine "Deutsche Musikschule" in der er

die Ausbildung dramatischer Sänger für die Aufführung theatralischer Werke, einen neuen Gesangsstil, dazu opernreformatorische Aspekte und verschiedene darauf aufbauende Ausbildungsinhalte

in den Mittelpunkt der Wissensvermittlung stellt.

Seite 51/176 5. April 1865 München * Ludwig und Malvina Schnorr von Carolsfeld treffen zu Proben von "Tristan und Isolde" in München ein.

10. April 1865 München * Cosima von Bülows und Richard Wagners Tochter Isolde wird geboren.

2. Mai 1865 München-Maxvorstadt * Auf Wunsch König Ludwigs II. wird Richard Wagners Wohnhaus an der Brienner Straße 21 von der "Kabinettskasse" angekauft und dem Komponisten kostenlos zur Verfügung gestellt.

2. Mai 1865 München* Es kommt zur "Schweinehunde-Affäre", nachdem Hans von Bülow bei einer der letzten Proben zu "Tristan und Isolde" äußert:"Nun ja, was liegt denn daran, ob dreißig Schweinehunde mehr oder weniger hereingehen!".

Bülow willeigentlich nur durch die Entfernung von Sperrsitzen eine Vergrößerung des Orchesterraumes erzielen. Doch er vergreiftsich derart im Ton, dass ihn sogar König Ludwig II. in einem persönlichem Brief rügt. Auch die bayerische Presse ist empört und kocht die Emotionen hoch.

9. Mai 1865 München * Hans von Bülow veröffentlicht eine Gegendarstellung. In dieser stellt er klar, dass es sich bei dem von ihm im Ärger geäußerten Satz keinesfalls um eine "Gesammt-Verunglimpfung des gebildeten Münchner Publikums" handelt, sondern er damit jene Theaterbesucher meint, "welche verdächtig sind, an den in Wort und Schrift gegen den hochverehrten Meister [Richard Wagner] gesponnenen Verleumdungen und Intrigen Teil genommen zu haben".

Doch trotz aller Entschuldigungen bleibt die "Schweinehunde-Affäre" an Hans von Bülow haften. DerNeue Bayerische Courierbezieht am schärfsten Stellung gegen Hans von Bülow und wiederholt am 9., 11., 12. und 13. Mai:"Hans v. Bülow ist noch hier".

11. Mai 1865 München-Graggenau * Mit 600 geladenen Gästen findet im "Hof- und Nationaltheater" die "Generalprobe" der Richard-Wagner-Oper "Tristan und Isolde" statt.

Sie wird von den Beteiligten als inoffizielle "Uraufführung" gewertet.

15. Mai 1865 München * Die ursprünglich für den 15. Mai 1865 angesetzte Premiere von Tristan und Isoldemuss wegen "plötzlich eingetretener Heiserkeit" von Frau Malvina Schnorr von Carolsfeld abgesagt werden.

Wieder schlägt die Stimmung um, was in Josephine Kaulbachs Brief deutlich zum Ausdruck kommt:"Was soll ich Ihnen noch erzählen? von unseren Freunden? oder von der Zukunftsmusik, oder von den Schweinehunden des

Seite 52/176 Herrn von Bülow?

Die letztere Geschichte hat eine größere Bedeutung gewonnen, wie man sich's erwartete; seit der Lola-Geschichte waren die Münchner nicht mehr so in Wuth. (...) Ich sage Ihnen, es ist toll, wie das hier getrieben wird, für und gegen Wagner. -Die Fama wächst zu einem hundertköpfigen Ungeheuer, der Wagner-Cultus wird zu einem Ekel; der junge König an der Spitze tauft alles, was ihn umgibt, in Tristan und Isolde um".

8. Juni 1865 München-Isarvorstadt * Im Isar-Vorstadt-Theaterwird eine Parodie auf Tristan und Isoldeunter dem Titel "Triftanderl und Süßholde" aufgeführt. Die Titelfigur Triftanderlist ein Floßknecht von Ammerland, Süßholdeeine reiche Bäckerstochter aus Wolfratshausen. Schwerpunkte bei diesem Stück sind:

"Dramatische Verslein mit Worten ohne Melodie, gegenwärtige Parodie von einer Zukunfts-Oper in 3 Aufzügen, wo darüber viel losgezogen wird, und einem Vorspiel des Vorspielers, von Richard, Wagnermeister und Stückschreiber, sowie musikalischen Dramatisirer."

10. Juni 1865 München-Graggenau * Im Hof- und Nationaltheaterwird Richard Wagners "Tristan und Isolde" uraufgeführt.Auch hier führt Hans von Bülow den Dirigentenstab.Die Oper ist ein weiterer Höhepunkt im Leben des Komponisten.

Die Frankfurter Rundschauschreibt darüber:"Das schönste und erhabenste Werk, welches die Welt besitzt". Dagegen meintDer Volksbote, eine bayerische Provinzzeitung:"Musik ein Tollsinn, Text ein Unsinn, das Ganze ein Irrsinn". Doch der Märchenkönigistwieder einmal begeistert.

Wegen der "Schweinehunde-Affäre" und den deshalb befürchteten Ausschreitungen befindet sich die Polizei im Zuschauerraum.

13. Juni 1865 München-Graggenau * Die zweite Aufführung von "Tristan und Isolde" im Hof- und Nationaltheater.

19. Juni 1865 München-Graggenau * "Tristan und Isolde" wirdim Hof- und Nationaltheaterzum dritten Mal aufgeführt.König Ludwig II. wohnt der Aufführung nicht bei, da er die Anwesenheit seines Onkels und Taufpaten Otto, des entthronten Königs von Griechenland, und seines Onkels Luitpold, dem späteren Prinzregenten,in seiner Loge als störend empfindet.

1. Juli 1865 München-Graggenau * Da König Ludwig II. die Aufführung von "Tristan und Isolde" am 19. Juni nicht miterleben wollte, ordnet er einen vierten Termin an. Er hatte die Anwesenheit seines Onkels und Taufpaten Otto, des entthrontenKönigs von Griechenland, und seines Onkels Luitpold, dem späterenPrinzregenten, in seiner Loge als störend empfunden.

Für die Zusatzaufführung muss Ludwig II.extra beim sächsischen König eine Verlängerung des Urlaubs für das Ehepaar Schnorr von Carolsfeld erwirken.

Seite 53/176 9. Juli 1865 München * Die Richard-Wagner-Oper"Der fliegende Holländer" mit Ludwig Schnorr von Carolsfeld als Erikwird in München aufgeführt. König Ludwig II. fährt zu jeder Aufführung im Sonderzug von Starnberg nach München und wieder zurück.

21. Juli 1865 Dresden * Ludwig Schnorr von Carolsfeld stirbt plötzlich und unerwartet in Dresden. Lange hält sich das - auch von Malvine Schnorr von Carolsfeld verbreitete - Gerücht, dass der Sänger "infolge der Anstrengung des Tristan, namentlich der 4ten Aufführung, sein Leben lassen musste".

31. Juli 1865 München * König Ludwig II. befiehlt die Schließung des Münchner Konservatoriumsals Vorbedingung für die von Richard Wagner geplante Deutsche Musikschule.

1. August 1865 München * Richard Wagner erhält zusätzliche 1.200 Gulden für die Haltung einer Equipage.

2. August 1865 München * Nach dem unerwarteten Tod von Ludwig Schnorr von Carolsfeld will Richard Wagner die Oper"Tristan und Isolde" nie mehr aufführen. Doch König Ludwig II. besteht auf eine Wiederaufnahme der Oper.

9. August 1865 Walchensee * Richard Wagner besucht König Ludwig II. auf der "Hochkopfhütte" über dem Walchensee.

25. August 1865 Alpsee * Zum 20. Geburtstag von König Ludwig II. wird am Alpsee eine Szene aus der Wagner-Oper Lohengrin- und zwar die Ankunft der Gralsritteram Ufer der Schelde - inszeniert.

27. August 1865 München * Richard Wagner vollendet den Entwurf zu "Parsifal".

September 1865 München * Richard Wagner mischt sich immer mehr in die bayerische Politik ein.

Für König Ludwig II. verfasst er ein Pamphlet mit dem Titel "Was ist deutsch?". In diesem fordert er die Gründung einer neuen politischen Zeitschrift und den Aufbau einer bayerischen "Volksmiliz".

11. Oktober 1865 München * Nachdem bei KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister die Ausführungsanordnung König

Seite 54/176 Ludwigs II. für Richard Wagners "Was ist deutsch?" auf Widerstand stößt, kommt es zum Zerwürfnis der Beiden.

16. Oktober 1865 München * Richard Wagner fordert von König Ludwig II. 200.000 Gulden. Davon 40.000 sofort und 160.000 Gulden als Anlage auf Lebenszeit bei einer jährlichen Verzinsung von fünf Prozent.

Um den 20. Oktober 1865 München * Der Bayernkönig Ludwig II. bewilligt dem Komponisten Richard Wagner die geforderten 40.000 Gulden und darüber hinaus ein Jahresgehalt von 8.000 Gulden. Diese Summe entspricht exakt der fünfprozentigen Verzinsung, ist aber kündbar.

Da für die 40.000 Gulden angeblich keine Scheine verfügbar sind, wird das Geld in Silbermünzen ausbezahlt.Cosima von Bülow lässt daraufhin das Münzgeld mit zwei Kutschen in die Brienner Straße 21 bringen.

11. November 1865 Schloss Hohenschwangau * Zwischen dem 11. und dem 18. November hält sich Richard Wagner bei Ludwig II. in Schloss Hohenschwangauauf. Während diesen ausdauernden Gesprächen fordert Wagner die Entlassung seiner Widersacher, des Königlichen KabinettssekretärsFranz Seraph von Pfistermeister und des bayerischen MinisterpräsidentenLudwig von der Pfordten.Respektlos spricht der Komponist von "Pfi" und "Pfo".Wagner will, dass König Ludwig II. ein neues Kabinettbildet.

18. November 1865 München * Wieder in München zurück, schickt Richard Wagner sein Gedicht "Abschiedsthränen" an Ludwig II..

26. November 1865 München * In einem Brief schlägt Richard Wagner dem König vor, den KabinettssekretärsFranz Seraph von Pfistermeister durch Max von Neumayr und den bayerischen MinisterpräsidentenLudwig von der Pfordten durch Ludwig von Edelsheim zu ersetzen. Der König wird die Entlassungen erst im Oktober 1866 umsetzen. Nun kommt es zum Eklat.

Denn durch sein massives Einmischen in die bayerischen Staatsangelegenheiten hat Richard Wagner den Bogen endgültig überspannt. Der Komponist, der wie kaum ein anderer Zugang zum König hat, wird von der Regierung sowieso mit großem Misstrauen beobachtet. Nun stellt der Ministerratdem König ein Ultimatum.Ludwig II. habe zu wählen "zwischen der Liebe und Verehrung Ihres treuen Volkes und der Freundschaft Richard Wagners".

Eine breite öffentliche Opposition gegen den Komponisten hat sich gebildet. Sie wirft Richard Wagner vor, er halte den König von den Regierungsgeschäften ab und beanspruche die Kabinettskasseübermäßig. Bald darauf übergeben Münchner Bürger 810 Unterschriften mit der Forderung der Landesverweisungdes Komponisten Richard Wagner an den KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister.

6. Dezember 1865 München-Maxvorstadt * OberappellationsratJohann Freiherr von Lutz wird vom KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister zu Richard Wagner geschickt, um ihn zu bitten, München für einige Monate zu verlassen.

Seite 55/176 8. Dezember 1865 München * Nachdem 810 Münchner Bürger schriftlich die Landesverweisung des Komponistenforderten, muss König Ludwig II. Richard Wagner einen Abschiedsbrief schreiben.Die Abreise Wagners aus München sollte nur ein Abschied auf Zeitsein.Wenn sich die Gemüter wieder etwas beruhigt hätten, könnte er ja wieder nach München zurückkehren.

Aus diesem Grund erhält der Komponist auch weiterhin sein Jahresgehalt von 8.000 Gulden, was dem Doppelten einer Ministerpensionentspricht.

10. Dezember 1865 München-Maxvorstadt - Triebschen* Richard Wagner verlässt fluchtartig seine Villa in der Brienner Straße 21 (heute 37) und flieht nach Triebschen in der Schweiz.Die Münchner Gemeindebevollmächtigtensprechen sich in ihrer Sitzung für die Übersendung einer "Danksagung der Stadt München für die Entfernung Richard Wagners aus Bayern" an den König aus.Diese Aktion wird allerdings nach einem Einspruch des Magistratsunterbleiben.

Zwischen Mai 1864 und Dezember 1865 hat Richard Wagner von der Kabinettskasse99.400 Gulden erhalten.In dieser Summe sind weder die Zuschüsse an Wagner nahestehende Personen, noch die Zuwendungen für die "Tristan und Isolde"-Aufführung in Höhe von 57.500 Gulden.Das entspricht etwa einem Drittel der jährlich rund 300.000 Gulden aus der Kabinettskasse, über die der König ein freies Verfügungsrecht besitzt.

10. Dezember 1865 München * König Ludwig II. will erstmals zugunsten seines Bruders abdanken und sich zu Richard Wagner in die Schweiz begeben.

25. Januar 1866 Dresden * Richard Wagners Ehefrau Minna stirbt in Dresden.

März 1866 München-Maxvorstadt * Das Projekt einer vorübergehenden Spielstätte im Glaspalastfür die Werke Richard Wagners wird endgültig zu den Akten gelegt.

1. Mai 1866 München * Prinz Otto tritt in den aktiven Militärdienst ein.

22. Mai 1866 Triebschen * König Ludwig II. und Richard Wagner treffen zu dessen Geburtstag erstmals nach seinem Weggang aus München in Triebschen in der Schweiz wieder aufeinander.Die Begegnung dauert bis zum 24. Mai.

27. Mai 1866 München-Graggenau * König Ludwig II. eröffnete den 22. Landtagim Thronsaal der Residenz.Er will zur Eröffnung des Landtagseine Rede zu halten, in der er

Seite 56/176 Bayerns Eintretenfür ein frei gewähltes Parlamentbefürwortet, die Volksbewaffnunganstelle eines stehenden Heeresempfiehlt und die Militärgerichtsbarkeitabschaffen will.

Der Bayerische Ministerratkann gerade noch rechtzeitig die eindeutig auf Richard Wagner zurückgehenden radikaldemokratischenVorschläge aus der Thronredestreichen.

13. Juni 1866 Dresden - München * Der ArchitektGottfried Semper stellt eine Anfrage an das Kabinett des bayerischen Königs, ob er die Pläne für dasRichard-Wagner-Festspielhaus, die "seit mehreren Monaten zur Vorlage fertig"wären, schicken soll.

Oktober 1866 München * König Ludwig II. entlässt seinen KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister und den MinisterpräsidentenLudwig von der Pfordten. Richard Wagner nannte die Beiden respektlos "Pfi" und "Pfo".Nun hatte er seine späte Rache.

1. Oktober 1866 München * Die von Richard Wagner konzipierte Deutsche Musikschulewird eröffnet. Rund 75 Schülerinnen und Schüler werden unter der Leitung von Karl von Perfall, dem späteren Intendanten des Hof- und Nationaltheaters, Hans von Bülow als Künstlerischem Direktor, sowie Peter Cornelius als Lehrer für Harmonie und Rhetorikausgebildet.

15. Dezember 1866 München * Richard Wagner fordert von König Ludwig II. die Ausweisung der KammersängerinMalvina Schnorr von Carolsfeld. Sie hat das eheähnliche Zusammenleben von Wagner und Cosima von Bülow kritisiert.

1867 München *Der inzwischen zum "Oberingenieur" ernannte Arnold Zenetti übernimmt als "Baurat" die Leitung des "Stadtbauamts".

Nun besteht für ihn die Möglichkeit, einmal gefasste Ideen und Bauvorhaben in die Tat umzusetzen.

Max von Pettenkofers leidenschaftliche Forderungen und Vorschläge, München endlich zur colera- und typhusfreien Stadt zu machen, fallen bei Arnold Zenetti auf fruchtbaren Boden und finden in ihm einen energischen Unterstützer. Es beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Männer, zu denen sich ab dem Jahr 1870 noch der "Erste Bürgermeister von München", Alois von Erhardt, hinzugesellt.

Die gewaltigen Aufgaben, denen sich die Drei stellten, sind

Seite 57/176 die Errichtung einer neuzeitlichen "Kanalisation", verbunden mit einer einwandfreien zentralen "Wasserversorgung" sowie der Errichtung eines "städtischen Vieh- und Schlachthofs".

Dadurch können die mehr als achthundert Schlachtstätten der Metzgereien, die in denkbar unhygienischer Art und Weise arbeiten, geschlossen werden.

1867 München-Maxvorstadt * Als Abschlussarbeit verlangt Karl von Piloty von seinen Schülern einen "großen historischen Unglücksfall".

Als Thema für Eduard Grützner schlägt er vor: "Heinrich II. von England lässt sich 1174 am Sarkophage des Erzbischofs Thomas Becket geißeln". Da der Student der Thematik nur wenig Sympathie abgewinnen kann, malt er eine ganz andere Unglücksgeschichte.

Es wird ein humoristisches Kellerbild mit Mönchen, auf dem ein behäbiger, zum Weinholen geschickter Klosterbruder abgebildet ist. Er hat zu tief und zu lange ins Glas geschaut und ist deshalb angetrunken - an einem Weinfass stehend - eingeschlafen. Von einem anderen Pater denunziert, wird der Mönch nun vom Prior kritisch beobachtet.

Piloty sieht sich das Bild lange an und sagt schließlich: "Bravo, gratuliere!" Eduard Grützners nächstes Werk hat eine ähnliche Thematik: Ein von Zahnweh geplagtes Pfäfflein steigt in den Weinkeller, um dort Linderung für seine Pein zu suchen. Dieses Bild kauft der "Kunstverein" an und versteigert es für dreihundert Gulden. Der Käufer veräußert es umgehend für beinahe das Dreifache.

11. Januar 1867 München * Gottfried Semper zeigt dem König das Modell des Festspielhauses. Der Monarch ist derart angetan, dass er dem Architektenper Handschlag nicht nur den Auftrag zum Bau erteilt, sondern ihn auch einlädt, nach München zu übersiedeln und Oberbauratsowie Hoftheater-Intendantzu werden.

Da Semper den Platz auf dem rechten Isarhochufer favorisiert, steht freilich sofort die Anlage einer neuen Straße zur Debatte.Gottfried Semper schlägt dafür eine Nord- und eine Südvariante vor.

Erstere verlängert in leicht geknickter Form die Galeriestraße. Der südliche Straßenzug, dem auch der König den Vorzug gibt, ist die Verlängerung der Brienner- und Hofgartenstraße.

Obwohl das Bauterrain vom König nie erworben wird, fertigt Semper dafür bis Dezember 1867 die Planunterlagen an.

10. März 1867 München *Während seines München-Aufenthalts zwischen dem 9. und 18. März begegnen sich Richard Wagner

Seite 58/176 und König Ludwig II..

28. Mai 1867 München-Graggenau * Der HofbauinspektorEduard von Riedel legt Pläne für die Neugestaltung der Appartements Ludwigs II. vor. Der König ist mit den Planungen nicht zufrieden und gibt die Aufgabe an Franz Seitz weiter.

Riedel legt auch seine Pläne für die Herstellung eines Dachpavillonsauf dem Dach des Festsaalbausvor. Der Dachgartenist nur ein kleines, zimmergroßes Häuschen aus Eisen und Glas mit einem rechteckigen Grundriss.

30. Mai 1867 Starnberger See * Richard Wagner bezieht das von König Ludwig II. für ihn gemietete Haus Prestellam Starnberger See.

7. Oktober 1867 München * König Ludwig II. löst in einem Schreiben die Verlobung mit seiner Großcousine Sophie Charlotte, Herzogin in Bayern.Er schreibt in sein Tagebuch: "Sophie ist abgeschrieben. Das düstere Bild verweht; nach Freiheit verlangt mich, nach Freiheit dürstet mich, nach Aufleben von qualvollem Alp."Das ist ein fast wortgleiches Zitat aus Richard Wagners "Thannhäuser".

7. März 1868 München * In einem Brief redete Cosima von Bülow, Wagners Sekretärin und Mutter zweier gemeinsamer Kinder, König Ludwig II. den Plan zum Bau eines Wagner-Festspielhausesin München aus.

21. März 1868 Graggenau * Eduard von Riedel legt die Pläne für den erweiterten WintergartenKönig Ludwigs II. auf dem Dach des Festsaalbausvor.

27. März 1868 München * Richard Wagner erhält vom Bayernkönig Ludwig II. ein Darlehen unbekannter Höhe.

13. Mai 1868 Schloss Neuschwanstein * König Ludwig II. teilt Richard Wagner in einem Brief seinen Entschluss mit, dass er die alte Burgruine Hinterhohenschwangau bei der Pöllatschlucht neu aufbauen lassen will. Es ist das spätere Schloss Neuschwanstein.

21. Juni 1868 Graggenau * Richard Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" werden im Hof- und Nationaltheaterfür München uraufgeführt.

Seite 59/176 2. März 1869 München * König Ludwig II. gewährt Richard Wagner ein Darlehen in Höhe von 10.000 Gulden. Dieses und jenes vom 27. März 1868 wird in jährlichen Raten in Höhe von 166 Gulden und 40 Kreuzer zurückgefordert.

Juni 1869 München-Maxvorstadt * Die erste Münchner Gruppe des "AllgemeinenDeutschenArbeitervereins -ADAV" gründen die "Schriftsetzer" Leonhard Tauscher und Robert Neff in der "Nordendhalle" in der Schellingstraße.

20. Juni 1869 München-Graggenau * Vor seinem endgültigen Weggang aus München bringt HofkapellmeisterHans von Bülow "Tristan und Isolde" am 20. und 22. Juni im Nationaltheatererneut zur Aufführung.

September 1869 München * Der 15-jährigeLeonhard Romeis kommt an die "Königliche Gewerbeschule" nach München.

22. September 1869 München-Graggenau?Gegen den erklärten Willen von Richard Wagner lässt König Ludwig II. die Oper"Das Rheingold" im Hof- und Nationaltheateruraufführen.

26. Juni 1870 München-Graggenau * Die "Walküre" von Richard Wagner wird im Hof- und Nationaltheateruraufgeführt.

18. Juli 1870 Luzern ? * Cosima von Bülow wird von ihrem Mann Hans von Bülow geschieden.

23. August 1870 Straßburg * Die deutschen Geschütze eröffnen das Feuer auf die Stadt Straßburg und verursachen starke Schäden, auch am Straßburger Münster. Der Bischof von Straßburg bittet vergeblich um Einstellung des Feuers. Die Zivilbevölkerung schlägt vor, jeden Tag 100.000 Franc zu bezahlen, an dem die Stadt nicht bombardiert würde.

Der Beschuss hört allerdings erst auf, als man sich bewusst wird, dass ein fortgesetztes Bombardement zu viel Munition verbrauchen und schwerste Schäden in der Stadt anrichten würde. Man will jedoch die Stadt erobern und nicht zerstören.

25. August 1870 Luzern * Richard Wagner und Cosima von Bülow heiraten in Luzern.

Ab 1871

Seite 60/176 Dresden * Die Theater-Pläne von Gottfried Semper werden - mit geringfügigen Änderungen - für das neue Dresdner Hoftheaterverwendet.Gottfried Sempers Sohn Manfred führt den Bau in den Jahren 1871 bis 1873 aus. Und so entsteht der heute weltberühmte Opernbau - an anderer Stelle - doch noch.

15. Februar 1871 Bordeaux - Versailles ? Die deutschen und die französischen Verhandlungsführer einigen sich auf eine Verlängerung des Waffenstillstands bis zum 26. Februar und weiten ihn auf ganz Frankreich aus.

Das Deutsche Reich forderte von Frankreich

das Elsass und Teile von Lothringen, dazu eine Entschädigung von sechs Milliarden Goldfranc sowie eine Parade der deutschen Truppen in Paris. Die Besetzung der Stadt sollte bis zur Unterzeichnung eines vorläufigen Friedensvertrages anhalten. Bis zur Abwicklung der vollständigen Zahlung - vorgesehen ist der 2. März 1874 - sollen deutsche Truppen stationiert bleiben und Teile des Landes besetzen.

18. März 1871 Paris * In der französischen Hauptstadt kommt es zum Kommune-Aufstand, in deren Verlauf Parisden Versuch macht, eine demokratische und soziale Republikzu gründen. Die Pariser Communewill die Auflösung Frankreichs in eine Föderationvon autonomen kleinen Gemeindeverwaltungen

mit eigener Rechtsprechung, eigenem Militär und eigenem Unterrichtswesen, der Verstaatlichung der Produktion und so fort. Die rote Fahneund der Revolutionskalenderwerden eingeführt, ein Wohlfahrtsausschussund ein Revolutionstribunaleingesetzt, Geiseln ausgehoben sowie Kirchen und Klöster geschlossen.

Doch Parisbleibt alleine, nachdem sich die Gemeinderäte der großen Provinzstädte versagen. Alleine muss Paris nun den Kampf gegen die konservative Republikausfechten, die ihren Sitz nach Versaillesverlegt hat. Dort befindet sich auch das deutsche Hauptquartier.

Die Auseinandersetzungen finden unter den Augen der deutschen Militärs statt. Den Petroleumbrennernder Communardsfallen zahlreiche öffentliche Gebäude zum Opfer, darunter die Tuilerien; über siebzig bürgerliche Geiseln werden erschossen, darunter der Erzbischof von Paris.

Seite 61/176 10. Mai 1871 Berlin * Der Frankfurter Friedensschlusskostet Frankreich im Wesentlichen die Provinzen Elsassund Lothringensowie eine Kriegsentschädigungvon fünf Milliarden Gold-Franc.

Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war ein Krieg der modernen Technik und der Massenheere, der zu den Schrecken des ungebändigten totalen Kriegs des 20. Jahrhunderts führen wird. Bismarcks wichtigstes Kriegsziel, die "dauerhafte Beseitigung der Kriegsgefahr an der deutschen Westgrenze", ist schon beim Friedensschluss bedroht, weshalb zwei grausame Weltkriege mit Millionen Toten folgen werden.

Eine betont kriegerische und verherrlichende Geschichtsschreibung verstellt auf beiden Seiten den Blick auf das Kriegselend."Das erste Preußengrab für Deutschlands Einheit - Der Schwur auf die Fahne führte sie alle zum Heldentod fürs Vaterland - Gott verleihe den Helden droben die Siegespalmen - für Deutschlands Ehre weiht jedes deutsche Frauenherz Gatten, Sohn und Bruder gern dem Heldentod".Diese Worte werden in ein Denkmal auf dem Gaisberg, nahe Weißenburg, geschlagen.

9. Juli 1871 München-Haidhausen * Das Einverständnisschreiben des Innenministeriumsfür die "Straßenzüge zum Braunauer Bahnhof in der Vorstadt Haidhausen" enthält gegenüber der Ursprungsplanung nur geringfügige Änderungen. Daraufhin kann Bürgermeister Alois von Erhardt noch im gleichen Monat das Konzept der Öffentlichkeit vorstellen.

Das Franzosenviertelist von dem Münchner StadtbauratArnold Zenetti streng geometrisch als Dreistrahlanlage geplant worden.Das Konzept umschließt das künftige Straßennetz zwischen dem Bahngelände, der Stein-, Rosenheimer-, Wolfgang- und der Äußeren-Wiener-Straße und sieht den Ostbahnhofund das ihn umgebende Rondell des Orleansplatzesals Mittelpunkt des Viertels vor."Diese Zentrierung auf den Ostbahnhof nimmt sich wie die Persiflage eines residenzstädtischen Grundrisses aus, im dem - dem Arbeiterviertel entsprechend - der Platz des Herrscherhauses von dem Pendlerbahnhof eingenommen wird".

Damit die neue Wohnsiedlung an die Vorstadt Haidhausenund an das Gasteig-Geländeangebunden werden kann, sind in Zenettis Planungskonzepten Straßendurchbrüche von der Wörth- zur Preysingstraße und Verbreiterungen der Rosenheimer-, Stein- und Milchstraße vorgesehen. Im Gegensatz zu der am Beginn des 19. Jahrhunderts angelegten Maxvorstadtund zu dem ab dem Jahr 1860 erbauten Gärtnerplatz-Viertelhaben die Straßen und Plätze des Franzosenviertelserstmals unterschiedliche Breiten. Dafür sind - neben verkehrstechnischen - vor allem ästhetische Gesichtspunkte ausschlaggebend.

Vom 530 Fuß messenden, halbkreisförmigen Orleansplatz ausgehend, bildet die 100 Fuß breite Wörthstraße die Mittelachse der symmetrischen Dreistrahlanlage.Ihre Aufweitung - der früher als Forumbezeichnete heutige Bordeauxplatz- bildet den prunkvollen Mittelpunkt innerhalb des Franzosenviertels.An seiner Stelle beträgt die Straßenbreite 200 Fuß. Ein ebenfalls 100 Fuß breites Straßenprofil verzeichnen die Rosenheimer- und die Orleansstraße. Die Weißenburger- und die Belfortstraße verlassen das Rondell am Orleansplatz als Diagonalachsen.Diese Verkehrswege messen, ebenso wie die sie kreuzende Pariser- und Breisacher Straße 60 Fuß in der Breite.Die restlichen Straßen haben eine Breite von 50 Fuß.

An den beiden diagonal verlaufenden Straßenzügen sind Platzanlagen geplant.So folgt an der Weißenburger Straße dem 220 Fuß messenden, rechteckigen Pariser Platzder im Durchmesser 300 Fuß umfassende, kreisrunde Weißenburger Platz. Spiegelbildlich zum Pariser Platzsoll an der Belfortstraße ebenfalls eine quadratische Platzanlage, der Straßburger Platz, angelegt werden. Die Planung, die mit ihrer symmetrischen

Seite 62/176 Straßenführung an eine barocke Bauweise erinnert, kann aber nur dort verwirklicht werden, wo sich der Grund in der Hand eines Besitzers befindet.

Im Gegensatz zu dem Baugebiet das sich überwiegend im Besitz Carl von Eichthals befindet und das etwa bis zur Wörthstraße reicht, scheitert nördlich davon der weitere Ausbau am Kloster der Frauen zum guten Hirten, das das Gelände des ehemaligen Preysing-Schlossesseit 1840 besitzt.Die Klosterverwaltung lehnt jeden Verkauf der notwendigen Grundstücke zur Fertigstellung des Franzosenviertelsab und tritt nicht einmal einen Quadratmeter Grund für die Straßenanlagen ab.

Ein Opfer dieser unnachgiebigen Haltung wird der Straßburger Platzden der Königlich-bayerische Major a.D., Karl Graf von Rambaldi, im Jahr 1894 in seiner Zusammenstellung der Münchner Straßennamenwie folgt beschreibt:"Straßburgerplatz. Liegt in Haidhausen zwischen der Elsaß-, Pariser- und Belfortstraße, nördlich vom Ostbahnhofe". Doch ohne ein Entgegenkommen der Klosternonnen kamen die weiteren Planungsarbeiten für dieses Gebiet ins Stocken. Dies auch,

weil einerseits keine aussichtsreichen Enteignungsmöglichkeiten bestehen, andererseits, weil sich in den Zeiten der geometrischen Stadtplanungkein Verantwortlicher zu einer Planänderung entschließen kann.

Erst mit dem Amtsantritt Theodor Fischers, dem Vorstand des Münchner Stadterweiterungsbüros, werden die Planungen wieder aufgenommen.

Dezember 1871 München-Maxvorstadt * Richard Wagner sitzt bei Franz Lenbach für ein Porträt Modell.

Nach 1872 München * Das neu erwachte "Deutschland-über-alles-Selbstwertgefühl" nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 sowie die "Reichsgründung" haben in München schon zu Wagners Lebzeiten Vereine gründen lassen, die dieses Gefühl pflegen und hochhalten.

Und damit stehen Richard Wagners Kompositionen im Mittelpunkt des öffentlichen Musikinteresses.

Seine Musik wird konsumierbar gemacht; von der "Spieldose" bis zum "mechanischen Klavier". Neben "Volksliedern", "patriotischen Hymnen" und "Gassenhauern" spielen "Kirmes-Orgeln" auch "Wagner-Potpourris".

Und selbst in den regelmäßig stattfindenden "Bierkonzerten" erfreut sich ein "mehrere tausend Köpfe starkes Publikum" an den von vierzig bis fünfzig Mann starken "Militärkapellen" vorgetragenen Werken von Richard Wagner. Das "Vorspiel zu Parsifal" oder Szenen aus "Rheingold" beziehungsweise der "Walküre" werden dargebracht und von den zechenden Besuchern mitgesungen.

Richard Wagner ist einfach zum "Popstar" geworden.

7. April 1872 Schöneck * Hildegard Menzi wird in Schöneck geboren.

Seite 63/176 22. April 1872 Bayreuth * Was in München nicht gelingt, glückt in Bayreuth. Der Grundstein für das "Festspielhaus auf dem Grünen Hügel" wird gelegt. Doch schnell steht das Projekt vor dem Ruin.

Da schreibt König Ludwig II.: "Nein! Nein und wieder nein! So soll es nicht enden; es muß geholfen werden" und schickt 100.000 Mark nach Bayreuth. Wagner bedankt sich bei seinem königlichen Gönner mit den Worten: "Oh, mein huldvoller König! Blicken Sie nur auf alle deutschen Fürsten, so erkennen Sie, daß nur Sie es sind, auf welchen der deutsche Geist noch hoffend blickt!"

Nachdem die ersten Festspiele mit Schulden in Höhe von 148.000 Mark enden, greift der König wiederholt in die Tasche und unterstützt den Musiker, obwohl er dem "Meister" schon zuvor 25.000 Mark zur Fertigstellung seiner "Villa Wahnfried" überlassen hat.

Die Großzügigkeit Ludwigs II. gegenüber dem von ihm vergötterten Musiker ist grenzenlos. Mit insgesamt 562.914 Mark greift Ludwig II. dem Komponisten unter die Arme, um die Vollendung des "Rings des Nibelungen", der "Meistersinger" und des "Parsifal" zu sichern und ihm auch weiterhin einen luxuriösen Lebensstil zu ermöglichen.

Aus Ludwigs Sicht ist das Geld gut investiert, denn: "Die Töne Ihrer Werke sind meine Lebensluft, ich kann sie nicht entbehren" schreibt der Monarch an den "Meister".

Dezember 1872 München-Maxvorstadt * Richard Wagner sitzt bei Franz Lenbach für ein Porträt Modell.

1874 Italien * Leonhard Romeis schließt nach seiner Ausbildung an der "Kunstgewerbeschule" einen 15-monatigen Studienaufenthalt in Italien an.

Finanziert wird die Reise von der "Maximiliansstiftung für kunstgewerbliche Ausbildung".

1874 München * Eduard Theodor Grützner heiratet die um sieben Jahre jüngere Barbara Link.

Sie bringt zwei Jahre später die gemeinsame Tochter Barbara zur Welt, die in verschiedenen Akten auch mit dem Kosenamen "Babette" eingetragen wird.

Januar 1874 München * Georg Dollmann übernimmt die Aufgaben des "Hofbaudirektors" Eduard von Riedel.

22. Mai 1874 Dommelstadt * Erhard Auer wird in Dommelstadl bei Passau geboren.

Seite 64/176 Ab dem 1875 München-Isarvorstadt * In den Jahren von 1875 bis 1878 entsteht der "Vieh- und Schlachthof" für eine Summe von fünf Millionen Mark auf einem 101.000 Quadratmeter großen Gelände im Münchner Süden.

Die Stadt zählt damals zwar erst 215.000 Einwohner, dennoch ist die Planung von Arnold Zenettis schon auf eine Großstadt mit erheblich mehr Einwohnern ausgerichtet.

Zahlreich - in enger Zusammenarbeit mit Max von Pettenkofer und Bürgermeister Alois von Erhardt - sind Arnold Zenettis Anstrengungen, durch Verordnungen, die in die Praxis umgesetzt werden, die Gesundheit und Reinlichkeit im Sinne der allgemeinen Hygiene zu heben.

9. Februar 1875 München * Dr. Bernhard von Gudden fertigt ein Gutachten über Prinz Otto und dessen geistig-seelischen Zustand.

3. Mai 1875 München * Die "Polizeidirektion" erlässt eine neue "Bezirks- und Distriktseinteilung", mit der Aufzählung sämtlicher Straßen, die zu dem jeweiligen Bezirk gehören.

Alle bisherigen "Gassen" heißen seitdem "Straße". Nur die "Preysinggasse" wird vergessen und dafür im Jahr darauf zur Straße.

Inzwischen ist aus der "Preysingstraße" die "Viscardigasse" geworden.

Andere "Straßen" nennt man später wieder in "Gasse" um. Es sind dies die "Dürnbräugasse", die "Albertgasse" und die "Filserbräugasse".

14. Juni 1875 München * Leonhard Romeis arbeitet im Architekturbüroseines ehemaligen Lehrers Emil von Lange.

Um Juli 1875 München * Bereits im Sommer 1875, also ein Jahr vor der Eröffnung des "Bayreuther Festspielhauses", zeigt man in München - auf Betreiben des "Generalintendanten" Carl Freiherr von Perfall - eine Reihe von sogenannten "Musteraufführungen" vor allem der Werke Richard Wagners.

Selbst der Plan eines "Festspielhauses" in München findet keine Ruhe und wird weiterentwickelt.

26. März 1876 München - Brüssel * "Bürgermeister" Alois von Erhardt schließt mit dem aus Brüssel stammenden "Industriellen" Edouard Otlet - vorbehaltlich der Genehmigung durch die beiden "Ratskollegien" - einen Vorvertrag ab. Dieser sieht eine "Konzession" auf dreißig Jahre vor.

Edouard Otlet, der bereits zuvor in Prag und Wiesbaden erfolgreich "Pferdebahnen" aufgebaut hat, verpflichtet

Seite 65/176 sich, auch in München ein weit gespanntes Linienkreuz zu errichten.

Die "West-Ost-Achse" soll vom "Nymphenburger Schlosspark" über Neuhausen zum Stachus führen und sich dort verzweigen. Ein Nebenast soll über den "Lenbachplatz" zum "Promenadeplatz" und den dort gelegenen Hotels und Geschäften führen. Der Hauptast soll - die Altstadt umfahrend - über die Sonnenstraße den Sendlinger-Tor-Platz erreichen und von dort über den Gärtnerplatz zur Isarbrücke, weiter durch die Rosenheimer- und Weißenburger Straße und am damals noch "Haidhauser Bahnhof" genannten "Ostbahnhof" enden. Der Verlauf der "Nord-Süd-Linie" beginnt am "Großen Wirt" in Schwabing und führt weiter über die heutige Leopoldstraße zum Odeonsplatz, von dort über die Brienner Straße zum Stachus, weiter zum Bahnhofsplatz und endet am Fuße der "Theresienhöhe". Mit dieser Linienführung können die engen Altstadtstraßen geschickt umfahren werden.

Außerdem soll die "Pferdetram" in einem zehnminütigen Abstand verkehren und Otlets Gesellschaft - für die Benutzung des städtischen Straßengrundes ein Prozent der Bruttoeinnahmen an die Stadtgemeinde abführen.

23. Juni 1876 München * Die Stadt und Edouard Otlet unterzeichnen den endgültigen Vertrag zum Betrieb einer Pferdetrambahn.

6. August 1876 Bayreuth * König Ludwig II. und Richard Wagner treffen sich in Bayreuth.Der Bayernkönig wohnt den Generalproben zum Ring desNibelungenbei.Ludwigs II. Aufenthalt dauert bis zum 9. August.

7. August 1876 Leeuwarden * Margaretha Geertruida Zelle, die spätere Mata Hari, kommt im westfriesischen Leeuwarden als Tochter eines Hutmacherszur Welt.

13. August 1876 Bayreuth * Richard Wagner eröffnet - im Beisein des deutschen sowie des brasilianischen Kaisers und des württembergischen Königs - sein Festspielhausin Bayreuth. Bayerns König Ludwig II. befindet sich nicht unter den Gästen, obwohl er zuvor dem Komponisten beim Bau des Theaters großzügigst unter die Arme gegriffen hatte.

27. August 1876 Bayreuth * Zwischen dem 27. und dem 31. August besucht König Ludwig II. den dritten und letzten "Ring"-Zyklus der ersten Bayreuther Festspiele.

21. Oktober 1876 München * Münchens erste schienengebundene Pferdetrambahnliniekann eröffnet werden. Schon am ersten Tag wird die Münchner Tramway Ed. Otletvon 5.092 Fahrgäste genutzt. Das sind weit mehr Straßenbahnbenutzer, als die Betreiberfirma zuvor erwartet hat. Damit beginntder Siegeszug der Straßenbahn.

Seite 66/176 22. Oktober 1876 München * Im Bericht denMünchner Neuesten Nachrichtenheißt es:"Auf dem Promenadeplatz hatte sich eine speziell geladene Gesellschaft eingefunden. Es rollten sieben mit sehr hübschen, muthigen Pferden bespannte elegante Waggons heran.Signalpfeifen der sechs in blauer Uniform gekleideten Condukteurs ertönten und die Fahrt begann. In ca. 20 Minuten hatte der Zug sein Ziel, die Endstation Burgfrieden an der Nymphenburgerstraße, erreicht".

Trotz anfänglicher Probleme wird das neue Verkehrsmittel von den Münchner äußerst positiv angenommen. Edouard Otlets Unternehmen schaffte für München 49 "geschlossene Waggons mit zwei offenen Plattformen an jeder Seite" an. Gebremst wird das Gefährt vom Wagenführerper Fuß mit einer einfachen Hebelbremse. Als jedoch bei einer Probefahrt ein Wagen auf dem abschüssigen Rosenheimer Bergbeim Gasteignicht zum Stehen kommt, sondern einfach weiter rutscht, wird die Fertigungsfirma zum Einbau einer Spindelbremseverpflichtet.

Die weiß-blau gestrichenen Trambahnwagensind mit bequem gepolsterten Sitzen ausgestattet. Für Kinder ist in den Waggons eigens eine Messlatte angebracht, da sie bei einer Körpergröße unter einem Meter - in Begleitung eines Erwachsenen - kostenlos mitfahren konnten. Haltestellengibt es zwar, aber jeder steigt ein und aus, wo es ihm passt. Eine Münchner Zeitung berichtet:

"Ein weiterer Übelstand ist das leider viel zu wenig kontrollierte Absteigen. Es wird vielen Mitfahrenden geradezu angst und bange, wenn jemand Anstalten zum Absteigen macht. Ohne große Ausnahme geschieht dies immer in entgegengesetzter Fahrtrichtung, und ... bums, da liegen sie im Kot."

29. Oktober 1876 München * Dr. Bernhard von Gudden wird der betreuende Arzt von Prinz Otto. Er führt das System der Prinzenärzteein. Seine Assistenzärzteübernehmen freiwillig Prinz Ottos Betreuung für ein oder zwei Monate.

1878 München-Graggenau * Erstaufführung von Richard Wagners Opern "Siegfried" und "Götterdämmerung" sowie die erste vollständige Aufführung des "Ring der Nibelungen" im Münchner "Hof- und Nationaltheater".

1880 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner erhält den "Verdienstorden des Heiligen Michael, Ritterkreuz erster Klasse".

1880 München-Maxvorstadt * Der "Bildhauer" Anton Heß lässt sich durch den Architekten Leonhard Romeis neben seinem "Atelierbau" ein villenartiges Wohnhaus im Stil der "deutschen Renaissance" errichten.

Der Bildhauer will ein Wohnhaus, in dem er seine über Jahrzehnte angesammelten Antiquitäten, vornehmlich aus der Renaissancezeit, als Wohngegenstände gebrauchen kann. Leonhard Romeis muss deshalb "von innen nach außen" planen.

Fußböden, Holzdecken und Wandvertäfelungen bilden die Vorgaben, nach deren Abmessungen sich die Zimmergrößen der einzelnen Räume zu richten haben.

Seite 67/176 Aus den Maßen der Zimmereinrichtung ergibt sich die Zimmergröße und -höhe, aus der Zimmergröße der Grundriss und erst daraus kann er die Gestaltung der Fassade entwickeln.

Architekt Romeis hat also zum einen die Aufgabe, fünf komplette Zimmer mit Wandvertäfelung und zum Teil auch Erker und Sitznische sowie verschiedene Decken in einen Bau zu integrieren, als auch gleichzeitig fehlende Teile im Stil der historischen Teile zu entwerfen, um eine einheitliche Wirkung des ganzen Hauses zu erzielen.

Anton Heß verzichtet in einigen Bereichen auf Komfort und zieht unpraktische Möbel, wie kurze, gotische Betten, oder zum Teil niedrigere Türen einem Wohnen in zeitgenössischem Mobiliar vor. Der Bildhauer sammelt die Gegenstände also zur wirklichen Benutzung und strebt keine "Stilreinheit" an.

So kombiniert er in seinem Haus Südtiroler Stuben aus Kurtatsch und Montan aus dem Jahr 1576 mit Türen und einem Treppengeländer aus Münchner Bürgerhäusern, Portal- und Türverkleidungen aus Kloster Seeon, um 1620, und Plafonds aus Ulm.

Um April 1880 Südtirol * Leonhard Romeis bereist Südtirol, um dort für das Wohnhaus seines ersten Bauherrn und Kollegen an der "Kunstgewerbeschule", den "Bildhauer" Anton Heß, Burgen und Schlösser zu studieren.

1882 München - Magdeburg * Leonhard Romeis lehnt eine Berufung als "Direktor der Kunsthandwerkerschule der Stadt Magdeburg" ab.

9. März 1882 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner stellt einen Bauantrag für seine "Künstler-Residenz", nachdem er zuvor das Anwesen des "Realitätenbesitzers" Wilhelm Wiesinger in der Praterstraße 7 und 8 gekauft hat.

Josef Wiedmann wird darin als "Baumeister" und Leonhard Romeis als "Architekt" benannt.

16. Mai 1882 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner gibt den Abriss der beiden Wiesinger-Gebäude in der Praterstraße 7 und 8 bekannt.

Um 1883 London * Hubert Herkomer macht sich einen Namen als Porträtist.

Queen Viktoria und Richard Wagner sitzen ihm Modell.

13. Februar 1883 Venedig * Richard Wagner stirbt in Venedig in den Armen seiner Frau Cosima.

Zu Recht behauptet König Ludwig II. von sich, er hatRichard Wagner "zuerst erkannt" und "der Welt gerettet".

Seite 68/176 2. Mai 1883 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner lässt sich am "Praterbergl", in der heutigen Grütznerstraße 1 und schon damals in unmittelbarer Nähe zum "Maximilianeum" gelegen, eine Villa durch den renommierten "Architekten" Leonhard Romeis erbauen.

Das ist zwei Jahre bevor sich Franz von Lenbach durch Gabriel von Seidl sein "Palais" errichten lässt.

Nun erhält er von der "Lokalbaukommission" die allgemein vorgeschriebene "Wohnbewilligung" erteilt, die eine ausreichende Wohnqualität sicherstellen soll, was bei diesem "Bauherrn" freilich nur eine Formalie darstellt.

1884 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützners Ehefrau Barbara stirbt im Alter von 30 Jahren.

1884 Leipzig - München-Haidhausen* Ein Artikel der in Leipzig erscheinenden "Illustrierten Zeitung" beschreibt die Villa des Kunstmalers Eduard Theodor Grützner: "Da haben nun die vereinigten Antiquitäten mehr oder weniger sich selbst die Räume geschaffen.

Das Haus ward lediglich nach denselben gebaut; nach dem dadurch bedingten Inneren gestaltete sich naturgemäß mit Hilfe der geschmackvollen Anordnung beider Künstler [gemeint waren Grützner und Romeis] auch das Äußere dieses anmuthigen Gebäudes, mit all seinen Winkeln und Vorsprüngen, mit seinen Erkern, Altanen und Thürmchen, die demselben solch ein charaktervolles, deutsch anheimelndes Aussehen verliehen".

Juli 1885 München * Eduard Theodor Grützner wird zum "Ehrenmitglied der Akademie der bildenden Künste" ernannt.

1886 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis wird zum "Architekturprofessor" an die "Kunstgewerbeschule" berufen.

23. März 1886 München * Da König Ludwig II. kein Verständnis für die Forderungen nach "Sanierung des königlichen Haushalts" aufbringt und er sich auch sonst als "beratungsresistent" zeigt, beauftragt der "Bayerische Ministerpräsident" Freiherr Johann von Lutz den "Psychiater" und Leiter der "Kreisirrenanstalt von München und Oberbayern", Dr. Bernhard von Gudden, mit der Erstellung eines wissenschaftlichen Gutachtens, das die "Geisteskrankheit und Handlungsunfähigkeit" des Königs beweisen soll.

Vor der Erteilung des Auftrags muss der "Ministerpräsident" aber erst die Einwilligung des "Hauses Wittelsbach" einholen.

Und nachdem Ludwigs Bruder Otto wegen seiner "Geisteskrankheit" als Verhandlungspartner ausscheidet, wendet sich der"Regierungschef" an dessen Onkel, den Prinzen Luitpold. Dieser gibt nach langem Zögern seine Zustimmung, hätte es aber lieber gesehen, wenn sein Neffe von sich aus "abdanken" würde.

Seite 69/176 Mit "Reichskanzler" Otto von Bismarck wird über das weitere Vorgehen gegen König Ludwig II. Einvernehmen hergestellt, um jede mögliche Intervention und Missbilligung "Preußens" und des "Deutschen Reiches" auszuschließen.

8. Juni 1886 München * Professor Dr.Bernhard von Gudden und drei weitere Ärzte attestieren König Ludwig II. - rund zehn Wochen nach Auftragserteilung - eine sehr weit fortgeschrittene und unheilbare Paranoia. Sie stützen sich dabei im Wesentlichen auf Aussagen derHofbedienstetenund ohne mit demPatientenauch nur ein einziges Wort gesprochenzu haben.

Mit dem psychiatrischen Gutachten sind aber die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Beendigung der Regentschaftvon König LudwigII. gegeben.

Ludwigs Onkel, Prinz Luitpold, erklärtsich nach längerem Zögern und Zaudern zur definitiven Übernahme der Regentschaft- nach der Entmündigungdes Königs - bereit und verständigtnoch am selben Tag die größeren deutschen Souveräneund Kaiser Franz Joseph von Österreich.

10. Juni 1886 München * Die Regentschaftsproklamationdes Prinzen Luitpolds wird vom Gesamtministeriumgegengezeichnet. Der 65-jährige Luitpold von Bayern wird damit zum Verweser des Königreichs Bayern, oder kurz gesagt zum Prinzregenten.

In der Zwischenzeit hat sich eine elfköpfige "Fang-Kommission" - unter Beteiligung des MinistersKrafft Freiherr von Crailsheim, der Vormünder, Dr. Bernhard von Guddenund anderen - auf den Weg nach Schloss Neuschwansteingemacht.Sie sollen den König von seiner Regierungsunfähigkeitund der Übernahme der Regentschaftdurch Prinz Luitpold unterrichten und ihn in irrenärztliche Pflegeübernehmen.Der rechtzeitig informierte König Ludwig II. lässt dieKommissionvon Gendarmen aus Füssen festnehmen.

Erst am Nachmittag, nachdem sich dieRegentschaftsproklamationLuitpolds auch in Füssen herumgesprochen hat, werden die Gefangenenwieder freigelassen.

13. Juni 1886 Schloss Berg * Am Pfingstsonntag gegen 18.30 Uhr treten der abgesetzte und entmündigte König Ludwig II. und der Leiter der Kreisirrenanstalt von München und Oberbayern, ProfessorDr. Bernhard von Gudden, einen Spaziergang an. Nachdem sie um 20 Uhr noch immer nicht zum Abendessen erschienen sind, beginnt man mit der Suche.

Gegen 23 Uhr findet man die Leiche des Ex-Königs auf dem See schwimmen, das Gesicht nach unten.Nur ein paar Meter entfernt treibt der tote Dr. Gudden. Bei der Leichenschau finden sich an Ludwig II. keine Verletzungen, jedoch im Gesicht des 61-jährigen PsychologenKratzwunden über dem rechten Auge. An der Stirn wird eine Beule festgestellt.Ein Fingernagel ist abgerissen und am Hals finden sich Würgemale.

Das Volk gibt die Schuld an der Königstragödiedem Prinzregenten.

Seite 70/176 14. Juli 1886 München * Franz Stuck wird als "untauglich zum Dienst im Heer und Marine" ausgemustert.

29. September 1886 München-Lehel * Die Familie Feuchtwanger zieht in die Hildegardstraße 9.

16. Oktober 1886 München * Der Architekt Leonhard Romeis heiratet die Bamberger Kaufmannstochter Anna Ramis. Sie werden fünf Kinder zusammen haben.

26. Juni 1887 Tölz * Die Marktgemeinde Tölz hat "zur Erinnerung an die Gefallenen des Krieges gegen Frankreich 1870/71" ein Kriegerdenkmalerrichtet.Dazu wird die Figur des Kaiserlichen Feldhauptmannsund Herzoglichen Pflegers zu Tölz"Kaspar Winzer, verwendet werden.

Als besonderen Glanzpunkt der Enthüllungsfeier und des dazugehörigen Festzugswird der "Einzug des Feldobersten Kaspar von Winzer zu Roß an der Spitze seiner Landsknechte, Hackenschützen und Hellbeardierer in Tölz nach der Siegeschlacht von Pavia 1525" nachgestellt. Der Münchner RestauratorKarl Joseph Zwerschina gewinnt dazu Freunde und Kollegen, die in den Kostümen nicht nur eine "gute Figur" machen, sondern sich auch in ihre Rollen hinein leben. Sie nennen sich "Winzerer Fähndl".

1888 Straßburg * Leonhard Romeis lehnt eine Berufung als Direktor der Kunstgewerbeschule in Straßburgab.

15. Juli 1888 München - München-Haidhausen * Die Zeitschrift Die Kunst für Allemeldet:

"Professor Ed. Grützner hat sich mit der Tochter des Münchner Stadtkommandanten, Fräulein Anna Wirthmann, verlobt. Die Red. d. Bl. wünscht dem trefflichen Künstler hierzu ebensoviel Glück und Freude, als er mit seinen Bildern anderen bisher geschaffen".

Doch seine um siebzehn Jahre jüngere Frau wird den Künstler und ihren gemeinsamen Sohn, Karl Eduard, später wegen eines Wiener Sängers verlassen.

Um das Jahr 1890 München * Das "Luxuscafé" setzt sich in München durch.

Den großen Vorbildern "Café Luitpold" und "Café Prinzregent" folgt eine Flut von Nachahmungen, die sich im Ausstattungsniveau, im technischen Standard und in der Dienstleistung an diesen hohen Vorgaben orientieren.

Zwischen 1890 und 1897 wurden eine ganze Reihe von größeren und kleineren Kaffeehäusern gegründet oder

Seite 71/176 ältere dem "Geschmack der Neuzeit entsprechend" restauriert.

25. August 1890 München * Leonhard Romeis erhält den Verdienstorden vom heiligen Michael IV. Klasse. Anlass ist die Walhalla-Feier.Romeis hat den Sockel für eine von Ferdinand von Miller jun. gegossene BüsteKönig Ludwigs I. entworfen.

1891 München * Mitglieder des "Winzerer Fähndls" beginnen mit dem "Armbrustschießen".

Sie nennen sich "Armbrustschützengilde des Winzerer Fähndls".

Dabei war die "Armbrust" - im Gegensatz zum "Spieß", der "Hellebarde"und dem "Bihänder", dem zweihändig geführten "Schlachtschwert", nie eine Landsknechtswaffe und gehörte damit eher in das städtische Wehrwesen.

Anders verhielt es sich bei der "Armbrust" als Jagdwaffe. Doch bei höfischen Jagdgesellschaften hatten Landsknechte nichts verloren.

29. Februar 1892 München * Im Atelier des 29-jährigen Josef Block kommt es zu einem Treffen von elf Künstlern und Kunstprofessoren. Sie gründen einen neuen Verein und verfassen ein Pamphlet, in dem es heißt:

"Die heute versammelten haben sich als Club zur Verfolgung derjenigen Maßregeln constituirt, welche ihrer Überzeugung nach im Interesse der münchner Kunst unabhängig von der münchner Künstlergenossenschaft erforderlich sind."Sie begründen damit den späteren Verein Bildender Künstler Münchens e.V. - Secession.

Unterzeichnet ist das Papier von Josef Block und dessen ProfessorBruno Piglhein sowie den ProfessorenFritz von Uhde, Hugo Freiherr von Habermann und Paul Hoecker.Außerdem von Franz Stuck, Heinrich Zügel, Gotthardt Kuehl, Victor Weishaupt, Ludwig Dill und Otto Hierl-Doronco.

Sieben der elf Unterzeichner des Ursprungspamphlets haben während der Münchner Jahresausstellungenrelevante Funktionen ausgeführt.

Habermann, Hoecker, Piglhein, Uhde und Weishaupt gehörten der Vierzehner-Commissionan. Mitglieder in der 1889er-Jurywaren Dill, Habermann, Hoecker, Piglhein und Weishaupt. Franz Stuck und Fritz von Uhde waren Mitglieder der 1891er-Jury.

August 1893 München * Der "Wachsplastiker" Emil Eduard Hammer stellt bei der "Königlich Bayerischen Polizeidirektion München" ein "Gesuch um die ortspolizeiliche Erlaubnis zur Einrichtung und Betrieb eines Panoptikums".

Noch im selben Monat erhält er die Genehmigung.

Seite 72/176 Um August 1893 München - Bayreuth * Carl von Perfalls Nachfolger, der im Jahr 1893 zum "Generaldirektor" ernannte Ernst von Possart, organisiert sofort nach seinem Amtsantritt fünfundzwanzig "Musteraufführungen" der Werke Richard Wagners.

Er will damit Bayreuth ganz bewusst eine künstlerische Konkurrenz erwachsen lassen.

Das ruft umgehend Cosima Wagner, die Witwe des Komponisten und selbst ernannte "Gralshüterin von Bayreuth", auf den Plan. Frau Wagner sieht in dem Münchner Theater natürlich nicht nur das Erbe Bayreuths gefährdet, sondern auch ihren eigenen Plan, mithilfe "deutscher Bundesfürsten" ein zweites, größeres "Richard-Wagner-Festspielhaus" zu erbauen, bedroht.

Sie macht Ärger und bezeichnet die "Münchner Festspiele" als "eine Affenfratze unseres ernsten mühseligen Strebens. Alles Lüge und Hohlheit [...] Es ist ein Treiben an Stelle des Strebens. Der Schacher an Stelle des Dienstes".

1894 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner schreibt: "Daß ich immer und immer wieder Pfaffen male, daran trage ich die Schuld nur zum kleineren Theile.

Bei jeder Ausstellung fast heißt es: 'AberPfaffen müssen's sein oder doch wenigstens einige davon darunter sein!'Male ich etwas anderes, sagen die Leute: 'Esist kein echter Grützner'. Was ist da zu thun?!"

Tatsächlich kommen in mehr als Dreiviertel seiner Werke Klosterbrüder vor.

Daneben gibt es aber auch Jägerszenen, solche mit dem schier unverwüstlichen Sir John Falstaff sowie Bilder aus dem Theaterleben.

Januar 1894 München-Haidhausen * Johann Karl Bernhard Müller vermacht der Stadt seinen gesamten Münchner Immobilienbesitz, um dafür ein Bad "für das unbemittelte Volk" zu errichten.

10. März 1894 München-Hackenviertel * Der "Schausteller" Carl Gabriel eröffnet gemeinsam mit dem "Wachsplastiker" Emil Eduard Hammer im ehemaligen "Vogl'schen Kaufhaus" in der Neuhauser Straße 1/Ecke Färbergraben das "Internationale Handels-Panoptikum".

Es ist das größte und bedeutendste "Panoptikum" Münchens und wird als "ein Bedürfnis der werdenden Großstadt" bezeichnet. Es gibt rund 2.000 Exponate zu betrachten, davon etwa 500 Wachsfiguren und Wachspräparate.

Der Eintrittspreis beträgt 50 Pfennig, Kinder und Soldaten zahlen die Hälfte. Das "Panoptikum" ist täglich von 8 bis 21 Uhr geöffnet.

Als besondere Attraktion befindet sich in der dritten Etage das "Anatomische Museum" und ein "Extrakabinett" mit

Seite 73/176 über 600 Exponaten. Das "Extrakabinett" dürfen nur Personen über 18 Jahren betreten. Personen beiderlei Geschlechts ist die gemeinsame Besichtigung "polizeilich verboten". Am Dienstag und Freitag ist die "Anatomische Abteilung" ab 14 Uhr nur für Damen geöffnet.

Im Keller befindet sich die "Inquisitionsabteilung" mit einer Sammlung von "Folterwerkzeugen", deren Anwendung an lebensgroßen Wachsfiguren dargestellt werden. In der angeschlossenen "Verbrecher-Galerie" werden hauptsächlich zeitgenössische "Massenmörder" als Wachsimitate gezeigt.

1895 München-Maxvorstadt * Anlässlich der Vollendung der "Sankt-Benno-Kirche" erhält Leonhard Romeis den "Verdienstorden vom heiligen Michael III. Klasse".

1896 München-Maxvorstadt * Der Architekt Leonhard Romeis reicht einen Bebauungsplan für die künftige Richard-Wagner-Straße ein.

Das macht er im Auftrag von Michael Bleibinhaus, der einen Großteil der zu bebauenden Grundstücke besitzt.

11. Juli 1896 München-Hackenviertel * In der bayerischen Haupt- und Residenzstadt werden erstmals "lebende Bilder" gezeigt. Die Aufführung findet - "unter lebhafter Anteilnahme des Münchner Publikums" - in Carl Gabriels und Emil Eduard Hammers Panoptikumstatt. Der Vorführapparat wird mit Theaterkulissen umspannt und dann "drauflos gekurbelt". Die Vorführungen richtet Carl Gabriel nach französischem Vorbild ein.

Das ganze Programm ist circa 100 Meter lang und läuft innerhalb von einer Viertelstunde ab. Drei bis fünf kleine Filme werden gezeigt:

Ein heranbrausener Eisenbahnzug, Eine Schlangendomteuse, Ein Kettensprengerund Das Aufziehen der Hauptwache.

Schon einer der ersten Filme verursacht einen Skandal.Er heißt "Endlich allein" und zeigt ein Brautpaar am Hochzeitstag.Die Schlussszene wird umgehend zensiert.

August 1896 München-Maxvorstadt * Der "Direktor der Königlichen Kunstgewerbeschule" fordert die "Baulinienkommission" auf, die künftige Richard-Wagner-Straße mit einem Knick zu versehen.

1897

Seite 74/176 München-Hackenviertel *Carl Gabriel scheidet aus der "Direktion" des "Internationalen Handels-Panoptikums" in der Neuhauser Straße aus.

Eduard Hammer führt das Unternehmen alleine weiter.

4. Februar 1897 Fürth * Ludwig Erhard, der spätere Wirtschaftsminister und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie CDU-Vorsitzende, wird in Fürth geboren.

2. Mai 1897 Marburg * Doris Hildegard Eisner, genannt Hildegard, Tochter von und seiner ersten Ehefrau Lisbeth, geb. Hendrich, kommt in Marburg zur Welt. Das Kind gehört keiner Konfessionan.

6. Dezember 1897 Berlin * Der spätere deutsche ReichskanzlerBernhard von Bülow fordert "einen Platz an der Sonne" für die angeblich "zu spät gekommene Nation", wobei neben dem Besitz von Kolonienein Mitspracherecht in allen kolonialen Angelegenheitengemeint ist.

1. Januar 1898 München-Maxvorstadt * Die kleine, 210 Meter lange Straße, welche an der Nordseite der Brienner Straße, unmittelbar gegenüber der einstigen GartenvillaRichard Wagners, zur Gabelsbergerstraße führt, wird mit dem Namen Richard-Wagner-Straßebenannt. Einebereits vorhandene Richard-Wagner-Straßein Neuhausen istkurz zuvor in Nibelungenstraßeumbenannt worden.

1899 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner lässt sich von seiner Frau Anna scheiden. Der Name seiner zweiten Ehefrau darf in seinem Haus nie mehr genannt werden.

15. April 1899 München * Die "Lokalbaukommission" genehmigt die von Leonhard Romeis vorgelegten Bebauungspläne für die Richard-Wagner-Straße.

September 1899 München-Theresienwiese * Der Krokodilwirt Georg Lang führt auf dem Oktoberfest den Trinkspruch "Ein Prosit der Gemütlichkeit - Eins, zwei, drei, gsuffa!" ein. Der Autor des Liedes ist Bernhard Dietrich aus Chemnitz, der auch Kirchenlieder komponiert.

Damit die Gäste die Stimmungslieder mitsingen können, verteilt Georg Lang Texthefte auf den Tischen. Mit Postkarten und Werbeartikel macht er auf sich aufmerksam. Der Festwirt lässt sogar Steckerl zum Taktschlagen und dirigieren an die Gäste austeilen.

Seite 75/176 1900 München-Maxvorstadt * Das Wohn- und Geschäftshaus in der Richard-Wagner-Straße 27 ist bezugsfertig. Sein Eigentümer, Clemens Schuster, betreibt im Erdgeschoss sein Geschäft für Polsterei, Tapeten und Linoleum.

1900 München-Maxvorstadt * Der InstallationsgeschäftsinhaberOtto Bohner lässt sich von Leonhard Romeis in der Richard-Wagner-Straße 16 und 18 ein Wohn- und Geschäftshaus erbauen.

27. Juli 1900 Bremerhaven * Kaiser Wilhelm II. hält in Bremerhaven seine berühmt-berüchtigte "Hunnenrede". Anlässlich der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich Chinaspricht der Kaiser die Worte:"Pardon wird nicht gegeben!Gefangene werden nicht gemacht!"

"Wie vor tausend Jahren die Hunnen [...] sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."

1901 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis erhält in einer "Qualifikationsliste" der Lehrer der "Kunstgewerbeschule" in den Kategorien "Fleiß und Eifer", "Lehr- und Erziehungsgabe" und "Gesamtqualifikation" jeweils das Prädikat "sehr gut" ausgesprochen.

1901 München-Maxvorstadt * Die "weibliche Abteilung der Kunstgewerbeschule" erhält in der Richard-Wagner-Straße 10 eine neue Unterkunft.

157 "Schülerinnen" nehmen am Unterricht teil. Der Architekt ist Leonhard Romeis.

1901 München-Maxvorstadt * Zwischen 1901 und 1914 ist in dem Haus an der Richard-Wagner-Straße 27 das "Restaurant Richard Wagner" untergebracht.

22. Januar 1901 London * Nach dem Tod von Queen Victoria besteigt Edward VII. in London den britischen Königsthron.

3. Juli 1901 Bayreuth - Bogenhausen - Haidhausen * Cosima Wagner ist der zügig fortschreitende Baufortgang des Prinzregenten-Theatersungeheuer. Protestierend legt sie "vor Gott und den Menschen" einen schriftlichen Eid ab, in dem sie betont, dass es "des Meisters endgültiger Wille" gewesen sei, dass "sein Theater einzig in Bayreuth stehe".

Seite 76/176 20. August 1901 München-Bogenhausen - München-Haidhausen *Die gesamte Münchner Prominenz erscheint in feierlicher Garderobe zum Eröffnungs-Festaktdes neuen Prinzregententheaters. Die Besucher erhalten "eine mit vielen Illustrationen geschmückte prächtige Festschrift, den Damen spendet die aufmerksame und galante Intendanz reizende Bouquets mit Bandschleifen in den bayerischen Farben". Danach werden sie mit den Klängen der Aufführung der "Meistersinger von Nürnberg" verwöhnt.

Der einheitliche Eintrittspreis für den Theaterbesuch beträgt 20 Mark.Das entspricht dem durchschnittlichen Wochenlohn eines Arbeiters.

1902 München-Maxvorstadt * "Kommerzienrat" Emil Zeckendorf lässt das Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 durch Leonhard Romeis bebauen.

Der Mitbegründer der "Getreidegroßhandlung Bauer & Zeckendorf" bewohnt mit seiner Frau, zwei Kindern und zwei weiblichen Dienstboten das Erdgeschoss und das "Piano Nobile".

Im 2. Stock lebt der "Kaufmann" Markus Cohen mit fünf Personen, darunter ein Dienstmädchen.

1902 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis baut für den "Rentier" und "Kommerzienrat" Adolph Brougier das Miethaus in der Richard-Wagner-Straße 3.

Auf fünf Etagen sind neun Wohnungen untergebracht, in denen 49 Menschen, darunter zwölf weibliche Dienstboten, leben.

1902 München-Maxvorstadt*Architekt Leonhard Romeis errichtet für den "Schankwirt" Heinrich Nöhbauer das Anwesen Richard-Wagner-Straße 5.

Auf fünf Stockwerken befindet sich je eine Wohnung.

1902 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis bebaut für den "Ingenieur" Karl Wildt das Anwesen Richard-Wagner-Straße 9.

Oktober 1902 München-Maxvorstadt * Der "Bankier" und "Handelsrichter" Theodor Klopfer lässt sich an der Ecke Brienner Straße 41 und Richard-Wagner- Straße eine Villa von Gabriel von Seidl erbauen.

Das Haus hat 15 Zimmer.

Seite 77/176 1903 München-Maxvorstadt * Der "Rentier" und "Kommerzienrat" Adolph Brougier ist Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 5.

1903 München-Maxvorstadt * Joseph Schülein bewohnt das vierstöckige Haus in der Richard-Wagner-Straße 7, mit 12 Zimmern und 5 Kammern, mit seiner Familie und zwei weiblichen Dienstboten.

1903 München-Maxvorstadt * Die "Metzgerswitwe" Theresia Herzog lässt sich durch das "Baugeschäft Carl und August Zeh" ein Mietshaus in der Richard-Wagner-Straße 15 mit 8 Wohneinheiten erbauen.

1903 München-Maxvorstadt * Die Anwesen in der Richard-Wagner-Straße 16 und 18 gehen in das Eigentum des "Großhändlers" Heicheiner über.

Januar 1903 München-Hackenviertel - München-Ludwigsvorstadt* Der Versuch des "Wachsplastikers" und ehemaligen Betreibers des "Internationalen Handels-Panoptikums" in der Neuhauser Straße 1, Emil Eduard Hammer, sein Unternehmen in einem Neubau an der Bayerstraße 13/15 fortzuführen, wird aus feuerpolizeilichen Gründen untersagt.

29. April 1903 München-Maxvorstadt * Die Familie des Joseph Schülein bezieht eine Wohnung in der Richard-Wagner-Straße 18.

1904 München-Maxvorstadt * Der Architekt Ludwig C. Lutz plant ein zweistöckiges Wohnhaus in der Richard-Wagner-Straße 1, das der Arzt Dr. Heinrich Bock mit drei weiteren Erwachsenen und einem Kind unter 14 Jahren sowie zwei weiblichen und einem männlichen Dienstboten bewohnen wird.

Im Haus befindet sich auch eine Arztpraxis.

1904 München-Maxvorstadt * Dem "Kaufmanns-Ehepaar" Held gehört das Anwesen Richard-Wagner-Straße 9.

17. September 1904 München-Theresienwiese * Als sich der HungerkünstlerRicardo Sacco während des Oktoberfesteszur Schau stellt, kommt es zu Protesten der Münchner Bevölkerung. Sie will es nicht dulden, dass ein Mensch inmitten der "Genüsse des Festes" hungert.

Seite 78/176 17. November 1904 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis stirbt an einem akuten Nierenleidenin seiner Wohnung am Ferdinand-Miller-Platz.

19. November 1904 Moosach * Leonhard Romeis wird auf dem Moosacher Friedhof beigesetzt.

Um den 20. Dezember 1904 Deutsch-Südwestafrika * Das Erscheinungsbild des Krieges gegen die Hereround Namaist nicht nur durch die eigentlichen Kampfhandlungen geprägt, sondern mindestens ebenso sehr durch die von der Militäradministrationerrichteten Konzentrationslager.

Sie dienen als Internierungslager, in denen auch Stämmeaus dem Gebiet des Guerillakampfesfestgesetzt werden, um so den Kämpfern den Rückhalt in der Bevölkerung zu nehmen.Es sind also keine reinen Kriegsgefangenenlagernach europäischen Standards, sondern werden auch zur Inhaftierung von Frauen, Greisen und Kindern genutzt. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass es sich hierbei um einen Krieg gegen ein ganzes Volk handelte.

Die Lebensbedingungen in den Konzentrationslagernsind völlig unzureichend. Es fehlte an allem, von den Lebensmitteln bis zum Brennmaterial. Viele Insassen erkranken an Skorbutund Typhus. Die Sterblichkeit ist entsetzlich hoch. "Es kamen an manchen Tagen bis 27 Sterbefälle vor. Karrenweise wurden die Toten zum Friedhofe gebracht."

1905 München-Maxvorstadt * Das Haus Richard-Wagner-Straße 13, mit dem einladenden "Salve" auf der Haustüre, wird gebaut.

In den vier Stockwerken befindet sich jeweils eine Wohnung mit fünf Zimmern.

1905 München-Maxvorstadt * Das "Rentier-Ehepaar" Hanfstängl ist Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9.

15. März 1905 Berlin * "Reichskanzler" Bernhard von Bülow gibt im "Reichstag" bekannt, dass das "Deutsche Reich" Schritte zur Verteidigung der Wirtschaftsinteressen in Marokko unternehmen wird.

Dabei hatte Deutschland bis dahin niemals Einwände gegen die von Frankreich ausgeübte Kontrolle des Militärs, der Polizei, der Verwaltung, der Banken und des Handels in Marokko erhoben.

1906 Berlin * Der deutsche "Reichskanzler" Bernhard von Bülow fordert "einen Platz an der Sonne".

Seite 79/176 In Afrika hatte Deutschland seit den 1880er Jahren mit Deutsch-Ostafrika, Togo, Kamerun und Deutsch-Südwestafrika Gebiete an der Ost- und Westküste besetzen können.

Deutschland wirft konkret ein Auge auf den belgischen und französischen Kongo.

1906 Milbertshofen * Die Münchner bauen die größte, beste und schnellste "Radrennbahn der Welt" in Milbertshofen.

Auf ihr fährt der Franzose Paul Guignard mit 101,2 Stundenkilometern einen Aufsehen erregenden "Weltrekord".

13. Dezember 1906 Berlin * Bei der Abstimmung im Reichstagkommt eine knappe Mehrheit von 177 zu 168 gegen den Nachtragshaushalt zur Fortsetzung des südwestafrikanischen Kolonialkriegeszustande. Daraufhin lässt ReichskanzlerBernhard Fürst von Bülow - in Einvernehmen mit Kaiser Wilhelm II. - noch am gleichen Tag den Reichstagauflösen.

1907 München-Maxvorstadt * Hermann Leveling, "Rentier, Ritter und Edler" ist Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9.

26. März 1907 München * Ludwig Thoma heiratet Marietta de Rigardo.

8. April 1908 Tegernsee * Ludwig Thoma und seine Frau Marietta beziehen ihr neues Haus "Tuften 12".

16. September 1908 Wien - Petersburg * Österreich-Ungarn und Russland beschließen, dass Österreich Bosnien und Herzegowina erhält. Russland soll im Gegenzug die freie Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen erhalten.

3. Dezember 1908 München-Au * Der von Hans Grässel geschaffene Neubau für die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird seinem Zweck übergeben.

1909 München-Maxvorstadt * Der "Großhändler" Theodor Geist ist Eigentümer der Anwesen Richard-Wagner-Straße 3 und 5.

6. September 1909

Seite 80/176 München-Maxvorstadt * Die Familie des Joseph Schülein bezieht ihr Haus in der Richard-Wagner-Straße 7. Joseph Schülein wird dort bis an sein Lebensende [9. September 1938] wohnen.

1910 München-Maxvorstadt * Auf den bei Baubeginn noch dem "Unionsbrauerei-Gründer" Joseph Schülein gehörenden Grundstück Richard-Wagner-Straße 19 lässt dessen Schwiegersohn Dr. med. Alfred Haas eine äußerlich einem herrschaftlichen Wohnhaus ähnelnde "Privatklinik" errichten.

Dr. Alfred Haas ist mit Elsa Schülein verheiratet.

1911 München-Maxvorstadt * Lolo von Lenbach kauft einen Teil des Grundstücks-Nachlasses des "Rentiers" Schäfer an der Brienner Straße 43 und lässt es bebauen.

Es trägt die Anschrift Richard-Wagner-Straße 2.

1911 München-Maxvorstadt * Franz Rank baut auf den Grundstücken der "Firma Gebrüder Rank" an der Richard-Wagner-Straße 17 und 19 ein Wohnhaus im "klassizierenden Jugendstil".

Architekt für HausNr. 19 ist Max Neumann.

Juni 1911 München * Ludwig Thomas Ehe mit Marietta de Rigardo wird geschieden.

1912 München-Maxvorstadt * Professor Dr. Ernst von Romberg bewohnt das Haus in der Richard-Wagner-Straße 2.

Der berühmte "Internist und Herzspezialist" ist Professor an der "I. Medizinischen Klinik der Universität München".

1912 München-Maxvorstadt * Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9 ist der "Kaufmann" Siegfried Steinhard.

1912 München-Maxvorstadt * Die "Privatklinik Dr. Alfred Haas" in der Richard-Wagner-Straße 19 wird eröffnet.

1913 München-Maxvorstadt * Emil Zeckendorf, Besitzer der Richard-Wagner-Straße 11, wird zum "k.k. östereichisch-ungarischen Vizekonsul" ernannt.

Seite 81/176 21. Mai 1913 München-Bogenhausen - München-Haidhausen* Einen Tag vor dem 100. Geburtstag Richard Wagners wird ihm zu Ehren eine Statue neben demPrinzregententheaterenthüllt. Heinrich Waderé• hat das Monument gestaltet. Aus mehreren zur Verfügung stehenden Entwürfen wähltman denjenigen aus, der den Komponisten in ähnlicher Pose zeigt, wie das berühmte Porträt von Johann Wolfgang von Goethe in der Campagne.

Da die ruhende Darstellung des Künstlers extrem stark im Gegensatz zu dem unsteten Leben des Musikers steht, kommt bald Kritik hoch, in die sogar das städtischeKollegium der Gemeindebevollmächtigteneinstimmt.Letztlich beruhigt aber ein einziges Argument alle Kritikerstimmen:Da Richard Wagner von Natur aus nur mit einer geringen Körpergröße ausgestattet war, hätte ein stehendes Denkmal die Öffentlichkeit nur wenig beeindruckt.

Der Marmor für die Figur stammt vomUntersberg.Er umfasst als Rohblock 14 Kubikmeter Inhalt und wiegt 600 Zentner.Über dreißig Pferde sind notwendig, um diese gewaltige Last vomUntersberger Steinbruchzur nächsten Eisenbahn zu schaffen, mit der er ab Berchtesgaden nach München gebracht wird.BildhauerHeinrich Waderé hat sich amOstbahnhofein provisorisches Atelier eingerichtet.

Da die fertige Marmorfigur noch immer 450 Zentner wiegt gestaltet sich der Transport vom Atelier zum Aufstellungsort als besonders schwierig.Er nimmt mehr als zwei Tage in Anspruch. Die Statue muss mit einerStraßenlokomotivederFirma Maffeizum Ort seiner Aufstellung gebracht werden. Dort behindert vor allem der weiche Boden die Arbeiten, da sich die Räder des Transportwagens immer wieder eingraben.

Cosima und Siegfried Wagner lehnen ihre Teilnahme an der Denkmalenthüllung ab. Bei Cosima sind es gesundheitliche, bei Siegfried grundsätzliche Gründe.Die Konkurrenz derMünchner Festspielefür Bayreuth sind aber die wahren Beweggründe.

Das gesellschaftliche Ereignis an der Prinzregentenstraße wird durch Richard Wagners"Huldigungsmarsch"eröffnet.Münchens erster Bürgermeister, Wilhelm von Borscht, hält eine Ansprache und Ernst von Possart, der Initiator des Denkmals, sagt in seiner Rede:"So grüßen wir Dich, Unsterblicher! Möge Dein Antlitz uns leuchten".Prinzregent Ludwig III. enthülltschließlich dasWagner-Denkmal.

Die sozialdemokratische TageszeitungMünchener Postkommentiert das Ereignis mit den Worten:"Das Streben Münchens, die seiner Zeit an Bayreuth abgegebene Hegemonie im Reiche von Wagners Kunst an sich zu bringen - das heimliche Agens [die treibende Kraft] unserer Festspiele - hat uns nun endlich ein würdiges Denkmal des Meisters beschert."

Gleichzeitig kritisiert das Blatt, dass der Eröffnungsakt nicht demFestwiesenbildder Wagner'schenMeistersingerentsprach und auf den"Wach-auf-Chor"kein spontaner Jubel des Volkes, sondern ein"hochoffiziell-eisernes Schweigen"der"aristokratisch-bürgerlichen Festversammlung"folgt. Den Abschluss der Einweihungsfeierlichkeiten für dasMusiker-Standbildbildet der"Tannhäusermarsch".

1. Juli 1913 München-Berg am Laim * Die selbstständige Gemeinde Berg am Laim wird mit den Gemeindeteilen Baumkirchen, Echarding, Josephsburg, Steinhausen und Zamdorfnach München eingemeindet.

29. September 1913 Frankfurt am Main-Bockenheim * Rosa Luxemburg ruft in Anbetracht der Kolonialpolitik und des Militarismus des

Seite 82/176 Deutschen Kaiserreichs zum Widerstand gegen den Militärdienst auf. Sie wird vors Gericht gezerrt und am 14. April 1914 wegen Aufforderung zur Ungehorsamkeit gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

1914 München-Maxvorstadt * Dr. Hermann Schülein bewohnt ein großzügiges Appartement in der Richard-Wagner-Straße 17.

14. April 1914 Frankfurt am Main * Rosa Luxemburg steht wegen Aufforderung zur Ungehorsamkeit gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit in Frankfurt vor dem Landgericht.

Sie wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Der Knast bleibt der gehbehinderten Frau, die Berufung gegen das Urteil einlegt, vorerst erspart.

Nach dem 4. August 1914 München-Au * Die Maria-Theresia-Kreisrealschulewird - kriegsbedingt - bis 1919 im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]untergebracht.

4. August 1914 München * Gleichzeitig richtet die Königin Marie Therese einen "landesmütterlichen" Aufruf an die "Frauen und Jungfrauen Bayerns!", damit auch diese ihren solidarischen Beitrag leisten:

"Euch aber, denen es nicht vergönnt ist, mit Blut und Leben für des Vaterlandes Ehre einzutreten, bitte ich innigst, nach Kräften mitzuwirken zur Linderung der Not jener Braven, welche das feindliche Geschoss oder die Beschwerden des Krieges verwunden oder sich zu Boden werfen. So stellt euch denn, die ihr wohl alle liebe Angehörige bei der Armee wisst, in den Dienst des Roten Kreuzes, gleich Meinen Töchtern Hildegard, Helmtrud und Gundelinde.

Draußen fließt Blut, herinnen fließen Tränen, am bittersten da, wo zur Sorge der Seele die Not des Leidens kommt. Auch hier muss und wird geholfen werden. Das Notwendige bereiten wir eben vor [...].

Soldaten, die ihr ins Feld zieht, Ich, die Königin, sage euch, euere tapferen Frauen und eure lieben Kinder sollen nicht Not leiden; schaut voraus gegen den Feind, euren Lieben gehört nun unsere Sorge".

10. August 1914 München-Haidhausen * Erstmals marschieren in Haidhausen die Truppen auf dem Johannisplatz zur "Truppenaussegnung" auf, um vor dem Abmarsch noch den kirchlichen Segen zu erhalten.

"Der Kommandeur hielt eine kernige Ansprache und bat zum Schluss um Gottes Beistand. Der Priester war unter dem Thronhimmel vor die Kirche getreten und erteilte, das Allerheiligste nach allen Seiten

Seite 83/176 zeigend, den Segen. [...] In allen katholischen Gotteshäusern wurde der Hirtenbrief des Kardinals verlesen, darauf drei Gebete für das Vaterland und unsere Krieger gehalten".

Solche abendlichen und nächtlichen Aufmärsche mit kirchlichem Segen werden sich noch mehrmals wiederholen.

11. August 1914 Lagarde * Blutige Gefechte der bayerischen 6. Armeebei Lagarde.

13. August 1914 München * Die erste [aufgebauschte] positive Nachricht trifft von der Front ein: "Prinz Heinrich von Bayern [hat] mit Eskadron eine Abteilung französischer Dragoner vernichtet. [...]Durch die Siege bei Mühlhausen und Lagarde [ist] der deutsche Boden nunmehr vom Feinde frei".

22. August 1914 München * Pater Rupert Mayer tritt freiwillig in den Militärdienst als Feldgeistlicherbeim 1. Bayerischen Armeekorps im Feldlazarett 2ein.

8. September 1914 Marne * OberstleutnantRichard Hentsch wird im Auftrag der Heeresleitungan die Front an der Marne gesandt, um sich ein Bild über die Situation zu verschaffen. Da er die Gefahr einer Einkesselung erkennt, empfiehlt er den Rückzug der Truppen gerade in einem Moment, in dem die Militärs vor Ort zum entscheidenden Schlag ausholen wollen.

19. Januar 1915 Great Yarmouth - King's Lynn* Mit der Bombardierung der ostenglischen Städte Great Yarmouth und King?s Lynn durch deutsche Zeppelin-Luftschiffe beginnen die regelmäßigen Luftangriffe auf Großbritannien. Es kommen vier Zivilisten ums Leben.

19. Juni 1915 Leipzig * Die SPD-Politiker Hugo Haase, Eduard Bernstein und Karl Kautsky veröffentlichen in der Leipziger Volkszeitungein Manifest gegen den Krieg. Daraufhin wird das Erscheinen der Zeitung für mehrere Tage verboten.

14. August 1915 Ägäis *Ein deutsches U-Boot versenkt in der Ägäis das mit 1.700 Mann besetzte englische Truppentransportschiff Royal Edward.

11. September 1915 London * Deutsche Zeppelin-Luftschiffe bombardieren London.

Seite 84/176 1916 München-Au * Oskar Richard Moler übernimmt von Carl Gabriel das inzwischen in "Gabriels Lichtspieltheater" umbenannte Kino an der Lilienstraße 2.

1916 München-Maxvorstadt * Ludwig und Rosa Rank wohnen im 3. Stock der Richard-Wagner-Straße 17.

1916 München-Maxvorstadt * Emil Zeckendorf, Eigentümer der Richard-Wagner-Straße 11, wird "Honorarkonsul".

29. August 1916 Berlin * Kaiser Wilhelm II. ernennt Paul von Hindenburg zum Chef des Generalstabsund Erich Ludendorff zum Generalquartiermeister. Dies ist die dritte Oberste Heeresleitung - OHL.Siewird sich zu Deutschlands wirklicher Regierung - eine Militärdiktatur - entwickeln.

28. Dezember 1916 München-Graggenau * König Ludwig III. erhebt Eduard Theodor von Grützner als Ritter des königlichen Verdienstordens der Bayerischen Kronein den persönlichen Adelsstand.

14. Februar 1917 Berlin * Der "Reichstag" hat seit 1914 insgesamt 64 Milliarden Mark für "Kriegskredite" bewilligt.

9. März 1917 Petersburg * In den folgenden Tagen münden die Proteste in einen "Generalstreik", aber auch in Plünderungen und Ausschreitungen. Die Polizei ist nicht mehr Herr der Lage, da sich die herbeigerufenen Soldaten mit den Demonstranten verbrüdern.

"Zar" Nikolaus II. reagiert auf die Streiks, indem er dem Militär befiehlt, mit Waffengewalt gegen die aufbegehrende Menschenmenge vorzugehen. Am Nachmittag schießen Angehörige eines "Garderegiments" auf die "Aufrührer". Sechzig Demonstranten sterben.

Das bewirkt jedoch genau das Gegenteil, da nun auch an anderen Orten die Proteste beginnen. Ganze Regimenter wechseln die Seiten. An anderen Orten dagegen gingen Soldaten gegen die Polizei vor.

17. April 1917 Berlin * Am zweiten Tag der Streiks beschließt die Vertreterkonferenz der Gewerkschaften, die Arbeit wieder aufzunehmen, nachdem die Regierungs- und Militärbehörden zusätzliche Lebensmittelrationen versprochen und die Zusage gegeben haben, dass niemand wegen der Teilnahme am Streik zum Militärdienst eingezogen werde.

Es wird vereinbart, dass Vertreter der Arbeiter künftig bei der Verteilung der Nahrungsmittel mitwirken sollen.

Seite 85/176 Ein Teil der Betriebe streikt weiter und wird daraufhin unter militärische Leitung gestellt.

Ab 18. April 1917 Berlin - Leipzig * Eine Verhaftungswelle beendet den Streik.

Zahlreiche Streikende werden zum Militärdienst eingezogen.

25. August 1917 Wilhelmshaven * Fünf Anführer des Matrosenaufstandesvom 5. August 1917 werden zum Tode verurteilt. Drei Todesurteile werden in Haftstrafen umgewandelt. Der Oberbefehlshaber der deutschen Flotte, Admiral Reinhard Scheer, besteht jedoch auf der Erschießung der beiden HeizerMax Reichpietsch und Albin Köbis, die als Hauptredner bei den Protestversammlungen aufgetreten waren.

7. November 1917 Petersburg * Die Bolschewikiunter Führung von Wladimir I. Lenin stürzen in einem bewaffneten Aufstand in Petrograd die provisorischen Regierung unter Alexander F. Kerenski. Die Roten Garden der Bolschewikenbesetzen strategisch wichtige Punkte in Petrograd und belagern den Winterpalast, den Sitz der provisorischen Regierung.

Damit beginnt in Russland die Revolution. Lenin schafft eine Sowjetrepublik, die sich auf Räte[russisch: Sowjets] stützt.

Da diese Auseinandersetzungennach dem alten russischen Kalender auf den 25. Oktober fallen, erhalten diese systemumwerfenden Vorgänge den Namen Oktober-Revolution. Erst nach dieser - für die Bolschewikierfolgreichen - Revolution wird der russische Kalendervon der julianischen Zeitrechnungauf die gregorianischeumgestellt.

13. November 1917 Zarskoje Selo * Die Rote Garde der Bolschewikenschlägt bei Zarskoje Selo die Armee des abgesetzten MinisterpräsidentenAlexander F. Kerenski vernichtend.

22. Januar 1918 München * In einem Gespräch mit dem Münchner Polizeipräsidenten versichert der Landessekretär der Bayerischen SPD, Erhard Auer, dass "die Unabhängigen in Bayern, besonders in München, nicht viel Boden" haben.Bei den organisierten Arbeitern besteht somit keine Streikgefahr. Anders ist die Sache "bei den vielfach noch nicht organisierten weiblichen Arbeiterinnen".

27. Januar 1918 Berlin * Eine Versammlung der der USPD nahestehenden Vertrauensleute aller Berliner Großbetriebe, die sogenannten revolutionären Obleute, beschließt einstimmig, am nächsten Morgen den Generalstreikzu beginnen.

Nach Wiener Vorbild wird ein aus 414 Personen bestehender Arbeiterratgebildet, der einen elfköpfigen Aktionsausschussaus dem Kreis der revolutionären Obleutewählt. Der Aktionsausschussfungiert als

Seite 86/176 Streikleitungund wird von Richard Müller angeführt. Die USPD und die MSPD entsenden zusätzlich noch je drei Vertreter. Als Vertreter der Arbeiterparteien werden

die USPD-Reichstagsabgeordneten Hugo Haase, Georg Ledebour und Wilhelm Dittmann sowie die SPD-Vorstandsmitglieder Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Braun hinzugezogen.

30. Januar 1918 München * Die Delegierten des Münchner Gewerkschaftsvereinsbeschließen eine Resolution, in der sie die Aktivitäten der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei - USPDzum Streik verurteilen.

Der GewerkschaftsvorsitzendeJohannes Timm verständigt sich mit dem MSPD-ParteisekretärErhard Auer, an der für den nächsten Tag angesetzten Versammlung der Münchner kriegswichtigen Betriebeteilzunehmen. Sie wollen durch ihre Präsenz

Gegenmaßnahmen einleiten, die Bewegung in geordnete Bahnenlenken und den Streik so bald als möglich beenden.

30. Januar 1918 Berlin * Auch hier schlägt - wie zuvor schon in Wien - das Imperium zurück.

Am Nachmittag lässt der für Berlin zuständige Befehlshaber, Generaloberst Gustav von Kessel, alle Versammlungen und Streikkomitees verbieten und verlautbaren: Wer sich den Befehlen nicht fügt, setzt "sich schwerster Bestrafung nach den Vorschriften des Belagerungszustandes aus; die Wehrpflichtigen unter ihnen werden außerdem militärisch eingezogen werden."

Der Arbeiterrat gibt nicht nach.Die Arbeitskampfmaßnahmen werden erfolgreich weitergeführt.

31. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Am Abend findet im Mathäserbräusaaleine Versammlung der Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Flugzeugwerke AGstatt, bei der der SPD-Abgeordnete Erhard Auer spricht und wilde Streiksals "zwecklos und sinnwidrig" bezeichnet.

Als die Versammelten Kurt Eisner zur Stellungnahme ermunterten, blieb dieser still. Die MSPD und die Gewerkschaften können durchsetzen, dass die Arbeit erst dann niedergelegt wird, wenn sich die Parteileitung in Berlin dafür ausgesprochen hat. Die Versammlung nimmt einen erregten Verlauf und muss wegen des "großen Lärms" vorzeitig beendet werden.

1. Februar 1918 München-Maxvorstadt * Nach der Verhaftung von Kurt Eisner und anderen USPD-Streikführern gewinnt die MSPD-Führung wieder Einfluss auf die Streikenden. In einer Versammlung der Bayerischen Flugzeugwerkeim

Seite 87/176 Löwenbräukellerfordert Erhard Auer zur "Mäßigung und zur Beendigung des Streiks" auf.

4. Februar 1918 München-Au * Kurt Eisner beschreibt beschreibt die Situation der Januar-Streiks in seinem Gefängnis-Tagebuch:

"Wir hatten nicht nur die Militärdiktatur gegen uns, sondern auch die Regierungssozialisten, die die gesamte politische und gewerkschaftliche Organisation fest in Händen hielten, eine Camorra, die vor keinem Mittel zurückschreckten, um sich selbst in ihrer verworfenen Stellung zu behaupten.

Wir waren nur ein kleines Häuflein, ohne die Autorität von Ämtern und Würden, ohne Geld, ohne Presse, ohne die Möglichkeit schriftlicher Propaganda".

8. Februar 1918 München * Die am 3. Februar gewählte Deputation, die die Forderungen vom 2. Februar der Regierung vortragen soll, wird durch eine neue Kommission ersetzt.

Dazu wird eine Sitzung der Arbeiterausschüsse von 34 Münchner Betrieben einberufen. Diese wählen eine Kommission,die aus elf Betriebsvertretern und zwei MSPD-Landtagsabgeordnetenbesteht. Diese sollen mit der Regierung verhandeln.

Erhard Auer übernimmt die Aufgabe des Sprechers.

16. Februar 1918 München-Kreuzviertel * Die am 8. Februar gewählte Kommission wird von Ministerpräsident Otto von Dandl, Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich und Kriegsminister Philipp von Hellingrath empfangen. Der Sprecher der Kommission, der MSPD-Landtagsabgeordnete Erhard Auer, trägt die Wünsche der Arbeiterausschüsse vor. Die Forderung nach Freilassung der verhafteten Streikführer ist auf der Liste nicht mehr enthalten.

Die Minister beziehen freundlich zu den Forderungen und Anregungen Stellung, Zugeständnisse machen sie jedoch keine.Der Empfang der Kommission wirkt sich dennoch beruhigend auf die Arbeiterschaft aus.

14. März 1918 Dresden * Richard Kämpfer wird wegen seiner Beteiligung an den Münchner Januarstreiksin Dresden verhaftet.

14. Juni 1918 München - Nürnberg * Der SPD-Abgeordnete Erhard Auer macht sein Eingreifen bei drohenden Streiks in Nürnberg davon abhängig, dass ihn dabei keine amtliche Stelle bei seinen Bemühungen unterstützt. Denn "es würde unter der Arbeiterschaft sofort die Meinung Platz greifen, dass es sich um eine zwischen ihm und der Regierung abgekartete Sache handle".

17. Juni 1918 Bayreuth * Der Gautag der nordbayerischen MSPD zeigt, wie sehr die dortigen Organisationen den bisherigen Kurs des Parteivorstandes kritisch oder gar direkt ablehnend bewerten. Erhard Auer stößt mit seiner Taktik der

Seite 88/176 nahezu bedingungslosen Unterstützung der Regierung ohne erkennbare Gegenleistung in seiner eigenen Partei auf zunehmenden Widerstand. In der verabschiedeten Resolution zur politischen Lage heißt es:

"Wir verlangen daher, dass die Reichstagsfraktion in Übereinstimmung mit dem Willen der Wählerschaft und mit den Forderungen unseres Programms zur Durchsetzung der berechtigten Forderungen des arbeitenden Volkes nunmehr von der bloßen Kritik dazu übergeht, von den schärfsten parlamentarischen Machtmitteln Gebrauch zu machen und durch ihre Abstimmungen die Mitverantwortung für die Politik der Reaktion und des Landraubes abzulehnen."

24. Juni 1918 Berlin * Noch vor dem französischen Gegenangriff von Villers-Cotterêts betont derStaatssekretär des Auswärtigen Amtes,Richard von Kühlmann, dass es an der Zeit sei, den Gegnern die Hand zu einem Vergleichsfriedenzu reichen.

"Bei der ungeheueren Größe dieses Koalitionskrieges und der Zahl der in ihm begriffenen auch überseeischen Mächte [wird] durch rein militärische Entscheidungen allein ohne alle diplomatischen Verhandlungen ein absolutes Ende kaum erwartet werden können."

25. Juni 1918 Spa - Berlin * Die Oberste Heeresleitung - OHLgibt eine Pressekonferenz, auf der sie erklären lässt, dass sie sich mit den Ausführungen des Staatssekretärs des Auswärtigen AmtesRichard von Kühlmann vom Vortag nicht identifiziert und diese nicht "der Auffassung der OHL" entspreche. Im Gegenteil: "Die OHL ist aufs peinlichste überrascht."

25. Juni 1918 Spa - Berlin * In einem Telegramm der Obersten Heeresleitung - OHLan den ReichskanzlerGeorg Friedrich Graf von Hertling erklärt GeneralfeldmarschallPaul von Hindenburg, dass "für die weiteren schweren Folgen, die aus dem gestrigen Vorgang für die siegreiche Beendigung des Krieges entstehen werden, der Staatssekretär von Kühlmann verantwortlich" sei.

Das ist der erste Schritt für die spätere Dolchstoßlegende.

26. Juni 1918 Berlin * Der Interfraktionelle Ausschusstrifft sich im Reichstagund beschließt, auf eine politische Initiative zur Unterstützung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, zu verzichten.

Der Interfraktionelle Ausschussist ein inoffizielles Gremium, das die Arbeit derReichstagsfraktionender Sozialdemokratischen Partei - SPD, der Fortschrittlichen Volkspartei - FVPund der Zentrumsparteikoordiniert. Die drei Parteien bilden seit der Reichstagswahlvon 1912 die Mehrheit im Reichstag.

Die Situation zeigt aber auch das machtpolitische Versagen der Reichstagsmehrheit.

Um 2. Juli 1918 Spa - Berlin * GeneralquartiermeisterErich Ludendorff fordert ReichskanzlerGeorg Friedrich Graf von Hertling auf,

Seite 89/176 den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, zu entlassen, anderenfalls werde er selbst zurücktreten.

Unterstützung durch den schwachen ReichskanzlerHertling wird Kühlmann nicht erfahren.

8. Juli 1918 Berlin * Kaiser Wilhelm II. versetzt den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, in den einstweiligen Ruhestand.

Damit hat die Politik gegenüber den Militärs erneut klein beigegeben. Ein Konflikt mit der Obersten Heeresleitung - OHLwird nicht eingegangen. Die Militärs brauchen die Reichstagsmehrheitnicht zu fürchten.

30. Juli 1918 München * Der SPD-Abgeordnete Erhard Auer bittet das Innenministerium, "von der Verleihung von Anerkennungsurkunden für Kriegsarbeit an die sozialdemokratische Presse und Gewerkschaften abzusehen".

27. August 1918 Berlin * Auf Vorschlag des vormaligen Flottenchefs und neuen Admiralstabschefs, Admiral Reinhard Scheer, wird die Seekriegsleitung - SKL als Kommandoabteilung des Admiralstabs gegründet. Die Seekriegsleitung ist die Marine-Kommandobehörde, die die Planung und Durchführung des Seekriegs leitet und die Verteilung der Seestreitkräfte lenkt.

23. September 1918 Berlin?Die MSPD-Reichstagsfraktion und der Parteiausschuss der MSPD beschließen in einer gemeinsamen Sitzung mit einer deutlichen Mehrheit von 80 : 21 Stimmen, sich an einer Koalitionsregierung mit den bürgerlichen Parteien zu beteiligen, falls sich die Möglichkeit dazu bietet.Die Bedenkenträger bleiben in der Minderheit. Dies auch deshalb, weil noch immer keine Klarheit über die militärische Lage herrscht.

Der Regierungseintritt wird an die Erfüllung eines Forderungskatalogs geknüpft, der die Parlamentarisierung verlangt und auf die Friedensresolutionvom 19. Juli 1917 Bezug nimmt, in der sie für "einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker" eintritt.

Die Partei entsendet Philipp Scheidemann als Staatssekretär ohne Portefeuille, Gustav Bauer soll das Reichsarbeitsamt übernehmen. Otto Wels warnt Friedrich Ebert: "Bist du von Gott verlassen, lass doch zum Teufel den Frieden diejenigen schließen, die den Krieg geführt und Verantwortung getragen und den Waffenstillstand gefordert haben".

Im MSPD-Parteiausschuss gibt Erhard Auer zu bedenken: "Mit dem Eintritt in die Regierung werden wir gewissermaßen eine Mittelpartei, und die Unabhängigen, die heute nichts sind, werden dann scheinbar die einzige Oppositionspartei sein."

Seite 90/176 7. Oktober 1918 Berlin - Spa * Der jüdische Industrielle Walther Rathenau gibt ein einem Artikel im Berliner Tageblatt zu bedenken, dass die mit Woodrow Wilson auszuhandelnde Waffenstillstands- und Friedensabkommen für die Deutschen bedeuten:

eine Zahlung von bis zu 50 Milliarden Mark für den Wiederaufbau von Belgien und Nordfrankreich und den möglichen Verlust von Elsass, Lothringen und Danzig.

Er fordert deshalb

eine allgemeine Volkserhebung, um die unausweichlichen Waffenstillstandsverhandlungen aus einer Position der Stärke heraus zu führen. Er fordert die Oberste Heeresleitung - OHL dazu auf, die deutschen Armeen hinter die nationalen Grenzen zurückzuziehen, um sie hier für einen neu motivierenden Verteidigungskrieg aufzustellen.

Generalquartiermeister Erich Ludendorff und die Oberste Heeresleitung lehnen die Vorschläge als vollkommen unakzeptabel ab, da durch die Unzuverlässigkeit der Soldaten in der Heimat die Gefahr eines revolutionären Umsturzes nur noch vergrößert werden würde.

Walther Rathenaus Thesen stoßen im Volk auf eine breite Resonanz. Er wird zum Wortführer derer, die die Meinung vertreten: Deutschland ist nicht besiegt und braucht deshalb keinen sofortigen Waffenstillstand. Der ultranationalistische und antisemitische Reichsbote und die alldeutsche Deutsche Zeitung vergessen kurzzeitig ihre traditionelle Abneigung gegen Juden und stellen sich hinter Rathenaus Argumentation.

12. Oktober 1918 München-Au * Der Landesparteitag der MSPD beginnt im Franziskaner-Keller an der Hochstraße. Er dauert bis zum 13. Oktober.Der Parteitag wählt Erhard Auer als Nachfolger für Georg von Vollmar zum Landesvorsitzenden. Auer interprediert die innenpolitischen Vorgänge der vorangegangenen Tage, die Bildung einer Reichsregierung unter Beteiligung der MSPD, wie folgt:

"Wir erleben die größte Revolution, die es je gegeben hat. Nur die Form ist heute eine andere, deswegen eine andere, weil durch die Disziplinierung der Arbeiterschaft ? und das ist das Verdienst der Arbeiterbewegung ? andere Formen möglich sind, weil es möglich ist, auf legalem Wege zu erreichen, wofür wir seit Jahrhunderten stritten."

13. Oktober 1918 München-Au * Auf dem Münchner Parteitag der SPD im Franziskaner-Keller an der Hochstraße forderte der Chefredakteur der Fränkischen Tagespost, Adolf Braun, die Abdankung des Kaisers. Unterstützung erhält er von dem Nürnberger SPD-Landtagsabgeordneten Ernst Schneppenhorst, der gleichzeitig auch den Rücktritt des bayerischen Königs Ludwig III. fordert. Erhard Auer versucht dagegen seine Parteigenossen zu beschwichtigen und plädiert zum Abwarten, bis die Zeit reif ist für einen Regierungswechsel auf legalem Weg.

Seite 91/176 Abschließend beschließt der Parteitag

die Abschaffung der Monarchie, die Einführung des Acht-Stunden-Tages, das Wahlrecht für beiderlei Geschlecht und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung.

Der SPD-Landesparteitag fordert aber auch

die Überführung Deutschlands in einen Volksstaat mit vollkommener Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Volkes in Reich, Staat und Gemeinde.

17. Oktober 1918 München - Vatikan * Der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli berichtet an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri mit großer Sorge über "sozialistische Propaganda und Wühlarbeit" in Deutschland und bei den Frontsoldaten. Die folgende Revolution ist für Pacelli deshalb nicht überraschend.

23. Oktober 1918 München-Schwabing * Kurt Eisner hält im Schwabinger Bräuseine erste Wahlkampfredeseit seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Nur neun Tage nach seiner Haftentlassung lockt er bereits 2.000 Zuhörer in seine Versammlung. Er referiert über das Thema "Regierungssozialisten oder Sozialistenregierung" und wirft darin dem Flügel um Erhard Auer vor, nicht das Interesse des Volkes, sondern nur das der Regierung im Auge zu haben. In der weiteren Rede fordert Kurt Eisner

die Abdankung des Kaisersund einen Frieden ohne Annexion. Kurt Eisner verspricht sich nicht viel vom jetzigen demokratischen System und tritt ein für die Beseitigung aller bestehender Gewalten durch Umsturz und Revolution ein.

Am Schluss verlangt er

"eine große deutsche Republik mit Einschluss Deutsch-Österreichs" und die "Rückkehr zu den Idealen der Revolution von 1848".

"Bissig, heiser und mit einem fanatischen Elan rechnete er mit seinen Gegnern ab. Alles um ihn war dicht besetzt. Kopf an Kopf. Er stand auf dem Podium inmitten der hockenden Leute und gestikulierte mitunter wild. Langes Haar, das fast bis auf seine Schultern herabwallte, einen noch zerzausteren Bart hatte er jetzt. Wie ein Apostel sah er aus, nur dass er einen Kneifer trug", schreibt Oskar Maria Graf über Kurt Eisner.

Seite 92/176 24. Oktober 1918 München * Kurt Eisner und seine USPD gehen in ihrer Werbung für die Wahl am 17. November mit der MSPD ins Gericht:

"Diese Wahl soll und muss die große Abrechnung der Massen mit denen sein, die das Volk alle die Kriegsjahre hindurch getäuscht und verraten haben. In erster Linie mitverantwortlich für alles, was sich in diesen Zeiten Furchtbares ereignet hat, sind die Regierungssozialisten, die sich jetzt überbieten in schreiendem Radikalismus, um die Aufmerksamkeit von der eigenen Schuld und Mitschuld abzulenken. [?]

Einer der belastetsten und gefährlichsten Regierungssozialisten, Herr Erhard Auer, der bereits ungezählte Ämter fest in der Hand hält, wagt es, trotz seiner Belastung mit der Schuld an der verwüstenden Kriegspolitik der herrschenden Klassen sich unter dem angemaßten Namen eines Sozialdemokraten um den Reichstagssitz in München zu bewerben."

24. Oktober 1918 Spa* Die Operationsplaner der Marine haben ihr Konzept für den Beitrag der Seestreitkräfte zum Endsieg fertiggestellt.Admiral Reinhard Scheer erteilt - trotz der von der Reichsregierung befohlenen Einstellung des U-Boot-Krieges - der Hochseeflotte den Befehl, gegen die Kanalküste und die Themsemündung vorzustoßen und die Entscheidungsschlacht gegen Großbritannien zu suchen. Die Seekriegsleitung - SKL zieht eine "ehrenvolle Niederlage" einer drohenden Übergabe der Flotte uneingeschränkt vor. Es geht wieder einmal um die "Ehre der kaiserlichen Flotte".

25. Oktober 1918 München * Bei der Wählerversammmlung zur Reichstagswahlwettert der SPD-Kandidat Erhard Auer gegen den preußischen Militarismus, der mit aller Gründlichkeit abgeschafft werden müsse. Er warnt jedoch vor jeder Form der Gewaltanwendung zur Veränderung des politischen Systems.

1. November 1918 Spa - Berlin * Die nächste Gardinenpredigt erteilt Kaiser Wilhelm II. dem Reichskanzler Max von Baden per Telefon. Das Gespräch nimmt den badischen Prinzen so mit, "dass er in einen Zustand krankhafter Erregung geriet". Der Reichskanzler ist auf allen Gebieten politisch gescheitert.

3. November 1918 München-Obergiesing * Der am 14. März 1918 in Dresden wegen seiner Beteiligung am Januarstreikverhaftete HandlungsgehilfeRichard Kämpfer wird aus der Untersuchungshaft entlassen.

3. November 1918 Padua * In der am südwestlichen Stadtrand von Padua gelegenen Landsitz Villa Giusti del Giardino wird der Waffenstillstand von Villa Giusti unterzeichnet. Er beendet den Ersten Weltkrieg speziell an der italienisch?österreichischen Front, gilt aber auch für alle anderen Fronten, an denen k.u.k. Militär im Einsatz gewesen ist.

Der Waffenstillstandsvertrag gesteht den Entente-Mächten das Durchmarschrecht durch österreichisches

Seite 93/176 Staatsgebiet zu. Damit liegt ein Einmarsch der Alliiierten in Bayern im Bereich des Möglichen.

6. November 1918 München * Kurt Eisner [USPD] und Erhard Auer [MSPD] rufen auf großen Plakaten für den nächsten Tag zu einer gemeinsamen Massenversammlung auf der Theresienwiese auf. Obgleich Erhard Auer anfangs Bedenken hatte, gab er seine Zustimmung. Er hat erkannt, dass man der Friedenssehnsucht der Einwohner Münchens ein Ventil geben muss.

Es kommt auch deshalb zur ersten öffentlichen Zusammenarbeit der beiden sozialistischen Gruppierungen in Bayern seit der Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - USPD, weil Auers MSPD nicht gemeinsame Sache mit denen machen kann, die für die nationale Verteidigung eintreten und die Waffenstillstandsbemühungen bekämpfen. Über das damit verbundene Risiko ist sich Erhard Auer und die bayerische Regierung bewusst.

6. November 1918 München-Au * Im Franziskanerkellerspricht der SPD-Reichstagskandidat Erhard Auer zum Thema "Was wollen wir Sozialdemokraten" und fordert

die Abdankung des Kaisers und des deutschen Kronprinzen, die Ausschaltung aller reaktionären Elemente aus der politischen Verwaltung, die Änderung des Mannschaftsbeschwerdegesetzes, eine Arbeitslosenversicherungund den Achtstundentag.

Die Anwendung von Gewalt lehnt er ab.

6. November 1918 München-Kreuzviertel * Am Nachmittag trifft sich das ausscheidende Kabinett mit dem neuen Reform-Kabinett unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten Otto von Dandl. Das eine Kabinett ist nicht mehr handlungsfähig, das andere wird seine Aufgabe erst am 8. November übernehmen. Sorgenvoll blicken sie auf die Massenkundgebung von USPD und MSPD auf der Theresienwiese am nächsten Tag. Man überlegt sogar, Kurt Eisner vorsorglich verhaften zu lassen.

Kriegsminister Philipp von Hellingrath erklärt: "Es gibt unruhige und unzuverlässige Elemente auch in der bayerischen Armee, aber, meine Herren, Sie können ganz beruhigt sein. Die Armee als Ganzes ist noch fest in unserer Hand. Es wird nichts passieren."

Der Vorsitzende der bayerischen Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer, erklärt: "Reden Sie doch nicht immer von Eisner. Eisner ist erledigt. Sie dürfen sich darauf verlassen. Wir haben unsere Leute in der Hand. Ich gehe selbst mit im Zug. Es geschieht gar nichts."

Dennoch trifft die Regierung Vorkehrungen für den Fall von Gewaltanwendung. Die stationierten Truppen werden in Alarmbereitschaft versetzt und mit Gewehren und Tränengas bewaffnet.

Seite 94/176 7. November 1918 München-Theresienwiese * Die Unabhängige Sozialdemokratische Partei - USPDhat zu einer Kundgebungauf die Theresienwieseeingeladen. Um die Kontrolle über die Münchner Arbeiterschaft nicht ganz zu verlieren, habensich die Gewerkschaften und die MSPDdieser Einladung angeschlossen.

Soldaten ist zunächst die Teilnahme an der Versammlung von der Stadtkommandatur verboten worden. Zwei MSPD-Abgeordnete, darunter Erhard Auer, veranlassen, dass die Anordnung durch Kriegsminister Philipp von Hellingrath aufgehoben wird. Soldaten, die keinen Dienst haben, wird erlaubt, die Kaserne zu verlassen. Ein Teil der Soldaten wird als Bereitschaft zurück behalten.

7. November 1918 München-Theresienwiese * Kurt Eisner spricht zur gleichen Zeit am anderen Ende derTheresienwiese- unterhalb vomHackerbräu. Die Demonstranten haben rote Fahnen, Tafeln und Plakate mitgebracht. Ihre Revolutionsbereitschaft demonstrieren die anwesenden Matrosen und Soldaten auch dadurch, dass sie die Reichskokarden von ihren Mützen genommen haben.

Was nach dem Abmarsch derMehrheitssozialistenund derGewerkschafterpassiert, schildert Felix Fechenbach so:"Drei Redner sprachen an dieser Stelle.

Zuerst Kurt Eisner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet worden, man müsse jetzt handeln! Der Bauernführer Ludwig Gandorfer verspricht, dass das Landvolk die Arbeiter nicht im Stiche lassen werde. Dann trete ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand, erinnere daran, dass die Soldaten in den Kasernen zurückgehalten werden. Und dann: ?Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution?.Das war das Signal."

7. November 1918 München-Theresienwiese *Um 15 Uhr beginnt die politischen Veranstaltung auf derTheresienwiese, an der sich etwa 40.000 Menschen beteiligen. Andere Quellen sprechen von über 100.000, sogar von 200.000Teilnehmern.

7. November 1918 München-Theresienwiese * DieVersammlungverläuft zunächst ganz nach den Vorstellungen Erhard Auers. DieMehrheitssozialdemokratenund dieGewerkschaftermarschieren geschlossen an.Um 15:15 Uhr beginnen die Ansprachen, dafür sind 15 Minuten vorgesehen. Der MSPD-Führer und weitere Funktionäre halten ihre Reden an der , in der sie hervorheben, dass die Sozialdemokratische Partei

weder zum Streik noch zur Revolution auffordert, sondern die Entwicklung zum Volksstaat auf parlamentarischen Wegen erreichen möchte.

Um 15.45 Uhr lassen sie dann über eine Resolution abstimmen, danach löst sich die Versammlung auf. Nun formieren sich die Teilnehmer zurgroßen Friedensdemonstration. Mit einem Musikkorps an der Spitze marschiert

Seite 95/176 der größte Teil der Massendemonstration unter Führung von Erhard Auer in vollkommener Disziplin über die Landwehrstraße, Sonnenstraße, Karlsplatz, Lenbachplatz, Maximiliansplatz, Brienner Straße, Residenzstraße, Maximilianstraße und schließlich längs der Isar entlang bis zum Friedensengel. Hier löst sich der Protestmarsch nach einer kurzen Schlussansprache des MSPD-Reichstags- und Landtagsabgeordneten Franz Schmitt auf.

8. November 1918 München * Der SPD-Führer Erhard Auer macht noch einmal deutlich, dass die Sozialdemokraten den Umsturz nicht vorbereitet haben. In seiner Erklärung sagter:

"Unter dem Druck der fürchterlichen Drangsale des deutschen Vaterlandes hat sich die gestrige Kundgebung ohne unser Zutun zu einem Willensakte gesteigert, mit dem alle Teile der Bevölkerung rechnen müssen."

8. November 1918 München * Zwischen Mitternacht und ein Uhr bittet Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich den Führer der Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer, zu sich. Auer macht deutlich, dass er und seine Partei die "gewaltsame Niederschlagung der Revolution" und die "Festnahme der Revolutionäre" noch in der Umsturznacht dulden werden. Danach können sie nur mehr versuchen - auf der Grundlage der neu geschaffenen Verhältnisse - an der Stabilisierung der inneren Ordnung mitzuwirken.

Auf Auers Frage nach einer aus 500 Mann bestehenden zuverlässigen Truppe, erwidert von Brettreich, dass ihm keine ausreichenden Machtmittel zur Verfügung stehen, um den Umsturz niederzuwerfen. Die Polizei ist unzureichend und das Militär hat gänzlich versagt.

8. November 1918 München * Gegen Mittag ruft Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich die den Ministerpräsidenten Otto von Dandl und den Kultusminister Dr. Eugen Ritter von Knilling sowie den bayerischen MSPD-Vorsitzenden Erhard Auer zu sich.

Bei der Besprechung setzt Auer die Herren von den bevorstehenden Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung für den Freien Volksstaat Bayern, die vermutlich zum Ziele führen werden. Für die Niederschlagung der Revolution durch die derzeitige Regierung ist es zu spät.

8. November 1918 Schloss Wildenwart * Um 4:30 Uhr früh kommt Ex-König Ludwig III. und Ex-Königin Marie Therese samt Ex-Prinzessin Helmtrud, Flügeladjutant Ludwig Graf von Holnstein und einen Kriminalwachtmeisterauf Schloss Wildenwart an.

Die den dritten Wagen benutzende Baronin Elisabeth Keßling, der Baron Johann Bodmann und die Kammerfrau Franziska Scheidl sind schon gut eine Stunde zuvor eingetroffen.

Die Königsmadln Gundelinde, Wiltrud und Hildegard sowie Baron Oskar von Redwitz und er 13-jährige Ex-Erbprinz Albrecht, der Sohn vom Kronprinzen Rupprecht, aus dem verunglückten und feststeckenden Auto, marschierten bei Nacht und Nebel zum Schloss Maxlrain, wo sie um drei Uhr früh des 8. November ankommen. Mit einem Ersatzwagen erreichen auch sie gegen ein Uhr Mittag Schloss Wildenwart und sind wieder mit dem Rest der königlichen Familie vereint.

Seite 96/176 8. November 1918 München-Kreuzviertel * Noch in der Nacht konstituiert sich der Provisorische Nationalrat des Volksstaats Bayern. Er löst die 163 gewählten Abgeordneten des Bayerischen Landtags ab.

Voraussetzung ist, dass, entsprechend der Machtverhältnisse und im Interesse der Einigung des Proletariats, die Mehrheitssozialdemokratenbeteiligt werden müssen, obwohl sie die Revolutionmit allen Mitteln verhindern wollten und sich Erhard Auer mit der "gewaltsamen Niederschlagung der Aufständischen" noch in der Nacht vom 7. zum 8. November einverstanden erklärt hat. Aber gegen die MSPDkann nicht regiert werden.

Deshalb zieht Eisner zur ersten öffentlichen Sitzung des provisorischen Nationalrates am 8. November 1918- neben den Delegierten des Arbeiter-, Soldaten- und Bauernratssowie Vertretern der Gewerkschaften und Berufsverbände- die sozialdemokratische Fraktiondes alten Landtags, die Fraktion des Bauernbundesund drei liberale Abgeordnete- Ludwig Quidde, Hübsch und Kohl - hinzu.

8. November 1918 München-Kreuzviertel * Um 15:38 Uhr tritt der Provisorische Nationalrat des Volksstaatse Bayernzu seiner zweiten Sitzung zusammen, um eine Provisorische Bayerische Regierungzu wählen.

Eisner schlägt folgende Zusammensetzung der Regierungvor:

Das Ministerium des Äußerenund damit das Präsidiumübernimmt Kurt Eisner selbst. Vizepräsidentund Kultusministerwird der MehrheitssozialdemokratJohannes Hoffmann. Ebenfalls MSPDsind der Minister für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter, und der JustizministerJohannes Timm. Das Innenministeriumerhält der Vorsitzende der bayerischen Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer. Das Verkehrsministeriumüberträgt Eisner einem bürgerlichen Fachmann: Heinrich von Frauendorfer. Das Ministerium der Finanzenvertraut Eisner dem Professor für Staatswissenschaften,Edgar Jaffé an, der den Unabhängigennahe steht. Das neu geschaffene Ministerium für soziale Angelegenheitenleitet der Unabhängige SozialdemokratHans Unterleitner.

Die Benennung Erhard Auers zum Innenministerruft neben Beifall auch Unmutsäußerungen hervor. Bei der Abstimmung erhält Auer eine überwiegende Mehrheit.

Eisner will mit Auers Ernennung seinen schärfsten Gegner unter Kontrolle bringen.Daneben ist ihm bewusst, dass die MSPDdie Nichtbesetzung des Innenministeriumsmit ihrem Vorsitzenden als Affront empfunden und sich möglicherweise mit der Bourgeoisiegegen die Revolutionsregierungverbünden würde. Auer dagegen kann der MSPDdadurch den Einfluss auf die kommenden Ereignisse sichern.

Das Landwirtschaftsministeriumwollte Eisner ursprünglich mit einem revolutionären Bauernbündlerbesetzen. Doch das kann Erhard Auer verhindern. Es wird nicht gebildet, da der MSPD-lerdarin eine Beschneidung seines Ressortssieht und er dem Eisner-nahen Bayerischen Bauernbund - BBBkein zusätzliches Machtinstrument an die Hand geben will.

Seite 97/176 9. November 1918 München * In einer Bekanntmachung des Innenministers Erhard Auer wird erläutert, dass "bis auf weiteres die sämtlichen Stellen, die bisher mit der Versorgung der Bevölkerung sowie mit der Überwachung und Regelung des Verkehrs mit Gegenständen des notwendigen Lebensbedarfs betraut waren, weiter arbeiten".

Nur diese offiziellen Stellen dürfen entsprechende Anordnungen erlassen und durchführen. "Unberechtigte Einmischung Dritter wird nicht geduldet werden."Das richtet sich eindeutig gegen Einwirkungsversuche der Räte.

9. November 1918 München - Vatikan * Seit der Revolution berichtet der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli täglich an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri über die Ereignisse.

9. November 1918 München * Vertreter des Zentralverbandes der Gemeindebeamten verhandeln mit Innenminister Erhard Auer und fordern:

die Aufrechterhaltung der Beamtenrechte, den Schutz vor Übergriffen, ein neues Beamtenrecht, die Errichtung von Beamtenausschüssen, die Heranziehung der Organisation bei der Regelung der Belange der Beamten.

10. November 1918 Meiningen * Herzog Bernhard III. von Sachsen-Meiningen verzichtet infolge des Druckes der Novemberrevolution auf den Thron.

Sein Sohn, Prinz Ernst, verweigert sich zunächst noch.Er wird erst am 12. November seinen Verzicht erklären.

10. November 1918 München-Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber notiert in sein Tagebuch: "Schon am dritten Tag ist die Stimmung mehr Katzenjammer als Rausch. In den Trambahnen schimpfen sie bereits, wie mir von Ohrenzeugen versichert wird, ebenso über die neue Regierung wie vor acht Tagen über die alte. [?]

Man hört, in der ersten Nacht in Geheimsitzung habe Eisner gefordert, sofort mit aller Schärfe gegen die Pfaffen, Auer aber habe sehr energisch gesprochen, jetzt alles beim Alten zu lassen (und besonders von den Feldgeistlichen gesprochen. [?]

Ich sage es heute wiederholt [?]: Es sei ja gar nicht damit zu rechnen, dass eine Gegenrevolution komme, die nicht mehr das Königshaus zurück brächte, sondern nur eine größere Verwirrung stifte, und namentlich noch viel Blut koste. Jetzt muss alles zusammen helfen, um Ruhe und Ordnung zu halten."

Seite 98/176 11. November 1918 Coburg * Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg undGotha tritt von der Regierung zurück.

12. November 1918 Berlin * Der Vollzugsrat ruft zur Bildung einer Roten Garde von 2.000 Mann auf, die den "Schutz der Revolution" übernehmen und dem Vollzugsrat zur Verfügung stehen soll.

12. November 1918 München * Innenminister Erhard Auer weist die Bezirksämter und Gemeindeverwaltungen an, selbst Vorkehrungen zum Schutze von Leben und Eigentum der Bürger zu treffen.

13. November 1918 Berlin * Nach einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Rat der Volksbeauftragten und dem Vollzugsrat wird dessen Aufruf zur Bildung einer Roten Garde vom Vortag vorläufig eingestellt. Aus Sicht der Volksbeauftragten hat der Vollzugsrat seine Kompetenzen weit überschritten.

15. November 1918 München - Freistaat Bayern * Innenminister Erhard Auer informiert die nachgeordneten Regierungsstellen und Behörden auch über die Zusammenarbeit mit den Räten. Er empfiehlt "dringend, die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, die sich allerorten gebildet haben, [?] tunlichst zu benutzen, einerseits, um dadurch das etwa mangelnde Personal so weit notwendig zu ersetzen, andererseits aber auch diese Räte zu beschäftigen und dadurch das Verantwortungsgefühl in der Bevölkerung wieder zu wecken".

Auer macht aber auch deutlich aufmerksam, dass die Räte den Behörden untergeordnet sein sollen. "Ein eigenständiger Handlungsraum soll ihnen nicht zugestanden werden".

15. November 1918 München - Vatikan * Nuntius Eugenio Pacelli verfasst zwei von drei analytisch-zusammenfassende Berichte an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri. Die Ursache der Revolution sieht Pacelli in

der militärischen Lage mit dem Kriegseintritt der USA, dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn, die Kampfmüdigkeit der deutschen Soldaten, sodass die als unüberwindlich geltende Hindenburg-Linie ins Wanken geriet, und dass die Generäle die päpstliche Friedensvermittlung vom 1. August 1917 zurückgewiesen haben, die Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg befürwortet hatte.

Über Ministerpräsident Kurt Eisner äußert sich Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII, folgendermaßen: Eisner ist "Atheist, Radikalsozialist, unversöhnlicher Propagandist, Busenfreund russischer Nihilisten und noch dazu galizischer Jude. [?] Unmittelbar nach den Ereignissen hat sich das bayerische Diplomatische Corps in der Nuntiatur zusammengefunden und beschlossen, jegliche Anerkennung der neuen

Seite 99/176 Regierung zu vermeiden."

18. November 1918 München * Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte werden erarbeitet. Dabei treten die gegensätzlichen Vorstellungen des Ministerpräsidenten Kurt Eisner und des Innenministers Erhard Auer deutlich zu Tage.

Im Entwurf des MSPD-Politikers Erhard Auer vom 18. November 1918 ist

die Bildung von Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte nur im Bedarfsfalle vorgesehen. Die Räte sollen dann für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen. Eine Vollzugsgewalt steht ihnen nicht zu. Der Vollzug der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften soll den seitherigen Stellen und Behörden vorbehalten bleiben.

Für Erhard Auer sind die Arbeiter- und Bauernräte hauptsächlich Hilfseinrichtungen und sind damit der Verwaltung eindeutig untergeordnet.

19. November 1918 München * Der Entwurf einer Bekanntmachung des Innenministers Erhard Auer, in der die Regierung den Landtag für aufgelöst erklärt, wird nie in Kraft gesetzt.

19. November 1918 München * Obwohl über die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte erst am 26. November 1918 abschließend beraten werden wird, macht Innenminister Erhard Auer in einem Schreiben deutlich:

"Den Arbeiterräten steht keinerlei Vollzugsgewalt zu. Die bisherigen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften bleiben in Kraft und werden von den gesetzlich berufenen Behörden, Stellen und Körperschaften vollzogen.

Die Arbeiterräte haben lediglich im Benehmen mit den zuständigen staatlichen und gemeindlichen Stellen und im Rahmen einer hierüber getroffenen Vereinbarung für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen und allenfalls die Durchführung weiterer Aufgaben dieser Stellen zu unterstützen."

19. November 1918 München * Der Revolutionäre Arbeiterrat hat ebenfalls einen Entwurf für die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte erarbeitet. Er befasst sich hauptsächlich mit der Arbeit und der Stellung der Spitzengremien der bayerischen Räte.

Der Zentralarbeiterrat soll gemeinsam mit den Bauern- und Soldatenräten die revolutionäre Macht darstellen, aber - und das ist abgestimmt mit Innenminister Erhard Auer - keine Vollziehungsgewalt haben.

Dafür fordert der Zentralarbeiterrat aber eine dauernde Kontrolle über die Tätigkeit der Minister und der Ministerien, indem er in jedes Ministerium einen Volkskommissar entsendet. Dieser soll mit umfassenden Beteiligungs- und Initiativrechten ausgestattet werden.

Seite 100/176 19. November 1918 Berlin - München * Der bayerische Gesandte in Berlin, Friedrich Muckle, berichtet an den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner von einem Gespräch mit dem Publizisten und Journalisten Maximilian Harden über die Belebung des revolutionären Geistes. Sie fordern

die Säuberung der Reichsregierung von allen unfähigen Elementen, die sofortige Veröffentlichung der Geheimakten, die Verhaftung der Schuldigen und die Einführung eines Staatsgerichtshofs zu deren Aburteilung.

Wenn die Berliner Reichsregierung auf diese Forderungen nicht eingeht, so sollte der "Abfall des Südens" zumindest angedroht werden. Denn: "Preußen hat uns in das Unglück des Krieges gestürzt, es soll uns nicht noch tiefer in den Abgrund, aus dem wir herauszuarbeiten suchen, hinab drücken."

20. November 1918 München - Vatikan * Der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.,berichtet in seinem dritten analytisch-zusammenfassenden Bericht ausführlich an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri zurDeutung und Auswirkung der Revolution nach Rom. In diesem Brief begründet Nuntius Pacelli auch, warum er den Kontakt zur neuen bayerischen Regierung unter Kurt Eisner ablehnt:

Die Entscheidung zum Kulturkampf statt zum pragmatischen Kompromiss. Das Entgegenkommen der neuen Regierung ist nur taktisch bis zur nächsten Wahl, danach beginnt die offene Kirchenfeindschaft. Ein diplomatischer Kontakt wird die Katholiken nur verwirren und demobilisieren, anstatt sie auf den Gegner einzuschwören. Die Regierung Eisner besteht aus Juden, Atheisten und Protestanten, alles Sozialisten. Mit solchen Leuten sind keine anständigen Beziehungen möglich. Eisner ist ein ostgalizischer Jude, der wegen politischer Verbrechen mehrfach bereits eingesperrt war.

20. November 1918 München * Zwei Tage nach Innenminister Erhard Auer legt auch Ministerpräsident Kurt Eisner seinen Entwurf für die Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte vor. Im Entwurf des USPD-Politikers Eisner nehmen die Arbeiterräte - zumindest für eine Übergangszeit - eine zentrale Position im neugegründeten Staat ein. Gemeinsam mit den Soldaten- und Bauernräten sollen sie bis zur endgültige Regelung durch die zu wählende Nationalversammlung die "revolutionäre Grundlage des neuen Regierungssystems".

Eisner und die USPD wollen die Räte und das Parlament als gleichberechtigte Partner in einem demokratischen System. Sie dienen der politischen Willens- und Bewusstseinsbildung und schaffen die Voraussetzungen für die Tätigkeit des Parlaments:

"Die Räte sollen die Schulen der Demokratie werden; daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und wirtschaftlicher Arbeit. [?] Die Räte sind die Grundmauer der Demokratie, die

Seite 101/176 Nationalversammlung, der Landtag ist die Krönung des Gebäudes. Aber diese Krone würde genauso zusammen stürzen wie die monarchistischen Kronen, wenn sie sich nicht stützen auf die Kraft und den Willen jener Arbeiterräte."

Die Arbeiterräte sollen "die Massen des Proletariats unmittelbar zur politischen Mitarbeit heranziehen" und so dazu beitragen, dass "der neue demokratische und sozialistische Geist in Staat und Gesellschaft so tief Wurzeln fasst, dass die kommenden Wahlen die provisorische Ordnung der Dinge bestätigen und befestigen werden".

Im Falle, die Zentralregierung würde den Revolutionszustand ausrufen, sollten die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte umgehend alle notwendigen Maßnahmen einleiten, die zur Erhaltung und Sicherung der revolutionären Regierung erforderlichwären.

Der Entwurf Kurt Eisners sieht für die Räte großzügige Kompetenzzuweisungen vor. Von Kontroll-, Vorschlags-, Beratungs- und Auskunftsrechten bis hin zur Fragen der Entlassung und Einstellung von Beamten.

21. November 1918 München-Graggenau * Der Mehrheitssozialist Eduard Schmid fordert in der Magistratssitzung im Münchner Rathaus in einem Antrag

eine Vereinfachung der Stadtverwaltung, eine schrittweise Reform, die der neuen politischen Lage angepasst ist, die sofortige Herstellung der "notwendigen Fühlung [?] mit den zuständigen Stellen des Volksstaates". "Die Kommunalverbände sollen zunächst durch das Wirken des Arbeiter- und Soldatenrates nicht beeinflusst werden."

21. November 1918 München * In einem seiner vielen Briefe und Telegramme an die Behörden und Bezirksämter schreibt Innenminister Erhard Auer unter dem Betreff: Befugnisse der Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte folgende Zeilen:

"Den Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräten steht keinerlei Vollzugsgewalt zu. Sie haben daher jeden Eingriff in die staatliche und gemeindliche Verwaltungstätigkeit zu vermeiden. Der Vollzug der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften wird grundsätzlich nach wie vor von den seitherigen Stellen und Behörden wahrgenommen."

22. November 1918 München - Rorschach * Auf Anraten von Erzbischof Michael von Faulhaber siedelt Nuntius Eugenio Pacelli wegen der revolutionären Vorgänge in München in das Institut Stella Maris nach Rorschach in der Schweiz am Bodensee über.

Pacelli will mit allen Mitteln der Kontaktaufnahme der bayerischen Regierungsvertreter entgehen, da sonst der Eindruck entstehen könnte, dass der Heilige Stuhl die Revolutionsregierung anerkannt habe. Als offiziellen Grund gibt er allerdings gesundheitliche Probleme an, die er auskurieren wolle. Es ist aber wohl eher die Flucht vor der Auseinandersetzung mit der neuen bayerischen Regierung um Ministerpräsident Kurt Eisner. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Nuntiatur und der bayerischen Regierung sind damit auf Eis gelegt.

Seite 102/176 Die Berichterstattung über die revolutionären Vorgänge an Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri werden von Eugenio Pacellis Uditore [= rechte Hand des Nuntius] Lorenzo Schioppa übernommen. Freilich in dem durch Pacelli vorgegebenen Rahmen.

26. November 1918 München - Freistaat Bayern * Der Ministerrat beschließt - in Abwesenheit von Kurt Eisner - nach Abstimmung mit den Vollzugsausschüssen der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte.

Die Richtlinien stellen einen Kompromiss der gegensätzlichen Vorstellungen des bayerischen Ministerpräsidenten vom 20. November und seines Innenministers Erhard Auer vom 18. November dar. Das bedeutet jedoch, dass wesentliche Elemente aus beiden Entwürfen ebenso unberücksichtigt bleiben müssen, wie der Entwurf des Revolutionären Arbeiterrats vom 19. November 1918.

Die Räte erhalten zwar die von Eisner vorgeschlagene Stellung im Staat, doch werden sie nur mit den Kompetenzen ausgestattet, die ihnen Auer zugestehen will. Die Räte bilden demnach "bis zur endgültigen Regelung durch die Nationalversammlung die revolutionäre Grundlage des neuen Regierungssystems", dennoch bleibt ihnen im Verhältnis zu den Behörden nur das Recht auf Auskunft und Gehör. Ein Kontrollrecht wird ihnen ebenso wenig zugestanden wie die Vollzugsgewalt. Damit haben sich Innenminister Erhard Auer und die Mehrheitssozialdemokraten mit ihren Vorstellungen im Wesentlichen durchgesetzt.

Die Richtlinie für die Bauernräte bleibt die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Bauernräte, bis der Landtag am 21. Mai 1920 das Gesetz über die Aufhebung der Arbeiterräte beschließt.

2. Dezember 1918 München * Die ehemalige Leibgarde wird in Staatliche Bewachungstruppeumbenannt.

2. Dezember 1918 München * Es kommt erstmals zur offenen Regierungskrise, nachdem Innenminister Erhard Auer auf die Festsetzung eines Termins zur Wahl der Bayerischen Nationalversammlungbesteht. Die Minister Erhard Auer, Johannes Timm und Heinrich Ritter von Frauendorfer drohen mit ihrem Rücktritt.

Ministerpräsident Kurt Eisner stimmt daraufhin einem Kompromiss zu, den er auf der Sitzung der Soldatenräte darlegen wird.

2. Dezember 1918 München * Für viele Münchner und Bayern ist der Innenminister Erhard Auer von der SPD der "Hemmschuh der Revolution". Josef Hofmiller schreibt dazu in sein Tagebuch:

"Gegen Auer wird unglaublich gehetzt, in aller Öffentlichkeit. Die Gegensätze spitzen sich so zu, dass entweder Eisner zurücktreten oder Auer aus dem Kabinett austreten muss. Letzteres würde den Sieg des Bolschewismus bedeuten."

4. Dezember 1918

Seite 103/176 München-Kreuzviertel * 500 Pioniere in Begleitung ihrer Offiziere demonstrieren vor dem Sitz des Ministerpräsidenten im Montgelas-Palaisfür die Einberufung der Bayerischen Nationalversammlung.

Ministerpräsident Kurt Eisner, Innenminister Erhard Auer und Militärminister Albert Roßhaupter sprechen mit den Versammelten und sichern ihnen die baldige Bekanntgabe des Einberufungstermins der Nationalversammlung zu.

4. Dezember 1918 München * Innenminister Erhard Auer schlägt auf der Ministerratssitzung vor, die Wahlen zum Landtag und zur verfassungsgebenden Nationalversammlung möglichst bald und deshalb ohne Frauen durchzuführen, da die Erstellung der Wählerlisten bei einer Einbeziehung der Frauen doppelt so lange dauern würde.

Zum Glück für die Frauen kann sich der bayerische SPD-Landesvorsitzende mit seinen Vorstellungen nicht durchsetzen.

5. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * Im Ministerrat kommt es zu heftigen Diskussionen über die Terminfestsetzung zur Nationalratswahl. Kurt Eisner sieht in einem frühen Termin keinen Vorteil. "Die Massen scheuen sich davor und fürchten die Preisgabe der Errungenschaften." Dagegen fordern die MSPD-Minister einen möglichst frühen Wahltermin. Jeder Tag früher stellt für sie einen "Gewinn gegenüber dem Zentrum" dar. Erhard Auer dringt deshalb auf den 12. Januar 1919.

Innenminister Erhard Auer und Justizminister Johannes Timm geben unumwunden ihre Abneigung gegen die Räte zu und treten für die Umwandlung der Arbeiter- und Bauernräte in Arbeiter- und Landwirtschaftskammern ein und sprechen den Räten jede politische Funktion ab. Verkehrsminister Heinrich Ritter von Frauendorfer sieht in den Räten eine "nur notwendige Begleiterscheinung der Revolution". Den Soldatenräten gibt man keine Zukunft.

6. Dezember 1918 München - Vatikan * Uditore Lorenzo Schioppa informiert den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri durchaus hoffnungsfroh über die nicht aussichtslosen Bestrebungen, mit Ex-Kronprinz Rupprecht die Monarchie in Bayern wieder zu installieren.

6. Dezember 1918 Berlin * Am späten Nachmittag versammeln sich vor der Reichskanzlei Matrosen und Soldaten. Ein Feldwebel Spiro, der Vorsitzende des Soldatenrats des Ersatz-Bataillons des Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2, hält eine Ansprache, in der er darstellt, dass "Deutschland in dem unermesslichen Unglück einer vollen Katastrophe" steht, "die nur durch bewusste Zusammenfassung aller Kräfte und durch freiwillige Unterordnung jedes Einzelnen unter das gemeinsame Wohl überwunden werden kann".

Er fordert abschließend, dass die Nationalversammlung für den 20. Dezember einberufen wird. Danach ernennt er - "gestützt auf die bewaffnete Macht und im Bewusstsein für die ganze Nation zu sprechen" - Friedrich Ebert zum Präsidenten Deutschlands.

Ebert antwortet mit "ruhiger, fester, durchdringender Stimme: Kameraden und Genossen! Der Ruf, der an mich

Seite 104/176 ergangen ist, kann und will ich nicht annehmen, ohne vorher mit meinen Freunden in der Regierung gesprochen zu haben. Das ist eine hoch wichtige Angelegenheit, deren Entscheidung allein in den Händen des Rates der Volksbeauftragten liegt".

Feldwebel Spiro zieht daraufhin mit seinen Truppen geschlossen ab. Das Ziel der Soldaten ist, die Revolution faktisch zu beenden und die Kräfte links des Reichspräsidenten Friedrich Ebert zu entmachten.

6. Dezember 1918 München * Im Schwabingerbräu, Mathäserbräuund im Odeonwerden Versammlungen für Soldaten abgehalten. Die Versammlungsteilnehmer demonstrieren im Anschluss gegen die Münchner Presse.

Die Räume der Münchner Neuesten Nachrichten, des Bayerischen Kuriers, der München-Augsburger Abendzeitungund der Münchner Zeitungwerden besetzt. Die Besetzer erlassen umfangreiche Zensurvorschriften, die beim Eintreffen der Republikanischen Schutztruppeund vor allen auf Kurt Eisners Zureden zurückgenommen werden. Die Demonstranten ziehen daraufhin zu InnenministerErhard Auer, um ihn wegen

seiner Haltung in den Januarstreiksund seines Eintretens für eine demokratische, nicht-sozialistische Republik

mit Gewalt zum Rücktritt von seinem Ministerposten zu zwingen.

7. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * In der Ministerratssitzung sprechen sich der Justizminister Johannes Timm und der Kultusminister Johannes Hoffmann für die Verhaftung von Erich Mühsam und anderen aus.

Eisner entgegnet: "Es ist gar nichts Ernstes hinter der Sache gestanden. Auch Mühsam war nicht dafür [gemeint ist der Vorfall in Erhard Auers Wohnung], das Ganze war mehr faschingsartig."Die Regierung Eisner erlässt lediglich einen Verweis an die Krawallmacher.

7. Dezember 1918 München - Vatikan * Uditore [= die rechte Hand des Nuntius] Lorenzo Schioppa berichtet an den Kardinalstaatssekretär Pietro Gasparri:"Der Münchner Arbeiter- und Soldatenrat setzt sich aus dem Abschaum der Bevölkerung zusammen, aus vielen Nichtbayern aus der Marine, Juden, Einheimischen, die schon lange gegen Adel und Klerus aufbegehren, und kaum aus Bürgern und Soldaten, die wirklich an der Front waren".

7. Dezember 1918 München * Der MSPD-Innenminister Erhard Auer wird kurz nach Mitternacht von ungefähr 300 Demonstranten in seiner Wohnung "überfallen". Sie holen ihn aus dem Bett und erzwingen von ihm mit vorgehaltenem Gewehr seinen Rücktritt.Erhard Auer äußert sichdaraufhin: "Der Gewalt weichend erkläre ich [..], dass ich das Amt des Ministers des Inneren niederlege."

In der Zwischenzeit ist Ministerpräsident Kurt Eisner in Auers Wohnung geeilt. In seinem ehrlichen Bemühen, Gesetz und Ordnung des Freistaats aufrecht zu erhalten, weist er die Demonstranten auf das Falschsein ihrer

Seite 105/176 Gewalthandlungen hin und wird dafür begeistert gefeiert. Er entgegnet den Angreifern: Ihr Handeln sei "sicherlich gut gemeint und [?] sicherlich aus Liebe zu mir geschehen, aber es war nicht gut".

Eisner und Auer sind sich einig, dass das Rücktrittsgesuch öffentlich widerrufen werden soll. Ministerpräsident Kurt Eisner nimmt Auers Rücktritt nicht an und erklärt die "erpresste Erklärung" für nichtig. Gegen vier Uhr früh ist die Angelegenheit erledigt und die Ruhe in der Stadt wieder eingekehrt.

10. Dezember 1918 München * Auf der Sitzung der bayerischen Arbeiterräte erklärt Innenminister Erhard Auer, dass er über 600 Telegramme herausgegeben hat, in denen Beschlüsse von Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten aufgehoben worden sind.

Die Sitzung ist aufgrund von Protesten gegen die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte der Räte aus der Provinz einberufen worden. Man beschließt eine Kommission zur Überprüfung der Richtlinie.

10. Dezember 1918 Berlin * Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division und das Bundesbataillon ziehen durch das Brandenburger Tor in Berlin ein.

Sebastian Haffner schreibt später darüber: "Die Truppe hatte sofort nach Eberts Begrüßungsansprache begonnen, sich aufzulösen - spontan, disziplinwidrig, unaufhaltsam. [?] Der Krieg war zu Ende, alle waren froh, dass sie ihn lebend überstanden hatten, alle wollten nach Hause - und Weihnachten stand vor der Tür. Sie waren nicht mehr zu halten."

11. Dezember 1918 Berlin * Die Deutsche-Jäger-Division und die 1.-Garde-Division ziehen in Berlin ein.

12. Dezember 1918 Berlin * Einzug der 4.-Garde-Division in Berlin.

Um den 14. Dezember 1918 München - Vatikan * Uditore Lorenzo Schioppa informiert Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri, dass ihm zur Restauration des bayerischen Königtums die geeigneten Kandidaten fehlen:

Ex-König Ludwig III. war in eine annexonistische Kriegspolitik verstrickt, Ex-Kronprinz Rupprecht kommt wegen seiner amourösen Galanterien mit belgischen Frauen an der Front nicht mehr in Frage. Alleine der Ex-Prinz Franz käme noch in Betracht.

14. Dezember 1918 Berlin * Einzug des 2.-Garde-Regiments und des 4.-Garde-Regiments in Berlin. Mit den täglich sich

Seite 106/176 vermehrenden Soldaten in der Reichshauptstadt hofft die Oberste Heeresleitung - OHL dieMilitärpräsenz in Berlin zu steigern und doch noch ihre Putschpläne umsetzen zu können.

15. Dezember 1918 Berlin * Die 3.-Garde-Division zieht in Berlin ein. Weitere Divisionen werden in den kommenden Tagen folgen.

18. Dezember 1918 München * InnenministerErhard Auer erlaubt ausdrücklich die Zulassung von Milizenzur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.

20. Dezember 1918 München - Vatikan * Uditore Lorenzo Schioppa informiert den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri über Protesterklärung des bayerischen Episkopats gegen die vom bayerischen Ministerrat erlassene "Verordnung, betreffend Beaufsichtigung der Volksschule" vom 16. Dezember 1918.

24. Dezember 1918 München-Maxvorstadt * InnenministerErhard Auer verbringt den Heiligabendauf Einladung von Anton Graf Arco-Valley, dem späteren Eisner-Mörder, in der Türkenkaserne.

"Auer war in fröhlichster Laune und hielt eine schmetternde Lobrede auf das Leibregiment [?]. Die gräflichen Offiziere waren so gerührt, dass bei einem von ihnen eine Träne am Monokel haften blieb. Es fehlte nur noch die Königshymne."

24. Dezember 1918 München * Die Stadtkommandantur verbietet das Tragen der schwarz-weiß-roten Konkarde.

24. Dezember 1918 Berlin * Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division umstellt mit 900 Mann, sechs Geschützen und Maschinengewehren das Stadtschloss und den Marstall. Um 7:30 Uhr werden die Angehörigen der Volksmarinedivision aufgefordert, innerhalb von zehn Minuten

den Stadtkommandanten Otto Wels samt seinen Mitgefangenen auszuliefern, die Waffen niederzulegen und die Gebäude zu verlassen.

Um 7:40 Uhr werden das Stadtschloss und der Marstall von den Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division beschossen.

Weitere zehn Minuten später wird das Schloss gestürmt und gegen 8:10 Uhr haben die Angreifer das Stadtschloss erobert. Beim Marstall dauert es etwas länger.

Seite 107/176 24. Dezember 1918 Berlin * Um 9:10 Uhr kapitulieren die Verteidiger des Stadtschlosses und des Marstalls. Sie zeigen die weißen Fahnen. Stadtkommandant Otto Wels wird sofort freigelassen.

Zur Entwaffnung kommt es nicht mehr, da die Matrosen der Volksmarinedivision während dieser Feuerpause Unterstützung durch die dem Polizeipräsidenten Emil Eichhorn von der USPD unterstellte Republikanische Sicherheitswehr erhalten.

Das Gerücht eines gegenrevolutionären Putsches macht die Runde. In kürzester Zeit ziehen tausende Arbeiter, Frauen und Kinder zum Stadtschloss. Die Lage dreht sich. Jetzt sind plötzlich die Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division die Bedrohten. Gefangene Matrosen werden befreit, die Garde-Soldaten von der Bevölkerung eingeschlossen und abgedrängt.

Reichskanzler Friedrich Ebert gibt den Befehl zur sofortigen Einstellung der Kämpfe. Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division muss abziehen und in der Universität Schutz suchen. Begleitet werden sie von der ihnen wenig freundlich gesinnten Bevölkerung. Die Demonstration ist inzwischen auf 100.000 Menschen angewachsen.

Die Oberste Heeresleitung - OHL und Generalquartiermeister Wilhelm Groener haben eine fürchterliche Niederlage erlitten und sind grandios gescheitert.

24. Dezember 1918 Berlin * Eine Besprechung wird in der Universität anberaumt, die die Bevollmächtigten der Regierung unter der Leitung des USPD-Vorsitzenden Georg Ledebour geführt wird. Es wird beschlossen:

Die Truppen des Generalkommandos ziehen mit allen militärischen Ehren aus der Stadt. Die Matrosen bleiben bewaffnet. Die Volksmarinedivision räumt das Stadtschloss und den Marstall. Sie wird - wie bereits vorgesehen - von 1.500 auf 600 Mann reduziert. Die entlassenen Matrosen werden in die Republikanische Soldatenwehr integriert.

27. Dezember 1918 München * In einem Aufruf fordern Innenminister Erhard Auer [MSPD] und Justizminister Johannes Timm [MSPD] zusammen mit dem Landtags-Bibliothekar Rudolf Buttmann und dem Verleger Julius Lehmann sowie weiteren 21 namhaften, rechtsstehenden Bürgerlichen die Schaffung einer "freiwilligen Bürgerwehr" als Organ der "ordnungsliebenden Kreise".

27. Dezember 1918 Stuttgart * In Stuttgart beginnt eine gemeinsame Sitzung der süddeutschen Staaten. An dem Stuttgarter Ländertreffen nehmen teil:

Kurt Eisner, der Ministerpräsident von Bayern,

Seite 108/176 Anton Geiß, der Ministerpräsident von Baden, Wilhelm Blos, der Ministerpräsident von Württemberg und Carl Ulrich, der Ministerpräsident von Hessen.

Die Initiative zu diesem Treffen ging vom badischen Ministerpräsidenten Anton Geiß aus, der als Ziel der Konferenz die Abstimmung über das weitere Vorgehen auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung sieht. Kurt Eisner lässt die aktuellen Verfassungsfragen und den künftigen Friedensschluss in die Tagesordnung aufnehmen, um auch hier eine gemeinsame Strategie und gemeinsame süddeutsche Interessen zu entwickeln.

Der bayerische Ministerpräsident legt dazu ein Papier zur Beschlussfassung vor: "Die [?] Vertreter der revolutionären Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen erklären es für ihre Überzeugung, dass die künftige Gestaltung der Einheit des Deutschen Reichs durch Vertrag der Einzelstaaten zustande kommen muss. Um diese Neubildung zu erleichtern und zu fördern, beschließen die Vertreter der genannten süddeutschen Staaten, zunächst sich zur Wahrung ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu verbinden."

Eisner schwebt ein Süddeutscher Bundunter Aufnahme von Deutsch-Österreich vor, der das Übergewicht Norddeutschlands aufheben würde, möglicherweise sogar die Führung bei der Neubildung des Deutschen Reiches beanspruchen könnte. Aus seiner Sicht ist das Deutsche Reich durch die Revolution untergegangen und muss daher völlig neu gegründet werden. Dazu muss ein neuer Staatsvertrag geschlossen werden.

Bayerns Ministerpräsident will den preußischen Zentralismus vom Süden her - gegen Preußen und Berlin - reformieren. Er will einen Separatfrieden schließen zwischen dem Süddeutschen Bund - unter Einschluss Deutsch-Österreichs - und den Entente-Mächten, dem dann alle deutschen Einzelstaaten beitreten könnten.

Der Vorschlag Eisner, insbesondere die Infragestellung des Reichs, wird allgemein abgelehnt. Zu unterschiedlich sind die Interessen und Standpunkte. Das bayerische Positionspapier kommt nicht einmal zur Abstimmung.

Kurt Eisner, der den kompromisslosen Neuanfang wollte, ist damit gescheitert. Nicht einmal seine Begleiter, Innenminister Erhard Auer und Ministerialrat Josef von Graßmann, haben ihn unterstützt.

28. Dezember 1918 Stuttgart * Die noch anwesenden Ministerpräsidenten Anton Geiß aus Baden, Wilhelm Blos aus Württemberg und Carl Ulrich aus Hessen verhandeln mit den bayerischen Innenminister Erhard Auer weiter. Die Konferenz beschließt,

dass das Deutsche Reich in seiner gegenwärtigen Form erhalten bleibt, dass separatistische Bestrebungen ausdrücklich abgelehnt werden, dass das Deutsche Reich auf föderalistischer Grundlage aufgebaut, dass eine aktionsfähige Regierung und Nationalversammlung gewählt und dass ein schneller Frieden angestrebt wird.

Seite 109/176 Zur Umsetzung der Ziele beschließt man

die Bildung einer Süddeutschen Kommission, eine Blockbildung bei zukünftigen Ministerpräsidenten-Konferenzen und den gemeinsamen Einkauf von Lebensmitteln im Ausland.

Über den weiteren Umgang mit und über die künftige Rolle der Hegemonialmacht Preußen werden keine Positionen entwickelt. Man ist nur einig, dass Preußen in seiner bisherigen Form nicht weiter bestehen kann. Forderungen nach Zerschlagung Preußens werden nicht gestellt.

Die beschlossene Süddeutsche Konferenz wird nie zusammen treten.

29. Dezember 1918 München * Der Landessoldatenratlehnt die Bildung einer Bürgerwehrab. Kurt Eisners Sekretär, Felix Fechenbach, kündigt als Gegenmaßnahme die Gründung einer Roten Gardean.

30. Dezember 1918 München-Kreuzviertel * MinisterpräsidentKurt Eisner lehnt im Provisorischen Nationalratdie Bildung einer Bürgerwehrab. Er drückt sein Bedauern darüber aus, dass InnenministerErhard Auer [MSPD] und JustizministerJohannes Timm [MSPD] als Regierungsmitglieder "unter irrigen Voraussetzungen" einen Aufruf zur Gründung einer solchen Einrichtung unterzeichnet haben.

NachdemInnenministerErhard Auer von Ernst Toller mit Vorwürfen zur Gründung einerBürgerwehrkonfrontiert wird, erklärt dieser, dass er weder über die Ziele noch über die Truppenstärke informiert war und nur die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl sicherstellen wollte. Unter den gegebenen Umständen ziehen er und Minister Johannes Timm ihre Unterschriften unter dem Aufruf zurück.

Auer bietet seinen Rücktritt vom Ministeramt an. Das lehntMinisterpräsidentKurt Eisner ab. Einen Erhard Auer außerhalb der Regierung erscheint ihm noch gefährlicher als ein Minister Auer.

30. Dezember 1918 München-Isarvorstadt * In den Kolosseums-Bierhallen haben sich einige Hundert Internationale Kommunisten versammelt. Sie diskutieren das Für und Wider

einer Bewaffnung des revolutionären Proletariats, einer Sabotierung der Nationalversammlungswahlen, einer Lynchjustiz am Erzbischof von München und Freising, Michael von Faulhaber, einer Aburteilung von Erhard Auer und Johannes Timm durch einen Staatsgerichtshof und den Kampf mit den Waffen der Gewalt, nicht mit geistigen Waffen.

Es sind Diskussionen ohne geistige Schranken, keine Beschlüsse!

Seite 110/176 30. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Alten Hackerkellertreffen sich Matrosenzu einer Versammlung. Der Präsident des Soldatenrats, Fritz Schröder, bezeichnet die derzeitige Lage als "einen Kampf auf Leben und Tod" zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Der ObermatroseConrad Lotter warnt vor "kopflosen Handlungen" und verteidigt InnenministerErhard Auer und JustizministerJohannes Timm für Ihr Eintreten bei der Bildung einer Bürgerwehr. Heftiger Widerspruch ist die Folge.

1919 München-Maxvorstadt * Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9 ist der IngenieurArtur Klenner.

10. Januar 1919 München * Nahezu alle Anführer der Kommunisten und Spartakistenwerden verhaftet, darunter Erich Mühsam, Josef Sontheimer, Eugen Leviné, Max Levien, Hildegard Elisabeth Cramer und weitere.

10. Januar 1919 München-Kreuzviertel * Gegen 15 Uhr beginnen die entsetzten Versammelten einen Demonstrationszug zumMontgelas-Palais, in demMinisterpräsidentKurt Eisner residiert, und fordert dieFreilassung der Verhafteten. Eisner erklärt sich zum Empfang einer Abordnung am nächsten Tag bereit, wenn sie ruhig und ohne Massendemonstration käme. Die Demonstranten werden immer erregter.

Oskar Maria Graf berichtet:"Hin und her drängte sich alles. Hinter dem verschlossenen Tor, hieß es, stünden schussbereite Maschinengewehrschützen. Man ratschlagte einige Minuten. Auf einmal kletterte ein Matrose auf dem Kandelaber zum Balkon empor, schwang sich drüber und verschwand unter lautem Jubel in der Tür. Kurz darauf erschien er mit Eisner, der fürchterregt auf uns herunter schrie: ?So holt sie euch, in Gottes Namen! Sie sind enthaftet!?" Daraufhin ziehen sich dieDemonstrantenzurück.

10. Januar 1919 München-Ludwigsvorstadt *Gegen 13 Uhr versammeln sich über tausend Demonstranten auf derTheresienwiese.DurchdieRedner erfahren sie von den Verhaftungen vom Vormittag.

10. Januar 1919 Spandau * Die Brigade Reinhard unter Leitung des Kommandanten von Berlin, Oberst Wilhelm Reinhard, überfällt das spartakistische Hauptquartier in Spandau.

13. Januar 1919 Berlin * Die um Berlin stationierten rücken in die Stadt ein, insgesamt etwa 3.000 Mann. Die größte Einheit ist die Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Die Berliner Zeitungen begrüßen den Einzug als Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Der militärischen Besetzung folgen erhebliche Gewaltexzesse der rechtsgerichteten Truppen.

Seite 111/176 14. Januar 1919 München * Aufgrund der Amnestievom 12. November 1918 stellt das Reichsgerichtdie Strafverfahrengegen die am JanuarstreikBeteiligten ein. Amnestiert werden:

der SchriftstellerKurt Eisner [derzeit Bayerischer Ministerpräsident], der SchlosserHans Unterleitner [derzeit bayerischer Sozialminister], der SchreinermeisterAlbert Winter, die BuchhalterinEmilie Landauer und die Buchhalterin Betty Landauer, der MechanikerLorenz Winkler, der EisendreherFranz Xaver Mettler, der StudentErnst Toller, der HandlungsgehilfeRichard Kämpfer, der SchriftsetzerTheobald Michler, der WerkzeugmacherGeorg Lang, der GeschäftsführerFritz Schröder und der SoldatCarl Kröpelin. Die am 1. Februar 1918 als Rednerinverhaftete und in die Strafvollzugsanstalt Stadelheimgebrachte PrivatdozentsgattinSara Sonja Lerch hat sich dort am 30. März 1918 erhängt.

15. Januar 1919 Berlin * Die beiden Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden verhaftet und ins Hotel Eden gebracht, in dem die Garde-Kavallerie-Schützen-Division ihr Stabsquartier aufgeschlagen hat.

Karl Liebknecht wird - nach schweren Misshandlungen - am Abend in den Tiergarten gefahren und von hinten erschossen. Rosa Luxemburg wird niedergeschlagen, in ein Auto gezerrt und während der Fahrt durch einen aufgesetzten Schläfenschuss getötet. Ihren Leichnam werfen die Mörder in den Landwehrkanal.

Der Hauptverantwortliche für die Ermordungen, Waldemar Papst, beruft sich später auf einen angeblichen"Schießbefehl"des SPD-Innenministers Gustav Noske.

16. Januar 1919 München * Der bayerische SPD-Vorsitzende Erhard Auer führt auf einer politischen Versammlung seiner Partei aus: "Eine Klasse kann herrschen, aber nicht regieren; regieren kann nur eine Organisation."Er meinte dabei wohl seine Partei.

12. Februar 1919 Weimar * Reichspräsident Friedrich Ebert setzt das neue Reichsministerium ein. Die Reichsregierung wird auch als Weimarer Koalition bezeichnet. Sie besteht aus SPD, Zentrum und Deutsche Demokratische Partei - DDP. Das Kabinett Scheidemann setzt sich zusammen aus:

Seite 112/176 Philipp Scheidemann, Reichsministerpräsident, SPD; Otto Landsberg, Justizminister, SPD; Gustav Noske, Reichswehrminister, SPD; Rudolf Wissell, Wirtschaftsminister, SPD; Robert Schmidt, Reichsernährungsminister, SPD; Gustav Bauer, Reichsarbeitsminister, SPD; Eduard David, Minister ohne Geschäftsbereich, SPD; Eugen Schiffer, stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister, DDP; Hugo Preuß, Innenminister, DDP; Georg Gothein, Reichsschatzminister und Minister ohne Geschäftsbereich, DDP; Johannes Bell, Verkehrsminister und Reichsminister für Kolonien, Zentrum; Johannes Giesberts, Reichspostminister, Zentrum; Matthias Erzberger, Minister ohne Geschäftsbereich, Zentrum; Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, Auswärtiges Amt, Parteilos.

Die Aufgabe des Rates der Volksbeauftragten ist damit erfüllt.?

13. Februar 1919 München-Ludwigsvorstadt * Ein Teil der Teilnehmer des Kongresses der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrätesehen in dem Aufruf des Ministers für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter, die wehrfähigen Männer zum Eintritt in den "Volksheimatschutz" zu bewegen, die Absicht, eine "Weiße Garde" zu gründen.

Sie fordern den Rücktritt des SPD-Staatsministers.

19. Februar 1919 München * Gegen 16 Uhr beginnt in München der sogenannte Lotter-Putsch, an dem sich rund 600 bewaffnete, überwiegend bayerische Soldaten beteiligen, die am 15. Februar aus Wilhelmshaven kommend hier eingetroffen sind. Die Putschistenunter Führung des ObermatrosenConrad Lotter schlagen gleichzeitig an drei Stellen zu:

Sie besetzen das Telegraphenamtam Hauptbahnhof, verhaften zur gleichen Zeit den StadtkommandantenOskar Dürr und den PolizeipräsidentenJosef Staimer in ihren Dienststellen und wollen in das vom Rätekongressbesetzte Landtagsgebäude in der Prannerstraße eindringen. Außerdem wollen sie Kurt Eisner festnehmen und in die Tschechoslowakei abschieben.

Während die putschenden Matrosen die beiden ersten Aktionen erfolgreich durchführen können, werden sie im Landtag von der Landtagswachemit Maschinengewehrfeuer vertrieben.Die Festnahme von Kurt Eisner verhindert der LandessoldatenratRichard Scheid. Die Münchner Bevölkerung hält die Putschistenfälschlich für preußische Spartakisten. Es kommt am Bahnhofsplatz zu einer kurzen Schießerei, bei dem der Straßenbahnfahrer Franz Stangl durch einen Kopfschuss ums Leben kommt.

Seite 113/176 Gegen 17:30 Uhr ziehen sich die putschenden Matrosen zurück.Conrad Lotter wird verhaftet.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Als sich der Landtaggegen 11 Uhr wieder versammelt, ergreift Erhard Auer das Wort zu einer Gedenkrede:

"Damen und Herren! Der provisorische Ministerpräsident Kurt Eisner hat soeben durch Mörderhand den Tod gefunden. [...]Die Tat wurde von ruchloser Hand in feiger Weise verübt [...].Diese Handlung muss bei jedem anständigen Menschen tiefsten Abscheu hervorrufen. [...] Wir beklagen in dem Ermordeten den Führer der Revolution in Bayern und zugleich den vom reinsten Idealismus und von treuer Sorge für das Proletariat erfüllten Menschen.

Auf diesem Weg kann und darf nicht fortgefahren werden, wenn nicht vollkommene Anarchie eintreten soll.Angesichts dieser wahnsinnigen Mordtat, gegen deren Urheber mit rücksichtsloser Strenge vorgegangen wird, gilt es nunmehr, die Besonnenheit zu wahren und alle Kräfte zusammenzufassen, um die ungeheuere Aufgabe der nächsten Zeit so zu lösen, wie es das Interesse des gesamten bayerischen Volkes erfordert."

Auer hatte seine Rede gerade beendet, da stürzt ein schnauzbärtiger junger Mann, bekleidet mit einem grauen Mantel und Hut, durch einen Seiteneingang in den Sitzungssaal, läuft direkt auf Auer zu, tituliert ihn mit"Du Lump!", zieht eine Pistole aus seinem Mantel und drückt zweimal ab. Erhard Auer sinkt - in die Brust getroffen - zu Boden.

Der konservative Abgeordnete Major Paul Ritter von Jahreißstellt sich dem fliehenden Attentäter in den Weg und wird durch einen Schuss in den Hals tödlich getroffen.

Der Täter ist der im Jahr 1887 in Kelheim geborene Metzger Alois Lindner.Er ist Mitglied in derUSPDund imRevolutionären Arbeiterrat.Lindner ist von Auers Schuld an Eisners Ermordung überzeugt.

Inzwischen betreten weitere Mitglieder desRevolutionären Arbeiterratsden Saal.Auch sie glauben an Auers Schuld und fordern"Rache für Eisner!". Es kommt zu einer wilden Schießerei, bei der einer der Mitbegründer derBayerischen Volkspartei - BVP, Heinrich Osel, ums Leben kommt. In der allgemeinen Panik fliehen die übrigen Anwesenden.

Auch Lindner gelingt die Flucht.Unterstützt durch Freunde geht er nach Ungarn.

21. Februar 1919 München * Die Nachricht von Eisners Ermordung verbreitet sich in Windeseile. Von überall her strömen die Massen an den Tatort. Aus dem stark angefeindetenUSPD-Politikerist ein"Märtyrer der Revolution"geworden, dem alle noch einmal huldigen wollen.

Die Schriftstellerin Richarda Huch erinnert sich an die Schüsse:"Jedermann verdammte und beklagte nun die verhängnisvolle Kugel des jungen Arco.Es war gerade, als ob sie nur gefallen, um der stockenden Revolution einen neuen Auftrieb zu geben."

Dabei wäre mit dem Rücktritt Kurt Eisners und derKonstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtagsvermutlich die Revolution in Bayern beendet gewesen.

Seite 114/176 Eine gesetzmäßig gewählte Regierung - angeführt von denMehrheitssozialistenund Demokraten - hätte ihr Amt übernommen. Da sich die neue Regierung rechtlich und politisch in einer starken Position befand, wäre sie nur unter ganz außergewöhnlich schwierigen Umständen zu stürzen gewesen. Doch mit der verbrecherischen Tat und der politischen Dummheit des Grafen Anton von Arco auf Valley wird dieZweite Revolutioneingeleitet.

25. Februar 1919 München * Bereits am ersten Tag fordert Max Levien als Delegierter des Revolutionären Arbeiterrats

die sofortige Ausrufung der Räterepublik, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur UdSSR, die Versendung wahrheitsgetreuer Flugblätter in fremden Sprachen, die Entfernung der Republikanischen Schutztruppe, die Bildung einer Roten Armeesowie die Annullierung der Staatsschulden und Kriegsanleihen.

Unterstützt wird Levien von dem MatrosenRudolf Egelhofer, der von der "permanenten Proletarierversammlung" im Wagnersaalabgesandt wurde, an der mehr als 5.000 Menschen teilnehmen.

Auch der AnarchistErich Mühsam schließt sich dieser Forderung an. Er ist der Überzeugung, dass der Ausgang des Kongresses der bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrätevon entscheidender Bedeutung für den künftigen Verlauf der Weltrevolutionist.

In den weiteren Beratungen kristallisieren sich die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien heraus.

Die SPD-Delegiertensprechen sich gegen eine Räterepublikaus, setzen sich aber - anders als die Genossen um Erhard Auer - für die Verankerung der Rätein der Verfassung ein. Die KPDfordert dagegen die Regierung der Volksbeauftragtenund eine Räterepublik.

26. Februar 1919 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber schreibt zu Kurt Eisners Beerdigung in sein Tagebuch:"Wenn die Monarchie abgeschafft, warum wird Eisner doch wieder wie ein König begraben, während Osel und die anderen einfach zugeschaufelt werden, ist das Demokratie?"

Zu Gustav Landauers Satz seiner Trauerrede an Kurt Eisners Grab: "Er war einer wie Jesus und Hus, [?] die von der Dummheit und dem Eigennutz hingerichtet wurden", schreibt Faulhaber in sein Tagebuch, Eisner "war ein Teil von jener Kraft, die Jesus gekreuzigt hat, nicht aber von Jesus selber".

28. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Noch vor der Abstimmung werden die Delegierten Max Levien, Erich Mühsam, Gustav

Seite 115/176 Landauer, Franz Michael Cronauer und Wilhelm Reichart von der SPD-nahen und vonInnenministerErhard Auer errichtetenRepublikanischen Schutztruppeaus dem Sitzungssaal heraus verhaftet.

Ernst Niekisch versucht verzweifelt Herr der Lage zu bleiben und erreicht, dass die Verhafteten wenige Minuten später wieder freigelassen werden.Die Verantwortung für die unübersichtliche Situation übernimmt schließlich derStadtkommandantOskar Dürr und derPolizeipräsidentJosef Staimer.

1. März 1919 München-Kreuzviertel * Nachdem am Tag zuvor beschlossen worden ist, dass dieEinberufung des Landtagsauf unbestimmte Zeit verschoben wird, bestimmt derRätekongressam Nachmittag des 1. März die neuenMinister.

Der gemäßigte [!]MehrheitssozialdemokratMartin Segitz wirdMinisterpräsidentund leitet zudem noch dasAußen- und Innenministerium, Ernst Niekisch [SPD] ist zuständig fürUnterricht und Kultus, Fritz Endres [SPD] fürJustiz, Richard Scheid [SPD] fürmilitärische Angelegenheiten, Joseph Simon [USPD] fürHandel, Gewerbe und Industrie, Edgar Jaffé [USPD] fürFinanzen, Hans Unterleitner [USPD] fürsoziale Angelegenheitenund Theodor Dirr [BBB] fürLand- und Forstwirtschaft. Der parteilose Heinrich von Frauendorfer übernimmt dasVerkehrsministerium.

Nun müssen nur noch die betroffenen politischen Parteien ihren Mitgliedern die Annahme desMinisteramtesgestatten.

4. März 1919 Weimar - Berlin * Reichswehrminister Gustav Noske erteilt General Walther von Lüttwitz den Befehl, Berlin zu besetzen und "rücksichtslos" die Ordnung wiederherzustellen. Die Truppe besteht aus über 30.000 Mann, zu denen auch die Garde-Kavallerie-Schützen-Division gehört.

6. März 1919 München * Josef Hofmiller beschreibt die Ernährungskrise in München: "Ich war mit meiner Frau in der Stadt und führte sie durch den Laden von Dallmayr, um ihr etwas zu zeigen, was sie noch nie gesehen hatte: Dallmayr am Aschermittwoch ohne eine Spur von irgendeinem Fisch!

Man muss ihn im Frieden gesehen haben, um zu wissen, was das bedeutet. An Süßwasser- und Seefischen alles, was die Jahreszeit bot. [?] Gestern: nichts, gar nichts, kein Schwanz von einem Fisch, nicht einmal ein Hering, nicht einmal eine Sardelle; bloß Stockfisch stank in einer Ecke, etwas, wozu sich Dallmayr im Frieden nie erniedrigt hätte.

Was gab es da? Oh, sehr nette Sachen: grüne Erbsen in Sulz, Erbsen mit Bohnen in Sulz, Sellerie in Sulz, rote Rüben in Sulz, gemischte Gemüse in Sulz. Dabei waren die Dinger klein und nicht einmal billig: 75 bis 90 Pfennig die Portion. Dazu Gemüsesalate, aber kein Tropfen Öl daran! Es ist ein Jammer! An Käsen nichts, gar nichts. Eine Dame neben uns bekam ein Ei (mit Ziffern 1 Ei)."

Seite 116/176 12. März 1919 Berlin-Lichtenberg * Die Berichte über den "Lichtenberger Gefangenenmord" stellen sich als Falschmeldungen dar. Es gab kein Massaker. Die Männer, die angeblich von den Spartakisten brutal ermorden sein sollen, leben noch alle.

Später stellt sich heraus, dass für die Lügenpropaganda Waldemar Pabst, der Erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, zuständig war. Er hatte auch am 15. Januar 1919 die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht befohlen.

16. März 1919 Weimar - Berlin * Obwohl sich herausgestellt hat, dass es sich bei der Nachricht um den "Lichtenberger Gefangenenmord" um eine Falschmeldung handelt, wird der "Noske-Schießbefehl" vom 9. März erst am 16. März wieder zurückgenommen.

Insgesamt haben nach vorsichtigen Schätzungen 1.200 Menschen in den Berliner Kämpfen ihr Leben verloren, darunter 75 Angehörige der Regierungstruppen.

Später wird als Urheber der Falschmeldung der Erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, Waldemar Pabst, entlarvt. Der Befehlsgeber zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hat die Meldung gezielt durch seine Propagandaabteilung verbreiten lassen.

7. April 1919 München-Bogenhausen * Thomas Mann vertraut seinem Tagebuch folgendes an:

"Die erste Seite der Nachrichten mit der Proklamation der Räte-Republik bedeckt. Heute Generalstreik und ?Nationalfeiertag?. Anschluss an Ungarn und Russland, Bruch mit Berlin. Rote Garde. Sozialisierung der Presse. Expropriierungspläne [= Sozialisierungspläne].

Der Ton ist scharf, und doch ist klar, dass es sich um ein vorbeugendes Werk der Mehrheitssozialisten handelt, wie schon bei der ersten Revolution, allerdings so weit gehend, dass die Kommunisten mittun können. Doch rechne ich mit einer vierten, ganz radikalen Umwälzung, bevor der Rückschlag kommt.

Es ist anzunehmen, dass das Reich folgen wird, und wenn der radikale Sozialismus in Deutschland haltbare Formen annimmt, wird auch den Proletariern der Entente-Länder, die dann von kapitalistischer Ausbeutung Deutschlands nichts mehr zu hoffen haben, nichts anderes mehr übrig bleiben. Man muss anerkennen, dass der Kapitalismus gerichtet ist".

10. April 1919 München * Am Abend wird in derChirurgischen Klinikein Anschlag auf Erhard Auer verhindert. Die bewaffneten Eindringlinge können überwältigt und verhaftet werden.

13. April 1919 München * Um 9 Uhr treffen sich Vertreter der gemäßigten Parteien beim Kommandanten der Republikanischen Schutztruppe, Alfred Seyfferitz, zu einer Lagebesprechung. Sie wenden sich gegen dessen Forderung nach

Seite 117/176 Standrecht und Militärdiktatur.

Am Vormittag des Palmsonntags scheint der Handstreich geglückt. Doch während in der ganzen Stadt die Absetzung des Revolutionären Zentralrats und die Rückkehr der Regierung plakatiert wird, rufen die Anhänger der Räterepublik zum Widerstand auf. Erste Schüsse fallen.

15. April 1919 München - Allach - Karlsfeld * Mit Lastwagen werden die eingetroffenen Rotgardisten an die Front bei Allach gebracht. Südlich der Straße Allach - Ludwigsfeld stoßen die Roten auf den Feind. Ihnen gelingt es, die von der Gegenwehr völlig überraschten Regierungstruppen nach Karlsfeld zurückzudrängen.

Da die Angreifer - trotz ihrer guten Ausrüstung - weder über den notwendigen Kampfesmut verfügen, noch auf ihre bayerischen Kameraden schießen wollen, laufen viele Weiße zum Feind über oder fliehen zurück nach Dachau. Damit hat die Rote Armee ihren ersten Sieg errungen.

15. April 1919 Dachau * 500 Weißgardisten - von Pfaffenhofen kommend - besetzen Dachau, um den Ring um München zu schließen. In der Stadt werden sie von Arbeiterinnen der Pulver- und Munitionsfabrik beschimpft und teilweise entwaffnet.

17. April 1919 Weimar * Bernhard Dernburg, DDP, übernimmt im Kabinett Scheidemann von Eugen Schiffer, DDP, die Funktionen des stellvertretenden Reichsministerpräsidenten [= stellvertretender Reichskanzler] und des Finanzministers.

20. April 1919 München * Eugen Leviné erkennt, dass es für die bedrängte Räterepublik keine Unterstützung von außen geben wird. Doch wenn die Revolution untergehen soll, dann - so seine Auffassung - mit erhobenem Haupt:

"Es ist ein Irrtum zu glauben, dass kleinmütige Unterwerfung ein besserer Weg sei, um Blutvergießen zu vermeiden oder zu verhindern. Im Gegenteil: Nur wenn die Weißen Garden eine kühn entschlossene Armee vor sich haben und merken, dass der Kampf auch in ihren Reihen Opfer fordern wird, werden sie bereit sein, Konzessionen zu machen. [?]

Die Weiße Armee wird auf jeden Fall einen Vorwand für ein Blutbad finden. [?] Ist Arbeiterblut so billig, dass man es zur Genugtuung von neugebackenen Pazifisten wehrlos vergießen darf?".

Leviné argumentiert damit gegen Ernst Toller und Gustav Klingelhöfer, die mit der Regierung Hoffmann verhandeln wollen.

Doch auch der KPD-Parteiführer in Berlin, Paul Levi, befürwortet eine bedingungslose Kapitulation, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden.

22. April 1919

Seite 118/176 München * Ernst Toller warnt - trotz der erzielten Siege gegen die Weißen Truppen bei Dachau - vor einer Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen. Er will lieber mit Vertretern der in Bamberg tagenden Regierung Hoffmann verhandeln.

26. April 1919 München-Haidhausen * Ein weiterer Tagebucheintrag von Josef Hofmiller, dem Herausgeber der reaktionären Süddeutschen Monatshefte, beschreibt die unsichere Situation der Bevölkerung:

"Es wird allmählich das reinste Geduldsspiel: kommt sie, kommt sie nicht, nämlich die weiße Garde? Wir wissen gar nichts. Am meisten beunruhigt, dass immer wieder beruhigende Flugblätter abgeworfen werden".

28. April 1919 München * In der KPD-Zeitung Münchener Rote Fahne äußert sich der Chef der Roten Armee, Rudolf Egelhofer, so:"Die Rote Armee wurde gegründet nicht als Instrument der Politik, sondern als Organ der Verteidigung der Diktatur des Proletariats und der Räterepublik gegen die Konterrevolution der weißen Garden.

Entsprechend dieser Aufgabe erklärt das Oberkommando, dass es das revolutionäre Proletariat, koste es was es wolle, gegen die weiße Garde verteidigen wird und sich von keiner Seite, auch nicht von den Betriebsräten, zu einem Verrat an der sozialen Revolution wird zwingen lassen".

28. April 1919 München-Graggenau * Noch vor der Wahl wird das Hofbräuhaus von Einheiten der Roten Armee umstellt. Diese fordern

die sofortige Beseitigung der Polizei und die Ausstattung des Oberkommandos der Roten Armee mit allen Vollmachten, "um den erfolgreichen Kampf gegen die Weiße Garde und besonders gegen die innere Reaktion führen zu können".

Aus der Diktatur der Betriebsräte ist eine Diktatur der Roten Armee geworden. Unter ihrem Oberkommandierenden Rudolf Egelhofer ist die Wahl des neuen Aktionsausschusses mehr oder weniger gegenstandslos geworden.

29. April 1919 München-Giesing * Die Giesinger "Rote Garde. Abteilung: Bergbräu" umfasst exakt 232 Mann.

29. April 1919 München - Schleißheim - Starnberg* Rudolf Egelhofer, derOberkommandierende der Roten Armee,ruft den sofortigenGeneralstreikaus. Denn:

in Schleißheim stehen schon die"Söldner des Kapitalismus", in Starnberg haben die"weißgardistischen Hunde die Sanitätsmannschaften niedergemetzelt", deshalb

Seite 119/176 "Alle Mann zu den Waffen! Zeigt der weißen Garde, wie die Rote Armee zu siegen versteht!"

29. April 1919 Schleißheim * Im Jahr 1927 kommt das in insgesamt zehn Auflagen erschienene Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" auf den Markt. Darin beschreibt Manfred von Killinger seine stark antisemitisch geprägten Erinnerungen als Freikorpsführer der Marine-Brigade-Ehrhardt in der Zeit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Das Buch beginnt so:

"Von Saalfeld kommend, luden wir in Schleißheim aus. Das Vierte Regiment hatte bereits gesichert. Wir bekamen Befehle. München war umstellt. Diesmal würde es zu harten Kämpfen kommen. In München hatte die rote Brut das Heft fest in der Hand. Lewin [!] Leviné-Nissen, Mühsam usw., was waren das für Namen. Waren das Bayern? Jüdisches, internationales Gesindel, die Intellektuellen aus Schwabing.

Es musste ja so kommen. Dem Münchener Spießer geschah es schon recht. Jahrelang hatte er das Treiben in Schwabing mit angesehen, das Treiben, das im Simplicissimus seinen Niederschlag gefunden hatte. Jahrelang hatte er behäbig lachend mit angesehen, wie Kirche und Thron von diesen Kreisen in den Dreck gezogen wurden, und das als guten Witz aufgefasst. Jetzt zeigte ihm die Bestie das wahre Gesicht".

30. April 1919 München * Handzettel mit folgendem Inhalt werden verteilt: "Die Weiße Garde steht vor den Toren Münchens! Nieder mit den Hunden der Weißen Garde!"

30. April 1919 Dachau * Nach heftigen Gefechten bei Dachau gelingt den Regierungstruppen unter Generalleutnant Friedrich von Friedeburg - trotz heftiger Gegenwehr der Roten Armee- der Durchbruch. Damit kann der Belagerungsring um München durch Regierungssoldaten und Freikorps geschlossen werden.

Dass Dachau aufgegeben wird, ist für die Kommunisten ein verhängnisvoller Fehler. "Nachdem auch die Nordfront dem Feinde freiwillig geöffnet war, brach auch der Kampfwille der Arbeiter zusammen. Jetzt war der Demoralisation, der Feigheit, dem Verrat, der Panik weit das Tor geöffnet.

Die Massendesertation der Arbeiter setzte ein. Gewehre wurden zerbrochen, in die Isar geworfen, [?] der Zusammenbruch war da. [?] Die weißen Garden konnten ungehindert nach München einmarschieren".

30. April 1919 München-Haidhausen * Auch Anton Graf Arco auf Valley erhält völlig unerwartete Hilfe in der Person von Frau Dr. Hildegard Menzi. Diese ist zu diesem Zeitpunkt Mitglied der KPD und die engste Freundin von Rudolf Egelhofer, dem Oberkommandierenden der Roten Armee.

Sie sucht Arco in der Kirchenschule auf, um ihn zu versorgen und vereinbart mit Dr. Rudolf Schollenbruch, einem Arzt mit der roten Armbinde, dass Arco und die anderen Geiseln in ein sicheres Versteck gebracht werden.

Arco trifft am Abend wieder in der Chirurgischen Klinik ein.

Seite 120/176 30. April 1919 Pasing - Lochham * Am Pasinger Bahnhof werden 53 ehemalige russische Kriegsgefangene von Regierungstruppen festgenommen.

Die Kriegsgefangenen wurden auf Veranlassung des Revolutionären Zentralrats am 11. April aus der Haft entlassen. Sie konnten sich frei bewegen und durften den Freistaat Bayern verlassen. Aufgrund der Unruhen in ihren Heimatländern war ihnen aber die Rückreise nicht möglich. Deshalb schlossen sie sich, wie viele andere Kriegsgefangene auch, freiwillig den Roten Garden in München an.

Nach Kämpfen in Fürstenfeldbruck sind sie - unbewaffnet und aus der Roten Armee entlassen - nach München zurückgekehrt, wo in Pasing die Festnahme erfolgte. Sie werden nach Lochham gebracht.

1. Mai 1919 München-Bogenhausen * Am heutigen Europaplatz beim Friedensengel werden zwei 15-Zentimeter-Geschütze aufgebaut, direkt am Denkmal Maschinengewehre in Richtung Prinzregentenstraße aufgestellt. Ihr Ziel sind Stellungen der Roten Armee an der Theresienwiese.

Die Rotgardisten schießen aus den Häusern an der Wiedenmayerstraße.

1. Mai 1919 München-Lehel * Am Vormittag wird Dr. Hildegard Menzi auf dem Weg in ihre Wohnung in der Maximilianstraße 22 von bewaffneten Zivilisten verhaftet und in die Kommandantur in der Residenz gebracht.

Die Ärztin, die noch am Tag zuvor Anton Graf Arco auf Valley medizinisch versorgt hat, wird von der Münchner Stadtkommandantur als "geistiger Führer des Egelhofer" eingeschätzt. Rudolf Egelhofer, der 23-jährige Oberbefehlshaber der Roten Armee, hat demzufolge "nur nach den Direktiven der Frau Menzi gehandelt".

1. Mai 1919 München * Am Nachmittag dringen eigenmächtig operierende Freikorps von der Residenz aus bis zum Lenbachplatz vor. Die Marine-Brigade Ehrhardt erreicht - von Schleißheim kommend - gegen Mittag Schwabing und beteiligt sich später an den Kämpfen am Stachus. Auch aus Regensburg stammende Soldaten sowie Angehörige des Freikorps Grafing und die Batterie Zenetti sind an diesen Kämpfen beteiligt. Dort entfacht sich ein mehrstündiges Gefecht.

Die Rotarmisten leisten erbitterten Widerstand und verteidigen den Stachus mit Gewehrfeuer. Ein Zeitzeugenbericht schildert die weiteren Ereignisse:

"Mittlerweile hatten die Regierungstruppen bei der Anlage an der Deutschen Bank ein Geschütz in Stellung gebracht und eine Brandbombe in den Kiosk gesetzt, der bald lichterloh aufflammte und die Roten Gardisten zwang, ihren verzweifelten Widerstand aufzugeben und sich gegen die protestantische Kirche und das Kaufhaus Horn zurückzuziehen. Bald war der Karlsplatz zum wütendsten Kampfplatz geworden. [?]

Gegen Abend bekamen die Regierungstruppen Verstärkungen von der Herzog-Wilhelm-Straße und dem Sendlingertor-Platz her. Die Rotgardisten wurden über den Karlsplatz in den Justizpalast und gegen die Elisenstraße geworfen, von wo aus sie heftigen Widerstand leisteten.

Seite 121/176 Das an der Deutschen Bank postiert gewesene Geschütz wurde infolgedessen bis zum Wittelsbacher-Brunnen zurückgezogen und beschoss in den Nachmittagsstunden den Justizpalast, der an der gegen den Stachus gerichteten Seite zwei Treffer im dritten Stock erhielt. [?] Viele Spartakisten flüchteten in den Mathäser".

Doch es gibt auch Gegenwehr von anderer Seite, die die Weißen Truppen letztlich zum Abziehen zwingen. Dazu zählen auch die Teilnehmer der Maikundgebung auf der Theresienwiese, die dort "waffenlos demonstriert" haben und sich nun auf dem Nachhauseweg befinden.

1. Mai 1919 München * In Manfred von Killingers Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" rühmt er seinen verächtlichen Umgang mit den Roten und besonders mit linken Frauen:

"Ein Weibsbild wird mir vorgeführt. Das typische Schwabinger Malweibchen. Kurzes, strähniges Haar, verlotterter Anzug, freches, sinnliches Gesicht, wüste Augenringe. ?Was ist mit der los?? Da geifert sie los: ?Ich bin Bolschewikin! Ihr feige Bande, Fürstenknechte, Speichellecker! Anspucken sollte man euch! Hoch Moskau!? und dabei spuckt sie einen Unteroffizier ins Gesicht. ?Fahrerpeitsche! Dann laufen lassen?, sagte ich kurz. Zwei Mann packen sie. Sie will beißen. Eine Maulschelle bringt sie zur Räson. Im Hof wird sie über die Wagendeichsel gelegt und so lange mit Fahrerpeitschen bearbeitet, bis kein weißer Fleck mehr auf ihrer Rückseite war. ?Die spuckt keinen Brigadier mehr an. Jetzt wird sie erst mal drei Wochen auf dem Bauche liegen?, sagt Feldwebel Herrmann".

1. Mai 1919 München-Lehel * Der Oberbefehlshaber der Roten Armee, Rudolf Egelhofer, wird um die Mittagszeit in der Wohnung der Ärztin Dr. Hildegard Menzi in der Maximilianstraße 22, wo er zur Untermiete wohnt, aufgegriffen und verhaftet.

Er wird zum Verhör in Kriegsministerium an der Ludwigstraße gebracht und brutal misshandelt. Anschließend wird er zur Residenz transportiert und im Keller des Kolonadenhofes eingesperrt.

2. Mai 1919 Ebrach * Erich Mühsam, der beim Palmsonntagsputsch von den RepublikanischenSchutztruppen verhaftet und ins Zuchthaus Ebrach gebracht worden war, notiert:

"Landauer tot. Ich will und kann es nicht für möglich halten und muss es doch glauben [?]. Niemand weiß, welch ein Geist hier zerstört ward".

2. Mai 1919 München-Maxvorstadt * Auch um den Hauptbahnhof wird heftig gekämpft. Es dauert bis zum Nachmittag, bis es den Regierungstruppen glückt, von zwei Panzerzügen gedeckt, bis zum Bahngebäude vorzurücken.

Bei der Verteidigung des Hauptbahnhofs kommen viele Rotgardisten, aber auch viele Zivilisten ums Leben. Die

Seite 122/176 Weißen nehmen keine Rücksicht, weder auf Alte noch auf Frauen und Kinder.

2. Mai 1919 München * Noch ein Beispiel aus Manfred von Killingers Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben", in der er in verachtlicher Art und Weise seine Sicht auf die Niederschlagung der Räterepublikaner preis gibt:

"Plötzlich höre ich einen Mordskrach vor der [Elisabeth-] Schule. Ein großer, starker Kerl schimpft mit den gröbsten Tönen auf einen Unteroffizier von mir los. Der bleibt die Ruhe selbst. Da schlängelt sich eine Frau an mich heran. ?Aufpassen! Ein Bolschewik. Man will die Bevölkerung gegen die Truppen aufhetzen?. Aha, die Brüder kennen wir. Ich winke Obermaat Zimmermann. ?Machen Sie eine Handgranate fertig. Ich werde dem Kerl das Maul verbieten. Hört er nicht augenblicklich auf, dann eins rin in die Kiemen?. Ich fasse den Kerl beim Knopfloch und sage: ?Gehen Sie augenblicklich Ihrer Wege, noch einen Ton und ich verspreche Ihnen, dass Sie in den nächsten vierzehn Tagen keinen Ton mehr sprechen?. ?Hoho! Da wollen wir doch mal sehen, wer was zu reden hat!? brüllt er. Krach, da saust ihm die Handgranate in die linke Kiemenseite. Wie vom Blitz getroffen bricht er zusammen. Er erhebt sich, stolpert, fällt wieder. Blut läuft ihm aus Mund und Nase. Er erhebt sich wieder, will was sagen, aber es geht nicht mehr. Er gurgelt etwas und torkelt von dannen. ?Guten Morgen, mein Herr, wir pflegen unsere Versprechen einzulösen?".

Killing begründet seine menschenverachtende und gewalttätige Einstellung so: "Krieg ist Gewalt, Bürgerkrieg ist Gewalt in höchster Potenz. Mäßigung ist Dummheit, nein, sie ist Verbrechen am eigenen Volk und Staat".

3. Mai 1919 München * Die SPD lässt folgende Erklärung in den Münchner Zeitungen veröffentlichen:

"Jene wahnwitzige Politik des Terrors und der Gewalt, die München in Gegensatz stellte zum ganzen Land, die den Bürgerkrieg in Bayern entbrennen ließ, hat das schlimme Ende gefunden, das vorauszusehen war. [...]

Die Truppen der sozialistischen Regierung Hoffmann kommen nicht als Feinde der Arbeiterschaft, nicht als ?Weiße Garde?, sondern als Schützer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, ohne die ein Neuaufbau im sozialistischen Sinne nicht möglich ist. Arbeiter, helft den Soldaten bei ihrer schweren Aufgabe!".

Um den 4. Mai 1919 München * Ret Marut [= B. Traven], der Leiter der Zensurbehörde in der Ersten Räterepublik, wird von Studenten, die sich der Weißen Garde angeschlossen haben, erkannt und von Regierungstruppen vor ein Feldgericht gebracht. Dieses besteht aus einem Offizier, der entscheidet, ob der Verhaftete sofort standrechtlich erschossen wird oder nicht. Im Zweifelsfall wird das Todesurteil vollstreckt, weil das sicherer sei.

Noch vor seiner Vernehmung gelingt dem Schriftsteller - mit Unterstützung von zwei Soldaten - die Flucht.

4. Mai 1919 Bad Aibling * Die weiße Garde des Freikorps Chiemgau marschiert nach dem Sturz der Räteregierung in Bad Aibling ein.

Seite 123/176 4. Mai 1919 Perlach * Am Abend erklärt Korpskommandeur Hans von Lützow Major Walter Schulz, dass er einen telefonischen Hilferuf von Frau Betty Hell, der Ehefrau des evangelischen Pfarrers von Perlach, erhalten habe. Die Pastorenfrau fühlte sich von Perlacher Kommunisten bedroht.

Die Bedrohung beruhte darauf, dass die genannten Rotgardisten Kartoffeln beschlagnahmten, die ursprünglich für die Herstellung von Schnaps in der Schnapsfabrik Wolfram vorgesehen waren.

Bei den sogenannten Rotgardisten handeltes sich zum Teil um Mitglieder des Perlacher Arbeiterrates, der sich auch um Versorgnungs- und Wohnungsfragen kümmerte oder zur Überwachung des Personen- und Warenverkehrs, auch zur Eindämmung des Schwarzmarktes, Reisende am Bahnhof kontrollierte. Das Verbrechen bestand demzufolge darin, dass sie die Kartoffeln zur Ernährung und nicht zur Herstellung von Spirituosen verwenden wollten.

Schulz beauftragt den als "energischen Mann" bekannten Leutnant Georg Pölzing mit der Durchführung der Hilfeleistung. Dieser rückte sofort mit zwei Lastwagen und etwa vierzig Mann aus. Leutnant Pölzing ist im Besitz einer Liste, auf der die "gefährlichen Kommunisten" aufgeführt sind.

6. Mai 1919 München-Maxvorstadt * Etwa dreißig Mit•glieder des Katholischen Gesellenvereins Sankt-Joseph treffen sich in ihrem Vereinslokal, dem Maxkasino, in der Augustenstraße 41. Dem preußischen Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment war zuvor von einem Denunzianten mitgeteilt worden, dass dort am Abend eine Versammlung von Rotarmisten stattfindet.

Noch während sich im Kasino die Vereinsmitglieder unterhalten, wird das "Spartakistennest" von Regierungssoldaten beobachtet und 25 Teilnehmer sowie der Wirt kurz vor 21 Uhr verhaftet.

Die Möglichkeit, gegenüber den Soldaten das Miss•verständnis aufzuklären und sich zu legitimieren, wird von diesen gewaltsam un­terbunden. Erste Gewehrkolbenhiebe gegen die Arretierten und Zurechtweisungen sind die Folge. Mit dem Abmarsch zum Quartier des Alexander-Regiments beginnt der weitere Leidensweg für die Gefangenen, denn bald geht die Begleit•mannschaft dazu über, die angeblichen Spartakisten nicht nur zu beschimpfen, sondern auch mit Pistolen und Gewehren auf sie einzuschlagen.

Nun werden die 26 katholischen Gefangenen in das Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5 gebracht. Im Hof beginnt das eigentliche Massaker. Sechs der Gesellen werden im hinteren Teil des Hofes gegen das Tor eines Schuppens gestoßen. Dann eröffnen die Soldaten mit Gewehren und Pistolen das Feuer, bis alle sechs tot sind. Die verbliebenen zwanzig Kolpinggesellen werden zum Eingang des Kellers geführt. Dort erwischt es einen siebten Gefangenen. Er wird auf den Boden geworfen und mit einem gezielten Pistolenschuss ermordet.

Die Übrigen werden jetzt zur Zielscheibe sadistischer Spiele ihrer Peiniger. Man stößt sie mit Flüchen und Beschimpfungen die Treppe zum Keller hinunter. Dort müssen sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Dann beginnen die Erschießungen. Auf grauenhafte Weise werden 14 Kolpinggesellen ermordet. Wer nicht durch die Schüsse stirbt, wird mit dem Bajonett erstochen. Manche Gefangene stellen sich tot oder sind bewusstlos.

Nur durch das Eingreifen eines hohen Offiziers wird das Morden beendet. Nach dem Massaker werden 21 Tote in das Pathologische Institut gebracht. Unter den Erschossenen befinden sich zwei Brüderpaare, bei zwei weiteren

Seite 124/176 wird jeweils einer getötet. Zwei Schwerverletzte werden in das Reservelazarett an der Zollstraße eingeliefert. Drei Opfer brauchen keine Krankenhausbehandlung.

Alle Ermordeten sind eingeschriebene Mitglieder der konservativen Bayerischen Volkspartei - BVP. Der Fall wird deshalb vor Gericht ausführlich untersucht. Man ist jedochvon Regierungsseite geneigt, nichts mehr über den Vorfall an die Presse zu geben. Die Folge davon ist, dass die von den Militärbehörden erstellten unwahren Berichte überall, auch im Ausland, Verbreitung finden.

Ansonsten achten die Zensurbehörden streng darauf, dass keine publikumswirksame Veröffentlichung über das blutige Geschehen unter die Leute kommen können. So wird beispielsweise die Sondernummer der Süddeutschen Illustrierten Kriminal-Zeitung vom November 1919, die darüber berichtet, sofort nach ihrem Erscheinen beschlagnahmt.

26. Juni 1919 München* Wahl von Eduard Schmid (SPD) zum Ersten Bürgermeistervon München.

21. Juli 1919 München-Au * Die Ärztin Dr. Hildegard Menzi wird wegen "Landesverrat und Begünstigung des Hochverrates" angeklagt. Sie wird vom standrechtlichen Gerichtin der Au freigesprochen.

15. Dezember 1919 München * Das Volksgericht Münchenverurteilt Alois Lindner zu einer Zuchthausstrafe von 14 Jahren. Er hatam 21. Februar 1919 bei einem Attentat im Bayerischen Landtag

den InnenministerErhard Auer [SPD] durch Pistolenschüsse schwer verletzt. In den Auseinandersetzungen wird derBVP-AbgeordneteHeinrich Osel und Major Paul Ritter von Jahreiß getötet.

Für die Dauer von fünf Jahren erkennt man ihm wegen niederer Gesinnungdie bürgerlichen Ehrenrechteab.

1920 Wien * Eduard Pichl, studierter "Chemiker" und "Hofrat" in Wien, der "Vater der Bergwarte" und Schwärmer für ein "germanisches Christentum", gibt seinen Beruf auf, um sich fortan als hauptamtlicher Funktionär des "Deutschen und österreichischen Alpenvereins" der "völkischen Propaganda" zu widmen.

Innerhalb kürzester Zeit gewinnen seine Sympathisanten die Oberhand in 45 "Sektionen", die sich als "Deutsch-Völkischer Bund im DuOeAV" zusammenschließen und mit ihrer Mehrheit Abstimmungsprozesse an den Vollversammlungen vorbei in ihnen genehme Ausschüsse umleiten.

16. Januar 1920 München * Da sich die Richter und der Verteidiger über die Wertung der Tat im Grunde einig sind, ergeht das Urteil gegen Graf Anton von Arco auf Valley bereits um 16.08 Uhr. Es wird vom LandgerichtsdirektorGeorg

Seite 125/176 Neithardt gesprochen und lautet:

"[...] wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode und in die Kosten verurteilt." Es lässt sich einfach nicht umgehen anzuführen: "Der Angeklagte führte die Tötung nach einem wohlbedachten Plan mit Überlegung aus."

Die Justiz öffnet sich aber gleich selbst die Tür für ihr weiteres Vorgehen.Am Ende des Urteils stehen die bemerkenswerten Zeilen:"Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise des jungen, politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühenden Liebe zu seinem Volke und seinem Vaterland entsprang und ein Ausfluss seines Draufgängertums und der in weiten Volkskreisen herrschenden Empörung gegen Eisner war, weil ferner der Angeklagte seine Tat in allen ihren Einzelheiten ohne jeden Versuch der Beschönigung oder Verschleierung mit offenem, edlem Mute in achtungsgebietender Weise als aufrechte Persönlichkeit eingestand."

Graf Arco nimmt sein Todesurteil mit vollkommener Ruhe zur Kenntnis und ruft in seinem Schlusswort die Zuhörer zum Aufbau einer nationalen Zukunft auf. Stürmischer Beifall erhebt sich im Sitzungssaal.

16. Januar 1920 München * In der Stadt finden zahlreiche Kundgebungen statt, auf denen zumeist Studenten unter schwarz-weiß-roten Fahnen einen Freispruch Arcos fordern. Es drohen antisemitische Ausschreitungen, bis der Verteidiger Arcos die Gemüter mit der Ankündigung beruhigen kann, dass begründeteAussicht auf Begnadigungdes Verurteilten besteht.

29. Februar 1920 Berlin * Reichswehrminister Gustav Noske verfügt die Auflösung der Marinebrigade Ehrhardt. Durch den am 10. Januar in Kraft getretenen Versailler Friedensvertrag wurde

das deutsche Heer auf 100.000 Mann sowie die Marine auf 15.000 Mann beschränkt.

Das bedeutet einen massiven Personalabbau der etwa 400.000 Mann starken Reichswehr. Auch die Freikorps sollen aufgelöst werden.

31. März 1920 München * wird vom Militärdienst entlassen.

Hauptmann Karl Mayr unterstützt ihn offenbar geistig-politisch als auch finanziell. Hitlers in der Münchner Revolutionszeit und Räteherrschaft radikalisierter Antisemitismus wird durch Mayr ebenfalls bestärkt.

4. November 1920 München - Vatikan * Führende Politiker der Bayerischen Volksparteirichten ein Schreiben an die Regierung des

Seite 126/176 Freistaats Bayern, in dem sie sich für die Ernennung des Erzbischofs von München und Freisingzum Kardinalaussprechen.MinisterpräsidentGustav von Kahr übermittelt das Schreiben nach Rom.

1921 München-Bogenhausen * Der Inhaber der Chemiefirma "Pharmacia M. Schmidt & Co" Gerhard Schmidt erwirbt das Anwesen der ehemaligen "Gaststätte und Metzgerei Betz" an der Ismaninger Straße.

1921 München-Maxvorstadt * Neuer Eigentümer der Anwesen Richard-Wagner-Straße 3 und 5 sind die "Farbenfabriken, vormals Friedr. Bayer u. Co. Leverkusen".

1921 München-Maxvorstadt * Die "Kaufmänner" Paul und Siegwart Steinharten sind Eigentümer der Anwesen Richard-Wagner-Straße 16 und 18.

29. Januar 1921 Paris * Die Alliiertensetzen die deutschen Reparationszahlungen auf 226 Milliarden Goldmark fest, gestreckt auf 42 Jahre.

7. März 1921 Vatikan * Michael von Faulhaber, der Erzbischof von München-Freising, wird durch Papst Benedikt XV. in Rom in das Kardinalskollegiumaufgenommen.

20. März 1921 Vatikan - München * Der frisch ernannte KardinalMichael von Faulhaber kommt in seine Erzdiözesezurück und wird von zahlreichen Gläubigen, Persönlichkeiten und Studentenverbindungenempfangen.

27. April 1921 Paris * Die alliierte Reparationskommissionmodifiziert die Zahlungsforderungen:

Das Deutsche Reichsoll 132 Milliarden Goldmark in 66 Jahresraten zahlen.

18. Oktober 1921 Sárvár * Der abgesetzte König Ludwig III. stirbt in seinem ungarischen Exil Sárvár an den Folgen einer Lungenentzündung.Der Tod und die Rückkehr der sterblichen Hülle des alten Königs wird von ultrakonservativen Kreisen zur politischen Demonstration hochstilisiert.Da für die Bayerische Staatsregierungein Staatsbegräbnisnicht in Frage kommt, stellt sich Gustav von Kahr als Privatperson für die Organisation der Feierlichkeiten zur Verfügung.

Kahr verfolgt zielgerichtet sein Anliegen, bei den Trauerzeremonien die "Kraft des monarchischen Gedankens" herauszustellen.Die geplanten Beisetzungsfeierlichkeiten für den abgesetzten König sollen eine Antwort auf den

Seite 127/176 Trauerzug für den Revolutionär Kurt Eisnerwerden, der sich am 26. Februar 1919 mit nahezu 100.000 Menschen durch die Straßen Münchens bewegt hatte.Es sollte eine "Trauerfeier werden, wie sie München und Deutschland noch nie gesehen haben, ein Akt treuer Huldigung, aber auch Abbitte für das dem König angetane große Unrecht".

5. November 1921 München * Von der Ludwigskircheaus führt der Weg des Trauerzugs für das tote Ex-Königspaar - über den Karolinenplatz und Königsplatz - zur Frauenkirche. Am Trauerzugbeteiligen sich 40.000 Personen, darunter eine große Anzahl staatlicher Beamte und Angestellte, die eigens aus den acht Regierungsbezirkenherangekarrt worden sind.

Der Trauerzugvermittelt den Eindruck, als wären die alten Zeiten wieder zurückgekehrt und als hätte sich seit der Thronbesteigung Ludwigs III. im Jahr 1912 nichts entscheidendes geändert. Der Prunk-Leichenwagendes Ex-Königs und der Wagen mit dem Sarg der Ex-Königin werden jeweils von sechs Pferden gezogen, die mit schwarzen, mit Kronen geschmückten Schabracken bedeckt sind. Zehntausende Zuschauer säumen den Weg.

Da Münchens SPD-Bürgermeister Eduard Schmid verfügt hat, dass "die städtischen Ämter und Betriebe am Tag der Beisetzung grundsätzlich in vollem Umfange arbeiten" müssen, müssen städtische Beamte für die Teilnahme am Trauerzugeigens einen Urlaubstag opfern.

5. November 1921 München-Kreuzviertel * Die Kirche - allen voranKardinalMichael von Faulhaber -fühlt sich aufgefordert mit derRevolutionabzurechnen.Der hohekatholische Klerikersteht als Garant für dasGottesgnadentumder angestammten Herrscher und für eine auf das christliche Herrschaftsverständnis gegründete Regierung.

In seinerTrauerredesagtKardinalFaulhaber in Anspielung auf dieHunger- und Friedensdemonstrationenvor und die revolutionären Veranstaltungen nach Kriegsende, besonders aber auf dieBeisetzungsfeierlichkeitenfür den ermordeten ersten demokratischen bayerischenMinisterpräsidentenKurt Eisner:"Die heutige Trauerfeier hebt sich durch die kirchliche Weihe himmelhoch hinauf über alles Trauertheater, das auf dem Straßenpflaster von München jemals gewesen ist."Ausführlich hebt Faulhaber hervor, dass Ludwig III."kein König von Volkes Gnaden", sondern ein"König von Gottes Gnaden"gewesen sei.

Der monarchistische und antidemokratischeKirchenvertreterverurteilt dieRevolution, indem er sagt:"Könige von Volkes Gnaden sind keine Gnade für das Volk, und wo das Volk sein eigener König ist, wird es über kurz oder lang sein eigener Totengräber".Dieser Satz lässt denKardinalam Ende desZweiten Weltkriegesprophetisch erscheinen.Ein größerer zeitlicher Abstand zeigt aber die Untauglichkeit solcher Ängste erzeugender Geschichtsverklärungen.

28. November 1921 München-Kreuzviertel * Pater Rupert Mayer wird durch Kardinal Michael von Faulhaber zum Präses der Marianischen Männerkongregation am Bürgersaal in Münchenernannt. Unter seiner Leitung steigt die Mitgliederzahl auf 7.000 an.

1922 München-Maxvorstadt *"Rechtsanwalt" Gustav Probst ist Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9.

Seite 128/176 27. August 1922 München - München-Maxvorstadt * Der Deutsche Katholikentagin München wird eröffnet. Für die anreisenden Zehntausenden von Gläubigen wird ein großerFestgottesdienstauf demKönigsplatzabgehalten, bei dem sich diekatholische Kirchemit eindrucksvollem Gepränge darstellt. Die Straßen der Stadt sind mit Fahnen geschmückt, nur dasSchwarz-Rot-GoldderWeimarer Republikist demonstrativ vergessen worden.

Kardinal Michael von Faulhaber enthält sich bei dieser zur politischen Kundgebungumgestalteten Veranstaltung weder politischer noch demokratiefeindlicher Äußerungenund ruft in seiner Ansprache zum Kampf der Kirche gegen den Staat auf:

"Wehe dem Staat,

der seine Rechtsordnung und Gesetzgebung nicht auf den Boden der Gebote Gottes stellt, der eine Verfassung schafft ohne den Namen Gottes, der die Rechte der Eltern in seinem Schulgesetz nicht kennt, der die Theaterseuche und die Kinoseuche nicht fernhält von seinem Volk, der Gesetze gibt, die die Ehescheidung erleichtern, die die uneheliche Mutterschaft in Schutz nehmen".

Diesem Satz folgt ein - von den dicht gedrängten Besuchern stürmisch bejubelter - rhetorischer Tiefschlag gegen die Republikund ihrer Gründer:"Die Revolution war Meineid und Hochverrat und bleibt in der Geschichte erblich belastet und mit dem Kainsmal gezeichnet". Diese Worte wirken, wie Faulhaber später einmal recht zufrieden feststellt, wie eine Bombe. Der Kardinalversagt sich damit wieder einmal - mit seiner ganzen Autorität und in der Öffentlichkeit - der Weimarer Republikund bereitet damit - ohne das möglicherweise direkt zu beabsichtigen - Adolf Hitler den Weg.

Schon damals stellt die sozialdemokratischeMünchener Postunter der Überschrift"Wohin des Wegs, Herr Kardinal?"fest: "Seine Ansichten sind ein Beweis für den Machthunger der römischen Kirche und ihres Klerus, die nicht mit dem Staat in Frieden und Verträglichkeit zusammenleben, sondern ihn um jeden Preis beherrschen wollen."

Die in Anwesenheit der Spitzen von Kirche, Staat und Gesellschaft gemachten Aussagen desKardinalsführen allerdings auch zu einem"weltweit hallenden Eklat"und veranlasst die - konservative -Reichsregierung, sich bei Papst Pius XI. zu beschweren.Damit, dass sich ein Widerstand derjenigen Katholiken formiert, die im neuen Staat ehrlich mitarbeiten wollen, hat Faulhaber nicht gerechnet.

30. August 1922 München * Der Präsident des Katholikentages, der damalige Kölner OberbürgermeisterKonrad Adenauer, widerspricht KardinalMichael von Faulhaber zwar erst drei Tage später, verwahrt sich aber immerhin öffentlich gegen diese Aussagen:"Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht. [...]Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände".

Denn, so Adenauer weiter: "Wenn im Herbste der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm bloß

Seite 129/176 der Anstoß, denn die Bäume und Äste waren alt, denn wären sie nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm überdauert."Und der Rheinländer setzte noch einen drauf, als er sagte: "Wie ich an das Walten einer Gerechtigkeit glaube, so glaube ich auch daran, daß etwas, was gut und stark ist, nicht untergehen kann".

Jetzt wird KardinalFaulhaber richtig zornig."Herr Oberbürgermeister", herrscht der Münchner Erzbischofden späteren Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlandwie einen Schuljungen an:"Sie haben unserem König nicht die schuldige Achtung erwiesen".

In einer Denkschrift hält Konrad Adenauer die Gefährlichkeit der Haltung und Auffassung des Kardinalsin aller Deutlichkeit fest:"Die Haltung des Kardinals Faulhaber ist unverträglich mit den Interessen des deutschen Katholizismus.Er muß entweder eine grundsätzliche Schwenkung einnehmen oder dazu angehalten werden, sich jeder politischen Betätigung auf das Strikteste zu enthalten".

19. September 1922 München-Kreuzviertel - Rom-Vatikan *KardinalMichael von Faulhaber schreibt an den Unterstaatssekretär im Vatikan, Giuseppe Pizzardo, über die öffentliche Auseinandersetzung mit Konrad Adenauer:

"Er behauptete, die Revolution sei organischgeworden, die gestürzten Herrscherhäuser seinen morsche Bäume gewesen, der deutsche Katholizismussei auf das deutsche Vaterland angewiesen. [...] Ich bitte darum Eure Exzellenz, es möge keine päpstliche Kundgebung erfolgen, die von den Katholiken als Zustimmung zur Politik des Zentrums und zu einer Koalition mit der Sozialdemokratie ausgelegt werden könnte.Präsident Adenauer wird die päpstliche Auszeichnung, die früher für den Präsidenten üblich war, nicht erhalten können".

Damit verhindert KardinalFaulhaber, dass Konrad Adenauer den sonst üblichen päpstlichen Ordenbekommt.

In einer eigenwilligen Rechtfertigung gegenüber dem bayerischen Gesandten beim Vatikanschreibt Faulhaber am selben Tag:"[...] Damit habe ich nicht die Verfassung von Weimar und die republikanische Staatsform an sich verurteilt; denn eine Verfassung kann rechtmäßig zustandegekommen sein, ohne daß dadurch die vorausgehende Revolution legitimiert wird.Ein unehelich Geborener kann ein ordentlicher Mensch werden, ohne daß damit die uneheliche Mutterschaft als solche Rechtsdasein erhält."

1. Oktober 1922 München-Maxvorstadt * Nach der Nachmittagsvorstellung des Dramas "Das Weib auf dem Tiere" von Bruno Frank und schließlich nach der Abendvorstellung des Bühnenstücks "Helden" von George Bernard Shaw wird jeweils "Die rote Zibebe. Improvisationen in zwei Bildern von Bert Brecht und Karl Valentin" gezeigt.

Die "Improvisationen" bestehen aus dem Bert-Brecht-Stück "Der Abnormitätenwirt" und aus einer "Hochradnummer" und dem Valentin-Karlstadt-Einakter "Das Christbaumbrettl".

Um April 1923 Maxvorstadt * Es kommt zur ersten persönlichen Begegnung zwischen Adolf Hitler und Dr. Fritz Gerlich in der Richard-Wagner-Straße 27.

Gerlich zweifelt bereits zu dieser Zeit an Hitlers intellektuellen Fähigkeiten.

Seite 130/176 6. November 1923 Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber, der seit dem Kriegsende nicht müde wird zu betonen, dass die Ausschaltung der Kirchen aus dem öffentlichen Leben Anstand, Sitte, öffentliche Moral und Autoritätsglauben untergraben, verweigert sich aber gegenüber dem ReichskanzlerGustav Stresemann, als ihn dieser im Oktober 1923 bittet, "sich in den Dienst der Sache der sittlichen Wiedergeburt zu stellen".

Zwei Tage vor dem sogenannten Hitler-Putschteilt ihm der Kardinalmit, dass er für eine Mitarbeit "aus gesundheitlichen Gründen und aus kirchenrechtlichen Bedenken" nicht zur Verfügung steht. Ansonsten meint er aber, "daß die Kirche es als eine Gewissenspflicht empfindet, an der sittlichen Wiedergeburt des Volkes, im Besonderen an dem Abbau der Kritiksucht und an der Pflege des Autoritätssinnes, an dem Abbau- der Selbstsucht und an der Pflege des Opfersinnes nach Kräften mitzuarbeiten."

Weitere allgemein gehaltene und nicht zur Problemlösung beitragende Floskeln folgen.

29. März 1924 München * Durch die "Revolution" und der damit verbundenen veränderten Staatsform wird dem "Staatskirchentum" das Fundament entzogen.

Deshalb versucht die katholische Kirche seit dem Jahr 1920 vergeblich, einen "Staatsvertrag" - ein "Konkordat" - mit den Vertretern der "Weimarer Republik" zu schließen, mit dem ihre Stellung im Staat fest definiert wird.

Nachdem sich dieser Weg so nicht realisieren lässt, beginnt der "päpstliche Nuntius" in München, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., gemeinsam mit "Kardinal" Michael von Faulhaber, mit dem republikanischen "Freistaat Bayern" ein "Konkordat" abzuschließen.

Das bayerische "Konkordat"

sichert der Kirche nach Außen den "Schutz durch den Staat" zu und gibt ihr gleichzeitig die "völlige Unabhängigkeit nach Innen". Die "Ernennung und Abberufung von Professoren" an den "theologischen Fakultäten der Universitäten" und der "Religionslehrer an den höheren Schulen" obliegen nun allein den Bischöfen, die wiederum nur vom Papst ernannt werden. Der "Religionsunterricht" wird zum "Hauptfach" an den Schulen erklärt und die "Bekenntnisschule zur Regelschule" gemacht. "Schulgebet und Schulgottesdienste" werden staatsrechtlich abgesichert. Weiter wird festgelegt, dass der "Freistaat Bayern" feste Beträge an die Kirche abzutreten und bei finanziellen Notlagen die Kirche zu unterstützen hat. Der Steuerzahler finanziert die Gehälter und Wohnungen der Geistlichen, ihre Ruhestandsgelder, Gebäude usw. Die katholische Kirche in Bayern lässt sich ihre Ausgaben zu einem großen Teil vom Staat zahlen, ohne gleichzeitig dessen Kontrolle dulden zu müssen. Dazu wird die "Kirchensteuer" festgeschrieben.

Das "bayerische Konkordat" hat Vorbildfunktion für weitere Abkommen zwischen Staat und Kirche.

1925

Seite 131/176 München * "Erzbischof" Michael von Faulhaber veröffentlicht ein Buch mit dem Titel: "Deutsches Ehrgefühl und katholisches Gewissen".

Zunächst stellt der "Erzbischof" fest, dass "darüber zu urteilen, was katholisch ist oder was an das Wesen des Katholizismus greift, [...] Sache des kirchlichen Lehramtes" ist. Im nächsten Satz gibt er sich als "Träger" dieses "Lehramtes" aus. Und dann beginnt er zu politisieren.

Benito Mussolini, der im Oktober 1922 mit seinem "Marsch auf Rom" die Macht in Italien an sich gerissen hatte und die Verfassung nach seinen Vorstellungen abänderte, wurde vom "Kardinal" hoch gelobt, da "das Oberhaupt des italienischen Faschismus [...] die Geister des Kulturkampfes [...] bis heute mit fester Hand [...] im Zaun gehalten" habe.

Gleich darauf lässt Faulhaber seine Bewunderung für den "deutschen Faschistenführer" folgen, wenn er schreibt: "Adolf Hitler wußte besser als die Diadochen seiner Bewegung, daß die deutsche Geschichte nicht erst 1870 und nicht erst 1517 begann, daß für die Wiederaufrichtung des deutschen Volkes die Kraftquellen der christlichen Kultur unentbehrlich sind, daß mit Wotanskult und Romhaß das Werk der Wiederaufrichtung nicht geleistet werden kann.

Als Mann des Volkes kannte er auch die Seele des süddeutschen Volkes besser als andere und wußte, daß mit seiner Bewegung, die in ihrer Kehrseite Kampf gegen Rom ist, die Seele des Volkes nicht erobert wird".

Das Buch erscheint wohlgemerkt in dem Jahr,

in dem die "NSDAP" neu gegründet worden ist, in dem Adolf Hitler für mehrere Jahre ein "Auftrittsverbot" erhalten hat, in dem der erste Band von Hitlers "" erscheint und in dem die berüchtigte "Schutzstaffel - SS" gegründet wird.

1925 München * Die Werke Richard Wagners sind derart populär, dass eine "Simlicissimus-Karikatur" einen Biergartenbesucher philosophieren lässt: "Wagner kann man bloß in München hören - in Bayreuth gibt's nur in den Pausen Bier".

März 1925 München-Kreuzviertel * Unversöhnlich zeigt sich ErzbischofMichael von Faulhaber gegenüber dem am 28. Februar 1925 verstorbenen, der SPDangehörenden ReichspräsidentenFriedrich Ebert.

Der Kardinalverweigert ihm ein Trauergeläutin seiner Diözese, weil der Verstorbene ja auf dem Boden einer Verfassung stand, die "auf eine Trennung von Staat und Kirche abzielte". Außerdem war Friedrich Ebert als "Mitglied und Führer einer politisch grundsätzlich religions- und kirchenfeindlichen Partei, nicht durch die Wahl des deutschen Volkes ?Reichspräsident?geworden".

Um 1926

Seite 132/176 München-Kreuzviertel * "Kardinal" Michael von Faulhaber beschäftigt sich mit Bagatellen.

Es geht um das Verhindern

eines zweiten "Frauenturnfestes", der Entziehung der "Portofreiheit" für kirchliche Stellen, der "moralischen Zuchtlosigkeit der Jugend", um die "uneheliche Mutterschaft", darum, "daß das Turnen nach Geschlechtern getrennt geschehe, daß die Turnkleidung die Körperformen nicht aufdringlich betone, daß jede Turnübung, besonders an Geräten, vermieden wird, die der weiblichen Art nicht angemessen sind, und daß das Schauturnen von Frauen und Mädchen unterlassen werde". "Gemeinschaftsbäder" hält er für überflüssig.

Und wenn sie schon bestehen sollen, dann fordert "Kardinal" Faulhaber "Volles Pluder-Badekostüm für beide Geschlechter".

16. April 1927 Marktl * Joseph Aloisius Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., wird in Marktl geboren.

1928 München-Maxvorstadt * Dr. med. Alfred Haas kauft das Anwesen in der Richard-Wagner-Straße 17.

1929 München-Maxvorstadt * Die Anwesen Richard-Wagner-Straße 3 und 5 gehören den "I. G. Farben Aktiengesellschaft, Frankfurt Hoechst".

Die "I. G. Farben" war eine Partnerin der US-amerikanischen Firma "Standard Oil".

Sie beliefert später die deutschen "Vernichtungslager" mit dem tödlichen Gas "Zyklon B".

April 1929 München * Walter Jerven, Johannes Eckhardt, Karl Valentin und Liesl Karlstadt gründen die"Karl Valentin Filmproduktion".

7. Juni 1929 Paris * Der Young-Planregelt die deutschen Reparationenneu. Das Deutsche Reichsoll 112 Milliarden für die Dauer von 58 Jahren zahlen.

Spätestens seit 1930 München-Lehel * Der Komiker Karl Valentin beginnt "die mir noch in Erinnerung gebliebenen Erlebnisse aus

Seite 133/176 meiner Jugend-, Jünglings- und Mannszeit" zu sammeln.

Das geplante Buch, das "eine Reihe hübscher Jugendbegebenheiten, illustriert von Ludwig Greiner" enthalten soll, wird so nie veröffentlicht.

Die "Süddeutsche Sonntagspost" bringt ab dem 28. August 1932 einige Auszüge.

Erst 1951 werden "Die Jugendstreiche des Knaben Karl" veröffentlicht. Gerhard Pallmann gibt eine Zusammenstellung aus Karl Valentins Nachlass heraus.

1930 München-Maxvorstadt * Die Familie Haas zieht von der Richard-Wagner-Straße 19 in den ersten Stock des Hauses Nr. 17.

9. September 1930 München * Pater Rupert Mayer schreibt einen Brief an Kardinal Michael Faulhaber und die Bischofskonferenz, in dem sich der Jesuitwiefolgt äußert:

"Die völkischen Hetzereien können wir uns nicht groß genug vorstellen.So herrscht in unserem katholischen Volk eine beispielslose Verwirrung.Unbegreiflich, aber wahr ist es, daß der Hitlerschwindel wieder die weitesten, auch katholischen Volkskreise erfasst hat".

18. November 1930 München * Die Bischöfebeschäftigen sich in einer Diözesansynodeauch mit dem Nationalsozialismus.DomdekanPrälat Dr. Anton Scharnagl referiert über dieses Thema. Seine Ausführungen beginnen mit den Worten:"Der Nationalsozialismus ist politische Partei und Weltanschauung zugleich" und kommt zum Ergebnis, dass der Nationalsozialismusmit den Aussagen der katholischen Glaubenslehreunvereinbar sei.

Dr. Scharnagl begründet danach seine Thesen mit den

von den Nationalsozialisten propagierten germanischen Christentum, der Ablehnung des Alten Testaments, der Forderung nach einer deutschen Volkskirche, die Ablehnung der Bekenntnisschuleund einer rassisch definierten Sittlichkeit, die die kinderlose Frauals minderwertiges Mitglied der Volksgemeinschaftbetrachtet.

In den angefügten Feststellungen wird der Sachverhalt in nie mehr wiederholter Deutlichkeit schließlich auf den Punkt gebracht: "Der Nationalsozialismus ist eine Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen."

Das im Februar 1931 veröffentlichte Amtsblatt Nr. 4schwächtallerdings entscheidende Passagen bereits wieder ab.

Seite 134/176 1932 München-Maxvorstadt * Der "Oberingenieurs-Ehefrau" Margarete Merz aus Bielefeld gehört das Anwesen Richard-Wagner-Straße 9.

1933 München-Graggenau * In der Münchner Residenz wird eine Ausstellung zur Erinnerung an Richard Wagner eröffnet.

"Reichsstatthalter" Franz Xaver Ritter von Epp stellt dabei fest: "Die Nationalsozialisten empfinden Wagner als den deutschesten Mann, den nur einer gleichen Blutes voll zu verstehen vermag".

1933 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 16 gehört dem "Kaufmannsehepaar" Karl und Franziska Lieb aus Lichtenfels.

10. Februar 1933 München-Maxvorstadt * Im "Richard-Wagner-Jahr" hält Thomas Mann aus Anlass des 50. Todestages des berühmten Künstlers im Auditorium maximumder Universität Müncheneinen Vortrag über "Leiden und Größe Richard Wagners". Thomas Mann verliest dabei ein zwanzigseitiges Manuskript aus einem rund siebzig Seiten umfassenden Aufsatz.

In seinem Referat spricht sich Thomas Mann gegen eine einseitig heroisierende Verherrlichung und eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Werken Richard Wagners aus.

11. Februar 1933 München - Holland * Der Schriftsteller Thomas Mann verlässt München zu weiteren Wagnervorträgenin mehreren europäischen Großstädten. Diese Reise wird der Beginn seines mehrjährigen Exils.

21. Februar 1933 München-Au * In der Liste der Gesellschafter der Cenovis-Werkewird Dr. Julius Schülein als Generaldirektoraufgeführt. Er wohnt in der Brienner Straße 51 und hat einen Geschäftsanteil von 392.000 RM.

KommerzienratEmil Zeckendorf ist mit 140.000 RM, Fräulein Nelly Zeckendorf mit 47.800 RM am Unternehmen beteiligt.Die Letztgenannten wohnen in der Richard-Wagner-Straße 11.

5. März 1933 München-Kreuzviertel - München-Maxvorstadt * In ihrer unbedingten Gegnerschaft zum Bolschewismusund zur Freidenker- und Gottlosenbewegungsind sich katholische Kirche und NSDAP einig. In einem Schreiben teilt KardinalMichael von Faulhaber dempäpstlichen NuntiusAlberto Vassallo di Torregrossa mit:

"Verbot auf die gesamte kommunistische Propaganda und auf die sozialdemokratischen Freidenkerverbände ausgedehnt, die ebenso radikal wie die eigentlichen Proletarier gegen christlichen Glauben und christliche Sitte

Seite 135/176 wüteten. [...]Sicher müssen neben den staatlichen Gewaltmitteln heute die kirchlichen Kräfte neu erweckt werden, um den Vormarsch des russischen Bolschewismus zum Weltbolschewismus in Deutschland aufzuhalten."

24. März 1933 München * "Kardinal"Michael von Faulhaber fordert seine bayerischen Amtsbrüder auf, "trotz allem mehr Toleranz gegen die neue Regierung zu üben, die heute nicht bloß im Besitz der Macht ist, was unsere Grundsätze nicht umstoßen könnte, sondern rechtmäßig wie noch keine Revolutionspartei in den Besitz der Macht gelangte".

30. März 1933 München-Kreuzviertel - Chicago * Der "Münchner Erzbischof"Michael von Faulhaber rechtfertigt die "Ausschreitungen gegen die Juden" und schreibt dazu seinem "Amtsbruder" George Mundelein nach Chicago:

"Die unwahren Berichte über blutige Greueltaten in Deutschland, die in amerikanischen und anderen ausländischen Zeitungen erschienen sind, und die Angriffe gegen die neue Regierung in Deutschland wegen ihres Kampfes gegen den Kommunismus, haben die deutsche Regierung veranlaßt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und vom 1. April ab den Boykott gegen alle jüdischen Geschäfte mit aller Strenge durchzuführen".

5. April 1933 München-Kreuzviertel * Der Geistliche Dr. Alois Wurm, der gleichzeitig Herausgeber der Monatsschrift "Seele" ist, wendet sich an "Kardinal" Michael von Faulhaber.

Wurm hateinen Artikel gegen den "Judenboykott" an eine bayerische Zeitung geschrieben, diese den aber nicht abgedruckt.

Aus diesem Grund appelliert der Priester an Faulhaber, in der katholischen Presse zur Orientierung der Katholiken klare Aussagen zum Vorgehen gegen die Juden zu machen. Schließlich, so Wurm weiter, sei es mit der katholischen Lehre nicht vereinbar, wenn ein Mensch unschuldig, nur wegen seiner Rasse gehasst oder verfolgt werde.

Scheinbar war dem "Kardinal" der Ton des Geistlichen zu fordernd. Jedenfalls reagiert Michael von Faulhaber sehr ungehalten auf diesen Brief.

8. April 1933 München-Kreuzviertel * In seinem Antwortschreiben an den Geistlichen Dr. Alois Wurm erklärt sich "Kardinal" Michael von Faulhaber gleich im ersten Satz als nicht zuständig, sich für Juden einzusetzen und fordert im Gegenzug Dr. Wurm zum Handeln auf.

Natürlich findet auch er, dass "dieses Vorgehen gegen die Juden [...] derart unchristlich [ist], daß jeder Christ, nicht bloß jeder Priester, dagegen auftreten müsste".

Aus Faulhabers Sicht bestehen aber für die "kirchlichen Oberbehörden [...] weit wichtigere Gegenwartsfragen; denn Schule, der Weiterbestand der katholischen Vereine, Sterilisierung sind für das Christentum in unserer Heimat noch wichtiger, zumal man annehmen darf, und zum Teil schon erlebte, daß die Juden sich selber helfen können, daß wir also keinen Grund haben, der Regierung einen Grund zu geben, um die Judenhetze in eine Jesuitenhetze umzubiegen.

Seite 136/176 Ich bekomme von verschiedenen Seiten die Anfrage, warum die Kirche nichts gegen die Judenverfolgung tue. Ich bin darüber befremdet; denn bei einer Hetze gegen die Katholiken oder gegen den Bischof hat kein Mensch gefragt, was man gegen diese Hetze tun könne. Das ist und bleibt das Geheimnis der Passion".

16. April 1933 München * Gegen den "Wagner-Vortrag" Thomas Manns organisieren der "Bayerische Staatsoperndirektor" Prof. Hans Knappertsbusch und der "Generalmusikdirektor" Prof. Dr. Hans Pfitzner einen "Protest der Stadt München".

Dieser wird in den "Münchner Neuesten Nachrichten" abgedruckt und ist von den führenden Vertretern des künstlerischen Lebens Münchens unterzeichnet worden.Darunter

der "Präsident der Akademie der Bildenden Künste", Prof. Dr. German Bestelmeyer; der "Bildhauer" Bernhard Bleeker; "Oberbürgermeister" Karl Fiehler; der "Akademieprofessor" Olaf Gulbransson; der "Generalintendant der Bayerischen Staatstheater", Clemens von Frankenstein; der "Generalmusikdirektor" Dr. Richard Strauß; der "Präsident der Industrie- und Handelskammer" Josef Pschorr und viele andere Honoratioren mehr.

In dem "Protestschreiben" heißt es: "Nachdem die nationale Erhebung Deutschlands festes Gefüge angenommen hat, kann es nicht mehr als Ablenkung empfunden werden, wenn wir uns an die Öffentlichkeit wenden, um das Andenken an den großen deutschen Meister Richard Wagner vor Verunglimpfung zu schützen.

Wir empfinden Wagner als musikalisch-dramatischen Ausdruck tiefsten deutschen Gefühls, das wir nicht durch ästhetisierenden Snobismus beleidigen lassen wollen, wie das mit so überheblicher Geschwollenheit in Richard-Wagner-Gedenkreden von Herrn Thomas Mann geschieht. [...]

Wir lassen uns eine solche Herabsetzung unseres großen deutschen Musikgenies von keinem Menschen gefallen, ganz sicher aber nicht von Herrn Thomas Mann, [...].

Wer sich selbst als derart unzuverlässig und unsachverständig in seinen Werken offenbart, hat kein Recht auf Kritik wertbeständiger deutscher Geistesriesen".

Thomas Mann wiederholt seinen Vortrag in Amsterdam, Brüssel und Paris.

Doch nach dem "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" kann er nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehren.

5. Mai 1933 München-Kreuzviertel - Bayern * Angeblich wollte "Kardinal" Michael von Faulhaber das "Unrecht gegen die Juden" in seinem "Hirtenbrief" vom 5. Mai ansprechen, wird aber von den anderen Bischöfen davon abgehalten.

Seite 137/176 In dem "Hirtenbrief" der bayerischen Bischöfe heißt es jetzt: "Unsere jetzige Reichsregierung hat sich große und schwierige Aufgaben gestellt; sie will das deutsche Volk, das an den Folgen des verlorenen Weltkrieges und der Revolution so unsäglich viel leidet, wieder zur früheren Höhe emporführen durch eine geistige, sittliche und wirtschaftliche Erneuerung. [...]

Daher rufen wir Bischöfe in tiefer Liebe zu unserem armen Vaterlande, [...] den Blick nicht mehr zu richten auf die Vergangenheit, nicht auf das zu sehen, was uns trennt, sondern auf das, was uns eint, daher einander die Hand zu reichen und in hochherziger Opferwilligkeit die vereinten Kräfte einzusetzen, um der furchtbaren Not, dem immer weiter fortschreitenden Niedergang und dem unseligen Unfrieden Einhalt zu bieten. [...]

Der Wiederaufbau unseres Volks- und Staatslebens muß zur Grundlage haben die ewigen, unantastbaren Gesetze des christlichen Glaubens, der christlichen Sitte, der christlichen Gerechtigkeit und des sozialen Friedens. Es verdient aufrichtigen Dank, daß der höchste Vertreter der Reichsregierung in feierlicher Stunde erklärte, das Werk der Wiedererneuerung unseres Volkes auf den Felsengrund des christlichen Glaubens stellen und freundschaftliche Beziehungen zur Kirche pflegen zu wollen. [...]

Wir sind dankbar für die Erklärung des Reichskanzlers, daß die Rechte der Kirchen nicht geschmälert, ihre Stellung zum Staate nicht geändert werden wird".

Juni 1933 München-Maxvorstadt * Professor Dr. Ernst von Romberg, Bewohner der Richard-Wagner-Straße 2, kann, obwohl er Jude ist, noch einen Vortragszyklus halten, der sogar in einem Organ der NSDAP angekündigt wird.

Der Grund: Nach dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" konnten alle jüdischen Ärzte, die ihren Beamtenstatus vor 1914 erhalten haben, noch weitere zwei Jahre im Amt bleiben.

Da Romberg seit 1912 Professor war, trifft für ihndiese "Ausnahmeregelung"zu.

20. Juli 1933 Rom-Vatikan - Berlin *Das Konkordatzwischen dem Heiligen Stuhlund dem Deutschen Reichwird vom - katholischen - VizekanzlerFranz von Papen und vom KardinalstaatssekretärEugenio Pacelli im Vatikanunterzeichnet.

Das Vertragswerk bestätigt die bestehenden Länderkonkordatemit Bayern, Preußen und Baden und den Fortbestand der katholischen theologischen Fakultäten an den Universitäten, sichert den katholischen Religionsunterricht an allen Schulartenund die Beibehaltung und Neueinrichtung von Bekenntnisschulen, die Freiheit des Bekenntnissesund der öffentlichen Ausübung der Religion, den staatlichen Schutz für Geistliche, den Schutz des Beichtgeheimnissesund den Schutz der katholischen Organisationen. Außerdem wird die Militärseelsorgeund das eigene kirchliche Steuerrechtgarantiert.

Seite 138/176 Die Kirche gesteht hingegen den neuen Machthabern nur wenig zu:

Entpolitisierung des Klerus, Treueeid der Bischöfe gegenüber dem Deutschen Reich und seinen verfassungsmäßig gebildeten Regierungen.

Die Reichsregierungmacht der Kirche sehr große Zugeständnisse mit dem Ziel, internationale Anerkennung zu erhalten und die deutschen Katholiken für die Bewegungzu gewinnen, solange deren Macht noch nicht gefestigt ist.

Keine der anderen neunzehn Weimarer Regierungen, auch nicht die Koalitionen mit Zentrumsbeteiligung, war der katholischen Kirche so weit entgegengekommen.

3. Dezember 1933 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber hält seine Adventspredigtin der Michaelskirche. Darin weist er darauf hin, dass sich in der deutschen Kulturseit dem frühen Mittelalter zahlreiche Einflüsse aus dem Alten Testament, also aus der jüdischen Kultur, finden:

"Im Besonderen verdanken die menschliche Kultur und christliche Religion dem Alten Testament einen reinen und erhabenen Gottesgedanken."Und weiter: "Wir müßten unsere deutschen Klassiker Lügen strafen, wollten wir das Alte Testament mißachten und aus den Schulen und Volksbüchereien verbannen. Wir müßten die Geistesgeschichte unseres Volkes verleugnen."

Über die Juden sagt er: "Bei keinem anderen Volk findet sich eine solche Schriftenreihe, worin so klar, so bestimmt, so einheitlich die Grundwahrheiten des religiösen Lebens dargeboten werden."

Diese und noch andere Worte des Respekts machte er zunichte mit den dann kommenden Sätzen:"Nach dem Tode Christi wurde Israel aus der Offenbarung entlassen.Sie hatten die Stunde der Heimsuchung nicht erkannt.Sie hatten den Gesalbten des Herrn verleugnet und verworfen, zur Stadt hinausgeführt und ans Kreuz geschlagen.Damals zerriß der Vorhang im Tempel auf Sion und damit der Bund zwischen dem Herrn und seinem Volk.Die Tochter Sion erhielt den Scheidebrief, und seitdem wandert der ewige Ahasver ruhelos über die Erde."

Mit solchen Schuldzuweisungen und Verleumdungen geht es weiter.Faulhaber spricht immer wieder von den Israeliten, auf denen der Zorn Gottes ruhe. Solche Worte sind in normalen Zeitenschon bedenklich. In Zeiten, in denen staatlich verordnete "Judenschelte" und Boykottmaßnahmenan der Tagesordnung, in denen Verhaftungen, Beschimpfungen, ja sogar Morde nichts Außergewöhnliches sind, verschlimmern solche Worte die Situation nur noch.

10. Dezember 1933 München-Maxvorstadt * Der Kommerzienratund HandelsrichterEmil Zeckendorf, Eigentümer des Hauses Richard-Wagner-Straße 11, stirbt.

Seite 139/176 18. Dezember 1933 München-Maxvorstadt * Professor Dr. Ernst von Romberg, Bewohner des Hauses in der Richard-Wagner-Straße 2, stirbt im Alter von 68 Jahren.

6. Januar 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber wird nicht müde, Adolf Hitler gegen Angriffe zu verteidigen. "Ich betone wiederholt: Der Reichskanzler will Christentum, man kann nicht sagen, er will Heidentum."

30. Januar 1934 München-Kreuzviertel * Am ersten Jahrestag der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten lässt Kardinal Michael von Faulhaber das Erzbischöfliche Palais mit Fahnen schmücken. In sein Tagebuch schreibt er: "Die Übernahme war legal, also feiern."

17. März 1934 München-Ludwigsvorstadt * Karl Valentin beantragt die Konzession für sein "Panoptikum" in den Kellerräumen des "Hotels Wagner" in der Sonnenstraße.

Als Unternehmer gibt er an: "Karl Valentin (Fey) Schauspieler, Liesl Karlstadt (Wellano) Schauspielerin, Eduard Hammer Universitätsplastiker und Gebrüder Wagner, Besitzer des Hotels Wagner". Die Illustrationen für das "Panoptikum" fertigt Ludwig Greiner.

26. März 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber schreibt: "Ich nehme Hitler in Schutz, dass er guten Willen und staatsmännische Fähigkeiten habe".

10. Juli 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber traut den Kurt-Eisner-Mörder Anton Graf von Arco auf Valley mit Gabrielle Gräfin von Arco-Zinneberg in der Dreifaligkeitskirche.

Arco hatte den Gründer des Freistaats Bayernam 21. Februar 1919 hinterrücks ermordet, war zunächst zum Tode verurteilt, aber am nächsten Tag zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt worden. Nach fünf Jahren wurde er aus der Haft entlassen.

Anton Graf von Arco auf Valley war durch seine Tat in monarchistischen und konservativen Kreisen hoch angesehen. Deshalb ist es dem Münchner Erzbischof und Kardinal ein persönliches Anliegen, die Trauung durchzuführen.

24. Juli 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber schreibt an Adolf Hitler:

"Was die alten Parlamente und Parteien in sechzig Jahren nicht fertigbrachten, hat Ihr staatsmännischer Weitblick

Seite 140/176 in sechs Monaten weltgeschichtlich verwirklicht. [?] Uns kommt es aufrichtig aus der Seele: Gott erhalte unseren Reichskanzler".

21. September 1934 Montreal?Leonard Norman Cohen wird in Montreal geboren.

Dezember 1934 München * Liesl Karlstadt ist wegen "Depressionen" bei Dr. Leonhard Seif und Dr. Oskar Wolfram in ärztlicher Behandlung.

1935 München-Au * Im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird die Hans-Schemm-Aufbauschuleuntergebracht.

1935 München-Maxvorstadt * Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9 ist der "Zahnarzt" Alfons Hoetlmayr.

1935 München-Maxvorstadt * Gerhard Haas, Enkel von Joseph Schülein, macht sein Abitur am "Wittelsbacher Gymnasium" und studiert ab 1936 in England.

1935 München-Maxvorstadt * Von 1935 bis Kriegsende ist die "SA-Gruppe Hochland" im Anwesen Richard-Wagner-Straße 2 untergebracht.

1936 München-Maxvorstadt * Die Witwe Maria Steiner ist Eigentümerin des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9.

1936 München-Haidhausen * "Rüstungsminister" Albert Speer, ein enger Vertrauter und schon aus diesem Grund ganz bestimmt kein Kritiker des als "Führer" bezeichneten "Parteivorsitzenden", "Reichskanzlers" und "Reichspräsidenten" Adolf Hitler, beschreibt dessen Neun-Zimmer-Wohnung am Prinzregentenplatz 16 folgendermaßen:

"Ich wurde zunächst in einen Vorraum eingelassen, der mit Andenken oder Geschenken niedrigen Niveaus vollgestellt war.

Auch die Möblierung zeugt von schlechtem Geschmack. [...] Hitlers Wohnung war die eines Privatmannes von mittleren Einkommen, etwa eines Studienrats, des Filialleiters einer Depositenkasse, eines kleinen Geschäftsmannes.

Seite 141/176 Die Einrichtung war von kleinbürgerlichem Zuschnitt. Reichgeschnitzte, massiv eichene Herrenzimmermöbel, Bücher hinter Glastüren, gestickte Kissen mit zärtlichen Inschriften oder kräftigen Parteiwünschen. In einer Zimmerecke stand eine Richard-Wagner-Büste, an den Wänden hingen, in breiten Goldrahmen, idyllische Malwerke der Münchner Schule.

Nichts verriet, daß der Inhaber dieser Wohnung seit drei Jahren deutscher Reichskanzler war. [...]"

1936 München-Maxvorstadt * Die "Diakonissinnen", die seit 25 Jahren in der "Privatklinik Dr. Alfred Haas" als Krankenschwestern tätig waren, kündigen aus "rassischen Gründen" ihren Dienst auf.

Die katholischen Nonnen der "Kogregation der Franziskanerinnen vom Erlenbach" springen ein und übernehmen den Pflegedienst.

7. Juni 1936 München-Kreuzviertel * KardinalMichael vonFaulhaber schließt seine Predigt in der Münchner Frauenkirchemit den Worten"Katholische Männer, wir beten jetzt zusammen ein Vaterunser für das Leben des Führers."

4. November 1936 Obersalzberg * KardinalMichael von Faulhaber ist ein Leben lang stolz auf seine Aussagen vom Deutschen Katholikentag. Er brüstet sich sogar damit noch bei seiner - problematischen - dreistündigen Unterredung mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg:"1922 habe ich den marxistischen Umsturz von 1918 und 1919 als ?Meineid und Hochverrat? bezeichnet und trotz aller Bedrohungen das Wort nicht zurückgenommen."

Nach seinem selbst verfassten Protokoll trat er Adolf Hitler mit folgenden Worten gegenüber:"Sie sind als das Oberhaupt des Deutschen Reiches für uns gottgewollte Autorität, rechtmäßige Obrigkeit, der wir im Gewissen Ehrfurcht und Gehorsamkeit schulden."

24. November 1936 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber erstattet seinen Amtsbrüdernauf der Bayerischen BischofskonferenzBericht über das Treffen mit Adolf Hitler und schwärmt ihnen von der "Harmonie am Obersalzberg" vor. Daraufhin beschließen sie, ihre "loyale und positive Einstellung gegenüber der heutigen Staatsform und gegenüber dem Führer zum Ausdruck zu bringen".

30. Dezember 1936 München-Kreuzviertel * In dem von KardinalMichael von Faulhaber selbst verfassten Hirtenbriefschreibt er:"Der Führer möge versichert sein, dass wir Bischöfe ihn in seinem weltgeschichtlichen Abwehrkampf gegen den Bolschewismus mit moralischen Mitteln in jeder Weise unterstützen."

1937 München-Maxvorstadt * Zwischen 1937 und 1940 ist der "Bund Deutscher Mädchen - BDM" in der Richard-Wagner-Straße 3 untergebracht.

Seite 142/176 1937 München-Haidhausen * Nachdem die Studentenverbindung "Danubia" die Zinsen für den Kredit nicht aufbringen kann, kommt die ehemalige "Grützner-Villa" in Haidhausen zwangsweise unter den Hammer und geht daraufhin in den Besitz von Grützners Sohn Karl Eduard über, der dort mit seiner Frau Gisela lebt.

14. Februar 1937 München-Kreuzviertel * In einer Predigt in der "Michaelskirche" schätzt "Kardinal" Michael von Faulhaber den Konkordatsabschluss folgendermaßen ein:

"Zu einer Zeit da die Oberhäupter der Weltreiche in kühler Reserve und mehr oder minder voll Mißtrauen dem neuen Deutschen Reiche gegenüberstanden, hat die katholische Kirche, die höchste sittliche Macht auf Erden, mit dem Konkordat der neuen deutschen Regierung ihr Vertrauen ausgesprochen".

Für das Ansehen der nationalsozialistischenRegierung im Ausland war diese Aussageeine Tat von unschätzbarer Tragweite.

12. Juni 1937 Berlin * Durch einen Geheimerlass des Chefs der Sicherheitspolizeiund des SD, Reinhard Heydrich, werden "jüdische Rasseschänder" und Partnerinnen in "rassenschänderischen Beziehungen" nach Verbüßung der Haftstrafe in ein Konzentrationslagereingewiesen.

1938 München-Maxvorstadt * Die "Generalmajorswitwe" Josephine Pongratz-Steiner ist Eigentümerin des Anwesens Richard-Wagner-Straße 9.

14. Februar 1938 München-Lehel * Adolf Hitler entwickelt im Atelier des Münchner Stadtbaurates Hermann Reinhard Alker die Vorstellungen zum "Haus der Deutschen Architektur".

Dieses Ausstellungsgebäude sollte genau gegenüber dem "Haus der Deutschen Kunst" entstehen, aber keineswegs "ähnlich concipiert", wenn auch gleichartig in Stein und Farbe und mit 21 Säulen. Nach einer vorliegenden Projektskizze hätte der Baukunsttempel noch einige Meter breiter werden sollen als der Synchronbau auf der anderen Straßenseite. Auf zwei hohen Sockeln sollten "Sphinxe" wachen wie vor den "Pyramiden von Gizeh".

28. August 1938 München-Maxvorstadt * Jenny Zeckendorf, Eigentümerin des Anwesens Richard-Wagner-Straße 11, stirbt. Das Haus geht in den Besitz der Kinder Dr. Walter und Nelly Zeckendorf über, die aber bereits nach New York emigriert sind. Sie bleiben offizielle Besitzer bis zum Jahr 1941.

9. November 1938 München-Graggenau * Nach Bekanntwerden des Todes von Ernst vom Rath hält

Seite 143/176 ReichspropagandaministerJoseph Goebbels umgehend eine antisemitische Hasstiradein der er zur Rache und zur Vergeltung am Weltjudentumaufruft.

Die Nationalsozialisten sind bestens vorbereitet, denn noch kurz vor Mitternacht ergeht ein Fernschreiben an alle deutschen Polizeistellen. Darin heißt es:

"Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen deren Synagogen stattfinden. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch eine sofortige Maßnahme sicherzustellen. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20.000 bis 30.000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden."

Der SS-Gruppenführerund Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, präzisiert die Befehle in einem weiteren Fernschreiben.

Dort ist zu lesen, dass die Polizei und die Dienststellen der NSDAP gemeinsam die Demonstrationenleiten sollen. Und: "Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die eine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums nicht mit sich bringen. Zum Beispiel Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist".

Durch ein im Jahr 1937 angefertigtes Verzeichnis der Münchner jüdischen Gewerbebetriebewissen die NS-Parteiorgane und Schlägertrupps genau wo sie zuschlagen und so die "verbrecherische Tat des jüdischen Mordbuben" rächen müssen.

12. November 1938 Berlin * Hermann Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplanzur Kriegsvorbereitung, erlässt eine Sühneverordnung, die zur Finanzierung der Aufrüstung gedacht ist.

Die Juden deutscher Staatsangehörigkeit müssen zusammen eine Milliarde Reichsmark wegen "ihrer feindlichen Haltung gegenüber dem deutschen Volk und Reich" zahlen. Weiterhin werden alle Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben ausgeschaltet. Und schließlich gibt es die Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes. Sie besagt: "Alle Schäden, welche durch die Empörung des Volkes über die Hetze des internationalen Judentums gegen das nationalsozialistische Deutschland an jüdischen Gewerbebetrieben und Wohnungen entstanden sind, sind von dem jüdischen Inhaber oder jüdischen Gewerbetreibenden sofort zu beseitigen. Die Kosten der Wiederherstellung trägt der Inhaber der betroffenen jüdischen Gewerbebetriebe und Wohnungen. Versicherungsansprüche von Juden deutscher Staatsangehörigkeit werden zugunsten des Reiches beschlagnahmt."

In München wird eine eigene Arisierungsstellein der Widenmayerstraße 27 eingerichtet, die die Enteignung und

Seite 144/176 Gettoisierung der jüdischen Bevölkerung durchführen soll.

20. Dezember 1938 München-Maxvorstadt - London * Dr. med. Alfred Haas, Betreiber der Privatklinikin der Richard-Wagner-Straße 17 und 19 flüchtet nach London. Seine Frau Elsa folgt ihm bald nach.

1939 München-Maxvorstadt * Obwohl Dr. Walter und Nelly Zeckendorf die offiziellen Besitzer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 11 sind, darf die Parterrewohnung und der erste Stock, in dem die verstorbene Jenny Zeckendorf bewohnt hat, nicht mehr vermietet werden.

Sie werden sofort für Zwangseinquartierungen jüdischer Menschen genutzt.

Ab 1939 München-Maxvorstadt * Zwischen 1939 und 1941 lassen sich in dem Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 insgesamt 22 jüdische Menschen nachweisen, die hier untergeracht worden sind.

Es handelt sich ausnahmslos um Personen, die aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben worden sind und von der Richard-Wagner-Straße 11 aus entweder ins Altenheim wechselten oder ins "Sammellager Milbertshofen" an der Knorrstarße gebracht werden.

1939 England * Zu Kriegsbeginn wird Gerhard Haas, der Enkel Joseph Schüleins, als "Deutscher Kriegsfeind" in einem "Internierungslager" gefangen gehalten.

Das Lager wird nach Kanada verlegt, von wo aus Gerhard Haas nach Cuba fliehen kann. Dort wartet er bis 1941 mit vielen tausend Flüchtlingen aus Deutschland auf sein Visa für die Einreise in die USA.

24. Januar 1939 Berlin * Gestapo-ChefReinhard Heydrich erhält den Auftrag, die "Endlösung der Judenfrage" vorzubereiten.

Ab dem 11. Juni 1939 München-Isarvorstadt * Karl Valentin tritt in Eduard Künneckes "Glückliche Reise" im Theater am Gärtnerplatz als Radfahrer auf.

Nach dem 8. November 1939 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber schreibt nach dem Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler im Bürgerbräukellerdiesem ein Telegramm und beglückwünscht ihn zu seiner "glücklichen Rettung". Zudem bittet er Gott, "er möge auch ferner seinen schützenden Arm über Sie halten".

1940

Seite 145/176 München-Maxvorstadt * Die Stadt München konfisziert das Haus in der Richard-Wagner-Straße 7 und übergibt es bald darauf an das Kuratorium für das Braune Band von Deutschland.

Ab 1940 München-Untergiesing * Im Zweiten Weltkrieg missbraucht man das "Schyrenbad" als "Sammelstelle zur Möbelbergung" für die ausgebombten Untergiesinger Bürger.

7. Juli 1940 Liverpool * Ringo Starr, der Schlagzeuger der Beatles, kommt als Richard Starkey in Liverpool zur Welt.

1941 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 17, dessen Besitzer Dr. med. Alfred Haas emigrieren musste, wird "arisiert" und geht an das "Deutsche Reich" über.

1941 München-Maxvorstadt * Dr. Ludwig Gilmer, ebenso "Facharzt für Chirurgie" wie Dr. Alfred Haas, übernimmt von der "Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, Landesstelle München" beziehungsweise vom "Deutschen Reich" die Häuser Richard-Wagner-Straße 17 und 19.

Er betreibt dort eine "Entbindungsanstalt".

Die "Franziskanerinnen" werden durch sogenannte "Braune Schwestern" ersetzt.

Sommer ??? 1941 München-Lehel - Grünwald *Aus Angst vor Bombardierungen zieht Karl Valentin vom Mariannenplatz 4 ins Grünwalder "Schlosshotel", wo er sich mit den Vorarbeiten zur Verfilmung seines Theaterstücks "Ritter Unkenstein" beschäftigt.

April 1941 München * Im "Stadtbauamt" wird eine Liste für "Wiedervermietungen freigewordener Judenwohnungen" erstellt.

Die Neuvermietung im Haus Richard-Wagner-Straße 11 wird schon Monate zuvor geplant, bevor die letzten Juden aus dem Haus in die "Deportationslager" abtransportiert sind.

1942 München-Maxvorstadt * Nach Beendigung der Deportation der Münchner Juden geht das Haus in der Richard-Wagner-Straße 11 in den Besitz des Arztes Dr. Wilhelm Holz über.

Nun können die neuen "arischen" Mieter einziehen.

29. August 1942

Seite 146/176 München * In dieser Nacht kommt es zu den ersten wirklich schweren Luftangriffenüber München.

20. September 1942 München * Der achte Luftangriff setzt bereits 6.000 obdachlose Menschen auf die Straße, nachdem das Bombardement ihre Wohnungen zerstört hat.

1943 München-Au * Das ehemalige Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird durch Bomben zerstört.

18. Dezember 1943 Dartford *Keith Richards, Gitarrist und Songwriter der Rolling Stones, wirdin Dartford in der Grafschaft Kent in England, geboren.

1944 München-Maxvorstadt * Das Anwesen in der Richard-Wagner-Straße 9 gehört den Erben Pongratz.

7. April 1944 Blomberg * Gerhard Schröder, der spätere Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und SPD-Vorsitzende, wird in Blomberg geboren.

24. April 1944 München-Lehel * Starke Zerstörungen bringen der "Anna-Klosterkirche" im Lehel die Luftangriffe des von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkriegs.

Bei einem Bombardement der alliierten Streitkräfte in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 wird die "Anna-Klosterkirche" ein Raub der Flammen. Ein mehrere Tage andauernder Brand zerstört fast die gesamte Inneneinrichtung, einschließlich der Stuckaturen und der Fresken. Lediglich die Außenmauern und das Gewölbe bleiben erhalten.

Das bedeutet, dass das heutige eindrucksvolle Aussehen des Kircheninneren "lediglich" einen Neubau aus der Zeit zwischen 1967 und 1979 darstellt.

12. Juni 1944 München-Maxvorstadt * Eine Brandbombe zerstört den Dachstuhl des Hauses Richard-Wagner-Straße 13.

Nach dem 26. August 1944 München-Kreuzviertel * Das Attentat vom 20. Juli 1944bezeichnet KardinalMichael von Faulhaber als "furchtbares Verbrechen".In seiner Vernehmung vom 26. August "überschlug er sich geradezu in der Ablehnung und Verurteilung des Anschlags [...] und in seinem Treueverhältnis gegenüber dem Führer".

Seite 147/176 19. September 1944 München * München erlebt den schwerstenLuftangriff. Er hat 7.105 Brände zur Folge.

2. November 1944 Todmorden * Keith Emerson, Keyboarder und Pianist von Niceund Emerson, Lake and Palmer, wird in Todmorden, England, geboren.

7. Januar 1945 München-Maxvorstadt * Die Wohnhäuser in der Richard-Wagner-Straße 1 und 3 werden in der Nacht zum 8. Januar durch Bomben zerstört. Hausnummer 5 wird beschädigt.

7. Januar 1945 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 16 wird durch Bomben zerstört, das Nebengebäude Richard-Wagner-Straße 18 erhält nur leichtere Schäden.Danach wird das geräumte Ruinengrundstück als Parkplatz benutzt.

20. März 1945 Giengen * Erhard Auer stirbt auf einem Transport in Giengen an der Brenz.

30. März 1945 Ripley * Eric Patrick Clapton wird in Ripley, Borough of Guildford, in Großbritannien geboren.

Der englische Blues- und Rock-Gitarrist und -Sänger ist 20-facher "Grammy"-Gewinner und als einziger Musiker dreifaches Mitglied der "Rock and Roll Hall of Fame".

Clapton prägte mit seinen Bands Yardbird und Cream sowie als Solo-Musiker die Entwicklung des Bluesrocks seit den 1960er Jahren wesentlich mit. Er gilt als einer der bedeutendsten Gitarristen.

25. April 1945 München-Maxvorstadt * Das Haus in Richard-Wagner-Straße 11 erhält einen Volltreffer eines späten Bombardements und muss vorübergehend vollständig geräumt werden.

Das HsNr. 13 erhält Schäden durch den Luftdruck.

28. Mai 1945 München * Als ersterBayerischer Ministerpräsidentwird auf ' Vorschlag von Kardinal Michael von Faulhaber der vorletzte Vorsitzende derBayerischen Volkspartei - BVP, Fritz Schäffer, von den Amerikanern eingesetzt. Die Amerikaner haben den Kardinalgebeten, ihnen einen geeigneten Mann für dieses Amt zu nennen.

Seite 148/176 Fritz Schäffer gehört zu den Gründern der Christlich-Sozialen Union - CSU, die sich als Nachfolgerin der katholischen Bayerischen Volksparteiversteht.Mit der CSU"erhält die Kirche eine politische Organisation, die ihre Belange durchsetzen hilft. Der Verbindungsmannzwischen Kirche und Partei ist Prälat Georg Meixner, der als Vorsitzender des kulturpolitischen Ausschusses der CSUfungiert.

Um August 1945 München-Haidhausen * Die Familie Heilmann-Stuck bezieht den von den Bombardierungen verschonten Teil der Dachzimmer in der "Villa Stuck".

3. Oktober 1945 München-Kreuzviertel * Pater Rupert Mayer wird auf eigenem Wunsch von Kardinal Faulhaber von den Aufgaben als Präses der Marinaischen Männerkongregationentbunden.

8. November 1945 München-Graggenau * KardinalMichael von Faulhaber weiht die Mariensäuleam Marienplatz neu ein.

Nach 1946 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 7 wird an die "Erbengemeinschaft Schülein" zurückgegeben.

23. Februar 1946 Bonn * Konrad Adenauer, ein entschiedener Katholikund späterer Bundeskanzlerder Bundesrepublik Deutschland, schreibt an Pastor Bernhard Custodis in Bonn über die Bischöfe im Dritten Reichdie nachfolgenden Zeilen:

"Ich glaube, dass, wenn die Bischöfe alle miteinander an einem bestimmten Tage öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Stellung genommen hätten, sie vieles hätten verhüten können. Das ist nicht geschehen und dafür gibt es keine Entschuldigung. Wenn die Bischöfe dadurch ins Gefängnis oder in Konzentrationslager gekommen wären, so wäre das keine Schande, im Gegenteil. Alles das ist nicht geschehen und darum schweigt man besser."

28. September 1946 München-Kreuzviertel * Die Dreifaltigkeitskirche bleibt tatsächlich als einzige Kirche der Münchner Innenstadt von der Wucht der Bomben des Zweiten Weltkriegs weitestgehend verschont.

Der Bericht des Dompfarrers K. Abenthum vom 28. September 1946 führt folgende Beschädigungen auf: "Dach über dem Querschiff abgebrannt; Sakristeianbauten größtenteils zerstört. [?] Kleinere Splitterschäden und Beschädigungen an der Putzarchitektur. Im Inneren: [?] Altargemälde ernsthaft beschädigt."

1. Dezember 1946

Seite 149/176 Freistaat Bayern * Bei der ersten Wahl zum Bayerischen Landtagerhält die CSU 104 Sitze, die SPD erringt 54, die Wirtschaftliche Aufbauvereinigung - WAV13 und die FDP 9 Sitze. Dadurch kann MinisterpräsidentHans Ehard ein reines CSU-Kabinettleiten.

21. Dezember 1946 München-Lehel * Hans Ehard von der Christlich Sozialen Union - CSUwird zum ersten demokratisch legitimierten Ministerpräsidenten des Freistaats Bayernder Nachkriegszeit gewählt. Er richtet seine Staatskanzleiin der Prinzregentenstraße 9 ein.

1947 München-Maxvorstadt * Der 22-jährige, aus Marktl am Inn stammende TheologiestudentJoseph Ratzinger beginnt im Georgianumseine Laufbahn.

15. Mai 1947 München-Au * Kardinal Michael von Faulhaber weiht die St.-Wolfgangs-Notkirchefür die Pfarrei ein, die die Brüder der Salesianer Don Boscosübernommen haben.

1. Oktober 1948 Freistaat Bayern * Das Bayerische Rundfunkgesetztritt in Kraft. Zwei Ziele standen bei den amerikanischen Überlegungen zur Rundfunkpolitiknach amerikanischem Vorbild im Vordergrund:

Vermeidung von staatlicher Einflussnahme Dezentralisierung.

Als Vermächtnis dieser Politik vereint die ARDheute neun Rundfunkanstaltenunter ihrem Dach.

17. Januar 1949 Welwyn Garden City * Mick Taylor, der spätere Sologitarrist bei den Rolling Stones, wird als Michael Kevin Taylor in Welwyn Garden City, England, geboren.

5. März 1949 München * Die bayerische Landeshauptstadt München verleiht KardinalMichael von Faulhaber aus Anlass seines achtzigsten Geburtstags die Ehrenbürgerschaft. Schon damals sprechen alle vom Widerstand des Erzbischofs von München und Freising.Und LandtagspräsidentMichael Horlacher von der CSUschwärmt in seiner Rede vor den Abgeordneten sogar von Michael von Faulhabers "immerwährenden Eintreten für den Völkerfrieden".

8. September 1949 Garmisch-Partenkirchen * Der Komponist und Dirigent Richard Strauss stirbt in Garmisch-Partenkirchen.

Seite 150/176 1950 München-Maxvorstadt *Das Gebäude an der Richard-Wagner-Straße 10 wird neuer Sitz der - in der "Alten Akademie" ausgebombten - "Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und historische Geologie" sowie einiger "Institute der Ludwig-Maximilian-Universität München".

26. Juni 1950 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael vonFaulhaber eröffnet den "Diözesanen Informationsprozess für die Seligsprechung" von Pater Rupert Mayer.

Juli 1950 München-Maxvorstadt * Das Gebäude in der Richard-Wagner-Straße 3 wird in Anlehnung an das Eckhaus an der Brienner Straße als Verwaltungsgebäude errichtet.

Juli 1950 München-Maxvorstadt * Das Gebäude in der Richard-Wagner-Straße 5 wird entsprechend der Bauform von 1900 restauriert.

Juli 1950 München-Maxvorstadt * Der Neubau für die "Amper-Werke Elektrizitäts AG" an der Brienner Straße/Ecke Richard-Wagner-Straße wird in Angriff genommen.

Architekt ist Heinz Schilling.

26. November 1950 Freistaat Bayern * Bei der Landtagswahlam 26. November 1950 muss die CSU eine verheerende Niederlage hinnehmen:

Nur 27,4 Prozent der Stimmen entfallen auf die CSU, während die Bayernpartei17,9 Prozent erhält. Die SPD wird mit 28 Prozent der Stimmen zur stärksten Partei. Obwohl sie 60.000 Stimmen mehr als die CSU erhält, bleiben die Christsozialenaufgrund von Überhangmandatentrotzdem die stärkste Fraktion.

Hans Ehard bildet eine Koalitionsregierungaus CSU, SPD und dem rechts stehenden Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten - BHE.

28. Dezember 1950 München * Der US-LandeskommissarGeorge Schuster gibt einen Empfang zu Ehren des Kardinalsund erklärt, dass Michael von Faulhaber in seinen Predigten "seine kompromißlose Opposition gegen dieses Regime verkündet und vielen Deutschen auf diese Weise neue Kraft für ihren Kampf gegeben" habe.

Seite 151/176 1951 München * Gerhard Pallmann gibt eine Zusammenstellung aus Karl Valentins Nachlass unter dem Titel "Die Jugendstreiche des Knaben Karl" heraus.

1951 München-Maxvorstadt * Nachdem die Familie Dr. Alfred Haas nach dem Krieg ihr Eigentum wieder zurückbekommen hat, verkaufen sie die Klinik in der Richard-Wagner-Straße 17 und 19 an den "Franziskus-Verein" ausWil in der Schweiz.

Die "Franziskanerinnen" betreiben das Krankenhaus unter dem Namen "Privatklinik Dr. Haas".

Die Schwestern wohnen im obersten Stockwerk des Hauses Richard-Wagner-Straße 15.

1951 Planegg * Gisela Fey verkauft Teile ihres Planegger Grundstücks an den Bauunternehmer Leonhard Rupp, als sie nach Karl Valentins Tod in finanzielle Not geraten war.

13. Juni 1951 München-Lehel * Nachdem die Anna-Klosterkirche "für den praktischen Gebrauch" weiß getüncht worden ist, kann sie Kardinal Michael von Faulhaber feierlich wiedereröffnen.

12. Juni 1952 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber stirbt. Der Tod der nicht unumstrittenen Persönlichkeit ruft beiden Gläubigen Münchens nicht nur Bestürzung hervor.

Nach dem 12. Juni 1952 München * Es ist und bleibt ein ewiges Rätsel, warum ausgerechnet die Münchner Jüdische Zeitungzum Schluss kommt, dass Kardinal Michael von Faulhaber an dem denkwürdigen 3. Dezember 1933 "gegen den Rassenwahn der nationalsozialistischen Machthaber so furchtlos Stellung nahm".

9. August 1952 Rom-Vatikan * Papst Pius XII. ernennt BischofJoseph Wendel zu Michael von Faulhabers Nachfolger als 9. Erzbischof von München und Freising. Joseph Wendel gilt als ein gemäßigter Konservativer.

12. Januar 1953 Rom-Vatikan - München-Kreuzviertel * ErzbischofJoseph Wendel erhält die Kardinalswürdeübertragen.

1954 Kaltenberg * Dr. Fritz Schülein verkauft das "Schlossgut Kaltenberg" an Prinz Heinrich von Bayern und dessen Schwester Irmingard.

Seite 152/176 1954 München-Maxvorstadt * Das Haus in der Richard-Wagner-Straße 7 gehört dem "Katholischen Werkvolk, Diözesanverband München-Freising".

1955 München-Lehel - Praterinsel * Bei Eduard Pichls Beerdigung werden dessen letzten Grüße verlesen:

"Ich würde genau wieder so leben wollen. Ich bereue nichts".

1955 München-Maxvorstadt *Die "Isar-Amper-Werke AG" verfügen über das Anwesen Ecke Brienner Straße 41 und Richard-Wagner-Straße 3 und 5.

1956 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 wird an die rechtmäßigen Erben Dr. Walter und Nelly Zeckendorf zurückgegeben.

1956 München-Maxvorstadt * Der "Kaufmann" Michael Bauernschmidt erwirbt das Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 von den Erben.

18. November 1956 München-Haidhausen * Kardinal Joseph Wendel weiht die Elisabethkirchein der Breisacher Straße ein. Gleichzeitig bestimmt er abgegrenzte Teile der Pfarrei St.-Johann-Baptistund der Pfarrei St.-Gabrielals Pfarrkuratie St. Elisabeth. Sie umfasst rund 7.000 Seelen.

1958 München-Maxvorstadt * Das Haus in der Richard-Wagner-Straße 7 gehört der "Studentenverbindung Teutonia".

20. September 1958 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier betreibt in einer ehemaligen Reichsarbeitsdienstbarackedas Kleine Winzerer Fähndlauf der Wiesn. Beim Einzug der Wiesnwirtezieht der Wirt vom Straubinger Hofzieht mit einem Eselskarren in seine kleine Festhalleein.

"Ich hab? mir gedacht: Ich mit dem kleinsten Zelt, mit dieser Baracke - dazu passt doch keine Pferdekutsche beim Einzug."Also spannt er zwei Esel vor einen Leiterwagen.In der Sonnenstraße setzen sich die Esel einfach hin und stehen nicht mehr auf. Damit ist er der Letzte beim Wiesnwirte-Einzug. Hinter ihm nur noch die Polizei und die Straßenreinigung.

Seitdem dürfen sich keine Esel mehr am Einzug der Wiesnwirtebeteiligen. (Wohlgemerkt vierhaxige!)

Seite 153/176 23. November 1958 FreistaatBayern * Bei der Wahl zum Bayerischen Landtagist die CSU die eindeutige Wahlgewinnerin.

Die CSU kann ihren Stimmenanteil von 38,4 auf 45,6 Prozent erhöhen. Die SPD verbessert ihr Ergebnis um 2,7 Prozent auf 30,8 Prozent. Die Bayernpartei - BP, der Gesamtdeutsche Block/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten - GB/BHEsowie die FDP fallen nach zum Teil massiven Verlusten unter die Zehnprozent-Marke.

Der Trend zum Zweiparteien-System schält sich schon bei dieser Wahl deutlich heraus.

Obwohl die CSU mit 101 Sitzen fast die absolute Mehrheiterreicht hat, bleibt es bei der Dreierkoalitionaus CSU, GB/BHE und FDP.

Zum Ministerpräsidentenwird Hanns Seidel gewählt.Sein Stellvertreter, Rudolf Eberhard, gehört aber aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nun auch der Christlich Sozialen Unionan.

1960 München-Bogenhausen * Nach dem Tod des "Togal"-Firmengründers Gerhard Friedrich Schmidt streiten sich die drei Söhne um das attraktive Erbe.

Der jüngste der Brüder, Günther J. Schmidt, siegt nach einem erbitterten Rechtsstreit.

1960 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier lässt auf eigene Kosten die "Oktoberfesthalle der Armbrustschützen" von 500 auf 1.500 Plätze ausgebauen und die markante Fassade gestalten.

Januar 1960 München * Nachdem Hanns Seidel aus Gesundheitsgründen zurücktreten muss, übernimmt erneut der inzwischen 72-jährige Hans Ehard das Amt des "Bayerischen Ministerpräsidenten".

Ansonsten ändert sich an der personellen Besetzung nichts.

29. Mai 1960 München-Maxvorstadt * Das Kavallerie-Denkmalvor dem Hauptstaatsarchivwird enthüllt. Der Wehrmachtsgeneral a.D.Dietrich von Saucken lobt dabei die Eigenschaft der "Deutschen Soldatenpferde" und die sich daraus ergebenden Charaktereigenschaften: "Fromm, willig und ausdauernd bis zum letzten Atemzug", lautet seine Analyse.

Der Entwurf zu dem überlebensgroßen, ungesattelten Bronzepferd stammt von dem Bildhauer Bernhard Bleeker, der schon den toten Soldaten im Kriegerdenkmal im Hofgartengeschaffen hat.

Seite 154/176 1. Juli 1960 München-Haidhausen * Kardinal Joseph Wendel erhebt die Pfarrkuratiezur Stadtpfarrei St. Elisabeth.

31. Dezember 1960 München-Kreuzviertel * KardinalJoseph Wendel stirbt nach der Silvester-Andachtauf dem Weg zum Erzbischöflichen Palais.

3. Juli 1961 Rom-Vatikan - München-Kreuzviertel * KardinalJulius Döpfner wird zum 10. Erzbischof von München und Freisingernannt.

30. September 1961 München-Kreuzviertel * KardinalJulius Döpfner wird als Erzbischof von München und Freisinginthronisiert. Er gehört - neben Papst Johannes XXIII. - zu den vier leitenden Persönlichkeiten des Zweiten Vatikanischen Konzilsund bemüht sich um eine Annäherung an die SPD.

25. Juni 1962 München-Schwabing * Montag. Rund 2.500 Protestierer versammeln sich an der Leopoldstraße.Mehrere hundert Jugendliche blockieren erneut den Verkehrauf dem Boulevard. Gegen 1 Uhr räumt die Polizei die Straße. Rund 200 Protestierer werden "eingekesselt" und anschließend festgenommen, darunter auch der spätere RAF-TerroristAndreas Baader. Damit enden die Schwabinger Krawalle. Laut Polizeibericht kommen an diesem Tag rund 360 Polizisten zum Einsatz.35 Protestierer werden festgenommen, sieben nachträglich zur Anzeige gebracht.Darüber hinaus werden über 200 Anwesende zur Personalienfeststellung kurzfristig in Gewahrsam genommen.

Dass die Stadtpolizeian allen Tagen keine Wasserwerfereinsetzt, liegt an der in der Leopoldstraße verkehrenden Straßenbahn.Man hätte nämlich aus Sicherheitsgründen die Strom führenden Oberleitungen außer Betrieb nehmen müssen.Außerdem befürchtet man angesichts der sommerlichen Temperaturen, dass ein Wasserwerferzur weiteren "Erheiterung" der Protestierenden beigetragen hätte.

Fazit: Gegen 248 Personen werden Ermittlungen wegen der Beteiligung an den Schwabinger Krawallenaufgenommen.Darunter finden sich lediglich 13 Frauen. Fast drei Viertel der Verfahren werden eingestellt. 54 Angeklagte werden verurteilt; es gibt 13 Freisprüche. Das Durchschnittsalter der Verurteilten liegt bei 22 Jahren.

Von den jungen Berufstätigen werden auffällig viele verurteilt.Während aus dem akademischen Nachwuchs nur jeder Zehnte eine Strafe erhält, ist es bei den Nichtakademikern nahezu jeder Zweite.Es werden sechs Gefängnisstrafen zwischen drei und dreizehn Monaten ausgesprochen, wovon fünf auf Nichtakademikern fallen.Die Geldstrafen liegen zwischen 40 und 1.000 DMark.Die Jungakademiker kommen mit Geldbußen und Strafen auf Bewährung davon.

Gegen Angehörige der Stadtpolizeiwerden 143 Verfahren eröffnet.Lediglich 14 Polizisten werden aber mit Anklagen konfrontiert.Vier Ordnungshüterwerden rechtskräftig verurteilt.Darunter ist nur ein Stadtpolizist, der an den Einsätzen vor Ort beteiligt war.Die drei Anderen sind als Aufseher in der Polizeihaftanstalttätig.

Seite 155/176 Der Bezirksausschuss Schwabing-Freimannprotestiert in einer Resolution gegen die Ausschreitungen, die das "Machwerk verantwortungsloser, ortsfremder Elemente" gewesen sei und bedankt sich ausdrücklich bei der Münchner Polizeifür das mutige und tatkräftige Einschreiten.

12. Juli 1962 London * Die Rolling Stonesgeben im Londoner Marquee Clubihr Livedebüt. Mick Jagger, BrianJones, Keith Richards und Pianist Ian Stewart sowie Bassist Dick Taylor [später bei The Pretty Things] und Drummer Mick Avory [später bei The Kinks] treten erstmals auf.

Das Repertoire der Rolling Stonesbesteht aus Blues-Standards wie Kansas City, Hoochie Coochie Manoder Bright Lights.

7. Juli 1963 Großbritannien * Die Rolling Stonesveröffentlichen ihre erste Single mit "Come On" von Chuck Berry als A-Seite. Die B-Seite trägt den Titel "I Want To Be Loved" und stammt von Willie Dixon.

16. Oktober 1963 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Ludwig Erhard [CDU] wird zum neuen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlandgewählt.

1. November 1963 Großbritannien * Die Rolling Stonesbringen mit dem Lennon/McCartney-Song "I Wanna Be Your Man" und "Stoned" von Nanker/Phelge ihre zweite Single auf den Markt. Nanker/Phelge ist ein Pseudonym der frühen Jahre. Es umfasst zum Teil die ganze Band.

Ab 31. Dezember 1963 München-Schwabing * Zwischen 1963 und 1971 tritt Dieter Hildebrandt mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaftim zweijährigen Abstand mit "Schimpf vor zwölf" live im Silvesterprogramm der ARD auf. Das macht die Kabarettisten-Gruppe einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

21. Februar 1964 Großbritannien * Mit "Not Fade Away / Little By Little" veröffentlichen die Rolling Stonesihre dritte Single.Die Songs stammen von Norman Petty/Charles Hardin beziehungsweise werden unter dem Pseudonym von Nanker/Phelge veröffentlicht.

2. März 1964 London * Die Dreharbeiten für den Beatles-Film "A Hard Day?s Night" beginnen in Paddington Stadionin London.

16. April 1964 London * Der Beatles-Song "A hard day?s night", mit dem berühmten Eröffnungsakkord, wird aufgenommen.

Seite 156/176 24. April 1964 Großbritannien * Die Dreharbeiten für den Beatles-Film "A hard day?s night" sind abgeschlossen.

12. Mai 1964 München-Maxvorstadt * Cliff Richards & The Shadowstreten im Cirkus Kroneauf.

Im Vorprogramm spielt Dravi Deutscher.

26. Juni 1964 USA * Das Original-Soundtrack-Albumdes Beatles-Films "A Hard Day?s Night" erscheint in den USA. Es enthält die instrumentale Filmmusik von George Martin.

26. Juni 1964 Großbritannien * Die Rolling Stonesveröffentlichen ihre vierte Single mit dem Bobby & Shirley Womack-Titel "It?s All Over Now"und "Good Times, Bad Times"von Jagger/Richards.

6. Juli 1964 London * Die Royal World Premieredes Beatles-Films "A hard day?s night" findet im London Pavilionstatt.

10. Juli 1964 Großbritannien * "A Hard Day?s Night", die dritte LP der Beatles erscheint.Alle 13 Lieder stammen aus der Feder von John Lennon und Paul McCartney.Daneben gibt es als Auskoppelung die 7. Beatles-Single mit "A Hard Day?s Night"und m"I Should Have Know Better". Gleichzeitig hat der Beatles-Film "A Hard Day?s Night" im Liverpooler Odeon Cinemaseine Nord-Premiere.

13. Juli 1964 USA * Der Beatles-Film A hard day?s nighterlebt in den USA seine Uraufführung.

23. Juli 1964 Bundesrepublik Deutschland * Der synchronisierte Beatles-Film A hard day?s nightkommt in Deutschland unter dem Titel Yeah, Yeah, Yeahin die Kinos.

24. Juli 1964 München-Ludwigsvorstadt * Die Abendzeitungkauft alle Eintrittskarten für die Aufführung des Beatles-Filmes Yeah, Yeah, Yeahim City-Palastan der Sonnenstraße auf und verschenkt sie an Beatles-Fans.Dabei ist das Interesse so gewaltig, dass sich die ersten Liebhaber bereits in aller Frühe einfinden, obwohl die Kartenverteilung erst um zwölf Uhr Mittag beginnt.

Polizisten in Zivil mischen sich unter die Jugendlichen, um nötigenfalls ordnend einzugreifen. Das Verhalten der adrett und brav gekleideten weiblichen und der - mit den damals modischen, eng geknoteten Krawatten

Seite 157/176 ausstaffierten - männlichen Jugendlichen macht dies aber nicht notwendig. Sollte es zu einem gefährlichen Gedränge kommen, würde ein Lautsprecherwagen bereitstehen, über den man - vom Stadtjugendamt ausgeliehene - Beatles-Platten abspielt, um die Fans vom Kinoeingang wegzulocken.

Man will sie dann zur Theresienwiese lotsen, wo genügend Platz zur Umsetzung von Musik in Bewegung vorhanden wäre. So weit kommt es allerdings nicht.

Doch als die Beatles schließlich auf der Leinwand erschienen, kennt die Begeisterung keine Grenzen; Tränen fließen, Schreie ertönen, es wird gestampft, geklatscht und mitgesungen.

Die "Beatles" sind einfach die Größten.

13. November 1964 Großbritannien * Die fünfte Rolling Stones-Single wird veröffentlicht. "Little Red Rooster" und "Off The Hook" bilden die Titel.

26. Februar 1965 Großbritannien - USA * Die Rolling Stonesveröffentlichen mit "The Last Time" und "Play With Fire" ihre sechste Single."The Last Time" schafft es in England auf Platz 1, in USA auf Platz 9.

Um den 25. Juni 1965 London - USA * Die London Recordsbringen in den USA die siebte Rolling-Stones-Single "(I Can?t Get No) Satisfaction"mit der B-Seite "The Under Assistant West Coast Promotion Man"heraus. Die Band befindet sich noch immer noch auf Tournee in den USA und istzur Veröffentlichung überhaupt nicht gefragt worden.

10. Juli 1965 USA * "(I Can?t Get No) Satisfaction" erreicht die Nummer 1-Position in den US-Chartsund gibt diese Position vier Wochen lang nicht mehr ab.

20. August 1965 Großbritannien * Erst jetzt wird "(I Can?t Get No) Satisfaction" in England mit der B-Seite "The Spider And The Fly" veröffentlicht.

9. September 1965 Großbritannien * Der Rolling-Stones-Hit "(I Can?t Get No) Satisfaction" erklimmt in den englischen Chartsden Platz 1 für zwei Wochen.

14. September 1965 München-Maxvorstadt * Die Rolling Stonesspielen erstmals in Münchens größter Rock-Arena, im Cirkus-Krone-Bau. Der Eintritt kostet 6,90 DMark.

Seite 158/176 14. September 1965 München * Brian Jones von den Rolling Stoneslernt in München auf einer After-Show-Partydie als Fotomodell und Schauspielerin tätige Anita Pallenberg kennen. Auch Mick Jagger und Keith Richards begehrten diese Frau, doch Brian Jones gewinnt - vorerst.

18. September 1965 München-Theresienwiese * Richard Süßmeiers Armbrustschützenzeltist die größte Festhalleauf der Wiesn. Am Einzug der Wiesnwirtebeteiligt er sich als Ritter auf einem Karussellpferd.

19. September 1965 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 5. Deutschen Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Ludwig Erhard 47,6 Prozent [+ 2,3] und 251 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt erringt 39,3 Prozent der Stimmen [+ 3,1] und 217 Sitze. Die FDP bekommt 9,5 Prozent [- 3,3] und 50 Sitze.

Ludwig Erhard [CDU] wird Bundeskanzler einer Koalition aus CDU/CSU und FDP.

22. Oktober 1965 Großbritannien * Die Rolling Stonesbringen mit "Get Off Of My Cloud" und "The Singer Not The Song" ihre achte Single auf den Markt.

1966 München-Ludwigsvorstadt * Kurt Plapperer übernimmt die Leitung des "Deutschen Theaters".

Er und sein Sohn Heiko Plapperer-Lüthgard verändern das Programm stark in Richtung internationale Musicals.

4. März 1966 London * Im Evening Standarderscheint das Interview von John Lennon, in dem sagt, die Beatles sind "populärer als Christus".

23. Juni 1966 London - München * Um 11:20 Uhr heben die Beatles mit dem Flug BE502 mit der BEA-Linienmaschine Comet IVvom Londoner Flughafen ab, um um 12:56 Uhr in München-Riem zu landen. Endlich sind sie da. George Harrison, Paul McCartney, John Lennon und Ringo Starr treffen erstmals und höchstpersönlich in München ein.

Und als "die vier Sängerknaben mit der Mädchenfrisur" das Flugzeug verlassen, werden sie "von lustigen Teenagern zumeist" begeistert empfangen. Man hat sie bis zur Landung des Flugzeugs mit Beatmusik bei Laune gehalten.Die Mädchen tragen Pony, die Haare hochtoupiert, sowie bonbonfarbene, schenkelkurze Op-Art-Kleidchen und Pumps. Die Burschen bekleiden sich mit hautengen Jeans und schwarzen T-Shirts oder

Seite 159/176 geblümten Hemden. Ihre Haare bedecken zwar die Ohren, reichen aber noch nicht bis zur Schulter.Dazwischen sind auch "einige wüstere Typen mit verfilztem, schulterlangem Haar, im obligatorischen Snow Coat mit aufgemalten Atomwaffengegner-Abzeichen", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Die Mädchen halten bemalte Schilder hoch und alles sieht friedlich aus.Doch es muss schon ein sehr trügerischer Friede sein, denn auf je fünf Fans kommt ein Polizist. 200 Staatliche Ordnungskräfte sorgen für einen reibungslosen Ablauf.Außerdem ist die Straße rechts vom Hauptgebäude auf einer Länge von fast einhundert Metern abgesperrt worden.

Noch auf der Rolltreppe werden die Fab Fourmit extrem saublöden Fragen interviewt.Ringo Starr antwortet auf dem Flughafen auf die Frage eines Reporters: "Warum stehen Sie immer so spät auf?" mit der Gegenfrage: "Wollen Sie schon in aller Frühe unseren Lärm hören?"Total unverständlich findet der Münchner Merkurdie Popularität der Beatles, da die Vier doch nur Nachteile vorzuweisen hätten: "Der kurzsichtige John Lennon, der Linkshänder Paul McCartney, George Harrison mit den abstehenden Ohren und Ringo Starr mit der übergroßen Nase."

Außerdem überreicht man ihnen Lederhosen mit Hirschknöpfen und weiße leinene Trachtenhemden.Schon während des Flugs hat man ihnen einen Tirolerhutübergeben, den der "großnasige" Ringo beim Verlassen des Flugzeugs zu seiner braunen Lederjacke trägt.

"Machen Sie Platz für die Beatles!".Die Ampeln sind für die vier Musiker auf Grün gestellt. So fahren sie über die Prinzregentenstraße, vorbei an den Vieltausenden, Fähnchen schwenkenden, "Yeah-yeah-yeah!" kreischenden Münchner Beatles-Fans. Es herrscht einfach eine freundliche Stimmung an diesem 23. Juni 1966.

In dem Auto mit dem Kennzeichen M-TX 107 sitzen die Beatles.Um den wartenden Fans zu entkommen, fährt der Mercedes die Tiefgarage von hinten an, sodass die Gruppe um 13:45 Uhr das Hotel durch den Lieferanteneingang betreten kann. Während die Musiker durch den Hintereingang verschwinden, warten auf dem Promenadeplatz etwa 3.000 Fans und Neugierige mit Transparenten. Neun Hausdiener und eine Handvoll Polizisten sollen den Bayerischen Hofgegen den Ansturm der Beatles-Fans verteidigen."Die Scheiben sind vorsorglich beim Glaser bestellt", diktiert Hotelchef Falk Volkhardt einem Reporter in den Block.

Nichts passiert. Nur junge Frauen und Männer warten auf dem Promenadeplatz sehnsüchtig auf den Augenblick, dass sich ihre Idole an einem der Fenster zeigen.Oben im fünften Stock tun diese den Fans ein einziges Mal den Gefallen und treten ans Fenster, um ein paar Autogramme auf die Straße zu werfen.

Für 16:00 Uhr ist im Nachtclubdes Hotels Bayerischer Hofeine Pressekonferenz anberaumt.Diese beginnt 20 Minuten später, weil der Fahrstuhl stecken bleibt. Statt der erlaubten 10 haben sich 15 Personen in den Aufzug gequetscht.Zuerst werden Fotos der Fab Fourgeschossen, danach dürfen die Journalisten die Beatles 13 Minuten befragen.Dazwischen bekommen sie noch den "Goldenen BRAVO Otto" in der Kategorie Beste Beatbandüberreicht.

Zur gleichen Zeit tagt im Polizeipräsidiuman der Ettstraße ein Krisenstab, denn den deutschen Behörden und der Polizei waren Popstars samt den kreischenden Fans ausgesprochen befremdlich.Aus Anlass des Beatles-Gastspiels richtet man in München einen Krisenstab ein, dem der Polizeipräsident, zwei Einsatzleiter und ein erst kurz zuvor installierter psychologischer Fachmann angehören.Deeskalationfordert der Psychologe, was natürlich umfangreiche polizeiliche Vorbereitungen notwendig macht, um Massenaufläufe möglichst zu verhindern oder zumindest unter Kontrolle zu halten.

So bekommen die Beatlesdie Kehrseite ihres Ruhmes zu spüren.Ihnen wird ein abendlicher Schwabing-Bummel

Seite 160/176 aus Sicherheitsgründen verboten, weshalb sie die ganze Zeit ihres München-Aufenthaltes im Bayerischen Hofverbringen müssen. Die Abendzeitungschreibt beschwichtigend: "Die Herren tragen zwar unorthodoxe Haartracht und veranstalten einen für musikalische Ohren beschwerlichen Lärm, aber im Grunde sind sie harmlos und übermütig, und in ihren Liedern kommt nichts Unanständiges vor."Die Polizei hat eine Fälscherbande hochgenommen, die 125 gefälschte Eintrittskarten für die Beatles-Konzertezu Horror-Preisen verkauft hat.

Am frühen Abend machen die Beatles eine Generalprobeauf ihrem Zimmer, da sie bis zum 21. Juni 1966 jeden Tag mit den Aufnahmen zur LP "Revolver"beschäftigt waren. Gegen 21:30 Uhr betreten die vier Beatmusiker das 16 Meter lange Schwimmbadauf dem Dach des Hotels Bayerischer Hof, das extra für die Beatles reserviert und eigens für diesen Zweck mit neuem Wasser gefüllt worden war. Der einzige Schwimmer ist Paul, der sich mit einer geliehenen Badehose in die Fluten stürzt, während die drei anderen "kühles Nass aus Whiskeyflaschen" vorziehen.

Fortsetzung folgt !

17. September 1966 München - Bundesrepublik Deutschland * Um 20:15 Uhr sendet das Erste deutsche Fernsehen die erste Folge von "Raumpatrouille - Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion". Ab dann können die Bundesbürger dieses "Märchen von übermorgen" jeden zweiten Samstag bewundern.

Der Start der Orion ist der Höhepunkt der Tricktechnik. Er wird auf den noch mit Granitplatten belegten Königsplatz gedreht und anschließend verfälscht.

27. Oktober 1966 Bonn *Die FDP zieht nach einer Auseinandersetzung über den Bundeshaushalt ihre vier Minister aus der Regierung Erhardzurück. Bundeskanzler Ludwig Erhard [CDU] bildetdaraufhin eine Minderheitsregierungaus CDU und CSU.

10. November 1966 Bonn * Kurt Georg Kiesinger [CDU] setzt sich im dritten Wahlgang gegen seine Konkurrenten - Bundesaußenminister Gerhard Schröder [CDU] und den CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Rainer Barzel - als Kanzlerkandidat der CDU durch.BundestagspräsidentEugen Gerstenmaier hat zuvor zugunsten Kiesingers verzichtet.

30. November 1966 Bonn * Ludwig Erhard [CDU] tritt als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland zurück.

1967 München-Haidhausen * In den Maximiliansanlagen, zwischen dem Maximilianeumund dem Friedensengel, an der Stelle, an der König Ludwig II. - eigens für die Werke seines verehrten Musikeridols Richard Wagner - ein Festspielhauserrichten lassen wollte, wird eine 2,60 Meter hohe Bronzestatue zu Ehren des bayerischen Märchenkönigserstellt.

Seite 161/176 25. Juni 1967 Londdon * Die Beatles treten mit der Friedenshymne "All You Need Is Love"in der per Satellit weltweit übertragenen BBC-Fernsehsendung Our World Liveauf. Die Sendung wird weltweit von 400 Millionen Zuschauern gesehen. Zu den Gästen in den Abbey-Road-Studiosgehören Mick Jagger, Keith Richards, Eric Clapton, Keith Moon und Marianne Faithfull.

1969 München-Kreuzviertel * Falk Volkhardt, der Besitzer des benachbarten Hotels Bayerischer Hofkauft das Montgelas-Palais -und richtet dort eine Dependance ein. Im Keller befindet sich das Lokal "Palais Keller".

9. Juni 1969 London * Brian Jones, Lead-Gitarrist und Mitbegründer der Rolling Stones, trennt sich von der Band. Jones akzeptiert einen Abfindungsvertrag, der ihm eine einmalige Abfindungszahlung vom 100.000 Pfund sowie 20.000 Pfund jährlich, so lange die Rolling Stonesexistieren.

3. Juli 1969 Hartfield * Brian Jones, der Ex-Lead-Gitarrist der Rolling Stones, stirbt in Hartfield, Sussex.

5. Juli 1969 London * Mick Taylor tritt erstmals als offizielles Band-Mitglied der Rolling Stonesbeim Konzert im Londoner Hyde-Parkvor etwa 500.000 Menschen auf. Das Konzert ist Brian Jones - aufgrund des plötzlichen Todes - gewidmet.

19. September 1970 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier wird Sprecher der Wiesnwirte- bis 1984.

29. November 1970 Bundesrepublik Deutschland ? Der erste "Tatort"-Krimi wird im ARD gezeigt. Es ist der Hamburger Fall "Taxi nach Leipzig".

8. Dezember 1970 München-Graggenau * Kardinal Julius Döpfner weiht die auf leicht verschobenem Standort wieder aufgerichtete Mariensäuleein.

1971 Mühldorf am Inn *In Mühldorf am Inn wird das vollständig erhaltene Skelett eines 10 Millionen Jahre alten Elefanten-Verwandten aus der Gruppe "Mastodon" gefunden.

Es wird in der "Paläontologischen Sammlung" in der Richard-Wagner-Straße 10 ausgestellt.

Seite 162/176 Um den 10. Dezember 1974 Großbritannien * Mick Taylor verlässt die Rolling Stonesnach fünf Jahren.

1975 München-Maxvorstadt * Die "Isar-Amper-Werke Elektrizitäts AG" schließen die letzte Baulücke an der Richard-Wagner-Straße 1.

Ab 1975 München-Lehel * In den Jahren 1975 und 1976 befasst man sich mit den beiden Haupt-Seitenaltären in der Kirchenmitte der "Anna-Klosterkirche".

Der "Antonius-Altar" wird vollkommen neu konzipiert. Er war ursprünglich ein "Nepomuk-Altar", der später in einen "Ludwigs-Altar" umgewandelt wurde. Jetzt erhält er die Bestimmung eines "Antonius-Altars". Der Heilige gilt als Patron der bayerischen "Franziskaner".

Seine "Oberarm-Reliquie", die Kaiser Ludwig der Baier anno 1330 den Münchner "Franziskanern" schenkte, wurde anno 1480 in einem spätgotischen "Reliquiar" gefasst und in einem barocken Schrein ausgestellt. Sie befindet sich seit dem Jahr 1827 in der "Anna-Kirche". Angeblich rettete ein "Franziskaner-Mönch" die kostbare "Reliquie" nach dem Bombardement aus dem brennenden Gotteshaus.

Die am Altar aufgebaute "Antonius-Statue" aus dem Jahr 1682 wird von kleinen, "modernen" Bildtafeln eingerahmt.

1975 Grünwald * Richard Süßmeier erwirbt das "Forsthaus Wörnbrunn" und verpachtet es für sieben Jahre.

1. Juni 1975 USA * Ron Wood wird die Rolling Stones- vorübergehend - als Gitarrist auf der bis 8. August 1975 andauernden Tournee durch die Vereinigten Staaten von Amerika begleiten. Das Engagement wird nach der Tournee - unbefristet - verlängert. Vollwertiges Mitglied der Band wird er allerdings erst 1993.

1976 München-Graggenau * Der Stadtrat beschließt das "Anbringen einer Gedenktafel für Kurt Eisner" an der Kardinal-Faulhaber-Straße.

Der "Hausbesitzer" Falk Volkhardt weiß die Anbringung der "Erinnerungsplatte" an der Fassade des "Montgelas-Palais", das inzwischen zum "Hotel Bayerischer Hof" gehört, zu verhindern.

Er verweigert die Anbringung der "Gedenktafel" mit seinen Bedenken, dass sich diese "geschäftsschädigend" auswirken und die Tafel möglicherweise Sprengstoffanschläge und Beschädigungen provozieren könnte.

Seite 163/176 Dieses Risiko will natürlich keiner der Verantwortlichen tragen.

1976 München-Haidhausen * Der kleine dreieckige Block zwischen Wolfgang-, Leonhard- und Preysingstraße wird als "Muster-Sanierungsblock" ausgewählt.

Unter der Bezeichnung "Block 15" soll hier - erstmals in einer mit den Bewohnern abgestimmten Aktion - Einigung über das weitere Vorgehen erzielt werden. Gewerbe soll verpflanzt und Mieter vorübergehend in andere Wohnungen umgesetzt werden, um sie anschließend in verbesserte Wohnräume zurückkehren zu lassen.

Das Baureferat der Landeshauptstadt richtet dazu extra eine Bürgerberatungsstelle in der Milchstraße ein und führte für dieses Vorhaben genaue strukturelle und soziale Untersuchung durch. In dem Block wohnen über 150 Bewohner in siebzig Haushalten. Durch die Neubauten kann die Umsetzung der Mieter innerhalb desselben Blocks geschehen.

Ein Gewerbebetrieb - eine kleine Kohlenhandlung - muss umziehen, womit Schmutz und Lärm aus dem Viertel verlagert werden kann, doch nun ist es andererseits den Haidhausern nicht mehr möglich, einen geringen Brennstoff-Bedarf durch Selbstabholung zu decken.

Umweltfreundlichkeit wird groß geschrieben.

Eine Kastanie wird mit einem finanziellen Aufwand in Höhe von 15.000 DMark gerettet, eine kleine Tiefgarage gebaut, die Höfe begrünt und die Leonhardstraße in eine kleine Fußgängerzone umgewandelt.

24. Juli 1976 München-Kreuzviertel * KardinalJulius Döpfner stirbt vollkommen unerwartet im Pförtnerzimmerdes Erzbischöflichen Palaisan einem Herzinfarkt.

27. Juli 1976 USA * John Lennon erhält seine Green Cardfür den zeitlich unbeschränkten Aufenthalt in den USA.

18. September 1976 München-Theresienwiese * Im Pschorr-Festzelt der Ochsenbratereiwird der Verein Münchner Oktoberfestmuseum e.V.gegründet.Sämtliche Wiesnwirte, der Verein Münchner Brauereien, die Schaustellerverbändeund Vertreter der Stadt Münchensind daran beteiligt.

Zum 1. Vorsitzenden wird Xaver Heilmannseder gewählt.Ferdinand Schmid, der 1. Vorstand der Edith-Haberland-Wagner-Stiftungist ein engagierten Mitstreiter der Oktoberfestmuseums-Idee.Weitergepflegt wird diese Idee von den nächsten Vereinsvorständen Richard Süßmeier, Heinz Strobl und Willy Heide.

Seite 164/176 24. März 1977 Vatikan *Papst Paul VI. ernennt Joseph Ratzinger zum "11. Erzbischof von München und Freising".

5. Mai 1977 Bonn * Ludwig Erhard, der ehemalige Wirtschaftsminister und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie CDU-Vorsitzende, stirbt in Bonn.

28. Mai 1977 München-Kreuzviertel * Joseph Ratzinger empfängt die Bischofsweihedurch den Bischof von Würzburg, Josef Stangl, in der Münchner Frauenkirche.

27. Juni 1977 Vatikan * Münchens ErzbischofJoseph Ratzinger wird in das Kardinalskollegiumaufgenommen.

26. August 1978 Rom-Vatikan * Albino Luciani wird in einem eintägigen Konklaveim vierten Wahlgang zum Nachfolger von Papst Paul VI. gewählt. Sein Gegenkandidat ist der konservative Guiseppe Siri, der bereits im Jahr 1958 als "zum Papst geeignet" bezeichnet wurde.

Er nimmt als Papst den Namen Johannes Paul I. an.Beide Namen erinnern an seine Vorgänger, die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI.. Als erster Papst trägt er einen Doppelnamen.

30. Januar 1980 Bonn * Bundesinnenminister Gerhard Baum verbietet die Wehrsportgruppe Hoffmannals terroristische Organisation.

12. Juni 1980 Berlin * Im Jahr der Bundestagswahl verordnet der ZDF-Programmdirektor Dieter Stolte dem Dieter-Hildebrand-Magazin Notizen aus der Provinzeine "Denkpause".Das führt zum Wechsel Hildebrandts zur ARD. Im Sender Freies Berlin - SFBstartet Dieter Hildebrandt die Satiresendung"Der Scheibenwischer".

26. September 1980 München-Theresienwiese * Freitag, 22:19 Uhr: Am Haupteingang der Wiesn explodiert ein Sprengsatz. Der Feuerball unterbricht die ausgelassene Volksfeststimmung auf dem Oktoberfestund tötet 13 Menschen. 211 Personen werden verletzt, davon 68 schwer."Menschen wirbeln durch die Luft, Blut spritzt, zerfetzte Gliedmaßen, unglaubliche Schmerzen und verzweifelte Schreie, die nur die hörten, denen nicht gleich das Trommelfell platzte". Einer der Toten ist der Geologiestudent Gundolf Köhler (21). Als die Rettungskräfte am Tatort eintreffen, finden sie in einem Umkreis von bis zu 23 Metern Verletzte und Tote verstreut auf der Straße liegen.Die die Detonation begleitende Druckwelle ist gewaltig gewesen.

Noch in der Nacht stehen für die Bayerische Staatsregierung die Schuldigen fest:Die RAF und linke Terroristen

Seite 165/176 müssen für das Massaker verantwortlich sein. Ministerpräsident Franz Josef Strauß steht mitten im Wahlkampf. Er will Helmut Schmidt (SPD) als Bundeskanzler ablösen und hat sich selbst als starker Law-and-Order-Mann positioniert.

Nun sieht Franz Josef Strauß seine Stunde gekommen.Er greift Innenminister Gerhard Baum (FDP) an, der für das NachrichtenmagazinSpiegeleine Diskussion mit dem RAF-Anwalt und Ex-Terroristen Horst Mahler geführt hat. Strauß machtBaum für das Attentat mitverantwortlich, weil er den Terrorismus quasi salonfähig gemacht hat. Strauß fordert, dass sofort Flugblätter produziert werden, die Baum im Gespräch mit Mahler zeigen. Doch die Attacke gegen Links wird sich bald als Bumerang erweisen.

Auf den Verdacht hin, dass es sich um einen Terrorakt handelte, leitetGeneralbundesanwaltKurt Rebmann zusätzlich ein Ermittlungsverfahren gegenUnbekanntein.Die Untersuchung liegt damit federführend beim Bund.

Nach intensiven Beratungen mit Politikern, dem Polizeipräsidenten und den Veranstaltern entscheidet Oberbürgermeister Erich Kiesl noch mitten in der Nacht, das Oktoberfest nicht abzubrechen, sondern nur einen Trauertag zu veranstalten.Man wolle und dürfe sich dem Terror, gleich von welcher Seite, nicht beugen. Bei dieser nicht unumstrittenen Entscheidung hat man auch das Beispiel derXX. Olympischen Spielein München vor Augen, die trotz eines Terroranschlages zu Ende geführt worden waren.

19. September 1981 München-Theresienwiese * Im Hofbräuhaus-Festzeltgibt es für ein paar Stunden Paulaner-Bier. Dem Wirt ist das Bier ausgegangen, weshalb Richard Süßmeier, der Wirt des Armbrustschützenzeltes, mit mehreren Hirschen[=200-Liter-Fässer]aushilft.

25. November 1981 Rom-Vatikan * KardinalJoseph Ratzinger wird von Papst Johannes Paul II. zum Kurienkardinal und Präfekten der römischen Kongregation für die Glaubenslehreernannt.

1982 Grünwald * Richard Süßmeier bewirtschaftet das "Forsthaus Wörnbrunn" selbst.

1. März 1982 Rom-Vatikan * KardinalJoseph Ratzinger tritt seine neue Aufgabe Kurienkardinal und Präfekten der römischen Kongregation für die Glaubenslehrein Rom an. Damit ist Joseph Ratzinger der oberste Glaubenswächterder katholischen Kirche. Während dieser Zeit gibt es aber auch heftige Auseinandersetzungen.

8. Oktober 1982 München-Ludwigsvorstadt *Das Deutsche Theaterkann nach Abschluss der fast fünfjährigen Generalsanierung unter der Leitung von Reinhard Riemerschmid, wieder feierlich eröffnet werden. Die Kosten sind explodiert.Aus den ursprünglich angesetzten drei Millionen sind 54 Millionen geworden. Bei der Eröffnung spricht "Loriot" vom "schönsten Theater in der Schwanthalerstraße".Das ist aber kein Wunder, denn es gibt ja nur eines.

Die Landeshauptstadt München hat das Deutsche Theaterübernommen, nachdem sich kein privater Betreiber finden lässt.

Seite 166/176 28. Oktober 1982 Rom-Vatikan - München * Friedrich Wetter wird von Papst Johannes Paul II. zum 12. Erzbischof von München und Freisingernannt, nachdem KardinalJoseph Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregationnach Rom berufen worden war.

1983 München * Dieter Hildebrandt übernimmt im Gerhard-Polt-Film "Kehraus" eine Schauspielrolle.

18. April 1984 München-Au * Die Eigentümer des "Karl-Valentin-Geburtshauses" in der Zeppelinstraße 41, Bernhard Sprenger und Evelyn Hofer, wollen das Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen.

12. Juli 1984 München * Ein Unwetter zieht über den Münchner Osten und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Gegen 20:05 Uhr fallen Hagelkörner, zum Teil so groß wie Tennisbälle, auf die Erde. Sie durchschlagen Dachplatten und Fassadenverkleidungen. Aus Pflanzen und Gemüse wird in wenigen Minuten Matsch.

400 Menschen werden so stark verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen, Drei Menschen sterben vor Aufregung. Rund 70.000 Wohngebäude werden zum Teil erheblich beschädigt, ebenso 1.000 Gewerbebetriebe, darunter viele Gärtnereibetriebe, deren Gewächshäuser zu Bruch gehen. 20.000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen werden durch den Hagel umgepflügt, 150 Flugzeuge werden von den Hagelkörnern demoliert, über 200.000 Autos werden zerbeult.

Nach 20 Minuten ist alles vorbei. Doch das hat gereicht. Das Unwetter richtet den bisher größten Schaden in Deutschland an. Die Versicherungen müssen insgesamt 1,5 Milliarden DMark an Entschädigungen zahlen.

Um den 25. September 1984 München-Theresienwiese * Günter Jauch, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, findet heraus, dass in Richard Süßmeiers Armbrustschützenzeltaus einem Hirschen(200-Liter-Fass) 289 Mass Wiesnbier ausgeschenkt werden. Süßmeier nimmt das Ganze auf die leichte Schulter und macht sich darüber lustig. Peter Gauweiler, CSU-Stadtratund Kreisverwaltungsreferent, geht gegen Süßmeier wegen Betrügerischen Einschenkensvor.

Der Wiesnwirtberuft daraufhin eine Pressekonferenz ein, verkleidet sich als Gauweiler und hängt Gauweiler-Plakate mit dem Schriftzug "Gauweiler sieht Dich!", "Gauweiler paßt auf!" und "Gauweiler is watching you!" an die Zeltwände. Sein SchankkellnerBiwi Wallner zeigt schließlich noch, wie man aus einem ganzen Hendl drei halbe Hendl machen kann. Dass er zuvor eine Hälfte hatte einnähen lassen, finden nicht Alle lustig. Allen voran Peter Gauweiler.

Bei der darauf folgenden einer Razzia in Süßmeiers Armbrustschützenzeltwerden 23 "Verstöße gegen das Ausländerrecht" festgestellt. Einige Hilfskräfte haben illegal gearbeitet. Süßmeiers Beteuerungen, er habe davon

Seite 167/176 nichts gewusst, glaubt die Gegenseite natürlich nicht - und handelt: Gauweiler entzieht Süßmeier die Festzeltkonzession.

Zwei Tage später wird mit Helmut Huber ein neuer Wirt eingesetzt.

25. Mai 1985 Rom-Vatikan - München-Kreuzviertel* Der München-Freisinger ErzbischofFriedrich Wetter wird in das Kardinalskollegiumaufgenommen.

17. Juli 1985 München - München-Au * Der Planungsausschuss des Stadtrats lehnt den Antrag auf Abriss des "Karl-Valentin-Geburtshaues" in der Zeppelinstraße 41 ab und tritt mit den Eigentümern, Bernhard Sprenger und Evelyn Hofer, in Verkaufsverhandlungen ein.

20. August 1985 München-Graggenau * Der SPD-StadtratAlfred Lottmann stellt - aus Anlass des drei Jahre später bevorstehenden 70. Jahrestage der Revolution und der Ermordung Kurt Eisners- an Oberbürgermeister Georg Kronawitter den Antrag für eine "Würdige Gestaltung eines Denkmals für Kurt Eisner" und kritisiert dabei entschieden die im Jahr 1976 gefundene Lösung.Lottmann regt eine Veränderung der Straßenführung in der heutigen Kardinal-Faulhaber-Straße an, um dort den Platz für eine "Säule oder ähnliches" zu schaffen.

30. Oktober 1985 München-Graggenau * In der Vollversammlung des Münchner Stadtrateslegt Stadtrat Alfred Lottmann ein weiteres Motiv für seine Initiative dar:

Es sei dringend an der Zeit, Verleumdungen über Kurt Eisner den Boden zu entziehen, die diesen einerseits als galizischen Ostjudenoder andererseits als verantwortlich für die Opfer der Revolutionin der Zeit nach dem Februar 1919 hinstellten. Das adäquate Mittel für eine Rehabilitation Eisners sieht Lottmann in seiner Denkmalinitiativeund der dadurch ausgelösten öffentlichen Debatte.

Gegen die Stimmen von CSU und FDP wird dem Antrag, Kurt Eisner ein "würdiges Denkmal in der Kardinal-Faulhaber-Straße" errichten zu lassen, stattgegeben. Doch eine neuerliche Ablehnung des Denkmals im Bauausschusszeichnet sich ab.

29. November 1985 München * Eine Bürgerversammlungspricht sich gegen die Errichtung eines Kurt-Eisner-Denkmalsin der Kardinal-Faulhaber-Straße aus. Rasch wird offensichtlich, dass sich die Debatte weniger um den Ort für das angeregte Denkmaldreht, als vielmehr zu einer grundsätzlichen politischen Auseinandersetzung um Kurt Eisner und die Revolution von 1918/19 entwickelt.

Seite 168/176 1986 München-Maxvorstadt * Das Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 wird generalsaniert.

21. Februar 1986 München-Kreuzviertel * Um 10 Uhr Ortszeit, ziehen die Aktivisten des Vereins "Das andere Bayern" ein 2,50 Meter hohes, grell gelb-grünes Gemälde Kurt Eisners auf Plastikfolie auf, das der Kunstmaler Eckart Zylla geschaffen hatte. Zylla malt eine rote Zielscheibe auf das Bild und signiert es.

Danach wird eine Gehsteigplatte zerschlagen, das Bild zusammengefaltet und anschließend das Plastikbild in dem "Denkloch" vergraben. Mit der Kunst-Aktion Kurt Eisnerwill der Verein auf die Lächerlichkeit dieser bis ins Unerträgliche verzögerten Denkmal-Diskussionaufmerksam machen.

27. Februar 1986 München * Der Bauausschusslehnt ein Denkmal für Kurt Eisner in der Kardinal-Faulhaber-Straßeab, nachdem im zuständigenBezirksausschussdarüber gestritten worden war, ob der Gehweg an dieser Stelle verbreitert werden sollte und man damit auf zehn Parkplätze verzichtet werden müsse.

5. März 1986 München-Graggenau * In der Stadtratssitzung werden die Planungen für das "Denkmal für Kurt Eisner in der Kardinal-Faulhaber-Straße" verworfen. Nun beschäftigt sich die Kommission Kunst am Bauin neun Sitzungen mit dem Problem eines Eisner-Denkmals.

1988 München * Dieter Hildebrand spielt an der Seite von Gerhard Polt und Gisela Schneeberger in dem Film "Man spricht deutsh".

21. Februar 1988 München-Kreuzviertel * Um das sich hinziehende Verfahren zu beschleunigen, greifen die Aktivisten des Vereins "Das andere Bayern" erneut ein und führen wiederholt eine Kunst-Aktion Kurt Eisnerdurch.Sie setzen einen eigens gestalteten Gedenksteinin die Mitte des Gehwegs an der Kardinal-Faulhaber-Straße.Wieder an der Ermordungsstelle Kurt Eisner, also am authentischen Ort.

Der Gedenksteinwird von der Polizei als Beweismittel beschlagnahmt.Daraufhin schenken ihn die Aktivisten der Landeshauptstadt München.Er befindet sich seither in der städtischen Asservatenkammer.

Um den 3. Oktober 1988 München * Im Bauausschusseinigt man sich, den Entwurf der Münchner Künstlerin Erika Maria Lankes für ein Kurt-Eisner-Denkmalzur Annahme zu empfehlen. Die prinzipiellen Bedenken gegen ein "Denkmal für einen Bürgerschreck" sind in der Zwischenzeit offensichtlich überwunden.

Herausgekommen ist ein für Bayern typischer politischer Kuhhandel: ein ebenerdiges Bodendenkmal, eine lebensgroße in Eisen gegossene Umrisszeichnung des erschossenen Ministerpräsidentenauf dem Gehweg.

Seite 169/176 Damals ist noch nichts von dem Hauptargument der Verhinderer der Stolpersteinezu hören, dass Antidemokraten und Faschistenihre Springerstiefelnan dem ermordeten jüdischen Sozialdemokraten abwischen könnten.

2. Februar 1989 München * Der Bauausschussstimmt dem ebenerdigen Bodendenkmalfür den ermordeten MinisterpräsidentenKurt Eisner am authentischen Ort zu. Die vorgebrachten Argumente, dass die Bürger Kurt Eisner nun mit ihren Füßen treten und ihn einfach "übergehen" können, zählen noch sehr wenig. Wichtig ist, dass sich eine Änderung der Straßenführung erübrigt und keine Parkplätze wegfallen.

22. Februar 1989 München-Graggenau * Bei der Stadtrats-Sitzungstehen zwei Vorschläge für die "richtige Inschrift" am Bodendenkmalfür Kurt Eisner zur Auswahl. Während die Vertreter der verschiedenen Parteien rasch überein kommmen, das ursprünglich vorgesehene "erschossen" durch "ermordet" zu ersetzen, entwickelt sich um die Verwendung der Begriffe "Freistaat" und "Volksstaat" eine scharf geführte Auseinandersetzung.

Soll man nun Kurt Eisner als den Begründer des Freistaates Bayernbezeichnen oder gründete er bloß den Volksstaat Bayern?Beide Begriffe wurden im Jahr 1918 gleichzeitig und synonym verwendet und sollten nichts anderes als Republikbedeuten. Aber im Rückblick will man den heute so geschätzten Begriff Freistaatnicht ausgerechnet einem linken Politiker zuschreiben. Dagegen denkt man bei Volksstaateher an die Sprache des Dritten Reichesund der damaligen DDR.

Der SPD-Vorschlagfür die Gedenkplatte lautet: "Kurt Eisner. 1867 - 1919. Begründer des Freistaats Bayern und Ministerpräsident wurde am 21. Februar 1919 hier vor seinem Amtssitz ermordet."

Es soll aber derjenige die Mehrheit erhalten, der das Reizwort Freistaatvermeidet. Der Vorschlag von Bürgermeister Dr. Winfried Zehetmeier [CSU] setzt sich bei der Abstimmung mit einer Mehrheit aus CSU, FDPund Grüne/ALMgegen die Stimmen der SPDdurch. Die Inschrift auf der Gedenktafel - als die "offizielle Wahrheit" - lautet deshalb:

"KURT EISNER, DER AM 8. NOVEMBER 1918 DIE BAYERISCHE REPUBLIK AUSRIEF, NACHMALIGER MINISTERPRÄSIDENT DES VOLKSSTAATES BAYERN, WURDE AN DIESER STELLE AM 21. FEBRUAR 1919 ERMORDET."

16. September 1989 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier bewirbt sich um das Hacker-Festzelt, doch CSU und SPD stimmengeschlossen gegen ihn. Und das, obwohl ihn ein Gericht

vom Vorwurf des Schankbetrugsfrei spricht und das Verfahren wegen illegaler Beschäftigungmit einer freiwilligen Geldbuße in Höhe von 100.000 DMark endet.

Seite 170/176 7. November 1989 München-Kreuzviertel * Das Kurt-Eisner-Denkmal in der Kardinal-Faulhaber-Straßewird eingeweiht. Die Festredehält Bürgermeister Dr. Klaus Hahnzog [SPD].

1991 Wörnbrunn * Richard Süßmeiers "Forsthaus Wörnbrunn" brennt ab.

Ein Gast kommt in den Flammen um.

1993 München-Maxvorstadt * "Senator" Gratzl ist Eigentümer der Anwesen Richard-Wagner-Straße 17 und 19.

8. November 1993 München * Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel drückt sich am 75. Jahrestag der Revolution und der Freistaatgründungan der Teilnahme eines Festaktes, da er "die Geburtsstunde des demokratisch verfassten Bayern nicht mit der Ausrufung der Räterepublik durch Kurt Eisner in Verbindung zu bringen vermag".

Zur Ausrufung der Räterepublikkam es allerdings erst nach einer verlorenen Wahl und der Ermordung Kurt Eisners durch den rechtsradikalen Anton Graf Arco auf Valley. Unter Eisners Revolutionsregierunggab es lediglich provisorische Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte.

16. November 1993 München * Klaus Warnecke, Landtagsabgeordneter der SPDschreibt in der Süddeutschen Zeitungeinen Leserbrief und bringt darin folgende Meinung zum Ausdruck:

"[...] Die Hindenburgs, Ludendorffs und ihre monarchistischen Attrappen hatten das Volk im Reichsdurchschnitt im Herbst 1918 auf 500 bis 600 Kalorien pro Tag und Nase heruntergehungert. [...] 200.000 bayerische Soldaten waren gefallen. [...]

Während sich die Monarchie von dannen stahl und die Generäle an der Dolchstoß-Legende zu stricken begannen, gab es in München eine einzige Kraft, die halbwegs Ordnung in das Chaos zu bringen versuchte und den Umständen entsprechend auch brachte: die von den Konservativen und Reaktionären aller Richtungen bisher aus jeder politischen Verantwortung ferngehaltenen Sozialdemokraten und deren linkspazifistische Absplitterung die USPD mit Eisner an der Spitze. [...]

Der totale politisch/militärisch/soziale Scherbenhaufen des Winters 1918/19 war das Erbe des Großmachtwahns der Feldmarschälle und Monarchen.

Das Kabinett unter Ministerpräsident Kurt Eisner mit dem Innenminister Erhard Auer und Albert Roßhaupter, die sich auf den eigentlichen Ordnungsfaktor in München, die Arbeiterräte, stützen konnte, hat Bayern einen Winter lang vor dem totalen Chaos bewahrt.

Das wahre Chaos begann erst, als der rechtsradikale Offizier Graf Arco den Pazifisten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 auf offener Straße ermordete. [...]."

Seite 171/176 1. September 1994 München-Maxvorstadt * Die Isar-Amper-Werkewerden von der Bayernwerk AG, die damals zur VIAG-Gruppegehört, übernommen. Finanzanalysten schätzen den Wert auf weit über eine Milliarde DMark.

1995 Grünwald * Richard Süßmeier muss sein "Forsthaus Wörnbrunn" an Josef Schörghuber verkaufen.

23. September 1995 München-Graggenau?Bei der an der Feldherrnhallestattfindenden Demonstration gegen das Karlsruher Kruzifix-Urteilunterzieht sich KardinalFriedrich Wetter nicht der Mühe, die Debatte zu versachlichen. Im Gegenteil, er heizt die emotional eh schon aufgeheizte Stimmung gegen das vermeintliche Karlsruher Intoleranzediktnoch an.

Winter 1996 München-Maxvorstadt * Ein umfassender Umbau des Verwaltungsbau-Komplexes der E.ON an der Brienner-/Ecke Richard-Wagner-Straße beginnt.

Nach Abbrucharbeiten entsteht ein neues viergeschossiges Bürogebäude, das diagonal auf eine erdgeschossige "Hofplatte" gestellt wird. Durch die Schrägstellung des Gebäudes entstehen zwei Freiräume.

Ein überdachter ganzjährig nutzbarer, 950 qm großer Innenhof, die sogenannte "Piazza". Auf der anderen Seite des Gebäudes entsteht ein Garten.

Unter der "Hofplatte" liegen die "Tiefgarage", das "Archiv" und die "Technikräume".

1996 München - Grünwald * Richard Süßmeier zieht sich als aktiver Wirt zurück.

1998 München-Maxvorstadt * Die Anwesen Richard-Wagner-Straße 17 und 19 werden in Eigentumswohnungen umgewandelt.

27. September 1998 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 14. Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl 35,1 Prozent [- 6,3] und 245 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder erringt 40,9 Prozent der Stimmen [+ 4,5] und 298 Sitze. Die FDP bekommt 6,2 Prozent [- 0,7] und 43 Sitze. Bündnis 90/DIE GRÜNENkommen auf 6,7 Prozent der abgegebenen Stimmen [- 0,6]. Die PDS erkämpft 5,1 Prozent der Stimmen [+ 0,7] und mit 36 Abgeordneten in den Deutschen Bundestagein.

Seite 172/176 Gerhard Schröder wird Bundeskanzler einer Koalition bestehend aus SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

Um Oktober 1999 München-Maxvorstadt * Der Umbau des Bürohaus-Komplexes der "Isar-Amper-Werke Elektrizitäts AG" an der Ecke Brienner-/Richard-Wagner-Straße ist fertiggestellt.

Der Haupteingang befindet sich seither in der Richard-Wagner-Straße.

2000 München-Maxvorstadt * Auf dem Ruinengrundstück an der Richard-Wagner-Straße 16 entsteht ein sechsstöckiges Haus der "Technischen Universität München".

In dem "Studentenwohnheim" finden heute bis zu 40 Studenten der "TUM" Unterkunft.

September 2001 München-Maxvorstadt * Der "Friedrich-Schiedel-Kindergarten" an der Richard-Wagner-Straße 14 wird eröffnet.

Das Grundstück war zuvor unbebaut.

Dezember 2001 Deutschland * In Deutschland gibt es 1.100 "McDonald?s-Restaurants", in denen täglich zwei Millionen Menschen essen, der Jahresumsatz liegt bei 2,3 Milliarden Euro.

Damit ist die "Big-Mac-Kette" der Marktführer in Deutschland.

22. September 2002 Bundesrepublik Deutschland - Berlin?Bei der Wahl zum 15. Bundestagerhält

die SPD mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder 38,5 Prozent [- 2,4] und 251 Sitze. Die CDU/CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber erringt ebenfalls 38,5 Prozent der Stimmen [+ 3,4] und 248 Sitze. Die FDP bekommt 7,4 Prozent [+ 1,2] und 47 Sitze. Bündnis 90/DIE GRÜNENkommen auf 8,6 Prozent der abgegebenen Stimmen [+ 1,9]. Die PDS erkämpft 4,0 Prozent der Stimmen [- 1,1] und zieht - durch die direkt gewonnenen Berliner Wahlkreise - lediglich mit zwei Abgeordneten in den Deutschen Bundestagein.

Gerhard Schröder wird Bundeskanzler einer Koalition bestehend aus SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

18. September 2004 München-Theresienwiese * Das Löwenbräu-Festzeltwird als erstes Bierzelt der Welt nach ISO 9001:2000

Seite 173/176 zertifiziert.Der Qualitätssicherungsstandard umfasst Kriterien von der Zeltsicherheit über Notfallpläne, Arbeitsabläufe, Essensgeschmack, Sauberkeit bis hin zur Laustärke der Musik.

2005 USA * Der Konzern "Anheuser-Bush Inbev" übernimmt die Münchner Traditionsmarken "Löwenbräu", "Spaten" und "Franziskaner".

Das belgisch-brasilianisch-amerikanische Unternehmen ist durch immer neue Milliardenübernahmen zum weltweiten Marktführer in Sachen Bier geworden; mit einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar und hohen Gewinnen.

2005 Rom-Vatikan * Der alte "VW Golf" von Joseph Ratzinger wird im Jahr seiner "Papstwahl" um 189.000 ? nach Amerika verkauft.

Das "Heilige Blechle" ist damit aber noch lange keine "Reliquie". Dazu müsste Benedikt XVI. erst gestorben und zumindestens zum "Seligen" erklärt worden sein.

19. April 2005 Rom-Vatikan * Nach dem Tod des Papstes Johannes Paul II. wird "Kardinal" Joseph Ratzinger zu seinem Nachfolger auf dem "Stuhl Petri" gewählt.

Der in Marktl am Inn als Sohn eines "Gendarmen" geborene gibt sich den Namen Benedikt XVI.. Das motiviert die "Bild-Zeitung" umgehend, ihre Titelseite mit "WIR SIND PAPST" zu überschreiben.

In der englischen Presse wird dagegen die Vergangenheit in der "Hitler-Jugend" des "Papa-Ratzi" hervorgehoben.

18. September 2005 Bundesrepublik Deutschland - Berlin * Bei der Wahl zum 16. Bundestagerhält

die SPD mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Gerhard Schröder 34,2 Prozent [- 4,3] und 222 Sitze. Die CDU/CSU mit ihrer Kanzlerkandidatin Angela Merkel erringt 35,2 Prozent der Stimmen [- 3,3] und 226 Sitze. Die FDP bekommt 9,8 Prozent [+ 2,4] und 61 Sitze. Bündnis 90/DIE GRÜNENkommen auf 8,6 Prozent der abgegebenen Stimmen [- 0,5] und 51 Sitze. Die PDS erkämpft 8,7 Prozent der Stimmen [+ 4,7] und zieht mit 54 Abgeordneten in den Deutschen Bundestagein.

Angelika Merkel wird Bundeskanzlerin in einer Großen Koalitionbestehend aus CDU/CSU und SPD.

2. Februar 2007 München-Kreuzviertel * Kardinal Wetter tritt als Erzbischofaus Altersgründen zurück.Gleichzeitig wird er zum

Seite 174/176 Apostolischen Administrator für das Erzbistum München und Freisingernannt.

30. November 2007 Rom-Vatikan * Papst Benedikt XVI. ernennt den bisherigen Bischof von Trier, Reinhard Marx, zum 13. Erzbischof von München und Freising.

2. Februar 2008 München-Kreuzviertel * KardinalFriedrich Wetters Amtszeit endet. Reinhard Marx wird im Rahmen eines Pontifikalamtesin sein neues Amt als Münchner Erzbischof eingeführt.

20. November 2010 Rom-Vatikan * ErzbischofReinhard Marx wird von Papst Benedikt XVI. in das Kardinalskollegiumaufgenommen.Bis zum Februar 2012 ist der Münchner Bischofdas jüngste Mitglied des Kardinalskollegiums.

22. März 2012 St. Gallen * "Kardinal" Reinhard Marx wird zum "Präsidenten der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft - COMECE" gewählt.

17. Juli 2013 Bayreuth * Die Finanzierung des Bayreuther Festspielhausessteht.Für den ersten Bauabschnitt, bei dem es nur um das Festspielhaus- ohne Nebengebäude und Proberäume - geht, werden 30 Millionen Euro benötigt.

Der Bund und der Freistaat zählen jeweils 10 Millionen, das letzte Drittel kommt von der Stadt Bayreuth, dem Bezirk Oberfranken und der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth.Die Bauarbeiten sollen insgesamt zehn Jahre andauern.

September 2013 München-Graggenau * Die Stadt München kauft nach 18 Jahren das von dem Künstler Bruno Wank geschaffene Werk "Argumente" zu einem "aus Datenschutzgründen" nicht genannten Preis.

Die Kunstinstallation aus Bronzesteinen erinnert in der Viscardigasse an jene Münchner, die zwischen 1933 und 1945 den "Hitlergruß" vor der "Feldherrnhalle" nicht leisten wollten und deshalb über die Viscardigasse ausgewichen sind.

12. Februar 2014 München-Graggenau * Vermutlich die Pink Panthers,die erfolgreichste Diebesbande der Welt, überfällt gegen 11 Uhr das Juweliergeschäft Chopardin der Maximilianstraße 11. Der Überfall dauert nur Sekunden. Die Räuber zertrümmern mit einer Stoff umwickelten Axt die versperrte Eingangstüre, bedrohen den Sicherheitsmann mit einem Schraubenzieher, schlagen vier Vitrinen ein und erbeuten hauptsächlich Uhren und Schmuck von noch unbekanntem Wert.Anschließend flüchten die fünf Männer zu Fuß in verschiedene Richtungen.

Seite 175/176 Die Räuber haben aber nicht mit den Münchnern gerechnet, die sofort die Verfolgung aufnehmen und über ständigem Handy-Kontakt mit der Einsatzzentrale der Polizei kommunizieren.Nur knapp 20 Minuten später werden vier Jugendliche in der Nähe des Viktualienmarktes festgenommen.Dem fünften Täter gelingt scheinbar die Flucht.Die Polizei nimmt zusätzlich zwei Serben fest.

Die Räuber sind noch halbe Kinder: ein 14-jähriger Ukrainer und drei 15 und 16 Jahre alte Moldawier, dazu die 27 und 32 Jahre alten Serben. Ob die Tat wirklich den Pink Pantherszugeordnet werden kann, ist unter den gegebenen Umständen fraglich.

12. März 2014 Münster * Kardinal Reinhard Marx wird im 4. Wahlgang für sechs Jahre zum Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenzgewählt. Er löst damit den 75-jährigen Robert Zollitsch ab.

19. März 2014 München-Ludwigsvorstadt * Mit dem Leonard Bernsteins Klassiker "West Side Story" wird der Musical-Betrieb im Deutschen Theaterwieder aufgenommen.Das Musical hatte 1961 seine Europa-Premiere im Deutschen Theater.

24. Juni 2014 New York * Das Originalmanuskript von Bob Dylans Song "Like ARolling Stone", das er mit Bleistift auf einem Hotel-Briefpapier verewigt hat, wird in New York um zwei Millionen Dollar versteigert. Ein weiteres Dylan-Manuskript mit dem Titel "A Hard Rain?s A-gonna Fall"erzielt immerhin noch 485.000 Dollar.

Eine von den Beatles im Jahr 1961 in Hamburg signierte Rechnung bringt immerhin noch 375.000 Dollar. Yeah, yeah, yeah!

24. Mai 2015 San Diego *The Rolling Stonessetzen ihre Welttourmit 15 Stadionkonzerten in den USA und Kanada fort. Sie starten an diesem Abend in San Diego und endet am 15. Juli in Quebec City.

15. Juli 2015 Quebec City *Die Rolling Stonesbeenden ihre USA-Kanada-Tour in Quebec City.

Viele stellen sich die Frage, ob die Stones anschließend noch zu einerEuropa-Tourneedurchstarten?Die Stonessind für kurzfristige Tournee-Ankündigungen bekannt!

7. November 2016 Los Angeles * Leonard Norman Cohen stirbt in Los Angeles.

16. Dezember 2017 München-Kreuzviertel * Kardinal Rainhard Marx leitet mit einem Gottesdienst in der Frauenkirchedas Seligsprechungsverfahrenfür Dr. Fritz Gerlich und Romano Guardini ein.

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