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1 ??? * Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis für den Ursprung des Weines. um 3000 v.u.Z. 2 An den Ufern des Euphrat und Tigris * Die älteste nachweisbare Aufzeichnung über die Bierzubereitung stammt von den Ufern des Euphrat und Tigris.

Es ist eine kleine Tontafel mit in Keilschrift eingedrückten Darstellungen, die das Enthüllen des "Emmers" für die Bierzubereitung und ein Tier- und Bieropfer zeigen.

Ohne freilich die Zusammenhänge zu verstehen, entdeckten die "Sumerer" nicht nur den Gärprozess am zum Ruhen gestellten Brotteig, sondern verstanden es darüber hinaus auch noch, diesen Vorgang beliebig oft zu wiederholen. um 800 v.u.Z. 3 Kulmbach * Aus dieser Zeit stammt der älteste Nachweis, dass Bier auf deutschem Boden gebraut worden war.

Es sind dies Bieramphoren aus der Hallstattzeit, die in der Nähe von Kulmbach gefunden wurden.

282 Deutschland - Frankreich * Kaiser Probus hebt das Weinanbauverbot an Rhein und Mosel wieder auf, da er erkannte: "Wein braucht Frieden, Frieden braucht Wein, Wein ist Frieden".

Er ist mit dieser Tat der erste "Förderer des Deutschen Weinhandels".

Um das Jahr 350 Rom * Als im 4. Jahrhundert - nach der Bekehrung Konstantins - das "Römische Imperium" ein "christliches Reich" wird, muss sich das Christentum der veränderten Situation anpassen.

Augustinus entwirft die Theorie des "gerechten" Krieges: "Gerecht werden die Kriege genannt, die Unrecht rächen". Und weiter: "Ich glaube nicht, dass der Soldat, der einen Feind tötet, wie auch der Richter und der Henker, die einen Verbrecher hinrichten, sündigen, denn mit ihrem Handeln gehorchen sie dem Gesetz".

Nur ein Krieg mit dem Ziel Reichtümer und Ehre zu gewinnen, gilt als unstatthaft. Ein "gerechter Krieg" sollte dagegen Unrecht strafen und wieder gutmachen.

5. Mai 553 Konstantinopel * Das "Konzil von Konstantinopel" beginnt.

Seite 1/814 Es dauert bis 2. Juni.

Das "Konzil von Konstantinopel" verkündet den zweiten "Marianischen Glaubensgrundsatz". Er lautet: "Maria hat Jesus als Jungfrau empfangen und geboren".

634 Luxueil * In Luxueil in Burgund, dem Ausgangspunkt der Christianisierung Bayerns, wird Bier gebraut.

14. Juli 790 Giesing * "Der Priester Ihcho und sein Neffe Kerolt schenken ihr eigenes Erbgut an dem Ort Kyesinga und an einem anderen Ort, der Peralohc genannt wird, an die Freisinger Kirche. So geschehen am 14. Juli 790".

So tritt Giesing schriftlich in die Geschichte ein.Giesing ist aber wesentlich älter. Die Anfänge des Ur-Giesings liegen freilich im Dunkeln, doch Ausgrabungen auf dem Gelände der Icho-Schule brachten einen der größten Bajuwarenfriedhöfe Südbayerns zu Tage.

Um 800 Italien * Die Araber bringen die Kunst der Destillation nach Italien.

4. Juli 907 Bratislava * Die Ungarn vernichten nahe Pressburg (Bratislava) fast das gesamte baierische Heer und einen Großteil der baierischen Führungsschicht.

Die als Hunnenbezeichneten magyarischen Reiterhorden verbreiten Angst und Schrecken. Sie werden als "wilde Gestalten" beschrieben, "mit braungelben Gesichtszügen, tief liegenden Augen, heißerer Stimme und bis auf drei Zöpfe abgeschorenem Haar, die das Blut geschlachteter Tiere trinken und ihre Toten verbrennen".

10. August 955 Lechfeld * Die dreitägige "Schlacht auf dem Lechfeld" beginnt.

Die "Hunnen" genannten ungarischen Reiterhorden werden von einem zusammengewürfelten Heer aller deutschen Stämme (Sachsen, Franken, Baiern und Schwaben) besiegt.

Anschließend setzen die "Panzerreiter" Ottos des Großen den Flüchtenden nach, werden "eingeschlossen und von Bewaffneten niedergemacht". Weitere Tausende Ungarn ertrinken angeblich in den Fluten des Lechs, dessen Wasser vom Blut der vielen Toten rot gefärbt ist. Das "Schlachtfeld" am Lech ist mit Toten übersät.

Die "Schlacht auf dem Lechfeld" gilt unter Historikern als eines der bedeutendsten Ereignisse in der deutschen Geschichte. Man spricht sogar von der "Geburtsstunde der deutschen Nation".

Seite 2/814 962 Rom * Papst Johannes XII. krönt den römisch-deutschen König Otto I. "der Große" in Rom zum Kaiser.

Seitdem besteht eine unverbrüchliche Verbindung zwischen den beiden Funktionen. Der deutsche König versteht sich automatisch als Anwärter auf das Kaisertum. Der Papst gilt als der richtige "Koronator" für den Papst.

Damit entsteht eine besondere Beziehung zwischen dem römisch-deutschen König und dem Papst.

Die Päpste werden im Umkehrschluss

ihr Recht ableiten, die Eignung des zukünftigen Kaisers zu überprüfen und auf die Erhebung zum deutschen König Einfluss zu nehmen.

1. November 996 Bruchsal * Kaiser Otto III. überträgt dem Bischof von Freising, Gottschalk von Hagenau, Grundbesitz im Raum von Neuhofen an der Ybbs im heutigen Niederösterreich. In dieser Urkunde taucht erstmals der Name "Ostarrichi" für Österreich auf.

Ostarrichi gehört zu dieser Zeit zum Herzogtum Baiern, bis es 1156 als Herzogtum Österreich unabhängig wird.

Um den 1000 Griechenland - Süditalien - Frankreich * Die Seidenraupenzucht verbreitet sich um das Jahr 1000 von Griechenland aus nach Süditalien, Sizilien und Frankreich.

Um das Jahr 1000 Europa * Der Begriff Hexetauchtin unseren Breitengraden erst vor gut tausend Jahren auf und dürfte sich vom althochdeutschen "hagazussa" ableiten. Das lässt sich mit "Geist oder Mensch, der in der Hecke wohnt oder sitzt" [hag= Hecke, zussa= sitzend] übersetzen.

Um das Jahr 1000 Sankt Gallen * Im Kloster Sankt Gallenwird die Bierproduktion erstmals professionell betrieben. Über 100 Mönche arbeiten, unterstützt von einer noch größeren Anzahl von weltlichen Helfern, in den drei Brauereien.

Die beste Sorte ist Celia, die für die Patres und vornehme Gäste bestimmt ist. Die einfachen Mönche bekommen Cervesia. Den letzten, mit Wasser gestreckten Haferaufguss, Conventus, erhalten die Bettler und Pilger.

1040 Weihenstephan * Das "Benediktinerkloster Weihenstephan" erhält laut einer Urkunde die Braugerechtsame.

Die dem bayerischen Staat gehörende Brauerei bezeichnet sich als die "älteste Brauerei der Welt".

Seite 3/814 Dabei handelt es sich bei dieser Urkunde um eine Fälschung aus dem frühen 17. Jahrhundert. Die Urkundenfälschung der frommen Kleriker wird erst im Jahr 1973 aufgedeckt.

1048 Rom-Vatikan * Der letzte Baier auf dem "Stuhl Petri" ist Poppo von Brixen, der sich Damasus II. nennt und nach wenigen Wochen im Amt stirbt.

1050 Weltenburg * Eustasius und Agilus, Missionare aus dem Kloster Luxueil, gründen das "Kloster Weltenburg" und führen hier die klösterliche Braukunst ein.

Ab Dezember 1095 Frankreich * Auf seiner weitere Reise wird der Papst nicht müde zu betonen, dass die Teilnehmer an diesen gewalttätigen Auseinandersetzungen einen "Befreiungskrieg gegen die muslimische Tyrannei" führen, bei dem es einerseits um die Befreiung der christlichen Glaubensbrüder und Glaubensschwestern und andererseits darum geht, "das Heilige Grab aus den Händen der Heiden zu befreien".

Zur "Beruhigung des Gewissens" versichert der Papst seinen Zuhörern, dass das Unternehmen eine Umsetzung "christlicher Barmherzigkeit" ist, bei dem die "Kreuzfahrer" ihr Leben aus Liebe zu Gott und "zu ihrem Nächsten" aufs Spiel setzen werden. Die noch fast ein Jahr andauernde "Predigtreise" spielt eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung der Menschen.

Der alternde Papst versteht es hervorragend, die Emotionen seiner Zuhörer zu wecken. Papst Urban II. nimmt für sich in Anspruch, im Namen Jesu Christi zu sprechen.

10. April 1096 Trier * In Trier gestaltet sich das Zusammenleben der "Juden" und der "Christen" bislang weitgehend friedlich.

Doch jetzt drohen die "Kreuzfahrer" den "Juden" mit einem "Massaker", wenn sie nicht auf ihre Geldforderungen eingehen.

In ihrer Todesangst geben ihnen die "Juden" alles, was sie haben. Daraufhin ziehen die "Kreuzfahrer" weiter, doch kommt dann der zweite Trupp und verlangt ebenfalls Geld und Wertsachen. Die "Juden" kratzen den Rest zusammen und geben es hin. Der Trupp zieht ab und schon bald kommen die nächsten "Kreuzfahrer-Kontingente", die zum Teil auch mit "Bürgern" der Städte und den "Landbewohnern" gemeinsame Sache machen.

Nun haben die "Juden" nichts mehr, weshalb fundamentalistische Geistliche in den Reihen der "Kreuzfahrer" die Losung ausgeben: "Wer einen Juden erschlägt, dem werden seine Sünden vergeben".

Berufen können sie sich auf den Abt des Klosters, aus dem auch Papst Urban II. stammt, Pierre de Cluny. Sein Leitspruch lautet:

Seite 4/814 "Es ist sinnlos die Feinde unseres Christenglaubens in der Fremde zu bekämpfen, wenn diese Juden, die schlimmer als die Muslims sind, in unseren Städten ungestraft unseren Herrn Jesus Christ beleidigen dürfen".

Insgesamt kommen anlässlich des "Ersten Kreuzzuges" mindestens 2.500 Angehörige der deutschen "Judengemeinden" ums Leben. Nur wer sich nach christlichem Ritus "taufen" lässt, kann sein Leben retten. Viele "Juden" ziehen allerdings der "Zwangstaufe" den "Freitod" vor.

10. Juni 1098 Antiochia * In der Nacht vom 10. zum 11. Juni ist die Kampfmoral der in Antiochia belagertenChristenderart gesunken, dass Panik entsteht und die Befehlshaber der Kreuzfahrereinen Massenausbruch verhindern müssen.

Kurz darauf kommt es zu Visionen eines erschienenen, den Sieg verheißenden Christusund der Entdeckung einer Lanze, die angeblich den Gekreuzigtendurchbohrt hat. Die Stimmung verbessert sich dadurch erheblich.

1130 Clairvaux * Für Bernhard von Clairvaux ist der "gerechte Krieg" als das "kleinere Übel" akzeptiert.

Unter Christen ist er nur gerecht, wenn die "Einheit der Kirche" auf dem Spiel steht. Gegen die "Juden", die "Ketzer" und die "Heiden" soll Gewalt vermieden werden, weil sich die "Wahrheit" nicht mit Gewalt durchsetzen lässt.

Der Christ soll überzeugen, weshalb - aus der Sicht des später zum "Heiligen" erklärten Bernhard von Clairvaux - gegen diesen Personenkreis nur ein "Verteidigungskrieg" gerechtfertigt ist, bei dem er allerdings die Gewalt auf ein Mindestmaß reduziert wissen will.

Vom "Gerechten Krieg" zum "Heiligen Krieg" ist es damit nicht mehr weit, solange er gegen die "Heiden" und "Ungläubigen" gerichtet ist. Bernhard von Clairvaux hebt in seinen "Kreuzzugpredigten" die islamische Aggression und Bedrohung der gesamten christlichen Kirche hervor. Sein Fazit lautet: Nur durch einen "Gerechten und Heiligen Krieg" kann der "Frieden" wieder hergestellt werden. Unter "Frieden" versteht der Kirchenmann die "Aufrechterhaltung der gottgewollten Ordnung".

Bernhard von Clairvaux will aus "Raubrittern", "Weiberhelden", "Totschlägern", "Meineidigen" und "Friedensbrechern" zutiefst beherrschte, asketische und christliche Ritter machen. Dabei will er aber die natürlichen Triebe - wie Aggression - nicht unterdrücken, sondern sie durch höhere Ziele - sozusagen - "veredeln". Im Zentrum seines Werkes steht deshalb der Begriff der "militia Christi". "Gute Ritter" kämpfen, um Glauben und Kirche zu verteidigen, "Schlechte Ritter" wirken in prunkvollem Aufzug und folgen eigensüchtigen Motiven. In einer Werbeschrift für die "Tempel-Ordensritter" sagt der heilige Bernhard: "An erster Stelle stehen Disziplin und uneingeschränkter Gehorsam. Jeder kommt und geht, wie es der Vorgesetzte befiehlt. Jeder trägt die ihm zugeteilte Kleidung, keiner besorgt sich Nahrung oder Kleidung nach seinem Gutdünken. Hinsichtlich Ernährung und Gewandung gibt man sich mit dem Notwendigsten zufrieden und meidet alles Überflüssige. Die Templer leben maßvoll und fröhlich in einer Gemeinschaft, ohne Frauen und Kinder. Um der apostolischen Lebensweise möglichst nahe zu kommen, leben sie alle unter gleichen Bedingungen im gleichen Haus, auch nennen sie nichts ihr eigen, um einer einheitlichen Gesinnung und eines friedlichen Zusammenlebens willen. Ungebührliche Reden, nutzlose Beschäftigung, lautes Gelächter, heimliches Tuscheln und selbst unterdrücktes Kichern sind unbekannt. Sie verabscheuen Schach und Würfelspiel; sie hassen die Jagd, ja, sie erfreuen sich nicht einmal am Flug des Falken. Sie verachten Komödianten, Taschenspieler, Schwätzer und zweideutige Lieder

Seite 5/814 sowie Vorstellungen von Possenreißern, denn sie erachten das alles als sinnlose, nichtige Torheiten. Sie tragen das Haar kurz geschnitten, weil es ihrer Ansicht nach beschämend für einen Mann ist, langes Haar zu haben. Niemals übertrieben gekleidet, baden sie selten; sie sind schmutzig und behaart, und ihre Haut erscheint gebräunt vom Tragen des Kettenhemds und von der Sonne". Die "Glaubenskrieger" sollen in die "Schlachten Gottes" ziehen. Und sollte ein "Templer" dabei sein Leben verlieren, so stirbt er "selig" als "Blutzeuge" für den "christlichen Glauben". In der Werbeschrift Bernhards liest sich das so: "Freue dich, starker Kämpfer, wenn du in dem Herrn lebst und siegst! Aber noch mehr frohlocke und rühme dich, wenn du stirbst und dich mit dem Herrn vereinst". Die Gegner der "Glaubenskrieger" sind ja "nur" Heiden ohne Glauben.

Um 1132 Clairvaux * Dass sich kriegerische Auseinandersetzungen nur schwer mit dem Wort und Sinn des "Neuen Testaments" in Einklang bringen lassen, bekümmert den Ordensmann, Mystiker und Prediger Bernhard von Clairvaux nur wenig.

Mit welchen rhetorischen Mittel er arbeitet und welche menschenverachtende Argumentation er dabei benutzt, lässt sich anhand eines Zitats aus einer Predigt zeigen, mit der der Heilige für den "Zweiten Kreuzzug" wirbt: "Wenn sich dein Vater auf die Schwelle legte, wenn deine Mutter die Brust zeigte, die dich genährt, so steige über deinen Vater hinweg, tritt deine Mutter mit Füßen und folge trockenen Auges dem Kreuzbanner nach. Hier für Christus grausam sein ist die höchste Stufe der Seligkeit".

Denn, so Bernhard weiter: "Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selbst, wenn er tötet, nützt er Christus". Wer aber so argumentiert, wem man "Honigsüße" nachsagt, weil er eine ideologische Grundlage für einen "Gerechten und Heiligen Krieg" und eine Argumentationskette schafft, die aus einem "Angriffskrieg" einen "Verteidigungskrieg" macht, der ist wirklich ein "komischer Heiliger".

1135 Rom-Vatikan * Papst Innozenz II., ein ehemaliger "Zisterziensermönch" und Schüler von Bernhard von Clairvaux, treibt die Gründung von "Bruderschaften" zur finanziellen Unterstützung der "Templer" voran.

24. Mai 1136 Frankreich * Spätestens seit dem Tod Hugo von Payns und der zwischenzeitlich erfolgten explosionsartigen Ausbreitung der jungen Ordensgemeinschaft der Tempelherrenist eine Überarbeitung der Statuten notwendig geworden.

1139 Rom-Vatikan * In der Bulle "Omne datum optimum" gibt Papst Innozenz II. den "Tempel-Rittern" eine umfangreiche "Ordensregel", die mit Ergänzungen im Jahr 1230 und 1260 auf insgesamt 678 Artikel anwachsen wird.

Durch die "päpstliche Bulle" werden die "Tempelherren" als "extemt" erklärt, also aus dem kirchlichen Gesamtorganismus heraus genommen. Sie sind damit die erste Gemeinschaft von "Rittermönchen", die jeglicher "bischöflicher Jurisdiktion" entnommen und alleine und direkt dem "Heiligen Stuhl" unterstellt sind.

Er erklärt die "Templer" auch zu "Vorkämpfer der Christenheit" und hebt sie damit über alle anderen "Orden".

Seite 6/814 Dadurch nehmen die "Templer" in der Gesamtkirche eine elitäre Ausnahmestellung ein, die von den Folgepäpsten fortgeschrieben und durch eine Vielzahl von "Privilegien" erhärtet wird.

So darf kein Kirchenmann oder Laie, lediglich der "Templer-Meister" mit Zustimmung des "Kapitels", die "Ordens-Statuten" ändern. Das Recht der "Tempel-Ritter" eigene "Priester" zu haben, wird in der "Bulle" ebenso festgeschrieben wie die "Freistellung vom Zehent".

Die "Templer-Kapläne" sind berechtigt "Spenden" zu sammeln, um "Almosen" zu bitten und einmal im Jahr in jeder Kirche die "Kollekte" für sich zu behalten.

Einmal jährlich dürfen sie in den unter "Interdikt", dem "Verbot gottesdienstlicher Handlungen", gestellten Regionen die "Messe" halten.

Die Kirche macht - nicht nur aus Sicht der "Templer" - viel zu viel Gebrauch von dieser Strafmaßnahme, die darauf abzielt, jede religiöse Aktivität, ob das nun Messen oder die Segnungen der Sakramente sind, in einer Ortschaft, einer Region oder einem ganzen Königreich zeitweilig zu verbieten. Damit wollen die Kirchenmänner die Sünden eines Herren, einer Gemeinde oder eines Königs bestrafen.

Gottesdienste, die in solchen vernachlässigten und teilweise auch vollkommen ungerechtfertigt bestraften Regionen abgehalten werden, ziehen freilich viele Gläubige an und bringen schon deshalb außergewöhnlich hohe Einnahmen von "Almosen und Opfergaben".

Darüber hinaus dürfen die "Tempelherren" eigene "Kirchen und Friedhöfe" besitzen, worin sie auch "Exkommunizierte" beerdigen können, was ihnen häufig großzügigst gedankt wird.

Schließlich ergänzt Papst Coelestin II. die "Privilegien der Templer" indem er die "Ritter-Brüder", ihre "Vasallen" und "Grundholden" von den durch die Bischöfe ausgesprochenen "Exkommunizierungen" und "Interdikten" als ausgeschlossen erklärt. Dies geschieht sehr zum Ärgernis des "Weltklerus" und vergiftet das eh schon angespannte Verhältnis zwischen dem "Ritterorden" und den "Weltpriestern".

Dennoch hält der "Heilige Stuhl" beständig seine "schützende Hand" über die "geistlichen Ordensritter" und stellt die gewährten "Privilegien" nie in Frage.

Seit Hugo von Payns den "Tempelherren" seine Besitzungen schenkte, folgte jeder, der in den "Orden" eintritt oder sich ihm anschloss, diesem Beispiel.

Durch Schenkungen von Land und Vermögen sind die "Ordensritter" sehr schnell reich geworden. Und nachdem heimgekehrte "Kreuzfahrer" Wunderdinge über das "Heldentum der Templer" berichten, führt dies in ganz Europa zu einer großzügigen Spendentätigkeit für die Ordensgemeinschaft.

1140 Paris * Die "Templer" besitzen ausgedehnte Ländereien in Frankreich, England, Schottland, Spanien, Portugal, Flandern, Italien, im Deutschen Reich, Ungarn und in der Levante.

Geschenkt wird ihnen vor allem für die "Ablösung von Sünden" sowie das "Seelenheil" des Spenders und seiner

Seite 7/814 Angehörigen. Durch Tausch, Verkauf und Erwerb optimieren die "Templer" die Ertragslage ihrer "Schenkungen" zu wirtschaftlich lukrativen Gebilden.

Da ihre Besitzungen hohe Renditen erwirtschaften, fließen dem "Ritterorden" daraus reichliches Einkommen zu. Viele ihrer landwirtschaftlichen Gründe haben sie verpachtet.

Nur wenn sich die Ertragslage der Böden wirklich rentiert, dann bearbeiten sie diese auch in "Eigenbewirtschaftung". Dafür holen sie sich eigens qualifizierte Spezialisten. In Spanien und auf den Balearen beschäftigen die "Tempelherren" dafür sogar geschickte "Muslime".

Durch ihren Kontakt zur jüdischen und islamischen Welt sind die "Tempelherren" recht weltoffen und für neue Wissenschaften und Ideen empfänglich geworden. Der "Orden" besitzt die "fortschrittlichste Technologie" der Zeit: im Bereich der "Landwirtschaft", des "Vermessungswesens", des "Straßenbaus" und der "Schifffahrt".

Die "Templer" veranlassen die "Bewässerung des Rio-Cinca-Tales" in Aragón, den Bau eines Mühlensystems an der Aude und die Einführung des vierjährigen Fruchtwechsels in der Normandie. Mit "Mühlen" lässt sich ebenso viel Geld verdienen wie mit dem "Weinanbau" in Portugal. Der Wein wird bis nach England verkauft.

Auch die "Templer-Schiffe" bringen einen erheblichen Gewinn. Den "Ordensrittern" gehören eigene Häfen, Werften und Schiffe. Sie sind die Ersten in Europa, die mit einem Magnetkompass ausgestattet sind.

Selbst die der europäischen weit überlegene arabische Medizin ist den "Templern" nicht fremd. In den Krankenhäusern des "Ordens" kommen moderne Prinzipien wie "Hygiene" und "Sauberkeit" zum Tragen und sogar das Wissen um die "antibiotische Wirkung von bestimmten Pilzen" ist vorhanden.

Die "Tempelherren" sind also keineswegs reine "Haudraufs". Neben ihren kriegerischen, politischen und wirtschaftlichen Aktivitäten betreiben sie auch noch Geldgeschäfte.

Sie sind die einzigen Christen, die aufgrund eines weiteren päpstlichen Privilegs Geld gegen Zinsen verleihen dürfen. Dadurch können sie einen gewaltigen Reichtum anhäufen.

Und da, um seine Wertgegenstände aufzubewahren, nichts so sicher und unverletzlich ist wie ein "gottgeweihtes Haus" und nichts mehr Vertrauen erweckt als die "Templer-Burgen", die von hohen Mauern geschützt, von "Ritter-Mönchen" verteidigt vor jedem Angriff sicher scheinen, dienen diese bald als Tresore für Kostbarkeiten von weltlichen und geistlichen Herren. Sie werden zu "Depots" für Wertgegenstände, Schmuck und Geld, die den Grundstock des immer noch gesuchten "Templerschatzes" bilden.

Die "Templer" verwalten die "Depots" ihrer Kunden, die damit über ein "laufendes Konto" verfügen. Sie können Geld abheben, Zahlungen durch einen simplen Brief an den "Schatzmeister" entrichten und erhalten darüber hinaus drei Mal jährlich einen "Kontoauszug" zugeschickt.

Zu jedem trogähnlichen Geldschrank gibt es, ähnlich wie bei den heutigen "Bankschließfächern", zwei

Seite 8/814 verschiedene Schlüssel. Je einen für den "Hüter der kirchlichen Kostbarkeiten" und dem "Depotinhaber". Bis auf wenige Ausnahmen sind die Depots der "Templer" absolut sicher, da geldgierige Herrscher nur ganz selten ihre Finger nach ihnen ausstrecken.

So können sich die Niederlassungen der "Templer" in Europa und im Nahen Osten zu "Zentren des Finanzwesens" entwickeln und das "Pariser Ordenshaus", der "Temple", zum "europäischen Finanzzentrum". Der König von Frankreich vertraut beispielsweise im 13. Jahrhundert seine "Kronjuwelen" der Obhut der "Pariser Templer" an.

Die Finanzspezialisten der "Tempelherren" führen bald fortschrittliche Techniken im "Kreditwesen" und in der "Buchführung" ein. Sie entwickeln den "bargeldlosen Zahlungsverkehr" und führen den "Wechselbrief" und den "Scheck" in Europa ein.

Wer also in einem "Ordenshaus" eine Summe einzahlt, kann sie nach Vorlage der "Kassenanweisung" in einer weit entfernten "Komturei" wieder in Empfang nehmen. Der "Orden" kassiert dafür lediglich Gebühren und verdient an den Zinsen. Doch wird dadurch der risikoreiche Transfer von Münzgeld fast völlig entbehrlich.

Neben der einfachen Vermögensverwaltung für Dritte betreibt der "Templer-Orden" auch "Geldleihe", wodurch er die eigenen Gelder und die ihnen durch Dritte anvertrauten Einlagen arbeiten lässt. Alle "Klöster" und "Konvente" fungieren deshalb als "Leihkasse".

An Bauern verleihen die "Templer" kleinere Summen, damit diese einen Engpass überbrücken können, Kaufleuten geben sie größere Kredite. Als Sicherheit ziehen sie Grundbesitz heran. Gibt es bei der Rückzahlung des Kredits Probleme, dann halten sie sich an den Ländereien des "Schuldners" schadlos.

Zwar passen die Finanzaktivitäten des "Templer-Ordens" nicht zu ihrer religiösen Berufung, es ist aber die allgemein den "Ritterorden" aufgetragene Mission, die sie auch in diesem Bereich tätig werden lassen. Auch die "Johanniter", der "Deutsche Orden" und selbst die traditionellen "Mönchsorden" betätigen sich ähnlich, allerdings auf einer wesentlich niedrigeren Stufe.

Um im Orient überleben zu können, muss der "Templer-Orden" über umfangreiche Finanzmittel verfügen und all seine Einkünfte weitestgehend in Geld verwandeln. Sie kaufen dazu auf Märkten und Messen möglichst viele Rechte und Monopole, die ihnen wiederum Einnahmen sichern.

So wird zum Beispiel das ausschließliche "Wiegerecht", das der "Orden" vom Grafen der Champagne erwirbt, sehr zu Ungunsten der dort ansässigen Bürger vereinnahmt. Von dem eingenommenen und erwirtschafteten Verdienst gehen anfangs ein Drittel an die Häuser im Orient. Später werden die Abgaben auf ein Zehntel reduziert.

Aus abendländischer Sicht entsteht immer wieder der Eindruck, als hätten die Männer und Frauen aus dem Westen die Kultur in den "Nahen Osten" gebracht. Genau das Gegenteil ist richtig.

Seite 9/814 Die arabischen Reiche sind den Christen nicht nur militärisch, sondern auch in ihrer Kultur weit überlegen. Dort im Osten ist das geistige Erbe der Griechen und Römer bewahrt und weiterentwickelt worden. Geniale Mathematiker und Astronomen sowie geschickte Kaufleute kommen von dort her.

Die Araber haben ein Zahlensystem entwickelt: die arabischen Ziffern, die wir heute noch verwenden. Eine der wesentlichen Neuerungen besteht darin, dass es für "nichts" ein eigenes Zeichen gibt: die "Null". Diese macht das Multiplizieren und das Bruchrechnen viel einfacher und erlaubt die einprägsame Darstellung des "Dezimalsystems".

Und genau dieses System lernen die Christen, allen voran die "Tempelherren", zur Zeit der "Kreuzzüge" kennen. Die "arabischen Ziffern" ersetzen die bisher üblichen "römischen". Da die Kaufleute nun einfacher rechnen können, rechnen sie auch besser und erhalten damit ein genaueres Bild über den Verlauf ihrer Geschäfte.

3. Mai 1140 Freising * Der "Stauferkönig" Konrad III. verleiht dem Freisinger Bischof in einer Urkunde das Privileg, wonach

im gesamten Bistum die "Münzstätten" bischöflich sein müssen, der Stadt Freising ein "vollberechtigter Fernhandelsmarkt" für Salz und andere Großgüter gewährt wird und gleichzeitig die Errichtung weiterer "Fernhandelsmärkte" im Bistum ohne königliche Legitimation ausdrücklich verboten wird.

Bischof Otto I. von Freising, aus dem Geschlecht der Babenberger, will den Raum seines "Bistums" alleine seinen Interessen unterordnen. Die monopolistische Politik des "Kirchenfürsten" richtet sich zunächst gegen den amtierenden Herzog, das war Ottos eigener Bruder Leopold IV., aber auch gegen alle künftig regierenden Herzöge.

In der Folge verlegt der Kirchenfürst das "Freisinger Marktrecht" kurzerhand an das wesentlich verkehrsgünstiger gelegene Föhring. Damit maßt er sich ein ihm nicht zustehendes "königliches Privileg" an.

Dieser Flussübergang stellt jedoch für den geschäftstüchtigen "Freisinger Bischof" eine sichere, lukrative, aber auch kostengünstige Einnahmequelle dar, da die zum Salz- und Warentransport benutzten "Saumpferde" zuvor lange Zeit auf den herzoglichen Straßen unterwegs sind, um nur kurz vor der Isarbrücke auf "Freisinger Gebiet" zu wechseln und es danach ebenso schnell wieder zu verlassen. Dazwischen kassieren die "bischöflichen Zöllner".

Außerdem lässt Bischof Otto I. hier eine "Salzniederlage" und "Zollstätte" errichten, mit der er sich den ganzen "Handel mit Salz" zinsbar macht, und das, obwohl es für Föhring gar keine "Marktverleihungsurkunde" gibt.

Der Markt in Föhring beruht nur auf dem "Herkommen", also auf einem "Gewohnheitsrecht".

1143 Regensburg * Heinrich XI. "Jasomirgott",der Bruder von Herzog Leopold IV.,wird Herzog von Baiern und Markgraf von Österreich.

Seite 10/814 Er residiert in Regensburg, der damaligen Hauptstadt Baierns.

1144 Europa * Ab dem 12. Jahrhundert beginnt die Blütezeit der Alchemie auch im christlichen Abendland. Die europäischen Alchemisten übernehmen das über den jüdisch-muslimischen Kulturkreis entwickelte Wissen und lassen sich vom abwägend-kritischen Denken ihrer orientalischen Kollegen inspirieren.

Bedeutende arabische Alchemiebücher werden ins Lateinische übersetzt. Das erste ist das "Buch über die alchemischen Mischungen" aus dem Jahr 1144. Dadurch kann sich die Alchemie zu einer weit verbreiteten Form früher Naturwissenschaft entwickeln. Dabei ist die neue Sicht auf die Natur wesentlich, die bis dahin - wenn überhaupt - lediglich als Beiwerk der auf den Menschen konzentrierten Schöpfung aufgefasst wird.

April 1146 Vézelay * Bernhard von Clairvaux wirbt an Ostern für die Teilnahme am "Kriegszug".

Vor der StadtVézelayer auf einem freien Feld, wo sich Tausende von Menschen einfinden: hoher und niedriger Adel, Kleriker, Söldner und viele, die der himmlische Lohn lockt, oder die normalen Zugewinne im Krieg, oder beides.

Der "Zisterzienser-Abt" predigt: "Du tapferer Ritter, du Mann des Krieges, jetzt hast du eine Fehde ohne Gefahr, wo der Sieg Ruhm bringt und der Tod Gewinn". Bernhard von Clairvaux wendet sich auch an die Kriminellen und fordert sie zur "Kreuzfahrt" auf: "Ist es denn nicht eine ausgesuchte und allein für Gott auffindbare Gelegenheit, dass der Allmächtige Mörder, Räuber, Ehebrecher, Meineidige und mit anderen Verbrechen Belastete in seinen Dienst ruft. [...] Misstraut nicht, Sünder, der Herr ist bei euch!"

Und weiter: "Selige nenne ich die Generation, die den Zeitpunkt derart reichlicher Vergebung ergreift und dieses wahrhafte Jubeljahr lebend angetroffen hat. [...] Gürtet euch mannhaft und ergreift im Eifer für den christlichen Namen die Glück bringenden Waffen". Die versammelte Menge ist derart begeistert, dass sie die Teilnahme an dem "Kreuzzug" gelobt und Bernhard, um genügend Stoffkreuze für die Gewänder der "Kreuzfahrer" zur Verfügung zu haben, seine Kleider zerreißen muss. Die "Kreuzzug-Ideologie" ist inzwischen auf die verschiedensten Schauplätze christlicher Kriegsführung übertragbar gemacht worden. Deshalb soll der "Zweite Kreuzzug" nicht nur mehr im "Nahen Osten", sondern gleichzeitig an zwei weiteren Fronten stattfinden: gegen die "Mauren" in Spanien und gegen die heidnischen "Wenden" im Norden Deutschlands.

1147 Rom-Vatikan * Das rote und typische "Tatzenkreuz" der "Tempel-Ordensritter" kommt auf den weißen Umhang.

Es wird ihnen von dem, dem "Ritterorden" nahestehenden "Zisterzienser-Papst" Eugen III. verliehen. Die rote Farbe soll an den "Opfertod Christi" erinnern und die "Bereitschaft zum Martyrium für den Glauben" symbolisieren.

Ein weiteres wichtiges Erkennungszeichen ist deren "Siegel". Es zeigt eine Darstellung von zwei Rittern auf einem Pferd und wird inzwischen als "Symbol der Brüderlichkeit", des "guten Einvernehmens", der "Harmonie" und der

Seite 11/814 "Disziplin", die im "Orden" herrschen soll, angesehen.

Ebenso symbolträchtig ist der Artikel "Über die Näpfe und Becher" in der "Templer-Regel". Dieser besagt: "Was die Näpfe angeht, so sollen sie jeweils für zwei Brüder verteilt werden, damit ihn sich jeder vom anderen besorge; sie sollen das Leben in der Enthaltsamkeit und im Brauch des gemeinsamen Essens schätzen lernen".

Es geht hierbei nicht um das Essen aus einem Napf, sondern um das gemeinschaftliche Leben im "Konvent".

Juli 1148 Damaskus * Die "Kreuzfahrer" können zwar die Obstgärten von Damaskus erobern, stoßen aber auf heftigen Widerstand und verlegen deshalb ihre Truppen in den Osten der Stadt.

Doch dieses Gebiet war eine offene Ebene, die weder Schutz noch Wasser bot, sodass die christlichen Kampftruppen schließlich zum Rückzug gezwungen waren. Die "Templer" erwerben sich durch ihre Teilnahme am "Zweiten Kreuzzug" den Ruf "fanatischer Kämpfer von großem Mut", "äußerster Disziplin", aber auch von "außerordentlicher Überheblichkeit".

Frankreichs König Ludwig VII. berichtet, dass es nur den "Tempelherren" zu verdanken sei, dass der falsch geplante und schlecht geführte "Kreuzzug" nicht in einem Desaster endete.

Es folgen wechselseitige Beschuldigungen, die das Verhältnis zwischen dem "Abendland" und den "Kreuzfahrerstaaten" auf Jahre hin vergiften. Und die Akteure des "Zweiten Kreuzzuges" beschönigen die Geschichte, indem sie eisern die "Schmach" verschweigen oder schön reden.

Die Kritiker, die den Tod von vielen Tausenden als sinnlose Opfer bezeichnen, werden immer lauter. Bernhard von Clairvaux, der in seinen "Kreuzzug-Predigten" sagte: "Im Tod des Heiden sucht der Christ seinen Ruhm, weil Christus verherrlicht wird", erklärt jetzt, dass das Desaster durch die "Sünden der Pilger" verursacht worden ist und dass Gott deshalb den "Kreuzfahrern" seinen Segen entzogen habe. Bischof Otto von Freising, ein Bruder des "Stauferkönigs" Konrad III. und selbst aktiver Teilnehmer am "Zweiten Kreuzzug", räumt zwar den Misserfolg des Unternehmens ein, versucht aber zumindest einen kleinen Gewinn zu erkennen, wenn er den Kritikern entgegnet: "Wenn [...] unser Feldzug nicht gut war zur Ausweitung unserer Grenzen, noch für die Wohlfahrt unseres Leibes, so war er dennoch gut für das Heil vieler Seelen".

Bernhard von Clairvaux ist von der Kritik an seiner Person schwer enttäuscht, weshalb er sich gegenüber Papst Eugenius III. ausführlich rechtfertigt und dabei jede Schuld von sich weist: "Wir eilten nicht dorthin wie ins Ungewisse, sondern auf Deinen, ja durch Dich auf Gottes Befehl". Der "Zisterzienser-Abt" lässt sich schließlich in Chartres erneut zum Anführer eines "Kreuzzuges" wählen, doch der Papst will nach den gemachten leidigen Erfahrungen diesen Plan erst fördern, wenn die Aussicht auf Erfolg auch gesichert ist.

6. April 1156 Worms * In Worms erklärt Kaiser Friedrich Barbarossa in einer Urkunde alle Zölle am Main - bis auf wenige Ausnahmen - für aufgehoben.

Fernhändler hatten sich bei ihm beschwert, dass sie zwischen Bamberg und Mainz allzu oft von regionalen Herrschern zur Kasse gebeten würden. Die Anmaßung königlicher Befugnisse durch die Fürsten widerspricht aber den politischen Zielen Kaiser Friedrich Barbarossas, weshalb er diesen Missbrauch eindämmen will.

Seite 12/814 Der Kaiser setzt den Grundherren daraufhin eine Frist, binnen der sie die Berechtigung dieser Zollerhebungen anhand königlicher Privilegien nachzuweisen haben. Nur die wenigsten Betroffenen können den geforderten Nachweis erbringen.

Gut vorstellbar, dass sich vor diesem Hintergrund auch ein heftiger Streit über die "bischöflichen Einnahmen" aus dem "Zoll", dem "Markt", der "Münze" und der "Isarbrücke" in Föhring entzündet hat. Man muss davon ausgehen, dass Herzog Heinrich XII. "der Löwe" die unsicheren Rechtsgrundlagen des Freisinger Bischofs Otto I. über seine selbstherrlich geschaffenen Einrichtungen bewusst sind.

Außer den Ansprüchen der beiden Kontrahenten spielt dabei natürlich auch das machtpolitische Interesse des Kaisers mit. Dieser tritt zwar vordergründig als unparteiischer Richter oder Schlichter auf, kann aber im Hintergrund agierend so seine Interessen und Ziele dennoch verwirklichen.

Der Herzog und der Kaiser ziehen also am gleichen Ende des Seiles.

8. September 1156 Konstanz * Der 26-jährige WelfenherzogHerzog Heinrich XII. der Löweerhält von seinem Cousin Kaiser Friedrich I. Barbarossa das Herzogtum Baiernübertragen. Der Herzog verfügt damit aber nicht über ein in sich geschlossenes Areal, sondern muss auf seinem Herrschaftsgebietunter anderem eine bischöfliche Enklavetolerieren, zu der neben dem Freisinger Dombezirkauch die Brücke in Föhringgehört. Zwei wichtige ehemalige Römerstraßendurchziehen das Herzogtum Baiernvon Ost nach West, um sich bei Augsburg zu vereinen:

Die von Salzburg kommende Straße überschreitet die Isar bei Grünwald, wobei der beschwerliche Übergang bereits gegen Ende des ersten Jahrtausends aufgegeben worden ist. Der andere, der von Wien über Wels kommende Verkehrsweg, überquert die Isar bei Föhring und zieht dadurch den gesamten Fernhandelsverkehrauf sich. Dieser Isarübergang liegt also auf dem Gebiet des FreisingerBischofsOtto I., dem Onkel Kaiser Friedrich Barbarossas.

Um 1157 München - Haidhausen * Im Jahr 1157 - zuvor und danach war Herzog Heinrich XII. "der Löwe" nicht in Baiern - wird die "Salzstraße" nach "Munichen" umgeleitet.

Die "Salzstraße" muss man sich als "Trampelpfad" vorstellen, denn der Lastentransport erfolgt noch nicht mit Fuhrwerken oder Karren, sondern mit "Saumpferden".

Sie führt noch nicht über den "Gasteig" (= gacher Steig = steiler Weg) hinunter zur Isar, sondern nutzt eine "Fuhrt" etwa auf der Höhe der heutigen "Maximiliansbrücke".

Dass der Welfenherzog ein elementares Interesse an der Aufhebung des unrechtmäßig in Föhring eingerichteten bischöflichen "Fernhandelsmarktes" hat, ist naheliegend, da er der größte Nutznießer dieser Entscheidung ist. Und der Freisinger Bischof will nach den Erfahrungen von Worms retten, was noch zu retten ist. Schon deshalb ziehen die beiden Kontrahenten gemeinsam mit dieser Angelegenheit vor den Kaiser.

Seite 13/814 14. Juni 1158 Augsburg - München * Ein vergilbtes Stück Pergament im Format 34 mal 44 Zentimeter gilt als Geburtsschein der bayerischen Landeshauptstadt. Die von Kaiser Friedrich Barbarossa auf dem Reichstag in Augsburgunterzeichnete Urkunde geht als "Augsburger Schied" in die Geschichte ein. Dieses Kaiserdiplomwird als "conventio", also Übereinkunft, bezeichnet.

"Mit Zustimmung und Willen der beiden streitenden Parteien" wird darin vereinbart: Der Markt, der bisher zu Föhring abgehalten wurde, die Zollbrücke und die Münze, werden dort künftig nicht mehr bestehen. Als Ersatz hat unser Vetter Herzog Heinrich der Kirche von Freising ein Drittel des Gesamteinkommens aus seinem Marktzoll zu München übertragen, sei es aus Abgaben für Salz, sei es für andere dort ein- und ausgehende Groß- und Kleinstückwaren. Was den Zöllner betrifft, so soll nach Gutdünken jeder von Euch seinen eigenen haben oder, wenn das für gut erscheint, beide zusammen einen, der jedem von Euch verantwortlich sein soll. Mit der Münze soll es ähnlich gehalten werden, indem ein Drittel der Einkünfte der Bischof erhält, zwei Drittel aber für den Gebrauch des Herzogs bestimmt sind. Eine Münzstätte soll nach Gutdünken des Herzogs errichtet werden. Endlich soll eine Freisinger Münzstätte auch der Bischof errichten dürfen, wenn er will. Von deren Einkünften soll der Herzog nur ein Drittel erhalten und er soll diesen Anteil, er sei groß oder klein, nach dem Wunsch des Bischofs als Lehen weitergeben, wie er es auch bereits getan hat.

Von einem Unrechtoder gar einer Freveltatdes Welfenherzogs findet sich in dieser kaiserlichen Urkundekein Wort. Als Zeugen für die Richtigkeit des Rechtsspruchs werden vier hohe geistliche Würdenträger und vier weltliche Herrscher benannt.

Doch auch wenn die Kaiserurkundeden Charakter einer gütlichen Einigungin sich trägt, so ist sie in ihrem Kern doch ein regalienrechtlicher Spruchdes Kaisers. Mit diesem Kompromiss kann Kaiser Friedrich I. Barbarossa einen Interessenausgleich zwischen dem Bischof von Freising und dem baierischen Herzog erzielen und damit beide zufrieden stellen.

15. Juni 1158 München * Mit dem Augsburger Schiedtritt München am 14. Juni 1158 in die Geschichte ein.Ein gern erzähltes Märchen bezeugt, dass Herzog Heinrich der Löwe am nächsten Tag die Löwenbrauereigegründet hat.

Für die Zeit der Stadtgründung Münchens ist ein Hausbraurechtals gesichert anzunehmen.Das Brauengehört - wie das Brotbacken- zu den Pflichten der Hausfrau.

1164 Untergiesing * Die "Giesinger Mühle" wird an das "Prämonstratenser-Kloster Schäftlarn" geschenkt.

Sie bleibt bis zur "Säkularisation" - mit kurzen Unterbrechungen - im Eigentum des "Klosters Schäftlarn", das die Mühle zum "Leibgeding" verpachtet.

Seite 14/814 1171 Jerusalem * Nach der im Jahr 1171 vom Patriarchen Albert zu Jerusalem gegeben Ordensregel müssen die "Karmeliter"

in abgewandten Zellen leben, sich abwechselnd bei Tag und in der Nacht mit Handarbeiten und Gebet beschäftigen, dürfen nichts Eigenes besitzen, niemals Fleisch essen und haben zu bestimmten Stunden gänzlich zu schweigen.

Der "Orden der Brüder der Seligen Jungfrau Maria vom Berge Karmel" ist - neben den "Franziskanern", "Dominikanern" und den "Augustiner-Eremiten" - einer der vier großen Bettelorden der katholischen Kirche.

Die Bezeichnung "Karmelit" leitet sich von "Karmel", einer rund fünfzig Kilometer langen, aus dem Meer auf eine Höhe von bis zu 552 Metern aufragende Gebirgskette in Palästina, ab.

"Karmel" bedeutet "Baumgarten" und bezieht sich auf den vorhandenen Wasserreichtum, der einen fruchtbaren Bergwald entstehen ließ. In den zahlreichen Klüften und Höhlen des Bergmassivs siedelten sich bereits im Altertum "Propheten" an.

Nach der Eroberung Palästinas durch die Kreuzritter ließen sich auf den "heiligen Bergen" Einsiedler und Mönche nieder, um hier - nach dem Ideal weltabgewandter Askese und in strengster Armut - zu leben.

Februar 1172 Regensburg * Nach einem "Landtag in Regensburg" bricht Herzog Heinrich "der Löwe" ins "Heilige Land" auf.

Dezember 1172 München * Herzog Heinrich "der Löwe" kehrt aus dem "Heiligen Land" wieder zurück und bringt einen Teil der Gebeine des heiligen "Onuphrius" mit.

Um den 1. Februar 1176 Chiavenna * Es kommt zum Bruch zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Löwen, nachdem der Herzog in Chiavenna am Comer See dem Kaiser die militärische Unterstützung für dessen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Lombardei versagt. Denn als Gegenleistung verlangt Herzog Heinrich der Löwedie Kaiserpfalz Goslar und deren reichen Silberminen. Eine Forderung, die der Kaiser strikt ablehnt.

Es kommt angeblich zum Kniefall des Kaisers vor dem mächtigen und uneinsichtigen Herzog - und damit kommt es unausweichlich zum Konflikt. Nun beginnt der Stern des Löwenzu sinken, denn ein kaiserlicher Kniefall gehört zum Zeremoniell der staatlichen Ordnungund gilt zugleich als ein Verfassungselement. Da sich aber der Welfenherzog auch durch diese kaiserliche Geste nicht erweichen lässt, verletzt er die Regeln, was ihm als Überheblichkeit, Hochmut und Verachtung gegenüber dem Reich und dem Kaiser ausgelegt wird.

Seite 15/814 Um den März 1176 München * Im Februar und März 1176 hält sich Herzog Heinrich "der Löwe" zum letzten Mal seinem baierischen Herzogtum auf.

Denn je rasanter es mit Münchens Wirtschaft aufwärts geht, desto steiler vollzieht sich der Abstieg des "Welfenherzogs". Der Grund liegt in der Verweigerung Heinrichs des Löwen an, den Kaiser in seinen kriegerischen Auseinandersetzungen in der Lombardei zu unterstützen.

13. Januar 1179 Worms * Auf dem Hoftag zu Wormswird der eigentliche AnklägerHerzog Heinrich als Angeklagtervorgeladen. Er ist sich über die gegen ihn eingeleitete Aktion im Klaren und glaubt nicht mehr daran, sein Recht zu erlangen. Die Verweigerung von Chiavenna hat ihn in die Isolierung geführt. Aus den verschiedensten und zum Teil weit zurückliegenden Gründen haben sich der Kaiser, der Kölner Erzbischof sowie viele sächsische Bischöfe und Adelige gegen den Löwen verbündet.

Der Gerichtstagbringt ihnen den ersten Erfolg: Da sich Heinrich weigert zu erscheinen, macht er sich, da er "die Majestät verachtete", der Rechtsverweigerung, der contumancia, schuldig.

Kaiser Friedrich I. Barbarossa kommt das Nichterscheinen des Herzogs gerade recht, da er sich auf diesem Wormser Hoftagdie schwäbischen Welfenbesitzungen, die er nur wenige Wochen zuvor trotz des Erbvertrags zwischen Welf VI. und Heinrich dem Löwen gekauft hatte, formell übertragen lässt.

Juli 1179 Köln * Unter der Führung des "Fürstbischofs" Philipp von Köln überlagert die Mehrzahl der Fürsten und Bischöfe das kaiserliche "volksrechtliche Verfahren" mit einem Zweiten nach der strengen "lehnsrechtlichen Prozessordnung".

Es geht ihnen dabei nicht um die Beschleunigung der Angelegenheit, sondern darum, dass der Kaiser das Urteil nicht mehr abmildern und die dem Löwen entzogenen Lehen und Ämter am Ende doch wieder an ihn zurückgeben kann.

Gerade Erzbischof Philipp von Köln geht es um diese Rechtssicherheit. Der von der Kölner Kirche beherrschte westfälische Teil des "Herzogtums Sachsen" soll nicht wieder gefährdet sein und vor allem vor einer etwaigen Rückgabe an den Herzog geschützt werden. Deshalb verwundert es nicht, dass es erneut der "Kölner Fürstbischof" war, der das Verfahren nicht nur konsequent fordert, sondern es auch in Gang bringt.

Um 1180 München * Die erste Isarbrücke entsteht.

Der Verlauf der "Salzstraße" findet sich heute in der "Einstein-" und in der Fortsetzung in der "Inneren-Wiener-Straße" wieder. Beim später entstandenen "Leprosenhaus" führt sie über den Streckenabschnitt "Am Gasteig" (= gacher Steig = steiler Weg) mit einem starken Gefälle hinunter zur Isar, die durch mehrere Inseln in viele Flussläufe geteilt ist.

Seite 16/814 13. April 1180 Köln * "Fürstbischof" Philipp von Köln hat sein Ziel erreicht: Er erhält den gewünschten westlichen Teil des "Herzogtums Sachsen" übertragen.

Sein Verbündeter, "Bernhard aus dem Haus der Askanier", erhält den östlichen Teil.

13. Juli 1180 Regensburg * Auf dem Reichstag zu Regensburgwiderruft Kaiser Friedrich Barbarossa die Belehnung des Herzogtums Baiern an Herzog Heinrich dem Löwen. Das Regensburger Urteil, der zweiten für die Gründung Münchenswichtigen Kaiserurkunde, wird vom selben Fürstengremium getroffen, das den Herzog zuvor abgesetzt hat und steht damit natürlich in einem engen Zusammenhang mit der EntmachtungHeinrichs des Löwen.

Erstmals ist darin von der Zerstörung der Brückeund der gewaltsamen Verlegung des Marktes von Föhringdie Rede. Die Regensburger Kaiserurkundebezieht sich allerdings mit keinem Wort auf den Augsburger Schiedvom 14. Juni 1158. Dafür heißt es: "Es mögen daher in Gegenwart und Zukunft alle Getreuen des Reiches wissen, dass unser geliebter Albert, Bischof von Freising, vor unserer Majestät erschienen ist und untertänig vor uns Klage geführt hat, dass der Edelmann Heinrich von Braunschweig, vormals Herzog von Baiern und Sachsen, den Markt mit der Brücke in Föhring, den seine Kirche seit uralten Zeiten ungestört in Besitz gehabt hatte, zerstört und ihn gewaltsam in den Ort München verlegt habe".

Die Darstellung ist knapp und sehr ungenau. Welchen Markt und welche Brücke sollte denn der Löwe zerstört haben? Lautete der erste Punkt des "Augsburger Schieds" vom 14. Juni 1158 doch: "Der Markt, der bisher zu Föhring abgehalten wurde, die Zollbrücke und die Münze, werden dort künftig nicht mehr bestehen".

Für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Stadt enthält der vierte Absatz des Kaiserdiplomseine regalrechtliche Regelung.Demnach wird dem Freisinger Bischof der Marktund die Zollbrückeübertragen. Wie künftig die Einkünfte der Münze aufgeteilt werden, darüber trifft die Urkunde jedoch keine Aussage.

Um diesen Sachverhalt und die Berechtigung der Klage zu untermauern und eine spätere eventuelle Zurücknahme der Entscheidung zu verhindern, bietet der Freisinger Bischof eine Reihe von hochrangigen Würdenträgern als Zeugen auf.

Damit ist die Rechnung des Klage führenden Bischofs von Freising aufgegangen, indem er sich an das knapp einen Monat zuvor abgeschlossene landrechtliche Verfahrenangehängt und gewonnen hat. Er hat in dieser Verfahrensweise die Gelegenheit gesehen, über eine Verurteilung des Welfenherzogs als Friedens- und Rechtsbrecher einen Gewinn für die eigene Kirche herauszuholen. Die Münchner Stadtherrschaftder Freisinger Bischöfe wird bis zum Jahr 1240 andauern.

1187 Jerusalem * Jerusalem fällt in die Hände der "Muslime".

Das "Haupthaus der Tempel-Ordensritter" wird daraufhin nach Akkon verlegt.

Saladin schlägt das christliche Heer. Er lässt 230 halb tot gefangen genommene "Templer" hinrichten.

Bezogen auf die "Tempelherren" und die "Johanniter" meint Saladin: "Ich will die Erde von diesen zwei

Seite 17/814 schändlichen Bruderschaften reinigen, die niemals ihre Feindschaft aufgeben und keinen Dienst als Sklaven leisten".

Daraufhin übergeben die "Tempelherren" erstmals ihre Burgen kampflos und zahlen sogar Geld für ihren Abzug.

1191 Zypern * Trotz aller Rückschläge und Niederlagen bleiben die "Tempelherren" reich, privilegiert und versuchen in immer neuen Vorstößen an einen eigenen "Ordensstaat" zu kommen.

Anno 1191 kaufen sie König Richard Löwenherz das von diesem eroberte "Zypern" um 100.000 "Goldbyzantiner" ab. Doch die Inselbevölkerung wehrt sich mit einem Aufstand gegen die geplante Herrschaft der "Tempelordens-Ritter".

So verfügen am Ende die "Johanniter" und der "Deutsche Orden" über einen eigenen Staat, nicht aber die "Tempelherren".

Vor 1202 München-Graggenau * Die Münchner "Seelhäuser" mit ihren kleinen Gemeinschaften der "Seelnonnen" haben ihren Ursprung in der "Armenbewegung" und der "religiösen Frauenbewegung" des Spätmittelalters. Sie stehen damit in Beziehung zu der weite Teile Europas erfassenden "Beginenbewegung".

In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts hat sich die Lebensform der weiblichen "Beginen" und der männlichen "Begarden" rasch in Flandern, Brabant, den nördlichen Niederlanden, in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz ausgebreitet.

In einem Bericht aus dem Jahr 1241 heißt es dazu: "Die Anzahl gewisser Frauen, die das Volk Beginen nennt, mehret sich, vor allem in Deutschland, bis zu Tausenden und Abertausenden in unglaublicher Weise; sie geloben und beobachten die Keuschheit und fristen von ihrer Hände Arbeit ein Leben der Zurückgezogenheit".

Die frühesten zeitgenössischen Berichte über "Beginengemeinschaften" verweisen auf das "Herzogtum Brabant", auf die "Diözese Lüttich". Als älteste nachweisbare Niederlassung gilt das "Beginenhaus" von Tirlemont in Brabant. Es besteht bereits vor dem Jahr 1202.

In die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts fallen die Entstehung der brabantischen "Beginensiedlungen" von Nivelles [1220] und Herentals [1226] sowie der große "Beginenhof" von Löwen [1232]. In der "Grafschaft Flandern" entstehen die "Beginenhöfe" in Gent [1234], Kortrijk [1238] und Brügge [1245].

Die Hochburgen der "Beginen" im deutschen Sprachraum sind Großstädte und Bischofssitze wie Köln, Straßburg, Mainz, Basel, Worms, Trier und Würzburg, die als soziale, wirtschaftliche und geistige Zentren günstige Voraussetzungen für das Entstehen von "Beginengemeinschaften" bieten.

Schon für das Jahr 1211 - oder kurz danach - ist der Ursprung eines "Beginenkonvents" in Nürnberg bekannt, aus dem später das "Dominikanerinnenkloster Engental" hervorgeht. Der erste "Beginenhof" in Ulm, die "Sammlung", wird kurz nach dem im Jahr 1229 entstandenen "Franziskanerkloster" gegründet.

Seite 18/814 Für 1241 sind "Beginen" in Nördlingen, 1243 in Dillingen belegt. Anno 1242 wird eine "femina religiosa" in Frankfurt, 1244 eine "sorores conversae" in Straßburg genannt.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstehen auch in München mehrere "Seelhäuser" als "Stiftungen" wohlhabender Bürger.

1207 San Damiano * Der "Franziskanerorden" - als erster "Bettelmönchsorden" - wird gegründet.

Franz von Assisi wandelt das benediktinische "Gelübde der Armut" in ein "Gelübde des Bettelns" um und schließt damit eine Lücke im System der katholischen Kirche. Er verkündet "völlige Armut und politische Machtlosigkeit" und lehnt jede "hierarchische Unterordnung innerhalb des Ordens" ab.

Die "Franziskaner" gehen barfuß, verfügen weder über Grundbesitz noch Vermögen, ihre Kleidung besteht aus einem groben grauen Umhang mit einer Kapuze, der mit einem Strick zusammengehalten wird.

So gekleidet unterscheiden sie sich kaum von den damals populären "Wanderpredigern". Nur für den täglichen Bedarf dürfen die Mönche betteln, doch außer für kranke Mitbrüder kein Geld annehmen.

Besonders die Schichten der städtischen Bewohner, die sich früher wahrscheinlich den "Ketzern" zugewandt hätten, geraten nun in den Bannkreis der "Minoriten", die für sie das Ideal einer am "Urchristentum" orientierten Kirche verkörpern.

Obwohl die "Franziskaner" von einer Woge des im Volk populären Armutsideal emporgetragen worden sind, nimmt sie die Kirche dennoch nur schrittweise auf.

1221 München-Angerviertel * Das ist die Zeit, in der die ersten franziskanischen Bettelmönche nach München kommen.

Der genaue Zeitpunkt lässt sich jedoch mit Sicherheit nicht mehr feststellen. Nach der "Ordenstradition" soll ein Bruder Castinus die erste Ordensniederlassung der "Barfüßer" hier gegründet haben.

Von der Bürgerschaft sei ihm damals die "Jakobuskapelle" mit einem Häuschen "am Anger vor der Stadt" übergeben worden. Beweisbar ist das nicht.

1226 Rom-Lateran* Die Ordensgemeinschaft der "Einsiedlerbrüder vom Berge Karmel" erhält ihre päpstliche Bestätigung.

Mit dem Vordringen der Muslime gehen viele Eremitenmönche im 13. Jahrhundert nach Zypern, Sizilien, Südfrankreich und England. Dort wenden sie sich einer mehr weltzugewandten Richtung zu, sodass Papst Innozenz IV. die "Karmeliter" unter die Bettelorden eingereiht und ihnen so die Möglichkeit der Niederlassung in den Städten gibt.

Seite 19/814 1229 München - Regensburg * In einer Regensburger Urkunde wird als jüdischer Zeuge ein "Abraham von München" genannt.

Ein Hinweis, dass es bereits zu dieser Zeit Juden in München gegeben hat.

Um 1230 Rom-Lateran * Die regierenden Päpste wirken mildernd auf die "Franziskaner-Ordensregeln" ein und setzen die Praxis durch, dass Freunde des Ordens der "Minderbrüder" Geld sammeln und verwalten dürfen.

Die "Spiritualen" wenden sich zwar scharf dagegen, werden aber dafür verfolgt, eingekerkert und sogar erschlagen. Ihr Protest kann jedenfalls die "Konventualen" nicht bremsen.

29. März 1231 Freising * Der Freisinger Bischof Gerold von Waldeck stirbt.

Er wird von Papst Gregor IX. abgesetzt und exkommuniziert, weil er im Jahr 1230 die Stadt Freising den Wittelsbachern als Lehen überlassen will. Dazu kam es durch überwiegend selbst verschuldeter Finanzschwierigkeiten.

Sein Nachfolger auf dem Bischofsstuhl wird Konrad I. von Tölz und Hohenburg.

15. September 1231 Kelheim * Herzog Ludwig I. der Kelheimerwird auf der Donaubrücke in Kelheim von einem Unbekannten ermordet. Seine Grabstätte befindet sich im Benediktinerkloster Scheyern. Nachfolger auf dem Thron des baierischen Herzogs wird sein Sohn Otto II., der bereits seit 1228 die Pfalzgrafschaft Rheinregiert.

1240 München * Die Wittelsbacher verdrängen den Freisinger Bischof aus München.

Die Zeit, in der die Freisinger Bischöfe in München regieren, liegt ebenso im Düsteren wie die Zeit vor Herzog Heinrich dem Löwen. Das liegt daran, dass es schon bald zu Streitigkeiten mit dem neuen baierischen Herzogshaus der Wittelsbacher kommt, die sogar in kriegerische Auseinandersetzungen münden.

Am Ende des weit über fünfzig Jahre andauernden Konflikts, einigen sich die Kontrahenten auf die Vernichtung aller streitbezogenen Dokumente. Dieser Maßnahme fallen viele wichtige Informationen zum Opfer.

Der Bischof muss seine "Münchner Rechte" gegen eine jährliche Entschädigung an den Herzog abtreten. Diese Gebühr wird bis 1802 bezahlt.

Um das Jahr 1250

Seite 20/814 Italien * Thomas von Aquin greift die Ideen des "Kirchenlehrers" Aurelius Augustinus aus dem frühen 5. Jahrhundert wieder auf und entwickelt die weitreichende Theorie des "explizit" [= ausdrücklich] und "implizit" [= stillschweigend] geschlossenen "Teufelspaktes", nach dessen Abschluss die Dämonen dem "Magier, Zauberer oder Wahrsager" hilfreich zur Seite stehen.

Neben seiner Lehre vom "Teufelspakt" spekuliert Augustinus darüber, ob der Geschlechtsverkehr zwischen Frau und Dämon möglich sei und ob daraus Nachwuchs hervorgehen könne.

Auch Thomas von Aquin vertritt die Auffassung, dass es zwischen Menschen und Dämonen zu Sexualkontakten kommen kann. Da aber alle "Schöpferkraft" nur bei Gott liegt, können sie keine Kinder zeugen.

Deshalb muss der Dämon zuerst in Gestalt einer "succuba" [= weiblicher, unten liegender Dämon] einem Mann den Samen entziehen, um ihn dann in Gestalt eines "incubus" [= männlicher, oben liegender Dämon] einer Frau einzupflanzen.

Diese Theorie wurde ebensolange diskutiert wie die Frage, ob solche im Prinzip vom Menschen abstammenden Kinder eine zu taufende "Seele" hätten oder nur "teuflische Wechselbälger" seien.

Ja, mit so einem Unsinn können sich intelligente Menschen scheinbar intensiv beschäftigen.

1252 Rom-Lateran * Papst Innozenz IV. sieht in der Bulle "Ad extirpendam" die "Folter" ausdrücklich als Mittel vor, um in Fällen der "Häresie" die Wahrheit ans Licht zu bringen.

29. November 1253 Landshut - Scheyern * Herzog Otto II. stirbt in Landshut. Seine Grabstätte befindet sich im Benediktinerkloster Scheyern. Herzog Ludwig II. der Strengeregiert zwischen 1253 und 1255 gemeinsam mit seinem Bruder Heinrich XIII. das Herzogtum Baiern und die Pfalzgrafschaft Rhein.

2. August 1254 Landshut * Herzog Ludwig II. der Strengeheiratet in Landshut Herzogin Maria von Brabant und Lothringen.

1256 Rom-Lateran * Der Orden der "Augustiner-Eremiten" wird gegründet.

Seine Ordensangehörigen führten aber kein einsiedlerhaftes Leben, wie uns dies ihr Name zunächst suggerieren möchte.

Die "mönchische Gemeinschaft" wird nur deshalb so genannt, weil sie im Gegensatz zu den alten anerkannten Orden, wozu in unserem Falle die "Augustiner-Chorherren" gehören, ihren Sitz beziehungsweise ihre Mutterkirche nicht in einer der "päpstlichen Basiliken" hat. Nur aus diesem Grund wird sie "Eremiten-Kongregation" genannt.

Seite 21/814 18. Januar 1256 Donauwörth *Herzogin Maria von Baiern, die Ehefrau von Herzog Ludwig II. dem Strengen, wird in Donauwörth enthauptet. Ihre Grabstätte befindet sich in der Heiligkreuzkirchein Donauwörth.

13. Januar 1257 Rom-Lateran * Papst Alexander IV. erteilt einen Ablassbrieffür das Franziskanerklosterin München.Der Ablassgilt an den Festen der Heiligen Franziskus, Antonius und Klara sowie acht darauffolgende Tage. Es ist die erste sichere Kunde vom Bestehen des Franziskanerklosters.

1284 München-Graggenau - München-Angerviertel * Die beginnende Erweiterung Münchens auf den sechsfachen Umfang des befestigten Marktes Heinrichs des Löwen führt zur Verlegung des "Franziskanerklosters" nördlich der herzoglichen Burg.

Besondere Unterstützung findet der Neubau des "Franziskaner-Klosters" durch die Familie der Sendlinger, die eigentlich an der Errichtung eines "Klarissenklosters" interessiert ist. Sie kauft den "Barfüßern" deshalb das bestehende "Angerkloster" weit über seinen Wert um 800 Pfund Pfennigen.

Damit können die "Klarissen" aus dem Kloster Söflingen, also Nonnen des "Zweiten Ordens" der "Franziskaner", das verlassene Kloster "St. Jakob am Anger" übernehmen.

1285 München - München-Graggenau * Ein Münchner Jude soll einen christlichen Knaben ermordet und sein Blut für rituale Zwecke missbraucht haben, obwohl der jüdische Glauben den Genuss von Blut verbietet.

Die Juden der Stadt sterben als "jüdische Glaubenszeugen" in den Flammen der von Christen angezündeten "Synagoge".

Nach Juni 1291 Akkon - Zypern * Nachdem auch Akkon, dieser letzte befestigte Platz des Königreichs fällt, wird der Sitz der "Zentralregierung" nach Zypern verlegt.

Der "Ordenssitz" der "Templer" bleibt aber immer im Orient, oder wie die "Tempel-Ordensherren" sagten: "Diesseits des Meeres".

Es ist jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis ihre Gegner laut vernehmbar an die Öffentlichkeit treten und den "Tempelherren" die vielen wirtschaftlichen Aktivitäten, ihren Reichtum und ihre Privilegien, ihre Macht und ihren Einfluss neiden.

So sind die "Bischöfe" über die direkte Unterstellung der "Tempelherren" unter den "Heiligen Stuhl" verärgert, Geschäftsleute beschweren sich über die angeblichen Beeinträchtigungen ihrer Handelsrechte durch die "Ordensmänner" und

Seite 22/814 der Weltklerus muss ohnmächtig zusehen, wie die "Tempelherren" in ihren Pfarreien umfassende "Kollekten" organisieren und dadurch örtliche Projekte leiden müssen. Die anderen "Ritterorden", ganz besonders die "Johanniter", neiden den "Tempelrittern" ihre nahezu uneingeschränkten Finanzmittel. Und selbst weil der "Großmeister der Templer" Vortritt gegenüber dem "Johanniter-Großmeister" hat, kommt es zu weitreichenden Rivalitäten.

Aus den Neidern werden Feinde, die Material für kommende Auseinandersetzungen sammeln. Und das wird den "Tempel-Rittern" dann gefährlich, als sich ein machtvoller politischer Wille gegen sie wendet.

Wie in den heutigen politischen Auseinandersetzungen, so werden auch damals Einzelfälle aufgebauscht, ausgeschlachtet und zu wahren Horrorgeschichten ausgebaut.

Freilich findet man unter den "Tempel-Rittern" einen Trunksüchtigen, einen Sodomistischen, einen Homosexuellen, einen Jähzornigen oder einen glaubensmäßig Unsicheren.

1292 Landshut* Wegen Missernte und nachfolgender "ungewöhnlicher Getreidetheuerung" verbieten die niederbaierischen Herzöge Ludwig III.,Otto III. und Stephan I. das Bierbrauen.

1293 München * Das "Münchner Handwerk der Brauer" wird erstmals genannt.

Es zahlt dem Herzog jährlich 50 Pfund Pfennige, 32½ Scheffel Malz und ein Quantum Wachs.

2. Februar 1294 Heidelberg * Herzog Ludwig II. der Strengestirbt in Heidelberg. Seine Grabstätte befindet sich in der Kirche des Zisterzienserklosters Fürstenfeld. Herzog Rudolph I. übernimmt die Regierungsgeschäfte.Sein Bruder, der zwölfjährige Herzog Ludwig IV., den man später den Baiernnennen wird, erhält seine Erziehung am Habsburger Hof in Wien.

4. April 1294 München-Kreuzviertel * Herzog RudolfI. dokumentiert den Gründungsakt des "Augustiner-Eremiten-Klosters" und der Kirche in einer Urkunde.

Von Regensburg aus kommen eine Handvoll "Ordensbrüder" nach München und erhalten einen Platz unmittelbar vor der ersten Stadtbefestigung, nahe am "Oberen Tor", das später den Namen "Schöner Turm" erhalten wird.

Das Haus Wittelsbach übernimmt auch die "Vogtei" über das Kloster.

1301 Wien * König Albrecht I. von Habsburg, der Onkel der baierischen Herzöge, verhilft Ludwig den Baiernzur Mitregierung in den oberbaierischen-pfälzischen Gebieten.

Seite 23/814 Spätestens ab dem Jahr 1301 München - Haidhausen * Der Ausbau der Stadt München macht den Erwerb von Lehmgründen in Haidhausen notwendig.

Wichtige Bauwerke entstehen: von der Stadtmauer bis zu Kirchen-, Verwaltungs- und Repräsentationsgebäuden. Sie werden mit Haidhauser Ziegel gebaut und gedeckt.

1302 Ruad * Einen weiteren großen Prestigeverlust bereiteten ihnen die Mameluckenbeim Überfall auf die mit einhundertzwanzig Tempel-Rittern, vierhundert dienenden Brüdernund fünfhundert Bogenschützenbesetzte Inselfestung Ruad. Die gefangenen Templerwerden in "Schimpf und Schande nach Ägypten geführt".

1304 Paris * Die Missgunst steigertsich immer mehr, nachdem der "Templer-Orden" ganz offiziell den "Kampf gegen die Heiden" aufgibt, der "Großmeister" sich ins damals schon als flott bekannte Paris zurückzieht und viele "Tempelherren" in ihrer Heimat, vor allem in Frankreich, wichtige Positionen bekleiden - allerdings ohne der französischen Krone Rechenschaft schuldig zu sein.

Die reichen und arroganten "Templer", dieser "Staat im Staat", stört den französischen König Philipp IV., den man "den Schönen" nennt.

Er ist ein durchaus tüchtiger Herrscher, der etwas von der Macht versteht und deshalb weis, dass es "Macht ohne Geld" nicht gibt.

Doch gegen die gut ausgebildeten und disziplinierten "Templer" hat selbst der französische König militärisch nichts entgegenzusetzen. Außerdem untersteht der "Orden" direkt dem Papst, gegen dessen Willen er nichts unternehmen kann.

Juni 1304 München - Fürstenfeldbruck *Herzogin Mechthild von Baiern, die dritte Ehefrau von Herzog Ludwig II. "dem Strengen", stirbt.

Ihre Grabstätte befindet sich in der Kirche des "Zisterzienserklosters Fürstenfeld".

1305 Paris * Besorgniserregende Gerüchte über die "Templer" tauchen auf.

Es geht dabei um "Ketzerei, Götzenkult und Sodomie". Sie werden von Esquieu de Floyran in Umlauf gebracht.

16. November 1306 München-Angerviertel * Die Klarissinnen-Nonnenvom Kloster Sankt Jakob am Angererhalten das Brau- und Schankrecht.

Seite 24/814 Juni 1307 Paris * Der "Templer-Ritterordensmeister" Jakob von Molay beruft ein "Ordenskapitel" nach Paris ein.

Dort diskutiert man über die verbreiteten Gerüchte.

13. Oktober 1307 Paris * Zur Überraschung von Papst Clemens V. werden im Morgengrauen - gleichzeitig in ganz Frankreich - die Templerverhaftet, ihre Güter beschlagnahmt und die Ordenshäuserunter königliche Aufsicht gestellt. Der Überraschungscoup gelingt und es gibt keinen militärischen Widerstand der Tempelritter. Trotzdem kann der Großmeister der Tempelherren, Jacques de Molay, noch kurz vor der Massenverhaftung Bücher und Dokumente des Ordensverbrennen. Die Zahl der Verhaftungen lässt sich nur schwer abschätzen. In Paris gibt es 138 Festnahmen.Lediglich zwölf bis zwanzig Ordensritterkönnen vor der Razziafliehen, darunter nur ein hoher Würdenträger.

Der Brief von König Philipp IV., datiert vom 14. September [Tag der Kreuzerhebung], hat den folgenden Inhalt:

"Eine bittere, beklagenswerte, entsetzlich sich vorzustellende Sache [...]. Ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, eine scheußliche Missetat [...]. Eine ganz und gar unmenschliche, ja jeder Menschlichkeit fremde Sache ist uns dank mehrerer glaubwürdiger Menschen zu Ohren gekommen".

Und weiter heißt es:

"Die Brüder des Ordens der Miliz vom Tempel, die die Wolfsnatur unter dem Schafspelz verbargen und unter dem Habit des Ordens in erbärmlicher Weise die Religion unseres Glaubens beleidigten, werden beschuldigt, Christus zu verleugnen, auf das Kreuz zu spucken, sich bei der Aufnahme in den Orden obszönen Gesten hinzugeben", und "sie verpflichten sich durch Gelübde und ohne Furcht, das menschliche Gesetz zu beleidigen, sich einander hinzugeben, ohne Widerrede, sobald es von ihnen verlangt wird."

Zur Aufdeckung der Wahrheit werden "ausnahmslos alle Mitglieder des selbigen Ordens unseres Königreichs festgenommen, gefangengehalten und dem Urteil der Kirche vorbehalten". Alle ihre Güter, "bewegliche und unbewegliche", werden "beschlagnahmt, von uns eingezogen und getreu verwahrt werden".

14. Oktober 1307 Paris * Ein Manifestwird veröffentlicht, das die Verbrechen der Templerbeinhaltet:

Häresie[Abkehr vom wahren Glauben], Blasphemie[Gotteslästerung], obszöne Riten, Homosexualitätund die

Seite 25/814 Anbetung eines Götzen namens Baphomet.

Nach bis heute durchaus geläufigen Methoden konstruiert König Philipp IV. ein Anklagegebäude, dessen Vorwürfe er durch unter der Foltererpresste Geständnisse erhärtet.

Im Templerprozess lässt Philipp IV. durch den französischen GeneralinquisitorAnklage auf Häresieund Blasphemiegegen den Orden erheben, wobei in der Regel die Geständnisse der zahlreich angeklagten Ordensmitglieder unter der Folter erpresst werden.

16. Oktober 1307 Paris * Frankreichs König Philipp IV. informiert die europäischen Herrscher über die Operation Templerund fordert sie umgehend zum Handeln im Sinne seiner Politik der vollendeten Tatsachen auf. Zur Untermauerung enthält das königliche Schreiben die gegen die Tempelherrenerhobenen Vorwürfe:

"Die Brüder des Ordens der Miliz vom Tempel, die die Wolfsnatur unter dem Schafspelz verbargen und unter dem Habit des Ordens in erbärmlicher Weise die Religion unseres Glaubens beleidigen, werden beschuldigt, Christus zu verleugnen, auf das Kreuz zu spucken, sich bei der Aufnahme in den Orden obszönen Gesten hinzugeben."

Und weiter schreibt der König:

"Sie verpflichten sich durch ihr Gelübde und ohne Furcht, das menschliche Gesetz zu beleidigen, sich einander hinzugeben, ohne Widerrede, sobald es von ihnen verlangt wird."

24. Oktober 1307 Paris * Der Großmeister des Templerordens,Jakob von Molay, bestätigt die Erklärungen des Präzeptors der Normandie, Gottfried von Charneys, und des Generalvisitors der Templer, Hugo von Pairauds. Darin haben sie und rund 230 Tempelherren- unter der Folter - zugegeben,

dass sie Jesus Christus leugnen und ihn für einen falschen Propheten halten, der für seine Verfehlungen und nicht für die Erlösung der Menschen gestorben ist, dass sie bei ihren Zeremonien auf das Kreuz spucken, es mit Füßen treten und drauf urinieren, dass sie nicht an sie Sakramente glauben und die Priester des Ordens bei der Messe die Weiheformel vergessen, dass die Meister und Würdenträger, obgleich Laien, den Brüdern die Absolution für ihre Sünden erteilen, dass sie obszöne Praktiken und Homosexualität leben, dass die Brüder durch jede nur mögliche Praxis zur Bereicherung des Ordens beitragen müssen, dass sie sich des Nachts im Geheimen versammelnund dass jede Enthüllung im Kapitel bestraft wird, bis hin zur Todesstrafe.

Seite 26/814 27. Oktober 1307 Avignon * Papst Clemens V., der ja eigentlich die direkte Gerichtsgewaltüber die Templerhat, zeigt sich lediglich gekränkt und schreibt: "Euer überstürztes Vorgehen ist eine Beleidigung gegen Uns und die römische Kirche."Gleichzeitig protestiert er gegen den Gebrauch der Folter.

Februar 1308 Avignon - Paris * Der Papst, der inzwischen von der Unschuld der "Tempelherren" überzeugt ist, suspendiert die Vollmachten der "Inquisitoren".

Die inhaftierten "Templer" bleiben allerdings in den Gefängnissen des Königs. Auch wenn die Vernichtung des "Templer-Ordens" vorerst fehlgeschlagen ist, so lässt König Philipp IV. dennoch nicht locker.

1310 München-Lehel * Die "Floßlände" - nördlich der heutigen "Ludwigsbrücke" - wird erstmals genannt.

1310 Paris * Vier Vertreter des "Templer-Ordens" sagen vor der "Päpstlichen Kommission" aus:

Man habe "außerhalb des französischen Königreichs, auf der ganzen Welt keinen einzigen Templerbruder gefunden, der diese Lügen sagt oder gesagt hat, woraus man recht deutlich den Grund ersieht, weshalb diese Lügen im französischen Königreich ausgesprochen werden: weil diejenigen, die sie gesagt haben, durch Furcht, Gebete oder Geld korrumpiert waren".

1. Oktober 1310 München * Herzog Ludwig IV.der Baiersetzt bei seinem älteren Bruder Herzog Rudolphdurch, dass Baiern durch eine Nutzungsteilung in einen Landesteil Baiern-Ingolstadt-Amberg, in demLudwig regiert, und in einen Landesteil München-Burglengenfeld, in dem Rudolphdas Sagen hat, zerlegt wird.

1311 München-Angerviertel * Der Klosterbau der "Franziskaner-Ordensmänner" wird ein Raub der Flammen.

16. Oktober 1311 Vienne * Auf dem Konzil zu Viennewird der Templerordenaufgehoben. Gleichzeitig entscheidet das Konzilaber auch, dass die Templerder ihnen vorgeworfenen Häresie und Blasphemienicht überführt sind. Bis dahin geht der König rücksichtslos gegen die Templervor.Geständnisse werden durch die Folter erzwungen und der Widerruf durch Verbrennen geahndet. Trotzdem sterben viele Templerlieber im Feuer, als ihren Widerruf zurückzuziehen.

1312 München - Landshut * Herzog Ludwig der Baierwird Vormund der unmündigen Kinder seines verstorbenen Vetters Otto III. und regiert nun auch dessen Teilherzogtum in Niederbaiern. Auch Ottos III. Witwe wehrt sich

Seite 27/814 gegen diese Vormundschaft und hätte ihre Söhne lieber in österreichischer Obhut gesehen.

Außerdem sieht Herzog Rudolphden Machtzuwachs seines Bruders mit argwöhnischen Augen.

1312 München * Neben Wein, Met und Bier wird immer auch "Greußing" erwähnt.

"Greußling" ist ein Bier, das aus Gerste oder Weizen, mit einem geringen Anteil an Hopfen, aber einem Zusatz an Kräutern eingesotten wird. Es ist um 25 Prozent teuerer als Bier.

Damals heißt es: "Greußing soll man schenken pro Eimer (circa 64 Liter) um 40 Pfennig und das Bier den Eimer um 30 Pfennig".

1313 Untergiesing * Die "Giesinger Mühle" liefert jährlich "11 Metzen Getreide, 30 Pfennig Regensburger Währung, 100 Eier und 10 Käse" an das "Kloster Schäftlarn".

Wann der "Schrafnagel-Müller" die Mühle seinen Besitz nennen kann, ist ungeklärt. Wahrscheinlich war dies schon im 14. Jahrhundert.

9. November 1313 Gammelsdorf * In der Schlacht bei Gammelsdorf, unweit von Moosburg, schlägt Herzog Ludwig IV. der Baierdie Truppen der Habsburger und seines Bruders Rudolph.

Sein schneller Sieg wird durch das schlechte Wetter und einen dementsprechend morastigen Kampfplatz begünstigt.Im Aufgebot Herzog Ludwig des Baiernkämpfen oberbaierische Adelige und Bürger niederbaierischer Städte gegen österreichische und niederbaierische Ritter.

Die militärische Auseinandersetzung flammte auf, nachdem Österreich - unterstützt von Herzog Rudolph- Einfluss auf die niederbaierischen Angelegenheiten nehmen wollte.Dabei geht es konkret um die Vormundschaft der drei unmündigen Herzöge von Niederbaiern, den Kindern der verstorbenen Herzöge Stephan I. und Otto III..

18. März 1314 Avignon - Paris * Die Verfügungsgewalt über die höchsten Würdenträger des "Templer-Ordens" hat sich der Papst vorbehalten.

Sie werden von einem "Kardinalskollegium" zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei von ihnen, der "Großmeister" Jacques de Molay und der "Praeceptor der Normandie", Geoffroy de Charnay, pochen auf ihre Unschuld und lehnen das Urteil ab.

Jacques de Molay und Geoffroy de Charnay werden - ohne Rücksicht auf den Papst - noch am gleichen Tag auf der "Ile de la Cité" in Paris verbrannt.

Der letzte "Templer-Großmeister" soll den Papst und den König noch auf dem Scheiterhaufen verflucht haben,

Seite 28/814 weshalb Clemens V. später "der verfluchte Papst" genannt wird.

Der "Templer-Prozess" ist bis heute einer der ganz großen Justizskandale geblieben. Dem "Templer-Orden" wurde bis zum heutigen Tage keine Genugtuung erteilt.

Das Hauptziel der Verfolgung der "Tempelherren" durch König Philipp "dem Schönen", sich das bewegliche Vermögen des "Ritterordens" anzueignen, war allerdings gescheitert. Der sagenhafte "Schatz der Templer" wird nie gefunden, sein Verbleib nie geklärt. Das bildet wiederum die Grundlage für eine Vielzahl von Spekulationen. Und kein "Orden" bot so viel Anlass zu Spekulationen wie der der "Templer".

Durch ihr Engagement im "Heiligen Land" kamen die "Tempelritter" mit Traditionen der jüdischen Welt, des Islam und nicht zuletzt der Antike in Berührung, die ihren mittelalterlichen Horizont enorm erweiterten.

Ihre beachtlichen Erfolge auf technischem und finanziellem Gebiet lassen sich darauf zurückführen.

Sie entwickelten ein eigenes Weltbild, das höchstwahrscheinlich als Fernziel die "Vereinigung der monotheistischen Religionen" anstrebte. Gleichzeitig musste der "Ritter-Orden" erkennen, dass sein neu erworbenes Wissen für das abergläubische mittelalterliche Europa noch nicht nachvollziehbar war und deshalb Schwierigkeiten heraufbeschwören musste. So wurde vieles geheim gehalten, und aus diesen Geheimnissen entstanden sowohl die "Arroganz der Wissenden" als auch viele Legenden.

20. Oktober 1314 Frankfurt am Main * Die Kurfürsten von Mainz, Trier und Brandenburg sowie der Herzog von Sachsen-Lauenburg wählen Herzog Ludwig den Baiernebenfalls zum Deutschen König.

1315 München * Die herzoglichen Brüder Rudolphund Ludwig der Baiervereinbaren ihre Zusammenarbeit. Rudolphkennt Ludwig als Römischen Königan.

1315 München-Graggenau - Mümchen-Angerviertel * Die "Freiung" des Münchner Marktplatzes wird von König Ludwig "dem Baiern" verbrieft.

Damit kann nicht nur die zunehmende Verengung des Areals gestoppt werden. Die "Freiung" stellt vielmehr die Übertragung des Nutzeigentums der Immobilie Marktplatz auf die Kommune dar.

4. Mai 1315 München * Die Freiungdes Münchner Marktplatzes wird von König Ludwig IV. dem Baiernverbrieft. Der Gunstbrie" bezieht sich nur aufden Marktplatz. Eine generelle Regelung für alle Bausachenerhält die Stadt erst am 8. Mai 1342. Die Freiungbedeutet,

dass die Stadt das alleinige Recht in Bauangelegenheiten auf diesem Platz hat, und

Seite 29/814 dass die Kommune das Nutzeigentum der Immobilie Marktplatz besitzt.Damit kann die zunehmende Verengung des Areals gestoppt werden.

Die ersten Betroffenen sind die Metzger, die ihre Fleischbänkevor das Talburgtor[= Alter Rathausturm] verlegen müssen. Dabei spielten hauptsächlich die unhaltbaren hygienischen Zustände eine Rolle.

6. Mai 1315 München * König Ludwig IV. der Baierschließt mit seinem Bruder Herzog Rudolph I.einen Sühnevertrag, in dem sie

ihre Zusammenarbeit vereinbaren und Herzog Rudolph I.seinen Bruder Ludwig IV. als Römischen Königanerkennt.

Um den 15. Mai 1315 ??? * Herzog Ludwig V., später genannt der Brandenburger, wird als Sohn König Ludwigs IV. der Baieran einem nicht bekannten Ort geboren.

1. Mai 1316 Haidhausen * König Ludwig der Baiererlässt für die Siechen am Gasteigeine Hausordnung. Die Ordnung enthält unter anderem eine Vorschrift, wonach "aus der ganzen Versammlung der siechen Menschen? ein Hausmeisterund eine Hausmeisterinbenennen sind, die auf die "Einhaltung der Hausordnung" zu achten haben. Die Spital-Insassenmüssen ihnen Gehorsam leisten.

Übertretungen einzelner Bestimmungen haben zum Teil sehr empfindliche Strafen für die Krankenzur Folge.Disziplinierungsmittelsind vorgesehen. Sie reichen von Geldstrafenbis zu Fasten bei Wasser und Brot, dem Essen auf dem Stubenboden, der Verrichtung von vorgeschriebenen Gebeten- kniend auf dem Stubenboden - in Anwesenheit der anderen Spitalinsassen.Selbst Strafen in der Kheichen, dem Kerker, bei Wasser und Brot, sind unter bestimmten Umständen möglich.

Mit vier Stunden nehmen die religiösen Übungen und Gebete den größten Teil des Tages ein. Die "Arbeitszeiten" zugunsten des "Leprosenheims" werden auf dreieinhalb Stunden pro Tag begrenzt. "Commissionäre? überwachen die Arbeit im "Siechen-Spital".

Mittelalterliche "Spendentätigkeit" hat sehr viel mit dem "Seelenheil des Geldgebers" zu tun. Je größer deren "Spendierfreudigkeit" ausfällt, desto länger sind die "Gebete der Almosenempfänger" und desto schneller kommen die Reichen dem "Paradies" ein Stückchen näher.

Das "Leprosenhaus" ist vornehmlich für Münchner Bürger und die in der Stadt Dienenden bestimmt. Nur sie erhalten hier unentgeltliche Aufnahme und Verpflegung. Für die "Auswärtigen Siechen? müssen die zuständigen "Landgerichte" die anfallenden Kosten übernehmen.

7. August 1316

Seite 30/814 Leyden* Der 67-jährige französische Kardinal Jacques Duèze - in deutschen Quellen auch Jakob von Cahors genannt - wird in Leyden in den Niederlanden nach einem vierzigtägigenConclavezum Papst gewählt. Als Johannes XXII. besteigt er den Apostolischen Stuhlin Avignon.

Zuvor hatte Dante die sieben italienischen Kardinäle beschworen, einen Italiener zum Papst zu wählen, der die Kurie wieder nach Rom bringen sollte.Das Ansinnen hatte jedoch gegen die 17 französischen Kardinäle keine Chance. Johannes XXII. ist der zweite in Avignon residierende Papst.

Im deutschen Thronstreit nimmt Johannes XXII. lange eine abwartende Haltung ein und betrachtet den Thron des Reiches als vakant.

1317 München * König Ludwig der Baierverbietet das Bierbrauen. Der Grund sind Missernten. Brotgetreide ist eben wichtiger alsBraugetreide. Und den Durst stillt man am Besten mit Wein.

26. Februar 1317 München * Die herzoglichen Brüder Rudolf und Ludwig der Baiertreffen eine Übereinkunft.Danach überlässt Herzog Rudolph I.seinem königlichen Bruder Baiern und die Pfalz, so lange Ludwig der Baier Krieg gegen den Habsburger Friedrich den Schönenführt.

1318 Mittenwald * Das Speditionswesen ist in Mittenwald durch den "Verein der bürgerlichen Fuhrleute", der sogenannten "Rott", organisiert.

Die "Strata inferior", die "Untere Straße", die über den "Brenner" durch die "Grafschaft Werdenfels" führt, ist eine der "Haupttransitstrecken". Zahlreiche Ortschaften entlang dieses Verkehrsweges verdanken ihren Aufschwung diesem spätmittelalterlichen Handel und Verkehr. Neben den Städten Bozen, Meran, Innsbruck oder Schongau, sind dies in der "Grafschaft Werdenfels" Mittenwald und Partenkirchen.

Für diesen Handel bildet sich ein Frachtwesen heraus, das unter dem Namen "Rottfuhrwesen" bekannt ist.

Und so ist die "Rott" organisiert: An der Handelsstraße werden in Tagesabständen [20 bis 30 Kilometer] "Rottstationen" [= Niederlagen] errichtet. Den "Rottfuhrleuten" dieser Stationen steht das alleinige und ausschließliche Recht zu, "Rottgüter" gegen "Niederlagegeld" und "Fuhrlohn" von ihrer Station zur nächsten zu befördern.

Außerdem wird bereits von einem regen "Floßverkehr" auf der ab Mittenwald floßbaren Isar berichtet.

1318 Portugal *In Portugal werden die "Tempel-Ritter" durch einen Untersuchungsausschuss von jedem Verdacht freigesprochen.

Sie ändern ihren Ordensnamen in "Christusorden".

Seite 31/814 Dieser widmet sich in der Folgezeit der Seefahrt und hat so berühmte Mitglieder wie Vasco da Gama und Heinrich den Seefahrer. Die portugiesischen Schiffe segeln deshalb auch unter dem berühmten "Tatzenkreuz der Templer".

28. September 1322 Mühldorf *Nachdem sich die Kontrahenten Ludwig der Baierund Friedrich der Schönein über sieben Jahren sechs Mal gegenüberstanden, aber einer militärischen Auseinandersetzung ausgewichen sind, wollen die Parteien jetzt eine Entscheidung erzwingen. Der Thronkampfendet mit einem Sieg König Ludwigs des Baiernin der Schlacht bei Mühldorf.

König Friedrich der Schönewird gefangen genommen und auf die Burg Trausnitzbei Nabburg in der Oberpfalz gebracht.

Um April 1323 Nürnberg * Herzog Leopold von Österreich übergibt König Ludwig dem Baiernin Nürnberg die Reichskleinodien. Die Insignien der Machtwerden umgehend in Ludwigs Residenzstadt München gebracht und in der eigens für diesen Anlass neu ausgestatteten Lorenzkapelleim Alten Hofuntergebracht.Die Reichsinsignienwerden dort bis 1350 aufbewahrt.

April 1323 München * Der achtjährige Herzog Ludwig V., später genanntder Brandenburger, wird von seinem Vater König Ludwig IV. mit derMarkgrafschaft Brandenburgbelehnt. Damit wird Ludwig V. derBrandenburgerzu einem der sieben Kurfürsten.

Um den 5. Mai 1323 Freising * Das "Freisinger Domkapitel" wählt den Freisinger "Dompropst" Albert von Enn zum Bischof.

Nachdem der Salzburger Erzbischof Friedrich III. von Leibnitz die Wahl nicht bestätigen will, muss Papst Johannes XXII. in Avignon eine Entscheidung herbeiführen.

4. Juli 1324 Avignon - Brixen - Freising * Albert von Enn wird von Papst Johannes XXII. zum Bischof von Brixen ernannt. Damit endet die Auseinandersetzung um die Besetzung des Freisinger Bischofstuhls, der an Konrad IV. von Klingenberg übertragen wird.

30. November 1324 Wørdingborg * Der neunjährige Herzog Ludwig V."der Brandenburger" wird mit Margarete, der 18-jährigen Tochter des dänischen Königs, in Wørdingborg verheiratet.

23. Dezember 1324 Brixen * Albert von Enn tritt seine Bischofsstelle in Brixen an.

Seite 32/814 Ab 1326 München-Graggenau * Im Umkreis des "Franziskanerklosters" und des "Alten Hofs" lebt Dr. Marsilius von Padua.

Der Arzt, Jurist und Theologe ist der Autor des "Defensor pacis". Er begründet darin die politische Theorie vom Vorrang des weltlichen Herrschers über die Kirche, die letztlich auch zur "Säkularisation" beitragen soll.

1326 Avignon * Im abschließenden Gutachten werden von 51 Lehrsätzen Occhams 29 als "häretisch oder irrig", die übrigen 22 als "möglicherweise falsch" bezeichnet.

Unter anderem wurde Ockham des "Pelagianismus" für schuldig befunden. [Der "Pelagianismus" lehrt, dass die menschliche Natur ? von Gott stammend ? auch göttlich ist und dass der sterbliche Wille in der Lage sei, ohne göttlichen Beistand zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Damit steht seiner Verurteilung durch Papst Johannes XXII. nichts mehr im Wege, doch Ockham bleibt bis 1328 als Angeklagter in Avignon und es kommt aus unbekannten Gründen zu keinem Urteil.

13. Februar 1327 München-Angerviertel * Beim "ersten Hahnenschrei" bricht im "Angerkloster" ein Feuer aus, das zum verheerendsten "Stadtbrand" der Geschichte Münchens wird.

Fast ein Drittel der Stadt wird ein Opfer der Flammen.

DreißigMenschen sterben bei dem Großfeuer.

14. Februar 1327 München * Verheerend wirkt sich der große "Stadtbrand" aus.

Er erfordert einen Neubau von "Franziskaner-Kloster" und "Klosterkirche", der erst nach großzügigen Spenden der "Kaufmannsfamilie" Ridler im Jahr 1392 abgeschlossen werden kann.

Um März 1327 München * König Ludwig der Baierbricht zu seinem Feldzuggegen Italien auf.

November 1327 Freising * Nachdem König Ludwig IV. der Baierim März nach Italien aufbrechen ist, kann sich Bischof Konrad IV. von Klingenberg die Unterstützung des niederbaierischen Herzogs Heinrich XIV. erschleichen und in Freising einziehen.

1. Dezember 1327 Avignon * Der Ordensgeneral der Franziskaner, Michael von Cesena, trifft, von Papst Johannes XXII. nach

Seite 33/814 Avignon zitiert, in der Stadt ein.Er wohnt dort im Franziskanerkonvent, wo auch Wilhelm von Ockham untergebracht ist.

Ockham, der sich bisher auf theologische und philosophische Fragen konzentriert hatte und kirchenpolitisch kaum hervorgetreten war, sieht sich zur Auseinandersetzung mit dem Armutsstreitveranlasst.

Michael von Cesena überzeugt Wilhelm von der Richtigkeit der Armutsforderungund dass die gegenteiligen Verordnungen des Papstes häretischsind.Daraus ziehen die beiden Franziskaner die Konsequenz, dass der Papst vom wahren Glauben abgefallen sei.

21. Dezember 1327 Pisa - Rom * König Ludwig der Baierbricht von Pisa in Richtung Rom auf.

1328 München-Kreuzviertel * Dieses Jahr wird als Gründungsjahr der "Augustiner-Brauerei" angenommen.

Die älteste auffindbare Urkunde stammt allerdings aus dem Jahr 1411.

27. Mai 1328 Rom * Kaiser Ludwig der Baierund Papst Nikolaus V. krönen sich gegenseitig. Größere Bedeutung erlangt Nikolaus V. nie.Nach Ludwigs Kaiserkrönung und seiner Abreise aus Rom findet er nicht einmal mehr genug Anhänger in Italien. Sein eigentliches Ziel, den Papst in Avignon zu schwächen, ist gescheitert.

1329 München-Graggenau * Da bei den Beerdigungen sogenannte "Stol-Gebühren" fällig werden, kommt es zum Streit zwischen den "Franziskanern" und der Pfarrgeistlichkeit von "St.-Peter" und "Unserer Lieben Frau".

Man einigt sich auf einen Modus: Die für den "Franziskaner-Friedhof" bestimmten Leichen müssen zuvor in den zuständigen Pfarrkirchen ausgesegnet werden. Anschließend werden sie in einer "Prozession" zur "Franziskaner-Begräbnisstelle" überführt.

4. August 1329 Pavia * Mit dem Vertrag von Paviaversöhnt sich Kaiser Ludwig der Baiermit den Söhnen seines verstorbenen Bruders RudolphI. [RudolphII. und Rupprecht I.] und räumt ihnen die Pfalz am Rhein und die Oberpfalzals eigenes Landesfürstentum ein.

Beim Aussterben der einen Linie soll die andere ihre Territorien erben.

1330 Au* Die Münchner bauen in der Höhe der heutigen Marienklausenbrücke ein Wehr in die Isar, um damit das Flusswasser für die Festungsgräber, die Mühlen, die Floßlände und die Holztrift zur Stadt hin aufstauen zu können.

Seite 34/814 Dadurch entsteht zwischen der Isar und dem Hochufer ein Streifen Trockenland - die Au.

6. November 1332 München * Kaiser Ludwig IV. der Baierbestätigt der Stadt München das Recht der Salzniederlage und des Salzhandels. Er gibt ihr damit ein regelrechtes Salzhandelsmonopol. Von Wasserburg her darfdas Salz zwischen Landshut und dem Gebirge nur bei München über die Isar gebracht werden. Die Urkunde wird - wegen ihrer wirtschaftlichen Bedeutung - mit einer Goldbullebesiegelt. Sie gilt als Magna Chartader Stadt.

Der Salzhandel ist - neben dem Handel mit Wein - die wichtigste Quelle des wirtschaftlichen Aufstiegs der Stadt und war schon 1158 ein Auslöser der Marktverlegung von Föhring nach Munichen.

1333 Tirol * Die Ehe zwischen Herzog Ludwig "der Brandenburger" und Margarete (von Dänemark) wird "vollzogen".

2. November 1336 Brixen * Albert von Enn, der Bischof von Brixen und für die selbe Stelle in Freising vom Domkapitel gewählt, aber vom Papst nicht anerkannt, stirbt in Brixen.

1340 München * Im Münchner "Stadtrechtsbuch" finden sich Bestimmungen über den Umgang im Brandfall.

Dort heißt es: "Wenn es in der Stadt brennt, müssen zu dem Feuer kommen, sobald die Sturmglocke läutet, alle Bader und ihre Gehilfen, die Amt haben, und ihre Badergeräte mitbringen, die Maurer und Zimmerer mit ihren äxten und die Kornmesser und Salzmesser und die Salzlader und die Auflader und die Holzleut mit ihren äxten und was sie haben, das dem Feuer gut ist; - wer nicht kommt, verliert sein Recht in der Stadt für ein Jahr - was ihnen verdirbt, wird von der Stadt ersetzt".

Um Mai 1340 * Herzogin Margarete (von Dänemark), die erste Ehefrau von Herzog Ludwig V."dem Brandenburger", stirbt in Berlin.

Ihre Grabstätte befindet sich in der dortigen "Franziskanerkirche".

Um Januar 1342 Freising - Tirol * Der Freisinger GegenbischofLudwig von Kammerstein verunglückt auf dem Weg nach Tirol und stirbt. Er sollte die erste Ehe der Margarete "Maultasch" von Tirol mit Johannes von Böhmen auflösen und die neue mit dem Kaisersohn Ludwig V. den Brandenburgerschließen.

Daraufhin erklärt Kaiser Ludwig IV.der Baierdie Ehe der Tiroler Gräfin Margarete und ihrem Gatten Johann Heinrich von Böhmen (Luxemburg) für "nicht vollzogen" und damit für ungültig.

Der Nachfolger des Freisinger Gegenbischofswird Leutold von Schaumburg-Julbach.

Seite 35/814 28. Januar 1342 Tirol * Herzog Ludwig der Brandenburger, der älteste Sohn Kaiser Ludwigs des Baiernund künftiger Ehegatte der Gräfin Margarete von Tirol, erlässt den Großen Tiroler Freiheitsbrief.Darin

bestätigter den Tirolern die Rechte des Landesund verspricht ihnen, keine Steuern ohne Zustimmung der Landständezu erheben, sowie die Regierung nur nach Rücksprache mit den Landständenzu führen. Außerdem darf er keine Ausländer- auch keine Baiern - in Dienst nehmen und ?Margarete nicht außer Land bringen.

10. Februar 1342 Schloss Tirol *Herzog Ludwig V.der Brandenburger,der älteste Sohn Kaiser Ludwigs des Baiern, heiratet auf Schloss Tiroldie Gräfin Margarete von Tirol, später genannt "Maultasch". Das Paar lebte - kirchenrechtlich gesehen - 17 Jahre in wilder Ehe.

11. Februar 1342 Meran * Kaiser Ludwig der Baierbelehnt Herzog Ludwig den Brandenburgerund dessen Ehefrau Margarete im Hof des Trienter Bischofsin Meran mit der Grafschaft Tirolund dem Herzogtum Kärnten.

8. Mai 1342 München * Kaiser Ludwig IV. der Baier erteilt der Stadt in einem 2. Gunstbrief die volle Zuständigkeit und Entscheidungsgewalt in allen Bauangelegenheiten. Bisher besaß die Kommune dieses Recht nur für den Marktplatz [siehe 4. Mai 1315].

Kaiser Ludwig vereinbart mit der Stadt - zur Verhütung von Bränden - das Verbot der feuergefährlichen Stroh- und Schindeldächer. Neu erbaute Häuser und Stadel sollen künftig mit Ziegeln gedeckt und - wenn der Bauherr das erforderliche Vermögen besitzt - auch die Wände aus Stein gemauert werden. Schmieden, die nicht aus Mauerwerk bestehen, werden abgerissen.

Durch strenge Strafbestimmungen soll der Ausbruch von Bränden verhütet werden. Feuergefährliche Betriebe müssen vor die Stadtmauern.

1343 München-Graggenau * Der "Bürgerbrunnen", der spätere "Fischbrunnen", wird erstmals genannt.

In dieser Bezeichnung kommt seine zentrale Bedeutung für die ganze Bürgerschaft zum Ausdruck.

9. März 1344 Landshut * Herzog Meinhard III. wird in Landshut geboren.

Er ist der Sohn von Herzog Ludwig "dem Brandenburger" und dessen Ehefrau Margarete von Tirol.

Seite 36/814 1347 München * Die heutige "Ludwigsbrücke" wird im "Stadtrechtsbuch" sinngemäß beschrieben:

"Im Abstand von 36 Schuh [9,36 Meter] werden Joche, die aus einer Reihe von senkrecht zur Strömung gerichteten Baumstämmen bestehen, in den kiesigen Untergrund getrieben.

Dann sägt man sie auf gleicher Höhe ab und verbindet sie mit Querhölzern. Sechs Balken liegen von Joch zu Joch. Auf diese Balken werden Bohlen von 16 Schuh [4,67 Meter] Länge quer aufgebracht. Dies ergibt die Brückenbreite. Über diese Bohlen wird Kies geschüttet.

Die Höhe über den mittleren Wasserstand ist so ausgelegt, daß ein Mann, der auf einem Floß oder Kahn unter der Brücke hindurchfährt, mit ausgestrecktem Arm die Hauptträger nicht berühren kann".

26. September 1348 Avignon * In einer zweiten päpstlichen Bulle, in der Papst Clemens VI. die Juden vor dem Vorwurf in Schutz nimmt, Verursacher von Brunnenvergiftungen und der Pest zu sein. Er droht den Verfolgern die Exkommunikation an.

1349 München - Herzogtum Baiern * Die "Pest" tobt im ganzen Land.

Die "Mattseer Annalen" sprechen von einem Drittel der Menschen, die von der "grauenvollsten Pest" hingerafft werden. Unter den am meisten heimgesuchten Orten werden Braunau, München und Landshut genannt.

Deshalb werden in Salzburg und München, aber auch in anderen Städten, "aus ruchloser übler Nachrede, die Juden verbrannt, geschlachtet, zerstückelt und auf sonstige Weise abgeschlachtet und getötet".

1351 München * Herzog Ludwig "der Brandenburger" teilt seine Länder.

Die "Markgrafschaft Brandenburg" übergibt er seinen jüngeren Halbbrüdern Ludwig "den Römer" und Otto. Er selbst behält sich Oberbaiern.

Damit reicht das baierische Herrschaftsgebiet von der Donau im Norden bis nach Trient.

Seine Regierungssitze sind der "Alte Hof" in München und "Schloss Tirol".

1359 Tirol - Rom-Vatikan * Die Ehe zwischen der Gräfin Margarete Maultasch von Tirol und dem Markgrafen Johann Heinrich von Mähren, die Kaiser Ludwig der Baieranno 1341 für ungültigerklärt hatte, wird nun auch vom Papst annulliert. Erst damit wird die 17 Jahre andauernde "Wilde Ehe" von Herzog Ludwig dem Brandenburgermit Margarete von Tirol kirchenrechtlich sanktioniert.

Seite 37/814 1361 Landshut * Die sowohl ältesten als auch einzigen "Kleiderordnungen" in "Altbaiern", die nicht vom Fürsten, sondern vom Rat der Stadt erlassen wurden, enthält das "Landshuter Stadtbuch".

Neben "Kleidervorschriften" befasst sich die Verordnung auch Fragen der Bewirtung der Gäste bei Hochzeiten sowie der Anwesenheit von Frauen am Wochenbett und Geschenke für das Taufkind und die Mutter.

Obwohl Landshut in dieser Zeit in besonderer wirtschaftlicher Blüte steht, will der Rat der Stadt, dass sich die Bürgerin bescheidener kleidet.

Den Landshuter Frauen ist verboten, Perlen, Samt, Gold, Goldstoffe und Hermelin zu tragen. Nur den "Reichen" ist eine Goldborte "von der Breite eines kleinen Fingers" um den Busen und am Mantel erlaubt. Bis auf wenige Knöpfe ist den Frauen jeglicher Silberschmuck an den Kleidern verboten.

Es war eine reine "Luxusbeschränkung", die noch kaum eine standesgemäße Trennung vorsieht. Es entsteht eher der Eindruck, dass diese Verordnung nur deshalb erlassen wurde, um den Ehemännern und Vätern den Kostenaufwand für die Einkleidung ihrer Frauen, Töchter und Söhne zu begrenzen.

18. September 1361 Zorneding - München-Kreuzviertel * Herzog Ludwig der Brandenburgerstirbt in der Nähe von Zorneding. Seine Grabstätte befindet sich in der Münchner Frauenkirche.

1363 München * Das "Braurecht" wird nur an Angehörige aus Münchner Patrizierfamilien vergeben.

Im Jahr 1363 entstammen alle zwölf Inhaber des "herzoglichen Lehensbriefes", der "Gerechtigkeit", einer Familie, die auch im Rat der Stadt und als Bürgermeister zu finden ist.

Diese "Brauberechtigten" verdienen ihr Geld im Großhandel mit Salz, Wein und Eisen. Sie brauen nicht selbst und überlassen diese Aufgaben ausgebildeten Brauern.

13. Januar 1363 Schloss Tirol *Herzog Meinhard III. stirbt auf Schloss Tirol.Herzog Stephan II., der Bruder Herzog Ludwig des Brandenburgers, übernimmt das Teilherzogtum Baiern-München und die Grafschaft Tirol.

21. Januar 1363 München * Erstmals werden die Stadtviertel Münchens in lateinischer Sprache benannt. Es sind dies

das quarta fori pecorum, das Viertel des Rindermarktes, dann das quarta secunda ad gradus superioris institarum, das Zweite Viertel zu den oberen Kramen, weiter das quarta tercia apud fratres heremitanos, das Dritte Viertel bei den [Augustiner-] Eremiten,

Seite 38/814 und zuletzt das quarta ultima apud Chunradum Wilbrechtum, das Letzte Viertel beim Konrad Wilbrecht.

Das Talschließt sich als eigener Bereich an, der jedoch nicht als Viertelbezeichnet wird.

29. September 1363 Tirol * Margarete "Maultasch" von Tirol, die Witwe des baierischen Herzogs Ludwig V. der Brandenburger, verzichtet endgültig auf ihre Besitzungen und überlässt sie ihren habsburgischen Verwandten.

Spätestens seit dem Jahr 1368 München-Lehel * Alle Flößer und alle Fischer sowie die meisten Färber haben im später so genannten "Lehel" nicht nur ihre Arbeitsplätze, sondern auch ihre Wohnhäuser errichtet.

Die Bezeichnungen der Häuser und Gewerke leitete man von den markanten Bauteilen der Stadtmauer ab. So erhielten die einzelnen Objekte beispielsweise den Zusatz "vor/bei des Wurzers Tor" oder "hinter dem Lugerturm" oder "gelegen auf dem Lohstampf".

3. Oktober 1369 Wien * Herzogin Margarete von Baiern-München und Gräfin von Tirol stirbt in Wien. Ihre Grabstätte befindet sich in der dortigen Minoritenkirche zum Heiligen Kreuz.

Margaretes Beiname "Maultasch" taucht erst seit dem späten 14. Jahrhundert auf.Von Zeitgenossen wird sie als schöne Frau beschrieben.Es ist wohl mehr die luxemburgische und päpstliche Propaganda, die mit diesem abwertenden Beinamen das "wenig rollenkonforme Verhalten" der Herzogin brandmarken und sie in ein schiefes Licht bringen soll.

Anno 1371 München-Kreuzviertel * Eine Frau Aerdingerin verkauft ihre Häuser mit dem Hausnamen "Venediger" und "Der Stern", die beide "in unserer Frauen-Pfarrei an der Ringmauer, bei unserer Herren Thor [=Schwabinger Tor] gelegen" waren. Die Häuser standen entweder auf dem Gebiet der heutigen Theatinerkircheoder am Salvatorplatz.

Im Haus "Venedig" ist vermutlich ein ehemaliges Hospiz für Venedig-Fahreruntergebracht; der "Stern" beherbergt Münchens erstes erwähntes Bordell, das als Privatunternehmen geleitet wird.

18. April 1371 München * Der "Münchner Rat" setzt die "Bürgerrechtsgebühr" auf fünf Pfund fest und damit in eine - für Arbeiter, Taglöhner, Kleinhandwerker, Dienstboten und Knechte, Mägde und Handelsdiener - unerreichbare Höhe.

Um das Gemeinwesen und damit das "Stadtsäckel" durch den Zuzug unvermögender Personen nicht übermäßig zu belasten, werden besitz- und gewerbslose Zuwanderer in der jungen, aufstrebenden Stadt schon ziemlich früh zu "unwillkommenen Gästen" erklärt.

Seite 39/814 Der "Rat der Stadt" will nicht Armut, sondern leistungsfähige und finanzkräftige Menschen einbürgern. Umgekehrt müssen die Aufgenommen mindestens zehn Jahre in der Stadt bleiben, sonst haben sie mit einer Strafsteuer von 31 Pfund zu rechnen.

1372 München * In München gibt es 21 Brauer, von denen aber höchstens elfeinen eigenen "Bräustadel" besitzen.

7. August 1372 München * Da die alten Bräuämterden Bedarf an Greußlingnicht herstellen können, gibt es Zwietracht in der Münchner Bevölkerung. Da aber daraufhin "heimlich und widerrechtlich" Greußling gebraut wird, entgehen dem Herzog Steuereinnahmen. Deshalb soll künftig jeder brauen können, der vom Herzog mit dem Braurechtbelehnt wird.

Die Reform leitet das Ende des sogenannten Patrizierbrauensein.

1378 München-Graggenau * Der "Bürgerbrunnen" heißt jetzt "Marktbrunnen".

Er steht vor dem Haus des Hans Impler, an der Stelle des heutigen "Fischbrunnens".

1380 München-Graggenau - München-Angerviertel * Aufgrund seiner Zweckbestimmung als "Zollstätte für den Einfuhrzoll" wird das "Isartor" nun auch "Zolltor" genannt.

Das "Isartor" besteht zunächst nur aus dem vierzig Meter hohen, sechsgeschossigen Turm. Die spitzbogigen Torgewölbe sind gerade so breit, dass ein Planwagen die Durchfahrt passieren kann. Der Zugang zum Turm befindet sich, leicht erhöht, innerhalb der gewölbten "Torhalle".

Vor dem Tor muss erst der von Bächen bewässerte "Stadtgraben" überwunden werden. Über die Wasserfläche führen hölzerne Brücken, deren letztes Stück - unmittelbar vor dem Portal - als "Zugbrücke" hochgeklappt werden kann.

Beim Turm des "Isartores" kann man noch heute sehr gut den ins Mauerwerk eingelassenen Führungsschacht eines "Fallgitters" erkennen, dessen Einzelstäbe aus jeweils 10 bis 15 Zentimetern starkem Eichenholz bestanden haben.

1385 München * Es kommt zu einer großen Umsiedelungsaktion.

Die Flößer, Fischer und Färber müssen ihre Wohnstätten im später so genannten "Lehel" aufgeben und in die erweiterte Stadt umziehen. Damit liegen außerhalb der Stadttore nur mehr die Mühlen, die "Länden" und die "Bleichen".

Seite 40/814 Doch langsam füllt sich die Gegend wieder auf. Die "Färbhäuser", der "Lohstampf", "Hammer- und Klingenschmiede", "Waschhäuser" liegen nun wieder vor dem "Wurzer-" und dem "Schiffertor". Andere Werksanlagen werden bei der Stadterweiterung aus der Stadt verlegt oder entstehen im Laufe der Zeit neu.

Fast alle diese Werksanlagen oder Gewerke gehören der Stadt und werden von ihr verpachtet. Zum Teil hat die Stadt die Anlagen selbst wieder von der "herzoglichen Hofkammer" geliehen.

Damit kommen wir zur Entstehung des Namens "Lehel", denn den Begriff "Pacht" kannte man im Mittelalter nicht. Der in dieser Zeit übliche Name hieß "Leihe" und das geliehene Gut war das "Lehen".

Die genannten Gewerke sind also "Lehen", deren Bau- und Unterhaltspflicht für Gebäude und Anlagen generell bei der Stadt liegt.

1385 München-Graggenau * Städtische "Amtsleute" überwachen den "Weinmarkt".

Schon sehr früh entdeckt man den Wein als sprudelnde Einnahmequelle. Eine "Verbrauchssteuer", das "Ungelt", in Höhe von 4 Mass vom Eimer (circa 60 Mass) wird vom Herzog erhoben.

Das Bier bleibt zunächst vom "Ungelt" befreit.

1387 München-Englischer Garten - Schwabing * Die "Aw vor dem Schwäbinger Tor", das unmittelbar an die Münchner Residenz anschließende Jagdrevier des baierischen Herrscherhauses, wird erstmals erwähnt.

Der stadtnahe Teil führt den Namen "Hirschanger" mit dem "Hirschangerwald". Flussabwärts, auf der Höhe von Schwabing, schließt sich die "Hirschau" an.

26. Mai 1388 Andechs *Auf dem halbverfallenen Burgberg in Andechs machen die Herzöge Stephan und Johann unter dem Altar zufällig einen Fund. Sie entdecken eine eisenbeschlagene Holztruhe, die selbst 150 Jahre nach der Zerstörung der Andechser Burg, nicht einmal nennenswert Rost angesetzt hat, und in welcher zahlreiche Reliquien eingelagert sind. Darunter befinden sich

drei Hostien, das Spottzepter und das Schweißtuch Christi, ein Teil der Dornenkrone, ein Stück der Lanze des Longonius, das Brautkleid und das Kreuz der heiligen Elisabeth, das Siegeskreuz Karls des Großen, sowie zahlreiche Hirnschalen, Rippen, Fuß- und Armknochen.

Seite 41/814 Allerdings war bis zu ihrem wundersamen Auftauchen von diesen Reliquien niemals die Rede.

Die baierischen Herzöge bringen das Schatzkästlein samt Inhalt in die Lorenzkapelledes Alten Hofes. Die Kapelle hat schon vorher zur Aufbewahrung der Reichsinsignien gedient. Der Aufbewahrungsort und die Art der Reliquien sind eine bewusste Anspielung auf die verlorenen Reichsinsignien.

Ob es Zufall oder ein geschickt eingefädelter Coup ist, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Auch deshalb, weil gleichzeitig eine Vernebelungstaktik beginnt. Die Einträglichkeit eines solchen Fundes ist den Herzögen freilich bekannt. Und der seit 1385 begonnene Bau der Neuen Vestekostet viel Geld.

2. Mai 1389 Prag * Die 13-jährige Sophie, Tochter Herzog Johanns II., heiratet den 28-jährigen römischen und böhmischen König Wenzel.

Angeblich wird wegen Sophie - der Legende nach - im Jahr 1393 "Johannes ne Pomuk" [Johann von Pomuk] ertränkt, weil er dem König den Inhalt der Beichte seiner Frau nicht preisgeben will. Es ging bei der Auseinandersetzung aber nicht um das "Beichtgeheimnis", sondern um kirchenpolitische Angelegenheiten.

Um den 6. Dezember 1389 München-Graggenau * Die Andechser Heiltümerkommen nach München und werden in die Lorenzkircheim Alten Hofgebracht. Die Reliquienwerden zeitweise der Öffentlichkeit gezeigt.Zahlreiche päpstliche und bischöfliche Ablässe werden erteilt.

Um das Jahr 1390 München * Da die Preise für die Kräuter immer höher steigen, setzt sich der billige Hopfen bei den Brauern verstärkt durch.

Die Unterschiede verwischen sich mit der Zeit.

Ab 17. März 1392 Rom-Vatikan - München * Papst Bonifaz IX. gewährt für die Zeit vom 17. März bis zum 1. August 1392 einen auf München und seinen Burgfriedensbezirk beschränkten Ablass. Er gilt für alle Sünden, außer für vorsätzliche Tötungen.

Es war das erste "Gnadenjahr" außerhalb Roms.

Die Ablasserbitter müssen in dieser Zeit

nach München pilgern, dort sieben Tage verweilen, je dreimal die Frauenkirche, die Peterskirche,

Seite 42/814 die Jakobskirche am Anger und die Spitalskapelle besuchen und mindestens einmal die ausgestellten Reliquien verehren, beichten und ein vom Beichtvater festgelegtes Almosen spenden.

Die ganze Aktion ist nur darauf angelegt, dieses "Almosen", eine versteckte Steuer, den Gläubigen aus der Tasche zu ziehen. Der Zugang zum Himmel muss mit barem Geld erkauft werden.

Der Kirche ist es höchst effektvoll gelungen, den um ihre arme Seele fürchtenden Gläubigen einzureden, sie könnten sich durch Beichte und milde Gabe von der Strafe des Fegefeuers loszukaufen: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!"

Nonnen wollen trotz Klausur nach München. Ihre Kirchenoberen können es ihnen nur unter Androhung der Exkommunikation und des Kerkers verbieten. Damit die Pilger ihr Geld nur an die vorbestimmte Stelle bringen, wird eine eigene Straßenpolizei gegründet.

Die Masse der kleinen Leute ist es, die das Geld nach München bringt. Die Geschäftsleute Münchens machen einen enormen "Schnitt". Auch die "Jakobidult" erlebt ab dem Gnadenjahr einen ungeheueren Aufschwung.

Ursprünglich hat man geplant, die Einnahmen je zur Hälfte den genannten Kirchen und dem Papst zuzugestehen.

Später wird auch Herzog Stephan ein Viertel zugesprochen.

Da die Münchner einen Teil der Einnahmen abzweigen und der Papst dadurch leer ausgeht, werden über die "ruchlose Stadt" die höchsten Kirchenstrafen verhängt: "Bann und Interdikt". Das gesamte kirchliche Leben der Stadt muss solange ruhen, bis die Gelder zurückerstattet werden.

1394 München-Graggenau * Im Münchner "Franziskaner-Kloster" wird der "Arm des heiligen Antonius" wiederentdeckt.

Nach ihrer Wiederauffindung des in der Zeit der "Großen Pest" eingemauerten Oberarmknochens bildet die "Reliquie des hl. Antonius" das Ziel zahlreicher Wallfahrer. Den "Antonius-Arm" hatte Ludwig IV. "der Baier" nach München gebracht, doch während eines Stadtbrandes ist er "verloren" gegangen.

Die "Franziskaner" wollen mit dem "Antonius-Arm" an den Triumph der "Andechser Reliquien" anknüpfen.

Doch der "Antonius-Reliquie" gelingt es nicht, München zum "Wallfahrtsort" zu machen.

21. August 1403 München * Nach heftigen Bürgerunruhen in München werden im sogenannten Wahlbriefdie Grundlagen für die künftige Machtverteilung und des bürgerlichen Mitspracherechts neu festgelegt.

Seite 43/814 Einungenbezeihungsweise Zünftewerden verboten, Bestehende aufgelöst. Die Münchner Handwerkerverbände nehmen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts keine politischen Funktionen mehr wahr. Durch eine straffe Gewerbeorganisation und -kontrolle stabilisiert der Rat seine Position.

1407 Andechs * Die "Andechser Reliquien" werden wieder nach Andechs gebracht.

Damit ist der Versuch, die "Andechser Reliquien" fest in München zu etablieren, fehlgeschlagen.

25. März 1409 Pisa * Das "Konzil von Pisa" beginnt.

Noch nie zuvor hat ein "Kardinalskollegium" - ohne Rücksprache mit Papst oder Kaiser - ein allgemeines Konzil der Gesamtkirche einberufen. Die Initiative der "Kardinäle" stößt auf breite Zustimmung: Über 600 Kleriker nehmen am "Konzil von Pisa" teil.

Die parallel einberufenen "Konzilien" der beiden Päpste Gregor XII. in Cividale und Benedikt XIII. in Perpignan haben nicht annähernd so viele Teilnehmer. Die überwiegende Zustimmung des Klerus zum "Konzil in Pisa" isoliert die beiden Päpste auf Dauer.

Das "Konzil von Pisa" zitiert die Päpste Gregor XII. und Benedikt XIII. nach Pisa und macht ihnen nach deren Weigerung einen förmlichen "Ketzerprozess" als hartnäckige "Schismatiker". Damit ist die entscheidende Grundlage für das weitere Vorgehen geschaffen.

1411 München-Kreuzviertel * Die älteste Urkunde des Bestehens der "Augustiner-Brauerei".

Um April 1412 Straßburg - Freising - Bischoflack * Der von Papst Johannes XXIII. zum Freisinger Bischof ernannte Konrad V. von Hebenstreit macht sich nach seiner Berufung von Straßburg aus auf den Weg in seine Freisinger Besitzungen.

In Bischoflack wird er im Schloss von einer Freisinger Gesandtschaft empfangen. In der selben Nacht aber von seinen Dienern ermordet.

1413 Lodi * Der neue deutsche König Sigismund will das dreifache "Schisma" ein für alle Mal beenden. Neben religiösen Aspekten verbindet er damit die Hoffnung auf die Kaiserkrone.

Sigismund trifft sich mit Papst Johannes XXIII. in Lodi und zwingt diesen zur Einberufung des "Konzils von Konstanz".

12. Juli 1414

Seite 44/814 München * Ein Hochwasser beschädigt die Isarbrücke.

Um den September 1414 Arlbergpass * Papst Johannes XXIII. bricht zum "Konzil" nach Konstanz auf.

Als sein Wagen am "Arlbergpass" umstürzt, schreit er wenig päpstlich und zornig: "Hier liege ich in Teufels Namen!"

Ab dem 5. November 1414 Konstanz * DasKonzil von Konstanzbeginnt.Es dauert bis zum 22. April 1418. Der wichtigste Tagesordnungspunkt desKonzilsist die Beendung desAbendländischen Schismaund damit dieWiederherstellung der Einheit der Kirche.Die Lösung besteht darin, alle drei Päpste abzusetzen und einen neuen, von allen anerkannten Papst zu wählen.

Doch auf dem Konzil wird nach kurzer Zeit eine ungewöhnliche Reform des Stimmrechts unternommen:Fortan gilt nicht mehr das Prinzip ein Teilnehmer, eine Stimme, sondern es wird nach Nationen abgestimmt, wobei jede Nation nur eine Stimme haben soll. Damit haben die Italiener nur noch eine Stimme, die gegen die drei anderen Nationen England, Deutschland und Frankreich sowie die des Kardinalskollegiums steht.

Dem Kirchenkritiker Jan Hus, dem König Sigismundfreies Geleitzugesichert hatte, wird auf demKonzil von Konstanzder Prozess gemacht und am Scheiterhaufen verbrannt.

Ab dem 6. Dezember 1414 Konstanz * Jan Hus wird auf der Dominikanerinselin Konstanz in einem Verlies inhaftiert. Weil Jan Hus seine Thesen nicht widerrufen will, wird der Geleitbriefdes Königs für den Kritiker für ungültig erklärt, weil jetzt nicht mehr die weltliche Ordnung für ihn zuständig sei, sondern die kirchliche.

Außerdem war die Zusage - nach damaliger Rechtsauffassung - sowieso ungültig, weil es gegenüber einem Häretikerkeine verpflichtende Zusage geben kann.

24. Dezember 1414 Konstanz *König Sigismund trifft in Konstanz ein. Er ärgert sich zwar über den von ihm ausgestellten und von den Kirchenoberen gebrochenen Geleitbrieffür Jan Hus, unternimmt aber nichts zur Hilfe des Kirchenkritikers.

24. März 1415 Konstanz * Schlecht genährt und krank wird Jan Hus vom Verlies auf der "Dominikanerinsel" in Konstanz in eine gesündere Unterkunft gebracht.

Er kommt in den Gewahrsam des Bischofs von Konstanz.

Der Kirchenkritiker soll zwar seine Thesen widerrufen, doch ein toter Jan Hus nützt niemanden.

4. Juli 1415

Seite 45/814 Konstanz * Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz, ein religiös sehr engagierter Mann, bringt den römischen Papst Gregor XII. dazu, zu resignieren. Der Greis wird im Gegenzug zum päpstlichen Legaten auf Lebenszeit ernannt.

6. Juli 1415 Konstanz * Jan Hus wird am Vormittag wegen seiner Lehre von der "Kirche als der unsichtbaren Gemeinde der Prädestinierten" als "Häretiker" zum Feuertod verurteilt.

Am Nachmittag wird Jan Hus zusammen mit seinen Schriften auf dem Scheiterhaufenverbrannt.Seine Asche wird in den Rhein gestreut.

1418 Ingolstadt * Im "Jägerbuch" von Herzog Ludwig VII. dem Bärtigen finden sich Hinweise auf die "Falknerei" in Baiern.

Der Herzog von "Baiern-Ingolstadt" ist der Bruder der französischen Königin Isabeau de Baviére.

Spätestens bei seinen langen Aufenthalten am Hof des französischen Königs lernt er die "Beizjagd" kennen. Und da schon im Mittelalter an den Höfen des französischen Königs eine unglaubliche Prachtentfaltung herrscht, wird hier auch die "Falknerei" mit größtem Glanz und Aufwand betrieben. Es gibt dort sogar einen "Falkenmeister des Königs", der später den Titel "Großfalkonier von Frankreich" trägt.

Herzog Ludwig VII. von Baiern-Ingolstadt, der sich anno 1402 mit Anna von Bourbon vermählt hatte, regiert und verwaltet sein Teilherzogtum nach französischem Muster.

Der Adel kleidet sich französisch und sogar die Ingolstädter Häuser sind nach Pariser Geschmack erbaut und eingerichtet worden. Hier dürfte demzufolge auch die "Beizjagd" entsprechend aufwändig ausgeübt worden sein.

In dem bereits genannten "Jägerbuch" ist festgelegt worden, dass die "Falkner" zu dem Personenkreis gehören, die das "Recht der Nachtselden" in Anspruch nehmen können. Das bedeutet konkret, die vom Herzog den Klöstern und Kirchen auferlegte Verpflichtung, "unsere jägermaister, jäger und valcknär" zu beherbergen und zu verpflegen oder ersatzweise jährlich einen Geldbetrag abzuliefern.

Die "Prälaten" von sechs Klöstern verklagen daraufhin Herzog Ludwig VII. vor dem "Baseler Konzil", das ihn anno 1433 mit dem "Kirchenbann" belegt. Der Regent des Ingolstädter Herzogtums stirbt mit dieser Strafe.

1418 Haidhausen * Der "Hafnermeister" Chunrat Lecker fertigt im Auftrag der Stadt Ziegel.

Im Jahr darauf brennt er 230.000 Steine in 10 Öfen.

22. April 1418 München * Ein verheerendes Großfeuer zerstört weite Teil der Stadt.

Seite 46/814 Um das Jahr 1420 Paris * Der nächste Schritt zur Kriminalisierung der "Magie" kristallisiert sich zwischen 1400 und 1430 heraus und ist eine Folge der politisch motivierten "Magie- und Schadenszauberprozesse" am französischen Königshof.

Eine neue Tätergruppe wird gefunden in den "gotteslästerlichen, die göttliche wie obrigkeitliche Ordnung verleugnende Ketzersekte der schadenstiftenden Hexen", die sich zu ihren nächtlichen "Verschwörungsorgien" an "heimlichen Orten" auf "allerlei Fluggeräten" auf den Weg machen.

Daraus leitet sich ab: der "Pakt", die "Buhlschaft", der "Flug", der "Sabbat" und der "Schadenszauber".

Das ist der Beginn einer breiten "Hexenverfolgung" in den Tälern der Westalpen.

1421 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Ein "torhäusl auf der Iserbrucken" wird genannt.

Es ist der Vorläufer des "Roten Turms".

9. April 1424 München * Eine "Kleidervorschrift" wird beraten.

Es geht um das Tragen der Schleier und "Stauchen" durch die Frauen. Die "Stauchen", der "Stauch" oder das "Stäuchel"istein mehrfach um den Kopf geschlungenes Tuch.

Um 1425 Norditalien - Mittelitalien * Bernardino von Siena, ein "franziskanischer Bußprediger", der später "heiliggesprochen" wird, predigt auf seinen "Missionsreisen" durch Nord- und Mittelitalien vehement gegen "Juden", "Häretiker", "Sodomiten" und "Ehebrecher".

Auch glaubt er, überall auf "magische Praktiken, Wahrsagerei, Zauberei und das Wirken von Dämonen" zu treffen. Er bezeichnet die "Hexerei" als eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen, für dessen Duldung Gott die Menschheit hart bestrafe.

Seine Zuhörer fordert der "heilige Mann" auf, die "Hexen, Wahrsager und Zauberer" aufzuspüren und zu vernichten. Seine Predigten enden regelmäßig in regelrechten Verfolgungen und Hinrichtungen.

Das "Verfolgunsgebiet" ist so erweitert worden.

1428 Haidhausen * Die Brüder Pientzenauer verkaufen ihren "aigen Hof in Haidhausen" an Ulrich und Kathrayn Schaefftaler, die weitere Zukäufe zum "Gronimushof" tätigen.

Seite 47/814 24. April 1429 München * Ein Brand legt große Teile der Stadt in Schutt und Asche.

1430 Savoyen * Herzog Amadeus VIII. von Savoyen, der spätere "Gegenpapst" Felix V., lässt einen fünfbändigen Entwurf für einen "christlichen Idealstaat" erarbeiten.

Darin dürfen keinerlei "Normverstöße", erst recht keine "Gotteslästerung, Häresie und Zauberei" geduldet werden. Als weltlicher Herrscher führt er in seinem Herzogtum bereits schärfere Gesetze gegen "sittliche und religiöse" Verstöße ein.

Dabei führt Herzog Amadeus - "der Friedfertige" - das "inquisitorische Verfahren" gegen "Ketzer" wie gegen "Zauberer" ein und ermuntert seine Amtsleute, mit "dominikanischen und franziskanischen Inquisitoren" zusammenzuarbeiten.

29. Mai 1433 München-Angerviertel * Die Herzogbrüder Ernst und Wilhelm III. erlassen - auf Bitte des Rats der Stadt - eine ausführliche Verordnung über das "Spielen" und den Bau eines Frauenhauses(Stadtbordell), "daz dadurch vil ybels an frawen und jugkfrawen understannden [verhindert] werde". Die Stadt erwirbt dafür vom Heiliggeist-Spitalein Anwesen an der Mühlgasse am Anger.

12. Oktober 1435 Straubing * Agnes Bernauer, die nicht-standesgemäße Frau des späteren Herzogs Albrecht III., wird in Straubing in der Donau ertränkt.

22. Januar 1437 München * Herzog Albrecht III. heiratet Anna von Braunschweig.

Um den 28. Oktober 1437 München-Angerviertel * Das neue Stadtbordellwird eröffnet.Es befindet sich in der Mühlgasse am Anger, Ecke Rossmarkt und Blumenstraße.Umgeben ist das Gebäude von einem kleinen Garten.

Das Münchner Frauenhausist ein zweigeschossiges, äußerlich an ein oberbaierisches Bauernhaus erinnerndes Gebäude mit 32 großen und zwei kleinen Fenstern. In jedem Geschoss ist eine Stubeuntergebracht, in der die Kontakte zwischen dem Freierund den Prostituiertenhergestellt werden. Hier kann aber auch gezecht und vermutlich gespielt werden. Sie sind also ein Ort der Geselligkeit.

Um diese Stuben, die als einzige Räume beheizbar sind, gruppieren sich insgesamt zwölf abschließbare Kammern. Diese sind mit je einem Bett bestückt. Sehr wahrscheinlich sind das die einzigen Einrichtungsgegenstände dieser Räume. Das Münchner Frauenhaus"ähnelte demnach eher einem modernen Barbetrieb mit angeschlossenen chambres separéesals einem heutigen Eroscenter.

Das Frauenhausist nicht weit vom Haus des Scharfrichtersentfernt. In dem direkt an das Haus angebauten

Seite 48/814 Gebäude mit dem Aufzuggiebel ist lange Zeit der städtische Schinder, Wasenmeisteroder Abdeckeruntergebracht, der ebenso wie der Henkerbis zum Ende des 18. Jahrhunderts als "ehrlos" gilt und nicht im bürgerlichen Wohnbereich geduldet wird.

2. Juli 1438 München * Herzog Albrecht III. übernimmt den baierischen Herzogsthron von seinem Vater Ernst.

7. Februar 1440 München * An der Isarbrücke verfängt sich ein Fass, dass eine Selbstmörderin enthält, die sich durch Erhängen das Leben genommen hatte. Recherchen im Landgericht Wolfratshausen ergeben, dass man dort die Frau nicht begraben wollte und man sie deshalb in dem Fass auf das Wasser der Isar setzte.Die Münchner legen sie daraufhin wieder in das Fass und lassen sie weiter isarabwärts treiben.

Es war durchaus üblich, dass man Leichen oder Delinquenten, mit denen man nichts zu tun haben wollte, auf einem Floß auf der Isar aussetzte.

23. Mai 1440 Prag * Herzog Albrecht III. wird auf einem Landtag in Prag fast einstimmig zum böhmischen König gewählt. Er nimmt aber die Wahl nicht an.

1442 München * Herzog Albrecht III. vertreibt alle Juden aus dem Teilherzogtum München-Oberbaiern.

Die "Synagoge" wird in eine "Marienkapelle" umgewandelt.

Die Vertreibung bedeutet zudem das Ende der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde in München.

6. März 1445 München * Baiernherzog Albrecht III. gibt den Befehl, wonach den Münchner Bürgern zwei Jahre lang Arbeiter aus dem Umland zur Hilfeleistung für die Schanzarbeitengeschickt werden sollen. Die "armen Leute aus Oberbaiern" erhalten "genügend Brot und einen Zehrpfennig". In Haidhausen und in der Au finden sie eine neue Heimat.

1447 München * Die Stadtobrigkeit erlässt "Anordnungen zum Brauwesen", auch wenn sie dabei ihre Kompetenzen weit überschreitet.

Der "Brausatz" von 1447 besagt, dass das gesottene Bier mindestens 8 Tage in "gepichten Fässern" lagern muss. Bei einem Verstoß gegen die Anordnung werden empfindliche Strafen in Aussicht gestellt.

1450 München * München zählt 16 bürgerliche Brauereien.

Seite 49/814 1450 Mittenwald* In Mittenwald entsteht ein eigener, 50 Meter langer und 16 Meter breiter "Ländhafen" für den Flusswarentransport, der "Nassen Rott".

Um 1450 Spanien * Die Araber führen die Seidenproduktion in Spanien ein.

Aber selbst im 15. Jahrhundert wird noch immer die Seide aus China importiert, weil diese als hochwertiger gilt und die europäischen Fabrikate den Bedarf nicht decken können. Man importiert jedoch hauptsächlich Rohseide, da es hier bereits genügend Arbeitskräfte zum Weben und Verarbeiten gibt.

Um 1450 München-Graggenau - München-Angerviertel * Das "Isartor" erhält sein größtes Ausmaß.

Diese Erweiterung und Verstärkung ist notwendig geworden, nachdem sich die Waffentechnik der Angreifer grundlegend geändert hat. Die aufkommenden "Pulvergeschütze" entwickeln sich zu einer gefährlichen Bedrohung für die herkömmlichen Burg- und Stadtmauern.

Die Verstärkung wird erreicht, indem man eine zweite Mauer in einem Abstand von sieben bis neun Metern parallel vor die bestehende "Stadtmauer" baut. Diese sogenannte "Zwingermauer" ist mit durchschnittlich vier bis fünf Metern nur etwa halb so hoch wie die "Hauptmauer". Den Zwischenraum innerhalb der beiden Mauerführungen, der bis zu zwei Meter hoch aufgeschüttet ist, bezeichnet man als "Zwinger".

Gleichzeitig müssen nach dem selben Prinzip natürlich auch die "Haupttore" verstärkt werden. Dazu werden dem bestehenden "Hauptturm" - im Zuge der "Zwingermauer" - zwei "Vortürme" vorgelagert.

Die beiden achteckigen und drei Geschosse hohen "Flankentürme" sind durch ein hohes Mauerwerk, einer sogenannten "Barbakane", miteinander verbunden. Dadurch entsteht eine nach innen und außen abgeschlossene "Torburg".

Jeder, der diesen "Torzwinger" betritt, musste freilich damit rechnen, dass er hier gefangen gesetzt werden kann, wenn vor ihm die "Fallgatter" im "Torturm" und hinter ihm im sogenannten "Vortor" niederrasselten. Anstelle der heutigen drei "Torbögen" muss man sich ein "Mittelportal" als "Zugang" beziehungsweise "Zufahrt" und je eine seitliche "Schlupfpforte" vorstellen. Vor dem "Isartor" überwölbt eine Brücke den "Stadtgrabenbach". Rechts von der "Tordurchfahrt" befindet sich das "städtische Zollhaus".

Die am "Isartor" eingenommenen Zölle: "Brückenzoll", "Wasserzoll", "Salzzoll", "Pflasterzoll" und "Zoll für das Trockengut" sind die für die Stadt Einträglichsten.

Im Gebäude links von der "Tordurchfahrt" ist der "Stadtwagner" untergebracht, der auch für die Instandhaltung und für das Aufziehen und Niederlassen der vor dem "Isartor" gelegenen "Zugbrücke" verantwortlich ist.

Seite 50/814 Die mit Eisen beschlagenen Torflügel werden bei Tagesanbruch geöffnet und bei Sonnenuntergang mit Riegeln verschlossen.

Ab dem "Vesperläuten" gilt die "kleine Torsperre". Wer danach aus oder in die Stadt will, musst dafür bezahlen.

Die Glocken der "Frauenkirche" verkündeten im Sommer um 22 Uhr, im Winter eine Stunde früher, die "große Torsperre". Denn in der Nacht ist München hermetisch verrammelt.

1453 München * Ein weiterer "Brausatz" des Münchner Rats verbietet den Brauern jede "Einung" und untersagt ihnen, sich zu Absprachen zu treffen oder sich gegenseitig verzuschreiben, wie viel und wann sie brauen wollen.

Sie dürfen auch kein Getreide aufkaufen, das sie später wieder verkaufen wollen. Damit soll Handelsschaft und Spekulation verhindert werden.

16. September 1454 München-Graggenau * Der Franziskaner-PaterJohann von Capistran predigt auf dem Schrannenplatzso eindringlich, dass sich angeblich "gemeine Töchter" [= Prostituierte] zum Besseren bekehren und Münchner ihre Spielbretter und Karten verbrennen. Der Asketerhält dafür von der Stadt ein üppiges Gastgeschenk in Form von Wein, Fischen und Fleisch [!] und reist am selben Tag wieder ab. Doch kaum eine Woche später geben sich die Stadtbewohner wieder den Lustbarkeitenhin.

1455 München * Der Arzt und Schriftsteller Dr. Johann Hartlieb verfasst für den Markgrafen Johann von Brandenburg-Kulmbach ein "Puoch aller verpoten kunst und ungelaubens und der zaubrey".

Johann Hartlieb ist mit Sibilla verheiratet, der illegitimen Tochter von Herzog Albrecht III. und Agnes, und schon deshalb engmit dem Münchner Hof verbunden.

1459 München * Der Rat der Stadt erlässt in einem Nachtrag zur "Bußordnung" vom 3. Oktober 1433 acht neue Sätze und Artikel mit "Kleidervorschriften".

Die hauptsächlich die Frauenmode betreffenden Vorschriften befassen sich mit Regelungen über Pelzbesätze, die Art der Ärmel, die Länge der Röcke und Mäntel.

Sie verbieten Männern wie Frauen Röcke aus Samt und Seide, Perlenbesatz und Brusttücher für die Frauen.

1460 München-Graggenau * Nach einem Blitzschlag in den Rathausturm und dem anschließenden Brand istder Gebäudekomplex des Rathauses stark in Mitleidenschaft gezogen, weshalb man über einen Neubau nachdenkt.

Seite 51/814 29. Februar 1460 München * Nach dem Tod Albrechts III. werden seine Söhne Johann IV. und Siegmund Herzöge im Teilherzogtum Baiern-München.

24. Oktober 1460 München * Die Grenzen des MünchnerBurgfriedenswerden im Burgfriedensbrieffestgelegt. Das auf der rechten Isarseite gelegene Gebiet gehörte ursprünglich zum Landgericht Wolfratshausen, das dort auch die Jurisdiktion, die Gerichtsbarkeit, ausübte.Die Stadtherren beantragten bei den regierenden Herzögen Johann und Sigmund die Erweiterung des Münchner Burgfriedens.

In dem Erlass wurde daraufhin für den Bereich des Gasteigsbestimmt:"Es soll auch das Siechhaus auf dem Gastay enhalb der Yserpruckh vnnd auch dieselb Yserpruckh auch In vnnserer Statt München Burckfrid ligen.Doch so behalten wir vnns den wasserstromb der Yser, das vnns der mit Herrlichkeit soll beleiben vnnd zustehen".

1461 München * Die "Stadtkammer" lässt "91 Schiltlein" anfertigen und an die offiziell zugelassenen "Stadtarmen" verteilen.

Diese müssen künftig diese Schilder beim "Betteln" offen auf der Brust tragen. Wer ohne diese Erlaubnis bettelt, wird in die "Schergenstube" gebracht und auf den "Pranger" gestellt.

Die Stellung dieser "gewerbsmäßigen Bettler" lässt sich auch an ihrer offiziellen Teilnahme an der "Fronleichnamsprozession" ablesen, in der sie in der Gruppe der "Handwerker" den Abschluss bilden.

1462 Perugia * Der Franziskanerpater Barnabas gründet in Perugia das erste Leihhaus. Man will damit den Wucher bekämpfen und Menschen, welche vorübergehend in Not geraten sind, vor der Vernichtung ihrer Existenz retten.

Weitere solche Einrichtungen folgen auf italienischem Gebiet. Über Frankreich verbreiten sich die Leihhäuser bald über ganz Europa. Sie heißen damals "Montes pietatis". Das bedeutet soviel wie "Berg oder Haus des Mitleids". Die Leihhäuser haben zu dieser Zeit einen ausgesprochenen karitativen Charakter.

3. Juni 1464 München * Umfangreiche und 107 Pfund und 11 Pfennige teuere Arbeiten an der Isarbrückebeginnen und dauern bis 7. Oktober an.

10. September 1465 München * Herzog Albrecht IV. wird Mitregent seines Bruders Sigmund im Teilherzogtum Baiern-München.

1467 Au * Der städtische "Brunnenmeister" und seine Knechte arbeiten an der am "Gasteigberg" gelegenen

Seite 52/814 "Wasserstube" und am Rohrleitungssystem.

1469 München-Graggenau * Die Nachfolger des Baiernherzogs Albrecht IV. erweitern die "Neuveste" und bauen sie zu ihrer ständigen Residenz - als Ersatz für den "Alten Hof" - aus.

Damit befindet sich das "Franziskanerkloster" in unmittelbarer Nachbarschaft zur "Residenz" und kann von dort aus sogar direkt betreten werden.

10. November 1469 München - Haidhausen * Die Stadt kauft eigens für den Bau der Frauenkircheeinen Ziegelstadelin Haidhausen. Die Ziegel werden im Klosterformatgebrannt: 17,5 cm breit, 34 cm lang und 7,5 cm hoch.

1470 München-Graggenau * Jörg von Halspach, der als "Obrist-Maurer" auch die "Frauenkirche" erbaut, beginnt mit dem Neubau des [Alten]"Rathauses".

Sein Vorhaben konzentriert sich auf den nördlich des "Rathausturmes" anschließenden Trakt, in dem in der Erdgeschosszone ein neues "Stadtgefängnis" und ein von allen städtischen Bäckern bedientes "Brothaus" entsteht.

Über der Sockelzone des Neubaus wird ein großer "Fest- und Tanzsaal" geschaffen, der dem Repräsentationsbedürfnis der Bürgerschaft und der Stadtherrschaft dient.

Dazu muss zuvor der"Saalbau"des ersten Münchner"Rathauses"abgerissen werden.

1470 Haidhausen * Auf 50 Öfen wird in Haidhausen "Ziegel" gebrannt.

18. April 1470 Haidhausen * Die Stadt kauft dem "Heiliggeist-Spital" den "Gronimushof" um 245 Pfennige ab, um dort den Rohstoff für die Ziegelherstellung zu erhalten.

Der Haidhauser Bauernhof wird auf "Leibgeding" vergeben. Das bedeutet, dass sich der "Lehensnehmer" verpflichten muss, den jeweils benötigten Ziegelgrund entschädigungslos an die Stadt abzugeben.

Nach dem Lehmabbau erfolgt dann die Rückgabe des Grundes zur weiteren landwirtschaftlichen Nutzung.

1473 Haidhausen * In 56 Öfen werden in Haidhausen über 782.000 Ziegel gebrannt.

Die "Städtischen Ziegelmeister" kaufen 356 Föße zum "Ziegelbrennen" auf.

Seite 53/814 1473 Haidhausen - Starnberg* Herzog Albrecht IV. bezieht die"Ziegelsteine"für den Bau des"Starnberger Schlosses"von den Haidhauser Ziegeleien.

1475 München-Graggenau * Das "Alte Rathaus" wird mit Lärchenschindeln gedeckt.

Inzwischen haben auch die Arbeiten für den "Fest- und Tanzsaal" begonnen. Der Saal nimmt mit seinen 31 x 17 Meter das gesamte Obergeschoss ein.

Eine "Himmelsleiter" führt vom Marktplatz direkt in den Saal. Das Tonnengewölbe ist 10,5 Meter hoch und mit Tannenbrettern verschalt.

Hier ist der Ort, an dem die "Moriskentanzfiguren" von Erasmus Grasser aufgestellt werden.

Um Oktober 1477 München-Kreuzviertel * Die Umfassungsmauern der 109 Meter langen, 41,5 Meter breiten und 35 Meter hohen "Frauenkirche" sind fertig gestellt.

Der Nordturm ist 98,57 Meter hoch, der Südturm 98,45 Meter. Die Differenz beträgt 12 Zentimeter.

1480 München-Graggenau * Der regierende Herzog Albrecht IV. zwingt - mit päpstlicher Genehmigung und mit Ausnahme von drei reformwilligen Mönchen - die "Konventualen" zum Abzug und initiiert gemeinsam mit Papst Sixtus IV. eine Reform des Münchner "Franziskanerordens".

Das Kloster übernehmen nunmehr Pater der "alten Observanz". Seit dieser Zeit gehen auch die anfallenden Baulasten des Klosters zu Lasten des Herzogs, da den "Observanten" nach der strengen Auslegung der Armutsregel jedes Eigentum an den Gebäuden untersagt ist.

Nach 1480 München-Graggenau * Die Münchner "Franziskaner" leben nach der Klosterreform in erster Linie von "Almosen".

Ihre "Klosterbrauerei" entsteht erst nach Einführung der strengen "Observanz" als neuer Erwerbszweig. Traditionell bilden zudem die Gebühren für Bestattungen und dem Lesen von Messen auf dem bei den Münchner Bürgern beliebten "Klosterfriedhof" eine Einnahmequelle.

Als neuer "Hausbetrieb" entsteht im Münchner Kloster eine "Tuchmanufaktur". Sie beliefert die gesamte Provinz mit Stoffen für den "Habit und Wolldecken".

An handwerklich ausgebildeten "Laienbrüdern" mangelt es nicht, verfügt doch der umfangreiche Konvent durchschnittlich über siebzig Mönche. Auch das "Studium der Kleriker" findet im eigenen Haus statt.

Seite 54/814 Um 1480 Einbeck * Die Stadt Einbeck bei Hannover zählt etwa 300 Brauereien.

29. September 1480 Cham * In einem Schreiben wird ausgeführt, dass in der damals zur Kurpfalzgehörenden Stadt Cham böhmisches Bierausgeschenkt wird, nicht aber gebraut.

1481 München * Ein Ratsprotokoll bereichtet erstmals vom Streit der Bäcker mit den Brauern, bei dem es um das Recht der "Hefezubereitung" geht.

Die Brauer lieferten den Bäckern die Hefe. Da diese aber mit der Qualität sowie der Art und Weise wie die Brauer die Hefe lieferten nicht einverstanden waren, gingen sie dazu über, ihre "Backhefe" selbst herzustellen.

Dadurch verdarb den Brauern die Hefe, wodurch sie einen großen, vermutlich finanziellen Schaden erlitten.

Um das Jahr 1484 München * Aus diesen Jahren stammt ein Entwurf einer "Münchner Brauordnung".

Als Begründung für das Entstehen dieses Entwurfs nennen die Verfasser "Missstände im Bräuamt" und "zahlreiche Beschwerden" darüber. Die städtischen Gesetze umfassen die Organisation des Handwerks, die Herstellung des Produkts vom Einkauf der Rohstoffe bis zur Fertigung des Produkts und dessen Vertrieb.

Zudem finden sich in diesem ratsherrlichen Entwurf Anweisungen zum Bierpreis und zur Biersorte. Die städtische Obrigkeit tritt eindeutig für die Interessen der Verbraucher ein.

1484 Rom-Vatikan * Der Verfasser des "Hexenhammers", Heinrich Kramer ["Henricus Institoris"], erwirkt von Papst Innozenz VIII. die Bulle "Summis desiderantes", in der er die von "Hexen" begangenen Schäden beklagt, die in den "Erzbistümern" Köln, Mainz, Trier, Salzburg und Bremen aufgetreten sein sollen.

Gleichzeitig kritisiert er den Widerstand, mit dem viele Städte und Territorien eine "Hexenverfolgung" verweigern.

1485 Brixen * Die "Hexenverfolgung" des Heinrich Institoris, des "Inquisitors der oberdeutschen Ordensprovinz", in der "Diözese Brixen" scheitert, nachdem der dortige Bischof für den Abbruch des Verfahrens sorgt und Institoris hinaus wirft.

Seine Prozessführung ist offensichtlich so wirr, rechtsbrüchig und skandalös, dass der Bischof keinen anderen Weg als diesen sieht.

Seite 55/814 14. Oktober 1485 München * Herzog Albrecht IV. erlässt eine neue Brauordnung. Er übernimmt darin größtenteils die städtischen Gesetze, die um das Jahr 1484 durch den Rat der Stadt München erlassen worden sind. Die herzogliche Brauordnungregelt vornehmlich die Organisation des Münchner Braugewerbes.

1486 Speyer * Der berüchtigte "Hexenhammer - Malleus maleficarum", ein "Lehrbuch des Hexenglaubens und der Hexeninquisition", wird veröffentlicht.

Der "Dominikanermönch" Heinrich Institoris, der zudem "Inquisitor der oberdeutschen Ordensprovinz" ist, schreibt das Buch, nachdem er mit einer Inquisition in Innsbruck in der "Diözese Brixen" gescheitert ist.

Nach dieser Niederlage will er seine Position stärken und die "Hexenverfolgung" vor deren Gegnern zu rechtfertigen.

Das Buch wird als Vorbild für die künftig in Deutschland geführten "Hexenprozesse" dienen und wird bis ins 17. Jahrhundert hinein in 29 Auflagen erscheinen.

6. August 1486 Regensburg * Herzog Albrecht IV. zieht in Regensburg ein, um die Stadt gemäß deren Wunsch in Besitz zu nehmen.

7. November 1486 Landshut * Die Stadt Landshut veröffentlicht eine Brauordung.Eine Abschrift erhält auch der Münchner Stadtrat, dem sie zur Orientierung dient. Sie beinhaltet ein Reinheitsgebot, das als Bestandteile des Bieres nur Gerste und Hopfen nennt.

Um Dezember 1486 München * Eine erste Fassung des "Münchner Reinheitsgebots" entsteht.

Es besagt: "Item sie [die Brauer] sollen auch Bier und Greußing sieden und brauen nur allein von Gersten, Hopfen und Wasser und sonst nichts darein oder darunter tun noch sieden, oder man strafe sie für falsch".

1487 Udine * Erstmals wird in Udine eine Bronzemadonna auf eine Marmorsäule gestellt.

1487 Mittenwald * Die Venetianer Kaufleute verlassen Bozen als ihren Hauptstapelplatz für Waren nach einem Streit mit der dortigen Regierung.

Als Ersatzstandort erwählen sie Mittenwald, in dem sie bis 1679 den sogenannten "Bozener Markt" abhalten und die "welschen" - sprich fremden - Waren angebieten, verkaufen und verfrachten.

Seite 56/814 Auf Saumtieren und Karren werden die Güter über die steilen Gebirgspässe gebracht und gelangen schließlich über Zirl und Seefeld hinab nach Scharnitz und Mittenwald. Den Weitertransport übernehmen heimische Fuhrleute.

Gehandelt wird mit: Gewürzen, Südfrüchten, Ballen mit Baumwolle, Pfeffersäcke, Säcke mit Johannisbrot, Safran und Ingwer, Ballen mit Schreibpapier, Borten, Schleier, Ölfässer, Fässer mit Feigen, Zucker, Welsch- und Etschwein.

3. Januar 1487 Innsbruck * Der 39jährige Baiernherzog Albrecht IV. entführt und ehelicht die 21-jährige Kaisertochter Kunigunde in Innsbruck.

11. November 1487 Haidhausen * Letztmals zahlt die Stadt die Pacht für das Abziegelnvon Grundstücken der Familie Pötschner in Haidhausen. Ab sofort wird der eigens für den Bau der Frauenkirchegepachtete Ziegelstadelnicht mehr gebraucht.

30. November 1487 München * Herzog Albrecht IV. erlässt auf Druck des Münchner Rats das sogenannte Münchner Reinheitsgebot. Der erste Paragraph dieses Gesetzes lautet:

"Zuerst so sollen nu füran die Bier hie nit höher dann ein maß ze einem oder zwaien Pfenningen ausgeschenkt, auch aus nicht anderm dann Hopfen, Gersten und Wasser gesotten und nit ausgeschenckt [werden], sy seyen dann vor[her] von den[en], die, als hernach folget, darzue geordent und gesetzt werden, beschaut und gesetzt."

Der erste Teilsatz setztden Preis pro Mass fest, ?Teilsatz 2 bestimmt, woraus das Bier ausschließlich zu brauen ist und Teilsatz 3 nenntdie Voraussetzungen für die Erlaubnis zum Ausschank: Die vorherige Beschauoder Prüfung und die Preisfestsetzungdurch die nachstehend bestimmten Prüfer.

Um den Dezember 1487 Regensburg * Eine von Herzog Albrecht IV. erlassene "Brauordnung" für die Stadt Regensburg lautet im Kernsatz:

"Die Bierbräuen sollen einen Eid zu Gott und den Heiligen schwören, zum Biersieden nichts anderes dann allein Malz, Hopfen und Wasser zu nehmen, noch jemand irgendetwas anderes darin zu versiegen noch in das Bier tun, dieweil das in seiner Gewalt ist, gestatten".

Damit war man schon ganz nahe am "Münchner Reinheitsgebot". Auffallend ist jedoch, dass anstelle von der "Gerste" vom "Malz" gesprochen wurde. Damit konnte auch weiterhin dem Bier "Hafer" zugegeben und dadurch auf die unterschiedlichen Ernteergebnisse Rücksicht genommen werden.

Seite 57/814 Eine weitere große Ausnahmeregelung unterscheidet das "Regensburger" vom "Münchner Reinheitsgebot": Die Zugabe von bestimmten Gewürzen und Kräutern, die beim Regensburger Wein nicht verpönt waren und deshalb beim Bier - unter bestimmten Voraussetzungen - auch nicht ausgeschlossen werden sollten.

1488 München * Herzog Albrecht IV. schließt mit Hans von Degenberg einen "Erbschaftsvertrag", wonach beim Aussterben der Degenberger in der männlichen Linie deren gesamter Herrschafts- und Besitzkomplex in den Besitz der Wittelsbacher übergeht.

1490 Rom-Vatikan * Der päpstliche Vikar Giacomo Botta erlässt ein Dekret, das allen Klerikern und Laien bei Androhung der "Exkommunikation" und des "Verlustes der Ämter und Pfründe" das "öffentliche oder heimliche Halten von Konkubinen" verbietet.

Papst Innozenz VIII., das ist übrigens auch der mit dem "Hexenhammer", lässt den Erlass umgehend zurücknehmen und erklärt, dass das "Konkubinat" nicht verboten sei. In der Folge gibt es in der heiligen Stadt Rom kaum noch einen Priester oder "Kurialen", der ohne "Konkubine" lebt.

Um 1490 München-Kreuzviertel * Im Auftrag Herzog Albrechts IV. entsteht in der Frauenkircheein Hochgrabfür Kaiser Ludwig den Baiern aus Rotmarmor.

6. Januar 1490 München - Au * Balthasar Pötschner erhält von Herzog Albrecht IV. das Recht, "zu Giesing under dem perg, genannt Neydeck, ain papirmul zu pawen". Gleichzeitig bekommt er das Produktionsmonopol für Papier auf 20 Jahre.

1492 München * Andrea de Franceschi, der spätere "Großkanzler von Venedig", beschreibt München als eine vornehme Stadt, "citta noblissima", mit prächtigen, mit Kieslsteinen gepflasterten Straßen und mit breiten Plätzen, in deren Mitte sich Brunnen befinden.

1492 München-Graggenau - München-Lehel * Als sichtbaren Ausdruck ihrer Anteilnahme am Leben des Klosters stiftet Herzog Albrecht IV. und seine Gemahlin Kunigunde von Österreich den "Franziskaner-Barfüßern" einen neuen, von Jan Polack im Stil der Münchner Spätgotik ausgeführten "Hochaltar".

Er befindet sich heute als ein herausragendes Glanzstück im "Bayerischen Nationalmuseum".

1492

Seite 58/814 Walchensee - Königssee * Die "Kesselbergstraße" wird ausgebaut.

Der holprige Weg vom Walchensee zum Königssee ist bereits seit dem Jahr 1120 als "Königspfad" bekannt. Er war allerdings - trotz des Namens - ein wenig einladender "Saumpfad".

Dieser wird jetzt auf Anregung des Münchner Ratsherrn Heinrich Barth zu einer Straße ausgebaut, die in neun Kehren die beiden Seen miteinander verbindet.

Der aufblühende "Bozener Markt" in Mittenwald profitiert von dieser neuen Route. Bisher mussten die Fuhren nach München entweder die häufig überschwemmte Straße durchs "Murnauer Moos" und das "Loisachtal" nehmen, oder sie waren auf das enge Tal der Isar angewiesen.

1492 Regensburg * Herzog Albrecht IV. muss Regensburg auf kaiserlichen Druck an das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation"zurück geben.

25. Juli 1495 München * Es herrscht immer noch Pest. In Abstimmung mit dem Stadtrat ordnet Herzog Albrecht IV. an, dass die Jakobi-Dultnicht abgehalten werden soll.

18. September 1495 Grünwald * Wegen der in München herrschenden Pest wird das fünfte KInd des Herzogpaares Albrecht und Kunigunde, der spätere Herzog Ludwig X., auf der Burg Grünwald geboren.

1496 München * Die "Syphilis" tritt epidemieartig auf.

Diese "Geschlechtskrankheit" betrachtet man als "Strafe Gottes" für einen "ausgelassenen Lebenswandel". Sie bringt aber nicht die Schließung der "städtischen Frauenhäuser".

Um den 1500 München * Es gibt keine Verordnung in Bezug auf die Hygiene der "Prostituierten". Das hindert jedoch niemanden am Besuch eines "Bordells".

Zwar gibt es schon Verbote, den "Freiern" kranke Frauen zuzuführen, doch ansonsten begreift man zu dieser Zeit eine Krankheit als "Strafe für ein ausschweifendes und wollüstiges Leben".

22. November 1500 München * Herzog Albrecht IV. nimmt in einer Verordnung Stellung zum Bäcker-Brauer-Streitum die Hefezubereitung. Der Landesherr spricht sich darin gegen die Herstellung der Gerbendurch die Bäcker aus.

Sollte man den Bäckern den Handel mit Malz gestatten, würde dem herzoglichen Brauwesen - und damit natürlich über die daraus fließenden Abgaben auch an den Herzog - "nit wenig Abbruch zugefügt".

Seite 59/814 Der Herzog festigtmit seinem Spruch das Monopol der Brauer.Um aber den Klagen der Bäcker gerecht zu werden, müssen die Brauer auf ihre Kosten einen eigenen Keller einrichten, in denen sie ihre Hefe künftig unter der Aufsicht von Beschauernlagern sollen.

Um den 5. Januar 1501 München - Landshut * Die Regenten der beiden Teilherzogtümer Baiern-München, Herzog Albrecht IV., und Baiern-Landshut, Herzog Georg, nehmen eine große Reichspolizeiordnung, die am 10. September 1500 auf dem Augsburger Reichstagerlassen worden war, zum Anlass, für ihren jeweiligen Bereich entsprechende Kleiderordnungenzu erlassen.

Inhaltlich beruhen sie auf einer Pfälzer Ordnungaus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die entsprechend modifiziert und den ober- und niederbaierischen Verhältnissen angepasst werden. Im Gegensatz zu Landshut ist das Landgebot "Ueberfluß und Unmaas der Bekleidung und anders hiernachfolgendes berührend" die erste Kleiderordnungfür München.

1502 München * In 39 Münchner bürgerlichen Brauereien wird Bier hergestellt.

Erstmals stimmt die Zahl der Brauer mit der Zahl der Brauhäuser überein. Die 39 Brauhausbesitzer stellen für 13.500 Einwohner Bier her.

Zum Vergleich: Im Jahr 1372 brauten 21 Brauer für 11.500 Münchner. Kamen also 1372 noch 536 Münchner auf einen Brauer, so waren es 1502 nur mehr 346. Das kann sich nur dann rentiert haben, wenn sich der Bierumsatz des einzelnen Münchners um mindestens das Eineinhalbfache gesteigert hat.

War das der Beginn für den unvergleichlichen Aufstieg des Bieres und der Anfang vom Niedergang des Weinkonsums in München?

1502 Rom-Vatikan * Ein Brief beschreibt die Situation im Vatikan derart:

"Die Häufigkeit des außerehelichen Beischlafs, des Inzests, der Vergewaltigungen von Knaben und Mädchen, die Zahl der Huren, die im Palast des heiligen Petrus herumlungern, und der Herden von Kupplern, die dort umherlaufen, übersteigt in ihrer Schamlosigkeit jene der Bordelle und der Freudenhäuser".

An der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit sind also "Konkubinat" und "Hurerei" beim römischen Priestertum sehr weit verbreitet.

10. März 1503 Alcalá de Henares *Ferdinand I., der spätere Kaiser und Bruder von Carl V., kommt in Alcalá de Henares bei Madrid zur Welt.

Seite 60/814 12. November 1503 Heidelberg * Herzog Philipp, der zweitgeborene Sohn Sohn der niederbaierischen Herzogin Elisabeth und Herzog Rupert von der Pfalz, wird in Heidelberg geboren.

Nach dem 1. Dezember 1503 München - Landshut * Herzog Albrecht IV. von Baiern-München akzeptiert das Testament von Herzog Georg dem Reichennicht, wonach seine Tochter Elisabeth, ihr Ehemann Ruprecht von der Pfalz und ihre etwaigen Söhne das Teilherzogtum erben sollen.

Das Testament widerspricht dem Wittelsbachischen Hausvertrag, nach dem beim Aussterben einer männlichen Linie die Besitzungen an die jeweils andere Linie fällt.Das Testament ist aus oberbaierischer Sicht ein Vertragsbruch. Deshalb kommt es zum Landshuter Erbfolgekrieg.

13. Dezember 1503 Landshut * Auf dem noch von Herzog Georg dem Reichennach Landshut einberufenen Landtag, macht Herzog Albrecht IV. von Baiern-München seine Erbansprüche geltend.

Um den 10. April 1504 München * Herzog Albrecht IV. von München-Oberbaiern erklärt sich bereit, die. "Gerichte Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg" an König Maximilian I. für seine Vermittlungstätigkeiten abzutreten.

König Maximilian I. sagt ihm daraufhin eine finanzielle Unterstützung und 10.000 Mann als "Hilfstruppe" zu.

23. April 1504 Augsburg * König Maximilian I. belehnt den Münchner Herzog Albrecht IV. mit den Ländern von Herzog Georg "dem Reichen" und verhängt über Herzog Ruprecht von der Pfalz und seinen Anhängern die "Reichsacht".

Herzog Albrecht IV. und seinSohn Herzog Wilhelm IV. verfügen über ein Heer von insgesamt 60.000 Mann. Diese setzen sich zusammen aus baierischen und königlichen Truppen sowie der "Reichstadt" Nürnberg, die alleine 5.000 Mann stellt, und andere Unterstützer wie der "Schwäbische Bund", Herzog Ulrich von Württemberg und Markgraf Friedrich II..

21. Juni 1504 München - Landau an der Isar * Der Landshuter Erbfolgekriegbeginnt. Mit einem Heer, bestehend aus 12.000 Mann Fußtruppen und 2.000 Reiter, belagert Herzog Ruprecht von der PfalzLandau an der Isar und erobert es nach Beschießung mit Bomben.

13. Juli 1504 Altdorf bei Landshut * Es kommt zur ersten größeren Auseinandersetzungen zwischen den oberbaierischen Truppen von Herzog Albrecht IV. und den Truppen des Rupert von der Pfalz. Die Schlacht endet mit einem Sieg für Albrecht IV. Der mit Albrecht verbündete Götz von Berlichingen verliert dabei seine Hand.

Seite 61/814 30. Juli 1505 Köln * Der Kölner Schiedsspruchdes römisch-deutschen Königs Maximilian I. beendet den Landshuter Erbfolgekrieg.

Die wittelsbachischen Teilherzogtümer München-Oberbaiern und Landshut-Niederbaiern werden wieder vereinigt. Das Landshuter Erbe wird geteilt zwischen dem Pfalzgrafen, den bairischen Herzögen und König Maximilian I.. Das Fürstentum Pfalz-Neuburgwird gebildet.

8. Juli 1506 München * Herzog Albrecht IV. legt mit dem Primogeniturgesetzdie Unteilbarkeit Baierns fest. Künftig soll nur mehr der erstgeborene Sohn im Baiernland herrschen. Für die nachgeborenen Söhne müssen sich die herzoglichen Familienväter anderswo Einnahmen und Finanzquellen eröffnen.

Dezember 1506 München - Landshut * Wegen der in München grassierenden Pestepidemie residiert Herzog Albrecht IV. in Landshut.

18. März 1508 München * Herzog Albrecht IV. stirbt.

Sein minderjähriger Sohn Wilhelm IV. wird Herzog von Baiern unter der Vormundschaft seines Onkels Wolfgang.

1511 Au * Münchens ältestes "Brunnhaus", das "Wasserhaus am Isarberg", wird gebaut und in der Folgezeit mehrmals umgebaut und auf den technisch neuesten Stand gebracht.

Die aus dem Isarhochufer austretenden Quellen werden gefasst und danach in Bleirohren dem "Brunnhaus" zugeführt. Mit einem "Wasserhebewerk" aus Holz wird dann das Quellwasser in einen kupfernen Kessel im obersten Stockwerk des "Wasserturms" gedrückt.

Vom Kessel wird das Wasser mit Druck "in hölzerne Deichen über die Isar in die Stadt geleitet, und durch unzählige äste vertheilt. Es läßt sich leicht denken, daß bey diesem großen Wasserreichtume, in den vielen Privatgärten an herrlichen Springwässern, kein Mangel sey".

14. Oktober 1514 Rattenberg * Die herzoglichen Brüder Wilhelm IV. und Ludwig X. vereinbaren im Rattenberger Vertrag, dass sie das Herzogtum Baiern künftig gemeinsam regieren wollen - bei getrennter Verwaltung.

24. April 1516

Seite 62/814 Ingolstadt*Die Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. verkünden auf dem "Landtag" in Ingolstadt eine "Landes- und Polizeiordnung".

Die "Landesfreiheitserklärung" bestimmt bis zur Aufhebung der "Landständischen Korporation" im Jahr 1808 das Verhältnis zwischen der "Landschaft" und dem "Landesherrn".

Das "Buch der gemeinen Landpot, Landesordnung, Satzung und Gebräuch des Fürstentums Ober- und Niederbaiern" enthält auch die Vorgabe "Wie das Bier im Sommer und Winter auf dem Land ausgeschenkt und gebraut werden soll".

Dieser Passus wird im 20. Jahrhundert als "Bayerisches Reinheitsgebot" bezeichnet werden.

Er hat folgenden - ins Neuhochdeutsche übersetzten - Wortlaut: "Wir verordnen, setzen und wollen mit dem Rat unserer Landschaft, dass forthin überall im Fürstentum Bayern sowohl auf dem Lande wie auch in unseren Städten und Märkten, die kein besondere Ordnung dafür haben, von Michaeli bis Georgi ein Maß oder ein Kopf Bier für nicht mehr als einen Pfennig Münchener Währung und von Georgi bis Michaeli die Maß für nicht mehr als zwei Pfennig derselben Währung, der Kopf für nicht mehr als drei Heller bei Androhung unten angeführter Strafe gegeben und ausgeschenkt werden soll. Wo aber einer nicht Märzen-, sondern anderes Bier brauen oder sonstwie haben würde, soll er es keineswegs höher als um einen Pfennig die Maß ausschenken und verkaufen.

Ganz besonders wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen. Wer diese unsere Anordnung wissentlich übertritt und nicht einhält, dem soll von seiner Gerichtsobrigkeit zur Strafe dieses Faß Bier, so oft es vorkommt, unnachsichtlich weggenommen werden.

Wo jedoch ein Gauwirt von einem Bierbräu in unseren Städten, Märkten oder auf dem Lande einen, zwei oder drei Eimer Bier kauft und wieder ausschenkt an das gemeine Bauernvolk, soll ihm allein und sonst niemandem erlaubt und unverboten sein, die Maß oder den Kopf Bier um einen Heller teurer als oben vorgeschrieben ist, zu geben und auszuschenken".

Nach dem 11. Mai 1516 München-Angerviertel * Eine Prostituierte aus dem "Frauenhaus" [= "Stadtbordell"] stirbt.

Sie wird aus der Stadt gebracht und vom "Züchtiger" auf freiem Feld begraben.

1517 München * Weder die vorhandenen"Ratsprotokolle"noch die"Kammerrechnungen"enthalten den geringsten Hinweis auf das Herrschen einer Pest in München.

Auf dieses "Pestjahr"geht - angeblich - der im "Glockenspiel des Neuen Rathauses" dargestellte "Schäfflertanz" und der "Metzgersprung" zurück. Der "Schäfflertanz" entwickelt sich auch erst im 18. Jahrhundert.

1517 München * Herzog Wilhelm IV. zieht einen Schlussstrich unter den sogenannten "Bäcker-Brauer-Streit" um die

Seite 63/814 "Hefezubereitung".

1517 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Zwischen 1517 und 1519 wird der "Rote Turm" zur Verteidigung der "Isarbrücke" erbaut.

12. Januar 1519 Wels * Kaiser Maximilian I. stirbt gegen 3 Uhr früh auf der Burg in Wels im Alter von 60 Jahren. Zur Buße hat er verfügt, dass seine Leiche gegeißelt, seine Haare geschoren und seine Zähne eingeschlagen werden. Dennoch seien seine Pferde in Tränen ausgebrochen und hätten in tiefer Trauer tagelang nichts gefressen.

1520 Deutschland * Martin Luther, der Verfechter der neuen Lehre, schreibt in seinem Pamphlet "An den christlichen Adel deutscher Nation" zum Thema "Frauenhäuser" folgendes:

"Zuletzt, ist das nicht ein jämmerlich Ding, dass wir Christen unter uns sollen halten freie, gemeine Frauenhäuser; so wir alle sind zu Keuschheit getauft? Ich weiß wohl, was etliche dazu sagen [...], besser ein solches, denn etliche und Jungfrauen-Personen oder noch ehrlichere zu Schanden machen.

Sollten aber hier nicht bedenken weltlich und christlich Regiment, wie man demselben nicht mit solch heidnischen Weise möchte zuvorkommen".

1520 Haidhausen* Das"Haidhauser Kreuz"in der alten"Sankt-Johann-Baptist-Kirche"ist gegenüber der Kanzel angebracht.

Es steht den Werken von Hans Leinberger nahe.

8. Mai 1521 Worms * Als Folge der päpstlichen Bannbullevom 3. Januar 1521 wird in Worms von Kaiser Carl V. das Ediktgegen Martin Luther erlassen.

Über Luther wird die Reichsachtverhängt und außerdem das Lesen und die Verbreitung seiner Schriften verboten. Luther kann von jedermann, der seiner habhaft wird, an Rom ausgeliefert werden. Seine Beherbergung ist bei Strafe verboten.

23. August 1521 Augsburg ? Jakob Fugger der Reiche unterzeichnet - auch im Namen seiner verstorbenen Brüder Georg und Ulrich -die Stiftungsurkunde für eine Reihenhaussiedlung für bedürftige Augsburger, die Fuggerei.

Seite 64/814 Januar 1522 Kreuzviertel * Der "Augustinereremit" Leonhard Beier, ein Münchner Bürgersohn, wird für drei Jahre in den "Falkenturm" gesperrt, nachdem er die "Wittenberger Artikel" in das Münchner Kloster bringt.

Sie stellen unter anderem jedem Mönch frei, das Kloster zu verlassen.

5. März 1522 München * Im Religionsmandatbeziehen die gemeinsam regierenden Herzöge Wilhelm IV. und Ludwig X. Stellung gegen Martin Luther und die neue Lehre. Das Lesen und die Verbreitung lutherischer Schriften wird unter Strafe gestellt.

1523 München-Graggenau * Am "Marktbrunnen" wird eine Glocke angebracht.

Mit ihr wird die "Marktzeit" ein- und ausgeläutet.

Etwa 1525 München-Graggenau * Der "Marktbrunnen" trägt die Bezeichnung "Fischbrunnen", weil bei ihm der "Fischmarkt" stattfindet.

1526 München - Landshut * Von den Herzögen Wilhelm IV. und Ludwig X. wird im wiedervereinigten Baiern erneut eine "Ordnung der Klaider" mit dem Untertitel "Von Überflißigkeit der Klaider" erlassen.

Diese mit den "Landständen" abgestimmte "Bekleidungsvorschrift" ist sehr umfangreich und ausführlich. Sie teilt die baierische Bevölkerung in 17 Gruppen ein, was jedoch keine rangmäßige Einstufung bedeutet.

So bilden die Frauen und Töchter des "Adels", der "Patrizier-Geschlechter", der "Kaufleute und reichen Bürger" sowie der "Handwerksmeister" jeweils eine eigene Gruppe.Die dem "Hofgesindt" zugerechneten oberen Beamten wie die "fürstlichen Räte" und die "nicht-adeligen Sekretäre" sind mit den "Patrizier-Bürgergeschlechtern" gleichgestellt.

Der ebenfalls zum "Hofgesindt" gehörende höhere Beamtenstand, wozu die "fürstlichen Pfleger, Richter, Kastner, Mautner, Zöllner, Ungelter, Forstmeister, oberste Jäger, Futterschreiber, Küchenschreiber" und "Mundköche" gehören, sind kleidungstechnisch im selben Rang wie die "Kaufleute und die reichen Bürger".

Der "gemeine Bürger" ist dem "Handwerksgesellen" und der "Tagelöhner" dem "Bauern" gleichgestellt. Das ergibt insgesamt acht "Standesgruppen".

8. Februar 1527 München * Der erste "Wiedertäufer" wird in München durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen hingerichtet.

Es handelt sich um den "Klosterwagner von Fürstenfeld" Georg Wagner aus Emmering bei Bruck.

Seite 65/814 6. Mai 1527 Rom* Der "Sacco di Roma" beginnt. Die Erstürmung, Plünderung und Besetzung Roms durch deutsche Landsknechtedauert bis zum 17. Februar 1528. Die Stadt fällt den Landsknechten wie eine reife Frucht in den Schoß, weil die völlig korrupte und seit Jahrzehnten ein Lotterlebenführende römische Oberschicht nicht in der Lage ist, sich gegen die enthemmt wütende Soldateskazu wehren.

Die Kirchen Roms werden zu Pferdeställen, Bordelle und öffentlichen Toiletten umgewandelt. Die Mätressen, aber auch die Nichten der Kirchenfürsten, die Frauen und Töchter der Fürsten und Herzöge sowie jede Nonne, die sie fangen, vergewaltigten sie und tun das am Liebsten unter dem Hochaltar.

Sie notzüchtigten die Damen des Adels im Beisein ihrer Ehemänner, Väter und Brüder. Sie foltern die Häupter der ältesten und reichsten römischen Feudalgeschlechter viele Wochen lang.So lange, bis sie auch die letzten Verstecke verraten, in denen sie ihre Frauen und ihr Gold versteckt haben.

Juni 1527 München * Der aus Weißenburg im Bistum Eichstätt stammende ehemalige Priester Leonhard Dorfbrunner predigt in München als "Wiedertäufer" und tauft vier Bürger.

30. Januar 1528 München * In München werden sechs Wiedertäufer, biedere Münchner Handwerker zumeist, die ihrem Glauben treu geblieben sind, "an gewöhnlicher Brandstatt", in einer eigens gefertigten Stube, verbrannt. Es handelt sich um die Brüder Meister Michel und Meister Caspar, beide Steinmetzen, um einen ScheffleChristoph, um Dietrich Kramer, Melchior Oxenfurter und Jörg Noichinger.

31. Januar 1528 München * Drei Frauen, die der Münchner Wiedertäufergemeindeangehören und ebenfalls zum Brand verurteilt wordensind, werden zuerst in der Isar ertränkt und danach verbrannt. Es sind die Ehefrauen des SchäfflersChristoph und des Dietrich Kramer sowie eine Paungartnerin.

2. Februar 1528 München * Von den zwanzig begnadigten Wiedertäuferwerden 19 barfuß, barhäuptig, jeder mit einer brennenden Kerze und ein hölzernes Kreuz tragend vor die Peterskircheund die Frauenkirchegeführt. Dort müssen sie in Begleitung von Seelschwesternstehen. Die Prozedur wiederholt sich an den beiden folgenden Sonntagen.

17. Februar 1528 München * Von den zwanzig begnadigten Wiedertäufernwerden zehn aus der Haft entlassen. Die restlichen Zehn werden Ende Februar, im März, im Mai und einer erst im August entlassen.

1530 München * Der Rat der Stadt ändert die schon länger bestehende "Bettelordnung".

Sie verbietet allen "Bürgern und Gästen beiderlei Geschlechts" das "Betteln" und gestattet es nur denjenigen, die

Seite 66/814 vom "Rat" die ausdrückliche Erlaubnis dazu haben. Diese drückt sich eben im Tragen des "Bettelzeichens" aus.

Zur Erteilung der "Bettelerlaubnis" muss aber zuvor die "Bedürftigkeit" nachgewiesen werden.

Dazu gehört neben der Darlegung des Personenstandes, der Kinderzahl und der Vermögensverhältnisse, die Bestätigung des "Beichtvaters", dass der Antragsteller im vergangenen Jahr mindestens einmal gebeichtet und die "Absolution" erhalten hat.

Der "Hausbettel" ist nach der "Bettelordnung" strengstens verboten. Hauptsächlich vor den Kirchentüren, nicht aber im Kircheninneren ist das "Betteln" erlaubt.

Missgestaltete, behinderte Bettler müssen ihre "Gebersten" bedecken, damit "schwangere Frauen" durch den Anblick "nicht Schaden nehmen". Es dürfen auch keine "gemalten Bilder, wunderliche Tiere und sonstige Schaustücke" gezeigt werden. Lediglich Singen ist ihnen gestattet. Den Schülern ist das "Betteln" nur dann zu genehmigen, wenn sie in der Schule "fleißig und gehorsam" waren und für bettelnde "Wöchnerinnen" werden gesonderte Zeichen bereitgehalten.

Es werden vier "Bettelmeister" bestellt.

Deren Hauptaufgabe ist die "gerechte Auswahl" der "berufsmäßigen Bettler". Halbjährlich müssen sie die Inhaber der "Bettelzeichen" - gemeinsam mit ihren Kindern - an einem Ort zusammenkommen lassen und prüfen, ob ihre Bedürftigkeit auch weiterhin besteht. Für die Einhaltung der "Bettelordnung" sind die "Bettelknechte" verantwortlich.

Sie müssen vor ihrem Amtsantritt "geloben und schwören", dass sie niemanden bevorzugen oder benachteiligen und dass sie sich nicht bestechen lassen.

Anno 1530 München * Der Rat der Stadt erlässt eine "Ordnung wider die Laster", die sich vor allem gegen die "Winkelhurerey" außerhalb des "Frauenhauses" wendet.

In dem Dekret heißt es: "Glaubhaften Berichten zufolge trieben etliche unverschämte Weibspersonen öffentlich innerhalb und außerhalb der Stadt, unter den Kramen am Marktplatz, in Ställen, in der Au etc., bei Tag und bei Nacht Unzucht".

10. Juni 1530 München * Kaiser Carl V. hält sich vom 10. bis zum 14. Juni in München auf. Der Besuch des Kaisers ist natürlich der gesellschaftliche Höhepunkt der Residenzstadt in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Seite 67/814 Als sich am Freitag vor Pfingsten der ranghöchste deutsche Adelige in Begleitung seines Bruders, König Ferdinand von Böhmen, mehreren Herzögen, Mark- und Pfalzgrafen sowie geistlichen Würdenträgern, den Mauern der Stadt nähert, veranstalten die Münchner ein Riesenspektakel mit einer unglaublichen Prachtentfaltung.

10. Juni 1530 München - Haidhausen * Nach der Schlacht bei Haidhausen setzt sich der Zug wieder in Richtung München in Bewegung. Als die hochgestellten Persönlichkeiten von der Stadt aus sichtbar werden,

beginnen alle Glocken Münchens zu läuten, von den Türmen und Stadtmauern begrüßen Freudenschüsse die Gäste, von der Isarbrücke aus gibt es ein Fischerstechen zu sehen und über dem Isartor schwebt ein Ballon in Gestalt eines fliegenden Drachens. Hoch in der Luft, noch über dem Ballon, werden weißblaue Fahnen mit dem baierischen Wappen sichtbar, die ein Taubenschwarm trägt.

Auf dem weiteren Weg können von den hochrangigen Gästen dann noch die damals so beliebten lebenden Bilder besichtigt werden. Sie stoßen auf um so größeres Interesse, je blutiger es dabei zugeht. Und die Münchner sollen an diesem Pfingstfreitag voll auf ihre Kosten kommen.

Auf einer Bühne bei der Hochbrücke im Tal sehen die Besucher die Geschichte der Königin Esther, die als Gemahlin des persischen Königs Xerxes ihren jüdischen Glaubensbrüdern zu blutiger Rache verhilft. Das zweite Bild zeigt die Skythenkönigin Tomiris, wie sie das abgeschlagene Haupt des Cyrus in einen Eimer voll Blut stößt. "Der Schauplatz bei den städtischen Fleischbänken war dafür nicht übel gewählt", schreibt Sigmund Riezler lapidar dazu. Auf der dritten Bühne - an der Burgstraße - lässt der Perserherrscher Kambyses einen ungerechten Richter schinden und mit dessen Haut einen Sessel polstern, auf den sich der Sohn des Bösewichts setzen muss, um als Nachfolger seines Vaters später einmal gerecht zu urteilen. Andere Bilder zeigen das Herausreißen des Herzens aus einer geöffneten Brust durch einen Wilden und ähnliche Grässlichkeiten, die aber durchwegs mit Wohlgefallen und Zustimmung aufgenommen werden.

Nur der Kaiser zeigt sich - nach Aussage eines Augenzeugen - "ein wenig befremdet ob des vielen Blutes?.

Dem päpstlichen Legaten Campeggi "schien es gut zu sein, Seiner Majestät zu sagen, dass die Szenen nicht ohne geheime Anspielung gemacht seien, und dass man sie auf die Ketzer beziehen könne, gegen welche man, wenn sie den von Seiner Majestät gebotenen Gottesfrieden nicht annehmen wollen, die eisernen Ruten brauchen werde".

10. Juni 1530 München-Graggenau * Am Abend brennen die Münchner Gastgeber auf dem Schrannenplatz noch ein gewaltiges Feuerwerk ab, wobei man am Schluss ein aus Pappe und Stoff zusammengezimmertes, schlossähnliches Bauwerk den Flammen übereignet.

Seite 68/814 11. Juni 1530 München-Graggenau * Danach gibt es im Lusthaus im Hofgarten ein Menü. "Um ein Uhr nachts", nach dem 32. Gang, gibt der Kaiser das Zeichen zum Aufbrechen. Man verlässt den Hofgarten, um anschließend am Tanz im Rathaus teilzunehmen, wo "die schönsten Frauen des Landes bis gegen vier Uhr früh morgens im Reigen sich schwangen".

Der 70.000 Gulden teuere Prunk und Glanz soll beim Habsburger Kaiser den Eindruck entstehen lassen, dass bei den Wittelsbachern kein Mangel besteht. Das dazu notwendige Geld hat der Baiernherzog Wilhelm IV. ein Jahr zuvor dem Volk als Türkenkriegssteuer abgepresst.

14. Juni 1530 München - Augsburg * Kaiser Carl V. und sein Gefolge verlassen München in Richtung Augsburg, wohin er einen Reichstageinberufen hat. Dort sollen die Religionsparteiengeeinigt werden, doch der Kaiser will "die lutherische Ketzerei in Deutschland mit Stumpf und Stil ausrotten".Denn genau dieses Versprechen hater am 24. Februar 1530Papst Clemens VII. jagegeben.

1533 München * Der baierische Geschichtsschreiber Johannes Thurmair, genannt "Aventinus", charakterisiert das baierische Volk in seiner "Chronik" folgendermaßen:

"Das Bayrisch volck (gemainlich davon zu reden) ist geystlich schlecht [schlicht] und gerecht, get, läuft gern kyrchferten, hat auch viel kyrchfart; legt sich mer auf den ackerpau und das viech, dan auf dy krieg [...] bleibt gern dahaim, rayst nit vast auß in frembde land; trinckt seer, macht vil kinder [...].

Der gemain man, so auf dem gä [Gäu] und land sitzt, gibt sich auf den ackerpau vnd das viech, ligt demselbigen allain ob, darf sich nichts, on geschafft [Befehl] der öbrikait understeen, wirdt auch in kaynen rat genomen oder landschaft erfordert. Doch ist er sunst frey, mag auch frey ledig aigen gyeter [Güter] haben, dient seynem herren, der sunst kain gewalt yber yn hatt, Järliche gü1t, zins und scharwerck.

Thut sunst was er will, sitzt tag und nacht bey dem weyn, schreyt singt tanzt karrt [spielt Karten] spielt [spielt Würfel]; mag wer [Waffen] tragen, schweinspies, und lange messer".

1533 München * Der "baierische Historiker" Johann Turmair, genannt "Aventinus", schreibt folgende Zeilen über die Gründung Münchens:

"Herzog Hainrich, der zwelft herzog in Bairn, hat die stat München gepaut auf des closters von Scheftlarn grunde, darumb man die stat München hat genent und füret ein münich für ir wappen. Damals war der salzhandl niderlag zu Vering underhalb München, gieng die straß von Reichenhal und Wasserburg durch, gehört dem stift Freising zue. Herzog Hainrich verprent Vering die stat, prach die pruck über die Iser ab, legt maut und zol, die straß und allen handl in sein stat München".

Diese "Raubrittergeschichte" hat sich seitdem unauslöschlich in die Gehirne bayerischer Schulkinder und Erwachsener eingebrannt.

Seite 69/814 Mit dieser Schilderung geht "Aventinus" jedoch mit viel Phantasie weit über die knappen Angaben des "Regensburger Urteils" vom 13. Juli 1180 hinaus.

Denn darin finden sich zu diesem Sachverhalt nur die folgenden Zeilen: "[...], dass der Edelmann Heinrich von Braunschweig, [...] den Markt mit der Brücke in Föhring, den seine Kirche seit uralten Zeiten ungestört in Besitz gehabt hatte, zerstört und ihn gewaltsam in den Ort Munichen verlegt habe".

Von der Brandschatzung des gesamten Ortes Föhring steht im "Regensburger Urteil" ebenso wenig, wie sie Auskunft gibt, wie stark der Markt und die Brücke zerstört wurden.

Außerdem ist Johann Turmair der "Augsburger Schied" vom 14. Juni 1158 nicht bekannt, da diese für die "Münchner Stadtgründung" so elementar wichtige Urkunde erstmals im Jahr 1582 veröffentlicht werden wird.

Also nimmt der Historiker die ihm zugänglichen Informationen und zieht daraus seine Schlüsse. Und tatsächlich deutetim "Regensburger Urteil" von 1180 nichts auf die Existenz einer früheren - einvernehmlichen - Abmachung hin. Allerdings wird der Welfenherzog als Rechts- und Friedensbrecher dargestellt.

1534 Rom * Die Gesellschaft Jesuwird von dem ehemaligen Offizier Ignatius von Loyola gegründet und wie ein Militärverband aufgebaut. Ihr Tätigkeitsfeld sehen die Jesuitenvor allem in der geistigen Erneuerung und Seelsorge. In der Folgezeit entwickelt er sich zum Kampforden der katholischen Kirche.

Der JesuitLamormain wird viele Jahre später behaupten:"Wenn es nicht die Schulen der Gesellschaft gegeben hätte, die nach dem weisen Ratschluss der Kaiser und Erzherzöge in Wien, Prag, Graz, Olmütz und anderenorts in Deutschland gegründet wurden, dann wäre von der katholischen Religion kaum eine Spur übrig geblieben."

1536 Nürnberg * Der Rat der Reichsstadt Nürnberg verbietet den scheinbar weit verbreiteten "Besuch von Zauberern und Wahrsagern".

1538 Obergiesing * Zur "Hauptmannschaft Obergiesing" gehören Haidhausen, die Au, Niedergiesing, Putzbrunn, Höhenkirchen, Bogenhausen und Obergiesing.

1541 München-Angerviertel * Der Brauer Jörg Heiß gründet an der Ostseite der Sendlinger Straße den späteren "Singlspielerbräu".

1542 München * Die "Agnes auf dem Färbergraben" erhält einen "Stadtverweis".

Seite 70/814 Da sie zuerst mit dem "Kapellmeister" Ludwig Senfl und danach mit dem "Dechant" der Frauenkirche "in Unehren gehaust" hat, verdächtigt man sie nun, dass sie mit ihren Liebestränken den beiden Würdenträgern "Vernunft, Gedächtnis und die Leibsgesundheit" geraubt hätte.

In der "Schergenstube" wird sie vom Henker "mit Daumenstock und Nagelbrand" zum Geständnis gebracht.

1544 München - Herzogtum Baiern * Im Herzogtum Baiern orientiert man sich vorläufig noch an dem "Strafrechtskommentar" des Andreas Perneder.

Diese ist für die "Strafrechtspraxis" im Herzogtum wichtiger als die von Kaiser Carl V. im Jahr 1532 erlassene "Constitutio Criminalis Carolina".

Der baierische Kommentar kennt nur die "Strafbarkeit des Schadenszaubers". Den sonstigen "Aberglauben", insbesondere die "weiße Magie", hält Perneder dagegen nicht für strafbar.

3. August 1548 München - Degenberg * Reichsfreiherr Hans VI. von Degenberg erhält von Herzog Wilhelm IV. das Privileg, im nordostbayerischen Raum "vor dem Behaimer Waldt ennhalb der Thunaw (Donau)" Weißbier zu Brauen und zu verkaufen. Der Degenberger betreibt Brauhäuserin Zwiesel, Schwarzach und Linden.

Ab dem Jahr 1550 München * Bis zum Jahr 1800 sind die "Weinschenken" und "Handelsleute" die eigentlichen "Vertreter der Bürgerschaft".

In dieser Zeit findet sich in dem aus 24 Mitgliedern bestehenden "äußeren Rat" weder ein "Handwerker, Bäcker oder Metzger", auch kein "Brauer".

1550 Rom * Das Verbot des Gebrauchs von Kutschen für "Kurtisanen" ist ein harter Schlag für das "Kurtisanenwesen", weil sich Kutschen als besonderer Luxus und somit als Statussymbol ersten Ranges darstellen.

Das Verbot ist das am häufigsten überschrittene Gesetz und eine reich sprudelnde Einnahmequelle des "Kirchenstaates".

Andere Maßnahmen erschweren zwar das Leben der "Kurtisanen", können die gehobene "Prostitution" aber nie ernsthaft eindämmen. Das liegt freilich auch an der wenig konsequenten Durchführung der Maßnahmen.

1551 München-Graggenau * Die "Stadtschreiberei", das "Amt für Goldwäscherei" und ein "Wein•stadel" werden im Haus an der Dienerstraße 20/Burgstraße 5 untergebracht.

Der "Hofmaler" Hans Mielich fertigt die Bemalung des Hauses im Stil des "Manierismus".

Seite 71/814 1552 Ingolstadt * Da - nach dem plötzlichen Tod des Herzogs Wilhelm IV. - das versprochene Kollegin Ingolstadt nicht errichtet wird, zieht Ignatius von Loyola seine Ordensbrüder wieder ab.

1553 München * Festlegung der "Brauperiode für untergäriges Bier" auf die Zeit vom 29. September (Michaeli) bis 23. April (Georgi).

Sie gilt bis 1850.

2. März 1553 Einbeck * Im Auftrag von Herzog Albrecht V. werden aus Einbeck zwei Wagen mit dem berühmten Bier der Stadt beladen und erstmals auf den Weg nach München geschickt.

An dem aus dem Braunschweigischen stammenden "Edelstoff" stimmt - im Gegensatz zu dem ebenso wässrigen wie qualitativ sehr wechselhaften Münchner Bier - einfach alles. Die Lieferung erfolgte auf der Strecke Einbeck - Erfurt - Nürnberg nach München.

2. April 1553 München * Die Lieferung mit dem berühmten Bier aus Einbeck kommt in München an. Sie ist seit dem 2. März auf 600 Kilometer lange Wegstrecke. Als Spediteure fungieren Nürnberger Handelshäuser, die damit gutes Geld verdienen.

Die lange Reise des Edelstoffesaus dem protestantischen Norden

ändert nichts an der dunklen Farbe des Bieres; auch der kräftige Geschmack bleibt erhalten und selbst die nicht geringen Alkoholprozente kommen unverändert in München an.

Doch eines hat sich während der langen Reise massiv verändert: der Preis.

Das Bier verteuert sich durch die weiteren Belastungen an "Zehrung" für die Mannschaft und die Pferde sowie durch die Zölle und Mauten auf etwa das Dreifache.

1554 München-Kreuzviertel * Die Stadt lässt nördlich des "Neuhauser Tores" ein zweites "Brunnwerk" errichten, das sogenannte "Gasteiger Brunnhaus" am heutigen "Künstlerhaus".

1554 Ingolstadt * Herzog Albrecht V. erteilt Philipp Apian den Auftrag, das Herzogtum Baiern kartographisch zu erfassen.

Seite 72/814 Der Herzog gefällt sich als Förderer der Wissenschaft, weshalb er seinen Ingolstädter Studienkollegen mit diesem Mammutprojekt betraut. Die Karten sollen die 1526 bis 1533 entstandene "Bairische Chronik" des Johannes Aventinus ergänzen.

"Sechs oder schier sieben Summer", von 1554 bis 1561, reitet Philipp Apian mit seinem Bruder Timotheus und einem Vermessungsgehilfen Ober- und Niederbaiern, die Oberpfalz, das Erzbistum und Hochstift Salzburg und das Bistum Eichstätt und führt Landvermessungen durch.

Das zu bearbeitende Gebiet umfasst rund 50.000 Quadratkilometer.

1555 München * Die ältesten Münchner "Wasserbriefe" beurkunden die Wasserabgabe aus den städtischen "Brunnhäusern" an Privatpersonen.

1555 Au * Die "Riegermühle" wird durch Herzog Albrecht V. neu erbaut.

25. September 1555 Augsburg* Auf dem Augsburger Reichstagwird ein Reichsgesetzverkündet, das die religiös-politischen Verhältnisse im Reich regelt und damit die Glaubensspaltung festschreibt.

Im Augsburger Religionsfriedenwerden lutherische Protestanten- nicht die Reformierten - den Katholikenreichsrechtlich gleichgestellt. Der Landesherr kann über die Konfession seiner Untertanen bestimmen.Andersgläubige dürfen das Land verlassen. Später wird der Grundsatz auf die griffige Formel "Cuius regio, eius religio" ["Wessen die Herrschaft, dessen Glaube (gilt)"] gebracht.

29. Oktober 1555 Au * In einem Lehensbrief wird die Übergabe der Mühle in der Au an Melchiors Sohn, Ulrich Diefstetter, beschrieben.

"Von gottes genaden Wir Albrecht Pfalenzgraue bei Rhein, Hertzog in Obern und Nidern Bairn Bekennen mit dem offen brief, Das Wir Ulrichen Diefsteter Klingenschmid dem Mullschlag Ihenhalb [jenseits] der Iser an dem Rain auf dem pach zwischen der Mull Neideckh vnnd der Yserbrukchen, darauf yetzt ain Plathamer vnnd Schleifmull stet, mit sambt den Wasserflussen daselbey, in vnnserm Lanndgericht Wolfertzhausen gelegen, [...] zur rechten lehen verliehen haben, vnnd verleihen Ime solches alles vnnd yedes mit seinen erenrechten gerechtigkaiten ein vnnd zuegehorungen hiemit wissentlich vnnd crafft ditz briefs [...]."

1556 Au * Das "Wasserhaus auf dem Isarberg" wird auf den neuesten Stand der Technik gebracht.

1556 Ingolstadt * Herzog Albrecht V. beruft die Jesuitenan die Universität nach Ingolstadt, um durch sie den radikalen

Seite 73/814 Verfall der theologischen Fakultätzu stoppen.

Seit dem Jahr 1556 München-Kreuzviertel * Das Anwesen Neuhauser Straße 42 ist im Besitz von verschiedenen Brauern.

23. August 1556 Regensburg ? * Kaiser Carl V. verzichtet zu Gunsten seines Bruders Ferdinand I. auf die Kaiserwürde.

Februar 1559 Schloss Tilly * Johann Tserclaes Graf von Tilly wird in Brüssel oder in dem 35 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegenen Schloss Tilly geboren.

13. Oktober 1559 München-Kreuzviertel * Die ersten zwei Jesuitenpaterkommen in München an, um hier im Auftrag von Herzog Albrecht V. eine Schule zu eröffnen. Sie bewohnen zunächst einen Teil des Augustinerklosters.

Nach 1560 Europa * Die Missernten haben aufgrund der Klimaveränderung nach 1560 stark zugenommen.

Der Mechanismus einer "Agrarkrise" lässt sich vereinfacht wie folgt darstellen: Das Ergebnis einer klima- oder unwetterbedingten "Missernte" ist die "Verknappung der Grundnahrungsmittel", was bis ins 19. Jahrhundert hinein immer das "Brotgetreide" betrifft.

Die unmittelbare Folge davon ist eine "Teuerung", die dazu führt, dass große Teile der Bevölkerung hungern oder an Unterernährung leiden. Dieser verschlechterte Allgemeinzustand bewirkt oft das Auftreten von epidemischen Krankheiten oder eine stark erhöhte Krankheitsanfälligkeit.

Dieser Zyklus dauert bis zur nächsten Ernte, also bis zum Spätsommer des folgenden Jahres. Folgt aber in der Zwischenzeit eine weitere "Missernte", erhöht sich der Schaden um ein Vielfaches.

Die "Perioden der Teuerung" treten um das Jahr 1560 häufiger auf und dauern länger. Diese "Hungerkrisen" betreffen große Teile Europas, weshalb neue "Hexenverfolgungen" beginnen und in den verschiedenen Ländern zu einer Verschärfung der "Hexen-Gesetzgebung" führen.

Die Verfolgung der "Hexen" ist nicht von der konfessionellen Überzeugung der Verfolger abhängig. Auch drängen sich nach der "Reformation" die katholisch gebliebenen Gebiete - wie man gerne unterstellt - nicht in den Vordergrund.

Im Gegenteil: In Spanien hat sich die "Inquisition" seit dem Jahr 1526 auf eine sehr gemäßigte Position zurückgezogen. In Italien führt eine Debatte in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zu einem deutlichen Widerstand gegen die "Hexenverfolgungen" in den oberitalienischen Alpentälern.

Seite 74/814 Anders verhält es sich mit den "Hexenverfolgungen" in Deutschland. Hier beginnen die "Protestanten" achtzig Jahre später dort, wo die "Katholiken" in den 1480er Jahren aufgehört haben, nämlich im deutschen Südwesten.

Ab dem 1560 München-Graggenau * Herzog Albrecht V. lässt für seine Ehefrau, die Erzherzogin Anna, einen neuen "Lustgarten", mit "Lusthaus", "Arkadengang", "Ziertürmen" und aufwändigen "Wasseranlagen" anlegen.

Der sogenannte "Annagarten" entsteht nördlich des "Alten Hofgartens" und bildet den Ausgangspunkt für die späteren Anlagen unter Herzog/Kurfürst Maximilian I..

1561 Herzogtum Baiern * Bereits während der Regierungszeit des Baiernherzogs Albrecht V., wird in Altbaiern der Versuch unternommen, Maulbeerbäume anzupflanzen.

Nennenswerte Erfolge bleiben seinerzeit allerdings aus. Jedenfalls wird von einem nutzbringenden Erfolg später nicht mehr berichtet.

31. Oktober 1561 München * Im sogenannten Albertinischen Rezeßwird der Grenzverlauf des Münchner Burgfriedensneu festgelegt und dabei das rechtsisarische Gebiet erheblich erweitert. Herzog Albrecht V. bestimmt, dass der "Wasserturm und der Farthweg auf dem Gasstach"zum Münchner Burgfrieden gehören soll.

31. Oktober 1561 München * Mit dem Albertinischen Rezeßkommt es zu einer weiteren verfassungsrechtlichen Verbesserung für die Stadt München. Damit werden die Müller, Kalt- bzw. Kupferschmiede und die Bierbrauer der Gerichtsbarkeit der städtischen Obrigkeit unterstellt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat dieser Personenkreis eine Sonderstellung eingenommen.

Außerdem wird die vermutlich schon vorher tatsächlich ausgeübte Blutgerichtsbarkeitder Stadt durch Herzog Albrecht V. als gegeben hingenommen. Umgekehrt nimmt nun aber der Landesherrverstärkt Einfluss auf die Auswahl und die Besetzung der Stadtrichter. So muss sich der Stadtoberrichterals höchster städtischer Richter, bei seinem Amtsantritt erst den Blutbannvom Herzog übertragen lassen. Damit ist die Doppelbindung des obersten städtischen Juristen an Stadt und Herzog festgeschrieben.

1562 München * In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ändert sich die Einstellung zu den "Armen" grundlegend.

Martin Luther und später auch die katholischen Reformer lehnen jede Form von "Bettel" ab und fordern eine Versorgung aller "Arbeitsunfähigen" auf Kosten der Gemeinde.

Dies findet in der letzten rein städtischen "Münchner Bettelordnung" ihren Niederschlag. Die "Armenversorgung" wird auf die Basis eines "Unterstützungsfonds", dem "Stock-Almosen", gestellt.

Seite 75/814 Freiwillige Spenden, Gelder aus Opferstöcken, Sondersammlungen in Kirchen und Klöstern und die Erträge aus den Haussammlungen sollen eine gezielte Versorgung der "Armen" gewährleisten. Dazu ziehen jeden Freitag vier "Biedermänner" mit Sammelbüchsen von Haus zu Haus und ersetzen damit die bisher üblichen Bettelgänge der "Armen".

Die Sammlungen erhalten den Namen "Freitagsbrot".

3. August 1562 Südwestdeutschland * Ein großes Hagelunwettervernichtet - zu Beginn der Erntezeit - den Wein und das Getreide - und damit das täglich Brot. Das Unwetter löst die erste große Hexenjagd der Neuzeitaus.Alleine in der kleinen protestantischen Herrschaft Wiesensteigwerden 63 Hexenverbrannt. Die Verfolgungen werden relativ spontan und gesetzlos durchgeführt.

1563 München * Petrus Canisius, der wortgewaltige jesuitische Ordensprovinzial für Oberdeutschland, schreibt:"Überall bestraft man die Hexen, welche merkwürdig sich mehren. Ihre Freveltaten sind entsetzlich. [...] Man sah früher in Deutschland niemals die Leute so sehr dem Teufel ergeben und verschrieben. [...] Sie schaffen viele durch ihre Teufelskünste aus der Welt und erregen Stürme und bringen furchtbares Unheil über Landleute und andere Christen.Nichts scheint gesichert zu sein gegen ihre entsetzlichen Künste und Kräfte".

Ohne jeden Zweifel an der Existenz der Hexenverbrechenoder Kritik an den angewandten ungesetzlichen Inquistitionsverfahren, das gegen alle strafprozessrechtlichen Bestimmungen der "Carolina" verstößt, predigt er im Augsburger Domüber die in Wiesensteig und im schwäbischen Raum stattfindenden Hexenverfolgungen.

Die juristischen und medizinischen Einwände interessieren den Jesuitennicht. Für ihn steht die Theologieweit über der Jurisprudenz.

1563 München * Philipp Apian legt Herzog Albrecht V. die von ihm in Auftrag gegebene circa sechs mal sechs Meter große "Baiernkarte" vor.

1563 München-Graggenau * Melchior Bocksberger erhält eine hohe Summe ausbezahlt.

Wahrscheinlich für die Deckenbilder im Saal des "Lusthauses" im neuen herzoglichen "Lustgarten".

12. April 1563 München-Isarvorstadt * Der "Alte Südliche Friedhof" vor den Mauern der Stadt wird eingeweiht.

Das Anwachsen der Stadt hat eine Erweiterung der bestehenden Beerdigungsplätze - gerade für die einfache Bevölkerung - notwendig gemacht. Er dient der Stadt aber auch als "Pestfriedhof".

Seite 76/814 16. April 1564 Rom-Vatikan - München * Papst Pius IV. gestattet den "Laienkelch", also die "Kommunion in beiderlei Gestalt", auch im Herzogtum Baiern.

Das päpstliche "Breve" kommt zu spät, da Herzog Albrecht V. seine Meinung inzwischen geändert hat und nun gegen den "Laienkelch" kämpft.

1. Oktober 1564 München * Herzog Albrecht V. veröffentlicht den ersten Index verbotener Bücher, der von einer Kommission des Konzils von Trienterarbeitet worden ist.

Um Oktober 1565 Freising * Da Herzog Albrecht V. seinen zehnjährigen Sohn Ernst auf einen Bischofsstuhl unterbringen will, gibt der Freisinger Bischof Moritz von Sandizell seine "Resignation" zugunsten des Prinzen bekannt.

1566 Rom-Vatikan - München * Papst Pius V. gibt die "Toleranz" gegenüber dem "Dirnenwesen" auf.

Am Ende appellieren sogar die katholischen Pfarrer an den Rat der Stadt, das "Frauenhaus" zu schließen. Sie beziehen sich dabei - wie die "Reformierten" - auf die Aussagen der Bibel gegen die "Hurerei".

1566 München * Philipp Apian lässt auf der Basis der "Großen Karte" von Jost Amman Holzschnitte im kleineren Maßstab von 1 : 144.000 anfertigen.

Diese in 24 Holzschnitten aufgeteilten sogenannten "Bairischen Landtafeln" verlegt Philipp Apian in seiner eigenen Druckerei. Die Genauigkeit der Landkarten wird erst im 19. Jahrhundert übertroffen.

18. Oktober 1566 Rom-Vatikan - Freising * Nach längeren Verhandlungen genehmigt Papst Pius V. die Resignation [= freiwilliger Amtsverzicht] des Freisinger Bischofs Moritz von Sandizell. Damit kann der elfjährige Baiernprinz Ernst zum Bischof von Freising gewählt werden.

16. November 1566 München * Herzog Albrecht V. erlässt ein religiöses Mandat

zur Einhaltung des sonn- und feiertäglichen Gottesdienstes, die Aufforderung zu einem gottesfürchtigen Lebenund zur täglichen Verrichtung des Türkengebets.

Seite 77/814 Außerdem wird den Wirten verboten, an gebotenen Fasttagen, auch Freitagen und Samstagen, Fremden und Inländern öffentlich Fleisch zu essen zu geben.

9. Dezember 1566 München * Da im Frühjahr des kommenden Jahres ein Übergreifen der Türken von Ungarn aus nach Österreich zu befürchten ist, befiehlt Herzog Albrecht V. die Musterungin den Stadtvierteln.

6. August 1567 Au * Am Haßlang-Schlösschenin der heutigen Lilienstraße wird ein Triebwerk in den Auer Mühlbach eingehängt. Damals übergeben die Herzöge Sigmund und Albert dem Hanns Platner von der Rosen einen Platz zum Lehen, damit er eine Mühle und einen Hammer erbauen kann.

Die Urkunde hat folgenden Wortlaut: "Von gottes gnaden Wir Sigmund vnd Wir Albrecht gebrüdere Phallenz grauen bey Reine Hertzogen in Obern vnd Nidern Bairn [...] tun kunnt [...], Das wir vnnserm getrewen Hannsen Platner mit der Rosen von sunndern gnaden ainen Mulslag gelegen enthalb der Yser an dem Rain auf dem pach zwischen der Mul Neydegk und der Yserbrugken, Darauf er machen vnd slagen mag ain Sleifmul vnd obe er ainen platthamer auch darauf richten mocht [...]".

22. November 1567 München * Herzog Albrecht V. erlässt ein Mandat, das den Ausschank von Weißbierstark einschränkt.

Es darf fortan nur mit eigenem oder im Ausland gekauften Weizen gebraut werden. Der Ausschank von Weißbierist nur in den Städten und Märkten jenseits der Donau in Richtung Bairischer Walderlaubt. Neue Weißbierbrauereiendürfen bei Strafe nicht mehr errichtet werden, auch deshalb, weil beim Brauen große Mengen Weizen verschwendet werden.

Denn, so der Herzog weiter, das Weißbier ist "gar ein unnuez getranck, [...] das weder fueert noch nert, weder sterck, krafft noch macht gibt, und dahin gericht ist, das es die Zechleut, oder diejenigen dies trincken, nur zu mehrerm trincken raitzt und ursacht".Allerdings, mehr kann man sich doch von einem Getränk nicht erwarten.

24. Februar 1568 München-Graggenau * Herzog Wilhelm V. und Renata von Lothringen feiern auf dem Schrannenmarktmit einem festlichen Turnier (24. Februar) und anderen öffentlichen Unterhaltungen ihre Vermählung. Es findet sich im Glockenspielam Neuen Rathaus wieder.

1570 München-Graggenau * Die Holzbrücke zum herzoglichen "Lustgarten" wird durch eine Brücke aus Stein ersetzt.

1571

Seite 78/814 München - Au * Der Herzog muss einen Streit zwischen den Münchner und den Auer "Schneidern" schlichten.

Es endet damit, dass die Münchner ihre Schmähungen und Herabsetzungen zurücknehmen müssen.

Dafür müssen es die Auer künftig unterlassen, mit Elle und Schere "auf die Stör" in die Stadt zu kommen. Sie dürfen nur Schneiderarbeiten annehmen, die man ihnen bringt.

1572 München * Eine neue "Bettelordnung" wird veröffentlicht.

In ihr zeichnet neben dem "Rat der Stadt" erstmals auch der "Landesherr" verantwortlich.

Unter dem Einfluss Herzog Albrechts V. wird in dem Gesetzeswerk ein "absolutes Bettelverbot" ausgesprochen. Wirte und allen Einwohnern war die Beherbergung "nichtansässiger Bettler" verboten. Den "Bettelrichtern" zahlt man "Fangprämien" und den Festgenommenen drohen schwere Strafen. Im besten Fall ihre "Ausweisung", im schlimmsten Fall aber "Hängen".

Doch schnell wird klar, dass sich in München ein "absolutes Bettelverbot" und die Versorgung der "Armen" aus der Gemeindekasse nicht verwirklichen lassen. Die Einnahmen der Sammlungen reichen einfach nicht aus.

"Sondersieche", also mit ansteckenden Krankheiten Behaftete, und "Blinde" haben sich mit "betteln" zu ernähren, da sie keine Arbeit finden können.

Außerdem sammeln die "Biedermänner" das "Freitagsbrot" nun zusätzlich am Mittwoch.

1572 München * Die Stadtansicht von Braun und Hagenberg zeigt zwar eine nicht ganz realitätsgetreue Ansicht von München, doch Isarinseln sind noch nicht erkennbar.

1573 Einbeck - München * Werden anfangs jährlich vierzig bis fünfzig Fässer "Einbecker Bier" nach München geliefert, so steigert sich der Bedarf des Herzoghofes und erreicht in den Jahren 1573 und 1574 - mit jeweils einhundertzwanzig Fässern - die Höchstgrenze. Danach sinken die Lieferungen wieder auf dreißig bis fünfzig Fässer pro Jahr ab.

Doch die ständig offensichtlicher werdende Finanzmisere schreckt die "Hofkammer" angesichts des sich anbahnenden "Staatsbankrotts" auf.

Die herzogliche "Finanzbehörde" stellt daraufhin die Frage, weshalb das Bier für den "baierischen Hof" - unter den gegebenen Umständen - noch immer für teures Geld aus Einbeck im hohen deutschen Norden bezogen wird. Immerhin handelt es sich dabei doch um ein "Ketzerbier" aus dem "lutherischen Ausland".

Seite 79/814 Jeder der 600 "Hofbediensteten" - je nach Rang und Funktion - hat das Recht auf ein bestimmtes Quantum Bier. Die Herrschaften an den "besseren Tischen" können sogar trinken, soviel sie wollen.

Und sie genießen das "Freibier" derart in "vollen Zügen", dass der Herzog immer wieder mit Verboten gegen die "unzimbliche" und übermäßige Trunkenheit einschreiten muss.

1574 München-Graggenau * Im herzoglichen "Lustgarten" wird ein aufwändig gestalteter Brunnen mit Drehmechanik für den herzoglichen "Lustgarten" geliefert.

Er wird bereits 1577 als "nicht funktionsfähig" wieder abmontiert.

1575 München-Graggenau * Eine "Keller- und Speisenordnung" des herzoglichen Hofes zur Zeit Herzog Albrecht V. regelt genau, wer was und wie viel an Getränken den Teilnehmern der herzoglichen "Hoftafel" aufgetischt wird.

1576 München-Graggenau * Im Auftrag von Herzog Albrecht V. fertigt Philipp Apian einen Globus, der im "Bibliotheksraum" im Obergeschoss des "Antiquariums der Residenz" aufgestellt wird.

1576 Dillingen - Ingolstadt * Im deutschsprachigen Raum verbreitet sich die neue religiöse Bewegung rasch. Die ersten Marianischen Vereinigungenentstehen in Dillingen und Ingolstadt.

9. September 1576 München * Herzog Philipp Wilhelm von Baiern, der spätere Fürstbischof von Regensburg, wird in München geboren. Er ist der Sohn von Herzog Wilhelm V. und Renata von Lothringen und ein Bruder des späteren Kurfürsten Maximilian I..

1577 Landshut - München * Nach neunjähriger Hofhaltung als Erbprinz in Landshut muss Wilhelm V. seinem Vater 300.000 Gulden Schulden eingestehen.

6. Oktober 1577 München * Ferdinand, der spätere Kurfürst und Erzbischof von Köln, wird in München geboren. Er ist ein Sohn von Herzog Wilhelm V. und dessen Ehefrau Renata von Lothringen. Sein Onkel ist der Kölner Erzbischof Ernst. Sein ältester Brüder ist der spätere Kurfürst Maximilian I..

1578 München * Die Klagen über die Teuerung des Weines verstummen nicht mehr.

Seite 80/814 Die "Baierische Landesordnung" vermerkt, dass immer mehr Leute bei den "Bierbrauern" zum Essen einkehren.

1578 München - München-Isarvorstadt - Giesing * Herzog Albrecht V. gründet die "Salvator-Stiftung" zum Unterhalt der "Salvatorkirche" am heutigen "Alten Südlichen Friedhof".

Zur "Salvator-Stiftung" gehören drei Bauernhöfe in Ober- beziehungsweise Untergiesing.

1578 München* Die ursprüngliche Bezeichnung für"Hexe"ist in München"Unholdin".

Dieser Begriff taucht erstmals auf, als die Barbara Beyrl unter den Verdacht der"Hexerei"gerät und in die"Schergenstube"gesperrt wird. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt.

11. März 1578 Bozen - München *Die aus Bozen stammende Margarete Schiller wird als erste Hexein München verbrannt."Sie hatte in der Folter gestanden eine Unholdin zu sein, Gott geleugnet und dem bösen Feind sich ergeben zu haben, vielmals fleischlich mit ihm verkehrt und auf der Gabel ausgefahren zu sein, viele Menschen durch Zauber ums Leben gebracht, den Bauern das Vieh verzaubert und zuletzt das Wetter, das auf Starnberg und Weilheim niederging gemacht zu haben".

Das war ein typisches Hexengeständnis, das in qualvollen Folterprozedurenerpresst wurde.

1579 München * Herzog Albrecht V. stirbt. Sein Sohn Wilhelm V. übernimmt die baierische Regentschaft.

Oktober 1579 München * Herzog Wilhelm V. lässt durch eine vierköpfige Kommission prüfen, an welchen Orten im "Baierischen Wald" wie viel "weiß Behamisch Pier" gebraut wird und woher die dafür benötigten Braumaterialien stammen.

Um 1580 München-Kreuzviertel * Der in München ansässige Jesuitenpaterund HofpredigerJeremias Drexel predigt in der Michaelskirche:"Oh ihr Feinde der göttlichen Ehre!Befiehlt denn nicht das göttliche Gesetz ausdrücklich:Die Zauberer sollst du nicht leben lassen?Hier rufe ich so laut ich kann und auf göttliches Geheiß zu den Bischöfen, Herren, Fürsten, Königen: Lasset die Zauberer nicht am Leben!Mit Feuer und Schwert muss diese entsetzliche Pest ausgerottet werden.

Ausgerissen muss dieses Unkraut werden, dass es nicht in übergroßer Fruchtbarkeit emporschieße, wie wir es leider sehen und beklagen.Ausgeräumt soll werden mit den Gottlosen, dass die Pest nicht weiter greift, brennen sollen die Aufrührer Gottes. [...]."

Seite 81/814 Insgesamt haben die Verfolgungsbefürworteram herzoglich-baierischen Hofein größeres Gewicht als die kritischen Stimmen.

Ab dem Jahr 1581 München-Lehel * Eine Änderung in der Schreibweise "Lehen" tritt ein.

Von jetzt an wird "Lehen" nicht nur mehr mit einfachem "h", sondern - meistens - mit "ch" geschrieben, also "Lechen". Man trägt damit der Tatsache Rechnung, dass manche Menschen das Wort härter aussprechen.

Damit entwickelt sich der Name "Lehel" vom Sachbegriff "die" Lehen zum räumlichen Begriff "das" Lehen mit der neuen Schreibvariante "Lechen" neben "Lehen".

1582 München-Graggenau * Georg Hainmiller kauft die an der Burgstraße gelegenen "Zengerbräu" und "Kempterbräu".

12. Februar 1582 Rom-Vatikan * Papst Gregor XIII. ordnet in der Bulle Inter gravissimaeine grundlegende Kalenderreforman. Er will damit den auf die Antike zurückgehenden Julianischen Kalenderreformieren, um die Nachtgleichenwieder mit dem Kalender in Übereinstimmung zu bringen und so eine gesicherte Osterberechnungzu ermöglichen.

Mit dem neuen Kalender sollte auf den 4. Oktober 1582 der 15. Oktober folgen.

4. Oktober 1582 Rom-Vatikan *Papst Gregor XIII. reformiert den auf die Antike zurückgehenden Julianischen Kalender, um damit die Nachtgleichenwieder mit dem Kalender in Übereinstimmung zu bringen. Auf den 4. Oktober sollder 15. Oktober 1582 folgen.

Kaiser Rudolph II. fordert daraufhin die Reichsständeauf, den neuen Gregorgianischen Kalendereinzuführen.Doch während die Katholischen Ständeden Kalender annehmen, lehnen ihn die Evangelischen Ständeaus konfessionellen Gründen ab.

Damit werden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationzwei Kalender mit unterschiedlicher Tageszählung benutzt, was die Handels- und Rechtsgeschäfte massiv beeinträchtigt. Das bleibt so bis zum 17. Februar 1700 so.

Um Februar 1583 Freising - Köln * Als bei der Auseinandersetzung um die Besetzung des Kölner Bischofsstuhls die Anwesenheit Bischof Ernsts von Baiern dringend notwendig ist, kann er sich nicht von seiner Freisinger Liebschaft losreißen.

Sein Bruder, der regierende baierische Herzog Wilhelm V. schreibt damals: "Das sei gewislich die einzige und vornehmliche Ursach, daß der Bruder darum nicht hinab nach Köln wolle, weil sein Fetl nicht hinab zu bringen sei".

Seite 82/814 Um April 1583 Köln * Die Kurie nimmt Bestechung nicht nur hin, sondern beteiligt sich sogar aktiv daran, sodass "Nuntius" Malspina schreibt: "Nie habe ich käuflichere Leute gefunden als in diesem Kölner Kapitel".

Zunächst wird der junge Graf Hans Philipp von Manderscheid-Gerolstein bewogen, für zweihundert Dukaten und eine jährliche Pension auf seinen Kapitelplatz zu verzichten. Dann wird auf ähnliche Weise drei ältere Vorrechte auf seine Nachfolge abgelöst.

1584 München-Kreuzviertel * Christoph Pollinger erwirbt die Brauerei in der Neuhauser Gasse.

Er nennt seine Brauerei "Zum Oberpollinger", weil die Familie Pollinger in der Sendlinger Straße eine weitere Brauerei, den "Unterpollinger", betreibt.

Ab 1586 Oberstdorf * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Oberstdorf werden zwischen 1586 und 1587 etwa 25 Personen als "Hexen" verbrannt.

1586 München * Die "Beschreibung und Contrafractur der vornehmbsten Stätt der Welt" von Braun und Hagenberg zeigt eine Ansicht von München.

Auch sie gibt nur die typischen, naturbelassenen Kiesbänke in der Isar wieder. Isarinseln sind noch immer nicht vorhanden.

1586 München * Untersuchungen der "Hofkammer" ergeben, dass aus dem "Weißbier" durchaus Gewinn zu ziehen ist.

Voraussetzung ist die Errichtung eigener "Weißer Brauhäuser" durch den Herzog.

3. Mai 1586 Au * Herzog Ferdinand von Baiern lässt zur Versorgung des großen Brunnens in seinem Münchner Garten am Neudeck ein Brunnwerk erbauen.

Außerdem kauft er die Neudecker Weiher. Die Unterhaltung der Fischerei unterstand dem Hoffischer.

14. Juni 1586 Winzer * Reichsfreiherr Ottheinrich von Schwarzenberg erhält von Herzog Wilhelm V. das Recht, in seinem Brauhausin Winzer Weißbierzu brauen und es im Herzogtum zu verkaufen.

In der Verleihungsurkundelässt der Herzog einen Passus aufnehmen, der ihm und seinen Wittelsbacher

Seite 83/814 Nachkommen im Falle des Aussterbens der Familie von Degenberg berechtigt, neben denen von Schwarzenberg selbst Weißbierzu brauen.

1587 Au - Haidhausen * Die "herzoglichen Brunnwerke" am "Lilienberg" und im "Brunnthal" gehen in Betrieb.

1588 Baden * Auch im "Badischen Landrecht" ist für den "Teufelspakt" die "Todesstrafe" vorgesehen.

Damit ist Baiern umzingelt. Jetzt kann die Saat des "Hexenhammers" auch in München und im Herzogtum Baiern aufgehen.

Dezember 1588 München-Angerviertel * Beim Einsammeln des sogenannten "Leibpfennigs" suchen die Kapläne Graßmann und Ostler von der "Sankt-Peters-Pfarrei" auch das "Stadtbordell" auf und zechen mit dem Wirt und seiner "Gesellschaft".

Als sich die "genachbarten Knappen" vor dem Haus zusammenrotten, wagen sie sich nicht mehr aus dem "Bordell" und verbringen die Nacht in demselben.

1589 München * Eine Münchner Brauersgattin namens "Kalteneckerin" wird der "Hexerei" bezichtigt und die Brauerei "von Gerichts wegen" geschlossen.

1589 Schwabmünchen * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Schwabmünchen beginnen die "Hexenverfolgungen", wo der als "Hexenbischof" bekannte Marquard II. vom Berg bald das Gefängnis erweitern lassen muss, um die Angeklagten unterzubringen.

Hierher kommt der Biberacher "Hexenspezialist" Christoph Hiert.

Das Ergebnis des bischöflichen "Hexenwahns" sind 27 Hinrichtungen.

1589 Ingolstadt * Im Zuge der großen "Hexenverfolgungen" im Herzogtum Baiern wird auch Ingolstadt vom "Hexenwahn" ergriffen.

Mehrere unschuldige Frauen werden verhaftet, verhört und gefoltert. Bis zum Jahr 1592 werden in Ingolstadt 13 unschuldige Frauen als "Hexen" zum Tode verurteilt.

21. Januar 1589 München * In einem von Herzog Wilhelm V. herausgegebenen Mandatwird erstmal die Bäckerschelleerwähnt. Sie

Seite 84/814 ist zunächst als Strafe für Gotteslästerer und Fluchergedacht, wird aber ab 1596 auch für betrügerische Bäcker angewendet, die zu kleine Brote backen.

Um März 1589 Ingolstadt * Maximilian I., Sohn Wilhelms V. und späterer baierischer Herzog und Kurfürst, studiert an der "Hohen Schule" in Ingolstadt "Rechtswissenschaften".

Sein Lehrer ist der "Doktor beider Rechte" Johann Baptist Fickler, der "Hexerei" als eine Realität betrachtet und sie als einen "Fluch des Teufels" bezeichnet, dem mit "allen Strafmitteln" begegnet werden muss.

Dem "Hexenwahn" steht der studierte "Jurist" ebenso mit Arglosigkeit und Kritiklosigkeit gegenüber, wie sein Zögling Herzog Maximilian I..

Man lässt den damals gerade 17-jährigen Prinzen der "Folterung von Hexen" beiwohnen. Nach solcher Vorbereitung auf den Regentenberuf kann es nicht überraschen, dass Maximilian I. der ärgste "Hexenverfolger" unter den baierischen Fürsten wird.

Juli 1589 Schongau - München * Das Zentrum des"ersten altbaierischen Hexenprozesses"ist Schongau bei Weilheim, das vom Bruder Wilhelms V., Herzog Ferdinand, verwaltet wird.

Herzog Ferdinand reagiert empfindlich, als ihm sein "Landrichter von Schongau" von "Hagelschäden, Ernteausfällen" und den damit verbundenen "Einnahmeverlusten" berichtet.

Zum Glück kann "Richter" Hans Friedrich Herwarth von Hohenburg gleich die für die Katastrophe Verantwortlichen benennen: die "Hexen".

24. Juli 1589 München - Schongau * Herzog Ferdinand befiehlt seinem Landrichter, alle "bösen Leute und Unholden", denen er habhaft werden kann, umgehend zu verhaften. Ihre Wohnungen sollen nach Salben, Amuletten, wächsernen und durchstochenen Bildern, menschliche Knochen und ähnlichen Zaubermittelndurchsucht werden. Benennen die Angeklagten freiwillig Mitschuldige, soll man ihnen einen Straferlassversprechen.

Den Grund dafür, weshalb der "böse Feind" an Macht gewonnen hat, sieht der Herzog im Zusammenhang mit dem sündhaften Lebender Untertanen.Nur deshalb lässt Gott dem Teufel und seinen Werkzeugen freie Hand. Die Pfarrer und Prediger im Landgericht Schongausollen deshalb das Volk zur Buße und Besserung des Lebensermahnen.

Herzog Ferdinand fordert zur Unterstützung der unerfahrenen baierischen Hexenjägerden darin geschulten Nachrichtervon Biberach an. Er soll die Verdächtigten auf "Hexenmale" untersuchen.

"Dann wir gesinet, auf alle in Schwung geende und wachsende hochsträfliche Laster, sonderlich das ungeheur Unholdwerckh ernstliche Inquisition und Straf furnemmen".

Seite 85/814 27. September 1589 München-Graggenau * Die Hofkammerwill die Geldverschwendung für den Durst der Hofschranzeneingeschränkt sehen, weshalb sie einen Antrag für den Bau eines "aigen Preuhaus" formuliert.Das Datum gilt seither als offizieller Gründungstermin des Hofbräuhauses.

Einen Brand beim alten Hennen- und Badhausim Alten Hoferkennt man als Zeichen des Himmels und umgehend beginnen die Arbeiter in der Nähe des Zerwirkgewölbesdie Wände einzureißen, die Keller einzuschachten und Sudanlagen zu installieren. Der Keller diente zuvor dem Herzogshof als Vorratsraum. Der Standort am Alten Hofkam den Verantwortlichen aufgrund der "besseren Überwachung bezüglich der möglichen Veruntreuungen" gerade recht.

Darin wird zunächst nurbraunes Biergebraut.

28. September 1589 Freising - Werdenfelser Land * In der zum Fürstbischofvon Freising gehörenden Grafschaft Werdenfelsbeginnt mit der Verhaftung der 55-jährigen Ursula Klöck sowie Elsbeth Schlamp und ihre Tochter Appolonia eine große Hexenverfolgung, in deren Verlauf fünfzig Frauen und ein Mann der Hexereibeschuldigt werden.

Als Landesherr des Freisinger Kirchenstaatessteht ebenfalls ein Bruder des baierischen Herzogs Wilhelm V. an der Spitze:FürstbischofErnst von Freising ist zugleich Kurfürst des Fürstbistums Kölnam Rhein.

14. Oktober 1589 München-Graggenau * Ein Kostenvoranschlag für den Bau des Hofbräuhauseswird vorgelegt.

Ab 1590 Oberstdorf * In dem zum "Hochstift Augsburg" gehörenden Oberstdorf werden zwischen 1590 und 1592 noch einmal 68 Frauen als "Hexen" verbrannt.

Um 1590 München * Während der Hexenverfolgungen werden einige Ehefrauen Münchner Bierbrauer der Hexerei verdächtigt.

Darunter die Frauen des "Gilgenrainerbräus" Viereck, des "Unterspatenbräus" Jörg Spät und des "Kalteneckerbräus" Galle Stoltz, der seine Brauerei "von Gericht wegen" schließen musste. Betroffen war auch die Anna Freykamerin.

In einer Zeitung heißtes zu den Hexenverbrennungen: "Volgends um den anfang des Monats Julii sind irer bey fünffen in München verbranndt worden. Under welchen eine wolbekannte Prewin gewesen, die ausgesagt sol haben, wie sie und etlich hundert mit ir in dem Mertzenbier, eh sie dies ausgeschenkt, gebadet habe".

10. März 1590 München * Dr. Johann Georg Herwarth von Hohenburg wird zum "Geheimen Rat" und "Obristkanzler" ernannt.

Seite 86/814 Mit seiner Berufung ändert sich die Einstellung gegenüber den "Hexenverfolgungen". Denn der Jurist versucht diese mit den Mitteln des geltenden "Strafprozessrechts" einzudämmen und bestreitet jedes "Ausnahmerecht".

Der Grund dafür ist, dass hier Ermittlungen, Verfolgungen und Verurteilungen wegen "Hexerei und Zauberei" ohne entsprechende landesherrliche Gesetze und Vorgaben eingeleitet und vollstreckt werden. Zu zahlreich sind die Übergriffe und Unregelmäßigkeiten geworden.

Um den gesetzlosen Zustand zu beenden, leitet Dr. Johann Georg Herwarth von Hohenburg - noch während im baierischen Herzogtum die "Hexenprozesse" in Schongau, Ingolstadt und München laufen - eine "Gesetzgebung gegen das Hexenverbrechen" und damit die "Eindämmung der Hexenverfolgung" im Herzogtum Baiern ein.

2. April 1590 München * Herzog Wilhelm V. fordert zur Unterstützung des Verfahrens zur "Gesetzgebung gegen das Hexenverbrechen" vom Hofratund von der juristischen und theologischen Fakultätder Universität Ingolstadtein "Gutachten über die zu ergreifenden Maßnahmen gegen die überhand nehmende Hexerei" an.

Darin führt der Herzog aus, Gott selbst habe wegen der schrecklichen Sünden der Menschen diese mit der "neuen Pest der Hexerei" gestraft.Und weil die Hexereidie größte aller Sünden wäre, würde Gott wiederum beleidigt werden. Er, Wilhelm V., sei als Fürst Gott verantwortlich und müsse durch "Bestrafung und Ausrottung der Hexen" die "Ehre Gottes" retten und wiederherstellen.

Die Argumentation, dass sich nach dieser Logik Gott eigentlich selbst beleidige, wird ignoriert.

Es ging auch nicht so sehr um die "Ehre Gottes", sondern um die Angst vor weiteren "göttlichen Strafen".

6. April 1590 München - Ingolstadt * In dem "Gutachten des Hofrates" werden zunächst ausdrücklich die Meinungen derjenigen protestantischen "Hexenverfolger" zurückgewiesen, die gemäßigt auftreten.

Dazu gehören Johannes Brenz aus Stuttgart und seine Anhänger, die jede Möglichkeit eines tatsächlichen "Wetterzaubers" abstreiten. Wetter sind eine Angelegenheit der Natur oder Gottes, nicht aber Sache "alter Weiber" oder gar des "Teufels".

Nach dem "Hofratsgutachten" ist den "Katholiken" künftig jeder Zweifel an der "Existenz der Hexen", des "Teufelspakts", des "Hexenflugs" und des "Schadenszaubers" ebenso verboten wie jede inhaltliche Kritik.

Auch das von vier "Theologieprofessoren" ausgearbeitete "Ingolstädter Gutachten" kommt zum Ergebnis, dass "die Obrigkeit mit Eifer und Strenge gegen die Hexen" vorgehen und es den Untertanen zur Pflicht machen soll, "Verdächtige zu denunzieren".

Die "Gutachten" folgen alleine den "katholischen Autoren" und unter diesen wiederum nur denjenigen, die die härtesten Ansichten zur "Hexenverfolgung" vertreten, die jemals in der "europäischen dämonologischen und juristischen Literatur" zum "Hexenprozess" geäußert worden sind.

14. Mai 1590

Seite 87/814 Ingolstadt - München * In mehreren Briefen, unter anderem in dem vom 14. Mai 1590, berichtet der Student Maximilian I. - völlig unberührt - an seinen Vater von den entsetzlichsten Folterungen, die er in den Ingolstädter Hexenprozessenerlebt hat. Auch nach seinem Regierungsantritt huldigt der Herzog und Kurfürst Maximilian I. dem Hexenwahn.

Um Juni 1590 München * In München findet ein Hexenprozessstatt, in dessen Zusammenhang vier Frauen verbrannt werden. Der Münchner Falkenturmfungiert als Hexenturm.

Leider haben sich die Akten nur lückenhaft überliefert, sodass weder ein Zusammenhang des Hexenprozessesmit dem Einsturz des Turms der Michaelskirche, noch mit der Nennung von vier Brauerinnenhergestellt und bewiesen werden kann. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass es auch wesentlich mehr als die vier bekannten Opfer gewesen sein können.

2. Juli 1590 München * Der von Herzog Wilhelm V. ausgehende Hexenprozessist zu Ende. Die Anklage gegen vier "Weibspersonen" unterschiedlichen Alters lautet auf

Buhlschaft mit dem Teufel, Leichenraubund Leichenschändung, Hostienentweihungsowie Hexerei.

Die vier Frauen, Anna Anbacherin, Brigitte Anbacherin, Regina Bollingerin und Regina Lutzin, machen die üblichen Geständnisse: Ausfahrt mit dem Teufel über Felder und in verschiedene Weinkeller.Eine andere gestand, sie habe ein totes Kindlein auf dem Gottesacker vor dem Sendlinger Thor ausgegraben und daraus eine wässrige, zähe und wasserfarbige Salbe bereitet.

Aufgrund des erdrückenden Beweismaterialswerden alle vier Frauen als Hexenzum Tode verurteilt.Wegen ihres hohen Alters werden sie - auf Fürbitte hoher fürstlicher Personen - vorher erdrosselt und danach ihre geschundenen Körper verbrannt.

Um den 14. August 1590 Landshut * Der weithin bekannte venezianische GoldmacherMarco Antonio Bragadino reitet auf einem Berberhengst durch das Landshuter Stadttor ein. Er ist mit den erlesensten und teuersten Stoffen gekleidet und wird von Dienern und zwei großen schwarzen Doggen begleitet.

Der anwesende baierische Herzog Wilhelm V. begrüßt den vornehmen Ankömmling mit überschwänglicher Freude. Der Baiernregent erhofft sich von dem Fremden die Lösung seiner gesundheitlichen und - vor allem - seiner finanziellen Probleme, da dieser mit dem "Lapis philosophorum? den Stein der Weisenbesitzt.

3. September 1590 Landshut * Marco Bragadino berichtet in einem Brief nach Padua über seine Erfahrungen mit Herzog Wilhelm V.:

Seite 88/814 "Ich befinde mich bei diesem Fürsten von Baiern, einem Herrn voll der frömmsten Gedanken und Sitten und jeder einzigartigen Tugend, der mich liebt und so sehr meine völlige Zufriedenheit wünscht, dass ich wirklich sagen kann, ich sei der eigentliche Herr und Gebieter, ja noch mehr sagen könnte, wenn ich es wagte".

4. September 1590 Landshut - Augsburg * Der GoldmacherMarco Bragadino reist von Landshut nach Augsburg, um dort Chemikalien für seine Kunst einzukaufen.

10. September 1590 Padua - Landshut * Marco Bragadino lässt seine "Familia" aus Padua nachkommen. Der Zug mit insgesamt elf Personen macht sich auf den Weg nach Landshut. Die Reisegruppe kommt aber nur langsam voran, da Bragadinos Lebensgefährtin Laura Canova, eine verwitwete Vilmerca, hochschwanger ist, nicht reiten darf und deshalb in einer Sänfte reisen muss, was die Reisekosten enorm in die Höhe treibt.

19. September 1590 Landshut * Marco Bragadinos Familiaerreicht die Tore von Landshut. Marco Bragadino ist nicht in der Stadt, da er am 4. September 1590 nach Augsburg aufgebrochen ist, um dort Chemikalien einzukaufen. Seine Rückreise geht über München.

Um den 28. September 1590 Landshut * Marco Bragadino trifft wieder in der niederbaierischen Residenzstadt ein.

16. Oktober 1590 Landshut * Durch den unerwarteten Tod der Herzogin Anna, der Mutter Herzog Wilhelms V., wird der Aufenthalt auf der Burg Trausnitzin Landshut für die Herzogsfamilie und der Gefolgschaft des GoldmachersMarco Bragadino jäh beendet.

18. Oktober 1590 München-Kreuzviertel * Der AlchemistMarco Bragadino trifft in München ein. Vermutlich wohnt der Goldmachermit seinem Gefolge wie sein Auftraggeber in der Wilhelminischen Veste, der heutigen Herzog-Max-Burg. Dadurch kann der Herzog viele Stunden mit seinem neuen Günstlingverbringen, ohne dass dies großes Aufsehen erregt.

1591 München * Herzog Wilhelm V. beklagt sich über die stark überhand nehmende "Unmoral" in der Stadt.

Dabei haben selbst die Repräsentanten der Amtskirche Probleme mit der eigenen "Lust". Nur in einem sehr schwierigen Prozess gelingt es, die geistlichen Herren auf Dauer von ihren - "Schlafweiber" genannten - "Konkubinen" zu trennen.

Seite 89/814 1591 München * Peter Binsfelds Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" erscheint in München in deutscher Sprache.

Der Münchner "Stadtgerichtsassessor" Bernhard Vogel hat das Werk aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt. Der "Verleger" Adam Berg lässt es im Einverständnis mit dem "Geistlichen Rat" drucken.

Gewidmet ist das Buch "Von Bekanntnuss der Zauberer und Hexen" Herzog Ferdinand, der den "Schongauer Hexenprozess" der Jahre 1589/90 führte und nachträglich für seine abscheuliche Tat gerühmt werden soll.

Adam Berg schreibt im Vorwort des Buches, dass es gerade jetzt notwendig sei, da man "zu diser zeit etliche Personen finden möchte, die sagen dörfften, man thue den Leuthen unrecht". Das Buch verfolge also vornehmlich den Zweck, "das diejenigen, so irgent hierinn zweiflen, ein Bericht haben und nit also freventlich die hohe Obrigkeit in Straffung solcher Laster urtheilen und Nachreden".

1591 Kelheim * Anna Pämb [50] lebt mit ihrem Mann Paulus [48] und den Söhnen Gumpprecht [13], Michael [11] und Hansel [ein Jahr alt] im "Kelheimer Armenhaus".

Vater Paulus bietet seine Arbeitskraft als "Kesselflicker" an. Mit seinen älteren Söhnen verdingt er sich auch als "Abortgrubenräumer", als sogenannter "Pappenheimer".

Im "Armenhaus" von Kelheim lernt Anna Pämb eine gewisse Zieglerin kennen. Die Frauen verstehen sich auf Anhieb.

24. März 1591 München * Der "Alchemist und Goldmacher" Marco Bragadino wird - auf Betreiben der "Landstände" und ohne Wissen des Herzogs WilhelmV. - verhaftet.

26. April 1591 München-Graggenau * Der Alchemist und GoldmacherMarco Bragadino wird vor einer großen Menschenmenge auf dem Münchner Schrannenmarktenthauptet. Die Hinrichtung gerät zum Desaster, weil es dem Scharfrichtererst beim dritten Schlag gelingt, den Kopf vom Rumpf zu trennen. Die Menge tobt und will nun ihrerseits den Henkerwegen seiner schlechten Vorstellung lynchen. Nur ganz knapp und mithilfe bewaffneter Soldaten entgeht er der wütenden Menge.

1. November 1591 München-Graggenau * Am Allerheiligen-Tagist das Werk endlich vollendet. Heimeran Pongraz richtet das Braune Hofbräuhausals hochmoderne Musteranlage ein.

Während in anderen Braustätten noch die Maischevon Hand geschöpft und die Würzein Holzkübeln geschleppt werden muss, läuft bei Pongraz fast alles über Leitungen.

Seite 90/814 Es gibt eine rechteckige kupferne Sudpfanne, die man mit einem offenen Feuer aus Fichtenholz beheizt. Über eine Rinne aus Lärchenholz läuft die Maischezum runden eichenenMaischbottich. Abgeläutertwird durch die schmalen Schlitze eines Bretterbodens. Dampfend fließt die Würzedann in die beiden Kühlschiffeaus Lärchenholz und von dort durch eine Bleileitung zu den Gärbottichenim Keller.

Der ledige Braumeister muss während des Brauvorgangs im Brauhausschlafen, um bei Bedarf jederzeit eingreifen zu können.Sein Einkommen beträgt bei freier Kost und Logis vierzig Gulden im Jahr.

5. November 1591 Werdenfelser Land * Mit Brigitta Krätzler und Barbara Feurer werden die beiden letzten Beschuldigten des Werdenfelser Hexenprozesseshingerichtet. Dann endet zunächst die Hexenverfolgung im Werdenfelser Land. Das liegt einerseits am verstärkt auftretenden Widerstand aus der Bevölkerung, andererseits an den hohen Kosten.

Alleine der Nachrichtererhält für jede Besichtigungzwei Gulden, dazu täglich ein Wartegeldvon zwei Gulden und für jede Hinrichtung nochmal acht Gulden.Auch Verpflegung und Unterkunft trägt die Staatskasse.Insgesamt kostet der Werdenfelser Hexenprozessrund 4.000 Gulden.

Am Ende dieser Verfolgungs-Periode zählt man 49 auf dem Scheiterhaufenzum Teil lebendig verbrannter Angeschuldigter, zum Teil werden sie vorher erwürgt oder geköpft. Zwei Frauen sterben während ihres Gefängnisaufenthalts, eine davon verübt Selbstmord.

14. Dezember 1591 München * Herzog Wilhelm V. befiehlt, dass neben den Beamten auch alle Offiziere, bürgerliche Obrigkeiten, Stadt- und Marktschreiber, Gerichtsprokuratoren und Schulmeister den "Eid auf den Glauben" ablegen müssen.

1592 Schongau * Nach einem drei Jahre dauernden Prozess endet die "Schongauer Hexenverfolgung" mit der Hinrichtung von 63 Frauen durch das Schwert.

Die Leichen der "Hexen" werden anschließend verbrannt.

1593 München-Angerviertel * Die "Eberlbrauerei" und der "Faberbräu" werden gegründet.

Ihre Sud- und Schankstätten befinden sich in der Sendlinger Straße.

1593 München * Der "Bildhauer" Hubert Gerhard erschafft die mit 2,17 Meter überlebensgroße, ursprünglich feuervergoldete und als Bronzehohlguss hergestellte "Mondsichelmadonna", die im Jahr 1638 auf der "Mariensäule" Aufstellung fand.

Seite 91/814 Sie gilt als das Hauptwerk Hubert Gerhards.

1593 Rom * Reformbewegungen führen zur Spaltung und zur inneren Reform des "Karmeliter-Ordens".

Die Hauptträger der Erneuerung des "Karmels" - Theresia von Avila und Johannes vom Kreuz - greifen auf die alten Regeln, ohne die späteren Milderungen, zurück.

Im Volk nennt man die Mitglieder dieser Reformklöster die "Unbeschuhten Karmeliter". Nach langen Konflikten losen sich die "Unbeschuhten Karmeliter" vom "Beschuhten" Stammorden los.

Der Papst will die "Unbeschuhten", ähnlich wie die anderen Reformorden, vordringlich zur Erneuerung des kirchlichen Lebens in den Städten, zur Abwehr der "Häretiker" und zur Ausbreitung des Glaubens in den Missionsgebieten einsetzen.

1595 Arnsberg * Um seiner Mätresse Gertrud von Plettberg näher zu sein, zieht sich Ernst, der Kurfürst von Köln und Chef der fünf Bistümer Köln, Freising, Hildesheim, Lüttich und Münster, in seine Arnsberger Neben-Residenz zurück.

Dort hat er zwischenzeitlich das Palais "Landsberger Hof" errichten lassen.

Gemeinsam mit Gertrud von Plettberg hat Bischof Ernst einen Sohn: Wilhelm Freiherr von Höllinghofen. Er wird anno 1650 zum "Fürstabt der Reichsabtei Stablo-Malmedy" ernannt.

Außerdem wird der 17-jährige Baiernprinz Ferdinand zum "Koadjutor" (= Nachfolger) seines Onkels Ernst auf dem Kölner Bischofsstuhl gewählt.

Oktober 1596 München * Herzog Maximilan I. fordert Informationen über noch geltende herzogliche "Brauberechtigungen", über bestehende Brauhäuser und deren Ertragskraft und über geeignete Orte zur Gründung neuer Brauhäuser - unabhängig von der Biersorte - an.

1598 München * Eine aus 18 Personen bestehende "Zaubergesellschaft" sitzt in der "Schergenstube" in Haft, deren Mitglieder

"Zauberbücher" und glückbringende "Alraunenwurzeln" besaßen, sich unter dem "Galgen" oder in der oberen Stube des Alexander Freisinger in der Au trafen und dort "Beschwörungen" zur Wiedergewinnung gestohlener oder verlorener Sachen und "Ansegnungen gegen den bösen Feind" betrieben.

Eine eigene "Ratskommission" wird gebildet, die sich aus Mitgliedern des "Inneren" und "Äußeren Rats"

Seite 92/814 zusammensetzt.

Die Urteile sind glimpflich.

Die meisten werden auf die "Schragen" gestellt, zum Teil mit umgehängten "Zauberbüchern". Diese Strafe ist - im Gegensatz zum "Pranger" - nicht "ehrlos". Einige werden zusätzlich zu den Jesuiten zur "Beichte und Kommunion" geschickt, zwei erhalten eine Geldstrafe und einer wurde zu vier Jahren "gegen den Erbfeind der Christenheit", die Türken, verurteilt.

18. Januar 1598 Wien - Rom-Vatikan * Erzherzog Ferdinand II. bedankt sich bei Papst Clemens VIII. für die erteilte Ehedispensmit Herzogin Maria Anna von Baiern. Zuvor waren von protestantischer Seite Angriffe auf das Paar unternommen worden.

Beanstandet wurden der beträchtliche Altersunterschied, wobei die 24-jährige Maria Anna lediglich vier Jahre älter als Ferdinand II. war,dann die Hässlichkeit der Brautund schließlichdie naheVerwandtschaft der Geschwisterkinder.[Ferdinands Mutter Erzherzogin Maria war die Schwester von Maria Annas Vater Wilhelm V..] Schon deshalb musste der päpstlicher Dispenseingeholt werden.

13. März 1598 München *Herzog Maximilian I. erlässt ein ausführliches "Religions- und Sittenmandat".

Zur Überwachung der Vorschriften werden eigens geheime Kundschafter, sogenannte "Aufsteher", bestellt. Diese "Spitzel" müssen jede Übertretung des Mandats anzeigen.

Auf Fluchen werden Strafen bis zum Verlust von Gliedmaßen und bis zum Tode ausgesetzt. Übertretungen des Fastengebots müssen angezeigt werden. Andersgläubige, auch "Wiedertäufer", werden im Land nicht mehr geduldet. Nach ketzerischen Büchern wird ohne Voranmeldung gefahndet. "Priesterkonkubinen" werden verfolgt, gegen Unzucht, Leichtfertigkeit und ungebührliches Spielen werden Strafen ausgesetzt.

1599 Straubing * Alleine im "Rentamt Straubing" gibt es über zwanzig "Weißbier-Baustätten".

1600 München * Mit 74 bürgerlichen Brauereien - plus 6 Klosterbrauereien - erreicht man den Höchststand in der Geschichte Münchens.

Seite 93/814 Ab 1600 Au * Die durchgeführte vollständige Erneuerung des "Isarberg-Brunnhauses" verschlingt über 5.000 Gulden.

Um das Jahr 1600 München * Unter Herzog Maximilian I. wird erstmals nach den Ursachen der "Armut" gefragt.

Folgende Erkenntnisse fassen die Untersucher zusammen: Verantwortlich für die "Armut" ist

die "Überbevölkerung der Städte", die "Überbesetzung der Zünfte und Gewerbe", die allzu großen "Freiheiten des Handels", die "Vernachlässigung der Polizeigewalt" und der "Verfall der Religion und der Sitten".

Das Ergebnis ist die Einführung restriktiver Maßnahmen. Dazu gehören unter anderem "Zuzugsbeschränkungen" sowie "Festnahmen und Einkerkerung von Bettlern und Vagabunden".

Februar 1600 Altmannstein * Die Familie Pämb lebt beim Kleinbauern Ulrich Schölz bei Riedenburg.

Da taucht der Amtmann von Altmannstein auf und verhaftet die komplette Familie bis auf den inzwischen zehnjährigen Hansel, der bei den Bauersleuten zurückbleibt. Ein verurteilter, inzwischen in Wörth an der Isar hingerichteter Dieb namens Geindl hat die beiden Pämb-Brüder Michael und Gumpprecht als angebliche Komplizen angeschwärzt.

Schnell kann der wahre Hintergrund aufgeklärt werden. Geindl und Michael Pämb haben sich einmal geschlägert, wobei Geindl unterlegen ist. Wutentbrannt hat der Dieb danach geschworen, er werde es den Pämbs schon noch heimzahlen.

Der Amtmann sieht ein, dass die Denunziation wohl nur ein Racheakt gewesen war, schickte das Protokoll nach München und wartet auf die Nachricht, dass die Familie freizulassen sei.

März 1600 Altmannstein * Die aus München kommende Antwort ordnet die "hochnotpeinliche Befragung" der Familie Pämb an.

Unter der "Tortur" der "Folterknechte" gestehen die 59-jährige Anna, der 57-jährige Paulus und die Söhne Michael [20] sowie Gumpprecht [22] jede Menge Diebstähle, Brandstiftungen und Raubüberfälle. Michael und Gumpprecht bekennen sich zudem, "Hexer" zu sein.

So wirr, unlogisch und widersprüchlich die unter der "Folter" erpressten "Geständnisse" auch sind, der

Seite 94/814 Altmannsteiner Amtmann verständigt daraufhin umgehend den "Hofrat" in München.

16. April 1600 Altmannstein - München * Die Familie Pämb nach München überführt und im "Falkenturm" eingekerkert.

Die Männer kommen in einzelne, "Keuchen" genannte Zellen. Nur Hansel durfte bei seiner Mutter bleiben.

Nun beginnt der sogenannte "Pappenheimer-Prozess".

17. April 1600 München-Graggenau * Eine vierköpfige Kommission untersucht die "Landfahrerfamilie" Pämb.

Auf Wunsch von Herzog Maximilian I. soll zunächst geprüft werden, ob sich die Familie tatsächlich für ein öffentlichkeitswirksames Exempel eignet.

Die Kommission scheint zufrieden. Denn vor ihnen stehen zwei alte, ausgezehrte Menschen und zwei Burschen, die alle vier bereits durch die "Folter" gezeichnet sind, dazu ein zehnjähriges Kind.

Sie sind davon überzeugt: diesen Delinquenten kann man alles mögliche andichten, auch eine "Teufelsanbetung". Begeistert erstattet man dem Herzog davon Bericht.

Den "Hexen-Prozess" leitet der "Hofratskommissar" Dr. Johann Simon Wagnereckh. Zunächst befragt er den kleinen Hansel.

Mit anwesend sind dabei die "Hofräte" Jacob Hainmüller und Ernst von Roming, ein "Schreiber" sowie der "Eisenmeister" Sebastian Georg, der zugleich der Verwalter des "Falkenturms" und oberster "Folterknecht" ist.

Zunächst soll Hansel nur sagen, ob seine Brüder jemals "abgeschnittene Kinderhände" mit sich geführt hätten. Schockiert schüttelt Hansel den Kopf und gab damit das Zeichen für die "Folterknechte".

Nach der "Tortur" gesteht der Zehnjährige alles, was man ihm an Unterstellungen über seine Brüder eingeredet hat. Ja, sie haben Kindern die Hände abgeschnitten, ja, sie haben Schwangere ermordet, um an die Hände der Ungeborenen zu kommen. "Ja", immer wieder "ja".

19. April 1600 München-Graggenau * Die "Inquisitoren" nehmen sich den Vater Paulus Pämb vor.

Er kommt an den "Wippgalgen", bei dem man an nach hinten gestreckten Armen und einem Gewicht an den Füßen hochgezogen wird. Auch sein Widerstand bricht schnell und er bestätigt jede nur mögliche Grausamkeit, die man ihm und seinen erwachsenen Söhnen unterstellt.

Seite 95/814 Die "Verhandlungsführer" gehen immer nach dem gleichen Muster vor. Die gewünschten Antworten werden quasi vorformuliert und müssen von dem Opfer nur noch bestätigt werden.

Was dann im "Geständnis" steht, ist also in der Regel der "Phantasie der Befrager" entsprungen.

Um den 24. April 1600 München-Graggenau * Nach dem Vater muss Michael in den "Wippgalgen".

Doch der Bursche hält länger durch als sein Vater. Erst als man ihn zusätzlich mit einer brennenden Fackel unter den Achseln foltert, ist auch sein Wille gebrochen.

Er bestätigt, dass er "Kinderhände" zum Zaubern genutzt hat, gesteht Morde, Brandstiftungen, Einbrüche, Raubzüge und alle sonstigen Verbrechen, die man ihm suggeriert. Die Mutter habe ihm das "Hexen" beigebracht.

Bei seinem älteren Bruder Gumpprecht erzwingen die "Folterknechte" die Bestätigung für alles sowie weitere Gräueltaten.

28. April 1600 München-Graggenau * Zuletzt widmen sich HofkommissarDr. Johann Simon Wagnereckh und die HofräteHainmüller und Roming der betagten Mutter Anna. Bei ihr fragt man nicht erst nach Morden oder anderen Verbrechen, sondern widmet sich gleich dem schlimmsten aller Verbrechen: der Hexerei und Teufelsanbetung. Dabei steht gar nicht zur Frage, ob sie eine Hexesei.Das wird als Tatsache vorausgesetzt.

Die gemarterte Frau erfindet äußerst wilde Geschichten von der alten Zieglerinund dem Knecht, der der Satangewesen sei, um den Qualen endlich ein Ende zu bereiten. Insgesamt gibt Anna Pämb zu, dass sie 100 Kinder und 19 alte Menschen mit ihren Zauberkünstenbrutal ermordet habe. Ferner nennt sie rund 400 weitere Personen, die ebenfalls Hexereibetreiben.

Mai 1600 München-Graggenau * Unter der "Tortur" bezichtigen die Pämbs auch die Familie des Klostermüllers aus dem niederbaierischen Tettenwang der "Hexerei".

Der Klostermüller, seine Frau Anna und beider Tochter Agnes, später auch Ursula genannt, sowie weitere Bekannte der Pämbs werden umgehend verhaftet, nach München gebracht und dort so lange gefoltert, bis auch sie grauenhafte, hexerische Untaten gestehen.

Dabei hatte der Klostermüller von Tettenwang den Pämbs lediglich geholfen und den fahrenden Bettlern Unterkunft und Essen gewährt.

Mai 1600 München-Graggenau * Paulus, Michael und Gumpprecht bestätigen im Lauf der nächsten Wochen, selbst "Hexer" zu sein, den Teufel anzubeten und grässliche Verbrechen, die sie durch "Zauberei" begangen haben.

Seite 96/814 Paulus Pämb hat im "Dienst des Teufels" 44 Morde begangen. Gumpprecht hat sogar 54 Menschen auf seinem jungen Gewissen und als ganz besonders blutrünstig erweist sich Michael mit 103 Morden.

Dass die über 300-fachen Mörder außerdem unzählige "Schadenzauber", Diebstähle und Brandstiftungen begangen haben, spielt da kaum noch eine Rolle.

Aufgrund der "Denunziation" werden zwei ihrer skrupellosen Gefährten verhaftet und mit den Pämbs vor Gericht gestellt: der Bauer Ulrich Schölz sowie ein Schneider namens Georg Schmälzl, die ebenfalls "gefoltert" und zu "Geständnissen" gezwungen werden.

Einzig den kleinen Hansel verschont man mit weiteren "Folterungen".

26. Juli 1600 München * Die Hofkommissareunter der Leitung von Dr. Johann Simon Wagnereckh fällen ihr Urteil. Nachdem sie es ausformuliert haben, begeben sie sich in den Falkenturm, wo sie den Malifikantendie Geständnissevorlesen.

Es ist üblich, den Delinquenten drei Tage vor der Hinrichtungdiese sogenannten Urgichtennoch einmal zur Kenntnis zu geben, damit sie die Gelegenheit zur Korrektur haben und eventuell Denunziationenzu widerrufen. Aus panischer Angst vor weiteren Folterungenverzichten die Pämbs und ihre Mitangeklagten darauf, den Urgichtenzu widersprechen. Danach gewährt man ihnen eine Henkersmahlzeit, die auch gebratenes Fleisch und Wein umfasst.

29. Juli 1600 München * Nun demonstriert die herzogliche Justiz ihre unvorstellbare Bestialität. Noch auf der Freitreppe des Rathausesreißen der Henkerund seine Helfer den Männern mit glühenden Zangen jeweils sechs Fleischstücke aus den Armen und dem Oberkörper. Danach schneidet man Anna Pämb die Brüste ab und schmiert sie ihr und den beiden Söhnen dreimal "umb das Maul", mit dem Hinweis, dass aus diesen Brüsten solche abscheuliche Bubenstücke "gesogen" wurden.

Schließlich verfrachtet man die Schwerstverwundeten auf zwei Schandkarren, um sie zum Galgenbergzu bringen, der vor den Toren der Stadt liegt, etwa an der Stelle, an der heute die Hackerbrückeauf die Landsberger Straße trifft. Tausende Schaulustige begleiten die Wagen, Hansel Pämb reitet auf dem Pferd des Bußamtmannsmit.

29. Juli 1600 München-Maxvorstadt * Am Galgenbergwerden die fünf Männer gerädert. Dazu bindet man die Malefikantenauf ein scharfkantiges Balkengerüst und zerschmettert ihnen mit einem eisenbeschlagenen Richtraddie Gliedmaßen. Für gewöhnlich beginnt diese Bestialität bei den Unterschenkeln.Die Zahl und der Rhythmus der Schläge sowie die Reihenfolge der Gliedmaßen sind genau vorgeschrieben. Paulus Pämb wird nun zusätzlich "gespießt".Der Henkerrammt ihm einen kurzen Jagdspießdurch den After in den Unterleib.

Der letzte Akt der Justizwillkürim Namen des Herzogs Maximilian I. ist der Feuertod.Man zerrt die Pämbs und ihre Bekannten zu ihren Scheiterhaufen, bindet sie an - Anna setzt man dabei auf einen Stuhl- und verbrennt die "Teufelsbrut" lebendig und "unter jämmerlichem Geschrei".

Seite 97/814 29. Juli 1600 München-Maxvorstadt* Das wohl mit weitem Abstand Verabscheuungswürdigste der Hinrichtung aber ist, dass der inzwischen elfjährige Hansel Pämb, auf dem Pferd des Bußamtmannssitzend, der qualvollen Hinrichtung seiner Eltern und Brüder beiwohnen muss. Doch auch dem Kind bleibt der spätere Feuertodnicht erspart, da Hansel ja schon "im Mutterleibe dem Teufel geweiht und an seiner Stelle ein anderes gestohlenes Kind getauft worden sei".

11. August 1600 München-Graggenau * Die zwanzigjährige Agnes Klostermüller wird elfmal "aufgezogen", davon zehnmal belastet mit einem fünfzig Pfund schweren Stein. Das Mädchen bleibt standhaft, obwohl ihm alle Glieder zerrissen werden. Nichts, außer der Beteuerung ihrer Unschuld, ist aus ihr herauszubringen.

Vor dem Beginn der FoltersprichtHofratDr. Johann Simon Wagnereckh lateinische Verse und Psalme über sie, um sie zu "entzaubern". Da hier der Name Jesus vorkommt, sagt Agnes Klostermüller: "sie wolle diesen Jesus nit [in dessen Namen man Unschuldige martert] sondern wolle den haben, der sie erschaffen und für sie am Stamme des Kreuzes gelitten".

Nach der Folterlässt man Agnes für etwa zehn Wochen in Ruhe.

20. Oktober 1600 München-Graggenau * Agnes Klostermüller wird erneut zur Torturgeschleppt. Dann, nach viermaligen Aufziehenist ihre Kraft endgültig gebrochen.

24. Oktober 1600 München-Graggenau * Ein Selbstmordversuchder eingesperrten und gefolterten Agnes Klostermüller scheitert. Gebrochen und verzweifelt erzählt sie nun alles, was man von ihr hören will:

"Sie habe eine Menge Kinder umgebracht, habe an dreißig Herzlein [von Kindern] gegessen, habe acht alte Leute durch Bestreichen mit der Salbe getötet, sei ausgefahren, besonders zu Brunn im Schloss in den Keller, wo sie guten Wein getrunken. Des Edelmanns Weib dort habe sie ?erkrümbt?. Sie habe an 20 Rinder gefällt, vielen Kühen die Milch benommen, fünf Wetter [...] gemacht."

13. November 1600 Vatikan * Papst Clemens VIII. teilt den Karmeliter-Ordenin zwei selbstständige Kongregationenauf.

In eine Spanische, die für die Länder der spanischen Krone, also Spanien, Portugal und Mexiko, zuständig ist. Und in eine Italienische, die sich in der übrigen Welt ausbreiten soll.

Seite 98/814 26. November 1600 München-Maxvorstadt * Die Scheiterhaufenauf dem Münchner Galgenberglodernerneut. Diesmal befindet sich neben der Agnes Klostermüller und ihrer Mutter Anna, der WeberHans Stumpf, Glashanslgenannt, und der BrotträgerAugustin Baumann.Auch der elfjährige Hansel Pämb wird dem Feuer übergeben.

Der alte Klostermüller stirbt noch im Falkenturm.Es ist ungewiss, ob an den Qualen der Folteroder durch einen Selbstmord.

10. Juni 1602 Degenberg * Hans VIII. von Degenberg stirbt ohne Nachkommen. Damit geht aufgrund eines Erbschaftsvertragsaus dem Jahr 1488 der gesamte Herrschafts- und Besitzkomplex in den Besitz der Wittelsbacher über.

1. August 1602 Degenberg * Der Degenbergische Pfleger und BräuverwalterLeonhard Mair wird beauftragt das weiße Brauwesenwie bisher und mit dem selben Personal als landesherrliches Unternehmen weiterzuführen. Das ist die Geburtsstunde des wittelsbachischen Weißbierbrauwesens. Die Brauereien befinden sich in Schwarzlach, Zwiesel und Linden.

Weil auch sämtliche weiteren Einnahmen der Degenberger Güter an den Herzog gehen kommt es zu einem langjährigen Rechtsstreit.

1605 München-Graggenau * Das "Herzogliche Hofbräuhaus" braut insgesamt 2.256 "Eimer" Winter- und Sommerbier. Da ein "Eimer" 64 Liter fasst, sind das 1.444 Hektoliter.

Davon werden 705 "Eimer" an die Münchner Bevölkerung verkauft, weshalb die Bilanz mit einem Reingewinn von fast 200 Gulden abschließt.

1605 München * Der "Landtag" beschäftigt sich mit dem herzoglichen "Weißbier-Brauwesen" mit heftiger Kritik.

Herzog Maximilian I. zahlt freiwillig jährlich eine sogenannte "Komposition" in Höhe von 10.000 Gulden.

Juni 1606 Donauwörth * Laurentius von Brindisi, ein führendes Mitglied des Kapuzinerordens, befindet sich auf dem Weg ins kaiserliche Wien. In der ReichsstadtDonauwörth wird er von einer Menge umzingelt und mit den Worten "Kapuziner, Kapuziner, Speck, Speck!" verunglimpft und am Weitergehen behindert.

1607 München-Graggenau * Der Erfolg des "Herzoglichen Hofbräuhauses" bringt die bürgerlichen Brauer derart in Rage, dass sie sich über die staatliche Konkurrenz beschweren.

Seite 99/814 Das "Hofbräuhaus"darf ab 1607 nur mehr "zur Nothdurft des Hofstaates" brauen.

1607 München-Angerviertel * Als man den abgebrannten Turm der "Peterskirche" inspiziert, trinken die Beauftragten 27 Mass Wein.

1607 München-Kreuzviertel * Der alte "Drei•flügelaltar" aus dem 15. Jahrhundert wird im Rahmen der Neugestaltung des "Chorraumes" der "Frauenkirche" abgerissen.

An seine Stelle tritt ein Provisorium, für das die von Hubert Gerhard geschaffene "Madonna mit dem Kind" verwendet wird. Allerdings fehlt dieser Lösung die absolut nötige Monumentalität für den Chorabschluss der "Frauenkirche".

26. Februar 1607 Degenberg * Die Erben der Degenberger führen einen langjährigen Prozess gegen den baierischen Herzog. Maximilian I. erhält zwar den gesamten Degenbergischen Herrschaftsbesitz, muss dafür aber 62.000 Gulden bezahlen. So viel ist ihm aber das Weißbiermonopolwert.

26. April 1607 Donauwörth * Zur nächsten "Markusprozession" schickt der Kaiser "Kommissare" nach Donauwörth, die einen geregelten Ablauf sicherstellen sollen.

Doch die Protestanten belagern das "Kloster Heiligkreuz" und lassen weder die "Kommissare" noch die "Katholiken" zur Prozession aus dem Kloster. Der ausschließlich aus Protestanten bestehende Stadtrat toleriert dieses Verhalten.

1608 München * Die "schwarze Christlin" mit etlichen "Ansegenweibern, die sich des Ansegnens und Zauberwerks gebrauchen" kommen in Haft.

April 1608 Regensburg * Auf dem "Regensburger Reichstag" kommt es zum Eklat zwischen Protestanten und Katholiken.

Die katholischen Fürsten stellen einen Antrag auf "Restitution aller Kirchengüter", die seit 1552 säkularisiert worden sind. Davon betroffen wären rund 500 Klöster und Konvente vor allem in Niedersachsen und Württemberg, die Erzbistümer Bremen und Magdeburg sowie 15 reichsunmittelbare Bistümer in Norddeutschland.

Die protestantischen "Landesstände" verlassen daraufhin den "Reichstag".

Das "Restitutionsedikt" wird erst 1629 beschlossen.

Seite 100/814 12. April 1608 München * Dr. Johann Simon Wagnereckh präsentiert einen ersten Entwurf des von ihm ausgearbeiteten baierischen "Aberglaubens- und Hexenmandat".

Mehrere "Räte" kritisierten seine "übergroße Schärfe".

Zu einer Verabschiedung des "Mandats" kommt es nicht mehr, weil dadurch ein Machtkampf zwischen den "Zelanten" [= "Eiferer"] und den "Politikern" ausgebrochen ist und sich die beiden Gruppen gegenseitig blockieren.

26. Mai 1608 Donauwörth * Während der Fronleichnams-Prozessiongeht ein schweres Gewitter über der Stadt Donauwörth nieder, das man sich nur mit Schadenszauber und Hexereierklären kann. Birgit Schuster und Paul Ritter werden als Verursacher des Unwettersverhaftet.

Birgit Schuster gesteht unter der Tortur, nennt über hundert weitere Hexenund wird verbrannt.Paul Ritter wird ebenfalls den Flammen übergeben. Durch die Denunziation werden weitere 17 "Unholdinnen" angeklagt.

März 1609 Wemding * Der "Donauwörther Hexenprozess" greift durch Denunziation auf Wemding über.

Auch der dortige "Pfleger" Konrad Bemelberg d. J., der Sohn des Donauwörther "Statthalters", erhält vom Münchner "Hofrat" Dr. Johann Simon Wagnereckh eine "Blankovollmacht" zur "Folteranwendung". Das Amt des "Richters" übt Dr. Gottfried Sattler aus.

Neun Frauen und ein Mann werden daraufhin der "Hexerei" bezichtigt und später hingerichtet.

9. Juli 1609 Prag * Kaiser Rudolf II. und zugleich König von Böhmen stellt den sogenannten Majestätsbriefaus. Er gewährt den evangelischen Landständendes Königreichs Böhmen besondere Privilegien zu. Der Majestätsbriefbeinhaltet

das Recht der Ständeden König zu wählen, er erlaubt den Protestanten den Bau von Kirchen und Schulen in den Städten und auf dem Land, er beendet die gegenreformatorischen Bestrebungen der katholischen Adeligen, indem er die gewaltsame Bekehrungder Untertanen verbietet, und er überträgt den Protestanten die bis dahin angeeigneten Kirchengüter.

1610 München - Mainz * Die "Liga" wird in ein oberländisches und ein rheinisches Direktorium unter der Leitung von Maximilian I. und dem Mainzer Kurfürsten eingeteilt.

Die militärische Leitung der Gesamt-"Liga" bleibt beim baierischen Herzog. Johann Tserclaes Graf von Tilly wird "Bundesfeldherr der katholischen Liga".

Seite 101/814 1610 München-Graggenau * Die Baumaßnahmen für den zukünftigen "Hofgarten" beginnen im Osten.

Sie dauern bis 1620. Der Garten wird beträchtlich vergrößert und erreicht etwa seine heutige Dimension.

Um Mai 1610 München * Noch während die "Wemdinger Hexenprozesse" laufen, nutzt der "Hofratskanzler" Dr. Johann Simon Wagnereckh die Gunst der Stunde und bringt seinen abgeschmetterten Vorschlag für ein "Aberglaubens- und Hexenmandat" wieder aufs Tablett.

1611 München-Graggenau * Das "Weiße Brauhaus" in München erwirtschaftet im Rechnungsjahr 1610/11 alleine 10.438 Gulden.

Februar 1611 München * Abschließend wird das baierische "Aberglaubens- und Hexenmandat" dem "Hofratskanzler" Dr. Johann Simon Wagnereckh zur abschließenden Kontrolle vorgelegt, bevor es in der Druckerei der "Anna Bergin wittib" im Februar 1611 auf Papier gebracht wird.

Wie so oft, handelt "Hofratskanzler" Wagnereckh auch hier wieder eigenmächtig.

Das Werk geht in Druck, bevor es Herzog Maximilian I. unterzeichnet hat - und damit nicht rechtskräftig ist.

23. Mai 1611 Prag * Die Böhmischen Ständekrönen Kaiser Rudolfs II. Bruder Matthias zum Böhmischen König, nachdem er die im Majestätsbriefgegebenen Bestimmungen zugesagt hat.

Um Juli 1611 München * Der aus Ingolstadt stammenden Dr. Schober mit der Untersuchung der "Prozess-Umstände" von Wemding beauftragt.

Schobers Urteil ist für den "Hexenrichter" Dr. Gottfried Sattler niederschmetternd, woraufhin alle in München und Wemding Angeklagten auf Befehl des "Hofrats" freigelassen werden müssen.

Dafür wird Dr. Sattler verhaftet und in den "Falkenturm" nach München gebracht. Die Kosten der Untersuchung durch Dr. Schober und die Unterbringung der vier Verdächtigen im "Falkenturm" werden dem "Hexenrichter" Sattler und dem "Gerichtsschreiber" aufgebrummt.

Bei den Vernehmungen kommen nicht nur die "Unterschlagungen und Veruntreuungen" in Höhe von 3.000 Gulden ans Tageslicht, sondern auch ein "adulterium", eine unzüchtige sexuelle Handlung.

Damit ist die Geduld des "Hofes" erschöpft und das Todesurteil über den "Hexenrichter" schnell gefällt.

Seite 102/814 Und das, obwohl er aus dem Kreis der "Hofräte", die sich zur "Partei der Hexenprozess-Befürworter" zählen, massive Unterstützung erhält.

1612 Einbeck - München * Der aus Einbeck - im hohen protestantischen Norden - stammende "Bierbrauer"Elias Pichler wird vom baierischen Herzoghaus ans "Hofbräuhaus" nach München angeworben, um hier ein Bier nach "ainpöckischer Art" zu Brauen.

Bevor er seine Tätigkeit aufnimmt, muss er aber noch schnell zum katholischen Glauben konvertieren.

Er braucht zwar noch einige Experimente, aber dann gibt?s statt des bis dahin gebrauten "Plempels" ein würziges, süffiges und bekömmliches "Bockbier" aus dem "Herzoglichen Hofbräuhaus".

Das wird aber erst im Jahr 1614 sein.

Ab 1612 Bamberg * In den fränkischen "Hochstiften" erreichen die "Hexenverfolgungen" einen neuen Höhepunkt.

Vor allem der Bamberger "Weihbischof" Friedrich Förner tut sich als Antreiber hervor. In der Zeit von 1610 bis 1630, in der er sein einflussreiches Kirchenamt ausübt, fordert er fanatisch die "Ausrottung der Trudner", wie man hier die "Hexen" bezeichnet.

Noch während der ersten "Verfolgungswelle" der Jahre 1612/13 kommt es zur "Hinrichtung" von 15 "Hexen".

1612 Herzogtum Baiern* Die Zahl der landesherrlichen "Weißbier-Brauhäuser" ist auf neun angewachsen.

Weitere neun "Weißbier" brauende "Kommun-Brauhäuser" sind dem Herzog gegenüber abgabepflichtig.

1612 München * Dieser "Landtag" beschäftigt sich erneut mit dem herzoglichen "Weißbier-Brauwesen".

Herzog Maximilian I. entkräftet sämtliche Argumente, muss aber zugestehen, dass er bei einer "Weizenknappheit" das Getreide aus dem Ausland beziehen oder die "Weißbierproduktion" einschränken wird.

Die als "Komposition" bezeichnete Abgabe in Höhe von 10.000 Gulden zahlt der Herzog auch weiterhin an die "Landschaftskasse". Dieser Betrag ist aber im Vergleich zu den Einnahmen aus dem herzoglichen "Weißbiermonopol" lächerlich gering.

20. Januar 1612 Prag * Kaiser Rudolf II. stirbt in Prag. Sein Bruder Matthias wird daraufhin Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Entgegen seinem Versprechen hält er sich jedoch nicht an die denBöhmischen Ständengegebenen Zusagen imMajestätsbrief.

Seite 103/814 17. Februar 1612 Arnsberg - Köln * Kölns Kurfürst und Erzbischof Ernst stirbt bei einem Jagdausflug im westfälischen Arnsberg in Westfalen. Er wird im Kölner Dom beigesetzt.Sein Nachfolger wird der jüngste Sohn von Herzog Wilhelm V., Herzog Ferdinand von Baiern, der Bischof von Lüttich.

Er erhält nun zusätzlich das Bistum Köln einschließlich der Kurfürstenwürde, dazu die Bistümer Hildesheim und Münster, ohne dass dagegen der Papst, der Kaiser oder die Fürsten einschreiten.Nur das Freisinger Domkapitelwidersteht allen Einschüchterungsversuchen des Münchner Hofs.

Ferdinand zeigt sich als kompromissloser Vorkämpfer einer kirchlichen Restauration auf der Grundlage des Trienter Konzils.Trotzdem weigert er sich lebenslang, die höheren Weihenzu empfangen und als konsekrierter Bischofseiner Ämter zu walten. Selbst die Jesuitenin seiner Umgebung, die als ständige Berater und Beichtväter die einflussreichsten Positionen einnehmen, können Ferdinand diese Entscheidung nicht abringen.

März 1612 München * Erst jetzt ist das "Herzogliche Baierische Mandat gegen Aberglauben, Zauberei, Hexerei und andere sträfliche Teufelskünste" den Beamten zugänglich gemacht.

Das "Landgebott wider die Aberglauben Zauberey Hexerey und andere sträffliche Teufelskünste" umfasst 40 Seiten und ist das umfangreichste "Gesetz gegen die Hexerei, Zauberei und Aberglauben", das jemals in Mitteleuropa publiziert worden ist.

Es listet 52 strafbare Formen von "Aberglauben" auf. Darunter beispielsweise Wahrsagen, Astrologie, Geisterbeschwörung, Ausgraben von Leichen und Alraunen, abergläubisches Schatzsuchen, Ungezieferbeschwörung, Wetter- und Bildzauber, Bannung von Geistern und Krankheiten durch Ansegnen, Missbrauch von Scharfrichterutensilien und so weiter.

Ausdrücklich wird "guter" und "schlechter Zauber" gleichgesetzt. Auch harmloser "Aberglaube" gilt als "Vorstufe zum Hexenverbrechen".

Jede Form von "Zauberei" muss ausgerottet werden, weil sonst "Gott der Allmechtig zu billichem Zorn gegen uns Menschen bewegt und unser Landt und Leuth mit thewrung Krieg und Pestilentz auch andern mannigfaltigen Plagen straffen und angreiffen möchte". Schließlich ist es Aufgabe der Obrigkeit, die "Ehre Gottes" zu retten.

Als besonders tatverdächtig werden im Bereich des "Aberglaubens" die "Schmiede auf dem Lande", die "alten Weiber" und die "Nachrichter" genannt.

Erstmals wird für den Bereich des Herzogtums Baiern nun auch der "Teufelspakt" als Straftat ausformuliert.

1613 München * Auf dem Stadtplan von Tobias Volckmer ist die erste, offensichtlich dauerhafte Kiesbank in der Isar zu sehen.

Hier ist die spätere "Kohleninsel" ein "Whördt", eine knapp aus dem Wasser ragende Insel, die mit Büschen und Gestrüpp bewachsen ist.

Seite 104/814 Die südliche und die nördliche Spitze der Insel ist mit einer Uferverbauung, einem "Beschächt", befestigt. Die natürliche "Kiesbank" wird damit befestigt.

Die Münchner Isarinseln sind also ein Produkt menschlicher Arbeit.

23. Oktober 1613 Wien * Kaiser Matthias will die katholische Ligamit der Einrichtung eines dritten Liga-Direktoriumsfür Erzherzog Maximilian unter habsburgische Kontrolle bringen.

1614 München * Die Gebrüder Bettaga bitten um Aufnahme als Bürger und wollen ebenfalls eine Seidenhandlung eröffnen. Und das, obwohl "ein Verschleiß in nicht katholischen Ländern besser ist".

Sie begnügen sich jedoch nicht mit einem einfachen Geschäft, sondern errichten dazu eine Seidenspinnerei. Das Unternehmen soll "jährlich bis zu 7.000 Seelen, arme, meist junge Leuthe abrichten und ernehren, welche sonst dem müssiggang und Petl nachgehen".

Die Bettegas führen das Geschäft ganze sieben Jahre.

1614 München * Der zwölfjährige Onophrius Mießl kommt in den Verdacht der "Hexerei", nachdem er dreimal hintereinander eine geronnene Milch heimbrachte.

Mit vorformulierten Fragen stimuliert das "Kürschnerehepaar", bei dem er angestellt ist, ihn zu "Hexereigeständnissen".

Auf Anraten eines Paters wird der "Stadtrichter" vom Verdacht informiert und der Junge unter Einsatz der "Folter" verhört.

Der Rat der Stadt stellt abschließend fest, dass das Geständnis ein "erdichtetes Lügen- und Fabelwerk" sei und sperrt statt des Knaben das "Kürschnerehepaar" acht Tage bei "Wasser und Brot" ins Gefängnis.

Um den 1. Mai 1614 München-Graggenau * "Braumeister" Elias Pichler kredenzt in München erstmals das von ihm gebraute Bier nach original "Einbecker Art", das später über "ainpöckisch Bier" den Namen "Bockbier" erhalten wird.

Aufgrund der merkantilistischen wirtschaftspolitischen Grundprinzipien ist Herzog Maximilian I. - auch beim Bier - der Meinung, dass es wirtschaftlich besser ist, Fertigwaren auszuführen und allerhöchstens die Rohstoffe einzuführen, um dann am erzielten Mehrwert zu verdienen. Deshalb werden ab dem Jahr 1612, mit der Anwerbung des aus Einbeck stammenden "Braumeisters" Elias Pichler, auch die Lieferungen von "Einbecker Bier" für den Münchner Hof eingestellt.

Schon zuvor ist am "Münchener Herzogshof" der Bedarf an dem Gerstensaft aus dem hohen deutschen (protestantischen) Norden durch den Aufschwung, den das "Weiße Bier" hier genommen hat, stark zurückgegangen.

Seite 105/814 Das "Luxusgetränk" mit seinen mehr als 16 Prozent Stammwürze und über sieben Prozent Alkoholgehalt bleibt auch weiterhin ein Privileg des Landesfürsten. Herzog Maximilian I. lässt - auf nachhaltiges Drängen - zwar den "Bock" auch an seine "Landeskinder" ausschenken, erklärt aber die Herstellung des "Bockbieres" - wie schon zuvor des "Weißbieres" - zum "fürstlichen Regal", also zum Monopol der Landesherrschaft.

Aus dem "ainpöckischen Bier" wird im Volksmund bald der "Bock". Im "Kanzleideutsch" aber ist noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein vom "Ainbock" die Rede.

20. Juni 1614 München-Angerviertel * Für den Wiederaufbau des im Jahr 1607 durch Blitzschlag abgebrannten Turm der Peterskirchegenehmigt der Stadtrat 1.000 Gulden Bausteuer. Weitere städtische Zuschüsse werden folgen.

21. November 1614 München * Gabriel Ridler bittet den Stadtrat, seinen Sohn Ernst "wegen seiner vielen Schulden und seines liederlichen Lebenswandels" im Turm einzusperren. Der Rat der Stadt bewilligt die Bitte, da man schon öfter "ungeratene Kinder auf diese Weise coerciert" hat.

Nach 1615 München-Graggenau * Der "Hofprediger" Jeremias Drexel geifert von der Kanzel:

"Ich rufe auf Befehl Gottes und so laut ich nur kann, Bischöfen, Fürsten und Königen zu: Lasset die Hexen nicht leben! Mit Feuer und Schwert ist diese schlimmste menschliche Pest zu vertilgen."

1. April 1615 Berg am Laim * Der "Kastner" und "Hofkammerrat" Albrecht von Lerchenfeld erhält von Herzog Maximilian I. aufgrund seiner Verdienste die bisher herzogliche "Hofmark Berg am Laim" übertragen.

1616 Istanbul * Die "Rosskastanie", der typische Münchner Biergartenbaum, gelangt von Istanbul nach Frankreich, von wo aus sie sich dann über den ganzen Kontinent verbreitet.

1616 Au * Georg Schobinger kauft auch den an der Lilienstraße gelegenen "Klingenhammer mit Werkzeug, Polier- und Schleifmühle, die oberen und unteren Gärten, Röhrlwasser, Brunnstuben und Fischgerechtigkeit am Mühlbach um 8.000 Gulden".

Die Klingenschmiede hatte zwar ihren Ruf und ihre Bedeutung verloren, war aber nachweislich noch als "Schobinger Mühle" in Betrieb.

Seite 106/814 Ab 1616 Würzburg - Tübingen * In Würzburg kommt es unter "Fürstbischof"Julius Echter von Mespelbrunn zu ersten Verfolgungen.

In einem Tübinger Bericht berichtet ein anonymer Verfasser über den aufkeimenden "Hexenwahn" im Hochstift:

"Auß dem Bißthum Würzburg: Gründliche Erzehlung der Bischof zu Würzburg das Hexenbrennenim Frankenland angefangen, wie er dasselbeforttreiben, und das Ungeziffer gentzlich außrotten wil, und allbereit zu Geroltzhoffen starke Brände gethan, hinführe alle Dienstag thun will".

Um 1616 München-Graggenau * Auf der Spitze des zentralen "Pavillons" im "Hofgarten" wird die Statue der "Diana" oder "Tellus Bavarica" aufgestellt.

Erbaut werden die Nord- und Westarkaden, das neue "Brunnhaus" und eine Brücke zum "Hofgarten", die den Zugang von der durch den Stadtgraben abgetrennten "Residenz" bildet.

14. Januar 1616 München * Herzog Maximilian I. legt nach erbitterten Auseinandersetzungen das Bundesobristenamt der katholischen Liganieder.

Um August 1616 Au * Nach einer lang anhaltenden Dürre reicht das Wasser zum Antrieb des "Wasserrades" im "Brunnhaus am Isarberg" nicht mehr aus.

Angeheuerte Tagelöhner müssen das Rad sechs Wochen lang mit ihrer Körperkraft antreiben.

29. September 1616 München * In der Landes- und Polizeiordnungheißt es: "Doch wann jemand ein wenig Salz, Krametbeer [= Wacholder] und ein wenig Kümmel in das Bier täte und damit kein Übermaß gebrauchte, soll er deshalben nicht gestraft werden".

Es gab viele Gründe mit pflanzlichen Zusätzen zu arbeiten und zu experimentieren. Vor allem sollte die längere Haltbarkeit des Bieres erreicht und das Sauerwerden verhindert beziehungsweise rückgängig gemacht werden. Saueres Bier war wegen des schlechten Geschmacks nicht nur unverkäuflich, sondern bedeutete durch den Verlust der teueren Rohstoffe einen volkswirtschaftlichen Schaden.

Seit dem Jahr 1617 München * Im Zuge des Ausbaus der "Münchner Wallbefestigung" will Herzog Maximilian I. auf dem Gelände vom "Isartor" hin zum Fluss eine "Stadterweiterung" vorantreiben und diese in die Stadtmauer einbinden.

Als offizielle Begründung gibt er die Platznot sowie die Übervölkerung in der ummauerten Stadt und den Mangel an Mietwohnungen, beziehungsweise der zu hohen Mieten für die vorhandenen an.

Seite 107/814 Dadurch sei für den wachsenden "Hofstaat" und das "Hofgesinde" keine ausreichende Unterkunft gesichert.

Der "Münchner Rat" wehrtsich heftigst gegen jede "Stadterweiterung", da die Bürger, so seine Argumentation, für den Bau von Häusern zu arm seien und die wenigen Reichen kein Interesse hätten, ihr Vermögen in "Zinshäuser" zu stecken, deren Erträgnisse nicht einmal die Zinsen für die Baukosten decken. Außerdem würden durch Neubauten vor den Toren der Stadt der Wert der Häuser in der Stadt gemindert und daneben die Mieten gesenkt werden.

Der "Rat der Stadt München" setzt sich durch und die "Stadterweiterung" unterbleibt!

Anno 1617 Rom * Papst Paul V. lässt die Bronzefigur einer "Maria Immaculata" in Rom bei "Santa Maria Maggiore" auf eine antike Säule stellen.

1617 Eichstätt * Im "Bistum Eichstätt" beginnen die Hexen-Verfolgungen.

Dort ist es Johann Christoph von Westerstetten, der sich bereits im "Bistum Ellwangen" als fanatischer "Hexenbischof" hervortat und an seiner neuen Wirkungsstätte die "Hexen-Verfolgungen" forciert.

In seiner Amtszeit zwischen 1617 und 1630 lassen sich mindestens 155 Hinrichtungen [133 Frauen und 22 Männer] nachweisen.

Mit seinem Tod enden auch die Verfolgungen. Auch in Eichstätt gehen die Verfolgungen durch alle sozialen Schichten, Opfer werden Bürgermeister, Ratsherren und deren Frauen ebenso wie der "Klosterrichter" und andere.

29. Juni 1617 Prag * Aufgrund seines angegriffenen Gesundheitszustandes wählen die böhmischen LandständeErzherzog Ferdinand - noch zu Lebzeiten von Kaiser und König Matthias - zum designierten König von Böhmen, nachdem auch er die im Majestätsbriefgarantierten Freiheiten und Privilegien beeidet.Erzherzog Ferdinand II. wird von dem böhmischen Ständen- trotz seines bekanntermaßen kämpferischen Katholizismus - zum König gewählt und im PragerVeitsdomfeierlich gekrönt.

Doch die an den herzoglichen, königlichen und kaiserlichen Höfen sitzenden und Einfluss habenden Jesuitenwollen - ebenso wie der spanische Hof - die Bestimmungen des Majestätsbriefesrückgängig machen.Sie ersinnen eine Gegenstrategie, in deren Folge zwei protestantische Kirchen abgerissen werden.

Um März 1618 Prag * Die protestantischen "Landstände" in Böhmen rufen einen "Landtag" ein, auf dem sie die im "Majestätsbrief" gewährten Rechte verletzt sehen und beim Kaiser Beschwerde einlegen.

Dessen Antwort ist kurz und bündig. Er verbietet weitere Sitzungen des "Landtags" und setzt damit den "Majestätsbrief" faktisch außer Kraft.

Seite 108/814 21. Mai 1618 Prag * Obwohl Kaiser Matthias das Zusammentreten des böhmischen Landtags- bei Strafe - verboten und damit den Majestätsbrieffaktisch außer Kraft gesetzt hatte, kommen die Ständevertreterzur Versammlung.

Ab 1619 München-Kreuzviertel * Zwischen 1619 und 1622 entsteht in der Frauenkircheüber der Deckenplattefür Kaiser Ludwig dem Baiern der bronzene Kenotaph. Das Ludwigsmonumentbefindet sich nahe dem Bennobogen.

1619 Haidhausen * Herzog Maximilian I. schenkt der "Sankt-Johann-Baptist-Kirche" die "rechte Kinnlade des heiligen Johannes des Täufers" um Haidhausen in den Status eines Wallfahrtsortes zu setzen.

Die kostbare Reliquie stammt aus dem "Benediktinerkloster Stablo-Malmedy", das in der "Erzdiözese Köln" liegt, das von dem jüngeren Bruder des Wittelsbachers, Kurfürst Ferdinand, regiert wird.

Die "Verehrung der heiligen Knochen" bringt den Andachten in der Haidhauser Kirche einen noch größeren Zulauf.

Die "Kopfreliquie des heiligen Johannes des Täufers" wird heute an mehreren Orten verehrt. Das bedeutet, dass der Heilige - vorsichtig gesagt - mindestens vier Köpfe haben musste.

20. März 1619 Wien * Matthias, der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation,stirbt in Wien.

Umgehend, als sei nichts gewesen, teilt König Ferdinand den Böhmischen Ständenin Prag mit, dass er gewillt sei, jetzt die Regierung anzutreten.Im gleichen Brief bestätigt er den böhmischen Landständenalle bisherigen Privilegien und Freiheiten.

Doch die Böhmen glauben die Zusagen des Habsburgers nicht mehr und akzeptieren unter den gegebenen Umständen den als Gegenreformatorenbekannten Erzherzognicht mehr als ihren König.

Als Alternative schlagen sie Jan Smirický, einen schwerreichen böhmischen Adeligen zur Wahl vor. Das ist - in dieser stockaristokratischen Welt - nun wirklich "revolutionär".

8. Oktober 1619 München * Herzog Maximilian I. von Baiern sichert Kaiser Ferdinand II. imMünchner Vertragdie Unterstützung derLiga- unter seinem Oberbefehl - gegen das aufständische Böhmen zu. Kaiser Friedrich II. sagt dem Baiernherrscher

das uneingeschränkte Direktorium über die katholische Ligazu und garantiert ihm Ersatz für alle Unkosten, die er beim Krieg gegen Böhmenhaben würde. Bis zur endgültigen Abrechnung sind ihm pfandweiseösterreichische Länder zu übertragen.

Seite 109/814 Nur mündlich erhält Herzog Maximilian I. das kaiserliche Versprechen, dass Kurfürst Friedrich V. geächtetund die pfälzische Kurwürde nach Baiern verlagert wird.

1620 Berg am Laim * Der inzwischen zum "Generalkriegskommissar" aufgestiegene Albrecht von Lerchenfeld kauft den "Großmeierhof" und den "Kleinmeierhof" in Echarding und fügt beide in seine "Hofmark Berg am Laim" ein.

Zudem erwirbt er die drei "Schwaigen" Harlaching, Geiselgasteig und Harthausen, die heutige "Menterschwaige".

Noch im gleichen Jahr stirbt Albrecht von Lerchenfeld.

Januar 1620 München-Graggenau * Die "Schanzarbeiten" beginnen vor dem "Schwabinger Tor" und verlaufen in Richtung "Kosttor".

200 Männer und 300 Frauen werden von der Stadt für die Arbeiten am Festungsbau bezahlt. Straftäter werden nicht mehr des Landes verwiesen, sondern zum "Schanzbau" zwangsverpflichtet, Bettler und Landstreicher aus allen Rentämtern werden dem Großbauvorhaben zugeführt.

Im ersten Jahr sind etwa 2.000 auswärtige Arbeiter in München im Ausbau der Festung beschäftigt.

Mai 1620 Schärding * Der bereits 60-jährige "Karmelitengeneral" Dominicus a Jesu Maria geht auf päpstliche Weisung nach Baiern.

Noch in Rom hat er den Sieg von Prag vorausgesagt: "Wenn die Schlacht anfangen wird, werde ich auf einem mutigen Pferd sitzen, durch die Glieder des Kriegsheeres reiten, die Soldaten anfrischen: Die mich erblickenden Feinde werden aufschreien: Was für ein Teufel aus der Hölle kommt zu dem katholischen Kriegsheer?"

In Schärding am Inn, wo die "Liga" ihre Truppen gesammelt hat, trifft der "Karmeliter-Pater" Dominicus a Jesu Maria erstmals auf Herzog Maximilian I. und dessen Ehefrau Elisabeth Renata von Lothringen.

Gemeinsam begeben sich die zur "Strafaktion" versammelten Regimenter und Maximilians Hofstaat nach Böhmen. Der "Karmeliter-Pater" reist in einer Sänfte.

In einem von den böhmischen Aufständischen zerstörten Dorf findet der Ordensmann ein kleines Bild, das die Geburt Jesu darstellt.

Calvinistische Bilderstürmer haben Maria und Josef die Augen ausgekratzt. Sofort hängt sich der "Karmelit" dieses "Gnadenbild" um den Hals.

Oktober 1620

Seite 110/814 Prag * Für Erzherzog Ferdinand ist die "Rebellion von Prag" der erhoffte Anlass, um gegen die "böhmischen Stände" loszuschlagen.

Die "Ständevertreter" interpretieren ihre Gewalttat als Notwehr, doch für den habsburgischen Kaisersohn ist die kriegerische Niederwerfung der "Aufständischen" unausweichlich geworden. Die dafür notwendige Finanzierung soll durch die eingezogenen Güter der "Rebellen" sichergestellt werden. Außerdem soll "der Schrecken der Hinrichtungen die Stände zum Gehorsam zwingen".

In Prag geht inzwischen das Gerücht um, dass die "Jesuiten" eine "Bluthochzeit", also die Ermordung der Protestanten, planen. Andererseits streuen die kaiserlich Gesinnten das Gegengerücht, wonach die "böhmischen Stände" vom "türkischen Kaiser Hilfe begehrt hätten".

Die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den "Kaiserlichen" und den "Böhmischen" beginnen.

Am Morgen des 8. November 1620 Prag * Der Karmeliten-PaterDominicus a Jesu Maria tritt mit einem von kalvinistichen Bilderstürmern geschändeten Marienbild um den Hals und dem Kreuz in der Hand vor die Söldnertruppen und ruft im mitreißenden Glaubenseifer zum Kampf auf. Engel würden die katholische Sache zum Sieg führen. Der Schlachtruf lautet: "Maria!"

Am Weißen Bergentbrennt der Kampf gegen das böhmische Ständeheer. Eine Übermacht von 32.400 kaiserlichen Infanteristen und 7.550 Reitern tritt gegen 8.000 böhmische Fußsoldaten und 5.000 Kavalleristen an. In nur einer einzigen Stunde erringen die Kaiserlichen einen triumphalen Sieg über die böhmischen Rebellen.

Domenicus a Jesus Maria stilisiert anschließend den Kampf zu einer Schlacht des Katholizismus gegen den Unglaubenhoch.Die vernichtende Niederlage des protestantischen Heeres wird dementsprechend als Sieg des Katholizismusund schließlich als göttliches Wunderumgedeutet.

Ab der Brausaison 1621 München-Graggenau * Die von Elias Pichler kreierte neue "Bier-Spezialität", das "Bockbier", taucht bei allen Abrechnungen der Sudstätte als eigener Rechnungsposten auf.

24. April 1621 Heilbronn * Die protestantische Unionlöst sich beim Unionstagin Heilbronn -unter dem Eindruck der militärischen Überlegenheit der kaiserlichen Heere und der katholischen Liga- selbst auf.

21. Juni 1621 Prag * Nach dem Zusammenbruch des Böhmischen Aufstands und der Flucht des Winterkönigs Friedrich V. lässt Kaiser Ferdinand II. - vor dem Altstädter Rathaus in Prag - ein blutiges Gericht über seine Anhänger halten.

43 Todesurteile gegen protestantische böhmische Adelige werden gesprochen, 27 werdenan diesem Tag öffentlich vollstreckt. 24 durch das Schwert, drei am Galgen. Zwölf der abgeschlagenen Köpfe werden zur Abschreckung am Prager Brückenturm aufgesteckt und erst zehn Jahre später durch die sächsische Besatzungsmacht entfernt.

Seite 111/814 8. Dezember 1621 München * Maximilian Heinrich, der spätere Fürstbischof und Kurfürst von Köln, wird in München geboren. Er ist ein Sohn von Herzog Albrecht VI. und dessen Ehefrau Mechthildis von Leuchtenberg.

Sein Bruder Albrecht Sigismund wird Bischof von Freising und Regensburg. Zu seinen Onkeln zählen Kurfürst Maximilian I. sowie der Erzbischof und Kurfürst Ferdinand von Köln.

Bis 1622 Herzogtum Baiern * Die anderen altbaierischen "Franziskaner-Klöster" - in Landshut, Ingolstadt und Kelheim sowie die geistliche Leitung des "Klarissinnenklosters St. Jakob am Anger" - werden von "Reformaten" übernommen.

Viele der alten "Observanten" verlassen daraufhin die neue Provinz wegen des "welschen guberno", also der Vorherrschaft ihrer italienischen Mitbrüder. Doch schon innerhalb einer Generation sind die einheimischen "Reformaten" wieder nachgewachsen.

7. Januar 1623 Regensburg * DerRegensburger Fürstentagbeginnt.Um die Verhältnisse nach der Niederschlagung des Böhmischen Aufstands zu regeln, lädt Kaiser Ferdinand II. die Regenten aus Köln, Mainz, Trier, Kursachsen, Brandenburg, Braunschweig-Wolfenbüttel, Pommern, Hessen-Darmstadt, Baiern, Salzburg und Bamberg zu einem Treffen nach Regensburg.

Bis auf Hessen-Darmstadt lehnen alle protestantischen Fürsten die Teilnahme ab. Sachsen und Brandenburg entsenden lediglich Beobachter zu dieser Besprechung.

25. Februar 1623 Regensburg * Kaiser Ferdinand II. löst sein Versprechen ein und belehnt Herzog Maximilian I. von Baiern auf dem Regensburger Fürstentag mit der pfälzischen Kur des gestürzten WinterkönigsFriedrich V.. Wie verabredet erhält er die Kurwürde nur auf Lebenszeit. Außerdem wird ihm die Oberpfalz zugesprochen. Die Rheinpfalz kommt unter baierische und spanische Verwaltung.

Damit ist die katholische Mehrheit im siebenköpfigen Kurfürstenkollegium gesichert.Die baierischen Wittelsbacher besitzen nun - mit Köln - über zwei der sieben Kurwürden.

13. Mai 1623 München * Als die Gebrüder Beniamin und Sinj aus Florenz das Unternehmen der Gebrüder Bettega übernehmen wollen, laufen die Münchner Handwerker der "Loder, Leinweber, Strumpfwürckher und Gschlachtgwandter" dagegen Sturm, da ihnen die besten Spinnerinnen "von den Italiänern abgerungen werden [...] und das clainod vnd fürnembste comercium des landts, das gewerbe mit loden, Tuech, federrith, handschuech und strimpf geht zu grund".

Der Münchner Bürgermeister unterstützt den Protest der ansässigen Handwerker mit dem Argument, dass der Holzverbrauch der Seidenwirker unvergleichlich hoch sei.

Seite 112/814 Doch Herzog Maximilian I. erhebt sich über die Proteste und erteilt für die "besonders lieben Beniamin und Sinj" am 13. Mai 1623 das erbetene Privileg, da sie "weeder mit einer abwerbung der gespunstleüth noch in ander weeg den loders etc. khainen eintrag thuen". Außerdem dürfen für die Arbeiten nur Leute beschäftigt werden, die aus Orten kommen, die fünf Meilen entfernt sind.

5. August 1623 München ? Herzog Albrecht Sigismund, der spätere Fürstbischof von Freising und Regensburg sowie Hofmarkherr von Berg am Laim, wird in München geboren. Seine Eltern sind der baierische Herzog Albrecht VI. und Mechthilde von Leuchtenberg.

5. Dezember 1623 München * Albrecht Sigismund, der spätere Bischof von Freising und Regensburg, kommt in München zur Welt. Er ist der Sohn von Herzog Albrecht VI. und seiner Ehefrau Mechthilde von Leuchtenberg, der Tochter des Landgrafen Georg Ludwig von Leuchtenberg.

1624 München * In einem Bericht an Kurfürst Maximilian I. betont der Stadtrat, dass er starke "Bettler und Bettlerinnen" in "Eisen schlagen" und anschließend zur "Zwangsarbeit beim Schanzenbau" einsetzen lässt.

Mit diesen Zwangsmaßnahmen wollen die "Stadt- und Landesherren" den "Arbeitsscheuen" den "Teufel des Müßiggangs" austreiben. Doch nach ihrer Entlassung finden die "Bettler" trotzdem keine Möglichkeit der Beschäftigung vor.

Etwa 1625 München-Graggenau * Der "Marktbrunnen" trägt die Bezeichnung "Fischbrunnen".

Bei ihm findet der "Fischmarkt" statt.

Ab 1625 Bamberg * Unter "Fürstbischof" Johann Georg II. Fuchs von Dornheim sollen alleine zwischen 1625 und 1630 nicht weniger als 236 Menschen verbrannt worden sein.

Insgesamt werden im "Fürstbistum Bamberg" zwischen 1616 und 1630 mindestens 630 Menschen als vermeintliche "Hexen" hingerichtet.

Januar 1625 Natternbach - Oberösterreich * Der Dechant Blasius de Livo und der von ihm eingesetzte italienische Pfarrer von einigen Hundert Bauern mit Steinen beworfen und verjagt.

Das bleibt zunächst ohne Konsequenzen, bringt aber eine Reihe von Ereignissen in Gang die im Oberösterreichischen Bauernkrieg enden.

Seite 113/814 15. Mai 1625 Frankenburg * Ein Zentrum des oberösterreichischen Aufstands gegen die baierische Besatzungsmacht ist der Ort Frankenburg bei Völklabruck.Hier wird ein Exempel statuiert.

Man treibt rund 5.000 Bauern aus Frankenburg und Umgebung auf dem "Haushamer Feld" zusammen und erklärt den 36 Anführern, dass sie wegen Widerstands zum Tode verurteilt sind.Aus Gnade wolle man aber der Hälfte das Leben schenken. Um diese Hälfte zu ermitteln, werden Paare gebildet, die um ihr Leben würfeln sollen.An 16 Verlierern wird das Todesurteil sofort vollstreckt, zwei Todgeweihte werden begnadigt.

Das Frankenburger Würfelspielwird zum Auslöser für den großen oberösterreichischen Bauernaufstandim Mai 1626.

1626 Berg am Laim * Maria Jacobäa Freifrau von Lerchenfeld, die Witwe des Berg am Laimer "Hofmarkherren", lässt am nördlichen Ortsrand eine "Loretokapelle" errichten.

Die "Loretokapelle" war eine maßstabsgetreue Nachbildung der "Santa Casa von Loreto" bei Ancona an der italienischen Adriaküste, die als "Wohnhaus der heiligen Familie in Nazareth" gilt.

Der Legende nach wurde das kleine Gebäude aus Sandstein und Ziegeln am 10. Mai 1291 vor den Mohammedanern gerettet. Engel trugen das Haus von Nazareth nach Dalmatien, wo sie es auf dem Berg Trsat bei Rijeka absetzten. Doch schon am 12. Dezember 1294 brachten Engel das heilige Haus in die Gegend von Recanati, wo sie es in einem Lorbeerhain, italienisch "Loreto", niederließen. Da viele Pilger bei dem einsam gelegenen Heiligtum ausgeraubt wurden, fand man das Haus eines Tages näher am Ort Recanati, auf dem Grundstück zweier Brüder. Als diese anfingen, sich um die Opfergaben der Pilger zu streiten, entfernte sich das Haus am 7. September 1295 nochmals und steht seither an der Stelle, wo es im 16. Jahrhundert von einer riesigen Kathedrale überbaut wurde und sich zu einem der größten Wallfahrtsziele Italiens entwickelte.

Zum Unterhalt der Kirche stattet die Freifrau die "Loretokirche" mit einem "Benefizium" aus, das aus einem Kapitalstock von 1.000 Gulden besteht. Der Zinsertrag kommt zur Hälfte der Erhaltung der Kirche, zum anderen Teil dem Kaplan zu Gute, der die im "Stiftungsbrief" festgelegten Messen lesen musste.

Außer der finanziellen Zuwendung erhält er ein Haus, das bis zum Jahr 1968 an der Echardinger Straße 6 steht. Es war "gemauert samt einem Statl, Stallung [...] großen Garten und Pflanzgärtl" und enthielt zudem "dreieinhalb Joch Acker".

Der Weg, der die Münchner Wallfahrer über Haidhausen zur Kapelle führte, hieß "Loretosteig". Es ist dies die heutige Berg-am-Laim-Straße, die damals an der Kapelle endete.

Ab 1626 Bamberg * Der Neffe des Bamberger "Fürstbischofs" Johann Georg II. Fuchs von Dornheim, Philipp Adolf von Ehrenberg, ein "Eiferer", weitet in den Jahren 1626 bis 1630 die "Hexenverfolgungen" massiv aus.

Seite 114/814 Dabei geraten - im Gegensatz zum üblichen Verlauf der Verfolgungen - zahlreiche Adelige und Bürger, aber auch "Ordensleute" und sogar das "Verfolgungspersonal" selbst in den Sog der "Trudenjagd".

Nach der Beendigung der "Hexenverfolgung" durch eine Entscheidung des "Reichskammergerichts" und dem Einmarsch der schwedischen Truppen sind in der Stadt Würzburg 220 Personen und im "Hochstift Würzburg" über 900 Menschen als "Hexen" erst geköpft und dann verbrannt worden.

1626 München * Selbst unter den "Jesuiten" gibt es erste Stimmen, die sich entschieden gegen die "Verfolgung der Hexen" aussprechen.

Dazu gehört der "Jesuitenpater" Adam Tanner, der sich im dritten Band seines Werkes "Theologiae Scholasticae" vehement gegen die Ansicht wehrt, dass Gott es zulassen würde, dass neben vielen "Schädlichen" auch viele "Unschuldige" sterben müssten.

Tanner bejaht zwar die Existenz der "Hexen", glaubt grundsätzlich an den "Teufelspakt" und sieht in der "Hexerei" ein "todeswürdiges Verbrechen", dem der Prozess zu machen sei.

Er verlangt aber auch, dass bis zum Beweis des Gegenteils von der "Unschuld der Angeklagten" auszugehen sei. "Geständnisse unter der Folter" dürfen keine Begründung für einen "Urteilsspruch" sein.

Seine Forderungen bringen dem "Jesuiten" Adam Tanner mannigfache Anfeindungen ein. Erboste "Inquisitoren" drohen ihm sogar die "Folter" an.

7. Februar 1626 München - Au * Der Alt-Herzog Wilhelm V. stirbt in München. Seine Grabstätte befindet sich in der "Michaelskirche".

Sein Lieblingssohn, Herzog Albrecht VI., erbt die "Hofmark Neudeck".

Um den 12. Mai 1626 Lembach im Mühlkreis - Oberösterreich * Mit dem Frankenburger Würfelspiel sollte ein Exempel statuiert werden. Doch wächst dadurch der Zorn der protestantischen Bauern noch stärker, worauf im Mai 1626 der Bauernkrieg durch erste Kampfhandlungen in Lembach im Mühlkreis beginnt. Bei einer Rauferei im Markt Lembach werden sechs baierische Soldaten getötet.

Der Oberösterreichische Bauernkrieg richtet sich gegen Kurfürst Maximilian I. und die baierische Besatzungsmacht. Zehntausende Bauern versammeln und organisieren sich. Über ihren Haufen wehen schwarze Fahnen, die mit Totenköpfen geschmückt sind.

Eines ihrer Kampfleder lautet: "Von Baiern Joch und Tyrannei, Und seiner großen Schinderei, Mach uns, o lieber Herr Gott, frei!"

Seite 115/814 16. Mai 1626 München - Au * Kurfürst Maximilian I. unterzeichnet den Stiftungsbrief für die Pfarrei Neudeck.

17. Oktober 1626 München - Oberösterreich * Kurfürst Maximilian I. schreibt an Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, genannt "Wallenstein", er möge einen Teil seiner Armee "zur Stillung der Unruhen nach Oberösterreich" senden.

1. März 1627 Eichstätt * Ursula Bonschab wird der Hexereibeschuldigt. Sie wurde aufgrund von 16 Denunziationengefangen genommen und "gütlich und peinlich vernommen". 20 Tage hält sie den Qualen einer extrem grausamen und sich immer steigernden Folterprozedurstand, erst dann ist die selbstbewusste Frau gebrochen.

Sie gesteht schließlich alles, was man ihr vorsagt: "Wetterzauber, Kinderausgraben, Coitus mit dem ?bösen Feind?, Schadzauber mit Pulver und Salben an Menschen und Tieren".Außerdem nennt sie noch 34 "Gespielinnen", an denen sich die fürstbischöflichen Kommissareim Anschluss ebenfalls vergehen.

8. Mai 1627 Eichstätt * Ursula Bonschab wird "von Rechts wegen" als Hexemit dem Schwert der Kopf abgeschlagen und ihr Körper anschließend auf dem Scheiterhaufenverbrannt. Das nicht unbeträchtliche Vermögen der Bürgermeisterinwird vom FürstbischofJohann Christoph von Westerstetten, seinen Terrorkommissaren, Foltermeistern und Henkerknechtengeraubt.

Oktober 1627 Kurfürstentum Baiern * Die "Pest" verbreitet sich in ganz Baiern.

17. November 1627 Au * "8 Väter und 4 Laienbrüder des Ordens der minderen Brüder des heiligen Franziskus von Paula" treffen in der Au ein.

1628 Oberpfalz * "Bücherverbrennungen" in der rekatholisierten Oberpfalz.

22. Februar 1628 München * Der zweite Münchner Vertrag zwischen Kaiser Ferdinand II. und Kurfürst Maximilian wird unterzeichnet. Er beinhaltet, dass

die am 25. Februar 1623 nur auf Lebenszeitverliehene Kurwürde auch auf Maximilians Erben übertragen wird, die Oberpfalz und die rechts des Rheins liegenden Gebiete der unteren Pfalz um 13 Millionen verkauft werden, Baiern Oberösterreich wieder an den Kaiser zurückgibt.

Seite 116/814 4. März 1628 München * Kurfürst Maximilian I. von Baiern erhält dieerbliche Kurwürdeoffiziellverliehen. Die ihm am 25. Februar 1623 übertragene Kurwürde war nur"auf Lebenszeit". Jetzt ist die baierische Kurwürdeerblich, doch der 55-jährige Kurfürst Maximilian I. hat noch keinen Erben.Die Rangerhöhung Baierns vom Herzogtum zum Kurfürstentum wird im ganzen Land kundgetan.

Im siebenköpfigen Kurfürstenkollegiumscheint damit die katholische Mehrheit auf Dauer gesichert.Gleichzeitig fühlen sich aber die protestantischen Reichsständezu erhöhtem Widerstands- und Kampfeswillen herausgefordert.

6. August 1628 Köln - München-Kreuzviertel * Der Kölner Kurfürst und Erzbischof Ferdinand, ein Bruder des baierischen Kurfürsten Maximilian I., schenkt der Münchner Marianischen Männerkongregationein Stück jener Eiche, in deren Inneren im Jahr 1609 im flandrischen Foy eine Marienfigur gefunden worden war.

Der Hofbildhauer Hans Krumper formt daraus die sogenannte "Feuermadonna", die noch heute von der Marianischen Männerkongregatio" in Ehren gehalten wird.

28. September 1628 München * Im Haus des Geheimen RatsBartholomäus Richel stirbt eine Magd vermutlich an der Pest. Umgehend werden alle Kontaktpersonen der Verstorbenen für zwanzig Wochen in Gartenhäusern vor der Stadtmauer isoliert. Durch diese Maßnahme kann eine Verbreitung der Seuche vermieden und die Zahl der Opfer klein gehalten werden.

1629 Ingolstadt * Auch Ingolstadt bekommt einen Hexenprozess. Das Strafurteil fällt die Juristenfakultät der Universität Ingolstadt, die zwar im Allgemeinen milder urteilte, als es dem Herzog gefiel, dennoch einige Todesurteile fällte. Verurteilt wird die Hofschneiderin Catharina Nickhlin wegen "Teufelsbündnis, Teufelsvermischung, Absagung Gottes, Schädigung von Mensch und Vieh" und wegen "Verunehrung der Hostien".

Catharina Nickhlin stammt aus Eichstätt und wird aus dem Kreis der dort wegen Hexerei verbrannten Frauen und Männer denunziert. Sie flieht nach Ingolstadt, wird aber dort auf Ersuchen der Eichstätter Behörden am 13. Februar 1629 verhaftet. Nachdem sich die Stadt Ingolstadt gegen den Hexen-Prozess wehrt, muss ein Dr. Wolfgang Kolb auf Befehl des Münchner Hofrats die Tortur durchführen. Dr. Kolb hat vorher schon als Hexen-Kommissar in Eichstätt gedient.

6. März 1629 Wien * Kaiser Ferdinand II. erlässt - in Übereinstimmung mit den Kurfürsten von Mainz, Köln, Trier und Baiern - das Restitutionsedikt, das jede "Entfremdung von katholischem Kirchengut nach dem Stichjahr 1552 für unrechtmäßig" erklärt.

Davon betroffen sind rund 500 Klöster und Konvente vor allem in Niedersachsen und Württemberg, die Erzbistümer Bremen und Magdeburg sowie zwölf reichsunmittelbare Bistümer in Norddeutschland.Nur Meißen, Merseburg und Naumburg werden dem Kurfürsten von Sachsen aus politischen Rücksichten vorerst überlassen.

Seite 117/814 Es erhebt sich nicht nur bei den protestantischen Reichsständenlauter Protest.Selbst der Papst äußert Bedenken.

6. Juli 1629 Ingolstadt * Die Juristenfakultät der Universität Ingolstadtstellt das Todesurteilgegen Catharina Nickhlin aus, nachdem der Hofratzuvor die Hinrichtung durch Verbrennenbefohlen hat.

Dr. Kolb exekutiertin Wallerstein zwischen 1628 und 1630 zwanzig Hexen, in Wemding ister im Jahr 1629 für die Hinrichtung der ersten neun Delinquenten verantwortlich. Den "Erfolg" von Dr. Wolfgang Kolb führtman auf die Einführung einer neuen Foltermethodezurück: auf den "Bock", den er erstmals im Kurfürstentum Baiern anwendet.

1. November 1629 München-Kreuzviertel * Die ersten vier Mönche des Ordens der Brüder der Seligen Jungfrau Maria vom Berge Karmeltreffen aus Prag kommend in München ein.

20. November 1629 München-Kreuzviertel * Die Karmeliterübernehmen die Nikolauskapelle,die Herzog Wilhelm V. als Ersatz der älteren, durch den Bau der Michaelskircheabgebrochenen Kirche errichten hat lassen.

29. Januar 1630 Amberg * Im Zuge der Rekatholisierung der Oberpfalz lässt Kurfürst Maximilian I. vor den Toren von Amberg 11.183 unkatholische Bücher verbrennen. Diese wurden zuvor von den baierischen Beamten bei systematischen Hausdurchsuchungen eingezogen. Propagandistisch wird die Bücherverbrennung als Strafgericht inszeniert und durch Jesuitenschüler musikalisch unterstützt.

Die Rekatholisierung der Oberpfalz wird bis zum Jahr 1675 weitestgehend abgeschlossen sein.

3. Juli 1630 Regensburg * Kaiser Ferdinand II. eröffnet den Regensburger Kurfürstentag. Er wird bis November dauern. Auf dem Kurfürstentag will Kaiser Ferdinand II.

die Wahl seines Sohnes Ferdinand III. zum deutsch-römischen König sichern und Unterstützung gegen die niederländischen Generalstaaten einfordern.

Doch die Kurfürsten verweigern die Zustimmung zur Wahl Ferdinands III. und fordern stattdessen

eine Verringerung der kaiserlichen Armee und eine Milderung der Kriegskosten. Der kaiserliche Oberbefehlshaber Albrecht von Wallenstein wird seines Postens enthoben. Der 71-jährige Johann Tserclaes Graf von Tilly erhält dafür zusätzlich zu seinem Kommando der katholischen Liga nun auch noch den Oberbefehl über das kaiserliche Heer.

Seite 118/814 Der Kaiser einer Überprüfung des Restitutionsedikts zustimmen.

1631 Westfalen * Ein breites Aufflammen der "Hexenprozesse" kostet während der Zeit von 1626 bis 1631 nachweislich etwa 574 Angeklagten im Herzogtum Westfalen das Leben.

Durch die von Kurfürst Ferdinand von Köln erlassene "Hexenprozessordnung"enden nahezualle Anklagen mit einem Todesurteil.

Mai 1631 München * Die Schrift "Cautio Criminalis" des "Jesuitenpaters" Friedrich Spee erscheint, in der er sich - erstmals im katholischen Bereich - kritisch mit der Anwendung der "Folter" und den "Hexen-Verfolgungen" auseinander setzt.

Die Schrift muss "anonym" erscheinen. Auch ein aussagekräftigerer Titel - wie etwa "Wider den Hexenwahn" - wäre ein eindeutiger Verstoß gegen die allgemein herrschende Überzeugungen gewesen und geeignet, neben dem Verfasser auch noch den Drucker und den Verleger in Verdacht zu bringen, dass sie "Hexen" in Schutz zu nehmen und somit die "Partei des Satans" stärken würden.

Der "Jesuitenpater" Friedrich Spee hatte während seiner Aufenthalte in den Zentren der "Hexenverfolgung" in Köln, Trier, Würzburg, Mainz, Speyer und Paderborn "Hexenprozesse" verfolgt und kam dabei zur Überzeugung, dass die "Folter" nicht zur "Wahrheitsfindung" geeignet sei.

Das verstößt freilich gegen die damalige "Rechtsauffassung", denn daraus lässt sich ableiten, dass die verdächtigten Frauen - trotz ihrer Geständnisse unter der "Tortur" - unschuldig sind.

Innerhalb der "Gesellschaft Jesu" bleibt die Autorenschaft des "Paters" Friedrich Spee nicht verborgen. Zeitweise droht ihm sogar die Entlassung aus dem "Jesuitenorden".

20. Mai 1631 Magdeburg * Es kommt zu einem ersten schweren Geschützfeuer auf die Stadt Magdeburg und die umliegenden Dörfer. Am frühen Morgen dringen die katholischen Kaiserlichen, angeführt vom katholischen OberbefehlshaberGraf Johann Tserclaes von Tilly und GeneralGottfried Heinrich Graf zu Pappenheim, in die Stadt ein und richten ein grausliches Blutbad an. Magdeburg versinkt in einer Orgie aus Gewalt, Zerstörung und Plünderung. Entsetzte Offiziere bitten Graf von Tilly dagegen einzuschreiten und erhalten die knappe Antwort: "Der Soldat muss etwas haben für seine Gefahr und Mühsal."

Gegen Mittag fängt die Stadt zu Brennen an.Ob planmäßige Feuer gelegt worden sind, womöglich durch die Verteidiger der Stadt, wird nie geklärt.Jedenfalls verlieren dabei mehr als 15.000 Menschen - nach anderen Quellen sogar bis zu 30.000 Menschen - ihr Leben.

Die sogenannte "Magdeburger Hochzeit" gilt als das größte und schlimmste Massaker während des Dreißigjährigen Krieges, über das man in ganz Europa entsetzt ist. Es heißt, die Taten und der Schrecken sind in ihrer Entsetzlichkeit "nicht in Worte zu fassen und nicht mit Tränen zu beweinen".

Seite 119/814 1. Juli 1631 München * Kurfürst Maximilian I. erlässt einen Gründungsbrieffür die Niederlassung des Karmeliter-Ordensin München. Sie sollen für ihren Klosterbau ein Gelände außerhalb der Stadtmauern erhalten, gelegen zwischen Angertorund Schiffertor. Doch diese Pläne zerschlagen sich im Verlauf des Krieges.

17. September 1631 Breitenfeld * In der Schlacht bei Breitenfeld[6 Kilometer von Leipzig entfernt] besiegen die Truppen des schwedischen Königs Gustav II. Adolf die Kaiserlichenvernichtend. 12.000 Kaiserlichebleiben tot auf dem Schlachtfeld, 7.000 geben sich gefangen und werden ohne weiteres in die Reihen der Schwedenaufgenommen. Außerdem gehen die Kriegskasseund sämtliche Geschütze verloren. Die schwedischen Verbündeten verlieren etwa 3.000 Mann.

Dezember 1631 Deutschland * Albrecht von Wallenstein kehrt wieder auf die Schlachtfelder zurück.

8. April 1632 München * Kurfürstin Elisabeth Renata und ihr Schwager, Herzog Albrecht VI. mit Familie, verlassen aus Angst vor den Schweden München, um sich in Salzburg in Sicherheit zu bringen.

Die kurfürstliche Schatzkammer, kirchliche Schätze und die städtische Barschaft im Wert von 32.449 Gulden werden im Ausland, im "Erzbistum Freising", in Sicherheit gebracht.

Münchner Bürger und Adelige, die es sich finanziell leisten können, suchen Schutz in Tirol oder Italien.

15. April 1632 Rain am Lech * In der "Schlacht bei Rain am Lech" werden die "Kaiserlichen" unter Führung des katholischen "Oberbefehlhabers" Johann Tserclaes Graf von Tilly von den Truppen des Schwedenkönigs Gustav II. Adolfs besiegt.

Dadurch können die "Schweden" den Lech überschreiten, womit ihnen das ganze Kurfürstentum Baiern offen steht. Die Baiern müssen jetzt die leidvollen Erfahrungen mit dem Durchzug feindlicher Heere durchleben.

Graf von Tilly wird in der Schlacht durch einen Schuss schwer am Bein verwundet. Kurfürst Maximilian I. zieht sich daraufhin in das stark befestigte Ingolstadt zurück.

Die Erfolge des schwedischen Königs, den seine Anhänger "Löwe aus Mitternacht" und "Gideon des Nordens" nennen, von seinen Feinden aber als "Schneekönig" verspottet wird, machen seinen katholischen Kriegsgegnern Angst. Besonders nach dem "Massaker von Magdeburg".

14. Mai 1632 München - Freising * Der kurfürstliche KriegsratJohann Küttner und die Münchner Bürgermeister Friedrich Ligsalz

Seite 120/814 und Ferdinand Barth sowie der Stadtrat Paulus Parsdorfer reisen nach Freising. Dort treffen sie den Schwedenkönig Gustav Adolf und bitten ihn

um Schonung der Stadt vor Brand und Plünderung, die Sicherung der Personen und Eigentum und die Bewahrung von Religion und politischer Verfassung.

Sie bieten dafür die Bezahlung einer Kontribution[Geldzahlung] an.

17. Mai 1632 München - Haidhausen * Unterwürfig überreichen die Münchner Stadtväter dem anrückenden KriegsherrnGustav II. Adolf am Gasteigdie Stadtschlüssel. Der Schwedenkönigzieht in München ein, um in der Residenz Quartier zu nehmen. Sein Weg führt ihn über die Isarbrücke zum Roten Turmund dem Isartor. In seiner Begleitung befindet sich der "Winterkönig" Friedrich V., der Pfalzgraf August von Sulzbach und die Herzöge Bernhard und Wilhelm von Weimar sowie Johann von Holstein.Diesen folgen noch drei Regimenter.

Gustav Adolf ist von München angeblich so begeistert, dass er am liebsten die Residenzmit nach Schweden genommen hätte - sagt man.Es stimmt wohl, dass er München - angesichts des eher kargen Umlandes - mit einem "goldenen Sattel auf einem mageren Pferde" verglichen hat.Seine Schwärmerei für die Residenzistjedoch eine Ausschmückung späterer Jahre.Denn eigentlich war es nur ein Ofen, der ihm so gut gefiel, dass er "gewinschet, daß dieser ofen zu Stockholm wehre".

Die Schweden besetzen die baierische Haupt- und Residenzstadt.Siegmund Riezler schrieb dazu: "Im Übrigen aber wurde weder Eigentum noch Person angetastet". Das stimmt so nicht!Denn die Hauptleidtragenden der Kriege sind immer die Vorstädter. Sie bieten den Belagerern der Stadt Ersatz fürs Morden, Plündern, Brandschatzen, Foltern und Vergewaltigen. Die Hauptarmee lagert nicht in der Stadt, sondern ist auf die Dörfer vor den Stadttoren verteilt worden. Und diese Soldateskaraubt und stiehlt alles, was nicht niet- und nagelfest ist und verkauft es in der Stadt, sodass die Münchner Waren zu billigsten Preisen kaufen können.

19. Mai 1632 München * König Gustav II. Adolf besucht die Michaelskircheund lässt sich das Gottesdienstritualgenauestens erklären. Der schwedische König fordert von der Stadt 300.000 Reichstaler, um München vor der Zerstörung zu verschonen.Die in der Stadt verbliebene Bürgerschaft versucht daraufhin, soviel wie möglich von der geforderten Summe zusammenzutragen.

Selbst die Ärmsten der Stadt müssen sich daran beteiligen.Und auch die schon so stark gebeutelten Einwohner der Au, Haidhausens und Giesings haben für die Zahlungen ihr Schärflein beizutragen.Exakt 940 Gulden und 43 Kreuzer steuern sie aus ihren sowieso schon begrenzten Mitteln bei. Und dennoch reicht es nicht.

Gerade mal 144.273 Gulden bringt die Geldeintreibung ein.Das ist nicht mal ein Drittel der geforderten Summe, worauf der Schwedenkönigje 22 weltliche und geistliche Geiseln verlangt.

7. Juni 1632 München *Statt 44 verlassen insgesamt 42 Priester, Mönche, Brauer, Gastwirte, Ratsherren und Meisterals

Seite 121/814 Schwedengeiselndie Stadt in Richtung Augsburg.ZweiweltlicheGefangene sind erkrankt. Mit den Geiseln verlassen auch die Schweden die baierische Haupt- und Residenzstadt München.

16. Juni 1632 Augsburg * Die Schwedengeiseln, auch die aus anderen baierischen Städten, werden in der alten Bischöflichen Residenzin Augsburg untergebracht und wie Gefangene behandelt.

7. August 1632 Augsburg * 73.000 Reichstaler werden in der Hoffnung nach Augsburg gebracht, dass die Schweden die Hälfte der Geiseln freilassen. Die Geiselnehmerfordern aber zunächst weitere 37.000 Reichstaler.

16. November 1632 Lützen - Wien * Der Schwedenkönig Gustav II. Adolf verliert in der Schlacht von Lützensein Leben. Sein Widersacher, Albrecht von Wallenstein, setzt dem geschwächten Gegner nicht nach, sondern zieht sich danach ins Winterquartier nach Böhmen zurück.

In Wien stoßen diese Entscheidungen auf Unverständnis, denn hier herrscht eine unbeschreibliche Freude "wegen der Königlichen Majestät zu Schweden Todesfall".

17. Juni 1633 Nördlingen * Die Schweden bringen die Geiseln unter Misshandlungen nach Nördlingen.

5. August 1633 München * Ein nachweisbarer Einsturz der heutigen Ludwigsbrückeereignet sich. Es gibt zwar kein amtliches Dokument, dafür aber ein Mirakelbildan der südlichen Außenmauer der Tuntenhausener Kirche.

"Bei dem theilweisen Einsturze der Isarbrücke zu München am 5. August 1633 kam Jakob Oefele, Zimmermann von der Au, in große Todesgefahr, indem er mit noch 50 Personen ins Wasser fiel, nach gemachten Gelöbnis wurde er errettet?. Über die Zahl der Opfer dieses Brückeneinsturzes ist allerdings nichts Näheres bekannt.

17. September 1633 München-Hackenviertel * Die Paulanermönche kommen in den Besitz der Lärchlbrauereiin der Neuhausergasse. Mit kurfürstlicher Genehmigung dürfen sie ihren Haustrunkbrauen.

1634 München - Au * Weil sich die Paulanermönche nicht an die Abmachungen halten und ihr Bier auch außerhalb des Klosters verkaufen, beschweren sich die Münchner Brauer beim Magistrat der Stadt und bitten "um entschiedene Abhilfe des klösterlichen Brau- und Ausschankunwesens".

Dieser Protestbrief gilt als Geburtsurkunde der "Paulaner-Brauerei". Die Paulaner verstoßen aallerdings auch in den kommenden 165 Jahren immer wieder ganz bewusst gegen Vorschriften und Gesetze.

Seite 122/814 18. Februar 1634 Augsburg * Bei Verhandlungen zwischen baierischen und schwedischen Vertretern einigt man sich, dass der Rest der Brandschatzungssummein Salz abgegolten werden kann. Augsburger Geldgeber erklären sich bereit, für 49.765 Scheiben Salz den Schweden die Summe von 140.000 Reichstaler zu bezahlen. Damit verbessert sich die Lage der Schweden-Geiseln.

25. Februar 1634 Eger * Albrecht von Wallenstein wird in Eger ermordet.

12. August 1634 München * Mit dem Todesfall der Bäckerswitwe Gebhartin in der Sendlinger Gasse beginnt die schwerste Pest, die München je erlebt hat. Sie dauert bis Februar 1635.

1635 Untergiesing * Vater und Sohn Schmid besitzen die "Giesinger Mühle".

Diesen folgen bis zum Jahr 1800 die Familien der Streicher, Brand und Loiblmayer.

4. Januar 1635 Ranshofen bei Braunau ? Die baierische Kurfürstin Elisabeth Renata stirbt im Alter von 40 Jahren in Ranshofen bei Braunau, wohin sie vor der Pest geflüchtet ist. Sie wird in der Michaelskirche in München beigesetzt. Die Ehe des baierischen Herrscherpaares war kinderlos geblieben.

19. April 1635 Ramersdorf * Das von den "Schwedengeiseln" geleistete Gelübde wird eingelöst.

Die "Wallfahrt zu Ehren der Gottesmutter" führt nach "Maria Ramersdorf", wo auch ein großes "Votivbild" angebracht wird.

Um den 15. Mai 1635 Braunau - München * Nach über dreijähriger Abwesenheit kehrt Kurfürst Maximilian I. wieder nach München zurück. Zuletzt residierte er in Braunau.

31. Oktober 1636 München ? Die österreichische Kaisertochter und baierische Kurfürstin Maria Anna bringt den Kurprinzen Ferdinand Maria in München zur Welt. Sein Vater ist Kurfürst Maximilian I. von Baiern.

12. Dezember 1637 München * Kurfürst Maximilian I. teilt dem Münchner Rat - ohne Rücksicht auf dessen Bestimmungsrecht über den Marktplatz - selbstherrlich mit, er werde "der Heiligen Himlkönigin zu Ehrn, und ewiger gedechtnus, ein

Seite 123/814 offentliches Monumentum, von einer Seulen, und darauf stehenden unnser lieben Frauen Bildtnus, mitten deß Plazs, aufrichten". Die Arbeiten beginnen zwei Tage später.

Er begründet dies mit der "unbezweifelbaren Fürbitte der Himmelskönigin und Muttergottes", die als Patronin und Beschützerin das Land und die Stadt "von Brand und anderm feindlichen Verderben behütet und errettet".

Der Rat der Stadt, der zu dieser Entscheidung nicht herangezogen worden ist, muss dies unwidersprochen hinnehmen, obwohl die Stadt seit dem Jahr 1315 das PrivilegKaiser Ludwigs des Baiern besitzt, alleine über die Bebauung des Platzes bestimmen zu dürfen. Auf dem zentralen Platz der Bürgergemeinde München ist künftig der Landesherrmit einer persönlichen Votivgabepräsent.

1640 München - Freising * Herzog Albrecht Sigismund von Baiern wird auf Druck des baierischen Kurfürsten Maximilian I. zum "Koadjutor" (= Nachfolger) des Freisinger Fürstbischofs Veit Adam von Gepeckh gewählt.

1641 Straubing * Im "Rentamt Straubing" gibt es Ermittlungen wegen des Auftauchens von "Werwölfen" im "Baierischen Wald".

Dort hat sich in der Zeit des Krieges "allerhandt zauberische abergläubische Khünstten und sonderlich zwar das Paizen (wodurch Vich und Leithen an Leib und Leben khan Schaden zuegefüegt werden) so starkh eingerissen und überhandt genommen, das der gemaine ainfeltige Burger und Baursmann in die Gedankhen gleichsamb gerathen, er sich beregter abergläubischer Khünsten ohne Sindt und befahrende Bestraffung gebrauchen und bedienen khönne".

Um die Verdächtigten verhaften zu können, wird ein eigenes "Gefängnis" erbaut.

16. Januar 1641 München * Kurfürst Maximilian I. erlässt den Befehl, wonach sich jeder Bürger mit Proviant einzudecken hat. Dieser Vorrat muss ausreichend sein, dass "er selbst und seine Tisch-, Brot- und Kostgenossen" fünf Monate lang zu essen haben. Die eingelagerten Lebensmittel sollen bis zu einem eventuellen Notfall unangetastetbleiben.

24. Januar 1641 Andechs * Maurus Friesenegger, der Abt des Klosters Andechs, erhält den Befehl, den Heiltumsschatznach München zu bringen. Wegen der Schneefälle und der extremen Kälte unterbleibt der Transport einstweilen.

13. Februar 1641 Andechs - München * Der "Andechser Heiltumsschatz" wird auf Befehl des Kurfürsten Maximilian I. nach München gebracht.

Die "Heiltümer, Reliquien und Hostien" werden in der "Gruft des Klosters Andechs" in der Gruftgasse und in der "kurfürstlichen Münzstätte" untergebracht.

Seite 124/814 18. April 1641 München - Andechs * Der "Andechser Heiltumsschatz" wird wieder ins "Kloster Andechs" zurückgebracht.

10. Mai 1641 München-Graggenau * Durch einen Erlass will Kurfürst Maximilian I. sicherstellen, dass die Mariensäule "in gebierender veneration, und respect erhalten, Insonderheit alle unsauberkheiten und verunehrungen verhietet und abgestelt werden". Die Mariensäulewird deshalb mit einem Marmorgeländer mit den vier Bronze-Laternen umgeben.

Auf dem Sockel der Mariensäulekommen im gleichen Jahr vier bronzene Heldenputtizur Aufstellung, die für Maria als "ecclesia militans" [="die in der Welt kämpfenden Kirche"] oder als Apokalyptisches Weibfür die im Kampf der Konfessionensiegreiche katholische Kirche instrumentalisiert werden. Sie stellen eine Umsetzung des Psalm 91, Vers 13 dar: "Über die Schlange und den Basilisken wirst du schreiten, und den Löwen und den Drachen wirst du zertreten."

In nahezu allen Veröffentlichungen über die Mariensäuleverkörpert der Dracheden Hunger, der Löweden Krieg, der Basiliskdie Pestund die Schlangeden Unglauben oder falschen Glauben. Sie sollen, so die populäre Auffassung, die großen Plagen der Zeit veranschaulichen. Nach einer anderen Definition, die dem Programm des - im Jahr 1674 ausgebrannten - Zimmers der Religionin der Residenzentspricht, steht der Drache für die Häretiker[= Ketzer], der Löwefür die Heiden, die Schlangefür die Judenund der Basiliskfür die Schismatiker[= Protestanten, Kirchenspalter].

Aus einem Monument der persönlichen Frömmigkeit des Kurfürsten ist durch die Hinzufügung der Heldenputtizugleich ein "Denkmal des Triumphes des katholischen Glaubens über die Übel der damaligen Zeit" geworden. Da Maximilian I. sowohl den Tag der Denkmalsweiheals auch das Datum für die alljährliche Dankprozessionauf den Jahrestag der "Schlacht am Weißen Berg" orientiert, macht er die Mariensäuleauch zu einem unübersehbaren Symbol für den bisher größten Triumph baierischer Waffen über die protestantischen Feinde. Und damit macht er aus der Mariensäuleeine Siegessäule.

1642 München-Angerviertel * Der Brauer Philipp Hölzl kauft die spätere "Singlspielerbrauerei", nachdem er sie seit 1635 gepachtet hatte.

Ab 1643 Rain am Lech * Im Kurfürstentum Baiern kam es unter der Regierung Maximilians I. in den Jahren 1643/44 zum letzten größeren "Hexenprozess" in Rain am Lech, der die ungeheuerliche Summe von 3.141 Gulden verschlingt.

Die immensen Kosten, die auch aus den Hinterlassenschaften der "Hexen" nicht finanziert werden können, lassen den "Hofrat" von weiteren "Hexen-Verfolgungen" Abstand nehmen. Auch die weitgehend beachteten Beschränkungen der "Folter" und die "Strategie des Widerrufs" steuern ihren Teil dazu bei.

Der Tatbestand der "Hexerei" reicht alleine nicht mehr zur Rechtfertigung eines "Todesurteils" aus. Hingerichtet werden "Zauberer" und "Hexen" im Kurfürstentum Baiern nur noch dann, wenn zudem andere Delikte wie "Giftmord, Kindsmord" oder "Diebstahl" nachgewiesen werden können.

Seite 125/814 1648 Osnabrück * Bei den "Osnabrücker Friedensverhandlungen" wird der "Kalender" zur "weltlichen Angelegenheit" erklärt.

20. Mai 1648 München - Haidhausen * Im letzten Jahr des Dreißigjährigen Krieges ziehen Schweden und Franzosen vom Lech her in Richtung München. Menschenscharen aus allen Landesteilen suchen Schutz hinter den mächtigen Befestigungsanlagen der Stadt.

Aus Angst, dass Krankheiten ausbrechen könnten, werden 2.934 Menschen mit einem "geringen Almosen" aus der Stadt gewiesen.Auf Haidhausen treffen insgesamt 418 Personen, darunter 89 Familien mit 99 Frauen und 230 Kindern.

10. September 1649 München - Wien ? In einem Brief informiert Kurfürst Maximilian I. den in Wien residierenden Kaiser Ferdinand III. über seine Absicht, seinen ältesten Sohn Ferdinand Maria mit einer Prinzessin von Savoyen zu verheiraten. Begründung: "Im Deutschland unserer Tage gibt es keine katholische Prinzessin mehr, die nicht nicht nur von ihrer Person, sondern auch von ihrem Haus her besser geeignet wäre, um das Ansehen [des Hauses Baiern] zu erhöhen."

11. Dezember 1650 Turin * Die 14-jährige savoyische Prinzessin Henriette Adelaide wird in Turin "per procurationem", also kraft Vollmacht, mit dem gleichaltrigen baierischen Kurprinzen Ferdinand Maria verheiratet. Die Stelle des abwesenden Bräutigams nimmt ihr Bruder Carl Emanuel II. ein.

1651 Au * Kurfürst Ferdinand Maria gestattet den Paulanern den Bau eines Brauhauses im Auer Kloster.

Das Jahr gilt als Geburtsjahr des weltweit bekannten "Salvator-Bieres".

8. Dezember 1651 Freising * Der Freisinger Bischof Veit Adam von Gepeckh stirbt. Sein Nachfolger auf dem Bischofsstuhl wird der 28-jährige Baiernherzog AlbrechtSigismund. Ihm gehört damit - neben seiner Residenzstadt Freising samt ihrem Burgfrieden - die Grafschaft Ismaning, die Herrschaft Isen-Burgrainund die Grafschaft Werdenfels.

17. Juni 1652 Kufstein * Henriette Adelaide von Savoyen trifft in Kufstein ein. Dort kommt es zur ersten inoffiziellen Begegnung derjungen Braut mit ihrem gleichaltrigenBräutigam Ferdinand Maria.

18. Juni 1652 Wasserburg am Inn * Vor Wasserburg am Inn findet die offizielle Begegnung des baierischen Hofstaatsmit dem

Seite 126/814 Brautzugder savoyischen Prinzessin Henriette Adelaide zusammen. Die hohen Herrschaften begeben sich anschließend ins Wasserburger Schloss zum Abendessen.

17. November 1652 München-Angerviertel * Caspar von Schmid heiratet die Hofbeamtenstochter Katharina von Imsland. Die feierliche Trauung findet am späten Abend in der Peterskirchestatt, wie es in vornehmen Kreisen des Barocks damals Brauch war.

3. Mai 1654 München-Kreuzviertel * Der Grundstein für das Karmelitenklosterneben der Wilhelminischen Veste[=Herzog-Max-Burg] wird von Herzog Albrecht VI. gelegt.

19. Juli 1655 München - Wien ? In einem Brief der Kurfürstin Henriette Adelaide an Kaiser Ferdinand III. unterstützt sie die Bitte des Theatinerordens, die Heiligsprechung des Ordensmitbegründers Kajetan von Thiene zu unterstützen.

28. Juli 1655 München - Rom ? Kurfürstin Henriette Adelaide bittet in einem Brief Papst Alexander VII. um die Heiligsprechung des Mitbegründers des Theatinerordens Kajetan von Thiene.

24. August 1657 München - Wien ? Der baierische Kurfürst Ferdinand Maria lässt - die Vor- und Nachteile der Kaiserkrone abwägend - die politische Vernunft siegen und erklärt gegenüber Wien, dass er die Krone zurückweisen und seine Stimme nur einem Habsburger geben werde. Die Begründung fasst er in einem Brief zusammen:

die "zur Erhaltung der Kays. Hochheit und Reputation" unumgänglichen Kosten, die heillosen Zustände im Reich, die Verantwortung, die dabei auf den Kaiser falle und die Gefahren für das eigene Land. Den zu erwartenden Kampf mit Habsburg auf sich zu nehmen, lohnt sich nicht.

Das heißt allerdings nicht, dass man begeistert ist, dass wieder ein Habsburger die Krone bekommen soll und Österreich seine Macht behaupten oder gar erweitern kann.

28. August 1658 München-Maxvorstadt *Kurfürst Ferdinand Maria veranstaltet zu Ehren des neu gekrönten Kaisers Leopold I. den Festumzug "Applausi festivi barriera" mit anschließendem Turnier. Kaiser Leopold I. macht auf seiner Rückreise von den Krönungsfeierlichkeiten in Frankfurt vom 26. August bis 4. September in München Station.

5. Juni 1659 Heilbrunn * In Heilbrunn trifft das Kurfürstenpaar Ferdinand Maria und Henriette Adelaide, begleitet von einem

Seite 127/814 Hofstaatvon über 150 Personen ein. Die Ehe des gleichaltrigen, 22-jährigen Paares ist auch im achten Jahr kinderlos geblieben. Das beunruhigt den Adel und wird als Zeichen der Schwäche ausgelegt.

Ein Kuraufenthalt in Heilbrunn soll der Kinderlosigkeit Einhalt gebieten. Fünf Wochen, bis 10. Juli, dauert die Kur an. Danach kehrt die Kurfürstin gestärkt und bei guter Gesundheit wieder nach München zurück.

Juli 1659 Bergen-op-Zoom - Freising ? Die Heiratspakte für den heiratslustigen Bischof Albrecht Sigismund von Freising mit Henrika Franziska Fürstin von Zollern werden ausgetauscht. In der Folge wäre Bischof Albrecht Sigismund aus dem geistlichen Stand ausgeschieden, hätte eine jährliche Beihilfe von 18.000 Gulden erhalten und wäre nach dem Tod seines Vaters in die Rechte eines Herzogs von Leuchtenberg eingetreten.

1660 Bogenhausen * Zwölf Quellen führen dem unterhalb "Neuberghausen" gelegenen "Brunnhaus im Brunnthal" das Wasser zu.

26. Juni 1660 Haidhausen * Dem Haidhauser Mesner undKleinwirtGeorg Pockmayer wird das Weißbierschankrechtgenommen. Damit verliert er vorübergehend seine Konkurrenzfähigkeit, da der GroßwirtWeißbier, Braunbier und Branntwein ausschenken darf.

17. November 1660 München * Maria Anna Christina Victorie, die Tochter des baierischen Kurfürsten Ferdinand Maria und seiner Gemahlin Henriette Adelaide, wird in München geboren. Das freudige Ereignis tritt ein Jahr nach der Kur ihrer Mutter in Heilbrunn ein.

Um den 12. Juli 1662 München * Unverzüglich nach der Geburt des Kurprinzen Max Emanuel befiehlt Kurfürst Ferdinand Maria die Vorbereitung "underschidlich herrliche[r] freuden- und jubel festiviteten mit ainer herrlich magnificenz und schöne niemahln vorher gesechnen inventionen ins werkh zubringen". Die Konzeption des Festes, das Oper, Turnier und Feuerwerk erstmals zur thematischen Einheit verschmilzt, macht den kurbaierischen Hof zum Vorreiter europäischer Hofkultur.

Um August 1662 Bologna - München ? Für den Bau der Theatinerkirche wird der Architekt Agostino Barelli - noch während in Bologna die Arbeiten an der Theatinerkirche Santi Bartolomeo e Gaetano in vollem Gange sind - nach München verpflichtet. Kurfürstin Henriette Adelaide lehnt einheimische Baumeister ab, da sie "piu idioti nell? edificare una fabrica di tanta importanza" oder freundlich gesagt: "zu unerfahren [seien], um auch nur eine Werkstätte von größerer Bedeutung zu bauen."

21. September 1662 München ? Kurprinz Max Emanuel wird in der Frauenkirche vom Salzburger Fürsterzbischof Guidobald von Thun

Seite 128/814 und Hohenstein auf die Namen Maximilian Emanuel Ludwig Maria Joseph Cajetan Antonius Nikolaus Franziskus Ignatius Felix getauft. Er stellt sich damit als Erbe der bedeutendsten Vertreter der Häuser Wittelsbach und Savoyen vor. Als Taufpaten werden der Cousin Ferdinand Marias, der Erzbischof und Kurfürst von Köln, Maximilian Heinrich, sowie Henriette Adelaides Bruder, Carl Emanuel, erwählt.

24. September 1662 München * Auch das Volk darf sich an den Feierlichkeiten aus Anlass der Geburt des Kurprinzen Max Emanuel beteiligen. Von Mittag bis zum Abend fließt aus eigens vor der Residenz aufgestellten Brunnen weißer und roter Wein. Brot wird verteilt. Und Hofleute werfen Geldstücke und Schaumünzen unters Volk. Das kurfürstliche Herrscherpaar verfolgt zeitgleich im Opernhaus am Salvatorplatzdie Oper "Fedra Incoronata". Sie bildet den Auftakt einer Festtriologie.

Noch vor der eigentlichen Opernaufführung erscheinen Iris, Hebe sowie Lucina und verkünden, dass die Zeit der finsteren unwirtlichen Wetter zu Ende geht und jetzt heitere Tage anbrechen würden. Sie sind gekommen, um die Sorgen und Schmerzen, die sich mit der schweren Geburt des Prinzen eingestellt haben, zu vertreiben. Dem neuen Helden [Max Emanuel] wünschen sie alles Gute und dass er wachsam und Kühn das Schwert führen werde.

In dem folgenden Spektakel treten nahezu alle griechischen Götter und Helden auf und huldigen dem Kurprinzen. Selbst der Kriegsgott Mars prophezeit, dass die unbesiegbare Rechte Max Emanuels die "Türken zähmen und bezwingen" werde. Dem drei Monate alten Kurprinzen wird von den Göttern eine großartige Zukunft vorausgesagt.

26. September 1662 München-Graggenau * Die Fortsetzung der Festtriologiefindet mit dem Turnierspiel "Antiopa Giustificata" statt, das im überdachten Brunnenhofder Residenz beginnt und am Nachmittag im Turnierhaus am Hofgartenfortgesetzt wird. Dort hat man zwei gegenüberliegende Bühnen aufgebaut:

Eine männlichemit dem baierischen Wappen und eine weiblichemit dem Wappen von Savoyen.

Eine Sphinx tritt mit einem Spiegel auf, in dem Kurfürst Ferdinand Maria die "herrlichen Taten" seines Sohnes erkennen könne, mit denen Max Emanuel "die Welt überraschen" werde:Die "Siege über die Barbaren" und den "Triumph über die Türken", der den "Untergang des Halbmondes" zur Folge haben wird.

20. Januar 1663 Regensburg * Der Reichstagtrifft im Regensburger Rathauszusammen, um über die durch die Türken heraufbeschworene Gefahr an der Ostgrenze des Reiches zu beraten. Kaiser Leopold I. benötigt Geld für die bevorstehende Verteidigung des Landes.

Daneben geht es um den schon längerschwelenden Streit um die Ausarbeitung einer Wahlkapitulationund die Königswahl.Bei den Auseinandersetzungen um die Wahlkapitulationgeht es um das Recht, Gesetze zu erlassen und um deren Inhalte. Außerdem soll sich der Reichstagmit den liegengebliebenen Problemen des Dreißigjährigen Kriegesbefassen.

Seite 129/814 Der Reichstagwird sich bis Februar 1803 nicht mehr auflösen und geht als Immerwährender Reichstagin die Geschichte ein. Regensburg wird damit zum Sitz von etwa 70 Komitialgesandtschaften ausländischer Staaten.Dies auch deshalb, weil seit der Umwandlung des Reichstagsin den Immerwährenden Reichstagdie Landesfürsten kaum noch selbst teilnehmen, sondern sich durch Gesandtevertreten lassen.

Juni 1663 Starnberger See * Der Rumpf des Bucentaur, des Leibschiffs des Kurfürsten Ferdinand Maria,ist fertig und kannauf Walzen ins Wasser gebracht werden. Umgehend beginnen nun die Arbeiten an den Aufbauten und dem Innenausbau.

30. November 1665 München * Aufgrund seiner bohrenden Forderungen von Dr. Johann Joachim Becher erlässt Kurfürst Ferdinand Maria ein Mandat zur Gründung der Churbaierischen Seidencompagnie. Dort heißt es: "Wir haben mit sonderß angelegenen Vleiß unsere sorgfälltigen gedankhen dahin gewendet, wie die negoiten und manufacturen zu nuz Unserer Underthanen in ein besseres eße [Sein] und Flor gebracht werden" kann.

Kurfürst Ferdinand Maria will mit der eigenen Seidenproduktion "das heuffig hinaußgehende gelt im land erhalten, alß auch den Armen und müssig gehenden betlern, welche anderen Ehrlichen leuthen überlästig vor den heusern ligen, eine ehrliche Underhaltung verschaffen".

Und weiter meint der Kurfürst, in der Manufaktur "soll aus roher, anderwerts hergeschaffter Seide Zwirn, Stepp-, Nehe-, und allerhand andere Seide, auch Seidenbender und Zeuge gemacht werden".

9. Januar 1666 München * Der 78-jährige Greis Simon Altseer aus der Hofmark Rottenbuchwird - wegen seiner Gefährlichkeit - in München als Hexerhingerichtet. Er wird auf der Gerichtsstattmit glühenden Zangen gezwickt und ihm dann - wegen seiner Diebstähle - die rechte Hand abgehackt. Schließlich wird er auf dem Scheiterhaufenerdrosselt und anschließend sein Leichnam zu Asche verbrannt.

Juli 1666 Au * Wegen der hohen Unterhaltskosten verzichten die Söhne Albrechts VI. auf das Erbe der Hofmark Neudeck. Es soll lieber dem kurfürstlichen Haus offeriert werden.

5. Juli 1666 München * Herzog Albrecht VI. stirbt in München. Sein Grab befindet sich in der Wallfahrtskirchein Altötting.

23. Dezember 1666 München * Nach einem Befehl von Kurfürst Ferdinand Maria wird das Botenwerkaufgehoben. Ab sofort wird der Transport der Briefe - bei Strafandrohung - an die Reichspostübergeben.

13. April 1667

Seite 130/814 München * Nach der Entlassung des Kanzlers Johann Georg von Oexl übernimmt "Vizekanzler" Caspar von Schmid als "Vorsitzender des Geheimen Rates" die Regierungsgeschäfte.

Die gesamte Innen- und Außenpolitik liegt seither in seinen Händen. Er genießt das volle Vertrauen des Kurfürsten, der die klare Zielsetzung seiner Politik schätzt.

Um das Jahr 1668 Haidhausen * Der "Kleinwirt" von Haidhausen, Georg Pockmayer, übergibt Kurfürst Ferdinand Maria ein Grundstück neben seinem Haus, auf dem der Landesherr die neue "Wolfgangskapelle" errichten will.

Das alte, aus Holz erbaute Kircherl ist im Laufe der Jahre baufällig geworden. Auf "unterthänigstes anhalten etlicher gewißer persohnen, welche auß Irer zu den heyligen Wolfgang tragenden Devotion, dessen im Dorff Haidhausen stehende vnd Paufellige kleine Capelle zu reparieren vnd zu erweitern vorhabens". Nun erteilt Kurfürst Ferdinand Maria die Genehmigung zum Neubau und bewilligt darüber hinaus fünfhundert Gulden.

Und unser "Kleinwirt" war eben nicht nur ein "frommer Mann", sondern auch ein cleverer Geschäftsmann. Kein Wunder, dass nach dieser "sozialen Tat" das "Schankrecht für Braunbier" nicht mehr lange auf sich warten ließ.

1. Juni 1668 Freising - Regensburg - Salzburg * Guidobald Graf von Thun und Hohenstein, der Fürsterzbischof von Salzburg und Regensburg stirbt in Salzburg.

Mit Unterstützung seines Vetters, Kurfürst Ferdinand Maria, wird Herzog Albrecht Sigismund, der Bischof von Freising, aus der wittelsbachischen Linie der Leuchtenberger zusätzlich zum Bischof von Regensburg gewählt. Gleichzeitig übernimmt er das Amt des Domprobstes in Konstanzund das des Stiftungsprobstes in Altötting.

30. Juli 1668 Regensburg ? Der Freisinger Fürstbischof Albrecht Sigismund wird einstimmig auch zum Bischof von Regensburg gewählt. Es dauert ganze zwölf Jahre, bis sich der Bischof zum ersten Mal in seinem Bistum Regensburg sehen lässt.

1669 Versailles * Soliman Aga, der "Abgesandte des türkischen Sultans" Mohammed IV., stattet dem Hof des französischen Königs Ludwig XIV. einen Besuch ab.

Dabei bietet er den Gästen ein exotisches Heißgetränk in Form einer Tasse Kaffee an. Das ist an und für sich noch nichts Besonderes. Das Außergewöhnliche daran ist, dass das anregende Getränk in Porzellanschalen gereicht wird.

Der französische Hof ist von den zum Genuss verwendeten Gefäßen derart begeistert, dass in der französischen Landeszentrale eine neue Modeerscheinung - "à la turque" - geboren wird, die von hier aus ihren Siegeszug durch ganz Westeuropa antreten soll.

Seite 131/814 1669 xxx * Der Alchemist Hennig Brand versucht mit Hilfe von Urin den Stein der Weisen zu finden und stößt dabei auf den selbstleuchtenden Phosphor mirabilis [= wundersamer Lichtträger], der bald darauf an den Fürstenhöfen und an den Theatern für Spezialeffekte benutzt wird.

1. Januar 1669 München * Die Churbaierische Seidencompagnie nimmt endlich ihre Tätigkeit auf. Der in Venedig geborene und dort lebende Holländer Lucca van Uffele wird zum Fabrikdirektor erkoren. Er besitzt wertvolle Beziehungen zur venezianischen Seidenindustrie und bekommt schon deshalb den Titel eines Directore Complimentario und Scriptuali Generali übertragen.

In seinen umfangreichen Conditiones heißt es unter anderem: "Van Uffele ist schuldig, der Seidenkompagnie alle nötige Seide von auswärts zu bestellen und auf sein Risiko nach München liefern zu lassen". Darüber hinaus wird er verpflichtet, "so oft eine gefertigte Quantität vorhanden ist, sie gegen Bargeld zu verschleißen". Liegt der Gewinn unter acht Prozent, hat van Uffele den Schaden zu tragen. Überhaupt ist der Venezianer verpflichtet worden, die Einlagen pro Jahr mit fünf Prozent zu verzinsen.

Außerdem soll er die maestranzen [= Meister] aus Italien holen und "eine Anzahl von 2.000 Personen hierländische Arbeitsleuth unterrichten lassen".

Ab dem 1. Januar 1669 München - Au * Da es noch an ergiebigen Maulbeerplantagen mangelt, muss die Rohseide aus dem Ausland bezogen werden. Zusätzlich lässt Kurfürst Ferdinand Maria"im großen Hofgarten, im Residenzgarten, Krautgarten, Kuchlgarten zu München, in den Hofgärten zu Dachau, Berg am Laim, Bogenhausen, Schleißheim und Nymphenburg" eine große Menge Maulbeerbäumeanpflanzen.

Den Kapitalstock für das Unternehmen liefern sowohl Privatleute als auch die frühen Sozialeinrichtungenwie das Heiliggeistspital, das Städtische Waisenhaus oder das Leprosenhaus am Gasteig.

Eine barocke Gründerzeit-Mentalität ist zu verzeichnen. In grenzenlosem Vertrauen fließt das Geld in erstaunlichen Mengen, sodass bald mehrere Tausend Gulden zur Verfügung stehen, um in Italien Seidenspinner-Eier zu bestellen. Das übrige Kapital wird in den Neubau für ein Seidenhaus in der Au investiert.

Um den 20. Januar 1669 München - Venedig * Lucca van Uffele reist nach Venedig, um dort Arbeitskräfte anzuwerben. Es kommt zu einem heftigen Konflikt mit dem italienischen Staat wegen "beabsichtigter Ausbeutung italienischer Fabrikgeheimnisse", sodass Kurfürst Ferdinand Maria höchstpersönlich den Streit schlichten muss. Erst danach kann van Uffele mit einem Meister und zwei Arbeitern nach München zurückkehren.

Später kann er noch Seidenarbeiter aus Venedig zur Übersiedlung nach München überreden. Nun ist auch die Herstellung von venezianischen Gold- und Silberbrokaten möglich.

Um den 1. Februar 1669 Au * Als Bauplatz für das Auer Seidenhaus hat Direktor van Uffele das Gelände an der Stelle der späteren

Seite 132/814 Wagnerbrauerei auserkoren. Eine Abbildung des Seidenhauses ist leider nicht überliefert. Die auf dem Kupferstich von Michael Wening gezeigte Fabricca in der Au entstand zwar aus der Seidenfabrik, wurde aber erst später im großen Stil um- und neu gebaut.

21. Oktober 1669 Haidhausen * Der Kleinwirtund Mesner Georg Pockmayer von Haidhausen erhält durch Kurfürst Ferdinand Maria die Bewilligung zum Ausschank von Braunbier. Allerdings muss er seinen Gerstensaft ausschließlich von den Münchner Brauern beziehen.

1670 München-Angerviertel * Vor lauter Begeisterung für die Seidenfabrikation lässt man bereits im Jahr 1670 ein zweites Seidenhaus am Jakobsplatz erstellen.

Um das Jahr 1670 München - Lyon * Nachdem Kurfürstin Henriette Adelaide auch eine Seidenherstellung nach französischer Art wünscht, entsendet Lucca van Uffele einen Agenten nach Lyon.

Dieser kann dreißig Seidenarbeiter anwerben, wird dann aber - wegen "befürchteter Verletzung französischer Fabrikgeheimnisse" - mitsamt den Arbeitern verhaftet. Durch List und Bestechung gelingt ihm und sieben Arbeitern die Flucht nach München, später glückt ihm noch die Anwerbung einer berühmten Meisterin aus Lyon, zur Erzeugung von Spitzen in Seide, Silber und Gold.

13. November 1670 Haidhausen * Der Kleinwirtvon Haidhausen, Georg Pockmayer, erhält nach dem Schankrechtauch die Genehmigung "zum Setzen von Gästen" und den Weißbierausschank.

Er darf die Gäste nur bei Tag bedienen, sie jedoch nicht in der Nacht beherbergen. Außerdem ist ihm versagt Hochzeiten, Stuhlfeste und Goldene Tageabzuhalten. Eine Ausnahme von dieser Regelung gibt es allerdings dann, wenn Freunde oder Verwandte aus München diese Bitte äußern.

März 1671 München * Lucca van Uffele hat die Münchner Seidenfabriken technisch und personell bestens ausgestattet. Doch nur wenige Monate später wird ihm vorgeworfen, er betreibe "bedenkliche Speculation [...], macht Schulden auf die Compagnie, Seperatgeschäfte" und "Prellerey". Er sieht sich zur Flucht nach Augsburg gezwungen. Dort wird er festgenommen und anschließend "in das Chettenstibl im Münchner Falkenthurm iberpracht", wo er fünfeinhalb Jahre in Haft sitzt.

1672 Au * Anna Maria Cammerloherin erreicht die Erhebung des "Edelsitzes Wageck" zur "Hofmark Wageck".

Sie lässt die Mühle zu einer "zweigängigen Mahlmühle", die später sogar zur sechsgängigen aufgestockt wird, ausbauen.

Seite 133/814 Sie fährt zur "Schranne", kaufte Getreide und bringt das Mehl wieder in die Stadt. Diese Handlung zieht heftige Beschwerden der städtischen Müller nach sich, "weil diese Concurrenzmacherei sie [die städtischen Müller] mit Weib und Kind an den Bettelstab bringe".

1672 München-Angerviertel * Der Brauer Philipp Hölzl übergibt die spätere "Singlspielerbrauerei" an seine Tochter Katharina.

1673 Au * Der "Prunnknecht" Sebastian Gaißreitter lässt am "Gaisberg", dem heutigen "Lilienberg", eine "Capellen aufrichten und darin zu seiner privaten Andacht und zur Erwirkhung der vorbeygehenten Leuth Andacht ein Figur vom Passion Christi" aufstellen.

1673 München-Angerviertel * Katharina Hölzl heiratet den ihrer Brauerei den Namen gebenden Münchner Metzgersohn Franz Singlspieler.

1674 Freising * Bischof Albrecht Sigismund lässt am Freisinger Marktplatz - nach Münchner Vorbild - eine "Mariensäule" errichten.

1674 Haidhausen * Der "Haidhauser Friedhof" ist "so erfüllt, dass kein Platz mehr übrig vorhanden".

1674 Haidhausen * Der "geweste Churfürstliche Rechnungs-Commissarij und Preuverwalter zu München", Philipp Holzhauser, verkauft sein gesamtes Anwesen an den "Churfürstlichen geheimen Rath, Kämmerer und Pfleger von Waldmünchen in der Oberpfalz", Freiherrn Franz Pongraz von Leiblfing.

Auch der neue Haidhauser Grundbesitzer erhält vom Freisinger Kirchenoberhaupt die Genehmigung zugesprochen, dass er "in der Holzhauserischen Kapelle möge super ara mobile celebrieren lassen".

9. April 1674 München - Au - Haidhausen * Beim nächtlichen Brand der Residenz hält man die Stadttore geschlossen.

Zu groß erscheint den Münchnern die Gefahr, dass sich Bettler, Tagediebe und Kranke aus der Au und Haidhausen einschleichen könnten.

Ab 1675 Salzburg * Im "Fürstbistum Salzburg" wird in den Jahren von 1675 bis 1690 der "Zauberer-Jackl-Prozess" durchgeführt.

Seite 134/814 Er betrifft vor allem umherziehende "Bettler- und Vagantenkinder" aus der Bande des nie gefassten "Zauberer-Jackls".

90 Prozent der hingerichteten Kinder und Jugendlichen, die überwiegend unter 21 Jahre alt sind - das jüngste ist 11Jahre - sind männlich und stammen fast durchweg aus den "unteren sozialen Schichten".

Auf Unterstützung aus der bäuerlichen Bevölkerung können sie nicht hoffen, im Gegenteil: Die "vagierenden Bettlergruppen" sind verhasst, weil man ihnen unterstellt, sie würden "schlechtes Wetter, Missernten und Hungersnöte" herbeizaubern können.

1675 Schloss Nymphenburg * Enrico Zuccalli bringt den Bau des "Schlosses Nymphenburg" rasch voran.

Im dem gleichen Jahr wird auch die in weißem Tuffstein und rotem Marmor ausgeführte "große Stiege" an der Gartenseite vollendet.

Das Nymphenburger Schloss flankieren anfangs noch zwei unfertige Pavillonbauten, die jedoch Kurfürst Max Emanuel zum Bau für "Schloss Lustheim" wieder abreißen lässt.

8. Mai 1675 Freising ? Mit dem Freisinger Bischof Albrecht Sigismund werden die Details zur Weihe der Theatinerkirche abgesprochen.

11. Juli 1675 München-Kreuzviertel ? Die Theatinerkirche wird feierlich eingeweiht. Die Aufgabe übernimmt der Freisinger Weihbischof Johann Kaspar Kühner, weil der Fürstbischof Albrecht Sigismund kurzfristig erkrankt ist.

1676 München * Erst nach einer umfangreichen Bittschrift von Lucca van Uffele an den Kurfürsten Ferdinand Maria wird der Prozess gegen ihn erneut aufgerollt und die Vorwürfe gegen den Seidencompagnie-Direktor noch einmal eingehend verhandelt.

Oktober 1676 München * Lucca van Uffele wird als "Unschuldig" freigesprochen und in die Freiheit entlassen.

Das Gericht stellt in seiner Urteilsbegründung allerdings fest, dass das Seidenunternehmen schon deshalb scheitern musste, da von der Unternehmensleitung zu viel Kapital in zu große und unnötige Gebäude investiert worden seien. Damit fehlte das Geld für die laufenden Kosten der Seidenfabrikation. Nachdem die Manufaktur nicht mit dem erwarteten Gewinn arbeitet, fordern die Geldgeber ihre Kapitaleinlagen zurück. Auch vom kurfürstlichen Hof können keine Investitionen mehr erwartet werden, da kurz zuvor ein Brand Teile der Residenz zerstört hatte. Damit ist das vorläufige Ende der Churfürstlichen Seidencompagnie - nach nur elf Jahren - gekommen.

Seite 135/814 Die Auer Seidenfabrik ist noch bis anno 1680, die am Jakobsplatz bis 1705 betriebsbereit.

1678 München - Freising - Regensburg ? Kurfürst Ferdinand Maria von Baiern verlangt von Herzog Albrecht Sigismund, Fürstbischof von Freising und Regensburg, die schriftliche Zusage, dass der Baiernprinz Joseph Clemens allen anderen Bewerbern als Koadjutor [= Nachfolger] auf den Bischofsstühlen in Freising und Regensburg vorgezogen wird.

1678 Schloss Nymphenburg * Enrico Zuccalli lässt die als altmodisch empfundenen Dachaufbauten Agostino Barellis - in Gestalt von vier italienischen Zwerchhäusern - bei "Schloss Nymphenburg" wieder abbrechen und dadurch das flach geneigte Walmdach optisch beruhigt.

2. Februar 1678 Meran * Der Bischof von Brixen erteilt Frater Onuphrius vom heiligen Wolfgangin seiner Klausenahe Meran seine Priesterweihe. In der Folge kommt Bruder Onuphriusauf Reisen nach Wien und München mit höchsten Adelskreisen in Verbindung. Sie fördern das Eremitenleben als romantisierende religiöse Modeerscheinung.

Der Eremit gewinnt unter anderem die tatkräftige Unterstützung der Kurfürstin Maria Antonia, die Onuphriusdie Wahl einer geeigneten Niederlassung in Baiern anbietet.

17. Juni 1678 Berg am Laim ? Der Freisinger Fürstbischof Albrecht Sigismund, aus der wittelsbachischen Linie der Leuchtenberger, kauft um 29.300 Gulden vom Reichsfreiherrn Georg Konrad von Lerchenfeld die Hofmark Berg am Laim. Mit dem Besitzerwechsel unterstehen nun auch die Berg am Laimer Dorfbewohner einer geistlichen Grundherrschaft. Sie teilen damit das Schicksal der Hälfte der baierischen Untertanen nach dem Dreißigjährigen Krieg.

Der Freisinger Bischof lässt das Lerchenfeld?sche Schlössl in ein repräsentatives Gebäude umgestalten. Dazu wird es um ein Stockwerk erhöht, mit einem Walmdach eingedeckt und an jeder Ecke mit einem Zwiebelturm ausgestattet.

Ab 1679 Au * In der Au entsteht - am Standort des "Seidenhauses" - eine "Tuchfabrik für Militäruniformen".

Ab etwa 1680 München-Lehel * Das "Wöhrl oberhalb der Isarbrücke" wird mit Bauschutt aufgefüllt, vergrößert und befestigt.

1680 München * Zur Bestrafung von "Prostituierten" verwendet man ein so genanntes "Narrenhäusl".

Es handelte sich dabei um einen Käfig "mit weiblichen Inhalt", der auf einer Drehscheibe befestigt ist.

Seite 136/814 "Auf der Straße offen aufgestellt, findet sich immer Gesindel, das heftig dreht und spuckt und gar Kot auf die Weibsperson wirft".

28. Januar 1680 München-Graggenau * Prokuravermählung der baierischen Prinzessin Maria Anna Christina mit dem französischen Thronfolger Ludwig, Dauphin de Viennois, im Herkules-Saalder Residenz. Begleitet von ihrem Bruder Max Emanuel, als Vertreter des französischen Kronprinzen Louis, betritt die Prinzessin den festlich geschmückten Saal.

Nach der Vermählung ertönt das Te Deum,während draußen 50 Böllerschüsse abgefeuert werden. Danach erhellt ein prächtiges Brillantfeuerwerk den nächtlichen Himmel über München. Glanzvolle Opernaufführungen und Hofbälle begleiten dieses kurbaierische Freudenfest.

1681 Freising * Albrecht Sigismund, der Freisings Bischof und "Hofmarkherr" von Berg am Laim, lässt in Freising zu Ehren des jungen baierischen Kurfürsten Max Emanuel eine Feierlichkeit mit "Feuerwerk, Wolfshatz, Komödie und Ball" veranstalten.

Die Feier verschlingt 30.000 Gulden. Das ist mehr als die "Hofmark Berg am Laim" gekostet hat.

1. Februar 1681 Wien - München * In einem Brief teilt Kaiser Leopold I. dem baierischen Kurfürsten mit, dass er "mit kleinem Hofstaat" die Wallfahrt nach Altötting unternehmen wird und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, den Kurfürsten am Ziel treffen zu können

"Kleiner Hofstaat" bedeutete 455 Personen, 297 Pferde, 16 Kutschen und 16 Maultiere. Im kaiserlichen Gefolge befinden sich unter anderem 15 Köche und zusätzlich zwei extra für die Kaiserin, dazu ein Küchentürhüter und der Kammerzwerg, der Hofnarr.Im Hofstaat der Kaiserin ist neben den Hofdamen, Garderobenda­men, Kammerzofen und sonstigem, meist weiblichen Personal, auch ein "Extraweib" aufgeführt. Ihre Funktion ist ungeklärt.

13. Februar 1681 Eisenach * Max Emanuel bricht - incognito - zur "Brautschau" nach Eisenach auf, wo er sich für die protestantische Prinzessin Eleonore Erdmute von Sachsen-Eisenach interessiert.

6. März 1681 Altötting * Der baierische Kurfürst Max Emanuel trifft gemeinsam mit seinem Onkel Maximilian Philipp und dessen Ehefrau Maurita Febronia in Altötting ein.

Die Etikette hätte eigentlich verlangt, dass der Kurfürst den Kaiser persönlich empfängt. Doch für den dann zu erwartenden "Empfang mit großem Zeremoniell" wäre in Altötting nicht ausreichend Platz vorhanden gewesen. So lautet jedenfalls die offizielle Begründung.

Seite 137/814 10. März 1681 Altötting * Es kommt zu einem Gespräch zwischen dem Kaiserpaar und den drei Wittelsbachern.

Zum Abschied übergibt Leopold I. dem Kurfürsten Max Emanuel einen mit Diamanten besetzten Degen. Nach einem gemeinsamen Besuch der heiligen Messe in der Gnadenkapelle nimmt man auf dem Kapellplatz öffentlich voneinander Abschied.

Die vielen Freundlichkeiten, die Leopold I. dem Kurfürsten erwiesen hat, verfehlen nicht den Zweck, für den sie berechnet waren: Max Emanuel lässt sich politisch auf die Seite Habsburgs ziehen, weg von Frankreich.

1682 Au * Nach dem Tod der aktiven Freiin von Cammerloher geht das Geschäft stark zurück, mit der Mühle ging?s abwärts.

Zum Glück kauftder Staat im Jahr1682 einen großen Platz von "Wageck" für den Fabrikbau des "Wollwerck-Hauß" an.

1682 Freising - Regensburg * Der zwanzigjährige baierische Kurfürst Max Emanuel fordert von den"Domkapiteln"in Freising und Regensburg die vier Jahre zuvor gegebene Zusage ein, dass sein elfjähriger Bruder Joseph Clemens als"Koadjutor"(= Nachfolger) von Bischof Albrecht Sigismund gewählt wird.

1682 Au * Sebastian Gaißreitter erwirbt am "Gaisberg" neben seiner winzigen, höchstens drei bis vier Betern Platz bietenden und auffällig rot angemalten Kapelle ein kleines Stück Land in dem er einen Garten anlegt und das Ganze umzäunt.

4. Juni 1682 München-Angerviertel * Kurfürst Max Emanuel lässt ein kurfürstliches Zuchthausbauen. In ihm sollen "übermütige Herrendiener, schlechte Ehehalten [Dienstboten], liederliche Handwerksburschen, ungeratene Kinder, freche Menscher [Mägde], langsame Zimmer- und Maurergesellen, faule Tagwerker und Müßiggänger untergebracht werden, nach Umständen in Eisen und Band, bei geringer Nahrung und Karbatschenhieben".

Das Korrektions- und Arbeitshausbefindet sich an der Stadtmauer und nimmt die ganze Südseite des heutigen Viktualienmarktesein.

1683 Bogenhausen * Im "Brunnthal" in Bogenhausen entsteht ein "Militärwaisenhaus und Militärlazarett".

26. Januar 1683 München - Wien * Dem Treffen von Altötting vom März 1681 folgen langwierige Verhandlungen zwischen den

Seite 138/814 kaiserlichen und den baierischen Abgesandten, die letztlich in einem Defensivbündnis enden, in dem sich das Kurfürstentum Baiern verpflichtet, in den bevorstehenden Auseinandersetzungen mit den Osmanen ein Truppenkontingent von 8.000 Mann zu stellen.

Baiern kann die Zusage aushandeln, dass das Land jährlich Subsidienzahlungen in Höhe von 250.000 Gulden, im Kriegsfall von 450.000 Gulden, erhält.

Da jedoch vorhersehbar ist, dass Wien - in Anbetracht der politischen Lage, der sonstigen Verpflichtungen und der verstärkten Kriegsanstrengungen gegen die Osmanen - diese Summe nie aufbringen kann, verlangen die kurfürstlichen Verhandlungsführer Sicherheiten. Das waren die Einkünfte der Grafschaft Neuburg am Inn, der Markgrafschaft Burgau und des Mautamtes Tarvis. Das Ziel ist eine spätere Gebietserweiterung um die Ämter Kufstein und Rattenberg.

Der Bündnisvertrag bedeutet jedoch keinesfalls die völlige Abkehr von Frankreich. Zwar werden sich die politischen Beziehungen zwischen München und Paris ein wenig abkühlen, die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, künstlerischen und kulturellen Beziehungen wurden jedoch kaum beeinträchtigt.

10. März 1683 Regensburg ? Das Regensburger Domkapitel wählt den zwölfjährigen Joseph Clemens einstimmig zum Koadjutor [= Nachfolger] von Albrecht Sigismund auf dem Regensburger Bischofsstuhl.

Jeder Domkapitular erhält dafür 600, der Domdechant 800 und der Domprobst 1.000 Gulden, insgesamt 10.500 Gulden.

31. März 1683 Rom - Wien - Warschau * Der päpstlichen Diplomatie gelingt es Ende März 1683, Kaiser Leopold I. und den polnischen König Johann III. Sobieski zum Abschluss eines Defensivbündnisses gegen die Osmanen zu bringen. Auch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden und Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen erklären sich zum Beistand des Kaisers bereit.

Papst Innozenz XI. unterstützt die christlichen Herrscher in ihrem Kampf gegen die vorrückenden Türken mit 1,5 Millionen Gulden - und seinem Segen. Er selbst sieht sich als "Streiter für die Reinhaltung des katholischen Glaubens".

Schon deshalb bemüht er sich während seines ganzen Pontifikates, die Fürsten zu einer "Heiligen Liga" zum "Kampf und zur Abwehr der Osmanen" zu gewinnen.

Das Oberhaupt der katholischen Kirche bittet mit einem päpstlichen Aufruf die Gottesmutter unter der Parole "Maria hilf!" um ihre Unterstützung.

13. Juni 1683 Esseg * Die Osmanen überschreiten die Brücke bei Esseg.

Um den 5. Juli 1683 Wien * Die erste Vorhut des osmanischen Heeres taucht vor Wien auf. Großes Kopfzerbrechen bereitet den

Seite 139/814 Bewohnern Wiens das Verhalten des Kaisers, der sich auch weiterhin seinem Jagdvergnügen widmet und die Türkengefahr scheinbar ignoriert. Will er lediglich verharmlosen oder zeigen, dass die Angst vor der Gefahr übertrieben ist? Doch je näher die Hauptstreitmacht des türkischen Heeres auf die kaiserlichen Hauptstadt zukommt, desto mehr wächst auch bei Kaiser Leopold I. die Angst.

Um den 1. September 1683 Österreich - Tulln * Die baierischen Truppen haben sich auf den Weg nach Wien gemacht. Die bunt zusammengewürfelte Soldateska verübt beträchtliche Exzesse. Haben die Wiener angesichts der Belagerung ihrer Stadt berechtigte Angst vor den Türken, so fürchtet sich die Landbevölkerung mehr vor den durchziehenden befreundeten Soldaten, die sich nehmen, was sie begehren. Und wer den Forderungen der baierischen Soldaten nicht freiwillig nachkommt, der wird mit Schlägen dazu gebracht. Die harte Behandlung der durchziehenden Soldaten und die zusätzliche Belastung der Bevölkerung führen zwar zu Protesten, die jedoch vergeblich sind.

Bis Anfang September sammeln sich die Verteidigungstruppen im Tullner Becken, etwa 25 Kilometer von Wien entfernt.

12. September 1683 Wien * Ein knapp 67.000 Mann starkes Christenheer zieht in den entscheidenden Kampf gegen die Osmanen und befreien Wien von den als Reichsfeinden bezeichneten Türken. Dann tobt vor den Toren der belagerten und inzwischen höchst bedrohten Stadt Wien die Schlacht zwischen den Osmanen und den mit Habsburg Verbündeten Baiern, Polen und Sachsen. Die christlichen Befehlshaber haben am Vortag ihre Untergebenen eingeschworen, "mit gesamter Hand und Macht auf die gottesunwürdigen Bösewichter loszugehen". Der Kapuzinerpater Marco d?Aviano fordert im Anschluss die christlichen Soldaten auf, mit dem Ruf "Maria hilf!" in die Schlacht zu ziehen.

Der Oberbefehl des etwa 67.000 Mann starken Entsatzheeres liegt in den Händen des Polenkönigs Johann III. Sobieski. Den Angriff leitet Herzog Cal von Lothringen. Baierns 21-jähriger Kurfürst Max Emanuel befehligt das Zentrum, dem zusammen mit dem linken Flügel unter Herzog Carl von Lothringen der entscheidende Durchbruch gelingt. Das Entsatzheerkann die Türkenvernichtend schlagen. Die geschlagenen Osmanen müssen fliehen. Kurfürst Max Emanuel hat sich seine ersten militärischen Sporen verdient und kann sich vor den Augen Europas als Kriegsheldpräsentieren.

Die Sieger dringen in das riesige Zeltlager der Osmanen ein und bemächtigen sich der gewaltig großen Beute. Darunter befinden sich unter anderem auch viele Säcke gefüllt mit Kaffee, die die heutige Wiener Kaffeehaus-Tradition begründen. Doch vor lauter Plündern vergessen die Befreier die Fliehenden zu verfolgen. Und während die christlichen Fürsten ihren Sieg feiern, bleibt den Tür•ken noch genügend Zeit über 83.000 Menschen in die Sklaverei zu verschleppen. Es sind 8.000 Männer, 25.000 Frauen und 50.000 Kinder aus Niederösterreich und der Steiermark.

1684 Schloss Nymphenburg * Kurfürst Max Emanuel befiehlt den völligen Abbruch der noch unausgebauten Seitenpavillons von "Schloss Nymphenburg".

Das Baumaterial nutzte er für seinen ersten Schlossbau, das "Jagdschloss Lustheim" bei Schleißheim.

Seite 140/814 30. Juni 1684 Pest * Die kaiserliche Hauptarmee rückt in die Stadt Pest ein, die die Türken zuvor in Brand gesteckt haben.

18. August 1684 Haidhausen * Kurfürst Max Emanuel erfüllt die Bitte des Freiherrn Franz Pongraz von Leiblfing in einem Gnadenbriefund erhebt "sein in Haidhausen habentes Haus" zu einem "der Landtafel einverleibten adeligen Sitz". Gleichzeitig überlässt der Kurfürst dem Freiherrn die "Vogtei und Niedergerichtsbarkeit über Haus und Garten des Wirtes Georg Krünner und über 43 namentlich aufgeführte Untertanen", die bislang dem Hofkastenamtunterstanden.

Lediglich das Jagdscharwerkbehält sich der Landesherr auch weiterhin vor. Der baierische Kurfürst begründetdiesen Schritt mit der "In Ansehung seiner - also Leiblfings - langjährigen und ersprießlichen guten Dienste".

22. September 1684 Buda/Ofen?Ein türkisches Entsatzheer erreicht Buda und greift die Belagerer umgehend an. Die folgenden Auseinandersetzungen bringen zwar keine Entscheidung, dennoch zeigen die ständigen Angriffe des Entsatzheeres und die Ausfälle der türkischen Stadt•besatzung ihre Wirkung und zermürben die Belagerer.

Durch die osmanischen Ausfälle, durch Ruhr und Fieberepidemien, durch schlecht angelegte Laufgräben sowie durch taktische Fehler bei der Belagerung selbstschrumpft die Streitmacht um mehr als die Hälfte.

Bei den christlichen Alliierten sind nach diesem gescheiterten Unternehmen 23.000 Mann an Verlusten zu beklagen. Und nachdem das Wetter im Oktober auch immer schlechter wird, bricht man die Belagerung nach 109 Tagen ab.

27. November 1684 Freising ? Der 13-jährige Herzog Joseph Clemens wird vom Freisinger Domkapitel einstimmig zum Koadjutor [= Nachfolger] von Bischof Albrecht Sigismund gewählt.

1685 Potsdam - Frankfurt an der Oder * Preußen nimmt viele aus Frankreich geflüchtete Hugenotten auf und verzeichnet dadurch große Erfolge.

Die Hugenotten bringen aus Frankreich Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten der Seidenzucht und der Seidenverarbeitung mit. So entstehen in Potsdam und Frankfurt an der Oder die ersten Maulbeerplantagen.

16. August 1685 Gran * Es kommt zur Entsatzschlacht von Gran. Ein Kavallerie-Angriff unter Max Emanuel bringt die

Seite 141/814 Entscheidung.

9. September 1685 Haidhausen * Aus Anlass der Hochzeit des Kurfürsten Max Emanuels mit der österreichischen Kaisertochter Maria Antonia erlebt Haidhausen erneut ein aufwändiges Fest. Nachmittags um drei Uhr versammeln sich auf dem Anger vor dem Besitztum des Freiherrn Franz Pongraz von Leiblfing die Kavaliere mit Kutschen und Handpferden. Auch die kurfürstliche Leibgarde zu Pferd und eine Kompagnie der Bürgerschaft zu Pferd ist angetreten.

Nach dem Eintreffen der frisch vermählten Eheleute, die zuvor ihr Mittagsmahl in Schloss Berg am Laimeingenommen haben, werden sie nun am Haidhauser Schlossangervon den dort versammelten Anwesenden feierlich empfangen. Nach einer ausführlichen Huldigung des jungen Ehepaares erfolgte der triumphale Einzug in die nahe Residenzstadt München.

Für die erwiesene Gastfreundschaft wird Kurfürst Max Emanuel dem Haidhauser Schlossbesitzer wieder ein kleines Stück entgegenkommen. Der Landesherr akzeptiertzwar die von seiner Hofkammergemachten Einschränkungen, wonach Haidhausen nicht zur geschlossenen Hofmarkernannt werden darf, weil dort auch andere die Jurisdiktionausüben, nämlich:

das Leprosenhaus am Gasteigüber den Kotterhof, Graf Preysing, die Ridler und die Jesuiten über ihre Gartengüter sowie der Kurfürst selbst über das Brunnhausund den Jäger im Brunntal.

Außerdem, so die Hofkammerweiter, darf der Kurfürst die Jurisdiktionfür eine so große Ortschaft nahe der Landeshauptstadt nie vergeben, da er sich sonst bei auftretenden Unregelmäßigkeiten zuerst an den Hofmarkherrenwenden muss, statt sofort selbst einzuschreiten. Dies könnte besonders beim Ausbrechen der Pestoder bei der unerwünschten Ansiedelung von Bettlern und vagierendem Gesindelnötig sein.

1. Oktober 1685 Wien * Carl VI., der spätere Kaiser und Bruder von Kaiser Joseph I., wird in Wien geboren.

20. Oktober 1685 Haidhausen * Kurfürst Max Emanuel verleiht - trotz der von seiner Hofkammerdargelegten Einwände mit einem 2. Gnadenbriefdem Freiherrn Franz Pongraz von Leiblfing die Jurisdiktionüber die übrigen Häuser und Gründe in Haidhausen, als ungeschlossene Hofmark.

Max Emanuel behält sich wiederum das Jagdscharwerkvor und verlangt außerdem für sich und seine Nachkommen das Recht, die Abtretung der Hofmarkgegen ein anderes Aquivalent, ein gleichwertiges Objekt, zu verlangen.

4. November 1685 Freising - Berg am Laim * Der Freisinger und Regensburger Bischof Albrecht Sigismund stirbt in Freising und wird in der dortigen Domkirche beigesetzt. Die Hofmark Berg am Laimerbt sein älterer Bruder Maximilian Heinrich,

Seite 142/814 Kurfürst von Köln und Bischof der Bistümer Köln, Lüttich, Hildesheim und Münster.

Nachfolger auf den Bischofsstühlen in Freising und Regensburg wird der jüngere Bruder des baierischen Kurfürsten Max Emanuel, der 13-jährige Herzog Joseph Clemens.

22. Juni 1686 Buda/Ofen * In der Stadt Buda explodiert ein Pulvermagazin. 8.000 Zentner Pulver fliegen in die Luft und bringen den christlichen Angreifern erhebliche Vorteile.

22. Juni 1686 Buda/Ofen - Au * Ein getaufter Türke erzählt in August Kühn´s Roman "Die Vorstadt" folgende Geschichte über den, in seiner Muttersprache Mavi Kral genannten Blauen Kurfürsten Max Emanuel:"Den 22. ist das Pulvermagazin in unserer Stadt in die Luft geflogen und hat uns großen Schaden getan, aber der Mavi Kral hat seine Soldaten im Graben vor den Mauern gehalten noch sechs Wochen lang.

Mein Aga hat mir von der auf dem Hügel gelegenen Citadelle der Stadt gezeigt, wie es im Christenlager zuging. Wenn sie dort einen von unserer Seite gefangen ha•ben, ist ihm die Haut abgezogen und die gedörrt worden. Nun weiß ich ja, daß die als ?Mumia? den Ärzten und Apothekern als Heilmittel verkauft wurde, wie das gedörrte Menschenfleisch auch. Damals habe ich, wie viele Türken, die Soldaten des Mavi Kral für Menschenfresser gehalten, für gefährliche Wilde.

Noch mehr haben wir das glauben können, wie es zur Eroberung der Unterstadt am Wasser kam. Dabei sind auch die Frauen und sogar viele Kinder er•schlagen worden. Ein- und zweijährige Kinder spießten sie auf Lanzen oder warfen sie gegen die Mauer, bis sie tot waren. Zwei Tage danach mußte auch die Citadelle übergeben werden, aber der Mavi Kral lud meinen Beg zu Tisch und hat ihn umbringen lassen."

2. September 1686 Buda/Ofen * Mittags um ein Uhr, kommt es zum erfolgreichen Generalsturm auf die Festung. Grausame Szenen spielen sich bei der Eroberung von Buda/Ofen ab. Der ganze Zorn der siegreichen christlichen Soldaten entlädt sich nun gegen die Heiden.

Die Wut über die angeblichen Gräueltaten der Osmanen gegen die Zivilbevölkerung und der von Kirche und Glauben angefachte religiöse Hass entladen sich nun an der Bevölkerung von Buda/Ofen. Alles was sich den Christen entgegen stellt, muss sterben. Selbst Kinder und Säuglinge werden ein Opfer der zügellosen Soldateska.

Ein brandenburgischer Augenzeuge berichtet: "Ich bin erstaunet, was da ist vorgegangen, daß auch Menschen viel grausamer als Bestien gegeneinander sich bezeigeten". Nur Wenigen gelingt die Flucht auf die Burg.

Anno 1687 Walchensee * Durch die Unterstützung der ersten Ehefrau des Kurfürsten Max Emanuels erhält Frater Onuphrius vom heiligen Wolfgangdie Genehmigung für seine Niederlassung, muss sich im Gegenzug aber verpflichten, höchstens vier Klausneraufzunehmen.

Der Einsiedler entscheidet sich für ein Bleiben am Walchensee, einsam gelegen, aber dennoch an der Straße von

Seite 143/814 München nach Mittenwald angebunden. Doch kommt es schnell zu Streitigkeiten, da der Grund und Boden am Walchensee dem Augustiner-Chorherrenstift Schlehdorfgehört, der Gerichtsherr aber der Abt des Benediktinerklosters Benediktbeuernist.

Kam es bisher schon ständig zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Klöstern, so gesellen sich nun auch noch die Einsiedler hinzu, die sich um Holz- und Fischereirechte nur wenig kümmern. Vor allem Benediktbeuern widersetzt sich jahrelang der seltsamen Klostergründung am Walchensee und will von den "dahergeloffenen Waldbrüdern" nichts wissen. Doch mit Hilfe der energischen Kurfürstin siegen zunächst die "Waldbrüder".

Kurfürstin Maria Antonia befiehlt dem Abtvon Benediktbeuern nicht nur die Weihe des Grundsteins für das neue Eremitorium, sondern erwartet von ihm auch, dass er das gesamte Baumaterial stiftet.

Januar 1687 Venedig * Kurfürst Max Emanuel vergnügt sich bis Februar beim "Karneval in Venedig".

1688 Au * Sebastian Gaißreitter kauft am "Gaisberg" zusätzlichen Grund und erweitert damit sein Anwesen um die Kapelle.

5. Mai 1688 München-Kreuzviertel * Die Heilige Treppein der Theatinerkirchewird in Gegenwart des Kurfürsten Max Emanuel von seinem Bruder, Joseph Clemens, dem Fürstbischof und Kurfürsten von Köln, feierlich eingeweiht.

6. September 1688 Belgrad * Nachdem dem Kurfürsten Max Emanuel die Belagerung Belgrads nicht schnell genug voranschreitet, gibt er den Befehl zum Sturm. Nach einem langen und heftigen Kampf und erheblichen Verlusten auf beiden Seiten können die christlichen Truppen Belgrad erobern. Zahlreiche Offiziere und hunderte von Soldaten lassen "ihr Leben der Christenheit zum unbeschreiblichen Nutzen und ihrem selbsteigenen unsterblichen Ruhm". Ein Pfeilschuss hat Max Emanuel im Gesicht verletzt.

Die Sieger verhalten sich wie bei allen vorangegangenen Feldzügen und ermorden alles, was ihnen in den Weg kommt. Und wenn die Helden keinen Degen mehr haben, erstechen sie die "verfluchten Türcken mit Brotmessern" und schicken sie "solcher gestalt zu ihrem Mahomet". Die Verwundeten erschlagen die Christen mit ihren Äxten und Gewehrkolben. Das Gemetzel dauert Stunden. Ihm folgt die Plünderung und daran anschließend der Dankgottesdienst. Der 26-jährige Kurfürst Max Emanuel verlässt den ungarischen Kriegsschauplatz nach der Befreiung Belgrads für immer.

1689 München * Nach einem Streit mit seinem Vorgesetzten Enrico Zuccalli um die Nutzung des gemeinsamen Gartens vor dem Schwabinger Tor wird Giovanni Antonio Viscardi aus dem Hofdienst entlassen.

Viscardi ist in den nächsten Jahren als "freier Baumeister-Architekt" tätig und unter anderem am Bau des Jesuitenklosters in Landshut, an Erweiterungsbauten im Kloster Fürstenfeld und an der Theatinerkirche beteiligt.

Seite 144/814 Weitere Aufträge folgen. Für den Reichsgrafen Ferdinand Franz Lorenz Xaver von Tilly zu Breitenegg übernimmt Viscardi verschiedene Bauaufträge.

31. Mai 1689 Bretten * Kurfürst Max Emanuel trifft im Lager bei Bretten ein und übernimmt das Kommando über die Truppe.

30. September 1689 Walchensee * Durch großzügige Spenden der Kurfürstin und Dritter kann das Kirchlein der Eremiten am Wallerseevom Freisinger Weihbischof zu Ehren der heiligen Annageweiht werden.

Zur selben Zeit bevollmächtigt der Freisinger Generalvikar Pater Onuphriuszur Spendung der Sakramente. Die wenigen Siedlungen der abgelegenen Gegend sehen in den Waldbrüdernnämlich willkommene Seelsorger.

1690 Au * Die Münchner Bäcker errichten - sehr zum Ärger der Auer Bäcker - ein "Brothäusl" auf dem innerhalb des "Münchner Burgfriedens" gelegenen Gasteigbergs.

Um 1690 Berg am Laim * Zu den bedeutendsten Vertretern der "Franziskaner" gehört der aus Neustadt an der Donau stammende Fortunatus Hueber, ein wortgewaltiger, hochgebildeter und erfahrener Ordensmann und Prediger, der in mehrere hohe Ämter berufen wird.

Ihn erwählt der 22-jährige Kölner Erzbischof und Kurfürst Joseph Clemens für die Organisation, Werbung und Betreuung der von ihm am 8. Mai beziehungsweise am 29. September 1693 gegründeten "Michaels-Bruderschaft" und des "Michaels-Ritterordens".

1690 Au * Alleine die "holländische Tuchmacherei" in der "Tuchfabrik für Militäruniformen" gibt fast 2.000 Personen Brot und Lohn.

Neben "erstklassigen gelernten Arbeitern" beschäftigt man "ausgediente Soldaten, arme Weiber und Kinder", dazu kommen "eingewiesene Bettler und Nichtsnutze". Anno 1682 schrieb die "Hofkammer", dass "Arme im Wollhause zu München Beschäftigung finden, Faulenzer dagegen ins Zuchthaus" eingeliefert würden.

Auch dieser Unternehmung war kein langes Leben beschieden.

Ab 1696 ging es auch mit der "Fabricca" wieder bergab. Anno 1720 war sie am Ende.

1691 Berg am Laim - Ramersdorf * Der Kölner Kurfürst und Erzbischof, Joseph Clemens, lässt den "Kölner Ziegelstadel" erbauen.

Er befindet sich zwischen der Straße nach Ramersdorf (Rosenheimer Straße) und dem Weg nach Berg am Laim

Seite 145/814 (Berg-am-Laim-Straße).

An der Rosenheimer Straße entstehen noch drei weitere "Ziegelstadel". Einer gehört der "Stadtkammer", ein Anderer ist in Privatbesitz, der Dritte gehört dem "Paulaner-Kloster".

8. August 1691 München-Hackenviertel - Turin * Nach einem Gottesdienst in der Herzogspitalkirchebricht Kurfürst Max Emanuel zu einem kaiserlichen Feldzug nach Savoyen auf.

31. Oktober 1691 München * Die Weinwirte, Gastgeben und Bierbrauer bitten den Inneren Ratkünftig auch die Zunft der Handelsleute sowie das Handwerk der Köche, Metzger, Landkutschiere und Branntweiner am Transport der Geschütze auf die Wälle heranzuziehen.

Bei feierlichen Anlässen und Einzügen müssen die "Stuckh" genannten Geschütze zum Salutschießenauf die Wälle gebracht werden. Diese Aufgabe wird bisher von den Weinwirten und Bierbrauern wahrgenommen.

12. Dezember 1691 Madrid - Brüssel * Baierns Kurfürst Max Emanuel wird durch Spaniens König Carl II. zum Generalstatthalter der Spanischen Niederlandeernannt.

22. Dezember 1691 Haidhausen - Giesing - Zamdorf - München-Lehel * Die Bauern aus Haidhausen, Giesing, Zamdorf und anderen Orten haben die 455 Fudern Bauschutt des abgebrochenen Schäfflerturmsan der Weinstraße auf das Wöhrloberhalb der Isarbrücke [= Museumsinsel] gebracht. Der Abbruch des ehemaligen Stadttoreswar wegen des Neubaus der Englischen Fräuleinnotwendig geworden.

1692 Walchensee * Bald zählt die Gemeinschaft der "Eremiten am Wallersee" - gegen alle Abmachungen - bereits neun "Klausner", woraufhin der Ordensgeneral der "Karmeliten" die "Tertiaren-Gemeinschaft am Walchensee" aus dem Orden entlässt.

1692 München * Paulus Graf von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn zum "Obristhofmeister" befördert, womit er als "Vorsitzender des kurfürstlichen Geheimen Rats" das höchste Hofamt bekleidet.

3. März 1692 Haidhausen * Da Graf Franz Pongraz von Leiblfing in seinem Bestreben, die Erhöhung seines Besitzes in Haidhausen zur geschlossenen Hofmark, nicht nachlässt, erklärt Kurfürst Max Emanuel schließlich die Hofmarkdes Geheimen und Conferenzrates, Kämmerers, Revisionsrates und Pflegers von Waldmünchen, des inzwischen in den Reichsstanderhobenen Reichsgrafenvon Leiblfing - wegen der "vill vnd lange Jar trew geleisteter Dienst vnd aus absonderlichen gnaden" - mitsamt dem Brunnthalfür geschlossen. Damit istder

Seite 146/814 Haidhauser Schlossbesitzer endlich am Ziel seiner langjährigen Bemühungen.

In seiner geschlossenen Hofmarkunterstehen ihm nun alle dem "Hofkastenamte zinsbaren Unterthanen zu Haidhausen" und nicht nur die Bauern und Dienstboten, die seine Güter bearbeiteten. Neben riesigen landwirtschaftlichen Flächen besitzt der Graf auch das Recht Scharwerke, Bodenzinsund sonstige Steuern und Abgaben- also die gesamten Einkünfte aus Haidhausen - einzutreiben. Selbst die Vergabe der Gerechtsamkeiten"also die Erlaubnis innerhalb der Hofmarkein bestimmtes Handwerk oder Gewerbe ausüben zu dürfen, unterliegen nun ausschließlich seiner Entscheidung.

Dem Hofmarkherrnunterstehen "im Dorfe 85 Hausbesitzer, die Scharwerkgeld zu entrichten haben. In der Schwaige nimmt er von 42 Untertanen Scharwerkgeld und Bodenzins ein. Der Großwirt hat Stift und Giltzu entrichten und Melber, Metzger, Schmid, Hufschmid und Schneider haben unterschiedliche Beträge abzuführen. Der jährliche Ertrag der Hofmark beläuft sich auf 188 Gulden 11 Kreuzer". Die Konsequenz aus der Erhebung Haidhausens zur geschlossenen Hofmarkist der Austritt aus dem Verband des Gerichts ob der Au.

Während der Leiblfing?schen Hofmarkszeit wird die Ansiedlung minderbemittelter Leute stark begünstigt. Jeder, der die Gebühren entrichten und eine Herberge erwerben kann, darf sich niederlassen und heiraten. Zeitgenossen merken kritisch an, dass der Hofmarkherrnur auf seinen Vorteil bedacht ist und sein Streben einzig der Erhöhung seiner Einnahmen gilt. Er ergreift "jede Gelegenheit Geld aus den Untertanen zu pressen, z.B. durch offenbare Begünstigung der Herbergskäufe und Ansässigmachungen und Verehelichungen, wegen der anfallenden Laudemien, Verbriefungs- und anderer Taxen und Sporteln".

5. März 1692 München - Brüssel * Max Emanuel macht sich - ohne seine schwangerne Ehefrau Maria Antonia - auf den Weg von München in die Spanischen Niederlande.

13. März 1692 München * Graf Max Cajetan von Törring-Seefeld und Adelheid Felicitas Canossa heiraten.

Er erhält dafür vom Kurfürsten Max Emanuel:

einmalig 30.000 Gulden plus eine jährliche Pension von 4.000 Gulden, dazu die "Niedergerichtsbarkeit" über verschiedene Untertanen im "Landgericht Weilheim und Starnberg", vier ganze und drei halbe Höfe, vier Güter und zwei Sölden sowie eine neue "Braugerechtigkeit" für Seefeld. Außerdem die Garantie für Max Cajetans militärischen Aufstieg.

26. März 1692 Brüssel * Kurfürst Max Emanuel zieht feierlich in Brüssel ein.

Seite 147/814 27. Oktober 1692 Wien - Brüssel * Baierns Kurfürstin Maria Antonia bringt in der Wiener Hofburgeinen Sohn zur Welt. Das Kind wird noch am selben Tag vom päpstlichen Nuntiusim Beisein des Kaiserpaares in feierlicher Zeremonie auf den Namen Joseph Ferdinand Leopold getauft.

Kurfürst Max Emanuel, der Vater des Kindes, ordnet - nachdem er von der Geburt seines Sohnes erfahren hat - in Brüssel eine Festbeleuchtungan - und gibt ein Galadiner. Er nutztschließlich jeden sich bietenden Grund zum Feiern.

27. Oktober 1692 Wien - Brüssel * Baierns Kurfürstin Maria Antonia bringt in der Wiener Hofburgeinen Sohn zur Welt. Das Kind wird noch am selben Tag vom päpstlichen Nuntiusim Beisein des Kaiserpaares in feierlicher Zeremonie auf den Namen Joseph Ferdinand Leopold getauft.

Kurfürst Max Emanuel, der Vater des Kindes, ordnet - nachdem er von der Geburt seines Sohnes erfahren hat - in Brüssel eine Festbeleuchtungan - und gibt ein Galadiner. Er nutztschließlich jeden sich bietenden Grund zum Feiern.

24. Dezember 1692 Wien - Brüssel * Baierns Kurfürstin Maria Antonia stirbt in Wien. Kurfürst Max Emanuel, ihr Ehemann undGouverneur der Spanischen Niederlande, nimmt die Todesnachricht in Brüssel gelassen und ungerührt entgegen. An den Begräbnisfeierlichkeiten im weit entfernten Wien nimmt er natürlich nicht teil.

8. Mai 1693 Berg am Laim * Der Kölner KurfürstJoseph Clemens gründet die "Bruderschaft des Hl. Ertzengel und Himmelsfürsten Michael" in der Berg am Laimer Michaelskircheder Josephsburg. Auf die Idee kam er, weil die Vorbereitungen zum 100. Jahrestag der Einweihung der Michaelskirchein der Neuhauser Gasse am 6. Juli 1697 bevorstand.

22. Mai 1693 Wien - München * Der baierische Kurprinz Ferdinand Joseph wird von Wien nach München gebracht, wo er am 22. Mai eintrifft.

8. September 1693 Schönbrunn * Caspar Freiherr von Schmid stirbt im Alter von 71 Jahren. Er wird in der Schlosskirche der Hofmark Schönbrunnin der Familiengruft bestattet.

23. Oktober 1693 Pisa * Pater Onuphriushat inzwischen auf einer Romreise die Eremiten vom seligen Petrus von Pisakennengelernt, die sich die "Armen Eremiten des heiligen Hieronymus" nennen. An diesem Tag werden die inzwischen vierzehn Einsiedler vom Walchensee in diesen Orden aufgenommen.

Seite 148/814 Die Hieronymitentragen einen schwarzen Habit mit Gürtel und hohem Kragen, mit Kapuze und Birett. Die Vereinigung ist den Bettelordenangeglichen worden und führt ein strenges Leben, allerdings ohne auf die ausgeprägte Eigenwilligkeit, die die Einsiedlerzu allen Zeiten auszeichnen und der geistlichen Obrigkeit so manchen Kummer bereiten, zu verzichten.

Die Äbte von Benediktbeuern beschweren sich über die Klausner, die sich nur wenig an die Abmachungen halten. Und als die Gemeinschaft auf sechs Mitglieder zurückgeführt werden soll, versucht Pater Onuphriusnach Schönbach in Niederösterreich oder Pobenhausen bei Ingolstadt auszuweichen, was allerdings der Fürstbischof von Augsburg zu verhindern weiß.

Anno 1694 Au * Auf dem Mariahilfplatz werden "zum Schutze der Andächtigen vor Regen und Sonnenbrand" Linden gepflanzt.

1. Februar 1694 Lüttich * Der Lütticher Fürstbischof Johann Ludwig von Elderen stirbt völlig unerwartet. Baierns Kurfürst Max Emanuel, der zu diesem Zeitpunkt Generalstatthalter der Spanischen Niederlandeist, fordert seinen Bruder Joseph Clemens auf, unter Hintansetzung "aller gemächtlichkeit, auch etwa sonst vorzustellen habender anderwerttigen erinderungen" sofort nach Lüttich aufzubrechen, um dort persönlich in den Wahlkampf einzugreifen.

19. März 1694 Lüttich * Kölns Kurfürst Joseph Clemens und der baierische Kurfürst Max Emanuel treffen in Lüttich ein.

"Pfalzgraf" Ludwig Anton, "Koadjutor des Bistums Mainz" und "Hochmeister des Deutschritterordens", hat inzwischen enormen Eindruck im Lütticher "Domkapitel" hinterlassen. Er wird auch von Kaiser Leopold I. gefördert.

19. April 1694 Lüttich * Am Vorabend der Wahl zum Bischof von Lüttich zählt die "baierische Partei" 24 Stimmen. Das sind zwei Stimmen mehr als die "pfälzische Partei" hat.

Kurfürst Max Emanuel hatte seinem Unterhändler die Order gegeben, Parteigängern seines Bruders zu "beliebiger Summe zu kaufen".

4. Mai 1694 Lüttich *Pfalzgraf Ludwig Anton stirbt an einer in Lüttich grassierenden Seuche. Damit ist der Pfalzgrafals Konkurrent um das Bistum Lüttich ausgeschieden. Papst Innozenz XII.kann dadurchKurfürst Joseph Clemens - ohne auf die Vorgänge der Wahl eingehen zu müssen und ohne Stellung zu Fragen der besseren Legitimität des baierischen Bewerbers zu nehmen - das Amt des Fürstbischofs von Lüttichübertragen.

Um sich nicht dem Vorwurf der Nachgiebigkeit gegenüber dem Haus Baiernund der Parteilichkeitaussetzen zu müssen, entzieht Papst Innozenz XII. daraufhin Bischof Joseph Clemens die Bistümer Freising und Regensburg, indem er sie für "vakant" erklärt und die dortigen Domkapitelzur Wahl eines neuen Bischofs auffordert. In

Seite 149/814 Erinnerung an die Reformbeschlüssedes Konzils von Trient, welche die Anhäufung von geistlichen Pfründenals "unerträglichen Missstand" brandmarkten, siehtsich der Papst zum Handeln gezwungen.

Um den Besitzstand des 22-jährigen Kurfürsten ein wenig zu beschneiden, greift der Papst zum Mittel der Einziehung der eher unbedeutenden Bistümer Freising und Regensburg.Gleichzeitig sichert er ihm aber die Nachfolge in Hildesheimzu.

1695 Au * Sebastian und Agathe Gaißreitter überlassen den drei "Jungfrauen vom Gaisberg" ihren Garten und die Kapelle schenkungsweise.

Damit ist der Weg zum Bau eines richtigen Klosters frei.

2. Januar 1695 Brüssel * Kurfürstin Therese Kunigunde zieht in Brüssel ein.

1696 Berg am Laim * Der angesehene "Franziskaner-Pater" Fortunatus Hueber übernimmt die Funktion des "Präses der Michaels-Bruderschaft", verfasst das "Bruderschaftsbüchlein" und schafft es, dass sich die "Michaels-Bruderschaft" so schnell ausbreiten kann, dass ihr anno 1696 bereits 60.000 Menschen angehörten.

Der "Franziskaner-Ordensmann" erzählt dabei so eindringlich von seiner Errettung durch den "Erzengel Michael" aus türkischer Gefangenschaft im Jahr 1687 und dass ihn - zwei Tage vor der Gründung der "Bruderschaft" - der "heilige Michael" im Traum erschien und ihn von den seine Person bedrängenden bösen Geister befreite. Das kommt gut an.

"Fürstbischof" Joseph Clemens will ursprünglich zwölf Pater an die "Josephsburg" setzen und dort ein "Hospitium" zur Besorgung der "Bruderschaft" bauen lassen. Seine Flucht anno 1704, seiner langer Aufenthalt in Frankreich und schließlich sein Tod im Jahr 1723 verhinderten dies jedoch.

8. Mai 1696 Lüttich * Kurfürst Joseph Clemens gründet in Lüttich eine weitere Michaels-Bruderschaft.

6. August 1697 Brüssel * Carl Albrecht, der spätere baierische Kurfürst und nachmalige Kaiser Carl VII. Albrecht, wird in Brüssel geboren.

September 1697 Haidhausen * Die Erben des FreiherrnFranz Pongraz von Leiblfing verkaufen die "Hofmark Haidhausen" an den "Obristhofmeister" Paulus Grafvon Fugger-Kirchberg-Weißenhorn.

Seite 150/814 24. Mai 1698 Wien - Brüssel * Der baierische Kurprinz Ferdinand Joseph wird nach Brüssel gebracht, wo er am 24. Mai eintrifft.

11. November 1698 Madrid * König CarlII. von Spanien ernennt den sechsjährigen baierischen Kurprinzen Joseph Ferdinand zum "Prinzen von Asturien" und damit zum alleinigen Erben der spanischen Monarchie.

Nun gibt sich der baierische Kurfürst Max Emanuel, der inzwischen Therese Kunigunde, die Tochter seines ehemaligen Waffengefährten, des polnischen Königs Johann III. Sobieski, geheiratet und im Mai 1698 seinen Sohn nach Brüssel hat bringen lassen, zu weiteren hochfliegenden Zukunftsträumen hin.

Wenn er großzügig den Besitz des Gesamthauses Wittelsbach zusammen zählt, dann sind die großen europäischen Dynastien überflügelt: Baiern, Spanien, beide Indien, Niederlande, Mailand, Neapel, Sizilien in einer Hand - Schweden, Kurpfalz, Jülich und Berg, Neuburg, Köln, Lüttich und Berchtesgaden sind von Verwandten besetzt.

Das Testament des spanischen Königs stößt aber auf den Widerstand von Frankreich und Österreich.Damit kann die politische Zukunft für den Thronfolger keineswegs als gesichert angesehen werden.

Anno 1699 Walchensee * Noch immer befinden sich zehn "Einsiedler-Brüder der Hieronymitaner" am Walchensee.

15. Januar 1699 Brüssel * Kurprinz Ferdinand Joseph erkrankt erneut schwer.

6. Februar 1699 Brüssel * Kurprinz Ferdinand Joseph stirbt in Brüssel im Alter von sechsJahren.

9. Februar 1699 Brüssel * Der baierische Kurprinz Joseph Ferdinand findet in der Kirche "Ste-Gudule" in Brüssel seine letzte Ruhestätte.

Um 1700 Bogenhausen * Das "Militärwaisenhaus und -lazarett" wird in eine "Pflegeanstalt für bresthafte Frauen" umgewandelt.

Um 1700 München * Jeder achte Münchner ist "Sodale" [Mitglied] einer der sechs Münchner "Marianischen Kongregationen". Sie nehmen großen Einfluss auf die Stärkung und Förderung des katholischen Lebens in der Stadt.

Seite 151/814 Jeder der "Kongregation" neu beitretende "Sodale" hat nach Ablegung seiner "Lebensbeichte" sich in einem feierlichen Weiheakt seiner Patronin zu lebenslangem Dienst zu verpflichten.

Er hat häufig beim jesuitischen Beichtvater seine Sünden darzulegen, muss täglich Gewissensforschung betreiben, hat ein geregeltes Gebetsleben einzuhalten und strenge Bußübungen - vor allem an Kartagen - zu vollziehen. Zum regelmäßigen Besuch der Konvente und der Lektion frommer Schriften gehört auch der gemeinsame Empfang der Kommunion. Das demonstrative öffentliche Auftreten bei Prozessionen und Wallfahrten, sowie bei prunkvollen Festgottesdiensten und Theateraufführungen "zur höheren Ehre Gottes und der allerseligsten Jungfrau" gehören ebenso zur selbstverständlichen Pflicht des "Sodalen" wie die, seinen Mitbrüdern im Leben und Sterben beizustehen und sie auf ihrem letzten Gang zu begleiten.

18. Februar 1700 Deutschland * Auf den protestantischen Gebietenfolgt auf den 18. Februar der 1. März 1700. Damit ist die einheitliche Tageszählung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationendgültig wiedererreicht. Bis zur Kalenderumstellung in den protestantischen Ländernwerden alle Dokumente mit zwei Daten versehen.

August 1700 Freystadt * Giovanni Antonio Viscardi beginnt mit dem Bau einer neuen Wallfahrtskirche Maria Hilf in Ferdinand Franz Lorenz Xaver von Tilly zu Breiteneggs Herrschaft Freystadtin der Oberpfalz.

17. August 1700 Brüssel * Clemens August Maria Hyazinth von Baiern, der spätere Kurfürst von Köln und Inhaber mehrerer Bistümer, wird als vierter Sohn des Kurfürsten Max Emanuel von Baiern in Brüssel geboren, wo sein Vater Statthalter der Spanischen Niederlandeist.

2. November 1700 Madrid - Versailles * Das Testament des spanischen Königs Carl II. wird eröffnet. Er vermacht darin die gesamte spanische Monarchie an Herzog Philipp von Anjou, dem zweitältesten Enkel des Franzosenkönigs Ludwig XIV.. Ludwig XIV. stellt daraufhin sofort seine bislang verfolgten Teilungsabsichten hinten an und unterstützt seinen Enkelsohn, der schon im Februar 1701 in Madrid einziehen kann.

Die Seemächteakzeptieren Philipp V. als spanischen König nicht - und Kaiser Leopold I. lehnt das Testament aus grundsätzlichen Erwägungen ab, da es faktisch den deutschen Zweig der Familie enterben würde.

2. November 1700 Brüssel - München * Baierns Kurfürst Max Emanuel befindet sich nun in einem Dilemma.

Der neue spanische König ist zwar sein Neffe, aber wie sollte er sich als Statthalter der spanischen Niederlandegegenüber einem König verhalten, der von mehreren Seiten nicht anerkannt wird? Wie soll er sich mit seinen bisherigen Waffenbrüdern verständigen? Und vor allem, wie kann er in dieser Situation noch das Maximalste herausholen?

Seite 152/814 Um seinen Wünschen nach Rangerhöhung doch noch ein Stück näher zu kommen, bereitet der baierische Kurfürst einen Bündniswechsel in Richtung Frankreich vor.

18. Januar 1701 Königsberg * Der hohenzollerische Kurfürst von Brandenburg , Friedrich III., erhält die Königskrone für Preußen.

13. Februar 1701 Köln * "Kurköln" unter Kurfürst Joseph Clemens schließt mit Frankreich einen "Allianzvertrag", der Kölns "bewaffnete Neutralität" beinhaltet.

Die Folgen sind verheerend. Das "Erzstift Köln" wird zum ersten Kriegsschauplatz im "Spanischen Erbfolgekrieg".

7. April 1701 Brüssel - München * Kurfürst Max Emanuel kehrt aus Brüssel nach München zurück.

27. April 1701 Haidhausen * Paulus Graf von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn, der "Hofmarkherr" von Haidhausen, "Reichshofrat" und "kurbaierischer Obersthofmeister", stirbt in München. Er wird in der Pfarrkirche von Mickhausen begraben.

Die "Hofmark Haidhausen" erbt seine Ehefrau Anna Maria Katherina de Saint German, eine verwitwete Gräfin Törring-Seefeld.

17. September 1701 München * Die 17-jährige WachtmeisterstocherMaria Theresia Käser aus Pfaffenhofen als Hexeauf der Richtstattenthauptet und ihr geschundener Körper anschließend verbrannt.

Maria Käser wird früh elternlos und ist auf Betteln und Stehlenangewiesen.Das armselige und heruntergekommene Mädchen ist aufgrund ihrer niedrigen sozialen Stellung zur Hexegeradezu geboren. Die junge Frau wird von einem verschmähten Liebhaber der Hexereibezichtigt. Unter der Foltergesteht sie, am Hexensabbatteilgenommen, sich dem Teufel mit "Leib und Seele" ergeben sowie ihr Amulett und einen geweihten Gürtel mit Füßen getreten zu haben.

8. September 1702 Ulm * Mit dem Überfall auf die ReichsstadtUlm beginnt die militärische Aggression Max Emanuels. Damit beginnt der Spanische Erbfolgekriegzwischen Frankreich und Österreich. Der baierische Kurfürst Max Emanuel steht gemeinsam mit seinem Bruder Joseph Clemens, dem Kurfürsten von Köln, als einzige Reichsfürsten auf der Seite der Franzosen.

Seite 153/814 2. Juli 1703 Innsbruck * Die baierischen Truppen unter Führung des Kurfürsten Max Emanuel besetzen die ReichsstadtInnsbruck.

1704 München * Ein französischer Schauspieler, genannt Brieder, ist der erste Münchner "Kaffeesieder".

1704 München * Maria Anna Lindmayr leidet an rätselhaften Krankheiten und hat immer wieder religiöse Visionen, die sich mit dem Ausbruch des Spanischen Erbfolgekrieges verstärken. Im Jahr 1704 erreichen die Visionen ihren vorläufigen Höhepunkt.

Die Lindmayr spricht nun von einem "kommenden Strafgericht", wenn sich die Menschen, allen voran der kurfürstliche Hof, nicht bessern und bekehren würden.

18. Mai 1704 München * Durch die Visionen und Prophezeiungen der Maria Anna Lindmayr verbreiteten sich bald in der ganzen Stadt die wildesten Gerüchte. Die - berechtigten - Ängste der Bevölkerung vor einem drohenden Krieg und den daraus resultierenden Auswirkungen führen noch am Dreifaltigkeitstag, am 18. Mai, zu einem Volksauflauf.

Der Kurfürstliche Geheime Rat lässt daraufhin die Prediger anweisen, sie sollen gegen die "Ausstreuungen einer gewissen Person" vorgehen und die Bevölkerung zu "Buße, Tugend und Frömmigkeit" anhalten.

Die "fromme Marianndl" wendet sich nunan den Freisinger Fürstbischof Franz von Eckher von Kapfenberg und Lichteneck, der sie von einer "Kommission hochangesehener Geistlicher" untersuchen lässt. Die Kommission stellt in ihrem Gutachten fest, dass die Lindmayr "in etlich sachen eine mehr als natürliche erkandnuß" habe.

War die Lindmayrin zuvor in der Stadt noch umstritten, so ist nun die Mehrheit von der Mystikerin überzeugt. Maria Anna Lindmayr ist sich sicher, dass Gott die schlimmsten Gefahren nur dann von der Stadt abwende, wenn man ihm eine "Kirche zu Ehren der allerheiligsten Dreifaltigkeit" geloben würde. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, erklärt sie, dass ihr dies schon mehrmals geoffenbart worden sei.

20. März 1705 Wien * "Hofkriegspräsidenten", "Geheimräte" und hohe "Kanzleibeamte" beraten in Wien über eine zentrale "Administration" für ganz Baiern.

Prinz Eugen "der edle Ritter" führt den Vorsitz dieser streng geheimen Besprechung.

Mit Argwohn beobachtet man dort die rege Korrespondenz zwischen München und Brüssel.

Schließlich setzt Kaiser Leopold I. - zur zivilen und militärischen Verwaltung Baierns - die "Kaiserliche Administration" mit Sitz in Landshut ein.

Seite 154/814 Zum "Landesadministrator" wird der Diplomat Graf Maximilian Carl von Löwenstein-Wertheim-Rochefort bestellt.

16. Mai 1705 München * Nachdem Kurfürstin Therese Kunigunde am 16. Februar 1705 zu ihrer Mutter nach Venedig reiste, besetzen die Kaiserlichen auch das Rentamt München und verweigerten der Kurfürstin die Einreise nach Baiern. 8.000 Soldaten marschieren um 7 Uhr vor den Stadttoren auf und drohen mit Bombardierung. Die Münchner kapitulieren.

Zur Besetzung des Rentamtes Münchenkommt es auch deshalb, weil man in München keinen großen Eifer zeigt, die vereinbarten Abrüstungsmaßnahmen aus dem Ilbesheimer Vertragumzusetzen. Eine Kaiserliche Administrationunter Reichsgraf Maximilian Carl von Löwenheim-Wertheim-Rochefort bemühtsich nun um eine ordnungsgemäße Verwaltung des Kurfürstentums Baiern.

Um den 25. Oktober 1705 Oberpfalz - Niederbaiern *In der Oberpfalz und in Niederbaiern bricht der Aufstand gegen die kaiserliche Besatzungsmacht los.

Um den 3. November 1705 Burghausen * Im Rentamt Burghausenbricht der Aufruhr aus.

16. November 1705 Burghausen * Burghausen kapituliert vor denAufständischen. Sie ist die erste Stadt, die den Aufständischenin die Hände fällt. In den Kapitulationsverhandlungenverlangen die Unterländer,

dass "der Landmann bei seinen alten Privilegien verbleibe, dass man von ihm nicht mehr fordere als unter dem Kurfürsten geschehen, damit die Bauern [...] ihre schuldigen Abgaben entrichten können; alle Bauernsöhne und Knechte sollen zu Hause verbleiben und allein zur Verteidigung des Landes dienen."

Die Bauern erheben sich also zunächst nur gegen die allzu maßlosen Forderungen der Kaiserlichen Administration, nicht gegen die Besatzungsherrschaft. Weil sie zu Verteidigung der Heimat bereit sind, wehren sie sich gegen den Missbrauch der Landfahnenzum kaiserlichen Militärdienst. Die Aufständischenverstehen sich als "ganze Gemein der Kurlande Baiern".

Um ihnen die Legitimation des gesamten Kurfürstentums zu geben, wird der RegierungsratFranz Bernhard von Prielmayer zum Kriegskommissär der Landesdefensiongezwungen. Prielmayer versucht mäßigend auf die Aufständischeneinzuwirken. Doch der Erfolg der Rebellenverändert deren Ziele, weshalb sie schon bald die Beseitigung der Kaiserlichen Administrationfordern, weil sie für die "unerträglichen Lasten" verantwortlich zeichne.

23. November 1705 Wasserburg * Mit brutaler Härte gelingt es den Kaiserlichen Truppenein Belagerungsheer der Aufständischenvor Wasserburg zu zerschlagen. Oberst Johann Baptist de Wendt hat einen Teil der 4.000 Bauern, die Wasserburg

Seite 155/814 eingeschlossen hatten, "wie das wilde Vieh zerfetzt und zerhauen". Die Bauern verlieren 300 Mitstreiter durch den Tod und ebenso viele Gefangene.

28. November 1705 Braunau * Die Aufständischennehmen die Festung Braunauein. Die Belagerungsarmeeernennt den Mitterschreiber des Gerichts Reichenberg,Georg Sebastian Plinganser, zum Kriegskommissär.

28. November 1705 München * Auf Bitten der Landschaftsverordnungsagt die Kaiserliche Administrationdie Einstellung der Zwangsrekrutierungenzu.

Obwohl sich die Landschaftsverordnungdeutlich von den "yblen aufstandt under dem paurs volkh" distanziert, zeigt sie dennoch Verständnis für die bäuerlichen Belange, weshalb sie sich beim Kaiser vehement über "das unnß schon so lang truckhente Ellent" beklagt.Sie tritt auch für eine Verständigungslösungzwischen den Aufständischenund der kaiserlichen Obrigkeitein.

4. Dezember 1705 Braunau * Der frühere baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs kommt nach Braunau. Gemeinsam mit Plinganser plant er die Ausweitung der Rebellion übers ganze Land und die Einnahme Münchens.

Lokale Erhebungen im Bairischen Wald, an der unteren Isar und im Raum Kehlheim sollen Teile der kaiserlichen Besatzungstruppen binden, während das starke Unterländer Defensionsheerüber Mühldorf und Ebersberg auf die baierische Hauptstadt vorstoßen soll.

Flankierend sollen aus den Gerichten nördlich und südlich von München zwei Unterstützungsangriffe gegen die Stadt erfolgen.

Um den 8. Dezember 1705 Burghausen * Die Aufstandsbewegungunter der Führung des Pfarrkirchner GerichtsschreibersGeorg Sebastian Plinganser erzielt bedeutende Erfolge und kontrolliert nach der Einnahme der Städte Burghausen, Braunau und Schärding die Innlinie und große Teile des Rentamtes Burghausen.

Als sich die Rentamtsregierungnotgedrungen auf die Seite der Aufständischenstellt, breitet sich die Rebellion über das Rott- und das Vilstal weiter aus.

9. Dezember 1705 Tölz * Der ehemalige baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs begibt sich von Braunau nach Tölz, wo er den dortigen PflegskommissärJohann Ferdinand Dänkel für die Aufstandspläne gewinnen kann. Die Bevölkerung des Oberlandssteht dem Aufstand positiv gegenüber. Fuchs legt dazu ein angebliches Mandat des Kurfürsten Max Emanuel vor. Diese Fälschung war vermutlich von der Braunauer Führungsgruppe um Plinganser gefertigt worden. Es lautet:

Seite 156/814 "Wir, von Gottes Gnaden Maximilian Emanuel, Churfürst zu Baiern etc. etc..

Nachdem Wir mit Schmertzen vernommen, dass ihr, meine Liebe, Getreue, seit unser Abwesenheit mehr und mehr beschweret werdet, und man euch eine Million nach der andern abpresset, benebst den Teutschen Krieg aus euren Mitteln fortsetzen wolle, wodurch dann die Armuth bey auch dermassen zugenommen, dass ihr die unerträglichen Lasten, sowohl in Geld, als Mannschafft, freye Einquartierung, und hin= und wider= Marches nicht länger ertragen könnet, dass ihr auch eur Vieh und Hauß-Zierathe zu Gelde gemacht, und nichts mehr als die leere Wohnung übrig habt, so haben wir nach der allzeit gegen euch erwiesenen und noch habenden Güt und Vorsorge rathsam und gut befunden, euch solchen vorzustellen und zu ermahnen, dass ihr solche unchristliche Beschwerungen nicht länger duftet, sondern hingegen- gesamter Hand einander beystehet, mit Gewehr euch versorget und auf alle Arth und Weise das Land selbst zu beschirmen trachtet, und solches um soviel mehr, da man noch über dem die bequeme Mannschafft zu dem Kriegesdienst mit Gewalt zwingen und wegführen will.

Zu dem Ende wollen wir auch nicht unterlassen, euch, soviel möglich ist, beyzustehen, und unser Winter-Lager nahe bey euch zu nehmen, biß ihr einen festen Fuß ins Land haben werdet.

Womit wir, wie vor diesem, euch in Gnaden und Gunst gewogen verbleiben."

10. Dezember 1705 Anzing * Zwischen gemäßigten Burghauser Delegierten und Vertretern der Landschaftkommt es - mit Einverständnis der Kaiserlichen Administrationzum Kongress von Anzing, der die Beschwerden der Aufständischenformuliert und einen zehntägigen Waffenstillstandvereinbart.

Die Braunauer Aufständischenum Georg Sebastian Plinganser bleiben jedoch auf Konfrontationskurs.

Um den 10. Dezember 1705 München * Die Gerüchte, wonach die baierischen Prinzen nach Österreich gebracht werden sollen, werden lauter.

15. Dezember 1705 Braunau * Der ehemalige baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs berichtet nach Braunau: "Das Oberland macht mit." Damit ist der Countdown eingezählt!

15. Dezember 1705 München * Der Anzinger PosthalterFranz Kaspar Hierner trifft in der baierischen Hauptstadt mit einer kleinen Gruppe ansässiger Verschwörer zusammen. Diese sind der Weinwirt, Mitglied im Äußeren Ratund Sohn des gleichnamigen Bürgermeisters von Tölz, Johann Jäger; der WeinwirtJohann Georg Küttler und der BierbrauerGeorg Hallmayr. Hierner verspricht die Mobilisierung der Gerichte Erding, Schwaben und Haag.

16. Dezember 1705 Niederbaiern * Der auf dem Kongress von Anzingvereinbarte Waffenstillstandwird von den niederbaierischen Bauern gebrochen und die Kampfhandlungen wieder aufgenommen.

Seite 157/814 16. Dezember 1705 Königsdorf * Die drei Münchner Wirte Johann Jäger, Johann Georg Küttler und Georg Hallmayr nehmen Verbindung mit den Oberländernauf. In Königsdorf treffen sie sich mit Adam Schöttl, dem "Jägeradam", und drei Tölzer Bürger, dem WeinwirtFranz Jäger, der Bruder des Münchner Jägerwirts, und den beiden BierbrauernMichael Schaindl und Anton Fiechtner.Man beschließt ein Manifest, das den Aufstand begründen soll:

Es sind dies die hohen Steuern und Kriegsumlagen sowie die Quartierlasten und Ausschreitungen der Soldaten; die vertragswidrige Besetzung des Rentamtes Münchensowie die Verweigerung der Rückkehr der Kurfürstin; die Beschlagnahme kurfürstlichen Eigentums und die befürchtete Deportation der Prinzen.

Weil die Landschaftsvertretungdie Interessen des Landes nicht ausreichend unterstützt, istdie Vertreibung der "eingedrungenen frembden Regierungs Göst" das einzige Mittel.

17. Dezember 1705 Niederbaiern * Der Zulauf zu den aufständischen Unterländernist so groß, dass deren OberkommandantJohannes Hoffmann den Anzinger Waffenstillstandbricht und die kaiserlichen Truppen des Freiherrn Johann Baptist de Wendt angreift.

18. Dezember 1705 Tölz * Im Tölzer Franziskanerklostertreffen sich die Beamten und Gemeindeobmänner desGerichts Tölzund Umgebung.Mit anwesend sind der PflegskommisärMaximilian Alram aus Valley, der ehemalige baierische KriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs und die Offiziere.

Den Anwesenden wird in einer Mischung aus Halbwahrheiten und maßlosen Übertreibungen eröffnet, dass die Kaiserliche Administrationdie kurfürstlichen Prinzen aus München entführen möchte, weshalb einige Adelige und die Münchner Bürgerschaft dringend bitte, dass man im Oberlandzu den Waffen greifen und die Kaiserlichenaus München vertreiben soll.

Aus dem Rentamt Münchenwären dazu 20.000 Mann bereit. Und aus dem Unterlanderwartet man weitere 8.000. Außerdem haben die Münchner versprochen, dass sie die Aufständischenohne Verlust eines einzigen Mannes und ohne einen Schuss Pulver in die Stadt schleusen würden. Den Beamten erklärt man, dass der "Marsch nach München" den Intensionen des Kurfürsten entspräche, wie der Brief vom 9. Dezember 1705 beweise. Es wird für die Gerichte südlich von München ein Aufgebotsbefehlerlassen.

19. Dezember 1705 München * Die Kaiserliche Administrationerlässt ein Mandat, in dem sie der "rottirten rebellischen Baurschaft" befiehlt, die Waffen niederzulegen. Zudem sollen die Bauern die Anführer der Aufstandbewegungzur Anzeige

Seite 158/814 bringen.

Die Kaiserliche Administrationwarnt davor, "daß diejenige Dörffer, Höf und Häuser, wo die Bauerschafft sich abwesend befindet, ohne alle Gnad und Bedenken verbrennet und in Asche geleget, diejenige Mannschaft aber, so in Wöhr und Waffen verblieben, und darinne erdappet werden wird, als Rebellen angesehen, und mit Galgen und Schwerdt, Vertreibung ihrer Haab und Gütter gestraft" werden.

Auch die Eltern der Aufständischenwürden "der Straff des Brands und Plünderung, als wann sie selbsten dabey wären, underworffen seyn". Keiner könne sich damit entschuldigen, nur unter Zwang gehandelt zu haben.

21. Dezember 1705 Braunau - München * Der Höhepunkt der politischen Phase des BaierischenVolksaufstandsist erreicht. In Braunau konstituiert sich ein Parlament, der Landesdefensionskongress.Ein Direktorium, die provisorische Regierung, wird gebildet.

DieKurbaierische Landes-Defension Oberland und Unterlandunternimmt den Marsch nach München, um mit der Landeshauptstadtbeginnend ganz Baiern zu befreien.

22. Dezember 1705 Hohenschäftlarn * Aufgrund des Tölzer Patentstreffen gegen 18 Uhr die Tölzer, Benediktbeurer und Reichersbeurer Kontingente in Hohenschäfftlarn ein. Dort nehmen sie eine zehn Mann starke kaiserliche Reiterpatrouillegefangen, die sie nach Wolfratshausen bringen.

24. Dezember 1705 Baierbrunn * Gegen 16 Uhr kommt der Zug derAufständischenin Baierbrunn an.Dort findet eine weitere Besprechung statt. Vom AnzingerPosthalterHierner istdie Nachricht eingetroffen, dass dieUnterländernicht nach München marschieren können, weil ihnen dasKorps Kriechbaumin Anzing den Weg versperrt.

Erneut rätHauptmannMayer zur Umkehr.?Er will über die Schäfftlarner Brücke nach Valley, um sich mit denUnterländernzu vereinigen. Mayer kann sich erneut nicht durchsetzen, weshalb der"Marsch nach München"fortgesetzt wird.

24. Dezember 1705 Solln * Am Abend treffen weitere bedenkliche Nachrichten aus München in Sollnein. DieMünchner Verschwörerraten denAufständischeneindringlich, den Angriff abzubrechen, da die Kaiserlichen zu stark seien und die Münchner Bürgerschaft nichts unternehmen kann (will).

HauptmannMatthias Mayer gibt den Befehl zum Rückzug.Nach einer halben Stunde - bei Pullach - wird er auf Betreiben des"Jägeradam"und der von ihm geführtenSchützenaufgehalten und die Kolonne - unter tumultartigen Szenen - zum Umkehren bewegt. Dem sich weigerndenHauptmannMayer wird daraufhin der Oberbefehl entzogen. Er selbst wird gefangen genommen.

24. Dezember 1705 Thalkirchen * Gegen 22 Uhr erreicht der Tross Thalkirchen. Weil sich etwa 400 Bauern abgesetzt haben, ist die

Seite 159/814 Abteilung auf rund 2.300 Kämpfer geschrumpft. AuchKriegskommissärMatthias Ägidius Fuchs und derTölzer WeinwirtFranz Jäger, der Bruder des MünchnerJägerwirtshaben das Aufgebot verlassen.

In Thalkirchen wird unter der Leitung vonLeutnantJohann Houis der Angriff auf München vorbereitet.Die verbliebene Streitmacht wird dazu in drei Gruppen aufgeteilt.

Die erste Gruppe mit 800 Mann, darunter der größte Teil derSchützen, soll unter der Führung vonLeutnantJohann Georg Aberle denRoten Turmeinnehmen und den Flussübergang sperren. Die zweite Gruppe mit ebenfalls 800 Männern, aus der Masse derSpießler und Stänglerbestehend, soll unter der Leitung vonLeutnantJohann Clanze gegenüber demAngertorStellung beziehen, um einen Ausbruch derKaiserlichenzu verhindern. Der Rest, die am schlechtesten Bewaffneten, sowie dieReitereiund dieArtillerie, etwa 700 Mann stark, sollen in dem nahe gelegenen DorfUntersendlingStellung beziehen. Dieser Gruppe schließt sich auch die Führungsgruppe derAufständischenan.Sie bezieht im dortigen Wirtshaus ihr Hauptquartier.

Um Mitternacht treten die einzelnen Gruppen den"Marsch auf München"an.

25. Dezember 1705 München * Ein von vornherein aussichtsloser Kampf beginnt.Der Angriffsplan der Aufständischenzeigt zugleichdie Unfähigkeit ihrer Anführer.

Wie sollen die Oberländer- ohne Unterstützung der Münchner Bevölkerung und der wesentlich zahlreicheren Unterländer- die mit starken Befestigungen versehene Stadt stürmen?

Die Münchner Befestigung besteht aus den beiden 10 und 7 Meter hohen Mauerringen. Denen vorgelagert liegt ein 25 Meter breiter Wassergraben mit gemauerten Böschungen. Jenseits des Grabens befindet sich ein 5 bis 7 Meter hoher Erdwall mit Palisadenwand. Das Isartorwird zudem durch einen vorgeschobenen Ravelingesichert.

25. Dezember 1705 München * Gegen 1 Uhr werden derRote Turmund dieIsarbrückevon denAufständischenbesetzt. Die dortigeBesatzunglässtsich nicht auf einem Kampf mit denOberländernein, sondern ziehtsich zumIsartorzurück.

Von der gleichzeitig erwarteten Erhebung der Münchner ist aber nichts zu sehen.Dagegen scheinen dieKaiserlichenauf den Angriff gut vorbereitet zu sein.Sie haben alle Maßnahmen zur Verteidigung der Stadt getroffen.

25. Dezember 1705 München * Gegen 4 Uhr verschanzen sich dieAufständischenhinter Erdwällen und Baumstämmen und eröffnen das Feuer in RichtungIsartor.Als dieKaiserlichenzwei Salven abfeuern, bricht der Angriff derOberländerschon wieder zusammen.

Seite 160/814 25. Dezember 1705 München * Gegen 7 Uhr trifft die vorausgeschickteKaiserliche Kavallerieunter der Führung von Oberst Johann Graf von Eckh amGasteigein. Da dieIsarbrückeversperrt ist, zieht seineReitereiin die Au und sucht beimRadlwirteine Furt durch den Gebirgsfluss.

Etwas später erreicht dieInfanteriedesGeneralwachtmeistersFreiherr Georg Friedrich von Kriechbaum denGasteig.Mit vier Kanonen wird nun der von denAufständischenbesetzteRote Turmbeschossen.

25. Dezember 1705 München * Gegen 8:30 Uhr lässtOberstJohann Baptist de Wendt die amSendlinger TorstehendeKavalleriegegen dieAbteilung Clanzeausbrechen.Gleichzeitig verfolgt vomIsartoraus dieCompanie Lüttigdie fliehenden Bauern vomRoten Turm. Damit werden dieOberländervon zwei Seiten angegriffen.

Von denAufständischen, mit den Flüchtenden vomRoten Turm, etwa 900 Mann stark, fallen 200. Weitere 200 Mann werden gefangen genommen, 300 erreichen mitLeutnantJohann Clanze Untersendling. 200 Mann eilen demForstenrieder Waldund Thalkirchen zu.

Inzwischen hatOberstvon EckhsKavallerievon der Au aus die Isar überquert und nimmt ebenfalls die Verfolgung derAufständischenin Richtung Untersendling auf.

DieKaiserliche Administrationerfährt erst jetzt, dass Untersendling von denOberländernbesetzt gehalten wird.Daraufhin rücktGeneralGeorg Friedrich von Kriechbaum undOberstJohann Baptist de Wendt mit insgesamt fünf BataillonenInfanteriedurch dasSendlinger Torgegen Untersendling vor.

25. Dezember 1705 München * Gegen 11 Uhr ist alles vorbei.Es werden noch 36 Gefangene gemacht sowie sechs Kanonen, drei Munitionswagen, fünf Fahnen, zwei Dragoner-Standarten und ein paar Pauken sowie 150 Pferde eingesammelt.

Auf kaiserlicher Seite zählt man 40 Gefallene und Verletzte.DieAufständischen aus dem Oberlandmüssen demgegenüber eine Vielzahl von Toten beklagen.

Alleine in München werden 1.066Oberländerbeerdigt. Insgesamt sind es etwa 1.100 Tote aus Oberbaiern. 609Aufständischewerden verwundet, nur 107 werden unverletzt in Gefangenschaft gekommen.

Die Münchner Einwohnerschaft hat während der gesamten Kämpfe brav den Anordnungen derKaiserlichen AdministrationFolge geleistet und sich ruhig verhalten.

DerStadtmagistratübermittelt noch in der Nacht die"allerunderthenigste treue devotion"der Bürgerschaft an die kaiserliche Obrigkeit.Die ermordetenAufständischenvor den Stadttoren bezeichnet er verächtlich als"paurs rott".

Seite 161/814 26. Dezember 1705 Steinhöring * Mit der Münchner Mordweihnachtbricht der Volksaufstand der Oberländersofort zusammen. Der in Steinhöring stehende Oberbefehlshaber der Unterländer, Johannes Hoffmann, gibt daraufhin den Befehl zum Rückzug.

Nun machen sich in dem niederbaierischen Heerhaufen Unsicherheit, Angst und Diszplinlosigkeit breit.Reihenweise begeben sich die Unterländer Aufständischenauf denWeg nach Hause.

31. Dezember 1705 Steinhöring * Von den 16.000 Unterländer Aufständischenin Johannes Hoffmanns Truppe sind gerade noch 1.100 übrig geblieben.

1706 München * Der "Branntweinschenk" Dionysius Michael wird auch als "Kaffeesieder" bezeichnet.

8. Januar 1706 Aidenbach * Das Massaker von Aidenbach beginnt.Die Unterländerwerden niedergeschlagen.Freiherr von Gemmel berichtet:

"Es haben sich aber die Rebellen, ehe man die Höhe gar besteigen können, gleichsam in dem Augenblick, ohne Verlierung des geringsten Feuers, in den hinter sich gehabten Wald gezogen; ihr Kommandant und andere Offiziere sind, gleich wie sie schelmischer Weise ihr rebellisches Kommando angetreten, wieder solchergestalten auf ihren Pferden mit der wenig gehabten Kavallerie durchgegangen und haben ihre Hauptarmee im Stich gelassen, welche der verbitterte Soldat sowohl zu Pferd als zu Fuß sogleich umringt und in den Wäldern und Feldern aufgesucht, alles, was sich nur blicken lassen, gegen einen wenigen Widerstand solchergestalten niedergemacht und massakriert, daß der wenigere Teil davongekommen.

Teile von ihnen haben sich in einige unweit von dieser Niederlage gelegene Bauernhäuser retiriert und sonderbar aus einem auf die Kaiserlichen mit kleinem Gewehr stark Feuer gegeben, daher diese Häuser sämtliche in Brand gesteckt und was nicht darinnen verbrennen, sondern entlaufen wollen, ohne Unterschied niedergemacht worden ist."

Der Volksaufstandbricht zusammen.

17. Januar 1706 Braunau * Braunau wird den Aufständischengeräumt.

17. März 1706 Kelheim * Matthias Kraus wird in Kelheim hingerichtet.

Der Galgen steht an der Stelle, an der bis wenige Tage zuvor seine Haus stand. Es wurde geschleift. Auch Matthias Kraus wird gevierteilt.

Seite 162/814 29. April 1706 Wien * Das Ächtungsverfahrengegen Kurfürst Max Emanuel ist abgeschlossen.

Kaiser Joseph I. verhängt in einer eindrucksvollen Zeremonie die Reichsachtwegen "Fried-Bruchs und Majestät-Verletzung" über den baierischen Kurfürsten und erklärt ihn seiner Ämter enthoben.Damit ist er vogelfrei.

Sein Rang und seine Kurfürstenwürde werden zusammen mit dem Besitz der Oberpfalz dem Kurfürsten der Pfalz zuerkannt.

Mai 1706 Klagenfurt * Die vier ältesten baierischen Kurprinzen Carl Albrecht (* 1697), Philipp Moritz (* 1698), Ferdinand Maria Innozenz (* 1699) und Clemens August (* 1700) werden nach Klagenfurt gebracht.

Prinzessin Maria Anna (* 1696) und die jüngeren Prinzen Johann Theodor (* 1703) sowie Max Emanuel Thomas (* 1704) bleiben in München.

23. Mai 1706 Ramilies * Kurfürst Max Emanuel stößt in der Schlacht bei Ramilliesauf die holländisch-englische Armee unter dem Oberbefehl des Herzogs von Marlborough.

Max Emanuel wird - wie in der Schlacht von Höchstädt- vernichtend geschlagen. Dadurch verliert er Flandern und Brabant. Ihm bleibt nur mehr ein Schloss bei Mons. Die französische Front bricht zusammen. Brüssel wird aufgegeben.

3. Oktober 1707 Haidhausen * Als der Haidhauser SchulmeisterMelchior Eizinger stirbt, übernimmt der aus Braunau stammende Joseph Wüst die Stelle. Auch er muss zuvor die Witwe Pubenstuber heiraten.

1708 München * Die Obrigkeit sieht sich zum Einschreiten gegen die"neu aufgerichtete Caffeehäuser" veranlasst.

Als "ordentlich konzessionierte und berechtigte Caffeesieder" werden genannt: der "Hofzuckerbäcker" Claudi Surat, André Bellini und Johann Koller.

1709 München-Kreuzviertel * Mit dem Bau des Bürgersaals und der Bürgersaalkirche für die Jesuiten erhält Giovanni Antonio Viscardi in München einen neuen zivilen Bauauftrag.

Der Bürgersaal ist eine gestreckte rechteckige Halle von 46,6 m Länge, 14,3 m Breite und 13,3 m Höhe.

Seite 163/814 Wieder ist es die kaiserliche Besatzungsmacht, die mit Viscardis Ernennung enormen Einfluss auf den Bau der Bürgersaalkirche und der Dreifaltigkeitskirche und deren Aussehen ausübt.

1. Mai 1709 Mons * Kurfürst Joseph Clemens erhält vom Bischof von Cambrai, Françoisde Salingnac de la Mothe-Fénelon, in Monsdie "Bischofsweihe".

Dabei erklärt er feierlich, dass er künftig keinerlei intimen Beziehungen mit seiner Mätresse unterhalten will. Sein zweiter Sohn wird jedoch vier Jahre später geboren.

23. Januar 1710 Meißen * Kurfürst August der Starke von Sachsen und König von Polen gründet Europas erste Manufaktur für Hartporzellan, nachdem es dem AlchymistenJohann Friedrich Böttger im Jahr zuvor gelungen war, erstmals Porzellan herzustellen.

30. August 1710 Au * Mit der Erbschaft seiner verstorbenen Frau nimmt BürgermeisterJohann Maximilian von Alberti die nächste Phase der Klosterwerdung auf dem Gaisbergin Angriff. Er stellt einen mit 12.000 Gulden dotierten "Fundationsbrief zur Aufrichtung eines Jungfrauenklosters nach der Regel des hl. Benedikt" aus.

17. April 1711 Wien * Kaiser Joseph I. stirbt überraschend.

Josephs Bruder Carl, der als König Carl III. den Thron Spaniens beanspruchte, wird sein Nachfolger in Österreich und als Kaiser Carl VI. im Reich.

25. April 1711 Haidhausen * Der neue "Kleinwirt" von Haidhausen, Kaspar Öttl, kann den Erhalt der Wirtschaft sichern, nachdem er von der Hofsmarkherrin, der Gräfin Anna Maria von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn, das "Schankrecht für Weiß-, Braunbier und Branntwein" sowie das Recht zur "Haltung von Spielleuten", "Kegelplätzen" und der Abhaltung von "Kindsmählern" erhalten hat.

Der "Kleinwirt" und der "Großwirt" sind bis in das 19. Jahrhundert hinein die einzigen Wirte in Haidhausen, das heißt, nur die Beiden besitzen das "Schankrecht", können also Getränke weitergeben.

22. Dezember 1711 Frankfurt am Main * Der baierische Kurfürst Carl Albrecht wird als Carl VI.in Frankfurt am Main zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationgekrönt.

1712 Walchensee * Der Abt von Benediktbeuern erreicht, dass über das Kloster der "Einsiedler-Brüder der

Seite 164/814 Hieronymitaner" am Walchensee das "Interdikt", die "Gottesdienstsperre", verhängt wird.

1712 Klagenfurt - Graz * Die Hofhaltung der baierischen Kurprinzen Carl Albrecht, Philipp Moritz, Ferdinand Maria Innocenz, Clemens August und Johann Theodor wird von Klagenfurt nach Graz verlegt.

Ihre Schwester Maria Anna Carolina bleibt weiterhin in München. Das Nesthäkchen Max Emanuel ist zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

1713 Walchensee * Das "Interdikt", die "Gottesdienstsperre", über die "Hieronymitaner" wird bald wieder aufgehoben und "Pater Onuphrius" erreicht endlich die römische Anerkennung seiner Gemeinschaft.

Im Gegenzug beginnt der "Abt" von Benediktbeuern nun ein "Priorat" unmittelbar neben den "Klausen" am Walchensee zu errichten, um die "Dahergelaufenen Waldbrüder" auszuschalten.

1713 München - Au * Der "Hofoberrichter" Pistorini brüstet sich damit, er habe "die ganz ungescheucht in der Au sich aufhaltenden Huren" mit öffentlichen Spott davongejagt.

11. April 1713 Utrecht * Großbritannien nimmt mit Frankreich Friedensverhandlungen auf.

Während Frankreich, England, Holland, Savoyen, Portugal und Preußen den Vertrag von Utrecht unterzeichnen, verweigert der kaiserliche Gesandte die Unterschrift.

Das spanisch-habsburgische Riesenreich wird nicht wiederhergestellt. Spanien bleibt in den Händen der französischen Bourbonen, darf aber keinesfalls mit Frankreich vereinigt werden. Die Spanischen Niederlande fallen an den Kaiser, Holland erhält einige Sperrfestungen gegenüber Frankreich und besetzt die Gegenküste zum Inselreich. Die italienischen Besitzungen Spaniens fallen an Österreich, Sizilien aber an das Haus Savoyen. Der baierische Kurfürst wird wieder - mit dem Rang eines neunten Kurfürsten - in seine Herrschaft und Länder - außer der Oberpfalz - eingesetzt. Die Erhebung Preußens zum Königreich wird anerkannt.

10. Juni 1713 München * Maria Anna Lindmayr feiert ihr Schleierfest. Um Gott näher zu kommen geißelt sie sich mit Ruten, hungert, trägt Stachelketten oder schläft auf Brennnesseln.

1714

Seite 165/814 Lille * Kurfürst Joseph Clemens gründet in Lille eine "Michaels-Bruderschaft".

6. März 1714 Rastatt * Da der Kaiser dem Frieden von Utrecht nicht beigetreten ist, bleibt der Oberrhein Kriegsschauplatz. Hier finden die Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und dem Kaiser statt. Die beiden Heerführer, Prinz Eugen von Savoyen für den Kaiser und der französische Marschall Claude-Louis-Hector de Villars, führen ihre Verhandlungen im badischen Rastatt.

Kaiser Carl VI. sieht sich dann aber gezwungen, auf der Grundlage des Utrechter Friedensden Frieden von Rastattabzuschließen. Das bedeutet, dass das Elsass bei Frankreich bleibt, Österreich dafür die Herrschaft über die Lombardei, Neapel und Sardinien behält.

Kurfürst Max Emanuel wird wieder in seine Rechte und Ehren eingesetzt, ja selbst die Oberpfalz bekommt er wieder.Und er darf wieder nach Baiern zurückkehren; doch das stellt für ihn die am wenigsten wünschenswerte Option dar. Auch Sein Bruder Joseph Clemens, Kurfürst von Köln, kann wieder seine Funktionen ausüben.

1715 Benediktbeuern - Walchensee * Als der Freisinger Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und LiechteneckBenediktbeuern besucht, wird zur allgemeinen Belustigung ein "Drama melodico-satyricum" aufgeführt, ein satirisches Singspiel mit dem Titel "Eremitae Walchenseenses".

In dieser Bedrängnis kommt den "Einsiedler-Brüdern" Hilfe aus dem "Lehel", da sich die dort ansässigen zweitausend, meist einfachen und ärmeren Bewohner seelsorglich vernachlässigt fühlen.

1715 Freising * Der große baierischen "Kinderhexenprozess" geht in Freising, in zwei Teilen vonstatten.

Die "Bettelkinder" Andre, genannt der "Drudenfanger", und Lorenz werden unter der Beschuldigung, "Ferkel und Mäuse" hergezaubert zu haben, verhaftet. Die Verhöre ergeben weitere Beschuldigungen.

10. April 1715 München * Kurfürst Max Emanuel zieht nachts um 23 Uhr mit seiner Familie in aller Stille durch das "Neuhauser Tor". Freudenbezeugungen sind zuvor verboten worden.

Der erneut in seine Herrschaftsrechte eingesetzte Kurfürst Max Emanuel trifft damit wieder mit seiner Familie zusammen.

Er hat Großes mit seinen Söhnen vor und in seinem Exil beschlossen, dass drei seiner fünf Söhne in der "Reichskirche" untergebracht werden sollen: Philipp Moritz, Clemens August und Johann Theodor.

Nach dem 11. April 1715

Seite 166/814 München * Nachdem Kurfürst Max Emanuel aus seinem Exil wieder nach Baiern zurückgekehrt ist, lässt er alle Juden aus dem Land weisen.

Dabei hat die "Kurbaierische Landschaftsverordnung", die Vertretung der "Landstände", in den letzten Monaten der kaiserlichen Besatzungsherrschaft auf jüdische Finanzmittel zurückgegriffen.

Um den Abzug der kaiserlichen Besatzungstruppen zu beschleunigen, hat sie die ausstehenden kaiserlichen Forderungen und alle Landesausgaben übernommen. Diese Aufwendungen hat sich die "Landschaftsverordnung" von jüdischen Geldgebern finanzieren lassen.

Als Gegenleistung gesteht man den Kreditgebern den freien Aufenthalt im Kurfürstentum bis zur Zurückzahlung der Schulden zu.

8. Mai 1715 Berchtesgaden * Kurfürst Joseph Clemens gründet in der Franziskanerkirchein Berchtesgaden eine Michaels-Bruderschaft.

22. Dezember 1716 Vagen bei Bruckmühl * Das erste urkundlich nachgewiesene Haberfeldtreibenfindet in Vagen bei Bruckmühl statt. Man treibt der Ursula Steindl wegen Leichtfertigkeit. In dieser Nacht erscheinen 20 bis 30 Burschen und Männer vor dem Haus des Hannes Steindl und haben "seine Tochter zum spot in das sogenante haaber veld getriben, das sie mit allerhand iniuriosen geschray, schnalzen und stain werfen samt and. Rumorereyen veriebet".

7. Februar 1717 Rom * Der 16-jährige Regensburger Bischof Clemens August trifft in Begleitung seines älteren Bruders Philipp Moritz in Rom ein.

Sie erhalten eine Audienz beim Papst, unter dessen Aufsicht sie auch studieren dürfen. Die Kontakte zum Papst und der römischen Kurie sollen die kanonischen Hürden bei der Besetzung von weiteren Bischofsstühlen erleichtern.

1719 München-Angerviertel * Franz Singlspielers Sohn Joseph Joachim übernimmt den "Singlspielerbräu".

26. März 1719 Münster * Mit Unterstützung des Papstes wird der 18-jährige Clemens August anstelle seines Bruders Philipp Moritz Bischof in Münster.

27. März 1719 Paterborn - Regensburg * Clemens August wird anstelle seines verstorbenen Bruders Philipp Moritz Bischof von Paderborn.

Er muss dafür sein Bistum Regensburg aufgeben.

Seite 167/814 Juli 1719 Regensburg * Johann Theodor, der jüngste Sohn des baierischen Kurfürsten Max Emanuels muss als 16-jähriger das Bistum Regensburg von seinem älteren Bruder Clemens August übernehmen, obwohl er überhaupt keine Neigung zum geistlichen Stand in sich fühlt.

Der übermächtige Vater droht ihm - mit unbeugsamer Härte - mit der rechtlichen Zurücksetzung innerhalb der Familie. Damit bewegt er seinen Sohn zur Annahme dieses hohen und einträglichen Kirchenamtes.

Obwohl Johann Theodor bis zu seinem Tod im Jahr 1763 das Bistum Regensburg insgesamt 44 Jahre als Erzbischof regiert, glänzt er dort durch Abwesenheit und hält sich bevorzugt in den väterlichen Schlössern, später in seinem "Jagdschloss in Ismaning" auf.

Die tatsächliche Bistumsverwaltung übernehmen die vom Fürstbischof eingesetzten geistlichen Ratskollegien, Generalvikare und Weihbischöfe. Ungeachtet seiner Untätigkeit für die ihm anvertrauten Aufgabengebiete macht der Wittelsbacher Herzog dennoch Karriere.

Ab 1720 Großbritannien * Von England aus entwickelt sich ein neuer Gartenstil.

Philosophen, Dichter und Landschaftsmaler propagieren ein neues Persönlichkeitsbewusstsein und Naturgefühl. "Landschaftsgärten" entsprechen immer mehr dem neuen "Gartenideal".

25. September 1722 München * Baierns Kurprinz Carl Albrecht heiratet die Kaisertochter Maria Amalie.

5. Oktober 1722 Wien * Der baierische Kurprinz Carl Albrecht heiratet in Wien die Erzherzogin Maria Amalia von Österreich, Tochter Kaiser Josephs I..

Zur Finanzierung der Hochzeitsfeierlichkeiten, aber auch für sonstige Luxusbedürfnisse des Hofes und zur Behebung der finanziellen Engpässe der kurfürstlichen Behörden gewährt der pfalz-sulzbachische OberfaktorNoe Samuel Isaak aus Mergentheim dem Land gewaltige Finanzvorschüsse. Die Rückzahlung der Schulden wird in erster Linie einigen Salzämternund der Landschaftübertragen.

Auch der Wiener Oberhoffaktorund BankierSimon Wolf Wertheimer wird Gläubiger des kurfürstlichen Hauses.

1723 München * Der Rat der Stadt beschließt den Bau einer dauerhaften, steinernen Brücke über die Isar.

Dabei sollen zwei getrennte Brücken und nicht mehr eine durchgehende Brücke entstehen.

Bis zum Jahr 1723 Freising * Zwischen 1721 und 1723 werden acht Burschen und junge Männer im Alter zwischen 14 und 23 Jahren

Seite 168/814 und drei "Bettlerinnen" mittleren Alters in Freising hingerichtet.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Zenit der "Hexen-Verfolgungen" allerdings längst überschritten. Der "Freisinger Prozess" ist ein Auslaufmodell, was aber den "Hingerichteten"allerdings nicht hilft.

18. August 1723 Au * Kurfürst Max Emanuel verkauft den Falkenhofin der Au an den kurfürstlichen Ratund "Admodiateur der Bräuhäuser", also den für die Vergabe der Braugerechtigkeitenzuständigen Verwaltungsmann, Johann Georg Messerer aus Aibling. Die auf Münchner Boden befindlichen Falkenhäuserwaren das älteste beim Alten Hofund dasneuere beim Kosttor.

Der ehemalige Falkenhofin der Au befand sich an der heutigen Falkenstraße 36 und unterstand einem Aumeister.Nachdem die dort gehaltenen Falkenund die anderen wertvollen Vögel unter der Feuchtigkeit des Bodens sehr litten und in großer Zahl zugrunde gingen, ließ Kurfürst Max Emanuel ein zweckmäßigeres Falkenhausvor dem Neuhauser Tor neu erbauen.

Der Falkenhofin der Au wird zwar sofort zum adeligen Sitzerhoben, doch darf ihn Johann Georg Messerer erst nutzen, nachdem der dort wohnende Falknerden Neubau an der Arco-, Barer- und Karlstraße beziehen kann. Messerer muss den neuen Falkenhofzu einem nicht unerheblichen Teil finanzieren. Dennoch erwirbt der kurfürstliche Ratin der Zwischenzeit alles käufliche Land um seinen Hof, darunter die Riegermühleund das Säggängerl.

1724 München * Im Kurfürstentum wird eine "Tanzsteuer" eingeführt.

Die Weinwirte in München, Landshut, Straubing, Burghausen und Ingolstadt müssen 4 Gulden im Jahr bezahlen, in den übrigen Städten und Märkten 2 Gulden.

Die "Bierbrauer" zahlen nur einen Gulden "Tanzsteuer".

15. Mai 1724 München - Köln - Trier - Pfalz *Die Kurfürsten von Baiern, Köln, Trier und der Pfalz schließen sich zur Wittelsbachischen Hausunionzusammen. Mit vier Kurstimmen und einem Heer von 30.000 Mann verfügen die verbündeten Fürsten über eine ansehnliche politische und militärische Macht.

18. August 1724 Au * Johann Georg Messerer erhält die Weißbiergerechtigkeitund bald darauf auch die Braunbier- und Branntwein-Ausschank-Gerechtigkeit. Messerer muss viel Geld in den Umbau des Hauses und die Urbarmachung seiner Gründe investieren.

Die Falkenauist noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Isarau.Auch einige Häuser sind entstanden. Da aber Herzog Ferdinand Maria Innocenz, der Bruder des Kurfürsten Carl Albrecht, um das Jahr 1730 die Falkenauzur Hühnerjagdnutzen will, dürfen auf den öden Gründen keine weiteren Häuser errichtet werden. Man überlegt sogar, die vorhandenen Tagwerkerhäuser abzutragen, "weil in den Gebüsch der Auen allerhandt herrnlose Pursch und zimblich ybl renomiertes Angesindl zu großer Beschwerdte vnd besorglichen Unhäyls der ganzen

Seite 169/814 Nachbarschaft" sich aufhält.

7. November 1724 München * Im Burgfriedensbriefwird der Münchner Burgfrieden neu festgelegt. Ursprünglich reichte der zum Hoheitsgebiet der Stadt zugerechnete Burgfriedenim Norden bis unmittelbar vor das Dorf Schwabing. Das Leprosenhausam heutigen Nicolaiplatz gehörtenoch zum Stadtgebiet. Von dort aus zieht sich die Stadtgrenze etwas südöstlich zur heutigen Veterinärstraße, überquert hier den Schwabinger Bach und in schnurgerader Richtung die Hirschaubis zur Isar.

Da aber Kurfürst Max Emanuel souverän über die Hirschauals Jagdgebiet verfügen will, klammert er das Gebiet aus dem Münchner Burgfriedenaus und erklärt:"Wür aber ersagte Hirschau Uns zu Unseren fürstlichen Jagden und Lust specialiter gnädigst reserviert haben."

Mit der Ausgemeindung der Hirschauaus dem Burgfriedender Stadt verläuft nun die Stadtgrenze vom Schwabinger Bach aus stark südöstlich bis etwa an die Stelle des heutigen Monopteros, in dessen Nähe sich heute auch die Burgfriedenssäulemit der Nummer 12/13 befindet.

Für die Ausgemeindung der Hirschauaus dem Stadtgebiet Münchens wird die Stadt durch die Eingemeindung der drei Mühlen am Dreimühlenbach, der Schwalbensteinmühle, der Au- oder Papiermühleund der Brudermühleentschädigt.Gleichzeitig wird das Lehelder städtischen Gewalt unterstellt. Eine schriftliche Fixierung des MünchnerBurgfriedenserfolgt aber erst zwölf Jahre später.

Um Dezember 1724 München-Lehel * Der "kurfürstliche Aumeister" Johann von Daiser und weitere sieben hochangesehene "Lechler" stellen ein Gesuch an Kurfürst Max Emanuel.

Sie haben erfahren, dass die "Hieronymiten" vom Walchensee eine andere Niederlassung suchen und beantragen deshalb die Verlegung der "Patres" in die Münchner Vorstadt.

11. Dezember 1724 Schloss Drogenbusch *Kurprinz Carl Theodor, der spätere pfalz-baierische Kurfürst, wird auf Schloss Drogenbusch bei Brüssel geboren.

19. März 1725 München-Lehel * Kurfürst Max Emanuel genehmigt den Klosterneubau der "Hieronymiten" im Lehel.

Im Gegenzug verlangt der Baiernherrscher von den "Hieronymiten"

einen Nachweis über ihr Vermögen, Mitteilungen über den Bauplatz für Kirche und Kloster, den Baufonds, den Verzicht auf das Almosensammeln und die Festlegung, dass im Kloster nie mehr als sechs Patres und zwei bis drei Laienbrüder wohnen sollen.

Seite 170/814 Als vorläufige Unterkunft stellt der "kurfürstliche Kammerdiener" von Delling sein - rechts neben der späteren "Sankt-Anna-Kirche" liegendes - Wohnhaus zur Verfügung.

4. Juli 1725 München-Lehel - Benediktbeuern * Nachdem die Regularien abgestimmt waren, beziehen die Hieronymiten-Mönchedas vom kurfürstlichen Kammerdienervon Delling zur Verfügung gestellte Wohnhaus. Das Haus enthält einen Saal, für den der Freisinger Fürstbischof Johann Franz Eckher von Kapfing und Liechteneck die Erlaubnis erteilt, diesen als provisorische Kirche einzurichten und darin die Messe zu feiern. Die Zimmer dienen drei Patres und einem Bruder als Wohnung.

Das Klösterl am Walchenseegeht anschließend um 6.000 Gulden in den Besitz des Klosters Benediktbeuernüber.

1726 München * In München gibt es sieben "Kaffeehäuser".

Davon sind drei bürgerlich: André Bellini, Rossignol und Bernath. Vier stehen unter "Hofschutz". Das sind Claudi Surat, Johann Koller, Tibo und Maria Schönwein.

26. Februar 1726 München * Kurfürst Max Emanuel stirbt in München. Er wird in der Fürstengruftin der Theatinerkirchebeigesetzt. Sein Sohn Carl Albrecht wird sein Nachfolger.

Zu diesem Zeitpunkt ist Baiern mit 5.218.460 Gulden bei jüdischen Gläubigern verschuldet.Das sind etwa zwanzig Prozent der damaligen baierischen Gesamtschuldenlast von 26,8 Millionen Gulden.

1727 München * Die Münchner "Weinwirte" kämpfen in einer Eingabe an den Kurfürsten Carl Albrecht gegen die "Kaffeehäuser".

Denn: "Zum luxuriösen Leben wird viel beigetragen durch die Vermehrung der Kaffeehäuser und weißen Bierzäpflereien, die Tag und Nacht dem Übermut offen stehen und wo die unnötigen und wolllüstigen Getränke wie Kaffee, Tee, Rosoglio [Likor, hauptsächlich Orangenlikör], Wein etc., jederzeit angeboten werden".

Der Kurfürst verspricht, keine neuen "Kaffeehäuser" zu genehmigen und die bestehenden "absterben" zu lassen.

19. Mai 1727 München-Lehel * Die österreichische Kaisertochter Marie Amalie, die Schwiegertochter des inzwischen verstorbenen Kurfürsten Max Emanuel, legt den Grundstein für das Kloster im Lehel. Die Anna-Kirchewird zur Dankvotivkirchefür den am 28. März 1727 geborenen Kurprinzen Max Joseph. Dadurch erfreut sich der Kirchbau besonderer Fürsorge des kurfürstlichen Hofes, was zur Folge hat, dass die besten und angesehensten Künstler engagiert werden und zusammenwirken können.

Es entsteht einer der kostbarsten Sakralräume Münchens und die erste Rokokokirche von München und Baiern.

Seite 171/814 An diesem verhältnismäßig kleinen Bau erfindet der 35-jährige Architekt Johann Michael Fischer eine ganz neue Lösung. Er benutzt keine der bisher gültigen Elemente: keine Wandsäulen, kein durchgehendes Gebälk, keine Halbkugelkuppel, keine ebenen Begrenzungen und keinen rechten Winkel, keinen stabilisierten Grundriss und Aufriss. Fischers Konzeption zielt auf eine geschmeidige Innenverbindung von Längs- und Zentralräumlichkeit. Es ist Fischers dritter Kirchenbau von den 32 Kirchen und Klöstern seines Lebenswerkes. Den Kirchenbau selbst führte der Maurermeister Philipp Zwerger aus.

Den größten Teil der Innenausstattung besorgen die nicht weniger bedeutenden Gebrüder Asam. Egid Quirin Asam schafft die sämtlichen Altaraufbauten, Plastiken und Stuckaturen; Cosmas Damian Asam malt die Fresken und die Altarblätter. Für die Asambrüder ist es die zweite Kirchenarbeit in München. Das Herzstück des Hochaltars, den Tabernakelbaumit den beiden Engeln, und die Kanzel stammen von dem jungen Johann Baptist Straub.

28. Januar 1728 München-Ludwigsvorstadt *Der Bierbrauer Bernhardt Rüdt will einen Bierkelleran der heutigen Landsberger Straße erbauen lassen. Der Märzenkellerist beim Stadtrat nicht erwünscht, weshalb durch eine Expertenrunde Argumente gegen das Bauwerk gesucht werden sollen.

Juni 1728 München * Die neuen "Burgfriedenssäulen" werden unter Beteiligung einer Kommission aus kurfürstlichen "Hofräten" und aus städtischen Abgeordneten aufgestellt.

Begleitet werden sie von 37 Bürgersöhnen im Alter von fünf bis fünfzehn Jahren, die Kohlen aus Eichenholz und Glasscherben zum Einlegen in die Grundsteine der Säulen mittragen. Jeder der Knaben erhält zur Erinnerung an dieses denkwürdige Ereignis einen "Gedenkpfennig" und eine "Maulschelle", die an das alte baierische Recht erinnert, bei dem die Zeugen an den Ohren gezogen wurden.

Ähnlich einem Bildstock wird die "Stele" oben von einer halbrunden Bekrönung abgeschlossen. Die Säulen sind aus Tuffstein, der aus der Gegend um Valley stammt. Sie zeigen auf der einen Seite einen Mönch, auf der anderen das Rautenwappen, das Stadt- und das Landeswappen.

4. November 1728 Osnabrück * Das Domkapitel von Osnabrückwählt den 28-jährigen Clemens August zu ihrem Bischof. Damit ist der Kölner Kurfürst Herr über die fünf Bistümer Köln, Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück.

1729 München - Haidhausen * Der Münchner "Weinwirt" Hillebrand erhält eine "100-Dukaten-Strafe", weil er in seinem Haus den "Kaiserlichen und Königlichen jüdischen Hoffaktor" Wertheimer das "Laubhüttenfest" fast öffentlich hat feiern lassen.

Davon werden die zwei Marmorfiguren der Muttergottes und des Apostels Johannes für die Kreuzigungsgruppe am Gasteig angefertigt.

Seite 172/814 1729 München * Kurfürst Carl Albrecht stellt den Dresdner "Glas- und Spiegelmacher" Elias Vater an, weil dieser behauptet, er könne Porzellan herstellen.

Wie sich bald herausstellt, istVater aber nur ein Hochstapler.

12. März 1729 München * Die Gräfin Anna Maria Katharina von Fugger-Kirchberg-Weißenhorn stirbt.

Sie wird in der Gruft der Münchener "Damenstiftskirche" begraben, wo man ihr "auf das Grab selbsten eine weiße Steinplatten" errichtet.

Ihr "Palais" hat sie ihrem jüngeren Sohn aus erster Ehe, Philipp Josef von Törring-Seefeld, vermacht, die "Hofmark Haidhausen" erhält Max Cajetan Graf von Törring-Seefeld.

19. März 1729 Rom-Vatikan - München *Johannes von Nepomuk wird von Papst Benedikt XIII. "heilig" gesprochen und auf Wunsch des Kurfürsten Carl Albrecht zum "Landespatron Baierns" ernannt.

28. März 1729 München * Kurfürst Carl Albrecht setzt die Statuten des Georg-Ritterordensin Kraft. Voraussetzung für die Aufnahme in den Orden ist ein 300jähriger Adelsbesitzstand und 15 altadelige Ahnen väterlicher- und mütterlicherseits.

24. April 1729 München-Graggenau * Kurfürst Carl Albrecht begründet mit dem ersten "Ritterschlag" den "Georgs-Ritterorden" in einer feierlichen Zeremonie.

Um das Jahr 1730 Haidhausen - Au * Aus Beschwerden des "Münchner Rats" wissen wir, dass "Auf den Lüften", in der Gegend des heutigen Rosenheimer Platzes, ein "Viehmarkt" entstanden ist.

Der sich aus "wilder Wurzel" entwickelnde "Viehmarkt auf den Lüften" wird vom "Lüftenwirt" organisiert und macht dem Münchner "Viehmarkt am Anger" erhebliche Konkurrenz. Dagegen läuft der "Münchner Rat" Sturm.

Weil aber die Gegend der "Lüften" zu dieser Zeit noch in den Grenzen des "Pfleggerichts Wolfratshausen" und damit außerhalb des "Münchner Burgfriedens" liegt, ist sie der Gerichtsbarkeit und dem Zugriff der Münchner Obrigkeit entzogen.

Der "Stadtrat" fordert deshalb durch seinen "Amtmann" Jakob Röderer alle Viehhändler und Viehtreiber auf, ihre Tiere auf den "Münchner Viehmarkt am Anger" hereinzutreiben. Doch es hilft nichts.

Seite 173/814 Um 1730 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Auf der heutigen "Ludwigsbrücke" entsteht eine Kapelle zur Verehrung des "Heiligen Johannes von Nepomuk".

1. Oktober 1730 Köln * Fürstbischof Johann Theodors erhält durch seinen Bruder Clemens August, demKurfürsten von Köln, in Kölndie Bischofsweihe.

Ab 1731 Berg am Laim * Auf seinem Berg am Laimer "Hofanger" lässt sich Kurfürst Clemens August ein "neues Hofmarkschloss" erbauen.

Es dient allerdings nicht ihm, sondern seinem älteren Bruder Ferdinand Maria Innocenz "zur Jagdlust und zum Gebrauch". Dieser war - als drittgeborener Sohn - vom Kurfürstenvater Max Emanuel nicht in eine geistliche Laufbahn gedrängt worden, bekleidete damit auch keine einträglichen und einflussreichen Ämter.

Das neue Schloss liegt mit seiner Längsseite an der heutigen Josephsburgstraße und lehnt sich an das alte Schloss an. An der südlich gelegenen Gartenseite des Zentralbaues befand sich ein Pavillon. Im Inneren erstreckt sich der Salon über zwei Stockwerke. An beiden Seiten des Haupttrakts schließen sich doppelgeschossige Flügel mit großen Stallungen für jeweils 16 Pferde an. Sie beinhalten zusätzlich die Zimmer für die Stallknechte und zwei Heukammern.

Herzog Ferdinand Maria Innocenz unternimmt von hier aus die damals so beliebten "Parforcejagden". Die Zwinger für die dazu notwendige große Hundemeute waren jedenfalls vorhanden. Neben der "Parforcejagd" ist Ferdinand Maria Innocenz ein großer Liebhaber der "Falknerei". Wie sein Bruder Clemens August benutzt der Herzog die im heutigen Untergiesing gelegenen "Falkenau" zur Jagd mit den verschiedenen Greifvögeln auf Reiher und sonstiges Getier.

1732 Haidhausen - Au * Der "Viehmarkt Auf den Lüften" ist derart ausgebildet, dass die "kurfürstliche Hofkammer" in einem Schreiben an den "Münchner Rat" feststellt, dass die Münchner Metzger ihr Schlachtvieh "nicht mehr am gewöhnlichen Ort auf dem Anger, wo dieser Markt seit jeher stattgefunden hat, sondern bei dem sogenannten Lüftenhaus auf dem Isarberg? kaufen.

Anschließend treiben sie die gekauften Tiere in Richtung Schwabing auf die Weide an der "Stadtbleiche" und mischen es unter das dortige Weidevieh, um es am Abend mit den anderen Tieren in die Stadt hineintreiben zu lassen. Damit können die Münchner Metzger den so genannten "Viehaufschlag", eine Steuer, umgehen.

Dass der Ausfall der Steuereinnahmen dem "Münchner Rat" nicht gefällt, sei hier nur der Form halber erwähnt. Für die Stadtherren grenzt diese Verfahrensweise an Betrug, weshalb diese nicht länger geduldet werden darf. Dennoch bleibt der "Viehmarkt" bestehen.

Die Münchner müssen sich vom "Pfleggericht Wolfratshausen" sogar den Vorwurf gefallen lassen, dass es ihnen lediglich um die Einnahmen aus dem Pflaster- und Brückenzoll geht und sie den "Viehmarkt auf den Lüften" nur

Seite 174/814 als Vorwand nutzen, um den "Burgfrieden" wieder erweitern zu können.

17. Juli 1732 Mergentheim * Der 31-jährige Kölner Kurfürst Clemens August wird in Mergentheim zum Hochmeister des Deutschen Ordensgewählt. Trotz der kurbaierischen und der französischen Unterstützung unterliegt Fürstbischof Johann Theodor seinem Bruder, dem Kölner Kurfürsten Clemens August, bei der Wahl zum Hoch- und Deutschmeister.

Ab 1733 München-Graggenau * Der "Generalfeldzeugmeister", "Konferenzminister" und enge Vertraute des Kurfürsten Carl Albrecht, Graf Ignaz Felix Joseph von Toerring-Jettenbach, erwirbt den Bauplatz in der heutigen Residenzstraße 2 für sein "Palais".

Zwar liefert François Cuvilliés für die Adels-Nobelunterkunft die modernsten Pläne, doch der Stararchitekt ist gerade beim neuen Kurfürsten Max III. Joseph in Ungnade gefallen. Und so erhält der städtische "Oberbaumeister" Ignaz Anton Gunetzrhainer den Auftrag.

1738 München * Kurfürst Carl Albrecht hat das "Falkenmeisteramt" mit einem "Oberstfalkenmeister", einem "Vize-Oberstfalkenmeister", einem "Falkenamtsgegenschreiber" und weiteren "Reiher-und Milanmeistern", Knechten und einer Anzahl von "Wind-und Wachthundjungen" besetzt.

28. April 1738 Vatikan * Papst Clemens XII. ist ein hochbegabter Jurist und Finanzexperte, der - blind und Krank - die katholische Welt mit einem eisernen Willen vom Bett aus regiert. Er erlässt die Verdammungsbulle "In eminenti apostolatus specula", die den Freimaurern aus ihrer Geheimniskrämerei einen Strick dreht. "Wenn sie nichts Böses täten, würden sie nicht so sehr das Licht hassen", argumentiert der greise Papst. Die Zugehörigkeit zur Freimaurerei wird bei Strafe der Exkommunikation verfolgt.

Während man in Spanien, Portugal und Polen Logenbrüder foltert und hinrichtet, bekleiden in Frankreich viele Priester hohe freimaurerische Ämter. In Deutschland gehören Domherren, Äbte und Kardinäle den Logen an, darunter der Kölner Kurfürst und Fürsterzbischof Clemens August.

26. Mai 1739 Haidhausen * Der aus Haidhausen stammende Augustiner-Eremiten-LaienbruderJodok Zächerl schenkt der Sankt-Johannes-Baptist-Kircheeinen in einem silbernen Kreuz gefassten und mit einem Echtheitszertifikat versehenen Kreuzpartikel.

Um 1740 Au * Maria Klara von Messerer, die Witwe des "Hofkammerrats" Johann Georg von Messerer, eine aus Rosenheim stammende Bernlocher-Bräuerstochter, heiratet in zweiter Ehe Josef Anton von Kern und bringt ihre zwei Söhne aus erster Ehe in die neue Beziehung ein.

Seite 175/814 Josef Anton Kern ist "Hofkammerrat", Brauer" und "Salzkommissär".

Er übernimmt den gesamten Grundbesitz der Messerers in Höhenrain, Urfarn und "Falkenau".

1740 München-Lehel * Entgegen der Abmachung leben in dem kleinen Hieronymiten-Klosterneben der Sankt-Anna-Kirche"acht Patresund drei Laienbrüder.

Zu dieser Zeit ist die Ausstattung der Rokoko-Kirche fast vollendet.

Über dem Tabernakel des Hochaltarsist eine Marien-Ikoneaus den Türkenkriegenaufgestellt worden, vor dem die Mönche täglich die Lauretanische Litaneibeten, wofür sie als kurfürstliche Stiftung jeden Tag zwölf Maß Weißes Bier erhielten.

1740 Köln * Der Kölner Kurfürst und Fürsterzbischof Clemens August gründet - nach dem päpstlichen Verbot der Freimaurer - als Ersatz den Mopsorden. Es handelt sich dabei um einen für Männer und Frauen gleichsam zugänglichen Orden, der vermutlich auch am Münchner Hof Verbreitung findet.

Um den Papst nicht erneut zu erzürnen, ersetzt man den Eid der Freimaurer durch das Ehrenwort der Geheimhaltung und nimmt - am Anfang - nur Katholiken in den Logen auf. Um die ganze Angelegenheit als harmlos und ungefährlich hinzustellen, befürwortet man den Zutritt der Damen. Dabei ist gerade dies eine fast revolutionäre Tat, da den Möpsinnen alle Grade der Loge offen stehen und die Ämter paritätisch besetzt werden.

Der Name Mopsorden geht auf die im 18. Jahrhundert vorhandene Begeisterung für die gleichnamigen Hunde zurück. Zugleich steht die französische Bezeichnung für die Ehefrau eines Freimaurers Pate: Mopse. Das Brauchtum ist von "einer gewissen galanten Laszivität, wie sie dem Geschmacke des Rokoko entsprach".

Der Zirkel in der Mopsloge soll Folgendes lehren: "Gleich, wie alle Durchschnitte des Kreises durch seinen Mittelpunkt gehen, müssen alle Handlungen eines Mopses aus einer Quelle gehen, nämlich der Liebe."

19. Dezember 1741 Prag * Kurfürst Carl Albrecht wird in Prag zum König von Böhmen gekrönt.

1742 München * Janus de Garnerin Freiherr von Montgelas tritt in baierische Dienste ein, wo er dem "Regiment Grenadiers à cheval" angehört und es bis zum "General", Kammerherrn" und "Obermundschenk" bringt.

Begonnen hat er seine militärische Laufbahn als Major in der österreichischen Armee.

24. Januar 1742 Frankfurt am Main * Der baierische Kurfürst Carl Albrecht wird einstimmig zum Kaiser gewählt.

Seite 176/814 12. Februar 1742 Frankfurt am Main * Der baierische Kurfürst Carl Albrecht wird in Frankfurt am Main feierlich zum Kaiser Carl VII. Albrecht gekrönt.

12. Februar 1742 München * In der Nacht vom 12. zum 13. Februar 1742 ziehen österreichische Truppen über die Isarbrückein die Stadt ein.

14. Februar 1742 München * Zwei Tage nach der Kaiserkrönung des baierischen Kurfürsten Carl Albrecht zum Kaiser Carl VII. rücken österreichische Husaren in München ein.

6. Oktober 1742 München * Die österreichischen Truppen verlassen München. Sie legen noch Feuer an das Tor des Roten Turmsund an die Isarbrücke.

23. Januar 1744 Lüttich - Berg am Laim * Mit Unterstützung seines älteren Bruders Clemens August wird der Fürstbischofvon Freising und Regensburg, Johann Theodor, zum Bischof von Lüttich gewählt. Auch bei der Wahl zum Bischof von Lüttich hat Clemens August - trotz seiner Ämterfülle - die besseren Chancen.

Johann Theodor setzt sich gegen den ranghöheren Bruder nur deshalb durch, weil er sich standhaft weigert, in der neuen Berg am Laimer Michaelskirchedie Kirchenweihezu vollziehen. Der Regensburger und Freisinger Bischof Johann Theodor bekämpft gemeinsam mit dem Baumkirchner Pfarrer diesen Neubau. Die Wende kommt erst mit dem Verzicht Clemens Augusts auf das Bistum Lüttichzu Gunsten seines Bruders.

16. Oktober 1744 München * Bei einem erneuten Abzug österreichischer Truppen wird die Isarbrückevon einem gewaltigen Feuer zerstört. Dazu müssen die Münchner zehn Zentner Pech und weiteres Brandzeug beschaffen.

18. Oktober 1744 München * Mit einem Arbeitseinsatz von 39 Männern kann die Isarbrückebis zum 24. Oktober wieder hergestellt werden.

1745 München-Hackenviertel * Johann Paul Reiz, der Besitzer des "Faberbräu" in der Sendlinger Straße, wandelt seine Malztenne in einen "Komödienstadl" um.

Ab 1745 Haidhausen * Simon Trogers fruchtbarste Zeit als Elfenbeinschnitzer liegt in den Jahren zwischen 1745 und 1760.

Seite 177/814 Seine Arbeiten erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Eigenart seiner Arbeiten beruht auf der Verbindung von Elfenbein mit anderem Material (Holz und Metall).

Zumeist verwendete er für die Fleischteile seiner Schnitzereien Elfenbein, für die Gewandung aber das dunkelbraune Holz der afrikanischen Zuckertanne oder Buchs. Reine Elfenbeinschnitzereien sind selten.

Im "Bayerischen Nationalmuseum" haben sich eine Reihe seiner Arbeiten erhalten.

20. Januar 1745 München * Kaiser Carl VII. Albrecht [= Kurfürst Carl Albrecht] stirbt in München. Er wird in der Fürstengruft der Theatinerkirche beigesetzt. Der Kaiser hinterlässt seinem 17-jährigen, politisch vollkommen unerfahrenen Sohn, Max III. Joseph, den Krieg gegen Österreich und durch seine unglückliche Großmachtpolitik total zerrüttete Staatsverhältnisse.

15. April 1745 München * Als das "Kurfürstliche Leibregiment" aus der Stadt marschiert, wird - zu Verteidigungszwecken - die "Isarbrücke" abgerissen.

17. Januar 1746 Rom-Vatikan - Freising - Lüttich * Die bereits am 9. September 1743 durchPapst Benedikt XIV.erfolgte Ernennung des Freisinger, Regensburger und Lütticher Fürstbischofs Johann TheodorzumKardinalwird erst jetzt offiziell publiziert.

Was zunächst wie eine Rangerhöhung aussieht ist aber in Wirklichkeit das Karriere-Ende des an Macht und Einfluss Gefallen findenden Wittelsbachers. Denn kein noch so "handgesalbtes" Domkapitel würde einen Kardinal zum Bischof küren. Das verbot schon der Standesdünkel.

Johann Theodor gehtdeshalb als "Kardinal von Baiern" in die Geschichte ein. Seine Zeit verbringt der Kardinalswürden- und Purpurträger bis zu seinem Lebensende in Lüttich.

13. Mai 1747 München-Graggenau * DerGrundstein für das Palais Toerring-Jettenbachin der heutigen Residenzstraße 2 wird gelegt. Der Rokoko-Adelspalast entsteht in den Jahren von 1747 bis 1756 auf den Grundflächen einer ganzen Reihe von Häusern.

Bauherrist der 65jährige Graf Ignaz Felix Joseph von Toerring-Jettenbach, der während seiner Auslandsaufenthalte die fremden Höfe und Adelspaläste begutachtet und so ganz nebenbei mit den bekanntesten Architekten Kontakt aufnehmen kann. Inzwischen liegen elf verschiedene Pläne für ein prächtiges Stadtpalais in seinem Schubladen, gezeichnet von dem Wiener HofbaumeisterJoann Lukas von Hildebrandt, dem französischen AdelsarchitektenBottrand, dem Münchner HofbaumeisterFrançoisCuvilliés und den Gebrüdern Johann Baptist und Ignaz Anton Gunetzrhainer.

Seite 178/814 Der Graf nimmtschon während der Planungsphase und auch bei der Bauausführung regen Anteil und lässt sich selbst jede kleinste Kleinigkeit zur Genehmigung vorlegen.

1748 München * Nach der unter Kurfürst Max III. Joseph erlassenen "Bettelordnung" werden aufgegriffene "Bettler" zuerst mit 15 bis 20 "Stockhieben" bestraft und dann für ein halbes Jahr in das "Zuchthaus" gebracht.

Ausländische "Bettler und Vaganten", darunter versteht man alle "nichtbaierischen", werden nach ihrer Festnahme mit einem "B" gebrandmarkt.

Verlassen sie nicht innerhalb von vier Tagen das Land, droht ihnen die Todesstrafe.

28. Juni 1748 Haidhausen * Der Bierbrauer Mathias Porttenlenger vom Hallmaierbräuerhält vom Stadtrat die Erlaubnis, am Isarberg, heute etwa Rosenheimer Straße 13, einen "eichenen Stadel zur Unterbringung von Fässern" und gleichzeitig auch einen Märzenkellerzu erbauen.

Der jährliche Bodenzinsbeträgt 10 Gulden. Der Bau einer Wohnung wird verweigert. Ohne Genehmigung der Stadtkammerdürfen die Baulichkeiten weder erweitert noch an einen anderen Besitzer übergeben werden. Die gleiche Einschränkung gilt auch für die Aufnahme einer Hypothek.

1749 München-Angerviertel * Johann Jochner, der "Braumeister des Klosters Wessobrunn", kauft den "Singlspielerbräu".

Um 1750 München * Der Rat der Stadt lässt 19 Ketten-, Zieh- und Galgenbrunnen "nach französischer Art" umbauen.

Die neue Form der "Pumpbrunnen" bezeichnet man als "Leyrerbrunnen" oder "Leyrergumpter".

Um 1750 Kurfürstentum Baiern * In Kurbaiern gibt es 25 "Franziskaner-Konvente", neun "Hospize" und drei "Residenzen", worunter man kleine Niederlassungen verstand.

Der Personalbestand liegt bei 700 "Patres", 100 "Kleriker" und 200 "Laienbrüder". Dazu sind der "Provinz" noch etwa 300 Nonnen - "Klarissen" und "Tertianerinnen" - unterstellt.

1750 Mühldorf * In Mühldorf am Inn, das zu diesem Zeitpunk zum "Fürstbistum Salzburg" gehört, wird der 16-jährigen

Seite 179/814 Maria Pauer der Prozess wegen "Schadenszauber" gemacht.

Im Mühldorfer "Hexenkammerl" hält man sie monatelang wie ein Tier gefangen. Am Ende des "Hexen-Prozesses" wird sie zum Tode durch "Verbrennen" verurteilt, dann aber "gnadenhalber" zuvor geköpft.

Maria Pauer müsste die letzte "Hexenverbrennung" auf bayerischem Boden gewesen sein.

Ab 1750 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die Pfeiler der "Inneren Ludwigsbrücke" werden erstmals aus Stein erbaut.

Die Arbeiten dauern bis 1752.

1751 München-Graggenau * Das "Palais Toerring-Jettenbach" in der heutigen Residenzstraße 2 ist unter Dach.

Das elf Fenster breite Gebäude mit seinem vorgebuchteten Mitteltrakt unterscheidet sich durch seine eher zurückhaltend gestaltete Rokokofassade von den älteren Münchner Adelspalästen.

Mit den Stuckarbeiten ist Johann Baptist Zimmermann betraut worden. Die Innenausstattung übernimmt Johann Baptist Gunetzrhainer.

Die Baurechnungen belaufen sich auf 55.170 Gulden, wobei die Gesamtkosten sicherlich wesentlich höher sind.

1751 München * Das Strafgesetzbuch bestimmt: "Bündnisse und fleischliche Vermischung mit dem Teufel oder dessen Anbetung und Verunehrung der Hostien werden mit lebendiger Verbrennung bestraft".

11. März 1751 Berg am Laim * Joseph Clemens? Nachfolger und Neffe, Kurfürst Clemens August von Köln, plant mit dem Neubau der Berg am LaimerMichaelskirchegleichzeitig die Errichtung eines Exerzitienhausesfür die Franziskaner. Auch hier gibt es Widerstände des Ortspfarrers von Baumkirchen, die den Pfarrer einsetzenden St.-Veit-Chorherrenin Freising und des Freisinger Ordinariats, an dessen Spitze Bischof Johann Theodor, ein Bruder Clemens Augusts.

Auch der andere Bruder, Baierns Kurfürst Carl Albrecht, will diese Aufgabe lieber von den Jesuitenals von den Franziskanernausgeführt sehen, weshalb noch nach seinem Tod die Kaiserin-Witwe Maria Amalia die in Berg am Laim gelegene Josephsburg- im Geheimen und ohne den Kölner Bischof in die Entscheidung einzubeziehen - den Jesuitenübertragen will.

Nach langem Hickhack kommen drei Franziskanerdoch noch nach Berg am Laim. Am 11. März 1751 wird das Hospizin Anwesenheit von drei Wittelsbachern - dem kurkölnischen Fürstbischof Clemens August, dem Freisinger BischofJohann Theodor und dem neuen baierischen Kurfürsten Max III. Joseph - eingeweiht. Clemens August hatte zuvor schriftlich zu bestätigen, dass die "Franziskaner nirgends betteln, noch den Pfarrern die Messen

Seite 180/814 wegnehmen und den pfarrlichen Funktionen Eintrag tun".

September 1753 Au * Joseph Jakob Ringler aus der Wiener "Kaiserlichen Porzellanmanufaktur" kommt in die Au.

Er kennt die richtige Zusammensetzung der Rohporzellanmasse und versteht etwas vom Bau der Brennöfen. ab 1755 Haidhausen - Au *Trotz erheblichen Widerstands von den Behörden lassen die ersten Münchner Brauer mit erheblichen Kostenaufwand am Gasteigberg Bierkeller ins Isarhochufer graben und mauern.

Zunächstwerden auf dem gekiesten Untergrund Linden, später Kastanien angepflanzt.

1758 München-Angerviertel * Der "Singlspielerbräu" wird an Lukas Pruckmayr verkauft, der zuvor als "Brauknecht im Kurfürstlichen Weißen Bräuhaus" gearbeitet hatte.

Um 1760 Untergiesing * Der "Hofbankier" und "Kommerzienrat" Franz Anton von Pilgram erweitert seine Grundstücke durch weitere Zukäufe.

Er baut auf seinem Grund - "am Weg nach Harlaching" - ein Schlösschen mit einer herrlichen Gartenanlage und beantragt anschließend beim Kurfürsten Carl Theodor die Erhöhung seines Hauses zu einem "Edelsitz".

In seinem Antrag führt der "Hofbankier" aus, dass er ein "nächst Obergiesing nahe der Isar liegendes, dem Revier Ehre machendes und denen Baulauten zu Gutem gediehenes Gebäude und Garten in einem Umfang von 5 - 6 Tagwerk" besitzt, worauf er "bei seinen treibenden konfiderablen Geschäften ein und andere Täge mit Beschaulichkeit des nützlichen Landlebens verbringe und welchen Besitz er seinen Erben als ehrendes Andenken hinterlassen möchte".

Dann folgt die Bitte, dem bestehenden und durch Zukäufe noch zu erweiternden Besitz zum "Adelssitz Pilgramsheim" zu erheben.

Ab 1760 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die "Äußere Ludwigsbrücke" wird vollständig in Steinbauweise ausgeführt.

1762 München - Au - Giesing* Mindestens seit 1571 besteht bei den Schneidern und anderen Gewerben ein Konkurrenzkampf zwischen den Münchnern und den Auern beziehungsweise den Haidhausern.

Mit der "Einzünftung" der Auer, Loher und Giesinger Schneider gibt die Münchner Zunft jetzt scheinbar nach. In Wirklichkeit sichert sie sich den Einfluss auf die Vororte.

Seite 181/814 1762 München-Isarvorstadt * Die "Alte Isarkaserne" auf der "Isarinsel" brennt ab und wird neu aufgebaut.

12. Januar 1762 Salzburg - Wasserburg - München * Leopold Mozart macht sich mit seinen beiden Kindern Nannerl und Wolfgang Amadeus zu einer Kunstreiseauf den Weg nach München. Für die Fahrt von Salzburg in die baierische Residenzstadt braucht die Postkutsche 21 bis 22 Stunden, weshalb sie in Wasserburg einen Zwischenaufenthalt einlegen.

24. März 1762 München * Kurfürst Max III. Joseph ordnet an, dass das bereits begonnene Pflanzen von Maulbeerbäumen fleißig fortgesetzt wird, wozu "Wir Samen und Pflanzen unentgeltlich abfolgen, annebens auch die Art und Weiss, wie die Plantage zu unterhalten, und nützlich zu gebrauchen sey, gleichfalls durch öffentlichen Druck bekannt machen lassen werden".

18. August 1765 Innsbruck * Kaiser Franz I. Stephan stirbt in Innsbruck. Sein Nachfolger als Kaiser wird Joseph II..

1. April 1766 Parsberg bei Miesbach * In der Nacht vom 1. zum 2. April 1766 findet in Parsberg bei Miesbach das "Parsberger Treiben" statt.

Das "Opfer" ist Maria Aignmann, die Tochter des "Sterzlbauern", die sich mit dem ledigen Bauernsohn Anton Preißl aus dem gleichen Dorf eingelassen und ein Kind geboren hat. An dem "Haberfeldtreiben" sind 23 Männer beteiligt, von denen nur einer verheiratet ist. Sie sind zwischen 16 und 26 Jahre alt.

Die dargebrachten "Spottverse" sind sowohl für die Tochter des "Sterzlbauern", aber auch einigen Bauern aus Parsberg und Bürgern vom nahen Miesbach gewidmet.

22. September 1766 München?Der baierische Kurfürst Max III. Joseph und sein wittelsbachischer Verwandter Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz schließen eine "Erbverbrüderungs-Erneuerung". Darin werden Baiern und Pfalz erstmals als "unteilbarer Gesamtbesitz des Hauses Wittelsbach" bezeichnet.

13. Oktober 1766 München * Der Theatiner-PaterDon Ferdinand von Sterzinger hält eine Rede gegen den Hexenwahn. Sein Vortrag befasst sich mit "dem gemeinen Vorurteil der wirkenden und tätigen Hexen". Er geht als Vertreter der Aufklärunggegen Aberglauben und Unwissenheitvor.

Seine Schriften gegen Hexensowie das Zauber- und Gespensterwesenbringen ihm grenzüberschreitende Achtung und Anerkennungein. Der Theatinerpaterbricht damit eine langwierige Diskussion vom Zaun, die als

Seite 182/814 Baierischer Hexenkriegbekannt wird. Im weiteren Verlauf streitet man in 28 Streitschriftenum das Für und Wider.

Als besondere Gegner des Theatinerpatersoffenbaren sich die Benediktiner von Scheyern, deren Kreuzreliquieangeblich gegen Verhexungwirksam ist und die in der Demontage des Zauberei-Tatbestandsihr Geschäft mit den von ihnen vertriebenen heiligenGegenständen gefährdet sehen.

Doch Dank der Stellungnahme der Akademie der Wissenschaftenkommt es in Churbaiernzu keinen Hexenverfolgungenmehr. Auch in anderen süddeutschen Territorien erlahmen schließlich die Hexenverfolgungen.

Ab 1767 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die "Innere Ludwigsbrücke" wird in Steinbauweise erbaut.

1768 München * Die Statuten des "Georgs-Ritterordens" werden geändert.

Es müssen jetzt 17 statt 15 altadelige Ahnen väterlicher- und mütterlicherseits vorgewiesen werden. Man wollte eben - als elitäre Clique - unter sich bleiben.

16. Dezember 1768 Haidhausen *SchulmeisterAlois Reichl kauft eine benachbarte Herberge auf, lässt beide Häuser abtragen und an ihrer Stelle ein neues Gebäude erbauen. Das sogenannte Schulmeisterhausbefandsich an der heutigen Einsteinstraße, gegenüber der Unionsbrauerei.

27. Dezember 1771 München *Der Feiertag des heiligen Johann Evangelistwird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

28. Dezember 1771 München * Der Feiertag der Unschuldigen Kinderwird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

23. April 1772 München * Der "Feiertag des heiligen Georg" wird letztmals gefeiert.

Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche "Breve" vom 16. Mai 1772 abgeschafft.

22. Juli 1772 München * Der Feiertag der heiligen Magdalenawird letztmaliggefeiert.Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

26. Juli 1772

Seite 183/814 München * Der Feiertag der heiligen Annawird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

10. August 1772 München * Der "Feiertag des heiligen Laurentius" wird letztmals gefeiert.

Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche "Breve" vom 16. Mai 1772 abgeschafft.

29. September 1772 München * Der Feiertag des heiligen Michaelwird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

11. November 1772 München * Der Feiertag des heiligen Martinwird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

25. November 1772 München * Der Feiertag der heiligen Katharinawird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

6. Dezember 1772 München * Der Feiertag des heiligen Nikolauswird letztmals gefeiert. Er wird am 14. Dezember 1772 durch eine vorausgehende päpstliche Brevevom 16. Mai 1772 abgeschafft.

1773 Schwetzingen - Großbritannien *Zum Studium des neuen "Gartenstils" schickt Kurfürst Carl Theodor von der Pfalz den Sohn des Schwetzinger "Hofgärtners", Friedrich Ludwig Sckell, nach England.

3. August 1773 München * Ein kurfürstliches Mandatbefasst sich mit der Erbauung der Bierkeller außer dem Burgfrieden und Verleitung des Biers. Das in den genannten Märzenkellern"gelagerte Bier darf nur an Gäuwirteund nur in grossooder Fassweise verkauft werden. Der Minutoverschleiß, das Abgeben des Bieres massweiseist verboten. Das Bier muss vom Bräu in die entsprechende Stadt oder den Markt gebracht werden.

5. April 1774 München-Isarvorstadt * Kurfürst Max III. Joseph fordert den Stadtmagistrat auf, einen Standort für einen neuen Friedhof zu finden oder die Erweiterung des bestehenden "Friedhofs vor dem Sendlinger Tor", des heutigen "Alten südlichen Friedhofs", zu überdenken.

Die bestehenden Friedhöfe innerhalb der Stadtmauer sollen aufgelassen, gekalkt und gepflastert werden. Auch die "Grüfte" in den Kirchen, diese "stinkenden, vergifteten Vorratskeller ansteckender Luft", sollen

Seite 184/814 aufgelassen werden.

Sofort organisiert sich Widerstand gegen diese kurfürstlichen Maßnahmen, wobei das einfache, ärmere Volk davon weniger betroffen ist, weil sie schon seit längerer Zeit ihre Toten vor das Sendlinger Tor begleiten müssen.

1775 München-Graggenau - München-Isarvorstadt * Der "Friedhof des Franziskanerklosters" wird lange vor dem "Specialreskript" von Kurfürst Carl Theodor aus dem Jahr 1788, das die Auflösung aller innerstädtischen Friedhöfe vorschreibt, geschlossen.

Die Gebeine der Verstorbenen bringt man auf den neuen "Gesamtfriedhof", der weit vor den Toren der Stadt liegt, dem "Südlichen Friedhof" an der Thalkirchner Straße.

1775 Au * Die "Kurfürstliche Hofkammer" erwirbt von dem Münchner Bürger und Maurermeister Caspar Trisberger den an der Ecke Rosenheimer- und Hochstraße gelegenen Braukeller für das "Hofbräuhaus".

4. April 1775 Kempten * Die zum "Tode mit dem Schwert" wegen "Schadenszauber und Teufelsbuhlschaft" verurteilte "Hausmagd" Anna Maria Schweglin aus Kempten soll hingerichtet werden.

Sie gilt als die letzte hingerichtete bayerische "Hexe". Doch sie stirbt - wie man erst 1995 entdeckt - anno 1781 im Gefängnis.

19. April 1775 Boston * In der Gegend um Boston bricht der amerikanische "Unabhängigkeitskrieg" aus.

Benjamin Thompson kämpft als Oberst auf der Seite der Briten.

Nach dem 17. März 1776 USA - London * Benjamin Thompson beteiligt sich am"amerikanischen Unabhängigkeitskrieg".

Nachdem sich die Briten aus Boston zurückziehen, müssen rund 10.000 Soldaten und Zivilisten das Land verlassen.

Benjamin Thompson flieht mit englischen Truppen nach London, wo er rasch Karriere macht. Seine Frau und seine Tochter lässt er in Concorde zurück.

17. April 1776 Trippstadt *Im süddeutschen Raum entwickelte Johann Jakob Hemmer, "Leiter des Physikalischen Kabinetts" am Hof des Kurfürsten Carl Theodor in Mannheim, den "Hemmerschen Fünfspitz".

Der erste "Blitzableiter hemmerscher Art" wird auf dem Schloss des Freiherrn von Hacke in Trippstadt/Pfalz

Seite 185/814 installiert.

Die weitere Entwicklung des"Blitzableiters"wird durch eine Verordnung des Kurfürsten Carl Theodor beschleunigt. Er bestimmt, dass alle Schlösser und Pulvertürme des Landes mit Blitzableitern auszurüsten sind.

1. Mai 1776 Ingolstadt * Der Ingolstädter "Professor für Kirchenrecht und praktische Philosophie", Johann Adam Weishaupt, gründet den Geheimbund der "Illuminaten", dem ein Großteil der baierischen Beamtenschaft, zahlreiche Mitglieder der Landstände und Geistliche angehören und dessen Ziel die Errichtung eines fürsten- und religionslosen Weltstaates ist.

Die Vereinigung hat von den "Freimaurern" wesentliche aufklärerische Grundpositionen, Organisationsformen und Rituale übernommen. Weishaupts Motive bewegen sich durchaus in die Richtung eines gesellschaftspolitischen Umsturzes.

Auch Maximilian Joseph von Montgelas gehört den "Illuminaten" unter dem Ordensnamen "Musäus" an. Obwohl der Freiherr zum "Illuminatus maior" aufsteigt, spielt er innerhalb des "Geheimbundes" nie eine größere Rolle.

4. Juli 1776 USA * Dreizehn britische Kolonien in Amerika unterzeichnen die Unanhängigkeitserklärung.

1777 München * Die Familie des Ignaz Mayer kommt nach München, als Kurfürst Carl Theodor das Erbe der baierischen Regentschaft antritt.

Er wird später dem erlauchten Kreis der Kreditgeber des baierischen Königs zählen. Alleine in den Jahren 1807 und 1808 gewährt er der königlichen "Centralkasse" Anleihen in Höhe von 100.000 Gulden.

30. September 1777 München-Graggenau * Wolfgang Amadeus Mozart antichambriertmit Kurfürst Max III. Joseph in der Residenz. Den Verlauf des Gesprächs schreibt Wolfgang Amadé an seinen Vater:

"Als der Kurfürst an mich herankam, sagte ich: "Euer Kurfürstliche Durchlaucht erlauben, daß ich mich untertänigst zu Füßen lege und meine Dienste antragen darf" ? "Ja, völlig weg von Salzburg? ? "Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht" ? "Ja, warum denn, habts enck z?kriegt?" ? "Ei, beileibe, Eurer Durchlaucht: ich habe nur um eine Reise gebeten, er [der Salzburger Fürstbischof] hat sie mir abgeschlagen, mithin war ich gezwungen, diesen Schritt zu machen; obwohl ich schon lange im Sinn hatte, wegzugehen, denn Salzburg ist kein Ort für mich." - "Mein Gott, ein junger Mensch! Aber der Vater ist noch in Salzburg?" - "Ja, Euer Kurfürstliche Durchlaucht. Ich bin schon dreimal in Italien gewesen, habe drei Opern geschrieben, bin

Seite 186/814 Mitglied der Akademie in Bologna, habe müssen eine Probe ausstehen, wo viele Maestri 4 bis 5 Stunden gearbeitet und geschwitzt haben, ich habe es in einer Stund verfertigt: das mag zum Zeugnis dienen, daß ich im Stande bin, in einem Hofe zu dienen." ? "Ja, mein liebes Kind, es ist keine Vakatur da. Mir ist es leid, wenn nur eine Vakatur da wäre" ? "Ich versichere Euer Durchlaucht, ich würde München gewiß Ehre machen" ? "Ja, das nutzt alles nichts. Es ist keine Vakatur da" - Dies sagte er gehend. Nun empfahl ich mich zu höchsten Gnaden."

Gerade weil der Kurfürst so musikverständig war, müssen andere Gründe als die fehlende Planstelleder Anstellung Mozarts im Wege gestanden haben.Hätte Baierns Kurfürst Max III. Joseph die AnstellungWolfgang Amadeus Mozarts wirklich gewollt, so hätte er die Planstellefür den Hofmusikerauch durchgesetzt und Mittel und Wege der Finanzierung gefunden. Es trifft freilich zu, dass im Bereich der Hofmusikdamals die Ämter des Kapellmeisters, des Kammerkompositeursund der Konzertmeisterbesetzt waren.

Und dennoch war die Aussage mit der fehlenden Vakatureine typische Sachzwang-Argumentation.Guten Willen vorausgesetzt, hätte der baierische Herrscher den Komponisten aus seiner Kabinettskassebezahlen können, wie er es schon mehrmals bei bedeutenden Sängerinnen und Sängern machte. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, Mozart den Auftrag für eine Oper zu erteilen.

Es scheint naheliegend, dass Mozarts Musik nicht dem kurfürstlichen Geschmack entsprochen hat.Kurfürst Max III. Joseph war ein überzeugter Anhänger der älteren neapolitanischen Virtuosenoper. Mozarts Musik dürfte ihm zu wenig traditionell, zu reich, zu vielschichtig, kurz - zu modern gewesen sein. Seine eigenen, etwas altväterlichen Kompositionen scheinen dies zu bestätigen.

Die Ursachen liegen aber zweifellos am Salzburger Bischofshof.Denn wer, wie Mozart, gegen den Bischof von Salzburg aufmümpfige Redenführt und es nicht versteht sich den hergebrachten ständischen Normenund hierarchischen Strukturen zu unterwerfen, für den ist auch am baierischen Hof kein Platz. Da kommt Kurfürst Max III. Joseph die Argumentation, dass er jeden ausgegebenen Gulden seinen Untertanen vom Mund absparen muss, nur gelegen.

4. Oktober 1777 München-Kreuzviertel * Im Weingasthof Zum schwarzen Adlerkommen unter Wolfgang Amadeus Mozarts Leitung mehrere Werke zur Aufführung. Mit einem vorgetragenen Violinsolo beeindruckt Mozart ganz besonders:"Da schaute alles groß drein, ich spielte, als wenn ich der größte Geiger in ganz Europa wäre."Mozart und Albert sind zufrieden.

Der Musik liebende WeinwirtFranz Joseph Albert hat schon lange erkannt, welcher Gewinn Mozart für München wäre und entwickelt ein interessantes Projekt, das er dem stellenlosen Musiker unterbreitet:

Er solle in München bleiben und von guten Freunden monatlich mit 50 Gulden unterstützt werden. Wenn er für Kompositionen vom HofintendantenGraf Joseph Anton von von Seeau nur 200 Gulden bekäme, so wären das 800 Gulden im Jahr.

Wolfgang Amadé ist begeistert, nur sein Vater nicht einverstanden, da er seinen Sohn in einer gesichertenStellung wissen will.

Seite 187/814 Ende Dezember 1778 München * Wolfgang Amadeus Mozart kehrt von Paris nach München zurück, wo Kurfürst Carl Theodor inzwischen die Erbfolge in der baierischen Hauptstadt angetreten hat.

Doch auch Carl Theodor engagiert den Musiker und Komponisten nicht.

Ihm bleibt nichts anderes übrig, als sich wieder in den Dienst des verhassten "Fürstbischofs"Hieronymus Colloredo zu begeben.

Ende 1779 London * Benjamin Thompson wird zum "Bevollmächtigten für die Ausstattung der britischen Streitkräfte in den Kolonien".

Er kauft die Uniformen oder den Stoff, aus dem sie hergestellt werden, in London und verkauft sie der Armee in den Kolonien zum besten Preis, den er erzielen kann. Bei diesem höchst spekulativen Geschäft verdient Thompson sehr viel Geld.

1779 München-Graggenau - München-Maxvorstadt * Zwischen 1779 und 1783 lässt Kurfürst Carl Theodor durch Karl Albrecht vonLespilliéz, dem Nachfolger von FrançoisCuvilliés d.Ä., an der Nordseite des "Hofgartens" eine "Gemäldegalerie" anbringen.

Davon hat die "Galeriestraße" ihren Namen.

1779 München - Au * ImMünchner und Auer "Bäckerstreit" wird ein Vergleich geschlossen.

Seither dürfen die Auer jeden Mittwoch und Samstag ihr "Schwarzbrot" am "Rindermarkt" verkaufen.

1779 London * Benjamin Thompson wird "Mitglied der Königlichen Britischen Akademie der Wissenschaften".

1779 München-Angerviertel - Au *Lukas Pruckmayrs Witwe Katharina heiratet den aus Rottach am Tegernsee stammenden Brauer Johann Messner.

Dieser kauft zum "Singlspielerbräu" noch den "Märzenkeller vor dem Isarthor an der Ramersdorfer Straße" dazu.

1780 München * Maximilian Joseph von Montgelas wird, im Alter von 21 Jahren, Mitglied des "Bücherzensurkollegiums".

Seite 188/814 Der Freiherr führt seine Tätigkeit als "Zensor" eher kontraproduktiv im Sinne seines Auftraggebers aus.

So lässt er "Aufgeklärtes" passieren, hält aber diesem Entgegengesetztes auf. Das macht er beispielsweise mit Gebetsbüchern mit "übertriebenen Verehrungen der Heiligen, gar zu sinnlichen Andächteleien, in ungeheurer Menge versprochenen Ablässen".

Außerdem sind die Angehörigen der "Zensurbehörde" Mitglieder oder zumindest Sympathisanten des Geheimbundes der "Illuminaten".

September 1780 London * Benjamin Thompson wird zum "Unterstaatssekretär für die britischen Kolonien" ernannt.

Sommer 1781 London * Benjamin Thompson legt seinen Posten als "Unterstaatssekretär für die britischen Kolonien"überraschend nieder.

1781 Kempten * Die "Hausmagd" Anna Maria Schweglin aus Kempten, die 1775 zum "Tode mit dem Schwert" wegen "Schadenszauber und Teufelsbuhlschaft" verurteilt wurde, stirbt im Gefängnis.

Sie gilt als die letzte hingerichtete bayerische "Hexe". Ihr Tod im Gefängnis wird erst 1995 entdeckt.

1781 München-Graggenau - München-Maxvorstadt * Die "Gemäldegalerien" in den nördlichen "Hofgartenarkaden" werden für das Volk frei zugänglich.

Sie werden zu einem Anziehungspunkt und Ausflugsort für die mondäne Münchner Bevölkerung und der städtischen Eleganz.

In den Arkaden hat Kurfürst Carl Theodor Anschläge anbringen lassen, wonach es verboten ist, im "Hofgarten" zum Grüßen den Hut zu ziehen.

1781 München * Die Zahl der in München stationierten Militärpersonen beträgt 4.243.

Die Mannschaften sind in Kasernen unergebracht.

1781 München * Der pfalz-baierische Kurfürst Carl Theodor lässt einige "vaterländische" Stücke aus politischen Gründen verbieten.

Ein Verbot folgt dem anderen. Dabei spielen die "Vorstadttheater" gerade diese "Volksstücke" mit Vorliebe.

Seite 189/814 Die Gründe für diese restriktiven Maßnahmen der Regierung liegen zum einen in der "Unsittlichkeit" der Stücke, zum anderen im Bestreben der Obrigkeit, angebliche "öffentliche Unruheherde" zu unterbinden.

1781 Königsberg * Immanuel Kant veröffentlicht seine "Kritik der reinen Vernunft".

Doch auch wenn Immanuel Kant in seinen Aufsätzen schreibt: "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!", so bleiben solche Gedankengänge in Europa noch lange Zeit pure Theorie. Doch auch hier ändert die "Aufklärung" sowie der Fortschritt der Naturwissenschaften und der Technik - langsam - das Weltbild.

Die Welt wird plötzlich erklärbar. Für viele Phänomene, die man zuvor dem direkten Eingreifen Gottes zugeschrieben hat, findet man jetzt logische Erklärungen. So macht beispielsweise die Erfindung des "Blitzableiters" den bislang üblichen "Wettersegen" überflüssig. Damit waren die Zeiten, in denen der Blitz als Zeichen oder gar als "Strafe Gottes" galten, endgültig vorbei.

Schriftsteller der "Aufklärung", darunter Lorenz Westenrieder, versuchen die neuen Denkanstöße in zahlreichen Artikeln zu verbreitern. Sie benutzen dazu die in dieser Zeit neu entstandenen Zeitschriften und Journale, aber auch Flugschriften. Westenrieders Schriften widersprechen oft der Lehrmeinung der katholischen Kirche und werden deshalb verboten.

Und selbst wenn die verbreiteten Denkansätze zum Teil die Unterstützung des Kurfürsten finden, so sollen die Inhalte - schon aus reinen Machterhaltungsbestrebungen heraus - kanalisiert werden. Die Gedanken der "Aufklärung" zu Ende gedacht bedeuten diese aber auch, dass sich die Menschen früher oder später nicht mehr in ihre Untertanenrolle fügen, sondern die Teilnahme am politischen System einfordern werden.

Das ist der Beginn von gesellschaftspolitischen und sozialen Umwälzungen.

7. Oktober 1781 New York - Südkarolina * Benjamin Thompson reist mit dem Schiff nach New York. Widrige Winde bringen ihn aber nach Südkarolina, wo er erst am 29. Dezember ankommt.

1782 München * Lorenz von Westenrieder stellt fest:

"Allgemein nimmt der Bürger und Handwerker kein Frühstück. Man setzt sich um 11 Uhr zur ersten und um 6 Uhr nachmittags zur zweiten Mahlzeit.

Rind-und Kalbfleisch, Bier und Brot sind das gewöhnlichste, was er genießt. Schweine-, Kalbs- und Gänsebraten sind seine besten Gerichte und Bier sein bester Trank.

Wein und Branntwein werden ordentlicherweise nicht getrunken, auch kein Toback geschmaucht".

Seite 190/814 So ist seit Aventin in den unteren Schichten des Volkes der Wein völlig vom Bier verdrängt worden.

1782 München * Die aus dem Jahr 1563 stammende, rund sechs mal sechs Meter große "Baiernkarte" des Philipp Apian wird als "wertloser Plunder" verbrannt.

Zum Glück haben sich die 24 verkleinerten Holzschnitte der Karte erhalten, die als "Baierische Landtafeln" bekannt sind.

1782 München-Englischer Garten - Lehel * Die "kurfürstlich privilegierte Tabakfabrique" wird gegründet.

Eine der zwei Zufahrtsstraßen führt über die "Hofwiese" und wird im Jahr 1789 Teil des "Englischen Gartens".

10. April 1782 München-Graggenau * In München lässt sich ein "Hundemarkt" auf dem heutigen "Marienplatz" nachweisen.

Er findet Sonn- und Feiertags zwischen zehn und zwölf Uhr statt. Der private "Hundehandel" wird verboten.

30. November 1782 Großbritannien - USA * Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerikaunterzeichnen einen Friedensvertrag, der allerdings erst am 3. September 1783 rechtskräftig wird.

19. August 1783 Au- Haidhausen * Der Schleibinger Bräuund andere namentlich nicht genannte Brauer werden beschuldigt, schlechtes Märzenbierin ihren Kellern auszuschenken.

17. September 1783 Dover - Straßburg - Wien * Mit dem Ende des Unabhängigkeitskriegesmuss sich der 30-jährige Benjamin Thompson um eine neue Tätigkeit bemühen. Von Dover aus reist er mit Ziel Wien ab.

In Straßburg trifft er den wittelsbachischen Prinzen Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken, Oberst im Regiment d'Alsaceund Garnisonskommandant.Der junge General gibt Thompson ein Empfehlungsschreiben an seinen Onkel, den pfalzbaierischen Kurfürsten Carl Theodor mit.

1784 London - München * Der englische König George III. erteilt Sir Benjamin Thompsons Bitte zum Eintritt in baierische Dienste, eine Zusage.

Damit kann er "Leibadjutant" von Kurfürst Carl Theodor und Mentor dessen außerehelichen Sohnes Graf Bretzenheim werden.

Seite 191/814 England verfolgt die Tauschpläne des baierischen Herrschers mit Argwohn. Dieser will mit Baiern einen Teil seines Kurfürstentums gegen die "Österreichischen Niederlande" eintauschen, um Herrscher des neuen "Königreichs Burgund" zu werden.

Das Vorhaben hätte aus der zerstückelten Pfalz einen ansehnlichen Staat gemacht. Während die Pläne in Österreich befürwortet werden, formiert sich in Baiern massiver Widerstand.

1784 München * Johann Perzl spottet über den Baierwein: "Es wächst zwar in Baiern selbst einiger Wein an den Gegenden der Donau, ober und unter Regensburg, bey Landshut und in der Gegend um Dingolfing.

Wenn er etwa an die zwanzig Jahre gelegen hat, dann soll er nicht ganz widerlich zu trinken seyn; sonst aber wird er gewöhnlich nur als Essig gebraucht".

9. Januar 1784 Au * Die Wirte der Au beschweren sich über die auf dem Gasteigbergerbauten Märzenkeller. Die dortigen Bierbrauer bewirten im Sommer und Herbst ihre Gäste mit Bier, das mass- und halbmassweise ausgeschenkt wird. Außerdem gestatten sie das Musizieren und Tänzen und bieten Kugelplätze[= Billard] und Spieltischean. Die Oberlandesregierungsoll im kurfürstlichen Auftrag diese Exzesse abstellen.

16. Januar 1784 München - München-Kreuzviertel * Die Münchner Bierbrauer beschweren sich über die Brauerei des Augustinerklosters.Die Mönche haben wiederholt Bier innerhalb und außerhalb des Klosters ausgeschenkt und verkauft und dazu sogar eine Gaststube eingerichtet. Dem Kloster wird im Wiederholungsfalle eine Strafe von 100 Dukaten oder das Herausreißen der Braukessel angedroht.

19. Januar 1784 München * Auswärtiges Bier darf erst dann eingeführt werden, wenn das Bier der Münchner Brauer verkauft ist. Der Stadtrat legt dazu eine Reihenfolge des Ausschanks vor.

Im ersten Los darf nur das Bier aus den Kellern der Stadt ausgeschenkt werden. Im zweiten Los wird jedem Brauer freigestellt, ob er sein Bier in der Stadt oder am Gasteig ausschenkt.Die Stadtkeller müssen aber vor den Märzenkellernam Gasteig öffnen. ?Im dritten Los darf das Bier nur vor der Stadt ausgeschenkt werden. ?Der Brauer, der noch keinen Bierkeller hat, soll einen bauen oder mieten.

Außerdem sollen die Brauer über die einzusiedende Biermenge eine Übereinkunft treffen und diese dem Magistrat zur Genehmigung vorlegen.

28. Januar 1784 München * Ein tollwütigerHund entkommt und verletzt dreizehn Personen. Daraufhin werden 250 Hunde

Seite 192/814 erschossen. Laut einer Verordnung werden alle frei auf der Gasse herumlaufenden Hunde ohne Rücksicht erschossen. Das Verbot gilt zunächst bis 9. Februar.

31. März 1784 München * Der Stadtrat ermahnt die Bierbrauer und droht ihnen mit Geldstrafen und mit "unliebsameren Strafen".

Der Grund sind die Beschwerden der Auer Wirte.

Die Brauer dürfen künftig nur noch in der Zeit, in der sie den "ordentlichen Kranz" besitzen, in ihren "Märzenkellern" Gäste mit Bier bewirten, Kugelplätze und Spieltische betreiben sowie durch Musikanten zum Tanzen aufspielen lassen.

April 1784 Geldern * Die dreizehn Münchner, die Ende Januar von dem tollwütigen Hund gebissen worden sind, werden nach "St. Hubert" im österreichischen Geldern - "im Ardenner Wald" - geschickt.

Dort wird ihnen zur Heilung die Stola des heiligen Hubertus aufgelegt oder einFaden aus der Stola des Heiligen in die Kopfhaut einnäht. Drei von ihnen sterben unterwegs.

5. November 1784 Untergiesing * Kurfürst Carl Theodor erhebt - ohne allerdings die zuständigen Stellen einzubinden - das Anwesen des Franz Anton von Pilgram unter dem Namen Pilgramsheimzum Adelssitz mit allen Rechten.

Das bringt nun aber die Baronin von Kern auf die Palme, da die Rechte, insbesondere die Jurisdiktionüber den ganzen Pilgramsheim-Sitzja der Hofmark Falkenauuntersteht.Die Baronin erhebt Einspruch und der HofbankierPilgram erhält den allerhöchsten Befehl, sich mit derselben zu vergleichen. Die Einigung kommt aber erst zustande, nachdem die Baronin von Kern ihren Besitz an die Gräfin von Toerring-Seefeld verkauft hat.

1785 Mattsies - Kufstein * Kurfürst Carl Theodor schenkt seiner ehemaligen Mätresse Maria Josepha von Toerring-Seefeld, eine geborene Minucci, - fünf Jahre nach ihrer Eheschließung - das "Schlossgut und Bräuhaus Mattsies" bei Mindelheim.

Im darauffolgenden Jahr erhält sie dann noch die "Pflege Auerburg" bei Kufstein.

1785 München * Ignaz Mayer heiratet Chaila oder Caroline Seligmann.

Ihr Vater ist der im Jahr 1814 erste in den "Adelsstand" erhobene Jude in Baiern, der dann Leonhard Freiherr von Eichthal heißt. Ursprünglich hieß er Aron Elias Seligmann, war der "Tabak- und Salzhändler", zugleich der bedeutendste "Hof- und Heereslieferant" und außerdem "Hauptgläubiger" der immer finanzschwachen Kurpfalz.

Seite 193/814 In den "Napoleonischen Kriegen" avanciert er zum einzigen Heereslieferanten der baierischen Truppen, der die enormen Kosten für das Militär mit eigenen Anleihen finanziert und dafür ansehnliche Provisionen erhält.

Anno 1785 Au - Haidhausen - Lehel * Ein kurfürstliches Mandat verbietet den Auern, "Lechlern" und Haidhausern das Fischen in der Isar.

Erstmals werden auch die Bewohner des "Lehels" mit diesem Namen bezeichnet. Nun ist das "Lehel" ein echter Ort geworden, genauso wie die Au und Haidhausen.

18. Juni 1785 Rom-Vatikan - Freising * Papst Pius VI. erklärt erstmals in einem Brief an den Bischof von Freising, dass die Mitgliedschaft bei den Illuminatenunvereinbar mit dem katholischen Glauben ist.Diese Auffassung unterstreicht er in einem weiteren Brief vom 12. November 1785 an den selben Empfänger.

20. Juli 1785 München-Graggenau * Der Zierbrunnen im Alten Hofgeht erstmals in Betrieb.

1786 München * Der aus Trient stammende "Glockengießersohn" Peter Paul Maffei wird als Bürger und Handelsmann in München aufgenommen.

Der Neubürger heiratet Walburga Mayer, die 5.400 Gulden als Aussteuer in die Ehe mitbringt. Er selbst hat 2.000 Gulden und den ausgeprägten Willen, dieses Vermögen zu vermehren.

Als Tabakfabrikant in der Bruderstraße im Lehel, mit der er jährlich 25.000 Gulden Gewinn erwirtschaftet, und mit seinen Einkünften als Großhändler bringt es Maffei zu einem ansehnlichen Vermögen.

1787 Au * Die Mühle und das mit kostbarer Malerei geschmückte Schloss, die Hammerschmiede und kleine bewohnte Gebäude, Gärten und Weiher gehen an den "churfürstlichen Kommerzienrath" Fleischmann und dessen Frau Maria Anna über.

Mittlerweile ist das Gut ziemlich heruntergekommen und "Kommerzienrat" Fleischmann versucht, das Gebäude wieder in einen besseren Zustand zu versetzen. Fleischmann stockt die niedrigen Häuschen auf und setzt eine Tabakspflanzung an.

In der neuartigen und ersten "Rauchtobacks-Fabricke in Baiern" - dieses Privileg hat ihm Kurfürst Carl Theodor übertragen - wird dadurch Arbeit und Broterwerb für viele Männer, Frauen und Kinder geschaffen. Sie finden hier ein karges Einkommen.

1787 München * Als Folge der "Illuminatenaffäre", in deren Verlauf die Mitglieder dem Vorwurf "landesverräterischer

Seite 194/814 und religionsfeindlicher Bestrebungen" ausgesetzt sind, verlässt Maximilian Joseph von Montgelas das Kurfürstentum Baiern und tritt in den Dienst Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken.

Dieser wird, je länger die Kinderlosigkeit des pfalz-baierischen Kurfürstenpaares andauert, als voraussichtlicher Erbe von Pfalzbaiern, der drittgrößten Ländermasse des Reiches, gehandelt, und von den fünf Großmächten umworben.

Kurfürst Carl Theodor hat sich aufgrund seiner Pläne, Kurbaiern gegen die österreichischen Niederlande einzutauschen, bei der baierischen Bevölkerung äußerst unbeliebt gemacht. Und selbstredend liegt das Interesse der zweibrückischen Herzöge an der Verhinderung des Tauschprojekts. Und da kommt ihnen Freiherr Montgelas gerade recht.

Von Zweibrücken aus hält er die geheimen Verbindungen zu den baierischen Oppositionskreisen aufrecht. Dadurch kann - in Verbindung mit dem preußischen König Friedrich II. und der antiösterreichischen "Patriotenpartei" am Münchner Hof - die Existenz Kurbaierns unangetastet erhalten werden.

Eine der wichtigsten Vorkämpferinnen ist die Witwe des Herzogs Clemens Franz de Paula, des Cousins des letzten baierischen Kurfürsten Max III. Joseph: Herzogin Maria Anna.

12. März 1787 Untergiesing * Der Gräfin Maria Josepha von Toerring-Seefeld werden alle Forderungen gebilligt.

Voraussetzung ist allerdings die Erfüllung von zwei Auflagen.

Zum einen muss die Gräfin die dem "Landrichter" und dem "Amtsknecht" entgangenen Einnahmen in Höhe von 175 Gulden im Jahr ersetzen, zum anderen die "Inleute der Falkenau" gegen den herkömmlichen Lohn zur "kurfürstlichen Jagdlust" sowie zur "Räumung der kurfürstlichen Fischweiher" gebrauchen lassen.

Dagegen wehrt sich die Gräfin und verlangt nun ihrerseits die Überlassung des "Paulanerstocks" in der Au.

Damit jedoch verärgert die Gräfin Maria Josepha von Toerring-Seefeld den Kurfürsten und die den Vorgang bearbeitende Administration massiv.

Sie kann nichts mehr erreichen und versucht nun, die "Hofmark Falkenau" an den Landesherren zu veräußern. Dafür verlangt sie 45.000 Gulden und begründet den Preis mit dem Argument, dass das Anwesen durch die "Jurisdiktion" so wertvoll geworden sei. Sie vergisst geflissentlich zu erwähnen, dass sie selbst genau diesen Preis bei ihrem Kauf bezahlen musste.

Doch am kurfürstlichen Hof empfindet man diese Preisvorstellungen als ungehörig hoch - und geht deshalb gar nicht darauf ein. Statt dessen wird ein Untersuchungsverfahrens eingeleitet, ob bei der Verleihung der "Hofmarksrechte" denn wirklich alles mit rechten Dingen zugegangen war.

31. März 1787

Seite 195/814 Berg am Laim * Die Abbruchsgenehmigung für das alte Berg am Laimer "Hofmarkschloss" wird erteilt und die Gebäude bald darauf zerstört.

1788 München - Au * Auf Initiative des "Hofkammerrats" Piaggino soll in München ein "Arbeitshaus für beschäftigungslose arme Menschen" errichtet werden.

Doch staatliche und städtische Stellen wollen kein Geld für dieses Projekt bereitstellen.

Stattdessen wird Piaggiono aufgefordert, selbst einen Vorschuss in Höhe von 8.000 Gulden zu leisten. Als Gegenleistung soll er die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über alle Gewinne der Anstalt haben. - Und natürlich auch für alle Verluste haften.

1788 München * Nach Meinung des Lorenz von Westenrieder ist "der allgemeine Gebrauch des Kaffees unstreitig die Ursache für so viele körperliche Erschlappungen, Gebrechen und Schwachheiten, auch für die Hämorrhoiden".

1788 Haidhausen * Nach Regina von Osterwalds Tod geht ihr Besitz am Gasteig an ihre beiden Neffen Peter Paul von Schneeweiß, "Hofrat" und "Pflegsverweser von Hohenschwangau", und Franz Joseph von Schneeweiß, der dem "Inneren Rat" der Stadt München angehört, über.

Von den Brüdern erhält das Gebäude den Namen "Schneeweißschlösschen" oder "Schneeweißenburg". Man nennt es auch nach dem in der Nähe befindlichen "Gasthaus zum Schwane" die "Schwanenburg".

1789 München * Über das "Bettlerunwesen" schreibt Sir Benjamin Thompson die nachfolgenden Zeilen:

"Man konnte in München nicht über die Straße gehen, ohne von Bettlern angefallen und gezwungen zu werden, ihren lärmenden Forderungen genüge zu leisten.

Die Kirchen waren überschwemmt von Bettlern, welche während des Gottesdienstes die Andächtigen so lange quälten, bis ihre Wünsche befriedigt wurden.

Der Kinderdiebstahl war im Schwunge. Die Bettler stachen den armen Kleinen die Augen aus, verrenkten ihnen die Glieder, um das Mitleid der Vorübergehenden zu wecken. Sie stellten ihre Kinder völlig nackt und fast verhungert in die Straßen, damit das jämmerliche Geschrei der Unglücklichen die Leute zum Almosengeben bewog".

21. Februar 1789 München * Kurfürst Carl Theodor erlässt eine Anweisung, wonach in der Nähe einer jeden Garnisonsstadt Militärgärtenanzulegen sind. Jeder Einheit wird ein eigener Destrikt zugewiesen. Die Soldaten sollen Gelegenheit erhalten zu graben und zu hacken, zu säen und zu ernten, sich aber auch auszuruhen und zu erholen.

Seite 196/814 Dennoch sollen die Gärten "nicht nur alleine zum Vorteil und Ergötzung des Militärs, sondern auch zum allgemeinen Gebrauch als ein öffentlicher Spaziergang dienen" sowie "Nahe an der Stadt angelegt werden und in einer luftigen, gesunden Gegend und wo man von einem der Stadttore oder sonstigen Ausgängen der Stadt bis zum Garten eine Allee leicht anlegen kann".

Um September 1789 München-Englischer Garten - Lehel * Nach Planungen des "Ingenieur-Lieutenants beim Hofkriegsrat", Johann Baptist Lechner, entsteht ein "Apollo-Tempel" als Staffage-Bau im "Englischen Garten".

Das von spiegelnden Wassern umgebene "Hein-Heiligtum" befindet sich im alten "Hirschangerwald" auf einer Halbinsel. Der Rundtempel mit Dorischer Ordnung ist im wesentlichen eine Holzkonstruktion. Die Gebälkzone und das Kuppelinnere sind zum Teil gemauert, zum Teil aus stuckiertem Holz. Die Kuppelabdeckung besteht aus Blech.

Seinen Standort nimmt heute die "Steinerne Bank" ein.

1790 München * Kurfürst Carl Theodor führt den sogenannten "Illuminateneid" ein.

Jeder Beamte und Geistliche muss versichern, dass er keiner "geheimen Gesellschaft" angehört. Zusätzlich gibt es "Inquisitorische Untersuchungsverfahren" gegen verdächtige Personen und Gruppen.

Es herrscht "eine gewisse finstere Stimmung in Baiern, jener ähnlich, welche zu den Zeiten der Hexenprozesse durch ganz Deutschland geherrscht hatte. Der geringste Verdacht, die unbedeutendste Veranlassung reichte hin, um für einen Illuminaten gehalten zu werden".

1790 München-Englischer Garten - Lehel * Die Aufbauarbeiten am "Chinesischen Turm" sind abgeschlossen.

Südlich des "China-Turms" entsteht die "Chinesische Wirtschaft". Es ist ein Rechteckbau mit vier niedrigen Eckpavillons, sowie Haupt- und Nebengebäuden aus Holz mit den charakteristisch geschweiften Dächern. Im Inneren befindet sich sogar ein "Porcellain-Zimmer".

19. Februar 1790 München * Die Einfuhr und die Verbreitung von Schriften mit revolutionärem Inhalt wird durch Kurfürst Carl Theodor verboten und mit Strafe belegt.

29. März 1790 München-Englischer Garten -Lehel * Auf den "kinesischen thurn" im "Englischen Garten" wird vom Kupferschmied Michael Leithner der Knopf angebracht.

Seite 197/814 1. Mai 1790 München-Englischer Garten - Schwabing * Die "Thierartzney-Schule" wird unter der Leitung vom "Medizinalrat" Professor Dr. med. Anton Will in der sogenannten "Jesuitenwasch" in der damals noch selbstständigen Gemeinde Schwabing eröffnet.

Die "Tierarzneischule" beschäftigt sich mit der "Bekämpfung einbrechender Viehseuchen" sowie der Ausbildung "geschickter Tieräzte" und "guter Huf- und Kurier-Schmiede für die Kavallerie-Regimenter".

Der Lehrbetrieb wird aber erst am 1. November aufgenommen.

14. Juli 1790 München * Um den immer lauter werdenden Klagen über den "Missbrauch der Fürstenmacht" und die "Missachtung der Bürgersorgen" die Wirkung zu nehmen, tritt Benjamin Thompson die Flucht nach vorne an. Er organisiert für den ersten Jahrestag des Sturmes auf die Bastilleeine öffentliche Dank- und Huldigungsadressean den Kurfürsten.

Zu diesem Zwecke lässt er eine Druckschrift vorbereiten, die im Namen anonymerBürger - in einer äußerst unterwürfigen Formulierung - die Reformmaßnahmen des vergangenen Jahres preisen und Kurfürst Carl Theodor als "Quelle aller wahrhaft bürgerlichen Glückseligkeit" hervorhebt. Damit verletzt der Amerikanerdie "magistratische Alleinvertretungskompetenz in Angelegenheiten der Bürgerschaft".

Der Magistrat, den man bei der Formulierung der Adresse übergangen hat, sieht sich in seiner verfassungsrechtlichen Position als Sprecher der Bürger verletzt und distanziert sich von dem ganzen Vorgang.

28. Juli 1790 München * Der Magistrat, den man bei der Formulierung der "allgemeinen Dank- und Huldigungsadresse der Münchner Bürgerschaft an den Kurfürsten" übergangen hat, sieht sich in seiner verfassungsrechtlichen Position als Sprecher der Bürger verletzt und distanziert sich von dem ganzen Vorgang.

Der Magistratverbreitet eine Rechtfertigungsschrift, in welcher er die Intrige Sir Benjamin Thompsons aufdeckt und eine "Verbindung zwischen einer verfehlten Regierungspolitik und den revolutionären Vorgängen in Frankreich" herstellt.

31. Juli 1790 München * Kurfürst Carl Theodor empfindet die Rechtfertigungsschriftdes Magistrats vom 28. Juli und die darin enthaltenen Angriffe auf die "verfehlte Regierungspolitik des Landesherrn" als Majestätsbeleidigung und Hochverrat. Er lässt ein Exempel statuieren, den gesamten Inneren-und Äußeren Ratvor eine kurfürstliche Spezialkommissionbringen und einzeln verhören. Bis zur nächsten Stadtratswahl überträgt er die Geschäfte einer kurfürstlichen Stadtadministrationskommission.

1791 Haidhausen * Gabriel Zistllässt in der Kellerstraße auf dem Gasteigberg den "Zengerbräukeller" erbauen.

Seite 198/814 18. März 1791 München * Kurfürst Carl Theodor leitet den Wandel Münchens von der befestigten barocken Residenzstadt zu einer offenen und modernen Hauptstadt ein.

Er beauftragtdazu Sir Benjamin Thompson "das Neuhauser Thor so herzustellen, daß die bißherigen Umwege und engen Durchgänge gänzlich vermieden, und der Thorweeg in gerader Linie mit der Neuhausserstrasse über den Wall und bis auf den Punkt, wo sich die Augsburger und Landsberger Strassen trennen, geführt werde".

Damit wird die erste, von staatlichen Behörden geplante und vom Kurfürsten sanktionierte Maßnahme zur Niederlegung eines bedeutenden Teilstückes der barocken Festungswerke eingeleitet.Es hat eine für die Stadtentwicklung Münchens herausragende Bedeutung, deren zukunftsweisenden Aspekte man damals in ihrer Gesamtheit noch gar nicht erkennen kann.

Zur Realisierung dieses Vorhabens muss die Neuhauser-Bastioneingeebnet, der Festungsgrabenverfüllt und eine Fahrstraße mit Fußwegen auf beiden Seiten über das planierte Gelände hergestellt werden.Damit entsteht unmittelbar vor dem Stadttor ein großer Platz.

Thompsonlässt darüber hinaus auch einen ausgedehnten Sektor der Fortifikationen im Westen der Altstadt mit Wall und Graben niederlegen, sodass das eingeebnete Festungsgelände vom heutigen Lenbachplatz bis zur Herzogspitalstraße reicht. Damit wird eine breite Lücke in das System der Münchner Fortifikationgeschlagen und so die Festungseigenschaft der Stadt aufgehoben.

1. Mai 1791 München-Englischer Garten * Im "Englischen Garten" wird ein "Manöver" abgehalten.

Aus ganz Baiern beteiligen sich von jedem Regiment eine Kompanie. Das sind 1.500 Mann, davon 300 zu Pferd.

Das "Manöver" dauert bis zum 29. Juni.

9. Mai 1791 München * Kurfürst Carl Theodor dementiertdie Gerüchte, wonach die ganze Stadt entfestigt werden soll und versichert, er werde nichts tun, was gegen das Wohl der Stadt gerichtet sei.

Gleichzeitig zeigt er sich über den Bürgerprotest verwundert, "da es ja gerade die Bürgerschaft gewesen ist, die im Jahre 1612, bei der Projektierung der neuen Wallanlage, sich gegen diese mit der Begründung aufgelehnt hätte, die neue Befestigung würde einst, bei veränderter Kriegsführung, unnütz und unbrauchbar".

13. Mai 1791 Haidhausen - Au * Die Oberste Landesregierungverbietet aufgrund einer Beschwerde der umliegenden Bierbrauer "nachdrücklichst", dass die Brauer in ihren Märzenkellernam Gasteig und am Lilienberg Gäste bewirten.

Seite 199/814 21. Mai 1791 München * Die Verfasser der Rechtfertigungsschriftdes Magistrats vom 28. Juli 1790 werden lebenslang von den Ratsgeschäften ausgeschlossen. Die übrigen an der Aktion Beteiligten müssen in der Herzog-Maxburg- wie gewöhnliche Verbrecher - vor dem Porträt des Kurfürsten auf den Knien Abbitte für ihr Vorgehen leisten. Das gilt als ungeheure Schmach und stellt einen Tiefpunkt in der Geschichte des städtischen Ratsgremiums dar.

1792 München-Graggenau * Ungeachtet ihrer Loyalität gegenüber dem "Hause Wittelsbach" hat die "kurfürstliche Hofbauintendanz" den Abbruch des "Franziskaner-Klosters" für den Bau eines neuen "Theaters" ins Auge gefasst.

1792 Au - Landshut *Der "churfürstliche Commerzienrath" Fleischmann verlegt die "Rauchtobacksfabrique" nach Landshut, wo noch heute unter dem Namen "Pöschl" Kau- und Schnupftabak hergestellt wird.

Um Januar 1792 München-Isarvorstadt * Sir Benjamin Thompson Reichsgraf von Rumford ordnet den Ausbau des "Torweges am Isartor" an.

Rund einhundert Meter östlich des "Isartores" - an der heutigen Einmündung der Rumford- und Thierschstraße - sollte ein "Torplatz" entstehen, der als "Verkehrsknoten", aber auch als "Fluchtplatz" bei Feuer oder als "Marktplatz" dienen soll.

Die letztgenannte Überlegung darf aber nicht ausgesprochen werden, da die Münchner befürchten, dass der wöchentliche "Getreidemarkt" vom "Schrannenplatz" auf den noch im Bau befindlichen "Karlsplatz" verlegt werden wird.

Dieses Gerücht hatte bei der Bevölkerung und bei der Gemeindevertretung bereits Unmut und offenen Protest ausgelöst. Das Projekt wird am 5. April 1792 wieder eingestellt.

1. März 1792 Wien * Kaiser Leopold II. stirbt in Wien. Sein Nachfolger - als Kaiser sowie als König von Ungarn und Böhmen, Erzherzog von Österreich sowie Herr der übrigen Länder der Habsburgermonarchie - wird Franz II..

5. April 1792 München-Isarvorstadt * Das Projekt "Ausbau des Torweges am Isartor" wird wieder eingestellt, nachdem sich weite Bevölkerungskreise gegen die Entfestigungsmaßnahmen ausgesprochen haben und der Ausbruch der "Koalitionskriege" gegen das revolutionäre Frankreich das Vorhaben in einem neuen Licht erscheinen lässt.

25. April 1792 Paris * Die "Guillotine" wird erstmals an dem Raubmörder Nicolas-Jacques Pelletier in Paris in Gebrauch

Seite 200/814 genommen.

13. Juli 1792 Haidhausen - Au * Die Oberste Landesregierungerinnert erneut an ihr Verbot des "Gästesetzens in den Märzenkellern" auf dem Gasteig und am Lilienberg vom 13. Mai des Jahres.

1793 München-Englischer Garten - Schwabing * Nördlich des "Rumford-Hauses" im "Englischen Garten" - in der Umgebung der Martiusbrücke nahe der Königinstraße - entsteht das "Amphitheater" mit einem Durchmesser von 180 Fuß = ~ 60 Meter.

Um 1793 München-Graggenau * Der "Metzgersprung" findet nachweislich im "Fischbrunnen" statt.

Die "Metzgerlehrlinge" werden mit dem Sprung ins kalte Wasser "getauft" und freigesprochen.

1793 München * Die "Churpfalzbaierische Lazareth-Einrichtungsverordnung" führt einmännige Bettgestelle ein.

Die Kranken werden nun nach Art der Krankheit und nicht regimentweise untergebracht.

Außerdem befasst man sich mit Maßnahmen zum Schutz vor Ungeziefer und mit der Beheizung, Lüftung und Reinigung der Krankenzimmer.

10. Februar 1793 Zweibrücken - Mannheim * Die französische Armeemarschiert in Zweibrücken ein und besetzt das Land. Herzog Carl II. August flieht nach Mannheim.

1794 München-Englischer Garten * Widerwillig kehrt Sir Benjamin Thompson Graf von Rumford von seinem Erholungsurlaub von Italien nach München zurück.

Da ihn eine - hauptsächlich aus Bettlern bestehende - Menschenmenge freundlich empfängt, organisiert er zum Dank eine großes Fest im "Englischen Garten". 30.000 Besucher kommen.Ochsen werden gebraten und Bierfässer angezapft, Musikkapellen spielen und Lampions brennen.

August 1794 München * Ein anonymes Flugblatt wirft Kurfürst Carl Theodor vor, sein Land gewissenlos auszubeuten und warnt:

"Nehmt euch ein Beispiel aus der Zeit und schreibt's euch an die Wände:

Seite 201/814 in Frankreich köpft man Könige, in Polen hängt man Stände".

17. August 1794 Weinheim * Die pfalz-baierische Kurfürstin Elisabeth Auguste stirbt in Weinheim. Ihre Grabstätte befindet sich in der Münchner Michaelskirche. Nun ist der 69-jährige Kurfürst Carl Theodor Witwer und begibt sich - ohne Einhaltung einer angemessenen Trauerzeit - umgehend auf Brautschau.

19. September 1794 München - Wien * Kurfürst Carl Theodor bittet Kaiser Franz II. um die Hand der 17-jährigen Maria Leopoldine von Österreich-Este. Er wendet sich mit dieser Bitte also nicht an den Vater der auserkorenen Braut, sondern an dessen Bruder.

27. November 1794 München * 63 Schlossergesellen legen aus Protest gegen die Kündigung und Lohnverweigerung der zwei Schlossergesellen die Arbeit nieder.

Der Stadtmagistrat lässt daraufhin zwei Rädelsführer und zwei Altgesellen einsperren. Neun Gesellen verweigern die Arbeitsaufnahme weiterhin. Sie werden zum Militärdienst verurteilt.

1795 München-Angerviertel - Au * Katharina Messners Sohn aus erster Ehe, Josef Pruckmayr, übernimmt die "Singlspielerbrauerei".

Um den 6. Januar 1795 Mailand * Graf Maximilian Wunibald von Waldburg-Zeil und Trauchburg trifft als von Kurfürst Carl Theodor beauftragter Brautwerberin Mailand ein. Die Braut, Maria Leopoldine, erhält ein reich mit Brillanten verziertes Porträt ihres künftigen Ehemannes.

Carl Theodor erhält einen Bericht seines Beauftragten, in dem die Vorzüge und Nachteile der Braut ausführlich beschrieben werden.

Ihr Aussehen und ihre Charaktereigenschaften hebt der Brautwerberhervor, sodass der "kleine Defekt" nicht ins Gewicht fällt: ihr linkes Bein war etwas kürzer als das rechte. Doch die Braut könne ohne Schwierigkeiten spazieren gehen und auch sei "im Tanzen von einer Ungemächlichkeit nicht das mindeste" erkennbar. Durch eine Erhöhung des linken Stöckels an den Schuhen konnte dieser "Mangel" letztlich aufgehoben werden.

1. Februar 1795 München - Mailand * Der Heiratskontraktfür die Ehe zwischen dem baierischen Kurfürsten Carl Theodor und der Prinzessin Maria Leopoldine von Österreich-Este wird von den Bevollmächtigten unterschrieben.

Seite 202/814 Das Heiratsgutwird auf 162.000 rheinische Gulden festgesetzt. Kurfürst Carl Theodor hat die gleiche Summe einzubringen und noch etwa 54.000 Gulden als "Morgengabe" draufzulegen. Außerdem erhält die junge Kurfürstin zu Lebzeiten des Kurfürsten jährlich 30.000 Gulden in bar ausbezahlt. Das gesamte Geld wird angelegt und zu fünf Prozent verzinst. Das soll ihr nach dem Ableben Carl Theodors jährlich etwa 17.000 Gulden einbringen.

Um den 8. Februar 1795 München - Innsbruck * Gut gelaunt und ausgeruht begibt sich Kurfürst Carl Theodor nach Innsbruck, wo er Maria Leopoldine von Österreich-Este ehelichen wird.

13. Februar 1795 Innsbruck * Maria Leopoldine von Österreich-Este trifft mit ihren Eltern und umfangreichem Gefolge in Innsbruck ein.

14. Februar 1795 Innsbruck * Kurfürst Carl Theodor trifft erstmals mit seiner 18-jährigen Braut Maria Leopoldine von Österreich -Este, einer Enkelin Maria Theresias, und der erzherzoglichen Familie zusammen.

15. Februar 1795 Innsbruck * Der 70-jährige pfalzbaierische Kurfürst Carl Theodor heiratet am Faschingssonntag, um 18 Uhr, die 52 Jahre jüngere Maria Leopoldine von Österreich-Este.

Die Ehe wird im "Thronsaal der Innsbrucker Hofburg" geschlossen. Erzherzog Ferdinand, der Brautvater, bezahlt das "Heiratsgut" von 162.000 rheinischen Gulden in einer Summe.

18. Februar 1795 München * Das ungleiche Brautpaar - die 18-jährige "Landesmutter" Maria Leopoldine und ihr 52 Jahre älterer Ehemann Kurfürst Carl Theodor - trifft am Nachmittag in München ein.

1. April 1795 Mannheim * Herzog Carl II. August von Pfalz-Zweibrücken erliegt - vollkommen unerwartet - in Mannheim einem Schlaganfall.

Er hinterlässt seinem Bruder Max Joseph, dem späteren ersten bayerischen König,

ein von den Franzosen besetztes Land sowie einen Schuldenberg von neun Millionen Gulden. Dazu einen der fähigsten Staatsmänner, den Freiherrn Maximilian Joseph von Montgelas.

Seite 203/814 14. April 1795 Haidhausen * Die Brüder Peter Paul und Franz Joseph von Schneeweiß verkaufen die ehemalige "Sternwarte" an die Münchner "Armendeputation".

Diese will darin ein "Armenversorgungshaus" eröffnen.

Um den 20. April 1795 München * Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld besucht mit seiner Ehefrau Auguste München.

Der Herzog und die Kurfürstin Maria Leopoldine kommen sich dabei sehr nahe.

Doch Kurfürst Carl Theodor hat seiner jungen Frau sehr früh deutlich gemacht, dass sie ruhig für Nachwuchs sorgen soll, egal wer der Vater ist, er werde ihn für "legitim" anerkennen.

11. Juni 1795 Mannheim * Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken, der Herzog ohne Land, ernennt den bisherigen LegationsratMaximilian Joseph Freiherr von Montgelas zum "Wirklichen Regierungsrat mit Sitz und Stimme im Herzoglichen Regierungscollegio".

23. September 1795 München?Nachdem zwei Tage zuvor das Gerücht in Umlauf gesetzt worden war, dass mehrere Tausend Scheffel Getreide ausgeführt werden sollen, versammeln sich einige Hundert verärgerte Menschen vor dem Rathaus und fordern vom Magistrat das energische Eintreten für eine Getreide-Ausfuhrsperre.

Eine Delegation begibt sich zum Kurfürsten, der wegen der Vorgänge einen Theaterbesuch absagen muss und schon deshalb zu hartem Vorgehen entschlossen ist.Er lässt seine Truppen in Alarmbereitschaft versetzen, die Stadttore verschließen und in den Straßen berittenes Militär patroullieren.

Auf Vermittlung der Kurfürstin-Witwe Maria Anna empfängt Carl Theodor die Delegation. Obwohl der Kurfürst die Verhandlungen verzögern möchte, können die Bürgervertreter dennoch Sofortmaßnahmen durchsetzen.

4. Dezember 1795 München * Trotz seiner Nachgiebigkeit ist der Kurfürst nicht gewillt, das aufständische Verhalten der Münchner Bürgerschaft zu akzeptieren. Eigens lässt er die Dragoner und das Leibregiment der verstorbenen Kurfürstin Elisabeth Auguste von Mannheim nach München verlegen.

Außerdem werden vier Verdächtige und als Revolutionsfreundedenunzierte Handwerker verhaftet.Sie waren angeblich die Haupträdelsführerder Vorgänge im 23. September 1793.

12. Januar 1796

Seite 204/814 München - Au * In einem Mandat macht Kurfürst Carl Theodor deutlich, dass er Ereignisse wieim vergangenen Herbst (23. September 1795) nicht mehr tolerieren wird. Es wird eine Polizeioberdirektionfür München und die Au eingerichtet.

Neben der Verhaftung von Verbrechern hat die Polizeioberdirektiondie Aufgabe "alle tumultuarischen Aufläufe, Rumoren, und dergleichen sogleich mit aller Thätigkeit abzustellen, [...] vorzüglich aber auch den für die allgemeine Ruhe und Sicherheit verdächtigen, geheimen, oder öffentlichen Zusammenkünften mit aller Wachsamkeit nachzuspüren, und selbe gleich bey ihrem ersten Entstehen mit allem Ernste, jedoch auch mit der hiebey benöthigten Klugheit und Vorsichtigkeit zu zernichten".

Zu diesem Zweck soll die Polizeioberdirektionregelmäßige Kontrollstreifen und Hausdurchsuchungen in München und der Au durchführen. 32 Mann Polizeiwachestehen ihr dafür zur Verfügung.

6. April 1796 Haidhausen *Im "Armenversorgungshaus auf dem Gasteig" werden die ersten "Pfründner" untergebracht.

24. Juni 1796 Frankreich - München* Als Jean-Victor Moreau mit seiner 78.000 Mann starken französischen Revolutionsarmeeden Rhein überschreitet, bricht in München eine Panik aus, da man nun eine baldige Besetzung der baierischen Hauptstadt befürchtet.

18. August 1796 München * Die französischen Revolutionstruppenunter Jean-Victor Moreau nehmen München ein und besetzten das linke Isarufer. Der französische Befehlshaber Moreau gibt der Münchner Stadtbevölkerung die Zusage, dass die Stadt verschont bleibt. Zum Ausgleich plündern sie allerdings die umliegenden Dörfer.

Als Verteidiger belagern die Kaiserlichenund die Condéerdas rechtsseitige Isarhochufer. Die Kämpfe dauern bis zum 8. September. Durch einen - von den Österreichern verursachten - Brand wird die Häuserzeile in der Kirchenstraße, vom Hofmarkschlossbis zum Mesmerhaus,in Schutt und Asche gelegt. Den geschundenen Vorstädtern ist es freilich vollkommen egal, ob sie ein Condéer terrorisiert, ein Österreicher drangsaliert oder ein Franzose ausplündert.

26. August 1796 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die kaiserlichen Truppen sperren die Isarbrücke.Gleichzeitig reitet eine sechsköpfige Delegation unter der Führung von Bürgermeister Philipp von Hepp der herannahenden französischen Revolutionsarmeeentgegen und bittet um Gnade für München.

September 1796 Mannheim -Ansbach * Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken muss aus Mannheim fliehen und begibt sich - auf Einladung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. - in das seit dem Jahr 1791 preußische Ansbach.

Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas übernimmt die Leitung der Geschäfte und macht sich bald zum unentbehrlichen Ratgeber und Vertrauten des Herzogs.

Seite 205/814 1. September 1796 Haidhausen - München-Lehel * Die französischen Revolutionstruppenversuchen den ganzen Tag über vergeblich, die Isarbrücke zu erstürmen.

7. September 1796 München - Pfaffenhofen * Die französische Revolutionsarmeeeröffnet einen neuen Sturm auf die Isarbrücke. Zur gleichen Zeit handeln die Baierischen Landständemit den Franzosen in Pfaffenhofen einen Waffenstillstandaus.

8. September 1796 München * Die Kämpfe um die Isarbrücke zwischen den französischen Revolutionstruppenund den Kaiserlichengehen weiter.Die österreichische Armee schießt vom Isarhochufer auf München. Dabei erhält die Peterskirchezwei Treffer.

Auch einige Holzstöße im Lehel, hinter denen sich die Franzosen verschanzen, werden durch den Schusswechsel in Brand gesetzt. Das Feuer breitet sich auf benachbarte Gebäude und den durch Kanonenbeschuss bereits beschädigten Roten Turmaus - undzerstört ihn endgültig.

15. September 1796 München-Isarvorstadt * Graf Rumford lässt durch Militärkolonnen mit Arbeiten an einer Ringstraße, die heutige Rumfordstraße, beginnen. Er will das Gelände im unmittelbaren Vorfeld der Wälle räumen und zur leichteren Umfahrung der Stadt eine breite, verkehrstüchtige Straße anlegen lassen.

Noch bevor die Besitzer protestieren und ihre bewegliche Habe in Sicherheit bringen können, werden die auf der geplanten Trasse liegenden Gartengrundstücke enteignet.Nicht einmal die Ernte ihrer Anpflanzungen dürfen sie noch einholen.

So entsteht vor den Stadttoren die erste Umfahrung Münchens. Weil die Ringstraßeals militärisch Straßenanlage begründet worden war, wehrt sich der Magistrat erfolgreich gegen jede finanzielle Beteiligung. Auch, als man die Straßenanlage als wesentlichen Beitrag zur Verschönerung Münchens ansah.

30. September 1796 Ansbach * Freiherr Maximilian Joseph von Montgelas legt Herzog Max Joseph von Pfalz-Zweibrücken das "grundlegende Reformprogramm für die künftige Regierung des Kurfürstentums Baiern" vor.Es trägt entscheidend zur Vertiefung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Herzog und dem Freiherrn bei.

Das Ansbacher Mémoireist ein Konzept zur Anpassung der baierischen Verfassungs- und Verwaltungsverhältnisse an die Gegebenheiten der neuen Zeit.Auf sieben eigenhändig geschriebenen Doppelblättern beschreibt Montgelas die herrschenden Verhältnisse in Baiern und schlägt gleichzeitig Maßnahmen vor, die - nach seiner Meinung - für eine effektive und nach den Gesichtspunkten der Aufklärunggebildete Staatsverwaltung notwendig sind. Im Kern der Reformen fordert der Freiherr

eine klar gegliederte Ministerialorganisation mit abgegrenzten Zuständigkeiten, eine neue Verwaltungsgliederung mit einheitlichen Instanzenwegen in Gesamtbaiern;

Seite 206/814 eine gut ausgebildete, unbestechliche, ausreichend bezahlte und sozial abgesicherte Beamtenschaft; die steuerliche Gleichbehandlung aller Menschen; die Unabhängigkeit der Richter, die Trennung von Justiz und Verwaltung, die Überantwortung aller judikativen Bereiche in staatliche Oberaufsicht, die Reform des Straf- und Zivilrechts; die Möglichkeit für die Bauern, adeliges Obereigentum an Grund und Boden abzulösen; die Beschränkung der Kirche auf den religiösen Bereich, die Aufhebung der Bettelorden und die bessere Nutzbarmachung der Klöster; die religiöse Toleranz; die Aufhebung der Zensur; die Verbesserung der Universitäten und Schulen. In einer übergeordneten Instanz soll die Zusammenarbeit der Ministerien gefördert werden und eine Koordination der Einzelmaßnahmen erfolgen.

Am Ende steht ein geschlossenes Staatsgebiet, in dessen Ministerien sich alle staatliche Macht vereint.

Darüber hinaus will Montgelas ein baierisches, patriotisches Empfinden wecken, um die örtlichen Gebundenheiten des Einzelnen abzulösen und statt dessen eine Identifikation mit dem Kurfürstentum, später Königreich, herbeiführen.

Die Forderung nach einer Volksvertretung- nicht nur einer Ständeversammlung- wiederholt Montgelas im Ansbacher Mémoirenicht mehr.Wohl aber die Gleichheit aller vor dem Gesetz und die Abschaffung der Steuerprivilegien des Adels.Seine Adelspolitik nimmt später weitaus konservativere Züge an, vor allem nachdem er im Jahr 1803 selbst Grundbesitz erworben hat.

16. Mai 1797 München-Isarvorstadt * Die von ReichsgrafRumford projektierte Ringstraßewird dem öffentlichen Verkehr übergeben. Auf der Trasse des heutigen Wittelsbacher Platzes, der Ottostraße, der westlichen Fahrbahn der Sonnenstraße, der Müllerstraße und der Rumfordstraße istein etwa 14 Meter breiter Damm angelegt worden.Zu ihrer Verschönerung wird die Straße zu beiden Seiten mit Pappeln bepflanzt.

Auf den nordöstlichen Abschnitt der Rumfordchausseewird wegen der komplizierten Besitzverhältnisse im Lehel und dem unsicheren Gelände verzichtet.

Um 1798 München-Englischer Garten - Lehel * Adrian von Riedl, der zuvor mit zwei Dämmen das weitverzweigte Wildflussbett der reißenden Isar zwischen Lehel und Ismaning gebändigt hatte, kauft einen Teil des von ihm trockengelegten ehemaliges Isarbetts, das als "ödes Land" vom Kurfürst Carl Theodor freigegeben wurde.

Zunächst lässt er sich zwischen "Eisbach" und "Schmiedbach", am Rande des "Englischen Gartens" ein stattliches Palais erbauen, das er mit einem kleinen "Englischen Garten" mit allerlei Zubehör umgibt.

Sogar eine Brunnquelle, eine "Gloriette" und ein kleiner "Chinesischer Turm" dürften nicht fehlen. Aus dieser Anlage entsteht später der "Paradiesgarten", ein beliebtes Ausflugslokal.

Seite 207/814 1798 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die verbliebenen Reste des "Roten Turms" werden beseitigt.

Übrig bleibt nur der nördliche der beiden Anbauten, der den Abbruch fast 100 Jahre überdauert.

1798 Mannheim - München * Kurfürst Carl Theodor lässt 758 Bilder seiner Mannheimer Sammlung nach München bringen.

Er will die Gemälde vor den anrückenden Franzosen schützen.

11. Juli 1798 München - Haidhausen - Au * Die Oberlandesregierungfordert den Magistrat eindringlich dazu auf, keinerlei "Minutoverschleiß" von Bier, gemeint ist die mass- und halbmassweise Abgabe des Gerstensafts, am Gasteig und am Lilienberg zuzulassen. Auch darf das Bier nicht in den kleineren Halbeimer-Fässern [= 30 Mass] abgegeben werden.

24. Juli 1798 München-Englischer Garten * Kurfürst Carl Theodor lässt 2.000 Gulden zum Bau der an der Kreuzung von Schwabinger Bach und Eisbach gelegenen Militär-Mühlenoder Rumford-Mühlenzur Verfügung stellen. Es handelt sich um eine Sägemühleund eine Mahlmühlefür das Getreide des von Benjamin Thompson Verbesserten Kommissbrotes.

19. August 1798 München - London * Sir Benjamin Thompson Reichsgraf von Rumford wird zum "Bevollmächtigten Minister Baierns am Kgl. Großbritannischen Hofe" ernannt und verlässt deshalb Baiern. Die Oberaufsicht über den Ausbau des Englischen Gartensgibt er gleichzeitig an seinen Nachfolger Reinhard Freiherr von Werneck ab.

16. November 1798 München * Selbst der baierische Regent und Herrscher ist Kunde des Leihhauses. Kurfürst Carl Theodor gibt an diesem Tag der magistratischen Leihhauskommissionfolgenden Befehl:

"Seine Churfürstliche Durchlaucht haben sich in der Verlegenheit, in welcher sich die Staatskassa bey dem schon so lange dauernden Krieg befindet, zur Verhütung größerer Übel bemüssigt gefunden, einen Teil des Schatzes der heiligen Kapelle in Altötting hierher bringen zu lassen, um auf denselben als Faustpfand schnell ein angemessenes Anlehen aufzubringen und Höchst dieselbe hat sich zu diesem Ende entschlossen, diesen bloss in Gold und Juwellen bestehenden Teil des Schatzes dem hiesigen, unter landesfürstlicher Oberaufsicht und Protektion stehenden Leihhaus, jedoch mit dem gegenwärtig schärfsten Befehle zu übergeben und aushändigen zu wollen, daß hievon nicht das mindeste veräußert oder verschmolzen werde, sondern sich das Leihhaus wegen gleichzeitiger und hiemit feyerlich erklärt werdender Mitverpfändung aller Churfürstlichen Renten und Gefälle mit dem richtigen Bezuge der jährlichen Zinsen sich begnügen solle und müsse."

Durch die kurfürstliche Inanspruchnahme der Pfandleihanstalt ist die Kapitaldecke der Einrichtung allerdings

Seite 208/814 wiederholt derart dünn geworden, dass Hilfesuchende aus den ärmeren Schichten oftmals abgewiesen werden mussten.

27. Dezember 1798 München * In einer Polizei-Erinnerungwird erneut verboten, Hunde in die Kirche mitzubringen. Begründet wird das Verbot mit der "schuldigen Ehrerbietung" in den "Gott geheiligten Häusern".

1799 Au * Die Klosterbrauerei der Paulaner kommt unter staatliche Aufsicht.

13. Februar 1799 München-Graggenau * Der "Vertreter des kaiserlichen Hauses", Joseph Anton August Graf von Seilern, eilt mit einem unterschriftsreifen "Tauschvertrag" ans Sterbebett von Carl Theodor, um vondemBaiernherrscher in einem günstigen Moment doch noch die begehrte Unterschrift zu erhalten.

Es ist dieKurfürstin, die ihn persönlich daran hindert, das Krankenzimmer zu betreten.

Im Gegensatz dazu führt Maria Leopoldine Herzog Wilhelm von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen, der die Interessen vonPfalz-Zweibrückenvertritt, sofort in das Gemach des sterbenden Kurfürsten Carl Theodor.

16. Februar 1799 München-Graggenau * Kurfürst Carl Theodor erliegt am Abend seinem am 12. Februar erlittenen Schlaganfall. Herzog Wilhelm von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen wohnt als Zeuge dem Tod des pfalz-baierischen Regenten bei.

Protokollarisch wird die 22-jährige Kurfürstin-Witwe von Herzog Wilhelm und vom Vertreter des kaiserlichen Hauses, Joseph Anton August Graf von Seilern, befragt, ob sie ein Kind vom verstorbenen Kurfürsten erwartet. Maria Leopoldine antwortet daraufhin mit einem klaren "Nein!". Mit dieser Aussage entzieht sie den Österreichern die Gelegenheit, Baiern auf friedlichem Weg an sich zu ziehen.

Bei den Münchnern ruft das Ableben des Kurfürsten keine allzu große Trauerstimmung hervor. Im Gegenteil, als sich die Trauernachricht verbreitet, "frohlockte alles, und jeder wünschte dem anderen Glück", schreibt Lorenz von Westenrieder.

Carl Theodors Nachfolger auf dem baierischen Thron wird Kurfürst Max IV. Joseph aus der wittelsbachischen Linie Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, von dem sich die Baiern eine ganze Menge erwarten und der unter dem Jubel der Bevölkerung in München einzieht.

März 1799 München-Englischer Garten * Der "Englische Garten" ist inzwischen nicht mehr der "Militärbehörde", sondern dem "kurfürstlichen Kabinett" unterstellt.

Reinhard Freiherr von Werneck ist hauptamtlicher "Direktor" des 375 Morgen großen "Englischen Gartens". Er untersteht aber dem zum "Gartenbaudirektor für die Rheinpfalz und ganz Baiern" ernannten Friedrich Ludwig

Seite 209/814 Sckell.

Werneck achtet hauptsächlich auf die wirtschaftliche Rentabilität der Gartenanlage. Durch landwirtschaftliche Einrichtungen soll sich das Gartenprojekt selbst tragen - und möglichst sogar einen Gewinn erwirtschaften.

Dies will Werneck durch die Erweiterung der Wiesen- und Waldflächen, durch eine Vergrößerung des Viehbestandes und den Ausbau der Ökonomie und der Mühlen erreichen. Die Ökonomie und die "Schweizerey" wird dem "Englischen Garten" einverleibt.

April 1799 Au * Das "Paulanerkloster in der Au" wird auf Wunsch des "Konvents" aufgehoben.

Zur Ausübung der pfarramtlichen Funktionen beziehen die Mönche das ehemalige "Lustschloss Neudeck". Betroffen sind 13 Patres und zwei Laienbrüder.

28. Juni 1799 München * Kurfürst Max IV. Joseph erteilt dem Leimener FinanzierAron Elias Seligmann "und dessen sämtliche Kinder sowohl Söhne als Tochtermännern das vollkommene Bürgerrecht nebst der Befugnis, dass sie in Churpfalz allenthalben sich niederzulassen, liegende Güter an sich zu bringen und überhaupt alle Gewerbe, die sonst ein Christlicher Unterthan nur zu unternehmen befähiget, nach ihrem gutfinden ebenfalls zu treiben befugt und ermächtigt seyn sollen".

Damit besitzt der Hoffaktorauch die Voraussetzungen für das Münchner Bürgerrechtund kann schließlich von Leimen an die Isar umsiedeln. Aron Elias Seligmann rettet den bayerischen Staat vor dem Ruin, besorgt weitere Darlehensgeber und kann damit Bayerns Finanznöte mildern und die Regierung stabilisieren.

Um den Juli 1799 München * Spätestens jetzt lässt sich nicht mehr verheimlichen, dass die junge Kurfürstin-Witwe Maria Leopoldine schwanger ist.

Und weil sie den Namen des Vaters nicht preisgeben will gibt es ausreichend Anlass zu den wüstesten Spekulationen, was wiederum den Münchner Hof in höchste Verlegenheit bringt.

5. August 1799 Au - München * 16 Bierwirte aus der Au beschweren sich bei der Generallandesdirektiondarüber, dass die Münchner Brauer auf dem Gasteigund dem Lilienberg- trotz Verbotes - in ihren Märzenkellernihr Bier in kleinen Portionen abgeben.Gemeint ist damit der sogenannte Minuto-Verschleiß.

Die Generallandesdirektiondroht bei nochmaligem Vorkommen mit Strafen von 60 Reichstalern.

Seite 210/814 8. August 1799 Laibach * Die Kurfürstin-Witwe Maria Leopoldine wird "auf einige Zeit ins Friaulische versetzt". Der Grund: Die Liebschaft zu dem Hof-MusikantenFranz Eck "wird immer größer und bedenklicher". Dem Violisten im Hoforchesterwird ein "schlechter Ruf" nachgesagt. Maria Leopoldine wirdin Laibach einen unehelichen Sohn zur Welt bringen.

20. Dezember 1799 München * Der Bierzwangwird aufgehoben. Damit entfällt die Verpflichtung der Münchner Wirte ihr Bier bei den Münchner Brauereien zu beziehen. Nur bei Biermangeloder wenn der neue Sud noch nicht angesetzt war, durften die Wirte bisher ihr Bier von auswärtigen Brauereien einführen.

1800 München * Der Münchner Burgfriedenumfasst 1.600 Hektar. Zum Vergleich: Heute sind es 31.045 Hektar.

Um Januar 1800 Zweibrücken - Düsseldorf * Kurfürst Max IV. Joseph lässt rund 1.000 Bilder der Zweibrücker Galerie nach München bringen.

Auch die 348 Gemälde aus Kurfürst Jan Wellems Düsseldorfer Sammlung - eine Kollektion besonders auserlesener Bilder - kommt nach München.

Um den 20. März 1800 München * Das Stimmungsbild gegenüber Kurfürst Max IV. Joseph hat sich seit seinem Regierungsantritt massiv verschlechtert. Der Vertrauensvorschuss ist völlig aufgebraucht. Das bringt auch eine Flugschrift zum Ausdruck, in der es heißt: "Der Bauer zahlt ja mit seinem Geld und Blute immer allein die Zeche, sie mag auch kosten, was sie wolle".

April 1800 München-Graggenau * Eine evangelische "Hofkapelle" im Flügelbau zwischen dem "Brunnenhof" und dem "Küchenhof" wird eingeweiht.

26. April 1800 München * Angesichts der englischen Subsidienzahlungen verbreitet sich in München das Gerücht, dass zur Erreichung der geforderten militärischen Mannschaftszahlen nun auch Bürgersöhne "ausgehoben" werden.

"Polizeidirektor" Anton Baumgartner erklärt, dass die "Ausnahmeprivilegien für Bürgersöhne" auch weiterhin erhalten bleiben.

Um den 3. Juli 1800 München * Nach der Flucht des Kurfürsten Max IV. Joseph findet sich in einer weit verbreiteten Broschüre mit

Seite 211/814 dem Titel: "Dankadresse von der baierischen Nation an Max Joseph IV." eine spöttische Kommentierung dieser Situation. Darin wird als größte Wohltat des Kurfürsten seine "Flucht aus München" gepriesen, da er dadurch "die Stadt und das ganze Land der französischen Großmut preisgegeben und die Untertanen vollends überzeugt habe, dass sie sich auch ohne Fürsten und Militär selbst zu verteidigen, zu regieren und die Gefahren, in der sie ihr vielgeliebter Regent versetzt hat, mit männlicher Klugheit abzuwenden wissen". Der Text will die Baiern in Stadt und Land davon überzeugen,

dass die Nation reif ist für eine republikanische Staatsformnach französischem Muster und dass der Kurfürst als Oberhaupt des Staatswesen absolut entbehrlich sei.

Freilich gibt es auch Stimmen gegen die Härten, die die französischen Einquartierungen mit sich bringen. Doch es herrscht eine grundsätzliche Sympathie für die Franzosen und das republikanische Frankreich.

Die Verantwortung für die unerquickliche Lage lastet man jedenfalls weniger den französischen Besatzungstruppen, als vielmehr dem geflüchteten Kurfürsten Max IV. Joseph und seiner verfehlten Politik an, mit der er Baiern im kaiserlichen Lager festhält.Selbst regierungstreue Münchner sehen sich durch die republikanischen Soldaten immer noch besser behandelt als durch die verbündeten Österreicher.

Um den 10. Juli 1800 München * Ein Klub, der sich aus Mitgliedern des gehobenen Münchner Bürgertums zusammensetzt, hat sich inzwischen gebildet und trifft sich regelmäßig in der Weinstraße zu Zusammenkünften.

Die Mitglieder des Klubsbezeichnen sich selbst als Patrioten. Zu den führenden Vertretern zählen unter anderem der Referendar im FinanzministeriumJoseph von Utzschneider, der RegierungsratJoseph von Hazzi und der Buchhändlerund VerlegerJohann Baptist Strobl, von dessen Buchhandlung aus zahlreiche kritische Flugschriftenverbreitet werden.

15. Juli 1800 London - Amberg * Das Kurfürstentum Baiern lässt sich im Subsidienvertrag von Ambergvon Großbritannien seinen Besitzstand garantieren.

Um den 20. Juli 1800 München * Oppositionelle und regimekritische Kreise äußern auch weiterhin ihren Unmut am Kurfürsten Max IV. Joseph laut und heftig. Besonders nachdem deutlich wird, dass weder Österreich noch England an einem Friedensschlussmit Frankreich interessiert sind und sich Pfalz-Baiern sogar zu einer Erhöhung des Truppenkontingentsverpflichtet hat, "weil England einige Millionen Geld, das weise Fürsten nicht ausschlagen und höher als das Blut der Untertanen schätzen müssen, welches keinen Wert hat, wohl aber den Grund und Boden düngt, auf dem selbe erschlagen werden, gezahlt und deinen treuen Ministern mit Brillanten besetzte Tobaksdosen geschenket hat".

Der Kurfürst wird als Hofmetzgergeschmäht, weil "er unsere Kinder verkauft wie?s Vieh".

Um den 10. August 1800

Seite 212/814 München * Eine Flugschriftmit dem Titel "Wahrer Überblick der Geschichte der baierischen Nation, oder das Erwachen der Nationen nach einem Jahrtausend" wirft Kurfürst Max IV. Joseph vor, "durch seinen Menschenverkauf, durch seine Verschwendung, durch die immerwährende Aushebung und gänzliche Entvölkerung des Landes, durch die volle Verwirrung, die er stiftete, alle Achtung, alles Zutrauen verloren" zu haben. Gleichzeitig formuliert die Schrift ein in die Zukunft gerichtetes politisches Programm einer Republikin Süddeutschland:

"Baiern, vereint mit Schwaben, wird das österreichische Joch abschütteln [...] und [...] vereinigt mit einem Teile Frankens [...] sich eine auf Unabhängigkeit, Freiheit und Gleichheit gegründete Verfassung geben". Zur Umsetzung dieses Zieles erhofft sich die "Flugschrift" die Unterstützung der "Republik Frankreich".

Diese "Flugschriften" finden nicht nur in der Stadt ihre Leser. Da sie auf der "Schranne" meist heimlich in die Säcke gesteckt wird, verbreitet sich der "revolutionäre" Inhalt auch auf dem Land.

Durch die bloße Anwesenheit der Franzosen wagen sich die "Zensurbehörden" nicht, entschlossen gegen die "Flugschriften"vorzugehen.

Um den 15. August 1800 München * Eine Delegation der Patriotenwendet sich an GeneralCharles Matthieu Isidore Decaën und bittet ihn um Unterstützung für einen Aufstand gegen den Kurfürsten und seiner Regierung. Der General reagiert reserviert, da die französische Regierung keinen Aufstandunterstützen will, sondern vielmehr einen allgemeinen Friedenanstrebt. Er gibt zu Bedenken, dass eine Revolutionzur Beseitigung von Missständen

ein unabwägbares Risiko darstellt. Dagegen würde der weniger gewaltsame Weg von Reformengrößere Erfolgsaussichten bieten. Bei einer Revolutionwüsste man nie, was als Ergebnis herauskomme. Außerdem sei Baiern zu schwach, um alleine gegenüber Preußen und Österreich eine Veränderung seiner Staatsformdurchzuführen.

Dass GeneralDecaën mit seinen Aussagen strikt der französischen KonsulatsregierungNapoléons folgt, ist den Revolutionsführern, die sich selbst Münchner Jakobinernennen, in keinster Weise bewusst.Sie sehen in den französischen Generälennoch immer die Repräsentanten der Revolution. Doch Frankreich hat sich schon längst von den politischen Zielen des Nationalkonventsentfernt, dem es im Jahr 1792 noch um die Verbreitung der revolutionären Zieleund um die Befreiung der unterdrückten Nationengegangen ist. Im Gegenteil, Frankreich will inzwischen die Entstehung einer großen süddeutschen Republikmit allen Mitteln verhindern und stattdessen zu separaten Bündnissen mit den einzelnen deutschen Fürsten gelangen.

Um den 20. August 1800 München * Als die Münchner Bürger-DelegationMoreau nochmal aufsuchen will, lässt er sie nicht mehr vor. Verärgert lässt ihnen der französische Oberbefehlshaberausrichten, er würde sie, falls sie ihn nochmal belästigen sollten, die Treppe hinunterwerfen lassen. Schroffer kann die Abfuhr nicht ausfallen. Die französische Besatzungstruppe hat kein Interesse an einer Kooperation mit den Rebellen. Gegenüber dem Münchner

Seite 213/814 Bürgerwehr-KommandantenFelix Joseph Lipowsky ruft Moreau aus: "Mein Gott! Man weiß nicht was man will! Eine Republik kostet viel Blut, wir haben sie".

Damit ist der Plan eines republikanischen Umsturzesgescheitert. Scheinbar ist die Unzufriedenheit über die kurfürstliche Politikdochnicht so stark und so verbreitet, dass sie eine Aufstandsbewegungwirklich getragen hätte.

3. Dezember 1800 München * Da sich in München zunächst die Nachricht verbreitet, die Österreicher hätten in der Schlacht in Hohenlinden gewonnen, macht sich die Angst breit, nun könnten die zurückgebliebenen französischen Truppenteile Verteidigungsmaßnahmen ergreifen, die sich für die Stadt als gefährlich erweisen würden.

Um ihn davon abzubringen, bietet man dem Platzkommandanten Briant 100 Luisdors an. Briant lehnte das Ansinnen ab, weil diese Summe für einen Platzkommandanten zu "unwürdig" sei, mit 200 Luisdors wäre er allerdings schon einverstanden gewesen. Der Magistrat lässt ihm daraufhin den Betrag überreichen. Erst später verbreitet sich die Siegesmeldung der Franzosen.

Anschließend ziehen sich die Österreicher hinter ihre Grenze zurück. Die Baiern haben dagegen die Franzosen als Besatzungsmacht im Land und müssen sechs Millionen Gulden Kontribution, die Staatseinnahmen eines Jahres, zahlen.

Die Landschaft verlangt daraufhin, dass das Kurfürstentum Baiern kein Bündnis gegen Frankreich mehr eingehen dürfe. Ein politisches Zusammengehen mit Österreich ist somit für die nächsten Jahre ausgeschlossen.

9. Februar 1801 Lunéville * Zu den Gewinnern des Friedensvertrages von Lunéville gehört auch der baierische Kurfürst Max IV. Joseph. Denn dem genannten Verlust von 200 Quadratmeilen und 730.000 Einwohnern steht ein Gewinn von 288 Quadratmeilen und 843.000 Einwohnern gegenüber.

Das Kurfürstentum Baiern erhält die Hochstifte Freising, Augsburg, Bamberg und Würzburg, Teile der Hochstifte Eichstätt und Passau, dreizehn Reichsabteien und fünfzehn Reichsstädte in Franken und Schwaben. Freilich noch nicht die Großen: Augsburg und Nürnberg. Baiern kann sich dadurch jedoch territorial maßgeblich erweitern.

9. Februar 1801 Lunéville * Der Friedensvertrag von Lunéville legt auch fest, dass die Franzosen die von ihnen besetzten rechtsrheinischen Gebiete räumen. Dennoch lassen sich die französischen Soldaten mit ihrem Abzug aus München ausreichend Zeit.

In ihrem Siegestaumel kommt es zu einer Vielzahl von Ausschreitungen. Mit ihren Räubereien, Erpressungen und sogar etlichen Mordtaten betrachten sie die Münchner bald als Plage.

Auch, als sie als Wachen an den Stadttoren auf die Idee kommen, von jedem Passanten 24 Kreuzer Zoll zu verlangen. Erst nach wiederholten Protesten der Betroffenen verbietet der Platzkommandant diese Eigenmächtigkeit. Die aus dem Osten abrückenden französischen Militäreinheiten belasten die Münchner mit zusätzlichen Quartierlasten.

Seite 214/814 9. Februar 1801 Lunéville * Im Friedensvertrag von Lunéville ist auch abschließend festgelegt worden, dass die linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgetreten werden müssen. Napoleon Bonaparte erreicht damit ein Ziel jahrhundertelanger französischer Politik.

Pfalzbaiern muss neben den bereits verloren gegangenen Herzogtümern Zweibrücken und Jülich sowie der linksrheinischen Kurpfalz nun auch noch die rechtsrheinische Kurpfalz um Mannheim und Heidelberg an Baden abgeben.

Das bedeutete einen Verlust von 200 Quadratmeilen und 730.000 Einwohnern. Den von den Landverlusten betroffenen Fürsten wird allerdings ein Ausgleich zugestanden, der jedoch "aus dem Schoß des Reiches" kommen muss.

Und weil dieses nur aus säkularisiertem Kirchenbesitz und aus den mediatisierten Reichsständen erfolgen kann, bedeutet das in der Konsequenz gleichzeitig das Ende des alten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.

29. Juli 1801 München - Mannheim * Verärgert und sehr deutlich im Ton schreibt Kurfürst Max IV. Josephnach der Ablehnung des Münchner Bürgerrechtsan den Pfälzer Weinwirt Johann Balthasar Michel aus Mannheim dem Stadtrat:

"Nach reifer Überlegung und mit der Gewißheit, daß das Recht auf meiner Seite ist, befehle ich hiermit dem meinen Stadtmagistrat, spätestens morgen Abends 6 Uhr, dem Handelsmann Michel von Mannheim, das Bürgerrecht zu ertheilen, widrigenfalls ich mich genöthigt sehen würde, die strengsten Mittel zu ergreifen. Für den geringsten Exceß haftet jedes Magistratsglied persönlich".

24. August 1801 München - Paris * Baiern schließt mit Frankreich einen Vorvertrag ab, dem es Kurfürst Max IV. Joseph ermöglicht, seine in Aussicht gestellten Entschädigungsgebiete bereits vor der Verabschiedung des Reichsdeputationshauptschlusses in Besitz nehmen zu können."In Paris begann ein Handel mit deutschen Bistümern, Abteien, freien Reichsstädten, wobei die fürstlichen Bewerber vor dem ersten Konsul [?] in Regensburg um die Wette krochen. Es war ein höchst widerliches Schauspiel."

Österreich will Baiern zuvor als Entschädigung für seine eigenen Kriegsverluste einverleiben. Dieses Ansinnen kann letztlich nur durch die Intervention von Russland und Großbritannien verhindert werden. Für Kurfürst Max IV. Joseph und seinenMinister Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas ist aufgrund dieser Erfahrung eine Annäherung an Frankreich naheliegend.

1802 Au*Die "Rumford-Suppenanstalt" wird gegründet.

Das Grundrezept der "Rumford-Suppe" besteht aus Wasser, Kartoffeln, Graupen, Erbsen, Salz, Weinessig oder saueres Bier. Auf tausend Portionen Suppe kommen drei Pfund gerstenkorngroß geschnittenes Fleisch. Nach stundenlangem Kochen wird die Suppe gallertartig dick. Dazu gibt es noch einige Stückchen hartes Brot, um das zur Verdauung notwendige Kauen zu fördern.

Seite 215/814 25. Januar 1802 Kurfürstentum Baiern*Das kurfürstliche Dekret zur Aufhebung der Bettelordensklösterin Baiern beginnt mit der Feststellung,

dass die Bettelordendie "Fortpflanzung des Aberglaubens und der schädlichen Irrtümer" begünstigen und die Entstehung und Entwicklung "richtiger Begriffe der moralischen Bildung im Volke" verhindern, weshalb die fortdauernde Existenz der Mendikantenklösterzwecklos und schädlich für die Bürger ist.

In Altbaiern sind davon einundneunzig derartige kirchliche Einrichtungen betroffen. In München sind folgende Bettelorden betroffen: Kapuziner, Franziskaner, Karmeliten, Karmelitinnen, die Benediktinerinnen am Lilienberg, die Paulanerinnen im Lilienthalund das Pütrichkloster.

Zur zweckmäßigen Einrichtung der Bürger- und Landschulenwird ein Schulfondseingerichtet, der aus dem Vermögen der aufgehobenen Orden gebildet wird, da es an anderweitigen staatlichen Mitteln mangelt.

Zur sofortigen Verminderung der Insassen werden

alle Ausländer, das heißt, die nicht in Pfalzbaiern geborenen Klostermitglieder, in ihre Heimat geschickt, die Laienbrüderin die Prälatenklösterversetzt und Kleriker, die noch keine Profeßabgelegt haben, entlassen. Neuaufnahmen und das Überwechseln von Ordensangehörigen in andere Klöster wird streng untersagt. Priestermönchekönnen unter bestimmten Voraussetzungen in den Weltpriesterstandübertreten, was dem Staat die Pensionskosteneinsparen hilft. Alle übrigbleibenden Klosterindividuensollen in Zentralklöster- in Wirklichkeit Aussterbeklöster- ihres Ordens verbracht werden. Außerdem ist den Franziskanernkünftig nur noch Predigt und Beichthörenin der eigenen Ordenskircheerlaubt, jedoch keinerlei Seelsorgeaushilfe. Dazu unterstehen sie der verschärften Aufsicht der zuständigen Landrichter.

Als Unterhalt für die Franziskanersetzt man, da ihnen das Almosensammelnverboten worden ist, jährlich 125 Gulden fest, zahlbar aus dem Vermögensfonds der nichtständischen Klöster.

Der Inhalt des Aufhebungsdekreteswird öffentlich nicht bekannt gemacht. Die ganzen Vorbereitungen der staatlichen Klosteraufhebungenlaufen bis zur Ausführung im Wesentlichen geheim. Das verstärkt die Unsicherheit und lässt jede Gegenwehr erlahmen. Ebenfalls besteht Unkenntnis über die Befugnisse der eingerichteten Spezialkommission.

Ausgenommen vom kurfürstlichen Aufhebungs-Dekret der Bettelordensklöstersind - aufgrund ihrer Tätigkeit in der Krankenpflege beziehungsweise im Schulwesen - die Klöster derBarmherzigen Brüdersowie derEnglischen Fräuleinund derElisabethinerinnen.Das Kloster derUrsulinenin München wird mit denNonnen de Notre Damein Nymphenburg vereinigt.

Seite 216/814 In der Haupt- und Residenzstadt München gibt es nur einständisches Kloster: dasKlarissen-Kloster zu Sankt Jakob am Anger.

Februar 1802 München-Lehel*Der mit der Klosteraufhebung betraute "Rechnungskommissär" Ilg findet Anfang Februar 1802 im Leheler Kloster zehn Patres und einen Frater vor.

Die "Hieronymiten" werden den Bettelorden zugerechnet, weshalb man sie konsequenterweise in die Aufhebung der "nicht-ständischen Klöster" mit einbezieht.

Weil aber die "Hieronymiten" im Lehel auch die Seelsorge versehen, können sie die allgemeine Klosteraufhebung - trotz einiger Probleme - einige Jahre überdauern.

6. Februar 1802 München-Kreuzviertel*Graf Philipp von Arco beschlagnahmt im Kapuziner-Klosterdas Bargeld und die Stiftungskapitalien. Das Kapuziner-Klosterwird von 24 Patres und elf Laienbrüdern bewohnt. Sie sollen in das Zentralklosterin Rosenheim gebracht werden.

6. Februar 1802 München-Graggenau * Graf Philipp von Arco beschlagnahmt im Franziskaner-Klosterdas Bargeld und die Stiftungskapitalien. Im Franziskaner-Klosterleben dreißig Patres und fünf Laienbrüder. Sie sollen in das ehemalige Augustiner-Klosterin Ingolstadt gebracht werden.

7. Februar 1802 München-Kreuzviertel*Das Karmeliten-Klosterwird aufgehoben und das Bargeld sowie die Stiftungskapitalien eingezogen. Im Karmeliten-Klosterleben 31 Patres und vier Laienbrüder.Wer nicht in den Weltkleruswechselt, soll in das Franziskaner-Klosterin Straubing kommen, das zum Zentralkloster für die Karmelitenbestimmt worden ist.

25. Februar 1802 München-Graggenau*AufhebungskommissarGraf Philipp von Arco ist mit der Auflösung des ältesten Mönchskonventsder Stadt beauftragt worden.Ein genaues Inventar des Franziskaner-Klostersergibt ein recht bescheidenes Kapitalvermögen. Umfangreich war hingegen der Bestand an Kunstwerken zur Ausstattung der Kirchen mit nicht weniger als fünfundzwanzig Altären.

Die Aufnahme des Personalbestandes ergibt,

dass im Hauptkloster Sankt Antondreißig Patres, drei Kleriker und vierzehn Laienbrüder leben, im Hospiz am Angersind vier Patres und ein Laienbruder, im Hospiz Josephsburgdrei Patres und ein Laienbruder untergebracht. Einen Laienbruderschickt man als Ausländerin seine Heimat Berchtesgaden zurück. Vier weitere Ausländerlässt man aus triftigen Gründen vorübergehend im Kloster. Für einen nicht transportfähigen alten und kranken Patersetzt sich Graf Arco nachdrücklich ein: "Ihn seinem

Seite 217/814 Schicksal überlassen, hieße der ganzen Klosteraufhebung den Stempel der Grausamkeit aufdrücken und würde eine üble Wirkung bei dem Volke zurücklassen". Fünf Laienbrüderwerden in Abteienverwiesen, die übrigen Franziskanersollen möglichst bald nach Ingolstadt gebracht werden.

Die Ordensmännerwissen zwar, dass ihr Kloster aufgehoben wird, darüber hinaus sind ihnen aber weder der genaue Zeitpunkt noch die besonderen Umstände mitgeteilt worden.

25. Februar 1802 München-Graggenau * Es ergeht eine weitere wichtige Instruktion zur Klosteraufhebung. Sie ist unmittelbar für das Franziskanerkloster St. Anton in Münchenbestimmt, wird aber richtungweisend für die tatsächliche Durchführung der Klosteraufhebungen.

Sofort nach Erhalt der Instruktionmuss sich Graf Arco in das Kloster begeben, das Bargeldzählen und das übrige Klostervermögenfeststellen. Anschließend haben sich alle Klostermitglieder im Refektoriumzu versammeln, wo ihre Personalien, Beschäftigungen und besonderen Einsätze schriftlich festgehalten werden.Bei diesem überfallartigen Vorgehen geht es um Geld und sonstiges für die Staatskasseinteressantes Vermögen und um weitere Einsparungen für den Staat.

Dem Kommissarist eingeschärft worden, "diesen Auftrag in der vorgeschriebenen Ordnung mit allem Eifer, Schnelligkeit und der Sache angemessenen Anstand in Vollzug zu bringen". Die Ergebnisse gehen an die Spezial-Klosterkommission.

Der weitere Inhalt der Instruktionlautet kurz gefasst:

Alle Ausländersind umgehend in ihre Heimat zu schicken; sie erhalten 25 Gulden Zehrgeldund einen Reisepass; aber Abreisetag und Reiseroute werden genau festgelegt. Wer gesund und nicht zu alt ist, muss drei Tage nach der Mitteilung auswandern; nur einige Alte und Gebrechliche erhalten Aufschub bis April. Das Sammelnauf der Reise ist den Mönchen strengstens verboten.

Alle inländischen Laienbrüder, die in das bürgerliche Leben zurückkehren wollen, erhalten zum Auszug25 Gulden und die nötigen Kleider.

Diejenigen, die den Ordensstand nicht verlassen wollen, sind - bis auf wenige, die noch zu den nötigsten Hausarbeiten als Gärtner, Köche, in der Brauerei und so weiter benötigt werden - auf die oberpfälzischen oder baierischen Prälatenklösterals Konventdiener oder Pfründnerzu verteilen. Die nach Abzug der Krankenund Ausländischenverbliebenen sieben Laienbrüderdes Münchener Franziskanerklosterssind in ständische Abteienzu schicken.

Die kurfürstliche Verordnunggibt auch Anweisung über den möglichen Rücktritt von Priestermönchen der Mendikantenordenin den Weltpriesterstand.

Seite 218/814 Diese Mönche müssen sich einer Prüfung durch die Spezial-Klosterkommissionunterziehen. Dabei werden weniger ihre theologischen Kenntnisse begutachtet, sondern vielmehr festgestellt, "ob die Austretenden auch im Sinne der Staatsauffassung genügend aufgeklärt" sind. Haben die Aspirantenihre Prüfung bestanden, erhalten sie von der Kommission die Erlaubnis zum Überwechselnmit einer jährlichen Pension von 125 Gulden.

26. Februar 1802 Hofmark Berg am Laim * Die seit dem Jahr 1693 bestehende Zusammenarbeit zwischen der Michaels-Bruderschaftund dem Franziskaner-Ordendauerte bis zur Klosteraufhebungim Rahmen der Säkularisationan.

Bis diese staatlich verordnete Zwangsmaßnahme eintritt, verrichten die Münchner Franziskaner zum heiligen Antonius von Paduaden Gottesdienst und die Seelsorge in den franziskanischen Frauenklösternder Stadt und leiteten auch deren Wirtschaftsbetriebe. Bei den etwa sechzig Klarissen zu Sankt Jakob am Angerbesitzen die Mönche eine ständige Niederlassung.Dieses Hospizwird zumeist von zwei Patresund einigen Brüdernbewohnt.

März 1802 München-Kreuzviertel*Das Münchner "Augustinerkloster" wird als "Zentralkloster" für alle "Augustiner-Eremiten" in "Kurbaiern" genutzt.

So werden hier die vormaligen "Konvente" aus Ingolstadt, Passau, Seemannshausen und Schönthal vereinigt. Jene "Kleriker", die noch nicht die "ewige Profess" geleistet haben, werden freilich sofort aus dem Orden entlassen.

17. März 1802 München - München-Lehel - Au *Die "Polizeidirektion" wird mit der Gründung einer Einrichtung beauftragt, die dann als "Kleinkinderbewahranstalt" und heute - in der Weiterentwicklung - als "Kindergarten" oder "Kinderhort" bezeichnet wird.

Im Focus stehen "unbemittelte Eltern, die sich außer Haus begeben müssen, um sich vom täglichen Handlohn zu ernähren". Denn diese "müssen häufig ihre kleinen Kinder einsperren oder unbesorgten Nachbarn anvertrauen, sie auch gar frei herumlaufen lassen, wodurch Unglücksfälle entstehen und die sittliche Erziehung benachteiligt wird".

Eine solche Einrichtung soll in der Stadt und im Lehel eingerichtet werden. Auch das "Gericht ob der Au" und das "Hofmarkgericht Haidhausen" können Vorschläge einreichen.

27. März 1802 München-Kreuzviertel * In aller Frühe werden 25 Kapuzinerin das Zentralklosternach Rosenheim gebracht.

Um den 1. Mai 1802 Au * Im "Bendektinerinnenkloster am Lilienberg" leben 17 "Chorfrauen" und sechs "Laienschwestern" im

Seite 219/814 "Konvent".

Zwei "Novizinnen" werden sofort entlassen, eine 73-jährige geistesgestörte Nonne wird in die "Irrenanstalt" gebracht.

22. Mai 1802 Au * Den Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergwird ihre Versetzung mitgeteilt. Jeder wird erlaubt, ihr Bett und den übrigen Hausrat ihrer Zelle mitzunehmen. Um jegliches Aufsehen zu vermeiden wird einigen Nonnen erlaubt, ihre Eltern und Verwandten in München in geschlossenen Wägenzu besuchen.

29. Mai 1802 Au * In der Frühe um 4 Uhr werden die ersten der zwanzig verbliebenen Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergin das ständische Kloster der Benediktinerinnennach Geisenfeld gebracht.

31. Mai 1802 Au * Die restlichen Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergwerden in die ständischen Klöster der Benediktinerinnennach Kühbach und Hohenwart gebracht. Die Mädchenschulewird von zwei weltlichen Lehrerinnen weitergeführt.

Anfang Juni 1802 Au * Die Versteigerung des Mobiliars aus dem "Kloster am Lilienberg" bringt 3.024 Gulden in die Staatskasse.

15. Juni 1802 München-Kreuzviertel - Neuburg * Um 4 Uhr früh wird ein Teil der zwanzig Karmelitinnen und zwei Novizinnen auf Wägen gesetzt und in ihre neue Niederlassung nach Neuburg gebracht, wo sie am späten Abend ankommen. Zu Protesten der Bevölkerung kommt es nicht.

19. Juni 1802 München-Kreuzviertel - Neuburg * Um 4 Uhr früh werden die restlichen Karmelitinnenin ihre neue Niederlassung nach Neuburg gebracht.

28. Juni 1802 München-Graggenau * Die Abbrucharbeiten am Franziskaner-Klosterbeginnen.

23. Juli 1802 München-Kreuzviertel * Dreißig Karmelitenund vier Laienbrüder werden in das ehemalige Franziskaner-Klosternach Straubing gebracht.

19. August 1802 Salzburg - Berchtesgaden * Die Stadt Salzburg und die Fürstprobstei Berchtesgadenwerden von den

Seite 220/814 österreichischen Truppen für Ferdinand III. von Toskana, dem jüngeren Bruder von Kaiser Franz, militärisch besetzt.

20. August 1802 Salzburg - Mühldorf * Das in Salzburg sitzende Hofratsdirektoriumteilt dem Mühldorfer PflegerSiegmund Christoph von Hartmann mit, dass für eine militärische Besetzung der Stadt keine rechtlichen Grundlagen vorhanden wären und diese einen massiven Rechtsbruch darstellen würde. Doch sei angesichts der Lage ein "aktiver Widerstand nicht angemessen".

14. September 1802 Au * Weil es kein zweites Paulanerinnen-Klosterin Baiern gibt, werden die 17 Schwestern in ständische Frauenklösterzur unentgeltlichen Verpflegung versetzt. Am 14. und 15. September werden die Paulanerinnen vom Kloster Lilienthal in der Auin ihre ihnen zugewiesene Klöster abtransportiert:

sechs zu den Brigittinnennach Altomünster, sechs ins ZisterzienserinnenklosterNiederschönenfeld und die restlichen fünf ins AugustinerinnenklosterNiederviehbach.

1. Oktober 1802 München-Schloss Nymphenburg - Mühldorf* Eine Abordnung Mühldorfer Bürger überreicht dem Kurfürsten Max IV. Joseph im Schloss Nymphenburgeine Bittschrift, in der sie zum Ausdruck bringen, wie sehr sich die Bevölkerung freut "dem durchläuchtigsten Churhause Baiern einverleibt" zu werden. Damit gehe "ein Wunsch, der schon Jahr Zehnte in unseren Herzen glühte in Erfüllung".

4. Oktober 1802 Au * Eine weltliche Lehrerin betreibt die ehemalige Klosterschule am Lilienberg. Nachdem Ende Mai die Benediktinerinnen vom Kloster Lilienbergweggebracht worden waren, hatten achtzig Schülerinnen keine Lehrerin mehr.

11. Oktober 1802 Au * Dem bisher als Klosterbrauereigeführten Paulaner-Bräuhauswird eine "ordentliche und reale Bräugerechtigkeit" bewilligt.

November 1802 München-Graggenau * Die Gebäude des "Franziskanerklosters" werden an die Meistbietenden "auf Abbruch" versteigert.

Die "Franziskanerkirche" erwirbt der "Hutmacher" Johann Giglberger um 1.152 Gulden zur sofortigen "Demolierung".

Seite 221/814 November 1802 München-Graggenau * Mit dem Abbruch der "Franziskaner-Klostergebäude" verschwindet auch der Friedhof mit seinen Gruftkapellen und den Gräbern zahlreicher Persönlichkeiten.

Einige Grabplatten werden vorsorglich als historische Monumente an die "Frauenkirche" übergeben. Graf Törring-Gronsfeld lässt drei Epitaphen von Familienangehörigen in die Bogenhauser "Georgskirche" bringen.

Das Epitaph des im Jahr 1594 verstorbenen Renaissancekomponisten Orlando di Lasso befindet sich im "Nationalmuseum", den Schädel des Wilhelm von Occam erhielt die "Bayerische Akademie der Wissenschaften".

Und noch beim Bau der Tiefgarage auf dem "Max-Joseph-Platz" beförderten die Bagger eine große Zahl von Knochen zutage.

November 1802 Freising * Nach der "Säkularisierung Freisings" erhält der "Baierische Staat" die jährliche Pauschalsumme als "Rekognition für die Verlegung der Brücke".

3. November 1802 München-Kreuzviertel * Das ehemalige und inzwischen umgebaute Karmeliten-Klosternimmt das Wilhelms-Gymnasium, das bisher im ehemaligen Jesuitenkolleguntergebracht war, auf. Es bleibt bis 1826 in diesen Räumen.

6. Dezember 1802 Werdenfelser Land * Freiherr Johann Adam von Aretin eröffnet um 8:30 Uhr mit einem Festgottesdienst die Besitzergreifungsfeierlichkeiten der Reichsgrafschaft Werdenfels.Damit endet die über 500 Jahre andauernde bischöfliche Herrschaft über dasWerdenfelser Land. An den öffentlichen Gebäuden wird das kurbaierische Wappen angebracht und die "Zivilbesitzergreifung durch Verruf" bekannt gemacht.An der großen mittäglichen Festtafel dürfen allerdings nur geladene Gäste teilnehmen.

23. Dezember 1802 Kurfürstentum Baiern * Der Schulzwang, die allgemeine Schulpflicht, für "alle Kinder vom 6. bis 12. Lebensjahre", wird eingeführt. Wöchentlich müssen von den Eltern dafür 2 Kreuzer bezahlt werden. An diese Grundschulzeitschließt sich für die 13- bis 18-jährigen eine Sonntagsschulean, in der ihnen der Katechismusund weiteres Grundwissen gelehrt wird.

Der Staat ist damit für die Erziehung verantwortlich, weshalb er neue Schulen und bessere Lehrer braucht.Dafür werden eigene Lehrerseminareeingerichtet.Die lokale Schulaufsichtliegt freilich weiterhin bei den Pfarrern.

1803 München-Graggenau * In einer Stadtbeschreibung wird über das Treiben im "Hofgarten" folgendes berichtet:

"Hier wird an Sonn- und Feiertagen jeder neue Putz zur Schau getragen, hier ist der offene Markt der Reize, hier wird geschmachtet, geseufzt, getändelt und geliebäugelt. [...]

Seite 222/814 Zuckerwerk und andere Näschereien werden feilgeboten, das außen angebaute Kaffeehaus reicht Erfrischungen aller Art".

1803 München-Englischer Garten * Das "Dianabad" beim "Englischen Garten" öffnet seine Pforten.

Zur luxuriösen Ausstattung gehören neben 51 Hotelzimmern auch zwei geräumige und mit viel Pomp ausgestattete "Festsäle". Die Badewannen bestehen aus innen verzinktem Kupfer.

1803 Au * Das "Hofkrankenhaus für kurfürstliche Hofbedienstete" am heutigen Kolumbusplatz wird in eine "Irrenanstalt" umgewandelt.

Bis dahin sind die Geisteskranken im "Haus für Wahnsinnige" im Münchner "Heiliggeistspital" untergebracht. Da die Räume im "Heiligeistspital" für die "Irren" auf Dauer aber nicht ausreichen, kommt es zur Verlegung an den Kolumbusplatz, wo diese Einrichtung unter dem Titel: "Magistratisches Krankenhaus zu München" oder auch "Irrenhaus Giesing" zum schlechten Ruf der Vorstadt beiträgt.

Bis dahin befinden sich im Heiliggeist-Spital "22 Narren". Im "Josephsspital" sind neben anderen Kranken und "Pfründnern" noch epileptische Patienten - die sogenannten "unschädlichen Narren" - untergebracht.

Das Erdgeschoss des "Giesinger Irrenhauses" ist für die "ganz Tollen" bestimmt und enthält - neben dem Wärterzimmer - dreizehn Zellen. Jede Zelle hat zwei Türen: die dicke innere, welche von außen versperrt werden kann und die äußere Türe, die aus Holz ist und die "Ausbrüche der Tollheit" weniger hörbar machen soll. Das obere Stockwerk ist für ruhige "Wahnsinnige" bestimmt. Es enthält neun Zellen und ein Wächterzimmer. Im "Irrenhaus" ist eine Kapelle eingerichtet, die mit einem "eisernen Vorhang" vom "Speisezimmer der Irren" abgetrennt ist. Besonders verehrt werden dort die "Haare der Muttergottes". Das sind "Berührungsreliquien", die die "echten Haare der Muttergottes" - aus dem "Pantheon" zu Rom - berührt haben.

1803 Weihenstephan * Kurfürst Max IV. Joseph gründet im säkularisierten Klostergut von Weihenstephan die erste baierische "Musterlehranstalt für Landwirthschaft".

Damit wird das Bierbrauen erstmals zum wissenschaftlichen Lehrgegenstand erhoben.

1803 München-Angerviertel- Au * Der Auer Wirt Kaspar Barthmann kauft die "Singlspielerbrauerei" mit allen Zubehör: von der Bettwäsche und den Zinntellern über Brauerei- und Schäfflerrequisiten, Wagen und Pferde, Häuser, Märzenkeller und Wiesengründe.

10. Januar 1803 München-Kreuzviertel * Das Religionsediktbringt die Gleichberechtigung von Katholiken, Lutheranerund Reformierten. Aus Anlass der Aufnahme fränkischer und schwäbischer Gebiete in denimmer größer werdenden

Seite 223/814 baierischen Staat kommt es zu nachstehenden Bestimmungen:

"Bei künftiger Besetzung der Staatsämter werden Wir nur auf die Würdigsten, ohne Unterschied der im deutschen Reiche eingeführten drei christlichen Religionen [gemeint sind dieKatholiken, LutheranerundReformierten] den landesväterlichen Bedacht nehmen.Keinem unserer Untertanen, von welcher Konfession er sei, soll je etwas zugemutet werden dürfen, welches seiner Religions- oder Gewissensfreiheit entgegen wäre."

Doch der Mann, der die positive Entwicklung der evangelischen Kirche in Bayern bremsen wird, steht in der Person des Kronprinzen Ludwig I. schon bereit.

25. Februar 1803 Regensburg * Die letzte Tagung des "Immerwährenden Reichstags" befasst sich mit der Annahme des Reichsdeputationshauptschlusses. Es ist das letzte bedeutende Gesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationund behandelt die Neuordnung des Reiches.

Im Reichsdeputationshauptschlusserfolgt die Kompensationfür die Abtretung der linksrheinischen Gebiete an Frankreich. Grundlage für den Text ist ein im Juni 1802 zwischen Frankreich und Österreich vereinbarter Entschädigungsplan, der wiederum auf den am 9. Februar 1801 geschlossenen Friedensvertrag von Lunévillezurückgeht.

Die Wittelsbacher haben aber nicht nur die Herzogtümer Zweibrücken und Jülich sowie die linksrheinische Kurpfalz verloren, sondern müssen jetzt auch noch die rechtsrheinische Kurpfalz um Mannheim und Heidelberg an Baden abgeben.

Doch durch den § 2 des Reichsdeputationshauptschlusseserhält das kurfürstliche Baiern

das Fürstbistum Freisingmit der dazugehörigen Grafschaft Werdenfelsund die Herrschaft Isen-Burgrainoffiziell überschrieben; dazu die Fürstbistümer Augsburg, Bambergund Würzburgsowie Teile von Eichstätt, Passauund Salzburg. Zu den genannten Territorien kommen noch 15 Reichsstädteund 13 Reichsabteiendazu. Freilich noch nicht die Großen: Augsburg und Nürnberg. Doch damit werden wesentliche Teile Schwabens und Frankens bairisch.

Insgesamt stehen dem Verlust von 200 Quadratmeilen und 730.000 Einwohnern ein Gewinn von 288 Quadratmeilen und 834.000 Einwohnern aus den aufgelösten geistlichen Staaten und wirtschaftliche Werte von über 43 Millionen Gulden von den Klöstern gegenüber.

28. April 1803 München * Den Bruderschaftenwird das Tragen von Kutten verboten.

23. Mai 1803 London - Paris * Großbritannien erklärt Frankreich den Krieg. Die Kriegserklärung geht zwar von England aus, aber Napoleons Hegemonialpolitik hat stark zum Ausbruch des Krieges beigetragen.

Seite 224/814 1. Oktober 1803 München-Kreuzviertel * Die Aufhebung des Zentralklosters der Augustinerwird vollzogen. Bis auf drei alte Patresübernimmt nun auch der Rest des Konvents seelsorgerische Aufgabenaußerhalb des Ordens.

Die Insassen desAugustiner-Klosterssollen umgehend die Gebäude verlassen.Weil dieAugustinerin keinAussterbeklostergebracht werden sondern Anstellungen alsWeltgeistlicheannehmen, müssen sie in der Stadt eine Unterkunft suchen. Dadurch verzögert sich die Räumung des Klosters bis Anfang November. Die Kirche wird in der Folge zurMauthalle, zumZollamt, umgebaut.Die dazu notwendigen Arbeiten werden umgehend begonnen.

Das heimatlose Augustiner Christkindlfindet Obhut bei den Barmherzigen Schwestern der heiligen Elisabeth, die die Tradition der weihnachtlichen Verehrung des Gnadenbildes in ihrer Spitalkirche an der heutigen Mathildenstraße fortsetzen.

22. Oktober 1803 München-Graggenau * Die Wieskirche, Münchens wahrscheinlich älteste Kirche, wird gesperrt und zur städtischen Registraturumgewidmet. Sie wird 1880 abgebrochen.

14. November 1803 Haidhausen * Nachdem die Heilige Stiegeauf dem Gasteig beseitigt worden ist, wird der Grund an den KreuzbräuMathias Rottenkolber und den KreuzlgießergartenwirtHagn verkauft. Für die beiden Figuren und das Kruzifix behält sich die Stadt das Eigentumsrecht vor.

28. November 1803 München-Lehel * Die Johann-Nepomuk-Kapellezwischen den Isarbrücken wird abgebrochen.

1804 München-Isarvorstadt * Das Projekt "Ausbau des Torweges am Isartor" wird wieder aufgegriffen.

Der Grund liegt in dem seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmenden Verkehr durch das "Isartor".

Sowohl München als auch die Gemeinden rechts der Isar sind enorm angewachsen. Dem entsprechend erhöht sich auch der tägliche Pendelverkehr.

War die Ausfallstraße zu Rumfords Zeiten noch mit 28 Fuß [ca. 8,40 Meter] geplant worden, so fordert man jetzt eine Breite von 48 Fuß [ca. 14,40 Meter]. Die Regierung erhöht die Straßenbreite am 1. September 1807 sogar auf 100 Fuß.

Anno 1804 München-Lehel *Die Regierung hat beschlossen, in den ehemaligen Klostergebäuden der "Hieronymiten" die "kurfürstliche Leibjägerei" und die "Gewehrkammer" unterzubringen.

1804

Seite 225/814 Bogenhausen * Freiherr Maximilian Joseph von Montgelas lässt unterhalb Bogenhausen durch Oberst Adrian von Riedl eine Holzbrücke über die Isar errichten, die er als bequeme Verbindung nach München nutzt.

Sie hält bis zum Jahr 1812.

1804 Bogenhausen * Oberst Riedel baut die erste Isarbrücke bei Bogenhausen.

Sie hält bis zum Jahr 1812.

9. März 1804 München * Friedrich Ludwig Sckell übernimmt die extra für ihn geschaffene "Hofgartenintendanz" mit Sitz in München. Zu diesem Zeitpunkt ist der "Englische Garten" bereits weitgehend angelegt.

Freiherr Reinhard von Werneck wird seiner Stellung als "Direktor des Englischen Gartens" enthoben. Er wird vom Kurfürsten zum Trost zum "Generalmajor ála suite" befördert und mit der "Reorganisation des Kadettenkorps in München" beauftragt.

Für den "Englischen Garten" treten nun ökonomische Gesichtspunkte zugunsten der Anlage eines großflächigen "Landschaftsgartens" in den Hintergrund. Friedrich Ludwig Sckell legt aus diesem Grund einen "Plan A" an, der den vom ihm vorgefundenen Zustand der "Gartenanlage" festhält.

18. Mai 1804 Paris * Eine Änderung der Verfassung mit 74 Ja-Stimmen bei fünf Gegenstimmen und einer Enthaltung bringt Frankreich das Kaisertum. Auf Betreiben Napoleons einigt man sich auf den Titel eines Kaisers [= französisch: Empereur], da ein monarchischer Titel nötig ist, jedoch der des Königs unliebsame Erinnerungen wecken würde.

11. August 1804 Wien * Der deutsch-römische Kaiser Franz II. nimmt - ohne Rücksprache mit den Reichsfürsten und unter Bruch der Reichsverfassung - als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation den Titel eines erblichen Kaisers von Österreich an. Damit ändert er auch seinen Namen in Franz I. Joseph Karl.

Gleichzeitig gliedert er seinem Kaiserreich sämtlichen Reichsbesitz ein, über den er ohne Zustimmung des Reichstags eigentlich gar nicht hätte verfügen dürfen.

Seine Absicht ist, seine kaiserliche Hausmacht zu erhalten und auch im Fall des Untergangs des alten Reichs die Ranggleichheit mit Napoleon Bonaparte zu wahren. Den Titel des Erwählten Römischen Kaisers trägt er unabhängig davon bis zum 6. August 1806.

1805 München * Adrian von Riedl wird mit 59 Jahren in den Ruhestand versetzt.

Seite 226/814 Trotz seines grünen Paradieses am Rande des "Englischen Gartens" behagt ihm die Ruhe nicht, weshalb er den Bau einer Mühle plant. Der an seinem Grundstück vorbeifließende "Eisbach" mit einem Wasserdurchlauf von 22 Kubikmetern pro Sekunde erscheint ihm dafür ideal.

Ab 1805 Bogenhausen * Durch die ab der "Bogenhausener Brücke" in Richtung Oberföhring beginnende Isarregulierung durch Oberst Adrian von Riedl wachsen Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas 117 Tagwerk Grund zu. Auf dem Gelände entsteht später der heutige "Herzogpark".

Neben seinen Münchner Besitzungen hat Montgelas noch kleinere und größere Besitzungen über ganz Baiern verstreut.

1805 Schloss Nymphenburg * Der "Oberstbergrat" Josef von Baader erfindet eine "Wassertretmaschine"•, mit der er über die Nymphenburger Parkseen "radeln"kann.

Diese "Spielerei", wie er seine Erfindung selbst nennt, bringt ihn auf die Idee,ein ähnliches Fahrzeug auch für die Straße zu bauen.

Ganz aus Holz bastelt er dieses anno 1805 zusammen und unternimmt damit mehrere Versuchsfahrten zwischen München und Nymphenburg. Baader gilt seither als der erste Mensch, der "sich mit Hilfe von zwei Rädern fortbewegen konnte"•.

22. März 1805 München-Lehel * Kurfürst Max IV. Joseph überträgt der Militärbehörde das säkularisierte Kloster "der Hyronymitaner im Lehel nebst dem Garten, jedoch mit Ausnahme der Kirche, welche Wir zur Pfarrkirche bestimmt haben".

Der Regent will das "Kadetten-Korps" vom "Wilhelminum", hierher verlegen. Doch dazu müssen erst für die das Kloster noch bewohnenden drei "Hieronymiten" und drei kurfürstliche Jäger eine Unterkunft gefunden werden.

Und selbst dann war das Gebäude noch höchst ungeeignet, da zwischen dem südlich der Kirche liegenden "Konventtrakt" und dem an der Kirchen-Nordwand neu anzubauenden Erweiterungsbau das Gotteshaus liegt.

Die vorgelegten Baupläne stoßen auch wegen

der zu gering bemessenen Kadettenplätze, der nicht ausreichenden Unterrichtsräume und des fehlenden Zimmers "für die physikalischen Apparaturen" auf Kritik.

Vor allem missfällt dem "Kadettenerzieher", dass die Schlafräume für die zivilen Dienstmägde mitten im Unterkunftsbereich der Kadetten liegen und so "die skandalösesten Auftritte und Ausschweifungen" zu befürchten

Seite 227/814 wären.

Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass "die Lage des Hieronymitaner-Klosters, sowohl wegen dessen Verbindung zu den übrigen Kasernen, und hauptsächlich wegen dem nahe vorbeifließenden Wasser ungemein vorteilhaft zu einer Kaserne" ist.

11. April 1805 Petersburg * Napoleons Ambitionen im Nahen Osten führt zur Annäherung von Russland und Großbritannien. Sie schließen in Petersburg ein Bündnis, dessen erklärtes Ziel es ist, Frankreich auf die Grenzen von 1792 zu beschränken. Dem Bündnis treten Schweden und Neapel bei.

23. Mai 1805 London - Paris * Großbritannien erklärt Frankreich den Krieg.Das ist der Beginn des Dritten Koalitionskrieges. Österreich, Russland und England haben sich zur Dritten Koalitiongegen Frankreich zusammengeschlossen.

Wie soll sich Baiern verhalten, wo doch ein österreichisches Kriegsziel die Annexion Baiernswar?Neutralität kommt nicht in Frage, also müssen die Baiern ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen.

19. Juni 1805 München-Lehel * Die ehemaligen Hieronymiten-Möncheerhalten die Weisung, das Gebäude, "welches sie dermal bewohnen, weil es zu einem Staatszweck bestimmt ist", schnellstmöglich zu räumen. Zum Unterhalt erhält der Prior eine Jahrespension von 300 Gulden, die übrigen Patres jeweils 275 Gulden. Zur Auflage wird ihnen gemacht, "die pfarrlichen Verpflichtungen im Lehel" bis zur anderweitigen Verfügung pflichtgemäß zu versehen.

6. September 1805 Schloss Nymphenburg * Einhundert österreichische Husaren und Dragoner umzingeln - unter der Leitung des kaiserlichen Feldmarschalls Carl Philipp Fürst zu Schwarzenberg - Schloss Nymphenburg. Sie nötigen den sich dort aufhaltenden Kurfürsten Max IV. Joseph "ultimativ" zum Eintritt in die antifranzösische Koalition. Zur Unterstreichung seiner Forderung lässt der Feldmarschall das Schloss umstellen und von München abriegeln, worüber die baierische Bevölkerung entsetzt ist.

Offensichtlich will der Kurfürst, der den Vertrag von Bogenhausen noch nicht unterschrieben hat, schon dem österreichischen Drängen nachgeben, als Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas ernsthaft mit seinem Rücktritt vom Amt des Außenministers droht. Dem Kurfürsten und seinem leitenden Minister gelingt es immerhin, die Verhandlungen mit dem österreichischen Bevollmächtigten zu verzögern und die Österreicher über die baierischen Absichten bis zum 9. September im Unklaren zu lassen.

Unter dem Vorwand, den gerade in Frankreich weilenden Kronprinzen Ludwig nicht zu gefährden, erzielt Max IV. Joseph einen Zeitaufschub. Bis dahin hat die kurfürstliche Familie die Haupt- und Residenzstadt München heimlich in Richtung Würzburg verlassen. Auch die baierische Armee war inzwischen in Franken und in der Oberpfalz zusammengezogen worden.

8. September 1805 Kurfürstentum Baiern * Der Dritte Koalitionskrieg beginnt mit dem Einmarsch der Österreicher nach Baiern.

Seite 228/814 Rücksichtslos bestimmt Kaiser Franz II. Baiern zum Kriegsschauplatz. Noch sind die österreichischen Truppen im Glauben an ein gemeinsames Bündnis mit Baiern gegen Frankreich über die Landesgrenze gekommen, doch nun marschieren sie als Feinde nach München.

Die wertvollsten kurfürstlichen Besitztümer und die Gemäldesammlung können noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, um sie so vor feindlichen Beutezügenzu schützen. Auch der Kurfürst ist samt seiner Familie weit genug von der österreichischen Grenze entfernt, so dass er das Eintreffen der napoleonischen Truppen sicher abwarten kann.

9. Oktober 1805 Günzburg * Nach einem Gefecht bei Günzburg mit Truppen unter Erzherzog Ferdinand wird von dem vereinigtem französisch-baierischen Heer eine Donau-Brücke bei Günzburg gewonnen.

11. Oktober 1805 München * Als General Kienmayer von der erfolgreichen Donauüberquerung der Franzosen bei Günzburg erfährt, befiehlt er noch am Abend den allgemeinen Aufbruch.

28. Oktober 1805 Braunau * Napoleon Bonaparte nimmt mit seiner Grande Armée Braunau ein.

5. November 1805 Scharnitz - Innsbruck * Französische Truppen erobern die Festung Scharnitzund Innsbruck.

10. Dezember 1805 Brünn * Im französisch-baierischen Vertrag von Brünnbelohnt der Franzosenkaiser Baiern für seine Waffenhilfe und sichert ihm erneut zu, dass er im bevorstehenden Friedensvertrag mit Österreich Kaiser Franz II.

die Abtretung Vorarlbergs, der Gebiete in Schwaben und der Reste von Eichstätt und Passau zugunsten Baierns auferlegen will. Außerdem soll der Kaiser in Wien auf jegliche Oberhoheit über den Kurfürsten von Baiern, der den Königstitel annehmen wird, verzichten. Zudem sichert der französische Kaiser im Vertrag von BrünnBaiern die erbliche Königswürde zu.

Bereits im Vertrag von Bogenhausenhatte sich Napoleon Bonaparte verpflichtet, im Falle eine siegreichen Kriegsausgangs für eine weitere Vergrößerung Baierns einzutreten.

26. Dezember 1805 Bratislava * Österreich schließt mit Napoleon den Frieden von Preßburg, in dem es die im Vertrag von Brünn vom 10. Dezember 1805 festgesetzten Bestimmungen anerkennt. Der Friedensvertrag von Pressburg beendet den Dritten Koalitionskrieg.

Seite 229/814 Das hatzur Folge, dass Baiern die Markgrafschaft Burgau im heutigen Bayerisch-Schwaben, die Reste der Hochstifte Eichstätt und Passau, die freien Reichsstädte Augsburg und Lindau zugesprochen bekommt.

Österreich muss die Rangerhöhung des baierischen Kurfürsten zum König und Gebietsabtretungen akzeptieren.

1806 München * Weitere Flussregulierungsarbeiten an der Isar beginnen. Sie dauern bis 1812.

Die Isar wird in ein knapp 44 Meter breites Flussbett gezwängt. Dabei gräbt sich die Isar so tief ein, dass man das Flussbett im Jahr 1889 wieder auf 60 Meter erweitern muss.

1806 Düsseldorf - München * Der "Historienmaler" und bisherige "Direktor der Düsseldorfer Akademie und Gemäldegalerie", Johann Peter Langer, siedelt mit seinem Sohn Robert nach München über.

Johann Peter Langer soll im neu erhobenen "Königreich Baiern" die Leitung der seit dem Jahr 1770 bestehenden "Maler- und Bildhaueracademie" übernehmen und auf europäisches Niveau anheben.

Untergebracht ist die "Akademie der Bildenden Künste" in dem Teil des ehemaligen "Jesuitenkollegs" neben der "Michaelskirche" in der Neuhauser Straße, der zuvor vom "Wilhelmsgymnasium" genutzt worden war und seit dem Jahr 1781 die "Münchner Zeichnungsschule" [= "Maler- und Bildhaueracademie"] beherbergte.

1806 Au * Franz Xaver Zacherl pachtet die Brauerei der Paulaner.

1806 München-Englischer Garten - Lehel * Auf Friedrich Ludwig Sckells Wunsch hin werden die "Militärmühlen" an der Kreuzung von Schwabinger Bach und Eisbach stillgelegt und der Befehl zum Abbruch gegeben.

1. Januar 1806 Königreich Baiern - München-Graggenau * Das Kurfürstentum Baiern wird von Napoleon Bonaparte zum Königreich erhoben. Aus Kurfürst Max IV. Joseph wird König Max I. Joseph. Die Rangerhöhung Baierns wird extrem emotionslos vollzogen. Der nur wenige Minuten dauernde Akt der Königserhebungfindet um 10 Uhr, in den Appartements der Kurfürstin Karoline in der Münchner Residenz statt.

Obwohl Napoleon Bonaparte am Abend des Vortages in München eingetroffen ist, nimmt er nicht an der Zeremonie teil. Auch der leitende Minister Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas ist aus uns nicht bekannten Gründen abwesend.

Anwesend sind neben dem König und dem Kronprinzen Ludwig der Minister für geistliche Angelegenheiten, Heinrich Theodor Graf Topor Morawitzky, der Justizminister Johann Friedrich Freiherr von Hertling und

Seite 230/814 Abbé Pierre de Salabert.

Dazu kommen die Chefs der Königlichen Hofämter,

der Obersthofmeister Clemens Anton Graf von Toerring-Seefeld, der Oberstkämmerer Maximilian Emanuel Freiherr von Rechberg und Rothenlöwen, der Oberstmarschall Ludwig Joseph Freiherr von Gohren und schließlich der Oberststallmeister Carl Ludwig Freiherr von Kesling.

Dieser Männerrunde erklärt Max Joseph, er habe sich "durch die vielen Beweise von Treue und Anhänglichkeit der Baiern an ihren Fürsten und Vaterland bewogen befunden, Baierns Unabhängigkeit zu begründen, indem Allerhöchst Sie in dem gegenwärtigen Zeitpunkt, wo es durch die Vorsehung Gottes dahin gediehen, dass das Ansehen und die Würde des Herrschers in Baiern seinen alten Glanz und vorige Höhe zur Wohlfahrt des Volkes und zum Flore des Landes wieder erreicht, den dem Regenten Baierns angestammten Titel eines Königs von Baiern anzunehmen und öffentlich proklamieren zu lassen".

Er fügt noch hinzu, dass künftig alle direkten Abkömmlingeden Titel Königliche Hoheit führen werden. Daraufhin bringen die Anwesenden ihre Glückwünsche und Huldigungen zum Ausdruck.

1. Januar 1806 München-Graggenau * Der Brautvater,König Max I. Joseph, hat zwei Forderungen:

Erstens soll der Ort der Trauung zwischen der baierischen Prinzessin Auguste Amalie mit dem Stiefsohn Napoleons, Eugène Beauharnais, soll München und nicht Paris sein. Zum Zweiten soll sein zukünftiger Schwiegersohn die Königskrone von Italien erhalten.

Mit der Verhandlung wird MinisterMaximilian Joseph Freiherr von Montgelas beauftragt, der München als Ort der Eheschließung durchsetzen kann, allerdings an der Erhebung Eugénes zum König Italiens scheitert. Immerhin bleibt er aber Vizekönig.

1. Januar 1806 München * Die Erhebung Baierns zum Königreich ist alleine schon Grund genug, weshalb München nun einen Königsplatz, eine Königsstraße, eine Königinstraßeund sogar einen Platz und eine Straße für den KronprinzenLudwig I. braucht.

1. Januar 1806 München * Der Landesherold Joseph von Stürzer verliest an verschiedenen Orten der Stadt die Proklamation des Königreichs Baiernund bringt ein Hoch auf König Max I. Joseph aus. Eskortiert wird er von dreißig berittenen Angehörigen der Bürgerwehr.

Seite 231/814 1. Januar 1806 Königreich Baiern * Das Königreich Baiern erhält seinerstes Wappen, das radikal mit der heraldischen Tradition bricht. Vor 42 baierischen Rauten steht das Herzschild als Zeichen der Kurwürde, die ja bis zur Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation am 6. August 1806 weiterbesteht.

2. Januar 1806 München * Ein ursprünglich für den Neujahrstag geplantes Militärspektakel muss wegen der Königsproklamation auf den 2. Januar verlegt werden.

Dabei werden Kanonen, Gewehre und Fahnen präsentiert, die einst von kaiserlichen Soldaten als Trophäen nach Wien gebracht und nun von Napoleon als Zeichen der Verbindung von Frankreich und Baiern sowie der gemeinsamen Abgrenzung gegenüber Österreich im Triumph zurückgeführt worden waren.

10. Januar 1806 München * Drei Tage vor der Hochzeit, kommt der 23-jährige Bräutigam Eugène Beauharnais in München an. Seine 17-jährige Braut Auguste Amalie hatte "einen unkultivierten Protegé" des französischen Kaisers erwartet. Doch nun erlebt sie zu ihrer Überraschung einen "liebenswürdigen Edelmann".

13. Januar 1806 München-Graggenau * In der Grünen Galerie der Münchner Residenz findet die nach französischem Recht geforderte Ziviltrauung der Brautleute Eugène Beauharnais und Auguste Amalie, der ältesten Tochter des baierischen Königs, statt.

Karoline Murat, die Schwester Napoleons, bleibt, obwohl sie sich ja schon seit dem 20. Dezember in der Münchner Residenz aufhält, demonstrativ der Eheschließung fern. Sie gönnt der Familie Beauharnais die Verbindung mit dem Hause Wittelsbach nicht.

14. Januar 1806 München-Graggenau * Erst als die kirchliche Trauung in der Hofkirche folgt, sind die Brautleute Auguste Amalie und Eugène Beauharnais aus baierischer Sicht "richtig" verheiratet. Der Erzbischof von Regensburg, Karl Theodor von Dahlberg, übernimmt die Trauungszeremonie. Am Abend läuten wieder alle Glocken und Kanonenböller werden vor den Toren der Stadt gezündet. Auch die Straßen Münchens sind erneut illuminiert.

22. Januar 1806 Schönbrunn * Im Vertrag von Schönbrunn erhält das Königreich Baiern weitere Gebietserweiterungen:

Als Ersatz für das Herzogtum Berg erhält Baiern das Markgrafentum Ansbach, dazu sieben Herrschaften in Vorarlberg, die Grafschaften Hohenems und Königsegg-Rothenfels, die Herrschaften Tettnang und Argen am Bodensee sowie die ehemals gefürstete Grafschaft Tirol, die Baiern samt Trient und Brixen bekommt. Dafür müssen sie allerdings auf Würzburg verzichteten.

Seite 232/814 Um den März 1806 München * Madame Ernestine Rupertina Walburga von Montgelas vergleicht die in Baiern stationierten Truppen - gegenüber dem französischen Außenminister Talleyrand - mit "Blutegeln".

Sie schreibt: "Hat man, seit die Welt besteht, je so gefräßige Verbündete gesehen wie euch, die ihr euch zu einem Aufenthalt ohne Ende niedergelassen habt, ohne eine Miene zu machen zu zahlen? Aber wißt, daß man um diesen Preis auch Feinde dahaben könnte, und dann hätte man wenigstens das Vergnügen, den einen oder anderen oder allesamt umzubringen".

April 1806 München-Lehel * Eine Entscheidung über die künftige Verwendung des "Anna-Klosterareals" erfolgt jedoch erst, nachdem sich das "Dragoner-Regiment" über die zerstreute Unterbringung seiner Pferde beklagt.

In der folgenden Entscheidung heißt es, dass "inwendig an die Garten Mauer des Hieronymitanerklosters eine doppelte Stallung, welche wenigstens für 250 Pferde, oder womöglich mehrere Platz geben kann, erbaut [...] werden soll. - Das Kloster selbst ist alsdann zu der Unterbringung der Mannschaft zu verwenden".

16. April 1806 Berg am Laim * König Max I. Joseph erhebt die vormalige "Hof-, Erzbruderschafts- und Ritterordenskirche St. Michael" zur Pfarrkirche und den Pfarrer zum "Vorstand der Michaels-Bruderschaft".

Die "Stephanskirche" in Baumkirchen, die ehemalige "Pfarrkirche", wird Filialkirche der "Michaelskirche".

16. April 1806 Innsbruck - Tirol * Der österreichische General Chasteler trifft in Innsbruck ein, hat aber nichts mehr zu "befreien".

Mai 1806 München - Paris * Da man für die Königskrönung die entsprechenden Insigien braucht, wird der Pariser Juwelier Borgnis mit der Anfertigung der beiden Kronen, des Szepters, des Reichsapfels und des Reichsschwerts beauftragt.

6. August 1806 Wien * Franz II. muss als deutsch-römischer Kaiser abdanken und das durch die Geschehnisse der zurückliegenden Jahre geschwächte sowie durch den Austritt der Rheinbundstaaten zerbrochene Heilige Römische Reich Deutscher Nation auflösen.

1807 München * Im "Morgenblatt für gebildete Stände" heißt es zum Theater der breiten Masse:

Seite 233/814 "Endlich sind die bretternen Bühnen, auf welchen Schweiger und Lorenzoni den Sommer hindurch unser Publikum belustigen, geschlossen. Trauriges Zeichen der Zeit, wenn solche Gesellschaften auf eine sichere und im Verhältnis zu ihrem Werte glänzende Unterstützung zählen dürfen!

Manches Stück, das auf unserem Nationaltheater nicht ohne allen Eifer gespielt ward, fand ein leeres Haus, indessen Lorenzonis und Schweigers Hütten mit Zuschauern aller Stände angefüllt waren. [...] Dass übrigens beide Banden auf den ästhetischen Sinn unseres Publikums nachteilig einwirken, ist nicht zu bezweifeln.

Der häufige Anblick des Rohen, Plumpen und Ungeschliffenen, die gänzliche Geschmacklosigkeit, die in der Komposition und Deklamation der Stücke liegt, die Misstöne, welche besonders in den Singspielen unzählig sind, erzeugen Nachlässigkeit im Urteil und jene ärgerliche Genügsamkeit, die immer nur um den billigen Preis lachen will".

1807 München-Englischer Garten - Schwabing * Der künstlich auf einer Wiese angelegte "Kleinhesseloher See" wird unter der Leitung von Friedrich Ludwig Sckell auf seine heutige Größe von acht Hektar gebracht.

Die Arbeiten dauern bis 1812.

1807 München-Hackenviertel * Im Braujahr 1806/07 steht der "Hackerbräu" mit einem Verbrauch von 2.368 Scheffel Malz an der Spitze in München.

Die zwölf erfolgreichsten Münchner Brauereien haben einen Malzverbrauch von zusammen 18.067 Scheffel.

1807 München-Englischer Garten - München-Lehel * Friedrich Ludwig Sckell will den "Apollo-Tempel" wegen seiner "missglückten Proportionen" sowie der "schlechten Bauweise" abreißen lassen.

Er wird aber noch vermutlich bis 1838 stehen bleiben.

1807 Bogenhausen * Der französische Emigrant Dumenyl betreibt im Bogenhausener "Brunnthal" einen Badebetrieb mit Wirtschaft.

3. April 1807 München * Das "Mandat über die Uniformierung und Organisation des bürgerlichen Militärs in den Städten, Flecken und Märkten des Königreichs" wird erlassen.

Es bildet eine allgemein verbindliche Rechtsgrundlage für den Wach- und Sicherheitsdienst des "Bürgermilitärs", denn bisher hatten die Bürger diese Aufgabe ja freiwillig erfüllt.

Wichtigster Punkt für den Staat ist die neue allgemeine Musterungspflicht aller Bürger zum "Bürgermilitär".

Seite 234/814 Untaugliche müssen eine "Wehrersatzgebühr" bezahlen. Als Gegenleistung gesteht der Staat den "Offiziers- und Unteroffizierskorps" der einzelnen Waffengattungen des "Bürgermilitärs" ihre Ergänzung und Beförderung zu höheren Chargen zu.

Über die Aufgabe des "Bürgermilitärs" sagt das "Mandat" folgendes: "[...] Nie kehrt der Bürger seine Waffen gegen den äusseren Feind. Seine Bestimmung bleibt ausschliessend, den friedlichen, rechtlichen Einwohner zu beschützen, und die Wirkungen des Gesetzes gegen polizeiliche Vergehungen und das Verbrechen zu unterstützen. Er übernimmt demnach bei dem Abzuge der Feldregimenter aus den Garnisonen den Dienst daselbst, besorgt denselben in jenen Städten, wo keine gewöhnliche Garnison liegt, für beständig, um durch auszusendende Sicherheits-Patrouillen die Umgebungen vor allem, der öffentlichen Ruhe und Sicherheit gefährlichen Gesindel rein zu halten".

Das unmittelbare Kommando über das "lokale Bürgermilitär" hat der jeweils ranghöchste beziehungsweise rangälteste "Bürgeroffizier". Dieser untersteht wiederum in einer "Garnisonsstadt" der "militärischen Stadtkommandantschaft", ansonsten dem zivilen "Landrichter" oder "Polizeidirektor".

Der Vorschlag für ein "Pferderennen" aus Anlass der "Kronprinzenhochzeit" (1810) kommt aus den Reihen der "Königlich-Baierischen Nationalgarde III. Klasse". Diese entwickelt sich aus dem "Städtischen Wehrwesen". Dieses "Münchner Bürgermilitär" gehört nicht im eigentlichen Sinne zur "Münchner Garnison".

Die traditionelle Abgrenzung von "Armee" und "Bürgertum" beziehungsweise von "Garnison" und "Bürgerwehr" bleibt bis weit ins 19. Jahrhundert bestehen.

10. August 1807 München-Englischer Garten * Friedrich Ludwig Sckell fertigt einen "Plan B", den er gemeinsam mit "Plan A" samt einer erläuternden Denkschrift dem König überreicht.

Darin drückt er seine Unzufriedenheit mit der Art der Bepflanzung, der er das Fehlen von "pittoresken Ansichten" vorwirft, und der architektonischen Gestaltung der zumeist aus Holz errichteten "Parkbauten" aus. Diese sind nach seiner Meinung weder stabil genug gebaut, noch entsprechen sie der "reinen Baukunst".

Den "Chinesischen Turm" will er sofort abreißen lassen, da "der Chinesische Geschmack der Baukunst keine Nachahmung verdienet, und wenn einst dieser ganz faul seyn wird, und abgebrochen werden muß, Kein anderer mehr erbauet werden dürfte".

1808 Untergiesing * Das Anwesen des ehemaligen"Edelsitzes Pilgramsheim"geht an Ignaz Mayer über,"welcher eine der größeren und im besten Betriebe stehende Lederfabrik Baierns daselbst etablirte".

Die "Giesinger Lederfabrik"ist nicht nur als "Großgerberei" tätig, sondern produziert darüber hinaus in enormen Umfang Lederwaren für die "Königlich Baierische Armee" - und das "im Accord".

Das istder Grund, weshalb die "Mayer'scheMilitär-Lederfabrik" bei den eingesessenen Sattlern und Schuhmachern, die sich durch diese um zusätzliche Verdienstmöglichkeiten gebrachtund ihre Existenz gefährdet

Seite 235/814 sehen, umstritten ist.

Ignaz Mayer entstammt einer angesehenen Mannheimer jüdischen Kaufmannsfamilie, die dem hochkarätigen Kreis der"Hoffaktoren"des pfälzischen Kurfürsten angehörte.

Ab 1808 Bogenhausen * Durch die Regulierung der Isar ab der Bogenhausener Brücke fällt die "Bogenhausener Au", der heutige"Herzogpark",trocken.

Langsam entsteht Siedlungsland. Minister Maximilian Joseph von Montgelas wachsen dadurch 117 Tagwerk Grund zu.

Ab 1808 Berg am Laim * Zwischen den Jahren 1808 und 1812 lassen Johann Wilhelm von Hompesch und sein Bruder und Nachfolger Ferdinand von Hompesch als "Hofmarkbesitzer" elf Häuser an der St.-Michaels-, der Josephsburg- und in der Clemens- August-Straße und drei weitere Häuser am Westrand des Schlossangers erbauen.

Sie reagieren damit auf eine Forderung der königlichen "Edikte" aus den Jahren 1808 und 1812, in denen es heißt, dass die "Patrimonialgerichtsbarkeit", die "Hofmarkgesrichtsbarkeit", nur dann erhalten bleiben kann, wenn in der "Hofmark" mindestens fünfzig Familien wohnen.

Durch diese Baumaßnahme steigt die Zahl der Häuser in Berg am Laim bis ins Jahr 1813 auf 54 an. Die Häuser für Tagelöhner und Handwerker sind ebenerdig und aus Ziegel gemauert. Jedes Haus hat 1.000 qm Grund. Sie stammen aus einer "Vorbildersammlung" = Musterhäuser.

1808 München * Unter den 100 Höchstbesteuerten Münchens befinden sich 14 Brauer.

Februar 1808 München - Regensburg * Gemeinsam mit seinem "Minister" Maximilian Joseph von Montgelas verfasst König Max I. Joseph einen Brief, in dem er der fürstlichen Familie Thurn und Taxis das "Erbpostgeneralat" für Baiern entzieht und ihr weiter mitteilt, dass künftig das "Königreich Baiern" die "Post" in eigener Regie übernehmen wird.

13. Februar 1808 München * "Minister" Maximilian Joseph von Montgelas legt dem "Staatsrat" den zum Teil skizzenhaften Entwurf einer Verfassung vor.

Noch war man sich in München nicht sicher, wie schnell Napoleon Bonaparte eine eigene zentralistische "Verfassung für den Rheinbund" durchsetzen würde. Eile war demzufolge angebracht.

Und so kann die "Konstitution des Königreichs Baiern" bereits am 1. Mai 1808 verkündet werden.

Seite 236/814 17. Februar 1808 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die Regierung genehmigt die Ausführung der Ausfallstraße übers Isartor. Denn seit der Erhebung Bayerns zum Königreich, am 1. Januar 1806, stellt man andere Anforderungen an die Stadteinfahrtzur Königlichen Haupt- und Residenzstadt München. Bislang stand die Verbesserung der Verkehrsführung durch Erweiterung und Begradigung der alten Torstraßeim Vordergrund.Jetzt aber ist eine breit ausgebaute Via Triumphalisdas Ziel.

Vom Isartorselbst ist noch wenig die Rede. Doch zu einer würdigen Stadtzufahrtgehört auch ein entsprechendes Stadtportal, das wie ein Triumphtordie Straße überspannen und von Ferne sichtbar sein soll. Dazu muss das Isartorumgestaltet werden. Der hohe Mittelturmsoll abgetragen werden, seine mittelalterliche Gestalt aber noch erhalten bleiben.

Die Entscheidung über die dringend erforderliche Erweiterung des Isartoresunterbleibt aber noch. Das liegt auch daran, dass die Stadt nicht über die erforderlichen Geldmittel verfügt und auch die vom Staat zur Verfügung gestellten Gelder nicht abruft. Damit ist die gesamte Neugestaltung des Gebiets um das Isartorerneut gescheitert.

Dennoch steht das Schicksal des Isartoresauch weiterhin im Mittelpunkt zahlreicher Diskussionen. Für viele Zeitgenossen ist jedoch das inzwischen zur Ruine verkommene Stadttorein ärgerliches Verkehrshindernis, das den Eingang in die Hauptstadt des Königreichs Bayernverschandelt. Auch wenn das Bauwerk als romantische Staffage und Motiv vieler Gemälde und Zeichnungen einen gewissen Reiz ausübt.

22. Februar 1808 Königreich Baiern * Die Armenpflege wird zur Staatsaufgabe, zur "Staatsanstalt der Wohltätigkeit". Man unterscheidet in "volle Armut" und "partielle Armut", womit zugleich der Umfang der Unterstützung festgelegt wird.

Verwaltet wird das Armenwesen von der unteren Polizeibehörde.Finanziert wird das Armenwesen im Bedarfsfall durch eine Armensteuer, die im Kommunalbezirk erhoben wird. Die Gemeindeangehörigen müssen die notwendigen Mittel aufbringen, haben aber bei der Verwendung der Gelder kein Mitspracherecht und damit keine Mitwirkungsrechte.

1. März 1808 München - Regensburg * MinisterMontgelas hat ausreichend belastendes Material gegen die Thurn und Taxis gesammelt und kann nun König Max I. Joseph handfeste Beweise auf den Tisch legen. Demnach öffnen und lesen die Thurn und Taxis in ihren "Schwarzen Kabinetten" heimlich die ihnen anvertrauten Briefe. Das Material ist so erdrückend, dass man sich in Regensburg keine Mühe zur Entgegnung macht.Der Taxische BeamteAlexander von Vrints gibt alles zu und räumt ein, dass dies seit hundert Jahren bei den Taxis übliche Praxis sei.

Mit der Verordnung über die Einrichtung einer "General-Direktion der Königlichen Posten" wird in Baiern die "Thurn und Taxischen Reichsposten" beseitigt.Man unterstellt die Postdem Ministerium des Königlichen Hauses und des Äußeren.

Mathilde Therese, die Ehefrau des Fürsten Carl Alexander von Thurn und Taxis und Nichte von Max I. Joseph, erreicht noch, dass sie als Ablösesumme Teile des ehemaligen Regensburger Hochstiftserhält, nämlich Wörth, Donaustauf und Wiesent. Außerdem bekommt das Haus Thurn und Taxis 60.000 Gulden und die Würde eines

Seite 237/814 baierischen Reichsoberpostmeistersmit der Funktion "der Oberaufsicht bei feierlichen Zügen und Auffahrten" und die Befugnis, bei hochoffiziellen Anlässen den Reichsapfelzu tragen.

8. März 1808 München * München erhält ein neues Stadtwappen. Die neue Verfassung hat die Aufhebung der kommunalen Selbstständigkeitgebracht. Damit wird auch der Mönchaus dem Stadtwappenentfernt. Nun trägt ein Löwe ein Schild mit einem großen "M", sozusagen als Vorläufer des Münchner Autokennzeichens.Allerdings steht das "M" im Schild nicht für München, sondern für den Namen des Königs: "Max I. Joseph".

1. Mai 1808 München * Die "Konstitution des Königreichs Baiern" tritt in Kraft.

Die erste einheitliche Verfassung des Königreichs Baiern besteht aus 45 Paragraphen, die auf acht Seiten Platz finden.

Nach der Auflösung des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" und dem großen Gebietszuwachs, den Baiern erfahren hat, ist es notwendig geworden, das Recht zu vereinheitlichen und die Rechtsgleichheit in den verschiedenen Landesteilen herzustellen. Nur Altbaiern war, bis auf wenige Enklaven, ein geschlossenes Staatsgebiet. Ansonsten gleicht das neue Baiern mit seiner Anhäufung von Besitzungen verschiedener Fürsten, Grafen, Herren und Ritter eher einem "Fleckerlteppich".

Baiern muss nun zusammenwachsen und nach einheitlichen gesellschaftlichen und verwaltungsrechtlichen Grundsätzen regiert werden.

Damit werden "alle besonderen Verfassungen, Privilegien, Erbämter und Landschaftliche Korporationen der einzelnen Provinzen" aufgehoben. Die Verfassung garantiert die Gleichheit aller vor dem Gesetz und den Steuerbehörden sowie beim Zugang zu den Staatsämtern. Die Rechte des Adels werden darin eingeschränkt und deren bisherigen politischen Vorrechte ausdrücklich abgelehnt. In einer neu eingeführten "Adelsmatrikel" muss der Adelstitel erst staatlich anerkannt werden. Die "Leibeigenschaft" wird ersatzlos abgeschafft. Die Sicherheit des Eigentums wird ebenso gewährleistet, wie die "Gewissensfreiheit" und die "Pressefreiheit". Letztere wird allerdings durch Gesetze teilweise wieder eingeschränkt. Das Gesetz sieht ein "stehendes Volksheer" und eine "Bürgermiliz" vor.

Mit 21 Jahren muss jeder "Staatsbürger" vor der Verwaltung seines "Kreises" einen Eid ablegen, dass er "der Konstitution und den Gesetzen gehorchen - dem König treu sein wolle". Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Monarchen darf kein "Staatsbürger" auswandern oder ins Ausland reisen.

Zum "Königlichen Hause" wird in der "Konstitution" festgelegt, dass die Krone erblich ist "in dem Manns-Stamme des regierenden Hauses, nach dem Rechte der Erstgeburt und der agnatisch-linealischen Erbfolge". Die Prinzessinnen sind "für immer von der Regierung ausgeschlossen", so lange noch männliche Nachkommen vorhanden sind.

Seite 238/814 Sämtliche Familienmitglieder des königlichen Hauses stehen "unter der Gerichtsbarkeit des Monarchen, und können bei Verlust Ihres Erbfolge-Rechts nur mit dessen Einwilligung zur Ehe schreiten".

Nach den Bestimmungen der "Konstitution" besteht zur Verwaltung des "Königreiches Baiern" das "Ministerium" aus fünf "Departements": dem des "Äußeren", der "Justiz", der "Finanzen", des "Inneren" und des "Kriegs-Wesens". Zudem teilte sie das Königreich in "Kreise" ein, um so einen einheitlichen Beamten- und Verwaltungsstaat zu schaffen. Auch das Justiz- und Militärwesen werden neu organisiert.

Ein "Parlament" ist in Form einer "National-Repräsentation" vorgesehen, kommt aber nicht zustande. Gleichwohl werden die Vertretungen der einzelnen Teilgebiete des Königreichs mit Inkrafttreten der Verfassung abgeschafft.

Die "National-Repräsentanten" sollten für die Dauer von sechs Jahren gewählt werden. Dazu sollten in jedem der acht "Kreise" von den 200 höchstbesteuerten "Land-Eigenthümern, Kaufleuten und Fabrikanten" von Wahlmännern sieben Mitglieder gewählt werden. Diese 56 Gewählten hätten dann die "Reichs-Versammlung" gebildet.

Durch die Einführung der "Konstitution" verhindert Minister Maximilian Joseph von Montgelas, dass der auf Napoléon Bonapartes Drängen geschlossene "Rheinbund" die Souveränität des "Königreich Baierns" zu stark einschränkt.

12. Juli 1808 München - Königreich Baiern * In einer erlassenen Verordnung zur "Beförderung der Heiraten auf dem Lande" wird die Verehelichung von der "Bewilligung der ordentlichen Polizeiobrigkeit des Ortes" abhängig gemacht, "wo die Heiratenden mit hinreichender Aussicht auf ihre Nahrung den Wohnsitz nehmen". Damit wird den Gemeinden auch in Fragen der Verehelichung die Mitwirkung entzogen.

Zusätzliche Haftungsbestimmungen gegenüber den entscheidenden Beamten schränken die Wirksamkeit der Verordnung stark ein. Sollte sich die Familie doch nicht selbst ernähren können, fällt der Unterhalt der genehmigenden Behörde zur Last.

Wenn Geistliche eine Eheschließung ohne die vorherige staatliche Heiratsbewilligung vornehmen, haften sie "für Schäden und Kosten, welche hieraus irgendeiner Gemeinde zuwachsen".

Eheschließungen außerhalb Baierns werden für ungültig erachtet und sind strafbar.

13. September 1808 München-Englischer Garten - Tivoli * Adrian von Riedl erbittet bei Kurfürst Max IV. Joseph den Bau einer Mühle mit vier Gängen.Sie soll auf seinen Wiesen unterhalb der Bogenhausener Brücke, zwischen Isardamm und Schwabinger Bachentstehen. Zum Betrieb der Mahlmühle will er "mittels eines Kanals durch seine Wiesen das Wasser aus dem Eisbach hereinleiten und unterhalb der Mühle wieder in denselben einlassen".

Seite 239/814 24. September 1808 München-Englischer Garten - Tivoli * Die Königliche Regierungsteht Adrian von Riedls Mühlenplanungen positiv gegenüber, da damit die anliegenden Dörfer Schwabing, Bogenhausen und Föhring eine Mahlmöglichkeit erhalten würden. Bisher mussten die Bewohner dieser Dörfer zwei bis drei Stunden zur nächsten Mühle fahren.

Doch die Kgl. General Direction des Wasser-, Brücken- und Straßenbaushat Bedenken, dass dadurch der Eisbachzurückgestaut und damit die Geschwindigkeit es Baches und somit der Abfluss des Eises vermindert werden würde.Der Eisbachnimmtnämlich im Winter die Schneemassen der Münchner Straßen auf. Daher der Name.

Doch zuletzt wird Riedl der Mühlenbau mit der Auflage genehmigt, dass er das Abeisenvon seinem Grundbaumbis aufwärts zur BogenhausenerBrückeauf eigene Kosten zu besorgen hätte.Damit wird Adrian von Riedl zum Gründer der Neumühleam Eisbach.

1809 München * Durch eine Neuorganisation des Militärs wird die bisher freiwillige "Bürgerwehr" nach französischem Vorbild in die dreigliedrige "Nationalgarde" eingegliedert.

Die "Nationalgarde I. Klasse" bildet das "Stehende Heer", die "II. Klasse" wird zur "Landesverteidigung innerhalb des Königreichs" verpflichtet. Die "Nationalgarde III. Klasse" war die ehemalige "Bürgerwehr". Sie untersteht jetzt den staatlichen Behörden für "polizeiliche Aufgaben".

Seit dem Spätmittelalter hatte die "Bürgerwehr" in zunehmenden Maße "repräsentative Funktionen bei festlichen Anlässen" der Städte und des Fürstenhauses wahrgenommen. Die vornehmsten Aufgaben - "Ehrengeleit und Ehrenwache für höchste Herrschaften" blieb der "Bürger-Kavallerie" vorbehalten. Eine "Kavallerie-Division" gibt es - neben dem "Invanterie-Regiment" und der "Artillerie-Kompanie" - auch in München.

Sie wird unter ihrem "Major" Andreas von Dall?Armi das "Pferderennen" aus Anlass der Hochzeit von "Kronprinz" Ludwig I. und "Prinzessin" Therese von Sachsen-Hildburghausen austragen. Eine "Schicki-Micki-Armee".

1809 München-Ludwigsvorstadt *Der "Konvent der Barmherzigen Schwestern der heiligen Elisabeth" wird aufgelöst. Ihr Frauenspital wird in das "Allgemeine Krankenhaus" eingegliedert.

Sechs ehemalige Nonnen kümmern sich auch weiterhin um das "Augustiner Christkindl".

Ende Januar 1809 Wien - Tirol * Erzherzog Johann lädt drei der zu den führenden Köpfen des Widerstands zählenden Tiroler nach Wien.

Seite 240/814 Darunter ist Andreas Hofer, der "Sandwirt" aus dem Passeier. In vertraulichen Gesprächen werden Informationen und Meinungen ausgetauscht und konkrete Vereinbarungen getroffen.

Um mögliche rechtlich-moralische Bedenken der Tiroler Bevölkerung im Aufstand gegen die baierische Landesherrschaft auszuräumen, will der Erzherzog gleich bei Kriegsbeginn ein "Besitzergreifungspatent" unterzeichnen und damit Tirol wieder mit Österreich vereinen. Damit wären die Tiroler keine baierischen Untertanen mehr, sondern Österreicher. Und wer dann gegen die Baiern kämpft, wäre kein "Aufständischer" sondern ein "Freiheitskämpfer".

In der Folge wird die "Erhebung Tirols" ins Rollen gebracht.

Es sind viele Gründe zusammengekommen, die den "Aufstand der Tiroler" gegen die baierische Herrschaft letztlich auslösen. Keiner allein hätte ausgereicht:

weder die Aufhebung der alten Verfassung noch die Überheblichkeit baierischer Beamter, weder die drückende Steuerlast noch die religionspolitischen Maßnahmen; ja nicht einmal die verhasste Rekrutierung zum baierischen Militär hätte unter anderen Umständen solche verheerende Folgen gezeigt.

Ausschlaggebend war, dass die Tiroler unter Baiern keine Tiroler bleiben durften, sondern zu "Südbaiern" gemacht wurden.

12. März 1809 Innsbruck * Die baierischen Behörden wollen in Axams bei Innsbruck erstmals in Tirol Rekruten "ausheben".

Weil sich die betroffenen Burschen in den Wäldern verstecken, schwärmen Patrouillen aus, um die Entlaufenen festzunehmen.

Als eine baierische Patrouille zwei bewaffnete junge Männer festnehmen will, werden sie in die Flucht geschlagen. Daraufhin wird das Militär in Alarmbereitschaft gesetzt.

Jetzt greifen die Bauern zu den Waffen, nehmen baierische Soldaten gefangen, entwaffnen sie und schicken sie nach Innsbruck zurück.

9. April 1809 Wien * Erzherzog Johann erklärt Frankreich und seinen Verbündeten den Krieg.

Gemeinsam mit dem österreichischen General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles und 10.000 Mann der "Italienarmee" rücken sie in Tirol ein.

10. April 1809 Tirol * Die Nachricht vom Kriegsbeginn und der Vormarsch der österreichischen Truppen verbreitet sich in ganz

Seite 241/814 Tirol wie ein Lauffeuer. Auf Flugzetteln, die selbst in den hintersten Tälern kursieren, wird die Bevölkerung zu den Waffen gerufen.

Eine starke baierische Einheit greift das Dorf Axams zur Strafexpedition an. Die Baiern stoßen dabei auf bewaffneten Widerstand. Es fallen Schüsse, in denen der erste baierische Soldat stirbt.

Erzherzog Karl überschreitet in der Zwischenzeit mit der Hauptmacht der österreichischen Armee den Inn und marschiert in Richtung München.

12. April 1809 Innsbruck * In und um Innsbruck toben heftige Kämpfe.

Um 5 Uhr früh greifen 6.000 Bauern die baierischen Soldaten an. Innsbruck wird von den Tiroler "Aufständischen" erobert. Die baierischen Truppen werden gefangen genommen.

Um 10 Uhr ist der Kampf beendet. Danach beginnen in der ganzen Stadt Plünderungen, die auch Judenfamilien einschließen, die kurz zuvor Kirchensilber ersteigert haben.

Die Volkswut tobt.

13. April 1809 Innsbruck - Tirol * Der französische General Bisson rückt mit 2.000 Mann auf Innsbruck vor. Er kapituliert ohne Kampfhandlung.

Damit haben die Tiroler "Aufständischen" die französisch-baierische Armee ohne österreichische Unterstützung geschlagen. Diese Tat geht als "Erste Befreiung Tirols" in die Geschichte ein.

21. April 1809 Tirol * Nachdem es in Innsbruck nichts mehr zu tun gibt, bricht der in Lothringen geborene österreichische General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles mit seinen Truppen nach Trient auf, um dort die Franzosen zu vertreiben.

23. April 1809 Trient - Tirol * Der österreichische General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelleskann Trient besetzen.

Die Franzosen müssen daraufhin abziehen.

Anfang Mai 1809 Tirol - Königreich Baiern * Auf Befehl von General Chasteler und unter der Führung eines Freiherrn von Taxis

Seite 242/814 unternehmen rund 800 Tiroler "Beutezüge" nach Baiern, um dort nach Belieben zu Brennen und zu plündern. Schongau, Oberndorf, Kaufbeuren und Kempten werden überfallen.

Die Stimmung gegen Baiern wird durch das österreichische Militär mit einigen Propagandalügen noch aufgeheizt.

Der in Diensten Österreichs stehende Martin Teimer reist durch Tirol und erklärt, dass die Baiern beabsichtigen, in allen Orten die Kirchen zu schließen bis auf eine, alle Beichtstühle zu verbrennen bis auf einen, alle Altäre abzutragen bis auf einen und alle Kelche zu konfiszieren bis auf einen.

1. Mai 1809 Salzburg * Salzburg wird im Namen Napoleon Bonapartes verwaltet.

Der französische Marschall François Joseph Lefébvre bezieht die Residenz. Kronprinz Ludwig I. von Baiern bewohnt das "Schloss Mirabell".

12. Mai 1809 Tirol * General Carl Philipp Joseph vonWrede hält vor seinen Soldaten eine Rede, in der er auf die Vorgänge des Vortags eingeht:

"Ich habe heute und gestern, an den Tagen, wo ich über so manche tapfere Tat der Division zufrieden zu sein Ursache hatte, Grausamkeiten, Mordtaten, Plünderungen, Mordbrennereien sehen müssen, die das Innerste meiner Seele angegriffen und mir jeden frohen Augenblick, den ich bisher über die Taten der Division hatte, verbittern.

Wahr ist es Soldaten! Wir haben heute und gestern gegen rebellische, durch das Haus Österreich und dessen kraftlose Versprechungen irre geführte Untertanen unseres allergeliebten Königs gekämpft, aber wer hat Euch das Recht eingeräumt, selbst die Unbewaffneten zu morden, die Häuser und Hütten zu plündern und Feuer in Häusern und Dörfern anzulegen.

Soldaten! Ich frage Euch, wie tief sind heute und gestern Euere Gefühle von Menschlichkeit gesunken?".

15. Mai 1809 Schwaz - Tirol * Zwei Tage dauert der Kampf um Schwaz, das im Verlauf in Flammen aufgeht. 420 der 425 Häuser brennen. Die Einwohnerzahl sinkt von 5.200 auf 3.000. Selbst in München scheint der Himmel über der Alpenkette zu glühen, aber "nicht vom Feuer der untergehenden Sonne, sondern vom Mordbrande", schreibt Bettina von Arnim an Johann Wolfgang von Goethe.

19. Mai 1809 Innsbruck - Tirol * Die DivisionenWrede und Deroy rücken kampflos in Innsbruck ein. Napoleon Bonaparte gibt den Befehl, General Johann Gabriel Marquis von Chasteler de Courcelles "als Räuberanführer, als Urheber der an den gefangenen Franzosen und Baiern verübten Mordtaten und als Anstifter des Tiroler Aufstandes in die Acht erklärt, vor ein Kriegsgericht zu stellen und binnen 24 Stunden zu erschießen".

Andreas Hofer verhandelt inzwischen am 19. in Mühlbach und am 20. in Bruneck mit General Chasteler und kann ihn zum Verbleib in Tirol überreden.

Seite 243/814 21. Mai 1809 Tirol * Angesichts der durch Napoleon Bonaparte erklärte "Acht" ändert General Johann Gabriel Marquis vonChasteler de Courcellesseine Meinung und gibt den Abzugsbefehl an alle in Tirol stationierten Truppen nach Lienz und von dort weiter nach Österreich.

22. Mai 1809 Tirol * Marschall François Joseph Lefébvreund General Carl Philipp Joseph vonWrede verlassen mit ihren Truppen Tirol. Sie sollen durch einen Angriff auf die Steiermark die in Wien stehende Grande Armeeentlasten.In Tirol bleibt nur die DivisionDeroy zurück. Napoleon Bonaparte hatbei Aspern und Eßling eine Niederlage durch die österreichischen Truppen unter der Führung von Erzherzog Karl erfahren müssen.

Der Truppenabzug beflügelt Andreas Hofer und seine Verbündeten.Er überzeugt den österreichischen General Ignaz von Boul zum gemeinsamen Angriff auf den baierischen Feind.Boul hatte Chastelers Befehl zum Abzug aus Tirol nicht mehr erhalten und blieb nur deshalb im Land.

25. Mai 1809 Innsbruck * Rund 5.000 Tiroler Aufständischeunter der Führung von Andreas Hofer greifen am Bergiseldie Division Deroyan.Diese Erste Bergisel-Schlachtdauert nur wenige Stunden, da ein heftiger Gewitterregen und die einbrechende Nacht die Kämpfenden trennt.

29. Mai 1809 Innsbruck * Es kommt zur Zweiten Bergisel-Schlachtdurch die Tiroler Aufständischenunter der Führung von Andreas Hofer.Über 15.000 Tiroler und österreichische Truppen kämpfen gegen 5.240 Baiern. Die Schlacht bringt die Zweite Befreiung Tirols.

Die siegreichen Tiroler Aufständischenbemerken nicht, dass sich die baierischen Truppen in der Nacht auf die Flucht begeben haben.Und vor lauter Jubel über den Sieg, vergessen sie die Verfolgung des Feindes.

Juni 1809 Tirol * Da Frankreich alle baierischen Truppen bei Wien braucht, überlässt man Tirol zunächst seinem Schicksal.

In Baiern werden Stimmen laut, die für eine friedliche Verständigung mit den Tirolern plädieren. Statt ein Volk mit Gewalt zu unterwerfen, solle man ihm lieber Zugeständnisse in wirtschaftlichen und religiösen Fragen machen.

30. Juli 1809 Innsbruck * Marschall François Joseph Lefébvrezieht kampflos in Innsbruck ein und nimmt in der HofburgQuartier. Ihm ist klar, dass der Besitz der Tiroler Hauptstadt noch lange nicht die Eroberung Tirols bedeutet.Dazu mussder Kern des Landes von mehreren Seiten angegriffen werden, wozu man die 20.000 Mann in mehrere Korps aufteilt.

4. August 1809 Tirol * Die "französisch-rheinbündischen Truppen" erleiden schwere Verluste, nachdem sie südlich von Sterzing

Seite 244/814 an der "Sachsenklemme" in einen Hinterhalt geraten sind.

Die Tiroler haben über der Schlucht riesige Steinhaufen aufgeschichtet, die nun auf die marschierenden und reitenden französisch-baierischen Truppen niederschlagen. Scharfschützen erledigen den Rest.

Der Zu Hilfe eilende Marschall François Joseph Lefébvrebleibt mit seinen 7.000 Soldaten hinter Sterzing stecken und wird in der Folge ebenfalls angegriffen.

8. August 1809 Tirol * Bei den Kämpfen an der Pontlatzer Brückewerden Teile der Division Deroyaufgerieben.

11. August 1809 Innsbruck * Die völlig demoralisierten TruppenMarschall François Joseph Lefébvresind in Innsbruck eingeschlossen.

13. August 1809 Tirol * Marschall François Joseph Lefébvreglaubt, dass die Tiroler die Sonntagsruhe einhalten und nie in eine Schlacht ziehen würden. Als sich aber die dienstfreie Garnison zum Gottesdienst in der Wiltener Kirche versammelt hat, kommt die Meldung, dass eine große Bauernschar auf der Brennerstraßevorrückt.

Die Dritte Bergisel-Schlachthat begonnen und wird die Dritte Befreiung Tirolsbringen. 17.000 Tiroler stehen einer etwa gleich großen baierischen Streitmacht gegenüber. Nach zwölf Stunden ist die Schlacht beendet. 100 tote Tiroler und mindestens 200 tote Baiern fordert der Kampf.

14. Oktober 1809 Schönbrunn - Tirol * Der Friede von Schönbrunnbeendet die Erhebung Österreichs gegen Frankreich. Österreich muss Tirol wieder den Baiern überlassen. Das verbündete Tirol und ihre Anführer erhalten darüber jedoch keine Informationen.

24. Oktober 1809 Innsbruck * Die baierischen Truppen ziehen in Innsbruck ein. Der Bergiselist nur notdürftig besetzt. Viele der besten Anführer und Kompanien der Tiroler wollen nicht mehr kämpfen. Die Baiern hätten die Tiroler Stellungen einfach überrennen können, doch KronprinzLudwig I. will ein unnötiges Blutvergießen vermeiden. Stattdessen solleine Truppenparade die baierische Macht demonstrieren und jeden weiteren Widerstand als sinnlos erscheinen lassen.

25. Oktober 1809 Innsbruck * Der baierische KronprinzLudwig I. zieht in Innsbruck ein.

27. Oktober 1809 Tirol * Ein Bote aus Wien überbringt Andreas Hofer 18.000 Papiergulden zur Unterstützung des Kampfes gegen

Seite 245/814 Frankreich und Baiern. Fast gleichzeitig trifft die gedruckte Friedensproklamationdes italienischen Vizekönigs Eugéne Beauharnais ein. Das Schreiben enthält auch die Zusage, dass kein Tiroler "Rebell" ein Strafe zu erwarten habe. Die Tiroler Aufständischensehen in derFriedensproklamationaber nur eine Kriegslistdes baierisch-französischen Feindes.

28. Oktober 1809 Tirol * Erzherzog Johann unterrichtet im Auftrag seines kaiserlichen Bruders die Tiroler Freunde über den Frieden von Schönbrunnund der Überlassung Tirols an Baiern. Der Tiroler OberkommandantAndreas Hofer will daraufhin nach Innsbruck fahren und mit dem baierischen KronprinzenLudwig I. verhandeln.

Da erscheint der KapuzinermönchJoachim Haspinger, genannt "Pater Rotbart", der Hofer - mit seiner Redekunst, aber auch mit Lügen - umstimmen will. Und der der Geistlichkeit hörige Andreas Hofer lässt sich umstimmen. Erzherzog Johann informiert auch den Südtiroler Josef Giovanelli über den Frieden von Schönbrunn.Daraufhin machen sich viele Aufständischeauf den Nachhauseweg.

1. November 1809 Innsbruck - Bergisel * Es kommt zur vierten und letzten Schlacht am Bergisel.20.000 baierische Soldaten stehen etwa 8.500 Tirolern unter der Führung des SandwirtsAndreas Hofer gegenüber.Die Schlacht istnach knapp drei Stunden entschieden. Die - von baierischer Seite "Rebellen" oder "Insurgenten" genannten - Aufständischenvernichtend geschlagen.

Der Aufstand der Tiroler und die zunächst vergeblichen Versuche, Tirol zurückzuerobern, sind in den Augen Napoleons eine militärische Schande, die seinen Ruf als unbesiegbaren Feldherrn beschädigt.Dies führt dazu, dass der Franzose eine Teilung für notwendig erachtet.

Die Südtiroler nehmen an den Kämpfen nicht mehr teil.Rund einhundert Abgeordnete versammeln sich in Bozen, beschließen die Niederlegung der Waffen und informieren Andreas Hofer darüber.

2. November 1809 Tirol * Ein französischer Offizier mit wichtigen Schriftstücken wird von den Tiroler Rebellengefangen genommen. Die Dokumente enthalten eindeutige Beweise über die Richtigkeit desSchönbrunner Friedens, die auch die hartnäckigsten Zweifler überzeugen.

Die Versammelten beschließen ein Unterwerfungsschreibenan Napoleons Adoptivsohn Eugéne Beauharnais, dem Vizekönig von Italien, der auch die den Tirolern zugestellte Friedensproklamationunterzeichnet hatte.

3. November 1809 Tirol - Villach * Eine Abordnung der Tiroler Aufständischen, bestehend aus Jakob Sieberer und Josef Daney, macht sich auf den Weg nach Villach, wo Eugéne Beauharnais residiert.

4. November 1809 Tirol - Pustertal - Innsbruck * Andreas Hofer unterzeichnet als "gewöster Oberkommandant" ein "Unterwerfungsschreiben" für das Pustertal an den in Innsbruck kommandierenden General Drouet.

Seite 246/814 Nahe der Trostburg in Südtirol wird eine 1.200 Mann starke französische Truppe angegriffen.Um ein Drittel dezimiert entkommt die Einheit nach Bozen.

5. November 1809 Tirol - Bozen * Bewaffnete Südtiroler Bauern greifen Bozen an. Unentschlossenheit und mangelnde Führung verhinderten einen Erfolg. Als sich dann von Süden her 2.000 französische Soldaten der Stadt nähern, lösen sich die Angreifer auf.

Andreas Hofer, der "gewöste Oberkommandant", trifft am Brenner auf einige, nicht zum Frieden entschlossene Aufständischeund ändert seine Einstellung erneut.Er ignoriert das Beratungsergebnis der von ihm selbst einberufenen Delegiertenversammlung und bricht sein gegebenes Wort gegenüber General Drouet. Erneut ruft er zum Kampf auf. Dass er damit dem Land jede Schonung verbaut, muss er wissen.

8. November 1809 Tirol * Jakob Sieberer und Josef Daney halten Andreas Hofer die "Ströme zwecklos jetzt noch zu vergießenden Menschenbluts, Städte und Dörfer in Asche" vor und dass er das Land in Not und Elend, tausende Familien an den Bettelstab und seine treuen Anhänger an den Galgen bringen würde.

Wieder ändert Andreas Hofer seine Meinung, denn "unser lieber Herrgott und die Mutter Gottes werd'n wohl all's recht mach'n". Daney und Sieberer verfassen einen Aufruf, der zur Niederlegung der Waffen aufruft.Andreas Hofer unterzeichnet das Schreiben, das daraufhin in Abschrift im ganzen Land verteilt wird.

An der Mühlbacher Klauseüberfallen Südtiroler Aufständischeauf Hofers Aufruf vom 5. November hin französische Truppen. 500 Soldaten kommen dabei ums Leben.

11. November 1809 Tirol * Andreas Hofer hat sich inzwischen in das Sandwirtshausin Sankt Leonhard zurückgezogen. Wieder ändert er seine Meinung und bricht sein gegebenes Wort, indem er einen weiteren Kampfaufruf unterschreibt."Wenn Wir nachgeben ist Glaube, Religion, Volk und alles hin. Wer widerstrebt, ist ein Feind Gottes und des Vaterlands."

Um den 19. November 1809 Passeiertal - Tirol * Andreas Hofer lässt Jakob Sieberer und Josef Daney als Gefangene ins Passeiertal bringen und als Landesverräter, Franzosen- und Baiernfreunde sowie Spionezum Tode verurteilen.

Mit den Worten: "Halt's Maul. Ich lass'dich und den Pfaffen totschießen für eure Lügen und alle, die den Frieden verkünden", verweigert Hofer Jakob Sieberer auch einen Abschiedsbrief an seine Frau. Im Kerker entzieht man ihm sogar Wasser und Brot.Josef Daney wird in den gleichen Kerker geworfen.

Dass sie am Leben bleiben, verdanken sie einem 3.000 Mann starken französischem Korps, vor dem die Aufständischenfliehen.

Um den 27. November 1809 Südtirol * Das Ende der baierischen Herrschaft über Südtirol zeichnet sich ab. Französische Truppen haben die Kontrolle über das Gebiet südlich des Brenners und des Reschenpasses übernommen.

Seite 247/814 6. Dezember 1809 Brixen * Als Strafe für die Belagerung Brixensgehen die Dörfer Vahrn, Kranabit, Neustift, Elvas, Miland und die Fraktionen von Pfeifersberg mit 200 Höfen und 28 Ansitzen in Flammen auf.

9. Dezember 1809 Berg am Laim * Der Berg am Laimer Hofmarkbesitzerund Baierische Minister der FinanzenJohann Wilhelm von Hompesch stirbt. Sein Bruder Ferdinand übernimmt die Hofmark Berg am Laim. Maximilian Joseph Freiherr von Montgelas besetzt den Posten des Finanzministers.

Nach dem 9. Dezember 1809 München-Kreuzviertel * Nach dem Tod des Baierischen Ministers der Finanzen, Johann Wilhelm von Hompesch, übernimmt Maximilian Joseph Graf von Montgelas zum zweiten Mal die Funktion des Finanzministers. Damit konzentrieren sich die drei wichtigen Ministerien Außenministerium, Innenministeriumund Finanzministeriumin einer Person.

Montgelas hat im Verlauf seiner Tätigkeit in Bayern sehr viel Macht, Entscheidungsgewalt und Einfluss auf seine Person konzentriert. Er ist nicht nur mächtig, sondern sogar allmächtig. Ein Zustand, den er übrigens im Ansbacher Mémoiremassiv kritisiert hat. Dies führt im Krankheitsfall des Ministers allerdings zum nahezu völligen Erliegen der Regierungstätigkeit.

1810 München-Englischer Garten * Freiherr Adam von Aretin verkauft sein Grundstück am Ostrand des "Englischen Gartens" an den "Großhändler und Bankier" Raphael Kaula.

Seine im Jahr 1812 als jüngstes Kind geborene Tochter Nanette wächst zu einer so auffallenden Schönheit heran, dass sie unter dem Titel "Münchens schönste Jüdin" weithin bekannt ist.

In der Folgezeit lässt Kaula kleinere Gebäude seines Vorbesitzers Aretin abreißen und durch das elegantere "Kaula-Schlössl" ersetzen. Nach seiner Erhebung in den Adelsstand heißt das "Kaula-Schlössl" nun "Murat-Schlössl".

1810 München-Lehel * Als Anton Gruber, ein Münchner Gastwirt und "Schnürrleibmacher" erfährt, dass die "Isarinsel" zu kaufen sei, kratzt er seine Reserven zusammen, nimmt einen Kredit auf und erwirbt das Eiland um 1.033 Gulden.

Von der "Polizey-Direktion" erhält er die Konzession zum Bierausschank.

Nun baut er einige Holzhütten, nennt den Platz "Zum lustigen Dörflein" und verabreicht während der Sommermonate "frisches Bier und Bratwürst".

Der Zuspruch der Münchner ist bald so groß, dass Anton Gruber seine "Insel-Gaststätte" das ganze Jahr bewirtschaftet.

Seite 248/814 1810 München-Lehel * Um die Unterbringungskapazität der "Lehel-Kaserne" zu vergrößern, realisiert man den Kasernenanbau an der Kirchen-Nordseite des ehemaligen "Hieronymiten-Klosters".

6. Januar 1810 Mantua * Andreas Hofer wird verhaftet und nach Mantua gebracht.

6. Oktober 1810 Hildburghausen - Bamberg * Prinzessin Therese von Sachsen Hildburghausen macht sich gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Schwester Louise auf den Weg in Richtung München, wo sie den baierischen Kronprinzen Ludwig I. heiraten wird. Ihre erste Station auf bayerischem Boden ist Bamberg. Dort wird sie von Herzog Wilhelm in Bayern begrüßt.

7. Oktober 1810 Bamberg - Nürnberg * Von Bamberg geht die Reise der Braut Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen und ihrem Anhang weiter nach Nürnberg, wo sie mit Kanonendonner begrüßt werden.

8. Oktober 1810 Nürnberg - Regensburg * Nachdem der Hochzeitszug mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen in Nürnberg übernachtet hat, geht der Weg weiter nach Regensburg, in das sie am Abend über Stadtamhof über die Steinerne Brücke einziehen.

9. Oktober 1810 Regensburg - Landshut * Der Weg der Hochzeitsgesellschaft der Prinzessin von Sachsen-Hildburghausen führt von Regensburg nach Landshut. Die herzogliche Familie übernachtet dort in der königlichen Residenz.

10. Oktober 1810 Landshut - Freising * Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen reist mit ihren Eltern und ihrer Schwester Louise von Landshut aus weiter nach Freising.Kronprinz Ludwig I. - und später sein Vater König Max I. Joseph - reisen den sechsstündigen Weg von München nach Freising inkognito zu einem kurzen Besuch und begrüßen die Teilnehmer des Hochzeitszugs.

13. Oktober 1810 München * Am Morgen macht das Militär und die Beamtenschaft ihre Aufwartung. Die bayerische Haupt- und Residenzstadt ist festlich geschmückt; den Straßenrand säumen jubelnde, neugierige Menschen, die einfach sehen wollen, wie sich die Braut des Kronprinzen denn so geben würde.

13. Oktober 1810 München * Am Abend findet eine große Festbeleuchtung statt. Ganz München erstrahlt im Lichterschmuck. Mit den Aufbauten zur Illumination auf dem Max-Joseph-Platz ist bereits sechs Wochen zuvor begonnen worden. An

Seite 249/814 den öffentlichen und privaten Gebäuden der Stadt leuchteten "transparente Gemälde und Inschriften". So trägt die Fassade des Rathauses ein allegorisches, zur Vermählung passendes Bild mit den Wappen des Brautpaares.

Am Gebäude der Königlichen Akademie der Wissenschaften und Künsteleuchtet"Hymens Fackel, und Ludwigs und Theresens Namenszüge von Blumen" mit den Worten: "Der neuen Hoffnung des alten Hauses der Wittelsbacher huldigen Wissenschaft und Kunst."Soweit die staatlich verordnete Fürstenhuldigung.

Unter den Adelspalais erregt das des Freiherrn Maximilian Joseph von Montgelas besondere Aufmerksamkeit. "Letzteres war eigentlich hinter einem prächtigen dorischen Tempel verschwunden, der um dasselbe ausgeführt reichlich mit Grün und Blumengirlanden geschmückt, und durch die Lichtmassen wie in eine Feuerwohnung verwandelt war."

Auch der Bankier Andreas von Dall?Armi hatte sein Haus am Rindermarkt festlich ausstaffiert. Die Fassade trägt "eine kolossale Bavaria mit einem ruhenden Löwen und [?] mit der Inschrift, die den ganzen oberen Stock einnahm: Wittelsbachs Stamm blühe ewig!"

Auch die anderen privaten Gebäude sind, soweit es sich die Bewohner finanziell leisten können, aufwändig geschmückt und erleuchtet. Für Kaufleute, Gastwirte, Cafétiers, Weinhändler, Juweliere und Bierbrauer, kurz gesagt, für die besonders gut situierten Kreise der Münchner Bewohnerschaft, bietet sich hier die einmalige Gelegenheit, miteinander mit prunkvollen Illuminationen zu Ehren des Königshauses sich gegenseitig zu übertreffen und nur das Beste vom Besten zu zeigen.

13. Oktober 1810 München * Andiesem Abend ist die bei Fürstenhochzeiten übliche Ausspeisung, die die Bevölkerung in großen Scharen herbeilockt. Es gibt dabei natürlich deutliche Unterschiede.

Denn während "die angesehenen Bürger, d.h. welche zur Nationalgarde gehörten, [?] mit ihren Familien in vier großen Gasthäusern, bei 6.000 an der Zahl, auf königliche Kosten zum Tanz und Abendessen versammelt" sind, hat man für "die herbeygeströmten Volkshaufen" am Schrannenplatz, dem heutigen Marienplatz, am Promenadeplatz, in der Neuhauser Gasse und am Anger "Tische und Bänke hergerichtet, wo man ihnen zu essen und trinken bot". Aktenbelegen zufolge werden an diesem Abend

32.065 Laibln Semmelbrod, 3.992 Pfund Schweizerkäseüber 80 Zentner gebratenes Schaffleisch, 8.120 Cervelat-Würsteund 13.300 Paar geselchte Würsteausgegeben. Brauknechte verzapften rund 232 Hektoliter Bier. Aus sieben Fässern werden knapp vier Hektoliter österreichischer Weißwein ausgeschenkt. 150 Musikanten sorgen für Stimmung und in zwei Volkstheatern wurden Vorstellungen zu freiem Eintritt gegeben. Sogar die Münchner Gefängnisinsassen erhalten eine - von der Israelitischen Gemeinde finanzierte - Ausspeisung.

14. Oktober 1810 München - Salzburg *König Max I. Joseph ernennt KronprinzLudwig I. zum Generalgouverneur des Inn- und Salzachkreisesmit Sitz in Innsbruck. Er wird mit seiner Frau Therese im Schloss Mirabellin Salzburg wohnen.

Seite 250/814 Die Ernennung soll nicht zuletzt dazu dienen, den Kronprinzenmit den Verwaltungsgeschäften vertraut zu machen.Außerdem will ihn sein Vater in Distanz zur Regierungszentrale in München halten, um Auseinandersetzungen zwischen dem Kronprinzenund dem Außen-, Innen- und FinanzministerMaximilian Joseph Freiherr von Montgelas, die sich beide nicht sonderlich mochten, zu vermeiden.

Der Super-Minister hat eine Menge Arbeit mit der Reorganisation des neuen Staates, um tiefgreifende Reformen und um die Schaffung eines einheitlichen Beamten- und Verwaltungsstaates. Gegen seine Aufgabe ist die Deutsche Wiedervereinigungein Kinderspiel.

Eine wichtige Voraussetzung für die zentralistisch geführte Verwaltung war die Vereinheitlichung der Maße und Gewichte.So gibt es alleine 93 verschiedene Flüssigkeitseinheiten, die anno 1809 durch die Einführung der baierischen Maaßersetzt werden.Das Baierische Maaßfasst 1.069 Kubikzentimeter und wird Massausgesprochen.

17. Oktober 1810 München * An diesem Mittwoch, es ist ein milder Herbstag mit hellblauem Himmel, wird nochmals eine breite Bevölkerungsschicht in die Feierlichkeiten um die Kronprinzenhochzeit einbezogen, nachdem die zuvor abgehaltenen Opernaufführungen und Bälle nur einem kleinen ausgesuchten Kreis geladener Gäste vorbehalten waren.

Diese Festveranstaltungen wurden vom Staat ausgerichtet und finanziert. Doch angesichts von Kriegszeiten und leeren Staatskassen hält sich der sonst bei Fürstenhochzeiten übliche Glanz und Glamour in Grenzen. Und da im Jahr 1808 die städtische Selbstverwaltung abgeschafft worden ist, verfügt München über kein Vermögen, aus dem sie einen eigenen Beitrag zu den Feierlichkeiten hätte leisten können.

Dankbar überlässt man deshalb die Ausrichtung der Feier der gehobenen Bürgerschaft, die dazu in der Lage ist und die die eigentliche Volksbelustigung, ein als Huldigung gedachtes Pferderennen, das in der Tradition des Scharlachrennens steht, durchführen kann.

Es ist der Kavallerie-Major der Nationalgarde 3. Klasse, der Bankier Andreas Michael Edler von Dall?Armi, der im Namen der Nationalgarde, also des Bürgermilitärs, ein Schreiben an den König richtet, in dem er bittet, eine solche Veranstaltung ausrichten zu dürfen. Das Pferderennen soll den Abschluss, aber zugleich auch den Höhepunkt der Feierlichkeiten um die Kronprinzenhochzeit bilden.

17. Oktober 1810 München * Im Anschluss an die Messe im Bürgersaal versammeln sich die Kavallerie-Divisionen am Hofgarten, um sich im Abstand von einer Stunde in zwei Zügen auf den Weg zum Rennplatz zu machen. Beide Züge des Bürgermilitärs durchqueren dabei die Stadt in Nord-Süd-Richtung.

Auf der Landstraße nach Sendling nehmen sie eine Abzweigung, um auf die Festwiese zu gelangen. Dort, am Fuße des Sendlinger Berges, befindet sich der Königliche Pavillon, bei dem Gardisten eine Ehrenwache halten. Der Pavillon ist das ursprünglich hellgrüne, circa 67 Meter lange Audienzzelt des türkischen Großwesirs, das Kurfürst Max Emanuel im Jahr 1683, bei der Befreiung Wiens, eroberte hat.

Der von türkischer Musik angeführte zweite Zug der Nationalgarde begleitet die Rennpferde und die Preisfahnen zur Rennwiese. Auf dem Sendlinger Berg, der Landsberger Straße und am Filserbräukeller sind Zelte und Bänke aufgestellt worden. Nach Andreas von Dall?Armi kommen rund 40.000 Zuschauer aus allen Volksschichten zum

Seite 251/814 Sendlinger Berg, der späteren Schwanthaler Höhe, und säumen die unterhalb der Anhöhe bis nahe an die Stadtgrenze sich ausbreitende Festwiese.

17. Oktober 1810 München-Theresienwiese * Nachdem die königliche Familie endlich eingetroffen ist und im Königspavillon Platz genommen hat, gratuliert eine Gruppe von "Kindern im Nationalkostüme" dem Kronprinzenpaar. Die Kinder, allesamt Töchter und Söhne von Angehörigen der k.b. Kavallerie Division, überbringen in verschiedenen Landestrachten gekleidet, stellvertretend für die baierische Nation, der Königsfamilie die Huldigungsgrüße des Volkes.

17. Oktober 1810 München-Theresienwiese * Nachdem die hohen Herrschaften ein kleines Dejeuner eingenommen haben, kann das Pferderennen gestartet werden. Dreißig Pferde werden zur Startlinie geführt. Der dann folgende Startschuss gibt das Rennen über drei Runden frei. Diese drei Runden entsprechen ziemlich exakt einer Strecke von zehn Kilometern.

Die Pferde werden - ohne Sattel - von Rennbuben geritten. Diese sind in der Regel unter zwanzig Jahre. Der Jüngste bei diesem Wettkampf ist gerade einmal zehn Jahre alt. Allerdings werden die Rennknaben, die Jockeys, als derart nebensächlich betrachtet, dass sie teilweise nicht einmal in den Rennbüchern namentlich auftauchen.

Als Rennrichter fungieren Johann Schwangart, der Bierbrauer Cajetan Trappentreu und der Bäcker Anton Seidl. Gewonnen wird das erste Oktoberfest-Pferderennen von dem Münchner Lohnkutscher und Erfinder des Oktoberfest-Pferderennens, Franz Baumgartner, oder besser gesagt von seinem zwölfjährigen Rennbuben, der auf einem Siebenbürger Apfelschimmel nach 18 Minuten und 14 Sekunden als Erster durchs Ziel reitet. Franz Baumgartner erhält 20 von 98 Gulden. Mit der Preisverleihung endet das Fest.

3. November 1810 München * Eine Verordnung über die neuen Posttarifebringt keine wesentlichen Fortschritte gegenüber dem alten System. Die Berechnung der Brieftaxeerfolgt nach dem Gewicht des Briefes und der Entfernung des Bestimmungsortes. Der billigste Brief kostet drei Kreuzer. Er darf nicht mehr wiegen als ein halbes baierisches Lot [8,75 Gramm] und der Bestimmungsort darf nicht weiter als sechs Meilen entfernt sein.

Für den Briefe schreibenden "Untertanen" bedeutet die Übernahme der Posthoheitdurch die souverän gewordenen Einzelstaaten einen Rückschritt gegenüber dem unter dem Schutz des Reichesentwickelten europäischen Systemder Thurn und Taxis, da es auf der Grundfläche des aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nationnun nicht weniger als 43 verschiedene Postanstaltengibt.

Da auch auf dem Wiener Kongressnichts für die Wiederherstellung der Posteinheit und die Verbesserung der Postbedingungen unternommen worden war, muss jedes Land seine Postangelegenheiten in eigener Zuständigkeit ordnen. Den Vorschlag Bayerns, zumindest das Portosystemfür das Gebiet des Deutschen Bundeszu vereinheitlichen und das Porto- nach baierischem Muster - zu verbilligen, lehnen die anderen Länder aber kategorisch ab.

Im Königreich Baiern, in dem zahlreiche fränkische und schwäbische ehemalige reichsunmittelbare Gebieteaufgegangen sind, kommt der Posteine wichtige Rolle bei der Aufgabe zu, die neubayerische Bevölkerung zu integrieren. Ein funktionierendes Post- und Verkehrswesen ist dabei ein wichtiges Mittel der

Seite 252/814 bayerischen Regierungspolitik. Es sollen damit die Vorteile des neuen und größeren Wirtschaftsraumes demonstriert werden und den vom neuen Staatsverband eher weniger begeisterten Neubürgerndas Königreichattraktiver machen.

1811 München-Graggenau - München-Angerviertel * Da das "Isartor" den modernen Verkehrsbedürfnissen nicht mehr gewachsen ist, gibt es Pläne für einen Abbruch des "Torbaus".

Das liegt an den zu engen Durchfahrten, die nur für den mittelalterlichen Verkehr ausgelegt waren. Zwei entgegenkommende Fuhrwerke können nicht gleichzeitig das Tor passieren.

Nur die beiden "Flankentürme" sollen - aus denkmalpflegerischen Gründen - erhalten bleiben. Nach der Entfernung der sie verbindenden "Portalwand" - könnte dann der Verkehr in beiden Richtungen ungehindert fließen. Dagegen erscheint dem "Leiter der staatlichen Straßen- und Wasserbaubehörde", Carl Friedrich von Wiebeking, die Erhaltung des "Isartores" für vollkommen überflüssig.

Es soll vielmehr abgerissen und dafür ersatzweise auf dem rechten Isarufer eine neue "Empfangsstation" für den nach München einströmenden Verkehr geschaffen und dorthin auch die "Wach- und Zollstation" verlegt werden.

Dadurch will er auch die Verschmelzung des alten Stadtkerns mit dem Siedlungsgebiet in der Flussniederung erreichen.

1811 München-Isarvorstadt * Der Staat verzichtet auf eine städtische Mitfinanzierung der "Ringstraße".

Die "Rumfordchaussee" war anno 1796 als militärische Straßenanlage gebaut worden, weshalb sich der Magistrat erfolgreich gegen jede finanzielle Beteiligung wehrte. Auch als man die Straßenanlage als wesentlichen Beitrag zur Verschönerung Münchens ansah.

Ab 1811 München-Lehel - Haidhausen * Der "Militärholzgarten" nördlich der "Isarbrücke" wird auf den "Ga•steig" verlegt.

1811 München - Italien * Joseph Anton Ritter und Edler von Maffei, Peter Paul von Maffei's Sohn, spielt während eines längeren Italienaufenthalts mit dem Gedanken Bildhauer zu werden.

Erst nach strengen väterlichen Ermahnungen widmet sich der feinsinnige und vielseitig interessierte Schöngeist der Tätigkeit im Familienunternehmen. Dort erweist er sich bald als vorausschauender Geschäftsmann.

27. Mai 1811 München-Isarvorstadt * Grundsteinlegung für die Neue Isarkasernean der Zweibrückenstraße. Auf dem Baugelände befinden sich noch die Obst- und Gemüsegärten des Stifts der Englischen Fräulein. In der

Seite 253/814 Nachbarschaft liegen der Holzlagerplatz der Münchner Kistlerzunftund eine Werkstatt der Stadt, in der die hölzernen Wasserleitungsrohre gebohrt werden.

Der Flurname An den Schweineställen, in früherer Zeit auch Plärrer, kommt vom Verbot der Schweinehaltung in der inneren Stadt.

1812 München * Der "Faber-Bräu" wird mit der "Eberlbrauerei" vereinigt.

1812 Bogenhausen * Die zweite, die sogenannte "Wiebekingsche Brücke" bei Bogenhausen entsteht.

Sie hält bis zum Hochwasser von 1826.

1812 Bogenhausen * Die alte Isarbrücke bei Bogenhausen muss wegen Baufälligkeit abgerissen werden.

4. Januar 1812 München * König Max I. Joseph genehmigt, "daß den hiesigen Bierbrauern gestattet sein soll,

auf ihren eigenen Märzenkellern in den Monaten Juni, Juli, August und September ihr selbstgebrautes Märzenbier in Minuto zu verschleißen und ihre Gäste daselbst mit Bier und Brot zu bedienen. Das Abreichen von Speisen und anderen Getränken bleibt ihnen aber ausdrücklich verboten."

Die Verordnung wird als die Geburtsurkunde des Münchner Biergartenlebensbezeichnet.

Oktober 1812 München-Theresienwiese * Das Volksfest auf der "Theresienwiese" wird als "Central-Landwirthschafts- oder Oktoberfest" bezeichnet.

Für die landwirtschaftlich ausgerichteten Programmpunkte des "Oktober-Festes" wird erstmals der Begriff "Central-Landwirthschaftsfest" gebraucht.

Es gibt ein "Pferderennen" und einen "Nutzviehmarkt". Die preisgekrönten Tiere werden auf der Wiese vor dem "Königszelt" im Beisein von König Max I. Joseph prämiert und ausgezeichnet.

13. Dezember 1812 München * Von den am Russland-Feldzug beteiligten 30.249 baierischen Soldaten sind nur noch 68 kampffähige Soldaten übrig geblieben. Lediglich 2.997 Soldaten werden unversehrt in ihre Heimatdörfer zurückkehren können.

Seite 254/814 15. März 1813 Vorstadt Au * Franz Xaver Zacherl erwirbt die "Brauerei der Paulaner mit allen Pertinenzien" um 13.000 Gulden.

Das "Heilig-Vater-Bier" wird bald als "Zacherl-Öl" und später als "Salvator" berühmt.

27. März 1813 Berlin - Paris * Preußen erklärt Frankreich den Krieg. Damit beginnen die "Befreiungskriege".

Nach dem gescheiterten "Russlandfeldzug" sind in ganz Europa - und damit natürlich auch in Baiern -"Befreiungsbewegungen" gegen Napoléon Bonaparte gewachsen. Es geht um die Beseitigung der französischen Vorherrschaft und Fremdherrschaft in Europa.

30. März 1813 Burk * Georg Christian Friedrich Bürklein wird in Burk bei Ansbach in Mittelfranken geboren.

Er ist der erste Sohn eines Lehrerehepaares. Den ersten Unterricht erhält der Friedrich genannte Knabe von seinem Vater. Ab dem Alter von dreizehn Jahren interessiert sich Friedrich für Architektur. Seine Wahl wird durch sein Zeichentalent unterstützt.

3. Mai 1813 München-Isarvorstadt * Ein Teil der "Neuen Isarkaserne" an der Zweibrückenstraße, am Standort desheutigen"Marken- und Patentamtes",ist mit Zimmern für 428 Mann und Stallungen für 104 Pferde bezugsfertig.

13. September 1813 Vorstadt Au - Haidhausen * Ein Hochwasser reißt die Hälfte der Äußeren Ludwigsbrückeweg. Eine pervers neugierige Menschenmenge hatauf der Äußeren Brückegewartet, um dabei zu sein, wenn der nahe gelegene Kaiserwirtin sich zusammenfallen und in den Isarfluten mitgerissen wird. Die Schaulustigen glauben sich auf der aus Stein erbauten Brücke in Sicherheit, da sie gerade ihr eine hohe Standfestigkeit unterstellen.

Der Fuhrknecht eines Brauwagens, der den Flussübergang gerade passiert hatte, warnte die Gaffer, dass die Brücke wankt.Eine Totengräberin, die auf einem Schubkarren ein Kruzifix über die Brücke rollt, ruft: "Schauts auf, da Tod kummt!?Unmittelbar danach "knickte der östliche Brückenpfeiler ein, die Brückendecke senkte sich und stürzte dann in die Fluten". Zwei weitere Bögen folgen nach. 108 Menschen stürzen in den tosenden Gebirgsfluss, nur sechs können gerettet werden.

Nach dem 13. September 1813 München * Nach dem Einsturz der Isarbrückeuntermauert Carl Friedrich von Wiebeking, der Leiter der staatlichen Straßen- und Wasserbaubehörde, seine Argumentation mit dem Hinweis, dass mit dem Abbruch des Isartoresdas anfallende Abbruchmaterial beim Neubau der Brücke verwendet werden könne. Wiebekings Vorschlag wirdjedoch verworfen, die weiteren Planungen erst im Jahr 1816 wieder aufgenommen.

Seite 255/814 16. Oktober 1813 Leipzig * DieVölkerschlacht bei Leipzigbeginntals Entscheidungsschlacht der Befreiungskriege gegen Napoleon. Sie dauert bis zum vom 19. Oktober 1813. Dabei kämpfen die Truppen der Verbündeten Österreich, Preußen, Russland,Schweden und Baiern gegen die französischen Truppen.

Die Verbündetenbringen Napoleon Bonaparte die entscheidende Niederlage bei, die ihn zwingt, sich mit der verbliebenen Restarmee und ohne Verbündete aus Deutschland zurückzuziehen. In dieser wahrscheinlich größten Schlacht der Weltgeschichtewerden von den rund 600.000 beteiligten Soldaten 92.000 getötet oder verwundet.

1814 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die Wiederaufbauarbeiten für die heutige Ludwigsbrückebeginnen. Sie werden aber nie beendet.

Anno 1814 München-Lehel * Durch die jahrelange dichte Bewirtschaftung des Areals der "Lehel-Kaserne" mit Pferdeställen treten ernsthafte Probleme mit dem Grundwasser auf.

Die Probleme, die zu zahlreichen Erkrankungen bei den Pferden durch schlechtes Wasser führt, wird übrigens erst ein Jahrzehnt später in Form einer zusätzlichen Wasserleitung beseitigt.

29. Januar 1814 Brienne-le-Château *Bei Brienne-le-Château sur Aube kämpft die Große Armee- mit Beteiligung Baierischer Truppen unter dem Befehl von GeneralCarl Philipp Joseph von Wrede - gegen die Napoléonischen Streitkräfte. Die Schlacht endet mit einem Sieg Frankreichs unter Napoléon Bonaparte gegen die Russen, Preußen und Baiern unter GeneralfeldmarschallGebhard Leberecht von Blücher.

Der Name des Schlachtortes findet sich seit 1826 in der Brienner Straßewieder.Diese hieß zuvor Königsstraße beziehungsweise ab dem KönigsplatzKronprinzenstraße und ist aus dem ehemaligen Fürstenwegnach Nymphenburg entstanden.

1. Februar 1814 La Rothière * Die Schlacht bei La Rothièrefindet im Tal der Aube südlich von Brienne statt. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Schlacht von Brienne-le-Château, die drei Tage zuvor mit einem Rückzug der Koalitionstruppen endete.

Das beherzte Eingreifen des baierisch-österreichischen Korps unter GeneralCarl Philipp Joseph von Wrede hat dazu beigetragen, dass Napoléon Bonaparte um 21 Uhr den Befehl zum Rückzug gibt.

26. Februar 1814 Bar sur Aube * Die baierisch-österreichischen Truppen unter GeneralCarl Philipp Joseph von Wrede kämpfen in Bar-sur-Aube gemeinsam mit Russen und Preußen gegen französisches Militär.Den Baiern gelingt es sogar ein Stadttor aufzubrechen und in das Stadtinnere vorzudringen. Doch sie werden schnell wieder vertrieben.

Seite 256/814 In der Nacht sitzen die Franzosen im Innern der Stadtmauern fest, während die Baiern das Gelände davor beherrschen.

27. Februar 1814 Bar sur Aube * Die Kämpfe um Bar-sur-Aube gehen weiter. Die Baiern greifen die Stadt entschlossen an, können eines der Stadttore erstürmen und aufbrechen und dringen in die Stadt ein. Ein heftiger Häuserkampf entbrennt, bei dem die Einwohner der Stadt auf der Seite ihrer Truppen mitkämpfen.

Als sich aber die französischen Truppen außerhalb der Stadt über die Aube zurückziehen, beginnt auch die französische Besatzung der Stadt ihren Rückzug über den Fluss. Die Baiern können nun Bar-sur-Aube im Sturm erobern und die in der Stadt festsitzenden französischen Soldaten gefangen nehmen.

Der Name dieses Schlachtortes findet sich seit 1826 in der Barer Straßewieder.Diese hieß zuvor Carolinenstraße beziehungsweise ab dem CarolinenplatzWilhelminenstraße.

20. März 1814 Arcis-sur-Aube * Die "Schlacht von Arcis-sur-Aube" stellt sich für Napoleon Bonaparte nahezu aussichtslos dar, da er einen Mehrfrontenkrieg gegen Russland, Preußen, Großbritannien und Österreich führt.

Bei Arcis-sur-Aube muss die französische Armee mit 28.000 Mann gegen eine fast dreifach überlegene österreichische Armee unter "Generalfeldmarschall"Karl Philipp zu Schwarzenberg mit 80.000 Mann kämpfen. Unter ihnen befinden sich auch baierische Truppen unter "Feldmarschall" Carl Philipp Joseph von Wrede.

10. April 1814 München - Paris * In der "Peterskirche", der "Frauenkirche" und der "Michaelskirche" wird ein "Te deum" gesungen. Draußen werden Kanonen abgefeuert.

Damit feiern die Münchner das Einrücken der "alliierten Truppen"mit baierischer Beteiligungins feindliche Paris.

11. April 1814 Elba * Napoleon Bonaparte behält seinen Titel. Ihm wird die Insel Elba als Fürstentum zugewiesen.

Mit Ludwig XVIII. wird in Frankreich das Königtum restauriert.

18. Mai 1814 München-Englischer Garten - Hirschau * Der HofhammerschmiedLindauer erhält - gegen den erbitterten Widerstand des HofgartenintendantenFriedrich Ludwig von Sckell - die Erlaubnis zur Errichtung einer Stahlfabrik am Eisbach in der Hirschau.

26. Juni 1814

Seite 257/814 Innsbruck - Wien* Österreich ergreift offiziell Besitz von Tirol. Damit endet dort die baierische Herrschaft endgültig. Österreich übernimmt die meisten Errungenschaftender baierischen Verwaltung und hütet sich davor, zu den alten Strukturen zurückzukehren. Selbst die alte Ständeverfassung, deren Abschaffung eine der Hauptursachen des Aufstands von 1809 war, wird nur in sehr mild abgeänderter Form wiederbelebt.

26. August 1814 Innsbruck - Wien * Tirol wird mit Österreich wieder vereinigt.

18. September 1814 Wien * Der Wiener Kongress beginnt. Er tagt bis zum 9. Juni 1815. Im Mittelpunkt der vom österreichischen Staatskanzler Fürst Clemens Menzel von Metternich geleiteten und unter starkem Einfluss des Zaren Alexander I. und England stehenden Verhandlungen steht die Neuordnung Europas nach den Befreiungskriegen und dem Zusammenbruch des napoleonischen Herrschaftssystems.

Ein wesentlicher Punkt auf der Tagesordnung der europäischen Politik ist die Schaffung einer neuen Friedensordnung, die der Wiener Kongress vornehmlich dadurch umzusetzen versucht, indem er die Macht zwischen den Großmächten ins Gleichgewicht bringen will. Für die Königreiche, darunter Baiern, sowie die Großherzogtümer, Herzogtümer und Grafschaften des Rheinbundes ist vordringlich, dass nach ihrem Wechsel zur antinapoleonischen Allianz die Eigenstaatlichkeit und Souveränität ihrer bestehenden Staaten vertraglich festgeschrieben wird.

1815 München-Englischer Garten - Lehel * Der "Große Wasserfall" an der Kreuzung des Schwabinger Bachs und des Eisbachs wird geschaffen.

Seither stürzen die durch ein Stauwehr zurückgehaltenen Wassermassen über von Menschenhand platzierte Felsen. Die Szenerie erinnert an ein romantisches Landschaftsgemälde.

25. Januar 1815 München * 39 jüdische Männer gründen in der Wohnung von Judith Wertheimer, der Witwe des kurfürstlichen HoffaktorsAbraham Wolf Wertheimer, die Israelitische Kultusgemeinde. Sie beschließen die Anlage eines jüdischen Friedhofsund für diesen Zweck den Kauf eines Grundstücks an der Thalkirchner Straße.

April 1815 Indonesien * Auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien bricht der Vulkan Tambora aus und schleudert etwa 150 Megatonnen Staub, Asche auch Schwefelverbindungen in die Atmosphäre.

Die Verunreinigung der Atmosphäre führen zu einem Schleier, der den gesamten Erdball umfasst und das Weltklima abkühlen lässt. Der Temperaturrückgang hält bis 1819 an.

10. April 1815 Indonesien * In Indonesien bricht zwischen dem 10. und 15. April der Vulkan "Tambora" aus.

Seite 258/814 Die dadurch in weiten Bereichen Europas eintretende Kälteperiode bewirkt im darauffolgenden Jahr auch in Baiern eine Missernte.

Ab Juni 1815 Deutscher Bund * Die Zeitspanne vom Ende des Wiener Kongresses [1815] bis zum Beginn der bürgerlichen Revolution [1848] in den Ländern des Deutschen Bundes wird als Biedermeier bezeichnet.

In dieser Zeit wird ein großer Teil der Bevölkerung daran gehindert, einen eigenen Hausstand zu gründen und zu heiraten. Als besonders streng gelten die Vorschriften im rechtsrheinischen Königreich Baiern. Noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ist die Eheschließung in Bayern an eine obrigkeitliche Genehmigung gebunden.

28. Juni 1815 München-Graggenau * Andreas und Anna Schlutt, die Eltern der Therese Feldmüller, sind zwischen 28. Juni 1815 und 20. Dezember 1836 Inhaber des Bachl•bräu-Anwesensim Tal Mariaein München, das später wegen der geplanten Verbreiterung der Maderbräugasse verkauft und abgerissen wird.

Andreas Schlutt ist auch als Makler und Grundstücksspekulant tätig: So kauft er die Immobilie Priel 1, ein Ökonomieanwesen zwischen Bogenhausen und Oberföhring mit 76 Tagwerk.

Um August 1815 Königreich Baiern * Die Getreideernte fällt in diesem Jahr nur sehr gering aus.

1816 München-Lehel *Joseph Anton von Maffei leitet als Pächter die väterliche Tabakfabrik im Lehel.

1. April 1816 Berg am Laim - Bogenhausen * Die "provisorische Sternwarte" an der - damals noch zu Ramersdorf gehörenden - westlichen Ecke der Kreuzung an der heutigen Rosenheimer- und Friedenstraße wird offiziell an den "Astronom und Vermessungsfachmann" Johann Georg Soldner übergeben.

Soldner stammt aus Mittelfranken und hat seine astronomische Ausbildung in Berlin erhalten. Dort entstand auch seine erst über einhundert Jahre später in ihrer Bedeutung erkannte Arbeit "Über die Ablenkung eines Lichtstrahls von seiner geradlinigen Bewegung, durch die Attraktion eines Weltkörpers, an welchem er nahe vorbeigeht". Die Arbeit lässt ihn zu einem Vorläufer Albert Einsteins werden.

14. April 1816 München * Im "Münchner Vertrag" gibt Baiern Salzburg, das Hausruckviertel und Tirol an Österreich.

In Bayern verbleiben Berchtesgaden und die Alt-Salzburger Gebiete rund um Tittmoning, Waging, Laufen, Teisendorf und Staufeneck.

Seite 259/814 Im Umkehrschluss erhält Baiern die linksrheinische Pfalz sowie Hammelburg, Brückenau, Teile von Biberstein, Redwitz, Alzenau, Miltenberg, Amorbach und Heubach.

Um August 1816 Königreich Baiern * Der Vulkanausbruch auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien vom April 1815 führt dazu, dass in Baiern ein kaltes und regenreiches Jahr beginnt. Man spricht von einem Jahr ohne Sommer.

Es folgt eine Missernte - und damit eine Hungersnot, da siebzig Prozent der Ernährung aus Getreideprodukten besteht.

Um September 1816 Königreich Baiern * Durch die Missernte kommt es zu einer fünffachen Brotverteuerung. Für rund achtzig Prozent der Bevölkerung ist der Bedarf an Grundnahrungsmittel nicht mehr zu decken. "Statt des mangelnden Brotes aß man Flechten, Moose und Baumrinden".

Oktober 1816 München-Theresienwiese * Erstmals ziehen die "Schützen" auf"Theresens-Wiese".

Die "Königlich privilegierte Hauptschützengesellschaft" organisiert mit einem "Vogel- und Scheibenschießen". Die damals einzige Schützengesellschaft bleibt fortan Träger des "Oktoberfest-Schießens".

Als "Schützenkönig beim Vogelschießen" hebt sich König Max I. Joseph hervor, für den ein "Kammerdiener" das letzte Stück vom Holzadler herunterschießt.

Darüber hinaus werden langjährige landwirtschaftliche Dienstboten geehrt, die "mit dem Schweiße ihres Angesichtes, und bei den Schwielen ihrer Hände, und mit den Beulen an ihren Füßen, den Segen der natur bearbeiten und hereinbringen helfen".

28. November 1816 München - Königreich Baiern * Eine Verordnung über Zwangsarbeitshäuser regelt, dass in diese Einrichtungen nicht nur lästige Bettler und Landstreicher, sondern auch

"Menschen von fortgesetztem schlechten Lebenswandel, die sich dem Müßiggange, der Unsittlichkeit und öffentlichen Ausschweifungen ergeben und dadurch, sowie durch Widerspenstigkeit und Ungehorsam gegen Eltern und Vorgesetzte Unordnung, Gefahr und Verderben in die Familie und Gemeinde bringen" untergebracht werden können.

1817 München-Graggenau * Luigi Tambosi und die Kurfürstinwitwe Maria Leopoldine sind sich handelseinig. Er will ihr um 22.000 Gulden das "Kaffeehaus an der Hofgartenmauer vor der Reitschule" abkaufen.

Dann erfahren sie, dass das "Kaffeehaus" abgerissen und in den "Englischen Garten" verlegt werden soll.

Seite 260/814 Die Niederlegung der Gebäude verzögert sich bis 1825. So lange bleibt Maria Leopoldine Eigentümerin und Luigi Tambosi Pächter des "Kaffeehauses an der Hofgartenmauer vor der Reitschule".

1817 München-Isarvorstadt * Die "Kürassierkaserne", "Schwere-Reiter-Kaserne" oder "Neue Isarkaserne" in der Zweibrückenstraße wird bezogen.

Bis 1885 dient die "Alte Isarkaserne" nur noch als Behelfsunterkunft.

1. Februar 1817 München * König Max I. Joseph kehrt von einem fast achtwöchigen Wien-Aufenthalt zurück. Er erhält von seinem MarschallCarl Philipp Fürst von Wrede anstatt des üblichen Rapports über das, was sich in der Abwesenheit des Königs zugetragen hat, einen Brief des Kronprinzen Ludwig überreicht.

In diesem fordert der "deutschtümelnde" Prinz die Absetzung des Ministers Maximilian Joseph von Montgelas, weil dieser "alles Vertrauen im In- und Auslande" verloren habe und der "täglich größer werdende Zerfall der Finanzen" immer offensichtlicher werde. Aus Sicht Ludwigs, der Montgelas als den "eigentlichen Beherrscher Baierns" empfindet, muss ein neuer Geist in die Ministerien einziehen. "Männer seines Systems" dürfen nie wieder Minister werden.

MarschallCarl Philipp von Wrede hat die Aufgabe den König zu dieser Entscheidung zu überreden und ihn von der unabweislichen Amtsenthebung Montgelas zu überzeugen.

2. Februar 1817 München-Kreuzviertel * Mit den Worten: "Sonntag um elf Uhr werde ich mich bei Ihnen einfinden; adieu mon cher Montgelas. Ich hoffe, Sie in besserer Gesundheit anzutreffen, als ich Sie verlassen habe", hat der baierische Herrscher sein Kommen für den 2. Februar 1817 angekündigt. Doch statt demKönigfährt ein Bote mit der Entlassungsurkundein der Tasche in das Palais am Promenadeplatz.

Der abgesetzte Minister erhält nicht einmal die Gelegenheit, sich zu den Vorwürfen zu äußern.Das Kündigungsschreibenist so formuliert, als hätte der Graf selbst aus gesundheitlichen Gründen gebeten, "ihn der ganzen Last der ihm bisher anvertrauten Staatsämter zu entheben". Graf Maximilan Joseph von Montgelas schweigt nach der Überreichung des Schreibens erst einmal eine Viertelstunde und äußert sich dann nur über die - aus seiner Sicht - viel zu niedrige Höhe der Pension.30.000 Gulden erhält der Neurentner, statt der 36.000 Gulden, die er als aktiver Minister erhalten hat.

Das ist also der Dank des Hauses Wittelsbachfür den Mann, der ihnen in jahrzehntelanger Arbeit das Land vergrößerte, einen modernen Staat geschaffen und die Königskrone errungen hatte. Doch für Kronprinz Ludwig ist der Minister, der Baiern geformt, reformiert und modernisiert hat, einfach zu "unteutsch".

In dieser Zeit kursieren zudem Schmähschriften, in denen Montgelas unterstellt wird, er sei nur ein "halber Baier" und gehöre der alles unterjochenden französischen Nation an. Als Ernestine von Montgelas nach der Entlassung ihres Mannes als Minister die Gruppierung der Verschwörer an der Hoftafelbeschimpft, erhält sie lebenslanges Hofverbot.

Seite 261/814 Kein Wunder, dass der ansonsten denkmalgeile König Ludwig I. dem Architekten des modernen Baiern kein Bronzestandbild setzen lässt, wohl aber seinem Mitverschwörer Fürst Carl Philipp von Wrede.Danach bewirkt eine deutsch-national gestimmte bayerische Geschichtsschreibung, dass Montgelas bei den Bayern in keinem guten Andenken bleibt.

Nach der Entlassung des Grafen Maximilian Joseph von Montgelas werden die Ministerien neu aufgeteilt.Das Portefeuille des Äußerenerhält Alois Graf von Rechberg, das des InnerenFriedrich Graf von Thürheim und das der FinanzenMaximilian Freiherr von Lerchenfeld.

12. Februar 1817 München-Kreuzviertel * Mitglieder der Marianischen Männerkongregationbitten Kronprinzen Ludwig I. in einem Brief, ihnen "den ehemaligen Gnadenschatz der hiesigen Augustinerkirche, nämlich das im Wachs wirklich schön und künstlich bousirte Jesukind" zu überlassen. Als Entscheidungshilfe fügen sie hinzu, dass die Kongregation, sollte ihre Bitte Gehör finden, "dem hiesigen Armen-Fonde die baare Summe von Eintausend Gulden als Geschenk überreichen" werde.

Gegen diese berechnende Wohltätigkeit der finanzkräftigen Marien•verehrer können die sechs ehemaligen Elisabethinerinnen, in deren Besitz sich das Augustiner Christkindlbefindet, nichts entgegensetzen.Obwohl sie in Bittschriften an König Max I. Joseph verbissen um das Kindl kämpfen, stehen sie bei diesem Angebot auf verlorenem Posten.

Um März 1817 Königreich Baiern * Die Hungersnot setzt sich fort. Ein Bericht informiert: "[?] man stach die ersten Graswurzeln im Frühjahr 1817 aus der Erde, um sich Gemüse daraus zu machen oder sammelte Brennnesseln zum gleichen Zweck, man kaufte sich Kleie [?], um sie zu kochen und Kuchen aus ihr zu backen".

16. April 1817 München-Graggenau * Durch Brandstiftung brennt in der Nacht vom 16. April 1817 der seit zwei Jahren im Hof des Marstalls gelagerte Dachstuhlfür das Hof- und Nationaltheater ab. An der Brandstelle findet man Zettel mit der Aufschrift "Brot oder Brand".

Böse Zungen behaupten ernsthaft, der Dachstuhl "hat brennen müssen", weil letzte Nachmessungen gezeigt hätten, dass die Querbalken zu kurz gewesen seien und dadurch die Unfähigkeitdes ArchitektenCarl von Fischers ans Licht gekommen wäre.

Um den 17. April 1817 München-Graggenau * Nach der Brandstiftung am 16. April überlegt König Max I. Joseph die Verlegung der Residenz in eine andere Stadt.

An seinen Sohn, Kronprinz Ludwig I., schreibt er: "Die Köpfe fangen an, sich zu erhitzen und unruhig zu werden, die anonymischen Briefe sind häufig".

18. April 1817

Seite 262/814 München-Kreuzviertel * Die sechs ehemaligen "Elisabethinerinnen" müssen das "Augustiner Fatschenkindl" herausrücken.

Das hochverehrte gefatschte "Augustiner-Christkindl" wird nun von der "Elisabethkirche" in den "Bürgersaal" gebracht, wo man es mit einer liturgischen Feier willkommen heißt.

6. Mai 1817 Wien * Die Gräfin Ernestine Rupertina Walburga von Montgelas wird in den Sternkreuzordenaufgenommen und ist damit Mitglied des höchsten Damenordens der österreichischen Monarchie. Dennoch bietet die Gräfin breite Angriffsflächen für Klatsch und Tratsch in Hof- und Diplomatenkreisen. Und so flüsterte man in den Salons über ihre außerehelichen Amouren und unterstellt ihr Liebesbeziehungen zu verschiedenen Männern der baierischen Beamtenschaft, darunter auch zum Ministerkollegen ihres Mannes: Johann Wilhelm von Hompesch.

König Max I. Joseph befürchtet sogar, Montgelas Ehefrau Ernestine würde durch ihre Unbesonnenheit ihren Mann noch einmal ins Grab bringen. Im Jahr 1825 sagt er: "Wenn sie vor acht Jahren gestorben wäre, so wäre Montgelas noch heute Minister."

Um August 1817 Königreich Baiern * Als Nachwirkung auf den Vulkanausbruch auf der Insel Sumbawa im heutigen Indonesien vom April 1815 kommt es auch in diesem Jahr zu einer nur gering ausfallenden Getreideernte. Die Hungersnot setzt sich fort.

Oktober 1817 München-Angerviertel - München-Theresienwiese * Der "Polytechnische Verein" stellt Produkte der "vaterländischen Industrie durch alle Klassen der Fabrikation" aus.

Diese Schau ist der Beginn der späteren "Landmaschinen-Ausstellungen".

Die Objekte werden aber nicht auf der Theresienwiese, sondern in der Münchner Rosengasse ausgestellt.

1818 Ramersdorf - Haidhausen * Das Verhältnis zwischen den Bewohnern der "Ramersdorfer Lüften" und der eher bäuerlich strukturierten Bevölkerung in Ramersdorf gestaltet sich nicht immer spannungsfrei.

Jedenfalls begehren die Haidhauser und später die Münchner dieses Gebiet, auch deshalb, weil die Grenzziehung zwischen den Gemeinden immer etwas verworren ist. Diese Ungereimtheiten gehen auf die Bildung der bürgerlichen Gemeinde Ramersdorf zurück.

Damals nimmt man keine Rücksicht auf die Grenzen der bereits bestehenden "Steuerdistrikte". Deshalb kommen die "Ramersdorfer Lüften" zum "Steuerdistrikt Haidhausen".

1818 München-Ludwigsvorstadt * Leo von Klenze hat Pläne für den Neubau einer evangelischen Kirche in München entwickelt.

Seite 263/814 Da seine Planungen mindestens 280.000 Gulden gekostet hätten, einigt man sich auf auf eine günstigere Variante. Das betrifft auch den Bauplatz an der Sonnenstraße.

Im Jahr 1818 München-Lehel * Die "Lehel-Kaserne" besitzt eine Maximalkapazität von 390 Personen und 352 Pferdeständen.

Im ehemaligen "Konventbau der Hieronymitaner", dem sogenannten "Altbau", befinden sich vierzehn Mannschaftszimmer und fünf Küchen.

Der "Mittelbau" nördlich der Kirche beherbergt acht Mannschaftszimmer und zwei Küchen.

Durch die anschließenden Stallungen getrennt befindet sich der "Neubau". Er enthält die Wache, das Verhör- und Rapportzimmer. Darüber befinden sich weitere Büroräume, Magazine und Wohnungen.

1818 München-Maxvorstadt * Das "Eichthal-Palais" an der Brienner Straße 12 wird von Leo von Klenze erbaut.

1818 München-Englischer Garten - Lehel * Die nahe dem "Diana-Tempel" am östlichen Rand des "Englischen Gartens" gelegene "Tabakfabrik" wird in ein Bad umgewandelt.

Bald bürgert sich dafür der Name "Diana-Bad" ein.

Ende April 1818 München-Isarvorstadt * Die "Neue Kavalleriekaserne an der Isar", an der Zweibrückenstraße, ist insgesamt fertiggestellt.

Sie bietet jetzt Platz für 1.558 Soldaten und 359 Pferde.

Die Kapazität der Mannschaftszimmer schwankt zwischen 3 und 17 Bettladen für je zwei Personen. Die Standardzimmer haben entweder 8 oder 14 Bettladen.

26. Mai 1818 München * Seit der Verfassung vom 26. Mai 1818 sind im Königreich BaiernFragen der Postnicht mehr alleine Angelegenheit des Landesherrn und seiner Regierung.Die Ständeversammlunghat das Recht über die Staatsausgabenund damit auch über die Postmitzubestimmen.

Zu den bevorzugt diskutierten Themen in der Ständeversammlunggehört unter anderem die Frage, ob die Post, als Öffentliche Anstaltdie Bedürfnisse der Öffentlichkeit zu befriedigen hat oder ob sie vorwiegend Geld in die immer leeren Staatskassen bringen soll. Immer wieder prangern die Abgeordneten

Seite 264/814 die katastrophalen Dienstleistungen der Post, die Grobheit der Postillioneund den miserablen Zustand der baierischen Straßenan.

26. Mai 1818 München * Das Königreich Baiern gibt sich eine konstitutionelle Verfassung. Baiern ist damit unter den großen deutschen Staaten der erste Verfassungsstaat. Baden erreicht diesen Status drei Monate und Württemberg ein Jahre später.

Der König vereinigt alle Rechte der Staatsgewalt in seiner Person, unterliegt aber in der Ausübung seiner Rechte einigen Beschränkungen.

Es gibt ein Zweikammersystem.

Die Erste Kammersind die Reichsräte, die Zweite Kammersetzt sich zusammen zu je einem Achtel aus adeligen Gutsbesitzern und Geistlichen, ein Viertel kommt von Städten und Märkten, die restliche Hälfte sind Landeigentümer ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit. Es gibt eine Legislaturperiodeund außerdem werden die Mitglieder der Abgeordnetenkammergewählt. Dennoch ist der Weg zu demokratischen Strukturen noch sehr, sehr weit! Die adeligen Gutsbesitzer stellen ein Achtel, die katholischen und evangelischen Geistlichen ebenfalls ein Achtel, die Städte, Märkte und Gemeinden ein Viertel und die übrigen Landeigentümer ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit die Hälfte. Dazu kommen zusätzlich drei Vertreter der Universitäten. Es gibt keinen Parlamentarismus, die Mehrheitsverhältnisse in der Abgeordnetenkammerhaben keinen Einfluss auf die Arbeit des Ministerrats, die Abgeordneten haben kein Initiativrecht, dürfen also selbst keine Gesetzentwürfe einbringen und dürfen nicht über ihren Zusammentritt selbstständig entscheiden.

Im Vergleich zu den Vorgaben der Deutschen Bundesakteist die Baierische Verfassungjedoch sehr modern ausgefallen. Sie legt das Fundament für das System einer konstitutionellen Monarchie.

Erneut ist das neue Staatsgrundgesetzaber keine Vertragskonstruktion zwischen dem Fürsten und dem Volk, sondern ein einseitiger verfassungsgebender Akt des Königs. Man nennt das auch eine oktroyierte Verfassung, die vom König in freier Selbstbeschränkungerlassen wird und somit nicht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen Fürst und Volksvertretung darstellt.

Im Gegenteil, der Baiernkönig begründet seine Herrschermacht mit der Verfassung nicht, sondern unterwirft sich vielmehr nur in bestimmten Punkten seinen selbst erlassenen Beschränkungen.

Juni 1818

Seite 265/814 München-Isarvorstadt * Das Eliteregiment "Garde du Corps" erhebt erfolgreich Einspruch gegen die Absicht der Militärverwaltung, die Mannschaft in der "Neuen Isarkaserne" sehr dicht zu kasernieren und einen Teil der Zimmer leer stehen zu lassen, um dadurch Brenn- und Beleuchtungsmaterial sparen zu können.

Oktober 1818 München-Theresienwiese * Erstmals können die Münchner eine frische Mass Bier auf der "Wiesn" trinken.

Denn die Wirte stellen Buden auf, in denen "Erfrischungen all Art verabreicht" werden.

Die erste "Fischbraterei" auf der Wiesn bietet "gebratenen Hering frischer Ernte" an.

1819 München * Leonhard von Eichthal hat Größeres vor.

Deshalb konvertiert er zum katholischen Glauben, da nun seine sieben Kinder in den bayerischen Adel einheiraten können.

Er nutzt diese politischen Verbindungen, um sein Geld in den "Aufbau des bayerischen Eisenbahnnetzes" zu investieren. Gleichzeitig bringt er große Grundstücke in seine Hand, die als potenzieller Baugrund gelten.

1819 München * In München produzieren 62 Brauereien den beliebten Gerstensaft.

1. Februar 1819 München-Kreuzviertel * Die erste baierischeStändeversammlungtagt vom 1. Februar bis 25. Juli 1819.

5. März 1819 München-Kreuzviertel * Joseph von Utzschneider bringt in seiner Funktion als Münchner Bürgermeister in der Ständeversammlung einen Antrag gegen den jüdischen Hausiererhandel ein. Der Handel der Juden soll demnach die "Quelle aller den inländischen Handel und das Gewerbe untergrabenden und vernichtenden Übel" darstellen.

August 1819 Franken - Würzburg * Kurz nachdem König Max I. Joseph den Maßnahmenkatalog zur Eingrenzung des jüdischen Hausiererhandels genehmigt hat, kommt es in den fränkischen Landesteilen zu schweren Judenverfolgungen, "die vor allem in Würzburg das Maß des seit Jahrhunderten Dagewesenen überschritten. [?] Arbeitslose, Handwerksburschen, verschuldete Bauern und Bürger stürmten die Häuser der Juden. Synagogen wurden in Brand gesteckt".

Die Übergriffe auf die jüdischen Mitbürger dauern - mit Unterbrechungen - bis ins Jahr 1822 hinein an.

Seite 266/814 25. September 1819 München-Theresienwiese * Nachdem die Stadt München ein Jahr zuvor durch das Gemeinde-Ediktund die Verfassung des Königreichs Baiernerste kommunale Selbstverwaltungsrechtezurückerhalten und sich neu konstituiert hat, übernimmt der Magistrat der Stadt die alleinige organisatorische und finanzielle Verantwortung für den Unterhaltungsteil des Oktoberfestes, worunter das Pferderennenund das Vogelschießengemeint ist. Für diesen Teil wird künftig der Name Oktoberfestgebraucht.

Die Ausrichtung des landwirtschaftlichen Teils (Vieh-Prämierung, Ausstellung und Viehmarkt) bleibt in der Verantwortung des Landwirtschaftlichen Vereins.Dieser Teil wird künftig als Landwirtschaftliches Centralfestbezeichnet werden.

Bis heute ist die Landeshauptstadt München der alleinige Veranstalter der Wiesn.

1820 Haidhausen * Andreas Obermayr, der "Benefiziat der Nicolai-Kirche" am Gasteig, lässt - ohne Erlaubnis - die "Schauermayr?sche Kapelle" abreißen und neu und größer wieder aufbauen.

26. März 1820 München-Graggenau * Der "Magistrat der Haupt- und Residenzstadt München" beschließt, König Max I. Joseph ein Denkmal zu setzen.

Anlass ist der bevorstehende zweite Jahrestag der "Bayerischen Verfassung". Der König soll als "Vater des Vaterlandes" und als "Friedensfürst" dargestellt werden.

Zur Aufbringung der Kosten richtet man eine "Subskription" ein, eine für die damalige Zeit durchaus übliche Vorgehensweise. An vielen Orten in Deutschland und ganz Europa konstituieren sich im 19. Jahrhundert solche Kommissionen, deren Bestreben es ist, für eine zu ehrende Person - häufig sindes allerdings bürgerliche Größen der Geistes- und Kulturgeschichte - ein Denkmal zu errichten. Sie fungieren als unermüdliche Geldbeschaffer, Ausarbeiter eines "Programms" und Auftraggeber für einen Künstler.

30. Mai 1820 München-Graggenau * Die künstlerische Konzeption desMax-Joseph-Denkmalsliegt von Anfang an bei Kronprinz Ludwig I. und Leo von Klenze, der einBrunnenmonument auf dem Max-Joseph-Platzvorschlägt. Das steht wiederum in einem engen Zusammenhang mit einem groß angelegtenWasserleitungs- und Brunnenprogramm, das für die Stadt eingerichtet werden soll und ihr Vorbild in dem napoleonischenBrunnenprogrammfür Paris hat.

8. Oktober 1820 München-Theresienwiese * Ein Augsburger Pyrotechnikerbrennt auf dem Oktoberfestdas erste Feuerwerkab.

1821 München-Kreuzviertel * Peter Paul Ritter von Maffei kauft den "Seinsheim'schen Besitz" am Promenadeplatz 8

Seite 267/814 zur Unterbringung seiner Bank.

März 1821 Griechenland * Unter dem Kommando des Fürsten Alexandros Ypsilantis beginnen die Griechen im offenen Aufstand für ihre Freiheit und Selbstständigkeit zu kämpfen.

Da aber die von Russland erwartete Unterstützung in diesem "Unanhängigkeitskrieg" nicht erfolgt, wird die "Heilige Schar" unter Alexandros Ypsilantis innerhalb von nur drei Monaten vollkommen aufgerieben. Es kommt in der Folge zu grausamen Massakern unter der griechischen Bevölkerung.

Mit Beginn des "Unabhängigkeitskrieges" gründen sich in ganz Westeuropa Vereinigungen von "Philhellenen" (das bedeutet "Griechenfreunde"), die in der Öffentlichkeit für die griechische Sache werben, diese mit Geldspenden unterstützen und sich auch selbst in die Kampfhandlungen einmischen. Zu diesen "Philhellenen" zählt sich auch Ludwig I.. Der Bayernkönig unterstützt - leidenschaftlich und mit viel romantischem Pathos versehen - die griechischen Patrioten in ihrem "Freiheitskampf".

Die Griechen kämpfen einen "Guerillakrieg". Die griechischen "Freiheitskämpfer" werden von einem "Kapetánii" angeführt und bezeichnen sich selbst als "Klephte", was eigentlich Dieb oder Räuber bedeutet, oder als "Pallikare", was junger Mann oder Held heißt. In der Zeit des "Unabhängigkeitskrieges" sind unter diesen Bezeichnungen aber immer "Freiheitskämpfer" gemeint.

5. Mai 1821 St. Helena * Napoleon Bonaparte, der ehemalige französische Kaiser Napoleon I., stirbt in Langwood House auf der britischen Insel Sankt Helena im Südatlantik in der Verbannung.

Ab dem Jahr 1822 Vorstadt Au - Haidhausen * Der "Viehmarkt Auf den Lüften" wird jeden Donnerstag abgehalten.

Ein Chronist schreibt über den Markt: "Sehr merkwürdig ist es, wöchentlich am Donnerstag auf der Lüften zunächst München an der Rosenheimerstrasse den Viehmarkt zu sehen, auf welchem hiesige Metzger, und Köche für den Bedarf der Stadt bedeutend einkaufen.

Dieser Platz ist zu diesem Behufe um so mehr gut gelegen, weil alles Vieh, welches am rechten Isarhochufer im bayerischen Gebürgslande aufgezogen wird, sehr leicht dahin gebracht werden kann.

Da ist an der Landstrasse, und an der daranstoßenden Wiese alles mit Ochsen, Kühen, Kälbern, und Schweinen bedeckt, und die Luft ertönt von dem Gebläcke der Thiere, von dem Brummen der Kühe, denen man ihre Kälber nimmt, und von dem Bellen der Hunde.

Da geht es an ein Handeln, Einschlagen und Geldzählen, an ein Notiren und Aufschreiben zum Behufe des Aufschlages, und der Weg nach München ist an diesem Tage mit Vieh bedeckt, wobey die Treibbuben einen besonderen Verdienst haben?.

Seite 268/814 1822 Untergiesing * Die "bürgerliche Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" entschließt sich, nachdem sie jahrelang dem Geschehen in der "Mayer'schen Lederfabrik" tatenlos und voller Neid zugesehen hat, zu einem Protest bei "allerhöchster Stelle" - vermutlich dem "Königlichen Ministerium des Inneren" - gegen die "gewissenlosen Gewerbebeeinträchtigungen, welche wir von den hiesig- und umliegenden Lederfabrikanten und Israeliten durch die widerrechtliche Anmaßung der Selbstfabrikation ihrer in Accord übernommenen MilitaÌ?rlieferungen viele Jahre hindurch sehr empfindlich zu erdulden hatten".

In der Folge fordert die Behörde den "Lederfabrikanten" auf, künftige Militäraufträge bei den ansässigen Schuhmachermeistern fertigen zu lassen. Doch die Freude der Schuster über ihren Sieg gegenüber dem Lederfabrikanten dauert nur kurz.

Dem geschäftstüchtigen Fabrikbesitzer Ignaz Mayer gelingt es nämlich, den Schwabinger Schumacher Hanrieder davon zu überzeugen, dass er seine Werkstatt mit "Sack und Pack" sowie mit der Genehmigung der zuständigen Behörden in die "Untergiesinger Lederfabrik" verlegt. Der "Schuhmacher" erhält dafür "eine wöchentliche Entschädigung [...], und [kann] sonach genüßlich sein Leben in Wohltätigkeit durchbringen". Ignaz Mayer aber kann über den Trick der ausgeliehenen "Hanriederischen Konzession" - sehr zur Empörung der "bürgerlichen Schuhmacherzunft Münchens und der Vorstadt Au" - seine Militärlieferungen auch künftig weiter in eigener Regie herstellen lassen.

Der "Schuhmacherzunft" bleibt nur mehr das Beschreiten des Protestwegs. Ihr Protest gegen die "unerlaubte Transferierung einer Gewerbekonzession von einer Vorstadt in die andere" findet beim "Königlichen Landgericht" zunächst positives Gehör.

Doch die "Regierung des Isarkreises" hebt das Verbot umgehend wieder auf. Eine "königliche Anweisung" zieht schließlich einen Schlussstrich unter die Affäre - und zwar zugunsten der industriellen Produktion in der "Lederfabrik".

Es war das "Königliche Handelsministerium", das sich in den Vorgang um die umstrittene Konzession einmischte und die Entscheidung zugunsten des "Hoflieferanten" beeinflusste.

Wenn schon nicht das Einzelmitglied, so hätte doch die "Schuhmacherzunft" den Einfluss ihres Kontrahenten und damit die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkennen müssen. Immerhin ist Ignaz Mayer nicht nur der Schwiegersohn des dem bayerischen Königs als millionenschweren Kreditgebers unentbehrlich gewordenen Leonhard von Eichthal, sondern seit dem Jahr 1809 auch der Schwiegervater von Simon Freiherr von Eichthal, der bei der Gründung der "Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank" eine zentrale Rolle spielte.

Der "Hofbankier" organisiert nicht nur die neue Kreditbank, sondern stellte auch dem späteren König Ludwig I. Mittel für seine Kunsteinkäufe zur Verfügung.

31. Dezember 1822 München * In München gibt es 62 Brauereien.

1823 Indien * Die junge Familie Gilbert gehtnach Indien, wo sich der im Dienst der britischen Besatzungsarmee stehende Vater ein finanziell abgesichertes Leben erhofft.

Seite 269/814 Er stirbtaber noch im gleichen Jahr an der Cholera.

14. Januar 1823 München-Graggenau * Der Brand des Hof- und Nationaltheatersbringt einen herben Rückschlag für den Bau eines Max-Joseph-Denkmals, da nun die notwendigen Mittel vordringlich in den Wiederaufbau der Schaubühne gesteckt werden müssen.

14. Januar 1823 München-Graggenau * Das erst am 12. Oktober 1818 eingeweihte Kgl. Hof- und Nationaltheaterbrennt bis auf die Grundmauern nieder. Während der Aufführung der komischen Oper "Die beyden Füchse" fängt die Dekoration Feuer. Weil das Löschwasser gefroren ist, müssen die Münchner zusehen, wie eines der größten und modernsten Opernhäuser Europas ein Opfer der Flammen wird. Mit dem Wiederaufbau - nach den Plänen von Carl von Fischer - wird Leo von Klenze betraut.

1824 Untergiesing * Ignaz Mayer stirbt. Die "Untergiesinger Lederfabrik" geht in den Besitz seines Schwagers Arnold von Eichthal über.

Die Leitung der "Großgerberei" erhält damals Franz Kester, der die Lederfabrik zu einer der modernsten ihrer Art in ganz Deutschland und zur größten auf dem europäischen Festland machen wird.

1824 München * In den Kasernen sind aber nicht nur die Soldaten, sondern auch deren Ehefrauen untergebracht.

Diese müssen sich - gemeinsam mit ihren Männern und ihren Kindern - die Kasernenzimmer mit mehreren Soldaten teilen, sodass sich das ganze Ehe- und Familienleben "vor Publikum" abspielt.

Ein Bericht beschreibt die Situation so: "[...] In Krankheit und Geburtsfällen müssen die Weiber in den nämlichen Zimmern, in denen sich auch die Mannschaft befindet, nur durch einen leichten Vorhang gedeckt, ihr Schicksal erleiden [...]

Wenn auch in Geburts Fällen im entscheidenden Augenblicke die Mannschaft aus dem betreffenden Zimmer entfernt, und für einige Zeit in ein anderes Zimmer gewiesen wird, so müssen zur Nachtzeit, wenn die leeren Bettstellen der im Dienst befindlichen Leute nicht hinreichen, drei Mann in einer Bettlade der Ruhe genießen".

9. Juni 1824 München * ErzbischofAnselm von Gebsattel veröffentlicht einen "Hirtenbrief zur Sittlichkeit" und erteilt den Geistlichen massive Anleitungen, um "gegen die große Zahl unehelicher Kinder und andere sittliche Verhaltensweisen" aktiv zu werden. Das unterstützt die Habererenorm und fordert die Geistlichen sogar auf, die Treibenzu fördern.

18. Juni 1824

Seite 270/814 Speyer * Arnold Zenetti wird in Speyer als Sohn des RegierungsratsJohann Baptist Zenetti geboren. Sein Bruder Julius wird Regierungspräsident von Mittelfranken, sein Bruder Wilhelm Abt von St. Bonifazin München.

6. August 1824 Haidhausen * Johann Peter von Langer stirbt.

Noch kurz vor seinem Tod äußert er sich vor seinen Studenten folgendermaßen:"Meine Herren, es gibt nur drei wahrhaft große Künstler: Der Erste war Raffael, der Zweite ist mein Sohn und den Dritten verbietet mir die Bescheidenheit, Ihnen zu nennen!" Kritik nahm er nicht mehr wahr. Den Bestrebungen, ihn als Akademiedirektorabzusetzen, muss er sich nicht mehr stellen, da er das Zeitliche segnet.

Robert von Langer erhält zwar das väterliche Adelsprädikat übertragen, doch für das Amt des Akademie-Direktorswird im gleichen Jahr Peter Cornelius berufen.

6. August 1824 München-Theresienwiese * In einer gemeinsamen Bekanntmachung der Polizeidirektion, des Landgerichtsund des Magistrats der Stadt Münchenwird die Zahl der auf dem Oktoberfestzugelassenen einheimischen (hiesigen) Bierwirte und Brauer auf 18 festgelegt. Im Losverfahren werden in einem Jahr die ersten 18, im nächsten Jahr die zweiten 18 Bewerber berücksichtigt.

Zudem sind auch vier Wirte aus demumliegenden Landgericht Münchenzuglassen. Ihr Standort ist auf der Theresienhöhe.

Oktober 1824 München-Theresienwiese * Innerhalb der "Pferderennbahn" befindet sich der "Wirtsbudenring".

Die sie betreibenden Bierwirte und Brauereien sorgen mit Kegelbahnen und Kletterbäumen für Unterhaltung und Volksbelustigung.

1825 München-Isarvorstadt * Simon von Eichthal erwirbt den sumpfigen "Heilig-Geist-Anger" in der Absicht, ihn in möglichst viele kleine Grundstücke zu parzellieren und danach gewinnbringend zu verkaufen.

Daraus wird das "Gärtnerplatz-Viertel".

2. Januar 1825 München-Graggenau * Das vom Brand zerstörte Kgl. Hof- und Nationaltheaterwird nach dem Wiederaufbau mit einem Prolog, einem baierischen Volksliedund dem Ballett "Aschenbrödel" eröffnet. Die einzige bedeutende Veränderung am Theaterbau ist der Giebel, mit dem Leo von Klenze das Walmdach von Carl von Fischer ersetzt hat.

25. Februar 1825

Seite 271/814 München-Kreuzviertel * Die dritte Ständeversammlungwährend der Regierungszeit von König Max I. Joseph tagt vom 25. Februar bis 12. September 1825.

Ab August 1825 München-Maxvorstadt*An der Stelle der ehemaligen "Reitschule" entsteht das "Bazargebäude", ein für damalige Zeit hypermodernes "Kaufhaus".

Der Grundriss wird von Ulrich Himbsel entworfen. Für die Fassadengestaltung zeichnet Leo von Klenze verantwortlich.

11. September 1825 München-Kreuzviertel - Königreich Baiern * Als drittes Gesetz wird zu den Bestimmungen über Heimat, Ansässigmachung und Verehelichung noch das Gesetz über das Gewerbewesen beschlossen, um "die Hindernisse des Kunstfleißes zu beseitigen" und "die Ausbildung in den Gewerben zu befördern". Während die Fabrikbesitzer die völlige Gewerbefreiheit fordern, wollen die Vertreter des Handwerks letztlich die bestehende Zunftverfassung behalten und sogar noch erweitern.

Die Ständeversammlung beschließt einen Kompromiss, in dem ein Konzessionssystem im Mittelpunkt steht. Danach ist die Ausübung eines Gewerbes von der Erteilung einer Gewerbekonzession abhängig. Diese wird von der staatlichen Polizeibehörde erstellt. Sie darf nicht versagt werden, wenn

der Bewerber die erforderlichen Fähigkeiten besitzt und der Unterhalt der anderen Gewerbetreibenden durch die Erteilung der Konzession nicht gefährdet wird.

Die bestehenden Realrechte, worunter man die Verkäuflichkeit und Vererbbarkeit des Handwerks versteht, bleiben von dieser Reform ebenso wie die radizierten Gewerbe unberührt.

27. September 1825 München-Maxvorstadt * Leo von Klenze kann dem immer ungeduldiger werdenden Kronprinzen melden:"Noch in dieser Woche wird das erste Stück, ein Basorelief, in der Erzgießerei gegoßen werden und ich hoffe, dass dann die Arbeit nicht mehr ausgehen wird".

Bei diesem Relief handelt es sich um eine Grabplatte für die zwei Indianerkinder Juri und Mirhana, die die Naturforscher Johann Baptist von Spix und Karl Friedrich Philipp von Martius aus Brasilien mitbrachten, und die jeweils im Alter von 14 Jahren im Jahr 1822 kurz hintereinander starben.

12. Oktober 1825 Schloss Nymphenburg * König Max I. Joseph stirbt. Den Abend verbringt der baierische König auf einem Ball des russischen Gesandten Woronzeff in der Herzogspitalstraße 18. Um 22 Uhr lässt er sich nach Schloss Nymphenburgbringen. Am nächsten Tag findet ihn sein Diener tot im Bett. Max Josephs Sohn Ludwig I. übernimmt nun die Regentschaft über das Königreich Baiern.

Seite 272/814 20. Oktober 1825 München - Königreich Bayern * Nur zwei Tage nach seinem Regierungsantritt ordnet König Ludwig I. in einer Rechtschreibreform an, dass "Baiern" in Zukunft "mit einem ?y? statt mit einem ?i? zu schreiben" ist. Mit dem griechischen "y" im Landesnamen will er seine Verehrung für den griechischen Befreiungskampf ausdrücken.

1826 Miesbach * Der Miesbacher "Landrichter" schreibt, dass es sich bei einem "Haberfeldtreiben" zwar um einen "einfaltigen und tollen Spuk" handle, den aber "die Geistlichkeit als Strafe der Gefallenen gerne sieht".

Es gibt sogar Geistliche, die sich gegen die eigene "kirchliche Obrigkeit" wenden und "Schnaderhüpfel" und so manchen "Haberervers" dichten. Diese sind in ihrer Ausdrucksweise schon nahe an der Pornographie.

1826 Aibling * In einem Protokoll vom Aiblinger "Landrichter" heißt es über die Unterstützung des Pfarrers für das "Haberfeldtreiben":

"[?] wo schon mehrere denselben diesen Herrn als eine Sünde sollen gebeichtet haben, und aber der Pfarrer ihnen erklärt hätte, dass es keine Sünde sey, das Laster zu bestrafen; ja man behauptet sogar, dass die Geistlichen [?] öffentlich in Wirtshäusern oder vielmehr in ihren eigenen pfarrlichen Zechstuben Lobreden auf dieses Haberfeldtreiben machen und, was leicht zu vermuten ist, jeden Meineid deswegen absolvieren".

1826 Landshut - München-Kreuzviertel * Mit dem Umzug der Universität von Landshut nach München dienen die Räume des ehemaligen "Karmeliten-Klosters" zur vorläufigen Unterbringung des "Georgianums", dem weltweit einzigen staatlichen "Priesterseminar".

Das Provisorium hält bis 1841.

1826 Bogenhausen * Ein Hochwasser zerstört die "Wiebekingsche Brücke" bei Bogenhausen.

1826 Bogenhausen * Eine ganz aus Holz hergestellte provisorische Isarbrücke bei Bogenhausen wird gebaut.

Diese "Interimsbrücke" hält bis 1873.

März 1826 München-Maxvorstadt * Die an die "Napoleonischen Befreiungskriege" erinnernden Straßenumbenennungen erfolgen.

Seite 273/814 Aus der Karolinenstraße bzw. Wilhelminenstraße wird die "Barer Straße", aus der Ludwigstraße die "Arcisstraße", die die heutige Katharina-von-Bora-Straße mit einschließt, die vor 1826 den Namen Amalienstraße trägt. Die Königsstraße, die ab dem "Königsplatz" Kronprinzenstraße heißt und aus dem ehemaligen "Fürstenweg" nach Nymphenburg entstanden sind, wird zur "Brienner Straße".

Juni 1826 München-Graggenau * Die Kostenvoranschläge für das "Max-Joseph-Denkmal" liegen vor.

Für die Herstellung der Modelle und deren Transport von Berlin nach München sind 72.121 Gulden veranschlagt worden. Für den Guss hat man 150.485 Gulden ausgerechnet.

Mit dem Guss des "Denkmals für König Max I. Joseph" wird der Goldschmied, Bildhauer und Münzschneider Johann Baptist Stiglmaier beauftragt. Er hat sich, nachdem die Tradition der bedeutenden Münchner Erzgießerei des 17. und 18. Jahrhunderts längst abgerissen war, in Neapel und Berlin zum "Bronzegießer" ausbilden lassen.

Gefördert hat ihn der "Leiter der Königlichen Münze", Heinrich Joseph von Leprieur, der ihm auch im Jahr 1810 einen Studienplatz an der "Kgl. Akademie der Bildenden Künste" verschafft hat.

1827 Königreich Bayern * Die Seidenzucht und Seidenspinnerei lässt sich als neuer Industriezweig in Bayern nachweisen. Das dafür notwendige Fachwissen wird unter anderem durch Lehrbücher verbreitet, die auf dem Zentral-Landwirtschaftsfest erworben und gewonnen werden können.

1827 Berg am Laim * In den Jahren von 1827 bis 1829 benutzt der Botaniker Alois Sterler in der ehemaligen Unterkunft des Franziskanzer-Hospiz neben der Berg am Laimer Michaelskirche einige Räume für seine "geheimnisumwitterten Experimente".

Er soll ein neues Futtermittel für Seidenraupen entwickeln. Von den 300 Gulden, die er vom Fonds für Industrie als Unterstützung erhält, musste er jährlich 60 Gulden Miete an die Michael-Hofbruderschaft abführen.

1827 München-Maxvorstadt * König Ludwig I. erteilt Friedrich von Gärtner den Auftrag zum Bau der "Bayerischen Staatsbibliothek", deren Bestände auf Herzog Albrecht V. ins 16. Jahrhundert zurückgehen.

Schon bevor sie die rund 200.000 Bände aus den säkularisierten Klöstern aufnehmen musste, war die "Staatsbibliothek" schon eine der umfangreichsten Sammlungen ihrer Art in Europa.

26. Mai 1827 Steingraben bei Elbach - Großpienzenau * In der Nacht vom 26. zum 27. Mai 1827 führen die HaberereinenDoppelschlag aus.

Seite 274/814 In Steingraben bei Elbachtreibt man den beiden BauerntöchternAnna Kirchberger und Barbara Huber wegen ihres unsittlichen Lebenswandelsund wegen ihrer unehelichen Kinderdas Haberfeld. Kaum sind in Steingraben die letzten Schüsse verhallt, geht in dem drei Stunden entfernten Großpienzenaudas Getöse los. Das "Treiben" gilt hier der BauerntochterAnna Taubenberger wegen "Umgangs mit mehreren Männern". Neben der Anna werden noch "weitere Sünder ins Gebet genommen".

Bei beiden "Treiben" kann die Obrigkeit keine Spuren der Teilnehmer entdecken.

20. Oktober 1827 Navarino * In der Seeschlacht von Navarinoversenkt die vereinigte britische, französische und russische Flotte sämtliche ägyptisch-türkischen Kriegsschiffe.

31. Oktober 1827 Schwabing * Der Provinzial-Vikarder wiedererstandenen Franziskanerprovinz, Pater Johann Nepomuk Glöttner, trifft mit einigen Patres, Klerikernund Laienbrüdernvon Ingolstadt kommend in Schwabing ein.

1. November 1827 München-Lehel * Mit der religiösen Restauration unter König Ludwig I. werden insgesamt 132 klösterliche Konvente in Bayern ins Leben gerufen. Jetzt kehren auch die Franziskanernach München zurück. Gegen den Willen vieler Zeitgenossen und in völliger Verklärung der seinerzeitigen Ereignisse genehmigt König Ludwig I., "[...] eingedenk, dass Mitglieder dieses Ordens Unseren erhabenen Vorfahren Kaiser Ludwig den Bayer zu einer Zeit vertheidigt haben, in welcher dies mit größter Gefahr verbunden war", die Niederlassung dieses Ordens im Lehel.

Am Allerheiligentagfahren die Franziskanermönchein sechs Wagen von Schwabing zur Sankt-Anna-Kircheim Lehel."An der Brücke vor dem Kloster, wo bereits eine große Menschenmenge versammelt war, wurden sie vom Bürgermeister [...] und anderen Herren empfangen und unter Voraustretung der Laienbrüder [...] bis zur Türe der Pfarr- und nunmehr auch Klosterkirche geführt.Hier erwartete sie Stadtpfarrer Schuster und begleitete sie an den Choraltar. [...]Die ganze, sehr religiöse Feierlichkeit, wobei die Kirche bis zum Erdrücken angefüllt war, [...] wurde mit dem Te Deum beschlossen."

Damit ist das Anna-Kloster im Leheldas Hauptklosterder wieder neu aufblühenden bayerischen Franziskanerprovinz.Seither befindet sich auch die Oberarm-Reliquiedes heiligen Antonius in der Anna-Klosterkirche.

20. Dezember 1827 Großpienzenau * In der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember 1827 wird dann noch der 18-jährigen Tochter vom Seltenschmied, Ursula Menhofer, das Haberfeld getrieben. Da auch nach diesem Treibendie Bevölkerung verschwiegen bleibt, bringen die eingeleiteten Ermittlungen wieder keinerlei Hinweise auf die Täter.

In seiner Ohnmacht schlägt der Landrichterder Regierung von Oberbayernvor, künftig jede Gemeinde, "in welcher sich solche Ruhestörung ereignet, in eine ergiebige Geldstrafe nebst Bezahlung der Untersuchungskosten [zu] verurteilen".

Seite 275/814 1828 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Eine hölzerne, fünfbogige "Notbrücke" über die Isar wird eingeweiht.

Sie erhält den Namen "Ludwigsbrücke". Sie ist bis dahin die einzige Isarüberführung zwischen Bogenhausen und Schäftlarn.

1828 München-Graggenau * Das "Bazargebäude" wird eröffnet.

Im Erdgeschoss befinden sich Ladengeschäfte. Im südlichen Eckbau wird das von Luigi Tambosi betriebene "Hofgarten-Café" untergebracht.

10. März 1828 München-Maxvorstadt * Das von Leo von Klenze neu erbaute "Odeon", ein Musiksaal mit hervorragender Akustik, wird eröffnet.

Das Gebäude ist gegenüber dem "Leuchtenberg-Palais" entstanden und hatte sich diesem anzupassen, weshalb Leo von Klenze den "Konzertsaal" im Inneren des Neubaus versteckt. Freilich gibt des deshalb kein natürliches Licht im 37 Meter langen "Konzertraum".

17. November 1828 München-Kreuzviertel * Die erste Stände-Versammlungenunter der Leitung von König Ludwig I. findet in der Zeit vom 17. November 1827 bis 18. August 1828 statt. Der bayerische Monarch ist gemeinsam mit seinem Leitenden MinisterGeorg Friedrich Freiherr von Zentner mit großen Erwartungen an dieses Zusammentreffen herangetreten. Die königlich angeordnete prunkvolle Eröffnung der Stände-Versammlungsoll eine neue Ära einleiten.

Der Hinweis in Ludwigs Thronredeerweckt liberale Hoffnungen, auch wenn der König betont, dass ihm die Religion das Wichtigstesei. Das Einbringen von 39 Gesetzentwürfen in beide Kammerndurch König Ludwig I. schürtdie hohen Erwartungen zusätzlich.

Doch die Ernüchterung tritt auf beiden Seiten sehr schnell ein. Die Mandatsträgerder beiden Kammerwollen sich nicht als bloße Erfüllungsgehilfen königlicher Politikverstanden wissen. Und der autokratische und ungeduldigeMonarch zeigt sich enttäuscht von dem vielfältigen parlamentarischen Widerstand, den er nicht nach seinem Willen brechen kann. Deshalb vergeht ihm schlagartig die Lust am Liberalismusund an den Reformen.

Kaum hatte er die politische Verantwortung übernommen, soll sich bei ihm eine lebenslang anhaltende Entfremdunggegenüber der Verfassungeinstellen.

Oktober 1829 München-Theresienwiese * Wegen der oft ungünstigen Witterung im Oktober wird für den "Wiesnbeginn" den 3. Sonntag im September vorgeschlagen.

Der Magistrat lehnt dieses Ansinnen mit der Begründung ab: "Weil bey dem Oktober-Feste die umliegenden änger vieler Privater begangen und befahren werden, was den

Seite 276/814 bestehenden Kulturverordnungen gemäß vor Michaeli um so weniger geschehen darf, da in hiesiger Gegend das Grumet vor Ende September nicht eingebracht wird".

Oktober 1829 München-Theresienwiese * Am Eröffnungstag des "Oktoberfestes" regnet es so stark, "dass selbst der königliche Pavillon keinen Schutz mehr gewährte".

Vier Tage später setzen starke Schneefälle ein. "Alle Buden waren geschlossen, die Theresienwiese verödet".

Zum Ausgleich wird die "Wiesn" um acht Tage verlängert. Da aber das Wetter auch weiterhin kalt und nass ist, kommen nur wenige Besucher.

1830 Indien - Europa * Die "Cholera", die lange Zeit endemisch in Indien beheimatet war, erreicht - durch intensiven Handel, Reiseverkehr und Krieg - erstmals Europa.

Die Erkrankung beginnt mit sturzbachartigen Durchfällen und Dauererbrechen. Der mit der "Cholera" infizierte verliert am Tag bis zu 15 Liter Körperflüssigkeit, sodass die erkrankte Person innerhalb weniger Stunden zu einer "verrunzelten Karikatur ihres früheren Ichs zusammenschrumpft".

Geplatzte Kapillargefäße verfärben die Haut schwarz und blau, der Kranke wird von Krämpfen geschüttelt, die Organe versagen, der Kreislauf bricht zusammen, das Herz stolpert und die Nieren arbeiten nicht mehr. Die Temperatur kann bis auf 20 Grad absinken, weshalb die "Cholera" auch "Kalte Pest" genannt wird. Der Tod tritt in drei bis fünf Tagen ein, oft aber schon nach wenigen Stunden.

Die Verbreitung der Krankheit erfolgt hauptsächlich über das Trinkwasser, das mit Exkrementen von "Cholera-Kranken" verunreinigt ist. Einen weiteren Übertragungsweg bilden Nahrungsmittel, die mit verseuchtem Wasser und ohne Erhitzung zubereitet werden.

Eine Ansteckung ist nur möglich, wenn der Erreger über den Mund in den menschlichen Verdauungstrakt gelangt. Dabei reicht schon eine Berührung der Lippen mit infizierten Händen aus.

1830 München-Englischer Garten - Tivoli * Der Schwabinger Wirt Georg Ferstl kauft das "Murat-Schlössl" und eröffnet darin seine Gaststätte "Zum Tivoli".

Dort gibt es auch eine einfache Badeanstalt. Im Winter wird die Wiese durch Spritzen zur beliebten Eislaufbahn. Außerdem gibt es einen "Kaffeepavillon" und ein Kinderkarussell.

Damit wird Georg Ferstl "Tivoli" ein beliebtes Ausflugslokal der Münchner. Es besteht bis zum Jahr 1923.

Bald heißt auch die ganze Gegend ums Wirtshaus "Am Tivoli".

Seite 277/814 Um 1830 München - Wien * Das "Jodeln" wird in den "Vorstadt-Theatern" in Wien und München "erfunden".

Freilich hat das "Jodeln" eine alpenländische Tradition, deren Ursprünge auf vorhistorische Zeiten zurückreichen.

In allen gebirgigen und unwegsamen Regionen der Welt gibt es verschiedene Techniken, um mit Rufen weite Distanzen akustisch zu überbrücken. Jodelnd verständigten sich Hirten und Sammler, Waldarbeiter und Köhler.

Nicht nur in den Alpen wurde von Alm zu Alm mit "Almschrei" (Almschroa) oder "Juchzer" (Juchetzer, Jugitzer, Juschroa) kommuniziert oder auch das Vieh mit einem "Jodler" (Viehruf) angelockt.

Dennoch wirddas "Jodeln" erst als Unterhaltungseinlage in den "Vorstadttheatern" und "Singspielhallen" populär gemacht. Erst von dort aus kommtes von gastierenden Künstlern aufs Land.

1830 München * Die bayerische "Post" erzielt alleine aus Briefportoeinnahmen 663.956 Gulden Gewinn.

Nur diese Zahlen faszinierten den König.

Da König Ludwig I. die "Post" als Anstalt zur Erzielung von Einnahmen sieht, unterstellt er die "Generaldirektion der königlichen Posten", samt seiner sieben "Postämter", 22 "Postverwaltungen", 175 "Postexpeditionen", 16 "Posthaltereien" und neun "Briefsammlungen" dem "Staatsministerium der Finanzen".

14. Februar 1830 München * König Ludwig I. erlässt eine "Verordnung die Zusammenlegung des Gesamten Bauwesens betreffend".

Er gründet damit die "Oberste Baubehörde" und macht seinen "Hofbauintendanten" Leo von Klenze zum Chef der Behörde. Dieser nimmt als erstes Großprojekt die "Alte Pinakothek" in Angriff.

1. Mai 1830 Vorstadt Au * Josef Schweiger tritt mit seinem Ensemble im "Gasthaus Radlwirt" in der "Vorstadt Au" in der heutigen Lilienstraße 42 auf.

Die Spielzeiten des "Schweigerischen Volkstheaters in der Vorstadt Au" dauert von Ende April bis Ende September. Täglich finden zwei Aufführungen statt.

Josef Schweigers "Holztheater" bietet Platz für bis zu 500 Zuschauer. Der billigste Platz kostet 6 Kreuzer, was dem Preis einer Maß dunklen Bieres entspricht. Dies können sich auch die weniger bemittelten Theaterbesucher leisten.

Seite 278/814 Da man der "Schweigerbühne" eine "Sitten zerrüttende Wirkung auf das Publikum" nachsagt, lebt Josef Schweiger in ständigem Kampf um die Theaterkonzession.

27. Juli 1830 Paris * Zwischen dem 27. und dem 29. Juli 1830 kommt es in Frankreich zur sogenannten "Julirevolution", bei der der restaurative BourbonenkönigKarl X. gestürzt und durch den liberalen BürgerkönigLouis-Philippe ersetzt wird.

Da diese liberale Bewegung in ganz Europa Auftrieb erhält und es in mehreren Staaten des Deutschen Bundeswie dem Königreich Sachsen, dem Königreich Hannover, dem Großfürstentum Hessen-Kasselund dem Herzogtum Braunschweigzu Unruhen und neuen Verfassungenkommt, erhöht sich beim bayerischen König - völlig berechtigt - auch die Angst vor einem Umsturz, weshalb seine Politik - spätestens jetzt - extrem konservative Züge annimmt. In KönigLudwigs I. Regierungszeit gibt es fast 1.000 politische Prozesse.

Oktober 1830 München-Theresienwiese * Erstmals wird auf dem "Oktoberfest" ein "Ringelstechen" veranstaltet.

26 Reiter treten gegeneinander an. Sie müssen nach einer Anlaufdistanz mit einer Lanze einen Eisenring aufspießen.

Oktober 1830 München-Theresienwiese * Die Ausgaben der Stadt für das "Oktoberfest" belaufen sich auf 6.500 Gulden.

Das Geld wird gebraucht

für zwei "Pferderennen", das "Vogel-, Hirsch- und Scheibenschießen", das "Ringelstechen", für ein "Feuerwerk" sowie den "Empfang des Königs".

1831 München-Isarvorstadt * Mit der hölzernen "Reichenbachbrücke" kommt ein zweiter Flussübergang über die Isar hinzu.

1831 Preußen * Über Russland und Polen gelangt die "Cholera" nach Preußen und von dort nach England.

Kuriose Vorschläge zur Bekämpfung der Seuche tauchen auf.

So schreibt die Freiin Caroline von Maiern in einer in Nürnberg erschienenen Flugschrift "Entdeckung des Geheimnisses der Cholera" folgendes: "Von Polizei wegen sollte Männern ein anderes Zeichen ihres Grußes bewilligt werden, als auf offener Straße ihre

Seite 279/814 Hüte und Mützen abzuziehen, weil das Choleragift sehr leicht dem Haare sich mitteilt. Und ferner sollte die Polizei das Tabakrauchen auf offener Straße erlauben, um das Miasma ["Choleradunst"] auch durch den Rauchtabak zu verscheuchen".

Eine andere Schrift, die auch in München auftaucht, will Händler, "welche aus angesteckten Ländern kommen", in eine vierzigtägige Quarantäne stecken.

Mitgeführte Papiere sollten geräuchert, Nahrungsmittel in Essig getaucht werden. Auch Geld sollte nicht aus der fremden Hand genommen werden. Es sollte ebenfalls zuvor in Essig gelegt werden.

Die Schrift endet mit der Drohung: "Diejenigen, welche gegenwärtigen Vorschriften keinen Glauben schenken, werden sich der Gefahr aussetzen, ihren Unglauben mit dem Leben zu büßen".

1831 München-Graggenau - München-Angerviertel * Der "Fischmarkt", der bisher am "Fischbrunnen" auf dem "Schrannenmarkt" abgehalten wurde, findet auf dem heutigen "Viktualienmarkt" statt.

Nach 1831 München-Isarvorstadt * Die Reichenbachstraße und Reichenbachbrücke wird nach Georg von Reichenbach benannt.

Die Büste des Mitglieds der "Baierischen Akademie der Wissenschaften" wurde inzwischen in der "Ruhmeshalle" aufgenommen.

20. Februar 1831 München-Kreuzviertel * Die zweite Ständeversammlungin Ludwigs I. Regierungszeit beginnt. Die Sitzungsperiode dauert bis zum 29. Dezember 1831.

Die Mitglieder der Abgeordnetenkammersind im Dezember des Vorjahres neu gewählt worden. Das Ergebnis brachte 62 Abgeordnete auf die christlich-konservative Regierungsseite und 66 Abgeordnete auf der fortschrittlich-liberale Bank der Opposition.

Weil der Monarch mit dem Wahlergebnis nicht einverstanden ist, macht er von seinem ihm verfassungsgemäß zustehenden "Ausschließungsrecht" bei fünf zur Opposition zählenden AbgeordnetenGebrauch und verweigert ihnen die Teilnahme an der Ständeversammlung.

19. August 1831 Haidhausen * Der aus Haidhausen stammende FarbenfabrikantMichael Huber kauft das Anwesen des Schlossgutes Haidenbergin Haidhausen für seine Fertigung von Farbprodukten.

Um den 1. November 1831 München * Die Griechen und die griechischen Schutzmächte Großbritannien, Frankreich und Russland erhoffen sich durch einen über den Parteien stehenden, neutralen "christlichen erblichen Fürsten" das Land stabilisieren zu

Seite 280/814 können. Da England, Frankreich und Russland um die Einflussnahme in Griechenland konkurrieren, soll der künftige Herrscher jedoch einem politisch eher unbedeutendem Fürstenhaus entstammen.

Eine Wahl fällt auf den bayerischen Prinzen Carl, dem jüngeren Bruder König Ludwigs I..Als ihm über die französische Regierung - vom Bruder nachhaltig unterstützt - die griechische Königskrone angetragen wird, macht dieser aber keinen Hehl daraus, dass ihm an Politik und Macht nichts liegt und er in Hinblick auf die Krone keinerlei Ehrgeiz entwickelt.

Prinz Carl widmet sich lieber seiner militärischen Karriere und seiner Familie. Ohne auch nur nachzudenken, lehnt er deshalb das Angebot umgehend ab. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Lage Griechenlands ist desolat. Das Land ist ausgeblutet und wirtschaftlich kaum entwickelt.

1832 München * In der Brausaison 1832/33 kommt erstmals Natureis zur Kühlung der Bierkeller zur Anwendung. Bis dahin bewerkstelligte man die Kühlung lediglich durch Kaltluftzufuhr.

1832 München-Englischer Garten - Lehel * Ein künstlicher Hügel wird im "Englischen Garten" aufgeschüttet.

Ziegelfundamente in fast gleicher Höhe wie der "Monopteros" selbst, geben dem Kunstberg den nötigen Halt. Der Hügel besteht aus Ziegelsteinen, Resten der Stadtbefestigung und angefallenem Erdreich.

Januar 1832 Frankreich * Die "Cholera" tritt in Frankreich auf und verbreitet sich von da aus über die ganze Erde.

14. April 1832 Zweibrücken * Das "Schwurgericht" in Zweibrücken spricht Johann Georg August Wirth von der Anklage des "Hochverrats" wieder frei.

20. April 1832 Neustadt * 32 Neustadter Bürger laden zu einem "Volksfest" ein, das der "politischen Diskussion über die Gestaltung eines demokratischen Nationalstaats und über die Mittel zu seiner Durchsetzung" gewidmet ist. Der Kreis der Einladenden für das "Volksfest auf dem Hambacher Schloss" setzt sich überwiegend aus wohlhabenden Geschäftsleuten und Gutsbesitzern zusammen.

Als äußeres Zeichen dafür, dass das Fest einem künftigen und nicht bereits erreichten politischen Ziel gilt, wird es vom bayerischen Verfassungstag am 26. auf den 27. Mai verschoben.

Das ist zudem ein Sonntag und damit für die arbeitende Bevölkerung ein wesentlich günstigerer Termin. Ausdrücklich werden auch die Frauen zu dieser politischen Versammlung aufgerufen.

28. Juni 1832 Hambach * FeldmarschallCarl Philipp Joseph Fürst von Wrede verordnet in 16 Paragraphen detaillierte

Seite 281/814 Maßnahmen, mit denen die oppositionelle Volksbewegungunterdrückt werden soll. Im Einzelnen verbietet er

öffentliche Versammlungen, politische Vereine und Verbindungen sowie das Tragen von schwarz-rot-goldenen Abzeichen und Fahnen. Er befiehlt die Entfernung der Freiheitsbäumeund kündigt die Bestrafung der Verfasser und Verbreiter unzensierter politischer Flugschriften an. Für den Fall, dass die angeordneten Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnungunzureichend sein sollten, kündigt Wrede die Verhängung des Kriegszustandesan.

Im weiteren Verlauf kommt es zu 142 Gerichtsprozessen, in denen sogar sieben Todesstrafen ausgesprochen werden. Diese werden allerdings in lebenslange Haft umgewandelt.

9. August 1832 München-Maxvorstadt * Mit dem Guss der Königsfigurauf dem Max-Joseph-Platzkann begonnen werden. Stiglmaier hat erstmals beim Guss des "Max-Joseph-Denkmals" die Form mit der sogenannten Schwarzen Masse, einer Mischung aus angefeuchtetem Sand, Lehm und Holzkohle hergestellt und will die Figur in einem Stück gießen.

Das Metall wird mehrere Tage lang in einem mit Holz gespeisten sogenannten Flammofenbis zum Schmelzen erhitzt.Zuerst wird das Kupfer geschmolzen, zuletzt das leicht verbrennende Zinn untergerührt.Nach Entfernen des Tonpfropfens aus dem Flammofen, fließt die flüssige Bronze in einem schmalen, feuerfesten Kanal in ein größeres Reservoir über der fertigen Gussform.Auf ein Kommando öffnen die Arbeiter alle mit eisernen Pfropfen verschlossenen Zuflussöffnungen, sodass das flüssige Material aus dem Reservoir in die Gussformstürzen kann.

Der Guss der Königsstatueist ein derart außergewöhnliches Ereignis, dass daran der komplette Magistrat der Haupt- und Residenzstadt München, der Finanzministe, der Direktor der Königlichen Münzeund Leo von Klenze teilnehmen.An den Guss einer auch nur annähernd gleichwertigen Bronzeplastik kann sich keiner der Gäste erinnern.Er lag viele Generationen zurück.

Doch der Versuch, die Figur in einem Stück zu gießen, missglückt.Fünfzehn Personen werden bei diesem Unglück verletzt und das Werk von achtzehn Monaten Arbeit vernichtet.Ferdinand Miller beziffert den Schaden auf 8 bis 10.000 Gulden.

September 1832 Dettendorf - Miesbach - München * Die Gemeinde Dettendorfkämpft - unterstützt von den Pfarrherrenvon Elbach, Au und Irschenberg - mit den Miesbacher Behörden und die Regierung von Oberbayerngegen die 50-Gulden-Strafeund die Untersuchungskostenin Höhe von 244 Gulden und 42 Kreuzer.

Letztlich bringen aber nur verschiedene Gesuche an König Ludwig I. den Erlass der Strafe. Auch die Untersuchungskostenwerden Ende September 1832 der Staatskasseauferlegt.

13. Oktober 1832 München * Eine zwölfköpfige Delegation trifft in München ein, um dem künftigen König die Huldigung der Griechen darzubringen und ihn anschließend nach Griechenland zu begleiten.

Seite 282/814 6. Dezember 1832 Ottobrunn - Aibling * Der 17-jährige Bayernprinz Otto macht sich von der Münchner Residenz auf nach Griechenland, in sein neues Königreich. In Ottobrunn nimmt König Ludwig I. Abschied von seinem Sohn.

Königin Therese wird ihn noch bis nach Aibling begleiten.An der Brücke über die Mangfall wird sie sich - unter Tränen - von ihrem Sohn trennen.

1833 München-Maxvorstadt * Der nun in mehrere Teile aufgetrennte Guss für das Max-Joseph-Denkmalkann doch noch hergestellt werden.Das letzte Sockelrelief wird anno 1835 fertig. Vermutlich werden jetzt alle Teile im Sandgussverfahrenhergestellt, da das Denkmal aus vielen, zum Teil beachtlich großen Einzelgussstücken besteht.

Das Denkmal wird in der Erzgießereikomplett zusammengebaut und danach in der Gänze auf den Max-Joseph-Platzgebracht.Das ist eine enorme Leistung, denn alleine die Königsfigurwiegt 7.800 Kilogramm.

1833 Haidhausen * An der Ecke Innere-Wiener- und Preysingstraße entsteht der Hallerbräukeller, der nach seinem Besitzer auch Schützinger Kellergenannt wird. An seiner Stelle entsteht später ein Wohnhaus, das in seinem Erdgeschoss das Kaffee- und Gasthaus Gasteigbeherbergt. Heute ist dort das Café Atlas.

1833 Vorstadt Au * Das Brunnwerk am Neudeck kommt für 100 Gulden in den Besitz der Vorstadt Au.

1833 München-Graggenau * Der Bildhauer Ludwig von Schwanthaler erhält den Auftrag, zwölf Bronzefiguren mit Ahnen der Wittelsbacher für den Thronsaalder Residenz zu erstellen.

1833 München-Graggenau * Das Hofbräuhausist als öffentliches Lokal zugänglich. Hier spielt der Kapellmeister Sulzbeckmit seine "Bande" auf. Von hier aus ertönt immer wieder der Landler "Huraxdax, packs bei der Hax".

30. Januar 1833 Nauplia * König Otto von Griechenland trifft im Geleit von 33 Segelschiffen mit der britischen Fregatte Madagaskarin der damaligen griechischen Hauptstadt Nauplia ein. Mit Otto reisen 3.500 bayerische Soldaten, eine größere Zahl Wissenschaftler und Verwaltungsbeamte sowieein dreiköpfiger Regentschaftsrat, bestehend aus dem ehemaligen bayerischen FinanzministerJoseph Ludwig Graf von Armansperg, dem Kgl. StaatsratGeorg Ludwig von Maurer und dem GeneralmajorKarl Wilhelm von Heideck.

Der Regentschaftsratsoll bis zur Volljährigkeit Ottos - in zweieinhalb Jahren - die Regierungsgeschäfte führen.

Seite 283/814 21. März 1833 München * König Ludwig I. steht dem Haberfeldtreibenpositiv gegenüber. Für ihn ist es kein Politikum, denn: "Bey dem alten Brauch des Haberfeldtreibens soll es gelassen, die dagegen gegebenen Verordnungen aufgehoben werden [?].Ohne meine Genehmigung soll keine Verordnung gegen einen alten Brauch gemacht werden".

1. September 1833 München-Graggenau *Leo von Klenze legt dem König die Grundzüge seiner Planungen für den Platz vor der Oper in Form von zwei Baulinienalternativen vor.

Die eine führt zu einer symmetrischen Platzgestalt, indem der Königsbauund die geplante neue Fassade der Hauptpostzwei gleich große Flächen beidseitig der Mittelachse begrenzen, die ihrerseits durch die Längsachse des Nationaltheatersund den geplanten Aufstellungsort des Max-Joseph-Denkmalsfestgelegt ist. Diese Symmetrie ist allerdings nur um den Preis einer "ganz in die Karikatur fallende Breite" des Postgebäudesvon etwa vier Metern zu erreichen. Der zweite Vorschlag rückt die Bauflucht weiter in den Platz, ausgerichtet auf die Südecke der Perusagasse, was erheblichen Gewinn an Raumtiefe für das Postgebäudebedeuten würde.

König Ludwig I. entscheidet sich für die erste Lösung, da im anderen Falle das Denkmalfür seinen Vater aus der Platzmitte geraten würde.

Mit der Hauptpostsoll ein markantes Beispiel für die hauptsächlich auf Stadtverschönerung ausgerichtete Baupolitik Ludwigs I. entstehen. Es ist aber zugleich ein Musterbeispiel dieser höchst fragwürdigen Baupolitik. Um seine Planungen verwirklichen zu können, braucht der König öffentliche und private Investoren, die seine gestalterischen Ideen unter Vernachlässigung von wirtschaftlichen und funktionalen Überlegungen akzeptieren. Private Bauherren lassen sich unter solchen Bedingungen kaum noch finden. Das haben nicht zuletzt die Erfahrungen in der Ludwigstraßegezeigt.

Doch auch die Veranlassung öffentlicher Bauaufträge gestaltet sich zunehmend schwierig.Die staatlichen Aufwendungen für königliche Luxusbautengeraten immer stärker in die Kritik. Insbesondere im Umgang mit der Ständeversammlung, die die Ausgaben bewilligen oder, wie bei der Hauptpost, im Hinblick auf weitere Bauaufgaben zumindest akzeptieren soll, findet Ludwig eigene Wege. Im Fall des Postgebäudesist dies eine Mischung aus Täuschungsmanövern, neoabsolutistischer Herrscherwillkür sowie einer Instrumentalisierung von teils opportunistischen, teils ahnungslosen Beteiligten.

Denn letztlich werden bei den äußerst komplizierten und kaum durchschaubaren Vorgängen, bei denen man auch den Einsatz eines Strohmannes und die bewusste Verfälschung und Verschleierung wichtiger Tatsachen nicht scheut, nahezu alle mit den Plänen befassten Instanzen, von der Postadministrationüber dasMinisterium des Königlichen Hauses, des Innen-, Außen- und Finanzministeriumsund der Ständevertretung, in unterschiedlicher Form und in jeweils anderen Punkten getäuscht und ausgenutzt.

Um den 5. September 1833 München-Graggenau * Leo von Klenze legt - unaufgefordert und ohne "Anspruch auf diesen Bau zu begründen" - einen Vorschlag für die Fassadengestaltung der Residenzpostvor, die er zur Kaschierung der 292 Fuß [90 Meter] langen und 70 bis 80 Fuß hohen Front auf dem nur 18 bis 19 Fuß tiefen bebaubaren Grundstück für geeignet

Seite 284/814 hält. Dabei verfällt er "auf den Gedanken eines offenen Portikus - eines so schönen Gedankens der alten und neuen Zeiten, wozu hier der Bauplatz und seine Lage nach Norden und sein Verhältnis wie geschaffen scheint".

Da das "Törringsche Palais in seiner ganzen Höhe bedeckt werden müßte, so schien es beßer, die Analogie einer Anlage aus dem Cinquecento als aus der Antike zu nehmen, und Florenz bietet dazu die schönsten Beispiele dar".Beigefügt sind wieder zwei alternative Vorschläge.Sie sehen über einer in Anlehnung an Filippo Brunelleschis Findelhausgestalteten Bogenhalle ein wahlweise in kleine Fenster oder Arkaden geöffnetes Obergeschoss vor.

Das florentinische Vorbild dürfte Klenze nicht allein im Hinblick auf Dimensionen und Proportionen gewählt haben.So wie er den Königsplatzals ein hellenisch-antikes Forum gestaltete, konnte mit dem an den Palazzo Pittierinnernden Königsbauund die Angleichung des Toerring-Palaisan das "Ospedale degli Innocenti" ein Platz entstehen, der einen Eindruck der florentinischen Renaissance vermittelt.

Die Rückwand der Arkaden ist schmucklos: "Ich habe in diesen Skizzen den Grund der Arkaden ganz glatt und ungeziert gelaßen, jedoch würde sich eine paßliche, vom Königsbaue aus vorzüglich anzusehende Zierde [...] leicht finden laßen. [...] Es scheint mir hier eine der seltenen Gelegenheiten die Großartigkeit und Einfachheit der Florentinischen Gebäude, welche ich soviel wie irgendjemand kenne und schätze, ohne Manier, Gewalt und Opfer dessen, was Vernunft und architectonische Consequenz erheischen anzuwenden und zu erreichen."

Dem möglichen Wunsch des Königs nach einer dem Königsbauähnlichen Fassade begegnete Klenze im Voraus mit dem Hinweis auf die völlig unterschiedlichen Größenverhältnisse. König Ludwig I. akzeptiert die Idee der Bogenhalle, gibt aber zu bedenken, wie ein Gebäudeteil finanziert werden könne, der "nur Zierde" und deshalb der Postkassekaum aufzubürden sei. Klenze wiegelt ab: "Da dieser Bau namentlich im oberen Stock nicht blos Zierde, sondern für den Nutzen der Post eingerichtet würde, so glaube ich nicht, daß ein Grund vorliegt, ihn nicht von dieser Administration bestreiten zu laßen".

In den folgenden Monaten wird diese Frage zum zentralen Streitpunkt.König Ludwig I. verteidigt die Idee gegenüber dem FinanzministerMaximilian Emanuel Freiherr von Lerchenfeld und dem Minister des königlichen HausesGise. Die beiden Minister machen etatrechtliche Bedenken insbesondere im Hinblick auf die Ständeversammlunggeltend, die ihrerseits bei der Entscheidungsfindung völlig übergangen worden ist.

20. Oktober 1833 Haidhausen - Ottobrunn * Der in Haidhausen niedergelassene SteinmetzmeisterAnton Ripfel beginnt mit den Arbeiten an dem 8,75 Meter hohen Ehrendenkmal in Form einer griechisch-dorischen Säule am Ortsrand von Ottobrunn, dem damaligen Hehenkirchner Forst. Die sogenannte Ottosäuleträgt die Inschrift: "3 ¼ Stunden von München entfernt, wo Ludwig I., König von Bayern, von seinem edlen Sohn, Otto I. von Griechenland, am 6. Dezember 1832 Abschied nahm."

Die Aufstellung der Ottosäulegeschiehtin Abstimmung mit dem Regenten.Da der huldigende Aspekt des Denkmals schon von Anfang an feststeht, wünscht König Ludwig I. solche Initiativen nicht nur, sondern erwartet sie geradezu.

13. Februar 1834 Ottobrunn * Die Ottosäulein Ottobrunn wird eingeweiht. Sie trägt die antik gestaltete Büste des damals siebzehnjährigen griechischen Königs aus dem bayerisch-wittelsbachischen Herrscherhaus. Der Sockel ist mit

Seite 285/814 Blattvoluten und Eckpalmetten verziert, die von Trophäen, Insignien und den Wappen der Königreiche Bayern und Griechenland umringt werden. Ein Löwe liegt zu Füßen des Sockels. Die künstliche Anhöhe, auf der sich die Ottosäulein Ottobrunn erhebt, wird erst in späterer Zeit mit Felsensteinen verkleidet werden.

Juni 1834 München-Graggenau * Monatelang ziehen sich die Auseinandersetzungen um die Umbaufinanzierung des Palais Toerring-Jettenbachhin. Die Ministerienhaben wegen der Unzweckmäßigkeit und Unglaubwürdigkeit des Projekts erheblich Vorbehalte. Der teuere Vorbau bringt kaum einen Zugewinn an Raum und ist außerdem durch mangelnde Belichtung nur sehr schlecht nutzbar. Was also soll die entstehenden Kosten rechtfertigen?

Schon deshalb holen die befassten Ministerieneinen Gegenentwurf des MaurermeistersHöchl ein, der anstelle der Bogenhalle eine einfache Fassade vorsieht.Doch das steht den Interessen des Königs diametral entgegen. Ludwig I. geht es einzig und alleine um die Gestaltung der Fassade, die er von den Wohnräumen seines Schlosses aus zu sehen bekommt.

Einen letzten Vermittlungsversuch unternehmen die MinisterMaximilian Emanuel Freiherr von Lerchenfeld und Friedrich August Freiherr von Gise im Juni 1834. Wenn der König schon nicht auf den kostspieligen Arkadenvorbauverzichten will, soll er dessen Errichtung doch durch einen Zuschuss aus seinen Mitteln unterstützen, "damit, wenn in künftiger Ständeversammlung dieser Bau zur Sprache kommt und dem Ministerium zum Vorwurf gemacht wird, es habe denselben mit Vernachlässigung des Raums nur im Sinne architektonischer Schönheit geführt, alle Klagen einzelner Mitglieder der Ständeversammlung dadurch beseitigt werden können".

Der König reagiert rigoros, selbstherrlich und schroff: "Die Stände über Fassaden von Gebäuden zu hören ist der Verfassung nicht gemäß. Einmischung derselben in die Administration leide ich nicht. Dieses ist Mein letztes Wort in Betreff dieses Gegenstandes."Da der GeneralpostadministratorLippe nichts weiter als ein opportunistischer Erfüllungsgehilfe des Königs ist, genügt ein Machtwort und die Postdirektionbezahlt den gesamten Umbau des Palais- einschließlich der nicht nur unbrauchbaren, sondern für ihre Belange geradezu unfunktionalen Säulenhalle - aus dem eigenen Haushalt.

15. Juni 1834 Schloss Maxlrain * In der Nacht vom 15. zum 16. Juni 1834 verüben - angeblich - die Haberereinen "lebens- und eigentumsgefährlichen Angriff auf das Schloß Maxlrain".

Doch bei der "Schlacht von Maxlrain" sind vollkommen andere Gründe maßgeblich. Bestimmt werden Mord- und Branddrohungenausgesprochen, denn die bewaffneten Burschenverdächtigen den Maxlrainer Jägerdes Mordes an einem ihrer Freunde. Der Aufruhr läuft ziemlich unorganisiert ab und hatauch sonst nur wenig Ähnlichkeit mit einem Haberfeldtreiben.

1. Juli 1834 München-Kreuzviertel * Innenminister Ludwig Fürst von Oettingen-Wallerstein bringt in die Ständeversammlung einen Gesetzentwurf zur Revision des Ansässigmachungs- und Verehelichungsgesetzes ein.

Ziel der Gesetzesvorlage ist die Begrenzung des Bevölkerungswachstums durch Verhinderung der Verehelichung und Familiengründung durch Besitzlose. Damit sollen gleichzeitig

Seite 286/814 die Lasten der Armenkasse gesenkt sowie die Unzufriedenheit der sozialen Unterschichten und die damit verbundene Revolutionsbereitschaft unterbunden werden.

Der Innenminister kommt damit der überwältigenden Mehrheit der Abgeordnetenkammer entgegen, die bereits am 13. September 1831 derartige Schritte forderte. Fürst Ludwig von Oettingen-Wallenstein schafft mit diesem Deal auch die Zustimmung zu anderen Gesetzesvorlagen wie die Zivilliste, den Festungsbau in Ingolstadt und den Ludwig-Main-Donau-Kanal.

17. Juli 1834 Valley * Das Schloss Valleybrennt ab. Man vermutet, dass Habererhinter dieser Brandschatzung stecken.

31. Juli 1834 München * König Ludwig I. gibt seine wohlwollende Haltung gegenüber dem Brauchdes Haberfeldtreibensauf und erteilt den Befehl:"Seine Majestät der König haben zu genehmigen geruht, daß

die alte Sitte des Haberfeldtreibens in jenen Gemeinden, in welchen selbes zur Verübung von Exzessen irgendeiner Art, d.h. als Spottung vor die Häuser der Mütter unehelicher Kinder mißbraucht wurde, oder künftig mißbraucht wird, verboten, und daß sodann die von einem solchen Verbote betroffenen Gemeinde für etwaige Zuwiderhandlungen in solidum [= ganzheitlich] verantwortlich erklärt und nach Lage der Sache durch die Kreisregierung selbst mit militärischer Exekution belegt werde."

11. August 1834 Schloss Maxlrain * Auf den Maxlrainer Schlossherrn, Carl Theodor Graf von Lodron, wird ein Überfall versucht und am 11. August 1834 in einem Drohbriefein Brandanschlag ankündigt. Jetzt wächst die Angst vor den Haberernins Unermessliche.Auch, weil das Schloss Valleybereits am 17. Juli 1834 abgebrannt war.

21. August 1834 Valley * Auf den Brauereiaufsehervon Valley wird ein Anschlag verübt. Wieder verdächtigt man Haberer.

Ab dem 11. April 1835 München-Maxvorstadt * Die Arbeiten für die von Friedrich von Gärtner im Stil des romantischen Historismus geplanten Bauten gegenüber der Universität beginnen. Sie dauern sechs Jahre an.

Nördlich der heutigen Veterinärstraße entsteht das "Max-Joseph-Stift" für "höhere Töchter"; südlich davon das "Georgianum" für angehende Geistliche.

1. Juni 1835

Seite 287/814 Aibling * Das Theresienmonumentan der Brücke über die Mangfall, gleich hinter Aibling, wird eingeweiht. Das Denkmal erinnert an die tränenreiche Verabschiedung der Bayernkönigin Therese von ihrem 17-jährigen Sohn Otto, auf seinem Weg nach Griechenland. Das Theresienmonumentist eine neugotische "Fiale mit eingestellter Muttergottesfigur", nach Plänen von Friedrich Ziebland.

23. Juli 1835 Haidhausen * Grundsteinlegung für das Muffat-Brunnhausauf der Kalkofeninsel.

Oktober 1835 München-Theresienwiese * Zur "25. Jubiläums-Wiesn" kommt sogar Johann Strauß (Vater) aus Wien.

Er sorgt hier für die musikalische Unterhaltung und spielt zum Tanz auf. "Die sämtlichen Produktionen dieses genialen Walzerkompositeurs ernteten enthusiastischen Beifall".

Dezember 1835 Passau * Der Jurist und Publizist Dr. Johann Georg August Wirth, einer der Wortführer des "Hambacher Festes", wird nach seiner Freilassung nach Passau gebracht, um dort noch eine sechswöchige "Kontumazstrafe" (Verurteilung wegen Nichterscheinen vor Gericht) aus dem Jahr 1831 abzusitzen.

1836 Vorstadt Au * Der "Franziskaner-Keller" an der Hochstraße kommt in den Besitz der Familie Deiglmayr.

1836 Untergiesing * Die "Untergiesinger Lederfabrik" verfügt - damals mit dreißig Beschäftigten - über die erste "Lederspaltmaschine" auf dem Kontinent.

Franz Kester kauft die lange geheim gehaltene englische Erfindung - nicht ohne Schwierigkeiten - an und lässt sie nach Giesing transportieren.

Im gleichen Jahr wird in dem als "Sohlen- und Lederfabrik" gegründetem Unternehmen mit der Herstellung von "lackiertem Leder" begonnen. Das ist eine absolute Novität.

1836 München-Englischer Garten - Lehel * Die Bauarbeiten am "Monopteros", auf dem durch Menschenhand künstlich aufgeschütteten Hügel, beginnen.

Die Arbeiten dauern bis 1837. Der Architekt ist Leo von Klenze.

Heute geht hier der Blick geht über die "Po-Ebene", weil sich hier das bevorzugte Revier der sich hüllenlos sonnenden Parkbesucher befindet.

Seite 288/814 Um März 1836 Süddeutschland * Die "Cholera" grassiert erstmals in Süddeutschland.

Das Bürgertum fühlt sich zunehmend von den "armen" Bevölkerungsschichten bedroht, weshalb das "Bayerische Staatsministerium des Innern" eine Verordnung erlässt.

In dieser wird die Notwendigkeit der Unterstützung der Armen angesichts der herrschenden Epidemie eingefordert, da sie "zum Schutze der Gesamtheit nicht minder als zum Schirme der Dürftigen selbst" notwendig sei, "da die in den Hütten sich steigernde Krankheit auch auf alle übrigen Klassen und den Gesundheits-Zustand ganzer Orte nicht ohne Rückwirkung bleibt".

Um Mai 1836 Athen - München * König Otto von Griechenland begibt sich auf Brautschau nach Deutschland.

August 1836 München - Vorstadt Au - Haidhausen * In München bricht die erste "Cholera-Epidemie"aus. Sie dauert bis Januar 1837.

143 von 4.700 Bewohner Haidhausens sterben daran, das sind rund 3 Prozent. 259 von rund 10.000 Bewohner der Au sterben daran, das sind rund 2,6 Prozent. 1.061 von rund 100.000 Bewohner Münchens sterben daran, das sind rund 1 Prozent.

Von Übergriffen auf Ärzten wegen der "Cholera" wird berichtet:

"Im Jahre 1836 hielt man in der Vorstadt Haidhausen dafür, daß die Aerzte den Leuten die Cholera erst ins Haus brächten, und sie wollten von ärztlichen Nachforschungen im Hause nichts wissen. Ja, es bestanden dort Vorurtheile, als ob die reichen Leute die Cholera machten, als leiser Nachklang der Brunnenvergiftungsfurcht durch die Juden im Mittelalter.

Es war daher das Aufsuchen und die Nachfrage in Haidhausen, ob im Hause keine Diarrhöen vorkämen, dem vorurtheilsvollen und ungebildeten Publikum gegenüber sogar mit persönlicher Gefahr verbunden".

Bei den nächsten Epidemien spielten Vergiftungsvorstellungen keine Rolle mehr. Doch nachvollziehbar sind solche Theorien schon.

So hält sich die Vorstellung, der "Aids-Virus" sei in einem amerikanischen Labor geschaffen worden, um die "Schwarzen" auszurotten, auch noch immer.

1837 Vorstadt Au - Haidhausen - Giesing *Der Auer "Armenarzt" Anselm Martin schreibt:

"In den Herbergen sind nicht nur Menschen, sondern auch noch alle Gattungen Hausthiere Katzen, Kaninchen, Vögel, Mäuse und dergleichen, so wie alle nur erdenklichen Handwerksgeräthe, Hausutensilien, alte, bereits halb verfaulte, zusammengesammelte Leinwand, zerbrochenes Glas, neugewaschene zum Trocknen aufgehängte Wäsche und dergleichen in den kleinsten, mit zurückstoßender Luft angefüllten Gemächern anzutreffen.

Seite 289/814 Die Öfen sind gewöhnlich von Ziegel, selten von Eisen. Die Feuerung geschieht mit Holz und zwar mit den schlechtesten und wohlfeilsten Holzgattungen, oft mit halbverfaulten, in der Isar aufgefangenen Gerten und Prügeln".

Die "Höhe der Wohnräume" liegt bei 180 bis 192 Zentimetern; die "Dachdeckungen" aus Ziegel oder Blech lösen erst im 19. Jahrhundert die Schindel- oder Strohdeckung ab; ihre "Galerien und Träger" verzieren die Bewohner mit Schnitzereien.

"Gemeinsamer Besitz" aller Hausbewohner sind das "Grundstück", die "Umfassungsmauern" und das "Dach".

Diese komplizierten Eigentumsverhältnisse führen häufig zu ausgiebigen Streitereien. Wird das Dach undicht, so sind in erster Linie nur die Parteien des obersten Stockwerks vom Schaden betroffen, die Bewohner des Parterres dagegen haben nur sehr wenig Interesse an einer kostspieligen Reparatur. Deshalb soll es vorgekommen sein, dass die "Oberen" kübelweise Wasser auf den Fußboden schütteten, um die "Unteren" drastisch an die gemeinsamen Verpflichtungen zu erinnern.

Nicht umsonst heißt es in den Akten des Landgerichts: "So viele Herbergsbesitzer sich in einem Hause befinden, ebensoviele Hauseigentümer gibt es im selben; keiner lässt sich vom andern etwas einsprechen, jeder tut in seiner Herberge, was er will".

Auch die "hygienischen Zustände" sind katastrophal. Das "Trinkwasser" muss von weit entfernten "Pumpbrunnen" geholt werden.

Da eigene "Abtritte" fehlen, benutzt man "Häfen und Leibstühle". Wegen der fehlenden Kanalisation werden "Abfälle und Abwässer" jeglicher Herkunft in den "Auer Mühlbach" geschüttet. Eine "städtische Verordnung" bestimmt deshalb, dass dies nur während der Nacht geschehen darf, da tagsüber die Frauen ihre Wäsche im "Auer Mühlbach" waschen.

Das Fehlen der "Abfalltonnen" bedingt viele unreinliche Wohnungen. Dadurch sind die "Herbergsviertel" in "Seuchenzeiten" Brutstätten von Krankheiten.

Es ist also kein Wunder, dass viele Bewohner an den "Typhus- und Choleraepidemien" sterben und die Einwohner oft hohen Blutzoll zu entrichten haben.

1837 München-Englischer Garten - Hirschau * Der vielseitige Unternehmer Josef Anton Ritter von Maffei, einer der Mitbegründer der "Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank" erwirbt in der "Hirschau" für 57.000 Gulden den mit Wasserkraft betriebenen ehemaligen "Lindauer'schen Hammer" mit einer kleinen Eisengießerei.

Er baut ihn zu einer der leistungsfähigsten Lokomotiven- und Maschinenfabriken Bayerns aus.

1837 Vorstadt Au - Haidhausen - Giesing * Anselm Martin, für den Münchner Osten zuständiger "Armenarzt", schreibt in seiner "Topographie" über die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten:

Seite 290/814 "Die Masse der Bevölkerung zieht [...] ihre Nahrungsquelle aus den Tages-Arbeiten in der benachbarten Stadt, den Fabriken des Bezirkes und namentlich den vielen nahen Ziegelöfen".

1837 Haidhausen * Das Haidhauser Gut "Haidenau" wird an den "Rittmeister" Thelesphor von Streber verkauft.

Dieser tauscht es mit dem Münchner "Privatier" Willibald Brodmann gegen dessen Besitz in Haching.

1837 Untergiesing * Der Bankier und Besitzer der "Untergiesinger Lederfabrik", Arnold von Eichthal, erwirbt das "Schrafnagelmühle" ["Giesinger Mühle"] genannte Anwesen.

Anfang 1837 Haidhausen * Das "Brunnhaus auf der Kalkofeninsel" wird in Betrieb genommen.

2. Februar 1837 München-Kreuzviertel * Die nächste Zusammenkunft der Volksvertretungbeginnt am 2. Februar und dauert bis zum 17. November 1837. Das Ergebnis der im Vorfeld durchgeführten Wahlen war von der Staatsregierung schon ganz in ihrem - konservativen - Sinne beeinflusst worden.

6. März 1837 Haidhausen - Ramersdorf * In der Auseinandersetzung um die Zugehörigkeit der Ramersdorfer Lüftenzum Landgericht Auwird folgendes festgelegt:

"Zur Beseitigung der Nachteile, welche die gegenwärtig bestehende teilweise Unterordnung der Landgemeinde Ramersdorf unter die Landgerichte Au und München zur Folge hat, haben S.M. der König [...] zu beschließen geruht, daß der dem Steuerdistrikt Haidhausen und infolgedessen bisher dem Landgericht Au angehörige Teil der Landgemeinde Ramersdorf dem Landgericht München, welchem bereits der größere Teil dieser Gemeinde angehört, sowohl in Bezug auf Justizpflege als auch auf Administration zugewiesen und demnach der Landgemeinde Ramersdorf in ihrem ganzen Umfang und in jeder Beziehung des landgerichtlichen Geschäftskreises einem und demselben Landgericht untergeordnet werde."

Das ist zwar sehr positiv formuliert, doch werden damit lediglich die Ramersdorfer Lüftenin den Bezirk des Landgerichts Münchenüberstellt, nichts aber am Bestand der Gemeinde Ramersdorf und an der Zugehörigkeit zum Steuerdistrikt Haidhausenverändert. Außerdem werden die "Lüftler" - aufgrund der weiten Wege - nach Haidhausen eingepfarrt.

3. Juli 1837 Vorstadt Au * Der Brauereibesitzer Franz Xaver Zacherl kauft das Nockher-Anwesenum 14.000 Gulden. Kein Wunder also, dass die Kinder später singen werden:"Des is da Nockher-Berg,der woan Zacherl g'hört!"

1838

Seite 291/814 England - Indien - England * Eliza [= Lola Montez] und ihr Ehemann Thomas James brechen in Richtung Indien auf.

Kaum in Indien angekommen, verlässt Eliza ihren Mann und segelt nach England zurück, um dort einen Neuanfang zu versuchen. Ihre Ehe wird anno 1842 aufgelöst.

1838 Haidhausen * Der "Faber-Bräu" und die "Eberlbrauerei" gehen wieder getrennte Wege.

23. April 1838 München * Der Gipfel der presse- und postfeindlichen Maßnahmen wird erreicht, als König Ludwig I. die "Zensur" ausweitet und die Zulassung einer Zeitung so ändert, dass alle Zeitungen die unangenehm aufgefallen sind, nicht mehr von der "Post" ausgeliefert werden dürfen.

Das heißt, ihnen das sogenannte "Postdebit" zu verweigern oder nachträglich zu entziehen.

Durch den Gebrauch des "Postdebits" als "Zensurmaßnahme" macht sich Bayern in ganz Europa zum Gespött der Presse.

Die Furcht des Königs vor den Zeitungen ist freilich berechtigt. Sein autokratisches Regiment ist ein beliebter Stoff für die deutsche und ausländische Presse.

6. Juli 1838 München - Untergiesing * Arnold von Eichthal stirbt. Sein Bruder, Simon von Eichthal, kauft die Giesinger Mühleden Erben um 57.000 Gulden ab.

24. August 1838 München-Graggenau * Nach vier Jahren Bauzeit kann das Kgl. General-Postamts-Bureauin der heutigen Residenzstraße 2 endlich für die Allgemeinheit geöffnet werden. Die Gesamtkosten sind in der Zwischenzeit auf 369.000 Gulden gestiegen.Kein Wunder also, dass in der Öffentlichkeit Beschwerden laut werden.

Da kann auch die damals hervorgehobene Funktion der Loggia, "welche den Abreisenden oder den Freunden der ankommenden Reisenden einen angenehmen Aufenthaltsort zum Abwarten darbietet", die Kosten kaum rechtfertigen und die Mängel aufwiegen.

8. Oktober 1838 München-Englischer Garten - Tivoli * König Ludwig I. genehmigt die Gründung einer Walz-Getreidemühle zu Tivoli. Am Namen wird noch gefeilt und so wird aus der Neumühledie Königlich bayerische privilegierte Ludwigs-Walzmühle in München.

Von den damals 13 ansässigen Münchner Müllermeistern wird nur Anton Huber von der HofpfistermühleAktionär.Die übrigen bekämpften Christian August Erich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Argumenten.

Seite 292/814 1839 Brüssel * Preußen und andere Großmächte garantieren die belgische "Neutralität".

1839 Untergiesing * Die Nachfrage nach "lackiertem Leder" ist - sowohl im Inland, wie auch im Ausland - so enorm hoch, dass der neue Besitzer, der "Hofbankier" und "Großspekulant" Simon Freiherr von Eichthal, die "Untergiesinger Lederfabrik" in den Jahren von 1839 bis 1865 in mehreren Schritten erweitern lassen muss.

1839 Regensburg - München * König Ludwig I. besichtigt die Regensburger Plantage und zeigt sich zufrieden, weshalb im ganzen Land immer mehr Maulbeerbäume angepflanzt werden.

Da trifft es sich gut, dass die Münchner Stadtverwaltung die Kultivierung und Erschließung der brachliegenden Oberen Isaranlagen ausführen will, um dort für die Bewohner der südlichen Stadtquartiere eine Erholungszonezu erschließen, wie sie sich für die Bewohner der nördlichen Stadtviertel im Englischen Garten anbietet.

Auf der sogenannten Abdeckerinsel soll ein zwei Tagwerk großes Grundstück für die Anpflanzung von Maulbeer- und anderen Pflanzlingen vorbereitet werden.

1839 Untergiesing *Die Urbarmachung der Isar in Untergiesing beginnt.

Noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Isar ein ungebändigter und wilder Gebirgsfluss, der im Süden der Stadt aus unzähligen, sich ständig verändernden Armen, Sümpfen und zum Teil bewachsenen Inseln besteht. Eine Besiedlung der ufernahen Bereiche ist aufgrund der Überschwemmungsgefahren unmöglich.

Gleichzeitig entstehen hier die ersten "städtischen Grünanlagen", nachdem "Baurat" Franz Carl Muffat die Sümpfe und Wasserarme der weitverzweigten Isar mit Bauschutt, Haus- und Straßenabfällen auffüllen lässt, um so nutzbares Land für die "Anpflanzung von Maulbeerbäumen" zu gewinnen.

Die bayerische Regierung verspricht sich von der Züchtung eigener Raupen die Unabhängigkeit von den teueren Seidenimporten. Zur Ernährung der Raupen sind aber die Blätter der "Maulbeerbäume" Grundvoraussetzung.

1839 München-Englischer Garten - Hirschau * Angeblich beschäftigt die "Maffei'sche Fabrik" bereits 160 Arbeiter und Tagelöhner.

Doch diese Angabe scheint weit überzogen. Das Münchner "Kunst- und Gewerbeblatt" vom Juni 1852 beziffert die von Maffei im Jahr 1839 bezahlten Wochenlöhne auf 12.500 Gulden.

Davon kann er unmöglich 160 Arbeiter bezahlt haben.

Seite 293/814 Das wären lediglich 1½ Gulden in der Woche.

1839 Haidhausen - München-Lehel - München-Graggenau * Der Standort des heutigen "Maximilianeums" wird erst ins Auge gefasst, nachdem "Thronanwärter" Max II. mit dem Gedanken einer vom "Max-Joseph-Platz" ausgehenden und zur "Akropole" führenden "Prachtstraße" spielt.

Damals notiert er unter "Auszuführendes in München? den Plan einer "Verbindung der Stadt mit der Isar von der Neuen Residenz aus über das Lehel?.

Max? II. Vision wird später von Friedrich Bürklein folgendermaßen beschrieben:

"Die Anlage eines großen öffentlichen Gartens mit Vergnügungsplätzen, ausgestattet mit schönen Alleen zwischen Fahr- und Fußwegen, mit Blumenbosquetts, ist ein Bedürfniß. In der Hauptform eines römischen Forums angelegt ein würdiger Bauplatz für öffentliche Bauten und Monumente, ein Corso, ein Sammelplatz der gebildeten Welt.

Gleich den Champs-Elysées in den entfernten Theilen zwischen Privatgebäuden: Conditoreien, Kaffee- und Speisehäuser, Säle für Musikfeste und Cirkus. Für die Anlage eines Objektes auf der Isaranhöhe wird ein Garten um so maßgebender, als durch diese Disposition genanntes Objekt gleichsam als Akropole für die Stadt erscheint?.

Der künftige König will eine - dem großstädtischen Charakter der Residenzstadt angemessene - Ausfallstraße nach Osten errichten lassen und befindet sich damit in vollkommener Übereinstimmung mit Münchens Stadtrat, der die Aufwertung dieses Stadtbereichs nach der ins Auge gefassten Eingemeindung der Vororte Haidhausen und Giesing sowie der Vorstadt Au schon seit längerer Zeit favorisiert.

Außerdem spielen militärische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle, da über die Straße die Armee zum Schutz der "Residenz" und zur Verhinderung von Zusammenrottungen aufständischer Bürger schnellstens aufmarschieren kann.

1839 München-Englischer Garten - Hirschau * Joseph Anton von Maffei engagiert Joseph Hall, einen englischen Ingenieur, als Direktor für das "Eisenwerk Hirschau".

Joseph Hall war zur Montage der sechs in England gefertigten Lokomotiven nach München gekommen. Die Zugmaschinen sollen auf der Strecke München - Augsburg eingesetzt werden.

Ab 1840 Untergiesing * Wolfgang Wiensberger, der durch "Heurath" in den Besitz des "Gutshofes Birkenleiten" kommt, verkauft Teile seines unbebauten Wiesengrundes, den man damals "Birkenau Lohe" oder "Bei den Pfaffenhäuser" nannte, als Bauplatz.

Dadurch entsteht in der Zeit von 1840 bis 1845 die "Kolonie Birkenau".

Sie ist in sich abgeschlossen und liegt weit außerhalb der Vorstadt Giesing - inmitten von Feldern.

Seite 294/814 ?Sie befindet sich zwischen dem Bahndamm, der Birkenau, der Sommer-, sowie Oberen- und Unteren Weidenstraße.

Die "Kolonie Birkenau" stellt das Gegenstück zur "Feldmüller-Siedlung" in Obergiesing dar.

1840 Vorstadt Au * Die alte Mariahilf-Kirche wird abgebrochen.

Die Mauern werden zum Bau des "Muffatwehres" verwendet.

1840 Großbritannien * In England wird eine "Postreform" durchgeführt, die ein einfaches und kundenfreundliches Tarifsystem beinhaltet.

Es basiert auf dem Grundsatz, dass die niedrig bemessene und nur nach Gewicht gestaffelte "Portogebühr" ohne Rücksicht auf die Entfernung erhoben wird und hofft, dass durch die preiswerte Briefbeförderung die Zahl der versandten Briefe und damit auch die Einnahmen steigen werden.

Dazu werden "Briefmarken" eingeführt.

1840 Haidhausen * In den Überlegungen des "Kronprinzen" Max II. nimmt die Errichtung des "Nationalbaus? eine hohe Priorität ein.

Doch eine mögliche Nutzung steht noch aus. Sie findet sich erst mit dem Plan, dort ein "Erziehungsinstitut für künftige Staatsbeamte" zu gründen.

Nun werden die Pläne für ein "Athenäum? bezeichnetes Bauwerk konkretisiert. In den ersten Planungen wird es als "riesiger Kultur- und Sportcampus mit Kirchen, Sälen, einem Schwimmbad usw, mit insgesamt 23 Gebäuden? beschrieben.

15. Januar 1840 München * Eine Kinderschutzverordnunglegt fest, dass "Kinder unter 12 Jahren nicht regelmäßig in Fabriken, Berg-, Hütten- und Pochwerken" beschäftigt werden dürfen.

Um März 1840 Obergiesing * Theres Feldmüller erwirbt weitere Grundstücke in Obergiesing.

Sie lässt ihre Äcker und Wiesen parzellieren und verkauft - wann immer sie Geld braucht - ein Stück ihres Grundbesitzes als Bauplatz an zugewanderte Kleingewerbetreibende, Tagelöhner und Arbeiter des Baugewerbes zum Bau von "Eigenheimen". Auch neu erbaute Häuser kauft und verkauft sie öfter.

Die "Feldmüller-Siedlung" entsteht. Dieses "Arbeiterquartier" aus der Zeit König Ludwig I. entwickelt sich gleichzeitig mit der mittelständisch-bürgerlichen "Maxvorstadt".

Seite 295/814 Um März 1840 München-Englischer Garten - Hirschau * Das Gasthaus "Zum Hasenstall" in der "Hirschau" wird eröffnet.

Es wird zur "Werkskantine" der "Maffei?schen Maschinenbauanstalt". Seine Gäste sind ausschließlich Arbeiter aus der "Maffei-Fabrik".

Oktober 1840 München-Theresienwiese * "Ohne Unterschied des Standes und Geschlechtes lagerte man sich hier um die Tische, oder, wo es an Platz gebrach, gruppenweis auf die bloße Erde. [...]

Man that es mit jener Bonhomie, die keine Skrupel kennt, weil ihr der Genuß über alles geht", heißt es 1840 über die Geselligkeit der Wiesn.

4. Oktober 1840 München - Augsburg * Die rund 60 Kilometer lange Eisenbahn-Gesamtstrecke von München nach Augsburg kann erstmals der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden. Auf der vorerst eingleisigen Strecke braucht der Reisende - trotz der acht Zwischenstationen - eine Fahrzeit von nur 2 Stunden 45 Minuten. Auf der Straße benötigt die Kutsche 17 Poststundenbis sie in der Banken- und Handelsmetropole am Lech ankommt.

In der Anfangszeit verkehren zwischen München und Augsburg täglich zwei Züge.Sie fahren um 8 Uhr und um 15 Uhr an ihren Endpunkten ab.Während der Sommermonate werden drei, gelegentlich vier Züge eingesetzt.

Neben dem Lokomotivbetrieb werden "Nacht-Fahrten mit Pferde-Kraft" durchgeführt.

Bei diesen Fahrten ziehen neben den Schienen herlaufende Pferde die Wagen. Die Reisenden brauchen - bei fünfmaligem Pferdewechsel - acht Stunden bis ans Ziel. Da dieses Fahrten nicht rentabel sind und der Bahndamm dabei Schaden nimmt, werden sie nach kurzer Zeit wieder eingestellt.

1841 London * Eliza oder Betty James [= Lola Montez] befasst sich mit den damals modernen spanischen Tänzen und besucht einige Ausbildungsstunden bei einer Tanzlehrerin in London.

Seit dieser Zeit gibt sie sich als spanische Adelige mit dem exotischen Namen "Maria de los Dolores Porrys y Montez? aus.

Bald stellten sich die ersten Verehrer aus den besten Londoner Kreisen ein und schon erscheint ihr Name in allen Zeitungen. Damit beginnt der Karriere-Stern der "Donna Lola Montez vom Teatro Real, Sevilla? zu leuchten.

Das gebildete England begeistert sich seit den Dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts an Spanien und den von dort stammenden Tänzen.

Seite 296/814 14. Januar 1841 München-Graggenau * Im Münchner Hof- und Nationaltheaterfindet ein Ringkampfstatt. Gegen den bislang unbesiegten "französischen Herkules" Jean Dupuis tritt der Meisinger Simmerl an - er ist Hausknecht beim Faberbräu. Der Simmerl zwingt den Franzosen auf den Boden und kassiert die als Belohnung ausgesetzten 1.000 bayerischen Gulden.

9. September 1841 München * Joseph Anton von Maffei vertritt gegenüber König Ludwig I. die Auffassung, dass es notwendig ist, "alles Eisenbahnmaterial im eigenen Land herzustellen, um unabhängig vom Ausland zu werden". Er habe zu diesem Zweck das Lindauer'sche Hammerwerk, eine Eisenschmiede mit kleinem Walzwerk, erworben und zu einer Maschinenfabrik mit Gießerei und Kesselschmiede umgestaltet. Dort, in der Hirschau, stünde seine erste, mit eigenen Mitteln erbaute Lokomotive vor der Vollendung. Und weil er die Maschine auch verkaufen will, bittet er den König - in einer peinlich unterwürfigen Sprache - zur Namengebung der Lokomotive:

"Euer Königliche Majestät wollen den in meiner Werkstätte erbauten ersten Bayerischen Dampfwagen den Namen Allergnädigst zu bestimmen geruhen. Indem ich der Gewährung dieses allerunterthänigsten Gesuchs von Eurer Königlichen Majestät Huld und Gnade entgegenharre, erstrebe ich allertiefster Ehrfurcht Euer Königlichen Majestät allerunterthänigst treugehorsamster Joseph Anton von Maffei".

7. Oktober 1841 München-Englischer Garten - Hirschau * Die "Münchner" genannte Lokomotive wird von "zehn Pferden gezogen und aufs Schönste mit Blumen und Girlanden geschmückt" zum Bahnhof auf dem Marsfeldgebracht.

Denn in der Zwischenzeit hatte Joseph Anton von Maffei, der Vorsitzende der München-Augsburger-Eisenbahngesellschaft, im Maffeischen Eisenwerkin der Hirschau, mit dem Bau von Lokomotiven begonnen.Das erforderliche technische Know-howbrachte der Engländer Joseph Hall in das Unternehmen ein.

13. November 1841 München - München-Kreuzviertel * Königin Caroline von Bayern stirbt. König Ludwig I. verbietet die Aufbahrung der Toten in der evangelischen Kirche. Sie wird stattdessen in die Herzog-Maxburggebracht.

Schloss Biedersteinerbt ihre jüngste Tochter, die Herzogin Ludovika in Bayern.

18. November 1841 München-Kreuzviertel * Der Sarg der evangelischen Königin Caroline wird in einem feierlichen Zug von der Herzog-Maxburgzur Theatinerkirchegeleitet. Sechzehn evangelische Geistliche gehen vor dem Sarg, dahinter König Ludwig I. und weitere hohe monarchische Würdenträger. An der Theatinerkircheangekommen, bleibt das Kirchenportal geschlossen.

Trotz schlechten Wetters muss die Aussegnung vor der Kirche vorgenommen werden. Erst dann können die sterblichen Überreste der Königin an die Priester des Kollegiatsstifts von Sankt Cajetanübergeben werden.

Seite 297/814 Die katholischen Priester sind in gewöhnlicher Straßenkleidung erschienen, die Kirche ist dem Anlass entsprechend nicht ausgeschmückt, keine brennenden Kerzen, keine Orgelmusik, kein Gesang. Die evangelischen Geistlichen dürfen die Theatinerkirchenicht betreten. Der Sarg wird ohne Gebet und Segen in der Gruft abgestellt. Angeordnet hat diese Maßnahmen gegen die Häretikerinder Erzbischof von München-Freising, Lothar Anselm Freiherr von Gebsattel.

1842 München-Graggenau - Vorstadt Au * Die Familie Deiglmayr kauft die "Franziskaner-Brauerei" in der Residenzstraße und verlegt den Braubetrieb auf den "Gaisberg", der zu dieser Zeit noch zur Au gehört.

1842 München-Graggenau - Haidhausen * Die beiden Braustätten des"Zengerbräu" in der Burgstraße werdendurch ein Feuer zerstört.

Die Brauerei wird teilweise an die Kellerstraße verlegt.

1842 München-Kreuzviertel *Die Brauerei "Zum Oberpollinger" in der Neuhauser Straße wird eingestellt, die Wirtschaft zum Gasthof umgewandelt.

1842 Vorstadt Au * Die "Zacherl-Brauerei" in der Vorstadt Au betreibt mit Anlagen der Firma Engelhardt aus Fürth Münchens erste "Dampfbrauerei".

Das Maischen wird statt mit Menschenkraft durch Dampfkraft erledigt. Ach die Darre und der Braukessel werden mit Dampf erhitzt.

Ab 1842 Dresden * Zwischen 1842 und 1845 bringt Richard Wagner in Dresden seine drei Opern "Rienzi, der Letzte der Tribünen", "Der fliegende Holländer" und "Thannhäuser" zur Uraufführung.

14. Februar 1842 München-Kreuzviertel * Das Herz der ersten bayerischen Königin Caroline wird in einer goldenen Urne in der "Theatinerkirche" beigesetzt.

Üblicherweise werden die Herzen der Wittelsbacher in der Altöttinger "Gnadenkapelle" untergebracht. Nicht aber die Herzen der evangelischen Familienmitglieder.

Bei diesem feierlichen Trauerakt sind die katholischen Geistlichen in liturgische Kleider gehüllt. Den evangelischen Geistlichen wird aber erneut der Zutritt in die Kirche verweigert. Dies geschieht allerdings mit dem ausdrücklichen Einverständnis von König Ludwig I..

Seite 298/814 5. Oktober 1842 Berlin * Prinzessin Marie Friederike von Preußen wird in Abwesenheit ihres Bräutigams [per procuram] nach den Vorschriften der evangelischen Kirche getraut. Prinz Wilhelm, der spätere König Wilhelm I. von Preußen und Deutscher Kaiser vertritt den Bräutigam Kronprinz Max II. von Bayern.

7. Oktober 1842 Berlin - Bayreuth * Die preußische Prinzessin Marie Friederike wird mit der Eisenbahn von Berlin ins bayerische Bayreuth gebracht.

8. Oktober 1842 Bayreuth * In Bayreuth wird die preußische Prinzessin Marie Friederike in einem protestantischen Gottesdienst feierlich an Bayern und ihren Bräutigam übergeben. Dieser ist allerdings nicht selbst anwesend, sondern wird von FinanzministerCarl Graf von Seinsheim vertreten.

10. Oktober 1842 Bayreuth - Landshut * Mit der Kutsche reist Prinzessin Marie Friederike nach Landshut. Dort trifft sie auf ihren Bräutigam Kronprinz Max II., der aber noch am selben Tag zurück nach München aufbricht.

16. Oktober 1842 München - München-Theresienwiese * 35 Brautpaare, die aus den acht Regierungsbezirken des Königreichs Bayern stammen, werden in der katholischen Michaelskirchebeziehungsweise der evangelischen Matthäus-Kircheverheiratet. Nach einem gemeinsamen Mittagsmahl bewegt sich ein Festzugauf die Theresienwiese, in die die 24 katholischen und elf protestantischen Brautpaaren in bayerischer Tracht einbezogen werden.

Das Kronprinzenpaar eröffnet das Oktoberfest.Danach wohnen die Brautpaare gemeinsam mit der Herrscherfamilie dem Hauptpferderennenund der Preisverleihung des Landwirtschaftsfestesbei.

25. Oktober 1842 Untergiesing * Die Besitzer der Häuser in der Birkenausind zum Unterhalt der Straßen verpflichtet. In einem Brief beschweren sich die Siedler, dass der "ehemalige Geh- und Fahrweg von Birkenau bis zur Loh" schon "seit 1½ Jahren verwahrlost liegt, daß er bei Regen und Schnee nur einem Wassergraben gleicht, des Tags nur mit Vorsicht, des Nachts aber gar nicht zu passiren ist".

Zudem bitten die Birkenauerdie Giesinger, diese "nicht ganz und gar versinken zu lassen, zumal auch kleine Kinder bis zur Schule durch diesen Weg watten müssen". Das zuständige Landgericht Auantwortet darauf, dass sie selbst für den fahrbaren Zustand ihrer Straßen zu sorgen hätten.

14. November 1842 München-Kreuzviertel * Die nächste Stände-Versammlungdauertvom 14. November 1842 bis zum 30. August 1843. Sie ist zu Beginn überschattet vom Ausschlussmehrerer Abgeordneter, hauptsächlich aus der Pfalz.

Seite 299/814 Den Schwerpunkt der Verhandlungen bildetwiederholt die Frage der "Erübrigungen", deren Summe seit dem Jahr 1837 auf fast 30 Millionen Gulden angewachsen ist, und die der König ohne Beteiligung der Volksvertretungfür sich beanspruchen will.

Eingespart wurden diese Gelder zum größten Teil bei Infrastrukturmaßnahmen. Dabei war der Zustand der Straßen so katastrophal, dass man amüsiert feststellte, man könne bald nicht mehr zu den PrachtbautenLudwigs gelangen. Doch der öffentliche Straßenbau interessierte den König nicht, da ihm sonst nicht genügend Geld für "seine Sachen" bleibt.

Zudem wird bei der Verwaltung und den Bildungseinrichtungen gespart.Der Bildungsetat bleibt dreißig Jahre lang gleich und beträgtfür ganz Bayern nur ein Viertel der Zivillistefür das Königshaus.

Das Ergebnis der Stände-Versammlungist das sogenannte "Verfassungsverständnis", in dem der König seinen Anspruch auf die alleinige Verfügungsmacht über die "Erübrigungen" aufgeben muss. Das Parlamenterhält bei der Verwendung der Gelder ein Mitspracherechtund geht aus dieser Auseinandersetzung gestärkt hervor.

31. Dezember 1842 München * In München produzieren nur noch 38 Brauereien den beliebten Gerstensaft.

1843 München-Englischer Garten - Hirschau * Die "Kgl. Bay. Staatsbahn" erteilt dem "Eisenwerk Hirschau" von Joseph Anton von Maffei einen Auftrag über die Lieferung von acht Lokomotiven des Typs "Bavaria". Sie sollen auf der Strecke Nürnberg - Bamberg eingesetzt werden.

Um den Auftrag zu erhalten, muss Maffei die väterliche "Tabakfabrik" als Kaution einbringen. Der Auftrag geht aber nicht nur an "Maffei", sondern auch an "Kessler & Martiensen" in Karlsruhe und "Meyer & Comp." im elsässischen Mühlhausen. Sie müssen sich den Auftrag zu je acht Lokomotiven teilen.

Die wichtigste Auflage für die drei Firmen lautet: "Alle Teile an den 24 Lokomotiven müssen untereinander austauschbar sein".

Seine erste Lokomotive, den "Münchner", hat Maffei aber noch immer nicht verkauft.

1843 Königreich Bayern * Die bayerische "Post" erzielt alleine aus Briefportoeinnahmen 868.220 Gulden Gewinn.

24. Januar 1843 München * "In Anerkennung der Mühe und Anordnungen, welche er für die würdige Ausschmückung des Rathaussaales" aufgewendet hat, erhält Ludwig von Schwanthaler vier Moriskentänzerzum Geschenk, von denen zuvor allerdings Kopien angefertigt worden sind. Ludwig von Schwanthaler verkauft sie bald an einen italienischen Adeligen, den Conte Pallavicini-Barrocco, der sie auf seinen Stammsitz in Villa Roccain Cremona bringt.

Seite 300/814 9. Mai 1843 Haidhausen * Die selbstständige Gemeinde Haidhausen schließt mit dem Münchner PrivatierWillibald Brodmann einen provisorischen Kaufvertrag für das Schlösschen Haidenau., um dort ein Krankenhaus zu erbauen.9.200 Gulden soll das Anwesen kosten.

Doch gegen diese Pläne wehren sich die Frauen vom guten Hirten.Sie werden vonKönig Ludwig I. unterstützt. Deshalb tritt derNonnenorden mit Willibald Brodmann in Verhandlungen und überbietet das Preisgebot der Gemeinde Haidhausen um 800 Gulden. Das Schloss Haidenauwird danach umgehend abgerissen.

12. Juni 1843 London * In der Morning Postmanipuliert Elizabeth Rosanna James alias Lola Montezerstmals ihren Lebenslauf, indem sie schreibt: "Ich stamme aus Sevilla und wurde im Jahr 1833, als ich zehn Jahre alt war, zu einer katholischen Lady nach Bath geschickt, wo ich sieben Monate blieb und dann zu meinen Eltern nach Spanien zurückgeschickt wurde. Seit dieser Zeit bis zum letzten 14. April, als ich in London ankam, habe ich nie einen Fuß in dieses Land gesetzt und habe London auch nie zuvor in meinem Leben gesehen.?

1844 Obergiesing * Der Pächter der Theres Feldmüller in Obergiesing setzt sich unter Hinterlassung von Schulden ab.

Vermutlich ist die Ökonomie wegen der fortdauernden Grundstücksverkäufe nicht mehr Gewinn bringend zu bewirtschaften. Die Strafanzeige erbringt nichts.

1844 München-Englischer Garten - Hirschau * Die "Maffei'sche Fabrik" liefert die ersten acht Lokomotiven an die "Bayerische Staatsbahn" aus, die bald einen Großteil ihres Lokomotivenbedarfs bei Maffei deckt.

Die "Suevia", eine technisch verbesserte Lokomotive, fährt die Strecke Augsburg - Donauwörth.

Daneben stellt Maffei auch Dampfschiffe, Dampfmaschinen, Walz- und Mühlwerke, Werkzeugmaschinen und sonstige Maschinen her.

1844 München-Englischer Garten - Hirschau * Die "Maffei'sche Maschinenfabrik"in der Hirschau beschäftigt 150 Arbeiter.

1844 xxx * Justus von Liebig, einer der "Gründungsväter der Chemie", schrieb in seinen "Chemischen Briefen" aus dem Jahr 1844:"Der Stein der Weisen, den die Alten im dunkeln unbestimmten Drange suchten, ist in seiner Vollkommenheit nichts anderes gewesen, als die Wissenschaft der Chemie. Ist sie nicht der Stein der Weisen, der uns verspricht, die Fruchtbarkeit unserer Felder zu erhöhen und das Gedeihen vieler Millionen Menschen zu sichern?

Seite 301/814 Ist nicht die Chemie der Stein der Weisen, welcher die Bestandtheile des Erdkörpers in nützliche Producte umformt, welche der Handel in Gold verwandelt; ist sie nicht der Stein der Weisen, der uns die Gesetze des Lebens zu erschliessen verspricht, der uns die Mittel liefern muss, die Krankheiten zu heilen und das Leben zu verlängern?".

25. August 1844 Nürnberg - Bamberg * Die Eisenbahnlinie von Nürnberg nach Bamberg wird eröffnet. Dabei kommt erstmals eine bayerische Lokomotive - die Bavariader FirmaMaffei in der Hirschau - zum Einsatz.

1845 München-Englischer Garten - Hirschau* Da Joseph Anton von Maffei seine erste, im "Eisenwerk Hirschau" gefertigte Lokomotive immer noch nicht verkauft hat, greift er zur Feder und schreibt an König Ludwig I. folgende Zeilen:

"Es sind sechs Jahre, seitdem der "Münchner"zu bauen angefangen wurde. Die Durchschnittszahl der in dieser Fabrik allein seither Beschäftigten Arbeiter beläuft sich für ein Jahr auf 230. Jeder derselben, gering gerechnet, gebraucht zur Stillung seines Durstes des Tages drei Maaß Bier, was in sechs Jahren 1.511.100 Maaß betrug. Bekanntlich entrichtet die Maaß Bier beiläufig 1 Kreuzer ärarialischen Aufschlag, so entziffert sich an diesem einzigen Gefälle schon seither eine Staatseinnahme von ohngefähr 25.000 Gulden".

Daraufhin kauft die "Königliche Bayerische Staatsbahn" den "Münchner" für 24.000 Gulden und reiht ihn unter der "Nummer 25" in ihren Lokomotivenpark ein.

Um 1845 Haidhausen * Die "Brauerei zur Schwaige", die heutige "Unionsbrauerei" in Haidhausen, wird gegründet.

1845 England * Friedrich Engels veröffentlicht sein Werk "Über die Lage der arbeitenden Klasse in England", das ihn auch in Deutschland populär macht.

Darin schreibt er: "Die Teilung der Arbeit, die Benutzung der Wasser- und besonders der Dampfkraft und der Mechanismus der Maschinerie - das sind die drei großen Hebel, mit denen die Industrie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts daran arbeitete, die Welt aus ihren Fugen zu heben. [...]

Denn wie die neue Industrie erst dadurch bedeutend wurde, dass sie die Werkzeuge in Maschinen, die Werkstätten in Fabriken - und dadurch die arbeitende Mittelklasse in arbeitendes Proletariat, die bisherigen Großhändler in Fabrikanten verwandelte; wie also schon hier die kleine Mittelklasse verdrängt und die Bevölkerung auf den Gegensatz von Arbeitern und Kapitalisten reduziert wurde, so geschah dasselbe, außer auf dem Gebiet der Industrie im engeren Sinne, in den Handwerken und selbst im Handel. [...] Die wichtigste Frucht aber dieser industriellen Umwälzung ist das englische Proletariat".

1845 München - London * König Ludwig I. lässt an den königlichen Gesandten in London, Baron de Getto, einen

Seite 302/814 langen Brief schreiben: "Bekanntlich wird auf den englischen Posten das Porto für inländische Correspondenz nicht in der anderwärts üblichen Weise berechnet, sondern mittelst eigentümlicher Stempel erhoben".

Mit diesem "Stempel" meint Ludwig I. die "Briefmarke" mit dem Konterfei der damals zwanzigjährigen Königin Viktoria.

1845 ??? * Adolf Friedrich von Schack bringt sein dreibändiges Werk "Geschichte der dramatischen Literatur und Kunst in Spanien" heraus.

1846 München-Englischer Garten - Hirschau * Das "Eisenwerk Hirschau" von Joseph Anton von Maffei fertigt eine "200-PS-Dampfmaschine" für die "Mechanische Fabrik Augsburg".

1846 München * Der bayerische Staat rettet die privatrechtlich organisierte "Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft" durch die Übernahme vor dem Konkurs.

8. Oktober 1846 München * Die spanische Tänzerin Lola Montez hat einen Termin bei König Ludwig I.. Dieser fordert zur Audienz einen Bericht über das Vorleben der Tänzerin an, in dem er lesen kann:

"Dem allerhöchste Befehle vom 6. d.M. pflichtschuldige Folge leistend berichtet der treugehorsamst Unterzeichnete Euer Koeniglichen Majestät allerdevotest, wie die spanische Tänzerin Lola Montez dadurch öffentlich Anstoß erregte, dass sie, den Mitheilungen mehrerer Zeitungen zufolge, in einem Gasthofe zu Berlin einem ihr gegenüber sitzenden Offizier, der ihr mit übergroßer Freundlichkeit zu begegnen bemüht war, ein Champagnerglas an den Kopf warf, dass sie ferner, ebenfalls Nachrichten zufolge, einem bei der Revue in Berlin sie zurechtweisenden Polizeicommisär mit der Reitgerte übers Gesicht hieb, worauf sie mit 14-tägigem Arrest bestraft wurde, und dass sie endlich in Warschau dem Publikum, das ihren Kunstleistungen den gewünschten Beifall nicht zollte, von der Bühne herab mit begleitendem Gestikulieren den hinteren Theil ihres Körpers zuwandt"•.

Der König will sich von der Skandalnudelein eigenes Bild machen. Bei dieser Audienz soll sich Lola Montez, "als der König einigen Zweifel über die Realität der ersichtlichen Wölbung ihres Busens andeutet"•, eine Schere genommen und sich damit "das Kleid vor der Brust aufgeschnitten" haben. Der 60-jährige Bayernkönig istaugenblicklich Feuer und Flamme für die exotische Schönheit.

Erengagiert die als erotisches Feuerwerk bekannte Tänzerin unverzüglich und erlässt eine Anweisung, dass die Tänzerin in den Zwischenaufzügen des Lustspiels "Der verschwundene Prinz"spanische Tänze in spanischer Tracht darbieten soll.

Seite 303/814 22. November 1846 München-Maxvorstadt * Auf einem Plakatanschlag an der Schönfeldstraße 25 ist zu Lesen:

"Ich bin nicht irgendein gnädiges Fräulein, ich bin die Mätresse des Königs. Lola Montez".

Seit Dezember 1846 München-Kreuzviertel * Der bayerische "Finanzminister" Karl Graf von Seinsheim lässt die "Tänzerin" Lola Montez im "Gasthof zum Goldenen Hirschen" ausspionieren.

Er schleust dazu die Creszentia Ganser als "Haushälterin" in den "Goldenen Hirschen" ein. Ihr Auftrag ist, ein minutiöses Tagebuch über das "ausschweifende Nachtleben" ihrer Arbeitgeberin zuführen.

Mit ihren "schlüpfrigen Informationen" soll genügend Beweismaterial gesammelt werden, um die "Tänzerin" vor das Münchner "Stadtgericht" zu zerren, um sie letztlich des Landes zu verweisen.

Geleitet wird die gesamte Aktion vom "Polizeidirektor" Johann Nepomuk Freiherr von Pechmann. Doch der Plan wandelt sich ins Gegenteil.

1. Dezember 1846 München-Maxvorstadt * "Maria de los Dolores Miontes, genannt Lola Montes", kauft um 16.000 Gulden vom SteinbruchbesitzerFriedrich Adam Schwarz aus Solnhofen das Palais an der Barer Straße. Die Kaufurkundeweist aus, dass Lola Montez von Anfang an als Eigentümerin des Anwesens samt Hofraum, Hintergebäuden und Garteneingetragen ist.

Damit scheinen die Voraussetzungen für ihre Einbürgerungder "Spanischen Tänzerin" gegeben.

2. Dezember 1846 München * August Manostetter, der Anwaltder Lola Montez, stellt beim Magistrat der Stadt Münchenden Antrag auf Erwerbung des bayerischen Indigenates durch Naturalisation. Im Bewusstsein um die Brisanz des Antrags, verschleppt der Magistrat die Angelegenheit.

Die Regierung von Oberbayernlehnt die Einbürgerungab und begründet dies unter Berufung auf das Gesetz vom 1. Juli 1834 damit, dass "Frauenspersonen [...] nicht ansässig im Sinne des Gesetzes werden, wenn sie sich nicht gleichzeitig verehelichen oder wieder verehelichen". Gleichzeitig stellt man klar, dass Lola Montez weder einen Pass hat, noch sonst imstande ist, sich auszuweisen.

1847 München-Englischer Garten - Hirschau *Die "Maffei'sche Fabrik in der Hirschau" liefert ihre Lokomotive "Donau" an die "Kgl. Bay. Staatsbahn". Sie ist bis 1895 im Einsatz.

1847

Seite 304/814 München-Isarvorstadt * Nach dem Tod von Josef Schweiger bemüht sich sein Bruder Johann um die übernahme des "Isar-Vorstadt-Theaters".

Doch die Konzession erhält dessen Sohn Max.

1847 Untergiesing * Das "Schyrenbad" wird als "städtisches Männerfreibad" eröffnet.

Schwimmen dürfen hier in der Anfangszeit allerdings nur Männer, da Gleiches für Frauen als "unschicklich" gilt.

Vorkämpfer für die Errichtung von "Badeanstalten" sind die Anhänger der deutschen "Volksbadebewegung". Sie wollen durch eine "Verbesserung der Körperpflege" die "sittliche Verwahrlosung und den sozialen Unfrieden in der Arbeiterbevölkerung" abschaffen. Die minderbemittelte Bewohnerschaft soll einen Teil ihrer Freizeit in einer "Badeanstalt" verbringen können.

Die Gruppierung teilt sich in die Befürworter der "Regenerationsbäder" und in jene, die den "Reinigungsbädern" den Vorrang einräumen.

Das "städtische Männerfreibad" wird damals vom "Aubach" oder "Auerbach" gespeist. Er zweigt im heutigen "Tierpark Hellabrunn" aus dem "Auer Mühlbach" ab. Nach dem Auslass unterhalb der "Thalkirchner Überfälle" wechselt der Bach seinen Namen in "Freibadbächl".

Da das Wasser direkt aus der Isar kommt und schon aufgrund seiner Temperatur nicht unbedingt für das Badevergnügen einladend ist, muss das Wasser erst in zwei großen, flachen "Aufwärmseen" gesammelt und wird erst danach dem "Schyrenbad" zugeführt. Einer dieser "Aufwärmseen" hat sich noch bis heute im "Rosengarten" erhalten. Kein Wunder also, dass selbst der "Münchner Magistrat" das "Schyrenbad" als "ein hervorragendes Bad" bezeichnet.

Das Schwimmbad war etwa dreihundert Meter lang und rund zwanzig Meter breit. Es verfügt über einen schönen Baumbestand und über ein "angenehmes Bachwasser", das "stets mild bleibt".

Das "Freibadbächl" fließt heute unterirdisch durch das "Schyrenbad" und mündet als "Freibad-Auslaufkanal" zwischen der "Reichenbachbrücke" und der "Corneliusbrücke" in die "Kleine Isar" zurück.

Im Morgengrauen des Januar 1847 Regensburg * Am Regensburger "Knorrkeller" findet die Polizei folgenden Reim:

"Montez du große Hur? Bald schlagen wird dein Uhr Wo wir di außi hau?n Weil d?Münchner sich nöt trau?n. Pfuy Teufl Königshaus Mit unsrer Treu is aus Bringst uns in Schand und Spott Helf? uns der liebe Gott. Ein Gebirgler".

Seite 305/814 5. Januar 1847 München * Um seine Geliebte vor Übergriffen zu schützen, ordnete König Ludwig I.Personenschutzfür Lola Montez an. Er befiehlt, die "Begleitung der Spanier in Lolla Montez durch einen Gendarmen nicht nur für das Theater, Konzerte u.d.gl. [...], sondern dass, auf so lange Allerhöchstdieselben nicht anders verfügen, ununterbrochen ein Gendarm bey derselben zu ihrem Schutze sich befinden soll".

8. Februar 1847 München * Der "Staatsrats" befasst sich in seinen Sitzungen vom 8. und 9. Februar 1847 mit dem Gesuch auf "Erwerbung des bayerischen Indigenates durch Naturalisation" für Lola Montez - spricht sich aber einmütig dagegen aus.

16. Februar 1847 München * Die Veröffentlichung des Memorandumsvon Karl August von Abel in der Augsburger Allgemeinen Zeitungverärgert den starrsinnigen König derart, dass er in seiner Empörung die vier aufsässigen Ministerentlässt. Für die Ultramontanenum Minister Karl August vonAbel kommen jetzt liberale Männer in Amt und Würden. Man spricht jetzt vom "Ministerium der Morgenröte".

Mit der Neubesetzung der Ministeriensteht der Ernennung der Señora Lola Montez zur Gräfin Maria von Landsfeld nichts mehr im Weg. Immerhin ist es den deutschen Landesfürsten seit dem Jahr 1806 möglich, selbst Adelsbriefeauszustellen. Auch König Ludwig I. macht von dieser Regelung regen Gebrauch und adelteseine Künstler reihenweise - bezahlt sie dafür aber schlecht.

28. Februar 1847 Karlsruhe * Im Karlsruher Hoftheaterbricht ein Feuer aus, das innerhalb von 28 Minuten gelöscht werden kann und deshalb "nur" 63 Menschenleben fordert.

13. März 1847 München-Maxvorstadt * Lola Montez wohnt jetzt in der Theresienstraße 8, beim "Maurerpolier" Lüglein, zur Miete.

Die "Solotänzerin" hat bei einem "Hausball" dem Geschäftsführer des Gasthofs "Zum Goldenen Hirschen" in aller Öffentlichkeit eine Watschen verpasst. Deshalb erhält sie - nach fünf Monaten - ein "Hausverbot".

Das Zimmer dient ursprünglich nur als Zwischenlösung, bis das am 1. Dezember 1846 vom König angekaufte, neu gestaltete und standesgemäße "Palais" an der Barer Straße 7 bezugsfertig ist. Doch kann sie dieses Haus erst am 28. April 1847 beziehen.

4. April 1847 München-Maxvorstadt * Einem Brandanschlag auf den "Münchner Bahnhof", eine Holzkonstruktion etwa auf der Höhe der heutigen "Hackerbrücke", fällt nicht nur das Gebäude, sondern auch sechs Waggons samt der darauf gelagerten 300 Scheffel Weizen zum Opfer.

Seite 306/814 Vermutlich machen die unbekannt gebliebenen Täter die Eisenbahn für die seit mehreren Jahren anhaltende Teuerung des Getreides verantwortlich.

Denn schon bald hieß es: "Zu meinen Zeiten hast nix von Dampfwagen g'hört! Alles ist ruhig sein Weg gangen; aber desto mehr Dampfnudeln hat's geben; und je mehr Dampfwagen herkommen, desto rarer werden die Dampfnudeln! Die Zeit wird immer schlechter!"

3. Mai 1847 München-Ludwigsvorstadt - München-Maxvorstadt * Das Gelände der "Königlich Privilegierten Hauptschützengesellschaft" wird an die staatliche "Generalverwaltung der Kgl. Eisenbahnen" um 150.000 Gulden verkauft.

Weil aber viele Bürger die Notwendigkeit der Eisenbahn nicht anerkennen, beschweren sie sich in einer "Petition" über den Verkauf der "Schießstätte". Für die Beschwerdeführer ist die Eisenbahn ein "unnützes Spielzeug finanzkräftiger und prestigesüchtiger Bürger". Außerdem, so die Kritiker, schadet das Reisen mit der Eisenbahn - durch die Rauchentwicklung, der die Passagiere schutzlos ausgeliefert sind - der Gesundheit.

Tatsächlich verfügt damals nur die erste Wagenklasse über verglaste Fenster; die Wagen der 4. Klasse sind nicht einmal überdacht. Und da die "München-Augsburger-Eisenbahngesellschaft" statt der teuren Kohlen mit Torf und Holz heizt, regnet es nicht selten auch brennende Funken und Späne auf die Passagiere nieder.

Die Argumente änderten letztlich aber nichts am Verkauf der "Schießstätte". Doch zur Beruhigung der Situation lässt König Ludwig I. die zu fällenden Kastanien ausgraben und am "Wittelsbacher Palais" wieder einpflanzen.

23. Juli 1847 Haidhausen * Robert von Langers Cousine Josepha verkauft das Schlösschen an den Wirt Johann Baptist Riemer, der die Künstlervilla an der heutigen Einsteinstraße in eine Gastwirtschaft mit dem Namen Schlosswirtschaftoder Riemerwirtumwandelt.

Das Anwesen kommt nach mehreren Weiterverkäufen in den Besitz der Münchner-Kindl-Brauerei, die unter den Wandbildern durchreisende Handwerksburschen übernachten lässt.

4. August 1847 München * König Ludwig I. erteilt seinem "führenden Minister" Georg Ludwig Freiherr von Maurer den Auftrag, das "Adelsdiplom" für Lola Montez entsprechend dem üblichen Reglement gegenzuzeichnen.

Vorsorglich teilte ihm Ludwig mit: "Es ist keine Verfassungsverletzung das Grafendiplom zu unterzeichnen, für Adelsverleihungen braucht der König niemand zu vernehmen". Sollte er sich jedoch sträuben, droht der Bayernmonarch "einen anderen Ministerverweser zu benennen".

Seite 307/814 Gleichzeitig schreibt Ludwig I. seiner Geliebten: "An meinem Geburtstag mache ich mir selbst das Geschenk, Dir die Gräfinnen-Würde zu verleihen".

15. November 1847 München-Maxvorstadt * Zur Aufrechterhaltung des Eisenbahnbetriebs lässt man den alten, aus Holz erbauten und auf dem Marsfeldstehenden Bahnhof behelfsmäßig wiederherstellen und gleichzeitig die Gleise zur Schießstätteverlängern. Der Bahnhof war am 4. April 1847 einem Brandanschlag zum Opfer gefallenen.

Am neuen Standort werden die behelfsmäßigen Betriebs- und Empfangsräume eingerichtet, um den Bahnverkehr an diesem Tag dort aufzunehmen. Als Architekten für das neue Bahnhofsgebäude wird der Friedrich-von-Gärtner-Schüler, Friedrich Bürklein, beauftragt.Es sollte der spektakulärste Bahnhofsbau werden, den er von 1847 bis 1849 im Rundbogenstilausführt. Die kühn konstruierte und wegen ihrer Zweckmäßigkeit von den Zeitgenossen bewunderte Bahnsteighalledarf mit Recht als eine der ersten Ingenieurbautenbezeichnet werden, das den Bedürfnissen der Zeit entspricht.

Auf dem Platz des neuen Bahnhofs haben die Münchner Armbrustschützen, später Feuerschützen, ihre Schießstatt. Die Schützengesellschaftlässt sich dafür auf der Theresienhöheein Neues Schießhausvon Bürklein errichten.

31. Dezember 1847 München * Die Zahl der Münchner Brauereien ist auf 32 geschrumpft.

1848 München-Englischer Garten - Hirschau *Maffei beschäftigt 500 Mitarbeiter in der Hirschau.

1848 München * Nach der "Revolution von 1848" betrachten die politischen Führungskräfte das "Bauerntum" als "staatstragende Schicht" und unterstützen und fördern dieses, während sie den Auswirkungen des Fabrikwesens - "Proletarisierung der Arbeiter" und "Niedergang alter Handwerksbetriebe" - sehr widersprüchlich gegenüberstehen.

Und tatsächlich bildet das traditionell wirtschaftende "Bauerntum" und die "dörfliche Sozialverfassung" eine starke Abwehrfront gegen alle Einflüsse der "Industrialisierung".

1. Januar 1848 Hanau*In Hanau kursiert ein Flugblatt, das mit den Worten endete: "Ihr verfluchten Tyrannen,ihr Henker des Rechts, ihr schonungslosen Volksschinder, ihr Fürsten, Aristokraten, Pfaffen und Geldsäcke!Das Gericht komme über euch."In einem anderen steht zu lesen:"Gebt uns, was wir wollen, die Freiheit, oder wir werden sie uns nehmen!"

In dieser revolutionsbereiten Stimmung wird die Nachricht über die Revolution in Paris auch in München zum Signal des Aufbruchs.

Seite 308/814 24. Januar 1848 San Francisco * Am American River wird das erste Gold gefunden. Der Goldrauschbricht aus. Das Land wird von Metallgräbernund Glücksrittern, von Geschäftsleuten, Gaunern und Spielern überschwemmt.

9. Februar 1848 München-Maxvorstadt * König Ludwig I. lässt wegen der öffentlichen Proteste der katholisch-konservativen Partei gegen die königliche "Mätressenwirtschaft" die "Universität" schließen und verfügt, dass alle Studenten umgehend München zu verlassen haben.

Als der der "Burschenschaft Alemannia" zugehörige Eduard Graf von Hirschberg am Odeonsplatz von anderen "Burschenschaftlern" bedrängt wird, zieht der Graf sein Messer und fuchtelt damit in der Luft herum. Dadurch eskaliert die Situation. Verletzt wird bei dieser Aktion jedenfalls niemand.

Lola Montez mischt sich unter die Schaulustigen und sieht sich sofort einer bedrohlichen Verfolgungsjagd ausgesetzt. Sie kann gerade noch vor der aufgebrachten Menge in die "Theatinerkirche" flüchten, wo sie von ausgerückten "Kürassieren" in die "Residenz" eskortiert werden muss.

König Ludwig I. tobt und lässt daraufhin umgehend die "Universität" bis zum "Wintersemester" schließen. Außerdem verfügt er, dass alle nicht aus München stammenden Studenten innerhalb von 48 Stunden die Stadt zu verlassen haben.

In München sind etwa 1.500 Studenten "immatrikuliert". Rund die Hälfte davon zieht vor das Haus des "Rektors" Friedrich Wilhelm von Thiersch, der die Betroffenen mit den Worten beruhigt: "Sagen Sie überall, Sie seyen arme Studenten aus München, die man aus der Stadt gewiesen, aus Gründen, die Sie vor aller Welt aussprechen dürfen".

10. Februar 1848 München * Der autokratische König Ludwig I. hält unbeirrt an seinem Vorhaben fest, der TänzerinLola Montez das bayerische Indigenat[= Einbürgerung, Staatsangehörigkeit, Heimatrecht] zu übertragen. Er ist der rechtlichen Auffassung, dass er mit der Anhörung des Staatsratsder Verfassung Genüge getan habe.

Daraufhin fertigt er das Indigenathöchstpersönlich aus, indem er dem Protokoll des Staatsratsvom Vortag hinzufügt: "Den Staatsrat vernommend habend, erteile ich der Senora Lola Montez (Maria de los Dolores Porrys y Montez) das bayerische Indigenat hiemit und das tax- und siegelfrei und mit Beibehaltung ihres dermaligen Indigenats."

Um aber dem ganzen Vorgang Gesetzeskraft zu verleihen, mussder Minister des Königlichen Hauses und des Äußerendie Urkunde gegenzeichnen. Dieses Ansinnen lehnt Otto Graf von Bray-Steinburg ab und bittet gleichzeitig um seine Entlassung.Damit ist die ursprünglich rein private Beziehung des bayerischen Monarchen zu seiner Favoritin zu einer Staatsangelegenheitgeworden.

10. Februar 1848 München * König Ludwig I. erkennt den Ernst der Lage nicht. Am Abend des 10. Februar 1848 lässt er folgende

Seite 309/814 Nachricht ins Rathaus bringen:"Jetzo, da die Bürger sich ruhig zurückbegeben haben, ist?s mein Vorhaben, dass statt erst mit dem Wintersemester bereits mit dem Sommersemester die Universität wieder geöffnet werde, wenn bis dahin Münchens Einwohner sich zu meiner Zufriedenheit benehmen."

Doch jetzt reicht es den Münchnern endgültig !

11. Februar 1848 München-Maxvorstadt - Schloss Blutenburg * Am Morgen belagert eine aufgebrachte Menge das Palais Montezin der Barer Straße. Die ersten Steine fliegen, ein Eingreifen des Militärs wird als aussichtslosangesehen. Der Bayerische InnenministerFranz von Berks meint sogar:"Die Position an der Barer Straße ist unhaltbar" und befürchtet, "die Gräfin könne eine Stunde nach dem Angriff eine Leiche sein."

Auch der Polizeidirektorwill für Lolas Sicherheit nicht mehr garantieren und erklärt ihr, sie müsse innerhalb einer Stunde die Stadt verlassen. Da bleibt nur die Flucht. Lola Montez entkommt in einer Kutsche, die sie im Eiltempo aus der Stadt bringt. Das Palaisder Gräfin von Landsfeld wird danach gestürmt - eine Verwüstung der Villa aber verhindert.

Lola Montez flieht - eskortiert und bewacht von einem Tross, den Graf von Arco-Steppberg anführt - über die Vorstadt Au nach Baiersbrunn. Dort verlassen sie ihre Bewacher. Nun begibt sie sich über Schleichwege über Großhesselohe nach Schloss Blutenburg. Der Wirt meldet das Versteck, weshalb die Polizei die sich auf der Flucht befindliche Gräfin von Landsfeld festnimmt, sie nach Pasing bringt und in den Zug nach Augsburg setzt.

13. Februar 1848 Lindau *Lola Montez reist nach Lindau am Bodensee.

Dort wartet sie auf ihre Habseligkeiten, Dienerschaft, Hunde und briefliche Antwort von Ludwig.

21. Februar 1848 Paris * Durch die sich in Frankreich verschärfenden sozialen Probleme kommt es ab dem 21. Februar 1848 in Paris zu öffentlichen Protesten, die rasch eine revolutionäre Entwicklung annehmen.

23. Februar 1848 Paris * Die Arbeiter vereinigen sich vorübergehend mit den Bürgern, so dass am 23. und 24. Februar in Paris heftige Straßen- und Barrikadenkämpfe zwischen den Aufständischen und den königlichen Truppen toben.

24. Februar 1848 Paris * König Louis-Philippe dankt ab und flieht nach England ins Exil.

25. Februar 1848 Paris * In Paris wird eine provisorische französische Regierung eingesetzt und die Zweite Republik ausgerufen. Diese Revolutionsregierung besteht aus einem elfköpfigen Ministerrat, in dem Vertreter der Linken, der Liberalen und Demokraten sowie der konservativen Rechten vertreten sind. Die gemäßigt reformorientierte Regierung beschließt einige wichtige Entscheidungen, darunter

Seite 310/814 die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien, die Abschaffung der Todesstrafe für politische Delikte, die Einführung der Pressefreiheit und des allgemeinen Wahlrechts sowie die Anerkennung des Rechts auf Arbeit.

27. Februar 1848 Bern * Lola Montez und ihre Begleiter kommen in Bern an und nehmen zunächst Quartier bei dem britischen DiplomatenRobert Peel. Voller Ungeduld wartet sie auf König Ludwig I., doch der hat ganz andere Probleme zu lösen.

27. Februar 1848 Mannheim * Mit Bekanntwerden der Februarrevolutionin Frankreich verstärken sich die politischen Forderungen nach einer stärkeren Beteiligung am politischen Leben. Die Bevölkerung Mannheims reagiert als erste auf die Nachrichten aus Paris. An diesem Tag, einem Sonntag, kommen hier 2.500 Menschen zu einer Volksversammlungzusammen. Sie beratschlagen über eine Petition, die erstmals die vier Forderungen beinhalteten, die als Märzforderungenin alle künftigen Petitioneneingehen:

Pressefreiheit, Volksbewaffnung, Schwurgerichte und ein nationales Parlament.

Nach dem 1. März 1848 Deutschland * Innerhalb weniger Wochen greifen die revolutionären Vorgänge auch auf die übrigen Staaten des Deutschen Bundesüber. Ein wesentliches Ziel der Märzrevolutionist die Überwindung der Restaurationspolitik, die die Zeit seit dem Wiener Kongressgeprägt hat. Einer der bedeutendsten Verfechter der politischen Restauration ist der österreichische StaatskanzlerKlemens Wenzel Fürst von Metternich.

Die Politik der Restaurationwurde auf dem Wiener Kongressam 9. Juni 1815 von den meisten europäischen Staaten beschlossen. Sie sollte innenpolitisch und zwischenstaatlich die politischen Machtverhältnisse des Ancien Régimein Europa wiederherstellen, wie sie vor der Französischen Revolutionvon 1789 geherrscht hatten. Dies bedeutet die Vorherrschaft des Adelsund die Wiederherstellung seiner Privilegien.

Weiterhin sollte die napoléonische Neuordnung Europas, die mit dem Code civilauch bürgerliche Rechte etabliert hatte, rückgängig gemacht werden. Innenpolitisch wurden im Zuge der RestaurationForderungen nach liberalen Reformenoder nach nationaler Einigungunterdrückt, Zensurmaßnahmenverschärft und die Pressefreiheitstark eingeschränkt. Vor allem die studentischen Burschenschaftensind zu dieser Zeit die Träger der Forderung nach nationaler Einigungund demokratischen Bürgerrechten.

In manchen Ländern des Deutschen Bundeslenken die Fürsten rasch ein. Dort kommt es bald zur Errichtung von

Seite 311/814 liberalen "Märzministerien", die den Forderungen der Revolutionärenachkommen, durch Einrichtung von Schwurgerichten, der Abschaffung der Pressezensur,und der "Bauernbefreiung". Oft bleibt es jedoch bei bloßen Versprechungen.

4. März 1848 München * An diesem Faschingssamstagkommt es zur Stürmung des Zeughauses. Mehrere Gerüchte machten in München die Runde.

Ein Gerücht lautet: "Der König hat alles zurückgenommen. Er will von den Bürgern nichts mehr wissen". Ein anderes spricht von bewaffneten Bauern, die vor den Stadttoren lauern.Sie "wollen die Regierung stürzen und in der Stadt sengen und brennen".

Um 14 Uhr wird bekannt, dass die Landwehrmit dem sogenannten Generalmarschmobilisiert worden ist.Damit ist faktisch der Ausnahmezustandausgerufen. In dieser Stimmung aus Angst vor einem militärischen Übergriff oder vor anarchischen Zuständen durch Vorstädter aus der Au oder Haidhausen, kommt es an zur Stürmung des Zeughauses.

Das Korn- und Geschützhausam Jakobsplatz, dem heutigen Stadtmuseum, wird ohne Blutvergießen gestürmt und die Waffen aller Gattungen ausgegeben. Der mehrere Tausend Menschen umfassende und bewaffnete Demonstrationszug zieht bis zum Promenadeplatz, wo sich das bewaffnete Bürgertum mit der dort versammelten Landwehrvereinigen will. Doch zwischen den beiden Lagern hat inzwischen das Militär mit schwerer Ausrüstung und vier Kanonen Stellung bezogen. In dieser angespannten Situation erscheint rechtzeitig Prinz Carl, der Bruder des Königs und seit 1841 bayerischer Feldmarschall.Er kann die Situation mit der Aussage beruhigen, dass die Ständebereits zum 16. Märzeinberufen werden.

Erstaunlicherweise reicht den Münchnern diese - eigentlich lächerliche - Zusage. Sie legen die Waffen nieder und bringen das Kriegszeug brav wieder zurück ins Korn- und Geschützhaus.

Nach dem 6. März 1848 München * Das ganze bayerische Zensursystemund damit auch die Manipulation der Postzu Zensurzweckenbricht zusammen.

6. März 1848 München * Die Königliche Proklamationwird als Antwort auf die Forderungen der Münchner Bürgerschaft vom 3. März veröffentlicht. Ludwig Fürst zu Oettingen-Wallerstein hat den Inhalt der Proklamation, in der der König seine weit­ reichenden Versprechungen zur Weiterentwicklung der Bayerischen Verfassungabgibt, redigiert. Sie beinhaltet:

die verfassungsmäßige Ministerverantwortlichkeit, die vollständige Pressefreiheit, eine Verbesserung der Wahlordnung, die Einführung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit in eine Rechtspflege mit Schwurgerichten, eine umfassende Fürsorge für Staatsdiener und ihre Angehörigen und Ausdehnung dieser Maßnahmen auf die

Seite 312/814 übrigen Angestellten des Staates, eine Verbesserung der Verhältnisse der Israeliten, die Abfassung eines Polizeigesetzbuches, die Vereidigung des Heeres auf die Verfassungund eine Reform des Deutschen Bundes, insbesondere zu einem deutschen Nationalparlament.

Die Proklamationschließt mit den Worten: "Alles für mein Volk! Alles für Deutschland!" und geht sogar über die Forderungen der Petitionvom 3. März weit hinaus, beinhaltet aber alle Punkte und damit auch die Märzforderungen. Was aber mit keinem Wort erwähnt wirdist die "soziale Frage", die Frage der "Bauernbefreiung".

Nicht nur, dass mit der Proklamationvom 6. März 1848 die Märzforderungenin Bayern noch vor den anderen deutschen Staaten ihre Anerkennung finden, nein, es wird damit auch König Ludwigs I. auto•kratischer Regierungsanspruch mit einem Handstreich ausgehöhlt.

9. März 1848 München-Graggenau * Lola Montez kommt in der Nacht zum 9. März 1848 - "wie ein Mann bekleidet" - in Begleitung eines Baron Meller nach München und versteckt sich beim "Tapezierer" Krebs in der Wurzerstraße 12, der viele Arbeiten in Lola Montez? "Palais" ausgeführt hatte.

Doch Polizisten dringen in das Haus ein, finden "die Gräfin unter einem Sofa versteckt" und bringen sie ins "Polizeipräsidium" in der Weinstraße. Dort verleben Ludwig I. und Lola Montez drei gemeinsame Stunden.

Danach schleust man sie unter größter Geheimhaltung aus der Stadt. Das Treffen auf der "Polizeiwache" ist die letzte Zusammenkunft des Liebespaares.

Danach wird Ludwig I. seine geliebte "Lolitta" nie wieder sehen.

13. März 1848 Wien * Die Forderungen des "Landtagsabgeordneten" Lajos Kossuth werden in Wien mit "Petitionen" unterstützt und im "Ständehaus" beraten.

Vor dem Gebäude demonstrieren Studenten, Bürger und Arbeiter, die den Rücktritt des verhassten "Staatskanzler" Klemens Wenzel von Metternich fordern. Metternich personifiziert für sie ein repressives, jegliche Freiheitsregung rücksichtslos verfolgendes System.

Die Stimmung eskaliert, als am Nachmittag das Militär die Demonstranten plötzlich mit Waffengewalt angreifen. Es beginnen Straßenkämpfe in der Innenstadt und in den Vorstädten, die mehrere Dutzend Opfer fordern.

17. März 1848 München * Ludwig Fürst zu Öttingen-Wallersteins Posten geht an Gottlieb Freiherr von Thon-Dittmer, der mit seiner ersten Amtshandlung der Lola Montez das "Bayerische Indigenat" entzieht.

König Ludwig I. muss öffentlich verkünden, dass Lola Montez das bayerische "Indigenat" nicht mehr besitzt, sie

Seite 313/814 als "Unruhestifterin" mit "Haftbefehl" gesucht und nach ihrer Festnahme in die nächstgelegene "Festung" gebracht wird.

18. März 1848 München * Die große Mehrheit der Vertreter der Abgeordnetenkammerwill, dass die Eröffnung der Stände-Versammlungnicht mehr im Thronsaal der Residenz, sondern wieder im Ständehausstattfinden soll.Anderenfalls sei "ein förmlicher Bruch zwischen den Ständen und der Regierung" zu erwarten.

König Ludwig I. ist strikt gegen diese Aufforderung und vermerkt verärgert, er möchte von dieser Angelegenheit nichts weiter mehr hören. Wenige Stunden später streicht er eigenhändig die Sätze und schreibt kleinlaut darunter: "Im Ständehaus soll dieses Mal die Eröffnung stattfinden".

18. März 1848 Berlin * In Berlin kommt es in der Nacht vom 18. auf den 19. März zu einem erbittert geführten Barrikadenkampf.

Vor dem Berliner Stadtschlosshat sich eine große Menschenmenge versammelt, um auf die Antwort des Königs auf die Märzforderungender Berliner Bürgerschaft zu warten.

Als während der Verlesung eines Patentsvon König Friedrich Wilhelm IV. zu den Reformen in Preußenauf der anfangs friedlichen Versammlung revolutionäre Parolen laut wurden, fallen zwei - angeblich versehentlich ausgelöste - Schüsse. Das ist das Signal für einen Barrikadenkampf.

Innerhalb von wenigen Stunden türmen sich im Zentrum von Berlin die Barrikadenauf. Das Militär geht mit großer Härte und Brutalität auch gegen Unbeteiligte in den Häusern vor. Dennoch kann sich das Militär nicht durchsetzen.

Als Bedingung für einen Waffenstillstandmuss der König am 19. März seine Truppen abziehen.

20. März 1848 München * König Ludwig I. dankt ab und übergibt die Bayerische Krone an seinen Sohn Maximilian II.. Sein Enkel Ludwig (II.) wird dadurch "Kronprinz".

Auch wenn sich Max II. nach Außen hin als Musterbild eines bürgernahen, konstitutionellen Staatsoberhauptes darstellt so plagt ihn zeitlebens die Furcht, dass ihm von seinem Volk ein ähnliches oder gar schlimmeres Schicksal bereitet werden könnte, wie seinem abgedankten Vater Ludwig I..

Die revolutionären Begleitumstände, die König Max II. auf den Thron verhalfen und seinen Vater vom selben stießen, haben den neuernannten Bayernherrscher geradezu traumatisch geprägt. Er fühlt sich, nachdem auch das Militär auf die Verfassung vereidigt worden ist, "schutzlos der Demokratie preisgegeben".

Doch nachdem sich die revolutionäre Situation wieder beruhigt hat, kann König Max II. seine politischen Visionen endlich in die Tat umsetzen.

Dazu gehören auch Maßnahmen zur Förderung einer bayerisch-monarchischen Gesinnung.

Seite 314/814 Greifbare Formen nehmen das "Athenäum-Projekt? und der Bau des "Prachtboulevards" an.

20. März 1848 München* König Ludwig I. stellt in einer "Proklamation an das bayerische Volk" die zentralen Momente seiner Herrschaft - aus seiner Sicht - dar:

"Treu der Verfassung regierte Ich; dem Wohle des Volkes war Mein Leben geweiht; - als wenn ich eines Freistaats Beamter gewesen, so gewissenhaft ging Ich mit dem Staatsgute, mit dem Staatsgeldern um. [...] Auch vom Throne herabgestiegen, schlägt glühend Mein Herz für Bayern, für Teutschland".

Nach 23-jähriger Regierungszeit überträgt der Bayernkönig das Herrscheramt an seinen Sohn Max II..

Den liberalen Forderungen der "Märzrevolution" kann und will der "Autokrat" Ludwig I. nicht entsprechen. "Regieren konnte ich nicht mehr und einen Unterschreiber abgeben wollte Ich nicht. Nicht Sklave zu werden, wurde Ich Freyherr".

21. März 1848 Berlin *König Friedrich Wilhelm IV. reitet mit einer schwarz-rot-goldenen Schärpe durch die Stadt und verkündet seinen Willen für die Einheit und Freiheit Deutschlands. Insgeheim aber schreibt er seinem Bruder, dem Prinzen Wilhelm: "Die Reichsfarben musste ich gestern freiwillig aufstecken, um Alles zu retten. Ist der Wurf gelungen [?], so lege ich sie wieder ab!"

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen ist von Anfang an entschlossen, bei veränderten Kräfteverhältnissen der Revolutionmit einer Gegenrevolutionzu begegnen.

22. März 1848 München-Kreuzviertel * Der sogenannte "Reform-Landtag" beginnt. Er wird bis zum bis 30. Mai 1848 dauern.

Diese "Stände-Versammlung" leistet wichtige Arbeit, verabschiedet in nur zwei Monaten 14 Gesetze, die der bayerischen Verfassung liberalere Züge verleihen.

31. März 1848 Frankfurt am Main * In Frankfurt am Main versammelt sich das sogenannte "Vorparlament", das aus 574 ehemaligen und gegenwärtigen Mitgliedern von "Stände-Versammlungen" sowie aus etlichen durch "das Vertrauen des deutschen Volkes" ausgezeichneten Männern besteht.

Das waren allerdings noch keine gewählten Vertreter, die die verschiedenen Staaten des "Deutschen Bundes" deshalb nur sehr ungleichgewichtig repräsentierten.

Sofort bricht der Konflikt zwischen den "Demokraten", die eine "republikanische Staatsform" und "soziale Reformen" durchsetzen wollen, und den "Liberalen" aus, die der "Konstitutionellen Monarchie" den Vorzug geben.

Um April 1848

Seite 315/814 München * Die Anweisung zum Druck einer bayerischen Briefmarke kann Ludwig I. nicht mehr geben, da er zugunsten seines Sohnes Max II. abdanken muss.

Der neue Regent handelt dann unverzüglich. Wieder einmal sind in Deutschland die Bayern vorne.

Nach dem Bau der ersten Eisenbahn und der Erfindung der ersten "deutschen Kurzschrift", des "Schreibtelegrafen", der "Fotografie" und der "elektrischen Uhr" schauen insbesondere die Preußen abermals neidisch nach München.

7. April 1848 Frankfurt am Main * Da sich das "Vorparlament" in Frankfurt am Main nicht auf einen gemeinsamen Wahlmodus einigen konnte, wird das "direkte Wahlverfahren" lediglich empfohlen.

Bei der "direkten Wahl" werden die Kandidaten direkt vom Wähler gewählt, bei der "indirekten Wahl" werden die Kandidaten erst im zweiten Wahlgang durch die zuvor gewählten "Wahlmänner" gewählt. Im "Königreich Bayern" wird das "indirekte Wahlverfahren" angewandt werden.

25. April 1848 Königreich Bayern * In Bayern finden die "Urwahlen", also die "Wahlen der Wahlmänner" für das Frankfurter "Paulskirchenparlament" statt.

6.901 Münchner beteiligen sich an den "Urwahlen". Sie wählen 125 ["München I"] beziehungsweise 59 "Wahlmänner" ["München II"].

27. April 1848 München * Prinz Otto Wilhelm Luitpold Adalbert Waldemar, der jüngere Bruder des"Kronprinzen"LudwigII., derspätere König Otto I. von Bayern, wird geboren.

12. Mai 1848 München-Kreuzviertel * Das "Gesetz, einige Abänderungen des Strafgesetzbuches vom Jahre 1813 [...] betreffend", wird veröffentlicht.

Darin führt Maximilian II. von Gottes Gnaden König von Bayerndie Schwurgerichte zur Aburteilung von Verbrechen und Pressedeliktenein.

4. Juni 1848 München-Kreuzviertel * Das Gesetz über die Wahl der Landtags-Abgeordnetenbringt einige Neuerungen, die als "entscheidend" bezeichnet werden müssen. Es beseitigt das ständische Elementder Verfassungsurkunde von 1818. In diesem bestand die Kammer der Abgeordnetenzu einem Achtel aus der Klasse der adeligen Großgrundbesitzer, ebenfalls ein Achtel aus der Geistlichkeit der christlichen Konfessionen, ein Viertel stellten die Vertreter der Städte und Märkteund die verbliebene Hälfte die Landeigentümer ohne gutsherrliche Gerichtsbarkeit.

Seite 316/814 Im neuen Gesetz errechnet sich die Anzahl der Landtags-Abgeordnetennach dem Verhältnis von je Einem Abgeordneten auf 31.500 Seelen der Gesamtbevölkerung des Königreichs, die auf die "einzelnen Kreise vertheilt" werden. Die Wahlist indirekt. Das heißt, dass in einer Urwahlzunächst Wahlmännergewählt werden, die dann in einem zweiten Wahlgangdie Abgeordnetenwählen. Zum Abgeordnetenkann jeder gewählt werden, der das 30. Lebensjahr vollendet hat. Für das aktive Wahlrechtgenügt die Zahlung einer direkten Steuer, und sei sie auch noch so klein. Weder das aktivenoch das passive Wahlrechtist an ein bestimmtes Glaubensbekenntnis"gebunden. Damit kommt auch die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der Judeneinen Schritt weiter. Und die nicht an ein bestimmtes Glaubensbekenntnisgebundenen Angehörigen nichtchristlicher Konfessionen dürfen den Verfassungseidunter Weglassung des Bezugs auf das Evangeliumschwören. Die Wahl der Landtags-Abgeordnetenist öffentlich, die Stimmzettel müssen jedoch noch vom Wähler unterschriebenwerden. Die Geheime Wahlwird erst im Jahr 1881 eingeführt. Außerdem werden noch keine amtlichen Stimmzettelausgegeben. Diese gibt es erst - mit dem Frauenwahlrecht- im Januar 1919. Das bisherige Ausschließungsrechtdes Königs, mit dem er gewählten Abgeordneten den Urlaub für die Teilnahme am Landtagverweigern konnte, wird beseitigt.

Das Gesetz, das als Bestandteil der Verfassungs-Urkundeangesehen wird, tritt mit der nächsten Wahl in Wirksamkeit.

4. Juni 1848 München-Kreuzviertel * Ein weiteres wichtiges Vorschriftenwerk ist das Gesetz über die ständische Initiative. Es gibt den Abgeordneten beider Kammerndes Landtagsdas Recht der Initiative, also das Recht, Gesetzesentwürfeeinzubringen.

Immerhin wird damit aus der Stände-Versammlungeine wirkliche Volksvertretung. Und aus dem Ständehauswird das Landtagsgebäude.

4. Juni 1848 München-Kreuzviertel * Außerdem tritt das Gesetz über die Abschaffung der Pressezensurin Kraft. In dem vom König erlassenen Edikt über die Freiheit der Presse und des Buchhandelsist festgelegt worden, dass das Erscheinen von Presseerzeugnissen nicht "von obrigkeitlicher Prüfung und Genehmigung des Inhalts oder überhaupt von irgend einer obrigkeitlichen Erlaubniß abhängig" sei. "Die Strafgerichtsbarkeit [steht] nicht den Polizeibehörden, sondern den Gerichten zu."

22. Juni 1848 Paris * In den Straßen von Paris tobt zwischen dem 22. bis 26. Juni 1848 eine Schlacht, an der bis 50.000 Menschen kämpfen. Über 400 Barrikaden werden errichtet, über 3.000 Tote sind das Ergebnis. Kein anderes Ereignis in der Revolution von 1848/49 hat so viele Menschenleben gekostet.

Der Auslöser des Protests, der sich von anfänglichen Arbeiter-Demonstrationen schnell zum bewaffneten Aufstand ausweitet, ist die Beseitigung der Nationalwerkstätten. Diese waren im Februar 1848 unter dem Eindruck der hohen Arbeitslosigkeit eingerichtet worden. Damals war über die Hälfte der Pariser Arbeiter ohne Arbeit. Durch die Nationalwerkstätten konnten insgesamt 100.000 Menschen mit Erd- und Kanalisationsarbeiten

Seite 317/814 beschäftigt und damit das Recht auf Arbeitverwirklicht werden.

29. Juni 1848 Frankfurt am Main * Die Nationalversammlungwählt den österreichischen ErzherzogJohann zum Reichsverweser.

Die Monarchistenstimmen zu, da er Fürstist, die Großdeutschen, da er Österreicherist, der Linkenist er genehm, weil er als volkstümlichgilt. Überhaupt ist ErzherzogJohann ein Gegner Metternichs gewesen.

Seine Popularität bei den Linkenbasiert auch auf seiner morganatischen Ehemit einer bürgerlichen Postmeisterstochter. Am 18. Februar 1829 hatte er die aus Aussee stammende Anna Plochl geheiratet und hinnehmen müssen, dass er von der Thronfolgeausgeschlossen wurde.

21. September 1848 München - Berlin?In einem Brief an seinen Onkel, dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV., schreibt König Max II.:"Schwer ist unser Beruf, wir trugen, ich wenigstens trug bisher nur eine Dornenkrone."

2. November 1848 Berlin * Mit Blick auf die Vorgänge in Wien holt jetzt auch die preußische Reaktionzum entscheidenden Schlag aus. König Friedrich Wilhelm IV. den reaktionären Grafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit der Regierungsbildung. Außerdem sollt er die Verfassungsfrageunter Ausschaltung der Nationalversammlunglösen und "die Märzrevolution entschieden und siegreich stürzen".

9. November 1848 Berlin * König Friedrich Wilhelm IV. lässt die Preußische Nationalversammlungin das altmärkische Städtchen Brandenburg verlegen.

9. November 1848 Wien * Der populäre Nationalversammlungs-AbgeordneteRobert Blum wird - trotz seiner Immunität- in der Brigittenau bei Wien standrechtlicherschossen. Seine Hinrichtung ist ein "Akt der Willkür und Brutalität".

27. November 1848 London * "Die treue Lolitta" [Montez] teilt ihrem "geliebten Louis" mit, dass sie nach London in England abreisen werde.

3. April 1849 Berlin - Frankfurt am Main * Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnt die ihm von der Nationalversammlung angebotene Kaiserkrone ab. Die von Volksvertretern angebotene Krone besteht für

Seite 318/814 Friedrich Wilhelm IV., der in seinem monarchischen Selbstbild vom traditionellen Gedanken des Gottesgnadentums ausgeht und die Idee der Volkssouveränität ablehnt, nur aus "Dreck und Letten". Ein "Kaiser von Volkes Gnaden" will er keinesfalls sein. Damit sind auch die Deutsche Einheit und die Reichsverfassung gescheitert.

Die Zurückweisung der Kaiserkrone durch den preußischen König liegt an dessen innerlichen Ablehnung der Frankfurter Reichsverfassung, weil diese von Demokraten und Liberalen beschlossen worden ist. Denn während der Revolutionszeit hat der Preußenkönig immer wieder seine Bereitschaft signalisiert, an die Spitze eines deutschen Bundesstaates zu treten. Er wünscht sich allerdings eine konservativere Verfassung und scheut sich vor dem Titel eines Kaisers.

Viel wichtiger ist ihm, die Zustimmung seiner Standesgenossen, der anderen deutschen Fürsten, zu erhalten.Bereits am 3. April 1849, als Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone des Frankfurter Parlaments ablehnt, lässt er die übrigen deutschen Staaten wissen, dass er an die Spitze eines deutschen Bundesstaates treten wolle, an dem diejenigen Staaten teilnehmen sollen, die dies wünschen.

23. April 1849 München * Das "Königreich Bayern" lehnt die "Reichsverfassung" ab. Der "Landtag" tagt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr.

In der Folge kommt es zu einer breiten "Protestbewegung", die sich in der Pfalz sogar zum "Aufstand" auswächst.

"Es verstand sich bei den Pfälzern von selbst, wenn der König von Bayern nicht deutsch sein wollte, die Pfalz aufhören müsse, bayerisch zu sein".

9. Mai 1849 Dresden * Richard Wagner wird wegen seiner Beteiligung am Dresdner Mai-Aufstandin Deutschland steckbrieflich gesucht. Er istbeim Aufstandin Dresden als Schriftführer der Revolutionsregierungund als Beschaffer von [Semper'scher] Barrikadenarchitekturaufgefallen. Der Aufstandwird jedoch niedergeschlagen.

Zuvor sprachRichard Wagner in einem anonymen Artikel von der "Zerstörung der bestehenden Ordnung der Dinge" durch die "erhabene Göttin Revolution".Unterstützt von Franz Liszt flieht er über Weimar nach Zürich, wo er als Komponist und Musikschriftsteller arbeitet.

10. Juni 1849 München * Bevor das Militär in die Pfalz einmarschiert, macht der Bayernmonarch am 10. Juni 1849 erstmals vom Instrument der Auflösung des LandtagsGebrauch und veranlasst die nötigen Neuwahlen, die eine für die Regierung günstigere Zusammensetzung der Abgeordnetenkammerbewirken soll.

Gleichzeitig wird der Kriegszustandüber die Pfalz verhängt.

2. Juli 1849 Brünn * Marie Therese, Erzherzogin von Österreich-Este und Prinzessin von Modena, die spätere Ehefrau von Prinzregent und König Ludwig III., wird in Brünn geboren.

Seite 319/814 19. Juli 1849 London * Lola Montez heiratet den 21-jährigen George Trafford Heald. Der reiche Erbe war eine der besten Partien in London.Die Braut Lola Montez unterschreibt die Heiratsurkunde mit Maria de los Dolores de Landsfeld. Die Ehe hält nicht lange und wird annulliert. Während der Ehezeit tauschen Lola und Ludwig I. weiterhin Briefe aus. Außerdem erhält sie finanzielle Unterstützungen aus Bayern.

16. September 1849 Vorstadt Au * Der 77-jährige Franz Xaver Zacherl erhängt sich. Ludwig und Heinrich Schmederer erben die Zacherlbrauerei.

1. Oktober 1849 München-Ludwigsvorstadt * Nach einer Bauzeit von 26 Monaten kann Friedrich Bürkleins Centralbahnhofder Öffentlichkeit übergeben werden. Der Architekt Friedrich Bürklein hat ein Zweckgebäude im sogenannten Rundbogenstilkonzipiert, das Elemente der Romanik und der italienischen Renaissance verbindet.

Das der Stadt zugewandte Empfangsgebäudeerinnert mit seiner Fensterrosetteund der vorgelagerten Arkadenhallefast an die Bonifazkirche.Die den Mittelbau flankierenden, zweigeschossigen Seitenbauten dienen dem Billettverkauf, der Post und als Wohnungen für Beamte.

Die Einsteighallegilt als erstes großes Bauwerk der technisch-industriellen Ära in München, deren Kühnheit und Originalitätweithin gerühmt wird.Halbrundförmig, rund 110 Meter lang, 29 Meter breit und bis zu 20 Meter hoch, überspannte sie fünf Gleise.Doch es ist noch eine hölzerne Konstruktion, die kurz vor der dann aus Eisen erbauten Schrannenhalleausgeführt worden ist.Eine Fußbodenheizung erwärmt die Warte- und Restaurationsräumeauf 17,5 bis 20 Grad Celsius.

1. November 1849 München-Graggenau * Der königliche Postbeamteam Münchner Hauptpostamtgibt die erste deutsche Briefmarke, den "Schwarzen Einser", heraus. Erst einen Tag nach der Ausgabe der ersten Bayern-Markewerden die Münchner über die Neuerung im Intelligenzblattinformiert."Die Marken", so kann man lesen, "sind jedesmal von dem Absender auf der Adreßseite des Briefes etc. im oberen Eck links durch Befeuchten des auf denselben befindlichen Klebstoffes gut zu befestigen".

Geregelt werden in dem königlichen Erlassauch die Gebühren, Taxengenannt. Ein Brief innerhalb Münchens kostet einen Kreuzer ["Schwarzer Einser"]. Für Briefe, die nicht weiter als zwölf Meilen [knappe 20 Kilometer] verschickt werden, muss man drei Kreuzer berappen, sonst das Doppelte. Ein kleiner Preisvergleich: Für einen Kreuzer erhält man im Jahr 1849 ein Pfund Roggenbrot.Ein Pfund Schweinefleisch kostete zehn Mal soviel.

Die Herstellung des Spezialpapiers bereitet solche Probleme, dass die ersten bayerischen Briefmarkenvier Wochen später als ursprünglich vorgesehen in die Postämterkommen.Peter Hasenay, der im Hauptberuf Geldscheine zeichnet, muss nur drei Werte entwerfen: "1 Kreuzer schwarz", "3 Kreuzer blau" und "6 Kreuzer braunrot"; erst im darauffolgenden Jahr kommt noch eine weitere Marke hinzu: die "9 Kreuzer grün".

Zu dieser Zeit ist die erste Marke, der "Schwarze Einser", schon wieder aus dem Handel gezogen.Der Schwärze wegen, denn sie macht die Stempel unleserlich.Die General-Verwaltung der königl. Posten und Eisenbahnengibt eine neue, weniger schwarze Einser heraus.Von der ursprünglichen Marke werden rund 725.000 Stück verkauft.

Seite 320/814 9. November 1849 München * In einem Schreiben an seinen InnenministerTheodor von Zwehl kündigt König Max II. an: "Es ist von großer Wichtigkeit, auch in Bayern das Nationalgefühl des Volkes zu heben und zu kräftigen."

Mit diesem Programm will er die Monarchie in Bayern sichern. Ihm ist klar, dass fast die Hälfte seines Staatsgebiets und seiner Bevölkerung nicht das Geringste mit Bayern zu tun hatte.Die revolutionären Ereignisse haben gezeigt, dass besonders von Franken, das keinerlei geschichtlichen Bezug zu Bayern hatte, der stärkste Widerstand gegen die Monarchie ausging.

Durch die Förderung von Tracht, Brauchtum und Geschichte, durch Geschichtszyklen und dynastische Feste, durch Denkmäler, Nationalhymne und den Ausgleich der Religionen sowie durch gezielte Unterstützung aller konservativen, monarchiefreundlichen Institutionen und Vereinigungen, soll die gesamtbayerische Identitätsstiftung gesteuert werden.

All diese Maßnahmen schlagen sich nicht zuletzt auch in Fragen der Architektur nieder.Denn zum Ziel zur Förderung einer bayerisch-monarchischen Gesinnung zählen auch die Bemühungen des Bayernregenten um einen neuen Baustil, bei dem programmatisch gotische und bäuerliche Architekturformen, also letztlich "deutsche" und "bayerische" Elemente verschmolzen werden sollen.

Darüber hinaus verfolgt Max II. mit einem neuen, in Bayern erfundenen Baustil außenpolitische Ziele.

Er will damit für Bayern eine Vorrangstellung unter den deutschen Mittelstaaten erreichen und so das Land als dritte Kraft zwischen Preußen und Österreich etablieren und zumindest in der Architekturund im Städtebaueine führende Rolle einnehmen. Daneben hätte er mit der Erfindung eines neuen Baustils auch seinen Vater, den dominierenden Kunstkönig, in dessen ureigenstem Gebiet übertroffen.

Bis zum Jahr 1850 Untergiesing * Die "Kolonie Birkenau" ist, bis zur Aufschüttung der Dammanlagen der Isar - in den Jahren zwischen 1850 und 1860 - durch die jährlichen Frühjahrs- und Herbsthochwässer bedroht.

Vor der Bebauung sind die Giesinger Weidenflächen im Hochwassergebiet zwischen "Entenbach" und "Kühbachl" stellenweise eine mit Weiden und Birken bestandene Wiesenfläche. Aus dem Wildwuchs des älteren Lohwaldes entsteht später - durch das Vieh und die Beweidung - eine Baumkultur.

1850 München * Die Festlegung der "Brauperiode für untergäriges Bier" auf die Zeit vom 29. September (Michaeli) bis 23. April (Georgi) wird aufgehoben.

1850 München-Lehel * Als sich das alte Chortürmchen der "Anna-Kirche" als baufällig herausstellt, verwirklichen sich die Bewohner der "Anna-Vorstadt" einen Traum.

Seite 321/814 Ihre Kirche soll zwei Türme mit Glocken und Uhren erhalten.

Die "Anna-Vorstädter" gründen einen "Turmbau-Verein" und beauftragen den Architekten August von Voigt mit der Planung einer dem Zeitgeschmack entsprechenden neuromanischen Außenfassade, die stilistisch von der nahegelegenen "Ludwigskirche" beeinflusst ist.

Mit dem neuen Aussehen der Kirche soll das "Lehel" einen besonderen städtebaulichen Akzent erhalten, damit es sich gegenüber "der an kostbaren Baudenkmälern so reichen Residenzstadt" als würdig erweisen kann.

Die Türme waren im ursprünglichen Plan von Johann Michael Fischer bereits vorgesehen und hätten der Kirchenfassade in etwa das Aussehen der "Michaels-Kirche" in Berg am Laim gegeben. Es ging aber den "Lechlern" nicht nur um Kirchentürme mit einem Geläute von fünf Glocken, sondern in der Hauptsache um die notwendige Vergrößerung des Kirchenraumes, da die Kirchengemeinde zwischenzeitlich erheblich angewachsen war.

1850 München * Der Malzverbrauch aller Münchner Brauereien liegt bei 284.582 Hektoliter.

1850 München-Maxvorstadt - Schwabing * Das "Siegestor" wird zwei Jahre nach der Abdankung König Ludwig I. fertiggestellt.

Es soll an die siegreichen Feldzüge der Jahre 1813 bis 1815 gegen Napoleon erinnern. Das "Siegestor" ist 411.000 Gulden teuer.

1850 München-Kreuzviertel * Ein Braumeister aus Kulmbach namens Heiss kauft die Brauerei "Zum Oberpollinger".

1. Mai 1850 München-Englischer Garten - Hirschau * Die "Maffei'sche Maschinenfabrik" präsentiert ihr erstes Dampfschiff.

Über dem zu den Werkstätten in der "Hirschau" führenden Isarkanal fährt der Raddampfer "Stadt Donauwörth" über die Isar bis zur "Praterinsel". Die Fabrikarbeiter haben den Dampfer, der eine Länge von etwa 40 Metern bei 3½ Meter Breite und einen sehr geringen Tiefgang besitzt, reich verziert und an der Landspitze nahe der "Praterinsel" eine große, mit maschinentechnischen Emblemen geschmückte Pyramide aufgebaut.

Eine große Schar Neugieriger beobachtet die Fahrt des Schiffes, das mit einer Leistung von 43 Pferdestärken gegen den Strom der Isar hinauf fährt; später dann flussabwärts bis zur Donau.

1. Mai 1850 München * Arnold Zenetti wird als "Bauingenieur beim Stadtbauamt" angestellt.

Seine ersten Verdienste erwirbt sich der junge Zenetti beim Bau der "Maximilianstraße" und der

Seite 322/814 "Maximiliansbrücke".

Nach dem 1. Mai 1850 Vorstadt Au - München-Isarvorstadt * Die "Schweiger Volkstheater" dürfen auf Druck des "Königlichen Hoftheaters" keine "Dramen" und "Konversationsstücke" mehr zur Aufführung bringen, sondern nur noch "Lokalpossen" aufführen.

28. August 1850 Weimar * Die Richard-Wagner-Oper "Lohengrin" wird unter der Leitung von Franz Liszt in Weimar zur Uraufführung gebracht.

9. Oktober 1850 München-Theresienwiese * Bei strahlendem Sonnenschein kann die Bavariaenthüllt werden. Die Münchner Neuesten Nachrichtenbeschreiben das Ereignis wie folgt:"In ehrfurchtsvoller Haltung umstanden Tausend und Tausende den gefeierten König Ludwig, dem Momente harrend, der dessen großartige Schöpfung dem Volke vor Augen stellen sollte.

Ein Zeichen - und eine Bretterwand von circa 70 Fuß Höhe und 40 Fuß Breite stürzt in einem Stück unter dem Donner der Kanonen über den Berg, ein zweiter Wink, und die zu beiden Seiten derselben befindlichen Bretterwände stürzen weiters krachend zusammen und ,Bavaria?, das Sinnbild des bayer. Vaterlandes, stand vom schönsten Sonnenlichte beleuchtet vor den Augen der staunenden Volksmenge, welche in endlosen Jubelruf ausbrach."

Gegossen wurde die Bavariain der Königlichen Erzgießereiunter Ferdinand von Miller.Der Entwurf für die Statue stammt von Ludwig von Schwanthaler. Von der Sohle zum Scheitel misst die Bavaria 15,78 Meter, bis zum Kranz 18,1 Meter, und vom Sockel sind es gar 30 Meter. Es ist damals das größte erzene Standbild der Welt.Alleine das Erzgewicht beträgt 1.438,66 Zentner. Über 126 Stufen kann man der monumentalen Frau im Inneren bis in den Kopf steigen.

15. Oktober 1850 Berlin - Wien * Bis zum 15. Oktober 1850 reduzieren sich die Mitgliedsstaaten der Erfurter Union auf 21. Österreich kann die abgefallenen Staaten hinter sich bringen. Doch dadurch spitzte sich der preußisch-österreichische Konflikt immer mehr zu.

6. November 1850 München-Graggenau - München-Lehel * Der Vorstand der Obersten Baubehörde, Direktor Schierlinger, gibt ein Gutachten ab, worin er die Durchführung der projektierten Straße "als eine gerade Verbindung des Max-Joseph-Platzes mit Brunntal" für möglich hält, gleichzeitig aber auch auf die zu erwartenden Terrainschwierigkeiten hinweist.

Das Gebiet rund um die heutige Maximilianstraße ist ein von zehn mehr oder weniger großen Bächen durchzogenes Isar-Schwemmland, in dem zahlreiche Mühlenliegen. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung ist das Verfüllen der Bäche und eine damit verbundene Stilllegung der Mühlennicht möglich.Außerdem fällt das Gelände zur Isar hin deutlich ab, weshalb auf der ganzen Strecke ein Niveauausgleich vorgenommen werden

Seite 323/814 muss.

Um Dezember 1850 München * Der Architekt Georg Christian Friedrich Bürklein reicht - im Auftrag des Königs - einen "Stadtverschönerungsplan" ein.

Bürklein bringt auch den Gedanken des "Forums" ein, indem er die Straße mit der vom König gewünschten Parkanlage verbindet.

Die Anlage wäre allerdings wesentlich größer und parkähnlicher ausgefallen, als dies heute der Fall ist. Da sich aber ein großer Park mit der Verkehrsstraße nur schwer vereinbaren lässt und außerdem die Vororte jenseits der Isar vom Stadtbezirk eher ferngehalten worden wären, nimmt man Abstand von diesen Plänen.

Was bleibt ist die Verbindung der Straße mit der Grünanlage, eben das heutige "Forum", deren Platzmitte in den früheren Planungen mit vier Fontänen ausgestattet werden sollte.

Obwohl sich die Planungen für das Straßenprojekt noch über viele Jahre hinziehen, beginnt die praktische Umsetzung schon wesentlich früher.

1851 München-Englischer Garten - Hirschau * Am nordwestlichen Rand des "Englischen Gartens" wird die "Woll- und Lodenfabrik Frey" am "Dianabad" gegründet.

Ab 1851 Haidhausen * Die "Brauerei zur Schwaige" in Haidhausen wird mehrfach erweitert.

1851 München - Anif * Irene Gräfin von Arco-Stepperg, die Gattin von Aloys (Louis), wird von ihren Brüdern aus dem Hause Pallavicini gezwungen, sich zur "Wahrung der Familienehre" von ihrem Ehemann zu trennen.

Die Ursache für diesen ungewöhnlichen Schritt liegt in einem Prozess begründet, den man Aloys (Louis) Graf von Arco-Stepperg in Anif macht. Es geht dabei um die "Verführung minderjähriger Mädchen".

Mai 1851 Rom * Franz von Pocci erhält die von König Ludwig I. an Lola Montez geschrieben Briefe zurück.

Mit der Übergabe der Liebesbriefe in Rom ist die spektakuläre Liebesbeziehung endgültig beendet.

29. Dezember 1851 New York * Lola Montez gibt ihr amerikanisches Debüt in "Betley, die Tirolerin" am Broadway Theatrein New York. Sie ist der vor dreitausend Zuschauern umjubelte Star des Abends. Die Vorführungen müssen auf drei Wochen verlängert werden. Sie bricht damals in der ersten Woche erstmals den "Box Office Record" der

Seite 324/814 amerikanischen Theatergeschichte.

Der Finanz- und Publikumserfolg bleibt ihr in den nächsten Wochen und Monaten bei ihrer ausgedehnten Tournee an der amerikanischen Ostküste weiter treu.

31. Dezember 1851 München * Unter den 100 Höchstbesteuerten Münchens befinden sich - trotz rückläufiger Brauereistätten - nun schon 26 Brauer.

1852 München - Freising * Die Stadt München löst mit einer Einmalzahlung von 987 Gulden jährliche Zahlung für die "Rekognition für die Verlegung der Brücke".

1852 Berlin * Die wegen dauernder Verletzung des Briefgeheimnisses arg ramponierte "Thurn- und Taxis-Post", die in Preußen noch das Monopol hat, kann erst jetzt nachziehen.

Doch das Format und Design ihrer "Briefmarken" sind nur ein Abklatsch des bayerischen Vorbildes.

Im Gegensatz zum "Schwarzen Einser" stehen diese preußischen "Freimarken" noch heute nicht besonders hoch im Kurs.

1852 München-Ludwigsvostadt *Die "Augustiner-Brauerei" stellt ihren Betrieb auf "Dampfkraft" um.

25. Mai 1852 New York * Das von Lola Montez selbst in Auftrag gegebene Stück "Lola Montez in Bavaria" hat am BroadwayPremiere. Im Mittelpunkt des Stückes steht ihre Affäre mit König Ludwig I.. Sie selbst spielt die Hauptrolle.

1. Juni 1852 München-Graggenau - München-Lehel * Der Architekt Georg Christian Friedrich Bürklein reicht - im Auftrag Königs Max II. - einen Stadtverschönerungsplanein.Bürklein bringt auch den Gedanken des Forumsin der heutigen Maximilanstraße ein, indem er die Straße mit der vom König gewünschten Parkanlage verbindet.Die Anlage wäre allerdings wesentlich größer und parkähnlicher ausgefallen, als dies heute der Fall ist.

Da sich aber ein großer Park mit der Verkehrsstraße nur schwer vereinbaren lässt und außerdem die Vororte jenseits der Isar vom Stadtbezirk eher ferngehalten worden wären, nimmt man Abstand von diesen Plänen.Was bleibt ist die Verbindung der Straße mit der Grünanlage, eben das heutige Forum, deren Platzmitte in den früheren Planungen mit vier Fontänen ausgestattet werden sollte.

Obwohl sich die Planungen für das Straßenprojekt noch über viele Jahre hinziehen, beginnt die praktische Umsetzung schon wesentlich früher.

Seite 325/814 Um Juli 1852 München-Graggenau - München-Lehel * König Max II. gibt den Architekten Bürklein, Gottreu, Riedel, Voit und Ziebland Aufträge zur Anfertigung von "Musterfassaden für die neue Straße".

Dass sich der König statt an einen, an mehrere Architekten wendet, ist vorbildlich. Doch er macht wieder den Fehler, den Architekten bindende, alle Einzelheiten festlegende Vorschriften vorzugeben und damit jede Bewegungsfreiheit und Kreativität der Fachleute einzuengen. Damit macht er eine unabhängige Lösung des Problems unmöglich.

Kein Wunder, dass die Ergebnisse ziemlich gleich sind und den Wünschen des Königs entsprechen. Bürkleins Vorschläge finden volles Lob und Anerkennung, weshalb er den Sieg davonträgt.

Um das Projekt zu beschleunigen und die Verhandlungen über die Grundstückskäufe in Gang zu bringen, stellt König Max II. den notwendigen Betrag zunächst aus seiner Privatkasse zur Verfügung, sodass die ersten Verhandlungen über die Grundstückskäufe aufgenommen werden können. Die Ankäufe gehen rasch und reibungslos vor sich. Auch deshalb, weil sich der König - entgegen seiner sonst üblichen Sparsamkeit - sehr großzügig zeigt. Er will eben den Bau seines "Prachtboulevards" möglichst schnell umgesetzt sehen.

Freilich möchte der Bayernherrscher auch, dass auch die Stadt zur finanziellen Beteiligung herangezogen wird, da sie ja immerhin der Hauptnutznießer des Bauvorhabens ist. Bei der künstlerischen Ausgestaltung der "Prachtstraße" soll die Obrigkeit der Stadtgemeinde allerdings keinerlei Mitspracherechte haben. Nur die Herstellung des Straßenkörpers will ihr der Regent überlassen.

25. Dezember 1852 München-Graggenau - München-Lehel * Der Bayernkönig Max II. teilt dem Ersten Bürgermeister der Stadt München, Dr. Jakob von Bauer, mit, er hat vor, "die Stadt mit der Sankt-Anna-Vorstadt mittels einer schönen Straße zu verbinden und hierdurch einem vielseitig gefühlten Bedürfnisse abzuhelfen.

Die Vorbereitungen sind so weit gediehen, daß Ich Ihnen, Herr Bürgermeister, den Plan anbei mitteilen kann, damit Sie Mir berichten, ob sich die Überbrückung und Auffüllung der Kanäle und die Herstellung des Straßenkörpers aus städtischen Mitteln ins Werk setzen läßt, indem Ich in diesem Falle durch schenkungsweise Überlassung des auf Meine Kosten erworbenen Straßengrundes das Vorhaben zu verwirklichen gedenke."

Bürgermeister Dr. Bauer setzt sich in der Folge vor dem Magistratfür den Bau der Straße ein, da mit ihr die kurz vor der Eingemeindung stehenden Orte des Ostends(Haidhausen, Au, Giesing) wesentlich besser erschlossen werden können.

Er räumt aber auch ein, dass der auf die Stadt zukommende Aufwand in Höhe von 260.000 Gulden nur dann zu finanzieren sei, wenn der König der Erhöhung des Pflasterzolls, der Weinsteueroder des Malzzuschlags, einer Art Biersteuer, die der Stadt bis zum Jahr 1899 zu garantieren sei, zustimmen würde.

1853 München-Lehel * Die Erweiterung der "Anna-Kirche" ist vollendet, doch der expansive Bevölkerungszuwachs in der "Anna-Vorstadt" macht einen Kirchenneubau unbedingt notwendig.

Dieser soll aber erst knapp fünfzig Jahre später in Form der "St.-Anna-Basilika" entstehen.

Seite 326/814 In der Zwischenzeit müssen die "Lechler" mit der maximal 700 Gläubigen Platz bietenden ehemaligen Klosterkirche vorlieb nehmen.

1853 Haidhausen * Das "Gronimus-Anwesen" in Haidhausen kommt in den Besitz des Brauersohnes Georg Fenk aus Vilsbiburg.

Er verkauft den gesamten Grundbesitz in Einzelteilen.

Das Anwesen - ohne Ackerland - kauft der Haidhauser "Großwirt" Franz Paul Wagner.

1853 München-Isarvorstadt - Museumsinsel - München-Lehel * Die Insel zwischen den beiden Isarbrücken wird "Kohleninsel" genannt.

1853 München-Angerviertel- Vorstadt-Au * Über Brathmanns Tochter Katharina gingt die "Singlspielerbrauerei" als Aussteuer in die Ehe mit dem Grünwalder Wirtssohn und Brauer Mathias Wild ein.

Der neue "Bräu" vervierfacht die Leistung des Betriebs innerhalb kürzester Zeit. Im Jahr 1853 erreicht er mit 3.481 versottenen Schäffel Malz seine Höchstleistung.

1. April 1853 Eggenfelden * Theres Feldmüller pachtet - gemeinsam mit ihrem Vetter Franz-Xaver Huber, Gastwirtssohn aus Zolling bei Freising, - die Wirtschaft beim "Freiherrlich von Closen?schen" Bräu- und Wirtsanwesen zu Eggenfelden und betreibt diese bis zum 1. Mai 1855.

1854 München-Untergiesing * Die "Untergiesinger Lederfabrik" spezialisiert sich auf feines, lackiertes Leder, das für die Innenausstattung von Kutschen, später von Automobilen und für die Schuh- und Bekleidungsindustrie benötigt wird.

Die Giesinger Lederfabrik produziert nicht nur für den deutschen Markt, sondern exportiert ihre auf verschiedenen Weltausstellungen prämierten Produkte in fast alle Länder der Welt. Zumindestens dort hin, wo es die Zollbestimmungen ermöglichen.

1854 München-Haidhausen - München-Maxvorstadt * Der Brunnen, der sich heute auf dem "Weißenburger Platz" befindet, wird eigens für den "Münchner Glaspalast" am "Alten Botanischen Garten" geschaffen.

1854 München-Ludwigsvorstadt * Die "Pschorr-Brauerei" stellt ihren Betrieb auf "Dampfkraft" um.

Seite 327/814 1854 München * Bis das "Preisgericht" zur Beurteilung der eingereichten Arbeiten erstmals zusammenkommt, vergehen nochmal eineinhalb Jahre. Diese erneute Verzögerung liegt ausschließlich in der Person des Königs begründet, weil dieser sich zunächst mit jedem einzelnen Entwurf selbst beschäftigt. Doch bei den anstehenden Staatsaufgaben und sonstigen Neigungen findet er für diese Tätigkeit nur gelegentlich Zeit und Muße.

Seine Einschätzung gibt er nicht preis, um dem "Schiedsspruch" der Fachleute nicht vorzugreifen. Das ist zunächst eine weise Entscheidung, die jedoch sofort wieder relativiert wird, da ja die letzte Entscheidung doch wieder beim König liegt.

Das Protokoll der Sitzung des "Preisgerichts" ist verschollen. Es ist nur bekannt, dass der Berliner "Oberbaurat" Wilhelm Stier den ersten Preis in Höhe von 4.000 Gulden zuerkannt bekommt und dass ein zweiter und ein dritter Preis nicht vergeben wird. Es ist aber auch klar, dass die Planungen Wilhelm Stiers - "der ungeheueren Kosten wegen" - nicht zur Ausführung kommen werden. Die übrigen Konkurrenzentwürfe verschwinden in der Versenkung.

Friedrich Bürklein wird - vollkommen unabhängig vom Konkurrenzergebnis - mit der Ausführung der Pläne für das "Maximilianeum" und der Ausführung des umfangreichen Bauprogramms beauftragt. Über das "Preisgericht" und die eingelaufenen Bewerbungen legt man den Mantel des Schweigens.

20. April 1854 München - Straubing * Herzogin Elisabeth "Sisi" in Bayern verlässt München in Richtung Straubing.

Dort besteigt sie den Raddampfer "Franz Joseph", der sie nach Wien-Nußdorf bringt.

Mai 1854 München-Angerviertel * Der "Scharfrichter" Lorenz Schellerer vollzieht auf dem "Heumarkt", dem heutigen "Rindermarkt", die letzte Hinrichtung mit dem "Handschwert".

Die sich heftig wehrende "Gattenmörderin" kann den Schlägen des Henkers mehrmals ausweichen. Er braucht sieben Hiebe, "bis sich ihr Kopf vom Rumpfe trennt".

Die Menschenmenge ist aufgebracht und muss mit Gewalt zurückgedrängt werden.

Lorenz Schellerer bedient danach die ausschließlich zum Einsatz kommende "Guillotine".

28. Mai 1854 München-Graggenau * Ein großer Bittgottesdienstzur Abwendung der Cholera-Epidemiewird an der Mariensäuleauf dem Schrannenmarktzelebriert. 25.000 Menschen beteiligen sich.

15. Juli 1854 München-Maxvorstadt * Die im Glaspalaststattfindende Industrie-Ausstellungwird von König Max II. feierlich eröffnet.

Seite 328/814 Nur wenige Tage später bricht die Choleraaus.Bei der Eröffnungsrede bricht ein Billeteurtot zusammen.Man glaubt an einen Schlaganfall, doch vermutlich handelt es sich um das erste Opfer der Cholera.

18. Juli 1854 München-Graggenau * Ein Theaterbesucher aus der Schweiz bricht während der Vorstellung zusammen und wird in die Klinik gebracht. Vermutlich ist auch er bereits vom Cholera-Erregerangesteckt.

2. August 1854 München * Das Bayerische Innenministeriumberuft ein Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr, das sich bis Mitte Oktober wöchentlich zwei Mal treffen wird.

Beim ersten Zusammentreffen muss man seit dem 29. Juli weitere 22 Brechdurchfall-Erkrankungenzur Kenntnis nehmen, von denen zwölf mit dem Tod endeten.Aufgrund der Arztberichte bestätigt sich das Vorhandensein der Cholera.

Eine vorsichtige Information der Bevölkerung in der halbamtlichen Neuen Münchner Zeitungwird beauftragt.Mit den Warnungen vor bestimmten Lebensmitteln hofft das "Komitee" auf keine weitere Verbreitung der Krankheit.

5. August 1854 München - Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Die Cholera-Erkrankungs-und Todesfälle haben weiter zugenommen, weshalb das "Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr" einen Maßnahmenkatalog in Angriff nimmt.

Ärztliche Besuchsanstaltenwerden eingerichtet und dabei das Stadtgebiet und die Vorstädte Au, Haidhausen und Giesing in 13, später 15 Distrikte eingeteilt.

5. August 1854 München * König Max II. verfügt die Abschaffung des mittelalterlichen Richtschwerts.Die Todesstrafe wird künftig ausschließlich mit der Guillotinevollstreckt.

Die bayerische Guillotineist im Gegensatz zu dem aus Holz hergestellten französischen Original aus Eisen.Das Fallbeil braucht deshalb nur eine Fallhöhe von 1,50 Metern, statt den 5 Metern der Original-Guillotine.

6. August 1854 München * Der Bayerische Landbotedementiert die über Mundpropaganda verbreitete Nachricht, "dass die Cholera wieder herrsche".

7. August 1854 München * Seit Ausbruch der Cholerasind alleine auf Münchner Stadtgebiet 44 Todesfälle aufgetreten.

28. August 1854 München-Graggenau * Um die Abwendung der Cholera-Epidemiezu erflehen und die Ausbreitung künftig

Seite 329/814 möglichst zu unterbinden, wird ein großer Bittgottesdienstan der Mariensäuleauf dem Schrannenplatzzelebriert. 25.000 Menschen sollen sich dort eingefunden haben.

September 1854 München-Theresienwiese - München-Au - München-Maxvorstadt * Wegen der grassierenden"Cholera" sagt die Regierung das "Oktoberfest" ab, was zu zahllosen Klagen der Geschäftsleute führt.

Als auch noch die "Auer Herbstdult" storniert werden soll, bitten die Geschäftsleute, "dem ohnedieß diesem Sommer schwerheimgesuchten Gewerbestand" nicht auch noch dieses "Bißchen Brot" zu entziehen.

Weder zur "Auer Herbstdult" noch zu der seit 15. Juli stattfindenden "Industrie-Ausstellung" im "Glaspalast" finden sich viele Interessenten ein.

3. September 1854 München * Die täglichen Cholera-Sterbefällenehmen in München deutlich ab. Seit dem Ausbruch der Epidemie sind 1.468 Münchner verstorben.

9. September 1854 Vorstadt Au - Giesing - Haidhausen * Die täglichen Cholera-Sterbefällegehen jetzt auch in den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing deutlich nach unten. Seit dem Ausbruch der Epidemie sind 564 Personen verstorben.

29. September 1854 München-Graggenau * Ein "Verein hiesiger Bürger" lädt für den 3. Oktober zu einem feierlichen Dankamtzur Mariensäule am Schrannenplatzein, "um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen". In dieser Einladung wird die Choleraschon für beendet erklärt.

30. September 1854 München * Das Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhrbeschließt, das die Cholerain München erloschen ist.Nur drei Ärzte stimmen dagegen. Alle Ärztlichen Besuchsanstaltenwerden geschlossen, die Suppenanstaltenwieder auf vier reduziert. Die ärztliche Versorgung in den Vorstädten wird eine Woche länger aufrecht erhalten.

2.143 von rund 114.000 Münchner Einwohnern fallen bis dahin der sogenannten Kalten Pestzum Opfer, das sind 1,9 Prozent. In den Vorstädten Au, Haidhausen und Giesing sterben 781 von 21.000 Bewohnern, das ist mit 3,7 Prozent eine fast doppelt so hohe Sterbequote.

Kinder, Frauen und ältere Menschen machen die Mehrzahl der Opfer aus.In München liegt der Anteil der Frauen bei 45,7 Prozent, der der Kinder unter zehn Jahren bei 19,7 %.In den Vorstädten liegt die Sterblichkeit bei den Frauen bei 39,5 und bei den Kindern bei 25,2 Prozent.An der Cholerasterben stets mehr Frauen als Männer.Das liegt daran, dass Frauen immer einer größeren Infektionsgefahr ausgesetzt sind, da sie die Kranken versorgen und die Wäsche waschen. Während der Anteil der über 60-jährigen Opfer in der Stadt München fast 27 Prozent beträgt, sind es in den Vorstädten "nur" 17,7 Prozent.Das liegt aber an der sowieso wesentlich geringeren Lebenserwartung.

Seite 330/814 In Haidhausen wird fast kein Haus von der Choleraverschont.Hier liegt die Sterbequote bei 4,8 Prozent.Darunter sind 57 Mütter und 42 Väter, wodurch 102 Kinder einen Elternteil verlieren.Zwanzig Kinder werden zu Vollwaisen.

Von den in der Strafanstaltin der Au einsitzenden 541 Häftlingen sterben 63, gleich 11,6 Prozent.

1. Oktober 1854 München-Au - München-Haidhausen - München-Giesing * Eingemeindung nach München

der VorstadtAu mit den Gemeindeteilen Niedergiesing und Nord-Falkenau, die selbstständige Gemeinde Haidhausen und die Gemeinde Giesing mit den Gemeindeteilen Obergiesing, Lohe, südliche Falkenau, Pilgersheim, Birkenleiten, Siebenbrunn, Hellabrunn, Harlaching, Soyerhof, Stadelheim und Menterschweige.

Dadurch erhöht sich die Bevölkerungszahl Münchens um 20.662 Einwohner.Davon kommen aus der Au 10.840, aus Haidhausen 6.273 und aus Giesing 3.549 Menschen.Damit wächst zusammen, was zusammen gehört, den die Bewohner der drei Vorstädte gehörten schon immer "funktional" nach München.

Die Au ist zu diesem Zeitpunkt die zehntgrößte Stadt des Königreichs Bayern. Der Burgfriedenvon München, der sich durch Korrekturen seit dem Jahr 1724 von 1.593 Hektar auf rund 1.700 Hektar erweitert hat, verdoppelt sich nahezu. Mit der Au [87 ha], Haidhausen [296 ha] und Giesing [1.287 ha] vergrößert sich das Stadtgebiet um weitere 1.670 Hektar. Wegen der noch grassierenden Cholera-Epidemieerfolgt der Eingemeindungsakt ohne großes Aufsehen.

3. Oktober 1854 München-Graggenau * Aus Dankbarkeit für die Abwendung der Choleraversammeln sich "zahllos die Andächtigen jeden Standes, Geschlechts und Alters um die im schönsten Blumenschmuck prangende Mariensäule" am Schrannenplatz. Ein "Verein hiesiger Bürger" hatte dazu bereits am 29. September eingeladen, "um Gott den Herrn für die Errettung aus dieser großen Drangsal die innigsten Dankgebete darzubringen".

14. Oktober 1854 München * Das Komitee zur Beschließung von Maßnahmen gegen die epidemische Brechruhr[= Cholera] hält seine letzte Sitzung ab.

November 1854 München-Au * Mit der Eingemeindung der Au nach München wird die "Armen-Industrie-Schule" aufgelöst.

In dem frei gewordenen Gebäude an der Gebsattelstraße wird später eine Knabenschule untergebracht.

1855 München-Au * Da die "Vorstadt Au" inzwischen nach München eingemeindet ist, entsteht das neue "Franziskaner-Bräuhaus" auf Münchner Stadtgebiet.

Seite 331/814 1855 München-Angerviertel - München-Au * Mathias Wilds Sohn Joseph übernimmt den "Singlspielerbräu" und passt das Unternehmen den Bedingungen des 19. Jahrhunderts an.

1856 München-Lehel * Das "Karussell" am "Chinesischen Turm" entsteht. (Nicht schon 1823!)

Ab 1856 München-Lehel * Als einziger plastischer Schmuck verbleiben auf dem "Forum" die vier - von 1856 bis zum Jahr 1868 aufgestellten - Bronzedenkmäler vor dem "Regierungsgebäude" und dem (alten) "Nationalmuseum":

des "Armeeführers" Deroy, des "Philanthropen" Graf Rumford, des "Optikers" Fraunhofer und des "Philosophen" Schelling.

Die ursprünglich geplanten vier Fontänen werden zunächst auf zwei verringert und fallen dann den weiteren Planungen ganz zum Opfer.

12. April 1856 München * Der "Kgl. privilegierten Aktiengesellschaft der bayerischen Ostbahnen" wird die Durchführung der "längst allgemein als dringendes Bedürfnis erachteten" Baumaßnahme übertragen.

Die "Ostbahn-Aktiengesellschaft" besitzt ein Kapital von 60 Millionen Gulden. Beteiligt sind unter anderem die Bankhäuser Rothschild, Eichthal, Hirsch und Bischofsheim, die Fabrikbesitzer Cramer und Klett, die "Kgl. Bank" in Nürnberg sowie Maximilian von Thurn und Taxis.

Als "Direktor der Gesellschaft", dem der gesamte Bau und die Betriebsführung anvertraut wird, kann Paul Camille von Denis gewonnen werden, der schon beim Bau der Strecke "Nürnberg - Fürth" und "München - Augsburg" tätig war.

5. August 1856 München-Maxvorstadt * Adolf Friedrich von Schack kauft ein Haus in der Brienner Straße 22, später 19. Es ist das "Pallavicini?sche Haus, [...] ein artiges Gebäude mit großen Spiegelscheiben, aber jenseits der Propyläen".

Oktober 1856 München-Graggenau - München-Lehel * Die Maximilianstraße ist nach über dreijährigen Bauarbeiten fertiggestellt.

Die Länge vom Max-Joseph-Platz bis zur Isar beträgt 1.664 Meter, breit ist die Straße dreiundzwanzig Meter. Das

Seite 332/814 "Forum" ist 82 Meter breit und 379 Meter lang.

Abschließend werden die Grünflächen im "Forum" hergestellt und mit "Rosskastanien" bepflanzt.

Entlang der Straße pflanzt man "Platanen". Diese vertragen allerdings das Münchner Klima nicht und sterben ab, weshalb sie durch "Bergahorn" ersetzt werden.

1857 München * Im Braujahr 1856/57 steht "Spatenbräu" mit einem Verbrauch von 18.417 Scheffel Malz an der Spitze in München.

Die zwölf erfolgreichsten Münchner Brauereien haben einen Malzverbrauch von zusammen 102.748 Scheffel.

Das sind 228.100 Hektoliter.

1857 München-Isarvorstadt * Max Schweiger engagiert die Wiener Soubrette "Fräulein Dellson" als "Pepita" an sein Theater.

Verschiedene Possen mit "Pepita" im Namen werden in diesem Jahr im "Isar-Vorstadt-Theater" in der Müllerstraße aufgeführt.

1857 München-Angerviertel - München-Au * Zwischen 1857 und 1859 verlegt Joseph Wild den "Singlspielerbräu" an die Ecke Rosenheimer- und Hochstraße.

Er schafft damit die Voraussetzungen für den weiteren Aufstieg der Brauerei.

1857 München-Maxvorstadt * Adolf Friedrich von Schack erwirbt von dem "Historienmaler" Bonaventura Genelli das erste Gemälde seiner Sammlung.

Er wendet sich den unbekannten oder verkannten Malern seiner Zeit zu. "Junge Kräfte zu entdecken oder auch solche zu beschäftigen, welche, der Gunst des großen Publikums entbehrend, brach lagen", erscheint ihm lohnender, als Bilder von jenen Künstlern besitzen zu wollen, die den Ruhm des Tages für sich haben.

"Ich dachte", so äußerte er sich später, "meine Galerie würde so einen eigentümlichen Charakter erhalten, während sie sonst nur Bilder von Malern aufgewiesen hätte, von denen man schon überall welche sehen konnte".

14. Juli 1857 Berlin * König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen erleidet mehrere Schlaganfälle, wodurch auch sein Sprachzentrum in Mitleidenschaft gezogen wird. Er wird von seinem Bruder Prinz Wilhelm vertreten.

Seite 333/814 24. September 1857 Breslau * Carl Gabriel wird in Bernstadt in der Nähe von Breslau als Sohn eines Menageriebesitzersgeboren.

26. Oktober 1857 München-Großhesselohe * Die elegante Großhesseloher Brücke, die das tief eingeschnittene Isartal überquert und die Bahnverbindung über Holzkirchen nach Rosenheim weiterführt, wird eröffnet.

31. Oktober 1857 München-Großhesselohe * Der 62,9 Kilometer lange Eisenbahn-Streckenabschnitt von dem Belustigungsorte Hesselohebis Rosenheim ist fertiggestellt.

1858 München-Obergiesing * Nachdem die Beziehung zu ihrem Vetter Franz-Xaver Huber in die Brüche geht, verlieren sich die Spuren der Theres Feldmüller. Ihr Sterbedatum ist unbekannt.

Man sagt ihr ein "wechselhaftes Leben" nach, weshalb sie noch heute einen "schlechten Ruf" besitzt.

1858 München-Graggenau - München-Kreuzviertel * Eine von "Kriegsminister" von Manz vorgelegte "Denkschrift" will die Bürgerhäuser am "Max-Joseph-Platz", zwischen der "Perusagasse ab nach Norden bis auf die Höhe des ludovicianischen Königsbaues abzureißen", um den "Rebellen" keinen Unterschlupf und ein "freies Schußfeld" zu ermöglichen.

Zwischen der "Prannergasse" [heutige Kardinal-Faulhaber-Straße] und der "Theatinerstraße" will er in den geschlossen bebauten Häuserblock eine Bresche schlagen, den gesamten Häuserblock zwischen der "Perusagasse" und der "Schrammergasse" demolieren und auf der dadurch freiwerdenden Fläche eine "Defensivkaserne" errichten.

Zum Glück haben sich all diese Planungen aus verschiedenen Gründen nicht realisieren lassen.

1858 Main * Die Dampfschifffahrt auf dem Main wird bis 1886 eingestellt.

1858 Bogenhausen * Die "Leipziger Illustrirten" loben die "Dr. Steinbachs Naturheilanstalt" im "Brunnthal" von Bogenhausen, die sich einen international bekannten Namen gemacht hat.

14. Juni 1858 München-Lehel - München-Haidhausen * Die Feierlichkeiten zum 700-jährigen Bestehen Münchens beginnen mit einer Prozessionund der Grundsteinlegung der neuen Maximiliansbrücke.

Seite 334/814 August 1858 Zürich - Venedig - Paris - Karlsruhe * Richard Wagner trennt sich von seiner Frau Minna, verlässt Zürich und übersiedelt nach Venedig. Danach folgen Paris und Karlsruhe.

7. Oktober 1858 Berlin * Nachdem die Stellvertretung des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. durch seinen Bruder Prinz Wilhelm von Preußen dreimal verlängert worden ist, unterzeichnete der kranke König die Regentschaftsurkunde für Wilhelm I., der damit die Funktion des Prinzregenten übernimmt.

3. November 1858 München-Graggenau - München-Lehel * Der neue Boulevard erhält die offizielle Bezeichnung Maximilianstraße. Es ist eine großartige Straßenachse entstanden, die in der deutschen Architektur des 19. Jahrhunderts keinen Vergleich zu scheuen braucht. Die Münchner sind allerdings weniger mit den neugotischen FassadenvorstellungenFriedrich Bürkleins einverstanden und so hagelt es durchwegs vernichtende Kritik am neuen Baustil.

Leo von Klenze schreibt unter anderem:"Der Einfluß des Hofsekretärs Hofmann für seinen Freund Bürklein [...]bewirkte nun, daß der König sich der Illusion hingab, ein gewisses architektonisches Ragout, ein Mixtum compositum, welches ihm der Baurath Bürklein servierte, für einen wirklich neuen Baustyl anerkennen zu dürfen, dasselbe den maximilianischen Styl taufte und seine Anwendung bei allen nur aufzufindenden Gelegenheiten durch eigene Verordnung befahl.?

Noch erbarmungsloser fällt die Kritik des Ex-Königs aus:"Was man da gebaut hat?, sagt Ludwig I. zu Leo von Klenze, "ist das Abscheulichste, das ich kenne? und weigert sich strikt, die Konkurrenz seiner Prachtstraßezu besich­­­­tigen.

Doch in der Maximilianstraße, immerhin "Münchens teuerstem Boulevard", pulsiert das großstädtische Leben - im Gegensatz zur menschenleeren, sterilen, verkehrsreichen und autobahnählichen Ludwigstraße. Dass es zu der teilweise vernichtenden Kritik am Maximilianischen Stilkommt, liegt zu einem erheblichen Teil an dem ewig zaudernden und unsicheren Bayernkönig Max II., indem er mitten im Bau der Maximilianstraße die Konzeption abändert. So lässt er das fast fertiggestellte Taubstummeninstitutwieder abreißen, um eine einheitliche Bebauung am Forumzu erhalten.

Und kurz vor seinem Tod ordnet er noch an, dass am Maximilianeumdie gotisierenden Spitzbögen in Rundbögenabgeändert werden müssen, wodurch der Bau im Gegensatz zum ganzen Straßenzug einen Renaissance-Charaktererhält. Diese Stiländerung nimmt der Schweizer Kulturhistoriker Jacob Burckhardt in seiner Kritik auf.Er schreibt zum Maximilianeum: "[...]Ich habe nur deshalb Dankbarkeit für das Gebäude empfunden, weil es wenigstens äußerlich in die Formen der Renaissance hinüberleitet und den Geist von dem jämmerlichen Gotisch der Maximilianstraße befreit.?

1859 Geiselhöring - Passau - Regensburg * Ab dem "Verkehrsknotenpunkt Geiselhöring" wird auf zwei Strecken die "Ostbahn" weitergebaut.

Seite 335/814 Die eine Strecke führte nach Passau, die andere nach Regensburg, Amberg und Nürnberg. Mit einem Aufgebot von bis zu 17.000 Arbeiterinnen und Arbeitern wird das 453 Kilometer umfassende Grundnetz der "Bayerischen Ostbahnen" fertiggestellt werden.

Paul Camille von Denis schafft das in einer fünfeinhalbjährigen Bauzeit.

Der "Direktor der Ostbahngesellschaft" unterschreitet damit nicht nur die zeitliche Vorgabe der staatlichen "Eisenbahn-Commission", die dafür eine Bauzeit von sieben Jahren vorgesehen hatte, sondern auch die Baukosten gegenüber dem Voranschlag von 46,5 Millionen Gulden um 12,8 Millionen Gulden. Das sind nahezu dreißig Prozent.

Damit ist Paul Camille von Denis, dem "Altmeister des Eisenbahnbaus", die allgemeine Anerkennung sicher.

In Zeitungsartikeln halten sich die Zeitgenossen mit ihrer Bewunderung für diese Leistung nicht zurück: "Der Erfahrungssatz, der leider bei uns in Deutschland viel zu wenig bekannt oder anerkannt scheint - ?Zeit ist Geld? -, spricht sich in allen Anordnungen der Ostbahn-Direction aus".

1859 München-Graggenau * In der "Tuchfabrik" des Johann Nepomuk Roeckenschutz an der Wurzerstraße bricht ein Feuer aus, "bei dem sich die Münchner Löschverhältnisse in aller Jämmerlichkeit" zeigen.

1859 München-Haidhausen * Johann Georg Landes gründet die "J. G. Landes Maschinen- und Kesselfabrik, Eisen- und Metallgießerei".

Die Firma stellt Erzeugnisse des Maschinenbaues her und spezialisiert sich später auf Wasserturbinen, Schleusen- und Wehranlagen. Das Unternehmen ist bis zum Zweiten Weltkrieg tätig.

Johann Georg Landes richtete "aus Fürsorge um das Wohl ihrer Arbeiter" eine firmeneigene "Betriebskrankenkasse" ein. Die Höhe der Unterstützungsleistung richtet sich nach der Lohngruppe. Um das Leistungsrisiko zu vermindern, knüpfen die Kassen oft die Auszahlung von "Krankengeld" an gewisse Bedingungen.

In der Satzung des "Krankenvereins der Maschinenfabrik J. G. Landes" heißt es: "Auf Unterstützung hat aber kein Mitglied Anspruch, so lange dasselbe wirklich Arbeit verrichtet, nur Medizin gebraucht, oder sich Krankheit und Arbeitsunfähigkeit durch Exzeß, Rauferei oder unordentlichen Lebenswandel [durch übermäßiges Trinken oder syphilitische Krankheiten] zugezogen hat".

1859 München-Haidhausen * Das alte "Brunnhaus auf dem Isarberg" wird abgerissen.

Im Laufe des Jahres 1859 München * König Max II. beendet seine sämtlichen Versuche, die "Verfassung" zu verschlechtern.

Sie scheitern an der hohen Hürde der "Dreiviertelmehrheit", die in "Titel X Artikel 7 der Verfassungsurkunde des

Seite 336/814 Jahres 1818" festgelegt worden war.

Der angebliche Leitspruch Königs Max II.: "Ich will Frieden haben mit meinem Volk!" trat damit tatsächlich ein. Der König erkennt die Unmöglichkeit der "Verfassungsänderung" gegen den Willen der bayerischen Bevölkerung.

12. September 1859 Bogenhausen * Der Unternehmer Reinhold Hirschberg gründet eine oHG(= offene Handelsgesellschaft) und eröffnet eine Ziegelei mit dem Namen Fabrik Steinhausen.

31. Oktober 1859 München-Au * Das Irrenhaus Giesingwird in die Hochau verlegt, wo die Kreisirrenanstalteröffnet hat. Sie steht später auch unter der Leitung des ObermedizinalratsDr. Bernhard von Gudden, dem Gutachter König Ludwig II., und gilt über eine lange Zeit als Musteranstalt.

Mit der Eröffnung der Kreisirrenanstaltnutzt man die Gebäude am Kolumbusplatz für das St.-Nikolai-Spital für Unheilbare, das vorher am Gasteig stand. König Max II. hatte zuvor das Leprosenhaus am Gasteigerworben, das mittlerweile den Namen Spital der Unheilbarenerhalten hat, um es in den Maximiliansanlagenaufgehen zu lassen. Der Magistrat der Stadt muss daraufhin die aufgelassene Irrenanstaltin Untergiesing - zur Unterbringung der Unheilbaren- kaufen.

21. November 1859 München-Au * Die Kreisirrenanstalt für Oberbayernwird eröffnet. Das neue Nervenkrankenhauses liegt bei ihrer Errichtung in einem völlig unbebauten Gebiet zwischen der Rosenheimer- und der Auerfeldstraße. Unter der Leitung desObermedizinalratsDr. Bernhard von Gudden gilt die Einrichtung als Musteranstalt.

Der quadratische Gebäudekomplex hat vier Höfe. Die Länge der Flügelbauten betragen hundert Meter. Im Südflügel sind die Verwaltungsräume, in der Mittelachse die Küche, die Anstaltskapelle mit Werkstätten ist im Erdgeschoss, ebenso eine Turnhalle mit dem zentralen Bad und den Beschäftigungsräumen.

In den beiden südlichen, nur auf drei Seiten geschlossenen Höfen sind die "ruhigen Irren", in den beiden nördlichen geschlossenen Höfen die "unruhigen Kranken" untergebracht. Die Zimmer der "ruhigen" Patienten liegen außen. Die Räume der "unruhigen" Kranken sind genau umgekehrt angeordnet.

Nur die Fenster und Türen im Erdgeschoss haben Gitter und da sie die Form der rundbogigen Fenster aufnehmen, bleiben sie relativ unauffällig. Die Anlage um die vier Höfe entspricht den zeitgemäßen Forderungen nach Trennung der Patienten nach Geschlechtern und der Schwere ihrer Erkrankung. Eine Trennung nach Klassen ist nicht vorgesehen.

Die Beschäftigten der Kreisirrenanstaltfinden allerdings keine mustergültigen Arbeitsbedingungen vor. Das Pflegepersonal untersteht der Gesindeordnung.Es gibt weder eine Pflegequote, noch Urlaubsregelungen oder eine Altersversorgung für die Pflegekräfte. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt einhundert Stunden und mehr. Der Dienst beginnt um 5:00 Uhr und endet um 21:00 Uhr. Selbst verheiratete Pfleger müssen in der Anstalt

Seite 337/814 schlafen und dürfen nur einen Nachmittag pro Woche bei ihren Familien verbringen.

Durch das rapide Bevölkerungswachstum der Stadt - München wächst vom Jahr 1854 von 100.000 Einwohnern auf fast 500.000 im Jahr 1900 - kommt es in der Kreis-Irrenanstaltzu einer über fünfzigprozentigen Überbelegung und wird unter diesen Umständen den Bedürfnissen nicht mehr gerecht.

1860 München-Maxvorstadt * Der ständige Ausbau des Schienennetzes zieht für den "Centralbahnhof" Erweiterungen und Umbaumaßnahmen nach sich. Durch die Aktivitäten der privaten "Ostbahn-Aktiengesellschaft" droht der "Centralbahnhof" zusätzlich aus allen Nähten zu platzen.

Deshalb erbaut man nördlich des Bahnhofgebäudes eine eigene Einsteighalle für die "Ostbahn". Sie überspannt vier Gleise, hat eine Länge von rund 145 und eine Breite von 24 Metern.

Um das einheitliche Bild des "Centralbahnhofs" zu erhalten, blendet Friedrich Bürklein der "Ostbahnhalle" einen dreigeschossigen Pavillon als Kopfbau vor. Zur Symmetrie erhält der Bahnhof am südlichen Ende einen von der Post genutzten Erweiterungsbau.

1860 München * Die 18 "Braun- und Weißbierbrauereien Münchens" erzeugen 802.389 Hektoliter Bier.

Davon werden 6.775 Hektoliter exportiert.

Bei einer Einwohnerzahl von rund 140.000 ergibt sich für dieses Jahr ein Pro-Kopf-Verbrauch von 535 Liter. Dieses durchschnittliche Quantum, das "jeder Münchner" zu sich nimmt [vom Säugling bis zum bettlägerigen Kranken], reduziert sich im Laufe der folgenden Jahre.

1860 München * Die Münchner "Ziegeleibesitzer" schließen sich im "Verein Münchner Ziegeleien" zusammen und verpflichten sich in ihren Statuten, jährlich nur eine festgelegte Anzahl von Steinen zu brennen.

Gleichzeitig vereinbaren sie einen Mindestpreis.

Um 1860 München-Englischer Garten - Hirschau * Immer mehr Münchner nutzen das in der "Hirschau" gelegene Wirtshaus "Zum Hasenstall" als Ausflugslokal.

In Stadtführern taucht deshalb auch der Name "Hirschauer Ausflugslokal" auf. Die Bezeichnung "Zum Hasenstall" gerät immer mehr in Vergessenheit.

1860 München * Das Sommersud-Verbotwird aufgehoben und damit das ganzjährige Brauen erlaubt. Es dauert aber noch weitere zwanzigJahre, bis die Münchner Brauer die Möglichkeit auch nutzen.

Seite 338/814 September 1860 München-Haidhausen - München-Au * Die Insassen des "St.-Nicolai-Spitals der Unheilbaren" ziehen in die Räume des aufgelassenen "Irrenhauses Giesing" an den heutigen Kolumbusplatz um.

Waren die Raumverhältnisse und die Unterbringung der "Pfründner" am Gasteig schon misslich, so gestalten sich die Verhältnisse im "neuen Nicolaispital" noch ungünstiger und werden sogar als "menschenunwürdig" bezeichnet, was für diese "elendgewohnte Zeit" eine starke Aussage bedeutet.

Trotzdem ist das Spital siebzehn Jahre in Betrieb.

15. Dezember 1860 München * Erstmals erklingt die "Bayernhymne", intoniert von den Mitgliedern der Münchner Bürger-Sänger-Zunft.Die Melodie in G-Dur geht angenehm ins Ohr und hat deshalb großen Anteil an der Popularität der"Bayernhymne".

Komponiert hat die Melodie Konrad Max Kunz, der Chordirigent der Königlichen Hofoper. Den Text der "Bayernhymne" verfasste der wegen kritischer Artikel im Visier der Obrigkeit stehende LehrerMichael Öchsner.

1861 München-Au * Josef Sedlmayer erwirbt den "Franziskaner-Keller" an der Hochstraße und lässt ein auf neuester Technik basierendes Brauereigebäude errichten.

Er verlegt auch seinen "Leistbräu" hieher. Das Unternehmen heißt jetzt "Josef Sedlmayer - Brauerei zum Franziskaner (Leistbräu)".

1861 München-Haidhausen - München-Au * Die "Unheilbaren" vom Spital am Gasteig werden in den Räumen der ehemaligen "Irrenanstalt" in Untergiesing untergebracht.

1861 München * König Max II. verordnet mit Gesetzeskraft: "Die Verwendung anderer Stoffe oder Surrogate für Gerstenmalz und Hopfen zur Bereitung von Braunbier bleibt verboten".

1861 München-Graggenau * Kopien der verschenkten "Moriskentänzer" werden im "Festsaal des Alten Rathauses" zur Aufstellung gebracht.

1861 München-Maxvorstadt * Da die Gemälde Adolf Friedrich von Schacks an ihrem Aufstellungsort aufgrund der

Seite 339/814 Feuchtigkeit "dem sicheren Verderben" ausgesetzt sind, lässt der Kunstmäzen von Eduard Gerhardt ein neues "Galeriegebäude" im Garten seines Anwesens an der Brienner Straße 19 erbauen.

1. Januar 1861 Oberdorf * Ida Baer, die spätere Ehefrau des Bierbrauers und Besitzers der Union-Brauerei,Joseph Schülein, wird in Oberdorf geboren.

Ab April 1861 Wien * Am Wiener "Hofoperntheater" soll Richard Wagners "Tristan und Isolde" aufgeführt werden. Nach 77 Proben wird das Stück Ende 1863 wegen "Unspielbarkeit" abgesagt.

16. Juni 1861 München * Der bürgerliche LohnkutscherMichael Zechmeister will "einem längst gefühlten Bedürfnisse unserer Residenzstadt" abhelfen und richtet einen privaten "fahrplanmäßigen Stellwagenverkehr" ein. Seine drei Groschenwagenfahren fünfmal täglich die Strecke Centralbahnhof - Marienplatz - Tal - Lilienstraße - Mariahilfplatz.

Doch auch wenn Michael Zechmeister mit seinem Stadtomnibuserstmals die innerstädtische Beförderung einer größeren Menschenmenge ermöglicht, so ist die Nachfrage nach dieser Dienstleistung noch sehr gering. Das liegt auch an der Durchschnittsgeschwindigkeit der Pferde-Omnibus-Linie, die nur wenig über der eines Fußgängers liegt und deshalb mehr der Bequemlichkeit und weniger dem schnelleren Vorwärtskommen dient.

Hinzu kommen die hohen Fahrpreise, die sich nur gut situierte Fahrgäste leisten können.Sie liegen bei sechs Kreuzern und sind damit doppelt so teuer wie ein Brot. Damit scheidet die Unterschichtals Kundschaft aus. Die zahlungskräftige Oberschichtlässt sich aber von Fiakernoder in eigenen Equipagenkutschieren.

Um September 1861 München - New York * Der aus New York stammende "Zivil-Ingenieur" S. A. Beer sucht in München um eine "Konzession für eine Pferdebahn" nach.

Doch der Münchner "Magistrat" lässt den Amerikaner abblitzen, weil die Sache für ihn zu wenig erprobt und er München schlichtweg für zu klein hält.

Tatsächlich besteht München damals lediglich aus der Innenstadt, der zum ehemaligen "Burgfrieden" gehörenden "Anna-Vorstadt", der "Maxvorstadt", der "Ludwigsvorstadt", der "Isarvorstadt" und den seit dem 1. Oktober 1854 eingemeindeten Vorstädten "Haidhausen", "Au" und "Giesing".

Durch die Eingemeindung hat sich das Stadtgebiet Münchens zwar verdoppelt. Doch dieses Stadtgebiet entspricht mit seinen rund 3.200 Hektar gerade einmal zehn Prozent der heutigen Stadtfläche, die damals von 130.222 Menschen bewohnt wird.

Außerdem, so lautet ein weiteres Argument des "Stadt-Magistrats", hat ja der "bürgerliche Lohnkutscher" Michael Zechmeister gerade einen privaten "Stellwagenverkehr" eingerichtet, der seine drei "Groschenwagen" fünfmal täglich die Strecke "Centralbahnhof - Marienplatz - Tal - Lilienstraße - Mariahilfplatz" anfahren lässt.

Seite 340/814 31. Dezember 1861 München-Haidhausen * Der Physikatsberichtgibt Auskunft über die Aufteilung der Häuser in Herbergseigentum in Haidhausen:

Demnach sind von den 491 Haidhauser Häuser 166 für Herbergenbestimmt. Das sind 33,8 Prozent. 626Gemächeroder 3,8 Wohnungen je Haus waren darin untergebracht.

31. Dezember 1861 München-Au * Der Physikatsberichtgibt Auskunft über die Aufteilung der Häuser in Herbergseigentum in der Au:

Demnach sind von den 744 Auer Häuser 269 für Herbergenbestimmt. Das sind 36,2 Prozent. 1.167 Gemächeroder 4,3 Wohnungen je Haus sind darin untergebracht.

31. Dezember 1861 München-Giesing * Der Physikatsberichtgibt Auskunft über die Aufteilung der Häuser in Herbergseigentum in Giesing:

Demnach sind von den 467 Giesinger Häuser 89 für Herbergenbestimmt. Das sind 19,1 Prozent. 294 Gemächeroder 3,3 Wohnungen je Haus waren darin untergebracht.

31. Dezember 1861 München-Isarvorstadt - München-Ludwigsvorstadt * Der Physikatsberichtgibt Auskunft über die Aufteilung der Häuser in Herbergseigentum in derIsarvorstadt:

Demnach sind von den 806 Häuser der Isarvorstadt und Ludwigsvorstadt lediglich 5 für Herbergenbestimmt. Das sind 0,6 Prozent. 20 Gemächeroder 4,0 Wohnungen je Haus waren darin untergebracht.

Ab 1862 München-Graggenau * Der Bildhauer Konrad Knoll beginnt mit der Erneuerung des "Fischbrunnens".

Die Arbeiten dauern bis 1865 an.

1862 München-Haidhausen - München-Au * Die Wirtsleute Johann und Susanne Wagner verkaufen die Tafernwirtschaft "Zum Salzburger Hof" und übernehmen dafür die Braustätte mitsamt der Bäcker- und

Seite 341/814 Metzgergerechtsame in der Lilienstraße in der Au.

Aus ihr wird später die "Wagner-Brauerei".

1862 München * Carl Kern beschreibt in seinem Buch "Oberbayerisches Sittenbild: Die Haberfeldtreiber" das Sexualleben auf dem Land als "durchaus nicht nach den Ansprüchen einer sittlichen Warte geartet".

Anders gesagt: "Wer eine hohe Idee von Sitteneinfalt und Sittenreinheit nach dem Oberlande mitbrächte, würde sich getäuscht finden. Die Geschlechter genießen einer zügellosen Freiheit im gegenseitigen Umgang, und das Kammerfenstern hat sich zur bedauerlichen Berechtigung verholfen.

Dass ein Brautpaar eine Familie von vier und fünf Kindern mit an den Traualtar bringt, ist weder eine Seltenheit, noch eine Schande. Sind die Leute aber verheiratet, dann tritt Ordnung und Mäßigung an ihren Sinn auf das Erwerben".

Und weiter: "Weit häufiger als in den Städten sieht man auf dem Lande die ungleichartigsten Paare zusammengekoppelt, den 60-jährigen Greis mit dem 20-jährigen Weibe, oder die 50-jährige Frau mit dem 25-jährigen Manne, ohne dass diese Ehen zu solchen schauderhaften Experimenten werden, wie in den Städten".

Ab 1862 Nordamerika - Kanada * Der "Westernheld" William Frederick Cody, besser bekannt unter seinem Pseudonym "Buffalo Bill", ist ein ehemaliger Offizier der amerikanischen Nordstaaten, der als "Militärkundschafter und Fährtensucher" im Rang eines "Colonels" steht.

Seinen Namen macht er sich in den "Indianerkriegen" der Jahre 1862 bis 1872, wo er als gefürchteter Kämpfer seine Opfern - nach Indianer-Vorbild - sogar eigenhändig skalpiert. Zusätzlich ist der "exzentrische Abenteurer" und "Glücksritter" auch als "Expreß-Pony-Reiter" unterwegs und verdient sein Geld mit der "Büffeljagd" in Nordamerika und Kanada.

Für ein Gehalt von monatlich 500 Dollar dezimiert der hoch verschuldete "Buffalo Bill" im Auftrag der amerikanischen Eisenbahngesellschaften in kürzester Zeit ganze Büffelherden. Aus übelster Profitgier ist der "Offizier" zum brutalen Massenschlächter geworden, der innerhalb von eineinhalb Jahren 4.280 Büffel zur Strecke bringt.

1863 München * Die Ernennung zum "Adeligen lebenslänglichen Reichsrat der ersten Kammer des Landtags" durch König Max II. ist der Höhepunkt der politischen Karriere von Joseph Anton von Maffei.

Damit gehört er dem höchsten bayerischen Gremium an und sitzt an der Spitze der Entscheidungsträger. Dieses politische Engagement verschafft dem Geschäftsmann und dem gesamten "Geldadel" seiner Zeit einen massiven Informationsvorsprung.

Mit diesem Insider-Wissen ist es vergleichsweise einfach, sein Geld in gewinnbringende Projekte und Immobiliengeschäfte zu investieren. Von der "Karmelitenbrauerei" in Regensburg über das "Gut Weichs" bei Ohlstadt zu einer "Villa in Feldafing" und

Seite 342/814 einem weiteren Großanwesen in der Nähe von Iffeldorf, das "Gut Staltach".

Bis zum Jahr 1863 München-Haidhausen * Nachdem die "Unheilbaren vom Spital am Gasteig" nach Untergiesing gebracht worden waren, werden die Gebäude des ehemaligen "Leprosenhauses" abgerissen.

Nur die Anstaltskirche "sancti Nycolai ad Lepros" und die "Altöttinger Kapelle" bleiben bestehen.

Bis 1863 München - München-Au * Die erste Betriebszeit des von Michael Zechmeister eingerichteten, schienenunabhängigen Verkehrsmittels dauert lediglich von 1861 bis 1863.

Während dieser Zeit werden drei Linien eingerichtet. Dabei erreicht die "klassische Strecke" den Mariahilfplatz und damit das Herz der Au. Giesing und Haidhausen - aber auch die anderen "Vorstädte" - werden nicht angefahren.

1863 München-Isarvorstadt * Aus dem "Münchner Turnverein" wird der "Turnverein München".

Die Vereinsmitglieder können der Eröffnung ihrer ersten "Turnhalle" beiwohnen. Sie befindet sich an der Jahnstraße in der "Isarvorstadt".

1863 München - München-Maxvorstadt * Die Familie des Steyrer Hans nach München, wo sie die Gastwirtschaft "Wilhelm Tell" führt.

Standesgemäß erlernt der Hans das "Metzgerhandwerk" in einem Laden am Maximiliansplatz. Zwischendurch holt er sich Ochsenviertel vom Haken und stemmt sie zur Ertüchtigung.

Januar 1863 München-Englischer Garten - Schwabing* Der "Großhandelsaufmann" Benedikt Benedikt vergrößert durch Zukäufe sein für einen "Zoologischen Garten" vorgesehenes Grundstück am Westrand des "Englischen Gartens".

Es hat jetzt die Größe von sechs Fußballfeldern und ist damit etwa ein Zehntel des heutigen "Tierparks Hellabrunn".

Die landschaftliche Anlage des "Zoologischen Gartens" übernimmt der königliche "Hofgärtner" August Klein. Die Bauten erstellt der Münchner Architekt Carl Schönhammer.

Als nächstes werden Tiere angeschafft, die das Münchner Klima vertragen müssten.

Um den 10. Oktober 1863 München-Kreuzviertel * Der Bayerische Landtaggenehmigt die für die Stadtviertel des Münchner Ostens so

Seite 343/814 wichtig werdende Eisenbahnstrecke über Mühldorf zur österreichischen Landesgrenze.Zeitgleich bewilligt er 15,4 Millionen Gulden für den Bau der Linie. Die genaue Streckenführung ist zu diesem Zeitpunkt allerdings an mindestens zwei Stellen noch offen.

Einmal, weil auf österreichischer Seite die rund fünfzig Kilometer lange Teilstrecke von der Grenze in Richtung Linz nicht von der Eisenbahnverwaltung, sondern von einem privaten Konsortium aus Großgrundbesitzern, Unternehmern und Bankiers finanziert wird und sich als Alternativen der Grenzübergang bei Braunau oder das vierzig Kilometer innabwärts gelegene Schärding anbieten. Von einem dieser Grenzübergänge soll die Eisenbahn das oberösterreichische Neumarkt und darüber hinaus Linz erreichen. Die zweite ungeklärte Streckenführung war gleich am Beginn der Bahnlinie.

Die Generaldirektion der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnen- als zuständige Planungsbehörde - will jedenfalls die Strecke unmittelbar nach der Großhesseloher Brücke- der seit dem Jahr 1858 bestehenden Hauptverkehrsstrecke München - Holzkirchen - Rosenheim - Salzburg- abzweigen lassen.In einem weiten Bogen soll die Bahntrasse dann durch den Perlacher Forst, weiter über das Obergiesinger Feld, südlich an Haidhausen vorbeiführend das Stadtgebiet in östlicher Richtung verlassen.So jedenfalls sieht die grobe Planung lange Zeit aus.

Nun ist aber in Obergiesing, östlich der Tegernseer Landstraße, ein großes Neubaugebietgeplant.Und um zu verhindern, dass die Bahnverwaltung baureife oder möglicherweise schon bebaute Grundstücke teuer erwerben muss, verweigert das Ministerium des Inneren, das bei allen Bauvorhaben in der Haupt- und Residenzstadt ein Planungs- und Einspruchsrecht besitzt, ihre Zustimmung zum Wohnungsbau so lange, bis eine detaillierte Bahnplanung vorliegt.Erst danach will das Innenministeriumden künftigen Baulinien zustimmen.

10. November 1863 München * Mit einem Hirtenbriefforderte ErzbischofGregorius von Scherr die immer radikaler agierenden Habererauf, "von einem Thun und Treiben abzulassen, das gegen die Grundsätze der Religion, der bürgerlichen Ordnung und aller Sittlichkeit verstößt".

1864 Rom-Vatikan * Papst Pius IX. erlässt - wieder ohne Konzil - die "Enzyklika Quanta Cura", den sogenannten "Syllabus", der eine Aufstellung von 80 "zeitgemäßen Irrlehren" enthält.

Dazu gehören nicht nur der "Pantheismus", Naturalismus" und "Rationalismus", sondern vor allem der "Sozialismus", Kommunismus" sowie "irrige Anschauungen" über die "Natur der Ehe" und das "Verhältnis von Staat und Kirche". Verurteilt wird auch der"ungezügelte Fortschrittsglaube"und der"Liberalismus", der die "Trennung von Staat und Religion" vorsieht.

Die "Kurie" sieht ihren Feind in der "modernen Welt". Deshalb ist sie gegen die Glaubensfreiheit, Gewissens-, Kult-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit sowie die Demokratie. Im Gegensatz dazu verlangt der Papst im "Syllabus" die Oberhoheit der Kirche über die staatliche Gewalt.

Seite 344/814 Auf Kritik an der "römisch-katholischen Kirche" und auf "Individualismus" antwortet sie mit dem Anspruch, dass nur sie selbst auf Erden die Sache Gottes "ausschließlich, alleinig und entscheidend" vertreten könne. Wer zu dieser Kirche nicht gehören will, der muss sie eben verlassen.

Besonders in Deutschland entbrennt daraufhin eine Auseinandersetzung, in deren Folge es zum sogenannten"Kulturkampf" kommt.

1864 München-Englischer Garten - Hirschau * Die 500. Lokomotive mit dem Namen "Hirschau" (?) verlässt die "Maffei'sche Lokomotiven-Fabrik".

10. März 1864 München - München-Kreuzviertel * König Max II. stirbt nach kurzer Krankheit.

Seine Grabstätte befindet sich in der "Fürstengruft" der "Theatinerkirche" in München.

Ihm folgt der 18jährige Ludwig II. auf dem Thron. Er wird noch am gleichen Tag zum König proklamiert.

8. April 1864 Stuttgart * Der geniale Musiker Richard Wagner schreibt an seinen Freund Peter Cornelius:

"Ein Licht muss sich zeigen: Ein Mensch muss mir erstehen, der jetzt energisch hilft. Ein gutes, wahrhaft hilfreiches Wunder muss mir jetzt begegnen; sonst ist's aus!"

14. April 1864 München * Eine der ersten Taten des jungen Bayernskönigs Ludwig II. ist die Berufung Richard Wagners nach München.

KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister muss sich - nur einen Monat nach Ludwigs Thronbesteigung - mit dem schwierigen Auftrag aus München abreisen, den verehrten Musiker ausfindig zu machen und ihn zum König zu bringen. Der hoch verschuldete Komponist ist - wieder einmal pleite - mit unbekanntem Ziel abgereist, denn in Wien und der Schweiz verfolgen ihn die Gläubiger so sehr, dass er sich kaum mehr auf die Straße traut.

Nach über zwei Wochen gelingt es Pfistermeister, den europaweit gesuchten Schöpfer wichtiger Musikwerke in Stuttgart aufzuspüren.

Mai 1864 Stuttgart * Richard Wagner ist ohne Hoffnung und spricht in einem Brief an Mathilde Maier sogar von Selbstmord: "Ich fürchte, nun ist's mit Allem aus. [...] So tief zerstreut und lebensmüde war ich noch nie".

3. Mai 1864

Seite 345/814 Stuttgart * "Kabinettssekretär" Franz Seraph von Pfistermeister trifft in Stuttgart auf Richard Wagner. Er überreicht ihm Brief, Bild und Ring des bayerischen Königs Ludwig II..

Gemeinsam reisen sie noch am gleichen Tag nach München.

4. Mai 1864 München * Am Nachmittag treffen der Komponist Richard Wagner und der fast dreißig Jahre jüngere Bayernkönig Ludwig II. das erste Mal zusammen.Mit der Anstellung am bayerischen Hof endet für Wagner die Zeit der Schulden und seine schier ausweglose finanzielle Notlage.

König Ludwig II. verspricht Richard Wagner in einem Brief:"Seien Sie überzeugt, ich will alles tun, was irgend in meinen Kräften steht, um Sie für vergangenes Leid zu entschädigen, die niedrigen Sorgen des Alltagslebens will ich von Ihrem Haupte auf immer verscheuchen, die ersehnte Ruhe will ich Ihnen bereiten, damit Sie im reinen Äther Ihrer wonnevollen Kunst die mächtigen Schwingen Ihres Genius ungestört entfalten können!"

Die Großzügigkeit des Wittelsbachers gegenüber den von ihm vergötterten Komponisten kennt keine Grenzen:

Der Musiker erhält ein Jahresgehalt von 4.000 Gulden, was dem Gehalt eines "Ministerialrats" nach achtzehn Dienstjahren entspricht. Als "öffentlichen Beweis der königlichen Freundschaft" erhält Richard Wagner vom bayerischen Regenten die Gartenvilla an der Brienner Straße 18 (heute Haus Nr. 37) mietfrei gestellt. Und er bekommt darüber hinaus 16.000 Gulden, womit er seine in Wien hinterlassenen Schulden begleichen kann. Und weil das immer noch nicht reicht, verlangt der Neu-Münchner einen Vorschuss von 30.000 Gulden für die Fertigstellung des "Rings der Nibelungen", obwohl er die "Partituren" bereits anderweitig verkauft hat. Er bekommt den Vorschuss, wenn auch nur in Raten. Daneben eröffnet der König dem Musiker die Aussicht, für sein"unvergleichliches Werk"- wie es der König nennt - eine eigene Spielstätte errichten zu können.

26. Mai 1864 München * Prinz Otto wird von seinem Bruder - König Ludwig II. - zum Oberleutnantbefördert.

6. Juni 1864 München-Hackenviertel * Im Kreuzbräuan der Brunnstraße findet eine Besprechung zur Gründung eines Konsumvereins, also eines Vereins zur möglichst billigen Beschaffung von Lebensmitteln, statt. Man diskutiert dort die Erfahrungen aus anderen Städten und schlägt die Schaffung eines Gründungskomiteesvor.

22. Juli 1864 München * Nur elf Tage nach der Geschäftseröffnung desKonsumvereins von 1864ist die Zahl der Mitglieder auf 400 gestiegen.

"Sie [die Konsumvereine] sind daher geradeso für die Reichen wie für die Unbemittelten. Jene ziehen aus ihnen, weil sie am meisten verbrauchen, verhältnismäßig den größten Gewinn, während wieder die Unbemittelten

Seite 346/814 dadurch, daß sie einem Verein mit großen Warenumsatz angehören, die Waren für den möglichst billigen Preis bekommen, also auch bei kleinen und kleinstem Bedarf die höchst möglichen Ersparnisse bei bester Qualität der Waren machen".

27. September 1864 München-Maxvorstadt * Richard Wagner mietet für sich das Haus in der Brienner Straße 21, nahe der Propyläen. Bereits bei der ersten Audienz hat der Komponist dem MärchenkönigLudwig II. erklärt, dass er sich in München nur dann "heimisch und zur Arbeit angeregt" fühlen kann, wenn er "ein Häuschen in einem Garten allein bewohne".

2. Oktober 1864 München-Theresienwiese * KönigLudwig II. besucht in Begleitung seines Bruders Prinz Otto das Münchner Oktoberfest.

Ab 3. Oktober 1864 München-Maxvorstadt - München-Kreuzviertel * Während sein Haus in der Brienner Straße 21 entsprechend seinen Wünschen und Vorstellungen eingerichtet wird, wohnt Richard Wagner im Hotel Bayerischer Hof.

5. Oktober 1864 München-Graggenau * Unter den Fenstern der königlichen Wohnung in der Münchner Residenz wird der von Richard Wagner komponierte "Huldigungsmarsch" zur Aufführung gebracht. Die Uraufführung dieses Werkes war ursprünglich am 25. August 1864, dem 19. Geburtstag des Märchenkönigsin Schloss Hohenschwangaugeplant, musste dann aber aus verschiedenen Gründen vertagt werden.

12. Oktober 1864 München-Maxvorstadt * Der Komponist Richard Wagner schlägt sein Domizil in der von König Ludwig II. gemieteten Villa in der Brienner Straße 21 (heute 37) auf. Der bislang total verschuldete Komponist richtet sich in dem prachtvollen Haus wie ein "orientalischer Grandsigneur" ein. Er bleibt dort bis zum 10. Dezember 1865.

13. Dezember 1864 München - Dresden * Durch einen Brief Richard Wagners erfährt der ArchitektGottfried Semper von der Aussicht, "ein großes Theater im edelsten Stile" für Wagners Musikdramen in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt ausführen zu können.

Drei Tage später zeichnet dieser eine erste Skizze und reist danach umgehend nach München, um die genaueren Bedingungen zu erfahren. Doch dort sind die Vorstellungen noch nicht sehr weit gediehen, nicht einmal ein Bauplatz ist im Gespräch.

1865 München-Haidhausen * Der "Brauer" Bathasar Füger erwirbt die "Brauerei zur Schwaige" in Haidhausen.

Sie wird seither auch "Fügerbräu" genannt.

Seite 347/814 1865 München-Maxvorstadt * Nachdem das neue "Galeriegebäude" im Garten von Adolf Friedrich von Schack an der Brienner Straße 19 schon wieder zu klein geworden war, lässt er sich von Heinrich von Hügel einen zweiten "Galeriebau" erstellen.

2. Mai 1865 München-Maxvorstadt * Auf Wunsch König Ludwigs II. wird Richard Wagners Wohnhaus an der Brienner Straße 21 von der "Kabinettskasse" angekauft und dem Komponisten kostenlos zur Verfügung gestellt.

2. Mai 1865 München* Es kommt zur "Schweinehunde-Affäre", nachdem Hans von Bülow bei einer der letzten Proben zu "Tristan und Isolde" äußert:"Nun ja, was liegt denn daran, ob dreißig Schweinehunde mehr oder weniger hereingehen!".

Bülow willeigentlich nur durch die Entfernung von Sperrsitzen eine Vergrößerung des Orchesterraumes erzielen. Doch er vergreiftsich derart im Ton, dass ihn sogar König Ludwig II. in einem persönlichem Brief rügt. Auch die bayerische Presse ist empört und kocht die Emotionen hoch.

15. Mai 1865 München * Die ursprünglich für den 15. Mai 1865 angesetzte Premiere von Tristan und Isoldemuss wegen "plötzlich eingetretener Heiserkeit" von Frau Malvina Schnorr von Carolsfeld abgesagt werden.

Wieder schlägt die Stimmung um, was in Josephine Kaulbachs Brief deutlich zum Ausdruck kommt:"Was soll ich Ihnen noch erzählen? von unseren Freunden? oder von der Zukunftsmusik, oder von den Schweinehunden des Herrn von Bülow?

Die letztere Geschichte hat eine größere Bedeutung gewonnen, wie man sich's erwartete; seit der Lola-Geschichte waren die Münchner nicht mehr so in Wuth. (...) Ich sage Ihnen, es ist toll, wie das hier getrieben wird, für und gegen Wagner. -Die Fama wächst zu einem hundertköpfigen Ungeheuer, der Wagner-Cultus wird zu einem Ekel; der junge König an der Spitze tauft alles, was ihn umgibt, in Tristan und Isolde um".

21. Juli 1865 Dresden * Ludwig Schnorr von Carolsfeld stirbt plötzlich und unerwartet in Dresden. Lange hält sich das - auch von Malvine Schnorr von Carolsfeld verbreitete - Gerücht, dass der Sänger "infolge der Anstrengung des Tristan, namentlich der 4ten Aufführung, sein Leben lassen musste".

15. September 1865 München-Isarvorstadt - München-Au * Am Ende bringt die politisch stärkere Konkurrenz die Schweiger-Theaterzur Strecke. Als das Aktien-Volkstheater am Gärtnerplatzeröffnet wird, müssen die Schweiger-Theaterschließen.

1. Oktober 1865

Seite 348/814 München-Theresienwiese * König Ludwig II. besucht das Münchner Oktoberfestin Begleitung seines Bruders Prinz Otto.

Um den 20. Oktober 1865 München * Der Bayernkönig Ludwig II. bewilligt dem Komponisten Richard Wagner die geforderten 40.000 Gulden und darüber hinaus ein Jahresgehalt von 8.000 Gulden. Diese Summe entspricht exakt der fünfprozentigen Verzinsung, ist aber kündbar.

Da für die 40.000 Gulden angeblich keine Scheine verfügbar sind, wird das Geld in Silbermünzen ausbezahlt.Cosima von Bülow lässt daraufhin das Münzgeld mit zwei Kutschen in die Brienner Straße 21 bringen.

Um den 10. November 1865 München-Untergiesing * Nur wenige Monate vor dem Ende des dreijährigen österreichischen Verhandlungsmarathons, legt sich die Generaldirektion der Kgl. Bayerischen Staatseisenbahnenauf einen anderen Streckenverlauf fest.

Nach diesem sollte, um den Umweg über die Großhesseloher Brückezu umgehen, bereits in Friedenheim eine Trasse von der Hauptstrecke München - Augsburgabzweigen und über Untersendling und einer neu zu erbauenden Isarbrücke nach Untergiesing und von dort weiter nach Haidhausen führen.

Diese Streckenführung ist gar nicht so revolutionär, da schon bei der Projektierung der Strecke München - Salzburgin der 1850er-Jahren dieser Verlauf zum Teil angedacht worden war. Allerdings würde die neue Bahntrasse doppelt so teuer wie die ursprüngliche sein.

Die Planer können aber darstellen, dass die Bahnstrecke zehn Kilometer kürzer ist und außerdem weniger Steigungen überwinden muss.Dadurch entsteht nicht nur eine enorme Zeitersparnis, sondern gleichzeitig ein beträchtlich verringerter Energieverbrauch. Den Mehraufwand für die neue Brücke von 800.000 Gulden kann man in Kauf nehmen, da sich die erhöhten Baukosten bereits innerhalb weniger Jahre wieder amortisieren.

26. November 1865 München * In einem Brief schlägt Richard Wagner dem König vor, den KabinettssekretärsFranz Seraph von Pfistermeister durch Max von Neumayr und den bayerischen MinisterpräsidentenLudwig von der Pfordten durch Ludwig von Edelsheim zu ersetzen. Der König wird die Entlassungen erst im Oktober 1866 umsetzen. Nun kommt es zum Eklat.

Denn durch sein massives Einmischen in die bayerischen Staatsangelegenheiten hat Richard Wagner den Bogen endgültig überspannt. Der Komponist, der wie kaum ein anderer Zugang zum König hat, wird von der Regierung sowieso mit großem Misstrauen beobachtet. Nun stellt der Ministerratdem König ein Ultimatum.Ludwig II. habe zu wählen "zwischen der Liebe und Verehrung Ihres treuen Volkes und der Freundschaft Richard Wagners".

Eine breite öffentliche Opposition gegen den Komponisten hat sich gebildet. Sie wirft Richard Wagner vor, er halte den König von den Regierungsgeschäften ab und beanspruche die Kabinettskasseübermäßig. Bald darauf übergeben Münchner Bürger 810 Unterschriften mit der Forderung der Landesverweisungdes Komponisten Richard Wagner an den KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister.

Seite 349/814 8. Dezember 1865 München * Nachdem 810 Münchner Bürger schriftlich die Landesverweisung des Komponistenforderten, muss König Ludwig II. Richard Wagner einen Abschiedsbrief schreiben.Die Abreise Wagners aus München sollte nur ein Abschied auf Zeitsein.Wenn sich die Gemüter wieder etwas beruhigt hätten, könnte er ja wieder nach München zurückkehren.

Aus diesem Grund erhält der Komponist auch weiterhin sein Jahresgehalt von 8.000 Gulden, was dem Doppelten einer Ministerpensionentspricht.

10. Dezember 1865 München-Maxvorstadt - Triebschen* Richard Wagner verlässt fluchtartig seine Villa in der Brienner Straße 21 (heute 37) und flieht nach Triebschen in der Schweiz.Die Münchner Gemeindebevollmächtigtensprechen sich in ihrer Sitzung für die Übersendung einer "Danksagung der Stadt München für die Entfernung Richard Wagners aus Bayern" an den König aus.Diese Aktion wird allerdings nach einem Einspruch des Magistratsunterbleiben.

Zwischen Mai 1864 und Dezember 1865 hat Richard Wagner von der Kabinettskasse99.400 Gulden erhalten.In dieser Summe sind weder die Zuschüsse an Wagner nahestehende Personen, noch die Zuwendungen für die "Tristan und Isolde"-Aufführung in Höhe von 57.500 Gulden.Das entspricht etwa einem Drittel der jährlich rund 300.000 Gulden aus der Kabinettskasse, über die der König ein freies Verfügungsrecht besitzt.

10. Dezember 1865 München * König Ludwig II. will erstmals zugunsten seines Bruders abdanken und sich zu Richard Wagner in die Schweiz begeben.

1866 Bogenhausen * Die Georgskirchein Bogenhausen wird dem Zeitgeschmack entsprechend renoviert. Dabei versieht man die Ignaz-Günther-Kanzelmit einem braun-mamorierten Anstrich.

1866 München-Hackenviertel *Joseph Wild kann die Leistung seiner Singlspielerbrauereiauf 9.000 Scheffel Malz erhöhen. Er erreicht dabei aber auch die Grenzen seiner finanziellen Leistungskraft.

1866 München * Aus der Firma Hirschberg & Cogeht die Actien-Ziegelei Münchenhervor. 1.080 Aktien zum Preis von 250 Florin werden ausgegeben. Sie bringen ein Kapital von 270.000 Gulden.

16. Februar 1866 München * In einem Hirtenbriefdroht ErzbischofGregorius von Scherr den immer radikaler agierenden Haberernden Kirchenbannan. Die Herausgabe der Hirtenbriefewird von den Regierungsstellen einhellig begrüßt.

Um den März 1866

Seite 350/814 Wien - Braunau * Das österreichische Eisenbahn-Konsortiumeinigt sich auf den Übergangspunkt bei Braunau am Inn.

9. Mai 1866 München * Der bayerische Ministerratbeantragt beim König die Mobilmachung. Ludwig II. will daraufhin zugunsten seines Bruders Otto abdanken.

14. Juni 1866 Wien - München - Berlin * Nachdem Preußen Holnstein wiederbesetzt und damit den Bundesfriedenbricht, unterstützt das Königreich Bayern den Antrag Österreichs auf Bundesexekution gegen Preußen.

Um den 16. Juni 1866 Roseninsel ? König Ludwig II. verbringt diese für Bayern schwierigen Tage mit seinem Adjudanten Paul Fürst von Thurn und Taxis auf der Roseninsel im Starnberger See, wo er "zu seiner Zerstreuung Feuerwerke abbrennen ließ und bei künstlichem Mondschein Vergessen suchte".

September 1866 München * Die Vermessungsarbeiten, um den genauen Verlauf der Bahnstrecke nach Braunau am Inn festzulegen, beginnen. Die angedachte Trasse soll südlich von Untergiesing durch die Isarauen verlaufen, dann die Hangkante auf der Höhe des späteren Stadions an der Grünwalder Straßedurchschneiden und östlich von Obergiesing durch die Hochau nach Haidhausen führen. Damit wären die drei Stadtviertel des Münchner Ostens direkt an die Eisenbahnangebunden.

Als nächste Entscheidung steht die Standortwahl für den nach dem Zentralbahnhofzweiten großen Staatsbahnhofauf der Tagesordnung. Für das betroffene Stadtviertel hätte das weitreichende Folgen auf die wirtschaftlichen, sozialen und städtebaulichen Entwicklungen, denn es geht bei dieser Entscheidung immerhin um die Drehscheibe für den künftigen Güter- und Personenverkehr im Münchner Osten.

Um Oktober 1866 München-Haidhausen - München-Giesing - München-Au * Nachdem Einzelheiten über den Streckenverlauf und den Bahnhofsstandort der Eisenbahnstrecke nach Braunau am Inn durchgesickert sind, gründen sechs Haidhauser Unternehmer und Geschäftsleute ein Komitee. Nach den Planungen der Eisenbahn-Generaldirektionsoll der künftige Ostbahnhofan der heutigen Regerstraße, auf damals Giesinger Gebiet, entstehen. Dieser Standort gilt als ideal, da er

von den Zentren der drei Stadtviertel Au, Giesing und Haidhausen nahezu gleich weit entfernt ist und einer möglichen Erweiterung des Bahnhofs sowie der Ansiedelung von Industrie- und Gewerbebetrieben nichts im Wege steht.

Das Haidhauser Komiteespricht sich gegen den Bahnhofsstandort in Giesing und für einen solchen in Haidhausen - nahe dem heutigen Rosenheimer Platz - aus. Der Vorsitzende des Haidhauser Komiteesist der Besitzer der Franziskaner-Leistbrauerei, Joseph Sedlmayr. Nach Auffassung der Haidhauser Unternehmer spricht

Seite 351/814 für den Standort Haidhausen, dass

der Hauptpersonen- und Hauptgüterverkehr schon immer über diesen Ort lief und demzufolge alle verkehrstechnischen Infrastruktureinrichtungen vorhanden sind. Die "gefährliche Verkehrsanbindung" über den steilen und nicht regulierten Giesinger Bergund dem gleich abschüssigen Nockherbergsprechen gegen Giesing. Hinzu kommen die fehlenden Brückenverbindungen für die Pferdefuhrwerke.

Der Münchner Magistratund das Kollegium der Gemeindebevollmächtigtenschließen sich umgehend den Forderungen der Haidhauser an. Doch das für den Eisenbahnbau in Bayern zuständige Handelsministeriumsteht den Vorschlägen völlig konträr gegenüber, da nach seiner Auffassung der zweite Bahnhof höchstens ein kleiner Nebenbahnhof werden soll, an dem nur wenige Züge halten.

31. Dezember 1866 München-Graggenau * Prinz Otto fühlt sich bei einer Teegesellschaft seiner Mutter grundlos provoziert und fordert eine dritte Person zum Duell. König Ludwig II. schließt eine eventuelle Thronfolge seines Bruders aus.

Ab 1867 München-Untergiesing - München-Isarvorstadt *Die Arbeiten an der Braunauer Eisenbahnbrücke, die einen Bestandteil der neuen Eisenbahntrasse von München nach Simbach/Braunau am Inndarstellt, dauern bis 1870 an.

Nach vorhergehenden Probebohrungen wird mit den Fundamentierungsarbeiten der vier Brückenpfeiler begonnen. Für die beiden inneren Pfeiler sind dafür aufwändige Arbeiten auszuführen. Im Gegensatz dazu werden die beiden äußeren Pfeiler durch die sie umgebenden Hochwasserdämme stabilisiert.

Mit sogenannten Lokomobilen, das sind auf Schienen bewegbare Dampfmaschinen, können Bagger, Förderbänder sowie Pumpen betrieben und über einen DynamoStrom erzeugt werden. So eine Lokomobileleistet sechs PS. Um sie aufzubauen oder zu versetzen und zur Montage der Baggermaschine sind acht Arbeiter zehn Tage beschäftigt.

Die Bedienungsmannschaft der "Lokomobile" setzt sich aus dem "Baggerführer", dem "Führer der Lokomobile" und vier weiteren Arbeitern zusammen.

Die elektrischen "Lichtbogenlampen" kommen zum Einsatz, nachdem die Spundwände für die Pfeiler gesetzt und mit den Betonierungsarbeiten begonnen worden ist. Um diese Arbeiten zügig fertig zu stellen, arbeiten die Brückenbauer bis spät in die Nacht hinein. Der riesige, schwenkbare Scheinwerfer ist dazu auf einem zwölf Meter hohen Holzturm angebracht. Die ursprünglich ausschließlich für militärische Zwecke - von der "Telegraphenbau-Anstalt Siemens & Halske" entwickelte Beleuchtungsanlage kommt beim Bau der "Braunauer Eisenbahnbrücke" erstmals im zivilen Bereich zum Einsatz. Nachdem die Fundamente errichtet worden sind, baute die aus Nürnberg stammende Eisenbaufirma "Cramer-Klett", von der schon die "Großhesseloher Brücke" stammt, auch diese Brücke. Nun überspannen zwei unabhängig voneinander parallel verlaufende Fachwerkträgerkonstruktionen mit drei gleichen Öffnungen auf 150 Meter das Isarbett. Die sieben Meter hohen Eisenfeldträger können rationell in Serienproduktion hergestellt werden und werden anschließend an den Stößen vernietet.

Seite 352/814 Der hölzerne Werksteg wird nach Beendigung der Bauarbeiten abgebaut und circa siebenhundert Meter isarabwärts - in der Höhe der heutigen "Wittelsbacher Brücke" wieder montiert. Er diente bis zur Fertigstellung dieser für Giesing so wichtigen Verkehrsanbindung - im Jahr 1875 - als provisorischer Flussübergang. Er darf bis dahin jedoch nur von Fußgängern benutzt werden.

1867 München *Der inzwischen zum "Oberingenieur" ernannte Arnold Zenetti übernimmt als "Baurat" die Leitung des "Stadtbauamts".

Nun besteht für ihn die Möglichkeit, einmal gefasste Ideen und Bauvorhaben in die Tat umzusetzen.

Max von Pettenkofers leidenschaftliche Forderungen und Vorschläge, München endlich zur colera- und typhusfreien Stadt zu machen, fallen bei Arnold Zenetti auf fruchtbaren Boden und finden in ihm einen energischen Unterstützer. Es beginnt eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Männer, zu denen sich ab dem Jahr 1870 noch der "Erste Bürgermeister von München", Alois von Erhardt, hinzugesellt.

Die gewaltigen Aufgaben, denen sich die Drei stellten, sind

die Errichtung einer neuzeitlichen "Kanalisation", verbunden mit einer einwandfreien zentralen "Wasserversorgung" sowie der Errichtung eines "städtischen Vieh- und Schlachthofs".

Dadurch können die mehr als achthundert Schlachtstätten der Metzgereien, die in denkbar unhygienischer Art und Weise arbeiten, geschlossen werden.

1867 München-Graggenau * König Ludwig II. lässt die "Nibelungensäle" im "Königsbau" der Residenz fertigstellen.

Im "Saal der Klage" fehlen noch zwei Bilder, die jetzt - 40 Jahre nach Beginn der Malerarbeiten - von dem Maler und Graphiker Michael Echter ergänzt werden.

Auf dem Bild gegenüber dem Eingang gibt der Maler dem lorbeerbekränzten Dicchter des "Nibelungenliedes" die Gesichtszüge Ludwigs I.. Dem daneben stehenden jungen Sänger im roten Mantel gibt er das Aussehen König Ludwigs II..

1867 München-Isarvorstadt * Friedrich Brugger erschafft das "Leo-von-Klenze-Denkmal"am Gärtnerplatz.

1867 München * München hat nur mehr 17 Brauereien.

Seite 353/814 1867 München-Maxvorstadt * Als Abschlussarbeit verlangt Karl von Piloty von seinen Schülern einen "großen historischen Unglücksfall".

Als Thema für Eduard Grützner schlägt er vor: "Heinrich II. von England lässt sich 1174 am Sarkophage des Erzbischofs Thomas Becket geißeln". Da der Student der Thematik nur wenig Sympathie abgewinnen kann, malt er eine ganz andere Unglücksgeschichte.

Es wird ein humoristisches Kellerbild mit Mönchen, auf dem ein behäbiger, zum Weinholen geschickter Klosterbruder abgebildet ist. Er hat zu tief und zu lange ins Glas geschaut und ist deshalb angetrunken - an einem Weinfass stehend - eingeschlafen. Von einem anderen Pater denunziert, wird der Mönch nun vom Prior kritisch beobachtet.

Piloty sieht sich das Bild lange an und sagt schließlich: "Bravo, gratuliere!" Eduard Grützners nächstes Werk hat eine ähnliche Thematik: Ein von Zahnweh geplagtes Pfäfflein steigt in den Weinkeller, um dort Linderung für seine Pein zu suchen. Dieses Bild kauft der "Kunstverein" an und versteigert es für dreihundert Gulden. Der Käufer veräußert es umgehend für beinahe das Dreifache.

1867 München-Au - München-Untergiesing * Mit der Errichtung der "Frühlingsanlagen" ober- und unterhalb der "Reichenbachbrücke" wird begonnen. Das Gelände verbindet die rechtsseitigen Isarauen mit der Stadt, wobei es sich zunächst lediglich um einen Spazierweg mit "Begleitbepflanzung" in den ehemaligen Wiesen handelt.

Erst nach der Fertigstellung der "Wittelsbacher Brücke" - im Jahr 1876 - werden auch die Wege durch die "Birkenleitenau" - in Verlängerung der "Frühlingsanlagen" - bis nach Harlaching angelegt.

Die "Stadtgärtner" wollen damit die rechtsseitigen "Isaranlagen" - unter Einbeziehung der "Gasteig- und Maximiliansanlagen" - in eine zusammenhängende Promenade von Harlaching bis nach Bogenhausen verwandeln. Eine Idee, die bereits auf eine Initiative König Max II. zurückgeht, der ganz München mit einem Ring von "Anlagen" umgeben wollte.

1867 München - Berlin * Der preußische "Gesandte" Freiherr von Werther berichtet an "Reichskanzler"Otto vonBismarck über umlaufende Gerüchten einer Geisteskrankheit des bayerischen Prinzen Otto.

Es gibt Überlegungen, ihn von der Thronfolge auszuschließen. Angeblich leidet er "an einem kalten Fieber".

1867 Bogenhausen * Die "Actien-Ziegelei München" richtet an der Denninger Straße, beim heutigen Herkomerplatz, die "Fabrik Bogenhausen" ein.

11. Januar 1867 München * Gottfried Semper zeigt dem König das Modell des Festspielhauses. Der Monarch ist derart angetan,

Seite 354/814 dass er dem Architektenper Handschlag nicht nur den Auftrag zum Bau erteilt, sondern ihn auch einlädt, nach München zu übersiedeln und Oberbauratsowie Hoftheater-Intendantzu werden.

Da Semper den Platz auf dem rechten Isarhochufer favorisiert, steht freilich sofort die Anlage einer neuen Straße zur Debatte.Gottfried Semper schlägt dafür eine Nord- und eine Südvariante vor.

Erstere verlängert in leicht geknickter Form die Galeriestraße. Der südliche Straßenzug, dem auch der König den Vorzug gibt, ist die Verlängerung der Brienner- und Hofgartenstraße.

Obwohl das Bauterrain vom König nie erworben wird, fertigt Semper dafür bis Dezember 1867 die Planunterlagen an.

Um Februar 1867 München-Haidhausen * Eine weitere Interessengruppe meldet sich zur Standortfrage des "Ostbahnhofs" zu Wort.

Diese Gruppierung hat für den Bahnhof ebenfalls einen Standort in Haidhausen vorgesehen. Dieser liegt aber etwa einen Kilometer östlicher, bei einem "Kuisl" genannten alleinstehenden landwirtschaftlichen Anwesen, das dem Perlacher Gärtnereibetreiber Peter Ballauf gehört.

Das ist der Platz, auf dem sich heute der "Ostbahnhof" befindet. Der genannten Interessengemeinschaft gehören - neben Peter Ballauf - ausschließlich Personen an, die in der Nachbarschaft des "Kuisl-Anwesens" ausgedehnte Grundstücke besitzen.

Sprecher und Vorsitzender dieses "Konsortiums" ist der "Hofbankier" Carl von Eichthal, der kurz zuvor ein riesiges und unbebautes, "Auf der Ramersdorfer Lüften" bezeichnetes Gelände erworben hat.

Februar 1867 München-Au - München-Giesing - München-Haidhausen * Noch eineInteressengemeinschaft zur Standortfrage des "Ostbahnhofs" tritt auf.

Ihr gehören "Handels- und Gewerbetreibende" aus der Au, Giesing, Haidhausen und "südlicher Stadtteile" an. Sie wollen einen "Südbahnhof" in Untergiesing, südlich des im Jahr 1847 als "Männerfreibad" eröffneten "Schyrenbades" installiert sehen. Der Bahnhof soll die Anlage eines ausgedehnten Industrieviertels in den Isarauen ermöglichen. Ein Vorschlag, der heute möglicherweise Erstaunen hervorruft. Aber am "Auer Mühlbach" war von "Hellabrunn" bis hinauf zur "Bäckerkunstmühle" sogar ein Gebiet für schwerindustrielle Güter im Entstehen.

Mit den genannten Vorschlägen liegen vier Standorte für einen Bahnhof und zwei alternative Streckenführungen zur Auswahl:

eine "innere", unmittelbar am Haidhauser Zentrum, und eine "äußere", am östlicher gelegenen "Kuisl-Anwesen" vorbeiführende Linie.

Seite 355/814 Um Mai 1867 München-Haidhausen * Carl von Eichthal unterbreitet dem "Innenministerium" ein lukratives Angebot:

Wenn die "Braunauer Eisenbahnlinie" am "Kuisl" vorbei geführt wird, tritt die Interessengemeinschaft - "der guten Sache halber und im Interesse der Vorstadt Haidhausen und zum allgemeinen besten" - dem Staat "schenkungsweise" einen Tagwerk Grund ab. Gleichzeitig bietet er an, die zusätzlich für die Anlage des Bahnhofs und der Bahnstrecke benötigten Flächen zu einem Preis von lediglich 2.000 Gulden pro Tagwerk zur Verfügung zu stellen.

Natürlich liegt dem "Konsortium" an der Wertsteigerung ihrer noch unerschlossenen Grundstücke. Das vorgelegte Angebot liegt zwar weit unter dem Verkehrswert, doch durch die geänderte Streckenführung würde sich das "Entgegenkommen" durch die in die Höhe schnellenden Baulandpreise schnellstens wieder ausbezahlen.

August 1867 München-Haidhausen * Es kommt zur Entscheidung in der Standortwahl des "Ostbahnhofs".

In verschiedenen Gutachten werden eindeutig die Bahnhofs-Standorte in Haidhausen bevorzugt.

Dabei fällt die Wahl zunächst eindeutig auf die "Sedlmayr?sche Streckenführung" mit dem Bahnhofnahe dem heutigen Rosenheimer Platz.

September 1867 München-Haidhausen * Nur wenige Wochen nach der vorhergehenden Entscheidung, stell die "Generaldirektion der kgl. Staatseisenbahnen" fest, dass sie wegen bautechnischer Schwierigkeiten auf den Bau der "Sedlmayr?schen" Alternative zugunsten der "Eichthal?schen" verzichten muss.

Und diese Entscheidung steht felsenfest.

Da bewirkten selbst die Proteste des Besitzer der "Franziskaner-Leistbrauerei", Joseph Sedlmayr, der die getroffene Entscheidung lauthals als "Resultat gelungener Agitation und Privatspekulation" bezeichnet, nichts mehr.

Als eindeutiger Gewinner geht aus diesem monatelangen Tauziehen Carl von Eichthal hervor. Der "Hofbankier" hat anno 1856 zusammen mit den bedeutendsten deutschen Großunternehmern und Bankchefs die "Ostbahn-Aktiengesellschaft" ins Leben gerufen.

Carl von Eichthal gehört unter anderem dem "Kollegium der Gemeindebevollmächtigten" sowie der "Abgeordnetenkammer" an und verfügt damit über einen massiven Informationsvorsprung, der seine Eisenbahngeschäfte mit der Bodenspekulation verschmelzen lässt.

Bei der Entscheidungsfindung für die "äußere" Bahnlinie und dem Bahnhofsstandort am "Kuisl" war es zumindest nicht hinderlich, dass Gustav von Schlör vor seiner Ernennung zum "Handelsminister" lange Jahre Direktor bei der "Ostbahngesellschaft" war.

Seite 356/814 Eichthal und Schlör kennen sich persönlich gut und dem entsprechend gut sind die geschäftlichen Verbindungen zwischen dem "Bankier" und dem "Minister". Darüber, ob es interne Absprachen zwischen den beiden Akteuren gab oder dass der einflussreiche "Bankenchef" Druck auf den "Staatsminister" ausübte, lässt sich nur spekulieren.

1868 Kiautschou-Bucht - China * Der "Geograph" und "Geologe" Ferdinand von Richthofen durchquert in den Jahren zwischen 1668 und 1872 als "Forschungsreisender" dreizehn der achtzehn chinesischen Provinzen und schlägt die "Kiauschou-Bucht" für einen deutschen "Marine- und Handelsstützpunkt" vor.

Die sich in den 1890er-Jahren ändernde "Kolonialpolitik" bringt auch eine aktive Unterstützung der Tätigkeit der "Missionare". Diese kümmern sich weder um die Gefühle der Bewohner und sehen in "Konfuzius" lediglich ein "eingebildetes Symbol", das dem katholischen Glauben "zu weichen" hat.

Ab 1868 München-Untergiesing * Zur optimalen Straßenführung legt die Bahnverwaltung "einen Eisenbahndamm von der Brücke angefangen bis zum Berge von Giesing, und durch diesen einen aufsteigenden tiefen Einschnitt" an. Damit wird Untergiesing in zwei Hälften zerschnitten.

Proteste der Untergiesinger stellen heraus, dass mit dem plumpen und unansehnlichen Bahndamm die Vorstadt in ihrer baulichen Entwicklung beeinträchtigt, dass zumindest die in der Nähe des Damms liegenden Grundstücke entwertet und der Bevölkerung eine "unästhetische und unerträgliche Last aufgebürdet" wird.

Der Stadtrat befürchtet bei einem Bruch des Hochwasserdammes der Isar können die hereinströmenden Wassermassen große Teile Untergiesings überschwemmen. Statt des festen Bahndammes fordert man deshalb die Herstellung der Bahntrasse auf Pfeilern. Die Bahnverwaltung hält aber die vorgetragenen Hochwasserängste für stark übertrieben, da genügend Öffnungen für Straßen und Bäche vorgesehen sind. Gleichzeitig stellt sie die - berechtigte - Frage, ob eine leichtere Bauweise etwas an der Lautstärke und der Ästhetik ändern würde.

Zum Bau des Bahndamms wird auf der gesamten Strecke zwischen dem Bergeinschnitt und der "Braunauer Brücke" ein sieben Meter hohes Holzgerüst aufgebaut. Diese Konstruktion trägt eine Rollbahn, mit der die Erdmassen aus dem Hangeinschnitt abtransportiert und anschließend auf beide Seiten der Holzkonstruktion herabgekippt werden. Das Holzgerüst verschwand nach und nach im aufgeschütteten Eisenbahndamm.

Zehn Monate sind dafür vorgesehen, um die 60.000 Kubikmeter Erdreich, die beim Aushub des Einschnitts zwischen dem Giesinger Berg und dem Ostbahnhof anfallen, auf den Bahndamm zu verteilen. Voraussetzung ist aber, dass die Bauarbeiter pro Tag rund 750 Waggons der Rollbahn mit Erdreich be- und entladen. Auf dem Streckenabschnitt sind drei Rollbahnzüge mit jeweils siebzehn Waggons ständig im Einsatz. Zu erheblichen Problemen führen nach der Inbetriebnahme der Bahnstrecke die Lärmentwicklung an der Eisenbahnbrücke am Kolumbusplatz und dem gesamten Weg des Damms. Der Lärmpegel war noch höher wie heute, da die Schienen ohne jede GeraÌ?uschdämmung direkt auf die eisernen Brückenläufe montiert worden waren.

Anno 1868 Haidhausen - Rosenheim - Simbach/Braunau * Die Gleisverlegungsarbeiten an den Bahnlinien nach

Seite 357/814 Simbach/Braunau am Inn und der neuen Streckenführung nach Rosenheim beginnen.

Von Rosenheim aus sollte noch eine weitere, insgesamt kürzere Strecke nach Salzburg abzweigen.

Im selben Jahr wird auch der Bau für den "Haidhauser Bahnhof" begonnen, der zu dieser Zeit noch "mitten auf der grünen Wiese" entsteht.

1868 München - Russland * Die Münchner Bierbrauer stellen triumphierend fest, dass der Bierverbrauch allein in München ebenso hoch liegt wie in ganz Russland.

1868 Angerviertel - Au * Das Stammhaus der "Singlspielerbrauerei" in der Sendlinger Straße wird versteigert.

Den Braubetrieb an der Rosenheimer- Ecke Hochstraße erwerben die "Braugrafen" Butler-Haimhausen und machen ihn mit hohem Kapitaleinsatz wieder flott.

30. Januar 1868 München * Das Königreich Bayern führt - als letztes deutsches Land - die Gewerbefreiheitein. In dem Gesetz heißt es:

"Alle Staatsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts und des Glaubensbekenntnisses sind zum Betriebe von Gewerben im ganzen Umfange des Königsreichs berechtigt. In dieser Berechtigung liegt insbesondere die Befugnis, verschiedenartige Geschäfte gleichzeitig an mehreren Orten und in mehreren Lokalitäten desselben Ortes zu betreiben, von einem Gewerbe zum andern überzugehen, ein Geschäft auf den Bereich anderer Gewerbe auszudehnen und Hilfspersonen aus verschiedenartigen Gewerbszweigen in beliebiger Anzahl in und außer dem Hause zu beschäftigen."

Das bedeutet, dass jeder, ob Mann oder Frau, ob Christ oder Jude, beliebig viele Gewerbeunternehmungen an beliebig vielen Orten in Bayern betreiben kann. Nur für Apothekenund Gastwirtschaftenbleibt auch weiterhin ein Konzessionssystemerhalten.

7. März 1868 München * In einem Brief redete Cosima von Bülow, Wagners Sekretärin und Mutter zweier gemeinsamer Kinder, König Ludwig II. den Plan zum Bau eines Wagner-Festspielhausesin München aus.

29. April 1868 München * Prinz Otto wird durch seinen Bruder König Ludwig II. in den Ritterorden vom Heiligen Georg, dem Hausordender Wittelsbacher, aufgenommen.

13. Mai 1868 Schloss Neuschwanstein * König Ludwig II. teilt Richard Wagner in einem Brief seinen Entschluss mit, dass er die alte Burgruine Hinterhohenschwangau bei der Pöllatschlucht neu aufbauen lassen will. Es ist das spätere Schloss

Seite 358/814 Neuschwanstein.

Ab 1869 München * Die zweischläfrigen Mannschaftsbetten werden abgeschafft.

Es dauert aber noch etliche Jahre, bis in allen Kasernen tatsächlich Einzelbetten für alle Soldaten vorhanden sind. Bis dahin müssensich zwei ausgewachsene Männer ein Bett teilen, das eine Länge von 1,79 Metern und eine Breite von 1,30 Metern nicht überschreiten darf.

Als Schlafunterlage dientein gemeinsamer Strohsack, über den ein Leintuch gespannt ist.Darüber liegteine große Decke.

Januar 1869 München-Englischer Garten - Schwabing * Die Unternehmer eines kleinen, aber populären zoologischen Museums in München, Leven & Sohn, beantragen bei der Stadt, den ehemaligen "Benedikt-Tierpark" zu pachten.

Der "Zoologische Garten" am Westrand des "Englischen Gartens" soll wieder mit lebenden Tieren bevölkert und ein "Seewasseraquarium" eingerichtet werden. Bei Erfolg wollen sie das Anwesen kaufen.

Um den Januar 1869 München-Graggenau * Der erweiterte "Wintergarten" Ludwigs II. auf dem Dach des "Festsaalbaus" ist fertiggestellt.

Der König ist noch immer nicht zufrieden. Er will einen "Maurischen Kiosk" in seinem "Dachgarten" integriert wissen, der bereits im Herbst 1868 beauftragt wurde.

1. März 1869 München * Der Münchner Ableger des seit 1863 bestehenden Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins - ADV wird in der Nordendhalle gegründet. Angekündigt ist eine Veranstaltung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt: "Besprechung der Arbeiterfrage".

Tatsächlich ist es eine Gründungsversammlung. Siebzig Personen treten dem Vorgängerverein der SPD an diesem Tag bei. Der Verein wird aber ziemlich schnell wieder verboten, weil der Obrigkeit die politischen Debatten in Vereinen einfach suspekt sind.

9. Mai 1869 München * Im Gasthof Zur blauen Traube gründen 36 Männer, 34 davon aus München, dazu ein Kurat aus Vent im Ötztal und ein Prager Kaufmann, einen "bildungsbürgerlichen Bergsteigerverein". Das ist die Geburtsstunde des Deutschen Alpen Vereins. Im Paragraph 1 der Vereinsstatuten ist als Ziel festgeschrieben: "[?] die Kenntniss der deutschen Alpen zu verbreiten und die Bereisung Derselben zu erleichtern."

Seite 359/814 20. Juni 1869 München-Graggenau * Vor seinem endgültigen Weggang aus München bringt HofkapellmeisterHans von Bülow "Tristan und Isolde" am 20. und 22. Juni im Nationaltheatererneut zur Aufführung.

3. Juli 1869 München-Maxvorstadt * Adolf Friedrich von Schacks Mutter stirbt. Mit einem Teil des Geldes aus der Erbschaft kauft der Kunstmäzen die Grundstücke an der Brienner Straße 21 und 22.

21. September 1869 Dresden?Das Dresdner Hoftheaterwird ein Raub der Flammen.

Oktober 1869 München-Theresienwiese * Michael August Schichtl eröffnet gemeinsam mit seinen zwei Brüdern erstmals auf dem Oktoberfest sein "Zaubertheater".

Um 1870 München-Au * Mit dem Bau der Eisenbahnlinie muss sich der Magistrat gegenüber der Eisenbahn-Gesellschaftverpflichten, das Gebäude des neuen St.-Nicolai-Spitals der Unheilbarenam heutigen Kolumbusplatz abzubrechen.

1870 München * Die klassische Streckedes Stadtomnibusnetzesgeht jetzt vom Zentralbahnhofzur Ludwigsbrücke. Sie wird in der Zeit von 8.00 Uhr bis 20.30 Uhr im 20-Minuten-Taktbefahren.

Auf Drängen der Polizei müssen die Linien beschildert und nummeriert werden, bei Dunkelheit farbige Lampen die Richtung anzeigen. Der Tarifbeträgt nur mehr drei Kreuzer. Es gibt bunte Fahrscheine, die sogar schon mit einem Reklameaufdruck versehen sind. Da die Nachfrage inzwischen angestiegen ist, kann das Unternehmen auch auf einen wirtschaftlichen Erfolg hoffen.

Das Zechmeister?sche Streckennetz wird in der Folgezeit ständig erweitert. Bei Unrentabilitätwerden Streckenabschnitte aber auch wieder eingestellt oder nur mehr zu besonderen Anlässen angefahren. So verkehren bestimmte Sonderwagennur während des Oktoberfestesoder fahren nach Nymphenburg.

Ab dem 1. Januar 1870 Deutschland - Österreich - Schweiz * In den deutschsprachigen Ländern verzeichnet man einen enormen Anstieg des Bierkonsums, sodass sich der Pro-Kopf-Verbrauch bis zum Ersten Weltkrieg verdreifacht.

31. März 1870 München-Haidhausen * Der Plan für die Straßenzüge zum Braunauer Bahnhof in der Vorstadt Haidhausenwird vom StadtbauratArnold Zenetti fertiggestellt und den zuständigen Gremien zur Genehmigung zugeleitet.

Seite 360/814 13. Juli 1870 Berlin * Der Preußische KanzlerOtto von Bismarck weis, dass die Deutsche Einigungnur durch den Druck von Außenvollendet werden kann. Diesen Druck von Außenliefert ihm der französische Kaiser Napoleon III., nachdem das spanische Parlament den vakanten Thron einem Mitglied des Haus Hohenzollern-Sigmaringenanbietet. In Frankreich kommen daraufhin Einkreisungsängstehoch, die sich in der scharfen Ablehnung des spanischen Vorhabens durch Kaiser Napoleon III. niederschlagen.

Preußens König Wilhelm I. erklärt sich daraufhin öffentlich bereit, den französischen Wünschen nachzukommen und den Thron einem nicht-deutschen Kandidaten zu überlassen. Doch das ist für die französische Öffentlichkeit zu wenig. Sie fordert die Garantie, dass auch zukünftig die Kandidatur hohenzollerischer Prinzen ausgeschlossen wird. Mit dieser Forderung reistder französische Botschafter Benedetti nach Bad Ems, wo sich der Preußenkönig zur Kur aufhält.

Wilhelm I. und Bismarck erkennen die isolierte Position der Franzosen, da weder England noch Russland Interesse an dem Vorgang zeigen.Schon deshalb lehnt König Wilhelm I. die Forderung ab und informiert darüber seinen Kanzler in einer sachlich gehaltenen Depesche.

Bismarck überarbeitet den Inhalt der Emser Depeschein scharfer Form und gibt den veränderten Text noch am selben Tag an die Presse weiter. Durch den brüsken Ton der Depesche fühle sich Frankreich tief gedemütigt. Damit geht Otto von Bismarcks Rechnung auf.

14. Juli 1870 Paris * In der französischen Zeitung Soir erscheint Otto von Bismarcks Pressemitteilung zur Emser Depesche am französischen Nationalfeiertag, abends um 18:30 Uhr. Durch den brüsken Ton der Depesche fühle sich Frankreich tief gedemütigt.

Der Ministerrat beschließt am Abend die Mobilmachung. Das bedeutet Krieg.

16. Juli 1870 London * In der Londoner Times kann gelesen werden:"Über das eine kann gegenwärtig kein Zweifel herrschen, dass aller Welt Sympathien sich jetzt dem angegriffenen Preußen zuwenden. Napoleon hat. sich zu einer unpolitischen und verbrecherischen Tat hinreißen lassen, die Gedanken des ersten Kaiserreichs scheinen der Fluch des zweiten zu werden. [?] Wehe dem Kaiser, wenn seine Soldaten eine Schlappe oder gar eine Niederlage erleiden sollten."

Ab August 1870 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Zusätzliche Baracken neben der Alten Isarkasernewerden zur Unterbringung von französischen Kriegsgefangenen genutzt.

1. August 1870 Stürzelbronn * In der Nähe der elsässischen Ortschaft Stürzelbronn stößt deutsche Kavallerie überraschend auf französische Truppen. Die Deutschen müssen sich unter heftigem Feuer zurückziehen. Herrmann Weihnacht vom bayerischen 5. Chevaulegersregiment nimmt dabei einen preußischen Husaren, der sein Pferd verloren hat, mit auf das seine und bewahrt ihn so vor Gefangenschaft.

Seite 361/814 2. August 1870 Saarbrücken * Frankreichs Armee greift mit drei Divisionen Saarbrücken an und kann dieses kurzfristig besetzen. Doch dann ziehen sich die französischen Truppen wieder zurück.

6. August 1870 Spichern* Die Spicheren Höhen bei Saarbrücken sind umkämpft. Die Schlacht wird nach ihrem Schauplatz, dem Dorf Spichern bei Forbach, nahe Saarbrücken, benannt. Ein Grund für den preußischen Sieg ist das zögerliche Verhalten der französischen Führung. Der Sieg der Preußen ist unvorhergesehen. Es war ein Risiko, einen Feind von unbekannter Truppenstärke und in starken Stellungen anzugreifen; der Angriff hätte in einer Niederlage enden können.

15. August 1870 München-Au * Durch den Tod seiner Mutter kommt Franz Xaver Schmederer gemeinsam mit seinem Onkel Ludwig in den Besitz des Nockhergartensund des dort befindlichen Angers.

20. August 1870 Metz * Die Belagerung von Metz beginnt. Mehrere Ausbruchsversuche scheitern. Sie dauert bis zum 27. Oktober 1870 und endet mit einer vernichtenden Niederlage für die Franzosen.

23. August 1870 Straßburg * Die deutschen Geschütze eröffnen das Feuer auf die Stadt Straßburg und verursachen starke Schäden, auch am Straßburger Münster. Der Bischof von Straßburg bittet vergeblich um Einstellung des Feuers. Die Zivilbevölkerung schlägt vor, jeden Tag 100.000 Franc zu bezahlen, an dem die Stadt nicht bombardiert würde.

Der Beschuss hört allerdings erst auf, als man sich bewusst wird, dass ein fortgesetztes Bombardement zu viel Munition verbrauchen und schwerste Schäden in der Stadt anrichten würde. Man will jedoch die Stadt erobern und nicht zerstören.

24. August 1870 Straßburg * Während der Belagerung Straßburgs wird das Museum der Schönen Künste durch einen Brand und die Stadtbibliothek mit ihrer einzigartigen Sammlung mittelalterlicher Manuskripte, seltener Bücher aus der Zeit der Renaissance und römischer Artefakte vernichtet.

1. September 1870 Bazeilles * Bayerische Truppenteile greifen Bazeilles an. Der Kampf endet mit der völligen Vernichtung des Ortes. Ein Teil der Einwohner war bereits am Vorabend der Kämpfe geflohen. Dem in Bazeilles gebliebenen Teil der Bevölkerung wird die Beteiligung an Schießereien gegen die Bayern vorgeworfen. Zwar wird keiner der Zivilisten mit Waffen angetroffen, dennoch ermorden bayerische Soldaten noch am 1. September vierzig Frauen und Männer aus dem Ort, weitere 150 in den folgenden Tagen. Zudem werden 363 Häuser in Bazeilles niedergebrannt.

Seite 362/814 Der Kampf um Bazeilles ist für die Bayerische Armee besonders verlustreich und gilt in der deutschen Öffentlichkeit als "Ein blutiger Beitrag zur Bayerischen Waffenehre, ein ehrenvoller Kitt für die Deutsche Einigkeit".

1. September 1870 Sedan * Am Abend hissen französische Soldaten, die den Kampf beendet sehen wollen, auf einem Turm der Festung von Sedan eine weiße Fahne.

Zur gleichen Zeit übergibt ein französischer General auf einer Anhöhe oberhalb der Stadt dem preußischen König Wilhelm I. einen Brief von Kaiser Napoleon III., in dem dieser schreibt: "Nachdem es mir nicht vergönnt war, in der Mitte meiner Truppen zu sterben, bleibt mir nichts übrig, als meinen Degen in die Hände Eurer Majestät zu legen."

13. September 1870 Berlin - München * Rudolph von Delbrück, der Präsident des Bundeskanzleramtes und Bismarcks Beauftragter für die Verhandlungen mit Württemberg und Bayern, legt ein Programm zum raschen Beitritt Bayerns vor. Das Deutsche Reich soll ein föderaler Staatenbund auf Grundlage des Norddeutschen Bundes werden, dem die Süddeutschen beitreten, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren.

Daraufhin gibt König Ludwig II. dem Kanzler des Norddeutschen Bundes und preußischen Ministerpräsidenten, Otto von Bismarck, seine Bereitschaft zu einem Verfassungsbündnis bekannt.

19. September 1870 Ferrières-en-Brie ? Der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck und Jules Favre, Außenminister und Repräsentant der französischen republikanischen Regierung, verhandeln im deutschen Hauptquartier in Ferrières-en-Brie über einen möglichen Friedensschluss.

Bismarck bietet Favre einen 14-tägigen Waffenstillstand an. In dieser Zeit könnten die Wahlen zu einer neuen Nationalversammlung stattfinden. Er erhofft sich damit ein Wahlergebnis, das eine monarchisch orientierte Mehrheit hervorbringt und ihm die Verhandlungen erleichtert. Favre lehnt jedwede Abtretung französischen Territoriums ab, Bismarck besteht darauf, dass Straßburg und das Elsass deutsch werden muss. ab 19. September 1870 Paris * Der Belagerungsring um Paris ist geschlossen. Paris gilt zu diesem Zeitpunkt als "die am stärksten befestigte Stadt der Welt". Die Stadt ist von einer zehn Meter hohen und sechs Meter breiten Mauer umgeben, die unter dem Bürgerkönig Louis Philipp nach 1830 erneuert worden war. Aber noch viel wichtiger als die Mauern sind die 16 Forts, die mit ihren Artilleriestellungen einen Schutzring von 53 Kilometern Länge um die Stadt bilden. Für die belagernde Armee bedeutete das, dass sie einen Einschließungsring von mindestens achtzig Kilometer bilden muss.

Nun kappen die Belagerer die Telegraphenleitungen nach Paris, sodass die Kommunikation mit dem restlichen Land nur mit Brieftauben aufrecht erhalten werden kann. Es kommen keine Vorräte mehr in die Stadt, in der sich über zwei Millionen Menschen befinden.

Seite 363/814 Die deutsche Heeresführung geht davon aus, dass die Versorgung der Stadt sechs Wochen hält, danach muss Paris kapitulieren. Die Belagerung mit preußischen und süddeutschen Truppen wird bis zum 28. Januar 1871 dauern.

Ab dem 22. September 1870 München?In der sogenannten Münchner Konferenz, die vom 22. bis zum 26. September 1870 in München stattfindet, besprechen die Vertreter Bayerns und Württembergs den von Rudolph von Delbrück vorgelegten Beitritts-Vorschlag zum Deutschen Reich.

23. September 1870 Ferrières-en-Brie ? Die Verhandlungen über einen Friedensschluss zwischen Otto von Bismarck und Jules Favre werden ergebnislos abgebrochen.

23. September 1870 Paris?Von Montmartre aus bringt man Post mit einem Heißluftballon aus der besetzten französischen Hauptstadt Paris.

23. November 1870 München - Berlin * In den sogenannten Novemberverträgenkann sich das Königreich Bayern mehrere Reservatrechtesichern.Sie betreffen vor allem

das Militär, die Eisenbahn, das Post- und Telegrafenwesen, die Branntwein- und Biersteuersowie die allgemeine Staatsverwaltung.

Die Reservatrechtesind von der Aufsicht und Gesetzgebung des Deutschen Reichsbefreit. Eisenbahn, Post und Biersteuer stellen wichtige Einnahmequellen dar.

Das Bayerische Heerbildet - in Friedenszeiten - einen geschlossenen Bestandteil innerhalb der Streitkräfte des Deutschen Reichs. Es steht mit eigener Verwaltung unter der Hoheit des bayerischen Königs. Doch mit dem Beginn der Mobilmachung- und damit dem Eintritt des Kriegsfalles - untersteht das bayerische Militär direkt dem Kaiser.

28. November 1870 München * Als König Ludwig II. als Regent des zweitgrößten Königreichs dem preußischen König Wilhelm I. die Kaiserkroneantragen soll, fleht ihn Prinz Otto an:

"Höre noch einmal meine Stimme; ich beschwöre Dich, das Schreckliche nicht zu tun! Wie kann es denn für einen Herrn und König eine zwingende Gewalt geben, seine Selbstständigkeit dahinzugeben und außer Gott noch einen Höheren über sich anerkennen zu müssen! [...]

Seite 364/814 Mögen wir auch für den jetzigen Augenblick Vorteile und Zugeständnisse erlangen, die vielleicht von großem Umfang sind, so wiegen Sie doch gewiss nicht den hundertsten Teil von jenem Nachteil auf, den wir durch Dahingebung der Selbstständigkeit erleiden."

Ganz schön weitblickend!

30. November 1870 München * Bayernkönig Ludwig II. schreibt den sogenannten Kaiserbriefan König Wilhelm I. von Preußen. Darin regt er die "Wiederherstellung der deutschen Kaiserwürde" und eines Deutschen Reichesan. Im Namen aller Bundesfürsten trägt er dem Preußenkönig die Kaiserkrone, die höchste deutsche Würde, an.

OberststallmeisterMax Graf von Holnstein hat gemeinsam mit Bismarck den Brief entworfen, den der mit Zahnschmerzen im Bett liegende Bayernkönig nur ab- und unterschreiben muss. Noch am selben Tag reist Graf Holnstein nach Frankreich und überreicht dort den entscheidenden Brief an Prinz Luitpold.

Für diesen bayerischen Ausverkaufwird König Ludwig II. allerdings persönlich mit rund fünf Millionen Mark aus Bismarcks Welfenfondentschädigt. Jedenfalls wird dem König lange Zeit unterstellt, dass der Kaiserbriefder noble Preis für diese Rentenzahlunggewesen ist. Max Graf von Holnstein, der Überbringer des Geldes und Mitbegründer der Bayerischen Vereinsbank, ist mit zehn Prozent an diesem Deal beteiligt.

3. Dezember 1870 Versailles * Prinz Luitpold von Bayern übergibt den "Kaiserbrief" im Hauptquartier von Versaillesan den preußischen König Wilhelm I..

Der bayerische MärchenkönigLudwig II. verhält sich also gegenüber Preußen sehr loyal, muss aber - statt belohnt zu werden - bayerische Rechte an das von Preußen geführte Reich abtreten. Nichts ist es mit der erhofften Vergrößerung des Bayernlandes, nichts mit der gewünschten alternierenden Kaiserkrone, derzufolge dem preußischen Kaiser einer aus dem bayerischen Herrscherhaus folgen soll.

Ein paar Reservatrechte, das Heer, die Postund die Eisenbahnbetreffend, bleiben den süddeutschen Verbündeten. Ansonsten hat sie sich Bismarcks großpreußischem Staatengebilde unterzuordnen.

19. Dezember 1870 Berlin * Nach König Ludwigs II. Kaiserbriefvom 30. November 1870 reagiert KanzlerOtto von Bismarck und leitet eine Verfassungsänderungin die Wege, durch welche die Bezeichnung "Deutscher Bund" in "Deutsches Reich" und "Deutscher Kaiser" eingeführt wird.

Dies geschieht auch im Einvernehmen mit der bayerischen Regierung.Spätestens jetzt ist es mit der Souveränität Bayernsvorbei.

30. Dezember 1870 München-Kreuzviertel * Zur Annahme der Versailler Verträgevom 23. November 1870 und dem damit

Seite 365/814 verbundenen Reichsbeitrittist im Bayerischen Landtageine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit notwendig.

Diese Verträge regeln die Modalitäten, unter denen die süddeutschen Staaten dem Deutschen Kaiserreichbeitreten sollen. Dabei ist zu entscheiden, ob das Königreich Bayernselbstständig bleiben oder ein Teil des Deutschen Reicheswerden soll.

Die Kammer der Reichsräte, der Vertretung des Hochadels, der Hochfinanz und der hohen Geistlichkeit, hat den Verträgen, die am 1. Januar 1871 in Kraft treten sollen, bereits an diesem 30. Dezember 1870 mit großer Mehrheit zugestimmt. Um die Souveränität des bayerischen Volkespreiszugeben, haben die erklärten "Sachwalter bayerischer Interessen" genau einen Vormittag gebraucht.

31. Dezember 1870 München * Der Malzverbrauch aller Münchner Brauereien liegt bei 592.618 Hektoliter.

1871 München-Untergiesing * Die Untergiesinger Lederfabrikist zu einem der bedeutendsten Unternehmen Münchens aufgestiegen.

1871 München-Isarvorstadt - München-Untergiesing * Die Wittelsbacherbrückewird in Verlängerung der Kapuzinerstraße als hölzener Fußgängersteg erbaut, um die Reichenbachbrückezu entlasten und dem aufstrebenden Untergiesing entgegen zu kommen. Bei der neuen Brücke handelt es sich aber nur um den nicht mehr benötigten Werksteg, der nach Beendigung der Arbeiten an der Braunauer Eisenbahnbrückedort demontiert und hier neu aufgebaut werden wird. Der ehemalige Werkstegdarf aus Statikgründen nur von Fußgängern benutzt werden.

2. Januar 1871 München * Der Verein Münchener Brauereien e.V., der sich bis heute als Hüter des Münchner Bieresversteht, wird gegründet,um die Interessen seiner Mitglieder gegenüber den staatlichen Behörden besser durchsetzen zu können. Gleichzeitig fungiert er alsArbeitgebervereinigungder Münchner Braubetriebe.

Vor dem 16. Januar 1871 Versailles * Die Frage der richtigen Anrede des künftigen Kaisers sollte noch zu viel Ärger führen. Im "Kaiserbrief" von König Ludwig II. benannte dieser den höchsten Repräsentanten mit "deutscher Kaiser". Doch der Preußenkönig Wilhelm I. wollte den Titel "Kaiser von Deutschland" und damit weitreichende Machtbefugnisse.

Der Titel "deutscher Kaiser" strahlt für ihn keine Macht aus. Abfällig äußert er sich dazu: "Was soll mir der Charaktermajor?" Gemeint damit ist zu dieser Zeit ein unbesoldeter Ehrentitel, mit dem man meist beim Ausscheiden aus dem aktiven Dienst geehrt wird. Dieser hat zwar alle äußerlichen Anzeichen einer Beförderung wie Uniform, Titel etc., jedoch keinerlei wirklichen Befugnisse. Also, ein Titel ohne jeden Wert. Dennoch hat der Norddeutsche Bund zuvor den Titel "deutscher Kaiser" beschlossen.

17. Januar 1871

Seite 366/814 Versailles ? Dass der Norddeutsche Bund den Titel "deutscher Kaiser" beschlossen hat, verärgerte den Preußenkönig Wilhelm I. derart, dass er noch bei den Schlussberatungen einen Tag vor der Proklamierung erklärt, "er wolle Kaiser von Deutschland oder gar nicht Kaiser sein".

Weder Bismarck noch Wilhelms Sohn können ihn überzeugen. Im Gegenteil: "Im höchsten Zorn sprang der König schließlich auf, brach die Verhandlungen ab und erklärte, von der morgen angesetzten Feier nichts mehr hören zu wollen."

18. Januar 1871 Versailles * Als König Wilhelm von Preußen in der Spiegelgalerie von Schloss Versailleszum Deutschen Kaiserausgerufen wird, lässt sich der Bayernkönig Ludwig II. von Prinz Otto und seinem Onkel Luitpold vertreten. Otto empfindet die Kaiserproklamationals bedrückend. Seinem Bruder klagt er: "Der deutsche Kaiser, das deutsche Reich, Bismarck, die laute preußische Begeisterung, die vielen Stiefel, das alles macht mich sehr traurig".

Ein böses Gerücht macht die Runde, in dem Otto nachgesagt wird, er hätte während der Proklamationzu Versailles "infolge einer plötzlichen Diarrhöe ein degoutantes Malheur gehabt". Das heißt, er hat - aus ohnmächtiger Enttäuschung und Widerwillen, vielleicht aber auch schon als Folge seiner geistigen Zerrüttung - in die Hose gemacht. In Bayern geht der Satz um: "Otto hat auf Preußens Kaiserkrone geschissen!"

18. Januar 1871 Versailles ? Als Tag der Kaiserproklamation hat man den 18. Januar 1871 auserkoren. Es ist der Tag, als Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg im Jahr 1701 zum ersten preußischen König Friedrich I. gekrönt und damit zugleich das Königreich Preußen gegründet worden ist. Mit der Terminwahl will das Haus Hohenzollern an seinen Aufstieg innerhalb von 170 Jahren von Kurfürsten zu mächtigen Monarchen Europas erinnern.

19. Januar 1871 Paris ? Die Verteidiger der französischen Hauptstadt Paris unternehmen einen letzten Durchbruchsversuch, der aber von den Belagerern mühelos zurückgeschlagen werden kann.

20. Januar 1871 Paris ? Ein für den 20. Januar geplanter Ausbruch unterbleibt, nachdem bekannt worden war, dass die Loirearmee geschlagen ist. Am Nachmittag berät die Regierung zusammen mit zwanzig Arrondissements-Bürgermeistern die Lage.

21. Januar 1871 München-Kreuzviertel * Nach einer zehnstündigen Redeschlachtstimmen 102 Abgeordnete für den Beitritt Bayerns zum Deutschen Kaiserreichund nur noch 48 dagegen. Damit ist die Zweidrittelmehrheit - wenn auch knapp - erreicht.

Das im Jahr 1871 gegründete Deutsche Reichist nach der Präambel seiner Verfassungein "ewiger Bund zum Schutz des deutschen Bundesgebietes und des innerhalb dieses gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes".

Seite 367/814 Diesen Bundschließen die 22 Repräsentanten

der vier KönigreichePreußen, Bayern, Württemberg und Sachsen; der sechs GroßherzogtümerBaden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Hessen-Darmstadt, Oldenburg und Sachsen-Weimar; der fünf HerzogtümerBraunschweig, Anhalt, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg; der sieben FürstentümerSchwarzburg-Sonderhausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe, des mitregierten ReichslandesElsass-Lothringen sowie der Regierenden Bürgermeisterder drei Freien StädteHamburg, Bremen und Lübeck.

Dieser Bundesstaatwird durch zwei Institutionen - Bundesratund Reichstag- repräsentiert. Verfassungsrechtlich ist der Bundesratdas höchste Reichsorgan, in dem Preußen aufgrund seiner Größe und seiner hegemonialen Stellung dominiert.

In diesem Gremium sind die einzelnen Länder entsprechend ihrer Größe mit unterschiedlichen Stimmenzahlen ausgestattet vertreten:

Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, die kleineren je 2 oder 1 - insgesamt 58 Stimmen.

15. Februar 1871 Bordeaux - Versailles ? Die deutschen und die französischen Verhandlungsführer einigen sich auf eine Verlängerung des Waffenstillstands bis zum 26. Februar und weiten ihn auf ganz Frankreich aus.

Das Deutsche Reich forderte von Frankreich

das Elsass und Teile von Lothringen, dazu eine Entschädigung von sechs Milliarden Goldfranc sowie eine Parade der deutschen Truppen in Paris. Die Besetzung der Stadt sollte bis zur Unterzeichnung eines vorläufigen Friedensvertrages anhalten. Bis zur Abwicklung der vollständigen Zahlung - vorgesehen ist der 2. März 1874 - sollen deutsche Truppen stationiert bleiben und Teile des Landes besetzen.

1. März 1871 Paris * 20.000 deutsche Soldaten, darunter 1.000 bayerische, marschieren in Paris ein und paradierten auf dem

Seite 368/814 Longchamps vor dem Deutschen Kaiser Wilhelm I.. Die Parade ist der der Abmachung vom 15. Februar 1871.

15. März 1871 München-Haidhausen * Das Empfangsgebäude des Braunauer Bahnhofswird eröffnet. Spätestens jetzt bricht für das Ostenddas Eisenbahnzeitalter an. Allerdings verlassen zunächst nur drei Personen- und wenige Güterzüge den Hauptbahnhofüber die neue Isarbrücke durch Untergiesing zum Braunauer Bahnhofund weiter in Richtung Rosenheim und nach Simbach/Braunau am Inn.

15. März 1871 München-Haidhausen * Bis zur Eröffnung des Empfangsgebäudesdes von Friedrich Bürklein entworfenen Braunauer Bahnhofshaben die Münchner Gemeindebevollmächtigtendie Baulinie für das angrenzende Eichthal?sche Arealbereits genehmigt.

15. März 1871 München-Untergiesing * Für Giesing bricht das Eisenbahnzeitalter an. Doch zunächst verlassen nur drei Personen- und wenige Güterzüge den Hauptbahnhofüber die neue Isarbrücke durch Untergiesing in Richtung Rosenheim und weiter nach Braunau.

18. März 1871 Paris * In der französischen Hauptstadt kommt es zum Kommune-Aufstand, in deren Verlauf Parisden Versuch macht, eine demokratische und soziale Republikzu gründen. Die Pariser Communewill die Auflösung Frankreichs in eine Föderationvon autonomen kleinen Gemeindeverwaltungen

mit eigener Rechtsprechung, eigenem Militär und eigenem Unterrichtswesen, der Verstaatlichung der Produktion und so fort. Die rote Fahneund der Revolutionskalenderwerden eingeführt, ein Wohlfahrtsausschussund ein Revolutionstribunaleingesetzt, Geiseln ausgehoben sowie Kirchen und Klöster geschlossen.

Doch Parisbleibt alleine, nachdem sich die Gemeinderäte der großen Provinzstädte versagen. Alleine muss Paris nun den Kampf gegen die konservative Republikausfechten, die ihren Sitz nach Versaillesverlegt hat. Dort befindet sich auch das deutsche Hauptquartier.

Die Auseinandersetzungen finden unter den Augen der deutschen Militärs statt. Den Petroleumbrennernder Communardsfallen zahlreiche öffentliche Gebäude zum Opfer, darunter die Tuilerien; über siebzig bürgerliche Geiseln werden erschossen, darunter der Erzbischof von Paris.

Seite 369/814 19. März 1871 Kassel ? Der französische Ex-Kaiser Napoleon III. verlässt die Wilhelmshöhe in Kassel, von wo aus er mehrfach versucht hat, sein gescheitertes Regime wiederherzustellen. Doch das französische Volk hatte von ihrem bisherigen Staatsoberhaupt einfach genug. Er geht ins Exil nach Großbritannien.

21. März 1871 Chislehurst ? Der französische Ex-Kaiser Napoleon III. trifft in seinem Exil in Chislehurst, im heutigen Stadtbezirk London Borough of Bromley, ein.

28. März 1871 Graz * Das Grazer Landstädtische Theaterbrennt ab.

16. April 1871 Deutsches Reich - Königreich Bayern* Die Reichsverfassungwird rechtskräftig.

Das Zweite Deutsche Kaiserreichist ein Bundesstaat, dem - unter preußischer Hegemonie- 25 Einzelstaaten angehören. Der preußische Ministerpräsidentist gleichzeitig Reichskanzler.

Das Deutsche Reichist nach der Präambelseiner Verfassung ein "ewiger Bund zum Schutze des deutschen Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, sowie zur Pflege der Wohlfahrt des Deutschen Volkes".

Diesen Bundschließen die 22 Repräsentanten:

der vier KönigreichePreußen, Bayern, Württemberg und Sachsen; der sechs GroßherzogtümerBaden, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Hessen-Darmstadt, Oldenburg und Sachsen-Weimar; der fünf HerzogtümerBraunschweig, Anhalt, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Altenburg; der sieben FürstentümerSchwarzburg-Sonderhausen, Schwarzburg-Rudolstadt, Waldeck, Reuss ältere Linie, Reuss jüngere Linie, Lippe-Detmold und Schaumburg-Lippe, des mitregierten ReichslandesElsass-Lothringen sowie der Regierenden Bürgermeisterder drei Freien StädteHamburg, Bremen und Lübeck.

Dieser Bundesstaatwird durch zwei Institutionen - Bundesratund Reichstag- repräsentiert. Verfassungsrechtlich ist der Bundesratdas höchste Reichsorgan, in dem Preußen aufgrund seiner Größe und seiner hegemonialen Stellung dominiert.

In diesem Gremium sind die einzelnen Länder entsprechend ihrer Größe mit unterschiedlichen Stimmenzahlen ausgestattet vertreten: Preußen 17, Bayern 6, Sachsen und Württemberg je 4, Baden und Hessen je 3, die kleineren je 2 oder 1 - insgesamt 58 Stimmen.

Bis im Rahmen der Reichsgründungauch in Bayern das metrische Maß eingeführt wird, fasst die Bayerische

Seite 370/814 Mass1.069 Kubikzentimeter. Durch die Preußische Maß- und Gewichtsordnungwird das Bayerische Maaßabgeschafft. Als gesamtdeutsche Maßeinheit gilt nun der Liter. Und dieser ist auf 1.000 Kubikzentimeter festgelegt worden.

Ab Mitte Mai 1871 München-Isarvorstadt - München-Untergiesing * Der gesamte Zugverkehr zwischen München und Salzburg beziehungsweise nach Kufstein läuft über die neue Braunauer Eisenbahnbrückedurch Untergiesing.

10. Mai 1871 Berlin * Der Frankfurter Friedensschlusskostet Frankreich im Wesentlichen die Provinzen Elsassund Lothringensowie eine Kriegsentschädigungvon fünf Milliarden Gold-Franc.

Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 war ein Krieg der modernen Technik und der Massenheere, der zu den Schrecken des ungebändigten totalen Kriegs des 20. Jahrhunderts führen wird. Bismarcks wichtigstes Kriegsziel, die "dauerhafte Beseitigung der Kriegsgefahr an der deutschen Westgrenze", ist schon beim Friedensschluss bedroht, weshalb zwei grausame Weltkriege mit Millionen Toten folgen werden.

Eine betont kriegerische und verherrlichende Geschichtsschreibung verstellt auf beiden Seiten den Blick auf das Kriegselend."Das erste Preußengrab für Deutschlands Einheit - Der Schwur auf die Fahne führte sie alle zum Heldentod fürs Vaterland - Gott verleihe den Helden droben die Siegespalmen - für Deutschlands Ehre weiht jedes deutsche Frauenherz Gatten, Sohn und Bruder gern dem Heldentod".Diese Worte werden in ein Denkmal auf dem Gaisberg, nahe Weißenburg, geschlagen.

10. Mai 1871 München * Prinz Otto, König Ludwigs II. Bruder, steht unter ärztlicher Überwachung. Sein Krankheitsbild wird bald darauf von Syphilisin Paranoiaabgeändert.

1. Juni 1871 München - Braunau - Linz - Wien * Die über Mühldorf nach Simbach/Braunau am Inn führende Hauptverkehrsstrecke der Eisenbahn wird eröffnet.Sie führt weiter über Linz nach Wien. Spätestens ab jetzt istes mit der Ruhe und der Beschaulichkeit in Untergiesing vorbei.

Während die neue Streckenführung für den Güter- und Personenverkehr einen erheblichen Zeitgewinn bedeutet und reiche Spekulanten noch reicher macht, ist die Bahnlinie für Untergiesing mit erheblichen Nachteilen verbunden und bringt für die ansässigen Bewohner neben einer Lärmbelästigung noch zusätzlichen Gestank und einen sieben Meter hohen, die ganze Ortsflur durchtrennenden Bahndamm.

Der gewünschte Bahnhof, verbunden mit der Möglichkeit der Ansiedelung von Industrieanlagen, bleibt den Untergiesingern ebenfalls versagt.War zu Beginn noch von einer Station mit Güterhalledie Rede, so verwarf die Generaldirektionauch diese Pläne, da Bodenuntersuchungen die Untergiesinger Isarauen als denkbar ungünstiges Areal für einen Bahnhof bezeichneten.

Das bedeutet für die Stadt München, dass sie nach einen neuen Standort für den Städtischen Schlacht- und Viehhofsuchen muss, der ursprünglich zwischen Schyrenbadund Stadtgartendirektiongeplant war.

Seite 371/814 9. Juli 1871 München-Haidhausen * Das Einverständnisschreiben des Innenministeriumsfür die "Straßenzüge zum Braunauer Bahnhof in der Vorstadt Haidhausen" enthält gegenüber der Ursprungsplanung nur geringfügige Änderungen. Daraufhin kann Bürgermeister Alois von Erhardt noch im gleichen Monat das Konzept der Öffentlichkeit vorstellen.

Das Franzosenviertelist von dem Münchner StadtbauratArnold Zenetti streng geometrisch als Dreistrahlanlage geplant worden.Das Konzept umschließt das künftige Straßennetz zwischen dem Bahngelände, der Stein-, Rosenheimer-, Wolfgang- und der Äußeren-Wiener-Straße und sieht den Ostbahnhofund das ihn umgebende Rondell des Orleansplatzesals Mittelpunkt des Viertels vor."Diese Zentrierung auf den Ostbahnhof nimmt sich wie die Persiflage eines residenzstädtischen Grundrisses aus, im dem - dem Arbeiterviertel entsprechend - der Platz des Herrscherhauses von dem Pendlerbahnhof eingenommen wird".

Damit die neue Wohnsiedlung an die Vorstadt Haidhausenund an das Gasteig-Geländeangebunden werden kann, sind in Zenettis Planungskonzepten Straßendurchbrüche von der Wörth- zur Preysingstraße und Verbreiterungen der Rosenheimer-, Stein- und Milchstraße vorgesehen. Im Gegensatz zu der am Beginn des 19. Jahrhunderts angelegten Maxvorstadtund zu dem ab dem Jahr 1860 erbauten Gärtnerplatz-Viertelhaben die Straßen und Plätze des Franzosenviertelserstmals unterschiedliche Breiten. Dafür sind - neben verkehrstechnischen - vor allem ästhetische Gesichtspunkte ausschlaggebend.

Vom 530 Fuß messenden, halbkreisförmigen Orleansplatz ausgehend, bildet die 100 Fuß breite Wörthstraße die Mittelachse der symmetrischen Dreistrahlanlage.Ihre Aufweitung - der früher als Forumbezeichnete heutige Bordeauxplatz- bildet den prunkvollen Mittelpunkt innerhalb des Franzosenviertels.An seiner Stelle beträgt die Straßenbreite 200 Fuß. Ein ebenfalls 100 Fuß breites Straßenprofil verzeichnen die Rosenheimer- und die Orleansstraße. Die Weißenburger- und die Belfortstraße verlassen das Rondell am Orleansplatz als Diagonalachsen.Diese Verkehrswege messen, ebenso wie die sie kreuzende Pariser- und Breisacher Straße 60 Fuß in der Breite.Die restlichen Straßen haben eine Breite von 50 Fuß.

An den beiden diagonal verlaufenden Straßenzügen sind Platzanlagen geplant.So folgt an der Weißenburger Straße dem 220 Fuß messenden, rechteckigen Pariser Platzder im Durchmesser 300 Fuß umfassende, kreisrunde Weißenburger Platz. Spiegelbildlich zum Pariser Platzsoll an der Belfortstraße ebenfalls eine quadratische Platzanlage, der Straßburger Platz, angelegt werden. Die Planung, die mit ihrer symmetrischen Straßenführung an eine barocke Bauweise erinnert, kann aber nur dort verwirklicht werden, wo sich der Grund in der Hand eines Besitzers befindet.

Im Gegensatz zu dem Baugebiet das sich überwiegend im Besitz Carl von Eichthals befindet und das etwa bis zur Wörthstraße reicht, scheitert nördlich davon der weitere Ausbau am Kloster der Frauen zum guten Hirten, das das Gelände des ehemaligen Preysing-Schlossesseit 1840 besitzt.Die Klosterverwaltung lehnt jeden Verkauf der notwendigen Grundstücke zur Fertigstellung des Franzosenviertelsab und tritt nicht einmal einen Quadratmeter Grund für die Straßenanlagen ab.

Ein Opfer dieser unnachgiebigen Haltung wird der Straßburger Platzden der Königlich-bayerische Major a.D., Karl Graf von Rambaldi, im Jahr 1894 in seiner Zusammenstellung der Münchner Straßennamenwie folgt beschreibt:"Straßburgerplatz. Liegt in Haidhausen zwischen der Elsaß-, Pariser- und Belfortstraße, nördlich vom Ostbahnhofe". Doch ohne ein Entgegenkommen der Klosternonnen kamen die weiteren Planungsarbeiten für dieses Gebiet ins Stocken. Dies auch,

Seite 372/814 weil einerseits keine aussichtsreichen Enteignungsmöglichkeiten bestehen, andererseits, weil sich in den Zeiten der geometrischen Stadtplanungkein Verantwortlicher zu einer Planänderung entschließen kann.

Erst mit dem Amtsantritt Theodor Fischers, dem Vorstand des Münchner Stadterweiterungsbüros, werden die Planungen wieder aufgenommen.

1. August 1871 München-Untergiesing * Schon wenige Monate nach Eröffnung der Eisenbahnlinie über den Ostbahnhof nach Braunau kommtes zum ersten tödlichen Unfall. Die Frau des GemeindebevollmächtigtenWilhelm Kanzler, der in Obergiesing die bekannte Gastwirtschaft Zum Giesinger Weinbauernbetreibt, stirbt.

Mutter Kanzler ist mit ihrem Sohn in der Kutsche über den Giesinger Berg in Richtung Innenstadt gefahren.Bei der Eisenbahnbrücke erschrecktein heraneilender Zug das Pferd so sehr, dass es scheut,die Kutsche umwirft undbeide Insassen unter sich begräbt.Während der Sohn mit leichten Blessuren davonkommt, stirbt die Mutter an ihren Verletzungen.

Es kommtfast täglich zu solchen Unfällen, "weil die Bauernpferde aus den außergelegenen Dörfern noch keinen Kurs bezüglich der Vorsichtsmaßregeln genommen und jetzt wie früher scheuen und durchgehen".

Nach September 1871 München-Au - München-Theresienwiese * Gabriel Sedlmayr junior vom Leistbräuentwickelt ein neues, stärker eingebrautes untergäriges Bier nach Wiener Art. Es wird sich zum erfolgreich auf der Wiesnangeschenkten Märzenbierentwickeln. Erstmals wird es im Jahr 1872 imSchottenhamel-Festzeltausgeschenkt.

8. Dezember 1871 Wien * Ein Großfeuer zerstört das Wiener Ringtheater. Es kommen 384 Menschen zu Tode.

27. Dezember 1871 München-Maxvorstadt * Adolf Friedrich von Schack schließt mit dem jungen Architekten Lorenz Gedon einen Bauvertrag für die Vergrößerung seiner Galeriean der Brienner Straße.

Nach 1872 München * Das neu erwachte "Deutschland-über-alles-Selbstwertgefühl" nach dem gewonnenen Krieg von 1870/71 sowie die "Reichsgründung" haben in München schon zu Wagners Lebzeiten Vereine gründen lassen, die dieses Gefühl pflegen und hochhalten.

Und damit stehen Richard Wagners Kompositionen im Mittelpunkt des öffentlichen Musikinteresses.

Seine Musik wird konsumierbar gemacht; von der "Spieldose" bis zum "mechanischen Klavier". Neben "Volksliedern", "patriotischen Hymnen" und "Gassenhauern" spielen "Kirmes-Orgeln" auch "Wagner-Potpourris".

Und selbst in den regelmäßig stattfindenden "Bierkonzerten" erfreut sich ein "mehrere tausend Köpfe starkes

Seite 373/814 Publikum" an den von vierzig bis fünfzig Mann starken "Militärkapellen" vorgetragenen Werken von Richard Wagner. Das "Vorspiel zu Parsifal" oder Szenen aus "Rheingold" beziehungsweise der "Walküre" werden dargebracht und von den zechenden Besuchern mitgesungen.

Richard Wagner ist einfach zum "Popstar" geworden.

Vor 1872 München-Englischer Garten - Schwabing * Scheinbar haben sich die Unternehmer Leven & Sohn etwas zu Schulden kommen lassen, denn seither bezahlt ein Joseph Hermann die Pacht.

Ob aber das Antreffen von "ein Paar Frauenzimmer zweideutigen Rufes" zur Kündigung des Pachtvertrages geführt haben, ist unklar.

Jedenfalls lässt sich Joseph Hermann "die Hebung des Unternehmens sehr angelegen sein. Er richtete im ehemaligen Schlössl eine feudale Restauration ein und suchte dem Publikum möglichst viel zu bieten. Da war ein Raubtierhaus, auf einem Hügel ein Bärenzwinger, ein Affenhaus, Singvögelhäuser, ein wildverwachsner Wasserfall [...]. Die Münchner kamen gern heraus und ließen sich's wohl sein. [...] Auch für artistische Darbietungen sorgte der Pächter und ließ Seiltänzer wie Blondin und Miss Victoria auftreten. Und besonders schön und beliebt war's an Sommerabenden, wenn im Zoologischen ein wenig getanzt wurde".

1872 München-Englischer Garten - Schwabing * Der "Zoo" am Westrand des "Englischen Gartens" schließt endgültig seine Pforten.

Der Münchner "Textilgroßkaufmann" und "Königlich Spanische Konsul" Michael Rosipal kauft das "Maillot-Schlösschen" um 70.000 Gulden und macht es zur "Villa Rosipal". Er nutzt es rein für private Zwecke und übergibt es seinen Sohn Carl Rosipal.

Januar 1872 München * Prinz Otto von Bayern wird von mehreren Ärzten untersucht und ein ärztliches Gutachten erstellt.

Die Ärzte prognostizieren, dass eine Heilung möglich wäre, wenn der Patient von München entfernt und einer konsequenten Behandlung zugeführt werden würde.

Man vermutet allerdings "Syphilis" und keine "Schizophrenie". Außerdem gibt man dem Prinzen nur noch eine Lebenserwarten von einem halben bis maximal zwei Jahren.

21. Februar 1872 München-Englischer Garten - Tivoli *Ein Großbrand vernichtet die Kunstmühle Tivoli von K. Kurlaender & Comp.. Da die Gesellschaft gut versichert war, ist man eher "aufgebrannt" statt abgebrannt.

Seite 374/814 25. Februar 1872 München-Graggenau - Schloss Nymphenburg * Prinz Otto wird - gegen seinen Willen - auf Anordnung seines Bruders König Ludwig II. aus der Residenzentfernt und nach Schloss Nymphenburggebracht, wo er im südlichen Pavillon isoliertwird.

8. April 1872 München-Angerviertel * Zunächst wird die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernim Schulhaus im Rosenthal untergebracht.

22. April 1872 Bayreuth * Was in München nicht gelingt, glückt in Bayreuth. Der Grundstein für das "Festspielhaus auf dem Grünen Hügel" wird gelegt. Doch schnell steht das Projekt vor dem Ruin.

Da schreibt König Ludwig II.: "Nein! Nein und wieder nein! So soll es nicht enden; es muß geholfen werden" und schickt 100.000 Mark nach Bayreuth. Wagner bedankt sich bei seinem königlichen Gönner mit den Worten: "Oh, mein huldvoller König! Blicken Sie nur auf alle deutschen Fürsten, so erkennen Sie, daß nur Sie es sind, auf welchen der deutsche Geist noch hoffend blickt!"

Nachdem die ersten Festspiele mit Schulden in Höhe von 148.000 Mark enden, greift der König wiederholt in die Tasche und unterstützt den Musiker, obwohl er dem "Meister" schon zuvor 25.000 Mark zur Fertigstellung seiner "Villa Wahnfried" überlassen hat.

Die Großzügigkeit Ludwigs II. gegenüber dem von ihm vergötterten Musiker ist grenzenlos. Mit insgesamt 562.914 Mark greift Ludwig II. dem Komponisten unter die Arme, um die Vollendung des "Rings des Nibelungen", der "Meistersinger" und des "Parsifal" zu sichern und ihm auch weiterhin einen luxuriösen Lebensstil zu ermöglichen.

Aus Ludwigs Sicht ist das Geld gut investiert, denn: "Die Töne Ihrer Werke sind meine Lebensluft, ich kann sie nicht entbehren" schreibt der Monarch an den "Meister".

29. September 1872 München-Theresienwiese - München-Au * Bis 1872 wird auf der Wiesndas sogenannte Sommerbierausgeschenkt. Nachdem der Sommer dieses Jahres sehr heiß gewesen ist, gingen dem Leistbräudie Vorräte an Lagerbieraus. Michael Schottenhamel will auf dem Oktoberfestjedoch kein Winterbierausschenken, weshalb er Sedlmayr?s Märzenbierzum Ausschank bringt.

Der Bierpreis liegt mit 12 Kreuzern 3 Kreuzer über dem üblichen Preis, was den Polizeipräsidentenwegen zu erwartender Bierkrawalleschlecht schlafen lässt. Michael Schottenhamel meint dazu nur: "Wann d?Münchner was richtig?s kriag?n, na schaug?n sie?s Geld net o!"Und tatsächlich, das neue Münchner Bier findet einen derartigen positiven Anklang, dass bald alle Brauereien ein Märzenbierentwickeln.

29. September 1872

Seite 375/814 München-Theresienwiese * Michael August Schichtl und seine Brüder bringen aus Frankreich einen neuen Trick mit: "Die Enthauptung einer lebenden Person auf hell erleuchteter Bühne."

14. Oktober 1872 München-Maxvorstadt * Die Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernhat im Gebäude des Damenstiftsan der Ludwigstraße ihre neue Unterkunft gefunden. Die Lehramtsaspirantinnenmüssen eine höhere Erziehungs- und Unterrichtsanstaltbesuchen und anschließend eine zweijährige Fachausbildung durchlaufen, werden aber nicht in den gleichen Fächern ausgebildet wie die Männer.

Behörden und Lehrer sehen die Frau in der Schule - zwar als einen hübschen, aber dennoch - als Ärgernis erregenden Fremdkörper an. Kritiker betonen, dass der Körper der Lehrerinnen "den Anstrengungen des Schulberufs weniger gewachsen ist als der der Männer.Wir Deutsche aber, die dem konzentrischen Drucke aller Völker Europas ausgesetzt sind, können die Verweiblichung am allerwenigsten brauchen.Wir können uns in unserer Stellung nur halten aufgrund jener harten Männertugenden, die das schönste Erbteil des deutschen Volkes sind."

Die Lehrerinnenwerden von ihrem männlichen Kollegen verteufelt, obwohl ihr Lohn sowieso schon geringer als der ihrer männlichen Kollegen ist. Außerdem haben die meisten weiblichen Lehrkräfte keine feste Anstellung und kommen über die untersten Stufen der Hierarchie nicht hinaus. Hinzu kommt noch ein strenges Zölibat, ein Heiratsverbot. Das verordnete Eheverbot für die Lehrerinnenist ein wirksames Mittel, die Quote der weiblichen Lehrkräfte niedrig zu halten.

Die Unvereinbarkeit zwischen Ehe und Lehrberufwird begründet und verteidigt.So kommt der Bayerische Landtagzur Erkenntnis, dass das Eheverbot "einem dem Interesse der Schule schädlichen Widerstreit zwischen den Pflichten einer Frau als Lehrerin und als Ehefrau" zuvorkomme.

November 1872 Dresden - Hamburg - Wien * Der "Magistrat" schickt seinen "Stadtbaurat" Arnold Zenetti nach Dresden, Elberfeld, Hamburg, Berlin und Wien zur Besichtigung und Prüfung der dort verkehrenden "Pferdestraßenbahnen".

In seinem Gutachten befürwortet Zenetti den Bau einer zweigleisigen "Münchner Pferdetrambahn", die auch die Altstadt durchziehen soll. Allerdings nur dort, wo die Straßen eine Mindestbreite von fünf Metern aufweisen.

4. Dezember 1872 Werneck * Friedrich Bürklein stirbt - gebrochen durch den Tod seines ältesten Sohns vor Sedan - in der Heilanstalt Werneckin Unterfranken.

1873 München * Der 19-jährigegeschäftstüchtige Jungunternehmer Joseph Schülein kommt nach München und wird Teilhaber der Firma "Julius Schülein & Söhne".

Seite 376/814 Ab 1873 München * Dritte "Cholera-Epidemie" bricht in München aus.

Sie führt zur Umsetzung der von Professor Max von Pettenkofer vorgeschlagenen hygienischen Maßnahmen der Stadtsanierung:

den Bau der "Schwemmkanalisation", einer "zentralen Wasserversorgung" und dem zentralen "Schlacht- und Viehhof".

Damit wird München, als eine der schmutzigsten Städte die "sauberste Stadt Europas".

Um 1873 München-Ludwigsvorstadt * In München tritt der Steyrer Hans zuerst in der "Westendhalle" in der Sonnenstraße auf.

Mit dem Mittelfinger kann er bereits einen 375 Pfund schweren Steinbrocken heben.

Um einen weiteren Anreiz fürs Publikum zu schaffen, setzt er eine hohe Belohnung für denjenigen aus, der es ihm nachmacht. Das bringt mehr Spannung und sorgt für reihenweise ruinierte Bandscheiben.

Hans Steyrer reichert seine Vorstellungen mit immer effektvolleren Vorführungen zu einer kompletten "Kraftshow" an. Dabei zerbricht er unter anderem zwischen seinen gewaltigen "Pratzen" Hufeisen.

Schnell sprach sich sein besonderes Talent herum und erregt dadurch überall Aufsehen, wird bald einem breiteren Publikum bekannt und erhält in der Folge Engagements in Wien, Berlin und Hamburg.

Januar 1873 München * Der wirtschaftliche Erfolg von Michael Zechmeisters"Pferde-Omnibus-Linie"überzeugt den"Magistrat", weshalb er sich für den Aufbau einer"schienengebundenen Pferdestraßenbahn"ausspricht.

Und das, obwohl sich der gleiche"Magistrat"noch anno 1868 gegen die Zulassung einer"Pferdetrambahn"durch die Altstadt ausgesprochen hatte.

Lediglich eine"Zirkelbahn"- vom Hauptbahnhof über den Sendlinger-Tor-Platz zur Isar und zwei Stichlinien nach Nymphenburg und Schwabing - genehmigendie"Stadtväter". Die Bedingung ist aber die Hinterlegung von 100.000 Gulden,"da man mit Aktiengesellschaften bisher schlechte Erfahrungen gemacht habe".

Doch dann dauert es bis zum Februar 1874, bis sich die"Kgl. Polizeidirektion"als genehmigende Aufsichtsbehörde äußert.

Um den 15. August 1873

Seite 377/814 München * König Ludwig II. äußert sich über Ottos Gesundheitszustand: "Mein Bruder kann nie regieren".

17. September 1873 München-Graggenau * Der letzte Weißbiersud wird im Königlichen Hofbräuhauseingebraut.

20. September 1873 München-Graggenau * Das erste Schneider-Weißbierwird im Haus an der Maderbräugasse 4, wo sich das Sudhausbefindet, gebraut. Das war genau drei Tage nachdem der letzte Weißbiersudim Königlichen Hofbräuhauseingebraut worden war.

November 1873 München-Maxvorstadt * Carl von Lindes erste "Kompressions-Kältemaschine" kommt in der "Spatenbrauerei" an der Marssstraße zum Einsatz.

Die 4 Tonnen schwere Eis-Maschine wird mit "Methyläther" betrieben.

Spätestens als eines nachts die Pumpe explodiert, war die ungünstige Wahl des Kältemittels bewiesen.

Ab 9. November 1873 München * Die dritte Cholera-Epidemiebricht zwischen 9. und 15. November in München aus. Sie wütet am Schlimmsten bis April 1874 und wird bis 1875 andauern. Obwohl die Seuche diesmal vergleichsweise glimpflich abläuft, werden dennoch etwa 1.400 Münchner an der Cholerasterben.

Sie führt zur Umsetzung der von Professor Max von Pettenkofer vorgeschlagenen hygienischen Maßnahmen der Stadtsanierung:

den Bau der Schwemmkanalisation, einer zentralen Wasserversorgungund dem zentralen Schlacht- und Viehhof.

Damit wird München, als eine der schmutzigsten Städte die "sauberste Stadt Europas".

25. Dezember 1873 München-Au * Karl Fey, der älteste Bruder von Valentin Ludwig (Karl Valentin), kommt zur Welt.

1874 München-Untergiesing - München-Isarvorstadt * Obwohl der ehemalige "Werksteg" an der Stelle der heutigen "Wittelsbacherbrücke" aus Statikgründen nur von Fußgängern benutzt werden darf, wird auf der Brücke - verbotenerweise, aber verständlich - geritten, gefahren und das Vieh getrieben.

Doch nicht nur deshalb muss ein Überweg gebaut werden, der den Anforderungen angepasst ist.

Seite 378/814 Für Giesing ist eine Verkehrsanbindung dringendst erforderlich, weshalb mit dem Bau einer eisernen Fachwerkskonstruktion begonnen wird.

1874 München * Carl von Linde baut bei der Münchner "Spatenbrauerei"die zweite, mit "Ammoniak" betriebene "Kältemaschine", die alle Erwartungen erfüllt.

Damit wird der Brauprozess berechenbarer und die Kosten kalkulierbarer.

1874 München * Eduard Theodor Grützner heiratet die um sieben Jahre jüngere Barbara Link.

Sie bringt zwei Jahre später die gemeinsame Tochter Barbara zur Welt, die in verschiedenen Akten auch mit dem Kosenamen "Babette" eingetragen wird.

21. Januar 1874 Schloss Linderhof * König Ludwig II. ordnet den Abbruch des Königshäuschenim Graswangtal an. DasSchloss Linderhofentsteht damit in seiner endgültigen Form.

Februar 1874 München * Die "Kgl. Polizeidirektion" als genehmigende Aufsichtsbehörde lehnt die "Pferdeeisenbahnlinie" aus "verkehrstechnischen Gründen" ab,

da sich in der Innenstadt "eine große Zahl von Industriellen niedergelassen habe, denen Tag für Tag große Quantitäten Waren auf umfangreichen Transportmitteln zugeführt werden, da ferner die Straßenkörper noch zu speziellen Verrichtungen, wie Holzmachen, Entleerung von Abortgruben, Beladen von Möbelwagen, ununterbrochen in Anspruch genommen werden müssen".

Doch die Idee für eine "Münchner Pferdeeisenbahnlinie" war dennochnicht mehr auszulöschen.

Um August 1874 Bogenhausen * Durch das Fehlen der Isarbrücke bei Bogenhausen geht die Zahl der Münchner Ausflügler stark zurück.

Die Gemeinde Bogenhausen finanziert deshalb den Bau einer Eisenbrücke selbst.

1875 München-Au * Josef Sedlmayer übergibt die "Brauerei zum Franziskaner (Leistbräu)"an seinen Sohn, den "Commerzienrat" Gabriel Sedlmayer.

Seite 379/814 1875 München-Maxvorstadt * Der "Rentier" Schäfer lässt ein Haus mit 15 Zimmern an der Brienner Straße 43 für sich und seine Frau Elise sowie zwei weiblichen und drei männlichen Dienstboten erbauen.

1875 München-Ludwigsvorstadt * 100 Hektoliter Wasser werden vom "Taubenberg" nach München gebracht und beim "Spatenbräu" ein Probesud angesetzt.

Das gebraute Bier entspricht den Vorstellungen und den Qualitätsanforderungen der Brauer und der Verbraucher.

1875 München * Die "städtischen Brunnwerke" speisen 60 öffentliche Brunnen und 2.203 Häuser.

Auf die "Hofbrunnwerke" fallen neun öffentliche Brunnen und 960 Häuser.

Das Rohrsystem ist 120 Kilometer lang. Davon entfallen 80 Kilometer auf die Stadt und 40 Kilometer auf den "Hof".

Von den 7.382 Anwesen der Stadt sind 4,219, also 57 Prozent, ohne laufendes Wasser.

1875 München * Wichtige Verkehrsregeln treten in Kraft.

Das Rechtsfahren von Pferdefuhrwerken wird eingeführt; das Zerkleinern vonBrennholzin weniger als vier Meter breiten Straßen wird verboten.

Um 1875 München-Angerviertel *Coletta Möritz arbeitet als "Wassermadl" und "Krüglputzerin", später als "Kellnerin" beim "Sterneckerbräu" im Tal.

3. Mai 1875 München * Die "Polizeidirektion" erlässt eine neue "Bezirks- und Distriktseinteilung", mit der Aufzählung sämtlicher Straßen, die zu dem jeweiligen Bezirk gehören.

Alle bisherigen "Gassen" heißen seitdem "Straße". Nur die "Preysinggasse" wird vergessen und dafür im Jahr darauf zur Straße.

Inzwischen ist aus der "Preysingstraße" die "Viscardigasse" geworden.

Andere "Straßen" nennt man später wieder in "Gasse" um. Es sind dies die "Dürnbräugasse", die "Albertgasse" und die "Filserbräugasse".

Seite 380/814 9. Juni 1875 Würzburg - München * Prinz Otto muss seine Reise in die Beneluxländer, Skandinavien und Russland wegen auftretender starker Wahnideen abbrechen. Zwei Tage nach Reiseantritt trifft er schon wieder in München ein.

22. August 1875 München * Bayernprinz Ottos letzter öffentlicher Auftritt gemeinsam mit seinem Bruder König Ludwig II. bei der Königsparadeauf dem Münchner Marsfeld.

September 1875 München-Haidhausen - Avilla du Buia * Der Münchner Akademieprofessor Josef Knabl, "Lehrer für christliche Plastik", formt die "Madonna della Saluta".

Anschließend wird sie in einem Ofen des Haidhauser "Ziegeleibesitzers" Anton Graßl gebrannt, danach mit einem Pferdefuhrwerk nach Avilla di Buia bei Udine gebracht, farbig gefasst und auf dem dortigen Hochaltar aufgestellt.

25. November 1875 Barmen * Das Theaterin Barmen wird ein Raub der Flammen.

1876 München-Kreuzviertel *Die "Bruderschaft zur Verehrung der hl. fünf Wunden unseres Herrn Jesu Christi" wird in die "Bürgersaalkirche" verlegt.

1876 München-Graggenau * Adolph Brougier steigt in das Unternehmen seines Freundes Emil Wilhelm mit ein.

Die Firma heißt jetzt "Franz Kathreiner?s Nachfolger".

1876 München-Haidhausen * Erst jetzt erhält der im Neurenaissance-Stil errichtete "Braunauer Bahnhof" den Namen "Ostbahnhof".

26. März 1876 München - Brüssel * "Bürgermeister" Alois von Erhardt schließt mit dem aus Brüssel stammenden "Industriellen" Edouard Otlet - vorbehaltlich der Genehmigung durch die beiden "Ratskollegien" - einen Vorvertrag ab. Dieser sieht eine "Konzession" auf dreißig Jahre vor.

Edouard Otlet, der bereits zuvor in Prag und Wiesbaden erfolgreich "Pferdebahnen" aufgebaut hat, verpflichtet sich, auch in München ein weit gespanntes Linienkreuz zu errichten.

Die "West-Ost-Achse" soll vom "Nymphenburger Schlosspark" über Neuhausen zum Stachus führen und sich dort verzweigen.

Seite 381/814 Ein Nebenast soll über den "Lenbachplatz" zum "Promenadeplatz" und den dort gelegenen Hotels und Geschäften führen. Der Hauptast soll - die Altstadt umfahrend - über die Sonnenstraße den Sendlinger-Tor-Platz erreichen und von dort über den Gärtnerplatz zur Isarbrücke, weiter durch die Rosenheimer- und Weißenburger Straße und am damals noch "Haidhauser Bahnhof" genannten "Ostbahnhof" enden. Der Verlauf der "Nord-Süd-Linie" beginnt am "Großen Wirt" in Schwabing und führt weiter über die heutige Leopoldstraße zum Odeonsplatz, von dort über die Brienner Straße zum Stachus, weiter zum Bahnhofsplatz und endet am Fuße der "Theresienhöhe". Mit dieser Linienführung können die engen Altstadtstraßen geschickt umfahren werden.

Außerdem soll die "Pferdetram" in einem zehnminütigen Abstand verkehren und Otlets Gesellschaft - für die Benutzung des städtischen Straßengrundes ein Prozent der Bruttoeinnahmen an die Stadtgemeinde abführen.

13. August 1876 Bayreuth * Richard Wagner eröffnet - im Beisein des deutschen sowie des brasilianischen Kaisers und des württembergischen Königs - sein Festspielhausin Bayreuth. Bayerns König Ludwig II. befindet sich nicht unter den Gästen, obwohl er zuvor dem Komponisten beim Bau des Theaters großzügigst unter die Arme gegriffen hatte.

21. August 1876 München-Au * Max Fey, der zweitälteste Bruder von Valentin Ludwig, wird geboren.

25. August 1876 München-Ludwigsvorstadt - München-Au * Am 31. Geburtstag König Ludwigs II. wird die Wittelsbacherbrückeder Öffentlichkeit übergeben. Die eiserne Brücke stammt von der Münchner Tochtergesellschaft der Cramer-Klett'schen Eisenwerke Nürnberg, der Süddeutschen Brückenbaugesellschaft.

Einen besonderen Aufwand betreibt man mit den zwei Brückenportalen, die reich ausgestattet waren.Den bisherigen Holzsteg reißt man kurz vor Fertigstellung der Brücke ab. Zweifellos ist eine leistungsfähige Brücke für Untergiesing überlebensnotwendig, da hier bisher nur sehr wenig funktioniert hat: kein Bahnhof, kein Schlachthof, dafür aber der städtebaulich stark behindernde Bahndamm.

Eine Brücke ist Untergiesings letzte Chance, denn nur durch sie ist mit einer großflächigen Ansiedlung von Industriebetrieben und Unternehmen zu rechnen, nur durch sie entstehen neue Impulse für die Entwicklung des Stadtviertels, nur durch den neuen Isarübergang kann der Wohlstand der Bewohner gefördert werden und nur durch ihn kann bei der Vorstadt-Bevölkerung "Bildung und bürgerlicher Freisinn" zunehmen.

22. Oktober 1876 München * Im Bericht denMünchner Neuesten Nachrichtenheißt es:"Auf dem Promenadeplatz hatte sich eine speziell geladene Gesellschaft eingefunden. Es rollten sieben mit sehr hübschen, muthigen Pferden bespannte elegante Waggons heran.Signalpfeifen der sechs in blauer Uniform gekleideten Condukteurs ertönten und die Fahrt begann. In ca. 20 Minuten hatte der Zug sein Ziel, die Endstation Burgfrieden an der Nymphenburgerstraße, erreicht".

Trotz anfänglicher Probleme wird das neue Verkehrsmittel von den Münchner äußerst positiv angenommen. Edouard Otlets Unternehmen schaffte für München 49 "geschlossene Waggons mit zwei offenen Plattformen an

Seite 382/814 jeder Seite" an. Gebremst wird das Gefährt vom Wagenführerper Fuß mit einer einfachen Hebelbremse. Als jedoch bei einer Probefahrt ein Wagen auf dem abschüssigen Rosenheimer Bergbeim Gasteignicht zum Stehen kommt, sondern einfach weiter rutscht, wird die Fertigungsfirma zum Einbau einer Spindelbremseverpflichtet.

Die weiß-blau gestrichenen Trambahnwagensind mit bequem gepolsterten Sitzen ausgestattet. Für Kinder ist in den Waggons eigens eine Messlatte angebracht, da sie bei einer Körpergröße unter einem Meter - in Begleitung eines Erwachsenen - kostenlos mitfahren konnten. Haltestellengibt es zwar, aber jeder steigt ein und aus, wo es ihm passt. Eine Münchner Zeitung berichtet:

"Ein weiterer Übelstand ist das leider viel zu wenig kontrollierte Absteigen. Es wird vielen Mitfahrenden geradezu angst und bange, wenn jemand Anstalten zum Absteigen macht. Ohne große Ausnahme geschieht dies immer in entgegengesetzter Fahrtrichtung, und ... bums, da liegen sie im Kot."

1877 München-Graggenau * Um eine Durchfahrt durch das "Alte Rathaus" für die Trambahn zu schaffen, wird die breite Treppe und der "Pranger des Stadtgerichts" beseitigt.

1877 München * Der "Faber-Bräu" und die "Eberlbrauerei" verschmelzen endgültig zur "Eberl-Faber-Aktiengesellschaft".

1877 München - München-Obergiesing * Mit der Sammlung von Unterschriften beantragt man beim Magistrat die "Einführung der Leichenverbrennung".

Dieser befürwortetden Antrag, da sich für die rasant wachsende Großstadt mit der Feuerbestattung das Problem der "Grabplatz-Knappheit" lösen würde.

1877 München-Au - München-Haidhausen * Die Insassen des "St.-Nicolai-Spitals der Unheilbaren" am Kolumbusplatz können nach Haidhausen, ins "Krankenhaus Rechts der Isar", umziehen.

Nach der Verlegung werden die Gebäude auf Abbruch versteigert.

1877 München-Au * In den Jahren zwischen 1872 und 1877 produzieren die "Braugrafen" Butler-Haimhausen in der "Singlspielerbrauerei" jährlich zwischen 20.000 und 25.000 Scheffel Malz Bier.

Um den Oktober 1877 Berlin * Das von Graham Bell entwickelte ein elektromagnetisches Telefon kommt nach Deutschland und - da es hier nicht patentrechtlich geschützt war - von Firmen wie "Siemens & Halske" nachgebaut wird.

Werner von Siemens erkennt frühzeitig die Bedeutung des "Telephons" und verbessert die "Bell?schen Apparate"

Seite 383/814 erneut. Damit beginnt der Siegeszug des "Telephons".

1878 München-Kreuzviertel * Das "Gasteiger-Brunnhaus" nördlich des "Neuhauser Tores" wird aufgelassen.

An seiner Stelle entsteht ab 1896 das "Künstlerhaus".

1878 Gotha * In Gotha entsteht Deutschlands erste "Leichenverbrennungsanlage".

Der Münchner Magistrat befragt daraufhin die drei "Religionsgemeinschaften" über Einwände gegen die "Feuerbestattung".

Während die "Israelitische Kultusgemeinde" keinerlei Einwand sieht und das "protestantische Stadtpfarramt" Änderungen des Ritus für unnötig erachtet, lehnt das "katholische Stadtpfarramt" die "Leichenverbrennung" kategorisch ab.

Fürsprecher findet diese Bestattungsform bei den Sozialdemokraten. Sie fordern eine allgemeine Einführung der "Feuerbestattung" als einzige Möglichkeit, Chancengleichheit zu gewähren, da mit der "Leichenverbrennung" endlich die "Klassenbegräbnisse" hinfällig werden würden.

1878 München-Obergiesing * Die "Heilig-Kreuz-Kirche" besitzt zwei bemerkenswerte Nebenaltäre: den "Marienaltar" und den "Josephsaltar".

Das Programm des "Marienaltars" wird im Rahmen einer Altarstiftung zum Tode des Papstes Pius IX. festgelegt. Es geht hierbei um den Kampf der katholischen Kirche um Macht und Einfluss im Verhältnis zu den Staaten und zur eigenen Anhängerschaft.

1878 Berg am Laim - München-Haidhausen - Bogenhausen * Da die "padroni" jenseits der Alpen bei den "Akkordanten" komplette Arbeitstrupps anheuern, stellen sie anfangs auch keine Geräte zur Verfügung.

Das bedeutet, dass die Italiener Schaufeln und Hacken schleppen und selbst Schubkarren und anderes Gerät über die Alpen schieben müssen.

An ihrem Arbeitsplatz in München angelangt, liegt ihnen ausschließlich daran, durch möglichst viel Arbeit möglichst viel Geld zu verdienen. Durch das Bezahlen von "Akkordlöhnen" entziehen sich die Italiener den Kontrollen, die man zur überwachung der gesetzlichen Vorgaben eingeführt hat.

Frauen und Kinder übernehmen die körperlich weniger schweren Tätigkeiten. Manchmal bilden Familien ein Team, mit dem "stampadore" an der Spitze. Frau und Kinder haben ihm zuzuarbeiten und je besser die einzelnen Arbeitsschritte koordiniert sind, desto

Seite 384/814 besser ist auch das Gesamtergebnis.

Schon zehnjährige Buben verdingen sich als Handlanger. Die "mulis" stehen an der untersten Stelle der Hierarchie, haben den Mund zu halten und müssen einfach funktionieren.

Zwar sieht die "Reichsgewerbsordnung" aus dem Jahr 1878 Bestimmungen zum "Arbeitsschutz für Kinder und Frauen" vor, so eine "Beschränkung der Arbeitszeit" sowie das "Verbot von körperlich schwerer Arbeit". Doch die Verordnung wird in der Praxis unterlaufen und die Strafen sind so lächerlich niedrig, dass sie wirkungslos bleiben.

Wenn kontrolliert wird, dann, so ein resignierter Fabrikinspektor, "[...] braucht sich der Jugendliche nur neben der [Arbeits-]Bank auf den Boden zu setzen, um Jedermann ad oculos zu demonstrieren, daß er seine Ruhepause in echt italienischer Weise feiert".

1878 München * Der "Münchner Velociped-Klub" führt in den kommenden Jahren immer wieder Rennen in den "Isarauen" durch, hat allerdings das Problem, dass sie tagsüber verboten sind und die Obrigkeit nichts davon erfahren darf.

So auch anno 1878, als die Fahrer in der vorletzten Runde "von der bewaffneten Macht, die von der Veranstaltung Wind bekommen hatte, mit donnerndem Halt zum Absitzen gezwungen wurden".

Der Attraktivität des neuen Sports schadeten diese Maßnahmen in keinster Weise. Auch wenn die Rennen wegen der Verbote in die frühen Morgen- oder späten Abendstunden verlegt werden mussten, war das Publikumsinteresse am "Reiten auf den Velocipeden" riesengroß.

Schon deshalb erlebt die Stadt seither ständig neue radsportliche Höhepunkte. Die ehrgeizigen Münchner "Velo-Clubs" verfügen immer über die besten und schnellsten Rennbahnen.

Ab dem Jahr 1878 München-Haidhausen - München-Au * In der Zeit von 1878 bis 1880 wird das Streckennetz des "Stadtomnibuses" auch auf Haidhausen und zum "Mariahilfplatz" ausgeweitet.

Die Betriebszeit ist "von 7:30 Uhr morgens bis 7:30 Uhr abends".

Die klassische "Linie 1" verkehrt alle sechs Minuten, die anderen Linien in einem zeitlichen Abstand von zwölf Minuten. Der "Fahrpreis" ist inzwischen auf zehn Pfennige festgelegt worden.

1878 Berlin * In einer "Reichspolizeiverordnung" wird festgelegt, dass jeder Vortrag in einem "Tingeltangel" polizeilich genehmigt werden muss, dass diese Genehmigung nur für ein bestimmtes Lokal gilt und dass die Erlaubnis zudem zurückgezogen werden kann.

Außerdem wird die Aufführung von Dramen, Lustspielen, Possen, Opern, Operetten, Sing- und Liederspielen,

Seite 385/814 Tänzen und Balletts als unzulässig erklärt. Nur Gesangs- und Deklamationsstücke mit einer Besetzung von höchstens zwei Personen sind erlaubt.

Die vortragenden Personen dürfen aber nur in bürgerlicher Kleidung (Gesellschaftsanzug) auf der Bühne erscheinen. Alle Vorträge im Kostüm sind verboten. Als Ausnahme wird der Auftritt im "wirklichen Nationalkostüm" (Tracht) genehmigt.

Auch Kulissen, Vorhänge und jede Art von Requisiten werden von der Bühne verbannt.

Außerdem durften die vorgetragenen Gesangs- und Deklamationsstücke in Inhalt und Vortragsweise nicht gegen die Religion, die Sittlichkeit, die staatlichen Einrichtungen, den öffentlichen Anstand und die öffentliche Ordnung verstoßen.

Die Vorträge dürfen frühestens um 18 Uhr beginnen und müssen spätestens um 23 Uhr beendet sein.

16. März 1878 München * König Ludwig II. entmündigt seinen Bruder Prinz Otto.

Um den 18. Oktober 1878 Schloss Schleißheim * Prinz Otto wird in Schloss Schleißheimuntergebracht.

1879 Deutsches Reich * Friedrich Fabri, ein aus Franken stammender "Missionsleiter, Expansionspublizist, Kolonial- und Sozialpolitiker", veröffentlicht eine aufsehenerregende Broschüre, in der er die Frage stellte: "Bedarf Deutschland der Kolonien?".

Fabri gilt gemeinhin als "Vater der deutschen Kolonialbewegung". Er sieht in der "Überbevölkerung", der "Überproduktion" und dem "Kapitalüberschuss" die eigentlichen Ursachen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krisenerscheinungen des Kaiserreichs.

Friedrich Fabris "Krisentherapie" besteht aus einer "Exportoffensive" an Waren, Kapital und Menschen. Durch eine "gelenkte Auswanderung" und gegebenenfalls auch der "Deportation" der Kräfte aus der sich emanzipierenden sozialistischen "Arbeiterschaft", die an ihren "systemverändernden Absichten" festhielten, könnte auch die "Soziale Frage" nach "Übersee" exportiert werden.

Friedrich Fabri stilisierte damit die "Frage nach deutschen Kolonien" zu einer deutschen "Überlebensfrage" hoch.

1879 München-Angerviertel * Zwölf hauptamtliche "Feuerwehrmänner", ein "Telegraphist" und ein "Oberfeuerwehrmann" beziehen das "Hauptfeuerhaus" am Heumarkt 13, dem heutigen Jakobsplatz.

Ziel und Zweck der "hauptamtlichen Wache" ist: "Bei jedem im Burgfrieden der Stadt München ausbrechenden Brande in möglichster Schnelligkeit nach der Brandstätte zu eilen, und ein dortselbst ausgebrochenes Schadenfeuer wo möglich im Entstehen zu

Seite 386/814 unterdrücken, oder wenn dies nicht mehr möglich ist, zu versuchen, dasselbe so lange zu beschränken, bis die Abteilungen der freiwilligen oder der städtischen Feuerwehr zur Hilfe auf der Brandstätte erschienen sind".

1879 München-Untergiesing * Im "Münchner Fremdenblatt" sind - 25 Jahre nach der Eingemeindung - über Giesing folgende Zeilen zu lesen:

"(...) Viel berechtigter wäre der Ausspruch: "Die neue Wittelsbacherbrücke sei über die Isar gebaut, um bei ihrem prächtigen Anblick zu vergessen, welche Enttäuschung folgt, wenn man sie überschritten hat und sich einer Vorstadt nähert.

Da wir einmal auf dem Wege sind, wollen wir uns auf dem Schyrenplatz, so genannt zum Andenken der Wittelsbacher Ahnen, weiter wagen; denn es ist Schönwetter und die Police der Unfallversicherung in unserer Tasche.

Die Stadt hat aufgehört und liegt hinter uns - das Dorf beginnt, und zwar ein schmutziges Dorf. Lassen wir den Tummelplatz des Rieser und niederbayerischen Federviehs (den Weideplatz der Martinsvögel, die jedoch hier zu jeder Zeit vertilgt werden, wenn sie nur 'gansln'), links liegen und haben wir die blauweiße Tafel passiert, auf der geschrieben steht "Gänsemarkt", so kommen wir rechts vor dem Eingang in das eigentliche Giesing, an eine eigentümliche Fallgrube.

Auf unser Befragen hin wurde uns mitgeteilt, das sie die Universalabtrittsgrube der Adjazenten [= Anwohner] weit herum bilde, die in ihren Häusern des allernötigsten Rückzugsortes entbehren, der für alle zivilisierten Völker der notwendigste ist. Gleich neben der Kommunegrube arbeitet die Wasserversorgungsanstalt, welche die Vorstadt mit filtriertem (?) Isarwasser beglückt.

Und wieder nur einen Schritt weiter kommen wir an eine Pfütze, an ein Stinkwasser, das von Zeit zu Zeit ein ärgeres Parfüm ausströmt, als alle Böcke von Bar el Maserim - und wahrhaftig diese stinken arg. Giesing hat eine Gemeinschaft mit allen orientalischen Städten, nämlich: man soll sie von weitem anschauen, aber nicht hineingehen. [...]

Links ein eingeplankter Garten, rechts Holzhütten, in deren Vergleich die Troglodyten [= Höhlenbewohner] noch besser logiert haben, schließen eine Straße ein, zu deren Herstellung respektive Erweiterung schon längst hätte energisch vorgegangen werden müssen - wenn eben Giesing kein Stiefkind der Stadt wäre.

Einstimmig muß man von den Giesingern hören: "Wir sind nur gut genug, Steuern und Abgaben zu bezahlen, im übrigen schert sich kein Mensch um uns". [...]

In dem ganzen zur Stadt gehörigen Giesing ist mit Ausnahme der Tegernseer Landstraße kein Trottoir; bei jedem Regen stehen die Tümpel in den Straßen, die nach längerer Zeit die Luft verpesten und die Gesundheit schädigen.

Während in den übrigen Vorstädten die Nacht hindurch die bestimmten Gaslaternen noch Licht haben, ist diese Wohltat für die Giesinger nicht gegeben; um 1 Uhr nachts sind alle Lichter gelöscht - um diese Zeit hat eben der Giesinger nichts mehr auf der Straße zu suchen!"

Seite 387/814 1879 Wiesbaden * Carl von Linde gibt seine akademische Laufbahn auf und gründet in Wiesbaden die "Gesellschaft für Lindes Eismaschinen AG".

1879 München-Maxvorstadt * Der Brunnenim "Münchner Glaspalast" am "Alten Botanischen Garten" wird abgebaut und im Bauhof eingelagert.

1879 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Nach einem Bericht des "Münchener Gewerkschaftsvereins" liegen die Einschreibegebühren für die privaten Arbeitsvermittler zwischen 50 Pfennigen und einer Mark.

Nach der Vermittlung eines Arbeitsplatzes ist eine entsprechende Gebühr fällig, die sich nach dem zu erwartenden Lohn ausrichtet. Sie beträgt, bei einem Monatsverdienst von 10 bis 50 Mark, die Hälfte bis zu einem doppelten Monatslohn.

Die Vermittlungsgebühr zahlt zuerst der Arbeitgeber, der sie dann zumeist dem Arbeitnehmer vom Lohn abzieht.

Die Einrichtung von zentralen städtischen oder staatlichen Arbeitsvermittlungen ist ein besonderes Anliegen der Gewerkschaften, deren Einsatz die Münchner Stadtverwaltung zu einem fortschrittlichen Handeln bewegen wird.

1879 München * Droht ihm ein Bewerber beim "Steinheben" den Rang abzulaufen, lässt der "Steyrer Hans" einen schwereren Steinbrocken anfertigen.

Mit 508 Pfund erreicht er seinen ersten Höhepunkt, den er wenig später um weitere zwanzig Pfund überbietet. Eine Steigerung ist dann allerdings nicht mehr drin.

Den schweren Brocken am Mittelfinger der rechten Hand hängend, verschafft er der linken schließlich noch ein wenig Beschäftigung zum Ausgleich: Mit ihr hält er gleichzeitig eine 100 Pfund schwere Eisenkugel mit gestreckter Hand in der Waagerechten.

8. April 1879 München * Der Münchner "Volkssänger" Georg Schwarz wird zu sechs Mark Strafe verurteilt.

Er hatbei Abendauftritten am 27. November 1878 im "Fraunhofergarten" und am 4. Dezember 1878 im "Braunauerhof" Bärte, Perücken, Zylinder und "andere Versatzstücke" benutzt.

September 1879 München-Theresienwiese * Von 1879 bis 1903 bewirtschaftet der Steyrer Hans eine "Braubude" auf dem "Oktoberfest".

Zuerst betreibt er eine "Festbude" der "Pschorr-Brauerei", um dann in den 1890er Jahren das "Kraftbier" der

Seite 388/814 Spatenbrauerei zu verzapfen. Dazu pachtet er gemeinsam mit seinem Schwager, dem Gastwirt Wilhelm Schäffer, zwei nebeneinanderliegende Budenplätze und errichtet darauf eine "Doppelbude".

Eine "Athleten-Kapelle" spielt zur Unterhaltung auf. "Kraftbier", "Kraftfleisch", "Kraftsemmeln" und eine "Kraftbrühe" werden angeboten.

Hier zeigt er auch sein viel bewundertes "Athleten-Kunststück". Der "Steyrer" packt ein mit dreißig bis vierzig Litern Bier gefülltes Fass mit zwei Fingern am Rand und hebt es vom Boden auf den Schanktisch.

Der "Steyrer Hans" versteht es außerordentlich gut, für sich und seine Geschäfte zu werben und so seine Popularität zu steigern. Er will in seiner "Festbude" seine schwergewichtigen Requisiten, darunter seine "Schnupftabakdose", ausstellen. Als ihm der "Magistrat" dazu die Erlaubnis verweigert, drückt er sein Bedauern in Anzeigen aus, nicht jedoch ohne darauf hinzuweisen, dass das Publikum das interessante Schauerlebnis jederzeit im Saal seines Gasthauses nachholen könne.

1880 München-Au * Mit einem Bierausstoß von 360.000 Hektolitern liegt die "Franziskaner-Brauerei" an dritter Stelle in München.

Acht Dampfmaschinen erzeugen eine Leistung von 800 PS.

Fünf Kälteerzeugungsmaschinen ersetzen täglich 4.000 Zentner Eis und diesen zur Kühlung der Lagerkeller.

1880 München-Haidhausen* Der "Zengerbräu" wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und gleichzeitig in "Aktienbrauerei Bürgerliches Bräuhaus München" umbenannt.

Anno 1880 München-Au - München-Haidhausen * Die Balanstraße erhält ihren Namen erst, nachdem sich einige Anwohner des ursprünglich "Irrenweg? genannten Verkehrswegs gegen diese seit dem Jahr 1867 gültige amtliche Bezeichnung wenden.

Die neue Straßenbezeichnung leitet sich von der am 1. September 1870 tobenden Schlacht des nahe Sedan gelegenen Balan ab. An sie knüpfen sich "ruhmreiche Erinnerungen für die bayerische Armee, in Sonderheit für die Münchner Regimenter".

1880 München-Maxvorstadt * Der "Bildhauer" Anton Heß lässt sich durch den Architekten Leonhard Romeis neben seinem "Atelierbau" ein villenartiges Wohnhaus im Stil der "deutschen Renaissance" errichten.

Der Bildhauer will ein Wohnhaus, in dem er seine über Jahrzehnte angesammelten Antiquitäten, vornehmlich aus der Renaissancezeit, als Wohngegenstände gebrauchen kann. Leonhard Romeis muss deshalb "von innen nach außen" planen.

Seite 389/814 Fußböden, Holzdecken und Wandvertäfelungen bilden die Vorgaben, nach deren Abmessungen sich die Zimmergrößen der einzelnen Räume zu richten haben. Aus den Maßen der Zimmereinrichtung ergibt sich die Zimmergröße und -höhe, aus der Zimmergröße der Grundriss und erst daraus kann er die Gestaltung der Fassade entwickeln.

Architekt Romeis hat also zum einen die Aufgabe, fünf komplette Zimmer mit Wandvertäfelung und zum Teil auch Erker und Sitznische sowie verschiedene Decken in einen Bau zu integrieren, als auch gleichzeitig fehlende Teile im Stil der historischen Teile zu entwerfen, um eine einheitliche Wirkung des ganzen Hauses zu erzielen.

Anton Heß verzichtet in einigen Bereichen auf Komfort und zieht unpraktische Möbel, wie kurze, gotische Betten, oder zum Teil niedrigere Türen einem Wohnen in zeitgenössischem Mobiliar vor. Der Bildhauer sammelt die Gegenstände also zur wirklichen Benutzung und strebt keine "Stilreinheit" an.

So kombiniert er in seinem Haus Südtiroler Stuben aus Kurtatsch und Montan aus dem Jahr 1576 mit Türen und einem Treppengeländer aus Münchner Bürgerhäusern, Portal- und Türverkleidungen aus Kloster Seeon, um 1620, und Plafonds aus Ulm.

1880 München-Au * Ein anonymes Finanzkonsortium erwirbt die "Singlspielerbrauerei" und betreibt sie unter dem Namen "Münchner-Kindl-Aktiengesellschaft" weiter.

Die neue Leitung der Aktiengesellschaft vermehrt den Immobilienbesitz an der Rosenheimer Straße beachtlich. Der Bierausstoß kommt nicht über den einer mittleren Brauerei hinaus.

Um das Jahr 1880 München-Haidhausen * Sigmund Feuchtwanger, Lion Feuchtwangers Vater, gründet eine "Kunstbutterfabrik" [= Margarine] in der Grillparzerstraße in Haidhausen.

Seit um den 3. Februar 1880 Schloss Fürstenried * Das Schloss Fürstenriedwird für die Unterbringung des Wittelsbacher-Prinzen Otto saniert und umgebaut. Die Arbeiten dauern bis zum Jahr 1883.

13. März 1880 München * Die Unterbringung des Prinzen Otto in "Schloss Fürstenried" wird offiziell beschlossen.

Ottos Vermögensverwaltung erwirbt das Schloss um 126.915 Mark. Damit ist "Schloss Fürstenried" Ottos Privateigentum.

"Schloss Fürstenried"wird der ständige Aufenthaltsort des Prinzen Otto von Bayern bis zu dessen Tod.

Um September 1880 München-Theresienwiese * Auf dem "Oktoberfest" sind jährlich 6 bis 8 "Fischbrater" vertreten.

Hauptsächlich werden einheimische "Renken" aus dem Starnberger See, "Weißfische", "Nasen" und "Braxen"

Seite 390/814 gebraten danach verkauft.

Der "Brathering" verschwindet am Ende des 19. Jahrhunderts aus dem Speisenangebot. Dafür werden "Fischbratereien und -bäckereien" mit verschiedenen Fischsorten erwähnt.

Auch "Krebssiedereien" bieten ihre Waren an.

18. November 1880 München-Au * Das Anwesen Nockhergartenkommt in den Alleinbesitz von Franz Xaver Schmederer. Es umfasst 3,614 Tagwerk.

Ab dem Jahr 1881 München-Graggenau - München-Haidhausen * Das "Sud-, Gär- und Kühlhaus" sowie das Verwaltungsgebäude des "Hofbräuhauses" werden an den neuen Standort in der Inneren-Wiener-Straße verlegt.

1881 München-Haidhausen * Die mittlerweile in eine "Aktiengesellschaft" umgewandelte "Brauerei zur Schwaige" in Haidhausen wird von einem "Brauer" Geyer erworben.

1881 München-Angerviertel * Die "Löwenhauserbrauerei" in der Sendlinger Straße wird in "Gambrinusbrauerei" umbenannt.

1881 München-Au * Johann Bucher gründet seine gleichnamige "Drahtfabrik" in der Zeppelinstraße in der Au.

1881 München-Au * Baumeister N. Debold errichtet für die Brauerei "Zum Münchner Kindl" ein "Restaurationsgebäude" an der Rosenheimer Straße.

Januar 1881 München - Berlin * Die Münchner Presse verbreitet das Gerücht, dass Graf von Schack seine "Galerie" der "Stadt Berlin" oder der "Preußischen Nationalgalerie" übereignen will.

Schack stellt daraufhin klar, dass er, so lange er lebt, mit seiner Sammlung in München zu bleiben gedenke.

21. Mai 1881 München-Hackenviertel * "Das Aquarium" am Färbergraben wird eröffnet.Der Eintrittspreis beträgt 1 Mark.

Die namensgebende Attraktion - das Aquarium - befindet sich im Keller des Anwesens.Dort gibt es in einer

Seite 391/814 Tropfsteinhöhle eine "Tauchergrotte" und 30 offene oder verglaste Süß- und Salzwassergrottenzum bestaunen.In den Becken tummeln sich - neben einheimischen Fischen und diversemMeeresgetier - auch Seehunde, Haie und zwei Nilkrokodile. Im Erdgeschoss sind Affen, ein junger Bär, Schlangen, Eidechsen und eine Anzahl exotischer Vögel ausgestellt. Der erste Stock beherbergt eine umfangreiche Kunstsammlung, die ein Sammelsurium von Gegenständen beinhalten:Chinesische Skulpturen, historische Waffen, ausgestopfte Tiere, Spieluhren und moderne mechanische und elektrische Automaten; darunter auch einige lebensgroße mechanische Wachspuppen. Ein sogenanntes Lachkabinett, bestehend aus verschiedenen Vexierspiegeln, sorgt für zusätzliches Vergnügen. Im zweiten Stock befindet sich "Ein wunderbar perspektivisches Gemälde von Neapel mit dem Vesuv" sowie 19 verschiedene Wachsfigurengruppenund eine Sammlung von Totenmasken. Im als Steingrotteeingerichteten Innenhof des Anwesens können die Besucher im Gartenlokal "Alhambra" - wenn sie wollen - "noch ein Stündchen im trauten Gespräch beim Glase Spatenbier das Gesehene am Geistesauge vorbeiziehen lassen".

Dort oder in einem Konzert- bzw. Vorstellungssaal finden darüber hinaus regelmäßig diverse Sonderdarbietungen statt:Tiere und Menschen werden zur Schau gestellt, aber auch Automaten.

25. September 1881 München-Theresienwiese * Der MetzgermeisterJohann Rössler kommt mit einem selbst entworfenen Apparat aufs Oktoberfest. In einem Plakat beschreibt er die neue Attraktion:

"Auf der Theresienwiese. Seltene Volksbelustigung!Das Braten eines ganzen Ochsen.

Sonntag, den 25, September 1881 wird ein ganzer Ochse auf einer eigens dazu construirten Maschine am Spiess gebraten.Anfang der Zubereitung Früh 8 Uhr. Beginn des Bratens 9 Uhr.Das Garsein wird auf Abends halb 5 Uhr festgesetzt und wird durch drei Böllerschüsse bekannt gegeben.Preis per Portion 50 Pfg. Entrée 50 Pfg.Von 2 Uhr an Musik-Produktion.Ausschank von gutem, alten Hacker-Bier.Die Maschine steht von Montag, den 26. September an gegen Entrée von 10 Pfg. ausgestellt,Wozu ergebenst einladen die Unternehmer J. Rössler & A. Schibanek."

Die Ochsenbratereiwird in den Polizeiberichten als "Schaustellung" und nicht als gastronomischer Betriebgeführt.

7. Oktober 1881 München-Angerviertel * Joseph und Ida Schülein beziehen ihre Wohnung Am Einlaß 4.

1882 Bogenhausen * Joseph Selmayr junior wird mit 32 Jahren "Bürgermeister" von Bogenhausen.

Der "Eingemeindungsbürgermeister" bringt es noch zum "Landrat von Oberbayern" und zum"Königlichen Kommerzienrat".

1882 München-Isarvorstadt * Im Haus in der Reichenbachstraße 13, in dem sich heute die "Deutsche Eiche" befindet, ist ein Gastwirtschaft untergebracht.

Seite 392/814 Der Name "Deutsche Eiche" entstand nach der "Reichsgründung" 1870/71 und sollte "Nationalstolz sowie Recht und Ordnung" demonstrieren.

1882 München-Graggenau * Für die evangelischen Schulkinder des Münchner Ostens ist die protestantische "Schule an der Herrnstraße" zuständig.

Lediglich den Kindern des ersten und des zweiten Schuljahres ist es wegen der Länge und Gefährlichkeit des Schulweges gestattet, die entsprechenden Klassen in einer katholischen Schule zu besuchen.

Von diesem Entgegenkommen machen jedoch nur wenige Schüler Gebrauch, da die Mehrzahl der Eltern befürchtet, ihre Kinder würden von dem "katholischen Geist dieser Klassen" negativ beeinflusst werden und nehmen deshalb lieber den Weg in die Stadt in Kauf.

1. Mai 1882 München-Untergiesing * Mit der Gründung des Vereins kann das "Marianum" Mieträume im sogenannten "Eichthal-Schlößchen" an der Pilgersheimerstraße beziehen und dort eine "gesunde, Licht und Luft reichlich bietende Heimat" finden.

Die "Frauen von Maria-Stern" aus Augsburg übernehmen das "Marianum". Die Klosterfrauen leiten die Anstalt und betreuen die Bewohnerinnen.

Das Ziel des Vereins "Marianum für Arbeiterinnen e.V." ist, den "Mädchen sittlichen Halt und Schutz zu bieten und sie in allen weiblichen Handarbeiten zu unterrichten, teils um sie tüchtig auszurüsten für den hauslichen Beruf, teils um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, als Arbeiterinnen sich selbst zu ernähren". Letzteres gilt besonders für die körperlich behinderten Heimbewohnerinnen.

16. Mai 1882 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner gibt den Abriss der beiden Wiesinger-Gebäude in der Praterstraße 7 und 8 bekannt.

27. Oktober 1882 München-Au * Max Fey, Karl Valentins Bruder,stirbt im Alter von 6 Jahren an der Diphtherie.

24. November 1882 München-Au * Karl Fey, der älteste Bruder von Karl Valentin,stirbt im Alter von 8 Jahren ebenfalls an der Diphtherie.

1883 Dresden * Carl Gabriel heiratet in Dresden Margarete Meisel, deren Vater ein "anatomisch-ethnologisch-naturhistorisches Museum und Panoptikum" betreibt.

Seite 393/814 Mit dieser Schau reist das neuvermählte Paar mehrere Jahre durch Europa.

1883 München * In München kämpfen neben dem "Münchner-Velociped-Club" noch zwei weitere "Fahrradvereine" um die Gunst des Publikums: der "Münchner Bicyle Club" und "Bavaria".

Sie brauchen jetzt selbstverständlich auch eine Bahn und so wird am "Heumarkt" an der Kapuzinerstraße eine 400 Meter lange Strecke eröffnet, die sich allerdings als unzweckmäßig erweist.

Daher entsteht kurze Zeit später auf der "Theresienwiese" eine neue Bahn - mit einem eingebauten Hügel als Hindernis -, die auf dem "Oktoberfest" mit den "Wiesenrennen" eine zusätzliche Attraktion bietet.

1883 München * Die "Wasserversorgung aus dem Mangfalltal" bringt reines, gesundes Wasser nach München.

1883 München-Graggenau * Im dritten Stock der "Residenzpost" wird das "Umschaltbüro" für die "Fernsprechvermittlungsanlage" untergebracht.

Dazu wird auf dem Dach der "Hauptabspannständer" aufgestellt.

1883 München-Englischer Garten - Schwabing * Das "Seehaus" am "Kleinhesseloher See" wird von Gabriel von Seidl als Bootshaus errichtet.

Später nimmt es das "See-Restaurant Kleinhesselohe" auf.

1883 München * Das Fahrrad ist ein Luxusartikel. Es kostet um die fünfhundert Mark.

Das "Rad fahren" ist ein Modesport und ein Privileg wohlhabender bürgerlicher Kreise, "die darin ein Mittel sahen, sich gegen die 'niederen Schichten'des Volkes abzusetzen".

Durch steigende Produktionszahlen und Rationalisierung in der Herstellungstechnik sinken die Preise und das Fahrrad wurde zum Gebrauchsgegenstand.

Obwohl "die Arbeiterschaft im Allgemeinen (...) eine ausgesprochene Abneigung diesem neuen Verkehrsmittel gegenüber an den Tag legte - sie betrachtete das Radfahren als einen Sport für Bourgeoisjünglinge" - wird das Fahrrad für sie nun zum Gebauchsgegenstand, mit dem sie den täglichen Arbeitsweg wesentlich schneller bewältigen können.

1883 München-Untergiesing * Die "Kunstmühle Bavaria AG" baut die "Giesinger Kunstmühle" zur zweitgrößten Mühle

Seite 394/814 Münchens und der größten "Mahlmühle" östlich der Isar um.

Nur die "Tivoli-Mühle" am "Englischen Garten" ist auf Münchner Gebiet noch größer. Damit gilt die Mühle als "Handelsmühle". Zuvor war sie jahrhundertelang eine sogenannte "Bachmühe".

15. Februar 1883 Stettin * Karl Albrecht Fritz Gerlich wird in Stettin in Pommern geboren und streng im "calvinistischen Glauben" erzogen.

1. Mai 1883 Deutsch-Südwestafrika * Der 22 Jahre alte "Kaufmannsgehilfe" Heinrich Vogelsang erwirbt im Auftrag des Bremer "Tabakhändlers" Adolf Lüderitz die "Bucht von Angra Pequena", die heutige "Lüderitzbucht" in "Deutsch-Südwestafrika", und ein zirka 40 "Meilen" langes und 20 "Meilen" tiefes Landstück, um darauf einen "Handelsposten" zu errichten.

Das Land gehörte bis dahin dem "Volk der Nama" in Bethanien. Vogelsangs Verhandlungspartner war Josef Frederiks II..

Der vereinbarte Kaufpreis für das circa 70 mal 35 Kilometer große Gebiet beträgt 250 alte Gewehre und 100 englische Pfund. Adolf Lüderitz hoffte auf dem - allgemein als wertlos angesehenen - Land, das sich um die Bucht herum erstreckte, "Bodenschätze" zu finden.

Nach dem Vertragsabschluss wird dem Verkäufer jedoch erklärt, dass es sich nicht um "englische Meilen" [= 1,609 Kilometer], sondern selbstverständlich um "preußische Meilen" zu 7,532 Kilometer handelte. Josef Frederik II. hatte damit einen Großteil seines Stammesgebietes von rund 300 mal 150 Kilometer an Heinrich Vogelsang verkauft. Adolf Lüderitz beanspruchtfortan ein um das sechszehnfache größeres Gebiet.

Die "Nama" fühlten sich von den Deutschen zurecht getäuscht, konnten sich aber trotz ihrer Proteste nicht durchsetzen. Dieser Handel ging als "Meilenschwindel" in die Geschichte ein.

1. Mai 1883 München * Die Münchner "Telefonanlage" wird ihrer Bestimmung übergeben. Sie umfasst inzwischen 145 Teilnehmer.

Die große Nachfrage führte anfangs noch zu Engpässen; später entwickelt sich das Telefonnetz kontinuierlich weiter.

2. Mai 1883 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner lässt sich am "Praterbergl", in der heutigen Grütznerstraße 1 und schon damals in unmittelbarer Nähe zum "Maximilianeum" gelegen, eine Villa durch den renommierten "Architekten" Leonhard Romeis erbauen.

Das ist zwei Jahre bevor sich Franz von Lenbach durch Gabriel von Seidl sein "Palais" errichten lässt.

Seite 395/814 Nun erhält er von der "Lokalbaukommission" die allgemein vorgeschriebene "Wohnbewilligung" erteilt, die eine ausreichende Wohnqualität sicherstellen soll, was bei diesem "Bauherrn" freilich nur eine Formalie darstellt.

November 1883 München-Lehel * Ein Artikel in den "Münchner Neuesten Nachrichten" befasst sich mit der "Bedeutung des Isarquaies für München". Der Verfasser betont darin die städtebaulich "unvergleichlich günstige Lage des Mariannenplatzes", der sogar als Bauplatz für den "Justizpalast" in Erwägung gezogen worden ist.

Der evangelischen Kirchenverwaltung erscheint der Bauplatz als sehr teuer, weshalb sie noch das Gelände der "I. Kraft- und Arbeitsmaschinen-Ausstellung" am Isartorplatz ins Gespräch bringt. Die "Lokalbaukommission" schlägt ihrerseits noch Standorte auf der "südlichen" beziehungsweise "nördlichen Kohleninsel" vor. Schließlich einigt man sich doch auf den Mariannenplatz als Standort für die "Lukaskirche".

Das Gotteshaus sollte eigentlich die protestantische Kirche für den Münchner Osten werden, doch bereits 1889 wurde am Preysingplatz in Haidhausen die "Johanneskirche" als evangelische "Notkirche" erbaut. Nun haben die Protestanten auch "ihren Sammelpunkt jenseits der Isar". Doch das war bestimmt kein Zufall, denn der Architekt beider Kirchen ist Albert Schmidt, der gleichzeitig - heute kaum vorstellbar - den acht Mitgliedern der "protestantischen Kirchenverwaltung" in München angehörte.

"Der soziale Status der protestantischen Gemeindemitglieder lag deutlich über dem Durchschnitt. Viele gehörten der geistigen und finanziellen Oberschicht an", weshalb die Gruppierung sehr selbstbewusst auftrat, was im fundamental katholischen Bayern ganz bestimmt auch nötig war [und ist?].

1884 Berlin - Deutsches Reich * Die "Reichsregierung" beginnt mit der Ausstellung von "Schutzbriefen", um die bislang als private Besitztümer geltenden, hauptsächlich in Afrika gelegenen Landstriche offiziell als "deutsche Kolonien" anzuerkennen und unter die "Verwaltung des Deutschen Reiches" zu stellen.

1884 München * In der Münchner Presse erscheint die nachstehende Nachricht:

"Dem die Maximilianstraße in München entlang prominierenden Publico bot sich gestern, Sonntag mittag um 12 Uhr, ein ebenso viel Entrüstung als Ärgernis erregendes Bild dar.

Auf einem doppelsitzigen Veloziped bewegte sich ein Pärchen in rascher Fahrt durch die Straßen. Das Pärchen bestand aus einem Mannsbilde und einer - Donna, letztere in einem geblümten leinenen Rock, durch den die stampfenden, das Vehikel in Bewegung setzenden Beine sich jedem, so er darauf erpicht war, leicht präsentierten. Ohne Scham, stolz wie eine Amazone, ließ die holde Donna sich männiglich mustern, ihre Fahrt ungeniert fortsetzend.

Wir fragen nun:

Ist dies die neueste Art von Velozipedsport?

Seite 396/814 Darf auf solche Art dem öffentlichen Sittlichkeitsgefühl ungestraft ein Faustschlag ins Gesicht versetzt werden? Endlich: Wo bleibt die Polizei, die hier ein erfolgreiches Feld für ihre Tätigkeit finden dürfte?"•

Die beschriebene Dame ist die Ehefrau von Josef Stanigel, des Inhabers der "Ersten Münchner Velozipedfabrik"•, in der ab dem Jahr 1883 Fahrräder gekauft werden konnten. Gemeinsam mit seiner Frau unternimmt Josef Stanigel "Propaganda- und Reklamefahrten"• durch München und zu den umliegenden Bierkellern.

Er trägt dabei einen karierten Anzug, sie eine Pumphose und eine Jacke mit weiten Ärmeln. "Ja schamts eich denn net, so Maschkera z'gehn?"•, werden die Radler beschimpft.

Für die "damische Radlerin"• gibt es noch stärkere Sprüche: "A so a ausgschaamte Person, de soll doch bei de Kinder dahoam bleibn! Vom Radl sollt ma's obehau'n!"•

28. März 1884 Berlin * Die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaftwird gegründet, um eine deutsche Ackerbau- und Handelskolonienin Übersee zu errichten. Die deutsche Reichsregierungsteht dem Projekt von Anfang an ablehnend gegenüber. Reichskanzler Otto vonBismarck spricht über das, was Peters der Regierung vorlegtabschätzig: "ein Stück Papier mit Neger-Kreuzen drunter".

Nachdem aber Carl Peters damit drohte, das Land an König Leopold von Belgien zu geben, lenkt Bismarck ein und lässt einen kaiserlichen Schutzbrieffür die Erwerbungen der Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaftausstellen. Damit ist der Grundstein für die spätere Kolonie Deutsch-Ostafrikagelegt.

24. April 1884 Berlin * "Reichskanzler" Otto von Bismarck telegraphiert an den deutschen Konsul in Kapstadt, dass "Lüderitzland" unter dem "Schutz des Deutschen Reiches" steht.

Damit ist Adolf Lüderitz am Ziel seiner Wünsche.

29. Juli 1884 Graggenau * Der umgestaltete Fischbrunnenwird wieder in Betrieb genommen.

September 1884 Theresienwiese * Nachdem auf der "Theresienwiese" neben der obligatorischen "Pferde-Rennbahn" eine zusätzliche Spur für "Rad-Rennfahrer" angelegt worden ist, gewinnt Heinrich Roth acht Jahre hintereinander das große "Oktoberfest-Rennen".

Und jedes Mal gratuliert ihm bei der Preisverleihung der "Prinzregent" und schüttelt ihm die Hand. Nach dem sechsten Sieg sagt der bayerische Monarch: "Geh, Roth, lassen's halt aa amal de andern gwinna". Darauf erwidert der "Rennfahrer" nur: "De braucha bloß schnella fahrn!"

Seite 397/814 Ab 15. November 1884 Berlin * Im Reichskanzler-Palaisin Berlin, dem ehemaligen Hôtel Radziwill,findet unter dem Vorsitz von Otto von Bismarck eine internationale Konferenz, bei der es um Lösungen von Konflikten geht, die im Zusammenhang mit dem Wettlauf um Afrikastehen.

Dreizehn europäische Staaten, die USA und das Osmanische Reichbeteiligen sich an der sogenannten Kongo-Konferenz. Es geht dabei um die Festlegung von Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolonialbesitz. Immerhin waren in etwas mehr als zwei Jahrzehnten über zehn Millionen Quadratmeilen afrikanischen Bodens und mindestens einhundert Millionen Afrikaner unter europäische Herrschaft gelangt.

Um die Besetzung der restlichen Gebiete und der abschließenden Abgrenzung der Besitzstände geht es auf dieser Konferenz. Das Ergebnis sind die wie mit dem Lineal gezogene Demarkationslinien, wobei die Grenzen oft quer durch die Lebensräume einheimischer Ethnienverlaufen.

Afrika wird als herrenloses Landdefiniert, das nunmehr als Kronlandund Eigentum europäischer Staaten an Kolonialgesellschaften, Konzessionäreund Siedlervergeben werden kann.Damit folgt die schrittweise Verdrängung der Eingeborenenaus ihren Wohn- und Lebensgebieten bis hin zur Eingrenzung in Reservate.

Zu dieser Konferenzist kein einziger afrikanischer Vertreter eingeladen worden und die Souveränitätsrechte der betroffenen Staaten werden schlicht ignoriert.Wozu auch, es geht doch den europäischen Mächten um so hehre Ziele wie den Zivilisationsauftragund die Verbesserung der "sittlichen und materiellen Wohlfahrt der eingeborenen Völkerschaften".

Die Kongo-Konferenzendet mit der Verabschiedung einer Generalakteam 26. Februar 1885.

1885 Europa * Die Zahl der bekannten Theaterbrände seit 1800 wird mit "mehr als 500" angegeben.

Um 1885 München * Toni Aron malt "Die schöne Coletta" im Auftrag der "Löwenbräu AG".

12. Mai 1885 München-Graggenau * Die letzte Separatvorstellungim Hof- und Nationaltheaterfür König Ludwig II.. Es ist die 209..

König Ludwig II. hält sich letztmals in München auf.

29. August 1885 München * FinanzministerEmil von Riedel muss feststellen, dass König Ludwig II. inzwischen weitere sechs Millionen Mark Schulden aufgehäuft hat. Damit ist der Schuldenstand des Königs auf die wenig märchenhafteSumme von fast 14 Millionen Mark angewachsen.

Johann von Lutz, der Vorsitzende des bayerischen Ministerratsstellt daraufhin - devot zwar im Ton, aber unmissverständlich in der Aussage - die Forderung nach Sanierung des königlichen Haushaltes. Er meintdamit

Seite 398/814 konkret die Unterbrechung des Schlösserbaus. Da aber König Ludwig II. keinerlei Verständnis für die Vorschläge zeigt, muss- auch in Hinblick auf den Ansehensverlust der Monarchie- etwas geschehen.

Man hatzwar in Bayern das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratieeingeführt und zusätzlich verschärft, aber dennoch das unaufhaltsame Anwachsen der Arbeiterbewegungnicht verhindern können.

September 1885 München-Theresienwiese * Das "Oktoberfest" wird mit 16 elektrischen Bogenlampen beleuchtet.

Acht davon brennen die ganze Nacht.

29. September 1885 München-Kreuzviertel * Die Sitzungsperiodedes Bayerischen Landtagsbeginnt.

Nachdem ReichskanzlerOtto von Bismarck die Übernahme der Schulden von König Ludwig II. durch den Landtagvorgeschlagen hat, entwickelt sich bei den Abgeordneten der Patriotenparteieine für den König sehr ungünstige Stimmung. Pläne zur Erhöhung der Zivilliste, um König Ludwig II. - unter strengen Auflagen - die Abzahlung seiner Schulden zu ermöglichen, werden zwar diskutiert, aber nicht weiter verfolgt.

Bei den Konservativenbesteht keine Neigung für eine Finanzhilfe. "Wir halten fest zu unserem angestammten Fürstenhause, zu unserem Könige, aber was auch kommen möge, wir werden auch die Interessen des Volkes hoch halten, Wünschen gegenüber, die mit dem Volkswohl nicht im Einklang stehen". Eine Diskussion des Themas im Landtagwird sogar als gefährlich bezeichnet, "denn die Stimmung im Lande sei der Art, daß jede Discussion die Aufregung bis zum Überlaufen steigern und Dinge ans Licht bringen könne, über die man sich entsetzen würde".

31. Dezember 1885 München * Der Pro-Kopf-Bier-Verbrauch liegt in München bei 465 Liter.

1886 München-Haidhausen * Die Haidhauser "Aktienbrauerei zu Schwaige" erwirbt den "Gambrinusbräu", der auf die 1551 gegründete "Löwenhauserbrauerei" zurückgeht.

Zugleich wird die Haidhauser Brauerei in "Gambrinusbrauerei" umbenannt.

1886 München * Die "katholische Kirche" droht ihren Mitgliedern mit der "Exkommunikation", wenn sie ihre Leiche verbrennen lassen oder in einen entsprechenden Verein eintreten würden.

1886 München-Au * Die "Pschorrbrauerei" erwirbt die ehemalige Wirtschaft des Johann Georg Messerer.

Seite 399/814 1886 München-Au * Die Firma "Gebrüder Schmederer" wird eine Aktiengesellschaft.

1886 München - München-Untergiesing * William Frederick Cody, besser bekannt unter seinem Pseudonym "Buffalo Bill", hält sich mit seiner "Wildwest-Schau" in München auf.

Die Münchner sind begeistert von den "tollkühnen Zugstücken", worunter man die Reiterkünste bei einem nachgespielten Überfall auf einen Eisenbahnzug versteht. In der Schau treten neben der "ritterlich schönen Erscheinung" Buffalo Bills noch "nordamerikanische Indianer" und "mexikanische Baqueros" auf.

Die Zuschauer schwärmen von den "Künsten der Naturreiter" und ihren "wahrhaft schönen und sicheren Sitz und ihrer prächtigen Haltung" und vom Anblick der Indianer, "deren nackte, ebenmäßige Glieder so bunt bemalt sind, als trügen die braunen Herrschaften grellfarbene Tricots".

Beim Rennen gegen "Buffalo Bill" treten "die besten Hochradfahrer Europas" an: der in Haidhausen wohnende Heinrich Roth und der aus dem "Westend" stammende Josef Fischer. Ausgetragen wird das ungleiche "Rennen zwischen Roß und Stahlroß" auf der "500-Meter-Radrennbahn" am "Schyrenplatz".

Die Rennstrecke haben die Konkurrenten zuvor auf fünfzig Kilometer festgelegt. Auf der mit Sand aufgefüllten Innenbahn spornt "Buffalo Bill" seine extra aus Amerika mitgebrachten Pferde an. Auf der Außenbahn mit den "überhöhten Kurven", die hohe Geschwindigkeit zulassen, strampelten sich die "Radrennfahrer" ab.

Und so verläuft das Rennen: "Die Radfahrbahn kann die Masse der Zuschauer nicht fassen. (...) Buffalo Bill jagt sein erstes Pferd fünf Runden in halsbrecherischem Tempo neben den Radfahrern. Dann - den Zuschauern bleibt der Atem weg - voltigiert er in vollem Galopp auf das zweite Pferd.

Dieser kühne Wechsel wiederholt sich mehrere Male. Buffalo Bills Helfer treibt mit einem Peitschenschlag das nächste Pferd an die Seite des dahinstürmenden Reiters - ein kraftvoller Schwung, Oberst Cody sitzt im Sattel des frischen Tieres. Rücksichtslos bearbeiten die talergroßen Sporen die Flanken des keuchenden Pferdes, dem blutiger Schaum vom Mund flockt.

Die Radfahrer fallen zurück, aber sie geben nicht auf. Als Buffalo Bill auf sein letztes Pferd wechselt, sind sie bereits wieder in Führung.

Der schnelle Hengst, den der Oberst sich bis zum Schluß aufgespart hat, vermag daran nichts mehr zu ändern: Heinrich Roth und Josef Fischer gehen als Sieger durchs Ziel und kassieren den unwahrscheinlich hohen Siegespreis von 1.500 Mark, der ihnen in 150 blanken 10-Mark-Stücken aus funkelndem Gold ausbezahlt wird".

20. Februar 1886 München-Sendling * Den zweiten Münchner Konsumverein, den "roten", gründen "elf biedere Metallarbeiter" im Sendlinger Maibräu. Der Sendlinger Verein macht den Auern bald harte Konkurrenz und mausert sich bis zum

Seite 400/814 Ersten Weltkrieg zur größten Konsumentenorganisation Süddeutschlands.

23. März 1886 München * Da König Ludwig II. kein Verständnis für die Forderungen nach "Sanierung des königlichen Haushalts" aufbringt und er sich auch sonst als "beratungsresistent" zeigt, beauftragt der "Bayerische Ministerpräsident" Freiherr Johann von Lutz den "Psychiater" und Leiter der "Kreisirrenanstalt von München und Oberbayern", Dr. Bernhard von Gudden, mit der Erstellung eines wissenschaftlichen Gutachtens, das die "Geisteskrankheit und Handlungsunfähigkeit" des Königs beweisen soll.

Vor der Erteilung des Auftrags muss der "Ministerpräsident" aber erst die Einwilligung des "Hauses Wittelsbach" einholen.

Und nachdem Ludwigs Bruder Otto wegen seiner "Geisteskrankheit" als Verhandlungspartner ausscheidet, wendet sich der"Regierungschef" an dessen Onkel, den Prinzen Luitpold. Dieser gibt nach langem Zögern seine Zustimmung, hätte es aber lieber gesehen, wenn sein Neffe von sich aus "abdanken" würde.

Mit "Reichskanzler" Otto von Bismarck wird über das weitere Vorgehen gegen König Ludwig II. Einvernehmen hergestellt, um jede mögliche Intervention und Missbilligung "Preußens" und des "Deutschen Reiches" auszuschließen.

1. Mai 1886 Chicago * Am "Haymarket" in Chicago kommt es zu blutigen Straßenkämpfen mit der Polizei.

In derFolge werden acht Gewerkschaftsführer verhaftet und nach einer konstruierten Anklage zum Tode verurteilt. Vier davon werden auch hingerichtet.

2. Mai 1886 Nürnberg * Der "Nürnberger Anzeiger" schreibt zur Finanzmisere König Ludwigs II. folgende Zeilen:

"[...] der Staat soll Schulden machen, um die Kalamität der Kabinettskassa zu beseitigen, wozu eine Summe von 12 bis 20 Millionen Mark - nach den verschiedenen Lesearten - nötig sein wird. Ob hierzu wirklich so leicht die Genehmigung der 2/3-Mehrheit der Landboten zu erhalten ist, wollen wir doch erst abwarten, nach unserer Meinung kann hierzu eine Volksvertretung ihre Zustimmung unmöglich geben".

Juni 1886 München - Freising * Für den Münchner Radrennsportler Heinrich Roth ergibt sich eine erste sportliche Herausfordeung, nachdem sich Mitglieder des "Freisinger Trabrennvereins" mit den "Hochrad-Fahrern" aus München messen wollen.

An einem Junimorgen steht der 17-jährige Heinrich Roth mit seinem 1,37 Meter über den Boden ragenden "Hochrad" vor dem "Großen Wirt" in Schwabing - gemeinsam mit fünf anderen "Radfahrern" - am Start zum Rennen nach Freising.

Für die dreißig Kilometer lange Strecke braucht damals

Seite 401/814 ein guter "Traber" rund zwei Stunden, die neuartige "Eisenbahn" bewältigt die Entfernung in siebzig Minuten. Der "Renn-Radler" legte die Strecke in exakt einer Stunde und vier Minuten zurück.

Heinrich Roth siegt damit nicht nur mit einer halben Stunde Vorsprung vor seinen Konkurrenten, sondern unterbietet auch noch die Fahrzeit der Eisenbahn um sechs Minuten. Die Sensation ist damit perfekt.

Doch das war erst der Anfang der Karriere des ambitionierten "Rennfahrers" und es sollte weiter steil nach oben gehen.

11. Juni 1886 Schloss Neuschwanstein - Schloss Berg * Eine kleinere, effektivere Fang-Kommissionnimmt einen neuen Anlauf.Diesmal mit mehr Erfolg.Dem König wird dieEntmündigungeröffnet. Er lässt sich festnehmen und nach Schloss Berg am Starnberger Seeüberführen.Dort kommt es in der Folge zum sogenannten Königsdrama.

Ursprünglich sollte der Ex-König Ludwig II. nach Schloss Fürstenriedgebracht werden.Man kommtvon dem Gedanken aber wieder ab, da man die Brüder nicht im selben Haus untergebracht haben will.Statt dessen werden Pfleger vom Prinzen Otto abgezogen.

14. Juni 1886 München - SchlossFürstenried * Nachfolger auf dem Thron des Märchenkönigsund damit Bayerns fünfter König wird dessen 38-jähriger, schwer geisteskranke, seit dem 16. März 1878 entmüdigte und seit März 1880 in Schloss Fürstenriedweggesperrte Bruder Otto I.. Er wird offiziell zum König proklamiert, wobei man die feierliche Ausrufung durch einen Heroldallerdings unterlässt.Pro formawerden aber die Truppen auf den neuen König Otto I. vereidigt.

Obwohl er den Königstitel seit dem Tag seiner Proklamationbis zu seinem Lebensende - am 11. Oktober 1916 - trägt, wird er in den bayerischen Geschichtsbetrachtungen kaum erwähnt.Otto ist dreißig Jahre lang bayerischer König; so lange wie kein anderer Wittelsbacher. Der um drei Jahre jüngere Bruder des Märchenkönigsist allerdings wegen "schwerer und unheilbarer geistiger Umnachtung" nicht in der Lage, die Regierungsgeschäfte wahrzunehmen.

Ein von drei unabhängigen Ärzten verfasstes und in Einstimmigkeit unterzeichnetes Gutachten "über den Geisteszustand seiner Majestät Otto I. von Bayern" kommt zu dem abschließenden Ergebnis, dass "Seine Majestät Otto I. König von Bayern in Folge langjähriger und unheilbarer Geistesstörung als verhindert an der Ausübung der Regierung zu betrachten sei, und daß diese Verhinderung mit Bestimmtheit für die ganze Lebenszeit andauern werde".

Auch der "Besondere Ausschuß der Kammer der Reichsräte" befasst sich mit dem Gesundheitszustand des fünften Bayernkönigs. Deshalb tritt Prinz Luitpold auch die Regentschaftfür König Otto I. an und damit in die in der Bayerischen Verfassungaus dem Jahr 1818 vorgesehene Regelung der Reichs-Verwesungein.

Diese istvorgesehen, "während der Minderjährigkeit des Monarchen" oder "wenn derselbe an der Ausübung der

Seite 402/814 Regierung auf längere Zeit verhindert ist, und für die Verwaltung des Reichs nicht selbst Vorsorge getroffen hat, oder treffen kann".

Der Regentunterzeichnet als "des Königreichs Baiern Verweser" oder - populär ausgedrückt - als Prinzregent.Die Bayerische Verfassungschließt also die Thronfolgetrotz der gegebenen Regierungsunfähigkeitnicht aus.

15. Juni 1886 Schloss Fürstenried * OberhofmarschallLudwig Freiherr von Malsen und GeneralSiegmund Freiherr von Pranckh besuchen den neuen König Otto I. und melden ihm den Tod seines Bruders Ludwig. II.. Otto zeigt keine Regung auf die Todes-Nachricht.

Danach wird ihm die Thronfolge- und Regentschaftsproklamationverlesen. Er freut sich offensichtlich darüber, künftig mit Majestätangesprochen zu werden. Ob er jedoch die Nachricht in Gänze begriffen hat, wird schon damals bezweifelt.

17. Juni 1886 München * In einem geheimen Protokollwird über den Gesundheitszustand des fünften bayerischen Königsdas Nachfolgende ausgeführt:"Der Zustand seiner Majestät des Königs Otto sei ein solcher, daß auch der Laie die Regierungsunfähigkeit zu bestätigen vermöge.

Das Leiden hatseinen Anfang genommen [...] wie bei Seiner Majestät König Ludwig. Zuerst seien Seine Majestät König Otto zur Führung einer längeren Conversation befähigt gewesen, jetzt könnten sich Seine Majestät gar nicht mehr artikuliert ausdrücken, wenn auch ein gewißes Verständnis und Erkennungsvermögen bestehe. Wenn Ihre Majestät die Königinmutter oder ein Curator das Schloß Fürstenried besuche, so erkennen Seine Majestät dieselben, lachen und springen davon, weil Seine Majestät außer Stande sind, zusammenhängend zu sprechen."

Und an einer anderen Stelle der gleichen Protokollnotiz steht geschrieben:"Hienach finden sich bei Seiner Majestät König Otto bald Exaltations-, bald Depressions-Zustände mit Aufregungen, lebhaften Sinnestäuschungen, zuckende Bewegungen, Wahnideen sowie Geistesschwäche vor, und ist dieser Zustand als ein unheilbarer zu erachten."

9. September 1886 Bern * Der Verband zum internationalen Schutz des Urheberrechtstagt in Bern. Die souveränen Staaten Belgien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Haiti, Italien, Schweiz, Spanien und Tunis erklären in derBerner Übereinkunft, die Rechte des Autors am eigenen Werk in den teilnehmenden Staaten schützen und vertreten zu wollen.

Um den Oktober 1886 München-Graggenau * Nach dem Tod König Ludwigs II. wird der "Königliche Wintergarten auf dem Festsaalbau der Münchner Residenz" aufgelassen.

Die Pflanzen werden nach "Schloss Nymphenburg" gebracht, das kupferne Seebecken wird verkauft.

Seite 403/814 1887 München * Dr. Bruno Schoenlanks Buch "Zur Lage der arbeitenden Klasse in Bayern" erscheint.

1887 Milbertshofen * "Die Rosenau", ein Gartenlokal in der Schleißheimer Straße 128, wird eröffnet.

Es wird besonders an den Wochenenden von Soldaten und ihren Liebschaften frequentiert.

1887 München-Haidhausen - München-Au - München-Giesing * Die protestantischen Bewohner der Vorstädte Haidhausen, Au und Giesing fordern neben der Errichtung einer "Notkirche" die Einrichtung von "evangelischen Klassen".

Es war nämlich zu dieser Zeit den evangelischen Kindern nicht erlaubt, in Haidhausen die Schule zu besuchen; sie mussten in die protestantische Schule an der Herrnstraße im Tal ausweichen.

Nur Erst- und Zweitklässlern gestattete man - wegen der Länge des Schulwegs - den Besuch der Haidhauser Schule an der Kirchenstraße. Doch die meisten protestantischen Eltern machten aus Angst vor "dem katholischen Geist dieser Klassen" keinen Gebrauch davon.

1887 München * Dr. Bruno Schoenlank, Vordenker in der "SPD", kommentiertdie Berichte der "Fabrikinspektoren" in seinem Buch "Zur Lage der arbeitenden Klasse in Bayern", das während der Zeitder "Sozialistengesetze" verboten ist, wie folgt:

"[...] Das harte Werk, der lange Arbeitstag, der in den oberbayerischen Ziegeleien, diesen Musteranstalten rücksichtslosester Ausbeutung der Arbeitskraft herrscht, ist vom Fabrikinspektor oft genug denunziert worden.

Aber was nützt es? Die Herren Ziegeleibrenner lassen sich, um den einheimischen Arbeitern die Lebenshaltung noch tiefer als sie bereits steht, herabzudrücken, beständig neue Waggonladungen italienischer Kulis von ihren Lieferanten aus dem Lande kommen, wo die Citronen und die Schmutzconkurrenz blüh?n.

So nimmt es Keinen, der die Verhältnisse selbst zu beobachten Gelegenheit gehabt, Wunder, wenn es über die Handhabung der gesetzlichen Bestimmungen betreffs der Kinderarbeit von den Ziegeleien heißt: ?In einer namhaften Zahl derartiger Anlagen, die ich im Berichtsjahr theils zum erstenmale, theils nach mehrjähriger Zwischenpause besucht habe, fanden sich nicht einmal die Arbeitsbücher und man war anscheinend entweder noch in völliger Unkenntniß der die jugendlichen Arbeiter betreffenden Vorschriften, oder man hat sie mangels genügender Controle einfach außer Acht gelassen. Das behufs dieser Mißstände weiter Erforderliche ist eingeleitet?.

Mangel an Controle, weil Mangel an Aufsichtspersonal, und darum eine Gesetzesverletzung nach der anderen, begangen durch die sittenstrengen Stützen der bürgerlichen Gesellschaft, die Moral, Ehrbarkeit, Gesetzlichkeit

Seite 404/814 und Schutz nationaler Arbeit in Erbpacht haben, ferner Unkenntnis der Gesetze, d.h. derjenigen, die den Profit der Kapitalisten ein wenig zu beschneiden bestimmt sind.

O diese unschuldvollen, ahnungslosen Engel von Kapitalisten!"

1887 München * Der aus München stammende Kaufmann Heinrich Hildebrand ist in der "Zweiradbranche" tätig und gründet die sehr erfolgreiche Zeitschrift "Radfahr-Humor und Radfahr-Chronik".

Als "Chefredakteur" kann er ein beachtliches Vermögen anhäufen, das er zum größten Teil für seinen Traum eines "Motor-Zweirades" reinvestiert.

1887 München-Lehel - Praterinsel * Die "Mariannenbrücke" als Zugang zum "Café Isarlust" auf der "Feuerwerksinsel" wird gebaut.

Sie ist benannt nach Herzogin Maria Anna, der Gemahlin von Herzog Clemens, dem Bruder des letzten baierischen Wittelsbachers.

Durch ihren patriotischen Einsatz - sagt man - verhinderte sie, dass der pfalz-baierische Kurfürst Carl Theodor seine baierischen Erblande an Österreich abtrat und München dadurch seinen Staus als Residenzstadt behielt.

4. Juni 1887 Breslau * Franz von Lenbach heiratet Magdalena von Moltke in Breslau.

16. September 1887 München-Angerviertel - München-Kreuzviertel * In den Morgenstunden begehen die jüdischen Gläubigen Münchens in der alten Münchner Synagogean der Westenriederstraße den letzten Gottesdienst und überführen anschließend die Thora-Rollenin das neue israelitische Gebetshaus. Dort angekommen legen sie den Schlussstein der Kirche, der eine Kapsel mit einer Urkunde über den feierlichen Akt sowie sämtliche Tageszeitungen und die in Umlauf befindlichen Münzen enthält.

Um 17 Uhr erfolgt dann - unter interessierter Beteiligung der Münchner Öffentlichkeit und der offiziellen Repräsentanten von Stadt und Staat - die feierliche Einweihung der neuen, nach dreijähriger Bauzeit fertiggestellten Münchner Haupt-Synagogean der Herzog-Max-Straße 7. Ausgestattet mit 1.000 Männer- und 800 Frauen-Betstühlen ist sie - nach der Berliner und der Breslauer Synagoge- das drittgrößte deutsche jüdische Gotteshaus und Zentrum der liberal ausgerichteten Mehrheitsgemeinde.

Die zeitgenössischen Kritiker würdigen den Bau als "ein völlig selbständiges Werk von ausgeprägter Eigenart, ein Denkmal, nicht nur des Meisters, der es geschaffen hat, sondern auch der Zeit, in der es entstand". Und das Münchner Tagblattvermerkt überschwänglich, dass das "architektonische Schmuckkästchen" München nun wieder "um eine köstliche Perle reicher geworden" ist.

1888

Seite 405/814 München-Haidhausen * Joseph Schülein kauft, gemeinsam mit seinen Brüdern Gustav und Julius sowie Josef Aischberger die verwahrloste und stillgelegte Unionsbrauereiin der Äußeren-Wiener-Straße, der heutigen Einsteinstraße.

1888 München * Meyers Konversations-Lexikonbeschreibt den "autochthonen [= einheimischen] Münchner" folgendermaßen:"Insoweit sich noch typische Figuren des echten Münchners finden, zeigt dieser sich bieder, trockenen Humors, schwerblütig und genussfreudig, aber auch bei schwerer Arbeit ausdauernd und kräftig, für das Fremde nicht leicht einzunehmen, auf seine Stadt und ihre Schönheit stolz, wenn auch mit mancher großstädtischer Neuerung nicht immer sofort einverstanden.

Im Hofbräuhaus, wo man sich selbst bedient, statt des Stuhls mit einem Fass, statt des Tellers mit einem Blatt Papier oder auch der flachen Hand begnügt, um Stand und Würden des Nachbarn unbekümmert, mit demselben rasch ein gemütliches Gespräch anknüpft, oder in den zahlreichen Lagerbierkellern [...] der Vorstädte, wo auch das schöne Geschlecht, das in München seinen Namen mit Recht führt, vertreten ist, spielen sich köstliche Volksbilder ab, deren Drastik sich steigert zur Zeit des Bocks, einer im Mai zum Ausschank gelangenden, besonders kräftigen Biersorte, oder des Salvators, der schon um Ostern im sogenannten Zacherlbräu verabreicht wird."

1888 München * Eine eigens gebildete Kommissiongeht auf Reisen, um in Frankfurt, Hannover, Bremen, Hamburg, Dresden, Leipzig, Prag und Berlin die dortigen Methoden der Müllbeseitigungzu studieren. Danach will man die Zustände in München ändern.

1888 Berg am Laim * Die Fabrik und die Verwaltungsgebäude der Firma "Franz Kathreiner?s Nachfolger" an der Mühldorfstraße 20 in Berg am Laim sind mit allen Maschinen, Aufzügen, Kraft-Anlagen und Beleuchtungen der Gebäude betriebsbereit.

1888 München-Haidhausen * Die "Gambrinusbrauerei" in der heutigen Einsteinstraße 42 in Haidhausen wirdin "Unionsbrauerei" umbenannt.

Der Brauereibesitzer Geyer hat dennoch kein glückliches Händchen, weshalb die Brauerei verwahrlost und stillgelegt werden muss.

1888 Deutsch-Ostafrika [= Tansania] * Angefangen haben die "Kolonialkriege" in den deutschen "Kolonien" bereits im Jahr 1888, als es in "Deutsch-Ostafrika", dem heutigen "Tansania", zum Aufstand der Küstenbevölkerung unter Buschri bin Salim gegen die Versuche der deutschen Inbesitznahme kam.

Der junge Offizier Hermann Wißmann wird als "Reichskommissar" nach Ostafrika geschickt, um mithilfe einer "Söldnertruppe" aus deutschen Offizieren sowie "Sudanesen" und "Zulu" den Aufstand niederzuringen. Dies geschieht dann auch mit einem beispiellosen "Terrorfeldzug".

Seite 406/814 Die Städte, in denen sich die "Aufständischen" mit ihren Familien verschanzt haben, werden von Kanonenbooten aus beschossen und zerstört. Noch lange nach der Niederschlagung des "Aufstands" werden "Säuberungsaktionen" und "Bestrafungsaktionen" durchgeführt.

1888 Vorstadt Schwabing * Ludwig Petuel nennt seine Brauerei "Salvatorbrauerei".

Ein langwieriger Kampf um den Markennamen entzündet sich.

Bis 1888 München-Obergiesing * Bis zum Abbruch der "alten" Heilig-Kreuz-Kirche steht diese und auf gleicher Höhe wie das "neue" Gotteshaus.

1. Januar 1888 Berlin * Der Deutsche Kolonialvereinund die Gesellschaft für deutsche Kolonisationschließen sich offiziell zur Deutschen Kolonialgesellschaftals Dachverband der organisierten Kolonialbewegungzusammen. Sie bringt wöchentlich die Deutsche Kolonialzeitungheraus und kann ihren Mitgliederstand von 14.838 im Dezember 1887 auf über 42.000 zu Beginn des Ersten Weltkriegs steigern.

15. Juli 1888 München - München-Haidhausen * Die Zeitschrift Die Kunst für Allemeldet:

"Professor Ed. Grützner hat sich mit der Tochter des Münchner Stadtkommandanten, Fräulein Anna Wirthmann, verlobt. Die Red. d. Bl. wünscht dem trefflichen Künstler hierzu ebensoviel Glück und Freude, als er mit seinen Bildern anderen bisher geschaffen".

Doch seine um siebzehn Jahre jüngere Frau wird den Künstler und ihren gemeinsamen Sohn, Karl Eduard, später wegen eines Wiener Sängers verlassen.

7. Dezember 1888 Großbritannien * Der BriteJohnBoydDunlop, eigentlich ein Tierarzt,erfindet den luftgefüllten Gummireifen. Angeblich hat ihn das Geschepper der Eisenräder des Dreiradesseines Sohnes so geärgert, dass er Gummiplatten zusammenklebte und mit einer Fußballpumpe aufblies.

1889 Isar * Die Isar hat sich seit der Flussregulierung der Jahre 1806 bis 1812 so eingegraben, dass das Flussbett von 44 auf 60 Meter verbreitet werden muss.

1889

Seite 407/814 Cansas City * Almon B. Strowger meldet einen sogenannten "Hebdrehwähler" zum Patent an.

Den Anstoß zur Entwicklung eines automatisierten Vermittlungssystems gibt eine Telefonistin.

Nach einer gerne erzählten Anekdote ärgerte sich der Bestattungsunternehmer Almon B. Strowger aus Cansas City über ein ihm missgesonnenes "Fräulein vom Amt". Die Bedienkraft in der Telefonvermittlung vermittelte potenzielle Kunden grundsätzlich an Konkurrenzunternehmen des Herrn Strowger.

Kein Wunder, dass der Bestattungsunternehmer alles daran setzte, einen Vermittlungsapparat zu entwickeln, der ihn von menschlichen Einwirkungen unabhängig und die ungeliebte Telefonistin überflüssig machen würde.

1889 München-Haidhausen * Die Stadt München kauft das ehemalige "Langer-Schlössl" und lässt es abreißen, um dafür ein Verwaltungsgebäude, Stallungen, Wagenhallen sowie Werkstätten für "Trambahnzwecke" zu erstellen.

In letzter Minute erkennt der "Chemiker" Adolf Keim den Wert und die Unersetzbarkeit der Wandgemälde.

Da aber die Stadt kein Geld zur Abnahme und Übertragung der Gemälde an einen geeigneteren Ort hat, finanziert Adolf Keim die Verlagerung der Fresken aus seiner eigenen Tasche. Selbst die Zusage der Landeshauptstadt München, die Finanzierung von fotografischen Aufnahmen der Fresken für Dokumentationszwecke zu übernehmen, lassen die Verantwortlichen auch wieder fallen.

So werden die Wandgemälde - privat finanziert - in die "Städtische Handelsschule an der Herrenstraße" übertragen, wo sie im Zweiten Weltkrieg endgültig zerstört werden.

1889 München* Die Brüder Heinrich und Wilhelm Hildebrand beginnen mit der Konstruktion eines"Zweirades mit Dampfmotor", nachdem Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach mit ihrem kleinen und schnell laufenden"Benzinmotor"in der 1880er Jahren die Voraussetzung für die Weiterentwicklung des"Velocipedes"zum"Motorzweirad"geschaffen hatten.

Zur Verwirklichung ihres"Dampf-Kraftrades"wenden sich die Brüder Hildebrand an zahlreiche Fahrrad- und Motorfirmen, die ihr Projekt - eine Dampfmaschine mit Kessel, Wasser- und Kohlevorrat - allerdings immer wieder ablehnen.

Wilhelm steigt schließlich aus Frust aus dem Projekt aus, doch Heinrich Hildebrand kann den Ingenieur Alois Wolfmüller gewinnen und mit ihm Zweiräder mit einem"wassergekühlten Zweizylinder- Viertaktmotor"ausstatten.

Das ist der Durchbruch.

1889 München-Maxvorstadt * Die Villa in der Kaulbachstraße 15 wird vom Architekten Gabriel von Seidl für den "Kunstmaler" Friedrich August von Kaulbach erbaut.

Seite 408/814 Herbst 1889 München-Isarvorstadt * In den Stallgewölben der "Neuen Isarkaserne" an der Zweibrückenstraße bemerkt man besorgniserregende Sprünge im Mauerwerk.

Die Fäkalien der Pferde haben das tragende Mauerwerk stark angegriffen.

20. April 1889 Braunau am Inn * , der spätere deutsche Reichskanzler, wird in Braunau am Inn in Österreich geboren.

3. Juli 1889 München-Haidhausen * Die Verwaltung der Landeshauptstadt Münchenkauft von der Münchner-Kindl-Brauereidas Anwesen des Schloßwirths, das an der Stelle des ehemaligen Langerschlößlssteht. Die Wirtschaft wird abgerissen und an seiner Stelle ein Pferdestraßenbahn-Betriebshoferrichtet. Der im Münchner Volksmund seit altersher als Depotbezeichnete Betriebshofentsteht auf einem 4.800 Quadratmeter großen Areal. Es beherbergtein

dreistöckiges Wohngebäudemit Bureaux, eine zweistöckige Etagenstallungfür 180 Pferde mit einer Rampe zum Obergeschoss, eine achtzehngleisige Wagenhallefür vierundfünfzig Trambahnwagenmit dem darüber befindlichen Hafer-, Heu- und Strohmagazinund ein zweistöckiges Werkstättengebäude mit einer Schreinereiund einer Schlossereiim Parterre sowie einer Lackierereiund einer Sattlereiim ersten Stock.

Die Wagen können mit einem Aufzug in die letztgenannten Werkstätten hochgezogen werden. Außerdem ermöglicht eine besondere Durchfahrt im Werkstättengebäudedas Ein- und Ausrücken der Trambahnwagen.

September 1889 Berlin * Das Berliner Ehepaar Gotthilf und Anna Heinze, er ein "Zuhälter", sie eine "Prostituierte", halten über mehrere Tage ein Mädchen fest, missbrauchen es sexuell und ermorden es schließlich.

Das ist der Ausgangspunkt für die Gesetzgebung für das "Kuppelei-Gesetz", die sogenannte "Lex Heinze".

1890 München-Isarvorstadt* Die "Kapuziner-Brauerei" wirbt mit "Jeden Samstag und Sonntag Auftreten einer Komiker- und Sängergesellschaft".

1890

Seite 409/814 München-Untergiesing * Die inzwischen zur "Aktiengesellschaft" umgewandelte Produktionsstätte der "Untergiesinger Lederfabrik" umfasst einen Personalbestand von 360 Arbeitern und Angestellten.

Der Fabrikbesitzer, inzwischen Julius von Eichthal, ist zu einem der wichtigsten Münchner Arbeitgeber aufgestiegen. Auf dem 8,8 Hektar großen Fabrikgelände zwischen der Pilgersheimer- und der Lohstraße werden jährlich 60.000 Rinder- und 15.000 Schweinehäute in fünfzig hölzernen "Wasserkästen", 420 "Gargruben" und diversen "Gartrommeln" verarbeitet und schließlich im Freien zum Trocknen aufgehängt.

Die Bewohner der Lohe sind dadurch ständig einer starken "Geruchsbelästigung" ausgesetzt.

Um das Jahr 1890 München * Auch wenn der Arbeitsplatz der "Telephonistin" früher als typischer Beruf für Mädchen aus gutem Hause gilt, so ist der Dienst am Klappenschrank ursprünglich eine männliche Domäne.

Denn weder die "Königlich-bayerische Post", noch die "Reichspost" wollen etwas von Frauen in ihren Reihen wissen.

So erklärt der spätere "Reichspostminister" Heinrich von Stephan, dass "keine Anstalten weniger als die Reichs-Verkehrsanstalten dazu geeignet sind, Frauen in Beschäftigung zu setzen".

Das "Briefgeheimnis" scheint bei den Damen nicht sicher und für "gehobene Stellungen" gelten Frauen sowieso als ungeeignet.

1890 München * Im Verwaltungsbericht "Über den Stand der Gemeindeangelegenheiten der königlichen Haupt- und Residenzstadt München" werden die Zweifel an den bisherigen Methoden der Abfallsammlung deutlich formuliert.

Im Abschnitt "Reinlichkeitspolizei" heißt es: "Die innerhalb eines Anwesens sich ansammelnden Abfälle, insbesondere der sogenannte Hauskehricht (Kehricht, Asche, Küchenabfälle), sind in München bisher zumeist in Gruben aufgespeichert worden, welche jährlich mindestens einmal geleert werden mußten. In diesem Kehricht befinden sich fäulniserregende Stoffe, welche die Träger von Krankheiten sein können. Dies ist für die Gesundheit umso nachtheiliger, als erfahrungsgemäß die Verschlüsse jener Gruben schlechte sind, ein oftmaliges Öffnen derselben nicht vermieden werden kann, ja dieselben häufig wegen Überfüllung überhaupt offen stehen bleiben. Die Sorge für die Gesundheit der Stadt verlangt eine rasche Entfernung dieser Stoffe [...] aus den genannten Anwesen. Desgleichen verlangt die Gesundheitspflege, daß bis zu dem Zeitpunkt ihrer Entfernung die Stoffe in gut verschließbaren Behältern aufbewahrt bleiben. Der Transport der Abfälle muß in gesicherter Weise stattfinden, sodaß weder sanitäre Gefahr entsteht, noch die Reinlichkeit verletzt wird".

1890 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Die "Gastwirtschaft zum Roten Turm" muss dem Neubau der "Ludwigsbrücke" weichen.

Seite 410/814 1890 München * Der Malzverbrauch aller Münchner Brauereien liegt bei 1.222.838 Hektoliter.

Um 1890 München-Obergiesing * Mit einem Körpergewicht von beinahe zweieinhalb Zentnern und seinem vierzig Zentimeter langem Schnurrbart war der "Steyrer Hans"eine stattliche, mitunter auch furchteinflößende Erscheinung.

Kein Wunder, dass ihm die Münchner unterstellten, er würde "Oachkatzln" schnupfen, die er in seiner zigarrenschachtelgroßen, dreiundvierzig Pfund schweren Tabakdose aus Marmor und Zinn untergebracht hätte. Dieses Ungetüm reicht der "Steyrer Hans" mit besonderem Vergnügen herum, weil sie kaum jemand halten konnte.

Verheiratet ist er mit Mathilde, der Tochter des "Schweinemetzgers" Schäffer. Sie betreiben nacheinander mehrere Gaststätten in München, so das Gasthaus "Zum bayerischen Herkules" in der Lindwurmstraße, ein weiteres in der Bayerstraße.

Dann übernehmen sie eine kleine Wirtschaft in Obergiesing, den "Tegernseer Garten", den sie ausbauen und bis zu seinem Tod als "Restaurant Steyrer Hans" bewirtschaften. Dieses Wirtshaus an der Tegernseer Landstraße 75 ist ein beliebter Treffpunkt der Athleten und "Kraftmenschen".

1890 München * Die Stadtgremien beschließen die Einführung von "Jugendturnspielen" an den "städtischen Volksschulen".

Jede Jahrgangsstufe soll - neben dem eigentlichen Turnen - ihrem Alter angemessene Spiele ausüben können.

Um den Jugendlichen diese Möglichkeiten zu geben, müssen in den folgenden Jahren in allen Stadtteilen geeignete Spielplätze und umfangreiches Spielgerät zur Verfügung gestellt werden.

Die auf diesen Sportplätzen durchgeführten "Spielnachmittage" zeigen reges Interesse und ständig steigende Teilnehmerzahlen. Schnell kristallisiert sich als beliebteste Betätigung das Spiel mit dem "Fußball" heraus.

20. Januar 1890 München-Graggenau* In der Galeriestraße 15a eröffnet die Berliner Firma Siemens & Halsk" mit zwei Mitarbeitern seine erste Niederlassung außerhalb Preußens.Das Zwei-Personen-Büro teilen sich der Ingenieur Adalbert Planck, ein Bruder des späteren NobelpreisträgersMax Planck, und eine Sekretärin.

24. April 1890 Bad Wörrishofen * Die Gründer der Firma "Franz Kathreiner?s Nachfolger" ,Emil Wilhelmund Adolph Brougier, schließen mit dem Bad Wörrishofener "Wasserdoktor" Sebastian Kneipp einen Vertrag.

Damit können sie ihr "Malzkaffee-Produkt" als "Kneipps-Malzkaffee" mit einem "Kneipp-Porträt" und seiner

Seite 411/814 Unterschrift in den Handel bringen.

1. Mai 1890 München * In Anerkennung seiner Verdienste erhält Arnold Zenetti viele hohe Auszeichnungen:

die "Goldene Bürgermedaille der Stadt München", den Titel "Oberbaurat" und zu seinem 40jährigen Dienstjubiläum den mit dem persönlichen Adel verbundenen "Kronenorden", der ihm vom Prinzregenten Luitpold persönlich an die Brust geheftet wird.

4. Dezember 1890 München-Au * Die Riegermühlein der Au brennt ab und wird nicht mehr aufgebaut.

31. Dezember 1890 München * Der Export Münchner Bieres liegt bei 1.277.595 Hektoliter. Der Bierverbrauch pro Kopf der Münchner Bevölkerung beträgt 339 Liter.

1891 Berg am Laim * Die Marke "Kathreiner?s Kneipp Malzkaffee" wird patentiert.

Das Produkt steigt zum namhaftesten Markenartikel der deutschen Kaffeebranche auf.

1891 München * In München wird der "Verein für Feuerbestattung? gegründet.

Er setzt sich für die "Einführung der Leichenverbrennung" in München ein.

Der Magistrat steht dem Gedanken der "Feuerbestattung" noch immer positiv gegenüber, doch für die "Errichtung eines Krematoriums" benötigt man die Erlaubnis der bayerischen Staatsregierung. Den Antrag dafür sollte deshalb der "Verein für Feuerbestattung" stellen.

1891 Berlin * Neben der "Deutschen Kolonialgesellschaft" zählt bald auch der im Jahr 1891 gegründete, extrem nationalistische "Alldeutsche Verband", dessen Programm stark von rassistischem und antisemitischem Gedankengut geprägt ist.

Nun versucht Deutschland durch den Erwerb weiterer "Handelsvertretungen" seinen "Kolonialbesitz" auszuweiten.

Im Vordergrund stehen jetzt aber Fragen des nationalen Prestiges und der Selbstbehauptung in einer "sozialdarwinistisch" verstandenen Konkurrenz der Großmächte.

Seite 412/814 Denn Deutschland als "kolonialpolitischer Nachzügler" muss den ihm zustehenden Anteil jetzt einfordern.

1891 Kamerun * Um den Widerstand der in Kamerun lebenden Völker zu brechen, bewilligt der "Reichstag" finanzielle Mittel zum Aufbau einer bewaffneten "Streitmacht", die die Interessen der deutschen Handelsgesellschaften durchsetzen sollen.

Die "Polizeitruppe" für Kamerun wird vom "Premierleutnant" Hans Dominik geleitet. Er erhält mit seinen "Kriegszügen" und den nachfolgenden "Straf- und Säuberungsaktionen" den Namenszusatz "Schrecken von Kamerun".

Dominiks Grundsatz lautet: "Die Neger müssen wissen, dass ich der Herr bin und der Stärkere; so lange sie das nicht glauben, müssen sie es eben fühlen, und zwar hart und unerbittlich, so dass ihnen für alle Zeiten das Auflehnen vergeht; ist das erreicht, dann kann man sie mit großer Freundlichkeit und Milde behandeln".

1891 München * Mitglieder des "Winzerer Fähndls" beginnen mit dem "Armbrustschießen".

Sie nennen sich "Armbrustschützengilde des Winzerer Fähndls".

Dabei war die "Armbrust" - im Gegensatz zum "Spieß", der "Hellebarde"und dem "Bihänder", dem zweihändig geführten "Schlachtschwert", nie eine Landsknechtswaffe und gehörte damit eher in das städtische Wehrwesen.

Anders verhielt es sich bei der "Armbrust" als Jagdwaffe. Doch bei höfischen Jagdgesellschaften hatten Landsknechte nichts verloren.

1891 Bethel - Berlin * Der evangelische Pastor Friedrich von Bodelschwingh gründet in Bethel und Berlin ein sogenanntes "Brockenhaus".

Mit dieser neuen Form einer Sozialeinrichtung will Bodelschwingh durch die Abholung und Verarbeitung schadhafter oder im Haushalt nicht mehr verwendeter Gegenstände arbeitslosen und erwerbsbeschränkten Personen Beschäftigung verschaffen und gleichzeitig Hilfsbedürftigen billige Gebrauchsgegenstände vermitteln.

Die Idee setzt sich rasch durch und schon bald darauf arbeiteten die "Brockenhäuser" in allen größeren Städten Deutschlands.

1891 München-Haidhausen * Insgesamt 80 Italiener werden in einer "Sammelklasse" in der Haidhauser "Wörthschule" unterrichtet.

"Einer allgemeinen Fortbildungsschule konnte man sie nicht zuführen, da sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Für sie bildete man eine eigene Klasse an der Wörthschule und erteilte ihnen abends und an Sonntagen acht Stunden wöchentlich Unterricht".

Seite 413/814 In München gab es - im Gegensatz zu den meisten anderen Großstädten im Reich - diese äußerst fortschrittliche Einrichtung, in der italienisch-kundige bayerische Lehrer zwei- bis dreimal in der Woche in den Fächern "Geographie", "Kalligraphie", "Rechnen", "Deutsch" und "Religion" unterrichteten.

Durch das Erlernen der deutschen Sprache sollte eine Integration hierzulande erleichtert werden, durch das Fach Geographie, in dem ausschließlich "italienische Landeskunde" gelehrt wurde, die Bindung zur Heimat gewahrt bleiben. Da ein Mann in Italien erst dann als vollberechtigter Staatsbürger galt, wenn er vor einem Notar seinen Namen schreiben konnte, war der Schreibunterricht für eine Wiedereingliederung in der Heimat von besonders großer Wichtigkeit.

Da die Schule von den weit außerhalb gelegenen "Ziegeleien" jedoch oft nur in mehrstündigen Fußmärschen zu erreichen war, und auch die "Akkordanten" nicht einmal für die Zeit der Schulstunden auf ihre billigsten Arbeitskräfte verzichten wollten, konnte nur eine begrenzte Anzahl der italienischen Kinder die "Schule an der Wörthstraße" besuchen.

1891 München-Englischer Garten - Hirschau * Über das zur "Schwabinger Brauerei" gehörende Ausflugslokal in der "Hirschau" heißt es:

"Diese Wirtschaft steht ganz abseits.Werktags kommen nur Maffei-Arbeiter zum Essen. Die Gassenschänke ist nur für diese da. Ohne Maffei wäre das Gasthaus nicht lebensfähig".

Februar 1891 Deutsch-Ostafrika [= Tansania] * Hermann Wißmann leitet eine "Strafexpedition" gegen den "Häuptling" Sina von Kobisho, nachdem dieser es gewagt hatte, die deutsche Flagge vom Mast zu reißen. Die "Strafexpedition" kostet200 Menschen das Leben.

Das "Offizierskorps" ist eine "Brutstätte von Kolonialchauvins und nationalistischen, antidemokratischen Frondeuren. Mit Mord und Terror versuchen sie, die deutsche Herrschaft bis in die entferntesten Gebiete auszudehnen".

12. März 1891 München-Lehel - München-Haidhausen - Bogenhausen * Prinzregent Luitpold weiht die neue "Luitpoldbrücke" über die Isar ein.

Oktober 1891 München * Die "Ludwigsbrücke" wird erweitert.

Sie erhält plastischen Schmuck in Form von je zwei "Pylonen", die dieAllegorien der "Fischerei", der "Flößerei", der "Industrie" und der "Kunst" aufnehmen.

1892

Seite 414/814 München * Carl Gabriel kommt nach München.

1892 München-Au * Die "Münchner-Kindl-Brauerei" nennt ihren Gerstensaft "Wiesn-Bier".

1. Januar 1892 München-Bogenhausen * Die bis dahin selbstständige Gemeinde Bogenhausen wird mit den Gemeindeteilen Brunnthal, Neuberghausen und Priel mit seinen 1.570 Einwohner auf 441 Hektar nach München eingemeindet.

29. Februar 1892 München * Im Atelier des 29-jährigen Josef Block kommt es zu einem Treffen von elf Künstlern und Kunstprofessoren. Sie gründen einen neuen Verein und verfassen ein Pamphlet, in dem es heißt:

"Die heute versammelten haben sich als Club zur Verfolgung derjenigen Maßregeln constituirt, welche ihrer Überzeugung nach im Interesse der münchner Kunst unabhängig von der münchner Künstlergenossenschaft erforderlich sind."Sie begründen damit den späteren Verein Bildender Künstler Münchens e.V. - Secession.

Unterzeichnet ist das Papier von Josef Block und dessen ProfessorBruno Piglhein sowie den ProfessorenFritz von Uhde, Hugo Freiherr von Habermann und Paul Hoecker.Außerdem von Franz Stuck, Heinrich Zügel, Gotthardt Kuehl, Victor Weishaupt, Ludwig Dill und Otto Hierl-Doronco.

Sieben der elf Unterzeichner des Ursprungspamphlets haben während der Münchner Jahresausstellungenrelevante Funktionen ausgeführt.

Habermann, Hoecker, Piglhein, Uhde und Weishaupt gehörten der Vierzehner-Commissionan. Mitglieder in der 1889er-Jurywaren Dill, Habermann, Hoecker, Piglhein und Weishaupt. Franz Stuck und Fritz von Uhde waren Mitglieder der 1891er-Jury.

September 1892 München-Theresienwiese * Wegen fehlender Toiletten darf der "Ochsenbrater" Johann Rössler kein Bier ausschenken.

Und weil Ochs? ohne Bier in München gar nicht geht, erleidet Rössler einen geschäftlichen Misserfolg.

1893 München-Lehel * Aus Anlass der Eröffnung des "Café Prinzregent" - in der Prinzregentenstraße 4 - dichtete ein namentlich nicht überlieferter Münchner "Volkssänger" folgende Zeilen:

Jetzt werd, wohin man schaut, Kaffeehaus um Kaffeehaus baut. Den Ruf als Bierstadt büaß ma ein, bald wern ma a Kaffeestadt sein!

Seite 415/814 Und tatsächlich genossen die "Cafés" in München bis zum Ersten Weltkrieg einen hohen Stellenwert im gesellschaftlichen Leben.

1893 München-Maxvorstadt * Im "Café Luitpold" in der Brienner Straße wird ein "Panoptikum und Anthropologisches Museum" eröffnet.

Bis zum Jahr 1893 Deutsches Reich* Bis dahin ist das "Fräulein vom Amt" ist ein Mann. Erst ab jetzt wird verstärkt weibliches Personal für den "Fernsprechdienst" eingestellt.

Aufgrund der steigenden Nachfrage bei den Telefonanschlüssen ist die Einstellung von Frauen ein betriebswirtschaftlicher Faktor, da die Lohnkosten der weiblichen Vermittlungskräfte um über 25 Prozent unter denen ihrer männlichen Kollegen liegen.

1893 München-Angerviertel - Viktualienmarkt * Eine Münchner Zeitung beschreibt unter dem Titel "Kuranstalt" den "Ziegenmilchmarkt am Freibankeck" mit nachstehenden Zeilen:

"Knapp an der nördlichen Schrannenhalle stellen sich frühmorgens einige Frauen mit etwa zwei Dutzend Ziegen ein und verzapfen brühwarme Ziegenmilch an die leidende Menschheit".

1893 München-Obergiesing * Der "Trinkbrunnen" am Aufgang zur "Heilig-Kreuz-Kirche" am Giesinger Berg geht in Betrieb.

1893 München-Haidhausen * Das "Brunnhaus auf der Kalkofeninsel" wird zu Münchens erstem Elektrizitätswerk umgebaut.

Die dazu notwendige Energie liefert der Auer Mühlbach.

1893 Landshut * Einem größeren Publikum wird die "Armbrustschützengilde des Winzerer Fähndls" erstmals beim "II. Niederbayerischen Bundesschießen" in Landshut vorgeführt.

1893 München-Theresienwiese * Der Magistrat der Stadt teilt Johann Rössler von der "Ochsenbraterei" mit, dass er für eine Ausschankgenehmigung eine Bierbude bauen müsse.

Dafür fehlt dem "Metzgermeister" aber das Geld.

Seite 416/814 1893 Landsberg * Alois Wolfmüller beschäftigt sich in seiner Geburtsstadt Landsberg intensiv mit den Motorproblemen.

Beim Lesen der Zeitschrift "Radfahr-Humor und Radfahr-Chronik" wird der Ingenieur auf den Münchner "Chefredakteur und Sportjournalisten" aufmerksam. Es kommt zu einer geschäftlichen Vereinbarung zwischen Alois Wolfmüller und Heinrich Hildebrand.

Unter Mithilfe seines Jugendfreundes aus Landsberg, des Ingenieurs Hans Geisenhof, entstehen die ersten Modelle. Die "Tüftler" mieten dafür den "Stadel" des "Unterzehetmayrhofes" in der Münchner Straße 133 in Unterföhring an und bringen dort den neuartigen Motor zum Laufen. Doch bei den ersten Fahrversuchen "zeigte das Vehikel eine Neigung zum Krebsgang", wie es Alois Wolfmüller ausdrückt. Das heißt, dass das Gefährt rückwärts läuft. Als er wenige Tage später vorwärts lief, ist die Beschleunigung so groß, dass der Motor abgestellt werden muss und danach einfach nicht mehr anspringen will. Die "Zündung" ist eines der noch nicht gelösten Probleme.

Die Polizei untersagt zeitweise alle Fahrversuche, da wegen "der großen Schnelligkeit die Leute auf dem Trottoir (...) einen Nervenschock bekommen" könnten. Alois Wolfmüllers Ansuchen, sein "Motorrad" auf dem Hauptplatz in Landsberg erproben und vorführen zu dürfen, wird abgelehnt, da man alles absperren und sämtliche Vierbeiner, vor allem Pferde und Kühe, aus der Stadt verbannen müsste, da keines dieser Tiere je ein mit einem Verbrennungsmotor angetriebenes Fahrzeug gehört, gerochen oder gesehen habe.

Nachdem das Motorrad seine erste "Einhundert-Kilometer-Strecke" bestanden hat, reichen die Konstrukteure das "Patent" für ihr "Zweirad mit Petroleum- oder Benzinmotorbetrieb" ein.

3. August 1893 München * Fahrradkartenwerden ausgegeben.

Radfahrer müssen am Lenker ein Nummernschild anbringen. Kinder unter dreizehn Jahren dürfen überhaupt nicht radeln, Jugendliche zwischen dreizehn und achtzehn Jahren sowie Frauen dürfen nur dann den Radscheinerwerben, wenn der Vater, der Vormund oder der Ehemann bei der Polizei seine schriftliche Einverständniserklärung abgegeben hat.

Im Nebenraum eines Wirtshauses können sie dann den Betrieb des Fahrzeugs erlernen und sich anschließend einer Prüfung unterziehen.

September 1893 München-Theresienwiese * Carl Gabriel zeigt erstmals seine "Wachsfigurenausstellung" auf dem "Oktoberfest".

7. Oktober 1893 Miesbach * Das letzte Haberfeldtreibenvon Bedeutung findet in der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober 1893 im oberbayerischen Miesbach statt. Es soll "eine großartige Manifestation des Haberertums gegen die auf Beseitigung des Brauches gerichteten Bestrebungen der geistlichen und weltlichen Behörden" werden.

Seite 417/814 Den 300 bis 350 Haberernstehen lediglich 22 "Schandarm" gegenüber. Es kommt zu einer Schießerei, bei der dem GendarmenWürdinger in die Hoden geschossen wird. Auch ein Habererträgt eine Oberschenkelverletzung davon. Das Haberfeldtreibengleicht dadurch einer Schlacht.

9. November 1893 München-Haidhausen * Der aus Haidhausen stammende GemeindebevollmächtigteAnton Forster schlägt "Zum Gedenken an die 25. Wiederkehr der glorreichen Siege von 1870/71" einen monumentalen Brunnen am Weißenburger Platz vor.

Sein Antrag wird am 1. März 1894 genehmigt und anschließend ein Künstler-Wettbewerb ausgeschrieben.Aus diesem Vorschlag entsteht letztlich der Friedensengel.

1894 München-Haidhausen * Theodor Fischer, der "Vorstand des Münchner Stadterweiterungsbüros", verzichtet im "Franzosenviertel" auf die spiegelbildlichen Gegenstücke zum Pariser- und Weißenburger Platz.

Er krümmt die Breisacher Straße - die damals noch Pariser Straße heißt -, die Elsässer Straße und - geringfügig - auch die Metzstraße in ihren Verläufen.

Damit umgeht er das "Kloster der Frauen zum guten Hirten?.

Ab dem Jahr 1894 Deutsches Reich* Es kommt zur massenhaften Einstellung von Frauen bei der Post.

Um eine klare Abgrenzung der Aufgabenbereiche zu schaffen, wird der "Telegraphendienst" in seiner Gesamtheit von den männlichen Beschäftigten übernommen. Damit kann der "Fernsprechdienst" ausschließlich mit weiblichem Personal aufgebaut werden.

Die Frauen werden also für ein Arbeitsgebiet eingestellt, das dem direkten Vergleich mit der Arbeit der Männer entzogen ist. Damit schließen die Männer eine Konkurrenz ihrer Berufszweige gegenüber den Frauen aus.

Sofort kommt es zur Aufspaltung des behördlichen Arbeitsmarktes in einen weiblichen - bis zum Jahr 1922 sogar laufbahnlosen [!] - Beschäftigungszweig und in männliche Berufsfelder mit vielfältigen Aufstiegsmöglichkeiten.

1894 München-Haidhausen * Der "Königlich-bayerische Major a.D.", Karl Graf von Rambaldi, beschreibt in seinem Buch "Die Münchner Straßennamen und ihre Erklärung? - in einer patriotisch-kriegsverherrlichenden Art und Weise - den Hintergrund der Straßenbenennung in diesem Stadtteil.

So erhält beispielsweise die Weißenburger Straße ihren Namen "Zur Erinnerung an das Treffen bei Weißenburg im Elsaß am 4. August 1870, mit welchem die 4. Bayerische Division ?Bothmer? die Operationen der III. deutschen Armee im Kriege gegen Frankreich so glücklich eröffnete. [...] Der Gesamtverlust auf deutscher Seite betrug 91 Offiziere und 1.400 Mann?.

Seite 418/814 Die Wörthstraße erinnert an die Schlacht vom 6. August 1870. Bei Rambaldi liest sich das so: "Heiß war der Kampf, die die Weinberge dicht besetzt haltenden Turkos und Zuaven wehrten sich grimmig: Aber unaufhaltsam war das Vordringen der Deutschen [darunter bayerische Armeekorps]. Der Sieg war mit einem eigenen Verlust von 489 Offizieren und 10.153 Mann erkauft?.

1894 München-Haidhausen * Die "Firma Andreas Schärfl" zieht in die Gebäude der ehemaligen "Brückenwaagenfabrik Greiner" in der Kellerstraße 27 und Steinstraße 50.

1894 München * Die "bayerische Staatsregierung" lehnt die "Einführung der Leichenverbrennung" in München ab.

Noch immer müssen Münchner, die eine "Feuerbestattung" vorziehen, die hohen Kosten für den "Sargtransport" zu einem auswärtigen "Krematorium" akzeptieren.

In Frage kommen dafür Gotha, später Heidelberg und Jena.

1894 München-Haidhausen * Eduard Theodor Grützner schreibt: "Daß ich immer und immer wieder Pfaffen male, daran trage ich die Schuld nur zum kleineren Theile.

Bei jeder Ausstellung fast heißt es: 'AberPfaffen müssen's sein oder doch wenigstens einige davon darunter sein!'Male ich etwas anderes, sagen die Leute: 'Esist kein echter Grützner'. Was ist da zu thun?!"

Tatsächlich kommen in mehr als Dreiviertel seiner Werke Klosterbrüder vor.

Daneben gibt es aber auch Jägerszenen, solche mit dem schier unverwüstlichen Sir John Falstaff sowie Bilder aus dem Theaterleben.

1894 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Das "Städtische Wehramt", das zuvor im Rathaus untergebracht war, zieht auf die "Kohleninsel".

Die Musterung der Wehrpflichtigen findet anfangs noch in der "Schrannenhalle" statt, weshalb die notwendigen Akten jedes Mal vom "Wehramt" zum Musterungslokal und danach wieder zurückgebracht werden müssen.

Das war nicht ganz ungefährlich, wie nachstehender Bericht beweist: "[...] bei einem solchen Transport [hat] ein Windstoß eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Stammrollen entführt und den grünen Fluten der Isar zugetragen, die sie nicht mehr herausgab".

1894 München-Haidhausen * Das "Feuer- und Spritzenhaus" wird gemeinsam mit dem "Brause- und Wannenbad" an der Schloss-/ Ecke Kirchenstraße eröffnet.

Seite 419/814 1894 München-Obergiesing * Für die neue "Heilig-Kreuz-Kirche" wird an der Gietlstraße ein neuer Pfarrhof erbaut, da das alte Pfarrhofgebäude wegen der Regulierung des "Giesinger Berges" abgebrochen werden musste.

Der nach den Plänen des damaligen Bauamtmanns und späteren Professors an der "TH München", Carl Hocheder, errichtete Pfarrhof "enthält im Erdgeschoß die Geschäftsräume, im ersten Stock die Wohnung des Stadtpfarrers, in einem vollständig ausgebauten Dachgeschoss die Wohnräume der Hilfsgeistlichen.

Im Nebengebäude sind Waschküche und Holzlege untergebracht".

1894 München-Kreuzviertel * Der Bildhauer Matthias Gasteiger schenkt seiner Heimatstadt die "Brunnengruppe Satyrherme & Knabe", die im Volksmund als "Brunnenbuberl" bezeichnet wird.

Es ist sein berühmtestes Werk, für das er 1892 im "Glaspalast" eine Goldmedaille erhalten hatte und für das er weitere Auszeichnungen in Berlin und Wien bekam, wo er sogar das "besondere Wohlgefallen" des "Österreichischen Erzherzogs" fand.

Das Kunstwerk zeigt einen Knaben und eine Satyrherme. Während das "Buberl" spielerisch das Rohr an der Herme zuhält, spritzt aus dem Mund des "Satyrn" ein Wasserstrahl auf den Kopf des Jungen.

Und obwohl die Münchner Kunstkritiker Matthias Gasteigs Werk als "prächtige Bereicherung" Münchens bezeichnen, haben die Münchner Stadtväter große Probleme mit dem nackten Buberl.

1894 München-Ludwigsvorstadt * Der geschäftstüchtige Münchner "Kommerzienrat" Friedrich Haenle, der mit der Herstellung von Silberbeschlägen reich geworden ist, besitzt an der Schwanthalerstraße ein 5.400 Quadratmeter großes Grundstück. Dieses will er gewinnbringend veredeln und sein Geld mit einem weiteren Projekt vermehren.

Zusammen mit dem aus Frankreich stammenden Architekten Alexander Bluhm, der auch als "Konzessionär" verantwortlich zeichnet, baut er ein Theater für "Aufführungen von Schauspiel, Lustspiel, Schwank und Ballett".

Und wer mit einem "Unterhaltungspalast" sein Geld verdienen möchte, darf "nicht knausern". Die Beiden lassen es also krachen und setzen auf "mondänen Luxus", sodass die "Münchner Fremdenzeitung" über die ehrgeizige Ausstattung euphorisch jubiliert: "Überall ist nur das Beste gewählt, die ersten Firmen der Welt wurden mit Lieferungen betraut, ohne Rücksicht auf Entfernung oder Unkosten, die bis jetzt schon sechs Millionen verschlungen haben. Welches Finanzkonsortium hat diese sechs Millionen gezahlt? Was kümmert?s uns und Euch!".

Das Bauprogramm hatsich aber keineswegs nur auf das "Deutsche Theater" beschränkt. Die sogenannte "Schwanthaler Passage" ist eine interessante Kombination. Neben dem "Bühnenhaus" besteht die "Schwanthaler Passage" aus dreißig Wohnungen mit insgesamt 114 Zimmern. Zusätzlich bieten zwanzig Läden vielfältige Möglichkeiten für einen Einkaufsbummel.

Seite 420/814 20. Januar 1894 München * Das Reichspatent 78553tritt in Kraft. In der Patentschriftwird erstmals das Wort Motorradgebraucht. Der Patent-MitinhaberHans Geisenhof wird finanziell abgefunden. Nachdem die Versuche, das Patentzu verkaufen erfolglos bleiben, entschließen sich Heinrich Hildebrand und Alois Wolfmüller zur Eigenproduktion der Motorräder.

März 1894 München-Isarvorstadt * Die "Motor-Fahrrad-Fabrik Hildebrand & Wolfmüller" wird gegründet.

In der Colosseumstraße 1 in München richten sie ihre erste Werkstätte ein.

10. März 1894 München-Hackenviertel * Der "Schausteller" Carl Gabriel eröffnet gemeinsam mit dem "Wachsplastiker" Emil Eduard Hammer im ehemaligen "Vogl'schen Kaufhaus" in der Neuhauser Straße 1/Ecke Färbergraben das "Internationale Handels-Panoptikum".

Es ist das größte und bedeutendste "Panoptikum" Münchens und wird als "ein Bedürfnis der werdenden Großstadt" bezeichnet. Es gibt rund 2.000 Exponate zu betrachten, davon etwa 500 Wachsfiguren und Wachspräparate.

Der Eintrittspreis beträgt 50 Pfennig, Kinder und Soldaten zahlen die Hälfte. Das "Panoptikum" ist täglich von 8 bis 21 Uhr geöffnet.

Als besondere Attraktion befindet sich in der dritten Etage das "Anatomische Museum" und ein "Extrakabinett" mit über 600 Exponaten. Das "Extrakabinett" dürfen nur Personen über 18 Jahren betreten. Personen beiderlei Geschlechts ist die gemeinsame Besichtigung "polizeilich verboten". Am Dienstag und Freitag ist die "Anatomische Abteilung" ab 14 Uhr nur für Damen geöffnet.

Im Keller befindet sich die "Inquisitionsabteilung" mit einer Sammlung von "Folterwerkzeugen", deren Anwendung an lebensgroßen Wachsfiguren dargestellt werden. In der angeschlossenen "Verbrecher-Galerie" werden hauptsächlich zeitgenössische "Massenmörder" als Wachsimitate gezeigt.

21. März 1894 München - Dresden * Das Münchner Hell wird von der Spaten-Brauerei zum ersten Mal gebraut, abgefüllt und per Pferdefuhrwerk nach Dresden verschickt. Zuvor hat es in München fast nur dunkles Lagerbier gegeben.

18. April 1894 Rom * Adolf Friedrich von Schack stirbt in Rom.

Er hinterlässt eine Sammlung von 267 Werken deutscher Maler. Davon sind 183 Originale und 84 Kopien, die er nach Gemälden alter Meister - darunter 17 von Franz Lenbach und 4 durch Hans von Mareés - haterstellen lassen.

Seite 421/814 Mai 1894 München-Maxvorstadt * Kaiser Wilhelm II. tritt Adolf Friedrich von Schacks Erbe an.

Der Nachlass soll in München bleiben. Das ist keineswegs so großzügig wie es den Anschein hat, sondern beruht auf politischem Kalkül.

Der Kaiser will mit der Verlegung der"Schack-Galerie" nach Berlin das seit der "Reichsgründung" angespannte Verhältnis zwischen Preußen und Bayern nicht noch mehr belasten.

Selbstverständlich ist jedoch, dass vor der "Galerie" in der Brienner Straße - und später an der Prinzregentenstraße - das "kaiserliche Hoheitszeichen" - der "Reichsadler" - auf hohen Standarten aufgerichtet wird.

Juni 1894 München * Die "Firma Hildebrand & Wolfmüller" mietet eine Werkstatt für 150 Arbeiter.

1895 München-Haidhausen * Die "Unionsbrauerei" an der Äußeren-Wiener-Straße in Haidhausen, der heutigen Einsteinstraße 42, wirdin "Unionsbrauerei Schülein & Compagnie" umbenanntund zu einer gut gehenden Braustätte ausgebaut.

1895 München-Lehel - München-Bogenhausen * Die beiden von der "Luitpoldbrücke" auf die "Prinzregent-Luitpold-Terrasse" führenden Straßenschleifen sind fertiggestellt und werden dem Verkehr übergeben.

1895 München-Au - München-Untergiesing * Zwischen 1895 und 1897 wird die "Volksschule" an der Kolumbusstraße als "Musterschule" durch Carl Hocheder errichtet.

Sie löst eine seit 1885 bestehende "Schulbaracke" in der Pilgersheimer Straße ab. Der Architekt Carl Hocheder muss für die "Volksschule an der Kolumbusstraße" eine völlig neuartige architektonische Lösung entwickeln.

Da das Grundstück, wegen des unregelmäßigen Zuschnitts, eine geschlossene Bebauung nicht zulässt, gliedert Hocheder die Schule in einzelne Baukörper.

Zum ersten Mal verwendet er hier die - für das "Münchner Schulhaus" später so typische - "Turnsaalterrasse" und stellt sie an die Ecke des spitzwinkeligen Grundstücks. Als Gegengewicht zu dem breit gelagerten Komplex entsteht der schlanke "Uhrenturm".

Carl Hocheder orientiert sich bei der Gestaltung der Schule an süddeutsche Klosterbauten des 18. Jahrhunderts.

Seite 422/814 1895 München-Untergiesing * Nicht nur die Männer liefern sich die ungleichen Wettrennen zwischen Pferd und Fahrrad.

Es kommt auch zu einem Wettkampf zwischen einer amerikanischen Präriereiterin und einer Münchner Radfahrerin.

"Daß Damen sich auch an den öffentlichen Wettfahrten betheiligen, ist [...] das Eigenartigste auf diesem Gebiete des Sports. [...] Dieser Wettkampf fand kürzlich zu München auf dem "Neuen Sportplatze" zwischen der amerikanischen Prairiereiterin Miß Nelly und der Münchener Radfahrerin Fräulein Amanda Löschke statt.

Das Publikum hatte sich zu dieser noch nie dagewesenen Schaustellung überaus zahlreich eingefunden und verfolgte mit lebhaftester Spannung den Verlauf dieses Wettkampfes, aus dem die Reiterin als Siegerin hervorging".

Ab 1895 München-Bogenhausen *Bis 1898 entsteht das "Wohn- und Atelierhaus" für Adolf von Hildebrand in der Maria-Theresia-Straße 23.

1895 München-Ludwigsvorstadt * Nach Auffassung des Münchner Magistrats kann man so etwas "Unanständiges" wie die "Brunnengruppe Satyrherme & Knabe" des Bildhauers Matthias Gasteiger unmöglich an einem viel besuchten Platz aufstellen, weshalb der Brunnen in die Nähe des "Toilettenhäuschens" in der "Stachusgrünanlage" zur Aufstellung kommt.

Aber so gut kann man das "Brunnenbuberl" gar nicht verstecken, dass sich nicht doch "Moralapostel" und "Sittlichkeitsvereine" über diese "Sauerei" ereifern.

Es kommt zum Skandal, in deren Folge der Münchner Polizeipräsident bei Matthias Gasteiger vorspricht, um ihm "allen Ernstes zu erklären, daß das Bildwerk höchst anstößig sei und daß das Interesse der Aufrechterhaltung der Moral und guten Sitten unbedingt erfordere, daß 'etwas'geschehen".

Matthias Gasteiger unternimmt nichts. Er will keinesfalls ein Feigenblatt an seinem "Buberl" akzeptieren.

Februar 1895 Paris * Die Brüder August und Louis Lumiére erhalten das Patent für einen "Cinématographe".

Ab März 1895 Paris * Der "Cinématographe" der Gebrüder Lumiére wird in Paris einem Fachpublikum vorgestellt und vorgeführt.

1. März 1895 München * Der Briefkopf der "Firma Hildebrand & Wolfmüller" weist folgende

Seite 423/814 Fabrikationslokalitätenauf:Colosseumstraße 1, Müllerstraße 44, Müllerstraße 48, Baumstraße 4a und Zenettistraße 11. Im Frühjahr 1895 sind bereits 850 Beschäftigte in den über die Stadt verteilten Betriebe tätig.Die Zahl der Arbeiter steigt bis zum Konkursder Firma noch auf 1.200 Arbeiter an.

22. März 1895 München * Seit 1893 plant die Stadt München einen zentral organisierten, unparteiisch geleiteten und unentgeltlichen "Arbeitsnachweis".

Am 22. März 1895 fasst der Magistrat der Stadt den maßgebenden Beschluss zu dieser Einrichtung zur Vermittlung von Arbeitsstellen.

Und nachdem das achtköpfige Gremium gewählt ist, wird mit der Einrichtung des "Städtischen Arbeitsamtes" in der Zweibrückenstraße 20 begonnen und deren Eröffnung durch Plakate, Annoncen und Zeitungsartikel bekannt gegeben.

12. Juni 1895 München-Maxvorstadt * Der vom Bildhauer Adolf von Hildebrand entworfene Wittelsbacher Brunnenam Lenbachplatz wird eingeweiht.

19. August 1895 München-Haidhausen * Gegen den Abriss der alten Haidhauser Sankt-Johann-Baptist-Kircheformiert sich der Widerstand. Dieser führt dazu, dass sich das Generalkonservatorium der Kunstdenkmäler und Altertümer Bayernsfür die Erhaltung der Kirche aus "historischen und ästhetischen Gründen" ausspricht. Damit wird das Gebetshaus renoviert und bleibt erhalten.

September 1895 München-Theresienwiese * MitCarl Gabriels "Hexenschaukel" kommt eine Neuheit aufs "Oktoberfest".

September 1895 München-Theresienwiese * Der Verein "Winzerer Fähndl" bekommt für seine Beteiligung am "Wiesnumzug" das Recht eingeräumt, eine eigene "Bierbude" auf dem "Oktoberfest" zu bewirtschaften.

Dafür wird ein Vertrag mit der "Thomas-Brauerei" geschlossen. Die "Bierbude" entsteht neben der "Oktoberfest-Zielstatt für das Adler-, Stern- und Scheibenschießen" der "Armbrustschützengilde Winzerer Fähndl".

Die "Festburg Winzerer Fähndl" ist die erste große "Bierhalle" auf der "Theresienwiese", die außerhalb des bisherigen "Wirtsbudenrings" Aufstellung findet.

Ein 26 Meter hoher "Lueg-ins-Land" überragt sie. Seine Vorderfront ziert eine riesige Darstellung eines "Geharnischten", der einen Humpen "Thomasbräubier" schwenkt.

Seite 424/814 18. September 1895 München-Graggenau * Im Großen Saaldes Alten Rathausesveranstaltet der "Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke" unter der Leitung von Geheimrat von Pettenkofer eine öffentliche Veranstaltung.

2. November 1895 München * Das Konkursverfahrenvor dem Königlichen Amtsgericht München Igegen die Firma Hildebrand & Wolfmüllerwird eröffnet. Wie viele Motorräderwirklich produziert worden sind, lässt sich nicht mehr bestimmen; es waren aber kaum mehr als einhundert.

Was war geschehen und warum wurde der kometengleiche Aufstieg der Firma so jäh wieder beendet?Denn immerhin erreichte das Auftragsvolumen nur wenige Wochen nach der Firmengründung zwei Millionen Reichsmark, was die Unternehmer in die Lage versetzte, ihre Motorräderfür einen Stückpreis von 650 Mark an die Händler abzugeben.

Alois Wolfmüller und Heinrich Hildebrand wagten sich zu früh an die Öffentlichkeit.Der Konstrukteurmusste sich - wie sein Geldgeber - um die Produktion kümmern, und fand schon deshalb keine Zeit, sich um die Verbesserung seiner sonst so fortschrittlichen Erfindung zu kümmern.

Das Grundproblem des Hildebrand & Wolfmüller-Motorradeswar die ungenügende Funktion der Zündung.Das Anlassen der H&W-Maschine- ohne Kickstarterund ohne Batterie- war laut der Beschreibung für das Motorradfür einen Geübten in drei bis fünf Minuten zu bewerkstelligen. Heute wissen wir allerdings, dass der Vorwärm-Mechanismus- ähnlich wie bei Dieselfahrzeugen - viel Fingerspitzengefühl erforderte und sicherlich 13 bis 15 Minuten dauerte - oder gar nicht gelang. Die Unzufriedenheit der Kunden war also vorhersehbar und der Konkurs der Münchener Firma damit unabwendbar.

Auch sonst war man bei diesem Pionierstück der Motorrad- Geschichtenoch von vielen heute üblichen Lösungen weit entfernt.Beim Betrachten des H&W-Motorradesfällt sofort der an ein Lokomotivengestänge erinnernde Antrieb auf.Über zwei lange Pleuelstangenwurde die Kraft der beiden Kolben - wie bei einer Dampfmaschine - direkt auf das Hinterrad des H&W-Motorradesübertragen. Der gravierende Unterschied lag im Antrieb, der bei dem Motorradüber einen Benzinmotor erfolgte.

Da bei einem Benzinmotordie Kraft durch die Explosion eines Gasgemisches erfolgt, war ohne Kupplung und Getriebe ein gefühlvolles und ruckfreies Anfahren überhaupt nicht möglich.Die mit einem für heutige Verhältnisse außergewöhnlich hohen Hubraum von 1.530 cm³ ausgestattete Maschine wurde bei jeder Zündung um 1½ Meter nach vorne "geworfen". Um den Vorwärtsdrang dieses Hubraumriesenetwas geschmeidiger zu gestalten, kamen zwei starke Gummibänder zum Einsatz, die beidseitig am Motorradangebracht wurden, einen Teil der Energie speicherten und diese dann während der Rückhubphasedes Kolbens abgaben.

Um mit dem H&W-Motorradüberhaupt in Fahrt zu kommen, musste der Fahrer - auf dem Sattel sitzend - beidseitig mit den Beinen so lange anschieben, bis der 2,5-PS-Motor seine Arbeit aufnahm, um in den Stillstand zu kommen, der Motor sogar "abgewürgt" werden.

Die einzige Bremse des Fahrzeugs bestand aus zwei Holzklötzen, die direkt auf die Lauffläche drückten.Dennoch konnte mit dem Motorradeine Geschwindigkeit von dreißig bis vierzig Kilometern in der Stunde erreicht werden. Sonderanfertigungen brachten es sogar auf neunzig Stundenkilometern.

Aus dieser - bei Weitem nicht vollständigen - Funktionsbeschreibung geht eindeutig hervor, dass die richtige

Seite 425/814 Bedienung des Hildebrand & Wolfmüller-Motorradesdurch einen Laien kaum zu bewerkstelligen war.Und genau das war auch der Grund, weshalb die H&Wals Serien-Motorradnicht erfolgreich war.

28. Dezember 1895 Paris * Die Brüder Louis und Auguste Lumiére zeigen im Pariser Grand Cafémit einem "Cinematographe" genannten Gerät "lebende Bilder". Umgehend nimmt Carl Gabriel Verhandlungen auf und erreicht die Absendung eines Operateursnach München.

1896 München-Hackenviertel * Auch das "Kinetoscope" wird im "Internationalen Handels-Panoptikum" in München vorgeführt uns als "Edison's Wunderwerk" bejubelt.

Doch um die Massen zu begeistern braucht es mehr, weshalb stündlich der "Pariser Original-Flohmarkt mit ca. 300 dressierten Menschen-Flöhen" auftritt.

Ab 1896 München-Haidhausen * Zwischen 1896 und 1899 wird der Haidhauser "Unionsbräu" modernisiert.

Innerhalb von 10 Jahren steigert die "Unionsbrauerei Schülein & Cie" ihren Ausstoß von 16.000 Hektolitern um das Fünfzehnfache.

1896 München-Isarvorstadt * Valentin Ludwig Feys Zitherlehrer, Ignaz Hepper, nimmt seinen "Zögling" mit in das "Kolosseum", wo der "Gesangshumorist" Karl Maxstadt auftritt.

Das war Valentins "Erweckungserlebnis". Später schrieb er: "Ich wollte Varieté-Humorist werden wie Karl Maxstadt".

April 1896 Wien - München * Der "Cinématographe" der Herren August und Louis Lumiére wird im "Jugendstil-Salon der französischen Botschaft" in Wien gezeigt.

Der "Schausteller" Carl Gabriel kann ein "Aufnahme- und Wiedergabegerät" erwerben.

Noch im gleichen Monat findet die erste öffentliche Vorführung im "Internationalen Handels-Panoptikum" in München durch den "Operateur" Francis Doublier statt.

4. April 1896 München * Der von Köln über Paris kommende Zuckerfabrikanten-Erbe Albert Langen startet die Satire-Zeitung "Simplicissimus".

In seiner Begleitung befinden sich der Hannoveraner Frank Wedekind und der aus Leipzig stammende Thomas Theodor Heine, die Pariser Flair und Esprit ins "Isar-Athen" bringen möchten.

Seite 426/814 Thomas Theodor Heine hatte seine Karriere als Zeichner bei den "Fliegenden Blätter" begonnen.

9. April 1896 München * Franz Stucks Tochter Mary wird "unehelich" geboren.

Ihre Mutter ist die Bäckerstochter Anna Maria Brandmaier.

26. Mai 1896 München-Graggenau * Der letzte Biersud wird im alten Hofbräuhaus am Platzlgebraut.

15. Juni 1896 München-Untergiesing * Nachdem die Eichthal'sche Lederfabrikden Vertrag mit dem Marianumaufgekündigt hat, ist die Vereinsleitung zum Handeln gezwungen. Die Generalversammlungbeschließt den Erwerb eines Bauplatzes an der Humboldt-/Ecke Claude-Lorrainstraße.

Im diesem Jahr werden im Marianum139 Mädchen ausgebildet, davon sind neunzehn "mit körperlichen Gebrechen derart behaftet, dass sie sich anderswo nicht hätten durchbringen können", ist im Geschäftsbericht zu lesen.

Um den Juli 1896 München-Haidhausen * Schon seit der Mitte der 1890er Jahre treffen sich Haidhauser Arbeiter zu sportlichen Übungen im "Turnverein Haidhausen".

Doch nur wenige Monate später ist der Verein finanziell schon wieder am Ende und muss Ende 1896 aufgelöst werden.

Um vor allem die finanziellen Probleme des Vereins in den Griff zu bekommen, nehmen Mitglieder des aufgelösten Vereins Kontakt mit der SPD und den Gewerkschaften auf. Nachdem den "Arbeitersportlern" Unterstützung zugesagt worden ist, kann eine zweite Gründung erfolgen.

Ein solches Wohlwollen war zu dieser Zeit keineswegs selbstverständlich, da viele Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre den Sportvereinen ablehnend gegenüberstehen und diese als "Klimbim-Vereine" abqualifizieren. In Gewerkschaftsversammlungen werden alle Debatten über Sportvereine abgelehnt, da man fürchtet, dass deren Mitglieder über ihr sportliches Engagement die politische Arbeit total vergessen könnten.

11. Juli 1896 München-Hackenviertel * In der bayerischen Haupt- und Residenzstadt werden erstmals "lebende Bilder" gezeigt. Die Aufführung findet - "unter lebhafter Anteilnahme des Münchner Publikums" - in Carl Gabriels und Emil Eduard Hammers Panoptikumstatt. Der Vorführapparat wird mit Theaterkulissen umspannt und dann "drauflos gekurbelt". Die Vorführungen richtet Carl Gabriel nach französischem Vorbild ein.

Das ganze Programm ist circa 100 Meter lang und läuft innerhalb von einer Viertelstunde ab. Drei bis fünf kleine

Seite 427/814 Filme werden gezeigt:

Ein heranbrausener Eisenbahnzug, Eine Schlangendomteuse, Ein Kettensprengerund Das Aufziehen der Hauptwache.

Schon einer der ersten Filme verursacht einen Skandal.Er heißt "Endlich allein" und zeigt ein Brautpaar am Hochzeitstag.Die Schlussszene wird umgehend zensiert.

10. August 1896 München-Haidhausen * Erstmals wird in Haidhausen "Hofbräubier" gebraut.

September 1896 München-Theresienwiese * Nach der Münchner Kinopremiere im "Internationalen Handelspanoptikum" von Carl Gabriel ist die nächste Spielstätte das "Oktoberfest".

Der "Filmpionier" Johann Dienstknecht zeigt dort die Filme.

September 1896 München-Theresienwiese * Der "Franzislaner-Leist-Bräu" lässt Michael Schottenhamel auf der "Theresienwiese" eine prächtige "Bierburg" bauen.

Gabriel von Seidl hat das Gebäude "von auffälliger Stattlichkeit" entworfen. Es ist in einer L-Form mit Walmdach gebaut und besitzt einen viereckigen, girlandengekrönten Turm.

11. September 1896 München-Ludwigsvorstadt * Gut zwei Wochen vor der Eröffnung des Deutschen Theatersund der Schwanthaler Passagesteht das Unternehmen am Rande des Bankrotts.Eine Gläubigerversammlungmit rund 120 Handwerkern und Lieferanten mahnt ihre ausstehenden Zahlungen an.TheaterdirektorAlexander Bluhm schafft es gerade noch, die Gläubiger zu einem Stillhaltabkommenzu überreden und sie für sechs Monate von Pfändungen abzuhalten.

Denn wenn der Theaterbetrieb erst einmal laufen würde, so argumentiert der optimistische Theaterdirektor, dann wären auch alle finanziellen Probleme gelöst.Doch nur wenige Stunden vor der Premiere muss er eine größere Summe Geld auftreiben, weil der Lieferant der roten Teppiche im Foyer ansonsten mit einem Skandal droht.

Zum Glück gibt es aber im Hintergrund noch den reichen KommerzienratFriedrich Haenle, der für sechzig Prozent aller offen stehenden Forderungen eintreten will.Dieses Angebot führt allerdings in der Familie des Unternehmers zu Überlegungen, den Patriarchen "entmündigen" zu lassen, um dadurch weiteres Unheil zu verhindern.

Aber nicht nur die verschwenderische Ausgestaltung der Schwanthaler Passagebringt die Unternehmung an den Rand des Desasters.TheaterdirektorAlexander Bluhm hat auch beim Künstlerpersonal kräftig hingelangt. Neben dem üppig besetzten Schauspieler-Ensemble leistet er sich ein mit fünfzig Musikern besetztes Orchester und ein

Seite 428/814 stattliches Ballett: 36 Tänzerinnen, 16 Tänzer, 48 Figuranten und 60 Komparsen gehören zum festengagierten Stammpersonal. Weil aber Direktor Bluhm schon zwei Monate vor der Premiere kein Geld mehr für Gagen besitzt, müssen die Proben abgesagt werden.

In München machen die Probleme des neuen Theaters schnell die Runde.Für die hiesigen Lästermäuler wird aus der Schwanthaler Passageganz schnell die "Schwanthaler Blamage", während man die Betreiber des Etablissements als "Schwanthaler Bagage" verhöhnt.

Die erzkonservative Zeitung Das Bayerische Vaterlandblickt sowieso mit Schaudern auf die Programmankündigung des Unterhaltungstempelsan der Schwanthalerstraße und sieht schon dadurch die "moralischen Grundsätze des christlichen Abendlands" als gefährdet an.Die Zeitung befürchtet, dass es sich bei dem neuen Theater um ein "Institut für moralische Schweinezüchterei", ja sogar um einen "Kunstsaustall" handelt.

Neben der veröffentlichten Meinung bereiten aber auch die genehmigenden staatlichen Behörden dem TheaterdirektorAlexander Bluhm große Probleme, indem sie ihm zunächst "die ortspolizeiliche Productionsbewilligung für theatralische Vorstellungen" verweigern.Im Hintergrund agiert hier der einflussreiche Münchner HoftheaterdirektorRitter Ernst von Possart, der in dem neuen Theater in der Schwanthaler Passageeine "dauernde schwere Schädigung der materiellen Interessen der königlichen Hofbühne" sieht.

Aber nicht nur die Angst vor einer unliebsamen Konkurrenz, die den Hoftheaterndie Zuschauer abspenstig machen könnten, sondern auch eine tief empfundene Abneigung gegen alles Moderne bringen Ritter Ernst von Possart gegen das neue Theater in Rage.Der den Traditionalistenangehörende Hoftheaterintendantpflegt auf seinen Hofbühneneinen antiquierten, stark verstaubten Stil, der kaum mit dem zeitgenössischen Theater der Naturalistenzu vereinbaren ist.

1897 München-Hackenviertel *Carl Gabriel scheidet aus der "Direktion" des "Internationalen Handels-Panoptikums" in der Neuhauser Straße aus.

Eduard Hammer führt das Unternehmen alleine weiter.

1897 Miesbach * Insgesamt 98 "Verdächtigte" des "Haberfeldtreibens" vom 7./8. Oktober 1893 in Miesbach werden angeklagt.

95 Angeklagte werden wegen "Landfriedensbruch" zu Gefängnisstrafen von neun Monaten bis zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

Der Polizei- und Justizerfolg bringt das Ende des "Rügebrauchs". Zwischen 1901 und 1922 werden nur noch vier "Haberfeldtreiben" gezählt.

1897 München - Puchheim * Die Stadtverwaltung schließt mit der "Gesellschaft Hausmüllverwertung München" einen Vertrag, worin sich die Stadt verpflichtet, dieser Gesellschaft den "gesamten Hausunrat ohne Ausnahme" zur

Seite 429/814 Trennung in verwertbare und nicht verwertbare Teile zu überlassen.

Die Gesellschaft baut dafür in Puchheim eigens eine entsprechende Anlage. Die Stadt sorgt dafür, dass der "Müll" mit der Eisenbahn nach Puchheim transportiert wird.

Aufgabe der Gesellschaft ist es, aus dem "Hausmüll" landwirtchaftlich verwertbaren Dünger herzustellen und die hierfür nicht geeigneten Bestandteile des Mülls "hygienisch einwandfrei zu verwerten". Ausgesondert werden Glas, Papier, Knochen, Lumpen und Metalle, außerdem Gummi, Kork und Holz. Was übrig bleibt, wird auf unfruchtbarem Moorgrund aufgeschüttet.

Nach Darstellung der "Süddeutschen Sonntagspost" ist danach der Moorboden so fruchtbar, dass darauf sogar Futterrüben angebaut werden können.

1897 München-Graggenau * Die Halle aus Glas und Eisen, die den "Königlichen Wintergarten auf dem Festsaalbau der Münchner Residenz" bedeckt hatte, wird abgebaut und auf dem Gelände der "Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg - MAN" in Nürnberg wieder aufgerichtet.

Sie wird im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zerstört.

1897 München-Graggenau * Ein erster "Führer durch die Residenz zu München" erscheint.

Täglich außer an Sonn- und Feiertagen kann die "Residenz" besichtigt werden. Ausgenommen sind natürlich die von der Herrscherfamilie noch bewohnten Zimmerfolgen.

1897 München * Der "Verein der Brauereibesitzer in München" hat 15 Mitglieder.

1897 München-Au * Als in diesem Jahr das Niveau der Zeppelinstraße um einen Meter angehoben wird, bietet sich für Johann Bucher ein Neubau seines Hauses für seinen Laden und seine "Drahtfabrik" förmlich an.

1897 Deutsch-Südwestafrika * Die "Herero" erwirtschafteten ihren Lebensunterhalt traditionell mit der "Rinderzucht".

Als es im Jahr 1897 zu einer "Rinderpest" ausbricht, werden die Herden der "Herero" stark dezimiert. Durch die zunehmende "Aneignung des Landes", insbesondere wertvoller "Weidegründe", durch die sich die "deutschen Siedler" in den Besitz der Rinder bringen wollen, kommt es in der Folge zu empfindlichen Einbußen der "Herero".

Das betrifft nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Werte. Hinzu kommen noch"Betrügereien" der Siedler.

Seite 430/814 Durch die daraus resultierende Verarmung waren viele "Herero" gezwungen, Lohnarbeit auf deutschen Farmen anzunehmen. Andere, noch Vieh besitzende "Herero", geraten immer öfter in Konflikte mit den "Siedlern", wenn sie ihre Herden auf dem nunmehr von den Deutschen beanspruchtem Land weiden ließen. Zornige "Siedler" vertreiben die "Hirten" oftmals gewaltsam.

Neben dem existenzbedrohenden Verlust immer größerer "Weidegebiete" war es die "rassistische Diskriminierung der Herero", die als Auslöser für den "Aufstand" wirkt.

Weitere schwere Vergehen waren "Vergewaltigung" und "Mord", deren sich "Siedler" gegenüber den "Herero" schuldig gemacht hatten. Dass diese Fälle vielfach nicht oder nur milde bestraft werden, verstärkt die Spannungen weiter.

1897 München-Untergiesing * In unmittelbarer Nähe des Schyrenbadesfindet nun auch der vom Städtischen Schlachthofan der Kapuzinerstraße dorthin verlegte Heumarktstatt. Der Heumarktist für die zahlreich vorhandenen Pferde der Fuhrunternehmer, Brauereien usw. unverzichtbar.

1897 München * Die "Israelitische Kultusgemeinde München" wehrt sich massiv gegen die "Zionistische Bewegung" von Theodor Herzl, der in der bayerischen Haupt- und Residenzstadt den ersten "Zionisten-Kongress" abhalten will.

Herzl hat sich für München als Veranstaltungsort entschieden, weil "diese Stadt als gastfreundlich gilt und ein geeigneter Verkehrsmittelpunkt" ist.

Der zionistische Gedanke, der auf die Verwirklichung einer jüdischen Nation mit einem eigenen Staat "Palästina" hinzielt, wird von den bayerischen Juden abgelehnt. Sie fühlen sich als deutsche Staatsbürger und sehen durch das zionistische Gedankengut ihre Bemühungen um Integration gefährdet.

Sie wollen alles unterlassen, was den antisemitischen Parolen von der "fremden jüdischen Rasse" und "dass die Juden Liebe und Anhänglichkeit zu ihrem Vaterlande nicht besitzen" neue Argumente liefern könnte.

Der Widerstand der Münchner Juden bewirkt, dass der erste "Zionisten-Kongress" in Basel stattfinden muss.

1897 München * Der Malzverbrauch aller Münchner Brauereien liegt bei 1.434.283 Hektoliter.

16. März 1897 München-Haidhausen * 56 sportbegeisterte "Turngenossen" gründen in einem Gaststättensaal an der Pariser Straße 30 den "Arbeiter-Turn-Verein-München Ost".

Der "Arbeiter-Turn-Verein München-Ost" hat die benötigte finanzielle Hilfestellung von der SPD und den Gewerkschaften erhalten. Damit können die Turner wieder ihre organisierten Übungsstunden abhalten.

Seite 431/814 Als monatlichen Beitrag müssen die Mitglieder 50 Pfennige aufbringen.

Im ersten Monat liegt das Beitragsaufkommen - inclusive Spenden - bei 28 Reichsmark. Nach Abzug von 40 Mark für die Anschaffung des notwendigen Turngeräts und der fälligen Turnhallenmiete muss ein Minderbetrag von zwölf Reichsmark von der SPD und der Gewerkschaft übernommen werden.

Da es in Haidhausen keine anmietbare Turnhalle gibt, findet der Turnbetrieb des "Arbeiter-Turn-Vereins München-Ost" in den Nebenzimmern von Gaststätten statt. Dazu müssen die eigenen Geräte mitgebracht werden.

April 1897 München-Hackenviertel * Im "Internationalen Handels-Panoptikum" wird eine "Witwenverbrennung in Indien" und der "Tod eines lebenslänglich Verurteilten in den sibirischen Bergen" gezeigt.

Mit solchen Darstellungen soll den Besuchern die Überlegenheit der westlichen Zivilisation insbesondere gegenüber der außereuropäischen Welt vor Augen geführt werden.

September 1897 München-Theresienwiese * Johann Rössler erhält ein Schreiben vom Münchner Magistrat, in dem dieser ihn bittet, den Wunsch vieler Münchner zu erfüllen und die zur Attraktion gewordene "Ochsenbraterei" wieder auf der "Wiesn" zu präsentieren.

26. September 1897 Concesio * Giovanni Battista Enrico Antonio Maria Montini, der spätere Papst Paul VI., wird in Concesio, nahe Brescia, geboren.

31. Dezember 1897 München * Die Biereinfuhr nach München beträgt 9.295 Hektoliter. Sie hat sich seit 1830 nur um 636 Hektoliter erhöht.

31. Dezember 1897 München * Der Export Münchner Bieres liegt bei 1,5 Millionen Hektoliter. Der Bierverbrauch in München beträgt 1,7 Millionen Hektoliter.

1898 München-Au * Ludwig Weinberger senior gründet eine Wagnereiin der Brunnthaler Straße und beschäftigt sich zunächst mit der Herstellung von Pferdefuhrwerken.

1898 München-Kreuzviertel * In der Folge des Pariser Basarbrandsmüssen im Oberpollingerzur Freihaltung von Fluchtwegen zehn Tische entfernt werden. Damit verringern sich die Sitzplätze von 300 auf 220, was natürlich den Umsatz und damit das Einkommen der Gastronomie und der auftretenden Künstler erheblich schmälert.

Seite 432/814 1898 München-Maxvorstadt * Der FabrikantCarl Ungerer lässt sich das hochherrschaftliche Doppelhaus an der Brienner Straße 38/40 erbauen. Architekt ist Eugen Drollinger. Carl Ungerer lebt hier bis 1905.

1898 München - München-Haidhausen *Mit einer Ministerialentschließungwird dassogenannte "Fünf-Prozent-Grün" eingeführt.Diese legt fest, dass in allen zu erstellenden Baulinienplänen fünf Prozent der Gesamtfläche als Grünanlagen und Spielplätze auszuweisen sind. Haidhausen und das Franzosenviertelist mit Grünanlagen nicht gerade gesegnet. Eine Begründung lässt sich auch darin finden, dass eine Sicherung von Grünanlagen ohne staatliche Verordnung seinerzeit nicht denkbar ist. Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert.

Bei der Bebauung eines Gebiets durch Terraingesellschaftensind die Flächen unentgeltlich an die Stadt abzutreten. Diese städtebaulich und sanitär bedeutende Entscheidungbetrifft anfänglich nur die großen Grundbesitze, da die entsprechenden fünf Prozent hier auch tatsächlich eine größere zusammenhängende Fläche ergeben. Später werden die Fünf-Prozent-Flächen durch Grundabtausch erstellt.

Zwar sind im Franzosenviertelmit dem Orleans-, Weißenburger-, Pariser- und Bordeauxplatz die ersten stadtteilbezogenen Grünanlagen geschaffen worden. Diese dienen jedoch mit ihren regelmäßigen Formen und überschaubaren Größen rein als Schmuckplätze und Mittelpunkt eines Wohngebiets. Zum Spielen und als Aufenthalt für Kinder sind sie jedoch nicht geeignet, da zudem noch der Straßenverkehr über diese Plätze führt. Zu diesem Zeitpunkt hat sich im dicht besiedelten Franzosenviertellediglich noch zwischen Orleans-, Lothringer- und Pariser Straße ein unbebautes Areal erhalten: die Postwiese.

Walter Heerde weist in seinem Haidhausen-Buchdarauf hin, dass die Postwieseihren Namen völlig zu unrecht trägt, "denn es handelte sich nicht um eine Wiese, sondern um eine große, häßliche Grube, die zwar von der Haidhauser Jugend von je her als Spielplatz und winterliche Rodelstätte benützt wurde, aber sonst einen Schandfleck und ein Sorgenkind Haidhausens bildete".

1898 München-Haidhausen - München-Lehel * Der Kabelsteg- Münchens schönste und meistfotografierte Brücke - wird zur Kabelüberführung errichtet.

1898 München * Um die Jahrhundertwende ist die Bezeichnung Münchner Architekturauch im Ausland ein Qualitätsbegriff. Speziell zwei Gebäudetypen werden dabei zu einem beliebten Exportartikel: der Bierpalastund das Schulhaus.

Natürlich ist die Konzeption des Schulhausbaues eine langjährige Entwicklung, doch mit Carl Hocheders Volksschule am Kolumbusplatzist der vorläufige Höhepunkt erreicht. Schulgärten, Brausebäderund die Turnsaalanbautensind feste Bestandteile in den Volksschulen. Schulküchen, Schulwerkstättenund Hortewerden bei Bedarf eingefügt. Die Bauform ergibt sich durch Aneinanderschieben der L-förmigenJungen- und Mädchentrakte. An der Gelenkstelle entstehen die übereinanderliegenden Turnsäle.

1898

Seite 433/814 München-Au * Der Bäcker Josef Bernbacher verkauft sein Brot in der Quellenstraße 42.

1. Januar 1898 München-Maxvorstadt * Die kleine, 210 Meter lange Straße, welche an der Nordseite der Brienner Straße, unmittelbar gegenüber der einstigen GartenvillaRichard Wagners, zur Gabelsbergerstraße führt, wird mit dem Namen Richard-Wagner-Straßebenannt. Einebereits vorhandene Richard-Wagner-Straßein Neuhausen istkurz zuvor in Nibelungenstraßeumbenannt worden.

15. Januar 1898 München * Die Vorschrift tritt in Kraft, wonach "Neubeschaffene sowie nachbeschaffene Behälter in Bezug auf Maß und Form genau der beim Stadtbauamt aufbewahrten Mustertonne entsprechen" müssen.Diese sind bis zum Jahr 1983 offiziell in Gebrauch.

28. Februar 1898 Berlin * Das Flottengesetzdes Deutschen Reichstagsin Berlin löst das Wettrüsten mit Großbritannien aus.

11. Juni 1898 München-Isarvorstadt * Prinzregent Luitpold eröffnet die II. Kraft- und Arbeitsmaschinen-Ausstellung. Als Ausstellungsgelände dient die Kohleninsel, die auch "zu etwas anderem gut sei als zu schmutzigen Schuppen, nächtlichem Aufenthalt lichtscheuen Gesindels und ab und zu einer verschwiegenen Mord- oder Gewalttat".

Der Ausstellungsbau ist ein gewaltiges Gebäude im neoklassizistischen Stil mit einer imponierenden, säulengeschmückten Eingangshalle, einem 45 Meter hohen Rundturm, dessen Aussichtsgalerie über einen elektrischen Fahrstuhl erreicht werden kann, und weiteren Nebengebäuden.Zusammen mit der integrierten Isarkasernestehen rund 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung.

Architektonisch folgt man zwar den großen Vorbildern der Weltausstellungen, doch der schöne Schein isttrügerisch, denn die Bauten bestehen aus zusammengenagelten und weiß getünchten Brettern, die Säulen und der üppige Figurenschmuck sind lediglich Gips und Stuck - und damit nur für eine begrenzte Dauer konzipiert.

Im südlichen Teil der Insel erreicht man über einen Park das Hauptrestaurant.Dem gegenüber befindet sich das Automatenrestaurant, in dem man sich - eine absolute Neuheit für die Münchner - gegen Geldeinwurf verpflegen kann. Im Park gibt es außerdem eine große Gartenschau und täglich stattfindende Standkonzerte.

September 1898 München-Theresienwiese * Der Krokodilwirt Georg Lang gilt als Erfinder der Bierzelt-Stimmung. Er engagiert für sein Festzelt eine eigene, dreißigköpfige Festkapelle, die in der Tracht auftritt und als "Lang?s Original Oberlandler" bekannt wird. Die Blaskapelle ist in Tracht gekleidet und greift auf ein breites Spektrum beliebter Unterhaltungsmusik zurück. Die Polizeibehörde hat gegen den Einsatz einer Hauskapelle, die noch dazu vom Festwirt bezahlt wird, keinerlei Einwände, da dadurch das lästige Sammeln der Musiker mit dem Teller entfällt.

Die revolutionäre Tat Georg Langs folgt einer Mode jener Jahre. In vielen Bierpalästen, Singspielhallen und Volkssängerlokalen sind Musikkapellen in Oberländer oder Dachauer Tracht gang in gäbe. Mit der Musik steigert er den Bierumsatz.

Seite 434/814 September 1898 München-Theresienwiese * Die Ochsenbratereiist - sehr zur Freude der Münchner - wieder auf dem Oktoberfestvertreten.

September 1898 München-Theresienwiese * Der aus Nürnberg stammende "Krokodilwirt" Georg Lang erhält vom Stadtmagistrat - bei einer Gegenstimme - die Genehmigung zur Aufstellung eines Großzeltes, und das, obwohl Lang gleichzeitig drei Zulassungsbedingungen umgeht.

Er stammtnicht aus München, bewirtschaftetseinen Wiesnausschank nicht selbst und bautseine Riesenhalle auf fünf Wirtsbudenplätze alter Größe.Diese lässter über fünf Münchner Wirte als Strohmännerersteigern und dort die "Lang?s Riesenhalle" errichten.

Da die Stadt nichts dagegen unternimmt, macht sie den Weg für die Bierhallenim großen Stile frei.Da diese Form des Bierausschanks finanzkräftige Investoren voraussetzt, verlagert sich die Trägerschaft von den Wirten auf die Brauereien.

Michael Schottenhamel war noch im Jahr 1881 mit dem selben Ansinnen vom Magistrat abgewiesen worden.

10. September 1898 Genf * Die österreichische Kaiserin und Apostolische Königin von Ungarn, Elisabeth [Sisi], wird in Genf ermordet. Gegen 13:30 Uhr stößt ihr der 25-jährige italienische Anarchist Luigi Lucheni eine scharf geschliffene Feile ins Herz.

Kaiserin Elisabeth war zur falschen Zeit am falschen Ort, denn Ihr Mörder hat es ursprünglich nicht auf sie abgesehen, sondern auf den französischen Thronanwärter, den Prinzen Henri Philippe d?Orléans. Da das auserkorene Opfer aber kurzfristig seine Reisepläne änderte, ermordet Lucheni kurzerhand die 60-jährige Elisabeth, die im Hotel Beau Rivage abgestiegen war. Sisi bemerkt den Einstich nicht, kann ihre Vorhaben zunächst weiter verfolgen, bricht dann aber zusammen und stirbt um 14:40 Uhr.

1899 Brandenburg * Die Alpenvereins-Sektion Brandenburgdes DuOeAVwird ausschließlich für "christlich getaufte, deutsche Staatsbürger" gegründet.

1899 München-Hackenviertel * Schon einer der ersten im Internationalen Handels-Panoptikum gezeigten Filme verursacht einen Skandal. Er heißt"Endlich allein" und zeigt ein Brautpaar am Hochzeitstag. Die Schlussszene wird umgehend zensiert. Auch in den folgenden Jahren sorgen Filme wie "Im Bad einer Pariserin" oder "Im Chambre séparée" für Aufregung.

Die Neue Bayerische Zeitungschreibt über das neue Medium Kino:"Es scheinen für dieses Etablissement

Seite 435/814 überhaupt nur Nacktheiten als sehenswert und interessant zu existiren.Wir enthalten uns jeglicher weiterer Ausführungen und stellen nur die ergebene Anfrage: Wo bleibt die Münchner Sittenpolizei?Schläft sie oder existirt sie nicht mehr?"

Freilich werden neben solchen Filmen auch regelmäßig Aufnahmen von den verschiedenen und aktuellen Kriegsschauplätzen gezeigt.

1899 München-Isarvorstadt * Der "Verein zur Erbauung eines Monuments für Weiland Seine Majestät König Ludwig II. e.V." wird gegründet. Er wird die Summe von 185.000 Mark sammeln und den Auftrag für ein 3,40 Meter hohes und von Ferdinand von Miller entworfenes und gegossenes Denkmal auf der Corneliusbrückeerteilten.

1899 München-Haidhausen * Die Haidhauser Unionsbrauerei, damals noch nicht Mitglied im Verein der Brauereibesitzer in München, hat - durch Unterbieten der Preise und Gewährung von Sonderkonditionen - mehrere unabhängige Wirte "an sich gerissen". Das führt zu harten Auseinandersetzungen mit dem Münchner Brauereibesitzerverein.

1899 München * Das Kaufhaus Hermann Tietz, der spätere Hertie, wird als erstes Kaufhaus in München eröffnet. Der Kaufhausbesitzer muss sich mehrmals vor Gericht den Anschuldigungen der Antisemitenerwehren, dass er durch ihre niedrigen Löhnedie Verkäuferinnen zur Prostitution treiben würde. Das bringtzwar den Anschuldigern hohe Geldstrafen ein, hataber auch Auswirkungen auf das Geschäft des Warenhauses Tietz.

1899 München-Graggenau * Die Arbeiten für den zweiten Bauabschnitt des Neuen Rathausesbeginnen. Sie dauern bis 1909 an. Insgesamt 43 baierische Herrscher, davon eine Frau, sind am Neuen Rathausangebracht worden. Es ist der größte Herrscherzyklusan einen deutschen Rathaus und ist als Antwort auf die Verherrlichung der Hohenzollern in der Berliner Sieger Alleezu verstehen. Insgesamt 102 Figuren und Figurengruppen schmücken das Neue Rathaus.

1899 München-Maxvorstadt * Gabriele, die gemeinsame Tochter von Franz und Lolo von Lenbach kommt zur Welt.

27. April 1899 München-Isarvorstadt * Die Fußball-Abteilung des "TSV 1860 München" wird gegründet, was fast einer revolutionären Tat gleichkommt. Doch die Gruppe derer, die hinter dem Fußball herläuft, wird immer größer.

Ist schon die Gründung einer Fußball-Abteilung innerhalb eines Turnvereins nicht gerade einfach, so stellt die Suche nach einem geeigneten Spiel- und Trainingsplatz ein weiteres Problem dar.

Zur Abhaltung eines geregelten Übungs- und Wettkampfbetriebs braucht ein solcher Verein nicht nur eine

Seite 436/814 beliebige freie Wiese, sondern einen gut planierten und gepflegten Rasen mit einem deutlich erkennbar abgegrenzten Spielfeld. Die Vereine wendensich deshalb an den "Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt München" mit der Bitte um Mitbenutzung der bereits vorhandenen und nach den oben genannten Kriterien angelegten "Jugendturnspielplätzen".

Der "Turnverein München von 1860" stellte den Antrag auf Mitbenutzung des nahe dem Vereinsheim an der Auenstraße gelegenen "Jugendturnspielplatzes an der Schyrenwiese" und kann daraufhin auf dem "Schyrenplatz" - allerdings unter strengsten Auflagen - üben und Wettkämpfe veranstalten. So darf der Platz nur im Sommerhalbjahr bespielt werden, an Regentagen oder bei noch nicht abgetrockneten beziehungsweise durchweichtem Boden jedoch nicht. Jährlich - bis Mitte April - hat der Verein ein Gesuch einzureichen, in dem er seine Wünsche angibt, an welchem Tag und zu welcher Stunde er welchen Platz benutzen will. Dabei muss der "Sportclub" auf die Belegung durch die Schulgruppen Rücksicht nehmen.

Nach jeder Benutzung kommt ein Inspektor vorbei, um den Rasen abzunehmen. Dabei kommt es öfter zu Schwierigkeiten, denn dem städtischen Beamten ist "ein geknickter Grashalm fast zu viel", beschwert sich der "FC Bayern", der seinen ersten Übungsplatz ebenfalls auf der "Schyrenwiese" hat, in einer frühen Festschrift.

Die Fußballer des "Turnvereins München von 1860" trainieren scheinbar lange Zeit und mit großer Ausdauer nur für sich alleine.

Bis zum Frühjahr 1908 spielen die Fußballer in den 1860-Vereinsfarben"grün-gold"

16. Mai 1899 München-Au * Friedrich von Thiersch und das Baugeschäft Heilmann & Littmannunterzeichnen Pläne für die Erweiterung des Münchner-Kindl-Kellersan der Rosenheimer Straße. Thiersch gestaltet einen in den Proportionen wesentlich verbesserten Bau in Formen des Jugend- und Heimatstils. Die Fassadengestaltung strahlt eine Münchner Behäbigkeit aus.

Der weit über Münchens Grenzen hinaus bekannte Biertempelwird so beschrieben:"Die neue Hauptfront des Erweiterungsbaues ist in Deutschrenaissance gehalten.Die Mitte des Baues besteht aus einem 25 Meter hohen Giebel, an dessen beiden Seiten Türme angebracht sind; eine geräumige Terrasse, von Kreuzgewölben getragen, mit seitlichen Treppentürmchen versehen, erstreckt sich in der Höhe des ersten Stockwerkes.

Dass man sich vor einem modernen Bierpalast befindet, kennt man sofort an der originellen, dekorativen Weise, in der der Bau ausgeführt ist.Die an Maßkrugdeckel erinnernden Turmhauben und das große Bild des Münchner Kindls aus farbigen Tonplatten an der oberen Giebelfläche ist der beste Beweis hierfür?.

Mit einem Flächeninhalt von 1.600 Quadratmetern und einem Fassungsvermögen von über 5.000 Personen entstehthier der größte Saalbau Münchens und der viertgrößte im Reich. Hinzu kommt noch ein 500 Plätze fassendes "Bräustüberl? und ein Biergarten, in dem ebenfalls 5.000 Sitzplätze zur Verfügung stehen.

Am weithin sichtbaren Giebel, der von zwei Türmen mit kupfergedeckten Hauben flankiert ist, findet sich ein

Seite 437/814 Mosaik mit dem Münchner Kindl.Zwischen den Turmgeschossen sind stilisierte Eichenbäume mit Blattwerk angebracht. An der Ecke zur Hochstraße, an der die Stützmauer des Biergartens mit schönen alten Kastanienbäumen die Höhe eines Vollgeschosses erreicht, schiebt sich ein Balkon zur Straße vor, überwölbt von einem Bogen, auf dem ein maßkrugschwingendes "Münchner Kindl" steht.

Thiersch hat die Baugruppe zu einem Blickfang an der von der Isar her ansteigenden Rosenheimer Straße gestaltet.Die Formensprache seines Anbaus zeigt keinerlei Anklänge an die Renaissancearchitektur des bestehenden Altbaus, der streng symmetrisch gegliedert war.

Sehr geschickt löst er die Aufgänge zum Biergarten und die Stützmauern aus Sichtbeton.Als Abschluss des Wirtschaftsgartens ist an der südlichen Grenze desselben noch eine gedeckte hölzerne Halle errichtet, die die unschönen Brandmauern der benachbarten Brauereien abdeckt.

Um Juli 1899 München-Haidhausen * Der gesamte Straßenbahnbetrieb wird auf Elektrizität umgestellt.

Umbauarbeiten sind notwendig, die sich aber beim "Depot" an der Äußeren- Wiener-Straße - im Gegensatz zu anderen "Betriebshöfen" - in Grenzen halten.

Mit der Elektrifizierung wird die Straßenbahn zum innerstädtischen Massenverkehrsmittel, das die Entstehung dezentraler Wohngebiete und damit das Flächenwachstum der Stadt fördert. Das erhöht andererseits das Verkehrsaufkommen und fordert den weiteren Linienausbau.

Diese rasante Entwicklung wirkt sich natürlich auch auf den Haidhauser "Betriebshof" aus.

17. Juli 1899 Bayern *Bei den Wahlen erhalten die Liberalennur noch 44 Mandate [- 23], das Zentrum, der Bayerische Bauernbundund die SPDkönnen leicht zulegen, die Sozialdemokraten ihr Ergebnis von fünf auf elf Mandate mehr als verdoppeln.

Bei dieser Wahl schließen das Zentrumund die SPD, die sonst nur wenig Gemeinsamkeiten haben, erstmals ein Bündnis, wonach sie sich gegenseitig in den drei WahlbezirkenMünchen, Zweibrücken und Speyer ihre Stimmen geben, je nach den größeren Wahlchancen der örtlichen Kandidaten. Auf diese Weise sollen die Tücken des Mehrheitswahlrechtsüberwunden werden, wonach sämtliche Stimmen für die unterlegenen Kandidaten innerhalb eines Wahlkreises verfallen.

20. Juli 1899 Berlin * Die Bezeichnung "Salvator" wird vom Kaiserlichen Patentamtin Berlin als gesetzlich geschütztes Warenzeichen anerkannt. Der Firmenname wird daraufhin von Gebrüder Schmederer Aktienbrauereiin Paulaner-Salvator-Brauereiumbenannt.

13. September 1899 München-Bogenhausen * Die Isar schwillt auf 1.290 Kubikmeter in der Sekunde an. Bei diesem sogenannten Jahrhunderthochwasserwird die Luitpoldbrückein Bogenhausen von den Fluten des Gebirgsflusses weggerissen.

Seite 438/814 November 1899 München-Hackenviertel - München-Schwabing * Eine Gruppe von "Sioux-Indianern" wirdim "Internationalen Handels-Panoptikum" ausgestellt.

"Red-Tail", ein Mitglied der Truppe stirbt in München an Tuberkolose. Der Todesfall und die Beerdigung am "Schwabinger Friedhof" sorgt für großes Aufsehen in der Presse.

Dezember 1899 München-Isarvorstadt - Museumsinsel *"Stadtbaumeister" Theodor Fischer entwickelt ein neues Bebauungskonzept für die "Kohleninsel".

Eine kleine Idealstadt soll entstehen, "umrauscht von der Isar und mit Blick auf die Alpen".

Nach Fischers Vorstellungen soll "um einen mit Brunnen und Monumenten geschmückten Platz, ähnlich den Marktplätzen in manchen Tiroler und altbayerischen Städten, gruppieren sich die verschiedenen malerischen Bauten mit offenen Lauben und Säulenhallen zu einem reizenden architektonischen Gesamtbild".

Die Bebauung der "Kohleninsel" sollte eine Art Münchner Gegenstück zur "Mathildenhöhe" von Darmstadt werden. Doch der Magistrat lehnt die Planungen ab.

Um 1900 München * Die Brauereien stehen unangefochten an der Spitzeder Münchner Wirtschaft.

Um das Jahr 1900 München * Für Frauen im Fernsprechdienstgelten folgende Einstellungsbedingungen:

"Die Bewerberinnen - Mädchen oder kinderlose Witwen - müssen zwischen 18 und 25 Jahre alt sein, eine gute häusliche Erziehung erhalten und sich sittlich tadellos geführt haben, von entstellenden Gebrechen frei und körperlich vollkommen gesund sein, namentlich ein gutes Seh- und Hörvermögen sowie normale Atmungswerkzeuge besitzen und nicht zu Ohrenleiden, Nervosität und Bleichsucht neigen. Zur Einstellung als Telegraphengehülfin ist im allgemeinen eine Körpergröße von mindestens 158 cm erforderlich. Die Bewerberinnen dürfen keine Schulden haben. Es können in der Regel nur solche Bewerberinnen angenommen werden, welche in dem Orte der Beschäftigung dauernd festen Familienanhalt durch nahe Verwandte haben und bei diesen wohnen. Ausnahmen hiervon unterliegen der Genehmigung der Ober-Postdirektion. [...] Die Beschäftigung ist eine widerrufliche und gewährt keinen Anspruch auf Zulagen, Unterstützungen usw. Die Verheiratung hat den Verlust der Stelle zur Folge."

Seite 439/814 Neben den günstigen Lohnkostenwerden die Damen auch wegen ihrer - als weibliche Sozialisationbeschriebenen - geschlechtsspezifischen Eigenschaften wie Einfühlungsvermögen, Aufmerksamkeit, Genauigkeit, Höflichkeit, Geduld, einfach "die ausgleichenden und vermittelnden Qualitäten der Frau", eingestellt.Gerade in der Anfangsphase des Vermittlungsdienstes müssen die Frauen die Pannen, Störungen und Kapazitätsprobleme der Technik mit ihrer "natürlichen Veranlagung" ausgleichen.

Sie kommen meistens aus gutem Hause, sind unverheiratet, besitzen eine ordentliche Schulbildung - zum Teil sogar mit Fremdsprachenkenntnissen - und verfügen über einen einwandfreien Leumund.

Mit diesen Voraussetzungen garantieren sie ein adäquates Benehmen im Umgang mit den "sozial hochgestellten Telefonabonnenten".Aus einer Vielzahl von Bewerberinnen können die bestqualifiziertesten Frauen ausgewählt werden, die aufgrund ihrer Vorbildung, Sozialisation und Jugend als hoch motivierte Arbeitskräfte mit wenig anderen Berufs- oder Aufstiegschancen anerkannt sind. Die jungen Damen haben eine Aufnahmeprüfung in Rechnen, Geographie und Aufsatz zu absolvieren.Nach einer halbjährigen Probezeit müssen sie eine mündliche Prüfung ablegen und praktisch beweisen, dass sie Telefon- und Telegrafenapparate bedienen können.

Die Tätigkeit in der Telefonvermittlung wird jetzt als dauerhafte Beschäftigung für Frauen verstanden.Wie schwer der Beruf der Telefonistin war, hängt von einer Reihe von Faktoren ab, beispielsweise von der Größe der Stadt und der Art der Vermittlungsstelle. Die Arbeit einer Ortsvermittlungskraft gilt als monoton und - darüber sind sich die Arbeitsmediziner einig - stellt hohe Anforderungen an das Nervensystem."Eine über mehrere Jahre tätige Telephonistin musste einfach hysterisch werden".

Die wöchentliche Arbeitszeit schwankt - je nach Schwere des Dienstes - zwischen 42 und 48 Stunden, nur jeder dritte Sonntag ist frei. Die Dienstschicht dauertelf Stunden; Urlaub gibtes keinen.

Der Durchschnittsverdienst einer Telefonvermittlungskraft liegt etwas über dem von weiblichen Kaufhausangestellten und etwas unterhalb der Einkünfte von Lehrerinnen.Nur einzelne Kräfte können zur Aufsicht aufrücken.

Während des Dienstes ist das Tragen einer einheitlichen Dienstbluse aus dunkelblauem Stoff vorgeschrieben, da man befürchtet, dass "bei der Eigenart der weiblichen Natur nur zu leicht ein gegenseitiges Überbieten in der äußeren Erscheinung Platz greifen würde".

Um 1900 München * Der durchschnittliche Stundenlohn für eine Speisträgerin, ein sogenanntes Mörtelweib, liegt bei 22 Pfennige.Ein männlicher Mörtelträgererhält für die gleiche Arbeit 50 Pfennige in der Stunde. Die Mörtelweiberarbeiten im Akkord und bilden zu je Zweien eine Partie, die in einer Trage den Mörtel, auch Speisgenannt, zu den Maurern hinaufbringen.

Seite 440/814 Besonders in den Bauboom-Jahren vor der Jahrhundertwende sind die Mörtelweiberin ihren dicken, unförmigen und langen Röcken, ihren kalkzerfressenen Blusen und den straff gebundenen Kopftüchern, aus dem Münchner Stadtbild nicht wegzudenken. Den robusten und anspruchslosen Frauen und Mädchen, die für HungerlöhneFronarbeit leisten, ist der Aufbau Münchens in der Gründerzeitzu verdanken. Der Arbeitstag dieser Frauen beginntum sechs Uhr früh; dabei befindetsich die Baustelle oft in der entgegengesetzten Richtung, irgendwo in Schwabing oder in Nymphenburg, was erstmals einen - zum Teil - mehrstündigen Fußmarsch - schon vor Arbeitsbeginn - bedeutet.

Zur Brotzeit "gönnt" man sich eine Halbe Bier, ein paar "Maurerloabe und einige Radi". Mittags gibts einen Krug Bier, mehrere Scheiben Brot und "ein Fünftel warmen Leberkäs? minderer Sorte".Das "Nachtessen" besteht aus Bergen von gerösteten Kartoffeln mit Zwiebeln.

1900 München * Der Verein der Brauereibesitzer in Münchennennt sich in Verein Münchner Brauereienum.

1900 München-Ludwigsvorstadt * Die Spatenbrauereiwird Teilhaber am Deutschen Theater.

27. Januar 1900 Shandong - China * Die Kolonialmächtefordern die chinesische Regierung auf, europäische Einrichtungen vor den Boxernzu schützen.

Im Frühjahr und Sommer 1900 führen Attacken der sogenannten Boxerbewegunggegen Ausländer und chinesische Christenzu einem Krieg zwischen China und den Vereinigten acht Staaten, die sich zusammensetzten aus dem Deutschen Reich, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Österreich-Ungarn, Russland und den USA.

Getragen wird der Boxeraufstandvon den Verbänden für Gerechtigkeit und Harmonie.Die Boxerbekämpfen den europäischen, US-amerikanischen und japanischen Imperialismus. Die Bezeichnung Boxerbezieht sich auf eine traditionelle chinesische Kampfkunstausbildung, die sich selbst als Yihetuan, also Verband für Gerechtigkeit und Harmonie, nennt.Bei den Boxernhandelt es sich um eine soziale Bewegung die sich zwischen 1898 und 1900 als unmittelbare Reaktion auf die Krisenstimmung gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebildet hatte.

Ihr ursprünglicher Schwerpunkt lag in der Provinz Shandong, wo das Deutsche Reich"einige Bergbau- und Eisenbahnkonzessionen besaß. Im Frühjahr und Sommer 1900 breitet er sich dann über weite Teile Nordchinas aus.

Die Boxermachen die Ausländerund die chinesischen Christenfür die Störungen der natürlichen Umweltund der sozialen Harmonieverantwortlich.Sie fordern die Beseitigung der Feinde Chinasmit Gewalt, um die Harmoniewieder herzustellen und treten dabei als Unterstützer der herrschenden Quing-Dynastieauf. Eine ihrer Parolen lautet: "Unterstützt die Quing und vernichtet die Fremden."

März 1900 München-Hackenviertel * Als der Wiener Gemeinderat Lucian Brunner im Münchner "Kreuzbräu" im Auftrag des Historikers und Pazifisten Ludwig Quidde für den liberalen "Demokratischen Verein" einen Vortrag halten soll,

Seite 441/814 kommt es durch Parteigänger der "Christlich-Sozialen-Vereinigung" zu Ruhestörungen und einer Massenschlägerei.

Als Quidde das Rednerpult betritt, "ging ein wütendes Gejohle und Gepfeife an, unterbrochen von Rufen: [...] "Raus mit dem Juden".

Am Veranstaltungslokal bringen die Antisemiten ein Plakat mit folgender Aufschrift an: "Hier werden wegen Kohlemangels Juden verbrannt".

15. April 1900 Shandong - China * Die "Boxer" werden offiziell verboten. Da sich jedoch reguläre kaiserliche Truppen mit ihnen verbünden, lässt sich das Verbot nicht durchsetzen.

Nun ändert die "Kaiserinwitwe" Cixi und ein Teil der hohen Beamtenschaft erneut ihre Meinung und beginnen, in den "Boxern" Verbündete gegen die "Ausländer" zu sehen.

5. Mai 1900 München-Bogenhausen * Zunächst verkauft Graf Maximilian Josephvon Montgelasgleichnamiger Sohn seine Bogenhausener Besitzungen an Herzog Max in Bayern.

Über dessen Erben geht das Bauerwartungsland an die "Terrain-Aktiengesellschaft Herzogpark München-Gern" von Jakob Heilmann und Max Littmann. Unter der Bezeichnung "Herzogpark" wird es mit Villen für betuchte Münchner Bürger bebaut.

Juli 1900 Windhuk * Die Bürger von Windhuk wehren sich gegen die "Abschaffung der Prügelstrafe" mit folgender Begründung: "Für Milde und Nachsicht hat der Eingeborene auf die Dauer kein Verständnis: er sieht nur Schwäche darin und wird infolgedessen anmaßend und frech gegen den Weißen, dem er doch nun einmal gehorchen lernen muss, denn er steht geistig und moralisch doch so tief unter ihm".

Oftmals mit Lattenstöcken und Rhinozerospeitschen wurden die häufig nackt über ein Bierfass gebundenen Opfer so lange misshandelt, bis sie schwerste Verletzungen davontrugen. Der "Kolonialbeamte" Wilhelm Vallentin fasste seinen Eindruck in die Worte: "Ein rohes, gehacktes Beefsteak ist nichts dagegen!".

27. Juli 1900 Bremerhaven * Kaiser Wilhelm II. hält in Bremerhaven seine berühmt-berüchtigte "Hunnenrede". Anlässlich der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich Chinaspricht der Kaiser die Worte:"Pardon wird nicht gegeben!Gefangene werden nicht gemacht!"

"Wie vor tausend Jahren die Hunnen [...] sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."

Seite 442/814 Um den 15. August 1900 Berlin - Provinz Shandong - China * Im Reichstagverlesen Sozialdemokratische AbgeordneteBriefe von deutschen Soldaten, die an der brutalen Niederschlagung des Boxer-Aufstandesin China teilgenommen haben. Darin heißt es: "Die gefangenen Chinesen haben wir alle totgeschossen, aber auch alle Chinesen, die wir sahen und kriegten, haben wir alle niedergestochen und -geschossen".

26. August 1900 Berlin - Provinz Shandong - China * In einem anderen Brief eines deutschen Soldaten, der an der Niederschlagung des Boxer-Aufstandesin China teilgenommen hat, heißt es:"68 Gefangene sind gezwungen worden, ihr eigenes Grab zu schaufeln; dann wurden sie mit den Zöpfen aneinander gebunden, worauf sie erschossen wurden und rückwärts in das Grab fielen."

Oder ein anderer Bericht, der besagte: "Am Sonntagnachmittag haben wir 74 Gefangene mit dem Bajonett erstechen müssen."

21. Oktober 1900 München-Au * In den aufgelassenen Räumen der München-Dachauer-Aktiengesellschaft für Maschinenpapierfabrikation, am Kegelhof 3 in der Au, wird das Museum für ArbeiterwohlfahrtseinrichtungeneröffnetEs istdas erste Museum dieser Art im deutschsprachigen Raum.

1. November 1900 München-Obergiesing * Der Ostfriedhofwird eingeweiht. Die Baukosten betragen 1.052.510 Mark und sind für damalige Verhältnisse sehr hoch. Die Gräberanlagen werden nach Bedarf angelegt und deren Ausführung erst im Jahr 1912 abgeschlossen. Der 28,43 Hektar große Friedhof wird dann Platz für 34.300 Gräber bieten.

Zum ersten Mal in Deutschland werden die Grabdenkmälerund die Grabbepflanzungeinem strengen Reglement unterworfen, das gleichzeitig mit der Eröffnung des Friedhofs in Kraft tritt. Der Architekt will dadurch die Gräber einer Sektion in einem Typus halten und die Gleichheit der Menschen vor dem Todauf dem Friedhof nicht durch prunkvollen und teuren Grabschmuck durchbrechen. Seine Vorbilder sind die Friedhöfe von Glaubensgemeinschaften älterer Zeit und noch intakte Dorffriedhöfe in Oberbayern und Tirol.

Ein Zugeständnis an die bürgerliche Oberschicht Münchens schafft der Architekt Hans Grässel allerdings mit den Gruftarkadenin den Umfassungsmauernals traditionelle Grabplätze für das reiche Bürgertum. Interessenten wird allerdings zur Verpflichtung gemacht, "den Grabplatz, sei es durch Aufführung einer Kapelle, sei es durch eine sonstige offene, den ästhetischen Anforderungen entsprechende Überdachung, abzudecken", um eine einheitliche architektonische Wirkung zu erzielen. Die Pläne mussten zur Baugenehmigung vorgelegt werden.

1901 München-Haidhausen * Der "Salzburger Hof" an der Rosenheimer Straße 1 kommt in den Besitz der "Aktienbrauerei zum Eberl-Faber".

1901 München-Englischer Garten - Hirschau * Das "Wasser- und Dampfkraftwerk der Maffei-Eisenwerke" wird

Seite 443/814 erweitert.

Dazu werden die das Fabrikgelände durchziehenden Wasserläufe zum "Eisbach" vereinigt. In der neuen Kraftzentrale kommen drei "Francis-Turbinen" mit einer Leistung von 1.000 PS zum Einsatz.

1901 München-Untergiesing * Durch den Neubau des "Marianums für Arbeiterinnen e.V." an der Humboldtstraße 2 kann die Zahl der aufzunehmenden Mädchen verdoppelt werden.

Die Zahl der ständigen Heimbewohner wächst auf 43, wovon die Hälfte körperliche Gebrechen hat.

Gearbeitet wird im "Nähsaal", im "Goldsticksaal", im "Weißsticksaal", im "Blumenbindesaal" oder in Einrichtungen zum "Wäschewaschen" und "Feinbügeln".

Mehrfach betonten die Geschäftsberichte, dass die Tage, "für welche Herr Reichsrat Freiherr von Cramer-Klett Chokolade mit Kuchen stiftete, freudig begrüßt waren".

1901 München-Maxvorstadt * Zwischen 1901 und 1914 ist in dem Haus an der Richard-Wagner-Straße 27 das "Restaurant Richard Wagner" untergebracht.

1901 München-Untergiesing * Die "Baumschule Bischweiler" wird vom damaligen "Stadtgartendirektor" Jakob Heiler als Teil der "Frühlingsanlagen" geplant.

Ihren Namen hat die "Baumschule" von der "Bischweilerstraße" erhalten, die einst dort entlang führte. Die "Gartenanlage" hat in ihrer Grundstruktur und ihrem Wegenetz die Zeiten überdauert. Heute kultiviert das "Baureferat" dort die "Ziergehölze" für die städtischen Beete.

Doch trotz ihrer eher technokratischen Aufgabenstellung ist sie nicht nur eine "Baumschule".

In "Themengärten" lassen sich Blumen und Pflanzen mit allen Sinnen erleben. Die "Stadtgärtner" legten hier einen "Rosen- und Duftgarten" an. Diese werden ergänzt durch einen "Tast-, Flieder- und Giftpflanzengarten".

Die "städtische Baumschule" ist auf "Zier- und Klettergehölze" spezialisiert. Über sechzig verschiedene Pflanzenarten und Sorten gibt es zu sehen. Sie bestechen durch auffällige Blüten, Früchte und Farben.

Alle Pflanzen sind beschildert, sodass sich die Gartenfreunde Anregungen für ihren Garten holen können.

1901 München-Isarvorstadt - Museuminsel * Münchner Bürger beabsichtigen die Gründung eines "Brockenhaus-Vereins".

Seite 444/814 Da man anfangs jedoch gegenüber dem Projekt finanzielle Bedenken äußerte, übernahm zunächst Kommerzienrat Kaspar Baerwindt das geschäftliche Risiko der karitativen Einrichtung als persönlich Haftender.

Die Stadt München stellt Räumlichkeiten auf der "Kohleninsel" zur Verfügung.

1901 München-Untergiesing * Eine "Herakles & Antäos-Gruppe" wird von der Stadt München "für die städtischen Grünanlagen am rechten Isarufer" erworben und auf einem eigens dafür angefertigten Sockel auf dem "Schyrenplatz" aufgestellt.

Die grimmige "Catcher-Gruppe" stellt eine Begebenheit aus der griechischen Mythologie dar. "Antäos", ein libyscher Gigant, war der Sohn des Meeresgottes "Poseidon" und der Erdgöttin "Ge".

Da er seine Kraft durch die Berührung mit seiner Mutter, der Erde, erhielt und ständig erneuerte, besiegte er seine Gegner regelmäßig, um anschließend die Schädel seiner Opfer als "Dachziegel" für den Tempel seines Vaters zu verwenden.

Als er "Herakles", den Sohn des "Zeus" und der "Alkmene", zum Ringkampf zwang, nahm dieser dem Giganten die Kraft, indem er ihn hochhob und in der Luft so lange quetschte, bis die Knochen des "Antäos" brachen und dieser schließlich daran starb.

Thematisch ergibt sich ein Zusammenhang durch die Nutzung von Platz und Gebäude für sportliche Zwecke. Der Standort der Gruppe hat sich seit dem Tag der Aufstellung nicht mehr verändert.

1901 Oberföhring *Der "Oberföhringer Bürgermeister und Ziegeleibesitzer" Fritz Meyer antwortet dem "Bezirksamt" auf detaillierte Beanstandungen folgendermaßen:

"Für unsere italienischen Arbeiter [...], die sich vom frühen Morgen bis zum Eintritt der Dämmerung im Freien aufhalten und bei Eintritt der rauheren Jahreszeit wieder in ihre Heimat reisen, genügen die Dachschlafräume in den Trockenstädeln vollkommen.

Sie sind leicht ventilierbar und gegen Zugluft abgesperrt und wenn in denselben noch für genügend Abstand der Bettstellen, für mehr Licht, Ordnung und Reinlichkeit gesorgt wird, dann sind sie sogar gesund zu nennen. Auf alle Fälle sind sie viel gesünder als die Schlafstätten der meisten Arbeiter in München".

Die Auflage nach stabil gebauten "Toiletten" nannte er "sehr wohl gemeint, praktisch aber wirkungslos", denn, so der "Ziegeleibesitzer" weiter, "der Italiener kennt am Haus keinen Sitzabort und geht auch bei uns nur ungern in einen solchen und wenn er nicht in nächster Nähe ist, gar nicht, und die für unsere Landwirtschaft so wertvollen Fäkalien gehen verloren".

1901 München-Englischer Garten - Hirschau * Das "Maffei'sche Eisenwerk" in der "Hirschau" erhält einen vom Prinzregenten Luitpold genehmigten Gleisanschluss zum "Schwabinger Güterbahnhof".

Bis dahin mussten über 2.000 Lokomotiven auf Straßenfahrzeuge verladen werden.

Seite 445/814 Anfangs wurden die Maschinen von vielen Pferden, später von einer "Lokomobile" durch die ganze Stadt zur "Zentralwerkstätte der Eisenbahn" gezogen und dort mit den separat transportierten Radsätzen erneut zusammengebaut.

1901 München-Englischer Garten - Hirschau * Der Pächter des Ausflugslokals in der "Hirschau" beantragt "einen Umbau vornehmen zu dürfen, da das Gastlokal zwar bis zum vorigen Jahr genügte, jetzt aber der Andrang zu dem Mittagstische so groß wird, besonders seitens der Arbeiter der Maffei'schen Fabrik, daß sich der Raum als unzureichend erweist".

1901 München-Bogenhausen * Die "Max-Joseph-Brücke", Bogenhausens fünfte Brücke, entsteht.

Sie hält bis zum heuten Tag.

22. Januar 1901 London * Nach dem Tod von Queen Victoria besteigt Edward VII. in London den britischen Königsthron.

März 1901 München-Isarvorstadt - München-Untergiesing * Der Münchner Magistrat beschließt, den gesamten Isarbereich neu zu fassen und dabei die Brücken aus Stein zu erbauen.

Als achte und vorläufig letzte Brücke soll "an Stelle der eisernen Wittelsbacherbrücke durch die Fa. Sager & Woerner eine massive Brücke mit einem Bogen über die große Isar, vier Bogen über die kleine Isar, sämtliche sichtbaren Bauteile in Stampfbeton mit Muschelkalkverkleidung, mit einer lichten Breite von 20 Metern erbaut werden".

Um den 6. Juni 1901 München-Haidhausen * In Haidhausen gibt es vier evangelische Knaben- und fünf evangelische Mädchenklassen. Da aber die protestantischen Klassen in der Unterbringung gegenüber den katholischen Klassen wesentlich benachteiligt sind, fordert der evangelische Kirchenbauvereindie Erbauung eines evangelischen Schulhauses in Haidhausen.

15. Juli 1901 München-Haidhausen * Der aufwändige, mit romanischen und gotischen Ornamenten geschmückte Schalenbrunnen aus dem Münchner Glaspalastwird vor dem Ostbahnhofneu aufgestellt und in Betrieb genommen.

Der Glaspalastbrunnen war 1879 abgebaut und in der Zwischenzeit in einem Bauhof einglagert worden.

September 1901 München-Theresienwiese * Das "Bräurosl-Festzelt" wird mit elektrischen Glühbirnen beleuchtet.

Seite 446/814 Die vom preußischen "Hofmaler" Schultheiss gemalte "Bräurosl" ziert die ehemalige "Pschorr-Alm".

Es soll sich um die Brauertochter Rosl Pschorr handeln, die jeden Abend ihre Runden auf einem Bräuross drehend eine Mass Bier geleert haben soll. Ob?s wahr ist?

September 1901 München-Theresienwiese * Carl Gabriel präsentiert auf dem "Oktoberfest" mit dem "Beduinen-Lager" erstmals eine seiner berühmten "Völkerschauen".

Auf einem 7.500 qm großen "Karawanenplatz" baut er ein "Beduinendorf" auf und bietet damit seinen Besuchern neben speziellen Darbietungen aus einem Rahmenprogramm auch Einblicke in das Alltagsleben dieses "fremdartigen Volksstammes".

September 1901 München-Theresienwiese * In der "Ochsenbraterei" wird der 200. Ochse gebraten.

Sommer 1902 München-Hackenviertel * Im "Internationalen Handels-Panoptikum" in der Neuhauser Straße 1 bricht im 4. Stock ein Brand aus.

Die städtische Feuerwehr schließt daraufhin seine Pforten.

1902 München-Maxvorstadt * Leonhard Romeis baut für den "Rentier" und "Kommerzienrat" Adolph Brougier das Miethaus in der Richard-Wagner-Straße 3.

Auf fünf Etagen sind neun Wohnungen untergebracht, in denen 49 Menschen, darunter zwölf weibliche Dienstboten, leben.

1902 München-Haidhausen * Die "Unionsbrauerei" in Haidhausen beschäftigt 168 männliche und 5 weibliche Kräfte.

1902 München-Au *Der "Konsumverein München von 1864" erwirbt ein Grundstück mit Bahnanschluss zum Ostbahnhof an der Auerfeldstraße und bringt dort zunächst einen geräumigen Holz- und Kohlenhof unter.

Später siedelt sich hier die ganze Zentrale an.

Bis dahin war der Verein in der Au überhaupt nicht vertreten.

April 1902

Seite 447/814 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Die erste Abhol-Aktion für das "Brockenhaus" startet.

12. Mai 1902 München-Isarvorstadt *Provisorische Eröffnung des Brockenhausesauf der Kohleninsel.

Die Initiative ist sofort erfolgreich und erwirtschaftet bereits im ersten Jahr ihres Bestehens einen Überschuss.

4. Juni 1902 München-Isarvorstadt * Die Neue Isarkasernean der Zweibrückenstraße wird an die Garnisonverwaltungübergeben.

5. August 1902 München-Au * In einem Liebesbrief an seine spätere Ehefrau Gisela Royes schreibt Valentin Ludwig Fey:"Ich heiße jetzt und für immer KARL VALENTIN - Münchner Original Humorist".

Wirklich unveränderlich wird seinName allerdings erst ab 1907.

September 1902 München-Theresienwiese * Der Magistrat erlaubt dem "Schausteller-Unternehmer" Carl Gabriel ein "Hippodrom" auf dem Festplatz des "Oktoberfestes" aufzustellen.

Es ist seinem griechischen Namen entsprechend eine "Reitarena". Im Inneren des Etablissements befindet sich eine 60 Meter lange "Pferdereitbahn", in der Besucher des Restaurationsbetriebs gegen Bezahlung reiten können. Der Umritt dauert 5 Minuten und kostet 50 Pfennige.

Der Bierausschank ist dem Inhaber anfangs verboten. Doch die Gäste können die Reitkünste der nicht immer nüchternen oder sich sonst nicht sonderlich geschickt anstellenden Damen und Herren bewundern.

So manches Kleid rutscht hoch und gibt den Blick auf ein Damenbein frei.

Kein Wunder, dass für das "Hippodrom" bald der Name "Stilaugenzelt" auftaucht. "Der unerschöpfliche Unterhaltungsstoff, den die erstmaligen Reitversuche von Herren und Damen den Zuschauern bieten, macht das Hippodrom zur ersten Volksbelustigung der Festwiese".

Oktober 1902 München-Maxvorstadt * Der "Bankier" und "Handelsrichter" Theodor Klopfer lässt sich an der Ecke Brienner Straße 41 und Richard-Wagner- Straße eine Villa von Gabriel von Seidl erbauen.

Das Haus hat 15 Zimmer.

21. November 1902 München-Isarvorstadt * Der Verein Münchner Brockenhauswird gegründet.

Seite 448/814 1903 München-Maxvorstadt * Der "Rentier" und "Kommerzienrat" Adolph Brougier ist Eigentümer des Anwesens Richard-Wagner-Straße 5.

1903 München-Maxvorstadt * Joseph Schülein bewohnt das vierstöckige Haus in der Richard-Wagner-Straße 7, mit 12 Zimmern und 5 Kammern, mit seiner Familie und zwei weiblichen Dienstboten.

29. April 1903 München-Maxvorstadt * Die Familie des Joseph Schülein bezieht eine Wohnung in der Richard-Wagner-Straße 18.

Juni 1903 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * In den "Mittheilungen der Münchner Brockensammlung" heißt es:

"Die Münchner Brockensammlung erbittet und läßt kostenfrei durch ihre Leute abholen: Alte, auch zerbrochene Möbel, jeder Art gebrauchter Kleiderstücke, Wäsche, abgetragene Schuhe, Hüte, Strümpfe, alle Arten Bücher, Broschüren, Zeitungen, Papier, Marken, Zeugreste und Lumpen, Schirme, Zigarrenabschnitte, Korke, Staniolkapseln, Flaschen, Glas, Körbe, altes Werkzeug, Metall und Geschirre aller Art, Militär-Effekten, kurz alles, was im Hause unnütz umherliegt".

Da stellen also die wohlhabenden Bürger Münchens ihre ausgedienten oder aus der Mode gekommenen Möbel und Dinge des täglichen Bedarfs, kurz "all den Kram des Speichers und Kellers, der überflüssig, hindernd und störend im Wege liegt", kostenlos zur Verfügung, um sie dann an Interessenten zu verkaufen oder - zu kleinsten Preisen - den Bedürftigen zur Verfügung zu stellen.

Lumpen, Knochen und Altmetall werden in eigens aufgestellten Tonnen gesammelt und dann zur Weiterverarbeitung an einschlägige Unternehmer weiterverkauft. Die privaten Organisatoren geben die Gegenstände an die Bedürftigen ausdrücklich nicht gratis ab.

Im Gegenteil, sie legen großen Wert darauf, dass die Käufer eine - wenn auch noch so geringe - Eigenleistung erbringen. Man will den Bedürftigen zwar tätige Hilfe zukommen lassen, ohne sie jedoch in die Rolle von würdelosen Almosenempfängern zu drängen.

8. Juni 1903 München-Haidhausen * Die Unionsbrauerei Schülein & Ciewird in eine Aktiengesellschaftumgewandelt. Bis zum Jahr 1912 besteht der Vorstand der AGlediglich aus Joseph und dessen ältesten Sohn Julius Schülein.

September 1903 München-Theresienwiese * Carl Gabriel lässt ein "Aschanti-Dorf" auf dem "Karawanenplatz" auf dem "Oktoberfest" errichten.

Seite 449/814 Oktober 1903 Paris * Margaretha Geertruida MacLeods Aufstieg in Paris ist die Geschichte eines Glamour-Girls, das von den Gefälligkeiten einflussreicher Männer profitiert, aber letztlich erstaunlich unabhängig agiert ? und sich selbst immer wieder neu erfindet.

Sie versucht sich als Mannequin, als Modell für Maler und als Zirkusreiterin, bevor sie ihre große Chance wittert: mit einem "Schleiertanz", wie ihn Paris noch nie gesehen hat.

Margaretha Geertruida MacLeod nennt sich jetzt "Mata Hari", was auf javanisch "die Sonne des Tages" oder die "Morgenröte" bedeutet.

Vor allem Männern mit Vermögen erweist sie ihre Gunst: Banker, Fabrikanten, Rechtsanwälte, Diplomaten und höhere Offiziere zählen zu ihren Favoriten.

1904 München-Au * Ludwig Weinberger senior karossiert seinen ersten Motorwagen.

Damals sind Automobile überlicherweise noch zweigeteilt:

Es gibt einerseits das "Fahrgestell" mit Motor und Kühler - das "Chassis" - und dann noch die "Karosserie" als zweiten Bestandteil.

Meistens werden beide Komponenten nicht vom selben Hersteller produziert, weshalb es den Beruf des "Wagenbauers" gibt. Eineinhalb Jahrzehnte lang gestaltet Ludwig Weinberger senior verschiedenste Fahrgestelle mit einzelgefertigten Aufbauten, ganz nach Wunsch des Kunden.

Ab 1904 München-Lehel * Adolf von Hildebrand entwirft im Auftrag des "Preußischen Gesandten" Friedrich Graf von Pourtalès den Plan für einen Neubau der der "Preußischen Gesandtschaft" und der "Schack-Galerie" genügend Platz bietet.

1904 München-Englischer Garten - Tivoli * Das am Ostrand des "Englischen Garten" gelegene Ausflugslokal "Tivoli" wird als "Ort der Mode" beschrieben.

"An schönen Sommerabenden war es mit zahlreichen Menschen angefüllt, die besonders dem Tanzvergnügen huldigten. An Werktagen fanden sich bis in unsere Zeit noch Beamte aus den höchsten Kreisen dort ein".

1904 München-Bogenhausen * Da nach Auffassung des Bogenhausener Pfarrers das "Wirtshaus Neuberghausen" zu

Seite 450/814 Nahe an der Kirche, dem Friedhof und der Schule liegt, werden die beliebten Musik- und Tanzveranstaltungen, vor allem im Garten, nicht mehr gestattet.

Nur sanfte Musik, ohne Blech- und Schlaginstrumente werden im Ausnahmefall genehmigt.

Die Gastwirtschaft verliert dadurch ihre Attraktivität und Anziehungskraft, weshalb die Brauerei anno 1904 den Rückgang des Bierkonsums innerhalb von zwanzig Jahren auf ein Zehntel beklagen muss.

1904 München-Au * Die "Pschorrbrauerei" errichtet für die ehemalige Wirtschaft des Johann Georg Messerer einen Neubau, der im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört wird.

12. Januar 1904 Deutsch-Südwestafrika * Es kommt zur Erhebung der Herero.Die Taktik der Herero-Kriegerist einfach. Mit ihren rund 8.000 Mann wollen sie die nur aus 2.000 Mann bestehende deutsche Schutztruppeüberrumpeln.Dass jedoch das Deutsche Reichin kürzester Zeit zusätzliche Truppenkontingente nach Afrika verlegen kann, kommt in den Planungen der Hereronicht vor.

Der damalige Gouverneurund Kommandeur der Schutztruppe, Theodor Leutwein, versucht den Krieg so zu führen, dass die spätere wirtschaftliche Ausbeutung des Landes unter Zuhilfenahme der Hereronicht gefährdet wird.Seine Strategie ist darauf angelegt, die Hereroin eine ausweglose Lage zu bringen, danach aber - im Rahmen eines Friedensvertrages- zumindest ein weiteres Zusammenleben zu ermöglichen.

Doch diese Strategie ist den Verantwortlichen im Berliner Generalstabzu langwierig, weshalb man Theodor Leutwein ablöst und den GeneralleutnantLothar von Trotha nach Deutsch-Südwestafrikaschickt.

Um April 1904 München * Eine Kommission des Stadtmagistrats geht auf "Studienreise" nach Stuttgart, Deidesheim, Mainz, Wiesbaden, Koblenz, Köln, Bremen, Hamburg, Berlin, Leipzig, Dresden, Wien, Großinzersdorf und Salzburg begeben, "um Einrichtung und den Betrieb der Ratskeller einer Anzahl größerer Städte kennen zu lernen".

Ergebnis dieser "Studienreise" war der Beschluss der "Gemeindekollegien" dass im "Ratskeller" nur noch "Pfalzweine, Rheinweine, Mosel- und Saarweine, Frankenweine, badische Weine, österreichische und ungarische Weine sowie Bordeaux-, Burgunder- und Schaumweine" angeboten und verkauft werden durften, welche von einer vom Magistrat eingesetzten Kommission "nach vorgenommener Kostprobe angekauft und in der städtischen Weinkellerei eingelagert und behandelt worden sind".

Für die Auswahl der "ruhigen" Weine war "vor allem maßgebend, dass die Weine naturecht, das heißt aus dem vergorenen Saft der Weintraube sind und keinerlei Zusatz an Zucker oder Zuckerwasser enthalten".

8. April 1904 London * Frankreich und Großbritannien vereinigen sich in London zur "Entente cordiale" [= "Herzliches Einverständnis" - "Entente" = Bündnis].

Seite 451/814 12. August 1904 Deutsch-Südwestafrika - Waterberg * Gerade einen Tag können die Herer" den technisch weit überlegenen deutschen Truppen Widerstand entgegen setzen. Den Hererogelingt an der schwächsten Stelle der Umzingelung der Durchbruch durch die deutschen Linien.

Etwa 25.000 bis 30.000 können in Richtung der Wüste Omahekefliehen.Die Fliehenden versuchen zunächst die wasserlose Wüstezu umgehen.

17. September 1904 München-Theresienwiese * Carl Gabriels Völkerschauträgt den Titel "Tunis in München" und konfrontiert die Besucher mit Sitten und Gebräuchender Nordafrikaner.

Um Oktober 1904 Deutsch-Südwestafrika * Die Kämpfe verlagern sich nun in den Süden des "Schutzgebietes", wo die "Witbooi-Nama" aus ähnlichen Gründen wie die "Herero" den Krieg beginnen. Die "Nama" werden schon damals abwertend als "Hottentotten" bezeichnet.

Ausschlaggebend für die "Nama" ist die Forderung der deutschen "Siedler", nun, nachdem sich starke Truppen im Land befinden, auch die "Nama" zu entwaffnen und endgültig zu unterwerfen.

Allerdings unterscheidet sich die Kriegsführung der "Nama" von der der "Herero", dass sie in kleinen, für die deutschen Truppen nahezu unsichtbaren Gruppen agieren und einer Entscheidung im offenen Kampf ganz bewusst ausweichen. Dieser "Guerillakrieg" zermürbt die wesentlich besser ausgerüsteten deutschen Soldaten auf Dauer.

1. Oktober 1904 München-Isarvorstadt * Die neue Wittelsbacherbrückewird der Öffentlichkeit übergeben. Sie ist eine frühe Stahlbetonkonstruktion. Architekt ist der StadtbaumeisterTheodor Fischer. Ein Betonbogen trägt das Reiterstandbild Ottos von Wittelsbach.Erkerbauten mit Sitzbänken lockern den Brückenkörper insgesamt auf.

12. Dezember 1904 München - München-Haidhausen - München-Au * Die Generalversammlung der Aktionäre der Münchner Kindl AGbeschließt die Fusion mit der Haidhauser Unionsbrauerei. Die neue Unionsbrauereisteigt dadurch zu einer der fünf größten Münchner Brauereien auf.

Um den 20. Dezember 1904 Deutsch-Südwestafrika * Das Erscheinungsbild des Krieges gegen die Hereround Namaist nicht nur durch die eigentlichen Kampfhandlungen geprägt, sondern mindestens ebenso sehr durch die von der Militäradministrationerrichteten Konzentrationslager.

Sie dienen als Internierungslager, in denen auch Stämmeaus dem Gebiet des Guerillakampfesfestgesetzt werden, um so den Kämpfern den Rückhalt in der Bevölkerung zu nehmen.Es sind also keine reinen Kriegsgefangenenlagernach europäischen Standards, sondern werden auch zur Inhaftierung von Frauen, Greisen

Seite 452/814 und Kindern genutzt. Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass es sich hierbei um einen Krieg gegen ein ganzes Volk handelte.

Die Lebensbedingungen in den Konzentrationslagernsind völlig unzureichend. Es fehlte an allem, von den Lebensmitteln bis zum Brennmaterial. Viele Insassen erkranken an Skorbutund Typhus. Die Sterblichkeit ist entsetzlich hoch. "Es kamen an manchen Tagen bis 27 Sterbefälle vor. Karrenweise wurden die Toten zum Friedhofe gebracht."

1905 München-Untergiesing * Das "Brausen- und Wannenbad" an der Pilgersheimerstraße 5 wird durch den städtischen Baurat R. Schachner erbaut.

1905 Madrid - Monte Carlo - Wien * "Mata Hari" steht auf dem Höhepunkt ihrer Karriere.

Sie tritt in Madrid, Monte Carlo und Wien auf. Die Kritiker liegen ihr zu Füßen.

1905 Berlin - Karlsruhe * Ein Firmenkonsortium unter der Leitung der Firma "L. Loewe & Co" erhält den Auftrag über eine "Ortsvermittlungsstelle für Wählbetrieb".

Der Fabrikationsauftrag für die Herstellung der "Strowger-Wähler" und damit die Lizenz wird den zum "Loewe-Konzern" gehörenden "Deutsche Waffen- und Munitionsfabriken Berlin - Karlsruhe" übertragen.

Diese verfügen über entsprechend ausgebildetes Personal und über moderne feinmechanische Werkstätten. Die Erfahrung im Umgang mit elektrischen Schaltungen steuern Mitarbeiter der "Firma Siemens & Halske" bei.

Da alle angeschlossenen Teilnehmer sofort nach Inbetriebnahme der neuen Vermittlungsstelle ihren eigenen "Fernsprech-Selbstwählanschluss" ausprobieren wollen, schmoren in der Folge von Überlastung und Blockade der Wähler in den ersten Betriebsstunden ständig die Sicherungen durch.

Empörte Teilnehmer stürmen daraufhin das Dienstgebäude. Erst als diese wieder besänftigt waren, gelingt es dem Wartungspersonal die Schwachstellen des Systems abzustellen. Seither arbeitet die Anlage störungsfrei.

Vor 1905 München * Eine nicht datierte Aktennotiz vermerkt:

Die "Zensur" betrifft auch "das kleine Theaterwesen, die Varietées, Tingeltangel, Singspielhallen, Cabarets; ferner die Volkssänger, Komiker, Rezitatoren sind vermittels der Präventivzensur nach Möglichkeit in ordnungsgemäßen Bahnen zu halten, zumal da erfahrungsgemäß gerade auf diesem Weg die Kenntnis von Unsittlichkeiten und Unanständigkeiten aller Art in die breitesten Schichten der Bevölkerung getragen wird".

Seite 453/814 1905 München-Maxvorstadt * Neuer Eigentümer der Doppelhaus-Villa an der Brienner Straße 38/40 ist der "Fabrikant" und "Leutnant a. D." Wilhelm Reischl.

1905 München-Isarvorstadt * Die alte eiserne "Wittelsbacherbrücke" wird an der Stelle der "Brudermühlbrücke" neu montiert und dient bis zum Jahr 1905 - wegen fehlender Straßen - als Fußweg.

1905 Berlin * Carl Gabriel eröffnet sein erstes "Kinematographentheater" in Berlin.

1905 München *Der "Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt" erlässt eine "Badeordnung", die nur wenig mit den heutigen Vorstellungen von Freizeitvergnügen vereinbar ist. Es herrscht "Zucht und Ordnung".

Es gibt zum Beispiel eine eigens ausgewiesene "Einsprungstelle" ins Becken. "Das Herumliegen auf dem Boden ist nicht gestattet". Außerdem bestimmt die "Badeordnung", dass "Zuschauer (...) keinen Zutritt in das Bad" haben.

Im Liegeraum darf man nicht lesen, "weil dies die Gehirntätigkeit beeinflußt".

Sogar einen Tipp gegen "Sonnenstich" kann man der Anweisung entnehmen. Darin heißt es: "Den Gästen wird empfohlen, den Kopf mit einem Tuche zu beschatten und sich bei großer Hitze öfter abzubrausen".

Und sogar für schlechtes Wetter gibt die "Badeordnung" den Freibadbenutzern eindeutige Verhaltensmaßregeln mit auf den Weg: "Wenn Regen eintritt", heißt es hier, "so kann man sich noch ca. ¼ Stunde lang dem Regen aussetzen, dann aber ist der Körper zu bekleiden". Natürlich gibt es auch Vorschriften über die angemessene Bekleidung in der Badeanstalt. Die "Badeordnung" schreibt hierbei Folgendes vor: "Jeder Badende muß mit einer geordneten Badehose versehen sein, der Gebrauch von Schürzen und ähnlichen Bekleidungsstücken ist untersagt".

31. März 1905 Tanger * Während seiner traditionellen Mittelmeerreise besucht Kaiser Wilhelm II. die marokkanische Hafenstadt Tanger.

In seiner Rede betontder deutsche Kaiser die "Unabhängigkeit des Scherifenreichs" Marokko und bietet hierfür den "Schutz Deutschlands" an. Er beabsichtigt mit seiner Ansprache, Frankreich und Großbritannien über die "Marokkofrage" zu spalten und fordert eine internationale Konferenz zur Regelung der "Souveränität Marokkos".

Es kommt zur sogenannten "Marokko-Krise", die, weil das deutsche Verhalten für Frankreich eine scharfe Provokation darstellt, sofort zu einem Krieg führen könnte. Angesichts dieser drohenden Gefahr gehen die Großmächte auf die Forderung Deutschlands ein und rufen eine internationale Konferenz über die weitere Zukunft Marokkos zusammen.

Seite 454/814 22. April 1905 Deutsch-Südwestafrika * "General" Lothar von Trotha erlässt eine ähnliche "Proklamation" wie gegen die "Herero" und droht den "Nama" ebenfalls mit "Vernichtung".

Da die "Proklamation" jedoch nicht zur massenweisen Unterwerfung der "Nama" führt und die gewünschte Wirkung verpufft, bleiben entscheidende Erfolge für die deutschen Truppen aus. Der "Guerillakrieg" setzte sich fort.

20. Juni 1905 München-Lehel * Der Schnitterin-Brunnenam Thierschplatz im Lehel geht in Betrieb.

Um August 1905 München-Au * Johann Royes besucht seine 24-jährige Tochter Gisela, die spätere Ehefrau von Karl Valentin, in der Au.

Dabei bemerkt er die unübersehbare Schwangerschaft seiner Tochter.

Sie erhält von dem "frommen Katholiken" eine saftige Watschn, nachdem er erfahren hat, dass der Vater des Kindes "bloß a luthrischer Komödiant" sei. Also ein Taugenichts und Habenichts.

28. September 1905 München-Kreuzviertel * Große Veränderung bringt die Sitzungsperiode des 34. Landtags, der vom 28. September 1905 bis zum 23. März 1907 tagt.

19. Oktober 1905 Aufhausen/Oberpfalz * Karl Valentins Freundin Gisela Royes bringt die gemeinsame uneheliche Tochter Gisela zur Welt. Um kein Aufsehen zu erregen und weil das Kind zum unpassenden Zeitpunkt geboren wird, findet die Geburt in Aufhausen in der Oberpfalz statt. Das ist der Wohnsitz der Familie der Mutter.

25. Oktober 1905 Deutsch-Südwestafrika * Der charismatische Anführer der Nama, Hendrik Witbooi, stirbt an den Folgen einer Schussverletzung.Das tut aber dem Widerstand der Namakeinen Abbruch. Vereinzelte Überfälle und Gefechte ziehen sich bis zum Jahr 1908 hin.

1906 Ulm *Mit der Errichtung eines "Krematoriums" in Ulm wird dann meist dieser Zielort gewählt.

Der Ulmer Gemeinderat lässt sich die Kosten für ihr "Krematorium" durch die vielen Aufträge aus München finanzieren.

Anschließend wird die zurückgelieferte Urne in einem "Erdgrab" bestattet.

Seite 455/814 Das heißt, es werden dafür - bis zum Jahr 1904 - die gleichen Kosten wie für einen Sarg berechnet.

1906 München - München-Obergiesing * Das Interesse an der "Feuerbestattung" ist in München mittlerweile beträchtlich gestiegen, weshalb die Stadt erneut einen Antrag zur Errichtung eines "Krematoriums" stellt.

Schließlich einigt man sich auf einen Kompromiss.

Der "Verein für Feuerbestattung" pachtet von der Stadt München die auf dem "Ostfriedhof" errichtete "Verbrennungsanlage für Sargbretter und Grabkränze" und lässt die Anlage auf eigene Kosten zu einer "Leichenverbrennungsanlage" umbauen.

1906 München-Untergiesing * Das "Brausen- und Wannenbad" an der Pilgersheimerstraße wird durch den Einbau von Wannenbädern im Kellergeschoß erweitert.

Es enthält jetzt zehn Wannenbäder für Männer und sechs für Frauen, sowie neun Brausenabteilungen für Männer und drei für Frauen.

Die Anlage umfasst Keller- und Erdgeschoß, sowie ein Obergeschoß über dem Mitteltrakt, die als Badewärterwohnung dient.

7. April 1906 Algeciras * Die "Internationale Konferenz" im spanischen Algeciras endet.

Auf der Konferenz wird zwar die "Souveränität Marokkos" formell anerkannt. Doch die Polizei in den marokkanischen Häfen und das Bankwesen darf Frankreich gemeinsam mit Spanien verwalten. Deutschland erhält keinen Zugriff auf diese Kontrollen Marokkos.

Damit hat Frankreich sein Hauptziel erreicht, während das "Deutsche Reich" aufgrund seines aggressiven Vorgehens immer mehr an Ansehen verliert und zusehends in die außenpolitische Isolierung treibt. Auch für die sich bildende marokkanische Unabhängigkeitsbewegung stellte das Konferenzergebnis eine Niederlage dar.

9. April 1906 München-Kreuzviertel * Der "Entwurf zum Wahlgesetz" wird erstmals nicht von der Regierung eingebracht, sondern vom "Landtag" in Form eines "Antrags".

Der Vorsitzende des "Ministerrats", Clemens Graf von Podewils, unterstützt das Anliegen. In der "Kammer der Reichsräte" bemüht sich besonders Prinz Ludwig [III.] um die Annahme des Entwurfs.

Damit wird die "direkte Wahl" und die "gesetzlich geregelten Wahlkreise" eingeführt. Noch immer aber gilt das "relative Mehrheitswahlrecht", das die kleineren Parteien benachteiligt.

Seite 456/814 Ab 15. November 1906 München-Isarvorstadt * Vom 15. bis 30. November 1906 findet unter dem Allerhöchsten Protektorat Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzregenten Luitpold, die Erste bayerische Geweih-Ausstellungim Pavillon an der Ludwigsbrückestatt.

1907 München * Johann Dienstknecht gründet den "allerersten" Filmverleih und wird damit bis zu seinem Tod im Februar 1910 der unumschränkte Herrscher auf dem Filmmarkt sein.

1907 München-Isarvorstadt - Museumsinsel *Der Verkaufsraum der "Brockensammlung" auf der "Kohleninsel" ist zu klein, weshalb die karitative Einrichtung zusätzlich zwei Ställe der "Alten Isarkaserne" erhält.

1907 München-Haidhausen * Die "Straßenbahn-Direktion" braucht neue Büroräume, die in der ehemaligen "Lackiererei" - im ersten Stock des "Werkstättengebäudes" - eingerichtet werden.

Ab 1907 München * Im "Simplicissimus" erscheinen bis 1914 insgesamt 41 "Filserbriefe" aus der Feder von Ludwig Thoma.

25. Januar 1907 Deutsches Reich * Die Reichstagswahl, die sogenannte Hottentottenwahl, führt im Reichzu einem konservativen Richtungsumschwung in der Sozialdemokratischen Partei.

Die Reichstagswahlbringt für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands - SPDherbe Mandatsverluste ein.Die Sozisstürzten - auch aufgrund des ungerechten Dreiklassen-Wahlrechts- von 81 auf 43 Sitze im Reichstagab und verlieren somit 38 Mandate.Das ist die schwerste Wahlschlappe, die die SPDbis dahin einstecken musste.

Der Reichsregierungist dies zweifellos mit ihrem Appell an die vaterländischen Instinktegelungen. Gleichzeitig war dadurch die Kolonialismus-kritischeschwarz-rote Mehrheit im Reichstaggebrochen. Die Konservativen, bestehend aus der Deutschkonservativen Partei, der Deutschen Reichsparteiund der Nationalliberalen Parteibilligen umgehend den Nachtragshaushaltund damit die weitere Finanzierung des Kolonialkrieges in Übersee.

Für die Sozialdemokratiehat der Ausgang der Wahl einen erzieherischen Einfluss. Die SPD-Parteiführung will künftig ihre nationale Zuverlässigkeitstärker in den Mittelpunkt stellen. Das bedeutet aber gleichzeitig die "Bereitschaft zur Vaterlandverteidigung" nach vorne und die Kritik an der deutschen Weltpolitiknach hinten zu stellen.

Diesen Schritt will Kurt Eisner - aufgrund seiner aus der "Marokkokrise" gezogenen Erkenntnisse - keinesfalls mitgehen. In der Fränkischen Tagespost, der er seit März 1907 angehört, warnt er nachdrücklich vor dem "Nachlassen im Kampf gegen den Militarismus".

Seite 457/814 21. April 1907 München-Maxvorstadt * Carl Gabriel eröffnet in der Dachauer Straße 16 sein erstes Münchner Kino unter dem weltmännischen Namen "The American Bio-Cie./Carl Gabriel's Theater lebender Bilder" mit 145 Plätzen. Es ist Münchens viertes Kino.

Es werden Stummfilme gezeigt, die von einem mehr oder weniger talentiertem Klavierspieler und einem "Explikateur", einen "Filmerklärer", begleitet werden.

An den Lehnen der Vordersitze sind Drahtgestelle angebracht, in denen man seinen Masskrug abstellen kann. Statt Popkorn und Eis - wie heute - werden Schokolade und Wurstsemmeln verkauft.

Nach 19 Uhr geht fast niemand mehr ins Kino, denn: "Der Münchner geht im Gegensatz zum Berliner, soweit er es ermöglichen kann, lieber Nachmittags ins Kino, weil er den Abend gern im Bierrestaurant verbringt".

Trotzdem suchen die "Gebildeten" das Kino erst im Schutz der Dunkelheit auf. Etwaige Bekannte begrüßen sich - wenn überhaupt - mit einem verlegenem Lächeln. Es gibt "Logen" mit einem Loch im Vorhang, von dem aus man zwar alles sehen kann, selbst aber nicht gesehen wird.

Die Münchner Polizei besucht im "Auftrag der Obrigkeit" regelmäßig die "Kinematographen". Sie muss sicherstellen, dass im dunklen Kinosaal alles "sittlich" und "mit rechten Dingen" zugeht.

Um Juni 1907 Deutsches Reich* Die Tournee des "Musik-Clowns" Karl Valentin endet im Fiasko.

In einem "Anfall von einem Löwenbräubierriesenrausch" zerstört er - angeblich - seinen Musikapparat.

14. Juni 1907 München - Innsbruck * Die Generalversammlung des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins - DuOeAVbeschließt die Errichtung eines Alpinen Museums. Innsbruck und München bewerben sich.Die bayerische Hauptstadt erhält den Zuschlag.

31. August 1907 Petersburg * In Petersburg tritt Russland der Entente cordialebei. Frankreich, Großbritannien und Russland bilden damit die "Triple Entente" ["Entente" = Bündnis]

September 1907 München-Theresienwiese * Josef Pravida nennt seine "Fischerhütte zum Holländer" in "Fischer-Vroni" um.

Angeblich bezieht sich der Name "Vroni" auf eine Bedienung Josef Pravidas, die im Wirtshaus "Zum goldenen Stern" eine besonders herzliche Atmosphäre verbreitet und damit auch auf dem Münchner Oktoberfest die "gute Seele" des Fischbrat-Unternehmens verkörpert.

Seite 458/814 Seither befindet sich auch der alte "Fischerkahn" am Seiteneingang der "Fischer-Vroni". Er ist ein beliebter Treffpunkt.

Um Dezember 1907 München - Zittau * Karl Valentin reist, von Schulden und ständigen Geldsorgen geplagt, zu seiner Mutter nach Zittau, um sich Geld von ihr zu leihen.

Unverrichteter Dinge muss er jedoch wieder abreisen.

31. Dezember 1907 München * Die Brauereien nehmen mit etwa 4.000 Beschäftigten den 9. Platz unter den wichtigsten Gewerbezweigen ein.

1908 München-Au * Die "Brauerei zum Franziskaner-Leistbräu" wird von Gabriel Sedlmayer in eine Aktiengesellschaft umgewandelt.

Sie bleibt jedoch, von kleineren Beteiligungen abgesehen, in Familienbesitz.

1908 München-Haidhausen * Der Zustand der Nicolai-Kircheam Gasteig ist derartig schlecht, dass ihr Abbruch ins Auge gefasst wird. Man einigt sich dann jedoch auf das Trockenlegen und Neuaufrichten der Wände. Das geschieht allerdings erst im Jahr 1912.

1908 München-Englischer Garten - Hirschau * Der von der "Maffei'schen Maschinenfabrik" entwickelte neue Lokomotiventyp S3/6 ist mit einer "Heißdampfmaschine" ausgerüstet.

Sie kommt mit wesentlich weniger Kohle aus als vergleichbare Lokomotiven mit "Nassdampfmaschinen" und erreicht eine Spitzengeschwindigkeit von 140 Stundenkilometern.

1908 München-Englischer Garten - Hirschau * Bisher hat die "Maffei'sche Maschinenbaufabrik" in der "Hirschau" insgesamt 8.165 Lokomotiven produziert.

8. Februar 1908 München * Karl Valentin lebt für 3 Monate beim Ehepaar Greiner als "Zimmerherr". Sie bringen ihn auf die "Straße des Erfolgs".

Ludwig Greiner erfindet die neue Bühnenfigur, den "Skelett-Gigerl"; Therese Greiner näht ihm die hautengen und viel zu kurzen Klamotten, die sein ausgezehrtes, klapperdürres Gestell in unnachahmlicher Weise zur Geltung bringen.

Seite 459/814 28. Februar 1908 München * Ernst Philipp Fleischers Ehe wird "wegen Ehebruchs mit der früheren Modellsteherin Maria Reitmaier" geschieden.

10. Dezember 1908 München-Au * DerBrunnenweibchen-Brunnenan der Gebsattelbrücke geht in Betrieb.

1909 München-Schwabing * Das in Schwabing befindliche erste vollautomatische Großstadtwählamt Europas macht eine Vielzahl von Vermittlungskräften überflüssig.

Die Eröffnung des "Selbstwählamtes" führt zu Protesten. In einem Gutachten äußert ein Münchner Arzt, "dass durch das Wählen die Fernsprechteilnehmer eine Schädigung ihres Nervensystems erfahren würden".

Die Aufregung legt sich erst, nachdem die "Telephonabonnenten" die Vorteile des Selbstwählens erkannt haben.

1909 München * Elisabeth Wellanos 15jähriger Bruder xxx stirbt.

1909 Untergiesing * Die "Zentrale der städtischen Abfallentsorgung" wird in der Sachsenstraße eröffnet.

Gleichzeitig werden die "Reparaturwerkstätten der städtischen Hausunratabfuhranstalt" von der Landsberger Straße hierher verlegt. Es gibt bereits 650 "Harritschwägen".

Der damalige Jahresbericht erzählt von 19.631 "Pferdeschichten" und 33.336 "Mannschichten" die geleistet wurden, um 117.577 Tonnen "Unrat" bei den 550.000 Münchnern einzusammeln. Rund 69.000 Fuhren werden per Bahn zur "Hausmüllverwertungsanlage" nach Puchheim verfrachtet.

Der Giesinger Wagenschmiedmeister Fischer darf nur die ersten 36 "Harritschwägen" liefern. Alle weiteren bauen die Schmiede und Wagner der städtischen "Unratabfuhr" selbst in ihren Werkstätten.

Die Wägen bleiben Eigentum der Stadt und werden an private "Abfuhrunternehmer" für die "Mülleinsammlung" ausgeliehen. Diese haben eigene Stallungen und beschäftigen die "Harritschkutscher".

Um 6 Uhr in der Frühe müssen die "Müllmänner" ihre Pferde striegeln und anschirren. Dann rücken die Gespanne unter Hufgeklapper aus.

Dieses Müllsammlungs-, Verwertungs- und Beseitigungssystem ist in Deutschland einmalig und dient vielen Kommunen als Vorbild. Es funktioniert bis zum Zweiten Weltkrieg.

Seite 460/814 Dann kommt die "Abfallsortierung" in der Puchheimer "Verwertungsanlage" aus Mangel an Ersatzteilen zum Erliegen. Damit hat München keine geordnete "Müllbeseitigung" mehr.

1909 München-Obergiesing * Der Umbau der "Verbrennungsanlage für Sargbretter und Grabkränze" ist beendet.

Jetzt muss aber noch ein Gutachten abgewartet werden, das die "Geruchsbelästigung für die Anwohner" prüft. Die Prüfungen werden sich bis zum Jahr 1912 hinziehen.

1909 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Die "Brockensammlung" zieht von der "Kohleninsel" in aufgelassene Räume der "Neuen Isarkaserne" an der Kohlstraße.

1. Januar 1909 München-Isarvorstadt * Der zweite Teil der provisorischen Ausstellung des Deutschen Museumswird in den aufgelassenen Räumen der Neuen Isarkasernein der Zweibrückenstraße eröffnet.

Februar 1909 München-Maxvorstadt * Lion Feuchtwanger organisiert als Vorsitzender der "Phoebus"-Gruppe zum Ausklang der Faschingssaison im "Löwenbräukeller" einen aufwändigen Ball.

Weil sich der Sponsor der Veranstaltung als Betrüger herausstellt, kommt es zum Eklat. Handwerker und Arbeiter reißen noch während des Faschingballs die Dekoration herunter und fordern ihre Löhne und die unbezahlten Rechnungen ein.

Feuchtwanger und seine Mitstreiter holen ein Großaufgebot der Polizei, was alles nur noch schlimmer macht. Denn jetzt verlassen die Gäste den "Löwenbräukeller" und fordern ihr Eintrittsgeld zurück. Der "Phoebus-Skandal" ist geboren.

Kurt Eisner, der spätere Revolutionär und "Ministerpräsident des Freistaates Bayern" ist zu diesem Zeitpunkt Redakteur der SPD-Zeitung "Münchner Post", bezeichnet den "Phoebus-Vorstand" als "Margarine-Barönchen". Sein Ball hätte so viel "mit Apollon zu tun, wie Herr Lion Feuchtwanger mit der Literatur oder sein Vater mit der Naturbutter".

6. September 1909 München-Maxvorstadt * Die Familie des Joseph Schülein bezieht ihr Haus in der Richard-Wagner-Straße 7. Joseph Schülein wird dort bis an sein Lebensende [9. September 1938] wohnen.

Oktober 1909 München * In zwölf Großgaststätten werden Kinofilme gezeigt:

Seite 461/814 im "Gasthaus Herzogpark" an der Mauerkirchener Straße, im "Mühldorfer Hof" an der Einsteinstraße, in den "Unionsbräuhallen" an der Einsteinstraße, im "Münchner-Kindl-Keller" an der Rosenheimer Straße, im "Franziskaner-Keller" an der Hochstraße, im "Salvatorkeller" an der Hochstraße, im "Bergbräukeller" an der Tegernseer Landstraße, in den "Bergbräubierhallen" an der Bergstraße im Münchner Osten und im "Schwabingerbräu" an der Leopoldstraße, in der "Gaststätte zur Blüte" in der Blütenstraße, im "Alten Hackerkeller" an der Bayerstraße und im "Neuen Hackerkeller" auf der Theresienhöhe im Westen.

31. Dezember 1909 München * Die Schulden des "Märchenkönigs" LudwigII. sind auch mit den Geldern seines Bruders Otto restlos getilgt.

1910 München * Ein Münchner Richter spricht sechs "Schankkellner" mit dem Hinweis frei, dass dem hiesigen Publikum das schlechte Einschenken ohnehin bekannt sei, und "Auswärtige werden es wohl bald erfahren".

Auf Einspruch des Staatsanwalts gibt es später aber doch noch eine Strafe. Sonst hätte nämlich der Verteidiger recht behalten, der argumentiert hatte, Bier sei nichts anderes als eine Mischung von Flüssigkeit und Schaum.

"Wenn also diese Mischung einschließlich des Schaumes den Eichstrich erreicht,so bleibt an der einwandfreien Füllung des Trinkgefässes kein Zweifel".

Um 1910 München - Berlin * Dienst und Ehe schließen sich für die Vermittlungskräfte aus.

In einem Weisungsbuch heißt es: "Das weibliche Postpersonal bedarf zur Eingehung einer Ehe der Erlaubnis der zuständigen Dienstbehörde.

Da sich aber aus der Verwendung von verheirateten Beamtinnen [...] Schwierigkeiten verschiedener Art ergeben können, kann dem unterstellten weiblichen Personal [...] die Erlaubnis zur Eingehung einer Ehe nicht erteilt werden".

1910 München-Maxvorstadt * Aus Carl Gabriels "The American Bio-Cie./Carl Gabriel's Thater lebender Bilder" in der Dachauer Straße 16 wird "Gabriels Tonbildtheater".

1910

Seite 462/814 München * Auf Anregung von Carl Gabriel wird der "Verein bayerischer Kinematographeninteressenten" als Interessensverband der Kinobesitzer gegründet.

Der Grund der Vereinsgründung istder Versuch der Münchner "Lokalschulkommission", ein "Kinderverbot im Kinematographentheater" durchzusetzen.

Damit wäre ein treuer Kundenstamm des Kinos ausgeschlossen worden.

1910 München * Neben dem "Karl-Müller-Volksbad" betreibt die Stadtgemeinde München zehn auf verschiedene Stadtbezirke verteilte "Brausen- und Wannenbadeanstalten", die ganzjährig gegen ein geringes Entgeld benutzt werden können.

Anno 1910 stürzten sich 497.924 Personen in ein Wannenbad. Die billigeren Brausebäder benutzten 621.212 Münchner. München hat zu dieser Zeit 596.497 Einwohner.

Statistisch gesehen badet oder duscht jeder Münchner keine zwei Mal im Jahr.

1910 München-Maxvorstadt * Auf den bei Baubeginn noch dem "Unionsbrauerei-Gründer" Joseph Schülein gehörenden Grundstück Richard-Wagner-Straße 19 lässt dessen Schwiegersohn Dr. med. Alfred Haas eine äußerlich einem herrschaftlichen Wohnhaus ähnelnde "Privatklinik" errichten.

Dr. Alfred Haas ist mit Elsa Schülein verheiratet.

1910 München-Haidhausen * Die Kicker des anno 1909 gegründete Fußballverein "FC Union" aus den Herbergsvierteln schließen sich dem "Arbeiter-Turn-Verein München-Ost" an.

Damit erhält der Verein seine eigene Fußballabteilung.

Der "FC Union" gibt sich seinen Namen nach der nahen "Unionsbrauerei? und trägt seine Spiele auf dem Sportplatz an der Trogerstraße aus.

Ab 1910 München-Hackenviertel * Der "Hundemarkt" ist bis zum Jahr 1922 im "Gasthof Oberottl" an der Sendlinger Straße untergebracht.

1910 München-Hackenviertel * Ihr Bruder lädt Elisabeth Wellano im Alter von 17 Jahren in den "Bamberger Hof" ein, wo die "Münchner Alpensängergesellschaft Schnackl Franz" auftritt.

Dadurch wird bei ihr das "Theaterfeuer" gelegt.

Seite 463/814 1910 München-Au * Das Anwesen in der Zeppelinstraße 41 geht in das Eigentum von Ludwig Weinberger senior über.

Er lässt das Rückgebäude der ehemaligen "Spedition Falk & Fey" abreißen und baut dort neue Werkstätten ein.

1910 München-Bogenhausen * Das "Bad Brunnthal" wird abgebrochen.

10. Februar 1910 Samoa - Deutschland * Die dritte"Völkerschau aus Samoa"nimmt ihren Anfang am 10. Februar 1910 und endet am 22. November 1911.

6. Mai 1910 London * George V. wird britischer König.

19. Juni 1910 München-Isarvorstadt * Das 3,40 Meter hohe Standbild für den MärchenkönigLudwig II. wird auf der Corneliusbrückeeingeweiht.Es zeigt den jungen Monarchen im Krönungsornat vor seinem Thron.

17. September 1910 München-Theresienwiese * Das 100. Jubiläums-Oktoberfestwird eröffnet. Gleichzeitig findet das Zentral-Landwirtschaftsfeststatt. Organisiert wird die Festlichkeit ausschließlich vom Magistrat der königlichen Haupt- und Residenzstadt.

Zehn Bierhallenbilden das Wahrzeichen des Oktoberfestes. Auf dem Oktoberfest gibt es die Nummer "La Course á la Mort" zu bewundern. Todesmutige Fahrradfahrer radeln in einer Stahlkonstruktion direkt über den Mäulern von hungrigen und gefährlichen Löwen. Carl Gabriels Teufelsraddreht sich erstmals auf der Wiesn. Die Feierlichkeiten auf der Jubiläums-Wiesndauern bis zum 2. Oktober.

Ab 17. September 1910 München-Theresienwiese * Die dritteVölkerschau aus Samoaistdie Hauptattraktionauf dem Jubiläums-Oktoberfest. Unter der Führung des SchaustellersCarl Gabriel besucht Prinzregent Luitpold die Ausstellung.Prinz Ludwig überreichtdem "Samoanerhäuptling Tamsese einen wertvollen Ring zum Geschenk, wofür der Fürst dem Prinzen schriftlich in samoanischer Sprache seinen Dank zum Ausdruck brachte".

Vor dem 17. September 1910 München-Theresienwiese * Der Magistrat verlängert den Pachtvertrag mit dem Winzerer Fähndlfür die

Seite 464/814 Schießanlageund die dazugehörige Festbudenicht mehr, sondern schließt einem Vertrag mit der Thomas-Brauerei. Dabei muss die Armbrustschützengilde Winzerer Fähndlmit überraschung feststellen, dass ihr Name für das Festzeltinzwischen von der Brauerei patentrechtlichgeschützt worden ist.

Am Ende der Entwicklung steht ein eigenes Winzerer-Fähndl-Festzeltund eine Winzerer-Fähndl-Schießanlag" mit einer kleinen Wirtsbude. Da diese Schießanlagewiederholt ihren Platz wechselt, stehen heute das Winzerer-Fähndl-Festzeltund das Armbrustschützenzelt(mit der Schießanlage der Armbrustschützengilde Winzerer Fähndl) an ganz verschiedenen Stellen der Wirtsbudenstraße.

24. November 1910 München-Au * Carl Gabriel eröffnet im ehemaligen Varieté-Theaterim Kaiserhofan der Lilienstraße 2 das "Gabriels Tonbildtheater" mit 220 Plätzen. Das Kino sind die heutigenMuseum-Lichtspiele.

31. Dezember 1910 München * Der Pro-Kopf-Bier-Verbrauch liegt in München bei 309 Liter.

1911 München-Maxvorstadt * Das Haus an der Brienner Straße 43 geht in das Eigentum des "Geheimen Kommerzienrats" Julius Freundlich über.

Die "Villa Freundlich" wird durch Gabriel von Seidl und der "Firma Heilmann & Littmann" umgebaut.

1911 München-Maxvorstadt * Lolo von Lenbach kauft einen Teil des Grundstücks-Nachlasses des "Rentiers" Schäfer an der Brienner Straße 43 und lässt es bebauen.

Es trägt die Anschrift Richard-Wagner-Straße 2.

1911 Berlin * Der im Jahr 1911 gegründete "Wehrverein" formuliert seine "Kolonialpolitik" so:

"Ein vorwärtsstrebendes Volk wie wir, das sich so entwickelt, braucht Neuland für seine Kräfte, und wenn der Friede das nicht bringt, so bleibt schließlich nur der Krieg".

1911 München-Haidhausen - München-Au * Dr. Hermann Schülein ist "Direktor" der "Unionsbrauerei" und der "Münchner-Kindl-Brauerei".

1911 München-Maxvorstadt * Franz Rank baut auf den Grundstücken der "Firma Gebrüder Rank" an der Richard-Wagner-Straße 17 und 19 ein Wohnhaus im "klassizierenden Jugendstil".

Seite 465/814 Architekt für HausNr. 19 ist Max Neumann.

Um den April 1911 Marokko * Frankreich geht in Marokko militärisch gegen Gruppen vor, die die Kooperation der Regierung des "Scharifenreichs" mit den europäischen Mächten bekämpfen.

Deutschland sieht darin eine günstige Gelegenheit, seine Interessen in Afrika entscheidend weiterzuentwickeln. Wenn schon die Franzosen ihren Kampf gegen aufständische "Berber" aufgenommen haben, dann will die deutsche Regierung auf alle Fälle die deutschen "Kolonialisten" vor den Kämpfern schützen.

Und wenn die sich schon nicht bedroht fühlten, dann musste eben das deutsche "Auswärtige Amt" in Marokko ansässige Firmen auffordern, ein "Hilfeersuchen" zu stellen, damit man eingreifen kann.

29. April 1911 München-Graggenau * Im Café Perzlam Marienplatz [heute: Kaufhaus Ludwig Beck am Rathauseck] wird ein Ehrenabendanlässlich des 20. Bühnenjubiläums von Constantin Pfrang, genannt "Stanzl", durchgeführt.

Unter "Nummer 6" tritt Karl Valentin als "Karikatur" auf. Er ist der einzige Künstler, bei dem während seines Auftritts nicht serviert wird.

Vielleicht Mai 1911 München-Ludwigsvorstadt * Karl Valentin und Elisabeth Wellano treffen im "Hotel Frankfurter Hof" aufeinander.

Der bereits etablierte Karl Valentin kommt auf die "dantschige" Nachwuchs-Schauspielerin zu und meint: "Sie, Fräulein, Sie sind als Soubrette aufgetreten. Heut hab ich Sie zum ersten Mal gesehen.

Des is nix.Wissen?s, Sie sind zu schlank für a Soubrette. Als Soubrette muss man kess sein, die muss an großen Busen haben. Außerdem sind Sie viel zu schüchtern.Und so brav schaun Sie aus, fast wia a Kommunionmäderl. -

Aber Sie sind sehr komisch. Sie müssen sich aufs Komische verlegen. Das ist geeignet für Sie".

Daraufhin ist das Fräulein Wellano empört und schwer beleidigt.

Doch Karl Valentin meint es ehrlich, weshalb er weiter auf Liesl Wellano einredet und meint: "Ich schreib Ihnen einmal in der nächsten Zeit a komisches Soubrettencouplet, also eine Parodie auf eine richtige Soubrette.Und des bringens dann".

Er schreibt ihr also ein Couplet mit dem Titel "Das Gretchen".

Die talentreiche Nachwuchsschauspielerin ist zwar nicht überzeugt davon, lässt sich aber auf das Abenteuer ein, lernt das Lied auswendig und trägt es vor. "Ich hab mich aber nicht so schön angezogen im Flitterkleid, sondern schon a bissl komisch gmacht", schreibt sie später.

Seite 466/814 Und weiter: "Damals war es Mode, dass man irgend einen Herrn im Publikum ansingt als Soubrette". Liesl sucht ihr Opfer aus und singt in der letzten Strophe: "O nimm mir diesen Stein vom Herzen".

Dabei greift sie in ihren Ausschnitt, zieht einen Isarkiesel hervor, schmeißt ihn auf den Boden und schmettert dann weiter: "Bereit mir nicht so viel Kummer, Sorg und Schmerzen, Sag? es aufrichtig, hast Du mich lieb, Du kecker Herzensdieb".

Das war ein Riesenerfolg und ein großer Lacher - und machte aus der einst "feschen Soubrette" eine "komische Soubrette".

1. Juli 1911 Agadir * Das Kanonenboot Pantherkreuzt in den Gewässern vor der marokkanischen Hafenstadt Agadir auf. Frankreich und die anderen Großmächte sind total überrascht und natürlich nicht darauf vorbereitet. Frankreich fühlt sich erpresst. Und auch die englische Regierung erklärt, dass sie eine Schwächung ihres Bündnispartners zugunsten Deutschlands keines Falls akzeptieren wird. Damit wird die Zweite Marokkokrisezwischen Deutschland und Frankreich ausgelöst.

Es kommt zu zähen Verhandlungen, in denen Frankreich einen Zipfel Togos an Deutschland abtreten muss, den sogenannten "Entenschnabel". Deutschland erklärt dafür im Gegenzug sein Desinteresse an der französischen Marokkopolitik.

Der im Jahr 1911 gegründete Wehrvereinformulierte es so: "Ein vorwärtsstrebendes Volk wie wir, das sich so entwickelt, braucht Neuland für seine Kräfte, und wenn der Friede das nicht bringt, so bleibt schließlich nur der Krieg."

23. Oktober 1911 Tripolis * Die italienischen Besatzungstruppen gehen in einem Pogromgegen die arabische Bevölkerung vor und erschießen dabei innerhalb von fünf Tagen wahllos tausende Araber, verbrennen deren Hütten und beschlagnahmen das Vieh.

Auch in den folgenden Wochen führte die Besatzungsmacht Massenhinrichtungen auf öffentlichen Plätzen durch und deportierte etwa 4.000 Araber auf Strafinseln.

14. November 1911 München-Kreuzviertel * Das Zentrumverweigert die Beratung des Verkehrsetats, weil ihr der linksliberaleVerkehrsminister Heinrich von Frauendorfer zu sozialistenfreundlichist und dem der SPDnahestehenden Süddeutschen Eisenbahnerverbandein Streikrechteinräumt.

Das Zentrumwill sich dem Prinzregenten als regierungsfähig darstellen und versucht sich mit einem scharfen antisozialdemokratischen Kurs zu profilieren. Daraufhin macht Prinzregent Luitpold von seinem verfassungsmäßigen Recht Gebrauch, löst den Landtagvorzeitig auf und setzt Neuwahlenan. Die letzte derartige Landtags-Auflösungfand im Jahr 1869 statt.

Bei der Verkündung dieses Beschlusses in der Abgeordnetenkammervermerkt das Protokoll "lebhaften Beifall

Seite 467/814 links und bei den Sozialdemokraten".

1912 München-Au * Der "Franziskaner-Keller" an der Hochstraße wird wiefolgt beschrieben:

"Der Franziskaner-Keller in der Hochstraße wurde im Auftrage der Franziskaner-Leistbrauerei nach dem Entwurfe des Professors Dr. Gabriel von Seidl errichtet.

Die Halle im Erdgeschoss besitzt eine mit Malerei dekorierte sichtbare Eisenkonstruktion. Im 1. Stock befindet sich ein kleiner Saal mit Terrassen, der mit einem Bilde von Rudolph von Seitz geschmückt ist".

1912 München-Maxvorstadt * Die "Klopfer-Villa" an der Brienner Straße 41 gehört dem "Kunsthändler" Hermann Heinemann.

1912 München-Englischer Garten - Hirschau * Der Mitarbeiterstamm bei "Maffei" hat sich auf 2.026 Personen erhöht.

1912 Samoa * Angesichts des freien "Sexuallebens" und der unkomplizierten ehelichen Verbindungen wird ein "Mischehenverbot für Samoa" erlassen.

Die Nachkommen aus bis dahin als legal angesehenen "Mischehen" werden zu "Weißen" erklärt und können sogar auf Antrag den Europäern gleichgestellt werden. Man nennt sie dann "Kulturdeutsche".

1912 München-Graggenau * Die "Thule-Gesellschaft" hat ihren Ursprung in den vom "Mühleningenieur" und "Publizisten" Theodor Fritsch gegründeten "Reichshammerbund".

Bei der Konstituierung des "Reichshammerbundes" wird zugleich der "Germanenorden" aus der Taufe gehoben. Er soll die "geheime Kommandozentrale" für die gesamte "völkische Bewegung" werden, ein "deutsch-völkischer Generalstab".

Nur "bis ins dritte Glied reinblütige Deutsche" werden in den "Orden" aufgenommen.

Besonderer Wert wird auf die "Propaganda der Rassenkunde" gelegt. Es sollen die Erfahrungen, die man "im Tier- und Pflanzenreiche gemacht hat, auf den Menschen angewandt" und gezeigt werden, "wie die Grundursache aller Krankheit, allen Elends, in der Rassenvermanschung liege".

Der "Orden" will die "Prinzipien der Alldeutschen" auf die "ganze germanische Rasse" ausdehnen und den Zusammenschluss "aller Völker germanischen Blutes" anbahnen.

Seite 468/814 1912 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * In der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der "Brockensammlung" heißt es: "Kein Bazar und kein noch so großes Kaufhaus" kann sich in "Vielseitigkeit des hier zum Verkauf Ausgestellten" mit dem "Brockenhaus" messen.

In den ersten zehn Jahren konnten 90.000 Mark an Institutionen der "Wohlfahrtspflege" abgegeben werden.

Der Erfolg hält bis zu den im "Ersten Weltkrieg" behördlich angesetzten Sammlungen an.

Februar 1912 München-Au - München-Haidhausen * Im Münchner-Kindl-Keller und im Eberl-Bräukeller finden in den Faschingswochen "Arbeitslosen-Massenveranstaltungen" statt.

2. Februar 1912 München * Zum letzten Mal wird "Lichtmess" als offizieller Feiertag begangen. Wenige Monate später wird eine Neuordnung der Feiertageden Wegfall mehrerer katholischer Traditionstage mit sich bringen. Neben Lichtmessfallen auch Mariä Verkündigung[25. März] und Mariä Geburt[8. September] der Reform zum Opfer.

2. Februar 1912 München * Das Flaschenpfandwird eingeführt. Bis wenige Jahre zuvor konnte man Bier nur im Wirtshaus und im offenen Krug kaufen. Flaschenbier wurde - wenn überhaupt - nur für den Export abgefüllt. Flaschenbier wurde in München erst ab dem Jahr 1894 in größerem Stil angeboten. Weil die Nachfrage schnell anstieg, ließen die Probleme nicht lange auf sich warten.

Der Flaschenverlust für die Brauereien erreichte ungeahnte Höhen und "die Verschandelung der Wälder in der Umgebung der Stadt und der Ausflugsorte durch die weggeworfenen Bierflaschen und durch Flaschenscherben [nahm] ein unerträgliches Maß" an.

5. Februar 1912 Königreich Bayern * Bei den Bayerischen Landtagswahlenerringt

das Zentrum87 (-12), die Liberalen30 (+5), die SPD 30 (+10) und der Bauernbund8 (-5) Mandate.

Die absolute Mehrheit des Zentrumskann nicht gebrochen werden.

13. März 1912

Seite 469/814 Sofia - Belgrad -Athen - Montenegro * Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro gründen den "Balkanbund".

Ihr gemeinsames Ziel ist die Verdrängung des "Osmanischen Reiches" vom Balkan und die Aufteilung seiner verbliebenen europäischen Provinzen. Federführend ist Russland, das sich als "Patron der Balkanvölker" versteht und damit die Kontrolle über die Meerengen des "Schwarzen Meeres" erhalten will.

Das beunruhigte Frankreich wird von Russland mit der Aussage beschwichtigt, dass sie die Balkanstaaten kontrollieren kann.

4. August 1912 München-Haidhausen * Haidhausens erstes Kino eröffnet als "Erstes Münchner Lichtspielhaus" am Orleansplatz.

Es wird 1919 erweitert und als "Zwecks Lichtspielhaus am Orleansplatz" wieder eröffnet. Mehrere Namensänderungen folgen.

Ab 1930 heißt es schlicht "OLI".

1970 schließt das Kino für immer seine Pforten.

September 1912 München-Theresienwiese * Unter dem Titel "Tripolis" zeigt Carl Gabriel eine "Völkerschau" auf dem "Oktoberfest".

17. Oktober 1912 Berg am Laim * Die Weißbierbrauerei Schneider & Sohnkauft die Sankt-Michaels-Brauereiin der heutigen Baumkirchner Straße 5.

28. November 1912 München-Obergiesing * Endlich kann das Krematorium am Ostfriedhofin Betrieb genommen werden. Aufgrund einer Genehmigung der bayerischen Staatsregierungwird die eigenständige Entscheidung über die Leichenverbrennungnun den Kommunen überlassen.

31. Dezember 1912 München * Im Heft 54 des Simplicissimuserscheint die Bildergeschichte "Ein Münchner im Himmel". Der Text stammt von Ludwig Thoma, die Zeichnungen liefert Olaf Gulbransson. Es geht darin um den vom Schlag getroffenen DienstmannAlois Hingerl, der als Engel den Auftrag erhält, die göttlichen Eingebungender bayerischen Staatsregierungzu überbringen.

Der "Engel Aloisius" wird allerdings beim Anblick des Münchner Hofbräuhausesseinen Auftrag vergessen und sich eine Mass nach der anderen schmecken lassen."Und so wartet die bayerische Staatsregierung noch heute auf die göttlichen Eingebungen!"

Seite 470/814 12. April 1913 München * Die Brüder Fred und Hermann Sommer sowie Martin Fromberger gründen den "Loos-Verein Wild West", den späteren "Cowboy Club München 1913 e.V.".

Es ist am Anfang also ein "Sparverein", zu dem sich die drei "Wild West"-begeisterten jungen Münchner zusammenschließen. Sie wollen nach Amerika auswandern, haben aber das Geld für die Überfahrt nicht.

Die drei Burschen aus dem "Arme-Leute-Milieu" hätten nie und nimmer genug Geld zusammenkratzen können, weshalb höhere Mächte einspringen müssen: das Glück, "Fortuna".

Sie gründen besagten "Los-Verein", zahlen Geld ein und nehmen an diversen Lotterien teil. Einmal, so hoffen sie, würde das Glück schon zuschlagen und den Hauptgewinn ausschütten - und dann nichts wie weg über den großen Teich.

Doch der erhoffte Geldsegen stellt sich nicht ein.

26. April 1913 München-Ludwigsvorstadt * Carl Gabriel eröffnet die "Alhambra-Lichtspiele" an der Lindwurmstraße 124 mit etwa 200 Plätzen.

21. Mai 1913 München-Bogenhausen - München-Haidhausen* Einen Tag vor dem 100. Geburtstag Richard Wagners wird ihm zu Ehren eine Statue neben demPrinzregententheaterenthüllt. Heinrich Waderé• hat das Monument gestaltet. Aus mehreren zur Verfügung stehenden Entwürfen wähltman denjenigen aus, der den Komponisten in ähnlicher Pose zeigt, wie das berühmte Porträt von Johann Wolfgang von Goethe in der Campagne.

Da die ruhende Darstellung des Künstlers extrem stark im Gegensatz zu dem unsteten Leben des Musikers steht, kommt bald Kritik hoch, in die sogar das städtischeKollegium der Gemeindebevollmächtigteneinstimmt.Letztlich beruhigt aber ein einziges Argument alle Kritikerstimmen:Da Richard Wagner von Natur aus nur mit einer geringen Körpergröße ausgestattet war, hätte ein stehendes Denkmal die Öffentlichkeit nur wenig beeindruckt.

Der Marmor für die Figur stammt vomUntersberg.Er umfasst als Rohblock 14 Kubikmeter Inhalt und wiegt 600 Zentner.Über dreißig Pferde sind notwendig, um diese gewaltige Last vomUntersberger Steinbruchzur nächsten Eisenbahn zu schaffen, mit der er ab Berchtesgaden nach München gebracht wird.BildhauerHeinrich Waderé hat sich amOstbahnhofein provisorisches Atelier eingerichtet.

Da die fertige Marmorfigur noch immer 450 Zentner wiegt gestaltet sich der Transport vom Atelier zum Aufstellungsort als besonders schwierig.Er nimmt mehr als zwei Tage in Anspruch. Die Statue muss mit einerStraßenlokomotivederFirma Maffeizum Ort seiner Aufstellung gebracht werden. Dort behindert vor allem der weiche Boden die Arbeiten, da sich die Räder des Transportwagens immer wieder eingraben.

Cosima und Siegfried Wagner lehnen ihre Teilnahme an der Denkmalenthüllung ab. Bei Cosima sind es gesundheitliche, bei Siegfried grundsätzliche Gründe.Die Konkurrenz derMünchner Festspielefür Bayreuth sind aber die wahren Beweggründe.

Seite 471/814 Das gesellschaftliche Ereignis an der Prinzregentenstraße wird durch Richard Wagners"Huldigungsmarsch"eröffnet.Münchens erster Bürgermeister, Wilhelm von Borscht, hält eine Ansprache und Ernst von Possart, der Initiator des Denkmals, sagt in seiner Rede:"So grüßen wir Dich, Unsterblicher! Möge Dein Antlitz uns leuchten".Prinzregent Ludwig III. enthülltschließlich dasWagner-Denkmal.

Die sozialdemokratische TageszeitungMünchener Postkommentiert das Ereignis mit den Worten:"Das Streben Münchens, die seiner Zeit an Bayreuth abgegebene Hegemonie im Reiche von Wagners Kunst an sich zu bringen - das heimliche Agens [die treibende Kraft] unserer Festspiele - hat uns nun endlich ein würdiges Denkmal des Meisters beschert."

Gleichzeitig kritisiert das Blatt, dass der Eröffnungsakt nicht demFestwiesenbildder Wagner'schenMeistersingerentsprach und auf den"Wach-auf-Chor"kein spontaner Jubel des Volkes, sondern ein"hochoffiziell-eisernes Schweigen"der"aristokratisch-bürgerlichen Festversammlung"folgt. Den Abschluss der Einweihungsfeierlichkeiten für dasMusiker-Standbildbildet der"Tannhäusermarsch".

September 1913 München-Theresienwiese * Die "Bräurosl-Festhalle" ist das bisher größte "Wiesnzelt".

Mit seinen 5.500 qm bietet es Platz für 12.000 Menschen. Das Mammutzelt hat eine Firsthöhe von 15 Metern, fast 28 Meter Breite werden stützenfrei überspannt.

Da die Aufbau- und Abbauzeit fünf Monate dauert und damit die vorgegebene Zeit der Stadt weit überschreitet, wird eine Konventionalstrafe fällig.

29. September 1913 Frankfurt am Main-Bockenheim * Rosa Luxemburg ruft in Anbetracht der Kolonialpolitik und des Militarismus des Deutschen Kaiserreichs zum Widerstand gegen den Militärdienst auf. Sie wird vors Gericht gezerrt und am 14. April 1914 wegen Aufforderung zur Ungehorsamkeit gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt.

18. Oktober 1913 München-Hackenviertel * Carl Gabriel eröffnet die Sendlingertor-Lichtspielemit 680 Plätzen. Der Neubau wird von Jacob Heilmann und Max Littmann geplant und ausgeführt. Es ist das erste Münchner Großkino und das erste Kino mit Balkon.

30. Oktober 1913 München-Kreuzviertel * Die Abgeordnetenkammerbeschließt ein verfassungsänderndes Gesetz mit 122 gegen 27 Stimmen der Sozialdemokraten.Mit diesem Gesetz kann der "Regent die Regentschaft für beendet und den Thron für erledigt erklären", wenn "wegen eines körperlichen oder geistigen Gebrechens des Königs" auch "nach Ablauf von zehn Jahren keine Aussicht auf Regierungsfähigkeit" besteht. Damit hat der Prinzregentdie Möglichkeit, seinen noch lebenden geisteskranken Cousin, den legitimen König Otto I., zu entthronen.

PrinzregentLudwig III. wollte politisch eine Veränderung herbeiführen und konnte mit dem Zentrumund den Liberalenauf eine breite parlamentarische Mehrheit bauen. Doch eine schlichte ProklamationLudwigs III. zum König wurde von den Abgeordneten als nicht ratsamerachtet, da auch der Prinzregenteine Übertragung der

Seite 472/814 Krone durch den Landtagablehnte. Schließlich wollte Ludwig III. kein "König von Volkes Gnaden", sondern ein "König von Gottes Gnaden" sein.

5. November 1913 München * PrinzregentLudwig III. proklamiert sich selbst zum König.König Otto I. wird damit durch seinen Vetter Prinzregent Ludwig III. entthront. Eine 27-jährige Regentschaftgeht dadurchzu Ende.

Nachdem diese unumstößlichen Fakten geschaffen sind, erkennt der Landtagan, "daß am 4. November 1913 die verfassungsmäßigen Voraussetzungen für die Beendigung der Regentschaft bestanden haben". Die Abgeordneten stimmen dem Antrag brav zu. Daraufhin erklärtKönigLudwig III., dass durch seine Thronbesteigung der Titel und die Ehrenrechte König Ottos I. nicht berührt werden. Bayern hat damit - bis zum Tod König Ottos I. am 11. Oktober 1916 - zwei Könige und damit eine Doppelmonarchie.

Doch die Vorgänge um die Inthronisationschadetdem Ansehen König Ludwigs III. und der Monarchie schwer. Deshalb rührtsich auch keine Hand, als exakt fünf Jahre später die Monarchie in Bayern als erster deutscher Einzelstaat sang- und klanglos zusammenbricht.

18. Dezember 1913 Lübeck * Willy Brandt, der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und SPD-Vorsitzende, wird als Herbert Ernst Karl Frahm in Lübeck geboren.

1914 München-Maxvorstadt * Dr. Hermann Schülein bewohnt ein großzügiges Appartement in der Richard-Wagner-Straße 17.

1914 München-Untersendling * Karl Winter gründet die Firma "Fisch Winter KG".

Der "Fischgroßhändler" verkauft "Seefische", "Feinfische", "Süßwasserfische", "Räucherfische", "Salzheringe" und "Marinaden". Er beliefert seine Kundschaft mit dem Handkarren und eröffnet gleichzeitig - gemeinsam mit seiner Frau Philippine - die "Sendlinger Fischhalle" in Untersendling, an der Alram-/ Ecke Aberlestraße.

1914 München-Au * Der "Konsumverein München von 1864" kauft von der "Paulaner-Brauerei" noch weitere Grundstücke ab, sodass das Gelände zwischen der Auerfeld-, Staatsbahn, Balanstraße und Tassiloplatz fast in seiner Hand ist.

1914 München-Bogenhausen * Im Bogenhausener "Brunnthal" entstehen vornehme neoklassizistische Villen.

Um 1914

Seite 473/814 München * Karl Valentins Stummfilm "Der neue Schreibtisch" wird gedreht.

Sein erster "Atelierfilm" bringt ihm einen Gewinn von 200.- Mark ein.

21. März 1914 München-Au * Rosa Luxemburg hält im brechend vollen Münchner-Kindl-Kellereine mitreißende Rede zum Thema "Militarismus und Volksfreiheit". Sie fordert auf, die Waffen nicht gegen die ausländischen Klassenbrüder zu erheben und das Wettrüsten zu stoppen. Die Sozialdemokraten gehen zu diesem Zeitpunkt noch davon aus, dass der Krieg zu verhindern ist.

Rosa Luxemburg sagt:"Wenn ein Mann von Blut und Eisen wie Bismarck trotz Ausnahmegesetz nicht mit uns fertig geworden ist, wie wollen das die Knirpse fertig bringen, die heute an der Spitze stehen!"

31. März 1914 Großbritannien * Sir Hubert von Herkomer stirbt in England an den Folgen eines Magenkrebs.

14. April 1914 Frankfurt am Main * Rosa Luxemburg steht wegen Aufforderung zur Ungehorsamkeit gegen Gesetze und Anordnungen der Obrigkeit in Frankfurt vor dem Landgericht.

Sie wird zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Der Knast bleibt der gehbehinderten Frau, die Berufung gegen das Urteil einlegt, vorerst erspart.

29. Juni 1914 München-Haidhausen * Der Grundstein für die evangelische Johanneskirchein Haidhausen wird gelegt. Mit dem Anwachsen der evangelischen Kirchengemeinde ist der Behelfsbau zu klein geworden. Eine neue Kirche auf dem gleichen Platz muss her.

Als Architekt wird Albert Schmidt erkoren, der zuvor schon die Lukas-Kircheerbaut hat.Außerdem hat er sich einen Namen gemacht mit dem Bau der Synagoge, der Deutschen Bankund des Löwenbräukellers.

6. Juli 1914 München-Schloss Nymphenburg * Das Infanterie-Leibregimentfeiert vor Schloss Nymphenburg, im Beisein König Ludwigs III., ihren 100. Gründungstag.

25. Juli 1914 Wien - Belgrad - Petersburg * Österreich-Ungarn reagiert mit einerTeilmobilmachungund bricht die diplomatischen Beziehungen zu Serbien ab.Der russischeKronratführt daraufhin einen Beschluss zur Unterstützung desKönigreichs Serbienherbei.

25. Juli 1914 Berlin * Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei - SPD veröffentlicht einen Massenprotest gegen den

Seite 474/814 drohenden Krieg, in dem es heißt:

"Parteigenossen, wir fordern euch auf, sofort in Massenversammlungen den unerschütterlichen Friedenswillen des klassenbewussten Proletariats zum Ausdruck zu bringen.Eine ernste Stunde ist gekommen, ernster als irgendeine der letzten Jahrzehnte.Gefahr ist im Verzuge! Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter missbrauchen.Überall muss den Gewalthabern in die Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg!Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung".

In 160 Städten finden bis Ende Juli 288 Versammlungen und Aufmärsche statt, an denen sich nach Angaben des Veranstalters mehr als eine Dreiviertel Million Menschen beteiligen. Alleine die große Antikriegsdemonstrationder SPD in Berlin am 28. Juli umfasst über 100.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Und das, obwohl die Kundgebung vom Berliner Magistrat ausdrücklich verboten worden ist.

26. Juli 1914 München-Kreuzviertel * Am 25. Juli, nur wenige Stunden nachdem Serbien das Ultimatum für Österreich-Ungarns nicht ausreichend devot umgesetzthat, berauschen sich im Café Fahrig, in der Neuhauser Straße, die Gäste an der Aussicht, dass jetzt Krieg droht. Die Menschen - im Café Fahrigund sonst wo - lassen Bayerns König Ludwig III. und Deutschlands Kaiser Wilhelm II. hochleben. Die Kapelle spielt die "Wacht am Rhein", "Heil Dir im Siegerkranz" und viele andere patriotische Lieder. Es wird viel gelacht, gefeiert, gesungen und natürlich getrunken.

Weil der Sohn des Gaststättenhabers Franz Fahrig einen Streit unter Gästen schlichten will, lässt er die Musik kurz unterbrechen.Doch plötzlich fliegen Stühle durchs Lokal. Die Polizei wird angefordert und räumt das Cafégegen zwei Uhr früh. Die sozialdemokratische Münchener Postschreibt über die Vorgänge: "Durch ungeschicktes Benehmen des Kapellmeisters wurde die betrunkene und fanatisierte Menge wild und demolierte das ganze Lokal".

Doch das ist noch nicht das Ende der Affäre. Wilde Gerüchte sind im Umlauf. Einer erzählt, eine serbische Kapelle hätte den Kaiser und das Reich geschmäht. Der andere hat Spioneim Café Fahriggesehen. Da ist es zu dem Schritt, der Café-Inhaber Franz Fahrig steht mit dem Feind im Bunde nicht mehr weit. Die Volksseele kocht.Um kurz vor drei Uhr fliegt der erste Pflasterstein in eine der Fensterscheiben des Lokals. Am Morgen ist das Café Fahriginnen und außen verwüstet.

26. Juli 1914 Berlin * Während im Berliner Lustgartendie SPD noch "flammenden Protest gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer" erhebt und sich in den folgenden Tagen bei weiteren Straßendemonstrationen Tausende Menschen gegen den Krieg beteiligen, hat Österreich-Ungarn bereits seine Truppen an der Grenze zu Russland mobilisiert.

27. Juli 1914 Berlin * Das Deutsche Reichlehnt den britischen Vorschlag einer Außenministerkonferenzzur Beilegung des Konflikts kategorisch ab und besteht auch weiterhin auf einer Lokalisierungdes Konflikts.

Seite 475/814 Der aus dem Urlaub zurückgekehrte Kaiser Wilhelm II. sieht in der serbischen Antwort eine "Kapitulation demütigster Art", mit der jeder Grund zum Krieg entfallen sei. Sein Auftrag an ReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg, in Wien entsprechend zu intervenieren, wird von diesem jedoch ignoriert und erst verspätet weitergegeben.

28. Juli 1914 Berlin - Wien * Der deutscheReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg bemüht sich inzwischen halbherzig, die Wiener Regierung von ihrem harten Kurs abzubringen. Er ist zwar von der"Unvermeidbarkeit"einesGroßen Kriegesüberzeugt, will aber gegenüber der Öffentlichkeit den Nachweis führen, dass die Aggression von Russland ausgeht.

Denn, so Bethmann Hollweg in einem Schreiben an dieK.u.K.-Regierung, eineuropäischer Krieglässt sich ohne Zustimmung der Bevölkerung nicht führen, weshalb es"eine gebieterische Notwendigkeit [ist], dass die Verantwortung für das eventuelle Übergreifen des Konflikts [...] unter allen Umständen Russland trifft".

Die Mahnung verhallt ungehört, weil gleichzeitig der deutscheGeneral•stabschefHelmuth von Moltke seinem österreichischen Kollegen Conrad von Hötzendorf versichert, dass Deutschland selbstverständlich den österreichisch-ungarischen Kriegskurs unterstützen wird.

28. Juli 1914 Wien - Belgrad * Österreich-Ungarn erklärt dem Königreich Serbienden Krieg und lässt noch am gleichen Tag seine Truppen aufmarschieren. Damit verschärft sich die internationale Lage in rasanter Geschwindigkeit und mache aus der österreichisch-serbischen Krise einen europäischen Flächenbrand.

29. Juli 1914 Wien * Die österreichische Heeresführung vertraut sehr stark darauf, dass es schon irgendwie gut gehen wird. Eine Reihe von k.u.k-Offizierenbegreifen den Krieg als Fortsetzung ihres Lebensstils unter erschwerten Bedingungen. Sie "legten Wert auf mehrgängige Menüs, die möglichst formvollendet serviert wurden, und ließen sich von Ehefrauen, Mätressen und Prostituierten begleiten, die für körperliches Wohlbefinden zu sorgen hatten".

Eindrucksvoll, aber natürlich karikaturhaft überzeichnet wird die Situation in dem Roman "Der brave Soldat Schweik" von Jaroslav Ha?ek.

30. Juli 1914 Königreich Bayern * Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges findet sich im Bayerischen Wochenblatt der folgende Artikel:"Dass sich an der gewissenlosen Kriegshetze vor allem die Zentrumspresse beteiligt, passt durchaus zu der Sorte ?Christentum?, die diese verkommene Partei vertritt.

Die Sozialdemokratie wird von ihr als ?vaterlandsfeindlich? verlästert, weil sie nicht gewissenlos genug ist, das Vaterland in einen Krieg von unabsehbaren Folgen hinein hetzen zu helfen. Und ?religionsfeindlich? ist die Sozialdemokratie wahrscheinlich deshalb, weil sie im Gegensatz zu den schwarzen Maulchristen bemüht ist, die Lehre Christi in die Tat umzusetzen."

Seite 476/814 30. Juli 1914 London * Großbritannien lehnt die vom Deutschen Reichgeforderte Neutralitätszusage für den Kriegsfallab.

31. Juli 1914 München-Maxvorstadt * Am Nachmittag wendet sich der 69-jährige KönigLudwig III. am Nachmittag an die Kundgebungsteilnehmer vor demWittelsbacher Palais.Er bedankt sich zunächst für die Huldigungen, die er als"Ausdruck der Treue und der Vaterlandsliebe"betrachtet.

Im Wissen, auf welche Katastrophe dasDeutsche Reichzusteuert, weist der Bayernherrscher auf die ernste und schwere Zukunft hin und erklärt:"Es sind [...] sehr schwere und ernste Zeiten, denen wir entgegen gehen.Aber ich vertraue darauf, dass das bayerische Volk wie seit vielen Jahrhunderten auch jetzt in Treue zu seinem Herrscherhaus stehen wird." Dann verhängt auch König Ludwig III. denKriegszustand, verbunden mit derAnordnung des Standrechtesund denÜbergang der vollziehenden Gewalt auf die Militärbehörden.

Der Text seiner Verordnung lautete kurz und bündig:"Wir finden uns bewogen, auf Grund des Artikels I des Gesetzes über den Kriegszustand vom 5. November 1912 zu verordnen:Über das Gesamtgebiet des Königreichs wird der Kriegszustand verhängt. Gegeben zu München, den 31. Juli 1914. Ludwig."

31. Juli 1914 Berlin * Gleichzeitig mit der Kriegserklärung erlässt der deutsche Kaiser das "Verbot der Ausfuhr von Nahrungsmitteln aller Art ins gegnerische Ausland". Damit dürfen nur noch neutrale und die verbündeten Länder Österreich, Ungarn und Türkei sowie die deutschen Truppen im Ausland mit Bier beliefert werden.

Das Versandbuch der Paulanerbrauerei macht diese Krise des Exportes deutlich sichtbar. Erst nach beiden Weltkriegen können die Münchner Brauereien in den 1970er Jahren wieder Exportzahlen wie um 1900 erzielen.

31. Juli 1914 Berlin * Kaiser Wilhelm II. bereitet sein Volk auf den kommenden gerechten Verteidigungskrieggegen angreifende Feinde vor."Infolge der andauernden und bedrohlichen Rüstungen Russlands" verhängt er gemäß des Artikels 68 der deutschen Reichsverfassungden "Zustand drohender Kriegsgefahr".

Nachfolgend die Kernsätze seiner Rede, die mit der Überschrift "An mein Volk!" in schriftlicher Form verbreitet wird:"Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen.Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung.Man drückt uns das Schwert in die Hand.Ich hoffe, dass, wenn es nicht in letzter Stunde meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit Gottes Hilfe so führen werden, dass wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können.

Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg vom deutschen Volk erfordern.Den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland anzugreifen.Und nun empfehle ich Euch Gott! Jetzt geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer!

Kaiser Wilhelm II."

Seite 477/814 August 1914 Berlin - Den Haag * Ohne gültige Aufenthaltspapiere und ohne Gepäck schafft "Mata Hari" gerade noch die Ausreise in die Niederlande.

Dort absolviert sie ein paar Auftritte am Theater und findet in Den Haag eine standesgemäße Bleibe. Sie will jedoch weiter nach Paris.

Um August 1914 München-Schwabing * Das "Städtische Wehramt" zieht von der "Kohleninsel" an die Winzererstraße.

Heute ist dort das "Stadtarchiv" untergebracht.

1. August 1914 Deutschland * Sämtlicher Post- und Telefonverkehr wird massiv eingeschränkt. Private Telefongespräche ins Ausland und in einige Grenzgebiete sind nicht mehr möglich. Briefe ins Ausland und in bestimmte Schutzgebietedürfen - zur einfacheren Überprüfung - nur mehr unverschlossen versandt werden.

1. August 1914 München * Für viele Münchner und Deutsche ist nun endlich das teils herbeigesehnte, teils gefürchtete"reinigende Gewitter"hereingebrochen. Denn für viele Zeitgenossen war der Krieg auf längere Sicht absolut unvermeidbar.

Durch die offizielle Berichterstattung über die außenpolitischen Krisen und die angebliche feindlicheEinkreisung des Deutschen Reicheswar diese Erkenntnis plausibel gemacht geworden.

1. August 1914 München-Maxvorstadt * Gegen 19:30 Uhr tritt der greise König Ludwig III. auf den Balkon desWittelsbacher Palaisund gibt dieMobilmachungbekannt. Jubelnd und hüteschwenkend versammeln sich begeisterte Bürger, die den Kriegsausbruch feiern.

Der versammelten Menschenmenge ruft er zu, er sei zuversichtlich, dass sich seine Soldaten"im Verein mit ihren deutschen Bundesgenossen ebenso wie vor 44 Jahren tapfer schlagen werden und [er] hoffe zu Gott, er möge sie ehrenvoll mit Sieg gekrönt wieder in die Heimat zurückkehren lassen".

Als ersterMobilmachungstagwird der 2. August bestimmt. Dievollziehende Gewaltgeht damit von den Zivilbehörden auf die kommandierenden Generale der drei bayerischen Armeekorps in München, Nürnberg und Würzburg über. In der Pfalz übernimmt der Kommandeur der 3. Division diese Aufgabe.Auch dieöffentliche Sicherheitwird den Militärbefehlshabern anvertraut.

Für die bayerische Regierung sind weitreichende Anordnungen der Militärs auch dann"statthaft, wenn sie im Widerspruch mit bestehenden Gesetzen stehen und sich nicht auf einen gesetzlichen Vorbehalt gründen". Damit ist das öffentliche Leben weitgehend unter militärischer Kontrolle.

Seite 478/814 1. August 1914 Berlin * Am Nachmittag versammelt sich vor dem Berliner Schloss eine große Menschenmenge. Spannung liegt in der Luft. Man wartet nicht mehr auf die Erhaltung des Friedens, sondern auf die Erklärung des Krieges.

Gegen 17:30 Uhr ordnet Kaiser Wilhelm II. für das Deutsche Reich- mit Ausnahme von Bayern - die Mobilmachungan und erklärt gleichzeitig Russland den Krieg. Damit gehtder Oberbefehl über die bayerischen Truppen auf das Kaiserreich über.

Wilhelm II. erklärt: "Ich bin gezwungen, zur Abwehr eines durch nichts gerechtfertigten Angriffs das Schwert zu ziehen und mit aller Deutschland zu Gebote stehenden Macht den Kampf um den Bestand des Reiches und unserer nationalen Ehre zu führen".

Die Menge singt anschließend Nun danket alle Gottund Extrablätter verbreiten die Generalmobilmachung.

1. August 1914 München - Berlin * Nun erfolgtauch die Mobilmachungder bayerischen Armee. König Ludwig III. telegraphiert an Kaiser Wilhelm II. die folgenden Zeilen:"Das bayerische Heer ist heute mit dem Beginn der Mobilisierung unter deinen Befehl als Bundesfeldherr getreten. [...]In dieser Erwartung heiße ich Bayerns Söhne, sich um ihre Fahnen zu scharen, und bitte zu Gott, er möge, wenn der Kampf entbrennt, den deutschen Waffen den Sieg verleihen".

An die Armee richtete er das Manifest "An mein Heer!"

1. August 1914 München * Karl Valentin erzählt über den Kriegsausbruch:

"Für 1. August 1914 war ich wieder bei Benz engagiert.Eine Revue ?Im Lande der Kastanien? sollte einstudiert werden, mehrere Nachmittage wurde fest geprobt, [...] - mitten im Kampfe ein Trommelwirbel aus der Ferne? ...Wir unterbrachen die Probe und eilten auf die Straße, da stand, [...] ein Trommler [...] und neben ihm ein Sergant, der Folgendes vorlas: ?Im Namen seiner Majestät, König Ludwig III. von Bayern - Frankreich hat heute den Krieg erklärt usw.?.

Schweigend gingen wir in das Haus zurück, die Probe war aus und acht Tage später gingen schon mindestens zehn Männer aus dem Hause Benz hinaus und sangen mit Blumen geschmückt; ?Ich hatt? einen Kameraden?.

Vierzehn Tage nach Ausbruch des Krieges durfte, um den in der Heimat weilenden Artisten, Schauspielern usw. Verdienstmöglichkeiten zu geben, wieder gespielt werden mit der Bedingung, zeitgemäße Darbietungen zu bringen.

Jeder Theaterdirektor empfahl patriotische Darbietungen zu bringen. Auch ich musste, obwohl es eigentlich von mir als Blödsinn-Interpret niemand gewohnt war, auch ernste Sachen bringen, so unter anderem eine Kriegsmoritat.Der Erfolg war groß und zwei Monate sang ich als Komiker traurige, ernste Vorträge.

Karl Valentin und Liesl Karlstadt beteiligen sich im Ersten Weltkrieg an insgesamt rund 120 Lazarett-Vorstellungen. Im Gegensatz zu "einigen großen Persönlichkeiten der Münchner Hofbühne", die den kranken Soldaten "blutige Schlachtengedichte" vortragen, leisten sie den Genesenden mit ihrem "lustigen, harmlosen Späßen" einen wesentlich größeren Nutzen.

Seite 479/814 2. August 1914 Berlin - Brüssel * Berlin fordert von Brüssel die Genehmigung für den Durchmarsch der deutschen Truppen durch Belgien. Das Deutsche Reichbietet zum Ausgleich die Übernahme und Vergütung sämtlicher Kosten an.

Doch wider Erwarten lehnt Belgiens König Albert I. dieses Ansinnen mit Hinweis auf seine "Neutralität" ab. Er sagt: "Wenn die belgische Regierung die ihr übermittelten Vorschläge annehmen würde, würde sie sich gegen die Ehre der Nation vergehen und Belgiens Pflichten gegenüber Europa verraten".

3. August 1914 München * Der Krieg hat viele und einschneidende Auswirkungen:

Von der Löwenbrauereiwerden 300 Mitarbeiter zum Kriegsdienst eingezogen. Das Residenztheatermuss ihren Spielbetrieb einstellen, weil zu viel Personal eingezogen worden ist. Das Metzgerhandwerk und die städtischen Straßenbahnen suchen händeringend Arbeitskräfte. Die Firma Kustermannmuss ihre Filiale am Stachus schließen, um wenigstens den Betrieb im Hauptgeschäft aufrecht zu erhalten.

3. August 1914 München * Während in vielen Betrieben Arbeitskräfte-Mangel herrscht, nimmt beispielsweise im Baugewerbe die Arbeitslosigkeit in erschreckendem Ausmaß zu. Die Bautätigkeit ist mit Kriegsbeginn nahezu vollständig zu erliegen gekommen.Reparaturarbeiten werden nicht mehr beauftragt.Circa 5.000 Münchner Bauarbeiter, Schreiner und Zimmerer werden nicht mehr gebraucht.

Viele wohlhabende Münchner beginnen beim Personal zu sparen. Lohnkürzungen oder Kündigungen sind die Auswirkungen. Auch den Handlungsgehilfenwird der Lohn bis zu 50 Prozent gekürzt. Doch im Unterschied zu den Dienstboten und Köchinnen wissen sie sich zu wehren. Rechnungen für gelieferte Waren werden oft nicht mehr bezahlt.

3. August 1914 München * Die außerordentliche Versammlung der Münchner Bäckerinnungstellt fest, dass - trotz der Einberufung zahlreicher Bäckermeister und Gehilfen - die Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Brot gewährleistet ist. Daneben sehen sich die verbliebenen Bäcker in der Lage, zusätzlich 20.000 Leibe Brot fürs Militär zu backen. Freilich können verschiedene Bäckereibetriebe nur mehr die gangbarste Brotsorteherstellen.

Die Versorgung Münchens mit Mehl ist für die nächsten vier Wochen gesichert; danach kommt ohnehin das Getreide der gerade anstehenden Ernte zur Vermahlung. Und weil das Militär die sechs Pferde eingezogen hat, die bisher für den Hefe-Transport benutzt wurden, kann die Hefe nicht mehr an jeden Bäcker geliefert werden.

3. August 1914

Seite 480/814 Belgien * Schwerbewaffnete deutsche Truppen überschreiten die Grenze zu Belgien. Daraufhin verlangt der britische Außenminister den Erhalt der belgischen Neutralität. Ansonsten wird England in den Krieg eintreten.

3. August 1914 Berlin - Paris - Brüssel * Deutschland erklärt Frankreich und Belgien den Krieg.

3. August 1914 Berlin * Als erste kriegführende Macht bringt Deutschland ein Weißbuchheraus. Darin enthalten sind Aktenstücke, die beweisen sollen, dass sich Deutschland bis zuletzt um den Frieden bemüht hat und damit die Burgfriedenspolitkgegen kritische Fragen erhärten kann. Das Weißbuchwird vom ReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg dem Reichstagvorgelegt.

Auch die anderen, am Krieg beteiligten Nationen bringen ähnliche Dokumentsammlungen in ihren Landesfarbenheraus.Doch alle derartigen Publikationen erhalten neben Flüchtigkeitsfehlern auch gezielte Fälschungen.

Nach dem 4. August 1914 München-Au * Die Maria-Theresia-Kreisrealschulewird - kriegsbedingt - bis 1919 im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]untergebracht.

4. August 1914 Belgien * Belgien hat etwas über 100.000 Mann unter Waffen; die Deutschen greifen mit 2,4 Millionen Soldaten an.

Zwingende Voraussetzung für einen zügigen deutschen Vormarsch ist die Erstürmung der "Festungsstadt Lüttich", die durch ein Dutzend Außenforts gesichert ist.

Das deutsche Heer setzt die ersten neuartigen Waffen dieses Krieges ein: schwere Belagerungsgeschütze. Sie bestehen aus den von Österreich geliehenen "Skoda-Mörsern" des Kalibers 30,5 Zentimeter und der "Dicke Bertha" genannten "Krupp-Kanonen", die ein Kaliber von unglaublichen 42 Zentimetern aufweisen und eine gewaltige Zerstörungskraft erzeugen.

Diese Geschütze lassen die als unzerstörbar geltenden Betonkuppeln der Lütticher Forts "aufplatzen wie Kürbisse". Der deutsche Vormarsch und die deutschen Waffen schlagen in der Folge eine Schneise der Verwüstung durch Belgien.

4. August 1914 Frankreich - Westfront * Bei Kriegsausbruch stehen die bayerischen Truppen hauptsächlich in der "6. Armee" unter dem Kommando des Kronprinzen Rupprecht von Bayern an der Westfront in Französisch-Lothringen.

Nach ersten Erfolgen bleiben die deutschen Angriffe noch im Verlauf des Jahres 1914 stecken.

Seite 481/814 Nach dem 4. August 1914 München-Au * Einen herben Rückschlag erleidet der Haidhauser "Turn- und Sportverein München-Ost" mit Beginn des Ersten Weltkrieges.

Von den inzwischen 903 Mitgliedern müssen 475 ihren Wehrdienst ableisten. Damit werden mehr als die Hälfte der Mitglieder der Vereinsarbeit entzogen und dadurch die Arbeit und die Existenz des "TSV München-Ost" gefährdet.

4. August 1914 Berlin * Mit 96 zu 14 Stimmen beschließt die SPD-Reichstagsfraktion die Bewilligung der "Kriegskredite".

Hugo Haase, der stellvertretende Vorsitzende der SPD und Kriegskreditgegner, gibt - gegen seine Überzeugung - die Erklärung ab: "Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich".

Kaiser Wilhelm II. gibt daraufhin seine ebenso berühmte Antwort: "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche".

4. August 1914 Berlin - London * Am Abend hält "Reichskanzler" Theobald von Bethmann Hollweg dem britischen Botschafter vor, wie furchtbar es wäre, wenn es zwischen Deutschland und England - "wegen eines Fetzens Papier" - zum Krieg kommen würde.

Diese abschätzige Bezeichnung Bethmann Hollwegs für den "Vertrag über die belgische Neutralität" wirft ein grelles Licht auf die deutsche Haltung und wird daher von der englischen Propaganda sofort in einem Plakat umgesetzt.

Die Verletzung der belgischen "Neutralität" durch das "Deutsche Reich" leistet einen entscheidenden Beitrag, die öffentliche Meinung in Großbritannien für den Krieg gegen Deutschland zu mobilisieren.

Großbritannien erklärt daraufhin konsequenterweise Deutschland den Krieg.

Die Armeen der "Mittelmächte" haben eine Kriegsstärke von 3,5 Millionen Soldaten, davon 2,1 Millionen deutsche; die "Entente" verfügt dagegen über 5,7 Millionen Soldaten.

4. August 1914 München * König Ludwig III. schwört seine Untertanen auf den Krieg ein.

In seiner Bekanntmachung "An meine Bayern!" wendet er sich nicht nur an die Soldaten, sondern vor allem an die Menschen in der Heimat:

"Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten aufgenommen. Der Druck der Ungewissheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, Scharen unsere wehrhaften Männer sich um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Krieg.

Seite 482/814 Bewegten Herzens sehen wir unsere Tapferen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht, er hat unser Friedenswerk sichtbar gesegnet. Er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist.

Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stelle auch zu Hause jeder seinen Mann. Wollen wir, jeder nach seiner Kraft, im eigenen Land Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. [...]

Bayern! Es gilt das Reich zu schützen, das wir in blutigen Kämpfen mit erstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben.

Gott segne unser tapferes deutsches Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Waffenbrüder! Er Schütze den Kaiser, unser großes deutsches Vaterland, unser geliebtes Bayern!".

4. August 1914 München * Gleichzeitig richtet die Königin Marie Therese einen "landesmütterlichen" Aufruf an die "Frauen und Jungfrauen Bayerns!", damit auch diese ihren solidarischen Beitrag leisten:

"Euch aber, denen es nicht vergönnt ist, mit Blut und Leben für des Vaterlandes Ehre einzutreten, bitte ich innigst, nach Kräften mitzuwirken zur Linderung der Not jener Braven, welche das feindliche Geschoss oder die Beschwerden des Krieges verwunden oder sich zu Boden werfen. So stellt euch denn, die ihr wohl alle liebe Angehörige bei der Armee wisst, in den Dienst des Roten Kreuzes, gleich Meinen Töchtern Hildegard, Helmtrud und Gundelinde.

Draußen fließt Blut, herinnen fließen Tränen, am bittersten da, wo zur Sorge der Seele die Not des Leidens kommt. Auch hier muss und wird geholfen werden. Das Notwendige bereiten wir eben vor [...].

Soldaten, die ihr ins Feld zieht, Ich, die Königin, sage euch, euere tapferen Frauen und eure lieben Kinder sollen nicht Not leiden; schaut voraus gegen den Feind, euren Lieben gehört nun unsere Sorge".

4. August 1914 Berlin - Brüssel * "Reichskanzler" Theobald von Bethmann Hollweg gibt vor dem "Reichstag" eine Erklärung zum unberechtigten Einmarsch ins "neutrale" Belgien ab. Die Reaktionen der Abgeordneten finden sich in den eckigen Klammern wieder:

"Meine Herren, wir sind jetzt in der Notwehr; [lebhafte Zustimmung] und Not kennt kein Gebot! [Stürmischer Beifall] Unsere Truppen haben Luxemburg besetzt, [Bravo!] vielleicht schon belgisches Gebiet betreten. [Erneutes Bravo.]

Seite 483/814 Meine Herren, das widerspricht den Geboten des Völkerrechts. Die französische Regierung hat zwar in Brüssel erklärt, die Neutralität Belgiens respektieren zu wollen, so lange der Gegner sie respektiere.

Wir wussten aber, dass Frankreich zum Einfall bereit stand. [Hört! Hört!] Frankreich konnte warten, wir aber nicht! Ein französischer Einfall in unsere Flanke am unteren Rhein hätte verhängnisvoll werden können. [Lebhafte Zustimmung.]

So waren wir gezwungen, uns über den berechtigten Protest der luxemburgischen und der belgischen Regierung hinwegzusetzen. [Sehr richtig!] Das Unrecht - ich spreche offen - das Unrecht, das wir damit tun, werden wir wieder gutzumachen suchen, sobald unser militärisches Ziel erreicht ist. [Bravo!]

Wer so bedroht ist wie wir und um sein Höchstes kämpft, der darf nur daran denken, wie er sich durchhaut! [Anhaltender brausender Beifall und Händeklatschen im ganzen Hause und auf den Tribünen.] Meine Herren, wir stehen Schulter an Schulter mit Österreich-Ungarn".

Um den 5. August 1914 München * Französische und englische Fremdwörter sind plötzlich verpönt.

"Wir brauchen keine Menus, keine Dinners, kein Dejeuner, keinen Five o?clock tea u.s.f. Wir können ohne sie leben; uns genügt ein schlichter Speisezettel, ein Mittagessen, Frühstück, Fünfuhr- oder Abendtee".

Der Begriff Restaurantwird durch Speisehausersetzt, statt im Delikatessengeschäftkauft man jetzt im Feinkostladenein. Kinosheißen nunLichtspielhausund aus dem Abonnementin der Oper wird die Platzmiete.

Über Nacht wird aus dem Hotel Englischer Hofin der Dienerstraße das Hotel Poschund aus dem Hotel Bellevueam Stachus das Hotel Königshof.

5. August 1914 Großbritannien * Die britische Regierung beschließt, den Krieg auch in die deutschen Kolonienzu tragen.

Um den 8. August 1914 München * Nur wenige Tage nach Kriegsbeginn fordert König Ludwig III. - im Falle eines deutschen Sieges - die Angliederung des Elsass an Bayern. In einem Brief an den ReichskanzlerTheobald von Bethmann Hollweg verlangt er ein Kriegsergebnis, das die schweren Blutopfer aufwiege.

9. August 1914 München * In der Münchner Stadtchronikwird festgestellt, dass das "lärmende Treiben" in den Straßen einem "feierlichen Ernst" gewichen sei.

Auf den Straßen wird es ruhiger. Der Autoverkehr ist nahezu zum Erliegen gekommen. Wer Benzin kaufen will, braucht einen "Erlaubnisschein des Stellvertretenden Generalkommandos".

Seite 484/814 Vor dem Hauptbahnhof und am Stachus warten nur mehr wenige Taxis auf Kundschaft. Die Straßenbahnen fahren nun mehr bis 23 Uhr.

9. August 1914 Belgien * Die Invasion Belgiens verläuft keineswegs nach Plan. Nur unter großen Anstrengungen und dem Einsatz schwerster Geschütze gelingt es den deutschen Soldaten, die belgischen Verteidigungsanlagen zu durchbrechen. Der Vormarsch des deutschen Heeres gerät immer wieder ins Stocken. Die Ursache hierfür ist ein nicht erwarteter, zeitweise sogar erbitterter Widerstand der belgischen Armee und der einheimischen Miliz-Einheiten.

Überrascht vom starken Verteidigungswillen der - laut dem deutschen Generalstab- angeblich so "wenig leistungsfähigen belgischen Truppen", kommt es zu häufigen Übergriffen deutscher Soldaten auf belgische Zivilisten. Kaiser Wilhelm II. warnt vor einem drohenden Volksaufstandin Belgien.

10. August 1914 München * Im "Bayerischen Innenministerium" wird die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch während der Kriegszeit besprochen.

Da aus allen Regierungsbezirken eine gute bis sehr gute Heuernte gemeldet wird und sowohl die Kartoffel- wie die Getreideernte zufriedenstellend ausfiel, sehen die Viehzüchter keinen Grund zur Sorge. Nur der Verbrauch von Kalbfleisch sollte eingeschränkt werden.

Außerdem sollte die Haltung von Kaninchen gefördert werden, weil diese "innerhalb kurzer Zeit ein großes Quantum von Fleisch für den Haushalt liefern".

Als Bilanz der Besprechung wird festgestellt, dass Bayern hinsichtlich der Fleischversorgung vollkommen sicher sei, selbst wenn sich der Krieg länger hinziehen sollte.

Solche Besprechungen machen deutlich, dass man sich über Fragen der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und anderer lebenswichtiger Gebrauchsgüter keine Gedanken machte. Niemand rechnete ernsthaft mit einem längeren Krieg.

10. August 1914 München-Haidhausen * Erstmals marschieren in Haidhausen die Truppen auf dem Johannisplatz zur "Truppenaussegnung" auf, um vor dem Abmarsch noch den kirchlichen Segen zu erhalten.

"Der Kommandeur hielt eine kernige Ansprache und bat zum Schluss um Gottes Beistand. Der Priester war unter dem Thronhimmel vor die Kirche getreten und erteilte, das Allerheiligste nach allen Seiten zeigend, den Segen. [...] In allen katholischen Gotteshäusern wurde der Hirtenbrief des Kardinals verlesen, darauf drei Gebete für das Vaterland und unsere Krieger gehalten".

Solche abendlichen und nächtlichen Aufmärsche mit kirchlichem Segen werden sich noch mehrmals wiederholen.

Seite 485/814 12. August 1914 London - Wien * Großbritannien erklärt Österreich-Ungarn den Krieg.

Um den 13. August 1914 Berlin - Brüssel * Der preußische Generalstabs-ChefHelmuth von Moltke beschuldigt belgische Zivilisten, sich entgegen dem Kriegsrechtan den Kämpfen beteiligt und "in grausamer Weise Verwundete erschlagen und Ärzte [...] niedergeschossen" zu haben. Moltke droht damit, dass "jeder Nichtuniformierte, der [...] in irgendeiner Weise unberechtigt an der Kriegshandlung teilnimmt", fortan "als Franktireur behandelt und sofort standrechtlich erschossen" wird.

Damit können sich die vor Ort agierenden Soldaten und Befehlshaber auf allerhöchste Weisungen berufen. In den ersten beiden Kriegsmonaten kommen 5.500 belgische und rund 900 französische Zivilisten ums Leben. Der Auslöser dieser brutalen Aktionen und drakonischen Strafmaßnahmen sind häufig unerwartete Schusswechsel und Explosionen, deren Verursacher meistens unbekannt blieben.

Es kann sich dabei um versprengte belgische Soldaten, Angehörige der Miliz oder vor Ort agierende Widerstandskämpferhandeln, aber möglicherweise sind es auch nur betrunkene oder orientierungslose deutsche Soldaten, die sich in einem feindlichen Hinterhalt wähnen und nun das Feuer auf die eigenen Leute eröffnen.

13. August 1914 Lothringen * Um die Franzosen - gemäß dem Schlieffen-Plan- zum Vorrücken zu animieren und damit in die Falle zu locken, ziehen sich die Bayern wieder zurück. Die Franzosen sollen über Lothringen ins Reichsgebietvorrücken und dann von der 6. Armeeunter KronprinzRupprecht und der 7. Armeeunter der Führung von GeneralstabschefKonrad Krafft von Dellmensingen in die Zange genommen und eingekesselt werden.

Und weil in der Zwischenzeit, so der deutsche Feldzugsplan, die über Belgien nach Südosten geschwenkte deutsche Armee die Franzosen umfasst hätte, könnten die im Reichsgebietbefindlichen französischen Truppen nicht mehr mit weiterer Unterstützung rechnen und dadurch vernichtet werden.Voraussetzung wäre, dass die Armeen unter dem Kronprinzen und seinem Generalstabschefdie Franzosen immer wieder in hinhaltende Gefechte verwickeln, aber letztlich nicht stoppen sollen. Nur der Durchbruch zum Rhein musste verhindert werden.

14. August 1914 München-Ludwigsvorstadt * Zwei Wochen nach Kriegsbeginn kommen die ersten Verwundeten am Münchner Hauptbahnhof an. Von dort werden die verwundeten Soldaten mit umgebauten ehemaligen Sommerwagender Trambahn in die verschiedenen Krankenhäuser und Lazarette gebracht. Die Lazarettesind über die ganze Stadt verteilt.

15. August 1914 Planegg * An Maria Himmelfahrtpilgern etwa 10.000 Gläubige nach Maria Eichin Planegg. Sie nehmen den 20 Kilometer langen Weg auf sich, um dafür zu beten, dass die "Gottesmutter ihren Mantel ausbreiten [möge] über all die Hunderttausende von Gatten und Vätern, von Brüdern und Söhnen, die jetzt draußen kämpfen um unsere heiligsten Güter".

Seite 486/814 15. August 1914 Ostpreußen * Bevor die Österreicher überhaupt angreifen können, stoßen die Russen mit über einer halben Million Soldaten auf ostpreußisches Gebiet vor. Dieser Angriff erfolgt auf französischem Wunsch, weil sich die Pariser Regierung dadurch eine Entlastung der eigenen Front erwartet. Die in Ostpreußen stehenden deutschen Verbände werden von den Russen vollkommen überrumpelt.

Der russische Vormarsch kann zwar nach wenigen Tagen zum Stehen gebracht werden, doch bis dahin befinden sich schon große Teile Ostpreußens in Feindeshand. Die Hauptleidtragenden sind die ostpreußischen Zivilisten, die ihre Heimat verlassen müssen.

18. August 1914 München * Nachdem die Studierenden aus dem befreundeten und aus dem feindlichen Ausland die Stadt gleich zu Kriegsbeginn verlassen haben, fallen jetzt die Studenten aus Japan im Straßenbild besonders auf.

"Die ziemlich zahlreichen Gelbgesichter mit ihren Schlitzaugen belebten mit eigenartigem Reiz das Bild des hiesigen Straßenpublikums. Die mittelgroßen Leutchen kamen meist sehr gesetzt einher, mit goldener Brille im ernsten Antlitz; waren stets zu zweit oder dritt oder hatten eine deutsche Freundin bei sich; studierten fleißig, beobachteten fleißig, zeigten aber nirgends ein aufdringliches oder lärmendes, eher ein fast bescheidenes, immer freundliches Wesen und waren darum mehr ein exotisches als störendes Element.Sie waren in gewissen Kreisen sogar wohlgelitten. - Ihr plötzliches Verschwinden befremdet".

19. August 1914 Lothringen - Westfront * Da die Franzosen nur zögerlich voranschreiten, entscheidet sich Kronprinz Rupprecht zum aktiven Eingriff in das Geschehen und erteilt den Befehl zum Angriff für den nächsten Tag. Der Vorstoß ist allerdings in den Planungen des preußischen GeneralstabschefHelmuth von Moltkes nicht vorgesehen.

Mag sein, dass KronprinzRupprecht so reagiert, weil er die negative Stimmung seiner Truppen erkannte, die sich bei den noch kriegsbegeisterten bayerischen Soldaten durch die auferlegte Defensive ausbreitete. Mehr werden jedoch Eifersüchteleien und Rivalitäten eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Denn Rupprecht, der Kronprinz von Bayern, und sein GeneralstabschefKonrad Krafft von Dellmensingen wollen nicht diejenigen sein, die mit ihren Truppen immer weiter nach Deutschland zurückweichen, während der Kronprinz von Preußenmit seinen Einheiten nach Frankreich voran stürmt.

20. August 1914 Nomeny * Bayerische Soldaten stecken das Dorf Nomeny in Brand. Danach kommt es zu etlichen deutschen Gräueltaten in verschiedenen Orten. Manche Zivilisten haben das Glück, dass sie nur als Geisel mitgenommen und später wieder freigelassen werden. Unter der Führung von Kronprinz Rupprecht erringen zwei deutsche Armeen zwar einen Sieg, dennoch stecken die Truppen bald in ihren Stellungen fest.

20. August 1914 Brüssel - Antwerpen * Deutsche Truppen besetzen die belgische Hauptstadt Brüssel. Die dort stationierte belgische Armeeführung flieht daraufhin nach Antwerpen.

Seite 487/814 21. August 1914 Seilles an der Maas * Deutsche Truppen äschern das gegenüber von Andenne gelegene Städtchen Seilles an der Maas ein. Weil Pioniere angegriffen wurden, während sie eine Brücke über die Maas schlugen, hat man etwa 200 Bewohner standrechtlicherschossen und den Ort danach total zerstört.

23. August 1914 Dinant * In Dinant, einem malerischen Kleinstädtchen an der Maas, in der Provinz Namur, veranstalten sächsische Truppen ein besonders grausames Massaker. Weil sie von angeblichen Franktireursbeschossen wurden, starten die deutschen Soldaten - auf Befehl ihrer Vorgesetzten - eine Strafaktion. Sie zünden Häuser an, plündern und ermorden 674 der knapp 8.000 Einwohner.Frauen wie Männer, Greise, viele Kinder und vier Babys, die angeblich alle bewaffnet waren.

Die Bilder der zerstörten Stadt lösen Entsetzen und Empörung über die deutschen "Barbaren" aus. Von Widersprüchen oder gar Verweigerungen, derartige Befehle auszuführen, haben sich keinerlei Informationen erhalten. Prinz Max, der Bruder des sächsischen Königs und Feldgeistlicherin Belgien, vertraut einem befreundeten Seelsorger folgende Worte an: "Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gibt, müssen wir diesen Krieg verlieren wegen der Gräuel, die wir in Belgien verübt haben."

23. August 1914 München * Nur drei Wochen nach Kriegsbeginn wird mit der Herstellung von Kriegsbrotbegonnen.

24. August 1914 München - Berlin * Zwischen dem 15. und 18. August reisten die Japaner angeblich nach Berlin. Mit großer Enttäuschung nimmt man in München von der Abreise, den japanischen Anschluss an die Ententeund dieKriegserklärung an DeutschlandzurKenntnis.

"Die Herren hatten feine Witterung oder waren von zu Hause aus gut unterrichtet und ließen bei ihrem schnellen, stillen Abschied nur Vorsicht walten. Japan, das wir stolz als unseren gelehrigen, eifrigen Schüler bezeichneten, das wir bereitwilligste in viele Dinge Einblicke tun ließen, von dem wir, weil es ehemals der Gegner Russlands war, Hilfe oder doch Unterstützung erhofften, steht im Bunde mit England, also auf der Seite unserer Feinde. O deutscher Michel!"

25. August 1914 Leuven * Am Abend kommt es in Löwen [Leuven] plötzlich und zu diesem Zeitpunkt vollkommen unerwartet zu Schusswechseln.Historiker gehen heute davon aus, dass es sich dabei um ein sogenanntes friendly fire, also ein eigenes Geschützfeuer handelte, bei dem deutsche Soldaten versehentlich eigene Kameraden beschossen haben. Doch damals hieß es, belgische Freischärler[sogenannte Franktireurs] haben angegriffen.

Eine tragische Kettenreaktion kommt in dieser Nacht in Gang. Die größtenteils im Kampf unerfahrenen deutschen Soldaten dringen in ihrer Panik in die belgischen Häuser ein, in denen sie die Heckenschützenvermuten. In wilder Raserei nehmen sie Geiseln und töten Tausende Zivilisten, nachdem sie deren Wohnungen in Brand gesetzt haben. Immer mehr Gebäude im Zentrum Löwens fangen Feuer.

Seite 488/814 Ab dem 25. August 1914 Namur -Charleroi -Mons *Das deutsche Heer setzt ihren Vormarsch durch Belgien und Nordfrankreich fort. Die ersten großen Schlachten bei Namur, Charleroi und Mons werden mit Bravour geschlagen. Die französischen Einheiten und das aus etwa 50.000 Mann bestehende britische Expeditionskorpstreten - angesichts der deutschen Übermacht - überstürzt den Rückzug an.

Die deutschen Armeeführer sind der Überzeugung, dass die Flüchtendensich ungeordnet zurückziehen und verfolgen den Feind, um ihn endgültig zu schlagen und damit den Krieg zu beenden. Doch die Einheiten des GeneraloberstKarl von Bülow sind derartig schnell unterwegs, dass das von GeneraloberstAlexander von Kluck befehligte Heer nicht so schnell folgen kann und schon bald zwischen den beiden deutschen Armeen ein vierzig Kilometer breiter Spalt klafft.

27. August 1914 Leuven * Die in der Stadt Löwen verbliebenen etwa 10.000 Einwohner werden aus den rauchenden Ruinen vertrieben. 1.500 von ihnen transportiert man in Viehwagen nach Deutschland, wo sie monatelang unter schlimmsten Bedingungen im Truppenlager Munsterin der Lüneburger Heidefestgehalten werden.

Der deutsche Zerstörungsrausch gipfelt in der Brandschatzung der Löwener Bibliothek. In dem Feuer werden eine Vielzahl einmaliger Handschriften, Inkunablenund rund 300.000 Bücher vernichtet. Nahezu 2.000 Gebäude fallen in Löwen dem Feuer zum Opfer.

27. August 1914 Masurische Seen * Zum Glück übermitteln die Russen ihre Planungen ohne Verschlüsselung über Funk. Damit weis der deutsche Generalstab, dass der russische Gegner Nachschubprobleme hat und deshalb nicht auf breiter Front angreifen kann.Dieses Wissen nutzen die deutschen Befehlshaber und beginnen die russischen Verbände einzuschließen.

Als sich die Russen in eine Verteidigungsstellung bei den Masurischen Seenzurückziehen, werden sie von den Deutschen verfolgt und vernichtend geschlagen. Etwa 10.000 Russen ertrinken in den Masurischen Seen. Insgesamt fallen 50.000 russische Soldaten, 92.000 kommen in Gefangenschaft. Die deutschen Verluste sind dagegen vergleichsweise gering.

28. August 1914 Wien - Brüssel * Österreich-Ungarn gibt eine Kriegserklärungan Belgien.

31. August 1914 München * Zwei Krankenzüge bringen 725 Verwundete, darunter 50 Kriegsgefangene Franzosen, in Münchner Lazarette.

6. September 1914 Marne * Ein Ereignis, das zwar keinen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang der Marne-Schlachthat, wird aber zu einem die Franzosen stark motivierenden Angriffsschub. Nachdem die Kämpfe an der Marne beginnen, lässt der französische GeneralstabschefJoseph Joffre sämtliche Taxen von Paris requirieren und je zweimal mit

Seite 489/814 jeweils fünf Soldaten von Meaux an die 50 Kilometer entfernte Front vor Paris an die Marne bringen.

11. September 1914 Marne * Die Marne-Schlachtist beendet. 250.000 Tote, Verwundete und Gefangene hat die Schlacht auf deutscher Seite gekostet, rund 300.000 auf alliierter Seite.

GeneralstabschefHelmuth von Moltke erleidet einen Nervenzusammenbruch und sieht den Krieg verloren. Mit dieser Meinung steht er nicht alleine, doch Kaiser Wilhelm II. will einen Siegfriedenund keinen Kompromissfrieden.

21. September 1914 Holland?Ein deutsches U-Boot versenkt vor der niederländischen Küste drei britische Panzerkreuzer.

10. Oktober 1914 München * Das Bayerische Innenministeriumverbietet wegen der Nahrungsmittelknappheit die Abgabe von Weißbrot in Gaststätten.

11. Oktober 1914 München * Der geschäftstüchtige Karl Valentin veröffentlicht in den Münchner Neuesten Nachrichtenein Inserat:

"Bevor Sie ins Feld ziehen, sollten Sie Ihre Stimme verewigen. Eine Aufnahme Mark 10.-. Schönstes Andenken!"

2. November 1914 London - Berlin* England verhängt eine Seeblockadegegen das Deutsche Reich. Großbritannien erklärt die Nordsee zum Kriegsgebiet.

4. November 1914 Tanga * In der Schlacht bei Tanga[Deutsch-Ostafrika, heute: Tansania] erleidet die aus über 4.000 Inder bestehende Armee Großbritanniens eine Niederlage.

5. November 1914 London - Konstantinopel* Großbritannien erklärt dem Osmanischen Reichden Krieg.

7. November 1914 Brüssel - Belgrad - Konstantinopel* Belgien und Serbien erklären der Türkei den Krieg.

10. November 1914 Ypern * In der Nähe der belgischen Stadt Ypern liegen die neu aufgestellten deutschen Reservekorps, darunter viele unerfahrene junge Kriegsfreiwillige.

Seite 490/814 Um halb sieben Uhr verlassen die Soldaten auf ein Signal hin ihre Gräben und bahnen sich mit aufgepflanzten Bajonetten mühsam einen Weg durch die aufgeweichten Rübenäcker, um die nächste Hügelkette zu erstürmen.

Der Angriff ist ein Himmelfahrtskommando. Eine dilettantisch agierende Führung lässt die jungen, unerfahrenen Soldaten ohne Drahtscheren und mit zu wenig Munition gegen den Feind anstürmen. Dort werden sie von erfahrenen britischen Truppen mit Maschinengewehren niedergemäht.

10. November 1914 Berlin - Langemarck - Ypern * DieOberste Heeresleitung - OHLmacht aus einem verunglückten Angriff einen Mythos:"Westlich Langemarck brachen junge Regimenter unter dem Gesange ?Deutschland, Deutschland über alles? gegen die erste Linie der feindlichen Stellungen vor und nahmen sie."

Dabei stimmt nicht einmal der Name der Ortschaft, denn das Dorf Langemarck liegt weiter weg, klingt aber markant und teutonisch, und auf jeden Fall besser als Bixschote oder Ypern.

Gesungen haben die Soldaten bestimmt nicht.Sie mussten mit ihrer 30 Kilo schweren Ausrüstung über den nassen schweren Lehmboden rennen und fühlten sich zu Recht als Kanonenfutter.

24. November 1914 München * Erich Mühsam schreibt in sein Tagebuch: "Blut - Blut - Blut. Die ganze Erde ist eine Schlachthalle geworden."

7. Dezember 1914 München * König Ludwig III. fordert in einem Brief an Kronprinz Rupprecht,

"dass Bayern eine wesentliche Gebietsvergrößerung erhält, nämlich Gebiete aus den bisherigen Reichslanden [= Elsass-Lothringen], aus Belgien und aus dem von Frankreich abzutretenden Territorium, je mehr je lieber." Belgien muss "in das Deutsche Reich einverleibt werden", zumindest "als selbstständiger Staat zu bestehen aufhören".

Kein deutscher Bundesfürst erhebt gegen diese Kriegsziele einen Einwand, wohl aber gegen eine einseitige Begünstigung Bayerns.

24. Dezember 1914 Westfront * Deutsche und britische Soldaten verbrüdern sich - für wenige Stunden - beim sogenannten Weihnachtsfrieden.

1915 München-Ludwigsvorstadt * Das "Panorama" an der Theresienhöhe 2a brennt ab.

Seite 491/814 1915 München-Maxvorstadt * Die "Klopfer-Villa" an der Brienner Straße 41 gehört einer "Öffentlichen Anstalt für Volks- und Lebensversicherungen".

1915 München-Au * Aus der "Münchner Hefeverwertungs-Gesellschaft" gehen die "Cenovis-Werke", eine "Nahrungsmittelfirma", hervor.

"Generaldirektor" ist der jüngere Sohn des "Unionsbrauerei-Gründers", Julius Schülein.

"Cenovis" bezeichnet eine "eiweißreiche Kraftnahrung". Der Firmenname setzt sich zusammen aus "cena" = die Mahlzeit, "ovum" = das Ei und "vis" = die Kraft.

Die "Cenovis-Werke" übernehmen dieBrauereigebäude der "Münchner-Kindl-Brauerei" an der Rosenheimer Straße.

1915 München-Hackenviertel * Prinzregent Ludwig III. wird mit seiner Gattin Maria Theresia bei ihrem Kinobesuch in Carl Gabriels "Sendlingertor-Lichtspielen" gefilmt.

Seither ist das Kino "hoffähig".

1915 Dresden * In Dresden wird der Deutsche Seidenbauverbandgegründet. In seinem Leitfaden für die deutsche Seidenraupenzuchtstellt er - den früheren Misserfolgen zum Trotz - fest:

Der Maulbeerbaum gedeiht in Deutschland vorzüglich. Die damit gezüchteten Raupen liefern eine wertvolle Seide.

In einem Punkt unterscheidet sich der Deutsche Seidenbauverband dann aber doch von der früheren Euphorie, indem er feststellt, dass der Seidenbau keinesfalls eine "glänzende und gewinnbringende Erwerbsquelle für weite Volkskreise" sein wird. Im Gegenteil, die Seidenraupenzucht muss als Liebhaberei und Nebenerwerb gesehen werden, ähnlich wie die Bienenzucht.

1915 München * Auch in München wird eine Ortsgruppe des Deutschen Seidenbauverbandes gegründet. In einem gemeinsamen Flugblatt wird dazu aufgerufen, die Seidenzucht als Nebenerwerb für Kriegsinvalide zu fördern. Denn: "Es ist die Ehrenpflicht des deutschen Volkes, nun mit allen Kräften für die bedauernswerten Opfer des blutigen Ringens um unsere Freiheit und Kultur zu sorgen".

Auch Zeitungsartikel und weitere Flugschriften werben für den Seidenbau und für die notwendige Geduld, denn "die Kartoffel hat anderthalb Jahrhunderte gebraucht, um all die törichten Vorurteile des Volkes gegen dies

Seite 492/814 billigste und gesunde Nahrungsmittel zu überwinden".

Anfang 1915 München * Lena Christ beschreibt in ihrem im Jahr 1916 erschienenen Roman "Rumplhanni" den Kriegsbeginn auf dem Lande:

"[...] Kein Platz ist mehr zum Sitzen; die Bauern haben den Herrgottswinkel und das Ofeneck ausgefüllt, und an den übrigen Tischen hocken die Jüngeren und die Dienstigen.

Man redet vom Krieg. Und der eine meint: "Jano; s?Belgien ham mir scho. s?Frankreich ham mir aa scho glei; Paris kriagn man auf d?Woch und s?Rußland aufn Kirta. Bis Allerheiling ham mir nachher an Engländer umbracht, und z?Weihnachten sauf i mir mein Friedensrausch o.? - ?Wenn dir der Italiener net ?s Krüagl aus der Hand haut, deiweil!? meint der Meßmer von Niklasreuth; ?woaßt, den Schlawiner tat i scheucha!?

Aber, was!? Den Katzlmacha!? heißt?s da; ?den Polentafresser! Den Maronibruada möchst ferchten! Was willst denn! Was will denn der macha! Hat Ja grad oa Loch, wo er außi kann, der Italiener!? - ?Und dees is zuapitschiert!? meint der Hauser. ?Dees ham eahm d?Östeireicher a so verpappt, daß er a Jahr braucht, bis er si durchefrißt!? Und so wird weiter disputiert und politisiert, bis Jeder voll ist und jeder genug hat [..]".

Und solange die militärischen Erfolge Bestand haben, kann der sogenannte "Burgfrieden" in der Arbeiterschaft auch weiterhin erhalten bleiben.

Herbst ??? 1915 Karpaten - Ostfront * Bei den Kämpfen in den Karpaten kommen zwei bayerische "Schneeschuhbataillone" zum Einsatz.

Auch an dieser Front rennen sich die deutschen Truppen fest. Der entscheidende Durchbruch wird jedoch verfehlt.

1915 München-Au * Ludwig Weinberger sen. lässt an der ehemaligen Wohnung der Familie Fey im "Karl-Valentin-Geburtshaus" in der Zeppelinstraße 41 einen Balkon anbringen.

Der Hof wird teilweise überdeckt.

Januar 1915 München * Die Bäcker müssen dem Brot ein Drittel Roggenmehl beifügen.

19. Januar 1915 Great Yarmouth - King's Lynn* Mit der Bombardierung der ostenglischen Städte Great Yarmouth und King?s Lynn durch deutsche Zeppelin-Luftschiffe beginnen die regelmäßigen Luftangriffe auf Großbritannien. Es kommen vier

Seite 493/814 Zivilisten ums Leben.

25. Januar 1915 Berlin* In Deutschland wird die "Brotkarte" eingeführt und damit die Versorgung mit Brot rationiert. Weitere Lebensmittelkartenwerden folgen.

4. Februar 1915 Berlin - London * Das Deutsche Reicherklärt die Gewässer rings um Großbritannien zum Kriegsgebiet.

16. Februar 1915 Reims * Beginn einer britisch-französischen Großoffensive in der Champagne, die Ende März ergebnislos abgebrochen wird.

28. März 1915 Wales * Ein deutsches U-Boot versenkt vor der Küste von Wales den britischen Passagierdampfer "Falaba". 104 Menschen ertrinken.

13. April 1915 München * In der Magistratssitzung wird erklärt, dass die Kriegerfrauen sich von Woche zu Woche in einer unangenehmeren Situation befinden, weil die Mittel, die ihnen zugewiesen werden, nicht mehr den Wert repräsentieren, den sie haben sollen, um kaufen zu können, was sie notwendig brauchen.

26. April 1915 Rom - Paris - London - Petersburg * Italien verbündet sich mit Frankreich, Großbritannien und Russland gegen die "Mittelmächte" Deutschland und Österreich-Ungarn.

Die "Entente" hat Italien in dem geheim gehaltenen "Londoner Vertrag" bei Kriegsende große Gebietsgewinne in Aussicht gestellt.

Der"Gebirgskrieg"an der"Italienfront"beginnt.

5. Mai 1915 Gorlice-Tarnów? -Ostfront * Die Truppen der "Mittelmächte" durchbrechen - unterstützt von der "11. Bayerischen Division" -die russischen Stellungen bei Gorlice-Tarnów.

7. Mai 1915 Irland * Ein deutsches U-Boot versenkt vor der Südküste Irlands den britischen Passagierdampfer "Lusitania". In nur 18 Minuten sinkt das Schiff. 1.198 Menschen sterben, darunter 128 US-Amerikaner. Nur 761 Passagiere können gerettet werden.Amerikanische Proteste bewirken die vorübergehende Einstellung des Uneingeschränkten-Boot-Kriegesdes Deutschen Reichs.

Seite 494/814 10. Mai 1915 Gorlice - Tarnów * Durchbruchsschlacht von Gorlice-Tarnów.

27. Mai 1915 Konstantinopel * Das türkische Parlament verabschiedet ein Deportationsgesetz gegen die Armenier. Die Umsiedlungskampagnewird zum Tod von 600.000 bis 1.800.000 Zivilisten führen und wird als Völkermord an den Armeniernbezeichnet. Das Gesetz tritt am 1. Juni 1915 in Kraft und gilt bis zum 8. Februar 1916.

20. Juni 1915 Berlin * In der sogenannten "Intellektuellen-Denkschrift" verlangen zahlreiche Professoren und Intellektuelle - darunter 136 Bayern - eine Kriegszielpolitik, die dem Deutschen ReichIndustriegebiete im Westen und Siedlungsland im Osten bringt.

14. August 1915 Ägäis *Ein deutsches U-Boot versenkt in der Ägäis das mit 1.700 Mann besetzte englische Truppentransportschiff Royal Edward.

19. August 1915 Irische Küste * Ein deutsches U-Boot versenkt das britische Passagierschiff Arabic.

22. September 1915 Champagne?Herbstoffensive der Ententein der Champagne, die nach sechs Wochen abgebrochen wird.

Um ??? Oktober 1915 Tirol * Um die österreichische Front in Tirol gegen Italien zu verstärken, wird aus dem "Bayerischen Leibregiment", einem "Gebirgsjägerregiment" und zwei "Jägerregimenter" das "Deutsche Alpenkorps" gebildet.

23. Oktober 1915 Libau * Ein britisches U-Boot versenkt das deutsche Kriegsschiff Prinz Adalbertmit 672 Mann Besatzung. Nur drei Überlebende werden gezählt.

Dezember 1915 Folkstone*"Mata Hari"wird erstmals von den Briten festgehalten, als sie sich in Folkestone in Südengland nach Frankreich einschiffen will.

Bei den britischen Beamten hinterlässt sie einen"ungünstigen Eindruck". Man traut dieser"schönen, verwegenen und modisch gekleideten"Frau prinzipiell alles zu, weshalb sie der "Geheimdienst"im Auge behält.

Dezember 1915

Seite 495/814 München-Kreuzviertel * Michael von Faulhaber schreibt ein Büchlein mit dem Titel "Der Krieg im Lichte des Evangeliums". Darin vertritt er Thesen wie:

"Der Krieg ist nicht das allergrößte Übel" oder "Eisenpillen bringen Blutvermehrung" oder "Das Thomaswort: ?Lasst uns gehen und mit ihm sterben? bleibt der schönste Fahneneid".

Um den 24. Dezember 1915 München-Au - München-Giesing * In der Au und in Giesing tauchen anonyme Flugblätter mit folgendem Inhalt auf:

"Von Frauen an Frauen! Wir wollen nicht länger zusehen, wie man unsere Männer und Söhne hinschlachtet. Wir wollen Frieden! Frieden für alle!"

30. Dezember 1915 Kreta * Vor Kreta torpediert ein deutsches U-Boot das britische Passagierschiff Persia. Dabei sterben 343 Menschen.

1916 München-Au * Oskar Richard Moler übernimmt von Carl Gabriel das inzwischen in "Gabriels Lichtspieltheater" umbenannte Kino an der Lilienstraße 2.

1916 Kaltenberg * Joseph Schülein erwirbt die "Brauerei Kaltenberg".

1916 München-Haidhausen * Die "Anhängewagenhalle" in der "Straßenbahn-Direktion" wird nochmals verkleinert, da man den Platz für eine "Fahrerschule" braucht.

24. Januar 1916 London * Großbritannien führt die Wehrpflichtfür ledige Männer zwischen 18 und 41 Jahren ein.

4. Februar 1916 München * Wegen der zunehmenden Rohstoffknappheit darf weder "Starkbier" noch das beliebte "Märzenbier" gebraut werden.

Bei Verstößen gegen das Verbot drohen Haftstrafen bis zu einem Jahr oder ersatzweise bis zu 10.000 Mark

Seite 496/814 Geldstrafe.

Um das Randalieren der Soldaten auf Heimaturlaub zu unterbinden, appelliert das bayerische "Generalkommando" an die Verwandten und Freunde der Fronturlauber, diese in Gastwirtschaften nicht mehr freizuhalten.

Statt für "Freibier" sollte das Geld sinnvoller verwendet werden, etwa fürden Kauf von "Liebesgaben für die Front". Das "Generalkommando" behält sich sogar ein "allgemeines Alkoholverbot für Fronturlauber" vor.

21. Februar 1916 Verdun - Westfront * Acht bayerische Divisionen sind im Verbund mit der 5. Armeeam Angriff auf die französische Festung Verdunbeteiligt. Nach anfänglichen Erfolgen kommt der auf einer Breite von fast 20 Kilometern vorgetragene Angriff nur langsam voran. Es entwickelt sich ein monatelanger, zermürbender Stellungskrieg.

März 1916 Verdun - Westfront * Auch Ernst Toller verbringt als "Kriegsfreiwilliger" qualvolle Wochen in den Schützengräben.

Im Jahr 1933 wird er seine Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland" veröffentlichen und darin die Grauen des Krieges und die Ansichten eines bayerischen Soldaten, der den "Saupreißn" die Verantwortung dafür zuschiebt, beschreiben.

"Sebastian, der Bauernknecht aus Berchtesgaden, [...] ist fromm, und er begreift nicht, warum dieser Krieg tobt. Wenn sie ihm von zu Hause Schinken und Speck schicken, setzt er sich mit abgewandtem Rücken in einen Winkel und ißt und stiert und sinnt.

Vielleicht sind die Preußen ja ?an der Gaudi? schuld, bestimmt sind sie schuld. Die können ja nie das Maul halten, wegen ihnen hat König Ludwig II. daran glauben müssen, [...] der Bismarck hat die Bayern beschissen, [...] sein Großvater hat im Krieg 1866 ganz allein sechs Preußen gefangen genommen, ?Ergebts euch!? hat er geschrien, ?die Bayern san da?, und jetzt saufen sie uns das Bier weg aus der Kantine.

Sebastian bleibt stehen, erblickt mich nackt und schließt vor Schreck die Augen. [...] ?Jetzt woaß ma ja, warum der Krieg hat kemma müssn?, brummt er. ?Der Preiß wascht sich nackad?. Aus seinem Mundwinkel zischt ein Strahl Spucke".

24. März 1916 Berlin * In der SPD kommt es im Zusammenhang mit einem Not­haushalt zum offenen Bruch in der Frage der Unterstützung der deutschen Kriegspolitik.

Hugo Haase hält im Reichstag eine Anti-Kriegs-Rede, in der er auch die durch die Regierung verschuldeten Zustände von Unterernährung und Hunger unter Teilen der Bevölkerung anklagt. Im Parlament kommt es zu einem Krawall.

Seite 497/814 Der im Rahmen dieser Parlamentssitzung von der Regierung vorgestellte Notetat wird von jenen 18 SPD-Reichstagsabgeordneten, die bereits am 21. Dezember 1915 gegen die Kriegskredite stimmten, ebenfalls abgelehnt. Die anderen SPD-Abgeordneten bewilligen den Regierungsvorschlag. Mit der Begründung von Disziplin- und Treubruch werden die 18 Abgeordneten in einer anschließenden SPD-Fraktionssitzung aus der Fraktion ausgeschlossen.

Die 18 Abweichler bilden daraufhin die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft - SAG als Fraktionsgemeinschaft. Sie betrachten sich weiterhin als Mitglieder der SPD. Aus der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft geht im April 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands - USPD hervor. Die USPD wird bei den revolutionären Ereignissen in Bayern die entscheidende Rolle spielen.

Karl Liebknecht und Otto Rühle lehnen den Anschluss an die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft - SAG ab.

2. April 1916 München-Haidhausen * Die evangelische Johanneskirchein Haidhausen wird eingeweiht. Die Kirchenchronik vermerkt:

"Ein erstaunlicher Vorgang ist die Fertigstellung und Einweihung der St.-Johannes-Kirche in Haidhausen. In einer Zeit, in der alle Kräfte des Volkes angespannt werden müssen, um dem Krieg seinen Tribut zu zollen, kann die protestantische Gemeinde Münchens ihr sechstes Gotteshaus erstellen und in Gebrauch nehmen. Die große neuromanische Kirche mit ihrem hohen Turm tritt an die Stelle der Notkirche von 1889".

1. Mai 1916 Berlin * Der sozialdemokratische ReichstagsabgeordneteKarl Liebknecht tritt als Führer einer Antikriegsdemonstrationauf dem Potsdamer Platz in Berlin auf.

Er ergreift das Wort mit den Worten "Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!" Danach wird er verhaftet und wegen Hochverratsangeklagt.

31. Mai 1916 Skagerak - Ostfront * Bis 1. Juni tobt im Skagerak zwischen der deutschen und der britischen Flotte die größte Seeschlacht der Weltgeschichte. Sie endet unentschieden.

4. Juni 1916 Galizien * Beginn der Brussilow-Offensivean der Ostfront, in deren Verlauf russische Truppen große Geländegewinne erzielen können.

16. Juni 1916 München * Die Nahrungsmittelknappheit treibt die Münchner auf die Straßen. Bei diesen Hungerdemonstrationenkommt es zu Krawallen, da die Behörden unfähig sind, die Lebensmittelversorgung sinnvoll zu organisieren. Die dringend benötigten Nahrungsmittel erreichen häufig die Empfänger nicht, weil durch verzwickte bürokratische Regelungen häufig Brot, Fett und Fleisch oft tagelang kreuz und quer durchs Land gefahren werden - und verderben.

Seite 498/814 Jedem Münchner Bürger stehen täglich Nahrungsmittel zu, die einen Nährwert von 1.380,4 Kilokalorien entsprechen.Nach Ansicht des Ärztlichen Beirats der Stadt München für Lebensmittelangelegenheitenist es "vollständig ausgeschlossen, dass ein gesunder Mensch bei diesen knappen Ernährungsmengen arbeitsfähig bleibt und [...] auf die Dauer eine Schädigung der Gesundheit vermieden wird".

17. Juni 1916 München * Über diesen Tag vermerkt der Schriftsteller Erich Mühsam in seinem Tagebuch:

"Das Volk steht auf! Gestern erlebten wir den Auftakt der Revolution. [...] In der Tat stand der Marienplatz voll von Leuten, die ich auf 10.000 Personen schätze. Johlen und Pfeifen war zunächst das einzige Merkmal der Erregung.Allmählich hörte man aus den Gruppen heraus lautes Fluchen, Aufklärungen, Anklagen wegen der Not der Nahrungsmittelverteilung, der Massenmörderei. [...] Da entdeckte ich plötzlich, dass die Dienerstraße entlang Militär anrücket mit aufgepflanztem Bajonett und sich an der Ostseite des Rathauses aufstellte. Eine maßlose Wut brach durch. alles schrie: ?Pfui! Gemeinheit! - Sauhunde! Blaue Bohnen statt Brot?."

Benebelt von der Propaganda des Staates und der nationalen Presse hatten die Leute anfangs geglaubt, der Krieg werde bald zu Ende und die Soldaten bis Weihnachten siegreich heimgekehrt sein.

1. Juli 1916 An der Somme * Beginn des britischen Angriffs auf die deutschen Stellungen.

10. Juli 1916 Berlin * Rosa Luxemburg wird nur wenige Monate nach ihrem Haftaufenthalt zur Abwendung einer Gefahr für die Sicherheit des Reichs in Sicherheitsverwahrung genommen.

Zuerst sitzt sie im Polizeigefängnis am Alexanderplatz, dann im Frauengefängnis in der Barnimstraße 10 ein. Sie wird zweimal verlegt, zuerst in die Festung Wronke in der Provinz Posen, dann nach Breslau. Ihre Schutzhaft dauert bis zum 8. November 1918.

August 1916 Vittel - Paris * Der französische Geheimdienst ist von den Briten längst auf "Mata Hari" aufmerksam gemacht worden, als sie beim Leiter der französischen "Spionageabwehr", George Ladoux, eine Sondergenehmigung für eine Reise nach Vittel in der Nähe der Front beantragt. Sie will dort ihren jungen Geliebten Vadime de Massloff treffen.

Ladoux erteilt die "Sondergenehmigung", nachdem ihm die Tänzerin die Zusage für Spionagetätigkeiten für den "französischen Geheimdienst" gibt.

Bei einem weiteren Treffen in Paris verlangt "Mata Hari" die absurde Summe von einer Million Francs.

15. September 1916

Seite 499/814 Somme - Westfront * Die britische Armee setzt an der Somme in Frankreich erstmals Panzer ein.

November 1916 Spanien - Holland * "Mata Hari" wird auf der Schiffsreise von Spanien nach Holland mit der deutschen "Spionin" Clara Benedix verwechselt.

Erneut wird sie vom "britischen Geheimdienst" verhört und danach als verdächtige Person nach Spanien zurückgeschickt. Offenbar reichen weder den Briten noch den Franzosen die Beweise für eine aktive Agententätigkeit von Mata Hari aus.

11. November 1916 Berlin - München * Kaiser Wilhelm II. Beileidstelegramm zum Tode des wittelsbachischen Prinzen Heinrich zielt ausdrücklich auf das "fürstliche Blut", das der Prinz "für den Ruhm des bayerischen Königshauses und für die Ehre des deutschenh Vaterlandes treulich zum Opfer gebracht" hat.

18. November 1916 An der Somme * Einstellung der Kämpfe an der Somme ohne strategisch bedeutende Durchbrüche.

30. Dezember 1916 Petersburg * Grigori Jefimowitsch Rasputin wird von einem von der russischen Hocharistokratie angeheuerten Mordkommando umgebracht.

1917 München-Graggenau * Constantin Pfrang, genannt "Stanzl", feiert zusammen mit Hans Blädel im "Café Perzl" am Marienplatz [heute: "Kaufhaus Ludwig Beck am Rathauseck"] große Erfolge.

Das "Café Perzl" bringt immer Neuigkeiten auf den Markt. Von der ersten in München spielenden "Damenkapelle" bis zu "Schleier- und Charaktertänzerinnen" - jedoch immer unter Überwachung der Polizei.

10. Januar 1917 Paris - London - Moskau * Die Entente-Mächte geben ihre Kriegszielebekannt:

Frankreich will die Zerschlagung des Deutschen Reichsund die Rückgabe von Elsaß-Lothringen. Großbritannien fordert die Einschränkung der weltpolitischen Stellung des Deutschen Reichs, die Aufteilung der deutschen Kolonien, die Zerstörung der Flotteund die Begrenzung des Außenhandels. Zudem drängt Großbritannien auf die Wiederherstellung der Eigenständigkeit Belgiens, Serbiens und

Seite 500/814 Montenegros. Russland fordert - neben der Räumung der besetzten Gebiete - die Wiedereingliederung Polens.

3. Februar 1917 Washington * Die USA brechen die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland ab.

3. Februar 1917 München * Wegen Kohlenmangel müssen drei städtische Badeanstaltenvorübergehend ganz, vier weitere, darunter das Brause- und Wannenbadan der Schloss-/Kirchenstraße und das Volksbadzeitweilig geschlossen werden.

Die Anordnung wird erst rund sechs Wochen später wieder aufgehoben.

13. Februar 1917 Paris * Die Tänzerin"Mata Hari" wird im "Élysée Palace Hotel" festgenommen und ins berüchtigte "Frauengefängnis Saint-Lazare" gebracht.

26. Februar 1917 Irland * Ein deutsches U-Boot versenkt vor der irischen Küste den schnellsten britischen Passagierdampfer, die Laconia. Da sich unter den zwölf Todesopfern zwei US-amerikanische Staatsbürger befinden, wird dies ein wichtiges Argument der USA zum Eintritt in den Ersten Weltkrieg.

2. März 1917 Deutsches Reich * Um die deutschen Soldaten nicht zu demoralisieren, werden in der Presse Aufrufe veröffentlicht, keine "Jammerbriefe" an die Front zu senden.

3. März 1917 Petersburg * Bei den Putilow-Werken, einem Petrograder Rüstungsbetrieb, bricht ein Streik aus. Die Gründe sind in der wirtschaftlichen Zerrüttung und dem erfolglosen Kriegsverlauf zu suchen. Die Direktion des Werkes reagiert darauf mit der Aussperrungvon 30.000 Beschäftigten, was umgehend zu einer Protestdemonstration gegen die katastrophale Versorgungslageführt.

8. März 1917 Petersburg * In Petrograd beginnt die eigentliche Revolution. In den Putilow-Werkenwird erneut gestreikt, die Streikenden demonstrieren für eine bessere Versorgung, vor allem mit Brot. Gegen 14 Uhr tretendie Arbeiterinnen in der Fabrik Ayvasebenfalls in den Ausstand. Sie demonstrieren gegen die Brotknappheit und für die Rückholung ihrer Männer von der Front. Den protestierenden Frauen schließen sich im Laufe des Tages rund 130.000 Arbeiter an.

Seite 501/814 Dabei schlagen die Kundgebungen ins Politische um: "Weg mit der Monarchie! Schluss mit dem Krieg!" steht auf den Transparenten.Die Lage in Petrograd gerät immer mehr außer Kontrolle. Es kommt zu den ersten schweren Zusammenstößen zwischen streikenden Arbeitern und dem Militär.

Sehr schnell gibt es in den Betrieben Wahlen zu Arbeiterräten. Eine Form der Selbstorganisation, die die Arbeiter schon im Jahr 1905 entwickelt hatten.Daraus entstehen in der Folge Arbeiter- und Soldatenräteim ganzen Land.

9. März 1917 Petersburg * In den folgenden Tagen münden die Proteste in einen "Generalstreik", aber auch in Plünderungen und Ausschreitungen. Die Polizei ist nicht mehr Herr der Lage, da sich die herbeigerufenen Soldaten mit den Demonstranten verbrüdern.

"Zar" Nikolaus II. reagiert auf die Streiks, indem er dem Militär befiehlt, mit Waffengewalt gegen die aufbegehrende Menschenmenge vorzugehen. Am Nachmittag schießen Angehörige eines "Garderegiments" auf die "Aufrührer". Sechzig Demonstranten sterben.

Das bewirkt jedoch genau das Gegenteil, da nun auch an anderen Orten die Proteste beginnen. Ganze Regimenter wechseln die Seiten. An anderen Orten dagegen gingen Soldaten gegen die Polizei vor.

10. März 1917 Petersburg * Die Streiks in Petrograd weiten sich zum "Generalstreik" aus.

Zar Nikolaus II. befiehlt zum Kampf gegen die Demonstranten mit allen Mitteln.

11. März 1917 Petersburg * Die Abgeordneten der russischen Duma[= russisches Parlament] weigern sich, die von Zar Nikolaus II. verfügte Auflösung der Dumadurchzuführen. Soldaten der Petrograder Garnison solidarisieren sich mit den streikenden Arbeitern. Damit beginnt die sogenannte Februarrevolution.

12. März 1917 Berlin * In Berlin sind nach offiziellen Berichten 135 Personen an "Pocken" erkrankt. Zudem gibt es zahlreiche Fälle von "Hungertyphus".

12. März 1917 Petersburg * Der "Ältestenrat der Duma" konstituiert ein "Provisorisches Komitee zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung" und eröffnet das "Parlament" wieder.

Dieses übernimmt die Regierungsgeschäfte und die "Staatsmacht". Das ist - staatsrechtlich betrachtet - der entscheidende revolutionäre Akt.

13. März 1917 Moskau * In Moskau bricht der Aufstand los. Er nimmt einen ähnlichen Verlauf wie in Petrograd.

Seite 502/814 Eine Niederschlagung der Erhebung scheint aussichtslos. Die Generäle zwingen"Zar"Nikolaus II. dazu, einer neuen "Regierung des gesellschaftlichen Vertrauens" zuzustimmen. Dies genügte aber den neuen Machthabern in Petrograd aber lange nicht, sie fordern den Thronverzicht des "Zaren", einige sogar seinen Tod.

15. März 1917 Petersburg * "Zar" Nikolaus II. muss als Folge der "Februarrevolution" abdanken. Er tut dies zugunsten seines jüngeren Bruders "Großfürst" Michail Alexandrowitsch Romanow.

Da Nikolaus II. vergisst, seinem Bruder die formelle Thronfolge in einem Telegramm mitzuteilen, ist Michail einer Letzten, der davon erfährt.

Die russische "Duma" proklamiert die Bildung einer bürgerlichen Regierung unter Georgi J. Fürst Lwow. Diese beschließt, dass der "Großfürst" zum "Thronverzicht" überredet werden soll. Sollte er sich weigern, will die "provisorische Regierung" ihren Rücktritt erklären.

16. März 1917 Petersburg * "Zar" Michail II. erklärt in einem Schreiben an das russische Volk, dass die Machtbefugnisse zunächst an die "provisorische Regierung" übergehen.

Er selbst erklärt sich bereit, die Thronfolge dann anzutreten, wenn ihn das Volk zu einem späteren Zeitpunkt in "geheimen Wahlen" wählen würde. Michail hofft mit diesem Schritt die Monarchie in Russland erhalten zu können. Mit dem Thronverzicht Michails endet die über 300jährige Herrschaft der Romanow-Dynastie.

Georgij Jewgenjewitsch Fürst Lwow übernimmt nach der"Februarrevolution"in der bürgerlichen provisorischen Regierung, in der Zeit vom 16. März bis 21. Juli 1917, das Amt des russischen"Ministerpräsidenten"und"Innenministers".

27. März 1917 München * In München tauchen gefälschte "Brotmarken" auf.

Die Polizei ermittelt, dass der 25-jährige Buchdrucker Hermann Wolleben die "Brotmarken" in einem Rückgebäude in der Schellingstraße die Zinkplatten hergestellt hatte. Gedruckt wurden die Marken in der Buchdruckerei Dammerhuber.

Die gefälschten "Lebensmittelmarken" wurden im "Mathäserbräu" stückweise um 30 Pfennig verkauft.

31. März 1917 Nürnberg * Auf ihrer Landeskonferenzin Nürnberg votiert die bayerische SPD gegen die Gründung von Sonderorganisationen, um den drohenden Bruch der Partei zu verhindern.

"Wird der Kampf in der bisherigen Weise weitergeführt, so werden sich die Kräfte der Arbeiterschaft aufreiben, die Feinde der Arbeiterklassen werden freie Bahn bekommen und Steuern und Industrieorganisationen, Arbeitergesetzgebungen und politische Einrichtungen ihren Wünschen vollkommen anpassen".

Seite 503/814 1. April 1917 Deutsches Reich * Die Brotrationen werden auf 170 g pro Tag und die Kartoffelrationen auf 2.500 g pro Woche gekürzt.

6. April 1917 Aisne *Beginn der französischen Offensive an der Aisne.

Bis zur Einstellung der Offensive Ende Mai kann kein entscheidender Durchbruch erzielt werden.

16. April 1917 Berlin * In Berlin treten 319 Betriebe der deutschen Rüstungsindustriemit 300.000 Arbeitern in den Streik.

Es geht um die mangelhafte Lebensmittelversorgung. Der Streik wird von den revolutionären Obleuten, oppositionellen Gewerkschaftsfunktionären, deren Kern die Metallarbeiter bilden, gegen den Willen der Gewerkschaften organisiert.

28. April 1917 Berlin * Die Generalkommissionund der SPD-Parteivorstandsprechen sich gegen jede Arbeitsruhe am 1. Maiaus, nachdem die Gruppe Internationalezu einem Kampftag für Frieden, Freiheit und Brotaufgerufen hat.

11. Mai 1917 München * Die ersten 1.000 von rund 6.000 Kinder werden mit Sonderzügen aufs Land gebracht, wo die Versorgungs- und Ernährungslage wesentlich besser ist als in der Stadt.

15. Mai 1917 München * Das Kriegsministerium erlässt "Sonderstrafbestimmungen gegen die Verbreitung unwahrer Kriegsnachrichten".

5. Juni 1917 München * Das Lebensmittelamtdeckt einen umfangreichen Betrug auf:"Die 17 Jahre alte Bäckermeistertochter Margarethe Krug hatte längere Zeit durch geschickte Fälschung von Zwischenscheinen für eingelieferte Brotmarken sich eine Mehrzuweisung von fast 700 Zentnern Mehl verschafft. Dasselbe wurde im väterlichen Geschäft verarbeitet und z.T. um Wucherpreise ohne Marken weiterverkauft." Die Schwindlerin kann festgenommen werden.

13. Juni 1917 München * In der SPD-Zeitung Münchener Postfindet sich die Anzeige:"Deutsche Frauen tilgt Eure Ehrenschuld an unsere Helden und bringt Euren Goldschmuck der Goldankaufsstelle!"

17. Juni 1917

Seite 504/814 Ansbach - München * Der Regierungspräsident von Mittelfranken berichtet in einem persönlichen Brief an Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich über seine Erfahrungen mit den Lebensmittel-Hamstern:

"Die Züge der Hamster zählten oft hunderte von Personen". Sie traten noch in den entlegensten Weilern "mit äußerster Rücksichtslosigkeit" auf. Er selbst war "wiederholt mitten in solchen schreienden, schwitzenden und schleppenden Haufen gewesen", der Versuch des Eingreifens hätte "sichere Lebensgefahr" bedeutet.

19. Juni 1917 Großbritannien * In Großbritannien wird das Wahlrecht für Frauenab 30 Jahren eingeführt.

26. Juni 1917 SaintNazaire * Die erste US-Divisionlandet bei St.-Nazaire in der Nähe von Nantes (Bretagne).

17. Juli 1917 London * Der britische König Georg V. ändert den Namen seines Hauses von Sachsen-Coburg-Gothain Windsor.

22. Juli 1917 Wronke - Breslau * Rosa Luxemburg wird von der Festung Wronke in das Breslauer Gefängnis überführt.

28. Juli 1917 München - Berlin * Der Feldprobst der bayerischen Armee, der Münchner ErzbischofMichael von Faulhaber, schreibt an Kaiser Wilhelm II., dass "auch die Seelsorge mit dem Schwert des Geistes, das ist mit dem Wort Gottes, das heilige Recht unseres treuen Vaterlandes zu verteidigen und die Seelen zum höchsten Kraftaufgebot zu wecken bemüht war".

Der deutsche Klerus hat sich damit in die Kriegsrhetorik eingefügt und betreibt offen Propaganda gegen die Glaubensbrüder der verfeindeten Nationen. Faulhaber predigt den bayerischen Truppen. Und diese Rhetorik geht so:"Ein Mann nach dem Herzen Gottes handelt nach dem Willen Gottes. Hat man einmal klar erkannt: ?Das ist Gottes Wille, das ist meine Pflicht, bei dieser Fahne ist mein Platz?, dann bleibt?s dabei, heute und morgen und übermorgen."

31. Juli 1917 London * Winston Churchill wird britischer Rüstungsminister.

31. Juli 1917 Ypern * Die dritte Flandernschlacht, auch dritte Ypernschlachtgenannt, beginnt. Sie endet am 6. November 1917 mit enormen Verlusten an Soldaten und Kriegsmaterial, weswegen die Flandernoffensivefür die "Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges" steht.

2. September 1917 Königsberg * Am Tag des Friedens bei Sedanwird die erzkonservative, nationalistische, völkische und

Seite 505/814 antisemitische Deutsche Vaterlandspartei - DVLPvon ultrarechten Kräften, darunter GroßadmiralAlfred von Tirpitz und dem ostpreußischen GenerallandschaftsdirektorWolfgang Kapp, gegründet.

Innenpolitisch kündigt die Vaterlandsparteiden Burgfriedenvon rechts auf. Sie plädiert für einen unterdrückenden und autoritären Kurs gegenüber der Arbeiterbewegungund greift auch bürgerliche Politikerheftig an, die sich ? wie beispielsweise den Zentrumspolitiker Matthias Erzberger - für eine Reform des politischen Systemsunter Einbeziehung der SPD aussprechen.

Die Parteiführung verfolgtden Plan, mit Hilfe eines "starken Mannes" einen autoritären Staatsumbau einzuleiten und dabei den Reichstagund die Linksparteienauszuschalten. Im äußersten Fall sollte auch der "zu weiche Kaiser" Wilhelm II. bei einer sich bietenden Gelegenheit für "regierungsunfähig" erklärt und der weit rechts stehende Kronprinz von Preußen zum Regenten ernannt werden.

Außenpolitisch tritt die Vaterlandsparteifür einen deutschen Siegfriedenund ein umfassendes Programm direkter und indirekter Expansionein.

Mit ihren Kampagnen gegen einen Verzichtfrieden- oder Judenfriedengenannten Verständigungsfrieden- und gegen Schlappheitund Verratan der Heimatfrontlegt die Deutsche Vaterlandspartei - DVLPden Grundstein für den Nachkriegsdiskurs über die Novemberverbrecherund die Dolchstoß-Legende.

3. September 1917 München-Kreuzviertel * Die Inthronisationdes neuen Erzbischofs von München-Freising, also die liturgische Einführung in sein Amtund die rechtliche Besitzergreifung seiner Diözese, erfolgt. Angesichts des Krieges verzichtet Michael von Faulhaber auf die sonst üblichen großen Feierlichkeiten sowie den Festzug durch die Stadt. Stattdessen fährt er direkt vom Palais Holnsteinzum Dom. Äußeres Zeichen für die Besitzergreifung der Erzdiözesedurch den Oberhirtenist die Übernahme der Kathetraund des Bischofsstabes.

Als Faulhaber seinen Münchner Bischofsstuhlbesetzt, ist er 48 Jahre alt.Dreieinhalb turbulente Jahrzehnte übter das Amt des Erzbischofs von München und Freisingaus. Sie bringen das Ende der Monarchiedurch eine unblutige Revolutionund führen von der Räterepubliküber die Weimarer Republikzur nationalsozialistischen Gewaltherrschaftund schließlich zum mühsamen Wiederaufbau nach dem verlorenen Zweiten Weltkrieg.

18. September 1917 München-Kreuzviertel * Ein von der SPDin der Bayerischen Abgeordnetenkammereingebrachter Reformantrag, genannt "Antrag Auer-Süßheim",fordert:

Ersetzung des Zweikammersystems durch das Einkammersystem. Aufhebung der Kammer der Reichsräte. Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts zum Landtag für alle volljährigen Staatsangehörigen ohne Unterschied des Geschlechts nach den Grundsätzen der Verhältniswahl. Ausbau der Gesetzesinitiative des Landtags. Beseitigung des königlichen Sanktionsrechts. Ernennung der Minister und Bundesratsmitglieder nach Vorschlag des Landtags. Selbstbestimmungsrecht des Landtags in Bezug auf Zusammentritt und Vertagung. Einjähriger Staatshaushalt. Beseitigung aller Vorrechte der Geburt und des Standes, Aufhebung der bisherigen Privilegien der

Seite 506/814 Standesherren, Abschaffung des Adels. Verbot der Bildung neuer und der Vergrößerung bisheriger Fideikommisse. Auflösung der bestehenden Fideikommisse. Aufhebung der bisherigen Privilegien des Königs und der Mitglieder der königlichen Familie, insbesondere der Steuer- und Portofreiheit, der Unverantwortlichkeit und des besonderen Gerichtsstandes. ?Trennung der Kirche vom Staat, Aufhebung der Privilegien der anerkannten Religionsgemeinschaften. Vollkommene Durchführung der Gewissens-, Religions- und Kultusfreiheit.

Ab dem 24. Oktober 1917 Isonzo * Die Offensive der Mittelmächteam Isonzo führt zum Zusammenbruch der italienischen Front und zur Eroberung der Provinz Friaul-Julisch-Venetien.Große Teile der italienischen Armee werden gefangengenommen oder lösen sich auf. Großbritannien und Frankreich raten zum Kriegsaustritt Italiens.

25. Oktober 1917 Berlin * In einem Brief an Reichskanzler Georg Michaelis fordern Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, Marie Juchacz, Helene Lange und andere:

"Jetzt ist die Stunde da, in der wir Frauen nach unseren Staatsbürgerrechten laut verlangen müssen. Sollen wir keinen Teil haben an dem was jetzt wird? Haben wir Frauen nicht auch im vollsten Maße unsere schweren Pflichten erfüllt? Es ist bitter, immer wieder vom neuen aufzählen zu müssen, warum auch wir uns zur vollbewussten Teilnahme am Leben des Volkes berechtigt fühlen. Wir sind Staatsbürgerinnen und wollen als solche behandelt sein; Gebt uns Frauen daher das Wahlrecht!"

26. Oktober 1917 München * Finanzminister Georg Ritter von Breunig gibt die erste Stellungnahme der Regierung zur Gründung des Bayerischen Beamten- und Lehrerbundes vor der Abgeordnetenkammer ab. Er nennt sie "eine Erscheinung, die zu unserer Väter Zeiten für unmöglich erachtet worden wäre". In Hinblick auf die Kriegssituation bezeichnet er dies als "ein nach außen nicht unbedenkliches Vorgehen".

1. November 1917 Deutsches Reich * Der deutsche Episkopat warnte in Hinblick auf den Friedensappell von Papst Benedikt XV. vom 1. August 1917 in einem Hirtenbrief vor einem Frieden "als Judaslohn für Treubruch und Verrat am Kaiser".

2. November 1917 London - Berlin * Der britische AußenministerArthur James Earl of Balfour verspricht den Juden ein "national home" in Palästina. Die Balfour-Deklarationwird in Deutschland von rechtsgerichteten Kreisen als Bündnis Großbritanniens mit den Zionistenzu antisemitischer Agitationgenutzt.

Seite 507/814 2. November 1917 München * Die Verordnung über die Zusammenfassung von Brauereibetriebenleitet einen Konzentrationsprozess ein.

6. November 1917 Ypern * Die dritte Flandernschlacht, auch dritte Ypernschlachtgenannt, endet trotz der enormen Verluste an Soldaten und Kriegsmaterial ohne nennenswerte Durchbrüche. Die Frontlinie hat sich nur minimal verschoben.

Die britische Armee muss mehr als 250.000 Tote beklagen, auf deutscher Seite sterben über40.000 Soldaten. Die Flandernoffensivesteht schon deshalb für die "Brutalität und Sinnlosigkeit des Krieges".

20. November 1917 Cambrai * Die Briten setzen bei Cambrai erfolgreich und in großer Menge ihre Tanks[= Panzer] ein.

5. Dezember 1917 Brest-Litowsk * Zwischen dem Deutschen Reichund Russland wird in Brest-Litowsk ein zehntägiger Waffenstillstandvereinbart.

9. Dezember 1917 Jerusalem * Britische Soldaten marschieren in Jerusalem ein und beenden damit die 673 Jahre währende osmanische Herrschaft.

9. Dezember 1917 Deutsch-Ostafrika [= heute Tansania] * Die deutsche Kolonie Deutsch-Ostafrikawird von den britischen Truppen vollständig besetzt.

Um den 13. Dezember 1917 München - Berlin * Kurt Eisner fährt für mehrere Tage in die Reichshauptstadt Berlin, um dort persönliche Angelegenheiten zu regeln. Er nutzt die Gelegenheit, um mit USPD-Abgeordneten Gespräche über die aktuelle politische Lage und über den Massenstreikzu führen.

Doch die BerlinerUSPD-Funktionärezögern und stellenihm dar, dass die Massen für einen allgemeinen Streik nicht zu haben sind, weil sich trotz der erkennbaren Erregung über die Lebensbedingungen eine Erschöpfung eingestellt hat.

Nach der Aufnahme der Gespräche über Waffenstillstandsvereinbarungenin Brest-Litowsk am 5. Dezember 1917 hofft die Bevölkerung nun auf Frieden, für denunter diesen Voraussetzungen keine besondere Anstrengung zur Herbeiführung mehr notwendig ist.

Kurt Eisner widerspricht dieser Darstellung vehement und unterstellt den Parteifunktionären, dass ihnen selbst zu einer derartigen Aktion das notwendige Vertrauen fehle. Er sieht sehr wohl bei den Massen das lebhafte Bedürfnis nach einer "idealistischen Aktion".

Seite 508/814 15. Dezember 1917 Brest-Litowsk * Der Waffenstillstandzwischen Russland und dem Deutschen Reichwird bis zum 14. Januar 1918 verlängert.

Um den 17. Dezember 1917 Königreich Bayern * Die anhaltende Kälte führt vor allem in den bayerischen Großstädten zu Einschränkungen in der Brennstoff- und Lebensmittelversorgung.

18. Dezember 1917 Berlin - München * Kurt Eisner schreibt seiner Frau Else aus Berlin folgende Zeilen:

"Es scheint mir nun doch gelungen, die schlafenden Seelen ein wenig aufzurütteln. Man hat meine Kritik anerkannt und meine Vorschläge angenommen. Alles kommt darauf an, ob sich die Persönlichkeiten finden, die für die Arbeit notwendig sind. Man hat mich selbst gebeten, die Tätigkeit hier zu übernehmen".

19. Dezember 1917 München-Kreuzviertel * Der SPD-Reformantragvom 18. September 1917 wird im Plenum der Abgeordnetenkammerbehandelt. Der Führer der Zentrumsfraktion, Heinrich Held, lehnte die SPD-Vorschlägerundweg ab, denn:

"Der Antrag bezielt [...] eine fundamentale Einschränkung der Königsrechte und geht in seinen letzten Wirkungen auf die tatsächliche Abschaffung der konstitutionellen Monarchie, auf die Einführung der parlamentarischen Regierungsform und schließlich auf die Republikanisierung unseres Staatswesens hinaus."

Alle elf Vorschläge werden in der Abstimmung per Handaufheben von der ihren Besitzstand verteidigenden Zentrumsmehrheitim Bündnis mit den Liberalenabgelehnt. Damit ist die Reformbewegungzumindest für die Dauer des Krieges zum Stillstand gebracht worden.

22. Dezember 1917 Brest-Litowsk * In Brest-Litowsk beginnen die Friedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und der sowjetrussischen Regierung.

27. Dezember 1917 Brest-Litowsk * Aus den Erklärungen des deutschen Unterhändlers wird deutlich, dass die Deutschen in den Verhandlungen in Brest-Litowsk keinen Verständigungsfriedenwollen, sondern gezielt auf einen separaten Annexionsfriedenhinarbeiten.

1918 München-Au * Das Gabriels Lichtspieltheaterin der Lilienstraße 2 wird in Museum-Lichtspieleumbenannt.

Seite 509/814 1918 München-Maxvorstadt * In den Räumen des heutigen Bayerischen Hauptstaatsarchivan der Ludwigstraße 14 sowie Schönfeldstraße 3 und 5 ist bis 1919 das Bayerische Kriegsministeriumuntergebracht.

Anno 1918 München-Au * Als in der Quellenstraße die alten Herbergen abgebrochen werden, zieht Josef Bernbacher mit seiner Bäckerei in die Rablstraße 38 um.

8. Januar 1918 Washington - Berlin * Der US-amerikanische Präsident Woodrow Wilson schlägt ein 14-Punkte-Programmvor. Es sieht Folgendes vor:

"Offene, öffentlich abgeschlossene Friedensverträge. Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen, sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden". "Uneingeschränkte Freiheit der Schifffahrt auf den Meeren, außerhalb der Territorialgewässer, im Frieden sowohl wie im Kriege, [?]". "Möglichste Beseitigung aller wirtschaftlichen Schranken und Herstellung einer Gleichheit der Handelsbedingungen für alle Nationen, [?]". "Entsprechende gegenseitige Bürgschaften für die Beschränkung der Rüstungen der Nationen auf das niedrigste, mit der Sicherheit im Innern vereinbare Maß". "Freier, unbefangener und völlig unparteiischer Ausgleich aller kolonialen Ansprüche, [?]". "Räumung des ganzen russischen Gebietes und ein Einvernehmen über alle auf Russland bezüglichen Fragen, [?]". "Belgien muss [?] geräumt und wiederhergestellt werden, [?]". "Das ganze französische Gebiet muss geräumt und die besetzten Teile wiederhergestellt werden. [?]". "Berichtigung der Grenzen Italiens nach den genau erkennbaren Abgrenzungen der Volksangehörigkeit". "Den Völkern Österreich-Ungarns [?] sollte die freieste Gelegenheit zu autonomer Entwicklung zugestanden werden". "Rumänien, Serbien und Montenegro sollten geräumt, die besetzten Gebiete zurückgegeben werden. [?]". "Den türkischen Teilen des Osmanischen Reiches sollte eine unbedingte Selbstständigkeit gewährleistet werden. Den übrigen Nationalitäten dagegen, die zurzeit unter türkischer Herrschaft stehen, sollte eine zuverlässige Sicherheit des Lebens und eine völlig ungestörte Gelegenheit zur selbstständigen Entwicklung gegeben werden. [?]". "Ein unabhängiger polnischer Staat sollte errichtet werden, der alle Gebiete einzubegreifen hätte, die von unbestritten polnischer Bevölkerung bewohnt sind; [?]". "Ein allgemeiner Verband der Nationen muss gegründet werden mit besonderen Verträgen zum Zweck gegenseitiger Bürgschaften für die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzbarkeit der kleinen sowohl wie der großen Staaten".

Mit Woodrow Wilsons 14-Punkte-Programmsollen die deutsch-russischen Friedensverhandlungenunterlaufen werden. Schon deshalb lehnt das Deutsche Reichdas Programm ab.

9. Januar 1918

Seite 510/814 Brest-Litowsk * Die Friedensverhandlungenzwischen den Mittelmächtenund Sowjetrusslandwerden in Brest-Litowsk fortgesetzt. Die großen Hoffnungen, die man in die Friedensverhandlungengesetzt hatte, werden bitter enttäuscht. Die harten Bedingungen, die das Deutsche Reichhinsichtlich der Gebietsabtretungen stellt, machen deutlich, dass die deutsche Regierung an einem Verständigungsfriedennicht interessiert ist.

Die Generalitätwill den Frieden mit Russland nur, um mit den dort frei werdenden Truppen und gestützt auf die Getreide- und Kohlelieferungen aus den besetzten russischen und ukrainischen Gebieten eine neue Offensive im Westen starten zu können. Für das Deutsche Kaiserreichgibt es nur Sieg oder Niederlage, dazwischen gibt es nichts.So rückt der Frieden in immer weitere Ferne.

12. Januar 1918 Starnberg * Eine Kampagne des Roten Kreuzeslautet: "Sammelt ausgekämmtes Frauenhaar."Der Grund: Die Industrie braucht dieses für Treibriemen.

14. Januar 1918 Wien * In den Daimler-Motorenwerken in Wiener-Neustadt beginnt ein Streik wegen der Verkürzung der eh schon geringen täglichen Brotration von 200 auf 165 Gramm.

Ab 15. Januar 1918 Wien * Der in den Wiener-Neustädter Daimler-Motorenwerken am Tag zuvor begonnene Streik weitet sich zur politischen Massenstreikbewegung in fast allen Industriegebieten des Habsburger Reich bis nach Prag und Budapest aus. Bis zum 25. Jänner 1918 werden über 700.000 Arbeiter in den Ausstand treten. Es kommt zur größten Streikaktion in der Geschichte des Landes. Die Streikenden fordern nicht mehr nur

eine bessere Lebensmittelversorgung, sondern auch ein demokratisches Wahlrecht, die sofortige Beendigung des Krieges und einen raschen Friedensschluss ohne Annexionen in Brest-Litowsk.

In Massenveranstaltungen werden Arbeiterräte - nach dem Vorbild der russischen Revolution - als ein konkretes Gegenmodell politischer Interessenvertretung gewählt. Noch am ersten Tag des Wiener Streiks formuliert der sozialdemokratische Parteivorstand Forderungen an die Regierung, die vom Arbeiterrat akzeptiert werden.

19. Januar 1918 Wien*Angesehene österreichische Sozialdemokratenwie Viktor Adler rufen die Streikenden zur Mäßigung auf und verhandeln mit der Regierung in Wien Verbesserungen aus. Der k.u.k.-Ministers des Äußern, Graf Ottokar Czernin von und zu Chudenitz, überreicht einer Abordnung des Arbeiterrateseine Erklärung, in der er sich verpflichtet, die Friedensverhandlungenin Brest-Litowsk keinesfalls an territorialen Forderungen scheitern zu lassen.

MinisterpräsidentErnst von Feuchtenegg sagt Reformen

Seite 511/814 des Kriegsleistungsgesetzesund des Ernährungsdienstessowie eine Demokratisierung des Gemeindewahlrechteszu.

20. Januar 1918 Wien * Der sozialdemokratische Parteivorstand Österreichsveranlasst eine Regierungserklärung, die zahlreiche Zugeständnisse an die Streikenden enthält. Darunter die Zusicherung,

die katastrophale Lebensmittelversorgungzu verbessern und sich umFriedensverhandlungenzu bemühen.

Er setzt damit den Beschluss zum Abbruch des Streiks durch. Die Beendigung des Streiks verärgert die radikale Linke, die sich von den Versprechungen nicht beeindrucken lassen will. Die Militärs hätten allerdings nicht davor zurückgeschreckt, mit militärischer Gewalt gegen den Streik und die Streikenden vorzugehen.

21. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Anschluss an die Vorstandssitzung findet der USPD-Diskussionsabend im Wirtshaus Zum Goldenen Anker in der Schillerstraße statt. Dort treffen - nach Polizeiberichten - rund 150 Personen zusammen, darunter 20 Frauen und 30 Soldaten. Damit erreicht der Diskussions-Stammtisch seine größte Breitenwirkung.

Kurt Eisner verteilt aus Frankreich stammende Flugblätter, die sich mit dem Thema "Ist in Deutschland eine Revolution möglich?" befassen. Er deutet an, dass ein Ausstand vorbereitet werde. Das Endziel des Streiks ist "die Monarchie zu stürzen und nicht nur den preußischen, sondern den gesamten Militarismus niederzuzwingen. Dazu gibt es nur ein Mittel: Die heiß ersehnte, unausbleibliche und bald zu erwartende Revolution."

21. Januar 1918 München * Mit Plakaten wird aufgefordert, Brennnesseln zu sammeln. Die Pflanze, so heißt es, kommt der Baumwolle am nächsten, deren Zufuhr aufgrund der Kriegserklärung Amerikas abgeschnitten ist."Wir Deutschen müssen unseren Stolz dareinsetzen, genügend Nesselfasermengen herbeizuschaffen, denn, genau so wenig uns der Engländer auszuhungern vermochte, darf uns der Amerikaner mit Gespinstfasern kaltstellen."

27. Januar 1918 München-Isarvorstadt * Die Münchner Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands - USPD führt in den Kolosseum-Bierhallen eine Versammlung zum Thema "Die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und das harrende Volk" durch. Etwa 250 bis 300 Personen sind der Einladung gefolgt. Auch die Polizeibehörde hat zwei Vertreter zur Überwachung geschickt, weil sie die Versammlung als öffentlich ansieht.

Unter dem Applaus der Zuhörer hält Kurt Eisner einen kämpferischen Vortrag und nimmt dabei keinerlei Rücksicht auf die anwesenden Polizeispitzel. Die Versuche der Polizeibeamten, den Redner einzuschüchtern, werden von der erregten Menge unterbunden.

Seite 512/814 Er führt u.a. aus, die Zeit ist gekommen, "nicht den Willen kundzutun, sondern ihn durchzusetzen". Kurt Eisner bezeichnet den Massenstreikals das Mittel, "die Macht für die deutsche Demokratie zu erobern" und "dem Wüten der verblendeten Herrschenden ein Ende [zu] bereiten".

Felix Fechenbach bemerkte dazu: Kurt Eisner sprach in Gegenwart der Polizei "trotzdem, oder gerade deshalb, ohne jede Zurückhaltung, weil er stets die Meinung vertrat, dass das Aussprechen der Wahrheit der erste Schritt zur Revolution ist".

27. Januar 1918 München-Kreuzviertel * In der Nacht trifft beim bayerischen Innenministeriumdie Nachricht ein, dass am darauffolgenden Tag

ein dreitägiger Generalstreikbeginnen und der Streik innerhalb von drei Tagen in ganz Deutschland zum Durchbruch kommen soll. Kuriere reisen von Berlin mit der Eisenbahn in alle größeren Städte des Deutschen Reichs, um Flugblätter zu verteilen und mündliche Nachrichten zu überbringen. Vertrauensleute sollen in Kriegswirtschaftsbetrieben, insbesondere in Munitionsfabriken zur Arbeitsniederlegung auffordern. Demonstrationszüge mit Ansprachen sind geplant.

In einer kurzfristig anberaumten Besprechung wird vereinbart, dass

keine Gewalt gegen Arbeitseinstellungen angewandt werden soll, die Polizei soll Menschenansammlungen lediglich zerstreuen, bei "Zusammenstößen mit streikenden Arbeitern [muss] nach dreimaliger Aufforderung, auseinanderzugehen, scharf geschossen werden".

27. Januar 1918 München * Der Schreinermeister und Münchner USPD-Vorsitzende Albert Winter sen. beantragt bei der Kgl. Polizeidirektion für den 5. Februar 1918 die Genehmigung zur Abhaltung einer öffentlichen Versammlung der USPD.

27. Januar 1918 Berlin * Eine Versammlung der der USPD nahestehenden Vertrauensleute aller Berliner Großbetriebe, die sogenannten revolutionären Obleute, beschließt einstimmig, am nächsten Morgen den Generalstreikzu beginnen.

Nach Wiener Vorbild wird ein aus 414 Personen bestehender Arbeiterratgebildet, der einen elfköpfigen Aktionsausschussaus dem Kreis der revolutionären Obleutewählt. Der Aktionsausschussfungiert als Streikleitungund wird von Richard Müller angeführt. Die USPD und die MSPD entsenden zusätzlich noch je drei Vertreter. Als Vertreter der Arbeiterparteien werden

Seite 513/814 die USPD-Reichstagsabgeordneten Hugo Haase, Georg Ledebour und Wilhelm Dittmann sowie die SPD-Vorstandsmitglieder Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Braun hinzugezogen.

28. Januar 1918 München * Kurt Eisner und seiner USPD gelingt es aufgrund der fehlenden Kontakte zu den Rüstungsarbeitern noch nicht, die Münchner Arbeiterschaft auf die Straße zu bringen. Erst am 31. Januar 1918 treten die Rüstungsarbeiter in den Streik ein.

28. Januar 1918 München-Schwabing * In der Schwabinger Brauereifindet am Abend eine von der MSPD und der Gewerkschaften einberufene Veranstaltung zum Thema "Die Übergangswirtschaft vom Krieg zum Frieden" statt. Sie wird von etwa 800 Personen besucht. Hauptredner ist der stellvertretende Landesvorsitzende Franz Schmitt. Der Vortrag endet mit der Warnung, sich - in Hinblick auf die Berliner Streikmaßnahmen - zu keinen unüberlegten Handlungen hinreißen zu lassen, nachdem die Friedensverhandlungen von Brest-Litowskins Stocken geraten sind.

Die Veranstalter wollen Kurt Eisner nicht zu Wort kommen lassen. Doch nach einer "heftigen Geschäftsordnungsdebatte" und gegen den erbitterten Willen des Veranstaltungsleiters und Gewerkschaftsfunktionärs Joseph Kurt kann Kurt Eisner das Rederecht erringen und das neue Thema "Die gegenwärtige Krisis und ihre Lösung durch den Massenstreik" auf die Tagesordnung setzen. Immer wenn Eisner den Streik nur erwähnt, "jubelt alles".

Noch bevor über die Teilnahme der Krupparbeiteram Streik abgestimmt werden kann, gelingt es den Vertretern der MSPD und der Gewerkschaften, die Versammlung wegen Überschreiten der Polizeistundeaufzulösen.

In seinem Gefängnistagebuchurteilt Kurt Eisner später über die den Streik ablehnenden Mehrheitssozialdemokraten, indem er sie als eine "Camorra" bezeichnet, "die vor keinem Mittel zurückschreckt, um sich selbst in ihrer verworfenen Stellung zu behaupten" und stellt sie als eine "lächerliche Karikatur des preußischen Kasernenstaates" dar.Konkret wirft er der bayerischen SPD-Parteiführung eine "riesige unpolitische, ohnmächtige, öde, geistlose und verlogene Vereinsmeierei" vor.

Ab 28. Januar 1918 Russland * Revolutionäre Obleuteorganisieren in RusslandMassenstreiksgegen die annexionistische Verhandlungsführungder Mittelmächtein Brest-Litowsk. Die Streiks dauern bis 4. Februar 1918 an.

28. Januar 1918 Berlin * Am ersten Tag des Ausstands folgen rund 100.000 Berliner Arbeiterinnen und Arbeiter dem Aufruf der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei - USPD zum Streik.Das Motto heißt: "Frieden und Brot!". Ihre Hauptforderungen lauten:

Den sofortigen allgemeinen Frieden ohne Annexion und Kontributionen, das vollständige Presse- und Koalitionsrecht, sowie Versammlungsfreiheit, die Aufhebung des Belagerungszustandes,

Seite 514/814 die Entmilitarisierung der Betriebe und Aufhebung des Hilfsdienstgesetzes, die Freilassung und Aufhebung des Zuchthausurteils gegen Karl Liebknecht, sowie die Freilassung sämtlicher politischen Gefangenen und Verurteilten.

Für Deutschland fordern die von den Streikenden gebildeten Berliner Arbeiterräte eine "durchgreifende Demokratisierung der gesamten Staatseinrichtungen". Das Vorbild der österreichischen Kolleginnen und Kollegen hat auch die deutsche Arbeiterschaft ermutigt.

Die Versammelten rufen die Arbeiterschaft der Kriegsgegner auf, es ihnen gleichzutun und ebenfalls in einen Massenstreik einzutreten, "denn erst der gemeinsame, internationale Klassenkampf schafft Arbeit und Brot".Zur Umsetzung dieser Forderung sollte es allerdings nicht kommen.

Dafür gelingt es den revolutionären Obleuten - zwar widerstrebend, aber strategisch sehr geschickt, - auch die Mehrheits-SPD in den Kampf zu integrieren. Das ist ein beachtenswerter Versuch der Wiederannäherung.

30. Januar 1918 München * Kriegsminister Philipp von Hellingrath verbietet die von Albert Winter sen. am 27. Januar beantragte öffentliche Versammlung der USPD am 5. Februar.

30. Januar 1918 Berlin * Der Parteiausschuss der Mehrheits-SPD stimmt der Mitarbeit der drei Reichstagsabgeordneten Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Otto Braun im Aktionsausschusszu, um - wie es Scheidemann ausdrückt, ein "nicht zu billigendes, aber verständliches Unternehmen nicht nur in ruhige Bahnen zu lenken, sondern auch durch Verhandlungen mit der Regierung schnellstens zum Ende zu bringen".

Die MSPD versteht sich als die einzige Kraft, die eine Eskalation der Ereignisse verhindern kann.

31. Januar 1918 Berlin * In Berlin spielen sich Szenen wie in einem Bürgerkrieg ab. Polizei und Militär durchbrechen Straßensperren, Schüsse fallen. Militante Arbeiter werfen Steine und bewaffnen sich mit Stöcken und Knüppeln. Sie werfen Straßenbahnen um und bauen Barrikaden. Es gibt viele Verletzte und mehrere Tote.

31. Januar 1918 München * Die rund 2.000 Streikenden ziehen gemeinsam von der Schwabinger Brauereizu anderen Rüstungsbetriebenim Münchner Norden und schließlich in die Innenstadt in Richtung Hauptbahnhof. Der inzwischen auf 6.000 Menschen angewachsene Zug will in den Mathäserbräu, in dem aber bereits BMW-Arbeitereine Versammlungabhalten.

Ihr Demonstrationszugendet schließlich im Hotel Wagneran der Sonnenstraße.Hier sprechen neben Fritz Schröder auch Sarah Sonja Lerch und Hans Unterleitner.

31. Januar 1918 Berlin * Am Humboldtshain im Stadtviertel Gesundbrunnenwächst die Zahl der demonstrierenden Menschen

Seite 515/814 immer stärker an. Dem Großaufgebot der berittenen Gendarmerie stellt sich eine Menschenmenge entgegen und ruft: "Schluss mit dem Völkermorden!"

Da ziehen die Polizisten ihren Säbel und sprengen nach Art einer Kavallerie-Attacke in die Menge hinein. "Gellende Schreie und Protestrufe wurden laut. Stöhnend sank ein Arbeiter zu Boden. Daraufhin wurden die Berittenen umringt. Ein Reiter stürzte, andere wurden vom Pferd gerissen", schreibt ein Augenzeuge.

31. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Festsaalder Mathäserbrauereifinden kurz hintereinander die Betriebsversammlungender Bayerischen Motorenwerkeund der Bayerischen Flugzeugwerkestatt. Am frühen Nachmittag versammelt sich die Arbeiterschaft des im Jahr 1917 von Rapp-Motorenwerkein Bayerische Motorenwerke - BMWumbenannten Betriebs. Anders als in den Krupp-Werkensind die BMW-Arbeitsausschüssefest in der Hand der Gewerkschaften und der MSPD.

Auch Kurt Eisner ergreift das Wort und erkennt, dass die Mehrheit der Anwesenden den Streik will.Nach seinen Ausführungen stimmen die Teilnehmer für die Arbeitskampfmaßnahme.

Ob es bei den Bayerischen Motorenwerken - BMWtatsächlich zum Streik kommen wird, ist fraglich, denn die Versammlung war gegen den Willen der Betriebsvertrauensleuteeinberufen worden. Und schon deshalb könnten diese dem Streikbeschlussdie Anerkennung versagen.

31. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Am Abend findet im Mathäserbräusaaleine Versammlung der Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Flugzeugwerke AGstatt, bei der der SPD-Abgeordnete Erhard Auer spricht und wilde Streiksals "zwecklos und sinnwidrig" bezeichnet.

Als die Versammelten Kurt Eisner zur Stellungnahme ermunterten, blieb dieser still. Die MSPD und die Gewerkschaften können durchsetzen, dass die Arbeit erst dann niedergelegt wird, wenn sich die Parteileitung in Berlin dafür ausgesprochen hat. Die Versammlung nimmt einen erregten Verlauf und muss wegen des "großen Lärms" vorzeitig beendet werden.

31. Januar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Der taktische Winkelzug der USPD geht auf. Felix Fechenbach von den Unabhängigen Sozialdemokratenbemächtigt sich des Vorstandstischesim Festsaaldes Mathäserbräuund beruft umgehend eine öffentliche Volksversammlungein, die er sogleich eröffnet.

Als Redner treten Kurt Eisner und Sara Sonja Lerch auf.Diese erzeugen einen Sinneswandel bei den Anwesenden, die sich jetzt ebenfalls für den Streik aussprechen.

Am Schluss wird auch die bereits am Vormittag von den Kruppianernin der Schwabinger Brauereibeschlossene Resolution zur sofortigen Beendigung des Krieges "des Wahnsinns und der Wahnsinnigen" angenommen.

31. Januar 1918 München * Die Münchner Kruppianerder Bayerischen Geschützwerketreten an diesem Donnerstag in den Streik ein.Am frühen Morgen marschieren sie - vorbei an verschiedenen Großbetrieben im Norden Münchens, die sie

Seite 516/814 zum Anschließen auffordern - zum Schwabinger Bräu, wo Kurt Eisner zu ihnen spricht.

Die Krupp-Arbeiterschaftnimmt eine von Kurt Eisner verfasste Resolutioneinstimmig an.Darin erklären sich "die streikenden Arbeiter Münchens mit den Arbeitern der feindlichen Nationen einig in dem feierlichen Entschlusse, den Krieg des Wahnsinns und der Wahnsinnigen sofort ein Ende zu setzen".

Februar 1918 München-Bogenhausen * Die Baufirma Heilmann & Littmannwill in den Fleischer-Palast110 Kleinwohnungen unterbringen.

Ein weiterer Plan war, das Gebäude abzureißen und das Gelände in 30 Villenbauplätze aufzuteilen.

1. Februar 1918 München-Maxvorstadt * Nach der Verhaftung von Kurt Eisner und anderen USPD-Streikführern gewinnt die MSPD-Führung wieder Einfluss auf die Streikenden. In einer Versammlung der Bayerischen Flugzeugwerkeim Löwenbräukellerfordert Erhard Auer zur "Mäßigung und zur Beendigung des Streiks" auf.

1. Februar 1918 München * Ministerpräsident Otto von Dandl dankt den bayerischen Mehrheitssozialdemokraten im Landtag dafür, dass sie die Führung der Streikbewegung übernommen haben und bringt seiner Hoffnung auf baldige Beruhigung der Lage Ausdruck.

1. Februar 1918 München-Schwabing * Am Vormittag treffen sich die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Geschützwerke, Teile der Belegschaft der Lokomotivfabrik Maffei sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter der Lederfabrik Gebrüder Hesselberger und des BMW-Werkes zur Auftaktveranstaltung in der Schwabinger Brauerei. Im Anschluss ziehen sie in einem Protestmarsch zum Polizeipräsidium in der Ettstraße.

Stand bisher die Friedensfrageim Mittelpunkt, so wird nach der Verhaftungsaktion die Freilassung der Gefangenen zur Hauptaufgabe. Zu diesem Zweck hat die Versammlung eine vierköpfige Kommission gewählt, die beim Polizeipräsidenten die Freilassung der Inhaftierten erwirken soll.

Da - nach Aussage des Polizeipräsidenten - die Polizei keine Einflussmöglichkeiten auf die gerichtlichen Entscheidungen hat, muss die Kommission ohne Ergebnis wieder abziehen.

1. Februar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Die streikende BMW-Arbeiterschafthält ihre Versammlung im Mathäserbräuab.Um die Mittagszeit marschiert sie zu denPräzisionswerken Deckel.

1. Februar 1918 München-Schwabing * Die Streikenden der Bayerischen Geschützwerkebeenden ihren Protestmarschzu einer Kundgebung in der Schwabinger Brauerei.Im Anschluss ziehen sie weiter zur Maffei-Maschinenfabrik.

Seite 517/814 2. Februar 1918 München-Isarvorstadt * Am Abend finden im Gewerkschaftshausin der Pestalozzistraße 40/42 Einigungsverhandlungen zwischen den von der USPD geführten Streikendenund der MSPD statt. Sie führen zu keinem Erfolg.

Die Streikleitungerklärt sich allerdings mit der MSPD einverstanden, die die Forderungen der Arbeiter der Reichsregierungunterbreiten will. Ebenso ist sie mit der Wiederaufnahme der Arbeit am Montag, dem 4. Februar einverstanden.

Letztlich ist es den Behörden - in Zusammenarbeit mit der SPD und den Gewerkschaften - gelungen, die Streikszu beenden.

2. Februar 1918 München-Maxvorstadt * Die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter der Bayerischen Flugzeugwerkeversammeln sich im Löwenbräukeller.

2. Februar 1918 München * Am Nachmittag dieses Samstags finden in den nachstehenden Betrieben Streikmaßnahmen statt:

Bei den Bayerischen Flugzeugwerkenbeteiligen sich 3.000 Männer und Frauen, bei den Bayerischen Geschützwerkenwird von 2.000 Männern und Frauen bestreikt, die Bayerischen Motorenwerkebestreiken 1.500 Männer und Frauen, bei den Präzisionswerken Deckelbefinden sich hauptsächlich 1.100 Frauen im Streik. In den Ottowerke-Maschinen- und Flugzeugfabrikhaben etwa 1.000 Männer und Frauen die Arbeit niedergelegt, in der Zigarettenfabrik Austriatun dies 500 Frauen, bei der Zigarettenfabrik Philipps Carl Witwesind 300 Frauen im Streik, in der Möbelfabrik Deutsche Werkstättenstreiken 180 Männer und Frauen, bei der Lederfabrik Gebrüder Hesselbergerhaben 150 Frauen die Arbeit niedergelegt. Hinzu kommen noch viele, vor allem streikende Frauen aus weiteren kleinen Betrieben.

Fazit: Am Höhepunkt der Januarstreikshaben sich in München weit über 9.000 Menschen, vorwiegend aus den Münchner Rüstungsbetrieben, beteiligt. Der Streik wurde zu einem erheblichen Teil von Frauen getragen.

3. Februar 1918 München-Theresienwiese * Um 10 Uhr treffen sich 2.500 bis 3.000 Streikendezur letzten Streik-Kundgebungunter freiem Himmel auf der Theresienwiese.

Eine Deputation wird gewählt, die die Forderungen vom 2. Februar 1918 bei der Regierung vortragen soll.Der der USPD angehörende HandlungsgehilfeFritz Schröder erklärt, dass die gegenwärtige Bewegung ein Kinderspielsei, gegen das, was noch kommen wird, wenn die Forderungen der Arbeiter abgelehnt werden würden.

Seite 518/814 Der anschließende Demonstrationszug wächst noch einmal auf 5.000 Menschen an.

4. Februar 1918 München-Ludwigsvorstadt * Turnusgemäß findet im Wirtshaus Zum Goldenen Anker die USPD-Gesprächsrunde statt.

Alfred Gärtner hat kommissarisch den Vorsitz übernommen. Die Stimmung ist sehr gedrückt.

4. Februar 1918 München * Die "Streiks" sind beendet. In den Fabriken wird wieder gearbeitet, doch der Anlass der "Streiks" ist geblieben.

Die "Christlichen Gewerkschaften" lehnen in einer Stellungnahme grundsätzlich jeden "politischen Streik" ab.

8. Februar 1918 München * Die am 3. Februar gewählte Deputation, die die Forderungen vom 2. Februar der Regierung vortragen soll, wird durch eine neue Kommission ersetzt.

Dazu wird eine Sitzung der Arbeiterausschüsse von 34 Münchner Betrieben einberufen. Diese wählen eine Kommission,die aus elf Betriebsvertretern und zwei MSPD-Landtagsabgeordnetenbesteht. Diese sollen mit der Regierung verhandeln.

Erhard Auer übernimmt die Aufgabe des Sprechers.

9. Februar 1918 Brest-Litowsk * Zwischen der weitgehend von Bolschewistenbesetzten Ukraine und den Mittelmächtenwird in Brest-Litowsk ein Separatfriedenunterzeichnet.

Dieser Brotfriedesoll die Lebensmittelversorgung der Mittelmächtesichern. Zugleich wird die Ukraine wirtschaftlich eng an das Deutsche Reichgebunden.

10. Februar 1918 Brest-Litowsk * Der russische Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, Leo D. Trotzki, beendet in Brest-Litowsk die Verhandlungen mit den Mittelmächtenaus Verärgerung über den am Tag zuvor abgeschlossenen Separatfriedenmit der Ukraine.

14. Februar 1918 Russland * In Russland wird der gregorianische Kalendereingeführt.

Die Datierung rückt um 13 Tage vor. Damit folgt auf den 1. Februar der 14. Februar.

Seite 519/814 16. Februar 1918 München-Kreuzviertel * Die am 8. Februar gewählte Kommission wird von Ministerpräsident Otto von Dandl, Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich und Kriegsminister Philipp von Hellingrath empfangen. Der Sprecher der Kommission, der MSPD-Landtagsabgeordnete Erhard Auer, trägt die Wünsche der Arbeiterausschüsse vor. Die Forderung nach Freilassung der verhafteten Streikführer ist auf der Liste nicht mehr enthalten.

Die Minister beziehen freundlich zu den Forderungen und Anregungen Stellung, Zugeständnisse machen sie jedoch keine.Der Empfang der Kommission wirkt sich dennoch beruhigend auf die Arbeiterschaft aus.

18. Februar 1918 Brest-Litowsk * Die Mittelmächtenehmen nach dem einseitigen Abbruch der Friedensverhandlungendurch Leo D. Trotzki am 10. Februar die Kampfhandlungen im Rahmen der "Operation Faustschlag"wieder auf.GeneralquartiermeisterErich Ludendorff arbeitet auf die Abtrennung der gesamten baltischen Küste und Finnlands von Russland hin.

22. Februar 1918 München * Das bayerische Kriegsministerium unterscheidet in seiner Analyse die Streikleitungen in

"Führer, die den unabhängigen Sozialdemokraten angehörend, in unmittelbarer Verbindung mit Norddeutschland, vielleicht auch mit dem Ausland stehen und revolutionäre Umtriebe ins Land hereinbringen. "Den einheimischen Führern der gemäßigten Sozialdemokratie. [?] Sie haben die Bewegung bisher vielfach in besonnene Bahnen gelenkt, vertreten aber natürlich aus parteitaktischen Gründen den Demonstrationsstreik als ein zuverlässiges politisches Mittel. "Der Masse der beteiligten Arbeiterschaft, die unter den gegenwärtigen Zeitverhältnissen jeder verhetzenden Einwirkung besonders zugänglich ist."

Und weiter schlägt das Kriegsministerium vor: "Führer der unter 1) bezeichneten Art sind, wenn irgend möglich, aus ihrer Umgebung zu entfernen und zwar solche, die sich eines Vergehens oder Verbrechens schuldig oder dringend verdächtig gemacht haben durch polizeiliche vorläufige Festnahme und Erwirkung eines richterlichen Haftbefehls ? Wehrpflichtige durch Einberufung, Versetzung, Abstellung ins Feld -, Nichtbayern durch Aufenthaltsverbot auf Grund Art. 42 des Kriegszustandsgesetzes."

26. Februar 1918 Brest-Litowsk * Nach dem schnellen Vormarsch der Mittelmächtekehren die russischen Beauftragten für die Friedensverhandlungenwieder an den Verhandlungstisch in Brest-Litowsk zurück.

3. März 1918 Brest-Litowsk * DerFriedensvertragvon Brest-Litkowskzwischen der Sowjetregierungund den Mittelmächtenwird durch die Verhandlungsführer paraphiert.

Seite 520/814 Russland verliert über 25 Prozent seiner Bevölkerung, 27 Prozent seines wirtschaftlich nutzbaren Bodens und muss die Unabhängigkeit von Finnland, Estland, Livland, Kurland, Litauen, Polen, Georgien, der Ukraine und von Teilen Armeniens anerkennen.

4. März 1918 München-Kreuzviertel *Erstmals taucht der Begriff Reinheitsgebotwährend einer Debatte im Bayerischen Landtagauf. Es ist der niederbayerische Abgeordnete Hans Rauch, Akademielehrerund Leiter der Buchstelle bei der Akademie für Landwirtschaft und Brauerei Weihenstephan, der sagt: "Wir halten fest am Reinheitsgebote, weil wir der Tradition treu bleiben."

7. März 1918 München * Der in der Reichsbahnhauptwerkstätte Münchenals Werkzeugschlosserbeschäftigte Anton Drexler ruft den Freien Arbeiterausschuss für einen guten Friedenins Leben. Die Gründung erfolgte in Anlehnung an eine fast gleichnamige und gleiche Ziele verfolgende Organisation in Bremen.Aus demFreien Arbeiterausschuss für einen guten Frieden wird später die Deutsche Arbeiterpartei - DAPhervorgehen. .

Es ist eine antisemitische und antimarxistische Gruppierung, die nie mehr als vierzig Mitglieder zählt und der es um eine Versöhnung der Arbeiterschaft mit der nationalen Rechten geht.Die bürgerlichen Parteien haben in ihren Augen versagt und der Marxismus erscheint ihnen für ihre nationalistischen Ziele ungeeignet.

8. März 1918 Bad Kreuznach - Spa * DasGroße HauptquartierderObersten Heeresleitung - OHLwird von Bad Kreuznach in dasHotel Britanniqueins belgische Spa verlegt. Dort bleibt es bis zum Kriegsende.

15. März 1918 München-Au - München-Stadelheim * Die noch immer an Zahnschmerzen leidende Sarah Sonja Lerch wird aufgrund der "Steigerung ihrer seelischen Erregungszustände"vom Gerichtsgefängnis Neudeck in Gefängnis Stadelheim gebracht.

19. März 1918 München-Stadelheim * Die seit Ende Februar an Zahnschmerzen leidende Sarah Sonja Lerch wird im Gefängnis Stadelheim vom Zahnarzt behandelt.

Drei Wochen hat das Warten gedauert, was von der Behörde auf den komplizierten Verwaltungsweg zurückgeführt wird. Aber eigentlich ist das Folter.

Ab 21. März 1918 Bapaume - Nordfrankreich * Mit einem mehrstündigen, für die Gegenseite in seiner Massivheit vollkommen unerwarteten "Sturm aus Feuer und Stahl", wie man ihn bis dahin noch nicht erlebt hat, beginnen die deutschen Truppen die "Operation Michael". Es ist die erste von fünf Schlachten der deutschen Frühjahrsoffensive, die zugleich der letzte Versuch des Deutschen Kaiserreichs ist, an der Westfront einen für die Mittelmächte günstigen

Seite 521/814 Kriegsausgang zu erreichen.

Was die Briten in der Flandernschlacht in zwei Wochen verschossen hatten, verbrauchen die Deutschen in nur wenigen Stunden.Es werden nicht nur Sprenggranaten, sondern auch Giftgas-Granaten verschossen. Schon am ersten Tag des Unternehmens kann die Verteidigung des Gegners durchbrochen werden. In den Folgetagen dringen die deutschen Truppen auf einer Breite von 80 Kilometern etwa 65 Kilometer tief in französisches Territorium ein.

Die Ententesoll zurückgeschlagen werden, ehe die US-Amerikaner in Europa landen. Dies würde, so die Überlegung Erich von Ludendorffs, das Deutschen Reichin eine gute Ausgangsposition bei den Friedensverhandlungensetzen.

Die Offensive wird nur am Anfang erfolgreich sein, aber kein Triumphlauf werden. Die Übermacht der alliierten Streitkräfte, erhebliche Versorgungsprobleme und große Verluste sind Ursachen für den Untergang der deutschen Truppen. Am ersten Tag der "Michael-Offensive" werden auf deutscher Seite von 39.929 Mann 10.851 getötet, 28.778 verwundet und 300 Mann gefangen genommen. Von den eingesetzten 38.512 Briten fallen 7.512, etwa 10.000 werden verwundet und 21.000 gehen in Gefangenschaft.

22. März 1918 München * Kriegsminister Philipp von Hellingrath äußert sich zu den Führern der Januarstreiks:

"Das arbeitsscheue und verbrecherische Gesindel, das besonders die Großstädte als Schlupfwinkel für sein lichtscheues Treiben wählt, bildet in Zeiten politischer Hochspannung oder wirtschaftlichen Kämpfe eine gesteigerte Gefahr für die Sicherheit des Reiches, denn diese Elemente beteiligen sich erfahrungsgemäß in erster Linie an Unruhen und aufrührerischen Umtrieben. Die Säuberung der Großstädte und Industriebezirke von derartigen ordnungsfeindlichen Elementen gewinnt daher für die Bekämpfung künftiger Unruhen besondere Bedeutung".

Von hier aus ist es nicht mehr weit zur unseligen Rhetorik der "Schädlingsbekämpfung".

23. März 1918 Berlin * Im Berliner Reichstagwird der Friedensvertrag von Brest-Litowskratifiziert.

Bei der vorausgegangenen Abstimmung stimmen

die Abgeordneten der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - USPDdagegen, die der Sozialdemokratische Partei Deutschlands - SPDenthalten sich der Stimme.

Seite 522/814 25. März 1918 München * Kriegsminister Philipp von Hellingrath formuliert in einem internen Schreiben seine Meinung, welche Taktik gegenüber den beiden sozialdemokratischen Parteien einzuschlagen ist:

"Nach den seitherigen Erfahrungen bildet die unabhängige Sozialdemokratie eine schwere Gefahr für den Fortbestand des Reiches. Ihren Bestrebungen muß auf jedem möglichen Wege entgegengetreten werden.

Da sie ihren Zuwachs vornehmlich aus den Reihen der rechtsstehenden Sozialdemokratie erhält, liegt die wirksamste Abwehr gegen ihre weitere Ausbreitung in Maßnahmen, durch welche die sozialdemokratische Mehrheitspartei die Flucht ihrer bisherigen Anhänger in das Lager der Unabhängigen zu verhindern sucht.

In dieser Beziehung erblicke ich ein wirksames Mittel in der Versammlungstätigkeit der alten sozialdemokratischen Partei. Durch mündliche Aufklärung vermag sie am ehesten ihre Mitglieder sich zu erhalten und gegen die unterirdische Wühlarbeit der Radikalsozialisten widerstandsfähig zu machen.

Das Bestreben der militärischen Zensurstellen wird daher dahin gehen müssen, den Veranstaltungen der Mehrheitssozialisten so wenig wie möglich Schwierigkeiten zu bereiten.

Gelegentliche Entgleisungen in den Versammlungen werden in der Regel weit weniger nachteilige Folgen haben als verbitternd wirkende Verbote und Anordnungen".

31. März 1918 USA - Frankreich * Seit März 1918 treffen monatlich 250.000 US-Soldaten zur Verstärkung ein. Bis Kriegsende werden es rund zwei Millionen sein.

Sie sind mit den besten Waffen und der modernsten Technologie ausgerüstet. Außerdem sind sie tüchtig und tatendurstig.

Mit den amerikanischen Truppen wird auch die sogenannte Spanische Grippe in die Schützengräben der Westfront gebracht.

1. April 1918 München * Dr. phil. Sarah Sonja Lerch, geborene Rabinowitz, eine der Anführerinnen der Januarstreiks, wird am Ostermontag auf dem Neuen Israelitischen Friedhof an der Garchinger Straße beerdigt.

Ein Vertreter der USPD legt einen Kranz am Grab ab und erklärt, dass die Polizei einen Nachruf verboten hat. Josef Sontheimer ergreift daraufhin das Wort, wird aber sofort verhaftet und mit Handschellen gefesselt abgeführt.

Frau Lerch war gemeinsam mit Kurt Eisner, Albert Winkler, Hans Unterleitner, Emilie und Babette Landauer und anderen wegen Landesverrats verhaftet worden.

Die 35-jährige Sarah Sonja Lerch hat sich am 29. März 1918 im Gefängnis Stadelheim erhängt. Sie wird nicht die letzte Sozialdemokratin sein, die im Freitod die Erlösung aus offenbar nicht zu verändernden Verhältnissen sucht.

Seite 523/814 5. April 1918 Spa - Nordfrankreich * GeneralquartiermeisterErich Ludendorff lässt die "Operation Michael" wegen Erfolglosigkeit abbrechen.

Die deutschen Truppen können nicht zum Meer durchdringen, das britische Heer ist nicht zusammen gebrochen, es bleibt bei einem bloßen Raumgewinn. Nach der Anzahl der Gefallenen (35.163 auf deutscher Seite) ist die "Michael-Offensive" die blutigste Schlacht des ganzen Ersten Weltkrieges.

Ludendorff führt den Misserfolg auf den "nachlassenden Angriffsgeist der Truppe" zurück.

8. April 1918 München-Ludwigsvorstadt * Nachdem sich nur mehr acht Personen am USPD-Diskussionsabendim Gasthaus Zum Goldenen Ankerin der Schillerstraße beteiligen, stellt man dieses Bildungsangebot wieder ein.

Durch die Verhaftung der Vordenker der Partei sind ihr

die Integrationsfiguren weggebrochen, nennenswerteAktionen finden nicht mehr statt. Die Münchner USPD versinkt in der Bedeutungslosigkeit.

9. April 1918 München-Au * Die am 1. Februar 1918 wegen ihrer Beteiligung am MünchnerJanuarstreikverhafteten BuchhalterinnenBetty und Emilie Landauer werden aus der Untersuchungshaft entlassen.

11. April 1918 Armentières - Nordfrankreich * Der britische OberkommandierendeDouglas Haig gibt den Tagesbefehl:

"Jede Stellung muss bis zum letzten Mann gehalten werden. Es darf keinen Rückzug geben. Mit dem Rücken zur Wand und an die Gerechtigkeit unserer Sache glaubend, muss jeder von uns bis zum Ende kämpfen".

16. April 1918 München-Kreuzviertel * Die Sozialdemokraten bringen gemeinsam mit den Liberalen einen Antrag ein, nach dem die Abgeordnetenkammer in allgemeinen Wahlen nach dem Verhältniswahlsystem gewählt werden soll.

19. April 1918 München-Au * Der am 1. Februar 1918 wegen seiner Beteiligung am Januarstreikverhaftete EisengießerKarl Mettler wird aus der Untersuchungshaft entlassen.

Seite 524/814 28. April 1918 München * In einem Brief an seinen Sohn Kronprinz Ruppert schreibt König Ludwig III., dass eine "ausschließliche Vergrößerung Preußens als Folge des Krieges vermieden werden" muss."Bayern hat auf einen möglichst großen Landzuwachs Anspruch und zwar in der Art, dass Bayern in diesen Landesteilen allein zu gebieten hat."

29. April 1918 Spa - Nordfrankreich * Generalquartiermeister Erich Ludendorff lässt auch die am 9. April 1918 begonnene "Operation Georgette", die auch als Vierte Flandernschlacht bezeichnet wird, abbrechen.

Die Verluste betragen - einschließlich der Gefangenen - auf deutscher Seite 109.300 Mann, bei den Briten 76.300 und bei den Franzosen 35.000 Mann.

16. Mai 1918 Berlin - Deutsches Reich * Das Kriegsernährungsamtkürzt die tägliche Brotration auf 150 Gramm pro Person.

3. Juni 1918 London * Großbritannien erkennt den Nationalrat der Tschechen und Slowakenan.

6. Juni 1918 Berlin * Die USPD kann unter den herrschenden Ausnahmegesetzen fast nur noch den Reichstag oder die einzelnen Landtage als Tribüne nutzen, um ihre Kritik an der Obersten Heeresleitung - OHL in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie bleibt mit ihrer Einsicht in die verheerenden Folgen der deutschen Politik auch im Parlament völlig isoliert (sie stimmt als einzige Fraktion gegen den Friedensvertrag von Brest-Litowsk).

Der USPD-Vorsitzende Hugo Haase gibt sich jedenfalls diesbezüglich keinerlei Illusionen hin. In seiner Rede im Reichstag sagt er:"Wer etwa glaubte, daß durch Reden, und seien es die schärfsten Reden, die Regierung in eine andere Richtung gebracht werden könnte, irrt sich. Die Erfahrungen von fast vier Jahren müssten in dieser Beziehung aufklärend wirken. [?] Das Volk muss eingreifen, der Reichstag hat versagt und wird weiter versagen."

Nach dem 7. Juni 1918 München-Au - München-Stadelheim * Ohne Mitteilung über eine Änderung in seinem Status als Untersuchungsgefangener wird Kurt Eisner - laut seinem Gefängnis-Tagebuch - zwischen dem 6. und 15. Juni 1918 vom Gerichtsgefängnis Neudeck in die staatliche Strafanstalt in Stadelheim verlegt.

Er wird in Stadelheim in der Zelle 70 untergebracht. In dieserZelle sollte später auch der Eisner-Mörder Anton Graf von Arco auf Valley, ab 1923 der Putschist Adolf Hitler einsitzen. Der SA-Führer Ernst Röhm wird in der Nacht vom 30. Juni 1934 in der Zelle 70 erschossen.

17. Juni 1918 Bayreuth * Der Gautag der nordbayerischen MSPD zeigt, wie sehr die dortigen Organisationen den bisherigen Kurs des Parteivorstandes kritisch oder gar direkt ablehnend bewerten. Erhard Auer stößt mit seiner Taktik der

Seite 525/814 nahezu bedingungslosen Unterstützung der Regierung ohne erkennbare Gegenleistung in seiner eigenen Partei auf zunehmenden Widerstand. In der verabschiedeten Resolution zur politischen Lage heißt es:

"Wir verlangen daher, dass die Reichstagsfraktion in Übereinstimmung mit dem Willen der Wählerschaft und mit den Forderungen unseres Programms zur Durchsetzung der berechtigten Forderungen des arbeitenden Volkes nunmehr von der bloßen Kritik dazu übergeht, von den schärfsten parlamentarischen Machtmitteln Gebrauch zu machen und durch ihre Abstimmungen die Mitverantwortung für die Politik der Reaktion und des Landraubes abzulehnen."

18. Juni 1918 München * Die Zentralpolizeistelle meldet einen militärischen Vorfall. Ein ungeordneter Haufen zieht von der Kaserne zum Hauptbahnhof. Als ein Major einen Soldaten zur Ordnung ruft, schreit dieser ihn an:"Was wollt Ihr Himmel-Herrgottsakramenter, ist?s nicht genug, dass wir für Euch ins Feld gehen, schikanieren wollt ihr einen auch noch, anpacken tu ich dich, bei der Fotze nehm ich dich, du Blindgänger."Die übrigen Soldaten zollen ihm daraufhin Beifall.

20. Juni 1918 München-Au * Der am 1. Februar 1918 wegen seiner Beteiligung am Januarstreikverhaftete Schlosser und WerkzeugdreherCarl Kröpelin wird aus der Untersuchungshaft entlassen.

6. Juli 1918 Berlin * Im Interfraktionellen Ausschuss erklärt Friedrich Ebert: "Wir haben nicht die Absicht, diese Regierung zu stürzen. Wir wollen ihr Gewissen schärfen, sie antreiben". Diese Aussage offenbart die ganze Hilf- und Planlosigkeit seiner MSPD.

Philipp Scheidemann stellt in der selben Sitzung zur Lage an der Westfront fest: "Die Amerikaner kommen nicht mehr, sondern sie sind da". Er zieht daraus die einzig richtige Folgerung: "Je schneller wir Schluss machen, um so besser für uns".

8. Juli 1918 Berlin * Kaiser Wilhelm II. versetzt den Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, Richard von Kühlmann, in den einstweiligen Ruhestand.

Damit hat die Politik gegenüber den Militärs erneut klein beigegeben. Ein Konflikt mit der Obersten Heeresleitung - OHLwird nicht eingegangen. Die Militärs brauchen die Reichstagsmehrheitnicht zu fürchten.

15. Juli 1918 Nordfrankreich - Reims * Die fünfte deutsche Frühjahrsoffensive beginnt als "Operation Marneschutz-Reims". Sie dauert bis zum 6. August und ist eine der entscheidenden Schlachten des Ersten Weltkriegs.

Die Verluste auf beiden Seiten sind enorm. Auf deutscher Seite betragen sie im Verlauf der Schlacht 168.000

Seite 526/814 Mann, davon 29.000 Gefangene.Bei den Alliierten belaufen sie sich auf 95.000 Franzosen, 16.500 Briten, 12.000 Amerikaner und 10.700 Italiener.

16. Juli 1918 München-Obergiesing * Hunderte Frauen aus den östlichen und südlichen Stadtvierteln Münchens versammeln sich vor der Lebensmittelkartenverteilstellein der Silberhornstraße in Giesing, um gegen die unzureichende Lebensmittelversorgung zu protestieren.

Sie ziehen weiter zum Lebensmittelamtin der Thalkirchner Straße und von dort zum Rathaus, wo sie "laute Rufe um Brot" erheben.Der Ausschuss für Lebensmittelversorgungbewilligt daraufhin die "Abgabe von verbilligtem Gemüse und ein Pfund Frühkartoffeln für den Kopf und die Woche".

26. Juli 1918 Berlin - Deutsches Reich * Kaiser Wilhelm II. unterzeichnet das deutsche Branntweinmonopol. Es wird ein Jahr später in Kraft treten undverpflichtet den Staat, kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Brennereien den Alkohol zu einem fixierten Preis abzunehmen, ihn zu reinigen und zu vermarkten.

26. Juli 1918 Berlin - München-Bogenhausen * Das Gesetz zur Errichtung des Reichsfinanzhofs - RHF wird verabschiedet. Gleichzeitig fällt die Entscheidung, dass München der Standort für das höchste Gericht im Finanzwesen wird. Der Reichsfinanzhof wird später im Rohbau der Künstlerresidenz des Panoramenmalers Ernst Philipp Fleischer in der Ismaninger Straße in Bogenhausen untergebracht.

1. August 1918 Straubing - Regensburg - München * Ein Regensburger Bürger hatte Ende Juli im Zug ein Gespräch von etwa 25 Straubinger Frauen über das 700-jährige Stadtjubiläum von Straubing mit angehört und berichtet am 1. August darüber an das Garnisonskommando Regensburg:

"Jetzt kommt der König zu uns - den brauch ma a no - der soll mit seine Trudln daheim bleiben - Unser Bürgermeister, der Depp is extra nach München g?fahren und hat?n eing?laden - da schreins immer von den Schulden - de Dekration wird wieder a Geld kosten - a Festfressen wollns a gebn -

Der soll nur kema - mir habens scho ausgmacht - mit de fauln Kartoffeln wird er empfanga. De moana, wenns a Militär hinstelln, dös hilft eana was - die Soldaten helfa alle zu uns - de ham von dem Schwindel a gnua!".

2. August 1918 München-Kreuzviertel * In einer Rede vor der Kammer der Reichsräte erklärt Kriegsminister Philipp von Hellingrath:"Die schweren Kämpfe zwischen Aisne und Marne beweisen, daß der Kampf- und Siegeswille der Entente noch nicht gebrochen ist, dass wir ihm die Überlegenheit des härteren und stärkeren Willens entgegensetzen müssen, wenn wir die Friedensbereitschaft unserer Feinde erzwingen wollen.

Diesen einheitlichen unbeirrbaren Willen im ganzen deutschen Volk zu wecken und zu festigen, das ist die vornehmste Aufgabe, vor die das fünfte Kriegsjahr die Heimat stellt".

Seite 527/814 8. August 1918 Amiens - Berlin * Spätestens als mit der Panzerschlacht bei Amiensdie Schlussoffensive der Alliiertenbeginnt, ist der Krieg für Deutschland verloren. Über 70 Prozent der deutschen Verluste besteht aus Gefangenen.

Die Westfrontbricht zusammen.Die Verluste nähern sich wieder den Höchstwerten der ersten Kriegsmonate von 1914.

17. August 1918 München-Graggenau * Am 17./18. August 1918 findet die Einweihung der Germanenlogeim noblen Hotel Vier Jahreszeitenan der Maximilianstraße statt. Auf der Suche nach einer geeigneten Unterkunft wardie Thule-Gesellschaftauf die gerade freigewordenen Sitzungszimmer des ehemaligen Marine-Offiziers-Clubaufmerksam geworden.Die anvisierten Räumlichkeiten bieten Platz für 300 Personen und haben eine für die Zwecke des Geheimordensgediegene Ausstrahlung.

Nachdem die Bewerbung von der Hotelleitung akzeptiert wurde, konnten die gepflegten und herrschaftlich wirkenden Sitzungssäle mit den dazugehörenden Büros mit Hakenkreuzfahnen sowie Kranz und Schwerterndekoriert werden.

Das Hakenkreuz, das auch den Briefkopf des Ordens ziert, symbolisiert den "Siegeszug des Ariers" und steht für das Motto der Loge: "Denke daran, daß du ein Deutscher bist! Halte dein Blut rein!".Mitglieder und Gäste begrüßen sich mit "Heil und Sieg", aus dem wenig später das berüchtigte "Sieg Heil !" wird.

18. August 1918 München * In einem Schreiben des Innenministers Dr. Friedrich Ritter von Brettreich an den Kriegsminister Philipp von Hellingrath hebt dieser hervor:"Es ist wohl ohne weiteres klar, dass schon die bloße Anwesenheit Verwundeter das Einschreiten der Polizei [bei Aufläufen] erschwert und unter Umständen hindert. Ich brauche nur an den Fall zu denken, welche Folgen es haben könnte, wenn etwa ein Verwundeter überritten oder eine Beschädigung erleiden würde".

Der Kriegsminister hat jedoch keine Überwachungsmöglichkeiten. Verwundete, Kriegsinvaliden und Kriegsurlauber nehmen meist in Uniform an den zahlreichen Demonstrationen teil. Sie sind nicht kaserniert und so dem disziplinären Zugriff der Militärbehörden entzogen.

21. August 1918 München - Nürnberg - Fürth * Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich berichtet seinen Ministerkollegen in einem Geheimschreiben über ein Gespräch mit sozialdemokratischen Arbeiterführern aus Nürnberg-Fürth.Diese sagten ihm, dass sie die Zuversicht nicht mehr teilen, "dass wir den Krieg wirtschaftlich durchhalten könnten". Die Entbehrungen der Bevölkerung haben einen Grad erreicht, dass mit dem baldigen Zusammenbruch gerechnet werden muss.

Das Vertrauen der Arbeiterschaft gegenüber den Gewerkschaften geht verloren, wenn sie weiter zu einer Regierung halten, "die ihre Versprechungen auf Besserung der Lage nicht einlösen vermocht und statt dessen immer nur neue Opfer und Entbehrungen verlangt und dadurch das Vertrauen des Volkes verloren habe. Sie würden für diese Enttäuschung mitverantwortlich gemacht, weil sie durch ihre Mitarbeit keine Besserung erreicht hätten, und sie stünden daher vor der Gefahr, ihren Einfluss auf die Arbeiterschaft zu verlieren".

Seite 528/814 22. August 1918 München - Königreich Bayern * Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich stellt fest: "Der Mittelstand zeigt zurzeit eine schlechtere Stimmung wie alle übrigen Kreise".

25. August 1918 München * Kronprinz Rupprecht befindet sich zur Feier des königlichen Namenstages in München. Er schreibtin sein Tagebuch:

"Die Verstimmung gegen meinen Vater macht sich durch die gegen sonst geringe Beflaggung der Häuser erkenntlich sowie die geringe Beteiligung an der abendlichen Serenade, bei der gewissermaßen demonstrativ nach dem Hoch auf meinen Vater auch ein Hoch auf mich ausgebracht wurde, was mir um so peinlicher war, als im Volke allgemein davon gesprochen wird, dass mein Vater nach dem Kriege zu meinen Gunsten abdankenmüsse."

27. August 1918 Karlsruhe - Lille * In einem privaten Brief an Kronprinz Rupprecht von Bayern legt Prinz Max von Baden sein politisches Motiv für eine eventuelle Kanzlerkandidatur offen. Er will die Demokratisierung des Reiches verhindern und fürchtet am meisten den Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger, der - unterstützt durch die Reichstagsmehrheit - dem Kanzler "neue Majoritätsfesseln" anlegen möchte. Um dies zu verhindern will der Prinz die politische Mehrheit im Reichstag "wieder in ihre wohlverdiente Ohnmacht zurück treiben".

30. August 1918 Karlsruhe - Berlin * Prinz Max von Baden bringt in einem Brief an Kaiser Wilhelm II. zum Ausdruck, dass er "in eine die Reichsleitung bestimmende Stellung" gebracht werden möchte, um aus dieser Position heraus "das Vaterland zu retten".

31. August 1918 Washington * Der US-Präsident Woodrow Wilson bezeichnet das Deutsche Reich als "verbrecherische Macht", weil es ein Anschlag auf das Recht freier Männer zur Gestaltung des eigenen Schicksals ist."Es ist ein Krieg, die Nationen und Völker der Welt gegen jede solche Macht, wie die heutige deutsche Autokratie sie darstellt, zu sichern, es ist ein Bekenntniskrieg, und ehe er gewonnen ist, können die Menschen nirgends frei von Furcht leben."

1. September 1918 München - Berlin * Karl Georg von Treutler, der preußische Gesandte in Bayern, der als Vertrauter Kaiser Wilhelms II. auch "Die graue Exzellenz" genannt wird, berichtet an den aus Bayern stammenden Reichskanzler Georg Graf von Hertling.

In seinem Schreiben bringt er zum Ausdruck, dass hier eine "ganz ausgesprochene Unzufriedenheit nicht nur mit der Bayerischen Regierung, sondern besonders auch mit der Person Seiner Majestät des Königs" herrscht. Man macht dem König zwar nicht zum Vorwurf, dass er den Krieg und damit die Katastrophe herbei geführt hat. Dennoch wirft man ihm Machtlosigkeit vor, um das Unheil abzuwenden.

Seite 529/814 Es ist deshalb höchste Zeit, die Form des bayerischen Regierungssystems den Realitäten anzupassen und einem parlamentarischen System volle Entscheidungsgewalt zu gewähren.

3. September 1918 Washington * Nach Großbritannien [3. Juni 1918] und Frankreich [29. Juni 1918] erkennen nun auch die USA den Nationalrat der Tschechen und Slowaken als rechtmäßige Vertreter ihrer Nation an.

13. September 1918 Westfront * Die Alliierten gehen an der Westfront zur Offensive über. Auch wenn es die offiziellen Heeresberichte noch nicht in aller Deutlichkeit ausdrücken, so brechen Deutschlands Heere und die Armeen seiner Verbündeten an allen Fronten zusammen.

Ab dem 15. September 1918 Saloniki * In den Bergen in der Grenzregion Griechenlands und Mazedoniens beginnt am Morgen die lange vorbereitete Entscheidungsoffensiveder alliierten Orientarmee. Der Widerstand der bulgarischen Armee bricht nach einem Durchbruch der Alliierten an der Salonikifront komplett zusammen.

19. September 1918 München * Die Zentralpolizeistelle Bayernberichtet demKriegsministerium:

"Die Gründe, warum Eisner als Kandidat aufgestellt werden soll, sind folgende:

1.) Man will erreichen, dass Eisner für die Zeit des Wahlkampfes, nachdem er noch nicht verurteilt ist, freigesprochen werde. Die Wahlversammlungen könnten nach Ansicht der Vereinsmitglieder [der USPD] vom Generalkommando nicht verboten werden. Man werde Veranlassung nehmen, den Massen die Ziele der Unabhängigen klarzulegen; zu dem Zweck kämen als Redner von Berlin Leute, gegen welche die Polizei sich nicht vorzugehen traue, wie Haase, [Adolph] Hoffmann, Ledebour, von Nürnberg der Gauvorsitzende Baier.

2.) Man will gegen die Mehrheitssozialisten opponieren. Diesbezüglich sei eine Weisung aus Berlin da."

19. September 1918 Megiddo * Mit dem Durchbruch der gegnerischen Front in der entscheidenden Schlacht bei Megiddo kann der britische Sieg in Palästina herbeigeführt werden.

22. September 1918 München?Innenminister Dr. Friedrich Ritter von Brettreich berichtet über Flugblätter, die die Überschrift "Preußenherzen hoch"tragen. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei um "überaus gefährliche Fälschungen" handelt, die äußerst geschickt den in Bayern neu auflebenden Preußenhass in neue Höhen steigern und so die Geschlossenheit des deutschen Volkes sprengen soll. Hier einige Auszüge aus dem Flugblatt, das nur in Altbayern mit der Post verbreitet wird. Der Poststempel stammt aus Berlin:

"In tiefernster Stunde wenden wir uns an alle echten Preußen mit dem dringenden Mahnruf: Helft Preußen, helft

Seite 530/814 Deutschland retten! [?] Vielmehr von innen als von außen droht unserem vielgeliebten Preußenlande toternste Gefahr. [?] Ein Süddeutscher Reichskanzler, ein Süddeutscher Vizekanzler, ein Süddeutscher Reichstagspräsident [?], alle wichtigen Ämter in der Hand von Bayern! Ist es da ein Wunder, wenn die Politik auf eine völlige Lahmlegung Preußens, der Kaiserkrone und der Heeresleitung gerichtet ist, und [?] Preußen und Deutschland an den Abgrund geführt hat ?

[?] Aus bayerisch-partikularistischem Hasse will man Preußens Macht zerstören um selbst in Preußen zu herrschen. [?] Auch die Heeresfront ist durch Bayern zerrissen worden. Die Disziplinlosigkeit im bayerischen Heere hat seit einem Jahr den größten Umfang angenommen. [?] Durch diese Handlungen haben preußische und andere Regimenter die größten Verluste erlitten. [?] Jetzt, wo das Vaterland wieder in der größten Gefahr schwebt, sind es wieder die Bayern, die versagen und die Gefahr vergrößern. [?]."

24. September 1918 Amman * Die britische Armee besetzt Amman in Palästina, woraufhin sich die Türken über Dar?a nach Damaskus zurückziehen müssen.

27. September 1918 Berlin * Staatssekretär Paul von Hintze gibt im Hauptausschuss des Reichstags den militärischen Zusammenbruch Bulgariens bekannt.

Die Truppen der Entente können nun die rumänischen Ölfelder besetzen und dadurch die deutsche Armee von der Ölversorgung abschneiden. Ohne das Öl aus Rumänien kann das deutsche Heer höchstens noch zwei Monate kämpfen.

27. September 1918 Nordfrankreich - Spa * Die französischen, britischen und amerikanischen Truppen durchbrechen die sogenannte "Siegfriedlinie" oder "Hindenburglinie", Deutschlands letzte ausgebaute Verteidigungslinie. Die Alliierten können damit eine der erfolgreichsten Offensiven des gesamten Krieges verzeichnen. Die Niederlage der deutschen Armee wird unausweichlich.

Generalquartiermeister Erich Ludendorff lässt im Heeresbericht verkünden: "Der Feind konnte somit an einzelnen Stellen unsere Infanterie- und vorderen Artillerielinien erreichen". Sie sind aber letztlich "an der Zähigkeit unserer Truppen gescheitert".

Er klärt die Reichsregierung über die Vorgänge nicht auf. Lediglich einige jüngere Offiziere der Obersten Heeresleitung - OHL setzen in einem nahezu konspirativen Akt den Vertreter des Auswärtigen Amtes in Spa über die drohende militärische Katastrophe in Kenntnis.

28. September 1918 Spa * Als immer mehr schlechte Nachrichten auf Generalquartiermeister Erich Ludendorff zukommen, kann er sich länger nicht mehr einer realistischen Lagebeurteilung verweigern. Schnell und entschlossen handelt er. Am Vormittag lässt er Reichskanzler Georg Friedrich Graf von Hertling mitteilen, "dass eine Umbildung der Regierung oder ein Ausbau derselben auf breiterer Basis" nötig ist.

Am Abend weiht er den Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg in seine Planungen für ein

Seite 531/814 Waffenstillstandsgesuch ein.Dieser stimmt den Vorschlägen - wie üblich - zu.

29. September 1918 Skopje - Thessaloniki * Eine französische Kavalleriebrigade zieht in die mazedonische Hauptstadt Skopje ein. In der Nacht unterzeichnen die bevollmächtigten Abgesandten der bulgarischen Regierung in Thessaloniki den Waffenstillstandsvertrag.Der Vertrag tritt am 30. September Mittags in Kraft.Bulgariens Kapitulation bedeutet für das Deutsche Reich

den Stopp der enorm wichtigen Lebensmittellieferungen nach Deutschland. Für die Alliierten ist jetzt der Weg zur Donau frei. Die bulgarischen Streitkräfte verzeichnen im Ersten Weltkrieg über 100.000 Tote und über 140.000 Verwundete, bei einer Vorkriegsbevölkerung von rund 4,5 Millionen und einer Gesamtzahl von 1,2 Millionen Mobilisierten.

29. September 1918 Spa - Berlin * Staatssekretär Paul von Hintze verhandelt am Vormittag mit Generalquartiermeister Ernst Ludendorff über das weitere Vorgehen. Ludendorffs Forderung nach einem Waffenstillstandsersuchen binnen 24 Stunden, das unter die Verantwortung der Reichstagsmehrheit gestellt wird, wird - bei aller Gefahr für Heer, Volk, Reich und Monarchie - von Hintze befürwortet. Ludendorffbegründet es damit, dass er nicht mehr dafür garantieren kann, eine militärische Katastrophe an der Westfront zu verhindern.

Staatssekretär Paul von Hintze will eine "Revolution von oben" und damit einen vollständigen Systemwechsel vornehmen. Eine Umbildung der jetzigen Regierung lediglich durch Hinzuziehen einiger Parteienvertreter hält er nicht für ausreichend. Der Gedanke gefällt Ludendorff, da ein radikaler Bruch mit der bisherigen Regierung die Glaubwürdigkeit gegenüber den Kriegsgegnern erhöhen würde.

Der Generalquartiermeister erhält die Zustimmung für das weitere Vorgehen vom Staatssekretär Paul von Hintze und vom greisen Reichskanzler Georg Friedrich Graf von Hertling.

Anschließend informiert Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg gemeinsam mit Staatssekretär Hintze, aber ohne den Reichskanzler, Kaiser Wilhelm II.. Dieser ist sowohl mit der Regierungsumbildung als auch mit dem Waffenstillstandsgesuch einverstanden.

1. Oktober 1918 Damaskus * Das von den Türken verteidigte Damaskus wird durch die Araber eingenommen. Das stellt den Schlusspunkt der Kämpfe in Palästina dar.

1. Oktober 1918 Spa * Im engsten Kreis leistet Generalquartiermeister ErichLudendorff seinen Offenbarungseid und beginnt gleichzeitig seine Flucht aus der Verantwortung. Nach den Aufzeichnungen von Oberst i.G. Albrecht von Thaer gesteht er:

"Die OHL und das deutsche Heer ist am Ende; der Krieg ist nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr steht die

Seite 532/814 endgültige Niederlage wohl unvermeidlich bevor. [?] Unsere eigene Armee ist leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen ist kein Verlaß mehr. [?] Ich habe S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, dass wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!"

2. Oktober 1918 Berlin * Der Emissär der Obersten Heeresleitung - OHL und Abgesandter des Generalquartiermeisters Erich Ludendorffs, Major Erich von dem Bussche-Ippenburg, informiert die Vorsitzenden der Reichstagsfraktionen, dass "nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr besteht, dem Feinde den Frieden aufzuzwingen".

"Die Oberste Heeresleitung sieht sich veranlasst, Seiner Majestät vorzuschlagen, zu versuchen, den Kampf abzubrechen, die Fortsetzung des Krieges als aussichtslos aufzugeben. Jede vierundzwanzig Stunden können die Lage verschlechtern und den Feind unsere eigentliche Schwäche erkennen zu lassen."

Bei den bürgerlichen Parteien herrscht ebenso wie bei den Sozialdemokraten blankes Entsetzen und Niedergeschlagenheit. Doch kein Sozialdemokrat, kein Zentrumsmann, kein Liberaler reißt das Angebot des politischen Handelns an sich. Deshalb geht die Kanzlerschaft an einen adeligen, badischen Prinzen.

2. Oktober 1918 Berlin * Um nicht selbst die Verantwortung für den verlorenen Krieg übernehmen zu müssen, drängtGeneralquartiermeisterErich Ludendorff auf die Bildung einer parlamentarisch getragenen Regierung. Im Kreis des Generalstabserklärt GeneralquartiermeisterErich Ludendorff, dass er Kaiser Wilhelm II. gebeten habe, "jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, dass wir so weit gekommen sind. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!"

Ludendorff geht es nur um das Abwälzen der Verantwortung für die sich abzeichnende Niederlage, auf der sich später die "Dolchstoßlegende" aufbauen wird.

3. Oktober 1918 Berlin * Der Bundesrat tagt. Auf der Versammlung der fürstlichen Bevollmächtigten wird den verbündeten Regierungen erstmals reiner Wein über die politische und militärische Lage eingeschenkt. Die Anwesenden sind zwar über die "schrecklichen" Tatsachen entsetzt. Aktiv in die Reichspolitik wollen sie sich aber nicht einbringen. Allerdings sollen die Rechte der Einzelstaaten vom Reichskanzler Max von Baden garantiert werden.

3. Oktober 1918 Berlin * Philipp Scheidemann, der Außenpolitische Sprecher der SPD im Reichstagund zweiter Mann in der SPD-Reichstagsfraktionplädiert gegen den Eintritt in ein "bankrottes Unternehmen".

Friedrich Ebert argumentiert in der Fraktionssitzungfür die Beteiligung an der Regierung. Denn die Partei darf sich

Seite 533/814 nicht dem Vorwurf aussetzen, dass sie in einem Augenblick ihre Mitwirkung versagt hat, in dem man sie dringend von allen Seiten darum bat."Wir müssen uns im Gegenteil in die Bresche werfen". Friedrich Ebert wird sich mit dieser Argumentation durchsetzen.

Damit kann eine parlamentarisch verantwortliche Regierung unter ReichskanzlerPrinz Max von Baden gebildet werden. Gemeinsam mit den Sozialdemokraten, den Liberalenund dem Zentrumverfügt der Reichskanzlerüber eine solide parlamentarische Mehrheit.

3. Oktober 1918 Berlin - Washington * Die neue Regierung unter Reichskanzler Max von Baden unterbreitet dem US-Präsidenten Woodrow Wilson umgehend Vorschläge für einen sofortigen Waffenstillstand. Diese erste deutsche Friedensnotewird der US-Regierung über Schweizer Kanäle zugeleitet. Die Verhandlungen sollen auf der Basis der Friedensbedingungen aus Wilsons 14-Punkte-Programmvom 8. Januar 1918 geführt werden.

5. Oktober 1918 Rosenheim * Der Rosenheimer Anzeiger bringt unter der Überschrift "Dem Frieden entgegen - Bitte des Reichskanzlers an Wilson um Friedensvermittlung" ein Extra-Blattzur Rede des Reichskanzlers Prinz Max von Baden im Reichstag heraus:

"Im Verlauf seiner vielfach vom Beifall der Linken und des Zentrums unterbrochenen Reichstagsrede erstattete Reichskanzler Prinz Max von Baden unter lebhafter Spannung des Hauses folgende Mitteilung: ?Dank des unvergleichlichen Heldentums unseres Heeres ist die Front im Westen ungebrochen. Dieses stolze Bewusstsein lässt uns mit Zuversicht in die Zukunft sehen. Gerade deshalb ist es aber auch unsere Pflicht, Gewissheit darüber herbeiführen, ob das opfervolle, blutige Ringen nicht einen einzigen Tag über den Zeitpunkt hinaus geführt wird, wo uns ein Abschluss des Krieges möglich erscheint, der unsere Ehre nicht berührt. Gestützt auf das Einverständnis aller dazu berufenen Stellen im Reiche und auf die Zustimmung der gemeinsam mit uns handelnden Bundesgenossen habe ich in der Nacht zum 5. Oktober 1918 durch die Vermittlung der Schweiz an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika eine Note gerichtet, in der ich ihn bitte, die Herbeiführung des Friedens in die Hand zu nehmen und hierzu mit allen kriegsführenden Staaten in Verbindung zu treten?. Die Note trifft schon heute oder morgen in Washington ein. Sie richtet sich an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil dieser in seiner Kongressbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, besonders auch noch in seiner New-Yorker Rede vom 27. September ein Programm für den allgemeinen Frieden aufgestellt hat, das wir als Grundlage für die Verhandlungen annehmen können. (Am Schluss der Rede des Reichskanzlers ertönte wiederholter Beifall)."

6. Oktober 1918 Berlin - München * Der bayerische Gesandte am Kaiserhof, Hugo Graf von Lerchenfeld, berichtet in einem Brief an den Ministerpräsidenten Otto von Dandl:

"Wenn etwa der Frieden von der Abdikation [= Abdankung] abhängig gemacht werden sollte, so würde der Kaiser ohne Zweifel in den Schritt einwilligen. Selbst in den königstreuesten Kreisen der Hauptstadt wird die Abdikation als ein unter Umständen nicht abwendbarer Schritt besprochen."

Seite 534/814 6. Oktober 1918 Berlin * Die konservative Zeitung Berliner Lokal-Anzeiger schreibt ein mit "Bis zum letzten Blutstropfen" überschriebenen Kommentar, in dem es heißt:

"[?] wird das ganze deutsche Volk gegen diejenigen kämpfen, die ihm einen demütigenden Frieden diktieren wollen. Ungebrochen steht unsere Front noch in Feindesland. Gegen den Angriff der Verbündeten durch bulgarisches Gebiet werden wir uns leichter verteidigen können als gegen die Millionenheere Russlands, die uns drei Jahre lang vergebens bedrohten."

6. Oktober 1918 Zagreb * In Zagreb konstituiert sich der Nationalrat der Slowenen, Kroaten und Serbenund erklärt sich zur Vertretung aller Südslawen der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Er baut eigene Strukturen auf, um für den sich abzeichnenden Zusammenbruch Österreich-Ungarns gerüstet zu sein und nimmtkeine Weisungen aus Budapest mehr entgegen.

Der Staates der Slowenen, Kroaten und Serbenist ein nur kurzlebiges Gebilde und verwaltete die Gebiete bis zur endgültigen Vereinigung mit dem Königreich Serbien, die am 1. Dezember 1918 erfolgt.

Ab 6. Oktober 1918 Wien * Der Zerfall Österreich-Ungarns beginnt mit dem militärischen Zusammenbruch und den Niederlagen der k.u.k.-Armee.

Kroaten, Serben und Slowenen erklären am 6. Oktober ihre Unabhängigkeit, die Polen folgen ihnen am 7. Oktober, die Tschechen am 28. Oktober. Ungarn erklärt am 24. Oktober die Realunion mit Österreich zum Monatsende für aufgelöst.

Um den 7. Oktober 1918 Berlin * Durch eine gezielte Indiskretion wird ein Privatbrief des Prinzen Max von Baden von Anfang Oktober 1918 bekannt, in dem er die Friedensresolution des Reichstags vom 14. Juli 1917 als eine "Dummheit" und "Gemeinheit" bezeichnet und das Konzept einer Parlamentarisierung und Demokratisierung des politischen Systems verunglimpft.

Der Inhalt des Briefes entlarvt seine Reichstagsrede vom 5. Oktober als Heuchelei. Durch die Briefaffäreist der Reichskanzler angezählt.

7. Oktober 1918 Berlin - Spa * Der jüdische Industrielle Walther Rathenau gibt ein einem Artikel im Berliner Tageblatt zu bedenken, dass die mit Woodrow Wilson auszuhandelnde Waffenstillstands- und Friedensabkommen für die Deutschen bedeuten:

Seite 535/814 eine Zahlung von bis zu 50 Milliarden Mark für den Wiederaufbau von Belgien und Nordfrankreich und den möglichen Verlust von Elsass, Lothringen und Danzig.

Er fordert deshalb

eine allgemeine Volkserhebung, um die unausweichlichen Waffenstillstandsverhandlungen aus einer Position der Stärke heraus zu führen. Er fordert die Oberste Heeresleitung - OHL dazu auf, die deutschen Armeen hinter die nationalen Grenzen zurückzuziehen, um sie hier für einen neu motivierenden Verteidigungskrieg aufzustellen.

Generalquartiermeister Erich Ludendorff und die Oberste Heeresleitung lehnen die Vorschläge als vollkommen unakzeptabel ab, da durch die Unzuverlässigkeit der Soldaten in der Heimat die Gefahr eines revolutionären Umsturzes nur noch vergrößert werden würde.

Walther Rathenaus Thesen stoßen im Volk auf eine breite Resonanz. Er wird zum Wortführer derer, die die Meinung vertreten: Deutschland ist nicht besiegt und braucht deshalb keinen sofortigen Waffenstillstand. Der ultranationalistische und antisemitische Reichsbote und die alldeutsche Deutsche Zeitung vergessen kurzzeitig ihre traditionelle Abneigung gegen Juden und stellen sich hinter Rathenaus Argumentation.

8. Oktober 1918 Berlin * Der MSPD-Vorsitzende Friedrich Ebert hat in der "Briefaffäre" des Reichskanzlers Max von Baden erkannt: "Wenn die Arbeiter von dem Brief Kenntnis erhalten, so verliert die Regierung ihren ganzen Einfluss."

Dennoch wird der Reichskanzler von der MSPD gehalten.Dankbar stellt dieser fest, "dass ich in den Sozialdemokraten Männer auf meiner Seite habe, auf deren Loyalität ich mich vollkommen verlassen kann."

9. Oktober 1918 München-Isarvorstadt * Die USPD-Mitgliederversammlung wird im Restaurant Müllerbad in der Hans-Sachs-Straße von über 200 Personen besucht. Die Polizei berichtet darüber:"Die Stimmung der Versammlung muss als durchaus revolutionär bezeichnet werden und erinnerte im allgemeinen an die Zeit kurz vor Ausbruch des letzten Massenstreiks."

Die im Reich inzwischen eingeleitete formale Parlamentarisierungbeeindruckt bei den Unabhängigenniemanden mehr. Alfred Gärtner stellte fest: "Unsere ehemaligen Führer Scheidemann und Genossen sind in die bankerotte Firma eingetreten. [?]

Es wird eine Zeit kommen, und die ist nicht mehr ferne, wo Männer wie Scheidemann ganz von der Bildfläche verschwinden müssen. Sie werden dann dort Unterschlupf finden, wohin sie gehören, nämlich in der bürgerlichen Partei, der sie die ganze Arbeiterschaft ausgeliefert haben. [?]

Aber es wird nicht mehr lange dauern und die Kerker werden sich öffnen und alle unsere lieben Kämpfer werden wir dann in unseren Reihen begrüssen können."

Seite 536/814 12. Oktober 1918 Berlin * Die rechtsorientierte Deutsche Zeitung aus Berlin distanziert sich als erste Zeitung von Kaiser Wilhelm II.: "Wer sich das Zepter aus der Hand winden lässt, der kann es nicht führen. Für uns gibt es nur die Frage, was wird aus unserem Reich?"

Die übrigen Zeitungen halten sich noch bis Ende Oktober an das Verbot, nichts über Rücktrittsforderungen an den Kaiser zu berichten.

13. Oktober 1918 Berlin * Auf der gemeinsamen Sitzung des Partei- und Fraktionsvorstands der MSPD stellt Otto Braun in Hinblick auf die "Briefaffäre" des Reichskanzlers Max von Baden fest:"Nachdem der Mann uns diese Schwäche gezeigt hat, stärkt er unsere Position. Der Mann kann getrieben werden."

13. Oktober 1918 München-Au * Auf dem Münchner Parteitag der SPD im Franziskaner-Keller an der Hochstraße forderte der Chefredakteur der Fränkischen Tagespost, Adolf Braun, die Abdankung des Kaisers. Unterstützung erhält er von dem Nürnberger SPD-Landtagsabgeordneten Ernst Schneppenhorst, der gleichzeitig auch den Rücktritt des bayerischen Königs Ludwig III. fordert. Erhard Auer versucht dagegen seine Parteigenossen zu beschwichtigen und plädiert zum Abwarten, bis die Zeit reif ist für einen Regierungswechsel auf legalem Weg.

Abschließend beschließt der Parteitag

die Abschaffung der Monarchie, die Einführung des Acht-Stunden-Tages, das Wahlrecht für beiderlei Geschlecht und die Einführung einer Arbeitslosenversicherung.

Der SPD-Landesparteitag fordert aber auch

die Überführung Deutschlands in einen Volksstaat mit vollkommener Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Volkes in Reich, Staat und Gemeinde.

Um den 14. Oktober 1918 München * In zwei Listen werden Bronzefiguren aufgeführt, die den Metallbedarf der Rüstungsbetriebe geopfert werden sollen. Die erste Liste beinhaltet Werke, auf die man ersatzlos und für immer verzichten will. Dazu gehört unter anderem die Schwind-Büste auf der Praterinsel, das Senefelder-Denkmal, ein Germaniabrunnen und das Brunnenbuberl, das sich seinerzeit noch in der Anlage in der Sonnenstraße befindet.

Auf der zweiten Liste stehen Werke die nach dem Krieg wieder rekonstruiert werden sollen. Dazu zählt unter anderem das Maxmonument, Standbilder von Schiller und Goethe und der Wolfsbrunnen am Kosttor. Die nur wenig verbleibende Zeit bis zur Revolution rettet die Bronzeplastiken und macht sie zu den Gewinnern der

Seite 537/814 Revolution und der neu entstandenen Demokratie.

15. Oktober 1918 Berlin * Wilhelm Dittmann, Gründungsmitglied der Unabhängigen Sozialdemokraten - USPD und Aktivist beim Berliner Munitionsarbeiterstreik im Januar 1918, wird aus der Festungshaft entlassen.

Wilhelm Dittmann war am 4. Februar 1918 vom Außerordentlichen Kriegsgericht wegen des versuchten Landesverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt worden.

17. Oktober 1918 München * Die Spanische Grippebreitet sich in München rasch aus. Etwa 20.000 Erwachsene und über 5.300 Schulkinder sind daran erkrankt.Circa 30 Tote müssen beklagt werden.

17. Oktober 1918 München * Prinzessin Wiltrud sieht der politischen Realität ganz bewusst ins Auge, als sie schreibt:"Die politische und militärische Lage ist seit einigen Wochen sehr beunruhigend für uns. [?] Unsere Truppen sollen nicht mehr recht kämpfen mögen. Wenn der Geist von 1914 noch in ihnen wäre, würden sie dem Feind besser standhalten können. Die 18-jährigen halten eben viel weniger aus als die Männer von dazumal. [?]

Man muss jetzt mit allem rechnen,

dass der Kaiser und der Kronprinz abdanken müssen, dass vielleicht Papa und der Kaiser Karl abdanken müssen, dass es Revolution gibt, dass die gekrönten Häupter nur eine Rolle der Repräsentation spielen dürfen wie König Georg von England. [?]

Die Ungerechtigkeit wird diesmal wohl siegen. [?] Deutschland wird sich demokratisieren, Österreich im besten Falle Staatenbund werden. [?] Vielleicht ist die Demütigung Deutschlands zum Heil des Volkes, und wenn sich dies in dieser ernsten Zeit fängt, dann kann aus der Rückkehr zur Einfachheit viel Gutes entstehen."

Vorausgegangen war eine erlebte Situation. Als sie mit ihrem Vater durch die Maximilianstraße fährt, schreit ein Arbeiter: "Dank ab!". Eine neben ihm stehende Frau hält dem Rufer den Mund zu, um weitere Gefühlsausbrüche zu unterbinden.

18. Oktober 1918 München * Ein als Bettelbrief getarnter Schmähbriefist an "Prinzessin Wiltrud oder Prinzessin Trudl"adressiert. Wer auch immer den Brief verfasst hat, will der Prinzessin endlich einmal die Wahrheit sagen über ihren Vater König Ludwig III., "den alten Wucherer. Nicht das Land lebt von Euch, sondern ihr lebt vom Land. Gehängt gehört die alte Bande. Geht zu den Preißn [?], da gehört ihr hin oder nach Ungarn, Mausefallen verkaufen."

Prinzessin Wiltrud ist "erschüttert".

Seite 538/814 Um 18. Oktober 1918 München * Dr. Fritz Gerlich warnt vor dem Ausbruch einer Revolutionin Deutschland.

19. Oktober 1918 Berlin * Bei einer Unterredung zwischen Reichskanzler Max von Baden und Kaiser Wilhelm II. äußertdieser, "dass er nie daran denken könne, fahnenflüchtig zu werden. Er wisse auch, dass wenn für ihn als Kaiser und König von Preußen Gefahr drohe, sein Volk und seine Armee sich um ihn scharen würden".

Der mit anwesende bayerische Gesandte am Kaiserhof, Hugo Graf von Lerchenfeld, bringt den Mut auf und weist den König darauf hin, "dass es noch andere Elemente im Reich" gibt.

19. Oktober 1918 Berlin * Der Vorsitzende des Alldeutschen Verbands - ADV, Heinrich Claß, äußert sich auf der Sitzung der Führungsspitze: "Die Bundesfürsten haben sich ebenso behandeln lassen [wie der Kaiser]. Sollen wir die Monarchie noch verteidigen, nachdem sie sich selbst überall aufgegeben?"

In der selben Sitzung verabschiedet der Vorstand einen Aufruf, in dem sich der Verband erstmals öffentlich zum Antisemitismus bekennt.

Es gelte "die Juden als Blitzableiter für alles Unrecht zu benutzen, Furcht und Schrecken [?] in der Judenschaft [zu verbreiten]. [?] Ich werde [?] vor keinem Mittel zurückschrecken und mich in dieser Hinsicht an den Ausspruch Heinrich von Kleist?s, der auf die Franzosen gemünzt war, halten: Schlagt sie tot, das Weltgericht fragt Euch nach Gründen nicht!"

21. Oktober 1918 München - Königreich Bayern * Das Kriegsministerium erhält anonyme "Stimmen aus dem Mittelstande Bayerns" zugeschickt.Darin wird unter der Berufung auf die allgemeine Volksmeinung gefordert: "Der Friede muss sobald als möglich herbei geführt werden, gleich ob günstig oder ungünstig."Ein Kapitulationsfriedesei immer noch besser als der unausweichliche Zusammenbruch.

22. Oktober 1918 München-Au * Der am 1. Februar 1918 wegen seiner Beteiligung am Januarstreikverhaftete Schlosserund spätere Minister für soziale Fürsorge, Hans Unterleitner, wird aus der Untersuchungshaft entlassen.

23. Oktober 1918 Luckau * Karl Liebknecht wird im brandenburgischen Luckau aus der Haft entlassen.

23. Oktober 1918 Berlin * In der Frage der Staatsform erklärt der USPD-Vorsitzende Hugo Haase in der Reichstagssitzung:"Die

Seite 539/814 Kronen rollen auf das Pflaster. [?] Rings um uns werden Republiken sich auftun, und da soll Deutschland allein [?] noch einen Kronenträger haben oder Träger vieler Kronen und Krönlein!" Schließlich: "Es muss zur Republik kommen! [?].

Die Götzendämmerung für das alte System ist hereingebrochen. Schon zeigt sich die Morgenröte einer neuen Zeit. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen wird aufhören; nur Freie und Gleiche wird es dann geben.

Von der Kühnheit und Entschlossenheit der Arbeiter [?] wird es abhängen, ob diese die Menschheit befreiende Umwälzung bald erfolgt, oder ob wir noch schwere Zeiten bis dahin durchzumachen haben. Wir haben Vertrauen zu den Arbeitern, wir sind überzeugt, daß aus all dem Elend am letzten Ende doch hervorgehen wird die volle Befreiung der Menschheit."

23. Oktober 1918 München-Schwabing * Kurt Eisner hält im Schwabinger Bräuseine erste Wahlkampfredeseit seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Nur neun Tage nach seiner Haftentlassung lockt er bereits 2.000 Zuhörer in seine Versammlung. Er referiert über das Thema "Regierungssozialisten oder Sozialistenregierung" und wirft darin dem Flügel um Erhard Auer vor, nicht das Interesse des Volkes, sondern nur das der Regierung im Auge zu haben. In der weiteren Rede fordert Kurt Eisner

die Abdankung des Kaisersund einen Frieden ohne Annexion. Kurt Eisner verspricht sich nicht viel vom jetzigen demokratischen System und tritt ein für die Beseitigung aller bestehender Gewalten durch Umsturz und Revolution ein.

Am Schluss verlangt er

"eine große deutsche Republik mit Einschluss Deutsch-Österreichs" und die "Rückkehr zu den Idealen der Revolution von 1848".

"Bissig, heiser und mit einem fanatischen Elan rechnete er mit seinen Gegnern ab. Alles um ihn war dicht besetzt. Kopf an Kopf. Er stand auf dem Podium inmitten der hockenden Leute und gestikulierte mitunter wild. Langes Haar, das fast bis auf seine Schultern herabwallte, einen noch zerzausteren Bart hatte er jetzt. Wie ein Apostel sah er aus, nur dass er einen Kneifer trug", schreibt Oskar Maria Graf über Kurt Eisner.

24. Oktober 1918 München * Kurt Eisner und seine USPD gehen in ihrer Werbung für die Wahl am 17. November mit der MSPD ins Gericht:

"Diese Wahl soll und muss die große Abrechnung der Massen mit denen sein, die das Volk alle die Kriegsjahre hindurch getäuscht und verraten haben. In erster Linie mitverantwortlich für alles, was sich in diesen Zeiten Furchtbares ereignet hat, sind die Regierungssozialisten, die sich jetzt überbieten in schreiendem Radikalismus, um die Aufmerksamkeit von der eigenen Schuld und Mitschuld abzulenken. [?]

Seite 540/814 Einer der belastetsten und gefährlichsten Regierungssozialisten, Herr Erhard Auer, der bereits ungezählte Ämter fest in der Hand hält, wagt es, trotz seiner Belastung mit der Schuld an der verwüstenden Kriegspolitik der herrschenden Klassen sich unter dem angemaßten Namen eines Sozialdemokraten um den Reichstagssitz in München zu bewerben."

24. Oktober 1918 Spa * Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Generalquartiermeister Erich Ludendorff erlassen ohne Rücksprache mit dem Reichskanzler einen Heeresbefehl, in dem sie die Forderungen des US-Präsidenten Woodrow Wilson vom 23. Oktober 1918

als unannehmbarbezeichnen und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen fordern.

"Die Antwort Wilsons fordert die militärische Kapitulation. Sie ist deshalb für uns Soldaten unannehmbar. Sie ist der Beweis, dass der Vernichtungswille unserer Feinde, der 1914 den Krieg entfesselte, unvermindert fortbesteht. Wilsons Antwort kann daher für uns Soldaten nur die Aufforderung sein, den Widerstand zu mit äußersten Kräften fortzusetzen."

Die totale Niederlage vor Augen, vollzieht die militärische Führung nochmal eine Kehrtwende und flüchtet sich in die Wahnvorstellung eines immer noch möglichen Widerstandes, der einen ehrenvollen Frieden erzwingen soll. Das taktisch ungeschickte, aber wohl so beabsichtigte Vorgehen der Obersten Heeresleitung - OHL raubt der deutschen Regierung auch noch den allerletzten Verhandlungsspielraum.

24. Oktober 1918 Spa* Die Operationsplaner der Marine haben ihr Konzept für den Beitrag der Seestreitkräfte zum Endsieg fertiggestellt.Admiral Reinhard Scheer erteilt - trotz der von der Reichsregierung befohlenen Einstellung des U-Boot-Krieges - der Hochseeflotte den Befehl, gegen die Kanalküste und die Themsemündung vorzustoßen und die Entscheidungsschlacht gegen Großbritannien zu suchen. Die Seekriegsleitung - SKL zieht eine "ehrenvolle Niederlage" einer drohenden Übergabe der Flotte uneingeschränkt vor. Es geht wieder einmal um die "Ehre der kaiserlichen Flotte".

Um 25. Oktober 1918 Deutsches Reich * Spätestens seit der dritten Note des US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom 23. Oktober sind die Worte "Kaiserfrage" und "Revolution" in aller Munde. Viele Männer in verantwortlichen Positionen, einschließlich des Reichskanzlers Max von Baden und des Vorsitzenden der MSPD-Reichstagsfraktion Friedrich Ebert, sehen in dem Thronverzicht des Kaisers das einzige Mittel zur "Rettung der Monarchie".

Vizekanzler Friedrich von Payer berichtet: "Die allerwildesten Kaiserstürzler sind die rechts stehenden Leute. Die Herren der Hochfinanz und der Großindustrie, ja bis hoch in die Offizierskreise hinein kann man mit einer erstaunlichen Offenheit sagen hören: Der Kaiser muss sofort zurücktreten. [?] Je länger die Hetzte fortdauert, desto stärker wird die Forderung hervortreten, dass man überhaupt keine Monarchie mehr brauchte, sondern eine Republik errichten sollte."

Seite 541/814 25. Oktober 1918 Spa * Admiral Adolf Lebrecht von Throtha, der Chef des Marinekabinetts, schreibt zum Befehl an die Hochseeflotte zur Entscheidungsschlacht gegen Großbritannien:"Wenn auch nicht zu erwarten ist, dass hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt, so ist es doch aus moralischen Gesichtspunkten Ehren- und Existenzfrage der Marine, im letzten Kampf ihr Äußersten getan zu haben."

28. Oktober 1918 München * Die Münchner Neuesten Nachrichten betonen in einem mit "Der Kaiser und die neue Zeit" überschriebenen Leitartikel, dass die neuen politischen Verhältnisse "alle Grundlagen seiner Auffassung vom Herrscherberuf über den Haufen" geworfen hätten. Daraus sollte jetzt die Folgerung gezogen werden. Sonst entsteht ein innerlich unwahrer Zustand, der über kurz oder lang zu Konflikten führen müsse.

Das ist zwar noch eine sehr verklausulierte und versteckte politische Kritik an Wilhelm II., aber damit wird das sich selbst auferlegte Verbot, den Kaiser nicht anzugreifen oder zu demontieren, immer öfter durchbrochen.

28. Oktober 1918 München-Ludwigsvorstadt * Der Führer des Bayerischen Bauernbundes, Karl Gandorfer, spricht in einer Versammlung im Mathäserbräu und fordert die politische Mitbestimmung der Bevölkerung. In einer Proklamation an die bayerischen Bauern verlangt er

eine Volksregierung in Bayern und die gänzliche Beseitigung der Reichsratskammer.

Auf der Versammlung ist auch Kurt Eisner anwesend.

29. Oktober 1918 München * In einem Brief an seinen Bruder Leopold schreibt König Ludwig III.: "Wir erleben die schwersten Zeiten und die bevorstehenden Entscheidungen verlangen das höchste Maß von Verantwortung."

29. Oktober 1918 Berlin - Kiel - Wilhelmshaven * Die deutsche Admiralität befiehlt in einem "Himmelfahrtskommando" das Auslaufen der Flotte gegen die Royal Navy. Obwohl es in Marinekreisen heißt, dass man die Landtruppen in Flandern entlasten will, ist der Befehl nicht mit der Obersten Heeresleitung - OHLabgestimmt.

Unter den Mannschaften der betroffenen Geschwader in Kiel und Wilhelmshaven verbreitet sich das Gerücht, wonach die Marineleitungeinen heroischen Untergang plant. Der Kommandant der "Thüringen" wird mit folgender Aussage zitiert: "Wir verfeuern unsere letzten 2.000 Schuss und wollen mit wehenden Fahnen untergehen."Daraufhin verweigern Einheiten der deutschen Hochseeflotte in Wilhelms­haven den Befehl. Es kommt zu Meutereien, die schließlich in einem Aufstand gipfeln.

30. Oktober 1918

Seite 542/814 München-Maxvorstadt * Kurt Eisner spricht auf einer Wahlversammlung im Löwenbräukellerzum Thema "Deutschland - eine soziale Republik" und fordert

eine politischeReinigung des Parlamentsund die Beseitigung aller Monarchien.

30. Oktober 1918 Wilhelmshaven * Auf der Schilling-Reedevor Wilhelmshaven kommt es zu einer dramatischen Kraftprobe zwischen Matrosen und Seeoffizieren. Die Besatzungen der "Thüringen" und der "Helgoland" verweigern die Ausfahrt. Plötzlich stehen sich meuternde und nicht-meuternde Schiffe in nächster Nähe gegenüber und richten die riesigen Kanonen gegeneinander. Die Meuterergeben auf - die Offiziere haben gesiegt.

Die Meuterersiegen jedoch insofern, als die Admiraleden Flottenvorstoß gegen Großbritannien abblasen, da mit einer derart "unzuverlässigen Mannschaft" so ein Unternehmen nicht mehr geschlagen werden kann. Die bei Wilhelmshaven versammelte Flotte wird aufgeteilt und in verschiedene Häfen geschickt. Das Dritte Geschwaderbringt die rund eintausend verhafteten aufständischen Matrosen nach Kiel ins Militärgefängnis.

31. Oktober 1918 Berlin * Statt endlich den Pflichten seines Amtes als Reichskanzler nachzukommen und den Kaiser über den Ernst der Lage genau und umfassend zu informieren, versucht Prinz Max von Baden diese Aufgabe zu delegieren. Er selbst will es dem Kaiser keinesfalls sagen, da er sich als badischer Thronfolger und deutscher Fürst nicht dazu berufen fühlt. Viel lieber möchte der Reichskanzler dazu Großherzog Ernst Ludwig von Hessen gemeinsam mit Hugo Graf von Lerchenfeld, der mit einem Mandat des bayerischen Königs Ludwig III. ausgestattet werden soll, in das OHL-Hauptquartier nach Spa zu Kaiser Wilhelm II. schicken.

Doch sowohl der Großherzog als auch der bayerische Gesandte am Kaiserhof erteilen dem Reichskanzler eine Abfuhr. Bei Großherzog Ernst Ludwig sind es nicht überlieferte persönliche Gründe. Graf Lerchenfeld wird dagegen vom Ministerpräsident Otto von Dandl zurückgepfiffen, weil

"Rücksichten auf monarchische Empfindungen" gegen diese Aktion sprechen und es im Falle einer Ablehnung des königlichen Rates zu "bedenklichen Folgen" für die künftigen Beziehungen der beiden Länder kommen könnte. Im Übrigen ist aus bayerischer Sicht allein der Reichskanzler zu dieser Aufgabe berufen und sogar verpflichtet, "die Initiative zu ergreifen".

Reichskanzler Max von Baden nimmt daraufhin den preußischen Innenminister Bill Drews in die Pflicht als Beamter und schickt ihn als Vorbote nach Spa. Auch Prinz August Wilhelm von Preußen und Prinz Friedrich Karl von Hessen-Kassel lassen den Reichskanzler im Regen stehen, sodass das ganze Unternehmen kläglich scheitern wird.

1. November 1918 Lille * Kronprinz Rupprecht warnt aus seinem Standort Lille an der Westfront

Seite 543/814 vor dem außerordentlichen Ernst der Lageund sieht ein Übergreifen der revolutionären Bewegungen, die in Norddeutschland sich vorbereiten, auch auf das Königreich Bayern.

Er bittet seinen Vater König Ludwig III. inständig: "Könntest Du nicht den Kaiser aufsuchen und ihn zu einem Beschlusse bewegen oder ihm doch wenigstens Deine Auffassung der Lange brieflich mitteilen". Obwohl der greise König gegen die Abdankung des ungeliebten Kaisers keine Einwände erhebt, bleibt er dennoch passiv und untätig.

1. November 1918 Kiel * Die rund eintausend verhafteten aufständischen Matrosen werden in Kiel an Land und ins Militärgefängnisgebracht, wo das Kriegsgerichtund die Erschießungskommandosauf sie warten.

1. November 1918 Spa - Berlin * Generalquartiermeister Wilhelm Groener schreibt an den Vizekanzler Friedrich von Payer zu den Rücktrittsforderungen gegenüber Kaiser Wilhelm II.: "Das Rückgrat der Armee ist gebrochen, wenn diesen Männern [?] ihr oberster Dienstherr, dem sie Treue geschworen haben, genommen wird und sie dadurch in ihren innersten Gefühlen verletzt werden."

3. November 1918 München-Maxvorstadt * Auch vor dem Wittelsbacher Palais, dem eigentlichen Münchner Wohnsitz der königlichen Familie, brüllen Menschen antimonarchische Parolen.

König Ludwigs III. Familie wohnt zwar zum Zeitpunkt der Protestaktion nicht in seinem Lieblingswohnsitz an der Brienner Straße, sondern in der Residenz. Doch seit dem Umsturz von 1848 hat es keine derartige direkte und ungehinderte Provakation gegen einen regierenden Monarchen in Deutschland mehr gegeben.

3. November 1918 Pula - München * Etwa 1.000 Matrosen befinden sich auf der Durchreise von der bisherigen deutschen Werft in dem damals habsburgischen Adria-Hafen Pula in Istrien nach Kiel und Wilhelmshaven. Sie sind von der Kriegseinstellung ihres Verbündeten Österreichs überrascht und nach Kiel in Marsch gesetzt worden, wo ihre Kameraden seit Tagen meuterten, da sie nicht zu einer letzten Seeschlacht gegen England auslaufen wollten.

Die Matrosen werden vorübergehend in München in Massenquartieren untergebracht. Die Mannschaften, die ein wärmeres Klima gewohnt sind, beschweren sich über die kalte, ungemütliche Unterkunft und die schlechte Verpflegung. Die Klagen führen jedoch zu keinem Erfolg. Dadurch schafft man ein zusätzliches revolutionäres Potenzial in München.

3. November 1918 München-Obergiesing * Der am 4. Februar 1918 als Streikführerbei den Bayerischen Motorenwerken - BMWbeim Januarstreikverhaftete Schreiner und WerkzeugschlosserLorenz Winkler wird aus der Untersuchungshaft

Seite 544/814 entlassen.

4. November 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Mathäserbräufindet eine gemeinsame Versammlung der Vertrauensleuteder SPD und der Gewerkschaften statt. Sie fassen den einstimmigen Beschluss:

"Da unter dem Streit zwischen Sozialdemokraten und Unabhängigen die Arbeiterinteressen Schaden leiden, appellieren die Obleute an die Leitung beider Parteien, den Bruderkrieg einzustellen und die ganze Kraft des Proletariats zum Kämpfe gegen den gemeinsamen Feind, Kapitalismus und Reaktion, zu vereinigen."

4. November 1918 München-Graggenau * Der Königliche Staatsratkommt zusammen, um über den Fortgang der Verfassungsreform zu beraten.König Ludwig III. ist - wie seine Berater - der Auffassung, dass den demokratischen Parteien Zugeständnisse gemacht werden müssen, weil alleine damit in dieser Situation dem Staatswohlund der Monarchiegedient werden könne.

InnenministerDr. Friedrich vonBrettreich will etwaige Bedenken gegen die Notwendigkeit einer Parlamentarisierung"unter der Wucht der Ereignisse"zurückgestellt wissen, da dieWelleneiner revolutionären Bewegung jetzt auch auf Bayernübergegriffenhätten. MinisterpräsidentOtto von Dandl will den demokratischen Parteien soweitgehende Zugeständnissemachen, weil in dieser Situation nur so demStaatswohlund derMonarchiegeholfen werden kann.

Vordringlich sei es jetzt,

dassunter dem Volk kein Zwiespalt herrscheund dieöffentliche Ruheaufrecht erhalten werde.

In der letzten von König Ludwig III. geleiteten Staatsratssitzung zieht der Monarch ein denkwürdiges politisches Resümee: "Wenn der Krieg ein so schlechtes Ende genommen hat, so können wir in Bayern unseren Schild hochhalten; er ist fleckenlos. Bayerns Heer hat sich ruhmreich geschlagen, Bayern trägt keine Schuld. Schuld trägt die unglückselige Politik, die schon vor dem Krieg seitens der Reichsleitung geführt worden ist, und noch mehr die Oberste Heeresleitung, die keinen Maßstab hatte für die Grenzen der eigenen Kräfte. [?]

Nach mehr als vierjährigen unerhörten Leistungen und Opfern stehen wir vor einer Niederlage Deutschlands, die es seit Napoleon nicht mehr erlebt hat. Wir müssen Frieden schließen und zwar unter schlechten Bedingungen."

4. November 1918 Kiel * Am Nachmittag treffen in Kiel Soldaten vom Generalkommando Altonaein, die den Matrosenaufstandniederschlagen sollen. Die Matrosen, die Heeressoldaten und die Marinesoldaten verbrüdern sich. Der Kommandant der Marinestationmuss - aller Machtmittel entledigt - kapitulieren. Die Dockarbeiter treten in einen Streik. pDie aufständischen Matrosen haben in Kiel die politische Macht übernommen.

Seite 545/814 4. November 1918 Berlin - Kiel * Als am Abend zwei Abgesandte der Berliner Reichsregierungeintreffen, ist Kiel bereits fest in der Hand von 40.000 aufständischen Matrosen und Marinesoldaten. Der SPD-AbgeordneteGustav Noske und der Staatssekretär ohne GeschäftsbereichConrad Haußmann von der Fortschrittlichen Volkspartei - FVPwerden jubelnd begrüßt. Noske wird von den Aufständischensofort zum Gouverneurgewählt.

Dabei hat Noske nicht den "Eindruck, dass eine große Revolution begonnen hat". Noch am gleichen Abend übernimmt er, "unter brausender Zustimmung" der Arbeiter und Matrosen, den Vorsitz des Obersten Soldatenrates. Die meuternden Soldaten und revoltierende Arbeiter aus Kiel vertrauen dem prominenten Genossen aus Berlin.

5. November 1918 Hamburg * Der eben aus der Haft entlassene und wegen seiner Beteiligung am Berliner Munitionsarbeiterstreik und des versuchten Landesverrats zu fünf Jahren Festungshaft verurteilte Wilhelm Dittmann fordert vor einer großen Menschenmenge in Hamburg, dem Vorbild der revolutionären Kieler Matrosen zu folgen.

Er verkündet: "Wir stehen vor entscheidenden Wendungen. Der Krieg hat zur Reife gebracht, was sonst noch Jahrzehnte erfordert hätte. Das Alte stürzt, und das Proletariat sieht sich über Nacht vor die Aufgabe gestellt, die politische Macht zu ergreifen. Alle Kleingeisterei und Angst vor der eigenen Unreife gilt es abzulegen."

5. November 1918 München-Theresienwiese * Die USPD will im Hackerkeller eine Wahlversammlung abhalten. Der Andrang ist aber so groß, dass der Saal viel zu klein ist und die Versammlung - im Dunkeln - auf der Theresienwiese durchgeführt werden muss. Das geschieht, ohne dass eine Erlaubnis dafür eingeholt worden war. Kundgebungen unter freiem Himmel sind während des Kriegszustands generell verboten. Die Polizei lässt zwar Ausnahmen zu, doch diesmal werden die Vorschriften einfach ignoriert - und die Behörden schreiten nicht ein.

Als der Redner Kurt Eisner in den Versammlungssaal kommt, findet er nur noch leere Gläser vor. Er muss seine Wählerversammlung suchen und findet eine große dunkle Masse bei der Bavaria.Es sollen 20.000 Menschen gekommen sein.Kurt Eisner mahnt zur Geduld und warnt vor einem sofortigen Aufbruch, da Münchens Erhebung am lichten Tage erfolgen wird. "Nur noch kurze Zeit. Aber ich setze meinen Kopf zum Pfande, ehe 48 Stunden verstreichen, steht München auf!"

5. November 1918 Lübeck * Die Revolution breitet sich derweil von Kiel auf Lübeck und Brunsbüttel aus.

5. November 1918 Kiel - Berlin * Den Mann, den die aufständischen Matrosen am Tag zuvor noch als ihren Richtigenerkannt und sogar zu ihrem Gouverneurernannt haben, der MSPD-Abgeordnete Gustav Noske, telefoniert an diesem Abend nach Berlin und erklärt, dass er "nur eine Hoffnung hat: Die freiwillige Rückkehr zur Ordnung unter sozialdemokratischer Führung; dann wird die Rebellion in sich zusammen sinken".

ReichskanzlerMax von Baden setzt noch am selben Tag den Beschluss durch: "Freie Hand für Noske bei dem Versuch, den lokalen Ausbruch zu ersticken."

Seite 546/814 6. November 1918 München - Königreich Bayern * Der Bayerische Kurier, eine führende Zeitung des Zentrums, ruft nach der Kieler Matrosenrevolte unter der Überschrift "Bedenkliche Vorkommen in Kiel" alle "staatstreuen Kräfte des Volkes" auf, Hand anzulegen, "um einen gefährlichen Brand in seinem Beginne zu löschen".

Verwundert stellt die Zeitungfest, dass die Anhänger einer staatlichen Ordnung wie von Winde verweht scheinen und fragt,"ob denn die Männer, welche ihre Stimme zu erheben berufen sind, in die Ecken verkrochen sind".

6. November 1918 München * Der bayerische Innenministervon Brettreich beruhigt die Bevölkerung, "dass sie gegen jegliche Willkür und Gewalttätigkeit den ausreichenden Schutz finden wird, den das ganze Volk von seiner Regierung erwartet". Der Aufruf wird allerdings erst am 8. November veröffentlicht werden.

6. November 1918 Hamburg - Bremen - Wilhelmshaven * In Altona, Bremen, Bremerhaven, Cuxhaven, Flensburg, Hamburg, Neumünster, Oldenburg, Rendsburg, Rostock und Wilhelmshaven erheben sich revolutionäre Arbeiter und Soldaten und bilden Arbeiter- und Soldatenräte.

6. November 1918 München * Die Polizeidirektion informiert das Innenministerium, dass ihre Überwachungsmaßnahmen"mit Sicherheit" festgestellt haben, dass die Münchner USPD nach der großen Friedenskundgebung am 7. November einen "großen Schlag plane". Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich weist daraufhin die Polizeidirektion an, "jede zulässige Maßnahme zur Unterbindungeiner solchen Aktion vorzubereiten". Gleichzeitig wird das Kriegsministerium informiert.

Kriegsminister Philipp von Hellingrath versichert, dass in München genügend zuverlässige Truppen sind, die eventuelle Unruhen unterdrücken werden. Den Schutz der Haupt- und Residenzstadt sollen die in München stationierten Truppen übernehmen. Die Polizei wird mit uniformierten Schutzleuten die Residenz, die Preußische Gesandtschaft und die Polizeigebäude schützen. Die übrigen Polizisten sollen in Zivil die Stimmung in der Stadt erkunden.

7. November 1918 München * Um 15 Uhr wird eine erste Initiative zur Bildung von Räten beobachtet. Eine kleine Gruppe von Soldaten findet sich "unter der Parole: Schaffung von Soldatenräte" zusammen. Nach einem Bericht der Münchener Post fordert ein USPD-Redner die "sofortige Einsetzung eines Arbeiter- und Soldatenrats" bereits als die Mehrheitssozialdemokraten und Gewerkschafter zur Demonstration aufbrechen.

7. November 1918 München-Ludwigsvorstadt * Der Mathäserbräu wird aufgrund seiner zentralen Lage zwischen Hauptbahnhof, Wittelsbacher Palais, Landtagsgebäude, Außenministerium, Residenz und Polizeipräsidium als Hauptquartier der Revolutionsbewegung ausgewählt. Die Funktion der spontan entstandenen revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte besteht zunächst darin, den Ablauf des Umsturzes zu organisieren und seinen Erfolg sicherzustellen.

Seite 547/814 Die Räte fungieren als Organe der Revolution. Sie leiten umgehend Maßnahmen ein:

Bewaffnete Soldaten patrouillieren auf Lastkraftwagen die Nacht hindurchund sollen - wenn nötig - die Ordnung aufrecht erhalten. Vor den wichtigenöffentlichen GebäudenwerdenWachenaufgestellt. DieVerkehrs- und Nachrichtenzentrenwerden übernommen. Die wichtigenZeitungsredaktionenundVerlagshäuserwerden besetzt, um Bekanntmachungen zu drucken und die Bevölkerung mitInformationenzu versorgen.

7. November 1918 München * Die Mitglieder der Winzerer-Fähndl Armbrustschützengildehalten ihre Ordentliche Hauptversammlungab. Der 1. Schützenmeistergibt darin einen kurzen Kommentar zur allgemeinen Lage wieder, der vom "deutschen Ersuchen um Waffenstillstandsverhandlungen" gezeichnet ist. Als die 17 Winzererauseinander gehen, ist König Ludwig III. bereits aus der Residenz geflohen.

7. November 1918 München-Theresienwiese * Kurt Eisner spricht zur gleichen Zeit am anderen Ende derTheresienwiese- unterhalb vomHackerbräu. Die Demonstranten haben rote Fahnen, Tafeln und Plakate mitgebracht. Ihre Revolutionsbereitschaft demonstrieren die anwesenden Matrosen und Soldaten auch dadurch, dass sie die Reichskokarden von ihren Mützen genommen haben.

Was nach dem Abmarsch derMehrheitssozialistenund derGewerkschafterpassiert, schildert Felix Fechenbach so:"Drei Redner sprachen an dieser Stelle.

Zuerst Kurt Eisner, kurz und bündig. Es sei jahrelang geredet worden, man müsse jetzt handeln! Der Bauernführer Ludwig Gandorfer verspricht, dass das Landvolk die Arbeiter nicht im Stiche lassen werde. Dann trete ich vor in Uniform, die rote Fahne in der Hand, erinnere daran, dass die Soldaten in den Kasernen zurückgehalten werden. Und dann: ?Soldaten! Auf in die Kasernen! Befreien wir unsere Kameraden! Es lebe die Revolution?.Das war das Signal."

7. November 1918 Braunschweig - Frankfurt am Main - Hannover - Lüneburg - Schwerin * Unter anderem in Braunschweig, Frankfurt am Main, Hannover, Lüneburg und Schwerin haben sich revolutionäre Arbeiter- und Soldatenrätegebildet.

7. November 1918 München - Königreich Bayern * Der Bayerische Verkehrsbeamtenverein schreibt in Hinblick auf die Kieler Matrosenaufstände und der Anspielung des Bayerischen Kuriers auf die Beamten vom Vortag:"Die Beamten haben unbekümmert um die politischen Vorgänge dem Volkswohl zu dienen; sie haben durch rastlose, ununterbrochene Arbeit Handel und Wandel aufrechtzuerhalten und insbesondere alles zu vermeiden, was einer

Seite 548/814 regelmäßigen Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmittel, Brennmaterial usw. hinderlich wäre.

Die Wandlung, die sich im Staate vollzieht, muss der Beamte über sich ergehen lassen. Nur dann dient er seinem Volke. Der werdende Volksstaat braucht unbeeinflusste Diener und die wird er in der derzeitigen Beamtenschaft finden".

7. November 1918 München-Graggenau * Die vom Spaziergang heimkehrenden Prinzessinnen werden mit Parolen wie: "Der Kaiser soll abdanken! Nieder mit Wilhelm! Nieder mit dem Haus Wittelsbach! Nieder mit der Dynastie! Nieder mit dem Haus Habsburg! Die Republik soll leben!" konfrontiert. Auch "Vom Millibauern, Papas Spitznamen, schrien sie etwas."Diese und weitere Wahlsprüche vermerkte Prinzessin Wiltrud jedenfalls in ihrem Tagebuch.

Die Stimmung beim Abendessen ist eher gedrückt. Es gibt Hirschkalbsbraten, Kartoffelnudeln und Erbsen. Prinzessin Wiltrud greift beherzt zu: "Ich nahm zwei Stücke, denkend es ist gut, wenn man bei Kräften ist, wer weiß, wann wir wieder ein solches Essen bekommen."

7. November 1918 München-Graggenau * Ministerpräsident Otto von Dandl und Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich überbringen das Ergebnis der Beratungen des Ministerrats an König Ludwig III., der sich damit "ohne Weiteres einverstanden" erklärt."Wir müssen fort - und zwar gleich", sagt der König zu seiner anwesenden Familie. Für Dandl heißt das freilich, dass sich lediglich die königliche Familieauf den Weg ins vorläufige Exil machen darf. Die "Damen" und "Jungfrauen" müssen bleiben.

Als sich die erste Hektik gelegt hat, zaudert der König mit seinem Schicksal. Hat man ihm doch nach der Rückkehr vom Englischen Garten in die Residenz noch versichert, dass man die Lage voll im Griff habe. Als aber die ersten Demonstranten vor der Residenz aufziehen, sagt man dem König, man kann für seine Sicherheit nicht mehr garantieren; es empfehle sich, die Stadt möglichst schnell und unauffällig zu verlassen.

"Dass man mich gar nicht über die Lage unterrichtet hat!", klagt er, "hab? ich denn niemand, der sich um mich hätte annehmen können?".

7. November 1918 München * Der Journalist Victor Klemperer, nicht gerade ein enger Vertrauter Kurt Eisners, der der USPD eher distanziert gegenüber steht, schreibt am 22. Februar 1919 in einem Nachruf auf Kurt Eisner in den Leipziger Neuesten Nachrichten nachstehende Zeilen:

"Keiner zweifelte an Eisners völlig reinen Absichten. Er wollte nichts für seine Person, er war, obwohl ihn die Plötzlichkeit seines Aufstiegs natürlich mit Selbstbewusstsein erfüllt hatte. [?] Er wollte seine Hände rein halten von Geld und von Blut. Er hatte immer den besten Willen, und er setzte bei anderen Menschen [?] die gleiche Seelenunschuld voraus."

7. November 1918 München * Am Vormittag treffen sich die Veranstalter der Kundgebung, USPD und SPD, im Gewerkschaftshaus zur Abstimmung des Ablaufs der Massendemonstration. Sie einigen sich auf einen gemeinsamen, acht Punkte umfassenden Forderungskatalog.Er beinhaltet:

Seite 549/814 Den sofortigen Abgang des Kaisers und den Verzicht seines Thronfolgers. Die Vereidigung des deutschen Heeres auf die Verfassung. Die Beseitigung aller Verfassungsbestimmungen, die der Freiheit des gesamten deutschen Volkes entgegenstehen und den Ausbau Deutschlands zu einem demokratischen Staatswesen hemmen. Ausschaltung aller reaktionären Elemente aus der politischen Verwaltung und völlige Demokratisierung der Verwaltungsorganisation. Annahme der Waffenstillstandsbedingungen; grundsätzliche Ablehnung des von den Alldeutschen propagierten Gedankens der nationalen Verteidigung. Sofortige Ergreifung aller Maßregeln, welche die Ordnung, Sicherheit und Ruhe bei Abrüstung und Heimbeförderung der Truppen verbürgen. Schaffung wirksamster Garantien für das Beschwerderecht der Soldaten. Umfassende soziale Fürsorgemaßnahmen für die Notleidenden; Arbeitslosenversicherung; achtstündiger Arbeitstag.

Bei der Besprechung hat Kurt Eisner "darauf aufmerksam gemacht, dass die Massen doch vielleicht etwas anderes wollen als eine Art feierlichen Spaziergangs".

7. November 1918 München * Unter der Führung von Kurt Eisner, Ludwig Gandorfer, Felix Fechenbach, Hans Unterleitner und weiteren 2.000 Arbeitern und Soldaten ziehen sie zu den Kasernen und überreden die kriegsmüden Soldaten zum mitmachen. Zuerst eineKraftwagenkolonnein der Kazmairstraße, dann eineLandsturm-Kompaniein derGudeinschule.

Im weiteren Verlauf schließen sich auch die Truppen in derMarsfeld-Kaserne, Türkenkaserneund derMax-II-Kaserneden Demonstranten an. Unterwegs befreien sie die Kameraden, die wegen irgendeiner Aufsässigkeit imMilitärgefängniseinsitzen.Aus Versehen befreien sie die Bewacher gleich mit, die sich beim Herannahen der revolutionären Arbeiter selbst in die Zellen eingesperrt haben.

7. November 1918 München * Kurt Eisner und seine Unabhängigen ist es trotz ihrer kleinen Zahl gelungen, die Mehrheitssozialdemokraten auszumanövrieren. Auf dem Weg schließen sich ihnen weitere Arbeiterinnen und Arbeiter, Zivilisten, Männer und Frauen aber auch Kinder an. Auf einmal sind es Zehntausende. Im Mathäser-Bräu richten sie das Standquartier der Arbeiter- und Soldatenräte ein.

Oskar Maria Graf schreibt: "Der Marsch hatte begonnen und war unaufhaltsam. Keine Gegenwehr kam. Alle Schutzleute waren wie verschwunden. Aus den vielen offenen Fenstern schauten neugierig Menschen auf uns herunter. Überall gesellten sich neue Trupps zu uns, nun auch schon einige Bewaffnete. Die meisten Menschen lachten und schwatzten, als ging?s zu einem Fest. [?] Die ganze Stadt schien zu marschieren."

7. November 1918 München-Theresienwiese * DieVersammlungverläuft zunächst ganz nach den Vorstellungen Erhard Auers. DieMehrheitssozialdemokratenund dieGewerkschaftermarschieren geschlossen an.Um 15:15 Uhr beginnen die Ansprachen, dafür sind 15 Minuten vorgesehen. Der MSPD-Führer und weitere Funktionäre halten ihre Reden an

Seite 550/814 der Bavaria, in der sie hervorheben, dass die Sozialdemokratische Partei

weder zum Streik noch zur Revolution auffordert, sondern die Entwicklung zum Volksstaat auf parlamentarischen Wegen erreichen möchte.

Um 15.45 Uhr lassen sie dann über eine Resolution abstimmen, danach löst sich die Versammlung auf. Nun formieren sich die Teilnehmer zurgroßen Friedensdemonstration. Mit einem Musikkorps an der Spitze marschiert der größte Teil der Massendemonstration unter Führung von Erhard Auer in vollkommener Disziplin über die Landwehrstraße, Sonnenstraße, Karlsplatz, Lenbachplatz, Maximiliansplatz, Brienner Straße, Residenzstraße, Maximilianstraße und schließlich längs der Isar entlang bis zum Friedensengel. Hier löst sich der Protestmarsch nach einer kurzen Schlussansprache des MSPD-Reichstags- und Landtagsabgeordneten Franz Schmitt auf.

7. November 1918 München-Graggenau *Vor der Residenz fordert eine aufgebrachte Menschenmenge "Runter mit dem Millibauern, runter mit der Topfenresl!"

7. November 1918 München * Bayerns Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich gibt in einem Aufruf bekannt: "Die Waffenstillstandsverhandlungen sind im Gang, sie werden baldigst zum Abschluss kommen."Und dann: "Jetzt gilt es erst recht, Ruhe und Ordnung zu wahren. Innere Unruhen anstiften, hieße den Krieg noch mal beginnen."Eine Variation des alten und sattsam bekannten Spruchs: "Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!"

Dahinter verbirgt sich sicherlich auch die Angst vor eventuellen Ausschreitungen und Unruhen, denn für den Nachmittag des selben Tages haben die Mehrheitssozialdemokraten und die Unabhängigen zu einer gemeinsamen Versammlung auf der Theresienwiese eingeladen.

7. November 1918 München-Maxvorstadt * Um 19 Uhr erklärt Kriegsminister Philipp von Hellingrath, er sei machtlos, da ihm in der Stadt keine Truppen mehr zur Verfügung stehen. Er will noch versuchen, mit Truppen außerhalb Münchens in Verbindung zu treten.

Ihr Fazit lautet:"Da nach den vorliegenden polizeilichen Meldungen damit gerechnet werden muss, dass die Revolutionäre in der Nacht außer den Ministerien auch die Residenz besetzen und den König sowie die kranke Königin behelligen und versuchen werden, den ersteren zur Abdankung zu zwingen, sind alle Minister der Ansicht, dass der König mit seiner nächsten Familie vorerst bis zur Klärung der Lage München verlasse."

Ministerpräsident Otto von Dandl und Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich überbringenden Rat an König Ludwig III..Dieser erklärt sich damit "ohne Weiteres einverstanden".

7. November 1918 München-Au - München-Ludwigsvorstadt * Kurt Eisner zieht sich nach der Einnahme der Guldein-Schule in den Franziskaner-Keller an der Hochstraße zurück. Sicher auch, um einer eventuellen Verhaftung zu entgehen. Als er erfährt, dass der Hauptteil der Soldaten und der Arbeiter zum Mathäserbräu ziehen, begibt er sich auch dort hin.

Seite 551/814 Im Erdgeschoss wird er von den anwesenden Arbeitern zum Ersten Vorsitzenden des Arbeiterrats gewählt. Sein Stellvertreter wird Hans Unterleitner. Anschließend begeben sich er und weitere Mitglieder des Arbeiterrats in das Obergeschoss, in dem er sich mit den Führern des Soldatenrats zur gemeinsamen Sitzung zusammentrifft. Damit ist der Arbeiter- und Soldatenrat gegründet.

8. November 1918 München - Freistaat Bayern * In den Münchner Neuesten Nachrichten veröffentlichen Ministerpräsident Kurt Eisner und der Bauernführer Ludwig Gandorfer einen Aufruf An die ländliche Bevölkerung Bayerns, in dem sie die Notwendigkeit der Revolution darstellen und die Friedensbemühungen der Regierung Eisner schildern.

"Der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrat betrachtet es als die erste und größte Aufgabe, dem Volke den heiß ersehnten Frieden zu bringen und ist zum Zwecke der Einleitung von Friedensverhandlungen mit den Ententemächten in Verbindung getreten."

Zugleich verspricht man den militärischen Schutz der Grenzen Bayerns und eine geordnete Demobilisierung, "damit Zustände wie in Österreich und Tirol, wo heimkehrende Soldaten plündern und Kulturwerke zerstören, unmöglich werden!"Daneben werden sie zu reger Lebensmittelablieferung für die Städte aufgefordert.

8. November 1918 Pasing * Am Vormittag werden vermeintlich zuverlässige Truppenteile zur Niederschlagung der Revolution nach Pasing gebracht.Schon bei der ersten Begegnung mit ihren revolutionären Kameraden legen sie ihre Waffen nieder.

8. November 1918 München - Freistaat Bayern * Die Regierung Eisner wird in der ersten Phase nach dem Umsturz, das ist der Zeitraum vom 8. November 1918 bis zur Ermordung Kurt Eisners am 21. Februar 1919, insgesamt 85 Verordnungen, Bekanntmachungen, Entschließungen, Ministerialbekanntmachungen, Ministerialentschließungen und Ausführungsbestimmungen erlassen.

Darunter befinden sich Verordnungen, die mit dem Zusatz "mit Gesetzeskraft" versehen sind. Zum Beispiel: die Verordnung betreffend die Bayerische Notenbank vom 20. November oder die Verordnung betreffend Beaufsichtigung und Leitung der Volksschulen vom 16. Dezember 1918.

8. November 1918 München * Zwischen Mitternacht und ein Uhr bittet Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich den Führer der Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer, zu sich. Auer macht deutlich, dass er und seine Partei die "gewaltsame Niederschlagung der Revolution" und die "Festnahme der Revolutionäre" noch in der Umsturznacht dulden werden. Danach können sie nur mehr versuchen - auf der Grundlage der neu geschaffenen Verhältnisse - an der Stabilisierung der inneren Ordnung mitzuwirken.

Auf Auers Frage nach einer aus 500 Mann bestehenden zuverlässigen Truppe, erwidert von Brettreich, dass ihm keine ausreichenden Machtmittel zur Verfügung stehen, um den Umsturz niederzuwerfen. Die Polizei ist unzureichend und das Militär hat gänzlich versagt.

Seite 552/814 8. November 1918 München * Gegen Mittag ruft Innenminister Dr. Friedrich von Brettreich die den Ministerpräsidenten Otto von Dandl und den Kultusminister Dr. Eugen Ritter von Knilling sowie den bayerischen MSPD-Vorsitzenden Erhard Auer zu sich.

Bei der Besprechung setzt Auer die Herren von den bevorstehenden Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung für den Freien Volksstaat Bayern, die vermutlich zum Ziele führen werden. Für die Niederschlagung der Revolution durch die derzeitige Regierung ist es zu spät.

8. November 1918 München - Freistaat Bayern * Die Bayerische Staatszeitung bringt auf der ersten Seite noch des Aufruf des inzwischen abgesetzten Innenministers Dr. Friedrich Ritter von von Brettreich vom 6. November. Darin heißt es: "[?] Die Bevölkerung darf überzeugt sein, dass sie gegen jegliche Willkür und Gewalttätigkeit den ausreichenden Schutz finden wird, den das ganze Volk von seiner Regierung erwartet."

8. November 1918 Schloss Wildenwart * Um 4:30 Uhr früh kommt Ex-König Ludwig III. und Ex-Königin Marie Therese samt Ex-Prinzessin Helmtrud, Flügeladjutant Ludwig Graf von Holnstein und einen Kriminalwachtmeisterauf Schloss Wildenwart an.

Die den dritten Wagen benutzende Baronin Elisabeth Keßling, der Baron Johann Bodmann und die Kammerfrau Franziska Scheidl sind schon gut eine Stunde zuvor eingetroffen.

Die Königsmadln Gundelinde, Wiltrud und Hildegard sowie Baron Oskar von Redwitz und er 13-jährige Ex-Erbprinz Albrecht, der Sohn vom Kronprinzen Rupprecht, aus dem verunglückten und feststeckenden Auto, marschierten bei Nacht und Nebel zum Schloss Maxlrain, wo sie um drei Uhr früh des 8. November ankommen. Mit einem Ersatzwagen erreichen auch sie gegen ein Uhr Mittag Schloss Wildenwart und sind wieder mit dem Rest der königlichen Familie vereint.

8. November 1918 Braunschweig * Am Nachmittag fordert eine Abordnung Herzog Ernst-August zur Abdankung auf. Nach kurzer Bedenkzeit und nach Beratung mit seinen Ministern unterzeichnet dieser die Urkunde. Anschließend veranlasstEx-Herzog Ernst-August seine Minister zum Rücktritt und zur Übergabe der Amtsgeschäfte an den Arbeiter- und Soldatenrat.

8. November 1918 München-Kreuzviertel * Kurz nach Mitternacht hält der neu gebildete Arbeiter-, Bauern- und Soldatenratim Sitzungssaal der Abgeordnetenkammerim Landtagsgebäudean der Prannerstraße - unter der Leitung Kurt Eisners - seine erste Sitzung ab.

Kurt Eisner proklamiert die demokratische und soziale Republik Bayern, den Freistaat Bayern. Die Monarchie ist damit gestürzt, die Republik geboren. In seiner Rede bemerkt Eisner: "Die bayerische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher Könige hinweggefegt."

Seite 553/814 "Bayern ist fortan ein Freistaat" lautet der dritte Satz eines Aufrufs, der am Morgen des 8. November 1918 auf der ersten Seite der Münchener Neuesten Nachrichtenveröffentlicht wird. Mit dem Begriff Freistaatnimmt Kurt Eisner eine Definition auf, die schon 150 Jahre zuvor für Republikgebraucht wurde.

Mit dieser Wortwahl will er aber nicht nur den Unterschied zur Monarchie, sondern auch die Eigenständigkeit Bayerns innerhalb eines deutschen Staatenbundes, der "Vereinigten Staaten von Deutschland", herausstellen. "Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern" hat diesen Aufruf "An die Bevölkerung Münchens" gerichtet.

Noch deutlicher ist ein knallrotes Plakat, das bereits in den Straßen Münchens hängt. Ihm können die interessierten Bürger entnehmen: "Die Dynastie Wittelsbach ist abgesetzt. Hoch die Republik!"

8. November 1918 München-Kreuzviertel * Um 15:38 Uhr tritt der Provisorische Nationalrat des Volksstaatse Bayernzu seiner zweiten Sitzung zusammen, um eine Provisorische Bayerische Regierungzu wählen.

Eisner schlägt folgende Zusammensetzung der Regierungvor:

Das Ministerium des Äußerenund damit das Präsidiumübernimmt Kurt Eisner selbst. Vizepräsidentund Kultusministerwird der MehrheitssozialdemokratJohannes Hoffmann. Ebenfalls MSPDsind der Minister für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter, und der JustizministerJohannes Timm. Das Innenministeriumerhält der Vorsitzende der bayerischen Mehrheitssozialdemokraten, Erhard Auer. Das Verkehrsministeriumüberträgt Eisner einem bürgerlichen Fachmann: Heinrich von Frauendorfer. Das Ministerium der Finanzenvertraut Eisner dem Professor für Staatswissenschaften,Edgar Jaffé an, der den Unabhängigennahe steht. Das neu geschaffene Ministerium für soziale Angelegenheitenleitet der Unabhängige SozialdemokratHans Unterleitner.

Die Benennung Erhard Auers zum Innenministerruft neben Beifall auch Unmutsäußerungen hervor. Bei der Abstimmung erhält Auer eine überwiegende Mehrheit.

Eisner will mit Auers Ernennung seinen schärfsten Gegner unter Kontrolle bringen.Daneben ist ihm bewusst, dass die MSPDdie Nichtbesetzung des Innenministeriumsmit ihrem Vorsitzenden als Affront empfunden und sich möglicherweise mit der Bourgeoisiegegen die Revolutionsregierungverbünden würde. Auer dagegen kann der MSPDdadurch den Einfluss auf die kommenden Ereignisse sichern.

Das Landwirtschaftsministeriumwollte Eisner ursprünglich mit einem revolutionären Bauernbündlerbesetzen. Doch das kann Erhard Auer verhindern. Es wird nicht gebildet, da der MSPD-lerdarin eine Beschneidung seines Ressortssieht und er dem Eisner-nahen Bayerischen Bauernbund - BBBkein zusätzliches Machtinstrument an die Hand geben will.

8. November 1918 Wildenwart - Hintersee - Gschwend - Hüttenkirchen * Die Ruhe auf Schloss Wildenwart ist nicht von langer Dauer. Nach einer kurzen Ruhepause bricht man erneut auf. Dabei trennt sich die Familie, immer auf der Flucht vor tatsächlichen und eingebildeten Gefahren.

Seite 554/814 Ex-König Ludwig III. und die kranke Ex-Königin Marie Therese wollen in einem Jagdhaus in Hintersee in der Ramsau Unterschlupf finden. Dazu nehmen sie die nervenstarke und besonnene Prinzessin Helmtrud mit. Die restlichen Königsmadln marschieren nach Gschwend am Fuß der Kampenwand zur Familie Baumeister. Dann ziehen sie sich geliehene Bauernkleider an.

Erbprinz Albrecht wird nach Hüttenkirchen zum Grafen Rudi Moragna-Redwitz gebracht. Von dort aus geht es ein paar Tage später zum Maler Bohnenberger, mit dessen Sohn Prinz Albrecht befreundet ist.

8. November 1918 Breslau * Rosa Luxemburg wird aus der Breslauer Haft entlassen. Sie trifft am 10. November in Berlin ein. Karl Liebknecht hat bis dahin den Spartakusbund reorganisiert.

8. November 1918 München - Freistaat Bayern *Nur die Münchener Neuesten Nachrichten - MNN können ihre normale Morgenausgabe der Tageszeitung drucken. Auf der ersten Seite ist die Proklamation des Freistaates Bayern abgedruckt:

An die Bevölkerung Münchens!

Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Arbeiter und Soldaten geführt. Ein provisorischer Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat hat sich in der Nacht zum 8. November im Landtag konstituiert. Bayern ist fortan ein Freistaat. Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Eine konstituierende Nationalversammlung, zu der alle mündigen Männer und Frauen das Wahlrecht haben, wird so schnell wie möglich einberufen werden. Eine neue Zeit hebt an! Bayern will Deutschland für den Völkerbund rüsten. Die demokratische und soziale Republik Bayern hat die moralische Kraft, für Deutschland einen Frieden zu erwirken, der es vor dem Schlimmsten bewahrt. Die jetzige Umwälzung war notwendig, um im letzten Augenblick durch die Selbstregierung des Volkes die Entwicklung der Zustände ohne allzu schwere Erschütterung zu ermöglichen, bevor die feindlichen Heere die Grenzen überfluten oder nach dem Waffenstillstand die demobilisierten Truppen das Chaos herbei führen. Der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat wird strengste Ordnung sichern. Ausschreitungen werden rücksichtslos unterdrückt. Die Sicherheit der Person und des Eigentums wird verbürgt. Die Soldaten in den Kasernen werden durch Soldatenräte sich selbst regieren und Disziplin aufrecht erhalten. Offiziere, die sich den Forderungen der veränderten Zeit nicht widersetzen, sollen unangetastet ihren Dienst versehen. Wir rechnen auf die schaffende Mithilfe der gesamten Bevölkerung. Jeder Arbeiter an der neuen Freiheit ist willkommen! Alle Beamte bleiben in ihren Stellungen. Grundlegende soziale und politische Reformen werden unverzüglich ins Werk gesetzt. Die Bauern verbürgen sich für die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln. Der alte Gegensatz zwischen Land und Stadt wird verschwinden. Der Austausch der Lebensmittel wird rationell organisiert werden. Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalschweren Tagen sich vorbereitet! Helft alle mit, dass sich die unvermeidliche Umwandlung rasch, leicht und friedlich vollzieht.

Seite 555/814 In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein. Bewahrt die Ruhe und wirkt mit an dem Aufbau der neuen Welt! Der Bruderkrieg der Sozialisten ist für Bayern beendet. Auf der revolutionären Grundlage, die jetzt gegeben ist, werden die Arbeitermassen zur Einheit zurückgeführt. Es lebe die bayerische Republik! Es lebe der Frieden! Es lebe die schaffende Arbeit aller Werktätigen!

München, Landtag, in der Nacht zum 8. November 1918. Der Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern: Der erste Vorsitzende: Kurt Eisner.

9. November 1918 Berlin * Während der designierte Reichskanzler und Vorsitzende der Mehrheitssozialdemokraten,Friedrich Ebert, noch mit den Unabhängigen verhandelt, ruft Philipp Scheidemann gegen 14 Uhr vom Balkon des Reichstagsgebäudes unter brausendem Beifall die "Deutsche Republik" aus:

"Das deutsche Volk hat auf der ganzen Linie gesiegt. Das alte Morsche ist zusammengebrochen; der Militarismus ist erledigt! Die Hohenzollern haben abgedankt! Es lebe die Deutsche Republik!"

9. November 1918 Berlin * Wenig später proklamiert der Linkssozialist Karl Liebknecht vom Balkon des Berliner Stadtschlosses die "Freie Sozialistische Republik Deutschland" nach dem Vorbild der russischen Brüder.

9. November 1918 München - Freistaat Bayern * Der Ausschuss der Vereinigten Verkehrsverbände ruft per Kreistelegramm und in Zeitungsannoncen seine Mitglieder zu einer Massenveranstaltung in den Münchner Bavariakeller an der Theresienwiese ein.

Die Einladung beginnt mit den Worten: "Die Stunde der Erlösung aus tiefster wirtschaftlicher Not ist auch für Euch angebrochen. Jetzt oder nie gilt es, Euch im Rahmen der jetzigen Regierungsgewalt die politische und soziale Machtstellung zu erkämpfen, auf die Ihr auf Grund Eurer Massen und Eurer für das deutsche Wirtschaftsleben ausschlaggebenden wichtigen Berufsarbeit Anspruch habt".

9. November 1918 Braunschweig - Gmunden * Ex-Herzog Ernst-August verlässt Braunschweig zusammen mit seiner Familie nach Gmunden ins österreichische Exil.

10. November 1918 Schleißheim * Der blinde Bauernführer Ludwig Gandorfer wird von Kurt Eisner beauftragt nach Niederbayern zu fahren, um die Ablieferung und den Transport der Lebensmittel nach München zu organisieren. Die Fahrt wird in einem vom Soldatenrat beschlagnahmten Auto erfolgen. Es ist der Fiat des Prinzen Joachim Albrecht von

Seite 556/814 Preußen, ein Verwandter Kaiser Wilhelms II..

In der Nähe von Schleißheim kommt das mit sieben Personen besetzte Fahrzeug in einer Kurve von der Straße ab, prallt gegen einen Baum und stürzt die Böschung hinab. Ludwig Gandorfer, der mit zwei Begleitern auf der Rückbank sitzt, wird aus dem Automobil geschleudert und stirbt am Unfallort an einem Schädelbruch.

Der Unfall wird in der Bevölkerung als rätselhaft empfunden: Da ist

die Streckenführung nach Niederbayern vom Landtag über Schleißheim, das Unfallauto verschwindet spurlos und taucht nie mehr auf, weder das Unfallprotokoll noch die Aussagen der Überlebenden sind auffindbar. Es gibt Gerüchte, wonach die Leichenfrau auf Gandorfers Stirn einen Einschuss gesehen haben will.

Sein Nachfolger als Vorsitzender des Bayerischen Bauernbundes - BBB wird sein Bruder Karl Gandorfer.

10. November 1918 München * Der Gauleiter des Fabrikarbeiterverbandes Nürnberg, Josef Staimer, wird an Stelle des PolizeipräsidentenRudolf vonBeckh mit der Führung der Münchner Polizei beauftragt.

10. November 1918 Lille - München-Kreuzviertel * Ex-Kronprinz Rupprecht legt in einem forschem Telegramm bei der bayerischen Regierung

"Verwahrung ein gegen die politische Umwälzung, die ohne Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalten und der Gesamtheit der bayerischen Staatsbürger in Heer und Heimat von einer Minderheit ins Werk gesetzt wurde. Das bayerische Volk und das seit Hunderten von Jahren mit ihm verbundene Fürstenhaus haben das Recht zu verlangen, dass über die Staatsform durch eine verfassungsgebende Nationalversammlung entschieden wird, die aus freien und allgemeinen Wahlen hervor geht. Dass den heimkehrenden Soldaten die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Stimme abzugeben, ist eine selbstverständliche Forderung. Die bayerischen Soldaten werden dann im Einvernehmen mit den bayerischen Staatsbürgern in der Heimat zu entscheiden haben, wie sie sich zur Frage weiterer Zusammenarbeit mit ihrem Fürstenhause stellen wollen."

Der Ministerrat des Volksstaates Bayern ignoriert diese papierene Ermahnung übrigens vollkommen zu Recht. Hier spielt der Monarch von Gottes Gnaden plötzlich den Vorbild-Demokraten.

Denn dass sich Rupprecht auf eine noch ausstehende Entscheidung der frei gewählten Vertretung des souveränen Volkes beruft, ist frech. Bis dahin hätte schließlich die Dynastie Wittelsbach nicht im Traum daran gedacht, die Staatsform zum Gegenstand der Entscheidung einer Volksvertretung zu machen.

10. November 1918 München-Kreuzviertel * Erzbischof Michael von Faulhaber notiert in sein Tagebuch: "Schon am dritten Tag ist die

Seite 557/814 Stimmung mehr Katzenjammer als Rausch. In den Trambahnen schimpfen sie bereits, wie mir von Ohrenzeugen versichert wird, ebenso über die neue Regierung wie vor acht Tagen über die alte. [?]

Man hört, in der ersten Nacht in Geheimsitzung habe Eisner gefordert, sofort mit aller Schärfe gegen die Pfaffen, Auer aber habe sehr energisch gesprochen, jetzt alles beim Alten zu lassen (und besonders von den Feldgeistlichen gesprochen. [?]

Ich sage es heute wiederholt [?]: Es sei ja gar nicht damit zu rechnen, dass eine Gegenrevolution komme, die nicht mehr das Königshaus zurück brächte, sondern nur eine größere Verwirrung stifte, und namentlich noch viel Blut koste. Jetzt muss alles zusammen helfen, um Ruhe und Ordnung zu halten."

10. November 1918 Lille - Brüssel * Kronprinz Rupprecht legt seine Armee-Kommandos nieder und begibt sich nach Brüssel. Dort eilt er sich in die Spanische Botschaftund ersucht um Asyl.

12. November 1918 München * Das Staatsministerium der Justizgibt den Wegfall der Formel "Im Namen Seiner Majestät des Königs", sowie die Bezeichnung "Königlich" auf sämtlichen Formblättern, Papieren, Briefumschlägen, Siegeln und Stempeln bekannt.

12. November 1918 München * In einem Hirtenbriefan die Landgemeinden vertritt der Münchner Erzbischof Michael von Faulhaber folgende Auffassung:

"Ohne unsere Grundsätze zu verleugnen, ohne ein politisches Neubekenntnis abzulegen, fühlen wir uns doch im Gewissen verpflichtet, auf dem Boden der gegebenen Tatsachen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und an der Sicherstellung der Volksernährung mitzuarbeiten, um noch größere Übel von unserem Volke fernzuhalten."

Um den 12. November 1918 Augsburg * Ernst August III. Herzog zu Braunschweig und Lüneburg und Prinz von Hannover hat es nach seiner Abdankung am 8. November 1918 mit seiner Familie nach Augsburg verschlagen. Er lebt in materieller Not in einem Hinterhof.

Da er als Ortsfremder keine Lebensmittelkarten erhält, bekommt er auf seine vorsichtige Anfrage vom Arbeiter- und Soldatenrat die Auskunft, dass er sich wie jeder andere Bürger bei der Behörde anmelden und seine Lebensmittelkarte persönlich abholen kann.

Herzog Ernst August III. spricht daraufhin persönlich beim Vorsitzenden des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrats, Ernst Niekisch, vor: "Er zitterte am ganzen Körper, im buchstäblichen Sinn des Wortes klapperte er mit den Zähnen. Ich beruhigte ihn, niemand wolle ihm oder seiner Familie etwas zuleide tun. Ich händigte ihm die Lebensmittelkarten aus."

12. November 1918

Seite 558/814 Brüssel - Amsterdam * In der Nacht zum 13. November flieht Kronprinz Rupprecht mit dem Auto des spanischen Gesandten nach Amsterdam, wo er bei einem Schweizer Arzt für einige Wochen unterkommt.

13. November 1918 Anif * König Ludwig III. dankt mit den Worten ab:

Zeit meines Lebens habe ich mit dem Volk für das Volk gearbeitet. Die Sorge für das Wohl meines geliebten Bayerns war stets mein höchstes Streben. Nachdem ich infolge der Ereignisse der letzten Tage nicht mehr in der Lage bin, die Regierung weiterzuführen, stelle ich allen Beamten, Offizieren und Soldaten die Weiterarbeit unter den gegebenen Verhältnissen frei und entbinde sie des mir geleisteten Treueeides.

Anif den 13. November 1918. Ludwig.

Das ist zwar nicht die vom Ministerrat des Volksstaates Bayern gewünschte "bedingungslose Abdankung". Dennoch wird von Ludwig III.

weder der Anspruch seines Hauses auf die Krone aufrecht erhalten, noch die Beibehaltung der monarchischen Staatsform reklamiert.

13. November 1918 Moskau * Die Sowjetregierung annulliert den Friedensvertrag von Brest-Litowskvom 3. März 1918.

13. November 1918 München * Unter dem Vorsitz des Nationalökonomen Lujo Brentanowird ein Rat geistiger Arbeiter gegründet. Diesem gehören Künstler, Lehrer, Wissenschaftler, Ärzte und Juristen an.

In einem am nächsten Tag veröffentlichten Aufruf heißt es: "Der Volksstaat kann der Mitwirkung der geistigen Arbeiter nicht entbehren. Ihr Zusammenschluß ist daher dringend notwendig. Um ihn herbeizuführen, hat sich heute ein Rat geistiger Arbeiter gebildet. Unser Ziel ist: zum Wohle des ganzen Volkes den Einfluß der geistigen Arbeit geltend zu machen und in diesem Rahmen deren Daseinsbedingung zu sichern."

14. November 1918 München * Der am ersten Revolutionstag (7. November) in München entstandene Zentralarbeiterrat hat sich aus dem im Mathäserbräu gewählten Arbeiterrat entwickelt. Er ist gleichbedeutend mit dem Revolutionären Arbeiterrat, der umgehend die Organisation von Betriebsräten in München ergreift.

Die Münchner Betriebsräte gaben sich eine Geschäftsordnung und wählten ihren eigenen Münchner Arbeiterrat. Dieser wird von Gewerkschaftsführern geleitet. Er beansprucht für sich die legitime Vertretung des Münchner Proletariats zu sein.

An diesem 14. November zwingt der Münchner Arbeiterrat den Revolutionären Arbeiterrat zur Annahme der nachstehenden Forderungen:

Seite 559/814 Die Mitgliederzahl des Revolutionären Arbeiterrats ist auf fünfzig zu beschränken. Der Revolutionäre Arbeiterrat wird sich mit den 550 Vertretern des Münchner Arbeiterrats zusammenschließen. Diese vereinigte Körperschaft wird dann einen neuen Zentralarbeiterrat wählen; von dessen fünfzig Mitgliedern darf der Revolutionäre Arbeiterrat zehn bestimmen.

Innerhalb der Arbeiterräte in München bilden die Revolutionäre nunmehr eine Minderheit.

14. November 1918 München * Anhänger Kurt Eisners gründen den Politischen Rat geistiger Arbeiter. Vorsitzender wird der Schriftsteller Heinrich Mann.

Der Politische Rat geistiger Arbeiter wird als Gegenstück zum Rat geistiger Arbeiter gebildet. Dessen Vorsitzender Lujo Brentano war Eisner gegenüber sehr kritisch eingestellt und hatte diesen - noch vor der Revolution - in einem Presseartikel wegen "Verunglimpfung der deutschen Wissenschaft" massiv angegriffen.

15. November 1918 München * In seinem Programm der Bayerischen Republik bringt Ministerpräsident Kurt Eisner seine Position zur Sozialisierung zum Ausdruck: "Man kann nicht sozialisieren, wenn kaum etwas da ist, was zu sozialisieren ist". Seine Hauptsorge ist die Wiederherstellung der Ordnung und die Gewinnung des Vertrauens seiner Regierung.

15. November 1918 München-Kreuzviertel * Ministerpräsident Kurt Eisner sieht in den Räten die Grundlage für sein Konzept einer neuen Demokratie. In seiner Regierungserklärung erklärt er, dass die Demokratisierung des öffentlichen Geistes wie der öffentlichen Einrichtung noch vor der Einberufung einer konstituierenden Nationalversammlung erreicht werden soll.

Kurt Eisner will die Demokratisierung über eine Art Nebenparlament herbei führen, mit dem er auch bürgerliche Kreise zur Mitwirkung am Aufbau des neuen Staates gewinnen wollte. Dieses Nebenparlament sollte ihre Interessen sowohl gegenüber dem provisorischen Zentralparlament als auch gegenüber der Regierung einbringen können.

"Ich habe vom ersten Tag der Revolution an in dem System der Räte die große Schule der Demokratie und des Sozialismus gesehen und glaube nicht, dass wir in Deutschland weiterkommen können, wenn wir nicht dieses System der Räte entwickeln [?] und dadurch das Volk mündig machen zur Entscheidung über sein Schicksal.

Nicht die Politik des Wahlzettels tut es allein. [?] Das hindert nicht, dass auch die Politik des Wahlzettels notwendig ist, aber das Rätesystem [?] soll den Wähler lesen, denken und entscheiden lehren, nicht in acht Tagen vor der Wahl, sondern tagaus, tagein."

15. November 1918 München - Vatikan * Nuntius Eugenio Pacelli verfasst zwei von drei analytisch-zusammenfassende Berichte an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri. Die Ursache der Revolution sieht Pacelli in

Seite 560/814 der militärischen Lage mit dem Kriegseintritt der USA, dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn, die Kampfmüdigkeit der deutschen Soldaten, sodass die als unüberwindlich geltende Hindenburg-Linie ins Wanken geriet, und dass die Generäle die päpstliche Friedensvermittlung vom 1. August 1917 zurückgewiesen haben, die Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg befürwortet hatte.

Über Ministerpräsident Kurt Eisner äußert sich Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII, folgendermaßen: Eisner ist "Atheist, Radikalsozialist, unversöhnlicher Propagandist, Busenfreund russischer Nihilisten und noch dazu galizischer Jude. [?] Unmittelbar nach den Ereignissen hat sich das bayerische Diplomatische Corps in der Nuntiatur zusammengefunden und beschlossen, jegliche Anerkennung der neuen Regierung zu vermeiden."

15. November 1918 München-Kreuzviertel * Kurt Eisner hält vor dem Provisorischen Nationalratseine erste Regierungserklärung, in der er darstellt,

dass noch niemals eine Regierung in schwierigeren Zeiten ihr Amt übernommen hat, dass wir verhängnisvoll belastet sind mit einem fluchwürdigen Erbe, das mit dem Zusammenbruch des verfallenen Systems nicht zugleich ausgetilgt ist.

15. November 1918 München-Bogenhausen * Thomas Mann notiert in sein Tagebuch das Missfallen über seinen Bruder Heinrich, der kurz zuvor zum Vorsitzenden des Politischen Rates geistiger Arbeit gewählt worden war:

"Heut im Morgenblatt Kundgebungen zweier verschiedener ?Räte der geistigen Arbeiter?, die eine, sehr vorläufig und allgemein gehalten, von einer Gruppe um Brentano, die andere, empörend hochnäsig, fanatisch-politisch und ketzerrichterisch, von einer Gruppe um Heinrich und - [dem Münchner Journalisten] Friedenthal. Die Publikation regte mich sehr auf [?]. Würdelosigkeit und selbstverräterisches Elend im ganzen Lande."

16. November 1918 München * Die Deutsche Volkspartei - DVP in Bayern wird gegründet. Die Partei bekennt sich zur Republik und versteht sich ausdrücklich als bürgerlich. Der linksliberale Flügel ist in der Partei dominierend. Der Münchner Arzt Dr. Georg Hohmann wird zum Vorsitzenden gewählt.

Die DVP in Bayern entspricht der Deutschen Demokratischen Partei - DDP im übrigen Reichsgebiet. 1920 wird die DVP in Bayern deren Namen übernehmen.

Um den 16. November 1918 Kassel - Berlin * Oberst Hans von Haeften unterbreitet in der Berliner Reichskanzlei dem Ministerialdirektor

Seite 561/814 Walter Simons die Vorschläge der Obersten Heeresleitung - OHL zur Niederschlagung der Revolution. Haeften soll vorfühlen, ob mit Reichskanzler Friedrich Ebert eine Gegenrevolutiondurchführbar wäre.

16. November 1918 Strelitz * Da Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin seit dem 27. Februar 1918 auch die Regierungsgewalt im Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz als Reichsverweser ausübt, wird dieses Land nach seinem Rückritt zur Republik.

17. November 1918 München-Graggenau * Im Nationaltheater wird eine Revolutionsfeier abgehalten."Keine festliche Auffahrt, keine rauschenden Toiletten, keine blinkenden Ordenssterne und Diademe. Die Karten waren durch das Los verteilt worden, so dass das äußerliche Bild ganz anders war als bei den Festaufführungen der Vergangenheit."

Kurt Eisner spricht erstmals seit der Revolution wieder in der Öffentlichkeit. Zum Abschluss singen die Zuhörer Kurt Eisners "Hymne an die Revolution" und bringen danach Hochrufe auf die "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, auf Eisner und die soziale Republik" aus.

Kurt Eisner ist mit einem schwarzen Gehrock gekleidet. Seine Haare sind ordentlich geschnitten und frisiert. Er spricht von der Revolution wie von einer heiligen Reliquie. Für ihn war es die Revolution, die "die Idee, das Ideal und die Wirklichkeit vereint. "Da wir eine neue Form der Demokratie suchen", müssen die Fehler und die Schuld der Vergangenheit zugegeben werden. "Vergessen wir, was war, und vertrauen wir dem, was wird."

17. November 1918 Frankfurt am Main * Die Deutsche Friedensgesellschaft feiert gemeinsam mit dem Deutschen Frauenausschuss und den Frankfurter MSPD-Frauen in der Frankfurter Paulskirche die Revolution als "Aufbruch in die Freiheit und zur sozialen Gerechtigkeit".

18. November 1918 München * Josef Hofmiller schreibt in sein Tagebuch über das "alte Regime?:

"Es war kernfaul und fiel, weil es fallen musste. Es wurde nicht gestürzt, sondern über Nacht umgeblasen. Es hatte jede Herrschaft über die Seelen verloren. Sobald man aufhörte es zu fürchten, war es erledigt. Wie heißt?s doch bei Goethe? ?Wären?s Könige gewesen, sie stünden noch alle Unversehrt!??

18. November 1918 Berlin * Der linke Flügel der USPD will die Sozialisierung der Betriebe. Hugo Haase bringt im Kabinett den Antrag ein, dass Betriebe, die reif für die Sozialisierung sind, sofort sozialisiert werden müssen.

18. November 1918 Berlin * Der Rat der Volksbeauftragtenlehnt in Berlin die Annullierung des Friedensvertrags von Brest-Litowskdurch die Sowjet-Regierung ab.

Seite 562/814 18. November 1918 Schloss Anif - Schloss Wildenwart * Da es im Schloss Anif bei Salzburg, dem neogotischen Wasserschloss des Grafen Ernst von Moy, nicht ausreichend zu Essen gibt, kehrt das Ex-Königspaar bald zurück nach Schloss Wildenwart. Am 18. November sind sie wieder alle vereint.

18. November 1918 München-Kreuzviertel * Michael von Faulhaber schreibt an den bayerischen Episkopat, womit die Gesamtheit der bayerischen Bischöfe gemeint ist, die Anregung für einen gemeinsamen Hirtenbrief.

In dem Schreiben gibt er zu bedenken, "daß ein gemeinsames Hirtenschreiben in dieser Stunde unserem Volk die Dankesschuld gegen das Haus Wittelsbach und König Ludwig III. in offener Sprache ohne Entschuldigung bei der neuen Regierung kundgeben [...] müßte. [...] Der gestrige Thronverzicht war ein unverantwortlicher Mißgriff der alten Regierung."

Ohne dies klar zu äußern, fordert der Münchner Bischofseinen Klerus zum Inneren Widerstandgegen die neue Staatsform auf.Und als ihm immer klarer wird, dass er mit seinen Überzeugungen nicht die allgemeine Meinung vertritt, verlegt er sich zum offenen Kampf mit der Regierung des Freistaats Bayern, ohne seine eigenen ultrakonservativen Anschauungen infrage zu stellen.

19. November 1918 München-Kreuzviertel * Die Frage der Entschädigung für zu entlassende Beschäftigte in der Rüstungsindustrie wird im Kabinett besprochen.

Das Waffenstillstandsabkommen sieht die Einstellung der Rüstungsproduktion vor. Doch Munitionsfabriken und Werke für Metallerzeugnisse bilden in Bayern die während der Kriegszeit aufgebauten Hauptindustrien. Eine Umstellung auf Friedensproduktion verlangt in den Fabriken neue Maschinen und die Umschulung der Arbeiter.

19. November 1918 München * Die ersten 5.000.000 Mark Münchner Notgeldwerden in Umlauf gebracht.

20. November 1918 München - Vatikan * Der päpstliche Nuntius Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII.,berichtet in seinem dritten analytisch-zusammenfassenden Bericht ausführlich an den Kardinalsstaatssekretär Pietro Gasparri zurDeutung und Auswirkung der Revolution nach Rom. In diesem Brief begründet Nuntius Pacelli auch, warum er den Kontakt zur neuen bayerischen Regierung unter Kurt Eisner ablehnt:

Die Entscheidung zum Kulturkampf statt zum pragmatischen Kompromiss. Das Entgegenkommen der neuen Regierung ist nur taktisch bis zur nächsten Wahl, danach beginnt die offene Kirchenfeindschaft. Ein diplomatischer Kontakt wird die Katholiken nur verwirren und demobilisieren, anstatt sie auf den Gegner einzuschwören. Die Regierung Eisner besteht aus Juden, Atheisten und Protestanten, alles Sozialisten. Mit solchen Leuten sind keine anständigen Beziehungen möglich.

Seite 563/814 Eisner ist ein ostgalizischer Jude, der wegen politischer Verbrechen mehrfach bereits eingesperrt war.

21. November 1918 München * In einem seiner vielen Briefe und Telegramme an die Behörden und Bezirksämter schreibt Innenminister Erhard Auer unter dem Betreff: Befugnisse der Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräte folgende Zeilen:

"Den Soldaten-, Arbeiter- und Bauernräten steht keinerlei Vollzugsgewalt zu. Sie haben daher jeden Eingriff in die staatliche und gemeindliche Verwaltungstätigkeit zu vermeiden. Der Vollzug der Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften wird grundsätzlich nach wie vor von den seitherigen Stellen und Behörden wahrgenommen."

21. November 1918 München - Berlin * In einem Telegramm fordert Kurt Eisner den bayerischen Gesandten in Berlin, Dr. Friedrich Muckle, auf, von der Reichsregierung die sofortige Veröffentlichung der Urkunden über den Ursprung des Krieges zu verlangen. Außerdem erhebt der bayerische Ministerpräsident Anspruch auf Beteiligung Bayerns in der Waffenstillstands-Kommission.

Kurt Eisner ist bestrebt, den Alliierten den Beweis zu erbringen, dass mit der deutschen Revolution nicht nur die alten Herrschaftsträger beseitigt wurden, sondern dass auch ein politischer Umdenkungsprozess eingesetzt hat.

23. November 1918 München * Die Zeitschrift Die neue Zeit * Volkstümliche, parteilose Wochenschrift für Freiheit und Recht! erscheint erstmals. Ihr Herausgeber ist Wilhelm Craemer.

Die erste Ausgabe trägt die Überschrift "Könige auf der Flucht!". Der Artikel beginnt so: "Den Krieg haben wir verloren, - und das ist traurig! Geld und Gut werden wir verlieren, - das ist tiefbetrübend! Und die Könige haben wir auch verloren! - Gott sei Dank! Dreimal Dank!

Hei! Wie sind sie gelaufen, als die rote Fahne sich entfaltete, gelaufen wie die Spitzbuben sind sie, jene Machthaber, die kalten Blutes Millionen von Menschen dem Hungertode nahe gebracht, die Millionen von Existenzen ruiniert haben!"

23. November 1918 Bremen * Schon während des Krieges ist Bremen eine Hochburg der Linksradikalen. An diesem 23. November benennen sie sich als Internationale Kommunisten Deutschlands.

24. November 1918 Schloss Wildenwart * Ex-König Ludwig III. schreibt an seine Schwester Therese: Wir sind "der Übermacht unterlegen in Folge von Fehlern der Obersten Heeresleitung und der mangelnden Führung der äußeren Politik der Reichsleitung.Wir in Bayern müssen die Folgen mittragen, obwohl wir wahrlich nicht das Geringste dafür können. Die Revolution vom 7. November war zum mindesten sehr überflüssig, da es ein freieres Volk als das bayerische nicht gegeben hat."

Sein eigenes Versagen als höchster Repräsentant des Königreichs Bayern schiebt er auf die Regierung, die nach

Seite 564/814 seiner Auffassung "keinen Schuss Pulver wert" gewesen sei. Die Regierung hat ihn "schmählich im Stich gelassen". Und weil er schon mal ein Feindbild hat, schimpft er weiter über "die Hunde, mit der Gesellschaft habe ich gebrochen, von den Kerlen kommt mir keiner mehr, wenn ich zurück komme".

24. November 1918 Berlin * Vier Dokumente, die nach Kurt Eisners Meinung die deutsche Schuld am Kriegsausbruch beweisen, werden im Berliner Tageblatt veröffentlicht.

25. November 1918 Nürnberg * Der Chefredakteur der Fränkischen Tagespost, Adolf Braun, er ist ganz bestimmt kein Revoluzzer, schreibt:

"Der Stamm der alten Macht darf nicht nur gefällt werden, er muss entwurzelt sein. So ergibt sich die Diktatur des Proletariats nach dem revolutionären Sieg der Arbeiterklasse als eine Notwendigkeit, so vieles auch gegen die Diktatur vom Standpunkt der Demokratie aus eingewandt werden kann. Die Diktatur des Proletariats ist nicht Zweck, sie ist Mittel zur Erhaltung und Sicherung der Revolution."

25. November 1918 Berlin * Auf der Ministerpräsidenten-Konferenz in Berlin wird der bayerische Ministerpräsident von nahezu allen Seiten wegen seiner Kriegsschuld-Veröffentlichungen und dem daraus resultierenden eigenmächtigem Handeln massiv angegriffen.

Kurt Eisner verlangt daraufhin von Reichskanzler Friedrich Ebert die Entlassung des Leiters des Auswärtigen Amtes, Wilhelm Solf und den Vorsitzenden der Waffenstillstands-Kommission Matthias Erzberger. Die Genannten rechnet Eisner aufgrund ihres Verhaltens und ihrer Äußerungen dem alten kriegsverherrlichenden und militaristischen System zu. Sie sollen durch unbescholtene USPD- und SPD-Politiker ersetzt werden.

Eisners konstruktive Begründung lautet: "Deutschland braucht ein provisorisches Präsidium, das an die Stelle des halb aufgelösten Bundesrats zu treten hat und aus neuen, unbelasteten Männern bestehen muss. Dieses Präsidium muss die Aufgabe haben, alle Verhandlungen mit der Entente zu führen."

Der bayerische Ministerpräsident möchte,

dass die neue deutsche internationale Politik von Personen präsentiert wird, die auch das neue deutsche politische System verkörpern und dass die Friedensgespräche nicht alleine von der Reichsregierung, sondern unter maßgeblicher Beteiligung der Länder geführt werden.

25. November 1918 Berlin * Unmittelbar vor der Ministerpräsidenten-Konferenz trifft sich Kurt Eisner mit dem Führer des Spartakusbundes, Karl Liebknecht, in Berlin, um ihn zur Unterstützung seiner Friedensinitiative gegenüber den Alliierten zu überzeugen.

Seite 565/814 Liebknecht lehnt das Ansinnen ab, da er weder im Inland noch im Ausland mit Kapitalisten verhandeln will. Für die Spartakisten kommt die Einführung des Sozialismus erst dann in Frage, wenn alle Strukturen des ehemaligen Obrigkeitsstaates restlos zerstört sind.

25. November 1918 München - Berlin * Noch in der Nacht sendet Ministerpräsident Kurt Eisner ein Telegramm an den bayerischen Gesandten in Berlin, Dr. Friedrich Muckle, in dem er den Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Auswärtigen Amt bekannt gibt:

"Die neuerlichen Versuche, die alten Methoden des Auswärtigen Amtes fortzusetzen und das deutsche Volk erneut um die Erkenntnis der Wahrheit zu betrügen, veranlassen das Ministerium des Äußern des Volksstaates Bayern, jeden Verkehr mit den gegenwärtigen Vertretern des Auswärtigen Amtes abzulehnen."

26. November 1918 München * Die bis Ende Januar andauernde Rückkehr der Truppen von der Front machen München zu einem großen Entlassungszentrum. Gleichzeitig wird es Anziehungspunkt für jene Ausgemusterten, die ohne Arbeit oder ohne Ziele sind.

Die städtischen Behörden beginnen - davon ausgehend, dass es sich um eine vorübergehende Erscheinung handle, - in Schulgebäuden, Hotels und Bräus Notunterkünfte einzurichten. Auch in großen Privatwohnungen werden Zwangseinquartierungen vorgenommen.

26. November 1918 Berlin - München * Ein Beauftragter des Berliner Vollzugsrats beim Demobilisierungsamt schreibt an den Münchner Arbeiter- und Soldatenrat: "Verlangt nicht um jeden Preis die sofortige Einstellung der Kriegsfabrikation. Ihr macht damit unzählige Kameraden brotlos."

26. November 1918 München * Um 23:30 Uhr trifft das Infanterie-Leibregimentaus Serbien in München ein. Die über 450 rückkehrenden Soldaten werden von einer ungeheueren Menschenmenge jubelnd begrüßt.

26. November 1918 Berlin - München * Das Auswärtige Amtin Berlin protestiert gegen die Veröffentlichungen von Kurt Eisner zur Kriegsschuldfrage.

Dr. Friedrich Wilhelm Muckle, der Bayerische Gesandte in Berlin, droht daraufhin dem Auswärtigen Amtmit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die Bayerische Regierung.

28. November 1918 Amirong * Kaiser Wilhelm II. unterzeichnet seine Abdankungsurkunde.

"Ich verzichte hierdurch für alle Zukunft auf die Rechte an der Krone Preußens und die damit verbundenen Rechte an der deutschen Kaiserkrone. Zugleich entbinde ich alle Beamten des Deutschen Reiches und

Seite 566/814 Preußens, sowie alle Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Marine, des preußischen Heeres und der Truppen der Bundeskontingente des Treueeides, den sie mir als ihrem Kaiser, König und obersten Befehlshaber geleistet haben.

Ich erwarte von ihnen, dass sie bis zur Neuordnung des Deutschen Reiches den Inhabern der tatsächlichen Gewalt in Deutschland helfen, das deutsche Volk gegen die drohenden Gefahren der Anarchie, der Hungersnot und der Fremdherrschaft zu schützen. Urkundlich unter unser höchst eigenhändigen Unterschrift und beigedrücktem kaiserlichen Insiegel. Gegeben Amirong, den 28. November 1918. gez. Wilhelm"

28. November 1918 München * Ministerpräsident Kurt Eisner betont in der Versammlung der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte, dass "die Grundlage der politischen Macht bis zur endgültigen Nationalversammlung außer in der Regierung in denArbeiter-, Soldaten- und Bauernräten"besteht.

Die anderen Bevölkerungskreise werden aufgrund ihrer fachlichen und sachlichen Voraussetzungen zwar gebraucht, aber politische Macht soll ihnen nicht eingeräumt werden. Das bedeutet, dass Eisner das Bürgertum - bis zur Neuwahl der Nationalversammlung - von der Mitbestimmung in der Politik ausschließen will.

28. November 1918 München * In der Versammlung der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte erklärt Kurt Eisner seine Einstellung zur Hegemonie [= Vorherrschaft] Preußens, zur Selbstständigkeit der Länder und zum Föderalismus:

"In Berlin ist das Verbrechen ausgekocht worden, und deshalb der Hass gegen Berlin, und ich, der ich dringend wünsche, dass die Zersetzung Deutschlands nicht zu einer endgültigen Auflösung Deutschlands führe, sondern dass dass wir zusammen bleiben, ich bin der festen Überzeugung, dass zunächst einmal die Einzelstaaten sich ihrer eigenen Haut wehren müssen, so lange, bis wir wieder zusammen aktionsfähig werden."

29. November 1918 München * Auf der Kabinettssitzung wird über die Verletzung der Abrüstungsbestimmungen des Waffenstillstandsabkommens beraten. Dabei stellt sich heraus, dass die Stilllegung der Munitionsindustrie in München 8.000 Arbeiter erwerbslos machen würde.

Es wird nichts unternommen, die Produktion wird noch bis Mitte Januar 1919 fortgesetzt. Die Räte protestieren nicht. Für Kurt Eisner ist es ein bedrückendes und moralisches Dilemma, denn es ist nicht nur ein Verstoß gegen das Waffenstillstandsabkommen, sondern auch eine stillschweigende Verleugnung eines Ziels der Revolution.

29. November 1918 München * Aufgrund der Kohlennot wird die Gasverbrauchsmenge gekürzt. Die Straßenbeleuchtung wird statt wie bisher um 0:30 Uhr um 21 Uhr abgeschaltet.

29. November 1918 München * Unter der Überschrift Zur Kenntnisnahmeveröffentlicht der Ministerpräsident des Volksstaates Bayern: Kurt Eisnernachstehende Erklärung:

Seite 567/814 "Man bemüht sich von allen Seiten mich aufmerksam zu machen auf die albernen Artikel, die eine gewisse Presse gegen meine Person richtet. Ich erfahre daraus allerlei interessante Bereicherungen meiner Biographie. Man erweist mir darin auch die Ehre, mich mit einem Familien- und Erwerbssinn zu begaben, der mir nur in geringstem Maße bisher beschieden war. Schon habe ich meinen gesamten Familienanhang in gut bezahlten Stellungen untergebracht. Besorgte Leute verlangen von mir, daß ich gegen solche Äußerungen, die jedoch nur eine Fäulniserscheinung des zusammengebrochenen Systems sind, einzuschreiten.Ich wiederhole, daß die Presse in voller Freiheit soviel Dummes und Kluges, soviel Anständiges und Schmutziges produzieren soll, wie es ihrem geistigen und moralischen Vermögen entspricht. Ich habe in den 4 ½Kriegsjahren soviel Verachtung gegen diese Presse aufgehäuft, daß sie genügt, um mich für den Rest meines Lebens gegen jede Neigung zu festigen, auch nur polemisch mich mit ihr zu befassen."

29. November 1918 München * Das II. Bataillonmit 846 Offizieren und Mannschaften ziehen durch das geschmückte Karlstor zum Bürgerbräukeller.

30. November 1918 München * Der Kreis um Erich Mühsam gründet die Vereinigung Revolutionärer Internationalisten - VRI. Sein Ziel ist, die Revolution siegreich zu Ende zu führen - auch gegen den Widerstand des zu wählenden Parlaments.

Erich Mühsam lehnt zudem die stark zentralistisch geprägten Positionen des am 11. November 1918 in Berlin ins Leben gerufenen Spartakusbundes strikt ab. Dennoch gehören viele VRI-Mitglieder zur später gegründeten Kommunistischen Partei Deutschlands - KPD. In einem Flugblatt fassen sie ihre Ziele zusammen:

"Revolutionäre, internationalistisch gesinnte, kommunistische Arbeiter und Soldaten! Männer und Frauen! Nicht alle Volksgenossen sind mit dem bisherigen Verlauf der Revolution einverstanden. [...] Wir verlangen die Verwirklichung des Sozialismus als Krönung der gegenwärtigen Volksbewegung. [?] Wir blicken nicht auf den Weg, sonders aufs Ziel. Das Mittel der Revolution heißt Revolution. Das ist nicht Mord und Totschlag, sondern Aufbau und Verwirklichung".

Geschäftsstelle ihrer neuen Vereinigung wird das Wirtshaus Braunauer Hof in der Frauenstraße. Erich Mühsam bezeichnet die Stunden hier als die "eigentlich beste Zeit der Revolution".

Seit 1. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * Die Revolutionsregierung nutzt das Deutsche Theaterbis zum 21. Februar 1919 als Sitz des Parlaments des Volksrates.

4. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * Im Mathäserbräu wird die Demokratisch-sozialistische Bürgerpartei München gegründet.

Seite 568/814 5. Dezember 1918 München-Ludwigvorstadt * In einer öffentlichen Versammlung im Wagnersaal hält der Soziologe und Gründungsmitglied der links-liberalen Deutschen Demokratischen Partei - DDP, Max Weber, eine Rede zugunsten der baldigen Wahl zur Nationalversammlung. Er wird aus der Versammlung heraus mehrmals unterbrochen, bis Weber seine Rede abbrechen muss.

6. Dezember 1918 Berlin * Die Spartakusgruppe hat für den 6. Dezember drei Versammlungen mit anschließenden Demonstrationen beim Polizeipräsidium angemeldet. Die Protestveranstaltungen werden mit der Auflage genehmigt, dass keine Waffen mitgeführt werden. Die drei Versammlungen finden am späten Nachmittag in den Germania-, Sophien- und Andreas-Sälen statt. Die Redner üben harsche Kritik an der Regierung und protestieren gegen die Einberufung einer Nationalversammlung.

Während der Versammlungen verbreitet sich die Nachricht von der mutmaßlichen Verhaftung des Vollzugsrats und von Friedrich Eberts Ausrufung zum Präsidenten. Entsprechend erregt beginnen gegen 16:30 Uhr die Demonstrationen.

6. Dezember 1918 München-Graggenau * Der Privatmobiliarbesitzder königlichen Familie wird mit Möbelwägen aus der Residenz gebracht.

6. Dezember 1918 München * Im Schwabingerbräu, Mathäserbräuund im Odeonwerden Versammlungen für Soldaten abgehalten. Die Versammlungsteilnehmer demonstrieren im Anschluss gegen die Münchner Presse.

Die Räume der Münchner Neuesten Nachrichten, des Bayerischen Kuriers, der München-Augsburger Abendzeitungund der Münchner Zeitungwerden besetzt. Die Besetzer erlassen umfangreiche Zensurvorschriften, die beim Eintreffen der Republikanischen Schutztruppeund vor allen auf Kurt Eisners Zureden zurückgenommen werden. Die Demonstranten ziehen daraufhin zu InnenministerErhard Auer, um ihn wegen

seiner Haltung in den Januarstreiksund seines Eintretens für eine demokratische, nicht-sozialistische Republik

mit Gewalt zum Rücktritt von seinem Ministerposten zu zwingen.

7. Dezember 1918 München * Die Leser der stark konservativen Zeitung Bayerischer Kurier, die zugleich das Organ der Bayerischen Volkspartei - BVP darstellt, müssen lesen:

"Brüder! Die Soldaten und Arbeiter Münchens haben heute nacht die Zeitungen besetzt. Sie haben der schändlichen Hetzpresse, die das Volk durch 51 Monate belogen und betrogen hat und eine ungeheuere Blutschuld an diesem

Seite 569/814 Völkermord trägt, ihr Gift genommen.

Die Übernahme der Zeitungen geschah in größter Ruhe und Ordnung, und sie erscheinen von nun ab unter unserer Leitung. [?]Es lebe die internationale sozialistische Weltrepublik!

Die revolutionären Internationalisten Bayerns".

8. Dezember 1918 Kassel - Berlin * Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der Chef der Obersten Heeresleitung - OHL, fordert in einem Brief an den Reichskanzler Friedrich Ebert ultimativ

die Stärkung der Macht der Reichsleitung, die sofortige Einberufung der Nationalversammlung noch im Dezember, die Beseitigung der Soldatenräte, die Ausschaltung der Arbeiterräte sowie aller Revolutionsorgane mit Ausnahme der Reichsleitung. Das Vorgesetztenverhältnis und alle damit zusammenhängenden Bestimmungen sind "restlos" wiederherzustellen und die Soldatenräte aus der Truppe zu entfernen.

9. Dezember 1918 München * Vor den bayerischen Arbeiterrätenerklärt MinisterpräsidentKurt Eisner:

"Wir wollten die Revolution nicht erst machen in der Zeit des militärischen Zusammenbruchs, sondern im Gegenteil schon entfesseln, als Deutschland auf der Höhe seiner militärischen Macht stand. [?] Das war der Sinn des Streiks."

9. Dezember 1918 Kassel - Berlin * Generalquartiermeister Wilhelm Groener wirft Reichskanzler Friedrich Ebert in einem Brief vor, "dass nicht die Regierung und der Kriegsminister führen, sondern der Terror".

10. Dezember 1918 Berlin * Die Garde-Kavallerie-Schützen-Division und das Bundesbataillon ziehen durch das Brandenburger Tor in Berlin ein.

Sebastian Haffner schreibt später darüber: "Die Truppe hatte sofort nach Eberts Begrüßungsansprache begonnen, sich aufzulösen - spontan, disziplinwidrig, unaufhaltsam. [?] Der Krieg war zu Ende, alle waren froh, dass sie ihn lebend überstanden hatten, alle wollten nach Hause - und Weihnachten stand vor der Tür. Sie waren nicht mehr zu halten."

11. Dezember 1918 München-Ludwigvorstadt * Ministerpräsident Kurt Eisner erklärt in einer Versammlung im Wagnerbräu, "die Nationalversammlung ist eine vollzogene Tatsache. Wenn heute das Proletariat die Nationalversammlung

Seite 570/814 verhindert, so ist dies der Bankrott des Proletariats".

12. Dezember 1918 München * Die USPD hält ihre ersten zwei Wahlkampf-Versammlungenab.Kurt Eisner spricht im Mathäserbräu, Hans Unterleitner im Wagnersaal. Beide wollen den Kampf für den Sozialismusmit geistigen Waffen führen.

12. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * In einer Wahlkampfrede im Mathäserbräu bringt Kurt Eisner seine inzwischen in allen Passagen durchdachte Einstellung zu den Räten zum Ausdruck:

"Die Räte sollen die Schulen der Demokratie werden, daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und wirtschaftlicher Arbeit. Das ist der tiefste Sinn des Sozialismus: Selbstständigkeit der Gesamtheit.

Die ?Vertreter? der ?Masse? - sie mögen noch so tüchtig sein, noch so nützliche Arbeit leisten, aber das sind schon die Leute, die emporgekommen sind. In den Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräten, in der Stadt und auf dem Lande, da kann jeder lernen, politisch und wirtschaftlich tätig zu sein. Darum, Parteigenossen, stehe und falle ich mit diesem Gedanken, dass die demokratische Organisation der Massen selbst künftig die Grundlage aller Entwicklung sein muss. Dort wirkt Idealismus, dort ist freie öffentliche Tätigkeit möglich. Dort gibt es keine Führer und keine Angeführten, sondern dort lebt die Masse selbst."

12. Dezember 1918 München * In einer Wahlrede vor den Unabhängigen erklärt Kurt Eisner: "Die Revolution war ja schon geplant im Januar". Und weiter:

"Sozialismus ist nur ein Wort und Sozialismus, das Wort, erfüllt man mit Leben, indem man es verwirklicht; wie auch Demokratie nicht dekretiert werden kann von oben, wie die Freiheit nur in sich selbst und aus sich selbst reift. Ein Volk, das nicht frei ist, kann niemals die Freiheit gebrauchen lernen; erst wenn es frei ist, lernt es, frei zu sein. Nur so können wir sozialistische Politik treiben.

Der Sozialismus wirkt, indem er sich verwirklicht. Er birgt ein Fülle schwerster Probleme. Aber das Ziel ist klar: wir müssen die menschliche Knechtschaft beseitigen. Wir müssen die Güter der Erde allen zuteil werden lassen. Es darf nicht mehr sozial Unterdrückte in der künftigen Gesellschaft geben. Wie immer die Gliederung und der Aufbau in der zukünftigen Gesellschaft sich vollziehen wird, welche wirtschaftlichen Formen wir finden werden, der Mensch darf nicht das Opfer seiner Verhältnisse werden, sondern der Mensch muß Herr über seine Verhältnisse werden.

Der Mensch darf nicht mehr Sklave der Maschinen werden, sondern Herr über die Technik. Der Mensch darf nicht mehr Objekt des Profits werden, sondern jeder, der arbeitet, muß mitbestimmen können an der Gestaltung dieser Arbeit. Wir haben es immer abgelehnt, einen Zukunftsstaat auszumalen. Einen Zukunftsstaat prophezeit man nicht, sondern man schafft ihn."

13. Dezember 1918 Berlin * Der Rat der Volksbeauftragten nimmt das Rücktrittsgesuch des Leiters des Auswärtigen Amtes, Wilhelm Solf, an. Als sein Nachfolger wird Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau berufen, der aber von Kurt Eisner ebenso "ungünstig" beurteilt wird wie Solf.

Seite 571/814 17. Dezember 1918 München * Die Regierung erlässt Bestimmungen über Organisation und Befugnisse der Arbeiterräte. Sie lösen die Vorläufigen Richtlinien für die Arbeiter- und Bauernräte ab. Eine inhaltliche Verbesserung über die Befugnisse der Räte bringen die Bestimmungen nicht. Es bleibt bei der Vorrangstellung der Behörden.

Die Bestimmungen für die Arbeiterräte bleibt die rechtliche Grundlage für die Arbeit der Arbeiterräte, bis der Landtag am 21. Mai 1920 das Gesetz über die Aufhebung der Arbeiterräte beschließt.

Die Anordnung enthält drei wichtige Sonderbestimmungen, deren Auswirkungen sich auf den ersten Blick nicht gleich offenbaren.

Soldatenräte sind von den Arbeiterräten völlig zu trennen. Ihre Bezahlung erfolgt ausschließlich durch den Militärhaushalt. Die Bauernräte sind mit den Arbeiterräten zusammenzuschließen. Nur Arbeiterräte haben das Recht auf staatliche Bezüge.

17. Dezember 1918 München-Ludwigsvorstadt * Eine Gruppe Soldaten besetzt die Versammlung der Deutschen Volkspartei Münchenim Saal des Hotel Wagner. Die Eindringlinge stören den Ablauf derart, dass die Beratungen vorzeitig abgebrochen werden müssen.

Professor Ludwig Quidde erntet stürmischen Beifall der Versammelten, als er die Forderung formuliert: "Wir beanspruchen vom freien Volksstaat Bayern das, was der verfluchte Obrigkeitsstaat uns gewährt hat."

18. Dezember 1918 Berlin * Im Ersten Allgemeinen Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands kommt es zu einer Debatte über die von den protestierenden Soldaten der Volksmarinedivision vom Vortag vorgetragenen Punkte.

Durch die sogenannten Hamburger Punkte steht das deutsche Militär vor einem demokratischen Neubeginn wie noch nie vor diesem 18. Dezember. Die sieben Punkte werden nahezu einstimmig vom Kongress beschlossen:

Die Kommandogewalt über Heer und Marine üben die Volksbeauftragten unter Kontrolle des Vollzugsrats aus. Als Symbol der Zertrümmerung des Militarismus und der Abschaffung des Kadavergehorsams wird die Entfernung aller Rangabzeichen und des außerdienstlichen Waffentragens angeordnet. Für die Zuverlässigkeit der Truppenteile und für die Aufrechterhaltung der Disziplin sind die Soldatenräte verantwortlich. Der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte ist der Überzeugung, dass die unterstellten Truppen den selbstgewählten Soldatenräten und Vorgesetzten im Dienste den zur Durchführung der Ziele der sozialistischen Revolution unbedingt erforderlichen Gehorsam erweisen.Vorgesetzte außer Dienst gibt es nicht mehr. Entfernung der bisherigen Achselstücke usw. ist ausschließlich Angelegenheit der Soldatenräte und nicht einzelner Personen. Ausschreitungen schädigen das Ansehen der Revolution und sind zur Zeit der Heimkehr unserer Truppen unangebracht. Die Soldaten wählen ihre Führer selbst. Frühere Offiziere, die das Vertrauen ihrer Truppenteile genießen, dürfen

Seite 572/814 wiedergewählt werden. Offiziere der militärischen Verwaltungsbehörden und Beamte im Offiziersrange sind im Interesse der Demobilisierung in ihren Stellungen zu belassen, wenn sie erklären, nichts gegen die Revolution zu unternehmen. Die Abschaffung des stehenden Heeres und die Errichtung der Volkswehr sind zu beschleunigen.

20. Dezember 1918 Berlin * Die Erzbischöfe und Bischöfe Preußens bezeichnen in einem Hirtenbrief den Erlass des preußischen Kultusministeriums zur Religionsausübung in den Schulen vom 29. November 1918 als "frevelhaftes Unrecht" und fordern zum Widerstand auf.

23. Dezember 1918 Berlin * Eine spontane Demonstration entwickelt sich. Sie zieht zur Kommandantur. Die Matrosen werden erneut beschossen, dieses Mal aus einem Panzerauto. Ein Toter ist zu beklagen.

Obwohl den Abgesandten der Volksmarinedivisiondie Löhnung in der Stadtkommandantur ausgehängt wird, nehmen sie jetzt den Stadtkommandanten Otto Wels und zwei weitere Mitarbeiter gefangen und bringen sie in den Marstall.

24. Dezember 1918 München-Maxvorstadt * InnenministerErhard Auer verbringt den Heiligabendauf Einladung von Anton Graf Arco-Valley, dem späteren Eisner-Mörder, in der Türkenkaserne.

"Auer war in fröhlichster Laune und hielt eine schmetternde Lobrede auf das Leibregiment [?]. Die gräflichen Offiziere waren so gerührt, dass bei einem von ihnen eine Träne am Monokel haften blieb. Es fehlte nur noch die Königshymne."

24. Dezember 1918 München * In München verbreitet sich das Gerücht über einen geplanten Spartakisten-Putsch und dem Ausbruch von 16.000 Kriegsgefangenen aus dem Lager Lechfeld.

Der Patrouillen- und Postendienst wird in den Straßen der Stadt verstärkt. Christmetten werden militärisch und polizeilich gesichert. Die Michaelskirche sagt den mitternächtlichen Gottesdienst ganz ab.

24. Dezember 1918 München * Der Brotpreis steigt um 4 Pfennig auf 59 Pfennig pro Pfund. Pferdefleisch ist billiger geworden und kostet jetzt 80 Pfennig bis 1,10 Mark das Pfund.

27. Dezember 1918 Stuttgart * In Stuttgart beginnt eine gemeinsame Sitzung der süddeutschen Staaten. An dem Stuttgarter Ländertreffen nehmen teil:

Seite 573/814 Kurt Eisner, der Ministerpräsident von Bayern, Anton Geiß, der Ministerpräsident von Baden, Wilhelm Blos, der Ministerpräsident von Württemberg und Carl Ulrich, der Ministerpräsident von Hessen.

Die Initiative zu diesem Treffen ging vom badischen Ministerpräsidenten Anton Geiß aus, der als Ziel der Konferenz die Abstimmung über das weitere Vorgehen auf dem Gebiet der Lebensmittelversorgung sieht. Kurt Eisner lässt die aktuellen Verfassungsfragen und den künftigen Friedensschluss in die Tagesordnung aufnehmen, um auch hier eine gemeinsame Strategie und gemeinsame süddeutsche Interessen zu entwickeln.

Der bayerische Ministerpräsident legt dazu ein Papier zur Beschlussfassung vor: "Die [?] Vertreter der revolutionären Regierungen von Bayern, Württemberg, Baden und Hessen erklären es für ihre Überzeugung, dass die künftige Gestaltung der Einheit des Deutschen Reichs durch Vertrag der Einzelstaaten zustande kommen muss. Um diese Neubildung zu erleichtern und zu fördern, beschließen die Vertreter der genannten süddeutschen Staaten, zunächst sich zur Wahrung ihrer politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu verbinden."

Eisner schwebt ein Süddeutscher Bundunter Aufnahme von Deutsch-Österreich vor, der das Übergewicht Norddeutschlands aufheben würde, möglicherweise sogar die Führung bei der Neubildung des Deutschen Reiches beanspruchen könnte. Aus seiner Sicht ist das Deutsche Reich durch die Revolution untergegangen und muss daher völlig neu gegründet werden. Dazu muss ein neuer Staatsvertrag geschlossen werden.

Bayerns Ministerpräsident will den preußischen Zentralismus vom Süden her - gegen Preußen und Berlin - reformieren. Er will einen Separatfrieden schließen zwischen dem Süddeutschen Bund - unter Einschluss Deutsch-Österreichs - und den Entente-Mächten, dem dann alle deutschen Einzelstaaten beitreten könnten.

Der Vorschlag Eisner, insbesondere die Infragestellung des Reichs, wird allgemein abgelehnt. Zu unterschiedlich sind die Interessen und Standpunkte. Das bayerische Positionspapier kommt nicht einmal zur Abstimmung.

Kurt Eisner, der den kompromisslosen Neuanfang wollte, ist damit gescheitert. Nicht einmal seine Begleiter, Innenminister Erhard Auer und Ministerialrat Josef von Graßmann, haben ihn unterstützt.

28. Dezember 1918 München * Julius Lehmann, Mitglied der Thule-Gesellschaft, wird erstmals verhaftet. Bei einer Durchsuchung seines Verlags wird das inzwischen umfangreichste Waffenlager entdeckt. Da nützt ihm auch die gerade erteilte Bürgerwehr-Erlaubnis nichts.

Er wird ins Polizeipräsidium an der Ettstraße, anschließend ins Gefängnis Neudeck gebracht. Wie aus Briefen Lehmanns hervorgeht, vertreibt er sich hier die Zeit mit antisemitischer Literatur, die ihm von der Gefängnisleitung zur Verfügung gestellt wird.

1919 München-Schwabing - Hirschau *Ein Revolutionswegvon der Martiusbrücke zur Maffei-Fabrikquer durch die

Seite 574/814 Seewiese(=Werneck-Wiese) wird angelegt.

1919 München * Nach dem Krieg wird das Lotteriespielund die Beschränkung der Mitgliedszahl des Loos-Vereins Wild Westauf 15 abgeschafft. Der Verein wird gleichzeitig in Cowboy Club München Südumbenannt.

Jetzt erst wird das Erlernen der englischen Sprache und das Aneignen von Bräuchen und Sitten der Cowboys und Indianer sowie die Beschaffung eines eigenen Kostüms zur Pflicht.

1. Januar 1919 München-Hackenviertel * Im Katholischen Gesellenhausin der Brunnstraße kommt es in den frühen Morgenstunden zu einer Auseinandersetzung zwischen der aus Soldaten, Matrosen und Zivilpersonen bestehenden Tanzgesellschaft und dem Sicherheitsdienst.

Im Verlauf fallen Schüsse, die die Militärpolizeiund die Republikanische Schutztruppemit Handgranaten beantworten. Zahlreiche Personen werden verletzt, davon sieben schwer.

4. Januar 1919 München-Kreuzviertel - Freistaat Bayern * Das Vorläufige Staatsgrundgesetz der Republik Bayern wird beschlossen. Es bildet die Grundlage der Landtagswahlen am 12. Januar 1919. In der Präambel zur Republik heißt es:

"In der Stunde höchster Not aber, raffte sich dieses ohnmächtige Volk auf, zertrat in gewaltiger revolutionärer Erhebung das schuldige System der Vergangenheit und riß die Macht an sich. Das politisch ohnmächtige Volk wurde durch die Revolution das freieste".

Der Freistaat Bayern wird von einem Einkammersystem und einem Kabinett gemeinsam regiert. Dem Kabinett steht die oberste vollziehende Gewaltzu. Ihm bleibt außerdem das Recht vorbehalten, innerhalb von vier Wochen eine Volksabstimmung über jedes vom Parlament verabschiedete Gesetz zu verlangen. Im Artikel 7 des Staatsgrundgesetzes heißt es dazu: "Entscheidet die Volksabstimmung gegen den Landtag, so ist er aufzulösen. Entscheidet sie gegen das Gesamtministerium, so hat es zurückzutreten."

Im Staatsgrundgesetz wird auch festgelegt,

dass das Unterrichtswesen in Bayern ab sofort eine staatliche Angelegenheit ist. Der Religionsunterricht ist damit nicht mehr eine allein den Glaubensgemeinschaften obliegende Angelegenheit, die Abschaffung der Adelstitel, die Einführung des Frauenwahlrechts.

Dass die Räte im Vorläufigen Staatsgrundgesetz mit keinem Wort erwähnt werden, ist den Liberalen und dem rechten Flügel der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zu verdanken.

Seite 575/814 Der Artikel 17 bestimmt: "Bis zur endgültigen Erledigung des Verfassungsentwurfs, der dem Landtag sofort nach seinem Zusammentritt vorgelegt werden muss, übt die revolutionäre Regierung die gesetzgebende und vollziehende Gewalt aus."Dadurch kann die Eisner-Regierung auf legaler Grundlage die Herrschaft über Bayern auch noch nach der Wahl am 2. Februar 1919 in der Rheinpfalz ausüben.

5. Januar 1919 München-Hackenviertel * Eine Woche vor der bayerischen Landtagswahl wird im Fürstenfelder Hof, in der Fürstenfelder Straße 14, die Deutsche Arbeiterpartei - DAPdurch den Werkzeugschlosser Anton Drexler und den Sportjournalisten Karl Harrer sowie 22 weiteren Anwesenden gegründet.

Die Deutschen Arbeiterpartei - DAPgeht aus dem Münchner Freien Arbeiterausschuss für einen guten Friedenhervor, der am 7. März 1918 ebenfalls von Drexler gegründet worden war.Als Vorsitzender der neuen Partei wird Anton Drexler gewählt.

Zu den ersten Mitgliedern der DAP zählen fast ausschließlich Arbeitskollegen Drexlers aus den Münchner Eisenbahnwerken.Die ersten Parteiversammlungen finden in Hinterzimmern kleiner Bierlokale statt.Der wenig begeisternde Redner Drexler hält zumeist kaum motivierende Reden, die oft in der Geräuschkulisse des Lokals untergehen.

Während der Politische Arbeiterzirkeleindeutig eine Schöpfung der Thule-Gesellschaftist, soll die Deutsche Arbeiterpartei- aus taktischen Erwägungen - als Gründung Anton Drexlers erscheinen.

Vorbereitet wird die konstituierende Parteiversammlungvon einem Dreier-Ausschuss, der sich aus Harrer, Drexler und Michael Lotter zusammengesetzt.An der eigentlichen Versammlung nimmt Harrer allerdings nicht teil.

Umgekehrt werden Drexler und Lotter keine Mitglieder der Thule-Gesellschaft, verkehren aber als ständige Gästein den Logenräumen im Hotel Vier Jahreszeiten, wo sie bald auch Personen wie Dietrich Eckart und Gottfried Feder kennenlernen.

In den von der Gründungsversammlungangenommenen Richtlinien der Deutschen Arbeiterparteiheißt es, dass die DAPeine aus "allen geistig und körperlich schaffenden Volksgenossen zusammengesetzte sozialistische Organisation" ist.Die Deutsche Arbeiterparteiwill

"die Adelung des deutschen Arbeiters.Die gelernten und ansässigen Arbeiter haben ein Recht, zum Mittelstand gerechnet zu werden.Zwischen Arbeiter und Proletarier soll ein scharfer Trennungsstrich gezogen werden. [...] Das Großkapital ist als Brot- und Arbeitgeber zu schützen, sofern nicht rücksichtsloseste Ausbeutung des Arbeiters diesem ein menschenwürdiges Dasein unmöglich macht. Die DAP sieht in der Sozialisierung des deutschen Wirtschaftslebens einen Zusammenbruch der deutschen Volkswirtschaft. [...] Darum darf es nicht Sozialisierung, sondern Gewinnbeteiligung für den deutschen Arbeiter heißen. [...]."

Hier zeichnete sich deutlich eine eigentlich mittelständische Orientierung dieser pseudosozialistischen und antisemitischen Organisation ab.

Die anfallende Parteiarbeit der zunächst auf München beschränkten winzigen Vereinigung wird im Wesentlichen von dem mit dem Politischen Arbeiterzirkelnicht identischen Arbeitsausschuss der DAPbewältigt, der in den

Seite 576/814 Anfängen auch die Führung der Gesamtparteiinne hat und dem im Sommer 1919 neben Anton Drexler und Karl Harrer weitere vier Personen angehören. Anton Drexler, der Vorsitzende der Deutschen Arbeiter Partei - DAP, bleibt es bis zum Juni 1921.

5. Januar 1919 München-Kreuzviertel * Vom nördlichen Turm der Frauenkircheflattern angeblich Flugblätter der Bayerischen Volkspartei - BVP, die einen Aufruf gegen den Bolschewismusenthalten.

Daraufhin stürmen etwa fünfzig Personen in die Frauenkirche, beschimpfen die Kirchgänger, stören den sonntäglichen Gottesdienst und randalieren in der Sakristei. Eine Durchsuchung der Türme bringt jedoch kein Ergebnis.

8. Januar 1919 Berlin * Der Rat der Volksbeauftragten fordert die Bevölkerung auf

zum Widerstand gegen die Aufständischen und deren beabsichtigte Regierungsübernahme.

In einem Flugblatt mit dem Titel: "Die Stunde der Abrechnung naht!" wird den Aufständischen mit physischer Vernichtung gedroht.

9. Januar 1919 Berlin * Die Revolutionären Obleute, der Zentralvorstand der Berliner USPD und der KPD rufen in einem gemeinsamen Aufruf den Kampf auf gegen "die Judasse in der Regierung. [?] Sie gehören ins Zuchthaus, aufs Schafott. [?] Gebraucht die Waffen gegen eure Todfeinde."

10. Januar 1919 München-Kreuzviertel * Gegen 15 Uhr beginnen die entsetzten Versammelten einen Demonstrationszug zumMontgelas-Palais, in demMinisterpräsidentKurt Eisner residiert, und fordert dieFreilassung der Verhafteten. Eisner erklärt sich zum Empfang einer Abordnung am nächsten Tag bereit, wenn sie ruhig und ohne Massendemonstration käme. Die Demonstranten werden immer erregter.

Oskar Maria Graf berichtet:"Hin und her drängte sich alles. Hinter dem verschlossenen Tor, hieß es, stünden schussbereite Maschinengewehrschützen. Man ratschlagte einige Minuten. Auf einmal kletterte ein Matrose auf dem Kandelaber zum Balkon empor, schwang sich drüber und verschwand unter lautem Jubel in der Tür. Kurz darauf erschien er mit Eisner, der fürchterregt auf uns herunter schrie: ?So holt sie euch, in Gottes Namen! Sie sind enthaftet!?" Daraufhin ziehen sich dieDemonstrantenzurück.

10. Januar 1919 Spandau * Die Brigade Reinhard unter Leitung des Kommandanten von Berlin, Oberst Wilhelm Reinhard, überfällt das spartakistische Hauptquartier in Spandau.

Seite 577/814 10. Januar 1919 München-Ludwigsvorstadt * Die aus der Haft in Stadelheim entlassenen Erich Mühsam und Eugen Leviné sprechen im Festsaal des Mathäserbräu. Es kommt zu einer Schießerei, bei der ein Chauffeur getötet und ein 14-jähriger Lehrling verwundet wird.

Gegen 22:30 Uhr kommt es auf dem Bahnhofsplatz zu einer Schießerei zwischen den Demonstranten und der Bahnhofswache.Als die Demonstranten in den Südbau des Bahnhofs einzudringen versuchen, eröffnet die Bahnhofswacheein Maschinengewehrfeuer, in dem drei Frauen und zwei Männer getötet sowie 15 Personen schwer verwundet werden.

10. Januar 1919 Bremen * Die Hansestadt Bremen wird durch die Internationalen Kommunisten Deutschlands zur Selbstständigen Sozialistischen Republik, eine Räterepublik, erklärt. Die USPD ist zunächst bereit, gemeinsam mit den Kommunisten - unter Ausschluss der anderen politischen Kräfte - die Regierung zu übernehmen.

11. Januar 1919 München * Einen Tag vor den Wahlen zum Bayerischen Landtag werden aufgrund der am Tag zuvor erfolgten Vorgänge vom Polizeipräsidenten Josef Staimer und vom Stadtkommandanten Oskar Dürr der Einsatz von Waffen gegen Demonstranten und Ansammlungen angedroht: "Waffengebrauch wird, soweit möglich, durch Trommelwirbel angekündigt."

In einer Matrosenversammlungsprechen sich MinisterpräsidentKurt Eisner und StadtkommandantOskar Dürr "gegen den Terror der Straße" aus. Die Mehrzahl der für die Tumulte Verantwortlichen bezeichnen sie als "Verbrecher". Die geplanten Versammlungen auf der Theresienwiesewerden abgesagt.

12. Januar 1919 Freistaat Bayern ohne Pfalz * Im Freistaat Bayern findet in sieben der acht Regierungsbezirke die erste demokratische Wahl zum Bayerischen Landtag statt. Lediglich in der Pfalz kann erst drei Wochen später, am 2. Februar, gewählt werden, weil die Wahlvorbereitungen von der französischen Besatzungsmacht behindert worden sind. Das ist der Hauptgrund, weshalb der Termin für die konstituierende Sitzung im Bayerischen Landtag erst knapp sechs Wochen nach der Wahl im Kerngebiet festgesetzt wird.

Bei den ersten freien, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlen in Bayern sind erstmals auch Frauen wahlberechtigt. Frauen machen 54 Prozent der Wahlberechtigten aus. Anita Augspurg kandidiert auf der Liste der USPD, ohne der Partei anzugehören. Bei den Landtagswahlen in Bayern erhält

die Bayerische Volkspartei - BVP66 Sitze, die SPD 61 Mandate, die Deutsche Demokratische Partei - DDP25 Abgeordnetenplätze, der Bayerische Bauernbund - BBB16 Mandate, die rechtsliberale Mittelparteierringt 9 Abgeordnetensitze. Die USPD erreicht in den 12 Münchner Landtagswahlkreisen immerhin noch 5 Prozent der abgegebenen Stimmen.Landesweit sind es lediglich 2,5 Prozent.Damit sind sie mit 3 Mandaten im ersten Landtag des Freistaats Bayernvertreten.

Seite 578/814 Bei der Wahl zur bayerischen Nationalversammlung haben dreizehn Parteien Kandidatenlisten aufgestellt.Die KPD hat sich nicht an den Wahlen beteiligt.

13. Januar 1919 Berlin * Der Rat der Volksbeauftragten [= Regierung Ebert] dankt "den braven Truppen der Republik", denen es gelungen ist, "aus eigener Kraft und durch Unterstützung der Bevölkerung einen Aufstand niederzuwerfen, der alle freiheitlichen Errungenschaften der Revolution zu vernichten drohte". Der Januaraufstand, der als Spartakusaufstand in die Geschichte einging, ist niedergeschlagen.

13. Januar 1919 München-Angerviertel * Beim Sollerund im Metzgerbräuim Tal werden durch ein umfangreiches Polizeiaufgebot Razzien durchgeführt. 220 Personen werden verhaftet und ein Lastwagen mit aus Miltärbeständen stammendem Hehlergutbeschlagnahmt.

14. Januar 1919 München * Aufgrund der Amnestievom 12. November 1918 stellt das Reichsgerichtdie Strafverfahrengegen die am JanuarstreikBeteiligten ein. Amnestiert werden:

der SchriftstellerKurt Eisner [derzeit Bayerischer Ministerpräsident], der SchlosserHans Unterleitner [derzeit bayerischer Sozialminister], der SchreinermeisterAlbert Winter, die BuchhalterinEmilie Landauer und die Buchhalterin Betty Landauer, der MechanikerLorenz Winkler, der EisendreherFranz Xaver Mettler, der StudentErnst Toller, der HandlungsgehilfeRichard Kämpfer, der SchriftsetzerTheobald Michler, der WerkzeugmacherGeorg Lang, der GeschäftsführerFritz Schröder und der SoldatCarl Kröpelin. Die am 1. Februar 1918 als Rednerinverhaftete und in die Strafvollzugsanstalt Stadelheimgebrachte PrivatdozentsgattinSara Sonja Lerch hat sich dort am 30. März 1918 erhängt.

15. Januar 1919 Berlin * Die beiden Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden verhaftet und ins Hotel Eden gebracht, in dem die Garde-Kavallerie-Schützen-Division ihr Stabsquartier aufgeschlagen hat.

Karl Liebknecht wird - nach schweren Misshandlungen - am Abend in den Tiergarten gefahren und von hinten erschossen.

Seite 579/814 Rosa Luxemburg wird niedergeschlagen, in ein Auto gezerrt und während der Fahrt durch einen aufgesetzten Schläfenschuss getötet. Ihren Leichnam werfen die Mörder in den Landwehrkanal.

Der Hauptverantwortliche für die Ermordungen, Waldemar Papst, beruft sich später auf einen angeblichen"Schießbefehl"des SPD-Innenministers Gustav Noske.

16. Januar 1919 Berlin * Philipp Scheidemann erklärte zum Tod von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht folgendes:

"Ich bedauere den Tod der beiden aufrichtig aus gutem Grunde. Sie haben Tag für Tag das Volk zu den Waffen gerufen und zum gewaltsamen Sturz der Regierung aufgefordert. Sie haben Spazierfahrten durch Berlin mit Maschinengewehren veranstaltet, die sie uns wiederholt vor die Reichskanzlei fuhren, sie haben Tag für Tag ihre Anhänger bis zur Siedehitze aufgepeitscht. Sie haben, nachdem durch ihre Schuld Arbeiter- und Soldatenblut in Strömen geflossen, uns als Mörder und Bluthunde Tag für Tag in ihren Zeitungen und in ihren Versammlungen beschimpft. So sind sie selbst Opfer ihrer eigenen blutigen Terrortaktik geworden."

Und weiter meint er: "Bei Frau Luxemburg, einer hochbegabten Russin, ist mir der Fanatismus begreiflich, nicht aber bei Liebknecht, dem Sohn Wilhelm Liebknechts, den wir alle verehrten und noch verehren. Sein Sohn, der nunmehr tote Karl Liebknecht, hat sich leider vollkommen in die russisch-terroristische Taktik einspannen lassen."

Zur Rechtfertigung seiner Person und seiner Regierung äußert er sich: "Wenn mein wahnsinniger Bruder die Flinte auf mich anlegt, so kann ich, wenn es [um] mich allein geht, mich erschießen lassen, um sein Blut zu schonen, aber wenn ich im Begriffe bin, mich in ein brennendes Haus zu stürzen, um Weib und Kind zu retten, und der wahnsinnige Bruder legt dann auf mich an, dann hilft nichts mehr, dann muss ich mich gegen ihn zur Wehr setzen, denn dann geht es nicht mehr um mich, sondern um viele andere."

16. Januar 1919 Bremen * Sämtliche Banken sperren der Räteregierung in Bremen die Kredite. Aus der Finanzkrise wird schnell eine Regierungskrise der gemeinsam regierenden Kommunisten mit der USPD.

18. Januar 1919 München * Als Erzbischof Michael von Faulhaber von Lorenzo Schioppa, der rechten Hand des Nuntius Eugenio Pacelli, nach der Wahl der Nationalversammlunggefragt wird, ob der Nuntius aus der Schweiz wieder nach München zurückkehren könne, antwortet Faulhaber:

"Nach Lage der Dinge wird Ministerpräsident Eisner sofort wieder versuchen, eine amtliche Verbindung mit Monsignore Pacelli zu gewinnen, und die bayerischen Bischöfe werden in dieser Verbindung eine Legitimierung der Revolutionsregierung und ein Ärgernis für das ganze Land erblicken.

Die bayerischen Bischöfe haben sich nämlich damals geweigert, die früheren königlichen Konkordatsrechte (z.B. bei Besetzung der Pfarreien) ohne weiteres auf die neue Regierung zu übertragen, und haben deshalb die Verhandlungen mit der Regierung abgebrochen. Für die kirchenpolitische Lage in Bayern wäre es verhängnisvoll gewesen, wenn damals auch nur der Schein amtlicher Beziehungen zwischen dem auswärtigen Ministerium und der Nuntiatur entstanden wären."

Seite 580/814 19. Januar 1919 Deutsches Reich* Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung[= Reichstag] findenstatt. Das deutschlandweite Ergebnis lautet:

Sozialdemokratische Partei Deutschlands - SPD: 37,9 Prozent = 163 Abgeordnete Christliche Volkspartei - Zentrum: 18,8 Prozent = 91 Abgeordnete Deutsche Demokratische Partei - DDP: 18,1 Prozent = 75 Abgeordnete Deutschnationale Volkspartei - DNVP: 8,6 Prozent = 44 Abgeordnete Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands - USPD: 7,6 Prozent = 22 Abgeordnete Deutsche Volkspartei - DVP: 4,4 Prozent = 19 Abgeordnete Übrige Parteien: 1,6 Prozent = 7 Abgeordnete

Der Wahlkreis Oberbayern und Schwabenerhält 15 Abgeordnetensitze.Davon fallen 6 Sitze auf die BVP, 6 Sitze auf die SPD, 2 Sitze auf den BBB und ein Sitz auf die Deutsche Volkspartei in Bayern - DVP. Von den 15 Abgeordneten gehört keiner der USPD an.

21. Januar 1919 Bremen * Da die Bremer Kommunisten sich aus der Regierung - und damit aus der Verantwortung - zurückziehen wollen, gelingt es der USPD an diesem 21. Januar - mit Zustimmung des Arbeiter- und Soldatenrates sowie der Kommunisten -, dass Wahlen ausgeschrieben werden.

22. Januar 1919 München * Obwohl sich Ministerpräsident Kurt Eisner im November 1918 gegen Sozialisierungsmaßnahmen aussprach, gründet er eine Sozialisierungskommission, um die Diskussion zu beruhigen. Sie nimmt am 22. Januar ihre Arbeit auf. Vorsitzender der Kommission ist der Nationalökonom Lujo Brentano.

24. Januar 1919 München-Ludwigsvorstadt * Im Deutschen Theatertreffen sich Angehörige und Anhänger aller Parteien zu einer machtvollen Kundgebung. Es geht um den Völkerbund und einen gerechten Frieden. Es sprechen der Minister für militärische Angelegenheiten, Albert Roßhaupter [SPD], Joseph Graf von Pestalozza [BVP], Professor Dr. Moritz Julius Bonn, die FrauenrechtlerinLida Gustava Heymann und Professor Dr. Lujo Brentano.

25. Januar 1919 Weimar- Bremen * Reichswehrminister Gustav Noske beauftragt - vier Tage nachdem man sich in Bremen zur Ausschreibung von Wahlen verständigt hat - den Chef des Generalkommandos, Walter von Lüttwitz, mit der Herstellung der Ordnung in Bremen.

29. Januar 1919 Freising * Für den MünchnerErzbischofMichael von Faulhaber ist Kultusminister Johannes Hoffmann ein "ausgesprochener Kulturkämpfer und Kirchenhasser". In ihrer Freisinger Erklärungfassen die Bischöfe ihren "flammenden Protest" zusammen und prangern in einem Hirtenbriefdie Maßnahme als "Fehdehandschuh gegen

Seite 581/814 den Herrn selbst" an.

Der Hirtenbriefbeginnt so:"Herodes der Kindermörder ließ die unschuldigen Kinder von Bethlehem hinschlachten.Unbekümmert um das Weinen und Wehklagen der Mütter, unbekümmert um das Todeswimmern der sterbenden Kinder, ließ er an wehrlosen Kindern seine Wut aus, um mit ihnen den neugebornen König der Juden, den vermeintlichen Anwärter seines Thrones aus dem Weg zu schaffen."

In einer extrem polemischen und ehrverletzenden Art geht es weiter:"Geliebte Erzdiözesanen! Am letzten Montag ist im Volksstaate Bayern eine Verordnung ergangen, die vor dem Richterstuhl Gottes schwerer wiegt als der Blutbefehl des Herodes.Durch eine Verordnung des Unterrichtsministers wurde der Religionsunterricht in allen bayerischen Schulen als Pflichtfach abgesetzt und als Wahlfach der Willkür der Eltern und Vormünder ausgeliefert."

2. Februar 1919 Schloss Wildenwart * Ex-Prinzessin Wiltrud trifft ihren Bruder Rupprecht auf Schloss Wildenwart. Nach der Begegnung schreibt sie in ihr Tagebuch: "Rupprecht anzuschauen, seinen lederartigen Teint und die fast weißen Haare und den Ausdruck von Gram ist herzzerreißend."

2. Februar 1919 München - Freistaat Bayern * Der am 29. Januar versandte Hirtenbrief wird von allen bayerischen - und damit auch pfälzischen - Kanzeln verlesen. Darin wird die Verordnung des Kultusministers Johannes Hoffmann, wonach "der Religionsunterricht in allen bayerischen Schulen als Pflichtfach abgesetzt und als Wahlfach der Willkür der Eltern und Vormünder ausgeliefert" in einer sehr propagandistisch-verletzenden Art angeprangert.

2. Februar 1919 Freistaat Bayern-Pfalz * In der zum Freistaat Bayern gehörenden Pfalz wird erst drei Wochen später wie im Kernland gewählt, da die Wahlvorbereitungen von der französischen Besatzungsmacht in Regierungsbezirk Pfalz behindert worden sind. Das ist auch der Grund, weshalb der Termin für die konstituierende Sitzung im Bayerischen Landtag erst auf den 21. Februar festgesetzt wird.

3. Februar 1919 München - Bern * Ministerpräsident Kurt Eisner reist in Begleitung von Ernst Toller zur Konferenz der Sozialistischen Internationale nach Bern ins dortige Volkshaus. Die Konferenz dauert bis zum 10. Februar. Es wird Eisners letzter großer Auftritt werden, den er zur Abrechnung mit den Sozialdemokraten nutzt.

4. Februar 1919 Bern * Ministerpräsident Kurt Eisner rechnet auf der Konferenz der Sozialistischen Internationale in Bern mit den Sozialdemokraten ab, nachdem der Vertreter der MSPD, Otto Wels, eine wehleidige Rede hält, in der er die Haltung seiner Partei vor und während des Krieges den Vertretern des sozialistischen Europas darlegen will. Im Gegensatz zu Welsch bekennt sich Kurt Eisner ausdrücklich zur deutschen Schuld. Er erhält dafür am Kongress einen rauschenden Beifall, wird dafür aber in Deutschland bitter kritisiert.

Annette Kolb, die als Journalistin in Bern dabei ist, vermerkt: "Was nun verlautete, war ein Plädoyer für Deutschland, wie es niemals ergreifender formuliert wurde. Seine kalte Stimme beibehaltend, enthüllte er die

Seite 582/814 ganze Tragik des unglücklichen Landes. ?Die Stimme derer, welche im Kampf um die Ideen einer besseren Welt namenlos in den Kerkern verblichen?, rief er schneidend den fremden Delegierten zu, ?drangen nicht bis zu euch! Stumm verbluteten sie?. Und im Namen jener neuen und besseren Welt verlangte er die Freigabe der zurückgehaltenen Kriegsgefangenen.

Man hielt den Atem an. Denn vor uns stand ein Entronnener aus eben jener Schar stummer Blutzeugen für die Idee der Gewaltlosigkeit, der Wahrheit und der Menschenliebe. Dies war ihr Los wie vor 2.000 Jahren. In Eisner hatte der Kongress wohl seine eindrücklichste Figur".

4. Februar 1919 Bremen * In Bremen, das sich am 10. Januar 1919 zur Selbstständigen Sozialistischen Republik erklärt hat, rücken ein.

Damit beginnt der Einsatz der meist aus rechtsextremen Offizieren und Mannschaften bestehenden Freikorps zur Niederschlagung von Unruhen und Streiks.

Um den 5. Februar 1919 München - Bern * Felix Fechenbach berichtet später über die im Volkshaus in Bern stattfindende Konferenz der Sozialistischen Internationale:

"In der deutschen reaktionären Presse [?] wurde Eisners Aktion in Bern in das Gegenteil umgelogen. Man behauptete, er habe dort verlangt, die deutschen Gefangenen müssten erst Nordfrankreich wieder aufbauen, ehe sie nach er Heimat zurückkehren dürften. Alle unwahren Behauptungen, die damals über Eisners Auftreten in Bern verbreitet wurden sind seit dem zum eisernen Bestand der deutsch-nationalen und völkischen Agitation geworden."

6. Februar 1919 München * Die Mittelschülermachen mobil. In einem Anschlag heißt es:

"Mittelschüler, werdet wach! Auch unsere Stunde ist gekommen! Befreiung von dem anmaßenden Stumpfsinn der Schule! Macht Euch bereit zum Schulstreik!"

6. Februar 1919 Weimar * Friedrich Ebert hält die Eröffnungsrede der Nationalversammlung. In einer nüchtern vorgetragenen, von zahllosen Zwischenrufen von links und rechts unterbrochenen Rede erklärt er aller Welt sein Handeln seit dem 9. November und hält fest, was das Reich seither gewonnen hat:

"Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst."Und er ist froh, nun das Mandat, das die Revolution ihm aufzwang, zurückgeben zu können an den "höchsten und einzigen Souverän in Deutschland". Nur auf dem "Weg der Gesetzmäßigkeit" lassen sich in Deutschland die notwendigen Veränderungen voranbringen.

Seite 583/814 7. Februar 1919 München * In der ersten Februarwoche sind 67 Personen in München an der Spanischen Grippegestorben.

Die Epidemie ist weiter im Abklingen begriffen.

10. Februar 1919 Frankfurt - Weimar * Die liberale Frankfurter Zeitung schreibt zum Weimarer Parlament:"Die deutsche Nationalversammlung in Weimar sollte sofort und dringend den Beschluss fassen, dass in allen Fraktionszimmern und überhaupt überall dort, wo sich Räder der Parteimaschinen drehen, ein großes Plakat angebracht werde, das in Flammenschrift die Worte trägt: ?Vergesst nicht, das deutsche Volk hat eine Revolution gemacht!?"

12. Februar 1919 Weimar * Reichspräsident Friedrich Ebert setzt das neue Reichsministerium ein. Die Reichsregierung wird auch als Weimarer Koalition bezeichnet. Sie besteht aus SPD, Zentrum und Deutsche Demokratische Partei - DDP. Das Kabinett Scheidemann setzt sich zusammen aus:

Philipp Scheidemann, Reichsministerpräsident, SPD; Otto Landsberg, Justizminister, SPD; Gustav Noske, Reichswehrminister, SPD; Rudolf Wissell, Wirtschaftsminister, SPD; Robert Schmidt, Reichsernährungsminister, SPD; Gustav Bauer, Reichsarbeitsminister, SPD; Eduard David, Minister ohne Geschäftsbereich, SPD; Eugen Schiffer, stellvertretender Ministerpräsident und Finanzminister, DDP; Hugo Preuß, Innenminister, DDP; Georg Gothein, Reichsschatzminister und Minister ohne Geschäftsbereich, DDP; Johannes Bell, Verkehrsminister und Reichsminister für Kolonien, Zentrum; Johannes Giesberts, Reichspostminister, Zentrum; Matthias Erzberger, Minister ohne Geschäftsbereich, Zentrum; Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau, Auswärtiges Amt, Parteilos.

Die Aufgabe des Rates der Volksbeauftragten ist damit erfüllt.?

13. Februar 1919 München-Ludwigsvorstadt * Vom 13. bis zum 20. Februar findet im MünchnerDeutschen Theaterein Kongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrätestatt.

MinisterpräsidentKurt Eisner berichtet über den in Bern stattgefundenen Internationalen Sozialistenkongress. Er beschimpft dabei die Pressevertreter als Pressegesindel, da sieBerichte gefälscht hätten. Daraufhin verlassen die Anwesenden Pressevertreter den Kongressund stellen die Berichterstattung ein. Sämtliche Münchner Blätter protestieren in einer Erklärung gegen diese Behandlung der Presse.

Unabhängig davon wird der Kongress- allerdings ohne Erfolg - versuchen, die Existenz der Räteim künftigen

Seite 584/814 parlamentarischen Bayern sicherzustellen.

14. Februar 1919 Münster - Weimar * Vertreter der Arbeiter- und Soldatenräte fordern von der Reichsregierung die sofortige Wiedereinsetzung des Generalsoldatenrates in Münster und drohen ab 18. Februar mit einem Generalstreik.

Um den 15. Februar 1919 Ohrdruf * Seit Mitte Februar stellt Franz Ritter von Epp im thüringischen Ohrdruf im Auftrag des ReichswehrministersGustav Noske ein Freikorpszusammen. Offiziell soll es dem "Grenzschutz Ost" dienen.

In Bayern befürchtet man von Anfang an, dass die Truppe für den Einsatz im Inneren bestimmt ist, weshalb Ernst Schneppenhorst(ab 18. März 1919Minister für militärische Angelegenheiten) später die Zusammenarbeit mit dem Freikorps Eppablehnen wird.

19. Februar 1919 München * Gegen 16 Uhr beginnt in München der sogenannte Lotter-Putsch, an dem sich rund 600 bewaffnete, überwiegend bayerische Soldaten beteiligen, die am 15. Februar aus Wilhelmshaven kommend hier eingetroffen sind. Die Putschistenunter Führung des ObermatrosenConrad Lotter schlagen gleichzeitig an drei Stellen zu:

Sie besetzen das Telegraphenamtam Hauptbahnhof, verhaften zur gleichen Zeit den StadtkommandantenOskar Dürr und den PolizeipräsidentenJosef Staimer in ihren Dienststellen und wollen in das vom Rätekongressbesetzte Landtagsgebäude in der Prannerstraße eindringen. Außerdem wollen sie Kurt Eisner festnehmen und in die Tschechoslowakei abschieben.

Während die putschenden Matrosen die beiden ersten Aktionen erfolgreich durchführen können, werden sie im Landtag von der Landtagswachemit Maschinengewehrfeuer vertrieben.Die Festnahme von Kurt Eisner verhindert der LandessoldatenratRichard Scheid. Die Münchner Bevölkerung hält die Putschistenfälschlich für preußische Spartakisten. Es kommt am Bahnhofsplatz zu einer kurzen Schießerei, bei dem der Straßenbahnfahrer Franz Stangl durch einen Kopfschuss ums Leben kommt.

Gegen 17:30 Uhr ziehen sich die putschenden Matrosen zurück.Conrad Lotter wird verhaftet.

20. Februar 1919 München * Einen Tag bevor Anton Graf von Arco auf Valley zur Waffe greift, legt er seine Motive schriftlich nieder:

"Eisner strebt nach der Anarchie, er ist Bolschewist, er ist Jude, er fühlt nicht deutsch, er untergräbt jedes deutsche Gefühl, er ist ein Landesverräter. [...] Ich hasse den Bolschewismus, ich liebe mein Bayernvolk, ich bin ein treuer Monarchist und guter Katholik. Über alles achte ich die Ehre Bayerns."

Seite 585/814 Arcos Zimmermädchen Walburga Kästele, die Arcos Wohnung in der Prinzregenten Straße 18 betreut, bestätigt die Entschlossenheit des jungen Grafen:"Gegen Abend des 20. Februar nach 6 Uhr sagte Arco ohne besondere Einleitung, als ich zu seiner Bedienung in seinem Zimmer war: Morgen erschieße ich den Eisner.

Er sagte das ganz lustig und hat dazu gelacht.Ich glaubte ihm nicht und sagte, das getraue er sich doch nicht, worauf er erwiderte: Doch, doch, ich mache es, der muss weg er ist ein Bolschewik und Jude."

20. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Das Kabinett-Eisner beschließt, dass die Regierung ihre Ämter zur Verfügung stellt, sich aber bereit erklärt, die Geschäfte fortzuführen bis zur Wahl einer neuen Regierung. Für Kurt Eisner gibt es nur zwei Optionen:

Eine sozialistische Regierung unter Zuziehung des Bauernbundes, die auf eine starke Minderheit gestützt ist, oder die gemeinsame Opposition der beiden sozialistischen Parteien gegen ein rein bürgerliches Kabinett. Er ist schon deshalb gegen eine Koalition mit der klerikalen Bayerischen Volkspartei - BVP, weil sozialistische Kulturpolitik nur gegen diese Partei zu machen sei. Den gleichen Standpunkt vertritt er in Bezug auf die Regierungsbildung in der Nationalversammlung des Reiches.

Er findet für seine politische Auffassung aber nur wenig Zustimmung.

In Bayern will er seine Opposition auf die kraftvolle Mitarbeit der Arbeiterräte stützen, deren weitere Wirksamkeit durch die Verfassung gesichert werden soll.

21. Februar 1919 München * In der Bevölkerung tritt ein jäher Stimmungsumschwung gegenüber der Person Kurt Eisners ein. Eisner, der noch wenige Tage vor seiner Ermordung bespöttelt und als politisch gescheitert betrachtet wurde, ist nun auf einmal der"Märtyrer der Revolution".

Die erstaunliche Sympathie und Popularität, die der toteMinisterpräsidenttrotz aller vorausgegangenen Auseinandersetzungen um seine Person und seine Politik genießt, gründet vor allem darauf, dass man seine Ermordung als reaktionäres Komplott aufgefasst. Dem Toten wird in diesen Tagen als"Integrationsfigur des Proletariats"eine fast kultische Verehrung entgegengebracht.

Tausende von Münchnern besuchen den Schauplatz des Mordes.Noch an seinem Todestag wird an der Stelle, an der Kurt Eisner tödlich zusammengebrochen ist, ein Totenmal errichtet, in dessen Zentrum ein überlebensgroßes, von einem Trauerkranz gerahmtes und auf einer Gewehrpyramide befestigtes Fotoporträt Kurt Eisners imaginäre Gegenwart symbolisiert. Dieser provisorischeEpitaphentwickelt sich zu einem von Soldaten bewachten sakralen Bezirk.Die darin niedergelegten Blumengebinde und Kränze verstärken den Eindruck eines grabähnlichen Erinnerungsmales.Es besteht in dieser Form bis zum April.

In seinem Roman"Wir sind Gefangene"beschreibt Oskar Maria Graf auch die Ereignisse in der Nähe des

Seite 586/814 Attentatortes:"Alle Menschen liefen mit verstörten Gesichtern stadteinwärts. Je weiter ich kam, desto aufgeregter wurde die dumpfe Hast.Vor dem Landtag ballte sich ein schwarzer Menschenknäuel, Soldaten und bewaffnete Zivilisten waren darunter.Ich stürmte weiter [...] an den Mordplatz.Da hatten sich Hunderte schweigend um die mit Sägspänen bedeckten Blutspuren Eisners zu einem Kreis gestaut.

Fast niemand sagte ein lautes Wort, Frauen weinten leise und auch Männer.Etliche Soldaten traten in die Mitte und errichteten eine Gewehrpyramide.Viele legten Blumen auf den Platz, immer mehr und mehr."

21. Februar 1919 München * Die Öffentlichkeit, die das feige Attentat auf Kurt Eisner verabscheut, reagiert politisch desorientiert. Das wirkt sich in einem Zweifel an der Richtigkeit der Wiedereinführung des Parlamentarismus aus und führt zu einer raschen Wiederbelebung der Tätigkeit derRäte. Oskar Maria Graf beschreibt in"Wir sind Gefangene"die Situation:

"Ich sah Zitternde, ich sah Wutblasse und Blutgierige.Überall wiederholte sich das gleiche Schreien nach Rache.Die Massen kamen ins Treiben, der Strom floss durch die Stadt. Das war anders, ganz anders als am 7. November.Wenn jetzt einer aufgestanden wäre und hätte gerufen: ?Schlachtet die Bürger! Zündet die Stadt an! Vernichtet alles!? es würde geschehen sein.

Die tausend kleinen Stürme hatten sich vereinigt, und ein einziger dumpfer, dunkler, ungewisser Losbruch begann. Ich spürte es an mir am genauesten: Noch nie war ich so völlig Massentrieb gewesen wie jetzt, noch nie war ich so eins mit den Tausenden.

Auf die Theresienwiese jagten die Züge.Unter der Bavaria redeten viele; Toller trug ein Gedicht vor.Die Frauen wurden ergriffen davon, die Männer schrieen nach Waffen.Dann wurde verkündet, im Zeughaus seien sie.Ein dichter Haufen zog dahin ab, ich lief mit dem Zug wieder in die Stadt.

Voran marschierten Matrosen und Soldaten wie zum Sturm.Die roten Fahnen wehten.Die verschlossenen Türen des Deutschen Theaters wurden eingeschlagen,die Scheiben klirrten, es krachte, und alles peitschte in den Saal.?Der Arbeiter- und Soldatenrat tagt von heut? ab in Permanenz!? brüllte ein Matrose."

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Als sich der Landtaggegen 11 Uhr wieder versammelt, ergreift Erhard Auer das Wort zu einer Gedenkrede:

"Damen und Herren! Der provisorische Ministerpräsident Kurt Eisner hat soeben durch Mörderhand den Tod gefunden. [...]Die Tat wurde von ruchloser Hand in feiger Weise verübt [...].Diese Handlung muss bei jedem anständigen Menschen tiefsten Abscheu hervorrufen. [...] Wir beklagen in dem Ermordeten den Führer der Revolution in Bayern und zugleich den vom reinsten Idealismus und von treuer Sorge für das Proletariat erfüllten Menschen.

Auf diesem Weg kann und darf nicht fortgefahren werden, wenn nicht vollkommene Anarchie eintreten soll.Angesichts dieser wahnsinnigen Mordtat, gegen deren Urheber mit rücksichtsloser Strenge vorgegangen wird, gilt es nunmehr, die Besonnenheit zu wahren und alle Kräfte zusammenzufassen, um die ungeheuere Aufgabe der nächsten Zeit so zu lösen, wie es das Interesse des gesamten bayerischen Volkes erfordert."

Auer hatte seine Rede gerade beendet, da stürzt ein schnauzbärtiger junger Mann, bekleidet mit einem grauen

Seite 587/814 Mantel und Hut, durch einen Seiteneingang in den Sitzungssaal, läuft direkt auf Auer zu, tituliert ihn mit"Du Lump!", zieht eine Pistole aus seinem Mantel und drückt zweimal ab. Erhard Auer sinkt - in die Brust getroffen - zu Boden.

Der konservative Abgeordnete Major Paul Ritter von Jahreißstellt sich dem fliehenden Attentäter in den Weg und wird durch einen Schuss in den Hals tödlich getroffen.

Der Täter ist der im Jahr 1887 in Kelheim geborene Metzger Alois Lindner.Er ist Mitglied in derUSPDund imRevolutionären Arbeiterrat.Lindner ist von Auers Schuld an Eisners Ermordung überzeugt.

Inzwischen betreten weitere Mitglieder desRevolutionären Arbeiterratsden Saal.Auch sie glauben an Auers Schuld und fordern"Rache für Eisner!". Es kommt zu einer wilden Schießerei, bei der einer der Mitbegründer derBayerischen Volkspartei - BVP, Heinrich Osel, ums Leben kommt. In der allgemeinen Panik fliehen die übrigen Anwesenden.

Auch Lindner gelingt die Flucht.Unterstützt durch Freunde geht er nach Ungarn.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Pünktlich um 10 Uhr beginnt dieKonstituierende Sitzung des Bayerischen Landtags. Nachdem die Nachricht von der Ermordung Kurt Eisners eintrifft, unterbricht der soeben zusammengetreteneLandtagseine Sitzung umgehend.

21. Februar 1919 München * Die Nachricht von Eisners Ermordung verbreitet sich in Windeseile. Von überall her strömen die Massen an den Tatort. Aus dem stark angefeindetenUSPD-Politikerist ein"Märtyrer der Revolution"geworden, dem alle noch einmal huldigen wollen.

Die Schriftstellerin Richarda Huch erinnert sich an die Schüsse:"Jedermann verdammte und beklagte nun die verhängnisvolle Kugel des jungen Arco.Es war gerade, als ob sie nur gefallen, um der stockenden Revolution einen neuen Auftrieb zu geben."

Dabei wäre mit dem Rücktritt Kurt Eisners und derKonstituierenden Sitzung des Bayerischen Landtagsvermutlich die Revolution in Bayern beendet gewesen. Eine gesetzmäßig gewählte Regierung - angeführt von denMehrheitssozialistenund Demokraten - hätte ihr Amt übernommen. Da sich die neue Regierung rechtlich und politisch in einer starken Position befand, wäre sie nur unter ganz außergewöhnlich schwierigen Umständen zu stürzen gewesen. Doch mit der verbrecherischen Tat und der politischen Dummheit des Grafen Anton von Arco auf Valley wird dieZweite Revolutioneingeleitet.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Nicht nur Eisner, auch Anton von Arco wird unmittelbar nach seiner Tat von einem Leibwächter Eisners niedergeschossen und dabei lebensgefährlich verletzt. Man bringt ihn umgehend in Sicherheit, da die herbeigeeilte Menge damit droht, ihn zu lynchen. Der damaligeDirektor der

Seite 588/814 UniversitätsklinikFerdinand Sauerbruch kann ihn erfolgreich operieren.

Die Schüsse von hinten auf Kurt Eisner hat Graf Arco übrigens sein Leben lang geleugnet. Soldaten tragen den totenMinisterpräsidentenins Portierszimmer desMinisteriums des Äußeren.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Kurt Eisner verlässt an diesem föhnigen Vorfrühlingstag, kurz vor zehn Uhr, seinen Amtssitz im Montgelas-Palais und begibt sich von dort zum Landtagsgebäude an der Prannerstraße. In seiner Aktentasche befindet sich sein bereits unterschriebenes Schreiben vom Rücktritt als Ministerpräsident des Freistaates Bayern. Er will dabei jedoch nicht seinen Rückzug aus der Politik signalisieren.

Begleitet wird Eisner von seinem Sekretär Felix Fechenbach und dem Leiter des Ministerpräsidentenbüros, Bruno Merkle. Da Eisner in den vergangenen Tagen und Wochen mehrere Morddrohungen erhalten hatte, gehen zwei bewaffnete Ordonnanzen als Leibwächter voraus. Angesichts der drohenden Gefahr schlagen Eisners Begleiter einen Schleichweg zum Landtag vor. Das lehnt Eisner entschieden ab, denn: "Man kann einen Mordanschlag auf die Dauer nicht ausweichen, und man kann mich ja nur einmal totschießen."

Kurz nachdem die Gruppe um Eisner in die damalige Promenadenstraße eingebogen ist, pirscht sich Anton Graf von Arco auf Valley an den Ministerpräsidenten heran und schießt ihm aus kürzester Entfernung zweimal in den Hinterkopf. Im Nacken und unter dem rechten Ohr getroffen bricht Kurt Eisner sofort tot zusammen.

21. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Die aufgrund von Kurt Eisners Ermordung nicht mehr gehaltene Rücktrittsrede beginnt mit den Worten: "Meine Herren und verehrte Frauen!".

In seinem Tätigkeitsbericht führt er zu seiner 105 Tage andauernden Regierungszeit folgendes aus: "[?] Am 8. November kam die revolutionäre Regierung zustande, die heute vor den von ihr versprochenen neuen Landtag tritt. In diesem Augenblick ist es uns ein Bedürfnis, Rechenschaft abzulegen, was wir gewollt, was wir getan.

In einer Zeit der schwersten Erschütterungen, des drohenden Zusammenbruchs übernahmen wir die Regierung und führten sie bis hierher durch Monate aufreibender Arbeit, ernster Gefahr und leidenschaftlicher Erregungen. Wir waren uns bewusst, dass wir die Aufgabe von ungeheuerer Verantwortlichkeit auf uns genommen hatten, trotz der verhängnisvollen Erbschaft eines unter den Flüchen des Volkes zusammengebrochenen Systems das im tiefsten Grunde kranke Leben der Gemeinschaft allmählich der Genesung näherzuführen. Genesung auf dem Wege, dass das Volk in dem es im Aufschwung revolutionärer Kraft zur Selbstbestimmung emporwuchs, mit dem neuen Bewusstsein der eigenen Macht, im Kampf um die Sicherung seiner Freiheit, im Glauben an den endgültigen Sieg der Demokratie und des Sozialismus, durch das Elend der Gegenwart sich in die Zuversicht künftiger Größe rettete.[?]."

Kurt Eisner geht in seiner Abschiedsredeals Ministerpräsident auf die Erfolge in den verschiedenen Ressorts ein. So hebt er seinen Kampf um die "föderative Grundlage unseres deutschen Staatenbundes" hervor, da "ein großes Staatswesen sich um so reicher und gesünder entfalte, je lebendiger und selbstständiger die einzelnen Glieder sich zu gestalten vermöchten".

Zu seiner Friedenspolitikführt er aus: "Nur eine Politik der unbedingten Wahrhaftigkeit, der kühnen Offenheit und des gegenseitigen Vertrauens führt zu jenem Frieden, nach dem die zertretende Menschheit schmachtet".

Seite 589/814 Er hebt seine Anstrengungen zur Wiederherstellung der durch den Krieg zertrümmerten "Internationale der Arbeiter" hervor, denn nur wenn sie erstarkt, ist die Freiheit jeden Volkes verbürgt. In Eisners Redemanuskript liest sich das so: "So fasste ich - wenn mir eine mehr persönliche Zwischenbemerkung gestattet ist - meine Arbeit jüngst in Bern auf, wo ich erreichte, dass die Vertreter aller Völker, Hass und Erbitterung vergessend, für die Erlösung der deutschen und österreichischen Gefangenen sich vereinigten".

Der Passus zu den "Räten" ist vergleichsweise kurz gehalten, obwohl sie die Stütze der Eisner?schen Politik bilden. Er verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, "dass die Räte sich in jenen Grenzen, in denen sie sich bei uns entwickelt haben, als unentbehrlich für die Schaffung einer tätigen Demokratie erweisen werden".

Ein weiteres von Kurt Eisner angesprochenes Thema ist die "Ernährungslage". Dabei stellt er fest: "Im allgemeinen sind die Ernährungsverhältnisse nach der Revolution bei uns in Bayern zum mindesten nicht schlechter geworden. Sehr ungünstig ist nach wie vor unsere Versorgung mit Kohlen und sonstigen Rohstoffen". Dabei stellt er dar, welche Maßnahmen von der Regierung eingeleitet worden sind.

Breit behandelt Eisner das Thema "Demokratisierung", die auch in der "Gemeinde, Distrikt und Kreis beachtet werden, deren Selbstverwaltung [?] durchgeführt werden wird". Und weiter: "Das Kriegsministerium hat sich nach der Revolution in ein Ministerium für militärische Angelegenheiten, in ein Ministerium zur Liquidierung des Krieges gewandelt. [?] Die Demokratisierung der Armee [?] wurde durchgeführt. [?] Die Änderung der Militärgerichtsordnung war eine wichtige Errungenschaft des neuen Geistes".

Nun folgt eine Beschreibung über die politischen Umwälzungen und Demokratisierung in der Justizverwaltung und die Einrichtung von Volksgerichten. Auch auf Fragen der Amnestie und Begnadigungen geht Kurt Eisner in seinem Redeentwurf ein. Ein weiterer Punkt seines Tätigkeitsberichts ist die Tätigkeit des Kultusministeriums, das "die Erneuerung des gesamten Volksbildungs- und Erziehungswesen" vorbereitet hat. Im Verhältnis von "Schule und Kirche" erklärt er: "Für jede Demokratie kann nur der unantastbare Grundsatz gelten, dass die Dreiheit der Schule zugleich mit der Freiheit der Kirche gesichert werden müsse". Eisner erklärt die "Aufhebung der geistlichen Schulaufsicht" und die "Aufhebung des Zwangs zur Teilnahme am Religionsunterricht" den Grundsatz, dass "ein Kind gegen den Willen der Erziehungsberechtigten nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht oder Gottesdienst angehalten werden dürfe. Das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern wurde durch die Errichtung von Schülerausschüssen und Schülerversammlungen freier gestaltet". Außerdem erklärt der Ministerpräsident, dass "die Entwürfe des Volksschullehrergesetzes und des Schulbedarfsgesetzes einer gründlichen Durcharbeitung unterzogen wurden".

Ein weiterer kultureller Bereich sind die staatlichen Theater. Dazu führt Kurt Eisner aus: "Infolge der Revolution kamen die ehemaligen Hoftheater in den Bereich des Kultusministeriums. In dem jetzigen Nationaltheater vollzog sich zugleich die Demokratisierung des gesamten Betriebes".

Nun folgen Kurt Eisners Ausführungen zur bayerischen Verkehrsverwaltung und der Finanzverwaltung.

Sehr ausführlich geht er auf die Tätigkeit des am 14. November 1918 neu geschaffenen Ministeriums für soziale Fürsorge ein. Er hebt dabei hervor, "die Schaffung neuer Referate, um die sozialen und wirtschaftlichen Interessen der Arbeiter und Arbeiterinnen mit allen staatlichen Mitteln wahrzunehmen. Es wurde ein Referat für Arbeitsrecht geschaffen, für Angestelltenfragen, für Beamtenfragen usw..

Die Einrichtungen der Erwerbslosenfürsorge, Arbeitsvermittlung und im Wohnungswesen wurden ausgebaut und durchgeführt, soweit es unter den bestehenden Verhältnissen möglich war. Leider konnten in dieser kurzen, unruhigen Zeit nicht alle Pläne, die das Ministerium entworfen hatte, befriedigend ausgeführt werden.

Seite 590/814 Der Gewerbeaufsicht, dem Gesundheitswesen, den Kriegsbeschädigten wandte das Ministerium seine größte Aufmerksamkeit zu. Es sind auch hier Erfolge zu verzeichnen, doch nicht in so großem Maße, wie es im Interesse der leidenden Volksgenossen unbedingt notwendig gewesen wäre. Für die Parias [= jemand, der unterprivilegiert, von der Gesellschaft ausgestoßen ist] unter dem arbeitenden Volk, für die sogenannten Dienstboten, wurde ein neues Recht geschaffen. Ein Landarbeiterrecht ist in Ausarbeitung, wobei alle beteiligten Kreise der Landwirtschaft mitarbeiten.

Der Kleinwohnungsbau, das Siedlungswesen wurden in weitgehendem Maße gefördert. Notstandsarbeiten wurden angeregt und Zuschüsse wurden zur Verfügung gestellt, um Arbeitsgelegenheiten zu schaffen, denn das Problem der Arbeitslosen kann nur durch Arbeitsbeschaffung gelöst werden.

Die sozialpolitische wichtigste Tat des Ministeriums war die Proklamierung des Achtstundentages, die von der Erkenntnis ausging, das die rationelle Verkürzung der Arbeitszeit der Ausgangspunkt aller sozialpolitischen Maßnahmen, die auf die physische, geistige und moralische Hebung der Arbeiterklasse abzielen, sein muss.

Für Erwerbslosenunterstützung wurden im Dezember rund zwei Millionen, im Januar rund zehn Millionen verausgabt. Zur Deckung der Kosten der Notstandsarbeiten wurde dem Haushalt des Ministeriums die Summe von zwölf Millionen Mark bewilligt und für überschreitbar erklärt. Nach den bisher eingelaufenen Meldungen wurden im ganzen rund zwei Millionen Mark Reichszuschüsse und eine Million Staatszuschüsse zugesichert". Soweit seine Ausführungen zum Sozialministerium.

Kurt Eisners Rede, die er aufgrund seiner Ermordung nicht mehr im bayerischen Landtag vortragen könnte, endet mit den Worten: "Die revolutionäre Regierung hat einstimmig beschlossen, ihre Ämter dem auf dem revolutionären Wahlrecht beruhenden Landtag zur Verfügung zu stellen. Sie ist zugleich bereit, die Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterzuführen.

Um die Neubildung zu beschleunigen, wird die Regierung unverzüglich dem Landtag den Entwurf eines vorläufigen Staatsgrundgesetzes zur Beratung und Beschlussfassung zugehen lassen, das bis zur Vollendung der Verfassung die Grundlage für die Arbeiten des Parlaments und der Regierung bieten soll.

Ein Entwurf der Verfassung selbst ist gleichfalls fertig gestellt; wir wollen ihn noch als Vermächtnis unserer demokratischen und sozialistischen Gesinnung der Öffentlichkeit übergeben, bevor die bisherige revolutionäre Regierung von dem Werk zurück tritt, über das das letzte Urteile die Geschichte fällen wird."

21. Februar 1919 Münster * Die Arbeiter- und Soldatenräte brechen den Generalstreik in und um Münster ab.

21. Februar 1919 München-Haidhausen * Josef Hofmiller, nationalkonservativ gesinnter Gymnasiallehrer und Verfasser von Essays und Literaturkritiken, dazu Herausgeber der reaktionären Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, betrachtet Kurt Eisner in seinem Revolutionstagebuch als Opfer der eigenen Politik:

"Eisner forderte durch sein ganzes Verhalten zu seiner gewaltsamen Entfernung heraus. Er erklärte bei jeder Gelegenheit, dass es ihm nicht einfalle, als Ministerpräsident zu gehen. Er hätte sicher noch die schwerste Opposition gemacht. Es war nicht möglich, mit ihm zu regieren; es wäre vermutlich nicht möglich gewesen, ohne ihn zu regieren, da er einen zwar kleinen, aber zu allem entschlossenen Anhang hinter sich hatte. Unzweckmäßig scheint mir, dass man ihn nicht früher beseitigte, und zwar auf vollkommen harmlose Weise. Der gegebene

Seite 591/814 Augenblick wäre gewesen, als er von der Schweiz zurückkehrte. [?]

Man hätte ihn z. B. zwischen Füssen und Murnau in irgendeine Jagdhütte des Ammergebirges bringen können, von ihm Verzicht auf sein Amt verlangen, ihn sodann über die Grenze schaffen, ihm seine Papiere usw. abnehmen. Inzwischen wären acht bis vierzehn Tage vergangen, der Landtag wäre eröffnet worden, und der Unruhestifter wäre ohne Blutvergießen erledigt gewesen. So wird sein gewaltsamer Tod einen Bürgerkrieg zur Folge haben. Aber wäre dieser Bürgerkrieg nicht sowieso gekommen? Die Auseinandersetzung mit den Räten ist unvermeidlich. Es fragt sich jetzt nur, wer die Macht hat. Wer sie am Schluss haben wird, ist mir nicht zweifelhaft.

Aber einstweilen kann es immerhin ein heftiges Durcheinander geben.Ich bedaure, dass wir heute nicht im ?Union? zusammenkommen können, nachdem ich schon vor acht Tagen nicht dort war. [?] Ich habe den Tod Eisners vorausgesehen und vorausgesagt."

22. Februar 1919 München * Der Zentralrat verbietet die gesamte Presse mit Ausnahme des USPD-Organs Neue Zeitung. Am 22. Februar erscheint neben der Neuen Zeitung, dem Bauernbund-Blatt Neue freie Volks-Zeitung nur das Nachrichtenblatt des Zentralrats.

Es wird in den vom Militär besetzten Räumen der Münchner Neuesten Nachrichten gefertigt und den Abonnenten der Münchner Neuesten Nachrichten, der Münchener Zeitung, der München-Augsburger Abendzeitung und des Bayerischen Kuriers zugestellt.

Die Redakteure, Setzer und Drucker der Münchener Post lehnen es ab, die Zeitung unter Vorzensur erscheinen zu lassen. Das Nachrichtenblatt des Zentralrats wird die erste und einzige Ausgabe bleiben.

Nach dem 22. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Die bisherigen Minister Dr. Edgar Jaffé, Hans Unterleitner und Heinrich Ritter von Frauendorfer richten an den Zentralrat des Volksstaates Bayerndas nachstehende Schreiben:

"Die Unterzeichneten haben im Interesse des Landes seit dem 21. Februar 1919 die laufenden Geschäfte ihres Ressorts weitergeführt und sind auch bereit, dies fürderhin zu tun, bis eine neue Regierung gebildet ist. Sie erklären ausdrücklich, dass sie lediglich verantwortlich sind für die von Ihnen innerhalb ihres Verwaltungsbereiches getroffenen Maßnahmen. Sie stellen fest, dass sie die allgemeine Führung der Regierungsgeschäfte und für die Maßnahmen des Zentralrats keinerlei Mitverantwortlichkeit tragen, insbesondere auch nicht die Festnahme und Einbehaltung von Geiseln, sowie für die gegenüber der Presse getroffenen Maßnahmen."

22. Februar 1919 München * Ernst Niekisch strebt die Wiederannäherung von USPD und SPD an, weshalb drei Mitglieder des Zentralrats - Niekisch, Sauber und Gandorfer - versuchen, durch Gespräche mit Delegierten der Münchner Ortsgruppen von SPD, USPD und Freien Gewerkschaften die Spaltung der Linken zu überwinden und eine sozialistische Einheitsfront zu begründen.

Die sechs Verhandlungsführer bezeichnen sich als "Kommission zur Wiederherstellung der Einheit der

Seite 592/814 sozialdemokratischen Parteien". Sie erarbeiteten eine Vereinbarung als Grundlage für Verhandlungen unter den von ihnen vertretenen Interessengruppen.

In der Präambel wird jeder politische Mord verurteilt, "gleich, von welcher Seite er verübt wird", und ein Programm sozialistischer Einheit aufgestellt, das die Sicherung der Erfolge der Revolution gewährleisten und einen Bruder- und Bürgerkrieg vermeiden soll. Artikel 1 sieht vor, dass die Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte in der Bayerischen Verfassung anerkannt und verankert werden. Rätemitglieder sollen in Ausübung ihres Amtes Immunität genießen. Außerdem sollen sie den Ministerien beratend zur Seite stehen. Nach Artikel 2 sollen die im Amt verbliebenen Minister ihre Stellung behalten und mit anderen Parteigenossen ein sozialistisches Ministerium bilden, dem ein Mitglied es Bayerischen Bauernbundes als Landwirtschaftsminister beitreten soll. Artikel 3 lautet: "Der am 12. Januar rechtmäßig gewählte Landtag wird, sowie es die Verhältnisse gestatten, wieder einberufen werden." Gemäß Artikel 4 soll das stehende Heer sofort aufgelöst und durch eine republikanische Schutzwehr, die aus Mitgliedern der Freien Gewerkschaften, des Bauernbundes und der organisierten Landarbeiterschaft besteht, ersetzt werden. Nach Artikel 5 wird die Freiheit der Presse grundsätzlich wiederhergestellt, doch werden gleichzeitig - "bis zur Rückkehr geordneter Verhältnisse" - erhebliche Einschränkungen der Pressefreiheit gefordert.

Wie vorauszusehen war, geben die SPD-Führung und die Freien Gewerkschaften der Vereinbarung unverzüglich ihre Zustimmung.

Anders die Münchner Räte. Sie zeigten sich über die hinter ihrem Rücken stattfindenden Gespräche empört. Eine zur Beratung des Programms einberufene Versammlung löste sich wegen des dritten Artikels in einem Tumult auf. Die Münchner Räte drohen unverhohlen, dass sie einem Zentralrat, der bereit ist, den Landtag anzuerkennen, die Bestätigung verweigern will.

Damit besteht die geforderte und so hoch gelobte Einheitsfront nur noch auf dem Papier. Ernst Niekisch ist jetzt zwar quasi Regierungschef in Bayern. Doch den im Umbruch befindlichen Staat zu lenken, ist alles andere als einfach. Als zentrale Frage bleibt: Welches Regierungssystem - Parlamentarismus oder Räterepublik - soll künftig in Bayern herrschen?

22. Februar 1919 Krumbach - München * Weil der Verkehr nach München gesperrt ist, kann Gustav Landauer erst am 22. Februar wieder nach München zurückreisen.

22. Februar 1919 München * Arnold Wadler bringt im Namen des Revolutionären Arbeiterrats auf einer Versammlung von Münchner Räten, den Antrag zur "sofortigen Ausrufung der sozialistischen Räterepublik". Der Antrag wird - nach einer kontroversen Debatte - einstimmig angenommen.

22. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Um weiteren konterrevolutionären Attentaten vorzubeugen beschließt der

Seite 593/814 ZentralratGeiseln in Schutzhaftzu nehmen. Diese werden weitgehend zufällig aus Kreisen des Bürgertums und der Offiziere auswählt und in das Hotel Bayerischer Hofgebracht.

24. Februar 1919 Baden - München * Erich Mühsam kommt aufgrund der schwierigen Verkehrsverbindungen erst jetzt wieder in München an, obwohl er am 21. Februar von der Ermordung Kurt Eisners erfahren hatte.

25. Februar 1919 München-Maxvorstadt * Der Rektor und der Senat der Münchner Universitätsprechen ihre "rückhaltlose Verurteilung der Freveltat" vom 21. Februar aus.

26. Februar 1919 München-Giesing * Zeugten schon die Geschehnisse am Ort des Attentats von breiter Betroffenheit über Kurt Eisners Tod, so wird sein Begräbnis zu einer außergewöhnlichen Trauerbekundung der Bevölkerung.

Der Zentralrat ordnet für ganz Bayern Landestrauer an. Die öffentlichen Gebäude sind auf Halbmast schwarz und rot beflaggt. Die Arbeit ruht. Annähernd 100.000 Menschen nehmen an den Bestattungsfeierlichkeiten teil.

Ab 9 Uhr bewegt sich der Trauerzug - begleitet von 20 Musikkapellen - von der Theresienwiese zum Ostfriedhof. Matrosen tragen den mit schwarzen Tüchern verhüllten Sarg. Um 10 Uhr beginnt ein halbstündiges Glockengeläut. Die Trauerfeier mit der Einäscherung in der Halle des Krematoriums beginnt um 10:30 Uhr. Sie dauert bis 11:40 Uhr.

Gustav Landauer hält eine Gedächtnisrede, in der er ausführt: "Kurt Eisner, der Jude, war ein Prophet, der unbarmherzig mit den kleinmütigen, erbärmlichen Menschen gerungen hat, weil er die Menschheit liebte und an sie glaubte und sie wollte. Er war ein Prophet, weil er mit den Armen und getretenen fühlte und die Möglichkeit, die Notwendigkeit schaute, der Not und Knechtung ein Ende zu machen. Er war ein Prophet, weil er ein Erkennender war, dieser Dichter, der zugleich von der Schönheit, die kommen sollte, träumte und den harten, bösen Tatsachen unerschrocken ins Gesicht sah.

Er war ein Prophet, und er wurde so zum Satiriker und zum Geißler der Verlogenheit und Verkleisterung, wie er sie zumal bei seinen Kollegen von der Presse fand, er war ein unermüdlicher, trockener Erforscher der Wirklichkeit. So war er, der Schauend-Gestaltend-Erkennende, auch ein Prophet in dem Sinne, dass er die Zukunft voraus sah. Er wollte mit den Menschen gehen, er wollte auf die Menschen wirken, aber nichts lag ihm ferner als Herrschaft oder unterdrückende Überlegenheit."

Selbst die bürgerliche Presse ist beeindruckt und schreibt: "In ihrer reichen Geschichte hat die bayerische Hauptstadt wohl viele prunkvolle Leichenzüge zu verzeichnen, aber keinen, der, was Massenentfaltung anlangt, denjenigen übertrifft, der am Vorfrühlingstage des 26. Februar halb München in Bewegung setzte."

28. Februar 1919 München * Im Wagnersaalund im Mathäserbräutagen die Unabhängigen Sozialdemokratenbeziehungsweise die Kommunisten, als die Nachrichten über die Verhaftungen im Landtagsgebäudeeintreffen.

Spontan bilden sich Demonstrationszüge zur Befreiung der Inhaftierten. Von der Türkenkaserneschließt sich

Seite 594/814 ihnen eine Abordnung des Leibregimentsan. Der inzwischen vereinigte Demonstrationszug bewegt sich zum Landtagsgebäudein der Prannerstraße, wo die inzwischen befreiten Gefangenen zur Menge sprechen und sich die Demonstration daraufhin unter Hochrufen auf die Räteauflöst.

28. Februar 1919 München-Kreuzviertel * Am Nachmittag beraten die Delegierten der bayerischen Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräteim Münchner Landtagsgebäudean der Prannerstraße einen Kompromissantrag. Darin wird festgelegt, dass der Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräteden Provisorischen Nationalratdarstellt.

In den nächsten Tagen sollen 250 Delegierte gewählt werden, die diesem Provisorischen Nationalratkünftig angehören. Im Anschluss daran soll ein Aktionsausschussgewählt werden, der sich aus je sieben Mitgliedern der Vollzugsausschüsse der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte, je drei Vertretern von SPD, USPD, Revolutionärem Arbeiterratund Bayerischem Bauernbund - BBBzusammensetzt. Die Mitglieder des Aktionsausschusseskönnen jederzeit vom Provisorischen Nationalratabgesetzt werden. Der Aktionsausschusswählt aus seiner Mitte einen Zentralrat, dessen Mitglieder dem Aktionsausschussverantwortlich sind. Außerdem soll in absehbarer Zeit das Staatsgrundgesetzvom 4. Januar 1919 zur Volksabstimmungvorgelegt werden. Das Staatsgrundgesetzsoll zuvor aber noch in einigen Punkten abgeändert werden, in dem die Rätedas Recht zur Gesetzesinitiativeund ein Vetorecht gegen Parlamentsbeschlüssefestgeschrieben erhalten. Bei Streitigkeiten hat das Volk das letzte Wort und entscheidet per Volksentscheid.

Hans Unterleitner wirbt mit großem Engagement für den Kompromiss: "Die zweite Revolution ist eine Tatsache. Nun handelt es sich darum, sich klar zu sein, was die zweite Revolution will. [...]Wir haben die politische Macht erobert und lassen sie uns nicht mehr nehmen".

In seinen Ausführungen stellt er fest, dass die Beratungen mit den Bauernvertreterngezeigt haben, dass die Bauern einer Räterepublikjegliche Unterstützung verweigern. Ohne die Bauern kann jedoch so ein Experiment unmöglich funktionieren: "Wir dürfen die Augen vor der Tatsache nicht verschließen, in Deutschland und in Bayern liegen eben die Verhältnisse anders wie in Russland".

28. Februar 1919 München - Freistaat Bayern * In den Münchner Neuesten Nachrichten erscheint eine Proklamation, in der der Zentralrat über die Vorkommnisse nach dem Attentat schreibt:

"Der Schuss, der Kurt Eisner tötete und mit ihm die Revolution vernichten sollte, [musste] das Signal zur Sicherung und Fortführung von Eisners Werk sein. Die Arbeiterschaft aller Richtungen war geschlossen, die gesamte Garnison Münchens stellte sich ihr zur Seite". Doch das ist reines Wunschdenken.

Seite 595/814 1. März 1919 München * In den Postämtern kommen Briefmarken des Freistaats Bayernzur Ausgabe. Es sind Marken der letzten Ausgabe mit dem Königsbild, das schwarz mit Volksstaat Bayernüberdruckt sind.

2. März 1919 München * Das Münchener Tagblattveröffentlicht das vom 20. Februar datierte und noch von Kurt Eisner unterschriebene Vorläufige bayerische Staatsgrundgesetz.

5. März 1919 München * Während der Rätekongress am 28. Februar die Höchstzahl des Aktionsausschusses auf 33 Personen festgelegt hat, beschließt der Kongress nun die Aufnahme eines Vertreters der Erwerbslosen.

5. März 1919 Berlin * Am Nachmittag beginnt die Schlacht am Alexanderplatz. Sie dauert bis zum 6. März. Es geht bei diesem Feuergefecht um das Polizeipräsidium. Über die genauen Hintergründe der Auseinandersetzung gibt es verschiedene, vollkommen unterschiedliche Aussagen.

Tatsache ist, dass drei bewaffnete Truppen in der Nähe des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz aufeinander treffen:

die Regierungstruppen unter General Walther von Lüttwitz, die Republikanische Sicherheitswehr und die übrig gebliebenen Reste der Volksmarinedivision.

Die Schuld für den Ausbruch der Kämpfe wird in den Zeitungen - je nach politischer Couleur - der jeweils anderen Seite zugewiesen.

Die Schlacht endet, nachdem die regierungsnahen Truppen die Kontrolle über das Polizeipräsidium und dessen Umgebung übernehmen können. Dennoch müssen ein Toter und fünf Schwerverwundete hingenommen werden.

6. März 1919 München * Die Fleischversorgung Münchens lässt stark zu wünschen übrig. Die ständigen Unruhen in der Stadt haben die Bauern verunsichert und verbittert.

6. März 1919 München * Der SPD-Landtagsabgeordnete und Rechtsanwalt Dr. Max Süßheim stellt auf dem Rätekongress den Antrag auf sofortige Freilassung der Geiseln, die aufgrund des Beschlusses des Zentralrats vom 22. Februar im Hotel Bayerischer Hof in Geiselhaft genommen worden waren. Zu diesem Zeitpunkt sind noch zwölf Geiseln in Stadelheim untergebracht. Fünfzehn sind bereits entlassen worden.

Der Rätekongress beschließt die sofortige Entlassung der Geiseln, "soweit nicht nachweisbare Verdachtsgründe

Seite 596/814 vorliegen".

7. März 1919 Berlin * Die Sozialdemokraten beantragen in der Vollversammlung des Berliner Arbeiterrats die sofortige Beendigung des Generalstreiks. Auch die Gewerkschaftskommission empfiehlt den Abbruch des Streiks.

Die Vollversammlung des Berliner Arbeiterrats beschließt - mit den Stimmen der USPD-Vertreter - den Generalstreik um 19 Uhr zu beenden. Das Ende des Streiks bedeutet aber nicht das Ende der Gewalt.

10. März 1919 Berlin * Das Berliner Tageblatt verteidigt die standrechtlichen Erschießungen der Regierungstruppen, die schließlich einen "Kampf gegen die Bestie" führen. "Diese Mordtat, diese ruchlose und feige Massenerschießung, ist nur ein einziger, besonders hervorstehender Fall in der Unzahl der bestialischen Scheußlichkeiten, die von dem spartakistisch-kommunistischen Verbrechertum gegenwärtig verübt werden".

10. März 1919 München - Freistaat Bayern * Das USPD-OrganNeue Zeitung veröffentlicht den ersten Teil von "Kurt Eisners nichtgehaltener Rede", die er eigentlich am 21. Februar vor der Nationalversammlungausführenwollte. Der zweite Teil der Rede wirdam 12. März folgen.

11. März 1919 München-Obergiesing * In Stadelheim verhandelt das Volksgerichtüber 21 zumeist jugendliche Angeklagte, die am 21. Februar zum Teil gewaltsam in Häuser eingedrungen sind und plünderten.

12. März 1919 Berlin-Lichtenberg * Die Berichte über den "Lichtenberger Gefangenenmord" stellen sich als Falschmeldungen dar. Es gab kein Massaker. Die Männer, die angeblich von den Spartakisten brutal ermorden sein sollen, leben noch alle.

Später stellt sich heraus, dass für die Lügenpropaganda Waldemar Pabst, der Erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, zuständig war. Er hatte auch am 15. Januar 1919 die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht befohlen.

12. März 1919 München - Freistaat Bayern * Das USPD-Organ Neue Zeitung veröffentlicht den zweiten Teil von "Kurt Eisners nichtgehaltener Rede" vom 21. Februar.

13. März 1919 Berlin * Harry Graf Kessel notiert in sein Tagebuch:

"Alle geistig und ethisch anständigen Menschen müssen einer so leichtsinnig und frech mit dem Leben ihrer Mitbürger spielenden Regierung den Rücken kehren. Die letzten acht Tage haben durch ihre Schuld, durch ihr

Seite 597/814 leichtfertiges Lügen und Blutvergießen, einen in Jahrzehnten nicht wieder zu heilenden Riss in das deutsche Volk gebracht.Die Stimmung gegen sie heute Abend wechselt zwischen Abscheu und Verachtung".

15. März 1919 München * Die seit drei Wochen andauernde Zensur der bürgerlichen Presse durch den Zentralratwird aufgehoben. Bereits seit dem 25. Februar konnten wieder alle bürgerlichen Blätter erscheinen, allerdings bis zum 15. März nur unter einer - mäßig strengen - Vorzensur.

15. März 1919 Berlin - Weimar * Die Kommission zur Erarbeitung eines Sozialisierungskonzepts, die am 3. Februar 1919 ihren Rücktritt erklärt hatte, tritt vom Rücktritt zurück.

16. März 1919 München-Maxvorstadt * Im Odeon findet eine Trauerfeier für Kurt Eisner statt. Der Schriftsteller Heinrich Mann und Minister Hans Unterleitner halten die Gedenkrede.

Heinrich Mann sagt: "Der verewigte Kurt Eisner wird beispielhaft in unserer Mitte weilen, seinen Tod überdauernd gewiss durch seine Taten, aber noch mehr durch das, was er war.

Wir danken ihm nicht einfach den Sturz eines verworfenen Regiments, sondern dass dieses Regiment, das selbst in seinen weniger schändlichen Zeiten nichts anderes gewesen war als geistlose Gewalt, unvermittelt und in sinnbildlicher Art abgelöst wurde von der Menschenart, die Geist will und Geist schafft".

Dann folgen die berühmten Worte des Schriftstellers: "Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernuft, mehr Bewegung der Geister gebracht, als die fünfzig Jahre vorher. Sein Glaube an die Kraft des Gedankens, sich in Wirklichkeit zu verwandeln, ergriff selbst Ungläubige.

In jeder Handlung sah er neben ihrer praktischen Wirkung ihr geistiges Gepräge. Achtstundentag, Demokratisierung des Heeres, eine befreite Schule, die wirtschaftliche Erfüllung der politischen Revolution: durch solche Taten dachte er, gleichwie in seinen Reden, die bis dahin verfemten Wahrheiten zu bezeugen. [?]

In Bern, auf der Sozialistentagung, hatte, solange er sprach, Deutschland keinen Feind mehr. [?]

Er ging aus einer Zeit des Wahnsinns und Verfalles mit ungebrochener Vernunft hervor. Er liebte die Menschen, traute ihnen die Kraft zur Wahrhaftigkeit zu und erwartete daher noch so viel von ihnen, dass er sich hütete, alles auf einmal zu verlangen. [?]

Der erste wahrhaft geistige Mensch an der Spitze eines deutschen Staates erschien jenen, die über die zusammengebrochene Macht nicht hinwegkamen, als Fremdling und als schlecht. Dass er am Quell der Macht doch lauter blieb, widerstrebte ihren Begriffen. Seine Güte, die um keinen Preis, nicht einmal um den seines eigenen Lebens, Blut vergießen wollte, ihnen war sie Schwäche. [?]

Bewahren wir sein unversehrtes Bild! Solange er da war, hatte die Revolution einen Sammelpunkt, in dem sie einig und ihrer frohen Zukunft gewiss war".

Seite 598/814 16. März 1919 München * Laut einem Gutachten von Eisners Wirtschaftsexperten Benno Merkle reichen die Lebensmittel für München noch genau bis Ende Mai, dann ist Schluss.

Ein kräftiger Wintereinbruch am 16. März verschärft die Krise der Lebensmittelversorgung.

16. März 1919 Weimar - Berlin * Obwohl sich herausgestellt hat, dass es sich bei der Nachricht um den "Lichtenberger Gefangenenmord" um eine Falschmeldung handelt, wird der "Noske-Schießbefehl" vom 9. März erst am 16. März wieder zurückgenommen.

Insgesamt haben nach vorsichtigen Schätzungen 1.200 Menschen in den Berliner Kämpfen ihr Leben verloren, darunter 75 Angehörige der Regierungstruppen.

Später wird als Urheber der Falschmeldung der Erste Generalstabsoffizier der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, Waldemar Pabst, entlarvt. Der Befehlsgeber zur Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg hat die Meldung gezielt durch seine Propagandaabteilung verbreiten lassen.

17. März 1919 München-Kreuzviertel * Der Bayerische Landtag tritt unter erhöhten Sicherheitsmaßnahmen zu seiner ersten Sitzung seit dem 21. Februar zusammen. Die Abgeordneten müssen nacheinander vier Leibesvisitationen und Ausweiskontrollen über sich ergehen lassen.

Eine neue Regierung unter dem Vorsitz des Mehrheitssozialdemokraten Johannes Hoffmann wird eingesetzt und mit einem Ermächtigungsgesetzmit umfangreichen Vollmachten ausgestattet.

Johannes Hoffmann wirdauf der Basis des noch von Kurt Eisner vorbereiteten Vorläufigen Staatsgrundgesetzes vom 17. März 1919 zum Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern gewählt. Er wird deshalb auch als erster parlamentarischer, also vom Vertrauen des gewählten Landtags getragener Ministerpräsident bezeichnet. Aus diesem Grund ist - bis zum heutigen Tag - in der Bayerischen Staatskanzlei in der Galerie der Ministerpräsidenten kein Bild von Kurt Eisner aufgenommen worden.

Der Landtag nimmt das vorläufige Staatsgrundgesetz des Freistaates Bayern an. Darunter das Gesetz über die Aufhebung des bayerischen Adels.

Um den 20. März 1919 München-Maxvorstadt * Der Zentralrat zieht vom Landtagsgebäude in der Prannerstraße in das Wittelsbacher Palaisan der Brienner Straße um.

20. März 1919 Budapest * Die Alliierten fordern nach dem Zusammenbruch der k.u.k-Monarchie in einem Ultimatum zum Rückzug der ungarischen Armee in Transsylvanien um weitere 80 Kilometer zu Gunsten Rumäniens auf. Das Ultimatum soll einen Tag später in Kraft treten.

Seite 599/814 Der ungarische Ministerpräsident Graf Mihály Károlyi verweigert die Annahme und tritt zurück.

22. März 1919 Schloss Wildenwart * Ex-Prinzessin Wiltrud notiert in ihr Tagebuch: "So lange Papa und Rupprecht etwas zu sagen gehabt hatten, wäre es nie so weit gekommen. Die Saubande von Juden-Preußen in München hat uns um unser Vaterland gebracht, wir werden jetzt eine Art Provinz des Reiches".

22. März 1919 München * In den Münchner Neuesten Nachrichten erscheint unter der Rubrik "Von Frauen für Frauen" ein Artikel, der mit "Platz für den Mann!" überschrieben ist.

Unter diesem Schlagwort werden die Frauen nun wieder aus den Berufen verdrängt, die sie während des Krieges ausgeübt haben, stellt die Verfasserin Thea Schneidhuber fest: "Die unzähligen Frauen aus all den verschiedenen Industrien haben den heimgekehrten Kriegern mehr oder minder bereitwillig ihren mit so viel Stolz und Selbstgefühl behaupteten Posten abtreten müssen", schreibt sie.

Ihnen sei zwar von vornherein klar gewesen, dass sie diese Rolle nur provisorisch eingenommen hätten, gleichwohl sind vier Jahre genug gewesen, um auf den Geschmack zu kommen: "Jeder, der es erfahren hat - er sei Mann oder Weib - weiß die Freude am eigenen Erwerb zu verstehen, die umso größer ist, je notwendiger die Herbeischaffung der Mittel ist. Es kann die Tatsache nicht verkannt werden, dass zwei Drittel der Bevölkerung während der Kriegsjahre von der Frau ernährt worden sind, dass sie die Verdienerin war, die ihre Familie erhielt, während der Mann seinen Kriegslohn in den meisten Fällen für sich aufbrauchte".

Und nun sollen die Frauen still abtreten und wieder den Männern die Bühne überlassen? Die Verfasserin räumt zwar ein, "die Pflichten der Hausfrau und Mutter" seien der Frau "naturgemäß die liebsten und sie wird ihnen gern das Selbstgefühl opfern, das der eigenen Hände Arbeit ihr bescherte". Aber das Selbstbewusstsein und den Anspruch auf Mitsprache will sie dennoch nicht aufgeben.

Mit einem "erstaunlichen Maß an Gleichgültigkeit" stünden gerade die radikalen Vertreter der neuen Ordnung den Frauen gegenüber, klagt sie. Gerade weil die Frauen darauf verzichtet hätten, sich zu einer alle Lager übergreifenden Frauenpartei zusammenzuschließen, stünden die Männer aller Parteien in der Pflicht, ihre Sache nicht nur "ohne Feindseligkeit zu betrachten, sondern nach Kräften zu unterstützen".

23. März 1919 Weimar * Die SPD-Parteikonferenz beschließt die Einführung der Betriebsräte:

"Zur Mitwirkung an Sozialisierungsmaßnahmen, zur Kontrolle sozialistischer Betriebe, zur Überwachung der Gütererzeugung und Verteilung im gesamten Wirtschaftsleben sind gesetzlich geordnete Arbeitervertretungen zu schaffen.

In dem zu diesem Zweck schleunigst zu schaffenden Gesetz sind Bestimmungen zu treffen über die Wahl und Aufgaben von Betriebs-, Arbeiter- und Angestelltenräten, die bei der Regelung der allgemeinen Arbeitsverhältnisse gleichberechtigt mitzuwirken haben.

Es sind weiter Bezirksarbeiterräte und ein Reichsarbeiterrat vorzusehen, die vor dem Erlass wirtschaftlicher und sozialpolitischer Gesetze ebenso wie die Vertretungen aller übrigen schaffenden Stände gutachtlich zu hören sind

Seite 600/814 und selbst Anträge auf Erlass solcher Gesetze stellen können.

Die entsprechenden Bestimmungen sind in der Verfassung der deutschen Republik festzulegen".

31. März 1919 München * Die Mehrheit des Ministerrats beschließt ein Statut, das den wesentlichen Forderungen des Philosophen und Nationalökonomen Otto Neuraths nachkommt. Diese zielen darauf ab, die gesamte Wirtschaft des Landes durch ein Zentralwirtschaftsamt zu lenken, das dem noch zu errichtenden Handelsministerium unterstehen soll.

Ziel ist es, mit Hilfe einer Universalstatistik einen Überblick über die vorhandenen Produktionsmittel, die Produktionsmöglichkeiten und den Produktionsbedarf zu gewinnen, der dann von einer Naturalrechnungszentrale für die Erstellung von Wirtschaftsplänen ausgewertet werden soll.

Eine Kompensationszentrale soll den unmittelbaren Warenaustausch mit dem Ausland regeln. Eine Rationalisierungszentrale die modernen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Betriebsführung nach Frederick Taylor zur Anwendung bringen, für Normierung und Typisierung sorgen und insbesondere die Arbeits- und Berufsforschung fördern. Eine Kontrollzentrale solldie Auswirkungen der Sozialisierungsgesetzgebung auf die Wirtschaft dauernd überprüfen. Eine Aufklärungszentrale soll die Arbeit des Zentralwirtschaftsamtes dem Volk nahe bringen.

Ebenfalls noch am 31. März genehmigt der Ministerrat den Personaletat für das neue Amt. Zum Sitz des Amtes wird das Prinz-Carl-Palais bestimmt.

1. April 1919 München * Die bayerische Landeshauptstadt liegt unter einer Schneedecke von 40 Zentimetern.

Die Arbeitslosenquote liegt konstant bei über 30.000, die Kohlenvorräte sind aufgebraucht, die Energiezufuhr stockt, der Preis für einen Trambahn-Fahrschein wird von 15 auf 20 Pfennige erhöht, die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch ist nicht mehr gewährleistet, weil sich immer mehr Bauern weigern, in die von Unruhe erfüllte Stadt zu fahren. Die wöchentliche Fleischration wird von 300 Gramm auf 250 Gramm herabgesetzt. Schwerstarbeiter erhalten auch weiterhin eine Zulage von 120 Gramm Wurst. Was blüht ist der Schwarzmarkt. Die Waren gibt?s dort im Überfluss, aber halt zu entsprechend hohen Preisen.

Der neu ernannte Staatskommissar für Ernährungswesen, Johann Wutzelhofer vom Bayerischen Bauernbund- BBB, stellt sein Programm vor.

Um den 2. April 1919

Seite 601/814 München * Die Regierung Hoffmann strotzt in den letzten Märztagen nicht gerade vor Tatendrang. Wirtschaftlich geht?s bergab, das miserable Wetter und der Schnee hindern alle weiteren Bemühungen.

Oskar Maria Graf beschreibt die Situation folgendermaßen: "Die Stadt machte seit Tagen einen verwahrlosten Eindruck, und die Menschen fingen an, aufeinander böse zu werden. Im Rathaus und im Landtag berieten Parteien und Ausschüsse in einem fort. Niemand wusste mehr, wer regiert. Ratlosigkeit und Unsicherheit gingen um.

In der Stadt nämlich herrschte die Revolution und auf dem Lande die Gegenrevolution. Der Bahnverkehr stockte, wilde Streiks tobten, die Geschäftswelt war in tausend Ängsten, vor den Brotläden stauten sich lange Reihen und krakeelten mürrisch. Manchmal schlugen sie die Fenster ein, aber sie fanden kein Brot. Die ganze Maschinerie des täglichen Getriebes schien aus den Fugen, und ein ungeheuerer Druck lag über der Stadt. Der Hunger wurde immer drohender.

Draußen auf den vielen Straßen und Sträßlein des flachen Landes trieb kein Viehtransporter mehr dahin, holperten keine watschelnden Milchfuhrwerke mehr zur nächsten Bahnstation. Jäh, fast von einem Tag auf den andern, gab es keine Milch, keine Butter, kein Ei und kein Fleisch mehr. Auf dem Güterbahnhof standen die leeren Waggons zu Dutzenden auf den angerosteten Schienen, die weiten Hallen gähnten schaurig leer, der Schlacht- und Viehhof lag still, und verlassen dehnten sich die sonst stets belebten Marktplätze aus".

3. April 1919 München - Freistaat Bayern * Gegen die Einberufung des Landtags polemisiert die Presse lautstark: Die Landtagsabgeordneten hätten sich nicht als würdige Volksvertreter erwiesen und seien nach dem 21. Februar feige aus der Hauptstadt geflohen. Daher können die Münchner guten Gewissens auf ihre Rückkehr verzichten.

Die Räte, vor allem die Kommunisten und die Anarchisten unter ihnen, fühlen sich durch Hoffmanns Ankündigung provoziert. Sie antworten mit Demonstrationen und Protestveranstaltungen in ganz Bayern.

3. April 1919 München-Au * Die Erwerbslosen protestieren in einer Versammlung im Münchner-Kindl-Keller gegen die Preissteigerungen von Brennmaterial und die am 1. April vorgenommene Erhöhung der Straßenbahn-Fahrpreise.

Sie stellen weitreichende Forderungen an die Regierung Hoffmann. Sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden, "so wären die Erwerbslosen Münchens zur Selbsthilfe gezwungen".

3. April 1919 München-Maxvorstadt * Im Löwenbräukeller tagt eine Versammlung von "über dreitausend revolutionären Soldaten". Sie fordern

eine "gründliche Säuberung" der Soldatenräte, eine kommunistische Führung für das Rätesystem und die sofortige Bildung einer Roten Armee.

Seite 602/814 4. April 1919 München-Maxvorstadt * Auf einer vom Zentralrat einberufenen und gut besuchten Veranstaltung im Löwenbräukeller teilt Dr. Arnold Wadler mit, dass der Landtag am 8. April nicht zusammentreten wird. Wadler fordert dagegen:

die Schließung des Landtags, die Ausrufung eines Generalstreiks, die Proklamierung der Räterepublik und die Verbrüderung mit dem russischen und ungarischen Proletariat.

Der Zentralrat beschließt nach einer lebhaften Diskussion, die für Dienstag [= 8. April] anberaumte Wiedereröffnung des Parlaments abzusagen.

4. April 1919 München-Maxvorstadt * Um 22 Uhr findet eine erneute Besprechung im Militärministerium in der Ludwigstraße statt. Diesmal ist der Personenkreis auf 100 bis 150 angewachsen.

Der Bauernführer Karl Gandorfer erklärt unter welchen Bedingungen die Bauern der Einführung eine Räterepublik zustimmen können.

Die verspätet eintreffende Delegation der KPD will diese Form der Räterepublik nicht anerkennen, da die Massen selbst über die Räterepublik entscheiden müssten. Die Haltung der Kommunisten ruft Erstaunen hervor, weil sie bislang die Räterepublik am lautesten forderten.

Auch jetzt werden noch keine Beschlüsse gefasst.

Die geheime Zusammenkunft wird durch den Zentralratsvorsitzenden Ernst Niekisch geleitet. Er befindet sich in einem Dilemma, denn einerseits befürwortet er den Rätegedanken, andererseits will er im Interesse von Ruhe und Ordnung die Räterepublik verhindern.

Zur Überraschung aller erklärt ausgerechnet Johannes Hoffmanns Stellvertreter Ernst Schneppenhorst, dass er eine Räterepublik zum jetzigen Zeitpunkt für die beste aller Lösungen hält. Der bayerische Militärminister will zwei Tage Bedenkzeit, um die Frage der Räterepublik mit der SPD-Parteibasis zu besprechen.

Welche Motivation liegt hinter Schneppenhorsts Vorschlag? Sein Hauptziel ist die Machterhaltung der SPD. Zudem will er die Kommunisten unter seine Kontrolle bringen.

Er möchte den Räten ihre eigene Regierungsunfähigkeit vor Augen führen, um sie dann, mit einem Militärputsch der Münchner Garnison, die er wenigstens teilweise in der Hand hat, schnell und möglichst schmerzlos zu beseitigen. Er und die Regierung Hoffmann wollen die Räte nicht nur schnell, sondern vor allem in eigener Regie, ohne die von Noske und Epp angebotenen außerbayerischen Freikorps und Regierungstruppen, loswerden.

5. April 1919 München * In Massenversammlungen imHofbräuhaus, imLöwenbräukeller, imMünchner-Kindl-Kellerund

Seite 603/814 imWagner-Saalwird die vom ZentralratgeplanteRäterepublikebenfalls abgelehnt. Die Versammlungen fordern dagegen die Ausrufung einer"Räterepublik auf kommunistischer Grundlage nach russischem Vorbild".

6. April 1919 München * "Der revolutionäre Zentralrat Baierns" veröffentlicht einen Aufruf "An das Volk in Baiern!" zur Gründung der Räterepublik. Darin heißt es:

"Die Entscheidung ist gefallen. Baiern ist Räterepublik. Das werktätige Volk ist Herr seines Geschickes. Die revolutionäre Arbeiterschaft und Bauernschaft Baierns, darunter auch alle unsere Brüder, die Soldaten sind, durch keine Parteigegensätze mehr getrennt, sind sich einig, dass von an jegliche Ausbeutung und Unterdrückung ein Ende haben muss. Die Diktatur des Proletariats, die nun zur Tatsache geworden ist, bezweckt die Verwirklichung eines wahrhaft sozialistischen Gemeinwesens, in dem jeder arbeitende Mensch sich am öffentlichen Leben beteiligen soll, einer gerechten sozialistisch-kommunistischen Wirtschaft.

Der Landtag, das unfruchtbare Gebilde des überwundenen bürgerlich-kapitalistischen Zeitalters, ist aufgelöst, das von ihm eingesetzte Ministerium zurückgetreten. Von den Räten des arbeitenden Volkes bestellte, dem Volk verantwortliche Vertrauensmänner erhalten als Volksbeauftragte für bestimmte Arbeitsgebiete außerordentliche Vollmachten. Ihre Gehilfen werden bewährte Männer aus allen Richtungen des revolutionären Sozialismus und Kommunismus sein; die zahlreichen tüchtigen Kräfte des Beamtentums, zumal der unteren und mittleren Beamten, werden zur tatkräftigen Mitarbeit im neuen Baiern aufgefordert. Das System der Bürokratie aber wird unverzüglich ausgetilgt.

Die Presse wird sozialisiert.

Zum Schutz der baierische Räterepublik gegen reaktionäre Versuche von außen und von innen wird sofort eine rote Armee gebildet. Ein Revolutionsgericht wird jeden Anschlag gegen die Räterepublik sofort rücksichtslos ahnden. Die Baierische Räterepublik folgt dem Beispiel der russischen und ungarischen Völker. Sie nimmt sofort die brüderliche Verbindung mit diesen Völkern auf. Dagegen lehnt sie jedes Zusammenarbeiten mit der verächtlichen Regierung Ebert, Scheidemann, Noske, Erzberger ab, weil diese unter der Flagge einer sozialistischen Republik das imperialistisch-kapitalistisch-militaristische Geschäft des in Schmach zusammengebrochenen deutschen Kaiserreichs fortsetzt.

Sie ruft alle deutschen Brudervölker auf, den gleichen Weg zu gehen. Allen Proletariern, wo immer sie für Freiheit und Gerechtigkeit, wo immer sie für den revolutionären Sozialismus kämpfen, in Württemberg und im Ruhrgebiet, in der ganzen Welt, entbietet die Baierische Räterepublik ihre Grüße.

Zum Zeichen der freudigen Hoffnung auf eine glückliche Zukunft für die ganze Menschheit wird hiermit der 7. April zum Nationalfeiertag erklärt. Zum Zeichen des beginnenden Abschied vom fragwürdigen Zeitalter des Kapitalismus ruht am Montag, den 7. April1919, in ganz Baiern dieArbeit, soweit sie nicht für das Leben des werktätigen Volkes notwendig ist, worüber gleichzeitig nähere Bestimmungen ergehen.

Es lebe das freie Baiern! Es lebe die Räterepublik! Es lebe die Weltrevolution!"

6. April 1919 München * Der Liberale Ernst Müller-Meinigen leitet eine Dringlichkeitssitzung des Ältestensrats des Bayerischen Landtags. In seinem Tagebuch vermerkt er die Vorgänge:

Seite 604/814 "Die Sachlage spitzte sich immer mehr zu. Wir waren gewärtig, jede Stunde als Geisel eingesteckt zu werden. Trotzdem beschlossen die Ältesten, am Sonntag [= 6. April] nochmals im Landtag zusammenzutreten, dann aber in Privatwohnungen die Beratungen fortzusetzen.

Die wildesten Gerüchte verbreiteten sich, er [Ministerpräsident Johannes Hoffmann]sei in die Schweiz geflohen. Niemand wusste, wo er weilte, da er am Samstag [= 5. April] kein Wort über eine beabsichtigte Reise verlor. Allgemeine Verwirrung!".

6. April 1919 Nürnberg * Am Rande des SPD-Parteitages in Nürnberg berät sich Ministerpräsident Johannes Hoffmann mit seinem Parteifreund, dem Nürnberger Oberbürgermeister Otto Geßler, ob der Landtag künftig in Nürnberg tagen soll.

Geßler spricht sich dagegen aus, da er befürchtet, dass sich der "Schwabinger Literatenschwarm" in Nürnberg breitmachen könnte. Er schlägt Hoffmann Ansbach oder Bamberg vor.

6. April 1919 Nürnberg - München * Ministerpräsident Johannes Hoffmann ist zum Landesparteitag der SPD nach Nürnberg gereist, um dort die Genossen gegen die Räterepublik zu mobilisieren. Die Reichs-SPD hat Otto Wels geschickt, um die bayerischen Genossen auf Kurs zu halten.

Der Minister für militärische Angelegenheiten, Ernst Schneppenhorst, zählt die Gründe auf, die aus seiner Sicht unumgänglich für die Einführung der Räterepublik sind. Ministerpräsident Hoffmann verurteilt die Räterepublik aufs schärfste und sagt den Kommunisten und den Anarchisten den Kampf an.

Durch seine Rücktrittsdrohung bringt er eine klare Mehrheit von 47 gegen 3 Stimmen - "aus politischen und wirtschaftlichen Gründen" - gegen eine bayerische Räterepublik aus.

7. April 1919 München * DieBaierische Räterepubliklehnt die Zusammenarbeit mit derReichsregierungab und bezeichnet diese als"verächtliche Regierung Ebert, Scheidemann, Noske, Erzberger, weil diese unter der Flagge einer sozialistischen Republik das imperialistisch-kapitalistisch-militärische Geschäft des in Schwachheit zusammengebrochenen deutschen Kaisertums unterstützt".

7. April 1919 Nürnberg - München * Mit einer neu gegründeten Propagandaabteilung beginnt der publizistische Kampf gegen die Räteregierung in München. Ein Flugzeug wird angeschafft, das noch am Abend über München und dem Umland der Stadt Flugblätter mit folgendem Inhalt abwirft:

"Die Regierung des Freistaates Bayern ist nicht zurückgetreten. Sie hat ihren Sitz von München verlegt. Die Regierung ist und bleibt die einzige Inhaberin der Gewalt in Bayern und ist allein berechtigt, rechtswirksame

Seite 605/814 Anordnungen zu erlassen und Befehle zu erteilen".

7. April 1919 München * Die Räterepublik Baiern wird nun mit "i" statt mit "y" geschrieben. Die neuen Machthaber wollen damit verhindern, dass auch in der äußeren Form des Freistaats nichts mehr an die wittelsbachische Monarchie erinnert.

Die Schreibweise "Bayern" ist durch König Ludwig I. am 20. Oktober 1825, nur zwei Tage nach seinem Regierungsantritt, in einer Rechtschreibreform eingeführt worden. Mit dem griechischen "y" im Landesnamen wollte er seine Verehrung für den griechischen Befreiungskampf ausdrücken.

Das USPD-Organ Neue Zeitung hält allerdings an der unveränderten Namensgebung des Landes fest.

7. April 1919 München - Budapest * Die bayerische Räteregierung informiert umgehend den Revolutionären Regierungsrat in Budapest über den politischen Schritt. Der ungarische Regierungschef Bela Kun unterbricht daraufhin die Regierungssitzung und verliest das Münchner Telegramm unter tosendem Beifall:

"Die Bayerische Räterepublik folgt dem Beispiel des russischen und ungarischen Volkes. Sie nimmt sofort die brüderliche Verbindung mit diesen Völkern auf.

Dagegen lehnt sie jede Zusammenarbeit mit der verächtlichen Regierung Ebert, Scheidemann, Noske, Erzberger ab, weil dieser unter der Flagge einer sozialistischen Republik das imperialistisch-kapitalistisch-militaristische Geschäft des in Schmach zusammen gebrochenen deutschen Kaisertums fortsetzt".

Damit gibt es in Europa schon drei Räterepubliken.

7. April 1919 München * Der USPD-Minister für Soziales, Hans Unterleitner, tritt von seinem Amt zurück. In einem persönlich gehaltenen Brief schreibt er an Ministerpräsident Johannes Hoffmann:

"Hochgeschätzter Herr Kollege Hoffmann! Infolge der Haltung meiner Partei ist es mir nicht möglich, weiter in der Regierung zu verbleiben. Ich bedauere aufs tiefste, dass eine so außerordentlich tüchtige Kraft wie Sie nicht für die Räte arbeitet.

Manches, was jetzt in München geschieht und was einen mit Abscheu erfüllt, hätte vermieden werden können, wenn Sie sich mit der selben Energie wie für den Landtag für die Räte einsetzen würden".

7. April 1919 München-Bogenhausen * Thomas Mann vertraut seinem Tagebuch folgendes an:

"Die erste Seite der Nachrichten mit der Proklamation der Räte-Republik bedeckt. Heute Generalstreik und ?Nationalfeiertag?. Anschluss an Ungarn und Russland, Bruch mit Berlin. Rote Garde. Sozialisierung der Presse. Expropriierungspläne [= Sozialisierungspläne].

Seite 606/814 Der Ton ist scharf, und doch ist klar, dass es sich um ein vorbeugendes Werk der Mehrheitssozialisten handelt, wie schon bei der ersten Revolution, allerdings so weit gehend, dass die Kommunisten mittun können. Doch rechne ich mit einer vierten, ganz radikalen Umwälzung, bevor der Rückschlag kommt.

Es ist anzunehmen, dass das Reich folgen wird, und wenn der radikale Sozialismus in Deutschland haltbare Formen annimmt, wird auch den Proletariern der Entente-Länder, die dann von kapitalistischer Ausbeutung Deutschlands nichts mehr zu hoffen haben, nichts anderes mehr übrig bleiben. Man muss anerkennen, dass der Kapitalismus gerichtet ist".

7. April 1919 München * Der Freigeldtheoretiker Silvio Gesell trifft in München ein, wo er aufgrund des Vorschlags von Gustav Landauer zum Volksbeauftragten für Finanzen ernannt wird. Gesell hat sich in der Finanzwelt einen Namen gemacht, indem er die marode Wirtschaft Argentiniens saniert hatte.

Er will die Geldwirtschaft zugunsten des Warenaustausches zurückdrängen, er vertraut auf die Kraft des freien Marktes, er will die Attraktivität des Geldes als Anlagemittel senken, indem die Währung nicht länger eine feste Größe bildet, er will das Geld - wie die Ware - einem Wertverlust unterwerfen. Bankguthaben sollen keine Zinsen mehr abwerfen und dadurch ein Konsumanreiz geschaffen werden, der das Geld wieder dem Wirtschaftskreislauf zuführt. Er will, dass unproduktives Kapital keine Gewinne mehr erbringt.

7. April 1919 München * Der Volksbeauftragte für Äußeres, Dr. Franz Lipp, ein Stuttgarter Schriftsteller und Journalist, informiert die Regierungen von der Gründung der Räterepublik Baiern und übermittelt "brüderliche Grüße" nach Moskau.

Die lesenswerte Depesche lautet: "Proletariat Oberbayerns glücklich vereint. Sozialisten plus Unabhängige plus Kommunisten fest als Hammer zusammen geschlossen, mit Bauernbund einig. Klerikal uns wohlgesinnt. Liberales Bürgertum als Preußens Agent völlig entwaffnet.

Bamberg Sitz des Flüchtlings Hoffmann, der aus meinem Ministerium den Abtrittschlüssel mitgenommen hat.Die preußische Politik, deren Handlanger Hoffmann ist, geht dahin, uns von Norden, Berlin, Leipzig, Nürnberg abschneiden, auch von Frankfurt und vom Essener Kohlengebiet und uns gleichzeitig bei der Entente als Bluthunde und Plünderer zu verdächtigen, dabei triefen die haarigen Gorillahände Gustav Noskes von Blut.

Wir erhalten Kohle und wir erhalten Lebensmittel in reichlichen Mengen aus der Schweiz und aus Italien. Wir wollen den Frieden für immer. Immanuel Kant: Ewigen Frieden 1795 Thesen 2 bis 5. Preußen will den Waffenstillstand zur Vorbereitung des Rachekrieges".

7. April 1919 München - Nürnberg - Bamberg * Ministerpräsident Johannes Hoffmann verlegt den Sitz seines Ministerrats zunächst nach Nürnberg, später nach Bamberg, wo er mit dem Landtag und den noch verbliebenen

Seite 607/814 SPD-Ministern Unterschlupf finden wird.

Bis zum 16. August 1919 ist Bamberg der bayerische Regierungssitz. Untergebracht ist die Regierung in der ehemaligen Fürstbischöflichen Neuen Residenzam Domplatz.

8. April 1919 Berlin * Robert Leinert (SPD), der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen sozialistischen Republik, eröffnet in Berlin den Zweiten Kongress der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte Deutschlands. Der Kongress dauert bis zum 14. April.

Er lehnt die Einführung eines reinen Rätesystems als Alternative zur parlamentarischen Demokratie mit großer Mehrheit ab.

Ein Antrag, der eine gleichberechtigte Kammer der Arbeit neben den Reichstag stellen möchte, wird dagegen angenommen. Vom Grundgedanken einer Demokratisierung der Betriebs- und Wirtschaftsverfassung werden nur die Personal- undBetriebsräte übrig bleiben.

8. April 1919 Bamberg - München * Flugzeuge werfen über München Propagandaflugblätter der nach Bamberg geflohenen Regierung Hoffmann ab. Auf ihnen ist zu lesen:

"Werktätiges Volk Münchens! Willst Du Dich noch länger von verkommenen Literaten und Revolutionsbummlern terrorisieren lassen!".

8. April 1919 München * Im Auditorium Maximum der Münchner Universität stellt der Revolutionäre Hochschulrat seine am Tag zuvor gefassten Forderungen vor.

Bei der Vollversammlung werden die Räteanhänger niedergebrüllt. Von den Rängen regnet es Flugblätter mit Verlautbarungen der Regierung Hoffmann, die von den Anwesenden unter lauten Bravorufen aufgesammelt werden.

Nicht nur die Studenten, auch die Professoren denken nicht daran, dem neuen revolutionären Geist zu weichen. Die allgemeine Studentenversammlung verweigert deshalb ihre Zustimmung zu den Maßnahmen. Gustav Landauer beschließt daraufhin, die Universität am 13. April zu schließen.

9. April 1919 München * Ernst Tollers erste Verordnung betrifft den Bankensektor. Ein Anschlag des RevolurionärenZentralrats gibt bekannt, dass "Der revolutionäre Bankrat für Baiern" in München Vertrauensleute bestimmt hat, die "die Auszahlung von Geldern bei den Banken zu überwachen haben, um zu verhindern, dass landesverräterische Kapitalisten ihr Geld ins Ausland verbringen". Damit soll die Kapitalflucht verhindert werden.

Es dürfen nur noch Beträge bis zu 100 Mark täglich oder 700 Mark wöchentlich abgehoben werden. Von dieser Regelung ausgenommen sind ausstehende Rechnungen, Kreditrückzahlungen und Zinstilgungen sowie Lohnzahlungen und Zahlungen im Geschäftsverkehr von Firmen. Die zuletzt genannten müssen vom Betriebsrat

Seite 608/814 gegengezeichnet werden.

9. April 1919 München * Zugverbindungen werden unterbrochen und damit der Nachschub von Lebensmitteln und Kohle unterbunden.

9. April 1919 Braunschweig * In Braunschweig wird die Räterepublikausgerufen.

10. April 1919 Berlin - Freistaat Bayern * Der Versuch, die Stadt und die Räteregierungüber Sanktionsmaßnahmenauszuhungern, nimmt immer konkretere Formen an:

DieReichsbankhat die Zahlungsüberweisungen nach Bayern eingestellt. Damit wird auch die Belieferung der Banken mit Banknoten wird unterbunden. DieSparkasseist für den Publikumsverkehr geschlossen. DieBayerische Hypotheken- und Wechselbankhat auf Anweisung der Preußischen Regierung die bei ihr liegenden Depots von 80 Millionen Mark nach Berlin geschickt.

10. April 1919 Allgäu - München * Nachdem die Milchlieferungen aus dem Allgäu vollständig ausgeblieben sind, kann in den MünchnerKaffeehäusernkeine Milch verabreicht werden.

Um den 10. April 1919 München * Hedwig Kämpfer wird als einzige Frau als Richterin in das 28 Personen umfassende Revolutionstribunal aufgenommen.

Lida Gustava Heymann schreibt über sie: "Niemals erlebte ich, dass ein Mann selbst bei bestem Willen und Bemühen zustande brachte, was einer Frau, Hedwig Kämpfer, beim Revolutionstribunal gelang. [?] Ihre Fragestellung war einfach, natürlich, führte von Tatsache zu Tatsache, bis das Eingeständnis unvermeidbar geworden war, ihr psychologisches Einfühlungsvermögen arbeitete untrüglich. Der Abzuurteilende war für sie, was für den Musiker sein Instrument ist, das er meisterhaft zu spielen versteht, ihm die feinsten Töne entlockt".

10. April 1919 München * Ernst Toller redet im Hofbräuhausvor den Betriebsräten.

Er erklärt zu der am Vorabend vom Rat der Revolutionären Betriebsobleuteund vom Rat der Revolutionären Soldatenvertreterbeschlossenen sofortigen Abdankung des Zentralratsund seiner eigenen Einsetzung als Träger der gesamten Gewalt, dass

Seite 609/814 die Kommunisten aus wirtschaftlichen, politischen und militärischen Gründen nicht in der Lage sind, die Herrschaft anzutreten und auf Dauer zu behaupten und der Bauernrateiner kommunistischen Räterepublikjede Unterstützung verweigern würde.

11. April 1919 München-Ludwigsvorstadt * Im GasthausZum Steyrerin der Schützenstraße kommt es gegen 15 Uhr zu einer Rauferei, bei der ein Angehöriger derBahnhofswachePrügel bezieht. Die herbeigeeilteRepublikanische Schutztruppegreift ein, muss aber vor der aufgebrachten Volksmenge den Rückzug antreten. Daraufhin versucht die Menge den Hauptbahnhof zu stürmen.

Gegen 16:45 Uhr kann das herbeigerufeneLeibregimentmit Schreckschüssen den Bahnhofsplatz räumen und später den Hauptbahnhof besetzen. Mindestens neun Personen, darunter eine Frau und ein Kind, werden verletzt.

11. April 1919 München-Maxvorstadt * Zwischen 10. und 12. April tritt das aus mehreren Gerichten bestehende Revolutionstribunal im Justizpalast zusammen und nimmt seine Tätigkeit auf.

Es soll sowohl politische Straftäter als auch gewöhnliche Verbrecher Ihrer Bestrafung zuführen.

11. April 1919 München-Graggenau * Auf einer Massenversammlung im Hofbräuhaus sprechen Erich Mühsam, Ernst Toller, Gustav Landauer und Max Levien.

Ernst Toller gibt bekannt, dass die Entwaffnung der Bourgeoisie ebenso fortschreitet wie die Bewaffnung des Proletariats. Gustav Landauer verteidigt die Ausrufung der Räterepublik. Erich Mühsam bekennt sich zur ablehnenden Haltung der KPD zur sozialistischen Räterepublik, kritisiert aber ihren gegenwärtigen Boykott in aller Schärfe. Max Levien erklärt erneut, warum sich die KPD nicht an der Räteregierung beteiligt. Als Werner Fröhlich die Spaltung der sozialistischen Parteien verteidigt, kommt es zu Tumulten. Selbst KPD-Mitglieder wenden sich gegen die unversöhnliche Haltung ihrer Parteizentrale.

Ein Antrag der Betriebsräte, der gegenwärtigen Räteregierung das Vertrauen auszusprechen, wird mit überwältigender Mehrheit angenommen. Erich Mühsam stimmt allerdings dagegen.

12. April 1919 München-Graggenau * Die Vertreter der sozialistischen Parteien beschließen imHofbräuhaus- nach zahlreichen Kompromissen gegenüber der KPD - die Zusammenarbeit.

Dabei ist immer unklar, ob und inwieweit sich die Kommunisten an die Zusagen gebunden fühlen und ob sie überhaupt ein ernsthaftes Interesse an der Zusammenarbeit haben oder einfach nur auf Zeit spielen.

Seite 610/814 12. April 1919 Bamberg * In der Nacht zum 13. April wird von Alfred von Seifferitz, Franz Guttmann, EmilAschenbrenner und Walter Löwenfeld eine umfangreiche Liste von festzunehmenden Personen aufgestellt.Die Regierung in Bamberg lässt ihnen dabei größtmögliche Freiheit.

Es sollten aber hauptsächlich Leute verhaftet werden,"die entweder als Haupträdelsführer mitgewirkt hätten, oder von denen bekannt und anzunehmen war, dass sie zu den Haupthetzern gehörten".

12. April 1919 München * DerZentralratveranstaltet in sechs Sälen Münchner Brauereien Massenversammlungen zum Thema"Das Gebot der Stunde".

13. April 1919 Ohrdruf * Die "Werbezentrale des Freikorps Epp" veröffentlicht ein Flugblatt mit folgendem Inhalt:

"Vertraulich! Nicht auf bayr. Boden mitnehmen! Ministerpräsident Hoffmann hat das Versprechen gegeben, dass die Werbung für das Freikorps zwar nicht offiziell erlaubt würde, dass aber weitere Schwierigkeiten den Werbern nicht gemacht werden sollten. [...] Es ist anzunehmen, dass dagegen der bayr. Mil. Minister alles versuchen wird, um die Werbung zu hemmen".

13. April 1919 München * In seinem Roman Wir sind Gefangene schildert Oskar Maria Graf die Ereignisse so:

"Von der Prielmayr-, von der Schützen-, Schiller- und Bayerstraße heraus liefen bewaffnete Massen andauernd Sturm gegen den feuerspeienden Hauptbahnhof, glitten brüllend und heulend wieder zurück und stürmten mit erneuter Erbitterung vor. [?] Getroffene fielen um, Boden und Häuser zitterten, die Menge, in der ich steckte, wogte weiter vor mit den Stürmern und mit furchtbarem Geschrei in den krachenden Bahnhof".

13. April 1919 München * Zwischen 2 und 3 Uhr nimmt die Verhaftungskommission des Zentralrats Geiseln aus der Münchner Bürgerschaft und dem Adel fest. Die Festgenommenen werden in die Polizeidirektion gebracht.

Unter den Verhafteten befindet sich auch der Bahnhofskommandant Emil Aschenbrenner, der aber später von seinem Stellvertreter wieder befreit wird und sich danach umgehend zum Hauptbahnhof begibt.

13. April 1919 München * Um vier Uhr früh wird auch Erich Mühsam von Angehörigen der Republikanischen Schutztruppe aus seinem Bett heraus verhaftet.

Alle Festgenommenen werden zum Hauptbahnhof gebracht und von dort sofort mit der Bahn nach Eichstätt gebracht, wo sie in der Willibaldsburg inhaftiert werden.

Seite 611/814 13. April 1919 München * Anschläge - mit der Unterschrift "Die Garnison München" - verkünden die "Verhängung des Kriegszustandes über München".

Die Entscheidung fällt, nachdem das Leibregiment erklärt, dass es sich in der ganzen Auseinandersetzung "neutral" verhalten will und eine Unterstützung der Republikanischen Schutztruppe ablehnt.

13. April 1919 München-Theresienwiese * Auf Massenversammlungen am Vormittag auf der Theresienwiese haben sich bereits Teile des 1. und 2. Infanterie-Leibregiments mit der demonstrierenden Arbeiterschaft solidarisch erklärt.

13. April 1919 München-Maxvorstadt * Mit Maschinengewehre bewaffnete Arbeitermilizien unter der Führung des kommunistischen Matrosen Rudolf Egelhofer und des anarchistischen Schriftstellers Josef Sontheimer rücken am Nachmittag zum Hauptbahnhof vor.

Eine aus drei Personen bestehende Abordnung wird gebildet, die mit dem Chef der Republikanischen Schutztruppe, Alfred Seyfferitz, verhandeln sollen.

Der Bahnhofskommandant Emil Aschenbrenner lässt die Abgesandten festnehmen und umgehend erschießen.Spätestens in diesem Moment ist eine friedliche Lösung ausgeschlossen.

13. April 1919 Fürstenfeldbruck * Sechzig Mann vom 2. Pionier-Bataillion in Fürstenfeldbruck werden noch vor ihrem Einsatz in München entwaffnet. Einzelne treten zur Roten Armee über, die anderen gehen wieder nach Fürstenfeldbruck zurück.

13. April 1919 München-Graggenau * Noch während der Kämpfe am Hauptbahnhof kommen im Hofbräuhaus die Betriebs- und Soldatenräte zusammen.

Sie rufen die Zweite Räterepublik oder Kommunistische Räterepublik aus, erklären den Revolutionären Zentralrat für abgesetzt und übertragen die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt einem 15-köpfigen Aktionsausschuss. Das Gremium, bestehend aus Mehrheitssozialisten, Unabhängigen und Kommunisten. Dieses wählt einen fünfköpfigen Vollzugsrat, dem unter dem Vorsitz von Eugen Leviné, KPD, Wilhelm Duske und Emil Maenner von der USPD sowie Willi Budich und Max Levien von der KPD angehören. Stadtkommandant wird der 23-jährige Rudolf Egelhofer.

Levinés Schritt widerspricht der Lagebeurteilung der Berliner KPD-Parteizentrale, die seit den Januarereignissen vor politischen Abenteuern warnt. es wird spätere parteiinterne Kontroversen zur Folge haben.

Seite 612/814 13. April 1919 München * Johann Dosch, ein steckbrieflich gesuchter Krimineller, wird neuer Polizeipräsident.

13. April 1919 München * Der Generalstreik wird für den nächsten Tag ausgerufen und bürgerliche Zeitungen mit einem Erscheinungsverbot belegt. Flugblätter verkünden:

"Es lebe das revolutionäre Internationale Proletariat! Es lebe die Weltrevolution!"

14. April 1919 Bamberg * Während Ministerpräsident Johannes Hoffmann nur noch Schadensbegrenzung betreiben und dem Freikorpsführer Franz Ritter von Epp die Erstürmung Münchens verbieten möchte, hofft der Minister für militärische Angelegenheiten, Ernst Schneppenhorst, dass 5.000 württembergische Soldaten für die Niederschlagung der Münchner Räterepublik bereitgestellt werden.

Das Angebot hat die Regierung Hoffmann vom Stuttgarter Ministerpräsidenten Wilhelm Blos erhalten, dem es darum geht, die Eigenständigkeit Süddeutschlands im Reich zu stärken. Ihm war klar, wenn Bayern unter die Reichshoheit fallen sollte, dann würden in Zukunft auch die übrigen süddeutschen Länder nur noch eine untergeordnete Rolle gegenüber Preußen spielen können.

14. April 1919 Straubing * Der Bauernführer Karl Gandorfer wird von Angehörigen der Regierungstruppen verhaftet und ins Zuchthaus Straubinggebracht.

14. April 1919 Bamberg * Die in Bamberg sitzende bayerische Regierung Hoffmann organisiert mit Flugblättern den Einsatz von Freiwilligen. Um 17:30 Uhr wird das nachstehende Flugblatt über München abgeworfen:

"In München rast der russische Terror, entfesselt von landfremden Elementen. Diese Schmach darf keinen Tag, keine Stunde weiter bestehen. [...]. Ihr Männer der bayerischen Berge, des bayerischen Hochlandes, des bayerischen Waldes, erhebt Euch wie ein Mann. [...]. Ein grüner Buschen am Hute und die weißblaue Binde am Arm ist Euer Erkennungszeichen. Die Bahn befördert Euch zu den Sammelpunkten. [...].

Die Münchner Schmach muss verschwinden. Das ist bayerische Ehrenpflicht".

15. April 1919 München - Dachau * Als sich am Abend in München das Gerücht über das Anrücken einer aus Richtung Dachau kommenden, 800 Mann starken Regierungstruppe verbreitet, lässt Stadtkommandant Rudolf Egelhofer

Seite 613/814 umgehend die Kasernen- und Betriebsräte informieren, den Zugverkehr unterbrechen, den Hauptbahnhof und den Bahnhofsplatz räumen und in Verteidigungszustand versetzen, den Telefon- und Telegraphenverkehr einstellen und alle Zubringerstraßen nach München durch Soldaten absperren.

15. April 1919 München - Allach - Karlsfeld * Mit Lastwagen werden die eingetroffenen Rotgardisten an die Front bei Allach gebracht. Südlich der Straße Allach - Ludwigsfeld stoßen die Roten auf den Feind. Ihnen gelingt es, die von der Gegenwehr völlig überraschten Regierungstruppen nach Karlsfeld zurückzudrängen.

Da die Angreifer - trotz ihrer guten Ausrüstung - weder über den notwendigen Kampfesmut verfügen, noch auf ihre bayerischen Kameraden schießen wollen, laufen viele Weiße zum Feind über oder fliehen zurück nach Dachau. Damit hat die Rote Armee ihren ersten Sieg errungen.

15. April 1919 München - Karlsfeld * Auch Ernst Toller begibt sich zur Front. In einem Karlsfelder Wirtshaus haben sich Vertrauensleute der Münchner Arbeiter versammelt. Toller schreibt:

"?Der Toller soll die Führung übernehmen!? ruft einer. [?] Ich sträube mich und versuche zu erklären, dass ein Heerführer andere Fähigkeiten braucht. ?Oana muaß sein Kohlrabi herhalten, sonst gibts an Saustall, und wennst nix verstehst, wirst es lerna, die Hauptsach is, dich kennen wir?.

Ich weiß nichts zu erwidern, welche Gründe konnten auch dieses töricht-rührende Vertrauen von Männern, die eben eine aktive, militärisch geführte Truppe besiegt hatten, erschüttern? So werde ich Heerführer".

15. April 1919 Eichstätt - Ebrach * Die von der Republikanischen Schutztruppe im Wittelsbacher Palais festgenommenen Personen, darunter der Münchner Arbeiterrat Erich Mühsam, werden von der Eichstätter Willibaldsburg ins Zuchthaus Ebrach gebracht und dort in Isolierhaft verwahrt.

15. April 1919 Dachau * 500 Weißgardisten - von Pfaffenhofen kommend - besetzen Dachau, um den Ring um München zu schließen. In der Stadt werden sie von Arbeiterinnen der Pulver- und Munitionsfabrik beschimpft und teilweise entwaffnet.

16. April 1919 Ebrach * Erich Mühsam tritt im Zuchthaus Ebrach in einen Hungerstreik, um gegen seine Verhaftung und die Zustände im Zuchthaus zu protestieren.

17. April 1919

Seite 614/814 Wien * Eine aufgebrachte Menge zündet in Wien das Parlamentsgebäude an.

17. April 1919 München * Gegen die am 13. April imWittelsbacher Palaisfestgenommenen Personen, darunter Erich Mühsam,wird erst jetzt ein offiziellerHaftbefehlerlassen.

Eine schriftlicheHaftanordnungdes Staatsanwalts lag bis zu diesem Zeitpunktnicht vor.

18. April 1919 Weimar * Dem Kabinett Scheidemann liegt die Dokumentensammlung zur Kriegsschuldfrage vor. Diese wurde im November 1918 an Karl Kautsky von der USPD in Auftrag gegeben.

Die Dokumente belegen, dass die deutsche Reichsregierung im Juli 1914Österreich-Ungarn zum Krieg gegen Serbien gedrängt hat und damit die Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs trägt.

Nach ausführlichen Beratungen empfiehlt Reichsministerpräsident Philipp Scheidemann von der Veröffentlichung der Kautsky-Dokumente vorerst Abstand zu nehmen.

18. April 1919 München * Victor Klemperer, der für die Münchner Räterepublik nicht das Geringste übrig hat und die Ereignisse als "Tragikomödie" betrachtet, schreibt in sein Revolutionstagebuch. "Gestern nachmittag lernte ich Gustav Landauer kennen, der einige Tage das Schicksal und speziell das geistige Schicksal Münchens ? er selbst hoffte: Bayerns ? bedeutet hat.

Nur die lang herabfallenden Haare verrieten den Sonderling: sonst macht der hagere Mann mit dem ergrauenden Vollbart einen völlig kultivierten, weder revolutionären noch proletarischen Eindruck; die großen braunen Augen blicken viel eher gütig als fanatisch, Stimme und Ausdrucksweise sind von geschliffener Milde".

18. April 1919 München - Ebrach* Am Nachmittag erfährt das Mitglied desVollzugsratsWilhelm Karl Duske, dass imZuchthaus Ebrachdie gewaltsam entführten 13Linken, darunter die acht Mitglieder desZentralrats, wie dieVolksbeauftragtenDr. Franz Lipp und Fritz Soldmann, sowie derWohnungskommissarDr. Arnold Wadler und derMünchnerArbeiterratErich Mühsam, einsitzen.

Rudolf Egelhofer erklärt dazu:"Wir können nichts weiter tun, als Hoffmann-Genossen festnehmen".

19. April 1919 München-Graggenau * Auf der Versammlung der Betriebsräte im Hofbräuhaus berichtet Ernst Toller von den Kämpfen in und um Dachau.

Er zeigt kein Verständnis für den Befehl des Münchner Generalstabs, die Truppen sofort zurückzuziehen. Nach Tollers Ansicht wäre es möglich gewesen, ohne Blutvergießen ganz Südbayern für die Räterepublik zu gewinnen.

Seite 615/814 19. April 1919 München * Der Haidhauser Armenarzt, Dr. Rudolf Schollenbruch, wird zum Armeearzt der Roten Armee ernannt.

Um den 19. April 1919 Bamberg * Ministerpräsident Johannes Hoffmann lässt in seinem Auftrag auf Staatskosten vom Bischöflichen Generalvikariat Bambergfolgendes Telegramm an alle Pfarrämter Bayerns übermitteln:

"Ein Haufen von Ausländern hat sich der Hauptstadt München bemächtigt, übt daselbst eine Schreckensherrschaft aus und bedroht von dorther die Provinzen, namentlich die Landbevölkerung, mit Raub und Brandstiftung.Die rechtmäßig bestehende Regierung hat einen Aufruf zur Bildung von Freikorps ergehen lassen.Von seinem Erfolg hängt das Wohl und Wehe des Vaterlandes ab.

Wir ersuchen die Geistlichkeit, durch Hausbesuche und auch von der Kanzel aus kräftigst dafür einzutreten, dass möglichst viele tüchtige Gemeindeangehörige dem Rufe folgen".

21. April 1919 München * Die Versammlung der Betriebsräte im Festsaal des Hofbräuhauses beschließt, den Generalstreik auf Dienstag auszuweiten. Der letzte Streiktag soll zu einer "wuchtigen Demonstration des Münchner klassenbewussten Proletariats" werden.

Abgelehnt wird der Vorschlag von Eugen Leviné, die Massendemonstration mit einer Schlusskundgebung in der rot ausgekleideten Frauenkirche zu beenden.

22. April 1919 München-Maxvorstadt* Am frühen Morgen wird Pfarrer Hans Meiser, der spätereLandesbischof der evangelischen Kirche, mit zwölf weiteren Personen als Geisel verhaftet und zunächst in dieGuldeinschule, später auf die Polizeiwache in der Astallerstraße gebracht.

Durch Bestechung eines Postens können die Geiseln Kontakt mit einem Mitglied desVollzugsratsaufnehmen, der die Verhaftung als Eigenmächtigkeit der Soldaten erklärt und die Geiseln ab 18 Uhr wieder in die Freiheit entlässt. Bei Hans Meiser dauert die Entlassung am längsten, weil er als Geistlicher dem"System Kirche"angehört, das gegen dieRäterepublikeingestellt ist.

24. April 1919 München-Graggenau * Die Betriebsräte beschließen im Hofbräuhaus-Parlament, dass auch weiterhin keine bürgerlichen Zeitungen erscheinen dürfen.

24. April 1919 München * Der Kommunist,Haidhauser Armenarzt und Armeearzt der Roten Armee, Dr. Rudolf Schollenbruch, wird zum Volksbeauftragten für das Gesundheitswesen bestimmt.

25. April 1919

Seite 616/814 München * Das Lebensmittelamt der Stadt München plakatiert zur "Milchversorgung", dass es sich als notwendig erweist, den Verbrauch von Milch für alle zu verbieten.

"An Kranke kann bis auf weiteres nur bei unmittelbarer Lebensgefahr Milch abgegeben werden. Die Lebensgefahr ist durch ein ärztliches Zeugnis zu bestätigen".

25. April 1919 Freistaat Bayern * An die Kommandeure der Regierungstruppen und Freikorps wird folgende Anweisung gegeben:

"Die Gruppen haben ihre Aufträge mit Gewalt durchzuführen, jedes Verhandeln mit dem Feinde oder mit der Bevölkerung ist verboten. Milde wird als Schlappheit, Gutmütigkeit als Unzuverlässigkeit der Truppen gedeutet".

Außerdem erhalten die Regierungssoldaten Belehrungen über die Verkommenheit ihrer Gegner, mit denen sie es in München zu tun haben werden. Eigens ausgebildete Agitatoren bläuen den Soldaten ein, dass die Spartakisten jeden auf der Stelle umbringen, der einen "Noske-Ausweis" bei sich trägt. Als "Noske-Ausweis" bezeichnet man umgangssprachlich die Kärtchen, mit denen sich die Regierungssoldaten ausweisen.

26. April 1919 München * In der Neuen Zeitung vom 30. April wird die Anklage Ernst Tollers im Hofbräuhaus-Parlament wiedergegeben.

"Bei jeder Aktion wird nicht gefragt, ob sie die Lage unserer besonderen Verhältnisse, den Anschauungen der großen Masse unserer arbeitenden Bevölkerung, der Sorge für unsere Gegenwart und Zukunft entspricht, sondern nur, ob sie den Lehren des russischen Bolschewismus gemäß ist, ob Lenin oder Trotzki so oder so im gleichen Falle verfahren würden. [?] Wir Baiern sind keine Russen!".

Außerdem verurteilt Ernst Toller, dass das Volk über die wirkliche Lage im Unklaren gelassen wird und veröffentlicht eine Erklärung dazu.

26. April 1919 München-Isarvorstadt - Eichstätt * Vom 18. April bis zur Besetzung der Thule-Bürosim Hotel Vier Jahreszeiten und der Verhaftung der noch in München verbliebenen Thule-Mitglieder am 26. April werden weit über 500 Personen zum Teil mit gefälschten Freifahrtscheinen aus München herausgeschleust und nach Eichstätt gebracht.

Unter den Reisenden befinden sich auch Rudolf Heß und der Berufssoldat Ernst Röhm, der sich dem Freikorps Epp anschließen will. In kürzester Zeit ist das Freikorps Oberland zu einem voll bewaffneten Regiment mit 250 Mann ausgebaut.

26. April 1919 München-Graggenau * Im Hofbräuhaus, in dem sich täglich die Betriebs- und Kasernenräte treffen, treten die seit längerer Zeit bestehenden politischen Differenzen zwischen den Kommunisten, Eugen Leviné, Max Levien und Towia Axelrod einerseits, und den Unabhängigen Sozialdemokraten, Emil K. Maenner, Ernst Toller und Gustav Klingelhöfer andererseits, offen zutage. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzungen, in deren Folge die drei

Seite 617/814 Letztgenannten von ihren Ämtern zurücktreten.

Der Volksbeauftragte für Finanzen, Emil K. Maenner, erklärt, dass er nicht mehr für Handlungen bereitsteht, die "politischem Diebstahl" gleichkommen und keine Lust mehr hat, in einem "Marionettentheater" zu sitzen. Der Kommandeur des Truppenabschnitts I (Dachau), Ernst Toller, betrachtet die jetzige Räteregierung als ein "Unheil für das werktätige Volk", weil die führenden Männer nur zerstören, ohne das geringste aufzubauen. Deshalb kann er eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vollzugsausschuss und dem Generalstab nicht mehr verantworten. Aus den gleichen Gründen will auch der Abschnittskommandant der Roten Armee in Dachau, Gustav Klingelhöfer, seine Ämter niederlegen.

Der Bankrat stellt sich geschlossen hinter Emil K. Maenner und bezeichnet die Mitglieder des Vollzugsausschusses als "Hampelmänner".

Mit ähnlich harten Worten wird die "katastrophale Versorgungslage" von den Anwesenden kritisiert, an der die Regierung Hoffmann nur zum Teil schuld ist.

Nach einem weiteren Beschluss der Betriebsräte sollen die Münchner Tageszeitungen - unter Auflage einer Vorzensur - wieder erscheinen können.

Während der Sitzung trifft die Nachricht ein, dass im Passamt fünfzig Pässe gestohlen worden sind. Zur Untersuchung des Vorgangs wird daraufhin eine Zehnerkommission gebildet.

26. April 1919 München * Die Aktivitäten der Thule-Gesellschaft werden von der Kommission zur Bekämpfung der Konterrevolution aufgedeckt.Mit Hilfe von gefälschten Stempeln und Ausweisen hat sich die Thule-Gesellschaft Zugang zur Roten Armee verschafft und alle gesammelten Informationen an die Regierung Hoffmann in Bamberg weitergegeben.

Die Angreifer sind damit im Besitz wertvoller Informationen über Abwehrstellungen, Truppenstärke, Bewaffnung und die Verteidigungsstrategie der Roten Armee.

Die Durchsuchung der Logen-Räume der Thule-Gesellschaft im Hotel Vier Jahreszeiten bestätigt den Verdacht, aber die Verantwortlichen sind inzwischen geflohen. Allerdings haben sie die Mitgliederkartei vergessen. Dadurch kann die Rote Armee mehrere Mitglieder der Thule-Gesellschaft verhaften. Sie stehen unter dem Verdacht, für die Regierungstruppen und Freikorps geworben zu haben.

Anschließend werden sie ins Luitpold-Gymnasium gebracht.

27. April 1919 München * Über das Auftauchen derZehnerkommission- mit Unterstützung von zehn Angehörigen derRoten Armee- im Beratungszimmer desVollzugsausschussesbeschwert sich Eugen Leviné in der Versammlung im Hofbräuhaus.

Seite 618/814 27. April 1919 München * DasHofbräuhaus-Parlamenttritt auch an diesem Sonntag zusammen.Die am Vortag gebildeteZehnerkommissionberichtet denBetriebs- und Soldatenrätenüber das Ergebnis ihrer Untersuchungen zur sogenanntenPassangelegenheit.

Die Pässe wurden im Auftrag von Max Levien geholt,"um sie der Bourgeoisie zu entziehen und ihr die Flucht in das Ausland unmöglich zu machen".Über den Verbleib der Pässe können allerdings keine Aussagen gemacht werden.

27. April 1919 München-Graggenau * Ernst Toller bekräftigt im Hofbräuhaus erneut seine Meinung, dass die jetzige Räteregierung eine "Gefahr für das Proletariat und die Räterepublik" darstellt.

Die Betriebs- und Kasernenräte zwingen den Aktionsausschuss zum Rücktritt und entziehen damit auch dem Vollzugsrat das Vertrauen. Damit beenden sie die kommunistische Diktatur des Proletariats von Eugen Leviné und Max Levien.

27. April 1919 München-Graggenau * Im Festsaal desHofbräuhauseseskaliert nun der Konflikt zwischen den Befürwortern und Gegnern der Verhandlungen mit der Regierung Hoffmann.

Verhandlungen mit der Bamberger Regierung sind jedoch nicht mehr möglich, da sowohl die Regierung des Freistaats Bayern als auch die Reichsregierung die Bedingungslose Kapitulationund die Auslieferung aller Führer fordern.

"Die Verhältnisse in Südbayern haben sich nunmehr durch Verschulden des Münchener Terrors zum direkten Kriegszustand entwickelt. [...] Gewalt kann nur mit Gewalt bekämpft und unterdrückt werden. Verhandlungen, Besprechungen und Abmachungen mit den Volksfeinden, die unser Südbayern ins Unglück gestürzt haben, sind vergeblich".

Durch diese unnachgiebige Haltung sehen die Kommunisten keine andere Wahl, als bis zum bitteren Ende zu kämpfen. Sieg oder Niederlage - dazwischen gibt es für sie keine Alternative.

27. April 1919 München * Die am Tag zuvor verhafteten Mitglieder und Anwärter der Thule-Gesellschaftwerden auf einem Plakat als "gemeingefährliche Bande von Verbrechern" bezeichnet, die neben der Fälschung militärischer Stempel auch Diebstähle, Plünderungen und sogar Viehraub im großen Stil begangen hat.

28. April 1919 München-Graggenau * Im Hofbräuhaus treffen sich die Betriebs- und Soldatenräte zur endgültigen Neuwahl des Aktionsausschusses. Lediglich gewählte Betriebsräte sind zugelassen. Der als Mitglied der Pressekommission anwesende Gustav Landauer muss den Saal verlassen.

Seite 619/814 Ernst Toller erklärt, dass sich der gestrige Beschluss der Betriebsräte nicht gegen die KPD allgemein richtet, sondern gegen Einzelpersonen, die zufällig der KPD angehören. Gustav Klingelhöfer betont in seinem Redebeitrag, dass er sich nur gegen die diktatorischen Maßnahmen einzelner Führer wendet und nicht gegen die KPD insgesamt.

Anschließend wird ein zwanzigköpfiger Aktionsausschuss gewählt, der aus 15 Betriebsräten und fünf Soldatenräten besteht. Unter ihnen ist kein Kommunist. Ernst Toller, Gustav Klingelhöfer und Rudolf Egelhofer kandidieren nicht für dieses Gremium.

28. April 1919 München*DieSpäherberichtezeigen ganz deutlich die Stimmung in derBetriebs- und Soldatenräte-Versammlung:"Die Reden in der siebenstündigen Versammlung zeigten, dass man bestrebt ist, so gut es geht den Weg zum Ausgangspunkt zurückzufinden.Das ist die Stellung der vernünftigen und größeren Mehrheit der Münchner Arbeiter".

28. April 1919 München* Gerüchte tauchen in München auf, wonach der Kommunistenführer Max Levien mit derKasse der Kriegsgeschädigtendurchgebrannt sei.

28. April 1919 München-Kreuzviertel*Am Abend stürmen achtzig biseinhundert Giesinger Kommunisten dasPolizeipräsidium, entwenden und vernichten Material desErkennungsdienstesund derFahndungsabteilungund verwüsten das Gebäude.Wertgegenstände und Waffen werden gestohlen.

DieSteckbriefsammlung, die Akten derZigeuner-Nachrichtenstelleund dieEinwohnerlistentürmen sich meterhoch in den Höfen des Präsidiums.Sie werden teilweise mit Benzin übergossen und angezündet.

28. April 1919 München-Au * Während das Hofbräuhaus von der Roten Armee belagert wird, findet im Münchner-Kindl-Keller eine Versammlung der Kommunisten statt. Darin versuchen Eugen Leviné und Max Levien das Scheitern ihrer Politik zu rechtfertigen. Dabei erklärt Levien: Es kommt nicht drauf an, "ein paar Tausend Bürgerlichen die Gurgel abzuschneiden".

28. April 1919 München-Graggenau * Noch vor der Wahl wird das Hofbräuhaus von Einheiten der Roten Armee umstellt. Diese fordern

die sofortige Beseitigung der Polizei und die Ausstattung des Oberkommandos der Roten Armee mit allen Vollmachten, "um den erfolgreichen Kampf gegen die Weiße Garde und besonders gegen die innere Reaktion führen zu können".

Seite 620/814 Aus der Diktatur der Betriebsräte ist eine Diktatur der Roten Armee geworden. Unter ihrem Oberkommandierenden Rudolf Egelhofer ist die Wahl des neuen Aktionsausschusses mehr oder weniger gegenstandslos geworden.

Spätestens seit dem 28. April 1919 Freistaat Bayern * Die Regierungssoldaten werden in den Tagen vor dem Einmarsch nach München intensiv indoktriniert. Man warnt sie davor, dass ihnen die sofortige Erschießung droht, wenn sie den Spartakisten in die Hände fallen. Gleichzeitig erklärt man ihnen, dass jeder Feind ein minderwertiger Ausländer sei.

Unter diesen Umständen stößt der Befehl, jeden zu erschießen, der sich den Regierungstruppen widersetzt, auf breite Zustimmung.

28. April 1919 München-Maxvorstadt * Bis zum Zusammenbruch der Räterepublik sitzen die Revolutionsgerichte über rund 300 Personen zu Gericht. In den drei Wochen Ihrer Tätigkeit gelingt es den Richtern weitgehend, die Angeklagten vor willkürlichemMachtmissbrauch der Räterepublik zu bewahren.

29. April 1919 Oberschleißheim * Die Rote Armee nimmt in Oberschleißheim zwei Regierungssoldaten des Berliner 8. Husarenregiments fest.Sie werden in das Luitpold-Gymnasium in der Müllerstraße gebracht und dort inhaftiert.

29. April 1919 München-Giesing * Die Giesinger "Rote Garde. Abteilung: Bergbräu" umfasst exakt 232 Mann.

29. April 1919 München-Haidhausen * Der Malerfürst Franz von Stuck wird - nach eigenen Aussagen - "Nachts um zwei Uhr" von "zwei Soldaten mit aufgepflanztem Seitengewehr nach einem Schulgefängnis in Haidhausen" gebracht.

29. April 1919 München-Haidhausen * Mitglieder der Roten Armee bringen den beim Attentat schwerverletzten Kurt-Eisner-Mörder Anton Graf Arco auf Valley aus der Chirurgischen Klinik als Geisel in die Haidhauser Kirchenschule.

29. April 1919 München-Haidhausen * Professor Ferdinand Sauerbruch, der behandelnde Arzt des Kurt-Eisner-Mörders Anton Graf Arco auf Valley, wird ebenfalls in der Haidhauser Kirchenschule, dem Hauptquartier der Roten Armee, gebracht.

29. April 1919 München-Kreuzviertel* ImPolizeipräsidiumgehen die Plünderungen und Verwüstungen weiter.

Seite 621/814 Die Aktenvernichtung im Polizeipräsidium wird von den konservativen und reaktionären Kräften als ein "besonderer Fall von Vandalismus" bezeichnet und entsprechend politisch bewertet.

Der von der Berliner KPD nach München geschickte Karl Retzlaw hat eine völlig andere Sicht auf die Vorgänge: "Doch sprachen wir es auch offen aus, dass es nicht Sache eines Revolutionärs sei, sich dem Henker auszuliefern. Zu den Schutzmaßnahmen gehörte es auch, die Akten des Polizeipräsidiums zu vernichten. Das Prüfen der Akten würde eine Zeit von Monaten in Anspruch genommen haben, auch das Heraussuchen nur der politischen Akten würde zu lange dauern. Bedenken brauchten nicht zu bestehen, weil kulturell wertvolle Dokumente nicht in Polizeiakten zu finden sind. So war es am zweckmäßigsten, alles zu vernichten.

Menschenleben sind wichtiger als bedrucktes Papier. Zwei Tage lang brannten die Akten auf dem zementierten Hof des Polizeipräsidiums. Wohl an die hundert Helfer aus der Bevölkerung, der Partei und der Roten Armee warfen die Akten aus den Fenstern in die Flammen. Damit retteten wir Hunderten von politisch und antimilitärisch Verdächtigten aus der Zeit der Zusammenbruchsmonate 1918/19 Freiheit und Leben".

29. April 1919 München-Maxvorstadt* Gegen 15 Uhr tauchen schwerbewaffnete Soldaten derRoten Armeein derNuntiaturin der Brienner Straße auf und fordern - unter persönlicher Bedrohung desNuntiusEugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., - die Herausgabe seines Dienstautos.

Eine Beschwerde beimKriegsministeriumverstärkt nur die Forderung: "Wenn das Auto nicht sofort abgeliefert wird, dann wird die Nuntiatur zusammengeschossen und die ganze Bande verhaftet!"

Die Eindringlinge ziehen erst ab, nachdem dieStadtkommandantureingreift.

29. April 1919 München* In Plakatanschlägen wird das in der Stadt umlaufende Gerücht dementiert, wonach Max Levien mit derKasse der Kriegsgeschädigtendurchgebrannt wäre.

29. April 1919 Schleißheim * Im Jahr 1927 kommt das in insgesamt zehn Auflagen erschienene Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" auf den Markt. Darin beschreibt Manfred von Killinger seine stark antisemitisch geprägten Erinnerungen als Freikorpsführer der Marine-Brigade-Ehrhardt in der Zeit der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Das Buch beginnt so:

"Von Saalfeld kommend, luden wir in Schleißheim aus. Das Vierte Regiment hatte bereits gesichert. Wir bekamen Befehle. München war umstellt. Diesmal würde es zu harten Kämpfen kommen. In München hatte die rote Brut das Heft fest in der Hand. Lewin [!] Leviné-Nissen, Mühsam usw., was waren das für Namen. Waren das Bayern? Jüdisches, internationales Gesindel, die Intellektuellen aus Schwabing.

Es musste ja so kommen. Dem Münchener Spießer geschah es schon recht. Jahrelang hatte er das Treiben in Schwabing mit angesehen, das Treiben, das im Simplicissimus seinen Niederschlag gefunden hatte. Jahrelang hatte er behäbig lachend mit angesehen, wie Kirche und Thron von diesen Kreisen in den Dreck gezogen wurden, und das als guten Witz aufgefasst. Jetzt zeigte ihm die Bestie das wahre Gesicht".

Seite 622/814 30. April 1919 München * Handzettel mit folgendem Inhalt werden verteilt: "Die Weiße Garde steht vor den Toren Münchens! Nieder mit den Hunden der Weißen Garde!"

30. April 1919 München * Der Kunstprofessor Ernst Berger wird am Nachmittag von Rotarmisten festgenommen, nachdem er über ein Plakat der Räterepublik laut lästerte. Er wird ins Luitpold-Gymnasium gebracht.

30. April 1919 München * Als die Nachricht von den Hinrichtungen bei den - inzwischen gemäßigten - Betriebsräten im Hofbräuhaus-Parlament eintrifft, verlässt Ernst Toller umgehend die Versammlung und begibt sich in das Luitpold-Gymnasium.

In der nahezu menschenleeren Schule entdeckt Toller noch sechs Inhaftierte, die die Rotarmisten in einem verschlossenen Raum zurückgelassen haben. Die Befreiung der unter Todesangst stehenden Gefangenen wird in dem späteren Prozess gegen den Dramaturgen eine große Bedeutung erlangen.

Ernst Toller befürchtet Vergeltungsmaßnahmen der Weißen Truppen und bittet deshalb Professor Ferdinand Sauerbruch, die Getöteten abholen zu lassen. Doch der Mediziner verweigert diese Bitte.

30. April 1919 Dachau * Nach heftigen Gefechten bei Dachau gelingt den Regierungstruppen unter Generalleutnant Friedrich von Friedeburg - trotz heftiger Gegenwehr der Roten Armee- der Durchbruch. Damit kann der Belagerungsring um München durch Regierungssoldaten und Freikorps geschlossen werden.

Dass Dachau aufgegeben wird, ist für die Kommunisten ein verhängnisvoller Fehler. "Nachdem auch die Nordfront dem Feinde freiwillig geöffnet war, brach auch der Kampfwille der Arbeiter zusammen. Jetzt war der Demoralisation, der Feigheit, dem Verrat, der Panik weit das Tor geöffnet.

Die Massendesertation der Arbeiter setzte ein. Gewehre wurden zerbrochen, in die Isar geworfen, [?] der Zusammenbruch war da. [?] Die weißen Garden konnten ungehindert nach München einmarschieren".

30. April 1919 München-Haidhausen * Professor Sauerbruch kann die Kirchenschule wieder verlassen. Er schreibt in seiner im Jahr 1951 erschienenen Autobiographie "Das war mein Leben", dass er bereits "Zum Tode verurteilt" war, dann aber auf glückliche Weise gerettet wurde.

30. April 1919 München-Haidhausen * Auch Anton Graf Arco auf Valley erhält völlig unerwartete Hilfe in der Person von Frau Dr. Hildegard Menzi. Diese ist zu diesem Zeitpunkt Mitglied der KPD und die engste Freundin von Rudolf Egelhofer, dem Oberkommandierenden der Roten Armee.

Seite 623/814 Sie sucht Arco in der Kirchenschule auf, um ihn zu versorgen und vereinbart mit Dr. Rudolf Schollenbruch, einem Arzt mit der roten Armbinde, dass Arco und die anderen Geiseln in ein sicheres Versteck gebracht werden.

Arco trifft am Abend wieder in der Chirurgischen Klinik ein.

30. April 1919 München* In München werden keine Verteidigungsanlagen installiert. Dieser Tag bringt vielmehr der Zerfall derRäteregierungund derRoten Armee.

Bei etwas gutem Willen der leitenden Offiziere der heranrückenden Truppen wäre eine geordnete Übergabe oder Rückgabe der Macht möglich gewesen.Doch sie haben kein Interesse an einer friedlichen Verständigung. Durch ihre kompromisslose Haltung fördern sie nur den Widerstandswillen der Fanatiker.

30. April 1919 München-Graggenau* Um 23 Uhr wird eine Versammlung derBetriebs- und SoldatenräteinsHofbräuhauseingeladen.Die Versammlung distanziert sich von denGeiselmorden.

Aus ihrem Kreis wählen die Versammelten gegen Mitternacht jeweils dreiBetriebs- und Soldatenräte, die in Dachau wegen der Übergabemodalitäten für München verhandeln sollen.

Ernst Toller beantragt die sofortige Einberufung einesBayerischen Rätekongresses.Der Antrag wird angenommen. Danach vertagt sich die Versammlung.

30. April 1919 München* Plakate derRoten Armeefordern die Arbeiter und Soldaten auf, die"preußische Herrschaft"abzuschütteln und sich bewaffnet dem Feind entgegenzustellen.

Die KPD wirbt in einem Flugblatt zum Eintritt in dieRote Armee, während sich Eugen Leviné, Max Levien und Towia Axelrod in Sicherheit bringen.

30. April 1919 München* Über München kreisende Flugzeuge werfen Flugblätter mit Durchhalteparolenab: "[...] Kopf hoch und Mut! Hilfe naht, die Euch vom russischen Terror und Schrecken des Bolschewismus befreien wird".

Ein anderes Flugblatt informiert darüber, dass München von bayerischen Truppen umstellt ist und fordert die Bevölkerung auf:

"Hört die Stimme der Vernunft! Lasst ab vom bewaffneten Widerstand. Meidet die Straßen und Plätze, damit das Blut Unschuldiger nicht vergossen wird. Die Truppen der Regierung brechen schonungslos jeden bewaffneten Widerstand, um der Not Aller ein Ende zu machen. Lebensmittel, Kohlen, Rohstoffe stehen zur Einfuhr nach München bereit.

Seite 624/814 gez. Hoffmann, Ministerpräsident"

30. April 1919 Pasing - Lochham * Am Pasinger Bahnhof werden 53 ehemalige russische Kriegsgefangene von Regierungstruppen festgenommen.

Die Kriegsgefangenen wurden auf Veranlassung des Revolutionären Zentralrats am 11. April aus der Haft entlassen. Sie konnten sich frei bewegen und durften den Freistaat Bayern verlassen. Aufgrund der Unruhen in ihren Heimatländern war ihnen aber die Rückreise nicht möglich. Deshalb schlossen sie sich, wie viele andere Kriegsgefangene auch, freiwillig den Roten Garden in München an.

Nach Kämpfen in Fürstenfeldbruck sind sie - unbewaffnet und aus der Roten Armee entlassen - nach München zurückgekehrt, wo in Pasing die Festnahme erfolgte. Sie werden nach Lochham gebracht.

Nach dem Mai 1919 München-Obergiesing * Nach Beendigung des Ersten Weltkrieges ist die Vereinsarbeit des TSV München-Ostauf dem Tiefpunkt angelangt. "Als die Kriegs- und Revolutionswirren vorüber waren, zählte man zweihundert Mitglieder und betrauerte 49 gefallene Sportkameraden", heißt es in einer Vereinschronik.

Außerdem kann der Turnsaal im Schleibinger-Bräunicht mehr benutzt werden, da dort seit dem Jahr 1917 ein Malzwerk für die Cenovis-Werkeeingerichtet worden ist. Damit beginnt erneut eine Wanderschaft durch die Schulturnsäle und die Nebenzimmer großer Münchner Wirtshäuser.

1. Mai 1919 München-Maxvorstadt * Bis 9 Uhr erobern und übernehmen rund 200 Mann des Leibregiments den Ostflügel der Türkenkaserne.

1. Mai 1919 München-Haidhausen * Erste Abteilungen der Regierungstruppen dringen in Richtung östliche Vorstädte vor und erobern die Gasfabrik am Kirchstein in Steinhausen.

Um 9:30 Uhr stürmen Angehörige des Freikorps Lützow - von Berg am Laim aus kommend - die von der Roten Armee besetzte Kirchenschule in Haidhausen, verteilen die erbeuteten Waffen an unbewaffnete Bürger und sympathisierende Anwohner.

Später dringen sie bis zur Neuhauser Straße vor, müssen sich aber kurz darauf wieder zurückziehen.

1. Mai 1919 München-Lehel * Am Vormittag wird Dr. Hildegard Menzi auf dem Weg in ihre Wohnung in der Maximilianstraße 22 von bewaffneten Zivilisten verhaftet und in die Kommandantur in der Residenz gebracht.

Die Ärztin, die noch am Tag zuvor Anton Graf Arco auf Valley medizinisch versorgt hat, wird von der Münchner Stadtkommandantur als "geistiger Führer des Egelhofer" eingeschätzt. Rudolf Egelhofer, der 23-jährige

Seite 625/814 Oberbefehlshaber der Roten Armee, hat demzufolge "nur nach den Direktiven der Frau Menzi gehandelt".

1. Mai 1919 München-Giesing * Als die Weißen Truppen auf der Tegernseer-Landstraße gegen die rote Hochburg Giesing vorrücken, postiert die Rote Armee auf dem für sie strategisch günstig gelegenen, 95 Meter hohen Kirchturm der neugotischen Heilig-Kreuz-Kirche ihre Maschinengewehre.

Am Giesinger Berg werden die Regierungssoldaten mit MG-Feuer und Handgranaten empfangen. Es folgen erbitterte Straßenschlachten, besonders an der Martin-Luther- und Ichostraße. Eine spezielle Kampfart der Giesinger Roten Armee, durch das Kanalisationssystem hinter die Linien der Feinde zu gelangen, dort aus den Kanaldeckeln herauszuschießen und sofort wieder zu verschwinden, führt dazu, dass es trotz der Überlegenheit der Weißen und des Einsatzes eines Panzerzuges bei der Pilgersheimer Eisenbahnbrücke Tage dauert, bis der Widerstand gebrochen ist.

In den Augen der Konterrevolutionäre die "Schmach von Giesing".

1. Mai 1919 München * Bei den Kämpfen am Karlsplatz erhält das Brunnenbuberl der Brunnengruppe Satyrherme und Knabe des Bildhauers Matthias Gasteiger, das sich in der Nähe des Toilettenhäuschens in der Stachus-Grünanlage befindet, zwei Einschüsse.

Die dazu veröffentlichte Postkarte trägt die Mitleid erweckende Beschriftung: "Unser schwerverwundetes Buberl".

1. Mai 1919 München * Am Nachmittag dringen eigenmächtig operierende Freikorps von der Residenz aus bis zum Lenbachplatz vor. Die Marine-Brigade Ehrhardt erreicht - von Schleißheim kommend - gegen Mittag Schwabing und beteiligt sich später an den Kämpfen am Stachus. Auch aus Regensburg stammende Soldaten sowie Angehörige des Freikorps Grafing und die Batterie Zenetti sind an diesen Kämpfen beteiligt. Dort entfacht sich ein mehrstündiges Gefecht.

Die Rotarmisten leisten erbitterten Widerstand und verteidigen den Stachus mit Gewehrfeuer. Ein Zeitzeugenbericht schildert die weiteren Ereignisse:

"Mittlerweile hatten die Regierungstruppen bei der Anlage an der Deutschen Bank ein Geschütz in Stellung gebracht und eine Brandbombe in den Kiosk gesetzt, der bald lichterloh aufflammte und die Roten Gardisten zwang, ihren verzweifelten Widerstand aufzugeben und sich gegen die protestantische Kirche und das Kaufhaus Horn zurückzuziehen. Bald war der Karlsplatz zum wütendsten Kampfplatz geworden. [?]

Gegen Abend bekamen die Regierungstruppen Verstärkungen von der Herzog-Wilhelm-Straße und dem Sendlingertor-Platz her. Die Rotgardisten wurden über den Karlsplatz in den Justizpalast und gegen die Elisenstraße geworfen, von wo aus sie heftigen Widerstand leisteten.

Das an der Deutschen Bank postiert gewesene Geschütz wurde infolgedessen bis zum Wittelsbacher-Brunnen zurückgezogen und beschoss in den Nachmittagsstunden den Justizpalast, der an der gegen den Stachus gerichteten Seite zwei Treffer im dritten Stock erhielt. [?] Viele Spartakisten flüchteten in den Mathäser".

Seite 626/814 Doch es gibt auch Gegenwehr von anderer Seite, die die Weißen Truppen letztlich zum Abziehen zwingen. Dazu zählen auch die Teilnehmer der Maikundgebung auf der Theresienwiese, die dort "waffenlos demonstriert" haben und sich nun auf dem Nachhauseweg befinden.

1. Mai 1919 München * In Manfred von Killingers Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben" rühmt er seinen verächtlichen Umgang mit den Roten und besonders mit linken Frauen:

"Ein Weibsbild wird mir vorgeführt. Das typische Schwabinger Malweibchen. Kurzes, strähniges Haar, verlotterter Anzug, freches, sinnliches Gesicht, wüste Augenringe. ?Was ist mit der los?? Da geifert sie los: ?Ich bin Bolschewikin! Ihr feige Bande, Fürstenknechte, Speichellecker! Anspucken sollte man euch! Hoch Moskau!? und dabei spuckt sie einen Unteroffizier ins Gesicht. ?Fahrerpeitsche! Dann laufen lassen?, sagte ich kurz. Zwei Mann packen sie. Sie will beißen. Eine Maulschelle bringt sie zur Räson. Im Hof wird sie über die Wagendeichsel gelegt und so lange mit Fahrerpeitschen bearbeitet, bis kein weißer Fleck mehr auf ihrer Rückseite war. ?Die spuckt keinen Brigadier mehr an. Jetzt wird sie erst mal drei Wochen auf dem Bauche liegen?, sagt Feldwebel Herrmann".

1. Mai 1919 München * In einem anderen Pakataufruf der Betriebs- und Soldatenräte Münchens wird aufgefordert "waffenlos" auf einer Maikundgebung auf der Theresienwiese zu demonstrieren. Die Räte "protestieren mit Entrüstung gegen die fluchwürdigen Verbrechen jener Elemente, welche durch ihr Handeln die heilige Sache des Proletariats im Kampf für die Menschlichkeit verraten haben". Sie fordern auf:

"Soldaten! Laßt Eure Waffen in den Kasernen! Arbeiter! Laßt Eure Waffen in den Betrieben! Kommt mit den Frauen und Kindern heraus auf alle großen Plätze und Wiesen! Ungebeugt wird das Proletariat an diesem Tage seine Räte und den Geist seiner Räterepublik hochhalten. Es lebe der Rätegedanke!"

1. Mai 1919 München-Lehel * Der Oberbefehlshaber der Roten Armee, Rudolf Egelhofer, wird um die Mittagszeit in der Wohnung der Ärztin Dr. Hildegard Menzi in der Maximilianstraße 22, wo er zur Untermiete wohnt, aufgegriffen und verhaftet.

Er wird zum Verhör in Kriegsministerium an der Ludwigstraße gebracht und brutal misshandelt. Anschließend wird er zur Residenz transportiert und im Keller des Kolonadenhofes eingesperrt.

2. Mai 1919 Ebrach * Erich Mühsam, der beim Palmsonntagsputsch von den RepublikanischenSchutztruppen verhaftet und ins Zuchthaus Ebrach gebracht worden war, notiert:

"Landauer tot. Ich will und kann es nicht für möglich halten und muss es doch glauben [?].

Seite 627/814 Niemand weiß, welch ein Geist hier zerstört ward".

2. Mai 1919 München-Giesing * Giesinger Rotarmisten verschanzen sich in der Maschinengewehrfabrik Sedlbauer in Obergiesing und versuchen, den vom Osten anrückenden Truppen - darunter das Bayerische Schützenkorps - Widerstand entgegenzusetzen.

Sie werden durch intensivem Artilleriebeschuss aus dem während des Weltkriegs errichteten Betonbau vertrieben.

2. Mai 1919 München-Giesing * In dem im Jahr 1934 erschienenen tendenziösen Machwerk "Rotmord über München" werden die Kämpfe in Giesing aus der Sicht der Sieger geschildert. Dort heißt es:

"Am furchtbarsten raste der Kampf im roten Giesing, wo das Korps Epp am 2. Mai eingerückt ist. Da kracht es aus den Fenstern, aus den Dachluken und aus den Kellerlöchern. Da hämmert es von der Mariahilfkirche [es muss sich dabei allerdings um die Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche handeln] das MG. Da tun Frauen Winkerdienste für die roten Schützen, da schießt man mit mit zerfleischenden Dum-Dum auf deutsche Brüder, da muss Artillerie eingesetzt werden gegen einzelne feuer- und todspeiende Dächer, und ihre Einschläge fallen in den Giesinger Kirchturm und in das Pfarrhaus. [?]

Rechts und links an die Häuserwände gedrückt arbeiten sich die Soldaten vor. ?Straße frei - Fenster zu!? und wenn sie an manch stillen Stellen vorbei sind, oder auch an Stellen, wo man sie mit dem Ruf: ?Hoch Epp!? empfangen hat, dann schiebt sich leise aus dem Keller das tückische Gewehr und streckt hinterrücks einen Kameraden nieder".

2. Mai 1919 München-Obergiesing * Gustav Landauer wird ins Gefängnis Stadelheim gebracht, wo er von Freikorpssoldaten in grausamster Weise misshandelt und schließlich ermordet wird. Ein Zeuge berichtet:

"Am 2. Mai stand ich als Wache vor dem großen Tor zum Stadelheimer Gefängnis. Gegen1¼Uhr brachte ein Trupp bayerischer und württembergischer Soldaten Gustav Landauer. Auf dem Gang vor dem Aufnahmezimmer versetzte ein Offizier dem Gefangenen einen Schlag ins Gesicht. Die Soldaten riefen dazwischen: ?Der Hetzer, der muss weg. D?erschlagts ihn!?.

Landauer wurde dann mit Gewehrkolben an der Küche vorbei in den ersten Hof rechts hinaus gestoßen. Im Hof begegnete der Gruppe ein Major in Zivil, der mit einer schlegelartigen Keule auf Landauer einschlug. Unter Kolbenschlägen und den Schlägen des Majors sank Landauer zusammen. Er stand zwar wieder auf und wollte zu reden anfangen. Da rief ein Vizewachmeister: ?Geht mal weg!?. Unter Lachen und freudiger Zustimmung der Begleitmannschaften gab der Vizewachmeister zwei Schüsse ab, von denen einer Landauer in den Kopf traf. Landauer atmete immer noch.

Dasagte der Vizewachmeister: ?Das Aas hat zwei Leben, der kann nicht kaputtgehen!?. Da Landauer immer noch lebte, legte man ihn auf den Bauch. Unter dem Ruf: ?Geht zurück, dann lassen wir ihm noch eine durch!?, schoss der Vizewachmeister Landauer in den Rücken, dass es ihm das Herz heraus riss und er vom Boden schellte. Da Landauer immer noch zuckte, trat ihn der Vizewachmeister zu Tode. Dann wurde ihm alles

Seite 628/814 heruntergerissen und seine Leiche zwei Tage lang ins Waschhaus geworfen".

2. Mai 1919 München-Kreuzviertel * Im Polizeipräsidium an der Ettstraße beginnen die Aufräumarbeiten. Es dauert Wochen, bis die 800.000 zum Teil verbrannten Akten von den Beamten auf verwendbare Schriftstücke hin sortiert sind.

2. Mai 1919 München-Bogenhausen * Thomas Mann macht sich Sorgen um den Ausgang der Kämpfe. Seinem Tagebuch vertraut er an.

"War nachmittags recht erregt und besorgt. Das Telefon funktionierte vorübergehend nicht. Die Kanonade und das Maschinengetack war heftig und unaufhörlich. Ich fürchtete für den Ausgang der Sache. Schließlich ist, wie die Dinge liegen, der definitive Sieg der Truppen eine persönliche Lebensnotwendigkeit geworden; der gegenteilige Ausgang wäre eine undenkbare Katastrophe".

2. Mai 1919 München * Noch ein Beispiel aus Manfred von Killingers Buch "Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben", in der er in verachtlicher Art und Weise seine Sicht auf die Niederschlagung der Räterepublikaner preis gibt:

"Plötzlich höre ich einen Mordskrach vor der [Elisabeth-] Schule. Ein großer, starker Kerl schimpft mit den gröbsten Tönen auf einen Unteroffizier von mir los. Der bleibt die Ruhe selbst. Da schlängelt sich eine Frau an mich heran. ?Aufpassen! Ein Bolschewik. Man will die Bevölkerung gegen die Truppen aufhetzen?. Aha, die Brüder kennen wir. Ich winke Obermaat Zimmermann. ?Machen Sie eine Handgranate fertig. Ich werde dem Kerl das Maul verbieten. Hört er nicht augenblicklich auf, dann eins rin in die Kiemen?. Ich fasse den Kerl beim Knopfloch und sage: ?Gehen Sie augenblicklich Ihrer Wege, noch einen Ton und ich verspreche Ihnen, dass Sie in den nächsten vierzehn Tagen keinen Ton mehr sprechen?. ?Hoho! Da wollen wir doch mal sehen, wer was zu reden hat!? brüllt er. Krach, da saust ihm die Handgranate in die linke Kiemenseite. Wie vom Blitz getroffen bricht er zusammen. Er erhebt sich, stolpert, fällt wieder. Blut läuft ihm aus Mund und Nase. Er erhebt sich wieder, will was sagen, aber es geht nicht mehr. Er gurgelt etwas und torkelt von dannen. ?Guten Morgen, mein Herr, wir pflegen unsere Versprechen einzulösen?".

Killing begründet seine menschenverachtende und gewalttätige Einstellung so: "Krieg ist Gewalt, Bürgerkrieg ist Gewalt in höchster Potenz. Mäßigung ist Dummheit, nein, sie ist Verbrechen am eigenen Volk und Staat".

Um den 2. Mai 1919 München-Giesing * Die Angst und der Hass auf die Giesinger war bei den Nationalsozialisten tief eingebrannt und reichte in die Zeit der Zerschlagung der Räterepublik zurück. Als die Weißen Truppen auf der Tegernseer-Landstraße gegen die Rote Hochburg Giesing vorrücken, postiert die Rote Armee auf dem strategisch günstig gelegenen Turm der Heilig-Kreuz-Kirche ihre Maschinengewehre.

2. Mai 1919 Gräfelfing * Die 52 russischen Kriegsgefangenen aus dem Lager Puchheim werden in der Volksschule Gräfelfing

Seite 629/814 vor ein selbsternanntes Feldgericht gestellt - ohne Berufsrichter. Die Angeklagten haben zudem keine Möglichkeit sich zu verteidigen.

Bei Tagesanbruch werden sie in einer Kiesgrube in Gräfelfing erschossen. Man wirft ihnen vor, auf Seiten der Räterepublik und der Roten Armee gekämpft zu haben.

2. Mai 1919 München-Ludwigsvorstadt* In den Vormittagsstunden wird der Mathäser von schweren Minen getroffen. Feuer bricht aus, weshalb die Rotarmisten das Gebäude verlassen müssen.

2. Mai 1919 München * München wird nach harten Kämpfen gegen die sich erbittert verteidigenden Roten von den Regierungstruppen genommen. Bis zum Abend ist die Rote Armee geschlagen und die Stadtviertel von den Regierungstruppen militärisch besetzt. Die Militärs bereiten sich nun auf die bevorstehende "Säuberung und Befriedung" vor.

Für Giesing liest sich das dann so: "Da brechen sie in Häuser, durchsuchen die Wohnungen, die Keller, die Böden. Reihenweise schleift man die roten Schützen auf die Straße - stellt sie an die Wand. Und dumpf bricht sich das Krachen der Erschießungssalven an den Mauern".

Die Wirklichkeit ist oft noch viel grausamer. Nach dem Sieg über die Rote Armee durchkämmen die Weißen fast alle Häuser Haidhausens, der Au und Giesings. Über 5.000 Münchner, die irgendwie verdächtig erscheinen, werden verhaftet. Über eintausend, darunter viele unschuldige, oftmals denunzierte Menschen, müssen sterben.

Die letzten Einheiten der Roten Armee werden am 4. Mai in der Umgebung von München zerschlagen. Vereinzelte Feuergefechte in der Stadt dauern noch bis zum 22. Mai an.

3. Mai 1919 München * Die Münchner Neuesten Nachrichten verbreiten und verstärken unter der Überschrift "Die bestialische Ermordung der Geiseln" die eh schon kursierenden Gerüchte.

3. Mai 1919 München * Die SPD lässt folgende Erklärung in den Münchner Zeitungen veröffentlichen:

"Jene wahnwitzige Politik des Terrors und der Gewalt, die München in Gegensatz stellte zum ganzen Land, die den Bürgerkrieg in Bayern entbrennen ließ, hat das schlimme Ende gefunden, das vorauszusehen war. [...]

Die Truppen der sozialistischen Regierung Hoffmann kommen nicht als Feinde der Arbeiterschaft, nicht als ?Weiße Garde?, sondern als Schützer der öffentlichen Ruhe und Sicherheit, ohne die ein Neuaufbau im sozialistischen Sinne nicht möglich ist. Arbeiter, helft den Soldaten bei ihrer schweren Aufgabe!".

3. Mai 1919 München * Jetzt beginnt "die Reinigung von dem roten Gesindel", wie es eine Zeitung formuliert. Nicht Befreiung, sondern Terror einer grausamen Soldateska müssen die Münchner in den nächsten Tagen erleben. Willkürliche

Seite 630/814 Erschießungen, furchtbare Folterungen und Morde werden begangen.

Oskar Maria Graf schreibt: "Überall zogen lange Reihen verhafteter, zerschundener, blutig geschlagener Arbeiter mit hochgehaltenen Armen. Seitlich, hinten und vorne marschierten Soldaten, brüllten, wenn ein erlahmter Arm niedersinken wollte, stießen mit Gewehrkolben in die Rippen, schlugen mit Fäusten auf die Zitternden ein. [...] Das sind alle meine Brüder, dachte ich zerknirscht. [...] Sie sind alle Hunde gewesen wie ich, haben ihr Leben lang kuschen und sich ducken müssen, und jetzt, weil sie beißen wollten, schlägt man sie tot. [...] Tage hindurch hörte man nichts mehr als Verhaftungen und Erschießungen. [...] Die Räterepublik war zu Ende. Die Revolution war besiegt. Das Standgericht arbeitete emsig".

4. Mai 1919 München-Stadelheim * Die Neue Zeitung vom 3. Juni 1919 berichtet: "Am 4. Mai kamen zwei Autos mit Gefangenen vor Stadelheim an. Drei Männer und zwei Mädchen von ungefähr 18 Jahren wurden heruntergerissen. Die Männer wurden natürlich sofort erschossen. Bezüglich der Mädchen riefen die württembergischen Soldaten: ?Die Frauen müssen sofort erschossen werden!? Stadtpfarrer Wagner und Pfarrer Freudenstein von Giesing [?] suchten auf die Soldaten einzuwirken.

Es gelang ihnen jedoch nicht, ebenso wenig drei Offizieren, die immer wieder die Soldaten bestimmten, dass Erschießungen ohne Urteil nicht zulässig seien. Es half alles nichts, selbst Stadtpfarrer Wagner wurde bedroht.

Die Mädchen weinten nicht, sie wurden an die Wand gestellt, und - jetzt kommt das Erbärmlichste - zuerst in die Fußknöchel und Knie geschossen, und erst dann, als sie zusammengebrochen waren, völlig erschossen".

Die Namen der Mädchen sind bekannt, eine Strafverfolgung des Falles kann jedoch nicht stattfinden, da die Akten auf unerklärliche Weise verloren gingen.

Um den 4. Mai 1919 München * Ret Marut [= B. Traven], der Leiter der Zensurbehörde in der Ersten Räterepublik, wird von Studenten, die sich der Weißen Garde angeschlossen haben, erkannt und von Regierungstruppen vor ein Feldgericht gebracht. Dieses besteht aus einem Offizier, der entscheidet, ob der Verhaftete sofort standrechtlich erschossen wird oder nicht. Im Zweifelsfall wird das Todesurteil vollstreckt, weil das sicherer sei.

Noch vor seiner Vernehmung gelingt dem Schriftsteller - mit Unterstützung von zwei Soldaten - die Flucht.

4. Mai 1919 München * Die Herstellung und Verbreitung aller "kommunistischen, spartakistischen und bolschewistischen Zeitungen und Zeitschriften" wird verboten. Gleiches gilt für "Skandal- und Revolverblätter".

4. Mai 1919 Perlach * Am Abend erklärt Korpskommandeur Hans von Lützow Major Walter Schulz, dass er einen telefonischen Hilferuf von Frau Betty Hell, der Ehefrau des evangelischen Pfarrers von Perlach, erhalten habe. Die Pastorenfrau fühlte sich von Perlacher Kommunisten bedroht.

Die Bedrohung beruhte darauf, dass die genannten Rotgardisten Kartoffeln beschlagnahmten, die ursprünglich

Seite 631/814 für die Herstellung von Schnaps in der Schnapsfabrik Wolfram vorgesehen waren.

Bei den sogenannten Rotgardisten handeltes sich zum Teil um Mitglieder des Perlacher Arbeiterrates, der sich auch um Versorgnungs- und Wohnungsfragen kümmerte oder zur Überwachung des Personen- und Warenverkehrs, auch zur Eindämmung des Schwarzmarktes, Reisende am Bahnhof kontrollierte. Das Verbrechen bestand demzufolge darin, dass sie die Kartoffeln zur Ernährung und nicht zur Herstellung von Spirituosen verwenden wollten.

Schulz beauftragt den als "energischen Mann" bekannten Leutnant Georg Pölzing mit der Durchführung der Hilfeleistung. Dieser rückte sofort mit zwei Lastwagen und etwa vierzig Mann aus. Leutnant Pölzing ist im Besitz einer Liste, auf der die "gefährlichen Kommunisten" aufgeführt sind.

4. Mai 1919 Perlach * Noch in der Nacht zum 5. Mai holen Angehörige des Freikorps Lützow dreizehn Perlacher Arbeiter aus ihren Wohnungen undmisshandeln diese bereits auf dem Weg zum Hofbräukeller auf bestialische Art und Weise.

Die Gefangenen werden nochin Perlach an die Wand gestellt, worauf ein Feldwebel das Kommando zum Entsichern gibt. In der Perlacher Wirtschaft Zur Post, wohin man die Verhafteten dann führt, werden sie wieder an die Wand gestellt. Als ihnen der Gastwirt Kaffee geben will, erwidern die Soldaten: "Die brauchen keinen Kaffee mehr". Die Ermordung der Verhafteten ist von Anfang an geplant, die Vernehmung eine reine Farce.

5. Mai 1919 München-Haidhausen * Der 19-jährige Konrad Zeller sagt als Zeuge der Erschießungen im Hofbräukeller folgendes aus: "Gleich nach unserer Ankunft im Hofbräukeller mussten wir in Reihe antreten. Jemand, wer weiß ich nicht, gab den Befehl: ?Ludwig raus?. Ludwig wurde von 2 Soldaten hinter das Auto geführt. Gleich darauf krachte es 2 oder 3 mal. Ich glaube, dass Ludwig sofort erschossen worden ist".

Gegen Mittag werden die übrigen elf Perlacher von Erschießungskommandos hingerichtet. Bei den Ermordeten handelt es sich um den bereits erwähnten Hafnermeister Josef Ludwig sowie die Hilfsarbeiter Artur Koch, Johann Keil, Sebastian Hufnagel, Albert Dengler, sowie den Arbeiter Albert Krebs, der Schweizer Staatsbürger war, weiters um den Schreiner Georg Jakob, den Maurer Josef Jakob, den Eisenbahnarbeiter Georg Eichner, den Arbeiter Konrad Zeller, den Korbmacher August Stöber und den Former Johann Fichtl.

Josef Ludwig ist Vorsitzender des Perlacher Arbeitersrats, dem aus dem Kreis der Ermordeten noch Josef Jakob und August Stöber angehören. Außerdem ist Ludwig Mitglied im Gemeindeausschuss und steht dem wichtigen Lebensmittelausschuss vor.

Von den zwölf Ermordeten sind zehn Mitglieder der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands - USPD. Zwei der Getöteten sind Junggesellen; insgesamt werden zehn Frauen zu Witwen, die sich um 46, davon 35 minderjährige Kinder [!], sorgen müssen.

Um den 5. Mai 1919 München-Stadelheim * Erich Mühsam berichtet über grauenvolle Roheitsexesse bei der Exekution von spartakistischen Frauen:"Dort haben die weißen Pelotons zum wiederholten Male die ersten Schüsse auf die Geschlechtsteile von Frauen und Mädchen gezielt, in anderen Fällen die Exekution vollzogen, indem sie zuerst in die Beine, dann in den Unterleib schossen und sich an den Qualen der langsam verendenden Opfer weideten.

Seite 632/814 Leider sind diese entsetzlichen Dinge, für deren Wahrheit Zeugen beizubringen sind selbst von den frömmsten Staatsschützern stets unterdrückt worden".

6. Mai 1919 München-Maxvorstadt * Etwa dreißig Mit•glieder des Katholischen Gesellenvereins Sankt-Joseph treffen sich in ihrem Vereinslokal, dem Maxkasino, in der Augustenstraße 41. Dem preußischen Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment war zuvor von einem Denunzianten mitgeteilt worden, dass dort am Abend eine Versammlung von Rotarmisten stattfindet.

Noch während sich im Kasino die Vereinsmitglieder unterhalten, wird das "Spartakistennest" von Regierungssoldaten beobachtet und 25 Teilnehmer sowie der Wirt kurz vor 21 Uhr verhaftet.

Die Möglichkeit, gegenüber den Soldaten das Miss•verständnis aufzuklären und sich zu legitimieren, wird von diesen gewaltsam un­terbunden. Erste Gewehrkolbenhiebe gegen die Arretierten und Zurechtweisungen sind die Folge. Mit dem Abmarsch zum Quartier des Alexander-Regiments beginnt der weitere Leidensweg für die Gefangenen, denn bald geht die Begleit•mannschaft dazu über, die angeblichen Spartakisten nicht nur zu beschimpfen, sondern auch mit Pistolen und Gewehren auf sie einzuschlagen.

Nun werden die 26 katholischen Gefangenen in das Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5 gebracht. Im Hof beginnt das eigentliche Massaker. Sechs der Gesellen werden im hinteren Teil des Hofes gegen das Tor eines Schuppens gestoßen. Dann eröffnen die Soldaten mit Gewehren und Pistolen das Feuer, bis alle sechs tot sind. Die verbliebenen zwanzig Kolpinggesellen werden zum Eingang des Kellers geführt. Dort erwischt es einen siebten Gefangenen. Er wird auf den Boden geworfen und mit einem gezielten Pistolenschuss ermordet.

Die Übrigen werden jetzt zur Zielscheibe sadistischer Spiele ihrer Peiniger. Man stößt sie mit Flüchen und Beschimpfungen die Treppe zum Keller hinunter. Dort müssen sie sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen. Dann beginnen die Erschießungen. Auf grauenhafte Weise werden 14 Kolpinggesellen ermordet. Wer nicht durch die Schüsse stirbt, wird mit dem Bajonett erstochen. Manche Gefangene stellen sich tot oder sind bewusstlos.

Nur durch das Eingreifen eines hohen Offiziers wird das Morden beendet. Nach dem Massaker werden 21 Tote in das Pathologische Institut gebracht. Unter den Erschossenen befinden sich zwei Brüderpaare, bei zwei weiteren wird jeweils einer getötet. Zwei Schwerverletzte werden in das Reservelazarett an der Zollstraße eingeliefert. Drei Opfer brauchen keine Krankenhausbehandlung.

Alle Ermordeten sind eingeschriebene Mitglieder der konservativen Bayerischen Volkspartei - BVP. Der Fall wird deshalb vor Gericht ausführlich untersucht. Man ist jedochvon Regierungsseite geneigt, nichts mehr über den Vorfall an die Presse zu geben. Die Folge davon ist, dass die von den Militärbehörden erstellten unwahren Berichte überall, auch im Ausland, Verbreitung finden.

Ansonsten achten die Zensurbehörden streng darauf, dass keine publikumswirksame Veröffentlichung über das blutige Geschehen unter die Leute kommen können. So wird beispielsweise die Sondernummer der Süddeutschen Illustrierten Kriminal-Zeitung vom November 1919, die darüber berichtet, sofort nach ihrem Erscheinen beschlagnahmt.

6. Mai 1919

Seite 633/814 München * Auf Seiten der Freikorps gibt es nach einem Bericht des Bayerischen Schützenkorps seit Ausbruch der Kämpfe in Giesing 6 Tote und 33 Verwundete; auf der Gegenseite aber rund 200 Tote und eine nicht festzustellende Zahl von Verletzten.

7. Mai 1919 München-Haidhausen * Josef Hofmiller, der Herausgeber der reaktionären Zeitschrift Süddeutsche Monatshefte, analysiert die Situation:"Die Sozialdemokratie ist in einer Zwickmühle: sie ist gezwungen Farbe zu bekennen, und diese Farbe ist nicht rot, wie die Masse geglaubt hat. Sie hat niemals gewagt, den trennenden Strich zwischen sich und den Kommunisten zu ziehen; die Leute aber, die die Regierung Hoffmann jetzt erschießen lässt, sind lauter Kommunisten.

Die Sozialdemokratie hat die Massen immer auf den großen Kladderatatsch [= eine alte, in der Kaiserzeit gebrauchte, humorvolle Bezeichnung für die Revolution] vertröstet und scharf gemacht; jetzt, wo die Massen den Kladderatatsch machen und ausnützen wollen, lässt sie auf sie schießen.

Man sieht es jeder Nummer der ?Münchener Post? an, wie greulich der offiziellen Sozialdemokratie die durch ihre eigene Schuld unheilbar gewordene Lage ist."

7. Mai 1919 Ebrach * Der im Zuchthaus Ebrach einsitzende Erich Mühsam schreibt in sein Tagebuch: "Man blickt im Geiste um sich: lauter Tote, lauter Ermordete - es ist grauenhaft. [?] Mit den Münchner Schandtaten hat Noske sogar seine Berliner Blutorgien übertroffen. Das ist die Revolution, der ich entgegen gejauchzt habe. Nach einem halben Jahr ein Bluttümpel: mir graut".

8. Mai 1919 München * Die halbamtliche Bayerische Staatszeitung rechtfertigt die standrechtlichen Erschießungen mit der Aussage:

"Die Bevölkerung verurteilt aufs Schwerste jene feigen Häuserschützen, die aus dem Hinterhalt Angehörige der Regierungstruppen heimtückisch niederknallen, und versteht es, dass solche Schützen, wo sie auf der Tat oder mit der Schusswaffe ertappt werden, nach dem Grundsatz ?Auge um Auge, Zahn um Zahn!? an die Wand gestellt werden."

Und natürlich muss nach Auffassung der Bayerischen Staatszeitung Verständnis dafür aufgebracht werden, "dass in der Erregung des Augenblicks vielleicht Missgriffe nicht ganz vermieden werden können".

10. Mai 1919 Bamberg - München * Ministerpräsident Johannes Hoffmann gibt eine öffentliche Erklärung ab. Darin bringt er zum Ausdruck: "Schrecklich ist der Krieg, am schrecklichsten der Bürgerkrieg. Entsetzliche Bluttaten sind in München geschehen, Verbrechen auf beiden Seiten. Das unschuldig vergossene Blut der grausam ermordeten Geiseln schreit zum Himmel. Die Kunde von der Erschießung der 21 friedlichen Bürger durch wahnsinnig erregte Soldaten erfüllte uns mit tiefstem Entsetzen."

Im gleichen Atemzug verteidigt Hoffmann die Rückendeckung seiner Regierung für die Regierungstruppen mit der Behauptung, man habe monatelang Geduld walten lassen und damit nichts erreicht, als den "blutigen Taten einer

Seite 634/814 Diktatur der Gewalt" Tür und Tor zu öffnen. Auf den "Terror des Kommunismus und der Roten Armee" kann man nur mit Kampf und nicht mit Verständigung antworten.

10. Mai 1919 München-Lehel * In der Nacht um 1 Uhr fallen an der Maximiliansbrücke15 bis 20 Gewehrschüsse.

1. Juni 1919 München-Oberwiesenfeld * Vom Münchner Flugplatz am Oberwiesenfeld bricht Hermine Körner, die neue Intendantin des Münchner Schauspielhauses, mit zwei Kollegen zu einem Gastspiel nach Augsburg auf.

24. Juni 1919 München - Ebrach * Ernst Niekisch wird ins Zuchthaus nach Ebrach, später nach Eichstätt, gebracht.

26. Juli 1919 Deutsches Reich * Das deutsche Branntweinmonopol tritt in Kraft. Es verpflichtet den Staat, kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Brennereien den Alkohol zu einem fixierten Preis abzunehmen, ihn zu reinigen und zu vermarkten. Es war bereits ein Jahr zuvor von Kaiser Wilhelm II. unterzeichnet worden.

8. August 1919 Ungarn * Nach dem Zusammenbruch der Räterepublikin Ungarn wird Alois Lindner an der österreichisch-ungarischen Grenze aufgegriffen und von Österreich an Bayern ausgeliefert.

11. August 1919 Bamberg * Der Verfassungsausschuss hat in 21 Sitzungen die neue bayerische Verfassung beraten.

Es werden noch redaktionelle Angleichungen an die Weimarer Verfassung vorgenommen, die am gleichen Tag in Kraft getreten ist. Zum Beispiel die in Paragraph 13 festgelegte Homogenitätsklausel "Reichsrecht bricht Landesrecht".

6. September 1919 Ebrach - Ansbach * Erich Mühsam wird vom Zuchthaus Ebrach nach Ansbach verlegt.

12. September 1919 München-Angerviertel * Der arbeitslose Gefreite Adolf Hitler erhält von Hauptmann Karl Mayr den Befehl, als Spitzel der Reichswehr eine Versammlung der Deutschen Arbeiterpartei - DAP im Sterneckerbräu im Tal zu besuchen, Informationen zu sammeln und Kontakt mit der Partei aufzunehmen. Die neue Partei gehört zwar der völkischen Bewegung an, doch der Namensteil Arbeiter lässt in nationalistischen Kreisen Verdacht aufkommen.

Auf der Versammlung referiert Gottfried Feder im Leiberzimmer über das Thema: "Wie und mit welchen Mitteln beseitigt man den Kapitalismus?". Feder ist Mitglied der Thule-Gesellschaft und steigt später zum Parteiideologen der NSDAP auf. Anwesend sind 43 Personen, darunter als Begleiter Hitlers der Feldwebel Alois Grillmeier und

Seite 635/814 zwei Propagandamänner des Gruko. Hinter diesem Kürzel verbirgt sich das Bayerische Reichswehr Gruppenkommando Nr. 4 - Gruko, das unter der Führung des Generalmajors Arnold von Möhl steht.

Als am Ende der Diskussion ein Teilnehmer bemerkt, dass sich Bayern vom Reich lösen sollte, schreitet Adolf Hitler ein. Noch am gleichen Abend bietet ihm der DAP-Vorsitzende Anton Drexler den Parteieintritt an.

17. September 1919 München-Au *Am 17. und 18. September entstehen die ersten Schallplattenaufnahmen - im Trichterverfahren - mit Liesl Karlstadt und der Schallplattenfirma Polyphonim Festsaal der Paulanerbräu-Gaststätte München.

16. Oktober 1919 München-Haidhausen * Adolf Hitler hält im Hofbräukelleram Wiener Platz die erste parteipolitische Rede seines Lebens.

30. Oktober 1919 München ? * Die spätere Wiesnwirt-LegendeWilly Heide kommt zur Welt.

4. November 1919 München * Der ehemalige Husar Stefan Latosi, der in der Nacht vom 6. auf den 7. Mai blutbefleckt mit gestohlenen Uhren und Geldbörsen den Keller des Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz 5 verlassen hatte, wird in einem abgetrennten Verfahren vom Verbrechen des Totschlags freigesprochen. Er erhält aber wegen schweren Diebstahls zehn Jahre Zuchthaus. Latosi hat die zuvor ermordeten Kolpinggesellen ausgeraubt.

15. Dezember 1919 München * Das Volksgericht Münchenverurteilt Alois Lindner zu einer Zuchthausstrafe von 14 Jahren. Er hatam 21. Februar 1919 bei einem Attentat im Bayerischen Landtag

den InnenministerErhard Auer [SPD] durch Pistolenschüsse schwer verletzt. In den Auseinandersetzungen wird derBVP-AbgeordneteHeinrich Osel und Major Paul Ritter von Jahreiß getötet.

Für die Dauer von fünf Jahren erkennt man ihm wegen niederer Gesinnungdie bürgerlichen Ehrenrechteab.

1920 München-Kreuzviertel *Carl Gabriel eröffnet die "Rathaus-Lichtspiele" an der Weinstraße 8, Ecke Filserbräu- und Albertgasse mit 670 Plätzen.

1920 München-Au * Die "Drahtfabrik Bucher" wird technologisch auf den neuesten Stand gebracht.

Seite 636/814 1920 Gronsdorf * Ganz langsam geht es wieder aufwärts mit dem Vereinsleben des"TSV München-Ost".

Und auf dem "Waldsportplatz" in Gronsdorf erblüht zaghaft neues Leben, sodass der "TSV München-Ost" im Jahr 1920 bereits wieder 1.088 Mitglieder zählt.

Auch erste größere sportliche Erfolge stellten sich wieder ein. Gleichzeitig erlebte das Spiel mit dem Fußball nach dem verlorenen Weltkrieg und der alles verändernden Revolution im Rahmen des Arbeitersports ihren ersten großen Aufschwung.

10. Januar 1920 Deutsches Reich * Der Versailler Vertrag tritt in Kraft. Der Vertrag weist Deutschland und seinen Verbündeten die alleinige Rolle des Aggressors im Ersten Weltkrieg zu.

Das Deutsche Reich wird finanziell für die Schäden an Land und Menschen haftbar gemacht. Hohe Reparationsforderungen sind die Folge. Dazu umfangreiche Gebietsabtretungen und eine militärische Abrüstung durch die Reduzierung der Berufsarmee auf maximal 100.000 Mann einschließlich höchstens 4.000 Offiziere und eine Marine mit 15.000 Mann. Dazu kommen Vorschriften zur Ausstattung der Wehrmacht.

16. Januar 1920 München * Da sich die Richter und der Verteidiger über die Wertung der Tat im Grunde einig sind, ergeht das Urteil gegen Graf Anton von Arco auf Valley bereits um 16.08 Uhr. Es wird vom LandgerichtsdirektorGeorg Neithardt gesprochen und lautet:

"[...] wegen eines Verbrechens des Mordes zum Tode und in die Kosten verurteilt." Es lässt sich einfach nicht umgehen anzuführen: "Der Angeklagte führte die Tötung nach einem wohlbedachten Plan mit Überlegung aus."

Die Justiz öffnet sich aber gleich selbst die Tür für ihr weiteres Vorgehen.Am Ende des Urteils stehen die bemerkenswerten Zeilen:"Von einer Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte natürlich keine Rede sein, weil die Handlungsweise des jungen, politisch unmündigen Mannes nicht niedriger Gesinnung, sondern der glühenden Liebe zu seinem Volke und seinem Vaterland entsprang und ein Ausfluss seines Draufgängertums und der in weiten Volkskreisen herrschenden Empörung gegen Eisner war, weil ferner der Angeklagte seine Tat in allen ihren Einzelheiten ohne jeden Versuch der Beschönigung oder Verschleierung mit offenem, edlem Mute in achtungsgebietender Weise als aufrechte Persönlichkeit eingestand."

Graf Arco nimmt sein Todesurteil mit vollkommener Ruhe zur Kenntnis und ruft in seinem Schlusswort die Zuhörer zum Aufbau einer nationalen Zukunft auf. Stürmischer Beifall erhebt sich im Sitzungssaal.

Seite 637/814 4. Februar 1920 Berlin * Die Nationalversammlung verabschiedet das Betriebsrätegesetz. Die Mitwirkungsrechte der Betriebsräte sind auf soziale Belange beschränkt.

24. Februar 1920 München-Graggenau * Für den 24. Februar 1920 setzt Adolf Hitler gegen Bedenken von Anton Drexler die erste Massenversammlung der Deutschen Arbeiterpartei - DAP unter dem Motto "Was uns Not tut!" an. Als Ankündigungsmittel werden rote Plakate geklebt, um die linken Arbeiterparteien zu provozieren. Veranstaltungsort ist der Festsaal des Hofbräuhauses am Platzl. Es erscheinen 2.000 Menschen.

Zusätzlich zum Redner Hitler erlebten sie erstmals auch eine vollkommen neue Art der Versammlung. Es gilt, strikte Disziplin zu wahren, die Abläufe sind klar vorgezeichnet und erstmals schützten junge Parteimitglieder und -sympathisanten den Saal vor Störungen. Aus diesem Saalschutz wird schon wenig später die SA hervorgehen.

An diesem Abend wird die Bezeichnung NSDAP von Hitler etabliert.

29. Februar 1920 Berlin * Reichswehrminister Gustav Noske verfügt die Auflösung der Marinebrigade Ehrhardt. Durch den am 10. Januar in Kraft getretenen Versailler Friedensvertrag wurde

das deutsche Heer auf 100.000 Mann sowie die Marine auf 15.000 Mann beschränkt.

Das bedeutet einen massiven Personalabbau der etwa 400.000 Mann starken Reichswehr. Auch die Freikorps sollen aufgelöst werden.

13. März 1920 Berlin * In Berlin findet der rechtsradikale Kapp-Putschstatt.

Parallel dazu fordern in München der Regierungspräsident von OberbayernGustav von Kahr, PolizeipräsidentErnst Pöhner und WehrkreiskommandantArnold von Möhl den von der SPDgestellten bayerischen MinisterpräsidentenJohannes Hoffmann zum Rücktritt auf.

Was in Berlin scheitert, gelingt in München.Gustav Ritter von Kahr bildet - unter Beteiligung der Bayerischen Volkspartei - BVP- eine rechtskonservative Regierung, die alle rechtsextremen Gruppierungen sowie militanten Verbände fördert und schützt.

Ministerpräsidentwird Gustav von Kahr, derzu dieser Zeit auch Adolf Hitler kennenlernt undden er als "Trommler" für die "nationale Sache" einspannen will, um mit seiner Hilfe den "Kommunismus" und den "Marxismus" abzuwehren und um die "gestörte Ordnung" in Deutschland wieder ins rechte Lot zu bringen.

Die rechtsradikalen Verbände können umgekehrt von Bayern aus ihren ideellen Boden vorbereiten. Gustav von Kahr ist die Integrationsfigur all jener Kräfte in Bayern, die durch einen "Staatsstreich" die

Seite 638/814 "parlamentarische Demokratie" abschaffen und die "staatliche Unabhängigkeit Bayerns" von Berlin vorbereiten wollen.

16. März 1920 München * Der "Antisemitismus" wird gewalttätig.

Der konservative "Ministerpräsident" Gustav von Kahr (BVP) kündigt in seiner ersten Regierungserklärung an, gegen die "Überfremdung durch Stammesfremde" einzuschreiten und erklärt die "Reinhaltung des eigenen Volkes von fremden Elementen" zum Gebot der Stunde. Er meint damit den besonders verhassten "Teil der jüdischen Rasse", die "Ostjuden".

Und Münchens "Polizeipräsident" Ernst Pöhner hält es für nicht ausgeschlossen, wenn "wegen der unerträglichen Teuerung etwas unternommen, etwa einige Juden aufgehängt würden".

Gegen die gewalttätigen und gewaltbereiten "Antisemiten" unternimmt die Münchner Polizei allerdings nichts. Nun wird die Situation für die jüdischen Mitbürger unerträglich. Viele verlassen die Stadt.

Um den 15. Juni 1920 München * Aus zahlreichen Aufsätzen in den Süddeutschen Monatsheften, der Liberalen Korrespondenzsowie den Historisch-politischen Blätternentsteht Dr. Fritz Gerlichs Buch "Der Kommunismus als Lehre vom Tausendjährigen Reich".Es wird im Bruckmann-Verlagverlegt. Gerlich rechnet darin den Kommunismus zu den Erlösungsreligionenund verurteilt den verbreiteten Antisemitismus.

8. Juli 1920 München-Berg am Laim * In Berg am Laim wird eine Straße und ein Platz nach dem BrauereigründerJoseph Schülein benannt.

5. September 1920 München-Au * Adolf Hitler hält im Münchner-Kindl-Kellereine Rede vor 3.000 Zuhörern, in der er die Juden verurteilt, da sie hinter dem Elend Deutschlands stecken. Wenn man erst mal die Macht habe, so sagt Hitler weiter, dann "werde man den Fetzen von einem Friedensvertrag zerreißen?.

Der NSDAP-Parteivorsitzende führt aus, dass Deutschland zwar geknebelt und wehrlos ist, sich aber nicht vor einem Krieg gegen Frankreich scheuen darf. Seine Rede beendet er mit dem Schiller-Wort: "Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, nicht trennen uns in Not und Gefahr".

4. Dezember 1920 München-Haidhausen * Die Eberl-Faber-Aktiengesellschaftam Gasteig, die zuletzt im Besitz der Paulaner-Salvator-Brauerei Aktiengesellschaftwar, geht in das Eigentum der Landeshauptstadt München über. Sie wird unter dem Namen "Stadtkeller" weitergeführt.

1921

Seite 639/814 München-Maxvorstadt * Die Herrschafts-Villa an der Brienner Straße 38/40 gehört den "Amper-Werken Elektrizität AG".

1921 München-Maxvorstadt *"Gabriels Tonbildtheater" in der Dachauer Straße 16 wird in "Carl Gabriels Lichtspiele" umbenannt.

1921 München * Die "Bürgerbräu AG" fusioniert mit der "Löwenbräu AG".

1921 München-Maxvorstadt * Neuer Eigentümer der Anwesen Richard-Wagner-Straße 3 und 5 sind die "Farbenfabriken, vormals Friedr. Bayer u. Co. Leverkusen".

1921 München-Haidhausen * Pater Rupert Mayer tritt bei einer NS-Veranstaltung im "Bürgerbräukeller" ans Rednerpult, um den Anwesenden seine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus darzulegen.

1921 München-Au * Die "Münchner-Kindl-Brauerei" wird stillgelegt.

1921 München-Milbertshofen *"Die Rosenau", das Gartenlokal in der Schleißheimer Straße 128, wird geschlossen.

Karl Valentin wird das Gartenlokal in seinem Bühnenstück "Das Brilliantfeuerwerk oder ein Sonntag in der Rosenau" verewigen.

1921 Kaltenberg * Joseph Schülein kauft das "Schlossgut Kaltenberg", das kurzfristig in der Fusionsmasse zwischen "Löwenbräu" und "Unionsbräu" aufgegangen war, zurück.

5. Januar 1921 München * Die Aktionäre der Löwenbräu AGstimmen der Fusion mit der Unionsbrauereirückwirkend zum 1. Oktober 1919 zu.Obwohl Friedrich Ritter von Mildner offiziell den Posten des Vorstandsvorsitzendenübernimmt, leitet dennoch Dr. Hermann Schülein das Großunternehmen.

8. April 1921 München * Welche antisemitische Stimmung in Bayern weit verbreitet ist, zeigt ein Beitrag des Schriftstellers Ludwig Thoma, den er anonym im viel gelesenen "Miesbacher Anzeiger" drucken lässt:

Seite 640/814 "In München haben wir mit der Hinrichtung des Eisner den Nachweis geliefert, dass es uns nicht an Temperament fehlt. [...] Immerhin waren dies nur Vorspiele zu größeren Kuren, die wir uns gelobt haben für den Fall, dass sich die Beschnittenen bei uns noch einmal mausig machen. Dann geht?s in die Vollen".

9. Juni 1921 München * Der USPD- und Fraktionsvorsitzende im bayerischen LandtagKarl Gareis wird nach einem Vortrag im Mathäserbräu zum Thema Säkularisierung der Schule vor seinem Wohnort in München von Rechtsradikalen ermordet. Als verantwortlich für diesen Mord gilt die Organisation Consul.

Ab 2. Oktober 1921 München-Theresienwiese * Franz Halmanseger, Dienstmann am Münchner Hauptbahnhof, spielt bis zu seinem Tod im Jahr 1962 den Rekommandeur- heute würde man sagen Animateurvor dem Hippodrom.

Er ist die Personifikation des Herrenreiters. Im roten Rock, weißen Breeches, schwarzen Stiefeln und gebürstetem Zylinder, die Chrysantheme im Knopfloch, das Monokel am Auge, das Gesicht blasiert erstarrt, wippt er elegant mit seiner Reitpeitsche und deutete mit kaum merklichem Schulterzucken und Kniefedern den Rhythmus von Trab und Galopp an.

2. Oktober 1921 München-Theresienwiese * 13 Ochsen werden bis zum Wiesn-Ende in der Ochsenbratereigebraten.

18. Oktober 1921 Sárvár * Der abgesetzte König Ludwig III. stirbt in seinem ungarischen Exil Sárvár an den Folgen einer Lungenentzündung.Der Tod und die Rückkehr der sterblichen Hülle des alten Königs wird von ultrakonservativen Kreisen zur politischen Demonstration hochstilisiert.Da für die Bayerische Staatsregierungein Staatsbegräbnisnicht in Frage kommt, stellt sich Gustav von Kahr als Privatperson für die Organisation der Feierlichkeiten zur Verfügung.

Kahr verfolgt zielgerichtet sein Anliegen, bei den Trauerzeremonien die "Kraft des monarchischen Gedankens" herauszustellen.Die geplanten Beisetzungsfeierlichkeiten für den abgesetzten König sollen eine Antwort auf den Trauerzug für den Revolutionär Kurt Eisnerwerden, der sich am 26. Februar 1919 mit nahezu 100.000 Menschen durch die Straßen Münchens bewegt hatte.Es sollte eine "Trauerfeier werden, wie sie München und Deutschland noch nie gesehen haben, ein Akt treuer Huldigung, aber auch Abbitte für das dem König angetane große Unrecht".

4. November 1921 München * Schon die Rückkehr des toten Ex-Königs Ludwig III.- in einem Sonderzug - soll zu einer Triumphfahrt werden. Seit der Überschreitung der bayerischem Grenze läuteten entlang der Strecke die Kirchenglocken und auf den Bahnhöfen versammeln sich Amtsträger, Honoratioren und Vereine in der Landestracht.

Der Sonderzug mit den sterblichen Überresten des Ex-Königs Ludwigs III. macht in Wildenwart Zwischenstation, um den Sarg der Ex-Königin aufzunehmen. Um Mitternacht trifft der Zug schließlich in München ein, wo man noch in der selben Nacht die beiden Särge in die Ludwigskirchebringt.

Seite 641/814 5. November 1921 München * Von der Ludwigskircheaus führt der Weg des Trauerzugs für das tote Ex-Königspaar - über den Karolinenplatz und Königsplatz - zur Frauenkirche. Am Trauerzugbeteiligen sich 40.000 Personen, darunter eine große Anzahl staatlicher Beamte und Angestellte, die eigens aus den acht Regierungsbezirkenherangekarrt worden sind.

Der Trauerzugvermittelt den Eindruck, als wären die alten Zeiten wieder zurückgekehrt und als hätte sich seit der Thronbesteigung Ludwigs III. im Jahr 1912 nichts entscheidendes geändert. Der Prunk-Leichenwagendes Ex-Königs und der Wagen mit dem Sarg der Ex-Königin werden jeweils von sechs Pferden gezogen, die mit schwarzen, mit Kronen geschmückten Schabracken bedeckt sind. Zehntausende Zuschauer säumen den Weg.

Da Münchens SPD-Bürgermeister Eduard Schmid verfügt hat, dass "die städtischen Ämter und Betriebe am Tag der Beisetzung grundsätzlich in vollem Umfange arbeiten" müssen, müssen städtische Beamte für die Teilnahme am Trauerzugeigens einen Urlaubstag opfern.

Um 1922 München-Untergiesing * In den 1920er Jahren zeichnet sich das Ende der Lederfabrik ab, nachdem zuvor die "Aufrüstung" und der Erste Weltkrieg noch für volle Auftragsbücher gesorgt hat.

1922 München * Liesl Karlstadt bringt die Idee zum "Firmling" aus einem Zigarrenladen mit, in dem ein Mann aus Begeisterung über den Firmanzug seines Sohnes immer wieder auf die Theke schlägt und laut ausruft: "Der Bua probiert den Anzug - und stellen S?Eahna vor - passt hat er!"

1922 München-Au * Die "Brauerei zum Franziskaner-Leistbräu" fusioniert mit der "Spatenbrauerei", die im Besitz der anderen Sedlmayer-Familienlinie ist.

Die Brauerei wird als "Gabriel und Josef Sedlmayer Spaten-Franziskaner-Leistbräu AG" weitergeführt.

1922 München * Der "Lustige Führer durch München" bezeichnet die "Herbergen" als "Ein- und Zweifamilienhäuser mit mehr lebendem als totem Inventar.

Der Haustürschlüssel wird in der Dachrinne aufbewahrt. Viel Kleintier- und Kleinkinderzucht".

1922 München-Au * Die "Cenovis-Werke" betreiben die größte "Hefeverwertungsanlage" Deutschlands.

Sie übernehmen auch den "Saalbau" der ehemaligen "Münchner-Kindl-Brauerei" in der Rosenheimer Straße.

Seite 642/814 1922 München-Maxvorstadt * Bis 1925 bewohnt der "päpstliche Nuntius" Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., während des Umbaus der "Nuntiatur" in der Brienner Straße die Räume des "Seyssel-Palais" in der Kaulbachstraße 13.

Im Jahr 1922 München-Au * Der "Konsumverein München von 1864" erwirbt noch das Grundstück Auerfeldstraße 26. Dort entsteht eine Bäckerei mit Feinbäckerei und Nudelfabrikation.

Mit der Verlegung sämtlicher zentraler Einrichtungen in die Auerfeldstraße gelang dem "Konsumverein von 1864" nach der Jahrhundertwende zwar der Durchbruch, mit den Sendlingern kann er aber nicht mithalten.

Die Genossenschaften gehen bald zur Eigenproduktion über. Im Fabrikgebäude in der Auerfeldstraße befinden sich eine eigene Bäckerei, eine Kaffeebrennerei und eine Dampfspalterei für Brennholz sowie das Hauptlager für die zahlreichen Filialen. In München stellte die Genossenschaft Brot her. Die meisten anderen Waren beziehen sie aus den Zweigwerken der Großeinkaufsgesellschaft deutscher Konsumvereine.

Die Bäcker bekommen die Konkurrenz der Brotindustrie massiv zu spüren. Um ein ganzes Viertel unterbieten der Auer und der Sendlinger Konsumverein die Preise der Münchner Bäcker. Ihr Brot und ihre Semmeln vertreiben die Verbrauchsgenossenschaften in Filialen in der ganzen Stadt.

Doch die Konsumvereine produzierten nicht nur billiger, sondern auch noch sauberer als die kleinen Bäcker. Sie bieten ihren Beschäftigten außerdem höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen.

Dadurch entwickelten sich die Konsumvereine schnell zur Zielscheibe von Kleinhandel und Handwerk. Die Mittelständler fordern vom Gesetzgeber Maßnahmen, um die neuen Formen des Großhandels [hierzu gehören auch die Waren- bzw. die Kaufhäuser] an ihrem Siegeszug zu hindern.

1922 München-Giesing* Der München-Führer "Rund um die Frauentürme" beschreibt den "sprichwörtlichen Giesinger" so:

"Hochgelegen, gesunde Luft, gesunde oder auch runde Bevölkerung. Im allgemeinen wie jeder Münchner gutmütig, ist der Giesinger in gereiztem Zustand in einer ziemlich gefährlichen Körper- und Geistestesverfassung. Die Giesinger sind in der Regel nicht in politisch konservativen Parteien zu suchen, sondern von Natur aus revolutionär".

In Giesing wohnen viele Arbeiter mit entsprechend ausgeprägtem Klassenbewusstein. Weit über sechzig Prozent wählen "rote Parteien".

Demzufolge sind die Nazis lange Jahre hier völlig chancenlos.

Seite 643/814 1. Februar 1922 München-Ludwigsvorstadt * Das Komikerpaar Valentin-Karlstadt tritt bis 15. August im Germania-Brettlin der Schwanthalerstraße auf.

10. Februar 1922 München-Haidhausen * Franz von Stucks Tochter Mary wird in seinem Testament als Alleinerbin eingesetzt. Seine Frau Mary soll eine Leibrente von jährlich 100.000 Mark erhalten.

1. Mai 1922 München-Obergiesing * Das Denkmal für die "Toten der Revolution - 1919" im Ostfriedhof wird feierlich enthüllt.

Auf der Vorderseite trägt es die Inschrift: "Den Toten der Revolution - 1919", auf der nach Osten gerichteten Fläche stehen die Worte: "Zum Gedenken an Kurt Eisner 1867-1919". In der nach Westen orientierten Seite ist ein Vers von Ernst Tollereingemeißelt: "Wer die Pfade bereitet, stirbt auf der Schwelle. Doch es neigt sich vor ihm in Ehrfurcht der Tod".

Eine Bronzeplakette am Sockel erinnerte an Kurt Eisner, dessen Urne man in dem würfelförmigen Denkmal beigesetzt hat.

14. Juni 1922 München-Kreuzviertel * Der Ministerrat befasst sich mit der Fürstenabfindung. Die ausgehandelten Vermögenswerte sollen in einem Wittelsbacher Ausgleichsfonds, einer Stiftung des öffentlichen Rechts, eingebracht werden.

1. Juli 1922 München-Ludwigsvorstadt * Premiere des Valentin-Karlstadt-Bühnenstücks "Das Christbaumbrettl" im Germania-Brettlin der Schwanthalerstraße 28. Das Stück wird 193 Mal aufgeführt.

30. August 1922 München * Der Präsident des Katholikentages, der damalige Kölner OberbürgermeisterKonrad Adenauer, widerspricht KardinalMichael von Faulhaber zwar erst drei Tage später, verwahrt sich aber immerhin öffentlich gegen diese Aussagen:"Es sind hie und da Äußerungen gefallen, die man sich aus Verhältnissen örtlicher Natur erklären kann, hinter denen aber die Gesamtheit der deutschen Katholiken nicht steht. [...]Es verrät Mangel an historischem Blick, die heutige Verfassung verantwortlich zu machen für die heutigen Zustände".

Denn, so Adenauer weiter: "Wenn im Herbste der Wind die Blätter von den Bäumen fegt, so ist der Wind nur der Anstoß, denn die Blätter waren alt und müde, und wenn der Sturm Äste und Bäume bricht, so war der Sturm bloß der Anstoß, denn die Bäume und Äste waren alt, denn wären sie nicht morsch und lebensschwach gewesen, so hätten sie den Sturm überdauert."Und der Rheinländer setzte noch einen drauf, als er sagte: "Wie ich an das Walten einer Gerechtigkeit glaube, so glaube ich auch daran, daß etwas, was gut und stark ist, nicht untergehen kann".

Seite 644/814 Jetzt wird KardinalFaulhaber richtig zornig."Herr Oberbürgermeister", herrscht der Münchner Erzbischofden späteren Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlandwie einen Schuljungen an:"Sie haben unserem König nicht die schuldige Achtung erwiesen".

In einer Denkschrift hält Konrad Adenauer die Gefährlichkeit der Haltung und Auffassung des Kardinalsin aller Deutlichkeit fest:"Die Haltung des Kardinals Faulhaber ist unverträglich mit den Interessen des deutschen Katholizismus.Er muß entweder eine grundsätzliche Schwenkung einnehmen oder dazu angehalten werden, sich jeder politischen Betätigung auf das Strikteste zu enthalten".

29. September 1922 München-Maxvorstadt * Das Theaterstück "Trommeln in der Nacht" des 24-jährigen Bert Brecht, wird unter der Regie von Otto Falckenberg in den Münchner Kammerspielen, damals noch in der Augustenstraße 89, uraufgeführt.

Das Stück spielt vor dem Hintergrund der revolutionären Kämpfe in Deutschland 1918/19. Bei der Uraufführung hängen im Zuschauerraum Plakate mit Aufschriften wie "Glotzt nicht so romantisch".

Karl Valentin und Liesl Karlstadt sind bei der Premiere anwesend.Das Stück wird am nächsten Tag unter Mitwirkung von Karl Valentin und Liesl Karlstadt parodiert.

30. September 1922 München-Maxvorstadt * Nach der Aufführung des Bert-Brecht-Bühnenstücks "Trommeln in der Nacht" wird in den Münchener Kammerspielen in der Augustenstraße 89 in der Nachtvorstellung zwischen 22:00 und 23:30 Uhr die Uraufführung von "Die rote Zibebe. Improvisationen in zwei Bildern von Bert Brecht und Karl Valentin" gezeigt.

Die "Improvisationen" bestehen laut Programmzettel im ersten Bild aus dem Bert-Brecht-Stück "Der Abnormitätenwirt" und dem zweiten Teil "Weihnachtsabend", der sich aus einer "Hochradnummer" und dem Valentin-Karlstadt-Einakter "Das Christbaumbrettl" zusammensetzt.

Für das Humoristenpaar Valentin-Karlstadt stellen die Auftritte in "Die rote Zibebe" zugleich ihr Debüt auf einer Theaterbühne dar, womit ihnen erstmals der Sprung ins "richtige Theater" gelingt.

30. September 1922 München-Maxvorstadt ? Nach der Aufführung des Bert-Brecht-Bühnenstücks "Trommeln in der Nacht" wird in den Münchener Kammerspielen in der Augustenstraße 89 in der Nachtvorstellung zwischen 22:00 und 23:30 Uhr die Uraufführung von "Die rote Zibebe. Improvisationen in zwei Bildern von Bert Brecht und Karl Valentin" gezeigt.

Die "Improvisationen" bestehen laut Programmzettel im ersten Bild aus dem Bert-Brecht-Stück "Der Abnormitätenwirt" und dem zweiten Teil "Weihnachtsabend", der sich aus einer "Hochradnummer" und dem Valentin-Karlstadt-Einakter "Das Christbaumbrettl" zusammensetzt. Für das Humoristenpaar Valentin-Karlstadt stellen die Auftritte in "Die rote Zibebe" zugleich ihr Debüt auf einer Theaterbühne dar, womit ihnen erstmals der Sprung ins "richtige Theater" gelingt.

Seite 645/814 1. Oktober 1922 München-Maxvorstadt * Nach der Nachmittagsvorstellung des Dramas "Das Weib auf dem Tiere" von Bruno Frank und schließlich nach der Abendvorstellung des Bühnenstücks "Helden" von George Bernard Shaw wird jeweils "Die rote Zibebe. Improvisationen in zwei Bildern von Bert Brecht und Karl Valentin" gezeigt.

Die "Improvisationen" bestehen aus dem Bert-Brecht-Stück "Der Abnormitätenwirt" und aus einer "Hochradnummer" und dem Valentin-Karlstadt-Einakter "Das Christbaumbrettl".

5. Oktober 1922 München-Maxvorstadt * Das Valentin-Karlstadt-Bühnenstück "Das Christbaumbrettl" bleibt als "einaktiger Scherz" weiterhin im Programm der Münchener Kammerspielein der Augustenstraße 89 und wird zwischen dem 5. und 15. Oktober 1922 noch viermal in den legendären Nachtvorstellungen aufgeführt.

9. Dezember 1922 München-Ludwigsvorstadt * Uraufführung des Valentin-Karlstadt-Bühnenstücks "Der Firmling" im Germania-Brettlin der Schwanthalerstraße 28. Das Stück erlebt 395 Vorstellungen.

20. Dezember 1922 Berlin * Das Bert-Brecht-Theaterstück "Trommeln in der Nacht" wird im Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Das Drama ist hier ein Misserfolg und wird schon nach wenigen Wochen abgesetzt.

1923 München-Lehel - München-Haidhausen * Neben dem Kloster und der angeschlossenen "Pfarrei St. Anna" übernehmen die "Franziskaner" auch noch die neu errichtete "Pfarrei St. Gabriel" in Haidhausen.

1923 Oberföhring - Englischer Garten * Trotz der Aufweitung ihres Flussbetts im Jahr 1889 hat sich die Isar weiter in den Untergrund eingegraben.

Mit dem Bau des "Stauwehrs Oberföhring" steigt der Wasserspiegel um vier Meter an. Doch unterhalb des "Stauwehrs" befindet sich fast kein Wasser mehr, weil 92 Kubikmeter Isarwasser in der Sekunde in den. "Isarkanal" umgeleitet werden.

In der Folge sinkt der Grundwasserspiegel im nördlichen "Englischen Garten", weshalb die alten Bäume reihenweise absterben.

1923 Berlin * Mit der "Personalabbauverordnung" wird das "Zölibat für Beamtinnen" wieder eingeführt.

Dort heißt es: "Das Dienstverhältnis verheirateter weiblicher Beamter und Lehrer [...] kann jederzeit gekündigt werden. [...] Dies gilt auch bei lebenslänglicher Anstellung".

Seite 646/814 Gleichzeitig wirdeine "Heiratsprämie", eine Abfindungssumme im Falle der Eheschließung, eingeführt. Die Beamtinnen verlieren nicht nur ihre Arbeit, sondern auch jeglichen Anspruch auf Pension.

1923 Untergiesing * Im "Inflationsjahr" 1923 kaufte die Berliner "Lederfirma Adler und Oppenheimer" die Aktienmehrheit an dem Giesinger Unternehmen auf.

In Folge der "Rezession auf dem internationalen Ledermarkt" entschloss sich die Firma, ihre Münchner Niederlassung aufzulösen.

Das riesige Firmengelände verkaufte sie - mit Gewinn - an die "Münchner Siedlungs-GmbH".

Um 1923 Schwabing * Unter der Regie von Erich Engel und Berthold Brecht entsteht der Stummfilm "Die Mysterien eines Frisiersalons".

Er wird auf dem Speicher eines Hauses in der Tengstraße gedreht.

Karl Valentin lässt den Film aus dem Verkehr ziehen, nachdem er zufällig entdeckt, dass eine amerikanische Groteske den gleichen Inhalt erzählt. Worum es sich handelte, ist allerdings unklar.

1923 Obergiesing - Untergiesing * Ende 1922 häufen sich die "Propagandamärsche" der politischen Parteien durch Giesing.

Rechte, linke und konservativ-katholische Parteien ziehen durch die Straßen und singen ihre Parteilieder.

"So habe ich aus einem Lied der Nationalsozialisten gehört: ?Der Tag der Abrechnung wird kommen?. Dass solche Lieder in der Hochburg des Kommunismus, in Obergiesing, reizen, ist selbstverständlich", schreibt Polizeikommisar Prebeck von der Polizeistation an der Tegernseer Landstraße.

26. September 1923 Berlin * ReichskanzlerGustav Stresemann gibt den Abbruch des "passiven Widerstands" im Ruhrgebiet und die Wiederaufnahme der Reparationslieferungenbekannt.

26. September 1923 München * Die bayerische Regierung ernennt Gustav Ritter von Kahr - aus Protest gegen den Abbruch des Ruhrkampfes durch die Reichsregierung - zum Generalstaatskommissar, auf den die gesamte exekutive [= vollziehende] Gewalt übergeht. Er hat damit diktatorische Vollmachten.

Gustav von Kahr, Otto von Lossow, der Befehlshaber des Wehrkreises VII, und der Chef der Landespolizei, Hans Ritter von Seisser, regieren den Freistaat Bayern als Triumvirat und bereiten zusammen mit Rechtsradikalen in

Seite 647/814 Norddeutschland den Staatsstreich in München und Berlin vor.

November 1923 München-Haidhausen * Dr. Fritz Gerlich ist mit Begeisterung dabei, als unter Mitwirkung des "Generalstaatskommissars" Gustav Ritter von Kahr der "Staatsstreich gegen das Reich" vorbereitet wird.

Kahrs Rede im "Bürgerbräukeller" stammt aus den Redaktionsräumen der "Münchner Neuesten Nachrichten". Dr. Fritz Gerlich hat an ihr mitgearbeitet.

8. November 1923 München-Haidhausen * Adolf Hitler stürmt mit einem bewaffneten Stoßtrupp den Bürgerbräukeller, in dem die Freie Vereinigung von Erwerbsständenzu einer Veranstaltung eingeladen hatte, und erklärte die "Nationale Revolution" für "ausgebrochen".

Am nächsten Tag machen sich die Putschistenauf den Weg in die Innenstadt. An der Feldherrnhallekommt es zu einer Schießerei mit der Landespolizei. Sechzehn Putschistenund vier Polizisten kommen dabei ums Leben.

1924 München-Graggenau * Der 62 Meter lange, 33 Meter breite und acht Meter hohe "Wintergarten" Königs Max II. - zwischen dem "Königsbau" der "Residenz", dem "Cuvilliés-Theater" und dem "Nationaltheater" - wird abgerissen.

26. März 1924 München-Maxvorstadt * Nach dem Tod von Friedrich Ritter von Mildner übernimmt Dr. Hermann Schülein als "Generaldirektor" und "Vorstandsvorsitzender" dessen Nachfolge in der "Löwenbräu AG".

1. April 1924 München-Maxvorstadt * Uraufführung des Valentin-Karlstadt-Bühnenstücks "Raubritter vor München" in den "Kammerspielen" in der Augustenstraße 89.

Das Stück erlebt 284 Vorstellungen.

13. April 1924 Landsberg am Lech * Anton Graf von Arco auf Valley verlässt die Festung Landsberg am Lech - bereits vier Jahre nach seiner Verurteilung zu lebenslanger Festungshaft - wieder als freier Mann.

Er wird wegen Strafunterbrechung entlassen, ohne dass die sonst übliche Bewährungsfrist ausgesprochen wird.Ein lebenslanger Gefängnisaufenthalt war für Arco eh nie ernstlich in Betracht gezogen worden.

Bei seiner Rückkehr nach Schloss Sankt Martin wird der Kurt-Eisner-Mörder von der Bevölkerung jubelnd empfangen.

18. April 1924

Seite 648/814 München-Haidhausen * Die "Unionsbrauerei" in der Äußeren-Wiener-Straße in Haidhausen wird geschlossen.

Um 1925 München * Der Pro-Kopf-Bier-Verbrauch hat sich in München bei etwa 200 Liter eingependelt.

Das entspricht in etwa dem Doppelten des heutigen Verbrauchs, wobei man Touristen und Gäste der Stadt berücksichtigen muss.

Ab dem Jahr 1925 Berlin * Allein zwischen den Jahren 1925 und 1930 erhöht sich die Zahl der vermittelten Gespräche pro Telefonistin um rund 25 Prozent.

Das geschieht einerseits durch verbesserte Geräte und andererseits durch eine effektivere Bedienung der Arbeitsmittel. Sprechausbildung und Vorschriften über militärisch knappe Redewendungen wie "Hier Amt, was beliebt?" oder noch kürzer "Bitte melden" tun ein Übriges.

Die Beamtinnen dürfen sich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichten von ihrem Arbeitsplatz entfernen. Jeder Fehler wird in das "Strafregister" der "Personalakte" aufgenommen.

Das Aufsichtspersonal steht hinter den Frauen. Zuerst sind es ausschließlich Männer, später auch ältere befähigte Gehilfinnen.

Vom Aufsichtstisch aus kann die Platzkraft ständig kontrolliert und mit einer Mithöreinrichtung überprüft werden, wie schnell die Teilnehmer bedient und ob die Formen der streng reglementierten Gespräche eingehalten werden. Ein Zählschrank registriertjede ausgeführte Verbindung und gestattet so die regelmäßige Überprüfung der Arbeitsintensität jeder einzelnen Kraft.

1925 München * Unter der Registiernummer 340054 meldet die "Spatenbrauerei" den Slogan "Lass Dir raten, trinke Spaten" als Motto an.

1925 München * "Erzbischof" Michael von Faulhaber veröffentlicht ein Buch mit dem Titel: "Deutsches Ehrgefühl und katholisches Gewissen".

Zunächst stellt der "Erzbischof" fest, dass "darüber zu urteilen, was katholisch ist oder was an das Wesen des Katholizismus greift, [...] Sache des kirchlichen Lehramtes" ist. Im nächsten Satz gibt er sich als "Träger" dieses "Lehramtes" aus. Und dann beginnt er zu politisieren.

Benito Mussolini, der im Oktober 1922 mit seinem "Marsch auf Rom" die Macht in Italien an sich gerissen hatte und die Verfassung nach seinen Vorstellungen abänderte, wurde vom "Kardinal" hoch gelobt, da "das Oberhaupt des italienischen Faschismus [...] die Geister des Kulturkampfes [...] bis heute mit fester Hand [...] im Zaun

Seite 649/814 gehalten" habe.

Gleich darauf lässt Faulhaber seine Bewunderung für den "deutschen Faschistenführer" folgen, wenn er schreibt: "Adolf Hitler wußte besser als die Diadochen seiner Bewegung, daß die deutsche Geschichte nicht erst 1870 und nicht erst 1517 begann, daß für die Wiederaufrichtung des deutschen Volkes die Kraftquellen der christlichen Kultur unentbehrlich sind, daß mit Wotanskult und Romhaß das Werk der Wiederaufrichtung nicht geleistet werden kann.

Als Mann des Volkes kannte er auch die Seele des süddeutschen Volkes besser als andere und wußte, daß mit seiner Bewegung, die in ihrer Kehrseite Kampf gegen Rom ist, die Seele des Volkes nicht erobert wird".

Das Buch erscheint wohlgemerkt in dem Jahr,

in dem die "NSDAP" neu gegründet worden ist, in dem Adolf Hitler für mehrere Jahre ein "Auftrittsverbot" erhalten hat, in dem der erste Band von Hitlers "" erscheint und in dem die berüchtigte "Schutzstaffel - SS" gegründet wird.

Seit dem Jahr 1925 München * Karl Valentin beginnt - ohne Rücksicht auf finanzielle Belastungen - alte Fotgrafien von München zu sammeln.

Sigi Sommer überlieferte Valentins Ausspruch: "A oids Buidl vo München is mehra wert ois a Brilliant".

25. Februar 1925 Berchtesgaden * Ferdinand Schmid, der spätere Direktor der Augustiner-Bräu Wagner K.G.und Vorstand der Edith-Haberland-Wagner-Stiftungwird in Berchtesgaden geboren.

27. Februar 1925 München-Haidhausen * Adolf Hitler gründet nach seiner Haftentlassung im Bürgerbräukellerdie NSDAP neu.In seiner Rede über "Deutschlands Zukunft und unsere Bewegung", in der er den Bürgerkriegankündigt und bemerkt, es gehe dabei entweder der Feind über seine Leiche oder er über die Leiche des Feindes. Das führtzu Hitlers Redeverbot in öffentlichen Versammlungen. Bis zum 5. März 1927 kann die NSDAP nur mehr geschlossene Veranstaltungen durchführen.

März 1925 München-Kreuzviertel * Unversöhnlich zeigt sich ErzbischofMichael von Faulhaber gegenüber dem am 28. Februar 1925 verstorbenen, der SPDangehörenden ReichspräsidentenFriedrich Ebert.

Der Kardinalverweigert ihm ein Trauergeläutin seiner Diözese, weil der Verstorbene ja auf dem Boden einer Verfassung stand, die "auf eine Trennung von Staat und Kirche abzielte". Außerdem war Friedrich Ebert als "Mitglied und Führer einer politisch grundsätzlich religions- und kirchenfeindlichen Partei, nicht durch die Wahl des deutschen Volkes ?Reichspräsident?geworden".

Seite 650/814 10. März 1925 Gronsdorf * Der "TSV München-Ost" verkauft den "Waldspielplatz" in Gronsdorf, um noch am selben Tag den Kauf eines neuen Grundstücks an der St.-Martin-Straße in Obergiesing perfekt zu machen.

Um den Bau eines Vereinsheimes, einer Turnhalle und eines Sportplatzes finanzieren zu können, wird der Verkaufserlös des alten "Waldsportplatzes" verwendet und der Beitrag auf eine Mark verdoppelt.

Die Vereinsleitung und die Mitgliedschaft verspricht sich von dem Neubau-Projekt wesentlich bessere Trainingsbedingungen als in den Nebensälen der Großgaststätten und den Schulturnsälen. Und damit verbunden eine stärkere Unabhängigkeit von geschäftstüchtigen Wirten und mit Vorurteilen behafteten Schulrektoren.

Um August 1925 München * Die farbentragende katholische bayerische "Studentenverbindung Rhaetia" nimmt im Rahmen einer "Festkneipe" den eben aus der Haft entlassenen Mörder Anton Graf von Arco auf Valley in ihren Reihen auf.

Arco war durch seinen "Mord am bayerischen Ministerpräsidenten" zum "Helden der nationalen Rechten" aufgestiegen. Dass er dabei von den Leibwächtern schwer verletzt wurde, machte auch noch einen "Märtyrer" aus ihm.

1926 Molsheim * Der erste "Bugatti Royale" (Chassis 41-111) wird hergestellt. Die Konstruktion des Typs 41 führt Jean Bugatti aus, Ettore Bugattis Sohn.

Wie damals im Luxuswagen-Markt üblich, liefert die Firma Bugatti nur das "Rolling Chassis", also, das Fahrgestell mit allen Komponenten samt Motor und Kühlergrill, während die Gestaltung des Aufbaus unabhängigen Karosseriebauunternehmen überlassen wird.

Ettore Bugatti behält jedoch die Kontrolle über sein Projekt, indem er die Lieferung des Chassis von seiner Zustimmung zum ausgewählten Karosseriebauer und zum Karosserie-Entwurf abhängig macht: Nur die angesehensten Firmen und die geschmackvollsten Aufbauten sollen für seinen "Royale" gut genug sein. Jean Bugatti zeichnet einige dieser Entwürfe.

Bis 1926 München-Englischer Garten - Hirschau * In der "Maffei'schen Fabrik" sind 44 Dampfschiffe für deutsche Seen und Flüsse entstanden.

1926 München-Maxvorstadt * Die Abbrucharbeiten an der "Heß-Villa" in der Luisenstraße 35 beginnen.

Um 1926 München-Kreuzviertel * "Kardinal" Michael von Faulhaber beschäftigt sich mit Bagatellen.

Seite 651/814 Es geht um das Verhindern

eines zweiten "Frauenturnfestes", der Entziehung der "Portofreiheit" für kirchliche Stellen, der "moralischen Zuchtlosigkeit der Jugend", um die "uneheliche Mutterschaft", darum, "daß das Turnen nach Geschlechtern getrennt geschehe, daß die Turnkleidung die Körperformen nicht aufdringlich betone, daß jede Turnübung, besonders an Geräten, vermieden wird, die der weiblichen Art nicht angemessen sind, und daß das Schauturnen von Frauen und Mädchen unterlassen werde". "Gemeinschaftsbäder" hält er für überflüssig.

Und wenn sie schon bestehen sollen, dann fordert "Kardinal" Faulhaber "Volles Pluder-Badekostüm für beide Geschlechter".

13. Januar 1926 München * Die beiden Hauptverantwortlichen der Perlacher Arbeitermordeim Hofbräukeller, LeutnantGeorg Pölzing und VizewachtmeisterErich Prüfert, werden durch ein Münchner Schwurgerichtfreigesprochen.

5. Mai 1926 München-Graggenau * Premiere des Valentin-Karlstadt-Bühnenstücks "Brilliantfeuerwerk oder Ein Sonntag in der Rosenau" im "Schausspielhaus" in der Maximilianstraße 26.

Das Stück erlebt 256 Vorstellungen.

7. August 1926 Berlin * Das Reichsgerichtin Berlin bestätigt die Freisprücheder beiden Hauptverantwortlichen der Perlacher Arbeitermordeim Hofbräukeller, LeutnantGeorg Pölzing und VizewachtmeisterErich Prüfert.

September 1926 München-Au * Nach wenigen Monaten muss Johann Reichhart seine Wirtschaft am Mariahilfplatz 1 wieder aufgeben.

Sobald seine Gäste von seiner Nebentätigkeit als "Scharfrichter" erfahren, verlassen sie entsetzt das Lokal. "Zu Dir kann man nicht mehr kommen. An jedem Bierglas, das Du in der Hand hältst, klebt Blut".

Seine Ehefrau hat ihn verlassen. Seinen Kindern schreien die Mitschüler nach: "Dein Vater is a Kopfabschneider, Kopfabschneider!"

September 1926 München-Theresienwiese * Xaver Kugler betreibt das "Augstiner-Festzelt".

Seite 652/814 Die "Festhalle" erhält einen Turm. Er besteht bis zur "Wiesn" im Jahr 1938. Erst 2010 wird er wieder aufgebaut.

September 1926 München-Theresienwiese * Carl Gabriel zeigt auf dem "Oktoberfest" mit "Die Drei dicksten Mädchen" eine als "7. neuestes Weltwunder" bezeichnete Schau.

September 1926 München-Theresienwiese * Als Johann Rössler stirbt, übernimmt seine Witwe die Geschäfte der "Ochsenbraterei" und betreibt diese bis 1958.

1927 München-Au * Von 1927 bis 1933 wird die "Parkanlage am Tassilopolatz" umgestaltet.

Der Teich verschwindet und im Süden wird ein großer Sandkasten errichtet. Bei dieser Umgestaltung bleibt der inzwischen groß gewordene Baumbestand mit Ausnahme der in der Mitte stehenden Bäume erhalten. Die Wege führen parallel zu den angrenzenden Straßen um die Rasenfläche herum.

1927 Berlin * In Berlin erscheint eine Broschüre mit dem euphorischen Titel: "Doch deutscher Seidenbau! Der lohnende neue Betriebszweig". In der Broschüre ist die Rede vom "mangelnden Rohstoff im Lande" und den durch Professor Pasteur besiegten Raupenkrankheiten.

Außerdem hätten deutsche Raupenzüchter neue "Blutlinien" hervorgebracht, die die "deutsche Raupe" einen bedeutend längeren Faden spinnen lässt, als ausländische Raupen. Sozusagen die "deutsche Turbo-Seidenraupe". Und weiter: Es sollte unbedingt die "deutsche Edelbrut" verwendet werden, da von "ausländischer Brut" eine erhebliche Infektionsgefahr ausgeht. Schließlich will man sich ja auch die Unabhängigkeit vom Ausland bewahren.

1927 Halle * In Halle kommt es zur Gründung des Reichsverbandes für deutschen Seidenbau.

Eine Denkschrift an den Deutschen Reichstag trägt den Titel "Deutscher Seidenbau schafft Werte für Volk, Staat, Familie, ist Kulturaufgabe, ist soziale Tat". Natürlich dreht sich bei der schon von nationalsozialistischem Gedankengut durchdrungenen Schrift alles um die "deutsche Seide", um die "deutsche Maulbeere" und natürlich um die "deutsche Brut".

1927 München-Bogenhausen * Die "Villa Lauer" in der Neuberghausener Straße 11 wird von den "Suevia-Corpsbrüdern" für 320.000 Rentenmark gekauft.

Seite 653/814 Es war das großzügiste und exclusivste Verbindungshaus Münchens.

Ab 1927 München-Maxvorstadt * An der Stelle der abgebrochenen "Heß-Villa" in der Luisenstraße lässt die Landeshauptstadt München einen neuen Museumsbau errichten.

1. Januar 1927 München-Obergiesing * Die Martin-Luther-Kircheist fertig zur Einweihung. Natürlich erreichte diese Kirche nicht die Dimensionen der katholischenHeilig-Kreuz-Kirche, ist aber mit elf Metern Breite und 19 Metern Länge durchaus eine der größeren evangelischen Kirchen Münchens. Auf jeden Fall ist sie die höchstgelegene.

Bereits am Tag der Einweihung reichen ihre 800 Plätze nicht mehr aus für die hereindrängenden Giesinger Protestanten. Anders als bei früheren Kirchenbauten ist hier ein Zentrum mit Kirche und großem Pfarrhaus entstanden.Trotz der hohen Kosten von 971.225 Mark kann man die Kirche noch mit reichem Bauschmuck und einer Orgel ausstatten.

Außen, auf der Bronzetür des Hauptportals, sind die wichtigsten der 95 Thesen Luthers zu lesen; rechts und links davon stehen die Figuren der vier Evangelisten und der vier großen Propheten.Das Innere der Kirche ist mit Gemälden ausgestattet, die alle einem theologischen oder geschichtlichen Programm folgen.

23. Mai 1927 Bunzlau * Dieter Hildebrandt kommt in Bunzlau (Schlesien) zur Welt.

26. Juli 1927 München-Ramersdorf * Das Kennedy-Brünnleinan der Ramersdorfer Kirchhofmauer spendet erstmals Wasser.

1928 Straubing * Anton Lindner wird aus dem "Zuchthaus Straubing" entlassen.

Anfang der 1930er-Jahre geht er ins sowjetrussische Exil. Seine Spur verliert sich im Jahr 1943.

Um 1928 München * Der Stummfilm "In der Schreiner-Werkstätte" entsteht.

In den Hauptrollen spielen Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Der Film, der Teil einer Tonfilmimitation ist, gilt als verschollen.

1928 München-Graggenau * Die "Moriskentanzfiguren" von Erasmus Grasser aus dem "Festsaal des Alten Rathauses" werden abgenommen und durch Kopien ersetzt.

Seite 654/814 Die Originale werden im "Bayerischen Nationalmuseum" zunächst untersucht, restauriert und anschließend ausgestellt. Bei der Restaurierung bleibt eine Figur umgefasst, um so die charakteristische Schnitzarbeit Erasmus Grassers darstellen zu können.

Ab 1928 München-Lehel * Die Holzkonstruktion der "Mariannenbrücke" wird durch die noch heute bestehende Stahlbetonbrücke ersetzt.

Ab dem Januar 1928 München-Graggenau * Karl Valentin soll im Januar und Februar insgesamt acht Mal die Rolle des "Froschs" in der "Fledermaus" übernehmen.

Pro Auftritt sollte der Komiker eine Gage von 300 Mark erhalten. Das entspricht dem Monatsgehalt eines verheirateten Beamten mit zwei Kindern.

Doch Karl Valentin schreibt dem "Generalintendanten der Bayerischen Staatstheater", Erwin Georg Heinrich Karl Bonaventura Klemens Freiherr von Franckenstein einen Brief, in dem er das Engagement aus gesundheitlichen Gründen absagt.

14. Januar 1928 Berlin * Karl Valentin und Liesl Karlstadt treten im Berliner Kabarett der Komikerauf.Das Engagement ist ursprünglich bis zum 20. Februar geplant. Vier Stücke spielt das Komikerpaar Valentin-Karlstadt:"Der Firmling", "Die Orchesterprobe", "Der reparierte Scheinwerfer" und "Im Senderaum". Während die anderen Stücke Pulikumsrenner sind, fällt "Der Firmling" bei den Berlinern durch.

Der Überredungskunst Liesl Karlstadts ist es zu verdanken, dass er dem Wunsch der Theaterleitung zustimmt und seine Auftritte Ende des Monats ausdehnt. Er erhält dafür - mit 350 Mark für täglich zwei Vorstellungen - die höchste Gage, die je einem Gaststar im Kabarett der Komikerbezahlt worden ist. Gutes Geld vermindert scheinbar das Heimweh des Volkssängers.

18. April 1928 Leipzig * Das "Reichsgericht" in Leipzig beendet einen Rechtsstreit in letzter Instanz, in dem es um Plagiatsvorwürfe gegen Karl Valentin geht.

Der Prozess dauert bereits eineinhalb Jahre und ist vom Berliner Theaterdirektor vom "Admiralspalast", Hermann Haller, mit "außergewöhnlicher Heftigkeit" durch drei Instanzen durchgepeitscht worden. Vom "Landgericht München I" über das "Oberlandesgericht München" bis hinauf zum "Reichsgericht" in Leipzig.

Hermann Haller hat den Direktor des "Deutschen Theaters" in München, Hans Gruß, verklagt, weil er das Valentin-Bühnenstück "Im Senderaum" aufführte und verlangt dafür Schadensersatz. Der Kläger behauptet, dass Karl Valentin sein Bühnenstück "Im Senderaum" aus dem Sketch "Hinter den Kulissen des Rundfunks" von Roland Jeans aus Hermann Hellers Revue "An und Aus" geklaut hätte.

Das höchste deutsche Gericht kommt jedoch zur Auffassung, dass sich Valentins Werk grundlegend vom Sketch

Seite 655/814 von Roland Jeans unterscheidet und es sich dabei um zwei völlig eigenständige Arbeiten handelt. Der Plagiatsvorwurf gegenüber Karl Valentin und alle sonstigen Beschuldigungen werden vom Gericht als völlig haltlos zurückgewiesen.

In der Urteilsbegründung heißt es: Der Vergleich der beiden Stücke "beweise auf das bündigste, dass Karl Valentin nicht das vorbestehende Bühnenstück von Roland Jeans nachgeschrieben, sondern etwas völlig anderes eigenschöpferisch neu geschaffen habe". Damit stellt das "Reichsgericht" auch fest, dass Valentin gar nicht in der Lage ist, "etwas Vorgegebenes nachzumachen, gar nachzuschreiben oder auch nur nachzuspielen".

18. Juni 1928 München-Berg am Laim * Der Schülein-Brunnenam Schüleinplatz wirdin Betrieb genommen.

September 1928 München-Theresienwiese * Carl Gabriel betreibt fünf Geschäfte auf dem "Oktoberfest".

Darunter

"Carl Gabriel's und Ehrlich's Riesen-Völkerschauen", "Carl Gabriel's Pracht-Reitbahn (Hippodrom)", "Carl Gabriel's und L. Ruhe's Riesen Orang-Utan-Schau aus den Urwäldern Sumatras" und "Carl Gabriel's Jagd- und Preis-Schießen, Schießen am Walde auf laufende Tiere mit echten Jagdgewehren und mit echter Munition!"

Für die "Orang-Utan-Schau" wurden im Frühjahr 85 Exemplare dieser äußerst seltenen Affenart auf der Insel Sumatra gefangen und nach Europa gebracht. Dabei verendete ein Großteil der Tiere. Einzelne der kostbaren Orang-Utans wurden an zoologische Gärten verkauft, der Rest wurde in einem beheizbaren Käfig dem Publikum gezeigt.

1929 München-Maxvorstadt * Die "Löwenbräu AG" kann als erste Münchner Brauerei die "Ein-Millionen-Hektoliter-Grenze" durchbrechen.

1929 München * Frauen wird die Aufnahme in den "Cowboy Club München Süd" verweigert.

Die Regelung gilt bis in die 1980er Jahre. Erst nach 2000 wird den Frauen eine "aktive Mitgliedschaft" ermöglicht.

1929 München * Der Stummfilm "Mit dem Fremdenwagen durch München" mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt als

Seite 656/814 "Erzähler" und Josef Rankl als "Fremdenautoführer" entsteht.

Es ist der Anfangs- und Schlussfilm einer multimedialen Live-Darbietung mit Lichtbildern. Er wird im Rahmen des von Walter Jerven moderierten Stummfilmprogramms "Aus der Kinderstube des Films" gezeigt.

13. Februar 1929 München-Maxvorstadt * Premiere der Valentin-Karlstadt-Tonfilmimitation "In der Schreiner-Werkstätte" im "Apollotheater".

Während auf der Leinwand der Film läuft, wird dahinter die dazu passende Tonkulisse erzeugt. Die "Münchner Neuesten Nachrichten" schreiben dazu: "Man hört Hunderte verschiedene Geräusche, fallende Bretter, Suppenlöffel, Säge, Laufschritte usw.: sehr deutlich ist das, was gesprochen, gezankt wird; und sogar durchaus synchron".

Um April 1929 München-Haidhausen * Der Brunnen im heutigen "Bordeauxplatz"mit einer Abmessung von 20 auf 9 Metern wird gebaut.

Wegen seiner vier Tierskulpturen erhält er den in herrlich trockener Beamtenlyrik gehaltenen Namen "Brunnen mit jagdbaren Tieren?.

Zuvor befindet sich am "Forum" an der Wörthstraße ein sogenannter "Kustermannbrunnen". Darunter versteht man einen klassischen Münchner Trinkbrunnen mit einer gusseisernen Stele und einer Dackeltränke, den "Kommerzienrat" Max Kustermann den Haidhausern schenkt.

Um August 1929 München-Haidhausen * In der "Münchner Chronik" der "Süddeutschen Sonntagspost" findet sich eine Reportage über die Vorkommnisse während der besonders heißen "Hundstage".

Ein Journalist beschreibt darin, mit welcher jubelnder Begeisterung die Haidhauser, besonders die Kinder, den neuen Brunnen angenommen haben. "Der Magistrat", so der Zeitungsschreiber, hat den Kindern "ein kleines Paradies" spendiert, ein "Florida für die Armen", mit frischem, kaltem Wasser und einer Fontäneninsel in der Mitte, bei dem eigentlich nur die einladende Tafel "Familienbad für Kinder" fehlt.

Die Kleinen waten "lustig hinein in den Märchenbrunnen zu den dreißig anderen, die da planschen und spritzen, pfeifend und singend, umgeben von einem Kranz wohlwollender erwachsener Zuschauer?. Ein wahres Geschenk, denn die Badeanstalt kostet "ein Zehnerl Eintritt, das man erst haben muß, wenn man es ausgeben will?.

Der gelobte "Münchner Stadtrat" reagiert auf die Hymnen unbeholfen und verlegen.

Denn, so die Verlautbarung, er "hat gar nicht gewußt, was die Haidhauser Wirbelköpfe aus seinem Brunnen gemacht haben!" Und weiter, die "Stadtverwaltung" hat "es erst erfahren durch Zuschriften einiger galliger Umbewohner, die sich in

Seite 657/814 ihrer Ruhe gestört fühlen, die nicht verstehen, daß diese kleinen blassen Körperchen, die trotz der Ferien ans Großstadtpflaster gebannt sind, sich ein wenig austollen wollen. Ruhestörung! Es war ein Irrtum. Der Brunnen ist mißverstanden worden von den Kindern, von den Zuschauern, sogar von dem wackeren Polizeimann, der schmunzelnd vorbeiging und ebenfalls dachte, es sei ganz in Ordnung so". Im Gegenteil. "Die Haidhauser hatten das Waten einfach auf eigene Faust eingeführt" und angesichts der "Hundstage" die "amtliche Billigung" vorausgesetzt, muss sich der Journalist von der Stadtverwaltung belehren lassen. Natürlich muss ein Schild her, eine "leuchtende Verbotstafel" mit der Aufschrift "Waten und Baden verboten".

Die sarkastische, weder die Stadtverwaltung noch die Miesmacher schonende Reportage stammt aus der Feder des nachmaligen "SZ-Chefredakteurs" und "Herausgebers der Münchner Abendzeitung", Werner Friedmann.

29. Oktober 1929 USA * Der "Schwarze Freitag" wird mit einem legendären Börsencrash in den USA in Verbindung gebracht, der durch eine Spekulationsblaseausgelöst wird.

In den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahrensteigen die Aktienkurse ununterbrochen.Viele Anleger träumen vom großen Geld und nehmen sogar Kredite auf, um Aktien zu kaufen.Als dann die Aktien stagnieren bricht am Donnerstag, dem 24. Oktober eine Panik an der Wall Street aus.Der Handel bricht mehrmals zusammen.Das ist der Beginn einer Wirtschaftskrise, die alle Industrienationen betrifft.Massenarbeitslosigkeitund Deflationsind die Folge.

Der Crash zieht sich über Tage hin.Am Dienstag, dem 29. Oktober versuchen viele Investoren gleichzeitig ihre Aktien zu verkaufen. Damit fällt der "Schwarze Freitag" auf einen Dienstag, weshalb die Amerikaner auch vom "Black Thursday" sprechen.

November 1929 München-Haidhausen * Adolf Hitler zieht aus seinem kleinen Zimmer im Lehel hinauf in das noble Viertel um das "Prinzregententheater", in eine 317 Quadratmeter große Neun-Zimmer-Wohnung.

Sein sozialer und politischer Aufstieg ist durch das Großbürgertum gefördert und finanziert worden. Hugo Bruckmann hilft Hitler bei der Finanzierung der Wohnung, nachdem sich der Vermieter zunächst skeptisch zeigt, ob denn der neue Mieter überhaupt in der Lage ist, die Jahresmiete von 4.176 Reichsmark bezahlen zu können. Erst nachdem Bruckmann für die pünktliche Bezahlung der Miete bürgt, wird der Mietvertrag abgeschlossen.

Geli Raubal, Hitlers Nichte, zieht ebenfalls in die Wohnung ihres Onkels am Prinzregentenplatz 16 ein. Das "Medizinstudium" gibt "Geli" nach einem Semester auf, da sie "Wagner-Sängerin" werden will. Hitler bezahlt den Gesangsunterricht. Doch ihre begrenzte Begabung und das Leben im Glanz des aufstrebenden Polit-Stars lenkt sie stark von intensiver Gesangsarbeit ab.

1930 München-Untergiesing * Die Fabrikgebäude der "Untergiesinger Lederfabrik" werden abgebrochen.

Seite 658/814 Spätestens seit 1930 München-Lehel * Der Komiker Karl Valentin beginnt "die mir noch in Erinnerung gebliebenen Erlebnisse aus meiner Jugend-, Jünglings- und Mannszeit" zu sammeln.

Das geplante Buch, das "eine Reihe hübscher Jugendbegebenheiten, illustriert von Ludwig Greiner" enthalten soll, wird so nie veröffentlicht.

Die "Süddeutsche Sonntagspost" bringt ab dem 28. August 1932 einige Auszüge.

Erst 1951 werden "Die Jugendstreiche des Knaben Karl" veröffentlicht. Gerhard Pallmann gibt eine Zusammenstellung aus Karl Valentins Nachlass heraus.

1930 München-Haidhausen * Die Familie Heilmann-Stuck bezieht die "Villa Stuck", muss aber bald feststellen, dass die ehemalige "Künstler-Residenz" für die besonderen Bedürfnisse einer Familie mit vier Kindern nur wenig geeignet ist.

Aus diesem Grund legen die Heilmanns die "Villa Stuck" bald still. Mary Heilmann-Stuck geht mit ihren Kindern nach Marqurtstein, Albert Heilmann ist beruflich strak in Berlin engagiert.

Februar 1930 München-Untergiesing * Der "Faschingszug" fällt aus.

Im "Tierpark Hellabrunn" wird ein Ersatzfasching abgehalten, bei dem sich der "Cowboy Club München Süd" mit 17 Reitern, einem Wagen und Fußvolk präsentiert. Eine Münchner Zeitung erklärt daraufhin den "CCMS" zum "Höhepunkt des Zuges".

23. August 1930 München-Untergiesing * Der Cowboy Club München Südbeteiligt sich am "Großen Kinderfest" im Tierpark Hellabrunn. Als Motto wird ausgegeben: "Ein Tag bei den Indianern."

September 1930 München-Theresienwiese * Carl Gabriel zeigt die "Völkerschau der aussterbenden Lippen-Negerinnen vom Stamme der Sara-Kaba in Zentralafrika".

September 1930 München-Theresienwiese * Auf dem "Oktoberfest" kann man in Deutschland die ersten "Steilwandfahrer" bewundern.

Gezeigt werden sie in "Gabriel und Ruprechts Amerikanische Steilwand Todesfahrt".

Seite 659/814 9. September 1930 München * Pater Rupert Mayer schreibt einen Brief an Kardinal Michael Faulhaber und die Bischofskonferenz, in dem sich der Jesuitwiefolgt äußert:

"Die völkischen Hetzereien können wir uns nicht groß genug vorstellen.So herrscht in unserem katholischen Volk eine beispielslose Verwirrung.Unbegreiflich, aber wahr ist es, daß der Hitlerschwindel wieder die weitesten, auch katholischen Volkskreise erfasst hat".

18. November 1930 München * Die Bischöfebeschäftigen sich in einer Diözesansynodeauch mit dem Nationalsozialismus.DomdekanPrälat Dr. Anton Scharnagl referiert über dieses Thema. Seine Ausführungen beginnen mit den Worten:"Der Nationalsozialismus ist politische Partei und Weltanschauung zugleich" und kommt zum Ergebnis, dass der Nationalsozialismusmit den Aussagen der katholischen Glaubenslehreunvereinbar sei.

Dr. Scharnagl begründet danach seine Thesen mit den

von den Nationalsozialisten propagierten germanischen Christentum, der Ablehnung des Alten Testaments, der Forderung nach einer deutschen Volkskirche, die Ablehnung der Bekenntnisschuleund einer rassisch definierten Sittlichkeit, die die kinderlose Frauals minderwertiges Mitglied der Volksgemeinschaftbetrachtet.

In den angefügten Feststellungen wird der Sachverhalt in nie mehr wiederholter Deutlichkeit schließlich auf den Punkt gebracht: "Der Nationalsozialismus ist eine Häresie und mit der christlichen Weltanschauung nicht in Einklang zu bringen."

Das im Februar 1931 veröffentlichte Amtsblatt Nr. 4schwächtallerdings entscheidende Passagen bereits wieder ab.

14. Dezember 1930 München-Neuhausen * Der Cowboy Club München Südbeginnt in der Reithalle an der Albrechtstraße des Oberleutnants a.D. Otto Hermann Fegelein mit dem Rodeo-Reiten. Fegelein wird über Eva Braun Hitlers Schwippschwagerwerden.Er gilt als rücksichtsloser Opportunist und Karrierist, der auch an mehreren Kriegsverbrechenbeteiligt sein wird.

1931 München-Au * Ludwig Weinberger junior, der zuvor sein Studium am "Technikum" in Köthen abgeschlossen hat, tritt in das väterliche Karosserie-Unternehmen in der Au ein.

Fast gleichzeitig übernimmt Weinberger eine BMW-Vertretung. Seit dieser Zeit werden fast nur noch BMW-Fahrgestelle mit Aufbauten ? häufig offene Zweisitzer ? versehen. Bis zum Zweiten Weltkrieg entstehen etwa 300 Karosserien.

Seite 660/814 Dr. Joseph Fuchs, der rennfahrende Chirurg aus Nürnberg, lässt sich von Ludwig Weinberger jun. einen Bugatti Typ 50 mit 4,9-Liter-Maschine karossieren. Die schwarze Lackierung und die postgelb abgefassten Tür- und Seitenbänder lassen das ohnehin niedrige Zweitüren-Cabriolet noch gestreckter erscheinen.

Die Gestaltung dieses Autos weist schon eine große Ähnlichkeit mit dem "Bugatti Royale" auf.

1931 Berlin * Der "Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund - NSDStB" übernimmt in der "Deutschen Studentenschaft", dem Dachverband der "Allgemeinen Studentenausschüsse", die Führung.

23. April 1931 München-Schwabing * Das "Valentin-Karlstadt-Unternehmen im Goethesaal" ist schon wieder am Ende.

Ein Berg offener Rechnungen bleibt übrig.

30. April 1931 München * In einem aus einer Zeile bestehenden Brief an die Polizeidirektion gibt Karl Valentin - knapp zwei Monate nach der Eröffnung - seine "Konzession für einen Spielbetrieb im Goethesaal" in der Leopoldstraße 46a wieder zurück.

5. Juni 1931 München-Maxvorstadt * Ein Großbrand zerstört den Münchner Glaspalast. Fast 3.000 Gemälde werden ein Raub der Flammen.

1. Juli 1931 Berlin - München * Die Berliner Industrie- und Handelskammerwill in einer Anfrage über die Cenovis-Werkewissen, ob das Unternehmen für Lieferungen an Behörden geeignet ist.

Die umgehend erfolgte Antwort führt dazu aus, dass die Firma "als durchaus leistungsfähig und zuverlässig zu gelten hat.Das Unternehmen kann deshalb auch für die Lieferung an Behörden als geeignet bezeichnet werden.Der Generaldirektor des Unternehmens ist Herr Dr. Julius Schülein aus der bekannten, hochangesehenen, alteingesessenen Brauerfamilie, der die Aktienbrauerei zum Löwenbräu gehört".

18. September 1931 München-Haidhausen * Die 23-jährige "Privatstudierende" Angelika Maria "Geli" Raubal begeht in Adolf Hitlers Wohnung am Prinzregentenplatz 16 Selbstmord durch Erschießen. Es handelt sich dabei um eine Tochter von Hitlers Halbschwester Angela Raubal.

Die schweren Verletzungen und die weitere Umstände, über die die Münchener Postberichtet, signalisieren der Öffentlichkeit den Verdacht auf ein Verbrechen.Die Staatsanwaltschaft beauftragt deshalb sofort den Polizeiarzt, die Leiche nochmals zu untersuchen.

Seite 661/814 1932 München-Au * Ludwig Weinberger junior macht den Zwanzig-Mann-Betrieb in der Zeppelinstraße 41 in der Autowelt über Nacht berühmt.

Der Nürnberger Modearzt Dr. Joseph Fuchs, der bereits auch einige Rennen mit kleineren "Bugatti-Rennwagen" gefahren ist, lässt in der Werkstatt in der Au sein "Bugatti Royale"-Fahrgestell (Typ 41) mit einer imposanten Karosserie versehen.

Das Chassis 41-121 ist das erste Fahrgestell der "Bugatti-Royale"-Serie, das nur einen Aufbau erhält.

Das Luxusauto erhält eine Cabriolet-Karosserie mit langer Motorhaube und knapp geschnittenem Fahrgastabteil. Das Auto wird mit einer schwarzen Lackierung, die auch die postgelb abgefassten Tür- und Seitenbänder aufweist, und hellem Verdeck ausgeliefert. Die Sitze werden mit grobporigem Schweinsleder bezogen. Die Kühlermaske und die Stoßstangen sind verchromt.

Drei Monate dauert die Herstellung der "Karosserie", die etwa 7.000 RM kostet. Das Fahrgestell für das Auto der Luxusklasse war rund 75.000 RM teuer. Der Gesamtpreis entspricht dem Wert von mehr als acht Einfamilienhäusern.

Ab 1932 München-Untergiesing * Auf dem Areal der ehemaligen Untergiesinger Lederfabrik entsteht eine Wohnsiedlung, deren Hauptachse die Waldeckstraße ist.

Es werden Häuser mit expressionistischen Fassaden und mit Wohnungen gehobenen Stils errichtet.

Der "Beamtenblock" umschließt einer Burg gleich einen großen Innenhof. Die Fenster in der Vorderfront gleichen in ihrer länglichen schmalen Form eher Schießscharten.

1932 München-Haidhausen * Der Braubetrieb im "Bürgerlichen Bräuhaus" an der Kellerstraße in Haidhausen wird eingestellt.

6. März 1932 München * Dr. Fritz Gerlich kommentiert Auszüge aus Hitlers "Mein Kampf" und identifiziert Alfred Rosenberg, den Chefredakteur des Völkischen Beobachters, als den eigentlichen "geistigen und weltanschaulichen Führer des Nationalsozialismus", der "turmhoch über dem kleinen Dekorationsmaler aus Braunau steht".

Rosenberg hat in seinem Buch "Mythos des 20. Jahrhunderts" klar Position gegen deutsch-christliche und speziell katholische Ideenbezogen.

8. April 1932 München-Angerviertel * Ein Großbrand zerstört in der Nacht auf den 8. April 1932 weite Teile der verbliebenen nördlichen "Schrannenhalle".

Seite 662/814 Die Reste werden abgetragen, nur der nördliche Kopfbau (heute "Der Pschorr") bleibt erhalten - und dient später für Jahrzehnte als "Freibank".

10. April 1932 München * Dr. Fritz Gerlich schreibt im "Geraden Weg" die Zeilen: "Den Führern der NSDAP kann man nicht den Vorwurf machen, sie verschwiegen ihre letzten Ziele".

16. Mai 1932 München-Geiselgasteig * Die Dreharbeiten für Karl Valentins und Liesl Karlstadts ersten abendfüllenden Tonfilm "Die verkaufte Braut" in den Emelka-Studiosin Geiselgasteig beginnen. Sie dauern bis zum 5. Juli 1932. Der Regisseur Max Ophüls versteht es ausgezeichnet, sich auf Karl Valentins Textschwäche einzustellen.

31. Juli 1932 München * Dr. Fritz Gerlich beschreibt in der Zeitschrift "Der gerade Weg" die Konsequenzen einer Naziherrschaft für das ganze Land:"Nationalismus bedeutet:Feindschaft mit den benachbarten Nationen, Gewaltherrschaft im Inneren, Bürgerkrieg, Völkerkrieg.Nationalsozialismus heißt auch:Lüge, Hass, Brudermord und grenzenlose Not."

16. August 1932 München * Uraufführung des Valentin-Karlstadt-Films "Die verkaufte Braut" im Phoebus-Palastund im Gloria-Filmpalast.

28. September 1932 Berlin * Ein Erlass des preußischen Innenministeriumsregelt das öffentliche Baden. Er wird auch Zwickelerlassgenannt, weil das Wort Zwickel[Stoffeinsatz im Schritt] häufig vorkommt. Der Grund liegt in der immer knapper werdenden Badebekleidung der Frauen in den 1920er Jahren.

Paragraph 1 regelt demzufolge auch, dass das Baden in anstößiger Badekleidungverboten ist. Das Öffentliche Nacktbadenwird generell untersagt. "Frauen dürfen öffentlich nur baden, falls sie einen Badeanzug tragen, der Brust und Leib an der Vorderseite des Oberkörpers vollständig bedeckt, unter den Armen fest anliegt sowie mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.Der Rückenausschnitt des Badeanzugs darf nicht über das untere Ende der Schulterblätter hinausgehen." "Männer dürfen öffentlich nur baden, falls sie wenigstens eine Badehose tragen, die mit angeschnittenen Beinen und einem Zwickel versehen ist.In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen."

Der Zwickelerlasssorgt für große Heiterkeit in der Presse.

Dezember 1932 München-Ludwigsvorstadt * Karl Valentin und Liesl Karlstadt treten im "Deutschen Theater" in der Raubritter-Revue "Wie?s früher war" auf.

Seite 663/814 1933 Großbritannien * Charlotte Haas, Enkelin von Joseph Schülein, nimmt ihr Studium in England auf.

Nach Februar 1933 München-Obergiesing * An der Ecke Gietl- und Untere Grasstraße, wo heute das "Pfarrzentrum" steht, befand sich früher die Wirtschaft "Kriegerheim", in der während der NS-Zeit die "Ortsgruppe Giesing der NSDAP" untergebracht ist.

Hier finden an den Wochenenden zahlreiche Appelle und Kundgebungen von NS-Partei-Organisationen statt.

Zuvor dient die Wirtschaft den "Unabhängigen Sozialisten - USPD" Giesings als Versammlungs- und Vereinslokal.

Um den 5. Februar 1933 München-Giesing * Giesing gilt den Nazis als ein zu brechendes Symbol der Opposition. Schon eine Woche nach Hitlers Machtergreifung ziehen die braunen SA- und SS-Horden in einem Triumphzug durch die Arbeiterviertel, um sich als Sieger und Träger der Staatsgewalt zu präsentieren.

Mit diesem Propagandamarsch durch Giesing und Haidhausen - geschützt durch Polizei und Staatsgewalt - wollen sie ihren Herrschaftsanspruch demonstrieren.

21. Februar 1933 München-Au * In der Liste der Gesellschafter der Cenovis-Werkewird Dr. Julius Schülein als Generaldirektoraufgeführt. Er wohnt in der Brienner Straße 51 und hat einen Geschäftsanteil von 392.000 RM.

KommerzienratEmil Zeckendorf ist mit 140.000 RM, Fräulein Nelly Zeckendorf mit 47.800 RM am Unternehmen beteiligt.Die Letztgenannten wohnen in der Richard-Wagner-Straße 11.

27. Februar 1933 Berlin * In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 brennt der Reichstag in Berlinab.

28. Februar 1933 Berlin * Die Verordnung des ReichspräsidentenHindenburg "Zum Schutz von Volk und Staat", die sogenannte Reichstagsbrandverordnungwird erlassen. Damit werden unter anderem Grundrechteaußer Kraft gesetzt und willkürliche polizeiliche Schutzhaftohne richterliche Kontrolle ermöglicht.

8. März 1933 München * Die letzte Ausgabe der Zeitschrift "Der gerade Weg" erscheint. Dr. Fritz Gerlich bezeichnet darin Hitler und dessen Politik als "undemokratisch und verbrecherisch". Die Auflage der Zeitschrift liegt bei 1,25 Millionen Exemplare.

Seite 664/814 9. März 1933 München-Graggenau * Die "Machtergreifung" der Nationalsozialisten in Bayern.

Max Amann hisst die "Hakenkreuzfahne" am Münchner Rathaus. Nun beginnt die systematische Ausschaltung ihrer politischen Gegner.

9. März 1933 München-Maxvorstadt * Dr. Fritz Gerlich wird noch am Tag der "Machtübernahme" verhaftet.

Obwohl er keinen Widerstand leistet, verprügeln ihn die "Nazi-Schläger" und bringen ihn ins Polizeipräsidium an derEttstraße, wo er in Einzelhaft sitzt und gefoltert wird.

22. März 1933 Dachau *Im "KZ Dachau" werden die ersten Menschen inhaftiert.

Am Vormittag gegen 10 Uhr steigen im "Zuchthaus Landsberg" die ersten 50 Gefangenen auf Lastwagen, die sie nach Dachau bringen.

Gegen Mittag trifft der Transport an der ehemaligen "Pulverfabrik" ein, vor deren Eingang sich eine Menschenmenge Schaulustiger versammelt hat.

Das "Konzentrationslager Dachau" wird von der "2. Polizei-Hundertschaft" der "Bayerischen Landespolizei" bewacht.

Der Münchner "Rechtsreferendar" Claus Bastian trägt die Gefangenennummer 1. Über 200.000 werden ihm folgen.

In den zwölf Jahren der Nazi-Herrschaft werden im "KZ Dachau" 41.500 Menschen ermordet, verhungern oder an Krankheiten sterben.

Nach dem 22. März 1933 München-Giesing * Die aufgestaute Angst vor den "Roten" hat ein Nachspiel.

Die männlichen Erwachsenen ganzer Giesinger Straßenzüge werden verhaftet und ins "KZ Dachau" gebracht.

24. März 1933 München * "Kardinal"Michael von Faulhaber fordert seine bayerischen Amtsbrüder auf, "trotz allem mehr Toleranz gegen die neue Regierung zu üben, die heute nicht bloß im Besitz der Macht ist, was unsere Grundsätze nicht umstoßen könnte, sondern rechtmäßig wie noch keine Revolutionspartei in den Besitz der Macht gelangte".

30. März 1933 München-Kreuzviertel - Chicago * Der "Münchner Erzbischof"Michael von Faulhaber rechtfertigt die "Ausschreitungen gegen die Juden" und schreibt dazu seinem "Amtsbruder" George Mundelein nach Chicago:

Seite 665/814 "Die unwahren Berichte über blutige Greueltaten in Deutschland, die in amerikanischen und anderen ausländischen Zeitungen erschienen sind, und die Angriffe gegen die neue Regierung in Deutschland wegen ihres Kampfes gegen den Kommunismus, haben die deutsche Regierung veranlaßt, Gegenmaßnahmen zu ergreifen und vom 1. April ab den Boykott gegen alle jüdischen Geschäfte mit aller Strenge durchzuführen".

5. April 1933 München-Kreuzviertel * Der Geistliche Dr. Alois Wurm, der gleichzeitig Herausgeber der Monatsschrift "Seele" ist, wendet sich an "Kardinal" Michael von Faulhaber.

Wurm hateinen Artikel gegen den "Judenboykott" an eine bayerische Zeitung geschrieben, diese den aber nicht abgedruckt.

Aus diesem Grund appelliert der Priester an Faulhaber, in der katholischen Presse zur Orientierung der Katholiken klare Aussagen zum Vorgehen gegen die Juden zu machen. Schließlich, so Wurm weiter, sei es mit der katholischen Lehre nicht vereinbar, wenn ein Mensch unschuldig, nur wegen seiner Rasse gehasst oder verfolgt werde.

Scheinbar war dem "Kardinal" der Ton des Geistlichen zu fordernd. Jedenfalls reagiert Michael von Faulhaber sehr ungehalten auf diesen Brief.

Seit etwa 6. April 1933 Berlin * Die "Deutsche Studentenschaft", der Dachverband der "Allgemeinen Studentenausschüsse", wirbt bei den Studenten der einzelnen Hochschulen per Rundschreiben zur Mitarbeit an einer vierwöchigen Aktion "gegen den jüdischen Zersetzungsgeist und für volksbewusstes Denken und Fühlen im deutschen Schrifttum".

6. April 1933 Krustin * Erich Mühsam wird in das "KZ Sonnenburg" bei Krustin an der Oder gebracht.

8. April 1933 München-Kreuzviertel * In seinem Antwortschreiben an den Geistlichen Dr. Alois Wurm erklärt sich "Kardinal" Michael von Faulhaber gleich im ersten Satz als nicht zuständig, sich für Juden einzusetzen und fordert im Gegenzug Dr. Wurm zum Handeln auf.

Natürlich findet auch er, dass "dieses Vorgehen gegen die Juden [...] derart unchristlich [ist], daß jeder Christ, nicht bloß jeder Priester, dagegen auftreten müsste".

Aus Faulhabers Sicht bestehen aber für die "kirchlichen Oberbehörden [...] weit wichtigere Gegenwartsfragen; denn Schule, der Weiterbestand der katholischen Vereine, Sterilisierung sind für das Christentum in unserer Heimat noch wichtiger, zumal man annehmen darf, und zum Teil schon erlebte, daß die Juden sich selber helfen können, daß wir also keinen Grund haben, der Regierung einen Grund zu geben, um die Judenhetze in eine Jesuitenhetze umzubiegen.

Ich bekomme von verschiedenen Seiten die Anfrage, warum die Kirche nichts gegen die Judenverfolgung tue. Ich bin darüber befremdet; denn bei einer Hetze gegen die Katholiken oder gegen den Bischof hat kein Mensch

Seite 666/814 gefragt, was man gegen diese Hetze tun könne. Das ist und bleibt das Geheimnis der Passion".

Seit etwa 10. April 1933 Berlin * Der nationalsozialistisch orientierte Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann erstellt im Auftrag des "Verbandes Deutscher Volksbibliothekare" Listen, die die Grundlage für die "Bücherverbrennungen" liefern.

Sie werden am 26. April in der "Berliner Illustrierten Nachtausgabe Nr. 97" abgedruckt.

13. April 1933 Berlin * Die "Deutsche Studentenschaft" gibt ihre Thesen "Wider den undeutschen Geist!" heraus.

Darin wird unter anderem den Juden der Gebrauch der deutschen Sprache untersagt. Denn:

"Der Jude kann nur jüdisch denken". Und weiter: "Schreibt er deutsch, dann lügt er". "Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter!"

16. April 1933 München * Gegen den "Wagner-Vortrag" Thomas Manns organisieren der "Bayerische Staatsoperndirektor" Prof. Hans Knappertsbusch und der "Generalmusikdirektor" Prof. Dr. Hans Pfitzner einen "Protest der Stadt München".

Dieser wird in den "Münchner Neuesten Nachrichten" abgedruckt und ist von den führenden Vertretern des künstlerischen Lebens Münchens unterzeichnet worden.Darunter

der "Präsident der Akademie der Bildenden Künste", Prof. Dr. German Bestelmeyer; der "Bildhauer" Bernhard Bleeker; "Oberbürgermeister" Karl Fiehler; der "Akademieprofessor" Olaf Gulbransson; der "Generalintendant der Bayerischen Staatstheater", Clemens von Frankenstein; der "Generalmusikdirektor" Dr. Richard Strauß; der "Präsident der Industrie- und Handelskammer" Josef Pschorr und viele andere Honoratioren mehr.

In dem "Protestschreiben" heißt es: "Nachdem die nationale Erhebung Deutschlands festes Gefüge angenommen hat, kann es nicht mehr als Ablenkung empfunden werden, wenn wir uns an die Öffentlichkeit wenden, um das Andenken an den großen deutschen Meister Richard Wagner vor Verunglimpfung zu schützen.

Wir empfinden Wagner als musikalisch-dramatischen Ausdruck tiefsten deutschen Gefühls, das wir nicht durch ästhetisierenden Snobismus beleidigen lassen wollen, wie das mit so überheblicher Geschwollenheit in Richard-Wagner-Gedenkreden von Herrn Thomas Mann geschieht. [...]

Seite 667/814 Wir lassen uns eine solche Herabsetzung unseres großen deutschen Musikgenies von keinem Menschen gefallen, ganz sicher aber nicht von Herrn Thomas Mann, [...].

Wer sich selbst als derart unzuverlässig und unsachverständig in seinen Werken offenbart, hat kein Recht auf Kritik wertbeständiger deutscher Geistesriesen".

Thomas Mann wiederholt seinen Vortrag in Amsterdam, Brüssel und Paris.

Doch nach dem "Protest der Richard-Wagner-Stadt München" kann er nicht mehr in seine Heimatstadt zurückkehren.

26. April 1933 Deutsches Reich* In der "Berliner Illustrierten Nachtausgabe Nr. 97" werden die vom nationalsozialistisch orientierte Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann erstellten Listen abgedruckt und den "Studentenschaften" von ihrem Dachverband zugänglich gemacht.

Die Listen bilden die Grundlage für die "Bücherverbrennungen".

26. April 1933 München-Graggenau * Die SPD protestiert gegen die Ernennung des "Reichskanzlers" Adolf Hitler und des "Reichsstatthalters" Franz Ritter von Epp zu "Münchner Ehrenbürgern".

Das ist der Anlass, weshalb die NSDAP-Stadträte die SPDler bei der nächsten Sitzung aus dem Sitzungssaal prügeln werden.

In einer Erklärung lehnt die NSDAP "jede weitere Zusammenarbeit mit den marxistischen Arbeiterverrätern" ab. Die SPD-Stadträte fordert sie auf, "sofort und ein für allemal aus der Gemeindevertretung zu verschwinden".

27. April 1933 München-Ludwigsvorstadt * Uraufführung des Valentin-Stücks "Ehescheidung vor Gericht" im "Kabarett Wien-München" im "Hotel Wagner", Sonnenstraße 23.

Innerhalb von 15 Minuten tritt Liesl Karlstadt als Ehemann, Ehefrau, Sohn, preußischer Untermieter und als "Ratschkathl" auf. Das Stück wird in 64 Vorstellungen aufgeführt.

29. April 1933 München-Kreuzviertel * Im Bayerischen Landtagwird das Ermächtigungsgesetzverabschiedet.

Lediglich die 16 anwesenden SPD-Abgeordneten stimmen gegen die vollständige Machtergreifung Hitlers. Damit wird die bayerische Parlaments-Tradition mit einem Federstrich beendet.

2. Mai 1933 Deutsches Reich* Die "Freien Gewerkschaften" werden im gesamten Reich mit brutaler Gewalt aufgelöst.

Seite 668/814 5. Mai 1933 München-Kreuzviertel - Bayern * Angeblich wollte "Kardinal" Michael von Faulhaber das "Unrecht gegen die Juden" in seinem "Hirtenbrief" vom 5. Mai ansprechen, wird aber von den anderen Bischöfen davon abgehalten.

In dem "Hirtenbrief" der bayerischen Bischöfe heißt es jetzt: "Unsere jetzige Reichsregierung hat sich große und schwierige Aufgaben gestellt; sie will das deutsche Volk, das an den Folgen des verlorenen Weltkrieges und der Revolution so unsäglich viel leidet, wieder zur früheren Höhe emporführen durch eine geistige, sittliche und wirtschaftliche Erneuerung. [...]

Daher rufen wir Bischöfe in tiefer Liebe zu unserem armen Vaterlande, [...] den Blick nicht mehr zu richten auf die Vergangenheit, nicht auf das zu sehen, was uns trennt, sondern auf das, was uns eint, daher einander die Hand zu reichen und in hochherziger Opferwilligkeit die vereinten Kräfte einzusetzen, um der furchtbaren Not, dem immer weiter fortschreitenden Niedergang und dem unseligen Unfrieden Einhalt zu bieten. [...]

Der Wiederaufbau unseres Volks- und Staatslebens muß zur Grundlage haben die ewigen, unantastbaren Gesetze des christlichen Glaubens, der christlichen Sitte, der christlichen Gerechtigkeit und des sozialen Friedens. Es verdient aufrichtigen Dank, daß der höchste Vertreter der Reichsregierung in feierlicher Stunde erklärte, das Werk der Wiedererneuerung unseres Volkes auf den Felsengrund des christlichen Glaubens stellen und freundschaftliche Beziehungen zur Kirche pflegen zu wollen. [...]

Wir sind dankbar für die Erklärung des Reichskanzlers, daß die Rechte der Kirchen nicht geschmälert, ihre Stellung zum Staate nicht geändert werden wird".

6. Mai 1933 München * Die Hitlerjugend - HJführt in München die erste Bücherverbrennungdurch.

10. Mai 1933 München-Maxvorstadt * Um 19:45 Uhr beginnt im Lichthof der Universität Müncheneine "Feier der nationalen Revolution" statt.Die Festredehält Kultusminster Hans Schemm. Eingerahmt von der "Egmont-Ouvertüre" folgt die Übergabe des neuen Studentenrechts, ein Treuegelöbnis, ein "Appell an die studentische Verantwortung" und schließlich das Absingen des "Horst-Wessel-Liedes". Im Anschluss an die Feier beginnt ein Großer Fackelzug.Dazu werden ab 20:30 Uhr am rückwärtigen Ausgang der Universität gegen Gutschein Fackeln ausgegeben.

Um 22:00 Uhr bewegt sich der Fackelzug in Richtung Königsplatz.Die freiwilligen und begeisterten Teilnehmer in Uniform oder dunklem Anzugziehen an der mit einer roten Flammenkette geschmückten Feldherrnhallevorbei zum mit Flaggen und Pylonen festlich ausgestatteten Königsplatz, wo um 23:30 Uhr circa 50.000 überwiegend akademisch gebildete Nationalsozialsten und ihre Sympathisanten einen großen "Verbrennungsakt" beginnen.

Auf dem Rasen vor der heutigen Antikensammlungam Königsplatz ist ein riesiger Scheiterhaufen aus Holz und Stroh errichtet worden. Zunächst hält ein studentischer Funktionär eine Ansprache zur "Ausmerzung undeutscher Schriften". Danach werfen uniformierte Studenten unter Verlesung von "Feuersprüchen" die mitgeführten Bücher ins Feuer. In Anlehnung an das Wartburgfestverbrennen sie die "volkszersetzenden Schriften kommunistischer, marxistischer, pazifistischer Haltung (vielfach aus jüdischer Feder stammend) als Symbol der Abkehr vom undeutschen Geist".

Seite 669/814 11. Mai 1933 München-Maxvorstadt * Im "Vorstand der Löwenbräu AG" wird über die "Angriffe der nationalsozialistischen Machthaber" diskutiert.

Das Protokoll vermerkt, "gewisse Anzeichen, die auf den künftigen Wegfall städtischer und staatlicher Bierlieferungen und darüber hinaus auf die Möglichkeit eines Boykottes abzielen".

Daraufhin stellen einige jüdische Vorstandsmitglieder ihre Mandate zur Verfügung. Joseph Schülein zieht sich auf sein "Gut Kaltenberg" zurück.

Dr. Hermann Schülein bleibt - aufgrund seiner unersetzlichen Fachkompetenz - formal im "Löwenbräu-Vorstand", muss aber als Vorsitzender zurücktreten.

12. Mai 1933 Wien * Oskar Maria Graf veröffentlicht in der marxistischen Wiener Arbeiter-Zeitungunter der Überschrift "Verbrennt mich! - Ein Protest" seine Nachverbrennung.

"Laut ?Berliner Börsencourier? stehe ich auf der ?weißen Autorenliste? des neuen Deutschlands, und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes ?Wir sind Gefangene?, werden empfohlen: Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des ?neuen? deutschen Geistes zu sein! Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient?

[...] Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selbst wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!"

Oskar Maria Graf

12. Mai 1933 München * Der Völkische Beobachterstellt zufrieden fest:

"Die Löwenbrauerei kann nunmehr mit vollem Recht als ein deutsches Unternehmen bezeichnet werden. [...]Damit entfallen die bisherigen Anwürfe".

Um den 15. Mai 1933 München * Die Münchner Neuesten Nachrichtenantworten auf Oskar Maria Grafs "Nachverbrennungs-Aufruf" derart:

"Wir haben bisher die Bücher von Oskar Maria Graf [...] für viel zu unbedeutend gehalten. [...] Aber wenn der Herr Dichter durchaus will, nun wir sind gar nicht so. [...] Also hinein mit ihm ins Feuer!"

Seite 670/814 Um den 15. Mai 1933 Berlin * Den Nationalsozialisten sind die Kaufhäuserals "Prototypen wurzellosen kapitalistischen Gewinnstrebens" ein Dorn im Auge. Adolf Hitler erlässt eine "Errichtungs- und Erweiterungssperre für Warenhäuser". Die Gewerbekapitalsteuerfür solche Unternehmen verdoppelt sich in dieser Zeit.

Vor den Kaufhäusernverteilen Nazis Flugblätter mit Boykottaufrufen.Sprechchöre verkünden: "Wer im Warenhaus kauft, ist ein Lump!"Selbst die Kaufhaus-Verkäuferinnensind von den brauen Machthabern nicht gerne gesehen, weil die materielle Abhängigkeit von männlichen Vorgesetzten und der stete Kontakt mit einem anonymen Publikum ihre Tugend überfordern könnte. Außerdem verlockt die Atmosphäre der Kaufhäuserzu "Vergnügungs- und Putzsucht".

Vor allem aber fürchtet die NSDAP, dass sich durch diesen neuen Frauenberuf die "selbstbewusste, unabhängige, arbeitende Frau" emanzipieren und "Mutterschaft und Haushalt" nicht mehr als das erstrebenswerte Ziel ansehen könnte.

17. Juni 1933 München-Bogenhausen * Der Zierbrunnenam Shakespeareplatz in Bogenhausen geht in Betrieb.

22. Juni 1933 München * Der NS-Stadtrat Hans Zölberlein fordert die Entfernung des Grabmals, das Kurt Eisner und dem Gedenken der Toten der Revolution gewidmet ist, da es "ein Ärgernis für jeden guten Deutschen und alten bayerischen Soldaten" darstellt.

Nachdem die Nationalsozialisten im Jahr 1933 den Gedenkstein zertrümmert haben, übergeben sie Kurt Eisners Urne dem Neuen Israelitischen Friedhof an der Ungererstraße. Auch Gustav Landauers Grab wird für erloschen erklärt. "Der Abbruch der Denkmäler und die Beseitigung der Aschen hat unverzüglich zu erfolgen."Die Urnen von Eisner und Landauer werden der Israelitischen Kultusgemeinde übergeben, die auch noch die Kosten zu tragen hat.

26. Juni 1933 München * In der Hauptstadt der Bewegung gibt es zu dieser Zeit noch immer Menschen, die die Zwangsmaßnahmen gegen die toten Kurt Eisner und Gustav Landauer empören. Es geht bei der NSDAP-Stadtratsfraktion ein anonymer Brief ein, in dem zu lesen ist:

"Scheusale der Kultur!! Ihr seid doch echte Idioten lasst nicht einmal in Ruh die Toten der Geist der Toten lebet fort trotz brauner Pest und Nazimord!!"

27. Juni 1933 München * Nachdem das Denkmal für die "Toten der Revolution - 1919" am Ostfriedhof abgerissen worden war, wollen die Nationalsozialisten die darin untergebrachten Urnen von Kurt Eisner und Gustav Landauer an die

Seite 671/814 Israelitische Kultusgemeinde Münchens loswerden.

Diese antwortet an 27. Juni 1933: "[?] beehren wir uns mitzuteilen, dass wir derzeit nicht feststellen können, ob die Genannten bei Eintritt des Todes dem israelitischen Bekenntnis angehört haben. [?]Wir wollen aber keine Schwierigkeiten schaffen und erklären uns bereit, die Urnen entgegen zu nehmen und sie einstweilen der Erde zu übergeben."

20. Juli 1933 Rom-Vatikan - Berlin *Das Konkordatzwischen dem Heiligen Stuhlund dem Deutschen Reichwird vom - katholischen - VizekanzlerFranz von Papen und vom KardinalstaatssekretärEugenio Pacelli im Vatikanunterzeichnet.

Das Vertragswerk bestätigt die bestehenden Länderkonkordatemit Bayern, Preußen und Baden und den Fortbestand der katholischen theologischen Fakultäten an den Universitäten, sichert den katholischen Religionsunterricht an allen Schulartenund die Beibehaltung und Neueinrichtung von Bekenntnisschulen, die Freiheit des Bekenntnissesund der öffentlichen Ausübung der Religion, den staatlichen Schutz für Geistliche, den Schutz des Beichtgeheimnissesund den Schutz der katholischen Organisationen. Außerdem wird die Militärseelsorgeund das eigene kirchliche Steuerrechtgarantiert.

Die Kirche gesteht hingegen den neuen Machthabern nur wenig zu:

Entpolitisierung des Klerus, Treueeid der Bischöfe gegenüber dem Deutschen Reich und seinen verfassungsmäßig gebildeten Regierungen.

Die Reichsregierungmacht der Kirche sehr große Zugeständnisse mit dem Ziel, internationale Anerkennung zu erhalten und die deutschen Katholiken für die Bewegungzu gewinnen, solange deren Macht noch nicht gefestigt ist.

Keine der anderen neunzehn Weimarer Regierungen, auch nicht die Koalitionen mit Zentrumsbeteiligung, war der katholischen Kirche so weit entgegengekommen.

23. Juli 1933 München-Obergiesing * Der gewählte Kirchenvorstand der evangelischen Martin-Luther-Kirchebesteht zu fünfzig Prozent aus NS-Parteigenossen. Der Münchner Dekan sagt:

"Dass der Wunsch geherrscht hat, es möchten in unseren Kirchenvorständen besonders auch solche Männer Platz finden, die in der deutschen Freiheitsbewegung an hervorragender Stelle stehen - das war allen

Seite 672/814 verständlich.Wir brauchen diese Männer in der kirchlichen Arbeit".

Hauptsache ist, dass die Gottlosen-Propagandaihr Ende findet.

September 1933 München-Theresienwiese * Personen jüdischer Abstammung werden "im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zur Verabreichung von Speisen und Getränken und zur "Veranstaltung von Lustbarkeiten" nicht mehr auf dem "Oktoberfest" zugelassen.

Dies gilt auch für Angestellte, Mitarbeiter, Gehilfen oder Mitspieler.

23. September 1933 München-Berg am Laim?Der NSDAP-StadtratW. Holzwarth stellt den Antrag auf Umbenennung der Schüleinstraße und des Schüleinplatzes in Berg am Laim. In seiner Begründung gibt er an, dass der "Kommerzienrat Joseph Schülein keine besonderen Verdienste, weder in sozialer Hinsicht, noch um die Stadtgemeinde München im Besonderen, nachgewiesen werden können" und aus diesem Grund "keine Veranlassung besteht, dass in einem nationalsozialistischen Staate eine Strasse und ein Platz nach einem Juden benannt werden.

Schülein war Hauptaktionär und Aufsichtsrat-Vorsitzender der Löwenbrauerei und bei seinem nicht unbeträchtlichen Einkommen und grossem Vermögen, dürfte es wohl nicht als besonderes Verdienst anzurechnen sein, wenn er von diesen Geldern wieder einen kleinen Bruchteil der Allgemeinheit für bestimmte Zwecke zur Verfügung stellte. [...]

Ausserdem hat meines Wissens gerade Schülein dafür gesorgt, dass der grösste Teil der Landbrauereien Bayerns [mehrere 1.000 Betriebe] durch die Löwenbrauerei aufgekauft wurden.Sämtliche aufgekauften Betriebe wurden sofort geschlossen, wodurch die in Bayern blühende Land-Bier-Industrie vollständig vernichtet wurde.Die daraus sowohl für die einschlägige Industrie und das Handwerk, als auch für den Arbeitslosenmarkt entstandenen und zugefügten Schäden sind gar nicht zu übersehen."

11. Oktober 1933 München-Lehel * ReichskanzlerAdolf Hitler legt, begleitet vom Geläute sämtlicher Münchner Kirchenglocken, den Grundstein für das Haus der Deutschen Kunst. Dabei bricht der Zeremonienhammer in zwei Teile.Ein böses Omen.

Zugleich verleiht der "Führer" der bayerischen Hauptstadt den Ehrentitel "Hauptstadt der Deutschen Kunst".

8. November 1933 München-Angerviertel * Reichskanzler Adolf Hitler eröffnet im ehemaligen Sterneckerbräu das Parteimuseum der NSDAP. Es wird zur Wallfahrtsstätte der Nationalsozialistenund zum Magneten für Einheimische und Fremde. 20 Pfennig kostet der Eintritt zu den museal hergerichteten Räumen.

Im Rahmen der alljährlichen pompösen Veranstaltungen am 9. November zur Erinnerung an den Hitler-Putsch 1923 findet beim Marsch vom Bürgerbräukeller zur Feldherrnhalleeine Gedenkminute vor dem Sterneckerbräu statt.

Seite 673/814 3. Dezember 1933 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber hält seine Adventspredigtin der Michaelskirche. Darin weist er darauf hin, dass sich in der deutschen Kulturseit dem frühen Mittelalter zahlreiche Einflüsse aus dem Alten Testament, also aus der jüdischen Kultur, finden:

"Im Besonderen verdanken die menschliche Kultur und christliche Religion dem Alten Testament einen reinen und erhabenen Gottesgedanken."Und weiter: "Wir müßten unsere deutschen Klassiker Lügen strafen, wollten wir das Alte Testament mißachten und aus den Schulen und Volksbüchereien verbannen. Wir müßten die Geistesgeschichte unseres Volkes verleugnen."

Über die Juden sagt er: "Bei keinem anderen Volk findet sich eine solche Schriftenreihe, worin so klar, so bestimmt, so einheitlich die Grundwahrheiten des religiösen Lebens dargeboten werden."

Diese und noch andere Worte des Respekts machte er zunichte mit den dann kommenden Sätzen:"Nach dem Tode Christi wurde Israel aus der Offenbarung entlassen.Sie hatten die Stunde der Heimsuchung nicht erkannt.Sie hatten den Gesalbten des Herrn verleugnet und verworfen, zur Stadt hinausgeführt und ans Kreuz geschlagen.Damals zerriß der Vorhang im Tempel auf Sion und damit der Bund zwischen dem Herrn und seinem Volk.Die Tochter Sion erhielt den Scheidebrief, und seitdem wandert der ewige Ahasver ruhelos über die Erde."

Mit solchen Schuldzuweisungen und Verleumdungen geht es weiter.Faulhaber spricht immer wieder von den Israeliten, auf denen der Zorn Gottes ruhe. Solche Worte sind in normalen Zeitenschon bedenklich. In Zeiten, in denen staatlich verordnete "Judenschelte" und Boykottmaßnahmenan der Tagesordnung, in denen Verhaftungen, Beschimpfungen, ja sogar Morde nichts Außergewöhnliches sind, verschlimmern solche Worte die Situation nur noch.

7. Dezember 1933 München-Berg am Laim * Die Berg am Laimer Schüleinstraße und der Schüleinplatz werden aufgrund des Antrags des NSDAP-Stadtrats in Halserspitzstraße und Halserspitzplatzumbenannt.

31. Dezember 1933 München-Isarvorstadt * Die Münchner Brockensammlungwird aufgelöst.

1934 München-Graggenau * Der "Metzgersprung" wird zugunsten des "Winterhilfswerkes" noch einmal aufgeführt und ein dreijähriger Turnus beschlossen.

Der Brauch schläft aber systembedingt bald darauf ein.

1934 München-Englischer Garten - Lehel - Schwabing * Ausbau der "Omnibusstraße" durch den "Englischen Garten" zwischen Martiusbrücke und Oettingnstraße.

1934

Seite 674/814 München * Der "NS-Ratsherr" Christian Weber gründet das "Kuratorium für das Braune Band von Deutschland".

1934 München-Theresienwiese * Der Architekt German Bestelmeyer plant den Abriss der "Ruhmeshalle", um dort ein Versammlungsgebäude zu errichten.

Anfang Januar 1934 München-Geiselgasteig *Die Arbeiten zum Film "Der Theaterbesuch" mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt in den Hauptrollen beginnen.

Der Film dauert 23 Minuten. Die Regie führt Joe Stöckel.

2. Februar 1934 Oranienburg * Erich Mühsam wird in das KZ Oranienburggebracht.

17. März 1934 München-Ludwigsvorstadt * Karl Valentin beantragt die Konzession für sein "Panoptikum" in den Kellerräumen des "Hotels Wagner" in der Sonnenstraße.

Als Unternehmer gibt er an: "Karl Valentin (Fey) Schauspieler, Liesl Karlstadt (Wellano) Schauspielerin, Eduard Hammer Universitätsplastiker und Gebrüder Wagner, Besitzer des Hotels Wagner". Die Illustrationen für das "Panoptikum" fertigt Ludwig Greiner.

21. März 1934 Unterhaching * Der Tag soll nach dem Willen der Nationalsozialisten als "Großkampftag der Arbeitsschlacht" in die Annalen eingehen. Es wird das Bild einer zupackenden NS-Herrschaft vermittelt, die Menschen mit dem Bau der "Straßen des Führers" schnell in Arbeit bringt.

Der durchinszenierte Auftritt, bei dem Adolf Hitler auf der Reichsautobahn-Baustelle den Beginn der "Arbeitsschlacht" gegen die Arbeitslosigkeit verkündet, erzielt die gewollte Wirkung. Das Ereignis bei Unterhaching begründet den Mythos vom Wirtschaftswunder und von den Autobahnen, die dem NS-Regime zu verdanken seien.

Die Propaganda-Schau soll über den Ort hinauswirken. Man hat Tausende Arbeiter herangekarrt und lässt diese mit geschulterten Spaten antreten. Im gesamten Land ruht die Arbeit. In Behörden, Betrieben und Schulen sind auf Anordnung Radiogeräte anzuschalten. 180 Journalisten ausländischer Zeitungen sind anwesend.

17. April 1934 Berlin * Uraufführung des Valentin-Karlstadt-Films "Es knallt" im "Atrium" in Berlin im Beiprogramm zu "Die vertauschte Braut".

Seite 675/814 30. Juni 1934 Dachau * Dr. Fritz Gerlich wird in einer Nacht-und-Nebel-Aktion insKZ Dachaugebracht und noch in der selben Nacht erschossen.

10. Juli 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber traut den Kurt-Eisner-Mörder Anton Graf von Arco auf Valley mit Gabrielle Gräfin von Arco-Zinneberg in der Dreifaligkeitskirche.

Arco hatte den Gründer des Freistaats Bayernam 21. Februar 1919 hinterrücks ermordet, war zunächst zum Tode verurteilt, aber am nächsten Tag zu lebenslänglicher Festungshaft begnadigt worden. Nach fünf Jahren wurde er aus der Haft entlassen.

Anton Graf von Arco auf Valley war durch seine Tat in monarchistischen und konservativen Kreisen hoch angesehen. Deshalb ist es dem Münchner Erzbischof und Kardinal ein persönliches Anliegen, die Trauung durchzuführen.

24. Juli 1934 München-Kreuzviertel * Kardinal Michael von Faulhaber schreibt an Adolf Hitler:

"Was die alten Parlamente und Parteien in sechzig Jahren nicht fertigbrachten, hat Ihr staatsmännischer Weitblick in sechs Monaten weltgeschichtlich verwirklicht. [?] Uns kommt es aufrichtig aus der Seele: Gott erhalte unseren Reichskanzler".

September 1934 München-Theresienwiese * Die "Bräurosl" erhält mit ihrer neuen "Heustadl-Fassade" zwei beleuchtete Glastürme, die an die Pylonen des Berliner Olympiastadions erinnern.

25. September 1934 München-Bogenhausen * Elisabeth Braun kauft die Hildebrand-Villain der Maria-Theresia-Straße 23.Sie bewohnt das Haus gemeinsam mit ihrer Stiefmutter Rosa Braun seit dem 30. November.

20. Oktober 1934 München-Angerviertel * Die deutschlandweit erste, groß angelegte Razzia der Nazis gegen Homosexuelle. Im Zentrum dieser Maßnahme steht der Gasthof Schwarzfischerin der Dultstraße, zusammen mit dem Arndthofam Glockenbach und diversen einschlägig bekannten Parks, Bedürfnisanstalten und Privatwohnungen.

Insgesamt werden bei dieser Aktion 145 Männer festgenommen und in die Ettstraße gebracht. Dort wird abgeglichen, ob es sich um Wiederholungstäterhandelt, die sich anschließend Umerziehungsmaßnahmenunterziehen müssen. 39 Festgenommene kommen ins KZ Dachau, viele werden auch nach ihrer Freilassung noch jahrelang schikaniert. Wiederholungstäterist, wer in der berüchtigten Rosa Listeverzeichnet ist. Dieses Verzeichnis der Homosexuellenbesteht bereits seit der Kaiserzeit.

Seite 676/814 November 1934 Goslar * Der Durchbruch für die erneute Seidenerzeugung in Deutschland kommt erst auf dem Reichsbauerntag in Goslar im November 1934.

Die NSDAP hat dort zur "Erzeugungsschlacht der deutschen Landwirtschaft" aufgerufen. Das Ziel des Agrarprogramms ist die maximale Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, um den Bedarf an Nahrungs- und Futtermitteln, aber eben auch an Textilrohstoffen weitestgehend aus eigener Erzeugung zu sichern.

Das bedeutete die Förderung der Seidenraupenzucht durch den Anbau von Maulbeerbäumen.

9. November 1934 München - Berlin * In einem Brief an den Präsidenten der Reichsfilmkammerschreibt Karl Valentin, dass es "1927 einem gewissen Walter Jerven (richtiger Name: Samuel Wucherpfennig) [gelang], das Bankhaus Löwenthal und Walther zur Finanzierung eines Valentin-Films ?Der Sonderling? heranzuziehen".

Aufgrund der Zeilen musste der Angegriffene, der eigentlich Wilhelm Wucherpfennig hieß und sich 1924 in Walter Jerven umbenannte, seine arische Abstammung nachweisen. Zum Glück war das für ihn kein Problem, denn sonst hätte er mit Konsequenzen rechnen müssen.

1935 München-Au * Im Gebäude der Kreislehrerinnenbildungsanstalt für Oberbayernin der Frühlingstraße [heute: Eduard-Schmid-Straße]wird die Hans-Schemm-Aufbauschuleuntergebracht.

1935 München-Haidhausen *Im Zuge der Erweiterung des Rosenheimer Berges zum Zubringer der "Autobahn München - Landesgrenze" müssen das "Gasthaus zum Salzburger Hof" und der "Stadtkeller" mit seiner lang gestreckten Fasshalle abgetragen werden.

Seit 1935 München-Maxvorstadt * In der "Klopfer-Villa" an der Brienner Straße 41 befindet sich die "Korpsführung des NS-Kraftfahrkorps".

1935 München-Englischer Garten - Hirschau * Mit dem Abbruch der "Maffei'schen Maschinenbaufabrik" wird begonnen.

1935 München-Maxvorstadt * Gerhard Haas, Enkel von Joseph Schülein, macht sein Abitur am "Wittelsbacher Gymnasium" und studiert ab 1936 in England.

1935 München-Maxvorstadt * Von 1935 bis Kriegsende ist die "SA-Gruppe Hochland" im Anwesen

Seite 677/814 Richard-Wagner-Straße 2 untergebracht.

Seit etwa 1935 München-Au * Der neue Besitzer der Zentrale des "Konsumvereins München von 1864" heißt "Schutzgemeinschaft Bayerischer Bäcker und Müller GmbH".

Das Ende der Konsumgenossenschaften ist der Aufschwung des Auer Bäckers Josef Bernbacher. Nach der Auflösung der "Verbrauchsgenossenschaften" nutzt er die Gunst der Stunde und kehrte in die Au zurück.

Unter dem Versprechen, kein Brot mehr herzustellen, übernimmt Bernbacher das Gelände des "Konsumvereins München von 1864" und verlegt sich auf einen Geschäftszweig, den die Genossenschaft im Jahr 1922 eingeführt hatte: die Teigwarenherstellung.

Heute ist die "Josef Bernbacher & Sohn GmbH & Co KG" einer der größten Nudelhersteller in Deutschland.

6. April 1935 München-Lehel * An der Prinzregentenbrücke wird vormittags um 9 Uhr eine junge Frau aus der Isar gezogen, die sich das Leben nehmen wollte: Liesl Karlstadt.

15. September 1935 Nürnberg * Mit denNürnberger Gesetzenwird die völlige Entrechtung der Juden in Deutschland eingeleitet. Sie teilen sie in sogenannte Voll-, Halb- oder Viertel-Juden ein. DasGesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehreverbietet die Eheschließung zwischenJudenundNichtjudensowie den außerehelichen Geschlechtsverkehr zwischen ihnen.

Für"Verbrechen der Rassenschande"werden hohe Zuchthausstrafen oderKZverhängt.Unter Zuhilfenahme der"Verordnung gegen Volksschädlinge"können Angeklagte sogar zum Tode verurteilt werden. DasReichsbürgergesetzmacht Juden zu Bürgern zweiter Klasse.

Anton von Arco gehört damit zu denHalbjuden, doch sein Ruhm alsEisner-Mörderschützt ihn vor weiteren Verfolgungen.

November 1935 München-Lehel - München-Isarvorstadt * Nachdem die "Ludwigsbrücke" schon wieder für den sich ständig verstärkenden Verkehr zu schmal geworden war, wird sie auf 29 Meter verbreitert.

Sie dient nun als Zubringer für die nach Salzburg führende"Autobahn München - Landesgrenze".

Alle vier "Pylone" werden an der Altstadtseite angebracht.

November 1935 München-Maxvorstadt * Dr. Hermann Schülein tritt "mit Rücksicht auf seinen Gesundheitszustand auf seinem

Seite 678/814 Wunsch aus der Löwenbräu AG" aus.

1936 München-Haidhausen * "Rüstungsminister" Albert Speer, ein enger Vertrauter und schon aus diesem Grund ganz bestimmt kein Kritiker des als "Führer" bezeichneten "Parteivorsitzenden", "Reichskanzlers" und "Reichspräsidenten" Adolf Hitler, beschreibt dessen Neun-Zimmer-Wohnung am Prinzregentenplatz 16 folgendermaßen:

"Ich wurde zunächst in einen Vorraum eingelassen, der mit Andenken oder Geschenken niedrigen Niveaus vollgestellt war.

Auch die Möblierung zeugt von schlechtem Geschmack. [...] Hitlers Wohnung war die eines Privatmannes von mittleren Einkommen, etwa eines Studienrats, des Filialleiters einer Depositenkasse, eines kleinen Geschäftsmannes.

Die Einrichtung war von kleinbürgerlichem Zuschnitt. Reichgeschnitzte, massiv eichene Herrenzimmermöbel, Bücher hinter Glastüren, gestickte Kissen mit zärtlichen Inschriften oder kräftigen Parteiwünschen. In einer Zimmerecke stand eine Richard-Wagner-Büste, an den Wänden hingen, in breiten Goldrahmen, idyllische Malwerke der Münchner Schule.

Nichts verriet, daß der Inhaber dieser Wohnung seit drei Jahren deutscher Reichskanzler war. [...]"

1936 Berlin * Heinrich Himmler bestimmt die Aufgaben des "Lebensborn e.V." im Detail.

Mindestens vier Kinder sollen in jeder SS-Familie aufwachsen, da die "Frage vieler Kinder [...] nicht Privatangelegenheit des einzelnen, sondern Pflicht gegenüber seinen Ahnen und unserem Volk" ist. "Falls unglückliche Schicksalsumstände der Ehe eigene Kinder versagen, soll jeder SS-Führer rassisch und erbgesundheitlich wertvolle Kinder annehmen und sie im Sinne des Nationalsozialismus erziehen [...]".

Punkt 2 bestimmt als Aufgabe des Vereins: "Rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers [...] anzunehmen ist, daß gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen".

Wenn schwangere Frauen nachweisen können, dass unter ihren Vorfahren keine "Juden" sind, und wenn ihnen zudem "SS-Ärzte" ihre so genannte "erbbiologische Gesundheit" bestätigen, wird ihnen - um eine Abtreibung zu verhindern - die Aufnahme in ein "Entbindungsheim" des "Lebensborn e.V." versprochen.

Die Verwirklichung der rassischen Komponente der NS-Weltanschauung zielt auf die Ablösung der alten Führungsschichten durch eine neue, biologisch geformte nationalsozialistische Elite.

Februar 1936 München - Schweiz * Dr. Hermann Schülein und seine Frau verlassen Deutschland zunächst in Richtung Schweiz.

Dazu müssen sie zuvor ein "Auswanderersperrkonto" bei der "Deutschen Bank" einrichten.

Seite 679/814 Ihr Privatbesitz kann in Deutschland eingemauert werden und überdauert so die restlichen Jahre des "Tausendjährigen Reiches" unbeschadet.

16. Mai 1936 München * NS-RatsherrChristian Weber reicht die Satzung des aus dem Kuratorium für das Braune Band von Deutschlandhervorgegangenen Verein Das Braune Band von Deutschlandbeim Registergericht Münchenein.

12. Juni 1936 München-Maxvorstadt * Dem Verein "Das Braune Band von Deutschland" wird der Charakter einer Reichsorganisationverliehen. Er bekommt damit einen quasi-öffentlich-rechtlichen Status.

Juli 1936 München * Karl Valentin spielt den Herrn Brandstetter, Liesl Karlstadt den Kommerzienrat in dem 15-Minuten-Film "Der Bittsteller".

Die Regie führt Erich Engels. Gedreht wird der Streifen im "Arri-Atelier".

27. Juli 1936 Schloss Nymphenburg * Die erste "Nacht der Amazonen" findet statt. Am Nachmittag geht ein ungeheueres Gewitter - mit Wolkenbruch und Hagel - über der Stadt nieder.Doch es wurde noch eine schöne Sommernacht, in der mythologisch dekorierte Themenwägen, auf denen sich nackte und halbnackte junge Frauen präsentieren, durch die von Fackeln erleuchtete Nacht rollten.

Amazonenreiten auf nackten Pferderücken.Sie schwingen ihre Speere und setzen ihre nur aus einer dünnen Schicht Goldbronze bestehende Rüstung ins rechte Licht. Das nächtliche Fest im Nymphenburger Schlossparkist eine Abfolge szenischer Spiele und Aufmärsche. Im Licht von Scheinwerfern vollführten chinesische Tempelgöttinnen"Tänze, wie sie in chinesischen Tempelnkaum je zu sehen sein dürften.

September 1936 München-Theresienwiese * Der "Einzug der Wiesnwirte" wird den Brauereien als Pflichtaufgabe auferlegt.

Ein "Windhunderennen" ist die Neuigkeit des "Oktoberfestes" 1936.

September 1936 München-Theresienwiese * Georg Heide wird "Festwirt" der "Pschorr-Bräurösl".

24. Oktober 1936 Penge/Kent * Bill Wyman, der spätere Bassist der Rolling Stones, wird als William George Perks in Penge in der Grafschaft Kent in Großbritannien geboren.

Seite 680/814 November 1936 New York * Dr. Hermann Schülein lebt in New York, wo er zunächst im "Hotel Dorset", dann in "New York City, 1136 Fifth Avenue" wohnt.

4. November 1936 Obersalzberg * KardinalMichael von Faulhaber ist ein Leben lang stolz auf seine Aussagen vom Deutschen Katholikentag. Er brüstet sich sogar damit noch bei seiner - problematischen - dreistündigen Unterredung mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg:"1922 habe ich den marxistischen Umsturz von 1918 und 1919 als ?Meineid und Hochverrat? bezeichnet und trotz aller Bedrohungen das Wort nicht zurückgenommen."

Nach seinem selbst verfassten Protokoll trat er Adolf Hitler mit folgenden Worten gegenüber:"Sie sind als das Oberhaupt des Deutschen Reiches für uns gottgewollte Autorität, rechtmäßige Obrigkeit, der wir im Gewissen Ehrfurcht und Gehorsamkeit schulden."

24. November 1936 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber erstattet seinen Amtsbrüdernauf der Bayerischen BischofskonferenzBericht über das Treffen mit Adolf Hitler und schwärmt ihnen von der "Harmonie am Obersalzberg" vor. Daraufhin beschließen sie, ihre "loyale und positive Einstellung gegenüber der heutigen Staatsform und gegenüber dem Führer zum Ausdruck zu bringen".

30. Dezember 1936 München-Kreuzviertel * In dem von KardinalMichael von Faulhaber selbst verfassten Hirtenbriefschreibt er:"Der Führer möge versichert sein, dass wir Bischöfe ihn in seinem weltgeschichtlichen Abwehrkampf gegen den Bolschewismus mit moralischen Mitteln in jeder Weise unterstützen."

30. Dezember 1936 München-Obergiesing * Die NS-Stadtverwaltung verkauft das ehemalige Vereinsheim des Turn- und Sportvereins München-Ostmit allem Grund und Boden an die Optischen Werke C.A. Steinheil Söhne GmbH München, die in unmittelbarer Nähe eine Rüstungsfabrik betreibt.

1937 München-Graggenau * Der umfangreiche "Amtliche Führer Residenz München" erscheint.

Er beinhaltet die Baugeschichte und die ausführliche Beschreibung der zu besichtigenden Räume. Der Führer dokumentiert ein letztes Mal das Erscheinungsbild der "Residenz" vor den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs.

1937 München-Maxvorstadt * Zwischen 1937 und 1940 ist der "Bund Deutscher Mädchen - BDM" in der Richard-Wagner-Straße 3 untergebracht.

Seite 681/814 1937 München-Haidhausen * Nachdem die Studentenverbindung "Danubia" die Zinsen für den Kredit nicht aufbringen kann, kommt die ehemalige "Grützner-Villa" in Haidhausen zwangsweise unter den Hammer und geht daraufhin in den Besitz von Grützners Sohn Karl Eduard über, der dort mit seiner Frau Gisela lebt.

1937 München * Die Nationalsozialisten feiern den "Rückgang der Viel-Leserei".

Die Buchentleihungen und die Zahl der Lesesaal-Besucher ist seit der Machtübernahme um mehr als 30 Prozent zurückgegangen.

Februar 1937 München * Karl Valentin schmückt einen Festwagen für den "Münchner Faschingszug".

Darauf türmt sich ein Verkehrsschilderchaos. Darunter steht geschrieben: "I kenn mi nimmer aus".

Mitten zwischen den Verbots- und Gebotsschildern steht ein einsamer Wegweiser: "Nach Dachau".

22. Juli 1937 München * Am 22. und 23. Juli 1937 findet die Hauptverhandlung vor dem Sondergericht Münchenstatt. Pater Rupert Mayer wird wegen Kanzelmissbrauchsund Verstoß gegen das Heimtückegesetzzu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Die Haftstrafe muss der Verurteilte nicht absitzen, weil er sich laut Urteilsbegründung, "im Felde äußerst tapfer benommen hat" sowie "schwer kriegsbeschädigt ist".

Obwohl Rupert Mayer als Überzeugungstäter eingestuft wird ("... sich der Angeklagte bewußt war, daß das Kirchenvolk seinen Äußerungen eine weit stärkere Bedeutung beimaß als den Äußerungen irgendeines mehr oder weniger bekannten Geistlichen."), zögert der NS-Staat, wegen dessen Popularität und der Machtstellung der katholischen Kirche noch härter gegen den Priester vorzugehen.

25. Juli 1937 München * Karl Valentin beklagt sich in einem Brief an Hans H. Zerlett, dem Regisseur des Films Im Schallplattenladen, über seine eigene finanzielle Lage. Darin greift er Heinz Rühmann an:

"Herr Rühmann (bitte um Diskretion) spielt jährlich mindestens drei Filme á 20.000.- Mark.Seine Frau soll nicht arischer Abstammung sein.Warum hat [...] dieser Mann den Vorzug?Soll ich mich noch scheiden lassen und eine andersrassige Dame heiraten?"

November 1937 München-Geiselgasteig * Erich Engels führt Regie in dem 20-Minuten-Film "Ewig Dein" mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt.

Gedreht wird in Geiselgasteig.

Seite 682/814 Der Film ist bis auf ein 58 Meter langes Fragment verschollen.

Um den Dezember 1937 München-Au - New York * Der von Ludwig Weinberger gestaltete "Bugatti Royale" erleidet infolge eines eingefrorenen Kühlsystems einen kapitalen Motorschaden.

Schließlich gelangt der Wagen auf einen Schrottplatz in der Bronx.

Dezember 1937 München * Im "Arri-Atelier" entsteht der Werbefilm "Braunkohlesyndikat" mit Karl Valentin und Liesl Karlstadt.

Der Film ist verschollen.

Um 1938 München-Geiselgasteig *Nicht sicher ist der Entstehungszeitpunkt des Valentin-Karlstadt-Kurzfilms "Der Antennendraht/Im Senderaum".

Regie führtJoe Stöckl. Er könnte aber bereits 1937 entstanden sein.

1938 München-Maxvorstadt *Rudolf Ritter und Edller von Pauer ist Eigentümer der "Villa Freundlich" an der Brienner Straße 43.

1938 München-Maxvorstadt * Das "Herzog-Max-Palais" wird von den Nazis für den Neubau der "Reichshauptbankstelle" abgerissen.

Damals nimmt man die von Robert von Langer geschaffenen Fresken im Empfangssaal ab und transportiert sie in das "Haus des Deutschen Rechts".

Noch vor den ersten Bombenangriffen verkleidet man die Fresken aus Angst vor Zerstörung. Dabei geraten sie in Vergessenheit.

1938 München-Großhesselohe * Mitglieder des "Cowboy Clubs München Süd" drehen ihren eigenen Film mit dem Titel "Pecos Kid". Regie führt Kurt Ulrich.

Um 1938 München * Nicht sicher ist der Entstehungszeitpunkt des Valentin-Karlstadt-Kurzfilms "Der Antennendraht/Im Senderaum".

Seite 683/814 Regie führte Joe Stöckl. Der könnte bereits 1937 entstanden sein.

Nach dem 22. Januar 1938 München-Ludwigsvorstadt * Vertrauliche Verhandlungen zwischen der Sonderbaubehörde Ausbau der Hauptstadt der Bewegungund der evangelischen Landeskücheüber den Abbruch der Matthäuskirche aus verkehrstechnischen Gründenbeginnen.

14. Februar 1938 München-Lehel * Adolf Hitler entwickelt im Atelier des Münchner Stadtbaurates Hermann Reinhard Alker die Vorstellungen zum "Haus der Deutschen Architektur".

Dieses Ausstellungsgebäude sollte genau gegenüber dem "Haus der Deutschen Kunst" entstehen, aber keineswegs "ähnlich concipiert", wenn auch gleichartig in Stein und Farbe und mit 21 Säulen. Nach einer vorliegenden Projektskizze hätte der Baukunsttempel noch einige Meter breiter werden sollen als der Synchronbau auf der anderen Straßenseite. Auf zwei hohen Sockeln sollten "Sphinxe" wachen wie vor den "Pyramiden von Gizeh".

1. Mai 1938 München-Ludwigsvorstadt * Uraufführung der Valentin-Karlstadt-Groteske "Der Umzug" im "Deutschen Theater", Schwanthalerstraße 13.

Das NS-System zensiert den ursprünglichen Schluss des Stücks, als ein Abrissbagger auf die Bühne rollt. Das Stück wird insgesamt 78 Mal aufgeführt.

9. Juni 1938 München - München-Ludwigsvorstadt * Gegen 18:00 Uhr wird auf einer Besprechung im Bayerischen Innenministeriumdem Pfarrer Friedrich Loy mitgeteilt, dass die evangelische Matthäuskircheumgehend abgerissen werden soll.

Um 22:00 berät die Kirchenverwaltung der Matthäuskirche, unter welchen Bedingungen sie sich zum Abbruch der Kirche bereit erklären kann.

10. Juni 1938 München - München-Ludwigsvorstadt * Am Vormittag beschäftigt sich der Landeskirchenratmit den Abrissplanungen der Matthäuskircheund bestätigt und ergänzt die Beschlüsse der Kirchenverwaltung der Matthäuskirche.In einer Besprechung im Innenministeriumum 13 Uhr werden die Beschlüsse dargelegt.

Am Abend wird die evangelische Gemeinde benachrichtigt, dass das Innenministeriumbereits eine Abrissfirma beauftragt hat. Die Abbrucharbeiten sollen am 13. Juni beginnen.

10. Juni 1938

Seite 684/814 München * Die IHK Münchensetzt die Cenovis-Werkeunter Druck und verlangt, dass das Unternehmen bis zum 31. Juli 1938 nach dem Erlassdes Reichswirtschaftsministeriumsvom März 1938 "umzustellen" ist. Ansonsten wird die Gesellschaft aus dem Verzeichnis der nichtjüdischen Betriebegestrichen.

Zusätzlich fordert die Hauptvereinigung der deutschen Brauwirtschafteine Bestätigung des Gauwirtschaftsberaters, wonach die Firma "in jeder Hinsicht als ein rein arisches Unternehmen angesehen werden kann". Bis zur Erfüllung der Forderung lehnt der Brauwirtschaftsverbandab, Malzabholscheinebei den Cenovis-Werkeneinzulösen.

11. Juni 1938 München-Ludwigsvorstadt * Der evangelischeLandesbischofDr. Hans Meiser interveniert am Vormittag gegen den Abriss der evangelischen Matthäuskirche. Da Meiser unter den gegebenen Umständen sich weiteren Verhandlungen verweigert, zieht das Innenministeriumden Auftrag an die Baufirma vorläufig zurück.

Um 16 Uhr erklärt sich GauleiterAdolf Wagner bereit, auf die vom Landeskirchenraterarbeiteten Forderungen einzugehen.Als vorläufiger Versammlungsraum wird der Matthäus-Kirchengemeindeder Weiße Saalin der ehemaligen Augustinerkirche, der inzwischen zum Polizeipräsidiumgehört, zugesichert.

13. Juni 1938 München-Ludwigsvorstadt * Um 20 Uhr wird der Abschiedsgottesdienstfür die evangelische Matthäus-Kirchengemeindemit einer Predigt des Pfarrers Friedrich Loy abgehalten. Noch während des Gottesdienstes werden die Abbruchgerüste aufgebaut.

14. Juni 1938 München-Ludwigsvorstadt * Die Kult- und Kunstgegenstände werden aus der evangelischen Matthäuskircheentfernt.Die Abrissarbeiten beginnen.

6. Juli 1938 München-Ludwigsvorstadt * Die Abbrucharbeiten an der evangelischen Matthäuskirchesind beendet. Auf dem Gelände befindet sich jetzt ein Parkplatz.

8. Juli 1938 München * Martin Bormann, Stabsleiter im Braunen Haus, verlangt die genaue

Erfassung jüdischer Hauseigentümer, an Nicht-Juden vermietete Wohnungen von jüdischen Hauseigentümern, an Juden vermietete Wohnungen, eigenen Wohnraum und leerstehende Wohnungen, um so eine planmäßige Lösung von Mietverhältnissen mit Juden möglich zu machen, eine Einengung zu erreichen, mehrere Familien in größere jüdische Wohnungen zusammenzulegen, Juden von Nicht-Juden zu trennen und

Seite 685/814 dabei möglichst keine Ghettobildung zuzulassen".

13. Juli 1938 München-Au * Die Cenovis-Werke schreiben an die IHK München die Zeilen: "[?] teilen wir Ihnen hierdurch mit, dass die Gesamtanteile an unserer Gesellschaft nunmehr in arischen Besitz übergegangen sind. Die Cenovis-Werke GmbH in München sind infolgedessen sowohl in personeller wie auch in kapitalmässiger Hinsicht eine reine arische Unternehmung". Dann folgte das obligatorische "Heil Hitler" und die Unterschrift "Altenrath".

Dr. Julius Schülein kann gerade noch rechtzeitig vor der sogenannten Reichs-Kristallnacht in die USA emigrieren.

30. Juli 1938 Schloss Nymphenburg * Die dritte Nacht der Amazonenfindet statt. Wieder kommen 12.000 Zuschauer. Pünktlich um 21 Uhr beginnt der Remmidemmi im Nymphenburger Schlosspark, dessen Motto lautet: "Hochzeit des Kurprinzen Max". Sechzehn Amazonenzu Pferd treten auf. Ihre Brüste wippen beim Galoppierenderart, dass man Schlimmstes befürchtet und sich daher mit dem gemütlicheren Trabbegnügt.

9. September 1938 München-Maxvorstadt * Der Haidhauser BrauereigründerJoseph Schülein stirbt.

Oktober 1938 München * Nachdem die Familie Haas ihren "Antrag auf Ausreise" gestellt hat, wirddie "Reichsfluchtsteuer" auf 125.000 RM festgesetzt.

Das entsprichtdem Wert des Immobilienbesitzes.

Als es dann im Oktober 1938 zum Verkauf an die "Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands, Landesstelle München" kommt, wird der Wert der Häuser von den staatlichen Prüfern auf nur mehr 45.000 RM festgesetzt. Damit geht der Kauf für ein Butterbrot über die Bühne.

Die finanziellen Belastungen der "Reichsfluchtsteuer" bleiben dennoch bestehen. Daneben werden der Familie Hass noch alle wertvollen Gegenstände abgenommen.

9. November 1938 München-Graggenau * Nach Bekanntwerden des Todes von Ernst vom Rath hält ReichspropagandaministerJoseph Goebbels umgehend eine antisemitische Hasstiradein der er zur Rache und zur Vergeltung am Weltjudentumaufruft.

Die Nationalsozialisten sind bestens vorbereitet, denn noch kurz vor Mitternacht ergeht ein Fernschreiben an alle deutschen Polizeistellen. Darin heißt es:

"Es werden in kürzester Frist in ganz Deutschland Aktionen gegen Juden, insbesondere gegen deren Synagogen

Seite 686/814 stattfinden. Sofern sich in Synagogen wichtiges Archivmaterial befindet, ist dieses durch eine sofortige Maßnahme sicherzustellen. Es ist vorzubereiten die Festnahme von etwa 20.000 bis 30.000 Juden im Reiche. Es sind auszuwählen vor allem vermögende Juden."

Der SS-Gruppenführerund Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, präzisiert die Befehle in einem weiteren Fernschreiben.

Dort ist zu lesen, dass die Polizei und die Dienststellen der NSDAP gemeinsam die Demonstrationenleiten sollen. Und: "Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die eine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums nicht mit sich bringen. Zum Beispiel Synagogenbrände nur, wenn keine Brandgefahr für die Umgebung ist".

Durch ein im Jahr 1937 angefertigtes Verzeichnis der Münchner jüdischen Gewerbebetriebewissen die NS-Parteiorgane und Schlägertrupps genau wo sie zuschlagen und so die "verbrecherische Tat des jüdischen Mordbuben" rächen müssen.

9. November 1938 München * Noch in der Nacht finden - unter passiver Anteilnahme sehr vieler Schaulustiger - die seit längerer Zeit geplanten Ausschreitungen gegen die Juden statt.

In München werden ein Jude ermordet sowie 900 Menschen verhaftet und in das Konzentrationslager Dachaugebracht. Rund 700 Geschäfte und Betriebe werden demoliert und die Synagogenin der Herzog-Rudolf-Straße und in der Reichenbachstraße zerstört. Die Münchner Hauptsynagogewar bereits im Juni 1938 abgerissen worden.

Die Bilanz dieser später auch noch beschönigend "Reichskristallnacht" genannten Juden-Pogromebedeutet für Deutschland:

91 Ermordete, zahllose Verletzte, Misshandelte und Vergewaltigte, 191 zerstörte Synagogen, 7.500 zerstörte und ausgeraubte Geschäfte, Verwüstung unzähliger Wohnungen und fast aller jüdischer Friedhöfe, rund 30.000 Einlieferungen in Konzentrationslager.

Die reichsweit organisierten antijüdischen Ausschreitungen dauern auch noch am 10. November an.

Seite 687/814 Seit 1939 München-Maxvorstadt * In der "Klopfer-Villa" an der Brienner Straße 41 befinden sich zusätzlich Büros der "Reichsleitung der NSDAP".

Ab 1939 München-Maxvorstadt * Zwischen 1939 und 1941 lassen sich in dem Anwesen Richard-Wagner-Straße 11 insgesamt 22 jüdische Menschen nachweisen, die hier untergeracht worden sind.

Es handelt sich ausnahmslos um Personen, die aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben worden sind und von der Richard-Wagner-Straße 11 aus entweder ins Altenheim wechselten oder ins "Sammellager Milbertshofen" an der Knorrstarße gebracht werden.

1939 München-Untergiesing * Das "Brausen- und Wannenbad" an der Pilgersheimerstraße 5, das sogenannte "Untergiesinger Tröpferlbad", wird wegen der geplanten Erweiterung des Bahnstrecke abgebrochen.

1939 England * Zu Kriegsbeginn wird Gerhard Haas, der Enkel Joseph Schüleins, als "Deutscher Kriegsfeind" in einem "Internierungslager" gefangen gehalten.

Das Lager wird nach Kanada verlegt, von wo aus Gerhard Haas nach Cuba fliehen kann. Dort wartet er bis 1941 mit vielen tausend Flüchtlingen aus Deutschland auf sein Visa für die Einreise in die USA.

Ab Januar 1939 München-Bogenhausen * Obwohl Elisabeth Braun am 4. Oktober 1920 der "Evangelisch-lutherische Kirche" beigetreten war, muss sie ihrem Vornamen den Zusatz "Sara" hinzufügen.

1. Januar 1939 Berlin * Alle deutschen Juden mussten als zweiten Vornamen "Sara" oder "Israel" annehmen und in ihre Ausweise eintragen lassen. Ab diesem Zeitpunkt mussten sie ihre Briefe mit dem diskriminierenden Vornamen unterzeichnen, Briefköpfe, Praxisschilder und ähnliches ändern und ergänzen.Verstöße werden mit Gefängnishaft bestraft.

9. März 1939 München-Lehel * In einer Vormerkungan OberbürgermeisterFiehler wird neben den Problemen der Finanzierung des Hauses der Deutschen Architekturauch die Räumung der Wohnungen und Unterbringung der Mieter angesprochen. "Durch Zusammenlegung der Juden [Münchens] in insgesamt 800 Wohnungen würden 1000 Wohnungen frei", lautetdie Empfehlung für die Entmietung, die nach Anordnung Hitlers ohne Härte [!] vor sich gehen sollte.

23. April 1939

Seite 688/814 Augsburg * Während eines Gastspiels mit Karl Valentin im "Apollotheater" in Augsburg bricht Liesl Karlstadt zusammen.

Daraufhin zieht sie sich von der Bühne zurück.

Karl Valentin lässt umgehend Annemarie Fischer aus München kommen und besetzt die Karlstadt-Rolle bis zur Beendigung des Engagements am 30. April mit ihr.

14. Mai 1939 Berlin * Aus Anlass der Muttertagsfeiernwerden erstmals "Ehrenkreuze der deutschen Mutter" an kinderreiche Frauen verliehen.Frauen mit vier bis fünf Kindern erhalten den Mutterordenin Bronze, für mehr als sechs Kinder gibt?s den Orden in Silber, und für mehr als acht Kinder wird das Mutterkreuzin Gold vergeben. Die Orden hängen an einem blauen Band mit der Aufschrift: "Das Kind adelt die Mutter".

Hinter vorgehaltener Hand wird das Mutterkreuzauch als "Karnickelorden" bezeichnet. Nationalsozialistische Politik drängt die Frauen zurück an Herd und Kinderbett.Außerhalb des Hauses gelten Frauen nur wenig.

ReichspropagandaministerJoseph Goeppels meint zur Rolle der Frau:"Die Frau hat die Aufgabe, schön zu sein und Kinder zur Welt zu bringen. [...]Die Vogelfrau putzt sich für den Mann und brütet für ihn die Eier aus."

9. Juni 1939 München-Maxvorstadt * Pater Rupert Mayer gibt anlässlich einer Vorladung bei der Gestapofolgende schriftliche Erklärung ab:

"Ich erkläre, daß ich im Falle meiner Freilassung trotz des gegen mich verhängten Redeverbotes nach wie voraus grundsätzlichen Erwägungen heraus predigen werde. Ich werde auch weiterhin in der von mir bisher geübten Art und Weise predigen, selbst dann, wenn die staatlichen Behörden, die Polizei und die Gerichte meine Kanzelreden als strafbare Handlungen und als Kanzelmißbrauch bewerten sollten."

Um Juli 1939 München-Bogenhausen * Mit der "Gleichschaltung" der Studentenverbindungen verliert das "Corpshaus der Suevia" in Bogenhausen seinen Zweck.

Es wird um 350.000 Reichsmark an die Stadt München zur Unterbringung der "Meisterschule für Mode" verkauft.

September 1939 München-Theresienwiese * Willy Heide erinnert sich: 16 stramme Ochsen stehen schon für den Verzehr auf der "Wiesn" bereit.

Doch dann bricht der Zweite Weltkrieg aus. "Der Papaa hat alle schlachten lassen miassn und in Büchsen einmachen. Da hat?s lang a Stammessen geb?n im Heide-Volm".

Seite 689/814 3. September 1939 London - Paris - Berlin * England und Frankreich erklären Deutschland den Krieg.

19. September 1939 Augsburg - Ried ? Am 19. September 1939 verlässt Liesl Karlstadt Augsburg und zieht ins Erholungsheim St. Vinzenz in Ried bei Pfronten. Hier verbringt sie die Zeit bis Weihnachten.

Um Oktober 1939 München-Maxvorstadt * Um den "großen Einfluß des Theologieprofessorenzirkels auszuschalten" schließen die braunen Machthaber das "Georgianum".

1. Oktober 1939 München-Lehel * Die Schack-Galeriewird in das Eigentum Bayerns überführt. Die Gemälde werden kurz nach Kriegsbeginn in Klöstern und Schlössern im bayerischen Oberland in Sicherheit gebracht.

Nach dem 8. November 1939 München-Kreuzviertel * KardinalMichael von Faulhaber schreibt nach dem Attentat von Georg Elser auf Adolf Hitler im Bürgerbräukellerdiesem ein Telegramm und beglückwünscht ihn zu seiner "glücklichen Rettung". Zudem bittet er Gott, "er möge auch ferner seinen schützenden Arm über Sie halten".

8. November 1939 München-Haidhausen * Die von Georg Elser im Bürgerbräukellerinstallierte Bombe explodiert zum vorgesehenen Zeitpunkt, doch Hitler verlässt die Veranstaltung der "Alten Kämpfer" dreizehn Minuten zu früh.

9. November 1939 München * Nach dem Attentat auf Hitler im Bürgerbräukellerwird die kirchliche Presse angewiesen, das "besondere Walten der Vorsehung" hervorzuheben.

19. November 1939 München * Das Evangelische Gemeindeblattdruckt ein "Dankgebet für die Bewahrung Adolf Hitlers" beim Attentat im Bürgerbräukellerab.

1940 München-Bogenhausen * Eine Dienststelle des Lebensborn e.V.ist in der Cuvilliésstraße 22 untergebracht. Vorteilhaft ist die Nähe zur Bürgermeister-Villain der Ismaninger Straße 95, die ab 1941 ebenfalls als Lebensborn-Dienststellegenutzt wird.

1940 München-Maxvorstadt * Die Stadt München konfisziert das Haus in der Richard-Wagner-Straße 7 und übergibt es

Seite 690/814 bald darauf an das Kuratorium für das Braune Band von Deutschland.

Um 1940 Europa * Im "Deutschen Reich" (einschließlich Österreich) besitzt der "Lebensborn e.V." neun "Entbindungsheime" und zwei "Kinderheime".

Für die Geburt unehelich gezeugter Kinder deutscher Besatzungstruppen eröffnet der "Lebensborn e.V." in Belgien, Frankreich, Luxemburg und Norwegen insgesamt zwölf "Entbindungsheime".

Alleine in Norwegen kommen 8.000 bis 9.000 Kinder zur Welt. Jedes "Lebensborn-Heim" besitzt ein eigenes "Standesamt" und eine "polizeiliche Meldestelle".

Ab 1940 München-Untergiesing * Im Zweiten Weltkrieg missbraucht man das "Schyrenbad" als "Sammelstelle zur Möbelbergung" für die ausgebombten Untergiesinger Bürger.

1940 Großbritannien * Wie viele Emigranten hatte auch die Familie Haas unter der fremdenfeindlichen englischen Politik zu leiden.

Es werden keine Arbeitserlaubnis für deutsche Ärzte erteilt. Hinzu kommteine unverblümt antisemitischeStimmung.

Dr. Alfred Haas gibt seine Bemühungen auf und emigriert mit seiner Frau in die USA.

15. Januar 1940 München-Kreuzviertel * Der ebenfalls geplante Abriss des jüdischen Gemeindehausesin der Herzog- Max-Straße 3-5 kommt nicht zur Ausführung. Die Gebäude werden daraufhin dem Rasse- und Siedlungs-Hauptamt der SSzur Verfügung gestellt.Daraufhin verlegt die Zentrale des Lebensborn e.V.ihren Sitz von der Poschinger Straße 1 in die Herzog-Max-Straße 3-7.

18. Januar 1940 Haar-Eglfing * Die ersten 25 Patienten werden aus der Heilanstaltin Haar-Eglfing in Bussen in die TötungsanstaltGrafeneck bei Münsingen im Landkreis Reutlingen gebracht. Noch am selben Tag werden sie dort ermordet.

Februar 1940 München-Isarvorstadt * Karl Valentin wird behördlicherseits aufgefordert, seinen Requisitenkeller im "Kolosseum" zu räumen, da dort ein Luftschutzkeller eingerichtet werden soll.

Aus Wut und Verzweiflung zerstört oder verschenkt er daraufhin seinen gesamten Bühnenfundus.

Seite 691/814 Kurz darauf wird ihm mitgeteilt, dass er den Raum nun doch weiterhin nutzen kann.

Ab dem 29. Mai 1940 München * Am 29. und 30. Mai 1940 regnete es in Strömen und ununterbrochen. Beim gewaltigsten Hochwasser derIsar stürzen 1.440 Kubikmeter Wasser in der Sekunde durch das Flussbett.

4. Juni 1940 München * Der erste Luftangriffauf München. München wird von sechs Luftangriffen heimgesucht. Diese bringen aber nur geringe Zerstörungen. Noch kursiert hier der Kinderreim:"Bomben auf Berlin / Rosen auf Wien / München wollen wir schonen / da wollen wir später wohnen". Von einem Krisenbewusstsein ist nichts zu spüren und die zunehmende Mobilisierung für Luftschutzübungenwerden von der Einwohnerschaft häufig nur als lästige Beeinträchtigung des gewohnten Lebensablaufes empfunden.

Noch immer glauben die Münchner dem PropagandaministerDr. Joseph Goebbels und dem Reichs-LuftmarschallHermann Göring, die dem Volk versprochen haben, dass kein feindliches Flugzeug nach Deutschland durchkommen wird.

Göring, der der Zivilbevölkerung den absoluten Schutz vor Bombenangriffen garantiert hat, will sogar "Meier" heißen, sobald ein feindliches Flugzeug deutsches Territorium überfliegen würde. Kein Wunder, dass der Oberbefehlshaber der Luftwaffeim Volksmund bald nur noch der "Herr Meier" war. Auch der Name Tengelmannist für ihn geläufig, "hatte er ja schließlich in jeder größeren Stadt Deutschlands eine Niederlage".

Die Münchner Stadtverwaltung macht sich dagegen mehr Gedanken und Sorgen, weil sie für München als Hauptstadt der Bewegungeine erhöhte Bombengefährdung sieht.

21. Juni 1940 München-Bogenhausen * Da Elisabeth Braun "infolge bestimmter persönlicher Bedrohungen" mit ihrem "vorzeitigen Ableben" rechnet, vermacht sie ihre irdischen Güter der Evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern rechts des Rheins.

7. August 1940 Ettal * Pater Rupert Mayer wird wegen seines bedrohlichen Gesundheitszustandes und auf Anordnung des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, für den Rest des Krieges ins Kloster Ettalverbannt. Er muss im Kloster leben, darf das Klostergelände nicht verlassen und keine Messen in der Öffentlichkeit zelebrieren.

1941 München-Untergiesing * An der Claude-Lorrain-Straße wird ein achteckiger, fensterloser "Hochbunker" gebaut, dessen Wände aus 2,40 Metern dicken Betonmauern bestehen, der nur über wenige Luftschlitze verfügt und in dem 450 "Schutzsuchende" Platz finden können.

Der Münchner Stadtverwaltung ist inzwischen mehrfach bewiesen worden, dass das "Abwehrfeuer" aus den "Fliegerabwehrkanonen", kurz "Flak" genannt, die alliierten Luftverbände nicht von den Bombenabwürfen abhalten kann.

Seite 692/814 Deshalb setzt man jetzt auf "Luftschutzräume", die angeblich Schutz vor jeder erdenklichen Gefahr bieten - so gegen Splitter detonierender Bomben und Geschosse sowie gegen den Einsturz eines Hauses. Als der sicherste Ort galt bei einem Luftangriff der Keller, dem angeblich auch "Sprengbomben" nichts anhaben können.

Aber was macht man in einem Stadtviertel, in dem nicht jedes Haus über einen massiv gebauten Keller mit "Luftschutzraum" verfügt und durch seine Nähe zur Isar kein Keller sein konnte? Die Antwort sind die übers Stadtgebiet verteilten "Hochbunker".

Im Erbauungsjahr des Untergiesinger "Hochbunkers" - 1941 - werden keine Bombenabwürfe vermeldet.

1941 München-Maxvorstadt * Dr. Ludwig Gilmer, ebenso "Facharzt für Chirurgie" wie Dr. Alfred Haas, übernimmt von der "Kassenärztlichen Vereinigung Deutschlands, Landesstelle München" beziehungsweise vom "Deutschen Reich" die Häuser Richard-Wagner-Straße 17 und 19.

Er betreibt dort eine "Entbindungsanstalt".

Die "Franziskanerinnen" werden durch sogenannte "Braune Schwestern" ersetzt.

April 1941 München * Mitten im Zweiten Weltkrieg zeigen die Nazis nochmals großes Entgegenkommen für Anton Graf von Arco auf Valley.

Der "Reichsjustizminister" ordnet an, dass die Verurteilung Arcos wegen Mordes aus der Strafliste zu streichen ist. Auch das Delikt einer Autofahrt im Zustand der Volltrunkenheit wird vom "Reichsjustizministerium" gnadenhalber nicht verfolgt.

Offenbar benötigt Arco wieder einen Führerschein, wozu ein blütenweißer Strafregisterauszug notwendig ist.

2. Juni 1941 London * Charlie Watts, der spätere Schlagzeuger der Rolling Stones, wird als Charles Robert Watts in Islington, London, England geboren.

24. Juni 1941 München-Bogenhausen * Der Lebensborn e.V.erwirbt die Bürgermeister-Villain der Ismaninger Straße 95 in Bogenhausen. Zu diesem Zweck genehmigt Heinrich Himmler die Aufnahme eines Kredits in Höhe von 750.000 RM.Die Villa wird zur Unterbringung von Lebensborn-Dienststellengebraucht, die in der Herzog-Max-Straße 3-7 keinen Platz mehr haben.So zum Beispiel die Krankenkassenabteilung.

In einem Rundschreiben vom 24. Juni 1941 wird die Eröffnung der Verwaltungsstellen als "Dienststelle Ismaningerstraße 95" bekannt gegeben. Unter der Anschrift Ismaninger Straße 95findet sich die einzige offizielle Eintragung des Lebensborn e.V.in einem Münchner Adressbuch.

Seite 693/814 18. August 1941 München-Bogenhausen - München-Berg am Laim * Elisabeth und Rosa Braun und einige Mitbewohner des Hauses Maria-Theresia-Straße 23 werden in die sogenannte "Heimanlage für Juden" in Berg am Laim, im Kloster der Barmherzigen Schwestern, eingewiesen.

20. November 1941 Kaunas/Litauen * Die 54-jährige Elisabeth "Sara" Braun wird nach Kaunas in Litauen gebracht und mit etwa 3.000 anderen Juden aus dem Hinterhalt mit Maschinengewehren niedergeschossen.

Ab Ende 1942 München-Bogenhausen * Da in der "Bürgermeister-Villa" in der Ismaninger Straße 95 Dienstwohnungen des "Lebenborn e.V." untergebracht werden, müssen die Büros in die Mathildenstraße 8/9 umziehen.

1942 München * Lion Feuchtwanger arbeitet zusammen mit Berthold Brecht an dem Drama "Die Geschichte der Simone Marchand".

26. Januar 1942 München-Maxvorstadt * Walter Klingenbeck wird verhaftet.

Er istMitglied einer kleinen oppositionellen katholischen Jugendgruppe, die Rundfunksender basteltund damit oppositionelle Nachrichten verbreitet. Außerdem verteilten sie Flugblätter und brachten Parolen an Gebäuden an.

Februar 1942 München-Bogenhausen * Im Auftrag des "Jesuiten-Ordensprovinzials" August Rösch nimmt Alfred Delp - als Experte für Fragen der Katholischen Soziallehre, insbesondere der Arbeiterfrage - Verbindungen zum "Kreisauer-Kreis" auf, um die Erneuerung des Staates auf der Grundlage der christlichen Soziallehre nach dem absehbaren Zusammenbruch des Dritten Reiches zu bewirken.

Die Gruppierung um Graf James von Moltke gewinnt bis 1944 an Breite.

Neben Priestern beiderlei Konfession, Offizieren, Adeligen und meist konservativen Politikern arbeiten auch Sozialdemokraten mit.

28. Februar 1942 Großbritannien * Brian Jones, der spätere Lead-Gitarrist der Rolling Stoneskommt als Lewis Brian Hopkin Jones zur Welt.

Seite 694/814 Mai 1942 München-Isarvorstadt * Das "Ludwig-Monument" auf der "Corneliusbrücke" wird - als einziges Königsdenkmal Münchens - abgebaut und in Hamburg zur Gewinnung von "kriegswichtiger Munition" eingeschmolzen.

Nur der Königskopf bleibt aus "Pietät" erhalten.

28. Mai 1942 Berlin * In der Vollstreckungsurkunde IVwird gemeldet:"Das Vermögen des Schülein ist auf Grund der elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 dem Reich verfallen."

4. Juni 1942 München-Lehel * Karl Valentin feiert im Ketterlseinen 60. Geburtstag. Liesl Karlstadt schreibt ihre eher unpersönlich gehaltenen Geburtstagsgrüße auf eine Autogrammkarte:

"Zum 60. Geburtstag gratuliere ich und wünsche dir alles Gute - Gesundheit und noch viele schöne Jahre.Möge dir alles in Erfüllung gehen, was du dir selbst wünscht. Deine Partnerin Liesl Karlstadt"

1. Juli 1942 Theresienstadt * Rosa Braun aus der Maria-Theresia-Straße 23 kommt nach Theresienstadt, wo sie am 4. März 1945 umgebracht wird.

18. September 1942 Berlin * Juden erhalten keine Fleisch-, Milch-, Raucher- und Weißbrotmarken mehr.

30. November 1942 München * Bruno Finkenscherer, der letzte Rabbinerder jüdischen Gemeinde in München schreibt:"In ganz Bayern leben noch 1.390 "Rassejuden", davon etwa 630 in München, von denen 171 in Berg am Laim in der Heimanlage Clemens-August-Straße Nr. 9 untergebracht sind.An Glaubensjuden gibt es in München noch etwa 300."

1943 New York * Der General-Motors-IngenieurCharles Chayne erwirbt den Bugatti Royalevom Schrottplatz in der New Yorker Bronx.

1943 München-Untergiesing * Die Braunauer Eisenbahnbrückewird durch Bomben beschädigt.

15. Februar 1943 München * Das sechste Flugblatt der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" wird fertiggestellt und versandt. Es

Seite 695/814 beinhaltet den Aufruf zum "Sturz des NS-Regimes" und fordert die Errichtung eines "neuen geistigen Europas".

Das Flugblatt wird später in England nachgedruckt und von britischen Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. Außerdem wird der Inhalt durch den Sender British Broadcast Corporation - BBCverbreitet.

18. Februar 1943 München-Maxvorstadt * Mitglieder der Widerstandsgruppe "Weiße Rose" verteilen etwa 1.700 Flugblätter in der Münchener Universität. Der Hausmeister, der die ganze Aktion beobachtet hat, meldet sie bei der Gestapo. Sophie und Hans Scholl sowie Christoph Probst werden verhaftet und ins Wittelsbacher Palaisgebracht.

26. Juli 1943 Dartford * Mick Jagger, der spätere Frontmann und Sänger der Rolling Stones, wird in Dartford in der Grafschaft Kent in England, geboren.

November 1943 München * Karl Valentin erhält von Dr. Hans Frank, dem "Generalgouverneur für Polen" eine Einladung vor bayerisch-österreichischen Soldaten in Krakau aufzutreten.

Karl Valentin lehnt dies mit mit Hinweis auf seinenschlechten Gesundheitszustand ab.

22. November 1943 Neuruppin * Jörg Hube, der spätere Schauspieler, Regisseur und Kabarettist, wird in Neuruppin in Brandenburg geboren.

18. Dezember 1943 Dartford *Keith Richards, Gitarrist und Songwriter der Rolling Stones, wirdin Dartford in der Grafschaft Kent in England, geboren.

7. Januar 1944 München-Graggenau * Der Fischbrunnenauf dem Marienplatzwird in derBombennachtweitgehend zerstört.

14. April 1944 München-Haidhausen * Die "Altöttinger-Kapelle" am Gasteig brennt in dieser Bombennacht vollständig aus.

15. April 1944 München-Graggenau * Die "Residenzpost" wird - mit Ausnahme von Klenzes Bogenhalle - bei Luftangriffen schwer beschädigt und brennt aus.

Nur die Fassade am Max-Joseph-Platz und die barocke Hausfront an der Residenzstraße bleiben erhalten. Das Innere, samt dem "schönsten Münchner Treppenhaus des Spätrokoko" wird zerstört.

Seite 696/814 24. April 1944 München-Lehel * Starke Zerstörungen bringen der "Anna-Klosterkirche" im Lehel die Luftangriffe des von den Deutschen begonnenen Zweiten Weltkriegs.

Bei einem Bombardement der alliierten Streitkräfte in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1944 wird die "Anna-Klosterkirche" ein Raub der Flammen. Ein mehrere Tage andauernder Brand zerstört fast die gesamte Inneneinrichtung, einschließlich der Stuckaturen und der Fresken. Lediglich die Außenmauern und das Gewölbe bleiben erhalten.

Das bedeutet, dass das heutige eindrucksvolle Aussehen des Kircheninneren "lediglich" einen Neubau aus der Zeit zwischen 1967 und 1979 darstellt.

25. April 1944 München-Au * Bomben zerstören die "St.-Wolfgangskirche" an der Balanstraße vollkommen. Lediglich der Kirchturm übersteht den Bombenhagel.

20. Mai 1944 Sheffield * Joe - eigentlich John Robert - Cocker wird in Sheffield (Großbritannien) geboren.

12. Juni 1944 München-Maxvorstadt * Eine Brandbombe zerstört den Dachstuhl des Hauses Richard-Wagner-Straße 13.

13. Juli 1944 München-Englischer Garten - Lehel * Der Chinesische Turmim Englischen Gartenwird von Bomben getroffen und brennt vollständig nieder.

28. Juli 1944 München-Bogenhausen * Gestapo-Agentennehmen Pater Alfred Delp nach der Frühmesse in der Bogenhausener Georgskirchefest und bringen ihn ins Wittelsbacher Palais.

18. August 1944 München-Bogenhausen - Berlin * "Kaplan" Dr. Hermann Joseph Wehrle wird im Bogenhausener Pfarrhof von der "Gestapo" verhaftet und im Nachtzug nach Berlin gebracht.

Nach dem 26. August 1944 München-Kreuzviertel * Das Attentat vom 20. Juli 1944bezeichnet KardinalMichael von Faulhaber als "furchtbares Verbrechen".In seiner Vernehmung vom 26. August "überschlug er sich geradezu in der Ablehnung und Verurteilung des Anschlags [...] und in seinem Treueverhältnis gegenüber dem Führer".

Seite 697/814 13. September 1944 Berlin * Das Gnadengesuchdes Freiherrn von Leonrod bringt KaplanDr. Hermann Joseph Wehrle in akute Gefahr. Im Hauptverfahrengegen ihn wird er zum Tode verurteilt. Das Urteil wird umgehend vollstreckt.

19. September 1944 München * München erlebt den schwerstenLuftangriff. Er hat 7.105 Brände zur Folge.

2. November 1944 Todmorden * Keith Emerson, Keyboarder und Pianist von Niceund Emerson, Lake and Palmer, wird in Todmorden, England, geboren.

Nach 1945 München * Die Brüder Hopp strengen einen Prozess zur Firmenauseinandersetzung und Auflösung der "oHG" an. Daraus entstehtfür jeden eine Firma:

Das Transhand-Möbelhaus, Inhaber Christian Hoppund die Transhand, Transport und Lagerei, vormals Falk & Fey, Inhaber Robert Hopp.

Bis 1945 München-Englischer Garten - Lehel * Der Zusammenfluss aller äußeren Stadtbäche wird - bis zur Kreuzung mit dem "Eisbach" - als "Schwabinger Bach" bezeichnet. Dieser Bachabschnitt wird seither "Eisbach" genannt. Er beginnt unter der Prinzregentenstraße mit der Vereinigung des "Stadtmühlbachs" und des "Stadtsägmühlbachs".

Genau umgekehrt ist es beim jetzigen "Schwabinger Bach". Er heißt bis 1945 "Eisbach". So heißt der Bachabschnitt ab der Galeriestraße nach dem Zusammenfluss von "Kögelmühlbach" und "Kainzmühlbach".

Ab der Kreuzung zwischen "Eisbach" und "Schwabinger Bach" besteht wieder die alte Namensgebung.

1945 München-Untergiesing * Die "Braunauer Eisenbahnbrücke" wird erneut durch Sprengungen beschädigt.

7. Januar 1945 München-Maxvorstadt * In der Bombennacht zum 8. Januar werden die Villa Freundlichan der Brienner Straße 43 und die Villa Klopferan der Brienner Straße 41 zerstört.

Seite 698/814 7. Januar 1945 München-Kreuzviertel * Nach mehreren Treffern brennt das Kaufhaus Oberpollingerin der Nacht zum 8. Januar vollkommen aus. Was nicht durch die Bomben zerstört ist, wird gestohlen.

15. Januar 1945 München * Alle die in einer sogenannten"Mischehe" lebenden arbeitsfähigen Juden sollen bis zum 15. Februar per Sammeltransport in das Ghetto Theresienstadtdeportiert werden.

19. März 1945 Berlin * "Reichskanzler" Adolf Hitler befiehlt:

"Alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlagen, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören". Und weiter: "Entgegenstehende Weisungen sind ungültig".

Für "Gauleiter"Paul Giesler istnun der Zeitpunkt gekommen, alle Isarbrücken Münchens zu sprengen.

20. März 1945 Giengen * Erhard Auer stirbt auf einem Transport in Giengen an der Brenz.

30. März 1945 Ripley * Eric Patrick Clapton wird in Ripley, Borough of Guildford, in Großbritannien geboren.

Der englische Blues- und Rock-Gitarrist und -Sänger ist 20-facher "Grammy"-Gewinner und als einziger Musiker dreifaches Mitglied der "Rock and Roll Hall of Fame".

Clapton prägte mit seinen Bands Yardbird und Cream sowie als Solo-Musiker die Entwicklung des Bluesrocks seit den 1960er Jahren wesentlich mit. Er gilt als einer der bedeutendsten Gitarristen.

April 1945 München-Neuhausen * Nach fünf Luftangriffen ist von der Firma "Transhand Transport- und Handels oHG, vormals Falk & Fey" nur mehr ein "Tempo-Dreirad-Lieferwagen" und zwei Lagerhäuser übrig geblieben.

24. April 1945 Berlin - München * "Reichsleiter" Martin Bormann schreibt an den "Münchner Gauleiter" und "Reichsverteidigungskommissar" Paul Giesler ein Telegramm mit dem Inhalt: "Verteidigen Sie Ihren Gau mit Rücksichtslosigkeit und Schärfe!"

Aus München sollte ein "positives Stalingrad" werden.

Seite 699/814 29. April 1945 München * Nur wenige Stunden bevor die amerikanischen Soldaten München besetzen, will ein Sprengkommando der Wehrmachtdie Ludwigsbrückezerstören. Ihre Erhaltung verdanken wir den Überredungskünsten des Kommissars der Landespolizei, Jakob Eder.

Ungehorsame Zivilisten retten durch ihren Einsatz die Großhesseloher Brückeund Bogenhausener Brücke.

Die Grünwalder Brücke,diejenige bei Föhring und die strategisch völlig unbedeutende Bosch-Brückeam Deutschen Museumfliegen aber dennoch in die Luft.

30. April 1945 München * Auf ihrem Vormarsch gegen die "Alpenfestung" befreien amerikanische Truppen München.

Die "Rainbow Division" besetzt Hitlers Wohnung am Prinzregenten Platz 16. Im Geldschrank finden die Amerikaner zwölf Exemplare der ersten Ausgabe von "Mein Kampf" mit Autogramm, jedoch keinerlei Wertsachen und Dokumente.

30. April 1945 München-Haidhausen * Mit dem "Einmarsch der Amerikaner" wird die "Villa Stuck" umgehendvon den US-Militärbehörden beschlagnahmt.

Da die unteren Räume für Bürozwecke zu dunkel sind, wollen die "Amis" die Wände weiß übertünchen. Diese Maßnahme kann gerade noch verhindert werden. Auch deshalb, weil die Besatzer ins Nachbarhaus umziehen.

30. April 1945 München * Die "Befreiung Münchens".

Amerikanische Truppen marschieren in der bayerischen Landeshauptstadt ein. Die Situation der Münchner folgendermaßen dar:

Es gibt mehr als 6.000 Bombentote. 82.000 zerstörte Wohnungen. 5 Millionen Kubikmeter Schutt mit einem Gesamtgewicht von 7 Millionen Tonnen. In 9 Stadtbezirken sind mehr als die Hälfte der Häuser zerstört. Hunderttausende Münchnerinnen und Münchner sind obdachlos. Die Münchner Straßen sind von 3.500 Bombeneinschlägen verwüstet. Die Gas-, Wasser-, Strom- und Telefonleitungen sind unterbrochen. 90 Prozent der Bahnanlagen sind zerstört. Die Münchner Straßenbahn ist die am schwersten beschädigte in allen drei Westzonen.

Nach Mai 1945

Seite 700/814 München-Obergiesing * Nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert sich im Obergiesinger Gasthaus "Schweizer Wirt" der "Hundemarkt", auf dem nicht nur die Hunde ihren Besitzer wechseln, sondern auch illegal arbeitende Hundemetzger ihre Opfer erstehen.

Im geräumigen, viereckigen Hof der Wirtschaft gibt es Hunde aller Größen und Rassen. Am Boden liegen Lattenroste, damit die Hunde trocken sitzen können. Je nach Temperament - schwanzwedelnd oder phlegmatisch - erwarteten sie ihr Schicksal. Kleinere Hunde sind in Körben untergebracht.

Trotz des warnenden Schildes "Annähern und Füttern der Hunde verboten, die Vereinsleitung übernimmt keine Haftung", wird jedes lebende Ausstellungsstück gestreichelt. Und die Ware informiert sich schnuppernd über die Kundschaft.

Jeden Samstag, zwischen 13 und 16 Uhr, herrscht hier ein ohrenzerreißendes Gekläffe und Gewinsel. Hier kann hier jeder seinen "Zamperl" verkaufen. Man muss nur die Platzgebühr - 30 Pfennig für einen jungen, 50 Pfennig für einen Hund über sechs Monaten - bezahlen können.

Veranstalter ist der "Verein Hundebörse", der das Geschäft bereits seit dem Jahr 1898 betreibt.

Ab Mai 1945 Bayern - Amerikanische Besatzungszone * Nach dem Einmarsch der Amerikaner in München holt man den "Scharfrichter" Johann Reichhart aus seinem Haus im Gleißental.

Er muss jetzt für die Besatzungsmacht arbeiten und auf Befehl der amerikanischen Militärregierung bis 1947 weitere 156 Hinrichtungen vollziehen.

Den "Mastersergant" Hazel Woods hat er in der "Kunst des schnellen Tötens am Galgen" einzuweisen.

Woods erhängt die im "Nürnberger Prozess" verurteilten "Hauptkriegsverbrecher".

Nach Mai 1945 München-Untergiesing * Nach dem Krieg verlegt die "Templer-Ordensgemeinschaft" ihren Sitz nach Untergiesing.

Sie mietet das "Anton-Ungerer-Palais" an der Birkenleiten 27, die Villa des Maschinenfabrik-Besitzers Joseph Ungerer.

Als dieser sein Anwesen an die "Landeshauptstadt München" verkauft, bezahlen die "Templer" die Miete an die Stadt.

4. Mai 1945 München ? Karl Scharnagel [CSU] wird von der amerikanischen Besatzungsmacht als Münchner Oberbürgermeister eingesetzt.

Nach Juni 1945

Seite 701/814 München-Englischer Garten * Der "Englische Garten" wird noch lange Zeit nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs intensiv landwirtschaftlich genutzt.

Auf dem "Hirschanger" werden 93.000 Kubikmeter Schutt gelagert. Die "Schönfeldwiese" ist von "Splitterschutzgräben" durchzogen. 680 Bombentrichter hat der Bombenkrieg alleine im "Englischen Garten" hinterlassen.

29. Juni 1945 Salzburg * Das Leben des Grafen Arco endet ebenso abrupt, wie sein Ruhm begonnen hat: Nach Kriegsende stirbt Anton Graf Arco auf Valley mit seinem Auto - für damalige Zeiten ein Zeichen seltenen Wohlstands - bei einem Verkehrsunfall.Kurz hinter Salzburg überholt er mit seinem Wagen ein Pferdefuhrwerk und stößt bei diesem Manöver mit einem entgegenkommenden Fahrzeug der amerikanischen Armee zusammen.

Um Juli 1945 München-Lehel * Nach der ersten Sicherung der Bausubstanz beginnt man nach dem Ende des Krieges mit der Eindeckung des neuen Dachstuhls der "Anna-Klosterkirche".

Anschließend wird das Gewölbe, das sich durch die Hitzeeinwirkung um 25 Zentimeter gesenkt hat, stabilisiert und die zerstörten Kapitelle nachgegossen. Aus den verbliebenen Resten komponieren die Mitglieder der Pfarrgemeinde einen fragmentarischen Hochaltar. Auch die Seitenaltäre werden in vereinfachter Form neu gestaltet.

20. November 1945 Nürnberg * Der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozessbeginnt. 24 Mitglieder der NS-Führung werden von den Alliierten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Es ist ein Medienspektakel ersten Ranges, aber kein Tribunal.

Um Dezember 1945 München-Maxvorstadt - München-Schwabing * Der Abriss des "Siegestores" wird beschlossen.

Ab dem 1946 München-Au - USA * Der von Ludwig Weinberger gestaltete "Bugatti Royale" wird vom "General-Motors-Ingenieur" Charles Chayne restauriert. Dabei werden zahlreiche Änderungen und Eingriffe vorgenommen.

Technisch gehört dazu

der Ersatz des einzelnen "Schebler-Vergasers" durch eine Anlage mit vier "Strombergvergasern" und die Umrüstung von mechanischen auf hydraulische Bremsen. Der Umbau der Bremsen erfordert andere Felgen, denn Bugatti hat die Trommelbremsen des Originals in die aus Guss-Aluminium gefertigten Felgen integriert, um die ungefederten Massen zu reduzieren. Charles Chayne setzt auf die neuen Stahl-Felgen eigens angefertigte, verchromte Radkappen.

Seite 702/814 Zu den äußerlichen Veränderungen gehört eine Umlackierung auf perlmutt-weiß mit schwarzen Akzenten, schwarzem Verdeck und ebensolchem Koffer.

Auch den Innenraum überarbeitet Charles Chayne nach seinen Vorstellungen.

1946 München * Die Hörfunkserie des Bayerischen Rundfunks "Es dreht sich um Karl Valentin" wird nach Protestbriefen aus Hörerkreisen nach der fünften Folge wieder eingestellt.

23. Februar 1946 Bonn * Konrad Adenauer, ein entschiedener Katholikund späterer Bundeskanzlerder Bundesrepublik Deutschland, schreibt an Pastor Bernhard Custodis in Bonn über die Bischöfe im Dritten Reichdie nachfolgenden Zeilen:

"Ich glaube, dass, wenn die Bischöfe alle miteinander an einem bestimmten Tage öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Stellung genommen hätten, sie vieles hätten verhüten können. Das ist nicht geschehen und dafür gibt es keine Entschuldigung. Wenn die Bischöfe dadurch ins Gefängnis oder in Konzentrationslager gekommen wären, so wäre das keine Schande, im Gegenteil. Alles das ist nicht geschehen und darum schweigt man besser."

Ab März 1946 München * Der Gebäudeschutt wird - professionell und systematisch - geräumt.

Mit Baggern und Flaschenzügen werden Mauerreste zum Einsturz gebracht, Sprengfirmen und das Sprengkommando der städtischen Feuerwehr sind im Einsatz, komplizierte Manöver plant die städtische "Bauwacht".

Mit einem Netz aus Kleinbahnen mit Dampflokomotiven und Kipploren werden die Trümmer beseitigt. Mit der "Bockerlbahn" wird der Schutt nach Sendling, zum Luitpoldpark und aufs Oberwiesenfeld gebracht, wo die großen "Schuttberge" entstehen.

26. März 1946 München-Maxvorstadt * Knapp zehn Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Zusammenbruchs des Dritten Reichs.- gibt Oberbürgermeister Karl Scharnagel - anlässlich des "Tages der Opfer des Faschismus" - bekannt, dass das Rondell zwischen Brienner Straße und Maximiliansplatz künftig den Namen "Platz der Opfer des Nationalsozialismus" tragen wird.

Seine Lage inmitten der Stadt und "vor allem die Tatsache, dass das Denkmal des großen deutschen Dichters Friedrich von Schiller trägt, der Freiheit und Menschenwürde in seinen Werken feierte", lassen diesen Ort "als Erinnerungsstätte besonders geeignet erscheinen".

Der Standort wird allerdings bewusst gewählt, denn schräg gegenüber - im 1944 zerstörten ehemaligen Wittelsbacher Palaisan der Brienner Straße 50 - befand sich das gefürchtete Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei.Das war das Zentrum der politischen Verfolgung.

Seite 703/814 Die Länge des Platznamens macht sein Aussprechen zwar praktisch unmöglich.Doch das macht nichts, denn der Platz dient nicht als Adresse.Er ist einfach ein Verkehrsknoten mit Grünfläche. Der Form halber hat er aber trotzdem eine Postleitzahl erhalten: 80333.

11. April 1946 München * Die Stadt München ruft die Bewohner zur freiwilligen Räumhilfe auf. 4.943 Personen melden sich.

Doch den Großteil der Räumarbeiten erledigen beauftragte sowie bezahlte Profis undkeine Freiwilligen, aber keine "Trümmerfrauen".

2. Mai 1946 München-Maxvorstadt * Die Benennung des "Platzes der Opfer des Nationalsozialismus" sorgt bei Münchnerinnen und Münchner, denen die "Befreiung" offensichtlich als Niederlage erscheint, für Unmut.

In der Nacht zum 2. Mai wird eines der neuen Namensschilder abgeschraubt und an seiner Stelle eines mit dem Namen "Platz der Opfer demokratischer Menschenverdummung" angebracht.

Doch nicht nur die ehemaligen Täter - auch viele andere wollen keine Diskussion über die Verbrechen. Oberst James Kelly, "Vorsitzender der US-Verwaltung", wünscht keine Aufarbeitung der Vergangenheit. Obwohl seine Aufgabe die Erziehung der Münchnerinnen und Münchner hin zur Demokratie ist, meint er, es istangebracht, von der vergangenen Zeit überhaupt nicht mehr zu sprechen und sie und ihre Ereignisse nicht mehr dauernd zu erwähnen.

Die Vorbehalte bleiben bis in die heutige Zeit. Dennoch wird der Platz zunehmend dazu genutzt, eine Gedenkkultur in München zu etablieren.

14. September 1946 München-Theresienwiese * Vertreter der Stadt und der Militärregierungeröffnen auf der Theresienwiese- statt des Oktoberfestes- ein Herbstfest. Statt des Märzenbieresgibt es Dünnbier. Gegen Abgabe bestimmter Markengibt es Brote, Wurst oder Backwaren. Die nicht mehr zeitgemäßen Schießbudensinddurch Ring- und Ballwurfbudenersetzt worden. Wiesn-Musikgibt es nur in einem der zwei Bierzelte.

Das Herbstfestist noch kein Oktoberfest, aber der Anfang ist gemacht. Für die Landeshauptstadt ist des Herbstfestein finanzieller Erfolg.

28. September 1946 München-Kreuzviertel * Die Dreifaltigkeitskirche bleibt tatsächlich als einzige Kirche der Münchner Innenstadt von der Wucht der Bomben des Zweiten Weltkriegs weitestgehend verschont.

Der Bericht des Dompfarrers K. Abenthum vom 28. September 1946 führt folgende Beschädigungen auf: "Dach über dem Querschiff abgebrannt; Sakristeianbauten größtenteils zerstört. [?] Kleinere Splitterschäden und Beschädigungen an der Putzarchitektur. Im Inneren: [?] Altargemälde ernsthaft beschädigt."

Seite 704/814 16. Oktober 1946 Nürnberg * Der MastersergantHazel Woods legt neun Hauptkriegsverbrecherndie Schlinge um den Hals. Es sind dies

der AußenministerJoachim von Ribbentrop; der Chef des Oberkommandos der WehrmachtWilhelm Keitel; der Chef der SicherheitspolizeiErnst Kaltenbrunner; der Reichsminister für die besetzten OstgebieteAlfred Rosenberg; der Generalgouverneur von PolenHans Frank; der InnenministerWilhelm Frick; der Herausgeber der antisemitischen Zeitung Der StürmerJulius Streicher; der Gauleiter von ThüringenFritz Sauckel; GeneraloberstAlfred Jodl und der Reichskommissar für die NiederlandeArthur Seyss-Inquart.

ReichsmarschallHermann Göring hat sich mit einer Zyankali-Kapsel am 15. Oktober 1946 seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen.

17. Oktober 1946 München-Obergiesing * In aller Frühe fahren Lastwagen der US-Armeeam Krematorium des Ostfriedhofesvor. Ihre Fracht besteht aus zwölf Särgen, von denen zwei leer sind. Angeblich befinden sich darin die Leichen von zwölf in einem Krankenhaus verstorbenen US-Soldaten, die nun unter der Aufsicht von Offizieren eingeäschert werden sollen. Tatsächlich enthalten die Särge die Leichen von neun in Nürnberg am Tag zuvor hingerichteten Hauptkriegsverbrechern:Es sind dies:

der AußenministerJoachim von Ribbentrop; der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht,Wilhelm Keitel; der Chef der Sicherheitspolizei,Ernst Kaltenbrunner; der Reichsminister für die besetzten Ostgebiete,Alfred Rosenberg; der Generalgouverneur von Polen,Hans Frank; der InnenministerWilhelm Frick; der Herausgeberder antisemitischen Zeitung Der Stürmer,Julius Streicher; der Gauleiter von Thüringen,Fritz Sauckel; der GeneraloberstAlfred Jodl und der Reichskommissar für die Niederlande,Arthur Seyss-Inquart.

Der zehnte Tote ist der ReichsmarschallHermann Göring, der sich am 15. Oktober 1946 seiner Hinrichtung durch Selbstmord entzogen hatte. In der Amtssprache hieß das:"Die Leiche Hermann Wilhelm Görings ist zusammen mit den Leichen der Kriegsverbrecher, die gemäß dem Urteil des Internationalen Gerichtshofes am 16. Oktober in Nürnberg hingerichtet worden sind, verbrannt und die Asche im geheimen in alle Winde verstreut worden."

1947

Seite 705/814 München-Bogenhausen * In den Räumen der Bogenhausener "Lauer-Villa" wird eine "jüdische Volksschule" und ein "hebräisches Gymnasium" eingebaut.

Das Wohngebäude dient daneben als Wohngebäude für jüdische "Displaced Persons".

8. Januar 1947 Brixton * David Bowie wird als David Robert Jones in Brixton/London geboren.

Mai 1947 Moosburg * Der "Scharfrichter" Johann Reichhart wird in das "Internierungslager Moosburg" gebracht, wo er im Kreis der Nazi-Prominenz auf sein Verfahren warten muss.

Diese sieht in ihm einen "amerikanischen Henkersknecht", der als "Vaterlandsverräter und Volksschädling" den Tod verdient.

Reichhart schneidet sich die Pulsadern auf, wird gerettet und von den Nazi-Bonzen erneut verfolgt. Die Ärzte retten wieder sein Leben.

15. Mai 1947 München-Au * Kardinal Michael von Faulhaber weiht die St.-Wolfgangs-Notkirchefür die Pfarrei ein, die die Brüder der Salesianer Don Boscosübernommen haben.

1. Juni 1947 Hillingdon * Ron Wood, späterer Gitarrist bei den Rolling Stones, wird als Ronald David Wood in Hillingdon, London geboren.

10. November 1947 Pool * Greg Lake, der spätere Bassist, Leadgitarrist, Sänger und Songwriter von Emerson, Lake and Palmer, wird in Pool, England, geboren.

1948 München-Maxvorstadt * Die Trümmergrundstücke, die sich im Eigentum der "Amper-Werke" an der Brienner Straße befinden, werden auf eigene Initiative geräumt.

1948 München-Obergiesing * Nach dem Weltkrieg wird das "Freikorps-Denkmal" von Unbekannten sang- und klanglos abgebrochen und wahrscheinlich zerstört.

10. März 1948 Nürnberg * Der Prozess gegen den "Lebensborn e.V." endet mit der Verkündigung des Urteils.

Seite 706/814 In den Prozessen konnte die Anklage nicht den Beweis erhärten, dass im "Lebensborn e.V." die "gelenkte Fortpflanzung" betrieben worden sei.

Die Richter sprechen den Verein sogar von der Beteiligung an Verbrechen frei und bestätigten ihm seinen gemeinnützigen Zweck, wonach es Heinrich Himmler und der "Lebensborn-Führung" darum ging, die "ledige Mutter und ihr Kind" vor der Diffamierung durch die Gesellschaft zu schützen. "Angestrebt wurde vielmehr, die soziale Stellung der Mutter und ihres Kindes zu erleichtern".

30. Juni 1948 München ? Die Amtszeit von Karl Scharnagel [CSU] als Münchner Oberbürgermeister endet.

12. Juli 1948 München-Maxvorstadt * In der Arcisstraße 12, im ehemaligen sogenannten Führerbau, wird das Amerikahauseröffnet. Nach dem am 27. Januar 1948 in den USA verabschiedeten "Smith-Mundt Act"sollte auch den Deutschen die amerikanische Lebensweise und die damit verbundenen politischen Ideale näher gebracht werden.

Die Amerikahäusersehen sich als Zentren der Positiven Propagandaund sollen dem Loslösen von nationalsozialistischen, später auch kommunistischen Leitbildern dienen und die Völkerverständigung fördern.

15. Oktober 1948 München * Um Hitlers Nachlass zu regeln, wird ein Verfahren vor der Spruchkammer Müncheneingeleitet.RechtsanwaltOtto Gritschneder übernimmt pro formadie Verteidigung des Ehepaares Adolf und Eva Hitler, geborene Braun,"in absentia".

Dabei wird der "Führer" als Hauptschuldigereingestuft und sein gesamtes Vermögen zugunsten des Landes Bayerneingezogen.Dazu zählen auch die Autorenrechte für "Mein Kampf".

Ein Antrag von Adolf Hitlers Schwester, Paula Wolf, auf Auszahlung des ihr im Testamentdes Bruders zugedachten Erbteileswird vom Gericht abgelehnt und das Testamentselbst für ungültig erklärt.

25. Januar 1949 München * Die Gründung des Bayerischen Rundfunks - BRerfolgt durch die Übergabe einer Lizenzurkundedurch den Direktor der US-Militärregierung, Murray Van Wagoner, an den bayerischen Schriftsteller Johannes Lippl und an Rudolf von Scholtz, dem Nachkriegsbürgermeistervon Passau und zugleich erstenIntendanten des Bayerischen Rundfunks.

Mit diesem offiziellem Akt wird das Ende von Radio Münchenals einem Sender der US-Besatzungsmachtformaljuristisch besiegelt. Der Bayerische Rundfunkbesitzt damit eine eigenständige Sendelizenzund kann dadurch relativ frei über Sendungsinhalte und Personalpolitik bestimmen.

28. Februar 1949 München * Der Bayerische Rundfunk - BRgeht als erster Sender in Europa über UKW auf Sendung.

Seite 707/814 Bis Mai 1949 Westdeutschland * In Westdeutschland werden durch die Alliierten etwa 750 Personen wegen Verbrechen unter dem nationalsozialistischem System hingerichtet.

24. Mai 1949 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Die Todesstrafewird durch das Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschlandmit Artikel 102 abgeschafft. Zwischen 1946 bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes werden 125 Todesurteile gefällt und davon 24 vollstreckt.

17. September 1949 München-Theresienwiese * Ein aus Sperrholz ausgesägter Löwe ziert das Löwenbräu-Festzeltund brüllt in kurzem Abstand: "Löööwenbrooiiii". Max Baumeister singt das Gebrüll ein und erhält dafür 100 Mark.

12. Oktober 1949 München-Isarvorstadt - Museumsinsel * Mit einem Gründungskongressim Deutschen Museumwird der Deutsche Gewerkschaftsbund - DGBvon 16 Branchengewerkschaftenins Leben gerufen. Der Bayerische Gewerkschaftsbund - BGBlöst sich zuvor als Landesorganisation auf und geht in den DGB-Bezirk Bayernüber. Das "Parlament der Arbeit" wählt den 74-jährigen Hans Böckler zu seinen Vorsitzenden.

Mit der Gründung des DGBwird auch die politische Spaltung der Arbeiterbewegungaus der Weimarer Republiküberwunden. Nun gilt das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, also einer parteipolitisch neutralen Organisation, die sich ausschließlich um Fragen der Arbeitnehmer*innen widmet.

1950 München * Hans Reichhart, der 23-jährige Sohn des "Scharfrichters" Johann Reichhart, nimmt sich das Leben.

Die Demütigungen die er ertragen musste und die Schande, die der Beruf des Vaters über die Familie gebracht hat, haben ihn verzweifeln lassen.

Ab 1950 München-Maxvorstadt * Dieter Hildebrandt kommt nach München, um hier an der "Ludwigs-Maximilian-Universität" Literatur- und Theaterwissenschaften sowie Kunstgeschichte zu studieren.

1950 München-Maxvorstadt * Ein Jahr nach der Gründung der BRD werden offizielle diplomatische Beziehungen mit Frankreich aufgenommen.

Das "Französische Konsulat" bezieht die Räume der Kaulbachstraße 13, die zuvor der NS-Ministerpräsident Ludwig Sieber bewohnt hat.

Das "Französische Konsulat" sieht ihre Hauptaufgabe in der Wiederbelebung der durch den Krieg zerrissenen kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich.

Seite 708/814 Seit 1950 München * Zwischen 1950 und 1970 besucht Dr. Hermann Schülein jeden Sommer "seine Heimatstadt München" und pflegt seinen großen Freundeskreis.

1950 Bundesrepublik Deutschland * Der bundesdeutsche Pro-Kopf-Verbrauch an Bier liegt bei 36 Liter.

Juli 1950 München-Maxvorstadt * Das Gebäude in der Richard-Wagner-Straße 3 wird in Anlehnung an das Eckhaus an der Brienner Straße als Verwaltungsgebäude errichtet.

Juli 1950 München-Maxvorstadt * Der Neubau für die "Amper-Werke Elektrizitäts AG" an der Brienner Straße/Ecke Richard-Wagner-Straße wird in Angriff genommen.

Architekt ist Heinz Schilling.

7. Juli 1950 München-Bogenhausen * Der Grundstein für ein zusätzliches Fabrikationsgebäude der Firma Togalan der Ismaninger-/Törringstraße wird gelegt.

16. September 1950 München-Theresienwiese * Die Armbrustschützengilde Winzerer Fähndlbezieht ein mit eigenem Geld finanziertes Bierzelt, das rund 500 Plätze fasst. Das Bierlieferungsrecht erhält die Paulaner-Thomas-Brauerei.

16. September 1950 München-Theresienwiese * Oberbürgermeister Thomas Wimmer zapft in der Schottenhamel-Festhalledas erste Wiesn-Fassan. Er braucht dazu 17 Schläge. Es gibt hier übrigens - bis 1952 - Hofbräuhaus-Bier.

20. Oktober 1950 Gainesville * Thomas Earl Petty, der spätere Frontman von Tom Petty & The Heartbreakers, wird in Gainesville in Florida geboren.

12. Dezember 1950 München-Berg am Laim * Die Familie Schülein verzichtet vor derWiedergutmachungsbehördeOberbayernoffiziell auf die Rückgabe ihrer Grundstücke in Berg am Laim.

1951 München-Maxvorstadt * Das "Ruinengrundstück" der ehemaligen "Klopfer-Villa" an der Brienner Straße 41 gehört

Seite 709/814 dem "Freistaat Bayern".

1951 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Das "Gesetz über das Wohnungseigentum" ermöglicht den Wunsch nach einer "dinglichen Sicherung von Wohnräumen für den Wohnungsinhaber".

Damit besteht erneut die Möglichkeit der Teilung von Gebäuden in "Brucheigentum".

13. Juni 1951 München-Lehel * Nachdem die Anna-Klosterkirche "für den praktischen Gebrauch" weiß getüncht worden ist, kann sie Kardinal Michael von Faulhaber feierlich wiedereröffnen.

2. Juli 1951 Berlin * Professor Dr. Ernst Ferdinand Sauerbruch stirbt in Berlin.

22. September 1951 München-Theresienwiese?Bis 1951 ist das Märzenbierdas ausschließliche Wiesnbier, bis die traditionsbewusste Augustiner-Brauereiihren Edelstoffausschenkt. Das höher vergorene, schlankere und süffigere Getränk erobert - in haustypischer Abwandlung der jeweiligen Brauerei - ein Wiesnzeltnach dem anderen.

22. September 1951 München-Theresienwiese?Die Bräuroslbekommt ein neues Zuhause.

1952 München * Der Bayerische Rundfunk startet unter dem Titel "Der Haushaltslehrling" eine neue Sendereihe mit Liesl Karlstadt als "Mutter Brandl".

Die Sendung läuft jeden Donnerstag und wird ein Riesenerfolg.

1952 München * Der "Verein Brauerei-Museum" wird gegründet.

Bis ihm das "Münchner Stadtmuseum" im Jahr 1963 den Platz zur Verfügung stellen kann, sammelt der Verein Anschauungsmaterial, Geräte, Modelle, Pläne, Fachliteratur, Urkunden und eine Vielzahl bildlicher Darstellungen.

Juli 1952 München-Graggenau * Der "Genießer-Brunnen" im Hof der Burgstraße 5 geht in Betrieb.

8. Juli 1952 München-Kreuzviertel * Straßenarbeiter bringen in der Neuhauser Straße den ersten ZebrastreifenDeutschlands

Seite 710/814 auf die Fahrbahn.

August 1952 München-Theresienwiese * Im Zusammenhang mit der geplanten Eintragung der Bezeichnung "Wiesen-Bier", "Wiesen-Märzen" und "Münchner Oktoberfestbier" als geschütztes Warenzeichen beim Patentamt bemüht sich der "Verein Münchener Brauereien e.V.", dass zum "Oktoberfest" nur die "Münchner Großbrauereien" zugelassen werden.

Seit 20. September 1952 München-Theresienwiese * Der Münchner Oberbürgermeister fährt beim Wiesn-Einzug der Festwirte und Brauereienin der Kutsche der FestwirtsfamilieSchottenhamel mit. Beim Trachtenumzugfährt er dagegen in einer eigenen Kutsche mit.

20. September 1952 München-Theresienwiese * Das Hofbräuhaus-Festzeltist erstmals auf der Wiesn.

20. September 1952 München-Theresienwiese * Der Oktoberfestausschussdes Münchner Stadtrats erteilt dem Löwen auf dem Löwenbräu-Festzelteinen Maulkorb, nachdem die sieben großen Wiesnbrauereienvereinbarten, dass akustische Brauerei-Reklameunzulässig sei.Der Löwe bleibt daraufhin stumm und wird von der Löwenbrauereimit einem gigantischen Schloss hinter einer Glasscheibe dekoriert.

1953 München-Graggenau * Dieter Hildebrandt legt am Münchner "Residenztheater" die Prüfung der Schauspieler-Genossenschaft ab.

1953 New York *Dr. Hermann Schülein, der ehemalige "Generaldirektor der Löwenbräu AG", übernahm in New York die Funktion des "managing directors" der "Liebermann-Rheingold-Brauerei".

Ihr Bierausstoß liegt im Jahr 1953 bei 3,5 Millionen Hektoliter und hat "Löwenbräu" weit überflügelt.

Vor dem 24. April 1953 München * Einige Münchner Firmen, darunter "C&A Brenninkmeyer" und "Salamander", wollen ihre Läden auch am Samstagsnachmittag nach 14:00 Uhr offen halten.

Dagegen wehren sich die Gewerkschaften und rufen zu Protesten auf.

1. Mai 1953 München-Maxvorstadt * Im Anschluss an die "Mai-Kundgebung" des "Deutschen Gewerkschaftsbundes - DGB" auf dem Königsplatz bewegt sich ein Protestzug mit Transparenten zum "freien Samstagsnachmittag" durch die

Seite 711/814 Luisenstraße in Richtung Bahnhofsplatz.

Da sich der Protestzug nach der polizeilichen Aufforderung nicht auflöst, greift die Staatsmacht auf der Höhe des "Luisenbunkers" mithilfe eines "Wasserwerfers" ein. Die mit Stahlhelm und Karabiner bewaffnete "Bereitschaftspolizei" löst mit Kolbenhieben den Protestzug auf.

Vom Wasserwerfer gejagt bricht der 59-jährige Bahnangestellte Georg Bachl an der Ecke Luisen-/Prielmayerstraße tot zusammen.

13. Juni 1953 München * Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBVund die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - DAGhaben zur Kundgebung für den Samstag-Nachmittag-Ladenschlussaufgerufen.

Der Protestmarsch bewegt sich vom Arbeitsamtin der Maistraße über den Sendlinger-Tor-Platz zum Stachus und von dort weiter in die Altstadt, wo er sich in der Kaufingerstraße vor C&A Brenninkmeyerstaut.Demonstranten blockieren im Inneren des Geschäfts die neumodernen Rolltreppen.

20. Juni 1953 München * Die Firmen C&A Brenninkmeyerund Salamanderhalten ihre Geschäfte - wie angekündigt - auch an diesem Samstag bis 17:00 Uhr offen. Etwa 10.000 Münchner protestieren gegen diese Maßnahme. Es kommt zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen.

Vier Hundertschaften der Bayerischen Bereitschaftspolizei- wieder mit Stahlhelm und Karabiner bewaffnet - versuchen unter Zuhilfenahme eines Wasserwerfers die Aufständischen zu vertreiben. Die Protestierer flüchten zwar beim Anblick des Wasserwerfers, doch wenn dieser nach fünf Minuten wieder zum Befüllen der Wassertanks in die Ettstraße fahren muss, sind die Demonstranten schon wieder da.

Nach Auffassung der Polizei ist der Wasserwerfer "das humanste Zwangsmittel der Polizei, er schafft keine Märtyrer, wie das vielleicht beim Gebrauch des Gummiknüppels der Fall wäre, sondern er macht lächerliche Gestalten aus den Demonstranten".

19. September 1953 München-Theresienwiese * Der 4,50 Meter große Löwe auf dem Löwenbräu-Festzeltdarf wieder brüllen. Die Öffentlichkeit hatte für die Maulkorb-Maßnahme des Stadtrats kein Verständnis gezeigt. Im Gegenteil, der brüllende Löwe war zu einem Wahrzeichen des Oktoberfestesgeworden. Gemeinsam mit der Löwenbrauereiprotestierten die Wiesnbesucher gegen den Maulkorb.

18. Oktober 1953 München-Angerviertel * Der Weiß-Ferdl-Brunnenam Viktualienmarktwird in Betrieb genommen.

18. Oktober 1953 München-Angerviertel * Der Karl-Valentin-Brunnenam Viktualienmarktwird in Anwesenheit von Liesl Karlstadt enthüllt.

Seite 712/814 1954 München-Au * Am "Karl-Valentin-Geburtshaus" in der Zeppelinstraße 41 wird eine Gedenktafel für den großen Komiker angebracht und von seiner langjährigen Partnerin Liesl Karlstadt eingeweiht.

Anwesend ist auch Schorsch Blädel und viele Fahnenabordnungen.

Die Tafel ist eine Stiftung der "Freunde des Nationaltheaters" unter Federführung der Süddeutschen Zeitung. Anlass ist die 100-jährige Eingemeindung der Au, Haidhausens und Giesings nach München.

1954 Kaltenberg * Dr. Fritz Schülein verkauft das "Schlossgut Kaltenberg" an Prinz Heinrich von Bayern und dessen Schwester Irmingard.

1954 Bonn * Dr. Hermann Schülein erhält das "Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland".

1954 München-Kreuzviertel * 2.000 Mitarbeiter kümmern sich im neugestalteten und renovierten "Kaufhaus Oberpollinger" um die Kundschaft.

Der Werbeslogan bringt es auf den Punkt: "Außen im vertrauten Kleid - Innen nach der neuen Zeit".

13. Februar 1954 München * Die Münchner Einzelhandelsgeschäfte sind mit den Gewerkschaften einig, dass die Geschäfte am Samstagnachmittag - mit Ausnahme des ersten Samstags im Monat - um 14:00 Uhr schließen.

Nur die Firmen "C&A Brenninkmeyer" und "Salamander" wollen ihre Geschäfte jeden Samstag bis 17:00 Uhr geöffnet halten.

20. Februar 1954 München * Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBVund die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft - DAGhaben wieder ihre Mitglieder mobilisiert. Ab 14 Uhr halten etwa 1.000 Demonstrant*innen die Zugänge der Filialen der Firmen C&A Brenninkmeyerund Salamanderbesetzt.

Gegen 16 Uhr wird die Kaufingerstraße von einer Hundertschaft der Polizei mit vorgehaltenem Karabiner, berittener Polizei und dem Wasserwerfer geräumt. Sechs Demonstranten werden verhaftet.

27. März 1954 München * Der DGB und die Einzelgewerkschaften haben zu einem neuen Protestmarsch mobilisiert, den das Verwaltungsgericht wenige Stunden vor Beginn der Veranstaltung auf Antrag des "Kaufhauses C&A Brenninkmeyer" verbietet.

Seite 713/814 Unabhängig davon setzt sich der Protestmarsch mit rund 2.000 Demonstranten von der Herzog-Wilhelm-Straße aus in Bewegung. Es kommt zur Eskalation mit der "martialisch auftretenden" Polizei, nachdem etwa fünfzig berittene Polizisten versuchen, die Demonstranten und Passanten in die Seitenstraßen abzudrängen.

Mehrere hundert Polizisten gehen mit ihren Karabinern gegen die Menschen vor, schlagen zum Teil auf diese ein und nehmen 53 Demonstranten fest. Schaufensterscheiben gehen durch Polizeipferde zu Bruch. Der berühmt-berüchtigte Wasserwerfer steht bereit.

Einige Demonstrantinnen und Demonstranten werden schwer verletzt, der Verkehr ist für Stunden unterbrochen, das normale Leben setzt erst in den Abendstunden wieder ein.

10. April 1954 München * Die Firmen "C&A Brenninkmeyer", "Salamander" und "Woolworth" halten ihre Geschäfte wieder offen.

5.000 Gewerkschafter demonstrieren durch die Neuhauser- und Kaufingerstraße zum Jakobsplatz. Sie ziehen an den geöffneten Geschäften lediglich vorbei und rufen dabei ihre Parolen.

Anfang Juni 1954 München * Die Gewerkschaften schließen mit "C&A Brenninkmeyer" einen Vergleich.

Die Firma verzichtet auf eine Entschädigung von 250.000 DMark und die Gewerkschaften entschuldigen sich für die Beleidigungen in einem Flugblatt vom 20. Februar 1954.

Und nachdem sich viele andere Groß- und Mittelbetriebe für Samstagnachmittags-Öffnungszeiten nach 14 Uhr aussprechen, bricht der Widerstand zusammen.

Der "Ladenschluss-Krieg" ist damit beendet.

11. Juli 1954 München-Graggenau *Der im Krieg schwer zerstörte Fischbrunnenwird unter Verwendung erhaltener Figuren neu gestaltet und wieder zum Fließen gebracht.

18. September 1954 München-Theresienwiese * Das Bräurosl-Festzelterhält eine neue Fassade, die an ein oberbayerisches Bauernhaus im Bundwerkstil erinnert. Die Fassade prägt bis heute das Gesicht derBräurosl.

1. Oktober 1954 München * Dr. Hermann Schülein nimmt an den Feierlichkeiten aus Anlass des 100. Jahrestages der Eingemeindung der Au, Giesings und Haidhausens nach Münchenteil.

Seite 714/814 1955 München-Maxvorstadt *Die "Isar-Amper-Werke AG" verfügen über das Anwesen Ecke Brienner Straße 41 und Richard-Wagner-Straße 3 und 5.

1955 München * Dieter Hildebrandt bricht seine Arbeiten an der Dissertation zur Erlangung des Doktortitels ohne Abschluss ab.

Dafür gründet er das Kabarett "Die Namenlosen" und hat damit erste Erfolge.

2. Februar 1955 München-Au * Der Cowboy Club München Südbittet um Baugenehmigung für ein Behelfsclubheim.Auf dem der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Grundstück von Frau Ida Krone, "da dadurch das bisher durch Lausbubenstücke und von lichtscheuen Elementen heimgesuchte Gelände unter schärfere Kontrolle fällt und der Rasen und Baumbestand gepflegt wird.Korrektes und ruhiges Verhalten wird die Nachbarschaft nicht belästigen". In einer Ranchwill der Verein einen Clubraum, einen Museumsraumfür die wertvolle Sammlung und einen Bibliotheksraumverwirklichen.

Die Cirkus-Krone-Verwaltunggenehmigt dem Cowboy-Clubdie Grundstücksnutzung für seine sportlichen und ideellen Zwecke, bis zum beabsichtigten Verkauf des Areals.Seither beherrschen Winnetou und Old Shatterhand den ehemaligen Schmederer-Garten. Eine alte Wehrmachtsbarackewird mit Hilfe der Pschorrbrauereiund hoher Eigenleistung zur Ranchumgebaut."Jeden Samstag und Sonntag sind 15 bis 20 Mann ganztägig da.Rund 2.000 Arbeitsstunden werden freiwillig und gern von den Clubmitgliedern geleistet."

In der Ranchbefindet sich der kostbarste Besitz des C.C.M.S., das Indianermuseum. In ihm ist alles Zubehör und Kleidung zu finden, die einen Indianer ausmachen.Köcher aus Büffelleder, Federhauben, Friedens-Pfeifen, Brautmokassins, mit perlenbestickten, bunten Schuhsohlen, sowie Kriegsbeilen, wie sie wirklich waren: schlicht und einfach. In einem eigenen lateinamerikanischen Glaskasten befindet sich ein Schrumpfkopf.

Oktober 1955 München-Haidhausen * Mit dem Bau der "Elisabethkirche" in der Breisacher Straße wird begonnen.

Dazu treten die "Frauen vom guten Hirten" einen Teil des Klostergartens ab. Wegen der Beschränktheit des Bauplatzes steht die Kirche etwas zurückgesetzt von der Straße. Nur der schlanke freistehende Turm wird zur Straße vorgeschoben, womit die beabsichtigte gute Sichtbarkeit erreicht wird. Der Turm nimmt auch die "Transformatorenstation" der Stadtwerke München auf.

Die Hallenkirche hat eine Länge von 32 und eine Breite von 25 Metern und besitzt am Altar eine Höhe von 17 Metern.

Ab dem Jahr 1956 München * Jeden zweiten Samstag ist Liesl Karlstadt um 16:40 Uhr als "Frau Brandl" in der Hörspielserie "Familie Brandl" im Radio zu hören.

Seite 715/814 1956 München-Schwabing * Dieter Hildebrandt gründet gemeinsam mit Sammy Drechsel die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft".

Das erste Programm trägt den Titel "Denn sie müssen nicht, was sie tun". Ihm folgen noch weitere 19.

Bis 1956 München-Graggenau * Nachdem die Ruine der "Residenzpost"weitgehend abgetragen ist, lässt die "Oberpostdirektion" bis zum Jahr 1956 einen modernen Neubau errichten, in den die restaurierte "Loggia" am Max-Joseph-Platz integriert wird.

Das Portal an der Residenzstraße wird abgetragen und ins Innere der "Schalterhalle" verlegt. In die neue, langweilige Fassade in der Residenzstraße presst man noch ein drittes Stockwerk hinein.

Die "Schokoladenseite" mit der "Kolonnade" kann hingegen nach Klenzes Plänen relativ preiswert restauriert werden.

1956 Bernried *Die Familie Haas verkauft ihren "arisierten" Besitz samt "Sommerhaus" in Bernried an den "Aufzugsfabrikanten" Vester.

10. Februar 1956 USA * Elvis Presley bringt seinen Song"Heartbreak Hotel" in die Plattenläden.

13. Juni 1956 Schloss Nymphenburg - München-Isarvorstadt * Die Statue von König Ludwig II. auf der Corneliusbrückeist im Mai 1942 ein Opfer der Kriegsindustrie geworden. Da sich bisher keine offizielle Stelle um die Wiederkehr eines König-Ludwig-Standbildes bemüht, bildet sich an Ludwigs 70. Todestag in Schloss Nymphenburgein Komitee, das den Freistaatund die Stadtauf den leeren Platz an der Isarbrücke hinweisen will.

18. August 1956 München-Au * Das Landratsamt Münchenübergibt ihre Räume am Lilienbergman die Regierung von Oberbayern, die in dem Haus die Verwaltung des Auswandererlagersunterbringt.

22. September 1956 München-Theresienwiese?Willy Heide übernimmt das Pschorr-Bräurösl-Festzelt.

18. November 1956 München-Haidhausen * Kardinal Joseph Wendel weiht die Elisabethkirchein der Breisacher Straße ein. Gleichzeitig bestimmt er abgegrenzte Teile der Pfarrei St.-Johann-Baptistund der Pfarrei St.-Gabrielals

Seite 716/814 Pfarrkuratie St. Elisabeth. Sie umfasst rund 7.000 Seelen.

1957 München * Ferdinand Schmid wird Geschäftsführer des "Vereins Münchener Brauereien".

Seither träumt er von einem "Biermuseum", in dem man die "Fertigung und Kulturgeschichte unseres Volksgetränks demonstriert, das man in Bayern auch das fünfte Element nennt".

Dieser Traum wird sich erst im September 2005 mit dem "Bier & Oktoberfestmuseum" realisieren lassen.

21. September 1957 München-Theresienwiese?Zum letzten Mal wird auf dem Oktoberfestauf den Vogelbaumgeschossen. Diese Form des Wettbewerbs wird aus Sicherheitsgründen eingestellt. Der Vogelbaumwird nach Lochhausen verlegt.

1958 München-Untergiesing - München-Isarvorstadt * Die Deutsche Bundesbahn baute die "Braunauer Eisenbahnbrücke" in ihre heutige Form um.

Dabei verbreitert man die Pfeiler in nördlicher Richtung und verschiebt eine Hälfte der Gitterträgerbrücke dorthin. Auf der südlichen Seite errichtet man zwei neue Fahrbahnen für die Eisenbahn. Den alten Brückenteil vermietet die Bundesbahn anschließend an den "Schlacht- und Viehhof", der ihn seither für Rangiermöglichkeiten für Viehtransporte benutzt.

Die Fachwerkkonstruktion an der stromabwärts gerichteten Seite der "Braunauer Brücke" ist noch im Original erhalten und stammt aus dem Jahr 1868.

Juni 1958 München * Zur "800-Jahr-Feier Münchens" trifft Dr. Hermann Schülein mit den "Rheingold-Girls"in München ein.

Die "Rheingold-Girls" bestehenauseiner Gruppe amerikanischer "Schönheitsköniginnen", die auf der jährlich von der "Rheingold-Brauerei" ausgerichteten Konkurrenz ausgewählt werden.

20. September 1958 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier betreibt in einer ehemaligen Reichsarbeitsdienstbarackedas Kleine Winzerer Fähndlauf der Wiesn. Beim Einzug der Wiesnwirtezieht der Wirt vom Straubinger Hofzieht mit einem Eselskarren in seine kleine Festhalleein.

"Ich hab? mir gedacht: Ich mit dem kleinsten Zelt, mit dieser Baracke - dazu passt doch keine Pferdekutsche beim Einzug."Also spannt er zwei Esel vor einen Leiterwagen.In der Sonnenstraße setzen sich die Esel einfach hin und stehen nicht mehr auf. Damit ist er der Letzte beim Wiesnwirte-Einzug. Hinter ihm nur noch die Polizei und die Straßenreinigung.

Seitdem dürfen sich keine Esel mehr am Einzug der Wiesnwirtebeteiligen. (Wohlgemerkt vierhaxige!)

Seite 717/814 20. September 1958 München-Theresienwiese- Lochhausen* Die Armbrustschützengilde Winzerer Fähndlrichtet im Auftrag des Bayerischen Sportschützenbundesund des Deutschen Sportschützenbundesdie Deutschen Meisterschaftenaus. Die Scheibenschießwettbewerbefinden auf der Wiesn, die Adler- und Sternwettbewerbein der Vogelanlage des Winzerer Fähndlsin Lochhausen statt.

1959 München-Schwabing * Hannes König gründet die "Münchner Volkssänger-Bühne".

Nach verschiedenen Spielorten findet sie in der "Max-Emanuel-Brauerei" ihren festen Auftrittsort.

Hannes König führt Regie, schreibt Stücke neu oder um und entwirft sowie gestaltet die Bühnenbilder.

10. Juni 1959 München-Haidhausen * Die aus zwei Marmorfiguren und einem Bronze-Kruzifix bestehende Kreuzigungsgruppewirdin der Grünanlage nahe dem ehemaligen Leprosenhausaufgestellt. Sein ursprünglicher Standort befand sich zuvor auf der gegenüberliegenden Straßenseite, beim heutigen Kulturzentrum.

19. September 1959 München-Theresienwiese * Rudolf Mrkva übernimmt die Ochsenbraterei.Damit verbunden ist die Tradition, den Namen des schmorenden Ochsen und das Gewicht auf einer Tafel neben dem Bratapparat zu vermerken.

1. Oktober 1959 München-Theresienwiese * Das Kleine Winzerer Fähndl, das Armbrustschützenzelt, ist in einem derart maroden Zustand, dass die Stadt in einem Bescheid deutlich macht, dass einer Aufstellung im kommenden Jahr aus Sicherheitsgründen selbst dann nicht zugestimmt werden kann, wenn Teile der Konstruktion erneuert würden.

1960 München-Maxvorstadt *Das Ruinengrundstück der ehemaligen "Villa Freundlich" an der Brienner Straße 43 gehört der "Süddeutschen Treuhandgesellschaft", von der es später an die Landeshauptstadt München übergeht.

1960 München-Haidhausen *Die "Nicolai-Kirche" am Gasteig wird im Inneren restauriert.

Dabei werden die drei vorhandenen Aläre entfernt und durch einen frühbarocken Altar aus dem Jahr 1691 ersetzt. Er stammt ursprünglich aus einer Kirche in Garmisch.

1960 München-Bogenhausen * Nach dem Tod des "Togal"-Firmengründers Gerhard Friedrich Schmidt streiten sich die drei Söhne um das attraktive Erbe.

Seite 718/814 Der jüngste der Brüder, Günther J. Schmidt, siegt nach einem erbitterten Rechtsstreit.

1960 München-Theresienwiese * Richard Süßmeier lässt auf eigene Kosten die "Oktoberfesthalle der Armbrustschützen" von 500 auf 1.500 Plätze ausgebauen und die markante Fassade gestalten.

17. März 1960 München - Verona * Die Städtepartnerschaft zwischen dem oberitalienischen Verona und München wird gegründet.

München erhält zwei "Julia-Statuen".

Eine Figur steht - häufig blumengeschmückt und am Busen abgewetzt - am "Alten Rathaus". Das andere Standbild befindet sich in Bogenhausen im "Shakespeare-Platz".

April 1960 München-Au * Der "Heilige-Franziskus-Brunnen" am Mariahilfplatz/Ecke Ohlmüllerstraße geht in Betrieb.

29. Mai 1960 München-Maxvorstadt * Das Kavallerie-Denkmalvor dem Hauptstaatsarchivwird enthüllt. Der Wehrmachtsgeneral a.D.Dietrich von Saucken lobt dabei die Eigenschaft der "Deutschen Soldatenpferde" und die sich daraus ergebenden Charaktereigenschaften: "Fromm, willig und ausdauernd bis zum letzten Atemzug", lautet seine Analyse.

Der Entwurf zu dem überlebensgroßen, ungesattelten Bronzepferd stammt von dem Bildhauer Bernhard Bleeker, der schon den toten Soldaten im Kriegerdenkmal im Hofgartengeschaffen hat.

17. August 1960 Hamburg * Die Beatles beginnen ihre Hamburger Gastspiele im Indra,einem ursprünglichen Striptease-Lokalauf der Reeperbahn, in dem zur Eröffnung als Musikkneipe die Band aus Liverpool auftritt.Das Lokal, das gerade mal Platz für sechzig Leute hat, wird von Bruno Koschmider geführt.

48 Nächte werden die Beatles an sieben Tagen in der Woche für eine Tagesgage von 30 bis 40 DMark pro Mann spielen. Ihre Musik kommt nicht sonderlich gut an, denn die Besucher wollen eigentlich keine Rockmusik hören, sondern Striptease sehen.

3. Oktober 1960 Hamburg * Die Beatles spielen letztmals im Hamburger Indra. Nachbarn beschweren sich über den Lärm.

Ab 4. Oktober 1960 Hamburg *Die Beatles spielen im Kaiserkeller, nachdem Bruno Koschmider den Musikbetrieb im Indrawegen Lärmbelästigung einstellen muss. Im Kaiserkellerlernen sie auch Ringo Starr kennen, der bei Rory Storm and The

Seite 719/814 Hurricansam Schlagzeug sitzt.Langsam erreichen sie die Anerkennung des Hamburger Publikums. Zu ihren Fans gehören der Grafiker Klaus Voormann und die Fotografin Astrid Kirchherr.

1. November 1960 Hamburg * Bruno Koschmider kündigt den Vertrag mit den Beatles zum 30. November mit der Begründung, dass George Harrison erst 17 Jahre alt sei.

5. Dezember 1960 Hamburg * Paul McCartney und Pete Best werden wegen fehlender Arbeitserlaubnisse und Arbeitsgenehmigungen sowie "Brandstiftung" aus Deutschland ausgewiesen.

Stuart Sutcliffe hat sich inzwischen mit Astrid Kirchherr verlobt und bleibt bis Mitte Februar 1961 in Hamburg.

1961 München-Großlappen * Schon wenige Jahre nach der Inbetriebnahme der Großanlage für Müllverwertungin Großlappen ist die Anlage zu klein.

Der Stadtratsetzt jetzt auf die Müllverbrennung.

Januar 1961 München-Haidhausen * Im "Bürgerbräukeller" findet der traditionelle Faschingsball "Karneval in Texas" des "Cowboy-Clubs München 1913" statt.

Die Feierabend-Rothäute und Freizeit-Cowboys von der "Nockher-Ranch" lassen ihre Colts sprechen, springen durch Lassos und stellen ihre Squaws und Cowgirls an die Bretterwand, um sie dann mit Pfeilen und brennenden Wurfmessern einzurahmen.

21. März 1961 Liverpool * Erster Abendauftritt der Beatles im Cavern Clubin Liverpool. Mit Unterbrechungen bleiben sie der Musikkneipe bis 3. August 1963 treu.

Um April 1961 München-Au * Der "Cowboy Club München 1913" will auf dem "Nockherberg" eine neue "Club-Ranch" und einen neuen Pferdestall erbauen und damit die vereinseigenen Pferde auf die "Nockher-Ranch" holen.

Anfangs sind die Pferde des "Cowboy Clubs München" in einer Lackiererei an der Lilienstraße, später in einem Holzhaus nahe der "Schinderbrücke" beim "Flaucher" untergebracht.

Doch als Frau Ida Krone stirbt, müssen die Westernfreunde ihre "Ranch am Nockherberg" räumen, nachdem die Zirkusfamilie Krone das Gelände an der Marsstraße im Tausch mit dem "Nockherberg-Areal" erhalten kann.

1. April 1961

Seite 720/814 Hamburg * Bis zum 1. Juli 1961 treten die Beatles sieben Tage in der Woche im "Top Ten Club" auf. Pro Abend und Mann gibt?s schon 40 DMark.

Stuart Sutcliffe verlässt die Gruppe, um sich auf sein Kunststudium zu konzentrieren.

22. Juni 1961 Hamburg * Gemeinsam mit Tony Sheridan nehmen die Beatles "The Saints (When The Saints Go Marching in)", produziert von Bert Kaempfert, auf Single auf. Die B-Seite der Single heißt "My Bonnie (Lies Over The Ocean)"und handelt von Bonnie Prince Charles, der anno 1745 in Schottland landet und von dort einen Aufstand gegen die britische Krone beginnt.

Um Juli 1961 Bundesrepublik Deutschland * Die Single "The Saints/My Bonnie" erscheint in Deutschland unter dem Interpretennamen TonySheridan & The Beat Brothers.

28. Juli 1961 München-Angerviertel * Der Liesl-Karlstadt-Brunnenam Viktualienmarkt wird erstmals aufgedreht. Hans Osel formte die Bronzefigur der langjährigen Partnerin von Karl Valentin.

18. September 1961 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 4. Deutschen Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Konrad Adenauer 45,3 Prozent [- 4,9] und 251 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt erringt 36,2 Prozent der Stimmen [+ 4,4] und 203 Sitze. Die FDP bekommt 12,8 Prozent [+ 5,1] und 67 Sitze.

Konrad Adenauer [CDU] wird Bundeskanzler einer Koalition aus CDU/CSU und FDP.

9. November 1961 Liverpool * Brian Epstein besucht den Liverpooler Cavern Clubundhört dort erstmals die Beatles.

3. Dezember 1961 Liverpool * Brian Epstein bittet die Beatles in sein Büro. Er will ihr Manager werden.

1962 München * In 14 Münchner "Ziegeleien" werden 100 Millionen Steine gebrannt.

1962 Großbritannien * Tony Sherdan erhält eine "Goldene Schallplatte" für "My Bonnie (lies over the ocean)".

Seite 721/814 Bis 1962 München-Obergiesing * An der Stelle des ehemaligen Kaufhauses "Karstadt", heute "Woolworth",an der Tegernseer-Land-Straße befindet sich der "Schweizer Wirt".

In der Wirtschaft findet die "Giesinger Kirta" statt. Außerdem dient sie dem "Giesinger Faschingsverein" als Hauptquartier.

1. Januar 1962 London * Die Beatles spielen - erfolglos -bei Decca Recordsin London vor. Obwohl sie keinen Vertrag erhalten, schickt Brian Epstein die Aufnahmen als Demo zu EMI.

5. Januar 1962 Großbritannien * Die Single "The Saints / My Bonnie" erscheint nun auch in Großbritannien. Jetzt bereits unter dem Interpretennamen TonySheridan & The Beatles.

23. Januar 1962 Hamburg * Der Beatles-Manager Brian Epstein gibt dem HamburgerTop-Ten-Club-Geschäftsführer Peter Eckhorn eine Absage.Dieser wollte die Beatles erneut verpflichten.

24. Januar 1962 London *Die Beatles unterzeichnen den Managervertrag mit Brian Epstein.

2. Februar 1962 München * In einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitungklagt der Allgemeine Deutsche Automobilclub - ADACdie "wahren Schuldigen am Massensterben auf den Straßen" an: die Alleebäume. Der ADACfordert: "Weg mit diesem Mördern am Straßenrand."

April 1962 Großbritannien * In England erscheint eine EP mit Tony Sheridan & The Beatles mit den Titel "My Bonnie", "Why", "Cry for a shadow" und "The saints (When the saints go marching in)".

9. Mai 1962 Hamburg - London * Während die Beatles im Hamburger "Star-Club" spielen, handelt Brian Epstein, ihrManager, einen Vertrag mit Parlophone Recordsaus.

5. Juni 1962 München-Maxvorstadt * Im Anschluss an ein Jazzkonzert kommt es an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universitätzu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und rund 2.000 Personen, als nach dem Ende des Konzerts in der Aula der Universität zahlreiche Konzertbesucher die Musiker auffordern, auf dem Geschwister-Scholl-Platz weiterzuspielen.

Seite 722/814 Als die mit Buhrufen begrüßte Polizei eintrifft, kommt es zu Rangeleien und zwei Festnahmen.Die Polizei wird von den Protestierern durch eine Blockade am Wegfahren gehindert.Dabei werden auch die Reifen des Einsatzwagens zerstochen.

Die bedrängten Polizisten rufen Verstärkung, die mit zwei Funkstreifenwagen, dem Kleinen und Großen Überfallkommandosowie dem Bereitschaftszug der Stadtpolizeischuleam Ort der Auseinandersetzung eintrifft. Der Polizeimacht gelingt es an diesem Abend die Menge zu zerstreuen. Es kommt zu weiteren sieben Festnahmen. Die so Festgesetzten werden alle wegen Auflaufund Landfriedensbruchangezeigt.

Dieses Geplänkel geht als "Unikrawall" in die Geschichte ein.

20. Juni 1962 München-Schwabing * Der nächste Polizeieinsatz, der letztlich zu den Schwabinger Krawallenführen wird, erfolgt am Wedekindplatz. Am späten Abend schreiten die Ordnungshüter gegen eine Gruppe Gitarristen und deren rund 150 Zuhörer ein, weil sie "ruhestörenden Lärm verursachten, indem sie musizierten, sangen, in die Hände klatschten, zum Teil auch tanzten und grundlos grölten".

Weil die Beamten mit Pfeifen und Buhrufen empfangen werden, rufen sie umgehend das Kleine Überfallkommandoherbei.Nach einer dreimaligen über Lautsprecher verbreiteten Aufforderung den Platz zu verlassen, räumen die Zuschauer - ohne nennenswerten Widerstand - den Wedekindplatz.

21. Juni 1962 München-Schwabing * An Fronleichnam, einem katholischen Feiertag in Bayern, beginnen die sogenannten "Schwabinger Krawalle". Das erste Aufeinandertreffen zwischen Polizei und etwa 50 Zuhörern von drei Gitarrenspielern erfolgt gegen 21:45 Uhr - weit weg von jedem Wohnblock - im Englischen Gartenam Monopteros. Doch es läuft glimpflich ab, denn die Jugendlichen folgen der Aufforderung der Polizei und gehen auseinander.

Eine knappe halbe Stunde später löst am Wedekindplatz eine andere Streifenwagenbesatzung - ebenfalls ohne größere Probleme - eine aus etwa 150 Personen bestehende Ansammlung auf, die sich um drei Gitarristen gruppiert hat.

Um 22:35 Uhr kommt es an der Leopold-/Ecke Martiusstraße zum dritten Polizeieinsatz und daraus resultierend zur tätlichen Auseinandersetzung zwischen der Polizei und einer aus etwa 200 Personen bestehenden Gruppe, die sich um fünf Gitarristen gebildet hat.Die Band besteht aus den Gymnasiasten Michael Erber und Klaus Olbrich, den Lehrlingen Wolfram Kunkel und Hans (Sitka) Wunderlich und dem jungen Schreiner Rüdiger Herzfeldt. Sie singen und spielen russische Volkslieder.

Nachdem sich einige Anwohner über die Störung der Nachtruhebei der Polizei beschwert haben, treffen zwei Beamte am "Tatort" ein und fordern die jungen Gitarrespieler zum Einsteigen in den Funkstreifenwagen auf. Das Einschreiten der Polizei gegen die Musiker wird von den Zuhörern - "spontan und ohne vorherige Planung" - als Festnahme gedeutet.

Diese artikulieren daraufhin ihren Unmut ziemlich laut und unmissverständlich.Es kommt zu Rangeleien mit den Ordnungshütern, die nun ihrerseits Verstärkung anfordern, nachdem die Randalierer die Luft aus den Reifen des Polizeiautos lassen. Mit einem ersten Gummiknüppeleinsatz kann die Polizei die auf mehrere hundert Menschen

Seite 723/814 angewachsenen Protestierer vom Schauplatz abdrängen. Kaum dass die Polizisten abgerückt sind, läuft eine noch größere Menschenmenge als zuvor (Schätzungen sprechen von 5.000 Personen) auf die Leopoldstraße und blockiert den Auto- und Straßenbahn-Verkehr mit Stühlen und indem sie sich selbst auf der Straße niederlassen.

Erst nach der zweimaligen Räumung der Straße und der Festnahme von 41 Personen erklärt die Polizei um 1:40 Uhr den Einsatz für beendet.Laut Polizeibericht kommen 90 Beamte zum Einsatz.Zwei Protestierer werden nachträglich zur Anzeige gebracht.

22. Juni 1962 München-Schwabing * Freitag. Die Schwabinger Krawallegehen weiter. Ab 21 Uhr laufen "unzählige junge Leute [...] immer weiter in die Fahrbahn hinein" und blockieren damit die Leopoldstraße. Nach Beschwerdeanrufen trifft die Polizei ein.

Der Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und der Polizeipräsident Manfred Schreiber sprechen mit den Protestierenden. Letztlich werden sie aber von den 10.000 Anwesenden niedergeschrieen und ausgepfiffen, weshalb es zur zweiten gewaltsamen Räumung der Leopoldstraße kommt.

Die Auseinandersetzungen dauern bis in die frühen Morgenstunden an. Laut Polizeibericht kommen über 100 Polizisten zum Einsatz, die 24 Protestierer festnehmen und vier weitere nachträglich zur Anzeige bringen.

23. Juni 1962 München-Schwabing * Samstag. Wieder versammeln sich bis zu 10.000 Protestierer auf der Leopoldstraße und erstellen Straßenblockaden. Mit Feuerwerkskörpern versuchen sie die Pferde der berittenen Polizei scheu zu machen. Flaschen und Steine fliegen in Richtung der Polizei.Dabei werden drei Beamte verletzt.

Bei einer regelrechten Straßenschlacht, bei der die Polizei vom massiven Schlagstockeinsatz gebrauch macht,werden 14 Randalierer schwer verletzt. Der Student Georg Friz schwebt nach einem Leberriss in Lebensgefahr. Nach Ansicht von Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel haben an diesem Samstag weniger die Studenten als "vor allem der Pöbel aller Stadtviertel" in Schwabing ihr Unwesen getrieben.

Laut Polizeibericht kommen über 150 Polizisten zum Einsatz. 16 Protestierer werden festgenommen und neun nachträglich zur Anzeige gebracht.

24. Juni 1962 München-Schwabing * Sonntag. Die Proteste der Schwabinger Krawallelassen zwar nach, doch Pressebeobachter zählen immer noch 3.000 Teilnehmer.Sogar Studentengruppen wenden sich nun gegen die Fortsetzung des Protests. Wieder beginnen die Straßenblockaden.Es kommt zu den "härtesten Auseinandersetzungen", die sich auch an der besonders hohen Zahl von Festnahmen ablesen lässt.

Man schiebt die Gewalttätigkeit der Halbstarken-Szenezu. Doch spätere Untersuchungen können diese Mutmaßung nicht bestätigen. Der Anteil der Studenten an den Protestveranstaltungen hat sich gegenüber dem Vortag prozentual sogar erhöht. Laut Polizeibericht kommen über 450 Polizisten zum Einsatz, die 85 Protestierer festnehmen und 13 nachträglich zur Anzeige bringen.

Seite 724/814 25. Juni 1962 München-Schwabing * Montag. Rund 2.500 Protestierer versammeln sich an der Leopoldstraße.Mehrere hundert Jugendliche blockieren erneut den Verkehrauf dem Boulevard. Gegen 1 Uhr räumt die Polizei die Straße. Rund 200 Protestierer werden "eingekesselt" und anschließend festgenommen, darunter auch der spätere RAF-TerroristAndreas Baader. Damit enden die Schwabinger Krawalle. Laut Polizeibericht kommen an diesem Tag rund 360 Polizisten zum Einsatz.35 Protestierer werden festgenommen, sieben nachträglich zur Anzeige gebracht.Darüber hinaus werden über 200 Anwesende zur Personalienfeststellung kurzfristig in Gewahrsam genommen.

Dass die Stadtpolizeian allen Tagen keine Wasserwerfereinsetzt, liegt an der in der Leopoldstraße verkehrenden Straßenbahn.Man hätte nämlich aus Sicherheitsgründen die Strom führenden Oberleitungen außer Betrieb nehmen müssen.Außerdem befürchtet man angesichts der sommerlichen Temperaturen, dass ein Wasserwerferzur weiteren "Erheiterung" der Protestierenden beigetragen hätte.

Fazit: Gegen 248 Personen werden Ermittlungen wegen der Beteiligung an den Schwabinger Krawallenaufgenommen.Darunter finden sich lediglich 13 Frauen. Fast drei Viertel der Verfahren werden eingestellt. 54 Angeklagte werden verurteilt; es gibt 13 Freisprüche. Das Durchschnittsalter der Verurteilten liegt bei 22 Jahren.

Von den jungen Berufstätigen werden auffällig viele verurteilt.Während aus dem akademischen Nachwuchs nur jeder Zehnte eine Strafe erhält, ist es bei den Nichtakademikern nahezu jeder Zweite.Es werden sechs Gefängnisstrafen zwischen drei und dreizehn Monaten ausgesprochen, wovon fünf auf Nichtakademikern fallen.Die Geldstrafen liegen zwischen 40 und 1.000 DMark.Die Jungakademiker kommen mit Geldbußen und Strafen auf Bewährung davon.

Gegen Angehörige der Stadtpolizeiwerden 143 Verfahren eröffnet.Lediglich 14 Polizisten werden aber mit Anklagen konfrontiert.Vier Ordnungshüterwerden rechtskräftig verurteilt.Darunter ist nur ein Stadtpolizist, der an den Einsätzen vor Ort beteiligt war.Die drei Anderen sind als Aufseher in der Polizeihaftanstalttätig.

Der Bezirksausschuss Schwabing-Freimannprotestiert in einer Resolution gegen die Ausschreitungen, die das "Machwerk verantwortungsloser, ortsfremder Elemente" gewesen sei und bedankt sich ausdrücklich bei der Münchner Polizeifür das mutige und tatkräftige Einschreiten.

12. Juli 1962 London * Die Rolling Stonesgeben im Londoner Marquee Clubihr Livedebüt. Mick Jagger, BrianJones, Keith Richards und Pianist Ian Stewart sowie Bassist Dick Taylor [später bei The Pretty Things] und Drummer Mick Avory [später bei The Kinks] treten erstmals auf.

Das Repertoire der Rolling Stonesbesteht aus Blues-Standards wie Kansas City, Hoochie Coochie Manoder Bright Lights.

16. August 1962 London * Da George Martin mit dem Schlagzeugspiel von Pete Best nicht zufrieden ist, muss ihm Brian Epstein die Nachricht überbringen, dass er nicht mehr den Beatles angehört.

Seite 725/814 Lange vor dem 22. September 1962 München-Theresienwiese?Bürgermeister Albert Bayerle will die Wirtsbudenstraße auflösen. Alle Festzelte sollen mit Notausgängen nach außen rings um den Festplatz verteilt und Karusells und Schaustellungen ins Innere des großen Runds gelegt werden. Das würde bei Notfällen eine reibungslose Räumung der Riesenhallen erlauben. Die Planungen scheitern an den Kosten und den Brauereien.

1. Oktober 1962 London * Brian Epstein unterschreibt einen 5-Jahres-Vertrag mit den Beatles.

5. Oktober 1962 Großbritannien * Mit "Love Me Do / P.S. I Love You"erscheint die erste Single der Beatles.

17. Oktober 1962 Großbritannien * Erster Fernsehauftritt der Beatles im Regionalfernsehen.

12. Januar 1963 Großbritannien * Die zweite Single der Beatles kommt in die Plattenläden. Sie enthält die Titel"Please Please Me" und "Ask Me Why".

Ab 2. Februar 1963 Großbritannien * Die Beatles unternehmen bis 3. März eine Tournee mit der 17-jährigen Helen Shapiro.

Ab 9. März 1963 Großbritannien * Die Beatles treten bis 31. März als Vorgruppe bei den Tourneen von Tommy Roe und Chris Montez auf.

5. April 1963 Großbritannien * "Pleaseplease me", die erste Langspielplatte der Beatles, kommt in die Schallplattenläden.

Die LP enthält acht eigene Songs, so viel hatte noch nie eine Band zuvor auf einem Album, dazusechs Cover-Versionen.

8. April 1963 Großbritannien * John Lennons Sohn Julian wird geboren.

12. April 1963 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre dritte Single mit den Titeln "From me to you" und "Thank you Girl".

Seite 726/814 3. Mai 1963 München-Angerviertel * Das "Deutsche Brauereimuseum", ein Vorläufer des "Bier & Oktoberfestmuseums", wird in den Räumen des "Münchner Stadtmuseums" eröffnet.

4. Mai 1963 Großbritannien * Die Beatles-LP "Please, Please Me" steht auf dem ersten Platz der Britischen Charts. Neben dem Titelsong enthält die Langspielplatte Songs wie "Love Me Do" und "Twist And Shout".

Ab 18. Mai 1963 Großbritannien * Bis 9. Juni treten die Beatles als Vorband bei Roy Orbison auf.

7. Juli 1963 Großbritannien * Die Rolling Stonesveröffentlichen ihre erste Single mit "Come On" von Chuck Berry als A-Seite. Die B-Seite trägt den Titel "I Want To Be Loved" und stammt von Willie Dixon.

12. Juli 1963 Großbritannien * Die erste EP der Beatles erscheint mit den Songs Twist and shout, A taste of honey, Do you want to know a secretund There?s a place.

3. August 1963 Liverpool ? Die Beatles geben ihr letztes Konzert im Loverpooler Cavern Club. Seit dem 9. Februar 1961 spielten sie in dem Lokal insgesamt 262 Mal.

23. August 1963 Großbritannien * Die Single "She Loves You / I?ll Get You" von den Beatles kommt in die Plattenläden. Es ist ihre vierte Single.

12. September 1963 Großbritannien * Die Beatles stürmen mit "She Loves You" auf den ersten Platz der britischen Charts. Der Song hält sich vier Wochen.

11. Oktober 1963 Großbritannien * Die Beatles erhalten ihre erste Goldene Schallplattefür eine Million verkaufter Exemplare der Single "She Loves You".

Ab 1. November 1963 Großbritannien * Tournee der Beatles durch Großbritannien bis 13. Dezember.

Seite 727/814 1. November 1963 Großbritannien * Die Rolling Stonesbringen mit dem Lennon/McCartney-Song "I Wanna Be Your Man" und "Stoned" von Nanker/Phelge ihre zweite Single auf den Markt. Nanker/Phelge ist ein Pseudonym der frühen Jahre. Es umfasst zum Teil die ganze Band.

10. November 1963 Großbritannien * 26 Millionen Menschen sehen die Aufzeichnung der Beatles-Show aus der "Royal Variety Performance" im Fernsehen.

22. November 1963 Großbritannien * Die zweite Beatles-LP"With The Beatles"erscheint in Großbritannien.Sie wird sich als erste Beatles-LP über eine Million Mal verkaufen.

Wieder erhält die LP acht Beatles-Kompositionen, darunter mit "Don?t Bother Me" der erste George-Harrison-Song, und sechs Cover-Versionen. Hierauf findet sich mit "It Won?t Be Long" auch der zweite YEAH-Song.

28. November 1963 Großbritannien * Die Beatles erobern mit "She Loves You" die britische Hitparade zum zweiten Mal - für zwei Wochen.

29. November 1963 Großbritannien - USA * Die fünfte Beatles-Single "I Want To Hold Your Hand" (Rückseite: "This Boy") erscheint. Sie wird zum ersten Nummer-1-Hitder Beatles in den USA. Die Single verkauft sich weltweit über 15 Millionen Mal.

18. Dezember 1963 München-Englischer Garten * Der Isarringund die John-F.-Kennedy-Brückewird dem Verkehr übergeben. Die stark befahrene Straße zerteilt den Englischen Gartenam Herzstück des Parks, dem Kleinhesseloher Seeund entwertet dadurch den Bereich entscheidend.

Ab 31. Dezember 1963 München-Schwabing * Zwischen 1963 und 1971 tritt Dieter Hildebrandt mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaftim zweijährigen Abstand mit "Schimpf vor zwölf" live im Silvesterprogramm der ARD auf. Das macht die Kabarettisten-Gruppe einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

1964 München * Dieter Hildebrandt schreibt das Drehbuch zum Film "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen" nach einer Erzählung von Heinrich Böll.

Hildebrandt spielt darin auch die Hauptrolle.

Seite 728/814 Ab 15. Januar 1964 Versailles * Die Beatles treten mit Trini Lopez und Sylvie Vartan bis 4. Februar im Cinéma Cyranoin Versailles auf.

29. Januar 1964 Paris * Die Beatles nehmen in den Pariser "Pathé Marconi Sudios" ihren Hit "She Loves You" in deutscher Sprache unter dem Titel "Sie liebt Dich" auf. Da das Band mit der englischsprachigen Originalaufnahme nicht mehr vorhanden war, musste der Song völlig neu aufgenommen werden. Bis das Lied "im Kasten" war, waren 14 Takes notwendig. Elf Takes brauchen sie, bis die deutsche Fassung von "I Want To Hold Your Hand", "Komm gib mir Deine Hand", aufgenommen haben.

21. Februar 1964 Großbritannien * Mit "Not Fade Away / Little By Little" veröffentlichen die Rolling Stonesihre dritte Single.Die Songs stammen von Norman Petty/Charles Hardin beziehungsweise werden unter dem Pseudonym von Nanker/Phelge veröffentlicht.

20. März 1964 Großbritannien * Die 6. Single der Beatles mit den Liedern "Can?t buy me love/You can?t do that" wird veröffentlicht.

18. April 1964 München-Maxvorstadt * Der "Friedrich-von-Gärtner-Brunnen" an der Ludwigstraße, in den Arkaden bei der "Ludwigskirche" wird in Betrieb genommen.

24. April 1964 Großbritannien * Die Dreharbeiten für den Beatles-Film "A hard day?s night" sind abgeschlossen.

30. Mai 1964 München - München-Haidhausen - Bordeaux * München geht eine Städtepartnerschaft mit der südwestfranzösischen Stadt Bordeaux ein. Beide Städte widmen im Laufe ihrer Beziehungen der jeweiligen Partnerstadt eine Straße oder einen Platz.

Bordeaux benennt an der repräsentativen Esplanade des Quinconcesin zentraler Lage die Allée de . Bayerns Landeshauptstadt München wählt einen völlig anderen Weg und stellt im Jahr 1976 am Forumder Wörthstraße einfach neue Tafeln mit dem Namen Bordeauxplatzauf.

Mit dem Forumwird ganz bestimmt einer der ansprechendsten Plätze in Haidhausen gefunden, auch wenn die Wörthstraße an eine der blutigsten Schlachten erinnert. Ob es aber amtliche Befürchtungen sind, die den Münchnern die möglicherweise schwierige Schreibweise der Partnerstadt nicht zutrauen oder nur einfach die Angst vor allzu viel Veränderung, ist nicht überliefert.

Jedenfalls besitzt der Bordeauxplatzbis heute keine Hausnummer, weshalb auch an eine solche Anschrift kein

Seite 729/814 Brief zugestellt werden kann. Die den Platz säumenden Häuser führen auch weiterhin die fortlaufenden Hausnummern der Wörthstraße.

16. Juni 1964 München-Unterföhring * Das Müllverbrennungs-Kraftwerk München Nordnimmt seinenBetrieb auf.

19. Juni 1964 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre fünfte EP "Long Tall Sally". Sie ist die erste EP, die neue Songs enthält.Diese sind "I Call Your Name","Slow Down", "Long Tall Sally"und "Matchbox".

26. Juni 1964 Großbritannien * Die Rolling Stonesveröffentlichen ihre vierte Single mit dem Bobby & Shirley Womack-Titel "It?s All Over Now"und "Good Times, Bad Times"von Jagger/Richards.

10. Juli 1964 Großbritannien * "A Hard Day?s Night", die dritte LP der Beatles erscheint.Alle 13 Lieder stammen aus der Feder von John Lennon und Paul McCartney.Daneben gibt es als Auskoppelung die 7. Beatles-Single mit "A Hard Day?s Night"und m"I Should Have Know Better". Gleichzeitig hat der Beatles-Film "A Hard Day?s Night" im Liverpooler Odeon Cinemaseine Nord-Premiere.

24. Juli 1964 München-Ludwigsvorstadt * Die Abendzeitungkauft alle Eintrittskarten für die Aufführung des Beatles-Filmes Yeah, Yeah, Yeahim City-Palastan der Sonnenstraße auf und verschenkt sie an Beatles-Fans.Dabei ist das Interesse so gewaltig, dass sich die ersten Liebhaber bereits in aller Frühe einfinden, obwohl die Kartenverteilung erst um zwölf Uhr Mittag beginnt.

Polizisten in Zivil mischen sich unter die Jugendlichen, um nötigenfalls ordnend einzugreifen. Das Verhalten der adrett und brav gekleideten weiblichen und der - mit den damals modischen, eng geknoteten Krawatten ausstaffierten - männlichen Jugendlichen macht dies aber nicht notwendig. Sollte es zu einem gefährlichen Gedränge kommen, würde ein Lautsprecherwagen bereitstehen, über den man - vom Stadtjugendamt ausgeliehene - Beatles-Platten abspielt, um die Fans vom Kinoeingang wegzulocken.

Man will sie dann zur Theresienwiese lotsen, wo genügend Platz zur Umsetzung von Musik in Bewegung vorhanden wäre. So weit kommt es allerdings nicht.

Doch als die Beatles schließlich auf der Leinwand erschienen, kennt die Begeisterung keine Grenzen; Tränen fließen, Schreie ertönen, es wird gestampft, geklatscht und mitgesungen.

Die "Beatles" sind einfach die Größten.

19. September 1964 München-Theresienwiese * Das Kleine Winzerer Fähndlwird in Armbrustschützenzelt - Winzerer Fähndlumbenannt.

Seite 730/814 Ab 9. Oktober 1964 Großbritannien * Die Tournee der Beatles durch Großbritannien beginnt. Sie dauert bis 10. November.

6. November 1964 USA * In einer Presseerklärung verkündeten die Beatles:"Wir werden nirgendwo auftreten, wo Schwarzen nicht erlaubt ist, dort zu sitzen, wo sie wollen."Damit sindsie die erste Band, die sich in den USA gegen die Rassentrennungwendet, was damals schon eine Menge Mut erfordert.Die vier Musiker haben erfahren, dass "schwarze Fans" bei Konzerten nur in den oberen Rängen sitzen durften.

Die "rassistisch motivierte zwangsweise Trennung von Menschen biologisch unterschiedlicher Menschengruppen", auch Rassengenannt, im Bereich des täglichen Lebens war in den Südstaaten der USA bis in die späten 1960er-Jahre verbreitet, in Südafrika als Apartheidsogar bis 1990. Dabei gibt es gar keine menschlichen Rassen.

13. November 1964 Großbritannien * Die fünfte Rolling Stones-Single wird veröffentlicht. "Little Red Rooster" und "Off The Hook" bilden die Titel.

23. November 1964 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre achte Single mit den Titeln "I Feel Fine / She?s AWoman".

4. Dezember 1964 Großbritannien * "Beatles For Sale" erscheint als vierte Langspielplatte der Band aus Liverpool.

Ab 1965 München-Haidhausen - Heimstätten * In Heimstätten entsteht ein neues Werk für die "Farbenfabrik Huber".

1965 München-Lehel * Da man die im April 1944 ausgebrannten Kirchtürme der "Anna-Klosterkirche" bereits kurz nach dem Krieg bis auf die Höhe des Dachstuhles abgetragen hat, korrigiert man zwischen 1965 und 1966 die neoromanischen Eingriffe des Architekten August von Voigt.

In diesem Zusammenhang entschließt man sich zur Wiederherstellung der ursprünglichen Rokokofassade.

13. Januar 1965 München-Maxvorstadt * Nach einem Stadtrats-Beschluss soll auf dem Platz der Opfer des Nationalsozialismusein provisorisches Denkmalerrichtet werden. Als Mahnmalwird ein 2,50 Meter hoher und 1,10 Meter breiter Findlingaus Flossenbürger Granitaufgestellt, den der Bildhauer Karl Oppenrieder mit der Inschrift "Den Opfern des Nationalsozialismus" versehen hat.

Seite 731/814 22. Februar 1965 Großbritannien * Die Dreharbeiten zu dem Beatles-Film "Help!" beginnen. Sie dauern bis Mai 1965 an.

26. Februar 1965 Großbritannien - USA * Die Rolling Stonesveröffentlichen mit "The Last Time" und "Play With Fire" ihre sechste Single."The Last Time" schafft es in England auf Platz 1, in USA auf Platz 9.

9. April 1965 Großbritannien * Mit "Ticket to right/Yes it is" kommt die neunte Beatles-Single auf den Markt.

13. April 1965 Großbritannien *Die Beatles nehmen den Song "Help!" auf.

7. Mai 1965 Unterföhring * Das Müllverbrennungs-Kraftwerk München Nord geht in Flammen auf undbrennt völlig nieder.

21. Mai 1965 München * Wegen der "Bayern-Hymne"schlittert die Bundesrepublik Deutschland beinahe in eine Staatskrise. Auf Veranlassung des bayerischenMinisterpräsidentenAlfons Goppel spielt die Blaskapelle beim Ankommen des Sonderzuges der britischen Königin Elisabeth die Bayerische Nationalhymne, obwohl dies BundespräsidentHeinrich Lübke der Staatsregierung zuvor ausdrücklich untersagt hatte.

Die Gäste müssen sich alle Strophen anhören. Verwundert bemerkt Prinz Philip: "Oh, ein ganzes Konzert". Und BundespräsidentHeinrich Lübke tobt.

24. Mai 1965 München-Maxvorstadt * Das Hauptwerk des Dichters Dante Alighieri heißt "La Divina Commedia - Die göttliche Komödie". Den gleichen Namen trägt der neu gestaltete Brunnen im Hof des Hauses des Rechtsin der Veterinärstraße 1.

Um den 25. Juni 1965 London - USA * Die London Recordsbringen in den USA die siebte Rolling-Stones-Single "(I Can?t Get No) Satisfaction"mit der B-Seite "The Under Assistant West Coast Promotion Man"heraus. Die Band befindet sich noch immer noch auf Tournee in den USA und istzur Veröffentlichung überhaupt nicht gefragt worden.

10. Juli 1965 USA * "(I Can?t Get No) Satisfaction" erreicht die Nummer 1-Position in den US-Chartsund gibt diese Position vier Wochen lang nicht mehr ab.

Seite 732/814 19. Juli 1965 Großbritannien * Die 10. Beatles-Single "Help!"(Rückseite: "I?m down") kommt in die Plattenläden."

6. August 1965 Großbritannien * Die fünfte Langspielplatte der Beatles erscheint unter dem Titel Help!. Sie enthält acht Lennon/McCartney-Kompositionen, zwei Harrison-Songs und zwei Cover-Versionen.

20. August 1965 Großbritannien * Erst jetzt wird "(I Can?t Get No) Satisfaction" in England mit der B-Seite "The Spider And The Fly" veröffentlicht.

9. September 1965 Großbritannien * Der Rolling-Stones-Hit "(I Can?t Get No) Satisfaction" erklimmt in den englischen Chartsden Platz 1 für zwei Wochen.

14. September 1965 München-Maxvorstadt * Die Rolling Stonesspielen erstmals in Münchens größter Rock-Arena, im Cirkus-Krone-Bau. Der Eintritt kostet 6,90 DMark.

14. September 1965 München * Brian Jones von den Rolling Stoneslernt in München auf einer After-Show-Partydie als Fotomodell und Schauspielerin tätige Anita Pallenberg kennen. Auch Mick Jagger und Keith Richards begehrten diese Frau, doch Brian Jones gewinnt - vorerst.

18. September 1965 München-Theresienwiese * Richard Süßmeiers Armbrustschützenzeltist die größte Festhalleauf der Wiesn. Am Einzug der Wiesnwirtebeteiligt er sich als Ritter auf einem Karussellpferd.

19. September 1965 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 5. Deutschen Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Ludwig Erhard 47,6 Prozent [+ 2,3] und 251 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt erringt 39,3 Prozent der Stimmen [+ 3,1] und 217 Sitze. Die FDP bekommt 9,5 Prozent [- 3,3] und 50 Sitze.

Ludwig Erhard [CDU] wird Bundeskanzler einer Koalition aus CDU/CSU und FDP.

22. Oktober 1965

Seite 733/814 Großbritannien * Die Rolling Stonesbringen mit "Get Off Of My Cloud" und "The Singer Not The Song" ihre achte Single auf den Markt.

26. Oktober 1965 London * Im Buckingham Palaceerhalten die Beatles um 11:10 Uhr im Great Throne Roomaus der Hand der Queen Elizabeth den Orden Member of the British Empireverliehen.

3. Dezember 1965 Großbritannien * Mit "Rubber Soul"kommt die sechste Beatles-LP in die Plattenläden. Auf ihr finden sich zwölf Lennon/McCartnes-Songs. Zwei Lieder stammen aus der Feder von George Harrison.

Am gleichen Tag wie die Beatles-LP "Rubber Soul" erscheint die 11. Beatles-Single mit zwei A-Seiten: "Day Tripper/We Can Work It Out".

Ab 3. Dezember 1965 Großbritannien * Tournee der Beatles durch Großbritannien bis 12. Dezember.

Ab 1966 München-Graggenau * Wegen des U-Bahn-Baus wird der "Fischbrunnen" am Marienplatz abgetragen.

1966 München-Haidhausen * Die drei zierlich durchbrochenen Turmhelme der neuen "Johann-Baptist-Kirche" werden abgetragen und stark vereinfacht wieder ersetzt.

Die Haidhauser bezeichnen die neuen kupfergedeckten Hauben jedoch nur als "Kasperlmützen". Außerdem büßt der Hauptturm 4,10 Meter ein. Statt 95 Meter ist er nur mehr 90,90 Meter hoch.

1966 Unterföhring * Der zweite Block des "Müllverbrennungs-Kraftwerks München Nord" geht in Betrieb.

26. April 1966 Rom * Der IOC-PräsidentAvery Brundage verkündet in Rom München als Austragungsort der Olympischen Sommerspiele 1972.Weitere Bewerber waren Detroit, Madrid und Montreal.

28. Mai 1966 München * Der TSV 1860 Münchenwird erstmals - und bislang zum einzigen Mal - Deutscher Fußballmeister. Mit der Meisterschaft sind Namen wie Rudi Brunnenmeier, Friedhelm "Timo" Konietzka und Petar "Radi" Radenkovic verbunden.

Der FC Bayern Münchenwird Dritter, der 1. FC Nürnbergbelegt den sechsten Platz in der Bundesliga-Tabelle.

Seite 734/814 10. Juni 1966 Großbritannien * Mit "Paperback Writer / Rain"wird die 12. Single der Beatles veröffentlicht.

23. Juni 1966 London - München * Um 11:20 Uhr heben die Beatles mit dem Flug BE502 mit der BEA-Linienmaschine Comet IVvom Londoner Flughafen ab, um um 12:56 Uhr in München-Riem zu landen. Endlich sind sie da. George Harrison, Paul McCartney, John Lennon und Ringo Starr treffen erstmals und höchstpersönlich in München ein.

Und als "die vier Sängerknaben mit der Mädchenfrisur" das Flugzeug verlassen, werden sie "von lustigen Teenagern zumeist" begeistert empfangen. Man hat sie bis zur Landung des Flugzeugs mit Beatmusik bei Laune gehalten.Die Mädchen tragen Pony, die Haare hochtoupiert, sowie bonbonfarbene, schenkelkurze Op-Art-Kleidchen und Pumps. Die Burschen bekleiden sich mit hautengen Jeans und schwarzen T-Shirts oder geblümten Hemden. Ihre Haare bedecken zwar die Ohren, reichen aber noch nicht bis zur Schulter.Dazwischen sind auch "einige wüstere Typen mit verfilztem, schulterlangem Haar, im obligatorischen Snow Coat mit aufgemalten Atomwaffengegner-Abzeichen", schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Die Mädchen halten bemalte Schilder hoch und alles sieht friedlich aus.Doch es muss schon ein sehr trügerischer Friede sein, denn auf je fünf Fans kommt ein Polizist. 200 Staatliche Ordnungskräfte sorgen für einen reibungslosen Ablauf.Außerdem ist die Straße rechts vom Hauptgebäude auf einer Länge von fast einhundert Metern abgesperrt worden.

Noch auf der Rolltreppe werden die Fab Fourmit extrem saublöden Fragen interviewt.Ringo Starr antwortet auf dem Flughafen auf die Frage eines Reporters: "Warum stehen Sie immer so spät auf?" mit der Gegenfrage: "Wollen Sie schon in aller Frühe unseren Lärm hören?"Total unverständlich findet der Münchner Merkurdie Popularität der Beatles, da die Vier doch nur Nachteile vorzuweisen hätten: "Der kurzsichtige John Lennon, der Linkshänder Paul McCartney, George Harrison mit den abstehenden Ohren und Ringo Starr mit der übergroßen Nase."

Außerdem überreicht man ihnen Lederhosen mit Hirschknöpfen und weiße leinene Trachtenhemden.Schon während des Flugs hat man ihnen einen Tirolerhutübergeben, den der "großnasige" Ringo beim Verlassen des Flugzeugs zu seiner braunen Lederjacke trägt.

"Machen Sie Platz für die Beatles!".Die Ampeln sind für die vier Musiker auf Grün gestellt. So fahren sie über die Prinzregentenstraße, vorbei an den Vieltausenden, Fähnchen schwenkenden, "Yeah-yeah-yeah!" kreischenden Münchner Beatles-Fans. Es herrscht einfach eine freundliche Stimmung an diesem 23. Juni 1966.

In dem Auto mit dem Kennzeichen M-TX 107 sitzen die Beatles.Um den wartenden Fans zu entkommen, fährt der Mercedes die Tiefgarage von hinten an, sodass die Gruppe um 13:45 Uhr das Hotel durch den Lieferanteneingang betreten kann. Während die Musiker durch den Hintereingang verschwinden, warten auf dem Promenadeplatz etwa 3.000 Fans und Neugierige mit Transparenten. Neun Hausdiener und eine Handvoll Polizisten sollen den Bayerischen Hofgegen den Ansturm der Beatles-Fans verteidigen."Die Scheiben sind vorsorglich beim Glaser bestellt", diktiert Hotelchef Falk Volkhardt einem Reporter in den Block.

Nichts passiert. Nur junge Frauen und Männer warten auf dem Promenadeplatz sehnsüchtig auf den Augenblick, dass sich ihre Idole an einem der Fenster zeigen.Oben im fünften Stock tun diese den Fans ein einziges Mal den Gefallen und treten ans Fenster, um ein paar Autogramme auf die Straße zu werfen.

Seite 735/814 Für 16:00 Uhr ist im Nachtclubdes Hotels Bayerischer Hofeine Pressekonferenz anberaumt.Diese beginnt 20 Minuten später, weil der Fahrstuhl stecken bleibt. Statt der erlaubten 10 haben sich 15 Personen in den Aufzug gequetscht.Zuerst werden Fotos der Fab Fourgeschossen, danach dürfen die Journalisten die Beatles 13 Minuten befragen.Dazwischen bekommen sie noch den "Goldenen BRAVO Otto" in der Kategorie Beste Beatbandüberreicht.

Zur gleichen Zeit tagt im Polizeipräsidiuman der Ettstraße ein Krisenstab, denn den deutschen Behörden und der Polizei waren Popstars samt den kreischenden Fans ausgesprochen befremdlich.Aus Anlass des Beatles-Gastspiels richtet man in München einen Krisenstab ein, dem der Polizeipräsident, zwei Einsatzleiter und ein erst kurz zuvor installierter psychologischer Fachmann angehören.Deeskalationfordert der Psychologe, was natürlich umfangreiche polizeiliche Vorbereitungen notwendig macht, um Massenaufläufe möglichst zu verhindern oder zumindest unter Kontrolle zu halten.

So bekommen die Beatlesdie Kehrseite ihres Ruhmes zu spüren.Ihnen wird ein abendlicher Schwabing-Bummel aus Sicherheitsgründen verboten, weshalb sie die ganze Zeit ihres München-Aufenthaltes im Bayerischen Hofverbringen müssen. Die Abendzeitungschreibt beschwichtigend: "Die Herren tragen zwar unorthodoxe Haartracht und veranstalten einen für musikalische Ohren beschwerlichen Lärm, aber im Grunde sind sie harmlos und übermütig, und in ihren Liedern kommt nichts Unanständiges vor."Die Polizei hat eine Fälscherbande hochgenommen, die 125 gefälschte Eintrittskarten für die Beatles-Konzertezu Horror-Preisen verkauft hat.

Am frühen Abend machen die Beatles eine Generalprobeauf ihrem Zimmer, da sie bis zum 21. Juni 1966 jeden Tag mit den Aufnahmen zur LP "Revolver"beschäftigt waren. Gegen 21:30 Uhr betreten die vier Beatmusiker das 16 Meter lange Schwimmbadauf dem Dach des Hotels Bayerischer Hof, das extra für die Beatles reserviert und eigens für diesen Zweck mit neuem Wasser gefüllt worden war. Der einzige Schwimmer ist Paul, der sich mit einer geliehenen Badehose in die Fluten stürzt, während die drei anderen "kühles Nass aus Whiskeyflaschen" vorziehen.

Fortsetzung folgt !

24. Juni 1966 München * Für 17:15 Uhr ist das erste und für 21 Uhr das zweite Beatles-Konzertim Circus Kroneangesetzt. Die Süddeutsche Zeitunginformiert ihre Leser fürsorglich über die gesundheitliche Gefährlichkeit dieser Musik:"Wenn die Gitarren ihren harten Rhythmus beginnen, wird der Lärm so stark, dass es vom ärztlichen Standpunkt aus ratsam erscheint, das Weite zu suchen.Das halbe Dutzend großer Verstärker verwandelt selbst das Laufgeräusch einer Ameise in das Donnern einer aufgescheuchten Elefantenherde: Sie haben zusammen 800 Watt."

Die 6.200 Eintrittskarten für die Beatles-Konzertesind schon lange vorher verkauft worden, 2.000 davon nach auswärts.Vier Sonderzüge treffen mit diesen Fans in München ein:

aus Stuttgart Der Rasende John, aus Innsbruck Der Fliegende Paul, aus Würzburg Der Schnelle Georgeund aus Ulm Der Rollende Ringo.

Am Einlass zum Cirkus-Krone-Baubrechen Teenager vor Enttäuschung in Tränen aus.Sie sind von einer Fälscherbande mit gezinkten Tickets betrogen worden.

Seite 736/814 Um 16:30 Uhr werden die Türen zum Circus-Krone-Baufür die Fans geöffnet und um 17:15 Uhr beginnt das erste Beatles-Konzert vor 3.500 Zuschauern mit dem Vorprogramm. Die Sicherheitsvorkehrungen sind beträchtlich: 250 Polizeibeamte sind im Einsatz.Im Hof der Deroy-Schuleparkt ein Wasserwerfer.Im Publikum verteilen sich ausgewählte junge Beamte.Bei einem Stimmungsüberschlag will man den Cirkus-Krone-Bauschlagartig in gleißend weißes Licht tauchen.Doch noch vor Konzertbeginn sorgtein Gewitterregen für Abkühlung.

Die Stimmung sinkt noch tiefer, als sich die erste Vorgruppe mit dem aufreizenden Namen Cliff Bennet and the Rebel Rousersauf der Münchner Bühne abmüht.Erst den Rattles, einer Band aus Hamburg, gelingt es, die Emotionen auf beatlesgemäßes Niveau zu steigern.Im Anschluss tritt noch das Duo Peter & Gordonauf. Danach schaltet die Regie eine künstliche Pause, nach der - in dem atemlos stillen Krone-Saal - die Beatlesangekündigt werden.

Als die vier Ausnahmemusiker urplötzlich auf die Bühne springen, entlädt sich ein Orkan.Unter ihren - für die damaligen Verhältnisse - skandalös langhaarigen Köpfen tragen sie dunkelgrüne Jägeranzüge mit hellen Kragenaufschlägen. Ihre ebenfalls uniformen gelben Hemden sind mit Krawatten zugebunden.

Die Beatlesspielen zwar nur elf Lieder.Doch mit jedem Song steigert sich die frenetische Begeisterung des Münchner Publikums. Die Songfolge ist folgendermaßen:

Rock and Roll Music She?s a woman If I needed someone Babys in black Day tripper I feel fine Yesterday I wanna be your man Nowhere man Paperback writer I?m down

Begeisterte, schluchzende und enthemmte Jugendliche branden gegen die Bühne an, ausgebremst von einer Hundertschaft Polizisten, die auf Empfehlung des Psychologen in Zivil gekommen sind.Papierkugeln und Damenschuhe fliegen durch die Luft - bevorzugt zu Paul McCartney, dem damals noch einzigen Junggesellen. Nach jeder Nummer verbeugen sich die "Pilzköpfe" artig und lächeln lieb.Das Jubelgeschrei wird noch lauter und noch stärker, sodass hinterher keiner der Anwesenden mit Bestimmtheit sagen kann, welche Songs die Beatles tatsächlich gespielt haben.

Bereits nach 25 Minuten verschwinden die - wie sie die Münchner Presse gerne nennt - "vier Liverpooler Sängerknaben" - genauso schnell wieder von der Bühne, wie sie gekommen sind, und hinterlassen ein erschüttertes Publikum und eine erleichterte Polizei. Immerhin ist es zu keinen Ausschreitungen und Sachbeschädigungen gekommen."Es ging alles friedlich vonstatten", wurde gebetsmühlenartig wiederholt.

25. Juni 1966 München - Essen *Die Beatlesverlassen um 8:25 Uhr auf Gleis 11 den Münchner Hauptbahnhof. Sie benutzen

Seite 737/814 dazu den gleichen Vier-Waggon-Sonderzug, mit dem ein Jahr zuvor Königin Elisabeth und Prinz Philipp die Bundesrepublik bereist hatten. Beatles-Manager Brian Epstein hätte den Zug beinahe verpasst.

Rund dreihundert Fans haben sich hinter den Absperrungen im Bahnhof versammelt, um ihre "plüschhaarigen Lieblinge" ein letztes Mal zu sehen. "Schaurig hallte das Kreischen der Teenager durch die Bahnhofshalle" - und dann sind sie weg. Langsam kann die "Münchner Bierruhe" wieder zurückkehren.

Um 16:32 Uhr sind die Beatlesin Mülheim/Ruhr.Von dort fahren sie direkt zur Gruga-Hallein Essen, wo sie ebenfalls zwei Konzerte vor insgesamt 16.000 Fans geben sollen.

26. Juni 1966 Hamburg *Die Beatlestreffen um 5:30 Uhr auf dem Hamburger Bahnhof Ahrensburg ein. Nach zwei Shows in der Ernst-Merck-Hallevor jeweils 5.600 Zuschauern bricht der Verkehr zusammen. Vier Stunden nach dem zweiten Konzert meldet der Polizeifunk: "Durchbruch der Fans auf breiter Front."

600 Polizeibeamte sind im Einsatz und 117 Fans werden inhaftiert. Unterdessen entwischen die Beatlesihren Bewachern und feiern mit ihren alten Freunden von der Reeperbahn bis um vier Uhr in der Frühe. Damit endet das Gastspiel der "weltbesten Beatband" in Deutschland.

27. Juni 1966 Hamburg * Die Beatles brechen von Hamburg in Richtung Japan auf.

31. Juli 1966 USA * Aufgrund der John-Lennon-Aussage, die Beatles seien "populärer als Christus" verzichten Radiosender im amerikanischen Bible Beltauf die Ausstrahlung von Beatles-Liedern. Beatles-Schallplatten und Fanartikel werden als Reaktion daraufhin öffentlich verbrannt.

5. August 1966 Großbritannien * Revolver, die siebte Langspielplatte der Beatles, wird in den Schallplattenläden angeboten.

Die Platte ist das erste Gesamtkunstwerk der Fab Four. Als Auskoppelung der LP erscheint die 13. Beatles-Single mit den Titeln Eleanor Rigby/Yellow Submarine.

9. November 1966 München-Schwabing * Vom 8. bis 11. November spielt Jimi Hendrix und seine Band Experienceim Big Apple Clubin der Leopoldstraße als Vorgruppe zu einer Soul-Revue.

Am 9. November wird Jimi von übermütigen Fans in die Menge gezogen.Beim Zurückspringen auf die Bühne zerbricht seine Gitarre.Der Musiker flippt aus und schlägt die Gitarre zu Kleinholz.Jetzt tobt das Publikum vor Begeisterung, weshalb Jimi Hendrix künftig immer eine Gitarre auf der Bühne zerdeppern muss.

26. November 1966 Bonn * Zwischen dem Kanzerkandidaten der CDU, Kurt Georg Kiesinger, und dem oppositionellen

Seite 738/814 Kanzerkandidaten der SPD, Willy Brandt, wird eine Große Koalitionvereinbart.

1. Dezember 1966 Bonn * Kurt Georg Kiesinger wird Bundeskanzler der ersten Großen Koalitionauf Bundesebene.

9. Dezember 1966 Großbritannien * In Großbritannien erscheint die achte Beatles-LP "A Collection of Beatles Oldies". Sie ist eine für das Weihnachtsgeschäft geschaffene Zusammenstellung von Beatles-Singles. Das einzige neue Lied ist "Bad Boy". Die Langspielplatte erreicht erstmals nicht den 1. Platz in den Britischen Charts, sondern kommt nur auf Platz 6.

1967 München-Haidhausen * In den Maximiliansanlagen, zwischen dem Maximilianeumund dem Friedensengel, an der Stelle, an der König Ludwig II. - eigens für die Werke seines verehrten Musikeridols Richard Wagner - ein Festspielhauserrichten lassen wollte, wird eine 2,60 Meter hohe Bronzestatue zu Ehren des bayerischen Märchenkönigserstellt.

1967 München-Graggenau * Bedingt durch den Bau der U- und S-Bahn wird die "Mariensäule" abgetragen, wobei der früher schon erneuerte Säulenschaft zerbricht.

Sie wird durch eine Kopie in "Adneter Marmor" ersetzt.

1967 München-Maxvorstadt * Ferdinand Schmid ist bis 1970 für die Münchener "Löwenbrauerei" tätig.

1967 München-Untergiesing * Die "Bäcker-Innung" steigt auf die Barrikaden, nachdem sie die Hangauffahrt des "Mittleren Ringes" zu überrollen droht.

Um Platz für die Hochstraße zu schaffen, musst damals ein Drittel des Bürotraktes der "Bäcker-Kunstmühle" geopfert werden. Ein Argument, mit dem sich die "Bäcker-Innung" damals gegen die städtischen Straßenplaner wehrt, ist, dass die Versorgung der Münchner Bevölkerung mit Brot gefährdet sei.

Vor Gericht wird ihr eine Entschädigungssumme von 800.000 DMark zugesprochen, die anschließend zur Modernisierung in den Betrieb gesteckt wird. Doch diese Investition ist zum Fenster rausgeschmissen.

1967 München-Lehel * Der Einlass für den "Fabrikbach" nördlich der "Mariannenbrücke" gebaut.

Seite 739/814 Durch die Verbreiterung der Kaimauern verliert die"Mariannenbrücke"viel an Eleganz.

17. Februar 1967 Großbritannien * Die ursprünglich für die Beatles-LP "Sgt. Pepper?s Lonely Hearts Club Band" aufgenommenen Titel "Penny Lane" und "Strawberry Fields Forever" erscheinen auf der 14. Single. Manager Brian Epstein plädierte für die Veröffentlichung, weil die Beatles schon so lange nicht mehr in den Charts gewesen sind.

1. Juni 1967 Großbritannien * Als neunte Langspielplatte der Beatles erscheint "Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band".

Ab Juli 1967 Großbritannien * 126 Zeichner beginnen mit den Arbeiten für den Zeichentrickfilm "Yellow Submarine", für den die Beatles die Musik schreiben werden.

7. Juli 1967 Großbritannien * Die Single "All You Need Is Love / Baby Your ARich Man" wird veröffentlicht. Sie bringt die Beatlesdiesseits und jenseits des Atlantiks an die Spitze der Hitparaden.

September 1967 Großbritannien * Drehbeginn für den Beatles-TV-Film "Magical Mystery Tour".

15. September 1967 München-Graggenau * Der Zierbrunnen im Alten Hofwird wieder in Betrieb gesetzt.

14. November 1967 Großbritannien * Mit "Hello Goodbye/I Am The Walrus" kommt die 16. Beatles-Single in die Schallplattengeschäfte.

8. Dezember 1967 Großbritannien * Eine Doppel-EP mit einem 28-seitigen Comic-Buch, das die Story erzählt, erscheint die Musik zu dem Beatles-TV-Film "Magical Mystery Tour".

26. Dezember 1967 Großbritannien * Der Beatles-TV-Film "Magical Mystery Tour" wird in BBC 1 TVin Schwarzweiß ausgestrahlt.

1968 München-Untergiesing * Der "Templer-Orden" erwirbt von der "Landeshauptstadt München" die unter Denkmalschutz stehende ehemalige "Winterhalter-Villa" an der Birkenleiten 35 und baut sie für seine Zwecke und Bedürfnisse aus.

Seite 740/814 Seither befindet sich hinter dem hohen schmiedeeisernen Gitter das "Trinitarion des orientalisch-orthodox-katholischen und kreuzritterlichen Chor- und Hospitaliter-Ordens der Templer e.V.". Und das ist auch richtig, bezeichnet aber nur den sozialen Bereich, den sich die hier befindliche "religiöse Ordensgemeinschaft" auferlegt hat: die "Speisung der Armen".

Nichts aber deutet darauf hin, dass sich in der ehemaligen Villa des "Hofgoldschmieds und Juweliers" Karl Winterhalter das "Archiconvent des Templerordens", also der Hauptsitz der "Templer-Ordensgemeinschaft" in Deutschland befindet.

5. Januar 1968 Großbritannien * Der Beatles-TV-Film "Magical Mystery Tour" wird in BBC 2in Farbe wiederholt.

22. Februar 1968 München-Oberwiesenfeld * Der Münchner Fernsehturmist fertig gestellt und geht in Betrieb. Der Aussichtskorbist zwischen 174,15 Meter und 192,6 Meter angebracht. Auf dieser Höhe befindet sich auch das "Rock Museum Munich".

15. März 1968 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre 17. Single mit den Titeln "Lady Madonna" und George Harrisons "The inner light".

30. August 1968 Großbritannien * Die 18. Beatles-Single kommt in die Plattenläden. Sie beinhaltet die Titel "Hey Jude" und "Revolution".

24. Oktober 1968 München-Maxvorstadt * Das Hippie-Musicals "Haare"[= "Hair"]erlebt im Theater an der Brienner Straße seine deutsche Uraufführung. Für die jungen Schauspieler und Sänger Reiner Schöne, Ron Williams, Jürgen Marcus und die 19-jährige Donna Summer wird Haare zum Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere.

25. Oktober 1968 Großbritannien * In einer Pressekonferenz berichten John Lennon und Yoko Ono von Yokos Schwangerschaft.

1. November 1968 Großbritannien * George Harrisons Solo-LP "Wanderwall Music" erscheint. Es ist das erste Solo-Album eines Beatleund enthält die eigens komponierte Instrumenal-Musik für den britischen Film "Wanderwall".

22. November 1968 Großbritannien * Die erste Doppel-LP der Beatles, die Zehnte ihrer Schaffensphase, die wegen ihres weißen Covers auch "White Album" genannt wird, erscheint in den Plattenläden.

Seite 741/814 25 Songs stammen aus der Feder von John Lennon & Paul McCartney, vier hat George Harrison und einen hat Ringo Starr geschrieben.

28. November 1968 Großbritannien * John Lennon wird wegen Cannabis-Besitzzu einer Strafe von 150 Pfund verurteilt.

29. November 1968 Großbritannien * John Lennons und Yoko Onos erste gemeinsame Langspielplatte "Unfished Music No. 1 - Two Virgins" erscheint.

1969 München-Thalkirchen * Das "Müllverbrennungswerk Süd" geht in Betrieb.

1969 München-Bogenhausen * Die "Raulino Treuhand- und Verwaltungs AG" kauft die ehemalige "Hildebrand-Villa" in der Maria-Theresia-Straße 23 für 1,6 Millionen DMark.

3. Januar 1969 Großbritannien * 30.000 Exemplare der Langspielplatte "Unfished Music No. 1 - Two Virgins" von John Lennon und Yoko Ono werden wegen des Coverfotos als Pornographie beschlagnahmt.

10. Januar 1969 London * George Harrison verlässt nach einem erbitterten Streit mit John Lennondie Film- und Plattenaufnahmen von "Let It Be", nachdem es zuvor schon Auseinandersetzungen mit Paul McCartney gab. Erst nach zwei klärenden Gesprächen aller vier Beatles können die Aufnahmen am 21. Januar fortgeführt werden. Der Bruch ist aber unwiderruflich eingetreten.

13. Januar 1969 Großbritannien * Die elfte Beatles-LP "Yellow Submarine"wird veröffentlicht.Sie beinhaltet neben dem Titelsong von 1966 die vier für den Film neu geschriebenen Songs und die Orchestermusik von George Martin.

23. Februar 1969 München * Bei einem Brand der Baustelle im Tunnel der U-Bahn unter dem Marienplatz kommen drei Arbeiter ums Leben.

20. März 1969 Gibraltar *Yoko Ono und John Lennon heiraten im "Britischen Konsulat" auf Gibraltar.

Seite 742/814 12. April 1969 Großbritannien * Die Beatles veröffentlichen ihre 19. Single mit den Titeln "Get back" und "Don?t let me down".

9. Mai 1969 Großbritannien * "Unfished Music No. 2 - Life with the lions", die zweite LP von John Lennon und Yoko Ono, wird veröffentlicht.

9. Mai 1969 Großbritannien * Die George-Harrison-LP "Electronic Sound" erscheint.

30. Mai 1969 Großbritannien*Mit"The Ballad of John and Yoko"und"Old Brown Shoe"veröffentlichen die Beatles ihre 20. Single.

9. Juni 1969 London * Brian Jones, Lead-Gitarrist und Mitbegründer der Rolling Stones, trennt sich von der Band. Jones akzeptiert einen Abfindungsvertrag, der ihm eine einmalige Abfindungszahlung vom 100.000 Pfund sowie 20.000 Pfund jährlich, so lange die Rolling Stonesexistieren.

3. Juli 1969 Hartfield * Brian Jones, der Ex-Lead-Gitarrist der Rolling Stones, stirbt in Hartfield, Sussex.

4. Juli 1969 Großbritannien * Mit "Give Peace AChance"und "Remember Love"erscheint die erste Single des John Lennon/Yoko Ono-Bandprojekts Plastic Ono Band.

5. Juli 1969 London * Mick Taylor tritt erstmals als offizielles Band-Mitglied der Rolling Stonesbeim Konzert im Londoner Hyde-Parkvor etwa 500.000 Menschen auf. Das Konzert ist Brian Jones - aufgrund des plötzlichen Todes - gewidmet.

22. August 1969 Großbritannien * Das letzte gemeinsame Foto der Beatles wird in John Lennons Anwesen Tittenhurst Parkgeschossen.

26. September 1969 Großbritannien * Die zwölfte LP "Abbey Road"der Beatles wird veröffentlicht. 14 Songs stammen von dem Team Lennon/McCartney, zwei Lieder hat George Harrison, eines Ringo Starr geschrieben.

Seite 743/814 28. September 1969 Bundesrepublik Deutschland -Bonn * Bei der Wahl zum 6. Deutschen Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger 46,1 Prozent [- 1,5] und 250 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Willy Brandt erringt 42,7 Prozent der Stimmen [+ 3,4] und 237 Sitze. Die FDP bekommt 6,8 Prozent [- 3,7] und 31 Sitze. Die NPD scheitert mit 4,3 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde.

Willy Brandt [ SPD] wird Bundeskanzler einer Koalition aus SPD und FDP.

20. Oktober 1969 Großbritannien * Die zweite Single der Plastic Ono Bandmit den Titeln "Cold Turkey" und "Don?t Worry Kyoko (Mummy?s Only Looking For AHand In The Snow)" erscheint. Produziert wurde die Platte von John Lennon und Yoko Ono.

24. Oktober 1969 Großbritannien * Die John-Lennon-Single "Cold Turkey" von der "Plastic Ono Band" erscheint.

31. Oktober 1969 Großbritannien * Mit "Something" erscheint erstmals ein George-Harrison-Song auf der A-Seite einer Beatles-Single. Auf der Rückseite befindet sich "Come Together". Die Lieder auf dieser 21. Single sind Auskoppelungen aus der LP Abbey Road.

25. November 1969 London * John Lennon schickt seinen Orden Member of the British Empirezurück, um damit gegen die britische Nigeria-Politikund den Vietnam-Kriegzu protestieren.

12. Dezember 1969 Großbritannien * Die LP "The Plastic Ono Band - Live Peace in Toronto 1969" kommt in die Plattenläden. Das Konzert ist am 13. September aufgezeichnet worden.

15. Dezember 1969 Welt * John Lennon und Yoko Ono verbreiten im Rahmen einer Friedenskampagne Plakate mit der Aufschrift "War Is Over!"Darunter steht in kleinerer Schrift: "If You Want It. Happy Christmas from John & Yoko."

Die Plakataktion beginnt am 15. Dezember in zwölf Städten: Athen, Berlin, Hongkong, London, Los Angeles, Montreal, New York, Paris, Port-of-Spain (Trinidad), Rom, Tokyo und Toronto. In Deutschland steht auf den Plakaten und Handzetteln "Der Krieg ist aus!".

Seite 744/814 1970 München-Au - München-Isarvorstadt * Die noch vorhandene Denkmal-Anlage auf der "Corneliusbrücke" für König Ludwig II. wird - gegen Proteste der Bevölkerung - abgetragen.

1970 München-Lehel * Der Hochaltar der "Anna-Klosterkirche", ein Werk der Gebrüder Asam, wird rekonstruiert.

Nur dessen Herzstück, der Tabernakelbau von Johann Baptist Straub, und die beiden großen, den Altar flankierenden Stuckfiguren haben den Brand von 1944 überstanden. Die restliche Ausstattung des Hauptaltars muss neu gestaltet werden, wobei die Rekonstruktion des Hochaltarbildes bis ins Jahr 1975 hinein andauert. Auch dieses Bild war eine völlige Neuschöpfung, da nur ein Schwarz-Weiß-Foto zur Rekonstruktion vorliegt.

1970 München-Ludwigsvorstadt - Schwanthalerhöhe * Ferdinand Schmid wechselt in die Geschäftsleitung der "Augustiner-Bräu Wagner K.G.", wo er bis 1991 "persönlich haftender Gesellschafter" ist.

1970 München-Ludwigsvorstadt - Schwanthalerhöhe * Letztmalig liefert ein Pferdefuhrwerk auf der Schwanthalerhöhe Bierfässer aus.

Februar 1970 München-Haidhausen * Die von der "Firma Stahlgruber" gemieteten Räume der ehemaligen "Eberl-Faber-Aktiengesellschaft"an der Rosenheimer Straße werden nach dem Umzug des Unternehmens in die Einsteinstraße abgerissen.

6. Februar 1970 Großbritannien * Die Single "Instant Karma! (We All Shine On)" und "Who Has Seen The Wind?" von John Ono Lennon with The Plastic Ono Band erscheint.

13. Februar 1970 München-Isarvorstadt * Bei einem Brandanschlag auf das "jüdische Altersheim"an der Reichenbachstraße 27 kommen zwei Frauen und fünf Männer, darunter zwei "Holocaust-Überlebende" zu Tode.

13. Februar 1970 München-Isarvorstadt * Bei einem Brandanschlag auf das "jüdische Altersheim" an der Reichenbachstraße 27 kommen sieben jüdische Menschen zu Tode.

Die Urheber dieser Mordtat hat die Polizei bis zum heutigen Tag nicht ermitteln können.

Seite 745/814 8. März 1970 Großbritannien * Auf der 22. Single der Beatles sind die Lieder "Let It Be" und "You Know My Name" aufgenommen.

10. April 1970 Großbritannien * Paul McCartney will aus musikalischen, persönlichen und geschäftlichen Gründen nicht mehr mit den Beatles zusammenarbeiten.

Das ist das Ende der Beatles.

8. Mai 1970 Großbritannien * Die 13. und letzte Langspielplatte "Let It Be"der Beatles wird veröffentlicht.

Neun Lieder stammen aus der Feder des Komponistenteams John Lennon und Paul McCartney. Zwei Songs hat George Harrison beigesteuert.

11. Mai 1970 Großbritannien * Die 23. Single der Beatles ist eine Auskoppelung aus der LP "Let It Be". Sie umfasst die Lieder "The Long And Winding Road" und "For You Blue".

31. Oktober 1970 Großbritannien * Paul McCartney reicht eine Klage ein, um die Auflösung der Gesellschaft Beatles & Cozu erwirken.

30. November 1970 Großbritannien * Die dreifach LP "All Things Must Pass" von George Harrison erscheint in den Plattenläden.

11. Dezember 1970 Großbritannien * John Lennons erstes Solo-Album "John Lennon/Plastic Ono Band" ist in den Plattenläden zu erhalten.

14. Dezember 1970 New York * Dr. Hermann Schülein stirbt im Alter von 86 Jahren in New York.

Im Jahr 1971 München-Haidhausen * Der "Glaspalast-Brunnen" vor dem "Ostbahnhof" muss dem S-Bahn-Bau weichen.

Seite 746/814 Ende 1971 München-Thalkirchen * Das Müllverbrennungswerk Süderhält einen zweiten Block. Mit diesen Kapazitäten lässt sich damals der gesamte Abfall verbrennen. Sogar Gemeinden aus dem Landkreis Münchenliefern ihren Müllan.Damit erzeugen die KraftwerkeStrom und Fernwärme - aber auch giftige Abgase, weshalb die Müllverbrennungimmer umstritten war.

15. Januar 1971 Großbritannien * George Harrison veröffentlicht in Großbritannien seine Single "My Sweet Lord" und "What Is Life".

12. März 1971 Großbritannien * John Lennons und Yoko Onos Single "Power To The People" und "Open Your Box" erscheint.

30. Juli 1971 Großbritannien * George Harrison veröffentlicht seine Single Bangla Deshund Deep Blue.

2. September 1971 München-Graggenau * Der Fischbrunnenam Marienplatz wird wieder als ganzjährig laufender Brunnen in Betrieb genommen.

29. September 1971 Bonn * Die Bundesrepublik Deutschland erhält ihr erstes Umweltprogramm. Bundeskanzler Willy Brandt spricht von "Existenzfragen der Menschheit". Damit wird der Grundstein gelegt für nahezu alle großen Umweltgesetze,

von der Luftreinhaltung über die Klärung von Abwässern bis hin zum Umgang mit wachsenden Abfallmengen. Das Verursacherprinzip findet Eingang in die deutsche Gesetzgebung, es lässt diejenigen für Umweltschäden haften, die sie verbockt haben. Fuß fasst auch das Vorsorgeprinzip, demzufolge der Staat einschreiten muss, ehe Probleme entstehen.

8. Oktober 1971 Großbritannien * Die LP "Imagine" von John Lennon wird veröffentlicht.

4. Dezember 1971 München-Obergiesing * An der Martin- Luther-Straße 26 eröffnet McDonalds seine erste deutsche Filiale. Dass die US-amerikanische Fleischpflanzl-Braterei gerade in Giesing ihr erstes Lokal eröffnet, liegt an der Nähe des Stadions an der Grünwalder Straße und der leichten Erreichbarkeit mit dem Auto. Einen sicheren Kundenstamm hat man zudem mit den zahlreichen Amerikanern, die im Südosten Münchens ihre Militär- und Wohnanlagen unterhalten und in McDonalds ein Stück Zuhause vorfinden.

Seite 747/814 Das anfängliche Angebot umfasst Hamburger, Cheeseburger, Pommes Frites, Cola, Limo und Kaffee. Ein Hamburger kostet 95 Pfennige. Die Käsescheiben werden noch mit der Hand vom Block geschnitten, die Kartoffeln für die Pommes ebenfalls von Hand geschält und geschnitten. Der schlagartig einsetzende Erfolg gibt den Marktstrategen mit ihrer Standortwahl Deutschland recht: Bereits im ersten Monat beträgt der Umsatz des Lokals 110.000 DMark.

Diese typisch amerikanische Esskultur erfährt Ablehnung von konservativen wie auch linksintellektuellen Kreisen, die ihren emotionalen Anti-Amerikanismus an McDonalds festmachen. Die Firma wird als vermeintlich kurzlebige Modeerscheinung belächelt und als Unkultur verdammt.

1972 München-Schwabing * Die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" löst sich als Ensemble auf.

10. Januar 1972 Großbritannien * Die dreifach LP "The Concert for Bangla Desh"von George Harrison kommt in die Plattenläden. Das Konzert war unter Beteiligung von Ravi Shankar, Eric Clapton, Badfinger, Jim Keltner, Billy Preston, Ringo Starr, Leon Russel,Bob Dylan und vielen anderenam 31. Juli 1971 aufgenommen worden.

30. Juni 1972 München-Kreuzviertel * Ein Brunnen mit der technokratischen Bezeichnung "Schwerer Granit und zarte Wasserglocken" wird im Schatten der Türme der Frauenkirchein Betrieb genommen. Die Wasserglockenwerden 1980 durch Bronzepilzeersetzt.

Gleichzeitig wird auch derBennobrunnenaufgestellt und angeschlossen.

30. Juni 1972 München-Kreuzviertel - München-Hackenviertel * Die 199 Wasserstrahlen des Springbrunnens am Stachusergießen sich zum ersten Mal und schaffen an dem verkehrsgeplagten Platz an heißen Tagen eine Oase der Kühle.

19. November 1972 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 7. Deutschen Bundestagerhält

die SPD mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Willy Brandt 45,8 Prozent [+ 3,1] und 242 Sitze. Die CDU/CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Rainer Barzel erringt 44,9 Prozent der Stimmen [- 1,2] und 234 Sitze. Die FDP bekommt 8,4 Prozent [+ 2,6] und 42 Sitze.

Willy Brandt [SPD] wird Bundeskanzler einer Koalition aus SPD und FDP.

24. November 1972 Großbritannien * Der John Lennon/Yoko Ono-Song "Happy Xmas (War Is Over)" erscheint jetzt auch in

Seite 748/814 Großbritannien. Auf der B-Seite befindet sich "Listen, The Snow Is Falling", eine Komposition von Yoko Ono.

Das Protestlied gegen den Vietnamkrieghat sich inzwischen zu einem klassischen Weihnachtslied entwickelt, das es sogar unter die ersten zehn Plätze der beliebtesten Weihnachtslieder geschafft hat.

1973 München-Isarvorstadt * Ein Abguss des Kopfes der "König-Ludwig-II.-Monuments" wird im "Rosengarten" an der "Corneliusbrücke" aufgestellt.

1973 München-Lehel * Die Restaurierung der beiden Seitenaltäre der "Anna-Klosterkirche" beginnt.

Der sich auf der linken Seite befindliche "Paula-Altar" und der ihm gegenüberliegende "Hieronymus-Altar". Die Altarblätter stammen von Cosmas Damian Asam und sind die einzigen Originalgemälde in der "Anna-Kirche".

Sie konnten nur durch rechtzeitige Evakuierung und Auslagerung vor den Flammen gerettet werden.

1973 München-Berg am Laim - München-Haidhausen * Noch plant man die in den 1930er Jahren schon avisierte Gleisüberbauung über den "Ostbahnhof", die zusätzliche 37.000 Quadratmeter Nutzfläche bringen soll.

22. Juni 1973 Großbritannien * Die George-Harrison-LP "Living in Material World" wird veröffentlicht

26. August 1973 München * Start der Satiresendung "Notizen aus der Provinz" im ZDF mit Dieter Hildebrandt.

22. September 1973 München-Theresienwiese?Die Familie Christl und Erich Hochreiter ist mit einer kleinen Wurstbudeneben dem Bräurosl-Festzeltauf der Wiesnvertreten.

2. November 1973 USA * John Lennon, George Harrison und Ringo Starr verklagen Allen Klein wegen falscher Abrechnungen. Klein reicht umgehend Gegenklage ein.

1974 München * Dieter Hildebrandt tritt gemeinsam mit Werner Schneyder auf.

1974 München-Maxvorstadt * Das Gelände des ehemaligen "Wittelsbacher Palais", an der Brienner Straße 50, kauft

Seite 749/814 die "Bayerische Landesbank", die darauf ihre "Verwaltungszentrale" errichtet.

Der zu erwartende Erlös von 50 Millionen DMark soll als Grundstock für ein später zu errichtendes "Kulturhaus" zu verwenden. Dabei soll dann auch das "Mahnmal für die Opfer des NS-Terrors" mit verwirklicht werden.

Damit sind die Gemüter vorerst beruhigt und so kann das Projekt eines "Mahnmals" am Ort der "Gestapo-Zentrale" ebenso zu den Akten gelegt werden, wie die Planungen für ein "Kultur- und Volksbildungshaus".

1974 München-Haidhausen * Der Metzgermeister Sepp Krätz arbeitet als "Schankkellner" im "Hofbräukeller", später im "Hirschgarten".

Um Januar 1974 München-Graggenau * Der "Ältestenrat" der Stadt München einigt sich auf den Entwurf des "Baureferats", die "Gedenktafel" für Kurt Eisner direkt an der Mordstelle am "Montgelas-Palais", der früheren "Staatskanzlei", anzubringen.

6. Mai 1974 Bonn * Willy Brandt erklärt seinen Rücktritt als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Der Grund ist die Enttarnung des DDR-SpionsGünter Guillaume, der als Referent für Parteiangelegenheiteneiner der engsten Mitarbeiter von Willy Brandt gewesen ist.

Dies ist auf eine Fahrlässigkeit innerhalb der Bundesregierung zurückzuführen.Denn Guillaume stand bereits seit über einem Jahr im Verdacht, Spionage zu betreiben.

16. Mai 1974 Bonn * Nach dem Rücktritt von Willy Brandt wird Helmut Schmidt [SPD] zum 5. Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Die größten Herausforderungen während seiner Amtszeit sinddie weltweite Wirtschaftsrezession und die Ölkrisen der 1970er Jahre, die die Bundesrepublik unter seiner Führung besser überstand als die meisten anderen Industriestaaten.

26. September 1974 USA *Die LP "Walls and Bridges"von John Lennon ist in den Plattenläden erhältlich.

17. Oktober 1974 München-Bogenhausen * Obwohl schon die Abbruchgerüste stehen, kann das Gebäude an der Maria-Theresia-Straße 23 [= Hildebrand-Haus] für 2,5 Millionen DMark - aus den Mitteln des Denkmalsschutzes - von der Stadt gekauft werden.

28. Oktober 1974 Großbritannien * Allen Klein verliert den Prozess gegen John Lennon, George Harrison und Ringo Starr.

Seite 750/814 Um den 10. Dezember 1974 Großbritannien * Mick Taylor verlässt die Rolling Stonesnach fünf Jahren.

20. Dezember 1974 Großbritannien * George Harrison veröffentlicht seine LP "Dark Horse".

1975 München-Haidhausen * Der "Glaspalast-Brunnen" kommt in der Mitte des Weißenburger Platzes zur Aufstellung.

Die ihn umgebende kleine Parkanlage erfreut sich - in dieser "grünlosen Umgebung" - großer Beliebtheit, seit mit einer kleinen Fußgängerzone auch eine Verkehrsberuhigung eingetreten ist.

Der Weißenburger Platz ist der prächtigste und größte der symmetrischen Plätze des "Franzosenviertels".

Ab 1975 München-Lehel * In den Jahren 1975 und 1976 befasst man sich mit den beiden Haupt-Seitenaltären in der Kirchenmitte der "Anna-Klosterkirche".

Der "Antonius-Altar" wird vollkommen neu konzipiert. Er war ursprünglich ein "Nepomuk-Altar", der später in einen "Ludwigs-Altar" umgewandelt wurde. Jetzt erhält er die Bestimmung eines "Antonius-Altars". Der Heilige gilt als Patron der bayerischen "Franziskaner".

Seine "Oberarm-Reliquie", die Kaiser Ludwig der Baier anno 1330 den Münchner "Franziskanern" schenkte, wurde anno 1480 in einem spätgotischen "Reliquiar" gefasst und in einem barocken Schrein ausgestellt. Sie befindet sich seit dem Jahr 1827 in der "Anna-Kirche". Angeblich rettete ein "Franziskaner-Mönch" die kostbare "Reliquie" nach dem Bombardement aus dem brennenden Gotteshaus.

Die am Altar aufgebaute "Antonius-Statue" aus dem Jahr 1682 wird von kleinen, "modernen" Bildtafeln eingerahmt.

1975 Grünwald * Richard Süßmeier erwirbt das "Forsthaus Wörnbrunn" und verpachtet es für sieben Jahre.

4. Mai 1975 München-Angerviertel * Die Einbrecher kommen in der Nacht, schlagen das Fenster ein, klettern in die Kapelle im nördlichen Seitenschiff der Peterskirche. Dann zerschlagen sie den Schrein der heiligen Munditia. Sie stehlen bunte Glassteine, mit denen die Gebeine der Heiligen geschmückt sind, da sie diese für Edelsteine halten.

Auch Dummheit ist eine Gabe Gottes.

Seite 751/814 3. Oktober 1975 Großbritannien * Mit "Extra Texture (Read All About It)" erscheint ein neues Album von George Harrison in den Plattenläden.

24. Oktober 1975 Großbritannien * "Working Class Hero" von John Lennon erscheint als Single.

1976 München-Graggenau * Der Stadtrat beschließt das "Anbringen einer Gedenktafel für Kurt Eisner" an der Kardinal-Faulhaber-Straße.

Der "Hausbesitzer" Falk Volkhardt weiß die Anbringung der "Erinnerungsplatte" an der Fassade des "Montgelas-Palais", das inzwischen zum "Hotel Bayerischer Hof" gehört, zu verhindern.

Er verweigert die Anbringung der "Gedenktafel" mit seinen Bedenken, dass sich diese "geschäftsschädigend" auswirken und die Tafel möglicherweise Sprengstoffanschläge und Beschädigungen provozieren könnte.

Dieses Risiko will natürlich keiner der Verantwortlichen tragen.

1976 München-Haidhausen * Der kleine dreieckige Block zwischen Wolfgang-, Leonhard- und Preysingstraße wird als "Muster-Sanierungsblock" ausgewählt.

Unter der Bezeichnung "Block 15" soll hier - erstmals in einer mit den Bewohnern abgestimmten Aktion - Einigung über das weitere Vorgehen erzielt werden. Gewerbe soll verpflanzt und Mieter vorübergehend in andere Wohnungen umgesetzt werden, um sie anschließend in verbesserte Wohnräume zurückkehren zu lassen.

Das Baureferat der Landeshauptstadt richtet dazu extra eine Bürgerberatungsstelle in der Milchstraße ein und führte für dieses Vorhaben genaue strukturelle und soziale Untersuchung durch. In dem Block wohnen über 150 Bewohner in siebzig Haushalten. Durch die Neubauten kann die Umsetzung der Mieter innerhalb desselben Blocks geschehen.

Ein Gewerbebetrieb - eine kleine Kohlenhandlung - muss umziehen, womit Schmutz und Lärm aus dem Viertel verlagert werden kann, doch nun ist es andererseits den Haidhausern nicht mehr möglich, einen geringen Brennstoff-Bedarf durch Selbstabholung zu decken.

Umweltfreundlichkeit wird groß geschrieben.

Eine Kastanie wird mit einem finanziellen Aufwand in Höhe von 15.000 DMark gerettet, eine kleine Tiefgarage gebaut, die Höfe begrünt und die Leonhardstraße in eine kleine Fußgängerzone umgewandelt.

Seite 752/814 1976 München-Haidhausen * Der Daphne-Brunnen, der Bildhauerin Marlene Neubauer, wird am Orleansplatz aufgestellt.

Die über drei Meter hohe Daphn"-Skulptur stellt eine Gestalt aus der griechischen Mythologie dar. Sie, die alle Annäherungsversuche von Männern zurückweist, wird nun von Apollonverfolgt. Als sie ihm nicht mehr entkommen kann, fleht sie Geum Hilfe an.Die Göttin der Erdeverwandelt sie zum Schutz vor dem geilen Wüstling daraufhin in einen Lorbeerbaum.

Der enttäuschte Apollonkann nur mehr einen Zweig davon abbrechen.Diesen trägt er seither auf seinem Haupt und hält den Lorbeer für heilig.

1976 München-Schwabing * Die "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" wird wieder gegründet und tritt in wechselnden Besetzungen auf.

1976 München-Au * Die "Drahtfabrik Bucher" wird in eine GmbH umgewandelt.

April 1976 New York * Die New Yorker stürmen die Kinokassen.

Der Film "Rocky Horror Pictures Show" zieht die Menschen nur so an. Sie Kinobesuch mit Netzstrümpfen und Korsagen.

Sie sprechen die Texte und singen die Lieder mit. Die Fans tanzen synchron mit den Stars auf der Leinwand und machen den Film durch ihr eigenes Einbringen und Zutun noch immer zum absoluten Hit.

Deshalb gehört es auch zum Ritual, sich an der Kinokasse ein Set mit Utensilien zu kaufen, das Reis, Luftschlangen, "Wunderkerzen" und anderes beinhaltet.

Während der Trauungsszene werfen die Fans mit Reis; wenn Janet und Brad durchs Unwetter stapfen, halten sie sich eine Zeitung über den Kopf und zum Song "There?s a Light" schwenken sie rhythmisch die "Wunderkerzen".

18. September 1976 München-Theresienwiese * Im Pschorr-Festzelt der Ochsenbratereiwird der Verein Münchner Oktoberfestmuseum e.V.gegründet.Sämtliche Wiesnwirte, der Verein Münchner Brauereien, die Schaustellerverbändeund Vertreter der Stadt Münchensind daran beteiligt.

Zum 1. Vorsitzenden wird Xaver Heilmannseder gewählt.Ferdinand Schmid, der 1. Vorstand der Edith-Haberland-Wagner-Stiftungist ein engagierten Mitstreiter der Oktoberfestmuseums-Idee.Weitergepflegt wird diese Idee von den nächsten Vereinsvorständen Richard Süßmeier, Heinz Strobl und Willy Heide.

Seite 753/814 3. Oktober 1976 BundesrepublikDeutschland - Bonn * Bei der Wahl zum 8. Deutschen Bundestagerhält

die SPD mit ihrem amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt 42,6 Prozent [- 3,2] und 224 Sitze. Die CDU/CSU mit ihrem Kanzlerkandidaten Helmut Kohl erringt 48,6 Prozent der Stimmen [+ 3,7] und 254 Sitze. Die FDP bekommt 7,9 Prozent [-0,5] und 40 Sitze.

Die CSU erringt in Bayern 60,0 Prozent der Stimmen und trägt damit 10,6 Prozent zum Gesamtergebnis der Union (48,6 Prozent) bei. CDU und CSU sind mit insgesamt 243 Sitzen die stärkste Fraktion im Bundestag, doch die sozialliberale Koalitionaus SPD und FDP kann mit einer Mehrheit von zehn Sitzen weiter regieren.

Helmut Schmidt [SPD] wird Bundeskanzler einer Koalition aus SPD und FDP.

8. November 1976 München-Kreuzviertel * Die Gedenktafelfür Kurt Eisner wird am Promenadeplatz, einige Meter vom Tatort entfernt, auf einer vorwiegend von Hundehaltern beachteten Fläche zwischen den Trambahngleisen und dem Bürgersteig, in den Rasen einzulassen und an diesem Tag enthüllt. Die Stelle wird von vielen als skandalös empfunden, da die Gedenkplattean dieser Stelle ganz stark an ein "Marterl" für ein Unfallopfer der Straßenbahnlinie 19 erinnert.

Die Inschrift der Gedenkplattelautet: "Zur Erinnerung an den Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner, der am 21. Februar 1919 vor dem Montgelas-Palais ermordet wurde."Sie liegt bis zum 25. April 2005 an dieser Stelle.

19. November 1976 Großbritannien * Die LP "Thirty-Three And AThird" von George Harrison erscheint.

1977 München-Bogenhausen * Die "Monacensia-Bibliothek" öffnet ihre Pforten im ehemaligen "Hildebrand-Haus" in der Maria-Theresia-Straße 23.

24. Juni 1977 München-Au * Die "Rocky-Horror-Picture-Show"läuft regelmäßig und ohne Unterbrechungen in den Museum-Lichtspielen.

1978 München-Haidhausen * Das "Herbergenhaus an der Kreppe" wird restauriert, zum Teil rekonstruiert und darin eine "Jugendhilfe-Einrichtung" untergebracht.

1978

Seite 754/814 München-Englischer Garten - Isarinsel Oberföhring * Eine überdachte Holzbrücke über die Isar verbindet den "Englischen Garten" mit der 22 Hektar großen "Isarinsel Oberföhring".

??? 1978 Großbritannien * Zwei Tage vor Drehbeginn drehen die Produzenten den "Monty Python?s" plötzlich den Geldhahn für den Film "Das Leben des Brian" zu.

Der Ex-Beatle George Harrison investiert kurzerhand 4 Millionen Dollar in das Projekt, indem er kurzerhand die Produktionsfirma "HandMade Films" gründet und so den Film vor dem "Aus" bewahrt ? "offenbar nur deshalb, weil er den Film sehen wollte".

??? 1978 Haidhausen * Hans Osel schafft den aus Muschelkalk hergestellten "Ziegelbrenner-Brunnen" am Haidhauser Preysingplatz.

15. Oktober 1978 Freistaat Bayern - München * Für die Landtagswahlgibt es mit Franz Josef Strauß einen neuen Kandidaten für das Amt des Bayerischen Ministerpräsidenten.

Seine CSU bringt es auf 59,1 Prozent und erreicht damit ihr zweitbestes Ergebnis seit 1946, obwohl die Christsozialendrei Prozent verlieren.Auf Nachfragen der Journalisten reagiert der designierte Ministerpräsidentunwirsch mit den Worten: "I mag diese Miesmacherei net".

1979 München-Englischer Garten - München-Schwabing * Nach der Verlagerung von "Hochschulsportplätzen" können weitere 6,6 Hektar Grünflächen angelegt werden.

Sie werden als "Schwabinger Bucht" dem "Englischen Garten" einverleibt. Im Bereich der "Schwabinger Bucht" werden im gleichen Jahr noch zwei neue Brücken errichtet.

23. Februar 1979 Großbritannien * George Harrisons neu veröffentlichtes Album heißt einfach nur"George Harrison".

28. Mai 1979 Bonn * Der CDU-Bundesvorstand benennt den niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht zum Kanzlerkandidaten. Der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl hatte zuvor auf eine erneute Kandidatur verzichtet.

2. Juli 1979 Bonn * Franz Josef Strauß wird von der CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestagesals erster Kanzlerkandidat der CSU für die Unionsparteien nominiert.Er erhält 135 Stimmen der 237 anwesenden Abgeordneten (57 Prozent).102 Abgeordnete stimmen für Ernst Albrecht (43 Prozent).

Seite 755/814 Die Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß ist von großer Bedeutung für die Unionsparteien, weil sich die CDU als größere Schwesterpartei der Fraktionsgemeinschaft seit der Kanzlerschaft von Konrad Adenauer ein gewohnheitsmäßiges erstes Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur gesichert hatte. Die Kanzlerkandidatur eines CSU-Politikers gilt als Ausnahme, da ein Erfolg eines bayerischen Politikers auf Bundesebene als nur wenig wahrscheinlich angesehen wird.

17. August 1979 New York * Der Monty-Python-Film "Das Leben des Brian" wird im New Yorker Cinema Oneuraufgeführt. Der Film ist bereits vor seiner Veröffentlichung wegen "Religionsbeleidigung" umstritten. Freigegeben ist der Film für Jugendliche ab 17 Jahren in Begleitung eines Erwachsenen.

Vor dem 22. September 1979 München-Theresienwiese?Paulanerwilldie bis dahin als Wirtezeltgeführte Ochsenbratereikaufen. Den Zuschlag erhält aber nicht Paulanersondern die Spatenbrauerei, die bis dahin kein eigenes Festzelt hat.

Ab dem 22. September 1979 München-Theresienwiese?36 Ochsen drehen sich am Spieß der Ochsenbraterei.

22. September 1979 München-Theresienwiese?Das WirteehepaarLudwig Wiggerl und Christa Hagn übernimmt das Löwenbräu-Festzelt.

8. November 1979 London *Uraufführung des Films "Das Leben des Brian" für Großbritannien findet im Plaza Cinemain London statt. Vor dem Kino finden sich Demonstranten ein und singen Kirchenlieder.

9. November 1979 York * Der Erzbischof von York ruft alle Christen und besorgten Bürger auf, die zuständigen Gremien vor dem Film "Das Leben des Brian" zu warnen, "so wie in anderen Fällen, wo es schien, dass ein Film den Wert des Menschen missachtet [?]".

Wie viele andere religiöse Kritiker hat auch er den Film zuvor nicht gesehen.

22. November 1979 München * Zwischen 1973 und 1979 werden im ZDF 66 Folgen von Dieter Hildebrandts "Notizen aus der Provinz" ausgestrahlt.

Um 1980 München-Haidhausen * Nach einem Jahrzehnt Leerstand wird das "Üblackerhäusl" an der Preysingstraße von der Stadt mit einem Kostenaufwand von 580.000 DM schließlich trockengelegt und restauriert.

Seite 756/814 Im Inneren des "Üblackerhäusls" ist ein kleines "Herbergenmuseum" als Abteilung des Münchner Stadtmuseums untergebracht. Dort wird ein einfacher Wohn- und Schlafraum mit der originalgetreuen Einrichtung aus dem 19. Jahrhundert in seiner ursprünglichen Umgebung gezeigt. Durch die museale Einrichtung kann ein wenig die Enge damaliger Wohnverhältnisse und die Lebensart der Tagelöhner nachvollzogen werden.

Gerade die ach so traditionsbewussten Münchner, die immer noch ihre scheinbar bäuerliche Abstammung durch eine Verkleidung mit Lederhosen und Dirndl nachzuspielen versuchen, hätten hier die einmalige Möglichkeit ihre eigenen proletarischen Wurzeln zu finden.

Im ehemaligen Ziegenstall der ausgebauten Herberge finden laufend Ausstellungen und Dichterlesungen statt.

1980 München-Au * Für die "Rocky-Horror-Picture-Show" wird ein weiterer Kinosaal in den "Museum-Lichtspielen" eingerichtet.

Es ist weltweit das erste Kino, dessen Inneneinrichtung für einen einzigen Film gemacht ist. An der Kasse gibt es dazu die spezielle "Rocky-Horror-Pictures-Show-Spieltüte" zu erwerben.

1980 München-Kreuzviertel * Die "Wasserglocken" desBrunnens mit der technokratischen Bezeichnung "Schwerer Granit und zarte Wasserglocken"werdendurch "Bronzepilze" ersetzt.

1980 Deutschland * Der durchschnittliche Bierverbrauch liegt in Deutschland bei 145,9 Liter.

1980 München-Theresienwiese * Ein neues "Bewerbungsverfahren" für die Vergabe der "Wiesn-Zelte" wird eingeführt. Es enthält 13 Bewertungskriterien, die in drei Blöcken zusammengefasst sind:

Mit je bis zu elf Punkten und mit dem Faktor zwei multipliziert werden die Kriterien

Vertragserfüllung Volksfesterfahrung Sachkenntnis Durchführung und die Frage, wie lange ist der Bewerber schon auf dem "Oktoberfest"?

Ein weiterer Block mit jeweils bis zu elf Punkten, die mit dem Faktor vier multipliziert werden, gibt es für den Zeltbetrieb mit den Kriterien

Seite 757/814 Ausstattung Technischer Stand Anziehungskraft Tradition und Platzbedarf

Im dritten Block gibt es bis zu elf Punkte, die wieder mit dem Faktor zwei multipliziert werden, für die Kriterien

Ortsansässigkeit Alleineigentum und Ökologie.

12. Juni 1980 Berlin * Im Jahr der Bundestagswahl verordnet der ZDF-Programmdirektor Dieter Stolte dem Dieter-Hildebrand-Magazin Notizen aus der Provinzeine "Denkpause".Das führt zum Wechsel Hildebrandts zur ARD. Im Sender Freies Berlin - SFBstartet Dieter Hildebrandt die Satiresendung"Der Scheibenwischer".

20. September 1980 München-Theresienwiese * Das Wirtsleuteehepaar Günter und Margot Steinberg betreibt das Hofbräuhaus-Festzeltauf der Theresienwiese.

20. September 1980 München-Theresienwiese * DieOchsenbratereigeht in den Besitz derSpaten-Franziskaner-Brauereiüber. Gleichzeitig werden Hermann und Anneliese Haberl die Wirtsleute derSpatenbräu-Festhalle und Ochsenbraterei.

26. September 1980 München-Theresienwiese * Freitag, 22:19 Uhr: Am Haupteingang der Wiesn explodiert ein Sprengsatz. Der Feuerball unterbricht die ausgelassene Volksfeststimmung auf dem Oktoberfestund tötet 13 Menschen. 211 Personen werden verletzt, davon 68 schwer."Menschen wirbeln durch die Luft, Blut spritzt, zerfetzte Gliedmaßen, unglaubliche Schmerzen und verzweifelte Schreie, die nur die hörten, denen nicht gleich das Trommelfell platzte". Einer der Toten ist der Geologiestudent Gundolf Köhler (21). Als die Rettungskräfte am Tatort eintreffen, finden sie in einem Umkreis von bis zu 23 Metern Verletzte und Tote verstreut auf der Straße liegen.Die die Detonation begleitende Druckwelle ist gewaltig gewesen.

Noch in der Nacht stehen für die Bayerische Staatsregierung die Schuldigen fest:Die RAF und linke Terroristen müssen für das Massaker verantwortlich sein. Ministerpräsident Franz Josef Strauß steht mitten im Wahlkampf. Er will Helmut Schmidt (SPD) als Bundeskanzler ablösen und hat sich selbst als starker Law-and-Order-Mann positioniert.

Nun sieht Franz Josef Strauß seine Stunde gekommen.Er greift Innenminister Gerhard Baum (FDP) an, der für das NachrichtenmagazinSpiegeleine Diskussion mit dem RAF-Anwalt und Ex-Terroristen Horst Mahler geführt hat. Strauß machtBaum für das Attentat mitverantwortlich, weil er den Terrorismus quasi salonfähig gemacht hat.

Seite 758/814 Strauß fordert, dass sofort Flugblätter produziert werden, die Baum im Gespräch mit Mahler zeigen. Doch die Attacke gegen Links wird sich bald als Bumerang erweisen.

Auf den Verdacht hin, dass es sich um einen Terrorakt handelte, leitetGeneralbundesanwaltKurt Rebmann zusätzlich ein Ermittlungsverfahren gegenUnbekanntein.Die Untersuchung liegt damit federführend beim Bund.

Nach intensiven Beratungen mit Politikern, dem Polizeipräsidenten und den Veranstaltern entscheidet Oberbürgermeister Erich Kiesl noch mitten in der Nacht, das Oktoberfest nicht abzubrechen, sondern nur einen Trauertag zu veranstalten.Man wolle und dürfe sich dem Terror, gleich von welcher Seite, nicht beugen. Bei dieser nicht unumstrittenen Entscheidung hat man auch das Beispiel derXX. Olympischen Spielein München vor Augen, die trotz eines Terroranschlages zu Ende geführt worden waren.

27. September 1980 München-Theresienwiese * Am Tag nach dem Wiesn-Attentatöffnet das Oktoberfest ganz normal seine Pforten, so, als sei nichts gewesen.Die Kapellen spielen auf, die Fahrgeschäfte drehen sich.Nur ein paar Blumen erinnern an das Grauen, das am Vorabend über die Wiesnbummler hereingebrochen war.

6. November 1980 München-Maxvorstadt * Aus Anlass des 25-jährigen Bestehens der Bundeswehrlegen 2.000 Rekrutenauf dem Königsplatzihr Feierliches Gelöbnisab. GeneralmajorWolfgang Kessler und MinisterpräsidentFranz Josef Strauß sprechen dabei von der "Erhaltung des Friedens durch Abschreckung".

Die Vereidigungauf dem Königsplatzruft Erinnerungen an die Aufmärschewährend der NS-Zeit wach, weshalb parallel zur Gelöbnisfeiereine Protestveranstaltung der Münchner Bürgerinitiative für Frieden und Abrüstungstattfindet. Transparente mit der Aufschrift "Auf Hitlers Plattenmeer gelobt nunmehr die Bundeswehr" werden von den Demonstranten mitgetragen.

1981 München-Bogenhausen * Die "Vereinigung der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung" stiftet einen Gedenkstein zur Erinnerung an Pater Alfred Delp.

Die Bronzeplastik "Drei Jünglinge im Feuerofen" befindet sich vor dem "Pfarrhof".

11. Mai 1981 Großbritannien * George Harrisons Tribute-Single "All Those Yaers Ago", an der auch Ringo Starr und Paul McCartney beteiligt sind, wird veröffentlicht.

13. Mai 1981 München * Nach acht Monaten stellt die Sonderkommission Theresienwieseihre Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentatein und präsentiert den 187-seitigen vorläufigen Abschlussbericht.

860 Spuren wurden verfolgt und in die puzzleartige Rekonstruktion der Tat eingepasst. Die Beamten haben 1.800 Zeugen vernommen und 1.500 Asservate begutachtet.

Seite 759/814 Die Quintessenz lautet:

"Gundolf Köhler dürfte als Alleintäter gehandelt haben. Für eine Mittäterschaft oder auch nur Mitwisserschaft anderer an dem Sprengstoffanschlag auf das Münchner Oktoberfest ließen sich keine konkreten Anhaltspunkte erkennen".

Seine rechtsextremistische Einstellung wird durch Nachforschungen bestätigt. Ebenso, dass er in den Jahren 1975/76 an Übungen der am 30. Januar 1980 verbotenen "Wehrsportgruppe Hoffmann" teilgenommen hat.

Die These vom verwirrten Einzeltäter ist seitdem die offizielle Version.

5. Juni 1981 Großbritannien * George Harrisons LP "Somewhere in England"kommt in die Schallplattenläden.

18. September 1981 München-Theresienwiese * Einen Tag vor Eröffnung des Oktoberfestes 1981 wird am Haupteingang zur Festwiese das Mahnmal für die Opfer des Bombenanschlags enthüllt. Oberbürgermeister Erich Kiesl ruft dazu auf, Lehren aus dem feigen Anschlag zu ziehen und Gewalt in jeder Form zu ächten.

Das Mahnmal - geschaffen von Friedrich Koller - besteht aus einer 2,70 Meter hohen Bronzestele und trägt die Inschrift: "Zum Gedenken an die Opfer des Bombenanschlags vom 26. September 1980."

19. September 1981 München-Theresienwiese * Die MassWiesn-Bierkostet 5,25 DMark. 5 Millionen Mass werden ausgeschenkt. Jeder Wiesn-Besuchertrinkt im Durchschnitt 0,75 Liter Bier.

19. September 1981 München-Theresienwiese * Das Containerbierlässt die Volksseele kochen. Oberbürgermeister Erich Kiesl und Ministerpräsident Franz Josef Strauß ergreifen in offenen Briefen an die Brauereien Partei für das traditionelle Holzfass. Die Brauereien ihrerseits erklären, die Beschaffung von Holzfässern ist "in Zukunft fast nicht mehr zu lösen". Für dieses Jahr kann der Einzug des Containerbieresauf dem Oktoberfest noch einmal gestoppt werden.

19. September 1981 München-Theresienwiese * Im Hofbräuhaus-Festzeltgibt es für ein paar Stunden Paulaner-Bier. Dem Wirt ist das Bier ausgegangen, weshalb Richard Süßmeier, der Wirt des Armbrustschützenzeltes, mit mehreren Hirschen[=200-Liter-Fässer]aushilft.

1982 München-Obergiesing * Die Häuser der "Feldmüller-Siedlung" werden als denkmalgeschütztes Ensemble erfasst und aufgenommen.

Seite 760/814 Diese Maßnahme ist die Rettung in letzter Minute, denn es hatten sich bereits einige Betonklötze, darunter das Kaufhaus "kepa", später "Karstadt", als Fremdkörper in die Arbeitersiedlung eingenistet. Das Kaufhaus erwarb einige historische Häuser und benutzte sie als Lager oder ließ sie bewusst leer stehen und verkommen, um nach einem Abbruch das Warenhaus erweitern zu können.

Bei der "Feldmüller-Siedlung" handelt es sich nicht nur um ein "Ensemble" von interessanter städtebaulicher und siedlungsgeschichtlicher Besonderheit, sondern auch um eines von großer sozialgeschichtlicher Bedeutung.

Die ungewöhnlich frühe Arbeitersiedlung im Vorstadtbereich ist zu ihrem Entstehungszeitpunkt äußerst "modern" und "fortschrittlich" und dokumentiert den sozialen Aufstieg von Tagelöhnern, die sich aus ihren bescheidenen Zimmerunterkünften in den Herbergshäusern ins Kleineigentum heraufgearbeitet haben.

Bebaut werden die Grundstücke mit erdgeschossigen Satteldachhäusern, in biedermeierlicher Traufenstellung an die vorderste Baulinie gerückt und zusammengefasst zu Zwei- und Dreispännern. Hinterm Haus befinden sich kleine Gartenparzellen, auf denen bald Rück- und Nebengebäude entstehen, die meist gewerblichen Zwecken dienen. Damit wird hier in kleinem Maßstab ein Siedlungstyp vorweggenommen, der sich im großen Umfang erst nach dem Ersten Weltkrieg entwickeln kann.

Heute ist die "Feldmüller-Siedlung" die größte und bestandsmäßig am besten überlieferte Vorstadtsiedlung Münchens aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Um 1982 München *Es gibt Überlegungen, ein drittes "Müllverbrennungs-Kraftwerk" zu bauen.

Es gibt aber auch "grünen" Widerstand, der fordert, die "Verbrennungsanlagen" zu entgiften und die "Wiederverwertbarkeit von Rohstoffen" zu fördern.

1982 München-Haidhausen * Die als "Schandfleck" empfundenen Gebäudereste des "Ostbahnhofs" werden endgültig angebrochen.

Auch der "Orleansplatz" erfährt eine völlige Neugestaltung. Ein Busbahnhof wird gebaut.

1982 Grünwald * Richard Süßmeier bewirtschaftet das "Forsthaus Wörnbrunn" selbst.

1982 Bundesrepublik Deutschland * Der bundesdeutsche Pro-Kopf-Verbrauch an Bier liegt bei 148 Liter.

1982 Freistaat Bayern - Europa * Alle Brauereien in Bayern haben einen durchschnittlichen Ausstoß von 29.700

Seite 761/814 Hektolitern.

Das liegt an der hohen Brauereiendichte in Bayern.

Im Vergleich: die Bundesrepublik Deutschland hat einen Durchschnittsausstoß von 73.000 hl, Dänemark 352.000 hl, Frankreich 378.000 hl, Großbritannien 443.000 hl und die Niederlande 735.500 Hektoliter.

Um den 20. Januar 1982 München * Während sich Dieter Hildebrandt in seiner Satiresendung"Scheibenwischer"über den Rhein-Main-Donau-Kanallustig macht, geifert Franz Josef Strauß von "politischer Giftmischerei".

5. November 1982 Großbritannien * George Harrison veröffentlich sein Album "Gone Troppo".

Dezember 1982 Karlsruhe * "Generalbundesanwalt" Kurt Rebmann lässt die Ermittlungen zum "Wiesn-Attentat" offiziell einstellen.

Er schließt sich der "Einzeltätertheorie" vorbehaltlos an. Köhler hat nicht aus politischen Motiven gehandelt, sondern sei "getrieben gewesen von sozialer Vereinsamung und sexueller Frustration".

1983 München * Der Gebrauch der im Jahr 1897 eingeführten "Mülltonne" wird eingestellt.

1983 München * Dieter Hildebrandt übernimmt im Gerhard-Polt-Film "Kehraus" eine Schauspielrolle.

18. April 1984 München-Au * Die Eigentümer des "Karl-Valentin-Geburtshauses" in der Zeppelinstraße 41, Bernhard Sprenger und Evelyn Hofer, wollen das Haus abreißen und durch einen Neubau ersetzen.

12. Juli 1984 München * Ein Unwetter zieht über den Münchner Osten und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Gegen 20:05 Uhr fallen Hagelkörner, zum Teil so groß wie Tennisbälle, auf die Erde. Sie durchschlagen Dachplatten und Fassadenverkleidungen. Aus Pflanzen und Gemüse wird in wenigen Minuten Matsch.

400 Menschen werden so stark verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen, Drei Menschen sterben vor Aufregung. Rund 70.000 Wohngebäude werden zum Teil erheblich beschädigt, ebenso 1.000 Gewerbebetriebe, darunter viele Gärtnereibetriebe, deren Gewächshäuser zu Bruch gehen. 20.000 Hektar landwirtschaftlicher Flächen werden durch den Hagel umgepflügt,

Seite 762/814 150 Flugzeuge werden von den Hagelkörnern demoliert, über 200.000 Autos werden zerbeult.

Nach 20 Minuten ist alles vorbei. Doch das hat gereicht. Das Unwetter richtet den bisher größten Schaden in Deutschland an. Die Versicherungen müssen insgesamt 1,5 Milliarden DMark an Entschädigungen zahlen.

22. September 1984 München-Theresienwiese?Der Chef des Hofbräuhaus-Festzeltes, Günter Steinberg, öffnet eine eigene Schänke, bei der sich die Gäste ihren Masskrug auffüllen lassen können, wenn er zu schlecht eingeschenkt ist.

Um den 25. September 1984 München-Theresienwiese * Günter Jauch, Journalist beim Bayerischen Rundfunk, findet heraus, dass in Richard Süßmeiers Armbrustschützenzeltaus einem Hirschen(200-Liter-Fass) 289 Mass Wiesnbier ausgeschenkt werden. Süßmeier nimmt das Ganze auf die leichte Schulter und macht sich darüber lustig. Peter Gauweiler, CSU-Stadtratund Kreisverwaltungsreferent, geht gegen Süßmeier wegen Betrügerischen Einschenkensvor.

Der Wiesnwirtberuft daraufhin eine Pressekonferenz ein, verkleidet sich als Gauweiler und hängt Gauweiler-Plakate mit dem Schriftzug "Gauweiler sieht Dich!", "Gauweiler paßt auf!" und "Gauweiler is watching you!" an die Zeltwände. Sein SchankkellnerBiwi Wallner zeigt schließlich noch, wie man aus einem ganzen Hendl drei halbe Hendl machen kann. Dass er zuvor eine Hälfte hatte einnähen lassen, finden nicht Alle lustig. Allen voran Peter Gauweiler.

Bei der darauf folgenden einer Razzia in Süßmeiers Armbrustschützenzeltwerden 23 "Verstöße gegen das Ausländerrecht" festgestellt. Einige Hilfskräfte haben illegal gearbeitet. Süßmeiers Beteuerungen, er habe davon nichts gewusst, glaubt die Gegenseite natürlich nicht - und handelt: Gauweiler entzieht Süßmeier die Festzeltkonzession.

Zwei Tage später wird mit Helmut Huber ein neuer Wirt eingesetzt.

12. Oktober 1984 München-Theresienwiese *Der Kreisjugendringstartet in der tzeinen Aufruf. In diesem heißt es:"Wir suchen Beweise! Fotos, Berichte, Statistiken - alles, was beweist, dass das Oktoberfest für viele weniger Gaudi und mehr Alkohol ist.Jugendliche sind Hauptopfer dieser Alkohol-Alleinherrschaft!"

1985 München-Haidhausen * Der "Daphne-Brunnen" vom Orleansplatz muss dem U-Bahn-Bau weichen uns sein Dasein in einem städtischen Bauhof fristen.

17. Juli 1985 München - München-Au * Der Planungsausschuss des Stadtrats lehnt den Antrag auf Abriss des "Karl-Valentin-Geburtshaues" in der Zeppelinstraße 41 ab und tritt mit den Eigentümern, Bernhard Sprenger und Evelyn Hofer, in Verkaufsverhandlungen ein.

Seite 763/814 Seit 22. September 1985 München-Theresienwiese?Am ersten Wiesnsonntagfindet in der Bräuroslunter dem Motto: "Bayerischfeiern - International schnacksln" der GaySundaystatt.

30. Oktober 1985 München-Graggenau * In der Vollversammlung des Münchner Stadtrateslegt Stadtrat Alfred Lottmann ein weiteres Motiv für seine Initiative dar:

Es sei dringend an der Zeit, Verleumdungen über Kurt Eisner den Boden zu entziehen, die diesen einerseits als galizischen Ostjudenoder andererseits als verantwortlich für die Opfer der Revolutionin der Zeit nach dem Februar 1919 hinstellten. Das adäquate Mittel für eine Rehabilitation Eisners sieht Lottmann in seiner Denkmalinitiativeund der dadurch ausgelösten öffentlichen Debatte.

Gegen die Stimmen von CSU und FDP wird dem Antrag, Kurt Eisner ein "würdiges Denkmal in der Kardinal-Faulhaber-Straße" errichten zu lassen, stattgegeben. Doch eine neuerliche Ablehnung des Denkmals im Bauausschusszeichnet sich ab.

Dezember 1985 München-Maxvorstadt * Knapp drei Wochen nach der Einweihung des neuen "Mahnmals" auf dem "Patz der Opfer des Nationalsozialismus" beschließt der Münchner Stadtrat, dass die "Ewige Flamme" nur an besonderen Gedenktagen beziehungsweise nur nachts brennen soll.

1986 München * Dieter Hildebrandt spielt in Helmut Dietls TV-Serie "Kir Royal" an der Seite von Franz Xaver Kroetz den schmierigen Klatschfotografen Herbie Fried.

Ab 1986 München-Untergiesing * Von 1986 bis 1989 hat das "Baureferat" den "Rosengarten" umgestaltet und erweitert, um allen interessierten Hobbygärtnern zu zeigen, wie Profis Rosen arrangieren und verwenden.

Die "Rose", die gerne als die "Königin der Blumen" bezeichnet wird, veranstaltet jedes Jahr im "Rosengarten" ein Feuerwerk der Farben.

Im Juni und Juli blühen über 8.500 Rosen. Die rund zweihundert verschiedenen Sorten sorgen für Formen- und Farbenvielfalt.

27. Februar 1986 München * Der Bauausschusslehnt ein Denkmal für Kurt Eisner in der Kardinal-Faulhaber-Straßeab, nachdem im zuständigenBezirksausschussdarüber gestritten worden war, ob der Gehweg an dieser Stelle verbreitert werden sollte und man damit auf zehn Parkplätze verzichtet werden müsse.

Seite 764/814 26. April 1986 München-Untergiesing * Ein Wasserkraftwerk an der Bäcker-Kunstmühle entsteht. Die Verhandlungen zwischen Günter Tremmel und der Landeshauptstadt München ziehen sich bereits sieben Jahre hin, bis sich schließlich die Katastrophe im Kernkraftwerk von Tschernobylereignet. Diese führtdazu, dass sich erstmals breite Gesellschaftsschichten mit den Gefahren der Kernkraftkonfrontiert sehen.

Die bislang nur in kleinen Gesprächszirkelndiskutierten Fragen nach alternativen Energie- und Technologieformen erfasst nun auch das Interesse der Öffentlichkeit und führen zum Umdenken. Nicht mehr einzelne Energieformen sind gefragt, sondern ein Mix aus einer Vielzahl von alternativen und wieder erneuerbaren Energien werden das Ziel, Forderungen nach einem Ausstieg aus der Atomkraftwerden erstmals laut formuliert.

22. Mai 1986 München * Der Bayerische Rundfunk blendet sich aus Dieter Hildebrandts "Scheibenwischer"-Sendung über den Reaktorunfall in Tschernobyl aus und macht sich damit bundesweit lächerlich.

Um den August 1986 Rom-Vatikan * Papst Johannes Paul II. bekräftigt die Existenz des Satans.

"Hexenangst" ist aber beileibe keine rein katholische Angelegenheit. "Hexenglauben" findet sich auch unter Protestanten. Vor allem pietistisch geprägte Richtungen innerhalb der protestantischen Konfession bejahen eine angstbesetzte Vorstellung vom "Teufel".

20. September 1986 München-Theresienwiese * Konstantin Wecker dichtet und singt:

"Sogar die Wiesn is ma no ned zwida do nimm i ma jeds Jahr a paar Tag frei do triff i hoid de oidn Freinderl wieda natürlich Augustiner, Schenke 2".

Der Text stammt von seiner CD "Wieder dahoam".

November 1986 München-Maxvorstadt * Der Stadtrat hebt die "Sparmaßnahme", wonach die "Ewige Flamme" im neuen "Mahnmals" auf dem "Patz der Opfer des Nationalsozialismus" nur an besonderen Gedenktagen beziehungsweise nur nachts brennen soll, wieder auf, weil damit die "wesentliche Symbolik des Mahnmals außer Kraft gesetzt" würde.

Damit wird eine mehr als peinlich zu bezeichnendeDiskussion beendet.

26. Februar 1987

Seite 765/814 Bonn * Horst Seehofer, aufstrebender CSU-Bundestagsabgeordneter, wird im Stern zitiert, dass er Aidskranke "in speziellen Heimen" sammeln, sogar "konzentrieren" will.

Später lässt Seehofer übrigens ausrichten, dass man damals in der Aids-Politik noch auf der "Suche nach dem richtigen Weg" gewesen sei. Der damalige Weg wäre inzwischen "längst überholt".

12. März 1987 Luxemburg * Der Europäische Gerichtshofin Luxemburg entscheidet für die Importfreiheit. Damit darf Bier aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft auch in die BRD gebracht und vertrieben werden. Auch dann, wenn es dem Bayerischen Reinheitsgebotnicht entspricht.

6. April 1987 München-Haidhausen * Die denkmalgeschützte "Mälzerei" des "Hofbräukellers" brennt ab.

Der Sachschaden wird mit 14 Millionen DMark beziffert.

19. September 1987 München-Theresienwiese * Nachdem sich in den 1980er-Jahren mit der "Prinz Luitpolds Weisse Bräu GmbH" aus Kaltenberg eine weitere Brauerei auf der Wiesnetablieren wollte, ergänzt der Verein Münchner Brauereien e.V.seine Betriebsvorschriften für das Oktoberfest:

"Das Oktoberfest ist das traditionelle Münchner Volksfest mit Münchner Gastlichkeit und Münchner Bier.Diese Tradition gilt es weiter zu wahren.An Wies?n-Besucher darf deshalb nur Münchner Bier der leistungsfähigen und bewährten Münchner Traditionsunternehmen ausgeschenkt werden".

19. September 1987 München-Theresienwiese * Stephanie Spendler, die Tochter von Christa und WiggerlHagn, beginnt auf der Wiesn zu arbeiten.

Ab November 1987 München-Untergiesing * Günter Tremmel baut bis zum Frühjahr 1988 ein damals einzigartiges, wasserbetriebenes Kleinkraftwerk, das mit seinen zwei Turbinen jährlich circa 1,3 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugt, die in das Netz der "Stadtwerke" eingespeist werden.

Mit dieser privaten Initiative erreicht der Mechanikermeister, dass etwa 620 Münchner Haushalte mit elektrischer Energie versorgt werden können. Die 850.000 DMark teuere Investition benötige rund fünfzehn Jahre, bis sie schwarze Zahlen schreibt.

Doch Günter Tremmel sieht in dem Kraftwerk mehr die Verwirklichung eines privaten Traumes und eine energiepolitische Zeichensetzung, als eine wirtschaftliche Investition.

An der Südseite des Kleinkraftwerkes finden sich deshalb folgende Zeilen: "Untätig war des Wassers Lauf - und niemand achtete darauf

Seite 766/814 Hier war die Wasserkraft vergessen, weil von Atomkraft man besessen Was doch des Menschen stolzer Wahn in der Natur zerstören kann Das möge man bedenken; in Zukunft sollte die Vernunft uns lenken Vergeßt nicht unsere Wasserkraft und laßt sie uns erhalten - Das mahnten schon die Alten."

2. November 1987 Großbritannien * Mit "Cloud Nine" kommt eine neue George-Harrison-Platte auf den Markt.

1988 München-Lehel - Praterinsel * KommunalreferentGeorg Welsch entdeckt den Vertragsbruch des Deutschen Alpenvereins, der auf der Praterinselstatt eines Alpinen Museumsdie Hauptverwaltung des DAVeingerichtet hat. Welsch droht dem Verein mit der ortsüblichen Miete.

1988 München * Dieter Hildebrand spielt an der Seite von Gerhard Polt und Gisela Schneeberger in dem Film "Man spricht deutsh".

8. März 1988 Großbritannien * "Past Masters Vol. 1 & 2" ist in den Schallplattenläden erhältlich. Die LPs enthalten in nahezu chronologischer Reihenfolge die nur auf Singles erschienenen Songs der Beatles.

21. Oktober 1988 Großbritannien * Die Traveling Wilburysveröffentlichen ihre erste CD. Die Bandmitglieder verbergen sich hinter Pseudnymen:

George Harrison als Nelson Wilbury, Bob Dylan als Lucky Wilbury, Jeff Lynne als Otis Wilbury, Tom Petty als Charlie T. Jnr. Wilbury und Roy Orbison, der nur bei der ersten CD teilnimmt, als Lefty Wilbury.

27. Oktober 1988 München-Berg am Laim - München-Bogenhausen * Die U 5 fährt jetzt bis zum Innsbrucker Ring. Die neue Linie U 4 bindet den Arabellapark an.

Seite 767/814 2. Februar 1989 München * Der Bauausschussstimmt dem ebenerdigen Bodendenkmalfür den ermordeten MinisterpräsidentenKurt Eisner am authentischen Ort zu. Die vorgebrachten Argumente, dass die Bürger Kurt Eisner nun mit ihren Füßen treten und ihn einfach "übergehen" können, zählen noch sehr wenig. Wichtig ist, dass sich eine Änderung der Straßenführung erübrigt und keine Parkplätze wegfallen.

22. Februar 1989 München-Graggenau * Bei der Stadtrats-Sitzungstehen zwei Vorschläge für die "richtige Inschrift" am Bodendenkmalfür Kurt Eisner zur Auswahl. Während die Vertreter der verschiedenen Parteien rasch überein kommmen, das ursprünglich vorgesehene "erschossen" durch "ermordet" zu ersetzen, entwickelt sich um die Verwendung der Begriffe "Freistaat" und "Volksstaat" eine scharf geführte Auseinandersetzung.

Soll man nun Kurt Eisner als den Begründer des Freistaates Bayernbezeichnen oder gründete er bloß den Volksstaat Bayern?Beide Begriffe wurden im Jahr 1918 gleichzeitig und synonym verwendet und sollten nichts anderes als Republikbedeuten. Aber im Rückblick will man den heute so geschätzten Begriff Freistaatnicht ausgerechnet einem linken Politiker zuschreiben. Dagegen denkt man bei Volksstaateher an die Sprache des Dritten Reichesund der damaligen DDR.

Der SPD-Vorschlagfür die Gedenkplatte lautet: "Kurt Eisner. 1867 - 1919. Begründer des Freistaats Bayern und Ministerpräsident wurde am 21. Februar 1919 hier vor seinem Amtssitz ermordet."

Es soll aber derjenige die Mehrheit erhalten, der das Reizwort Freistaatvermeidet. Der Vorschlag von Bürgermeister Dr. Winfried Zehetmeier [CSU] setzt sich bei der Abstimmung mit einer Mehrheit aus CSU, FDPund Grüne/ALMgegen die Stimmen der SPDdurch. Die Inschrift auf der Gedenktafel - als die "offizielle Wahrheit" - lautet deshalb:

"KURT EISNER, DER AM 8. NOVEMBER 1918 DIE BAYERISCHE REPUBLIK AUSRIEF, NACHMALIGER MINISTERPRÄSIDENT DES VOLKSSTAATES BAYERN, WURDE AN DIESER STELLE AM 21. FEBRUAR 1919 ERMORDET."

18. September 1989 München -Cincinnati* Die amerikanische Stadt Cincinnati wird zur Münchner Partnerstadt erwählt. In Cincinnati findet jährlich rund um den Davidson-Brunnendas größte Oktoberfest der Vereinigten Staatenstatt.

Seit 18. September 1989 München-Theresienwiese * Regine Sixt lädt jedes Jahr prominente Frauen in die Löwenbräu-Festhalle.

23. Oktober 1989 Großbritannien * Die LP "The Best of Dark Horse 1976 - 1989" von George Harrison wird veröffentlich. Neben bereits Bekanntem sind einige neue Lieder auf der LP.

Seite 768/814 1990 München *Der "Müll", der an die "Verbrennungsanlagen" und "Deponien" angeliefert wird, hat sich gegenüber 1970 verdoppelt.

17. Januar 1990 München - München-Theresienwiese * Prinz Luitpold von der Kaltenberger Brauereirichtet im Bamberger Hausin München eine Hausbrauereiein, um dort Münchner Bierzu brauen und über diesen Weg auf die Wiesnzu kommen. Seine Klage vor dem Landgericht Münchenwird jedoch abgewiesen. In der Urteilsbegründung heißt es ausdrücklich, dass "das Oktoberfest ein Fest des Münchner Bieres ist".

14. Juli 1990 München * Walter Sedlmayr wird blutüberströmt in seiner Wohnung gefunden.Er ist mit einem Hammer erschlagen und mit einem Küchenmesser erstochen worden.

Schnell stehen seine homosexuellen Neigungen im Vordergrund des Interesses.Nach aufwändigen Ermittlungen werden Sedlmayrs Freund und Geschäftspartner Wolfgang W. und dessen Bruder Manfred L. verhaftet und in einem Indizienprozess verurteilt.

September 1990 München-Au * Als die "Parkanlage am Tassiloplatz" erneuert werden soll, stellt man fest, dass im Erdreich Altablagerungen unbekannter Ausdehnung vorhanden sind.

Die Ablagerungen erstrecken sich bis in eine Tiefe von 5,70 Metern und umfassen den gesamten Tassiloplatz.

Im Krieg wurde aus dem Loch Kies für die Erweiterung des Ostbahnhofs entnommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Loch als Mülldeponie. Dort wurden auf einer Fläche von 9.000 Quadratmetern Bauschutt, Metall- und Teerreste sowie Schlackereste und Hausmüll abgelagert.

Die chemische Analyse erbringt unter anderem die Schwermetalle Zink, Blei und polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in grenzüberschreitenden Konzentrationen zutage, die eine akute Gefahr für das Grundwasser, aber auch für Kinder und Erwachsene, darstellt.

Die Anwohner der Hochau und die Betreiber der umliegenden Kindergärten befürchten das "Aus" für den viel besuchten und einzigen Spielplatz der Oberen Au. Wohl auch deshalb haben Anwohner am versperrten Eingang an der Welfenstraße das Schild: "Wegen Sanierung geschlossen? überklebt und erbost darüber geschrieben: "Vor den Anwohnern geschützt?.

22. September 1990 München-Theresienwiese?Peter Inselkammer wird Wiesnwirtim Armbrustschützenzelt. Er hat sich 18 Jahre um eine Konzession beworben.Peter Pongraz kommt zwar auch in die Endauswahl, kann sich aber nicht durchsetzen.

Seite 769/814 6. November 1990 Großbritannien * Das zweite Album der Traveling Wilburyskommt als "Vol. 3" in die Plattenläden. Wieder verbergen sich die Bandmitglieder hinter Pseudonymen: diesmal George Harrison als Spike Wilbury, Bob Dylan als Boo Wilbury, Jeff Lynne als Clayton Wilbury, Tom Petty als Muddy Wilbury. Das Album ist dem verstorbenen Lefty Wilbury (Roy Orbison) gewidmet.

1991 München * Ferdinand Schmid, der Direktor der "Augustiner-Bräu Wagner K.G.", geht in den wohlverdienten Ruhestand.

1991 Wörnbrunn * Richard Süßmeiers "Forsthaus Wörnbrunn" brennt ab.

Ein Gast kommt in den Flammen um.

1991 München-Berg am Laim * Die Abräumarbeiten für das Areal des heutigen "Technischen Rathauses" an der Friedenstraße 40 beginnen.

1991 München-Haidhausen * Die Wirtsleute Ludwig Wiggerl und Christa Hagn eröffnen den Unionsbräuin der Einsteinstraße 42 in Haidhausen.

Ab 1992 München-Bogenhausen * Errichtung eines Erweiterungsbaues zur Unterbringung der Bibliothek und der Dokumentationsstelle des "Bundesfinanzhofs" in der Ismaninger Straße.

??? 1992 München * Dieter Hildebrandt erhält die Medaille "München leuchtet" in Gold.

13. Juli 1992 Großbritannien * Die George-Harrison-LP Live in Japan, die er mit Eric Clapton und dessen Band auf der Tournee aufgenommen hat, kommt in die Plattenläden.

8. Oktober 1992 Unkel * Willy Brandt, der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland sowie SPD-Vorsitzende, stirbt in Unkel.

6. Dezember 1992

Seite 770/814 München * 400.000 Münchnerinnen und Münchner protestieren mit Kerzen und Fackeln gegen brutale Übergriffe auf Ausländer.

1993 München-Isarvorstadt * Das Haus in der Reichenbachstraße 13, in dem sich die "Deutsche Eiche" befindet, soll "entkernt" und gewerblich gewinnbringend gestaltet werden.

Nach weltweiten Protesten trennt sich die Grund- und Hausbesitzerin "Monachia" von der "problematischen Immobilie".

Dietmar Holzapfel, sein Vater Nicki Holzapfel und Dietmars Partner Josef Sattler kaufen gemeinsam die heruntergekommene und renovieungsbedürftige "Deutsche Eiche".

5. April 1993 München-Au * Das Sanierungsgutachten der "Münchner Gesellschaft für Stadtsanierung - MGS" listet die Kosten für die weitere Vorgehensweise mit dem "Karl-Valentin-Geburtshaus" in der Zeppelinstraße 41 auf.

Die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes würde 6 Millionen DMark kosten, ein Teilabbruch und Sanierung kämen auf 5,5 Millionen DMark, ein Abbruch und anschließender Neubau würde mit 5 Millionen DMark zu Buche schlagen.

7. Juni 1993 München-Au * Beim Planungsreferat wird um eine Abbruchgenehmigung für das Karl-Valentin-Geburtshausin der Zeppelinstraße 41 ersucht.

18. September 1993 München-Theresienwiese * Oberbürgermeister Christian Ude sticht erstmals zum Oktoberfest-Beginnim Schottenhamel-Festzeltdas erste Fass Wiesnbieran. Alles steht bereit.Die Reporter und die Fernsehkameras sind positioniert. Da ruft der BR-Radioreporter Michael Stiegler plötzlich: "Hoit, des is ja a Linker."

Damit meint er aber nicht die politische Heimat des Oberbürgermeisters.Christian Ude ist Linkshänder, und deshalb stehen die Medienvertreter alle auf der falschen Seite. Nachdem sich alle umorientiert haben, kann der oberste Stadtrepräsentant seiner Aufgabe nachgehen. Er braucht dazu sieben Schläge.

8. November 1993 München * Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel drückt sich am 75. Jahrestag der Revolution und der Freistaatgründungan der Teilnahme eines Festaktes, da er "die Geburtsstunde des demokratisch verfassten Bayern nicht mit der Ausrufung der Räterepublik durch Kurt Eisner in Verbindung zu bringen vermag".

Zur Ausrufung der Räterepublikkam es allerdings erst nach einer verlorenen Wahl und der Ermordung Kurt Eisners durch den rechtsradikalen Anton Graf Arco auf Valley. Unter Eisners Revolutionsregierunggab es lediglich provisorische Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte.

Seite 771/814 16. November 1993 München * Klaus Warnecke, Landtagsabgeordneter der SPDschreibt in der Süddeutschen Zeitungeinen Leserbrief und bringt darin folgende Meinung zum Ausdruck:

"[...] Die Hindenburgs, Ludendorffs und ihre monarchistischen Attrappen hatten das Volk im Reichsdurchschnitt im Herbst 1918 auf 500 bis 600 Kalorien pro Tag und Nase heruntergehungert. [...] 200.000 bayerische Soldaten waren gefallen. [...]

Während sich die Monarchie von dannen stahl und die Generäle an der Dolchstoß-Legende zu stricken begannen, gab es in München eine einzige Kraft, die halbwegs Ordnung in das Chaos zu bringen versuchte und den Umständen entsprechend auch brachte: die von den Konservativen und Reaktionären aller Richtungen bisher aus jeder politischen Verantwortung ferngehaltenen Sozialdemokraten und deren linkspazifistische Absplitterung die USPD mit Eisner an der Spitze. [...]

Der totale politisch/militärisch/soziale Scherbenhaufen des Winters 1918/19 war das Erbe des Großmachtwahns der Feldmarschälle und Monarchen.

Das Kabinett unter Ministerpräsident Kurt Eisner mit dem Innenminister Erhard Auer und Albert Roßhaupter, die sich auf den eigentlichen Ordnungsfaktor in München, die Arbeiterräte, stützen konnte, hat Bayern einen Winter lang vor dem totalen Chaos bewahrt.

Das wahre Chaos begann erst, als der rechtsradikale Offizier Graf Arco den Pazifisten Kurt Eisner am 21. Februar 1919 auf offener Straße ermordete. [...]."

August 1994 München-Theresienwiese * Das "Hippodrom"-Wiesnwirte-Ehepaar Marianne und Anton Weinfurtner wird wegen "Steuerhinterziehung" inhaftiert.

Aus der Zelle heraus verkaufen sie ihr "Wirtezelt" an die "Vinzenzmurr-Erbin" Evi Brandl.

Fünf Tage später, kaum dass die Tinte unter dem Vertrag trocken ist, steht auch die "Wurstkönigin" Evi Brandl unter dem Verdacht des "Steuerbetrugs". Sie muss die Geschäftsführung Anton Fichtel überlassen und 500.000 Mark Bußgeld bezahlen.

September 1994 München-Theresienwiese * Evi Brandl, Enkelin des "Vinzenzmurr-Unternehmensgründers", bietet das"Hippodrom" Sepp Krätz an.

September 1994 München-Theresienwiese * Nachdem er zuvor schon in der "Ochsenbraterei" tätig war, beginnt Siegfried Able seine "Wiesn-Karriere" mit einem "Verzehr-Stand".

Gleich gibt es Ärger, weil er sich die dort verkaufte "Ochsensemmel" umgehend patentieren lässt. Sicher weis er, dass diese - wenn schon, dann - eine Erfindung des Wirtes der "Ochsenbraterei", Hermann Haberl, ist.

Seite 772/814 1. Dezember 1994 München-Au * Der Modeschöpfer Rudolph Moshammer erklärt sich mit der Unterbringung der Freunde der Vorstadt Auin den Räumen des Karl-Valentin-Geburtshausesin der Zeppelinstraße 41 einverstanden. Der Passus wird in dem Vertrag aufgenommen.

1995 München-Haidhausen * Margot und Günter Steinberg übernehmen den "Hofbräukeller" am Wiener Platz in Haidhausen.

Um 1995 München-Graggenau * Nach der Privatisierung der "Deutschen Bundespost" in den 1990er-Jahren wird das "Postamt 1" Eigentum der "Deutschen Telekom AG".

Nachdem man die Telefontechnik in einer neuen und platzsparenden Variante in einem Neubau in der Seitzstraße untergebracht hat, verkauft die "Deutsche Telekom Immobilien" das wohl wertvollste Grundstück Münchens an einen Investor.

1995 München-Isarvorstadt * Sonja Reichenbach, die Wirtin der "Deutschen Eiche"in der Reichenbachstraße 13, gibt auf. Das Lokal wird geschlossen.

Die neuen Besitzer, Dietmar Holzapfel und Josef Sattler, bauen die Immobilie behutsam um. Das "Badehaus" der "Deutschen Eiche", eine der schönsten und größten Schwulensaunen der Welt, kann eröffnet werden.

Münchens Kreisverwaltungsreferent Hans-Peter Uhl lässt eine Woche vor der Eröffnung der "Schwulensauna" eine andere schließen. Auch sein Vorgänger Peter Gauweiler wollte die "Münchner Homo-Szene" ausmerzen.

1995 Grünwald * Richard Süßmeier muss sein "Forsthaus Wörnbrunn" an Josef Schörghuber verkaufen.

Um März 1995 München-Theresienwiese * Sepp Krätz kauft das "Hippodrom-Festzelt" der "Vinzenzmurr-Chefin" Evi Brandl ab, weil diese Probleme mit dem Fiscus hat.

Mai 1995 München-Neuhausen * Die "Spatenbrauerei" beliefert Gaststätten in Neuhausen und am Olympiasee mit Pferdefuhrwerken.

Seite 773/814 5. Mai 1995 München-Au * "Löwenbräu" will sich am Projekt "Karl-Valentin-Geburtshaus" in der Zeppelinstraße 41 beteiligen, wenn die Stadt die Gaststättennutzung genehmigt.

12. Mai 1995 München * Die "Erste bayerische Biergarten-Revolution"findet am Marienplatz mit rund 25.000 Unterstützern statt.

Der von der Obrigkeitgenehmigte Aufstandwar allerdings nichts anderes alseine Demonstration.

September 1995 München-Theresienwiese * Sepp Krätz, der Wirt der "Waldwirtschaft" in Großhesselohe, übernimmt das "Hippodrom" auf dem Oktoberfest.

Krätz? "Wiesn-Festzelt" hatte keinen Ruf mehr zu verlieren -höchstens einen schlechten. Selbst der damalige "Kreisverwaltungsreferent" Hans-Peter Uhl stellte fest, dass dort "1000 Jahre Zuchthaus vereint und Zuhälter ein- und ausgegangen" sind.

Sepp Krätz muss - auch im Sinne der Stadtverwaltung - für "Ordnung" sorgen. Er macht das, indem er seine Wachleute mit Dobermännern und Feuerlöschern auf eine randalierende Meute losgehen lässt, die betrunken Einlassins Zelt begehrt. Das aber führt erstmals zu einer Auseinandersetzung mit Oberbürgermeister Christian Ude.

Der frisch gekürte "Wiesnwirt" führt in seinem "Wirtezelt" ein neues Reservierungs-System ein: Gäste, die mit einer Reservierung ins Zelt kommen, erhalten ein grünes Bändchen um den Arm, mit dem der Wiedereinlass garantiert ist, wenn sie mal das Zelt verlassen. Und dann gibt es noch die goldenen Armbändchen, die zu jeder Zeit den Gang ins "Hippodrom" sicherstellen. Es entzündet sich eine große Aufregung um diese "Drei-Klassen-Wiesn".

Sepp Krätz ist auch der erste "Wiesnwirt", der in seinem Zelt eine Band statt einer Blaskapelle auftreten lässt.

Und er ist einer der ersten, der dem ewigen Hendl-Schweinswürstl-Leberkäs eine hochwertige Küche entgegensetzt.

3. Oktober 1995 München-Theresienwiese * 80 Ochsen haben sich am Spieß der Ochsenbratereigedreht.

13. Oktober 1995 München-Au * Probleme der Stellplatzablöse, der baurechtlichen Genehmigungen einer Hofüberdachung und des Umfangs der Gaststättennutzung tauchen auf. Inzwischen will der Modemacher Rudolf Moshammer in dem Projekt Karl-Valentin-Geburtshausin der Zeppelinstraße 41 auch eine Schule für männliche Mannequinsunterbringen. Einen konkreten, greifbaren Plan legt Rudolph Moshammer - trotz mehrerer Aufforderungen - nie vor.

Seite 774/814 28. Oktober 1995 Garching-Hochbrück * Die U-Bahn-Erweiterungsstrecke der U 6 nach Garching-Hochbrück geht in Betrieb. Erstmals überschreitet die U-Bahn die Stadtgrenze.

21. November 1995 Großbritannien * Die erste von drei Doppel-CDs "The Beatles Anthology" erscheint. Darauf ist der Titel "Free As ABird", den John Lennon begonnen und die übrigen Beatles-Mitglieder fertiggeschrieben haben. vor 1996 München-Au * Rudolph Mooshammer will im "Valentin-Haus" in der Zeppelinstraße 41 "Münchens längste Theke" unterbringen.

Die Haidhausen-Auer Stadtteilpolitiker laufen gegen das Projekt Sturm.

Winter 1996 München-Maxvorstadt * Ein umfassender Umbau des Verwaltungsbau-Komplexes der E.ON an der Brienner-/Ecke Richard-Wagner-Straße beginnt.

Nach Abbrucharbeiten entsteht ein neues viergeschossiges Bürogebäude, das diagonal auf eine erdgeschossige "Hofplatte" gestellt wird. Durch die Schrägstellung des Gebäudes entstehen zwei Freiräume.

Ein überdachter ganzjährig nutzbarer, 950 qm großer Innenhof, die sogenannte "Piazza". Auf der anderen Seite des Gebäudes entsteht ein Garten.

Unter der "Hofplatte" liegen die "Tiefgarage", das "Archiv" und die "Technikräume".

1996 München-Au * Die Erneuerung und Sanierung der "Parkanlage am Tassiloplatz" hat - neben einem hohen Finanzaufwand - über fünf Jahre Zeit in Anspruch genommen.

Nach der Sanierung der Park- und Spielanlage mussdie gesamte Anlage mit einem halben Meter unbelasteten Mutterboden aufgeschüttet werden. Damit kann allerdings jede Gefährdung der Kinder und Erwachsenen ausgeschlossen werden.

1996 München * Edith Haberland, die letzte Erbin der "Augustiner-Dynastie", stirbt.

Zuvor hat sie in ihrem Testament festgelegt, dass die "Augustiner-Brauerei" in eine Stiftung umgewandelt werden soll.

Chef der "Edith-Haberland-Wagner-Stiftung" wird der seit 1991 in den Ruhestand versetzte Ferdinand Schmid.

Seite 775/814 4. März 1996 Großbritannien * Die zweite der drei Doppel-CDs "The Beatles Anthology"erscheint. Darauf ist der Titel "Real Love", ebenfalls eine Komposition von John Lennon, die die übrigen Beatles-Mitglieder fertiggeschrieben haben.

August 1996 München-Haidhausen * Bürgermeister Hep Monatzeder enthüllt gemeinsam mit dem "Hofbräukeller-Wirt" Günter Steinberg und den Enkeln der zwölf am 5. Mai 1919 im Garten des "Hofbräukellers" ermordeten Perlacher Arbeiter eine "Gedenktafel", die an die Vorgänge erinnern soll.

Damit will die Landeshauptstadt München verhindern, dass die Opfer der "Niederschlagung der Münchner Räterepublik" in Vergessenheit geraten.

Hep Monatzeder betont dies bei der Enthüllung der Gedenktafel und sagte weiter: "Sie soll aber auch zur Wachsamkeit und zum Widerstand mahnen gegen jedes neue Aufflammen von Rechtsextremismus, Fanatismus und Intoleranz".

Um den 1. September 1996 München-Au * Beinahe wären die Verkaufsverhandlungen für das Projekt Karl-Valentin-Geburtshausin der Zeppelinstraße 41 gescheitert. Dipl.-Ing.Klaus Schmidt: "Ich war schon kurz vor dem Hinschmeißen - wegen der Auflagen und der Kosten".

Nun scheint alles perfekt. Und höchste Zeit ist es geworden. Das Gebäude ist schon 20 Zentimeter in den sandigen Kiesboden eingesackt. Risse durchziehen die Wände. Damit das Haus nicht auseinander fällt, mussten von außen Quer- und Stützbalken angebracht werden.

28. Oktober 1996 Großbritannien * Die dritte Doppel-CD der Reihe "The Beatles Anthology" wird veröffentlicht.

1997 München-Obergiesing * Der kleine Dachreiterturm auf der "Heilig-Kreuz-Kirche" wird neu hochgezogen.

Er beherbergt eine Bronzeglocke, die in einem Stahlglockenstuhl aufgehängt ist.

24. Februar 1997 München-Graggenau * In der Rathaus-Galeriewird die "Wehrmachtsausstellung" eröffnet. 90.000 Münchnerinnen und Münchner werden die Ausstellung besuchen.

Peter Gauweiler, der Münchner CSU-Vorsitzende, verschickt an alle Münchner Haushalte einen Brief, in dem er schreibt: "Den Ausstellern wird vorgeworfen, dass sie deutsche Soldaten [...] generell herabwürdigen und faktisch auf eine Stufe mit Kriegsverbrechern stellen. [...] Eine pauschale Verurteilung ist ein Schlag von Millionen Familien, die im Krieg ihren Vater, Bruder, Sohn oder Ehemann verloren haben und eine späte absichtsvolle Demütigung zahlloser Männer, die ehrenhaft gekämpft hatten."

Seite 776/814 Statt an der Eröffnungsfeier der "Wehrmachtsausstellung" teilzunehmen, legt Peter Gauweiler mit Gleichgesinnten am Grabmal des Unbekannten Soldatenim Hofgarteneinen Kranz nieder.

Um April 1997 München-Haidhausen * Der Zustand des Brunnens am "Bordeauxplatz" ist ein so erbärmlicher, dass das Becken abgebrochen und völlig neu aufgebaut werden muss.

Da das Becken in seiner Entstehungszeit "in den Dreck gebaut? worden ist, versickern von den 15.000 Kubikmetern Wasser, die pro Saison hier verbraucht werden, gut die Hälfte im Erdreich. Ein Riss geht durch den Rehbock, dem zudem sein Geweih abhanden gekommen ist.

Damit der "Bordeauxplatz" seine auf alten Fotos verbürgte Ursprünglichkeit zurückgewinnt, beginnt man mit umfangreichen Umbauarbeiten.

Die Grundstruktur des Platzes konnte über die Jahrzehnte im Wesentlichen erhalten werden. Nur die Wege waren breiter geworden und betongepflastert. Sie sollen wieder zu schmalen Sandwegen umgestaltet werden.

Die Parkbänke waren nach innen gerückt, weg vom Straßenverkehr, dafür aber mit dem Rücken zu den Flaneuren. Auch sie sollten wieder an ihren ursprünglichen Platz rücken.

Daneben muss der nach über 120 Jahren lückenhaft gewordene Baumbestand erneuert werden, wobei die ersten Ulmen schon seit dem Jahr 1989 einer Abholzaktion zum Opfer fielen, da die weltweit auftretenden Fäulnisbakterien auch vor diesem historischen Ensemble keinen Respekt hatten.

Als Ersatz pflanzte man zunächst einreihig Linden nach, "damit der Platz nicht allzu stark unter dem Schattendruck leidet".

Spätestens seit der Entdeckung des "Ozonlochs" weiß man den Schatten wieder zu schätzen, weshalb die Linden aus den 1990er Jahren zusammen mit den neuen Bäumen eine doppelreihige Allee rings um den Platz ergeben haben.

Der neu geschaffene Spielplatz entspricht zwar nicht dem ursprünglichen Erscheinungsbild - aber dem Bedürfnis der Eltern.

9. Dezember 1997 München-Berg am Laim * Das Technische Rathausan der Friedensstraße 40 kann sein Richtfestfeiern. Dabei sagt BaureferentHorst Haffner: "Es entsteht kein protziger Verwaltungsbau, aber auch kein trauriger Behördensilo."Neben den 1.162 Büros, in denen rund 1.800 Beschäftigte arbeiten, befinden sich ein Kindergarten, eine Krippe, eine Kantine und eine Cafeteria.

Auf dem Dach des 63 Meter hohen Turms wird ein Rotor mit einem Durchmesser von zwölf Metern angebracht.Er hat ein Gewicht von sechs Tonnen und erzeugt eine elektrische Energie von vierzig Kilowatt. Das Windradkommuniziert mit einer sich drehenden Landschaft im Innenhof des Technischen Rathauses. In einer Stunde eine Runde.

Seite 777/814 Das Windradentsteht als Kunst am Bau und im öffentlichen Raum.Auch dazu wird ein internationaler Wettbewerb ausgelobt.Fünfzehn renommierte Künstler haben ihre Vorschläge eingereicht.Den Zuschlag hat der Entwurf des Studios Vito Acconciaus New York erhalten.

1998 München-Isarvorstadt * Das Restaurant der "Deutschen Eiche" erhält ein neues Aussehen.

Die Küche wird erweitert und auf den neuesten technischen Stand gebracht.

Februar 1998 Grünwald * Aus Anlass des 50. Todestages von Karl Valentin wird am "Schlosshotel" in Grünwald eine Gedenktafel angebracht, die auf den fast zweijährigen Aufenthalt des Komikers in den Jahren 1942/43 hinweist.

4. Mai 1998 Bundesrepublik Deutschland - Bonn * Der sogenannte "Kranzgeldparagraph" wird gestrichen. Als "Kranzgeld" bezeichnet man bis dahin eine finanzielle Entschädigung, die eine Frau von ihrem ehemaligen Verlobten fordern kann, wenn sie auf Grund eines Eheversprechens ihre Jungfräulichkeitverloren hat, und er anschließend das Verlöbnis löst. Gleiches gilt übrigens auch für neuverlobte Witwen.

23. September 1998 München-Haidhausen?Nach einer ausgiebigen Schönheitskur wird der Brunnen am Bordeauxplatzwieder der Öffentlichkeit übergeben.

1999 München * Das "Amt für Abfallwirtschaft", die "Zentrale der städtischen Abfallentsorgung", zieht zum Georg-Brauchle-Ring um.

1999 München-Obergiesing * Die "Totengräber vom Ostfriedhof"erlangen Kultstatus.

Als "Boandlkramer-Connection" singen sie täglich in der "Shitparade" von "Radio Gong" das Lied "Drei weiße Tauben und ein Gewehr, drei weiße Tauben, die scheißen nicht mehr. Guru, guru".

Als einem Hörer dieser Erfolg zu viel wird, verspricht er für jede Gegenstimme ein Weißbier. Gleich darauf meldet sich der Fußball-Spieler Markus Babbel und bietet - im Namen des "FC Bayern" - für jede Ja-Stimme zwei Träger Weißbier.

Als die "Totengräber" im September 1999 ein falsches Grab ausheben, kommt es zum Karriereknick, da der "Leiter der Friedhofsverwaltung" den "Boandlkramern" ein Singverbot erteilt.

Doch nun gehen die "Radio Gong"-Hörer auf die Barrikaden. Binnen vier Tagen fordern 12.000 Hörer auf Unterschriftslisten die Rückkehr der singenden "Totengräber".

Seite 778/814 Und nach kaum einer Woche sind sie wieder "Live On The Air" zu hören.

Bald werden die Bestatter und Aufbahrer durch die ganze Bundesrepublik gereicht. Sie sangen auf der "Wies?n" im Bierzelt, bei Stefan Raab im Fernsehen und bei der "SpVVg Unterhaching" in der Halbzeitpause.

11. August 1999 München * Um 12:37 Uhr erlebt München eine totale Sonnenfinsternis, liebevoll SOFIgenannt. Die Menschen betrachten das Schauspiel mit speziell hergestellten Brillen.

18. September 1999 München-Theresienwiese * Die Hühner- und Entenbraterei Ammerstellt auf Biohendlum. Ein Biohendlkostet dreimal so viel wie ein normales, frisst dreimal so viel und lebt dreimal so lange.

18. September 1999 München-Theresienwiese * Stephanie Spendler ist offiziell Wiesnwirtin. Gemeinsam mit ihrem Vater Ludwig Wiggerl Hagn betreibt sie dasLöwenbräu-Festzelt.

Um Oktober 1999 München-Maxvorstadt * Der Umbau des Bürohaus-Komplexes der "Isar-Amper-Werke Elektrizitäts AG" an der Ecke Brienner-/Richard-Wagner-Straße ist fertiggestellt.

Der Haupteingang befindet sich seither in der Richard-Wagner-Straße.

10. November 1999 München-Au * Der Stadtrat beschließt, dem Dipl.-Ing. Klaus Schmidt und seinem Architekten Gert Bayer für die fünf Stadthäuser im Hof der Zeppelinstraße 41 als vorbildliche Baumaßnahme eine "Lobende Erwähnung" zuzuerkennen.

Die entsprechende Urkunde wird ihnen am 7. Februar 2000 ausgehändigt.

31. Dezember 2000 München * Der Wein-pro-Kopf-Verbrauchliegt in München bei 40 Litern. Darin sind aucheingerechnet: Säuglinge, Anstinenzler und Weinverachter. München ist damit die deutsche Großstadt mit dem höchsten Wein-pro-Kopf-Verbrauch. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 27 Liter.

März 2001 München-Haidhausen * Die Hobby-Modellbauer Ruth und Hans Irlbacher, sowie Hermann Voßeler stellen dem "Haidhausen Museum" in der Kirchenstraße den "Kriechbaumhof" im Maßstab 1:20 als Dauerleihgabe zur Verfügung.

Das Modell des Herbergsanwesens entstand nach alten Plänen und Fotos in 400 Stunden Arbeit.

Seite 779/814 Die Irlbacher und Voßeler reihen sich damit in die Tradition der Auer und Haidhauser "Kripperlbauer" ein, die sich seinerzeit mit ihren Schnitzarbeiten im Winter einen Nebenerwerb eröffneten. Im "Bayerischen Nationalmuseum" sind mehrere hervorragende Arbeiten von aus dem "Ostend" stammenden "Krippenmachern" zu sehen.

Man kennt die Künstler zum Teil nur noch dem Vornamen nach: So den Zimmermann "Niclas", der um das Jahr 1800 in der Au arbeitete oder Wendelin Reiner, der ebenfalls in der Au wohnte, dessen Stiefsohn Andreas Barsam, Anselm Sickinger, sowie den Schnitzer "Ludwig" und Johann Berger, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebten.

5. April 2001 München-Isarvorstadt - Museumsinsel - München-Englischer Garten * Die "Abendzeitung" meldet: "Die Biber sind wieder zurück in München".

Nördlich der "Zenneck-Brücke" am "Deutschen Museum" und am "Oberst-Jägermeister-Bach" im "Englischen Garten" können die Tiere seither beobachtet werden.

22. September 2001 München-Theresienwiese?Georg Heide wird Festwirtim Pschorr-Bräurösl-Festzelt.

7. Oktober 2001 München-Theresienwiese * In der Ochsenbratereiwerden während der Wiesn 77 Ochsen verzehrt.

1. November 2001 München-Graggenau * Die Löwenbräu AGwird Mieter des Anwesens Burgstraße 5. Seither betreibt die Familie Winklhofer das Gastlokal mit dem historischen Ambiente unter dem Namen Hofer - Der Stadtwirt.

29. November 2001 Los Angeles * George Harrison, der "stille Beatle", stirbt in Los Angeles, Kalifornien, an Krebs. Er stand lange Zeit im Schatten von John Lennon und Paul McCartney. Durch die Verwendung orientalischer Instrumente und Kompositionen seit Mitte der 1960er-Jahre wurde er zu einem der Wegbereiter der Weltmusik.

Wie auch John Lennon hinterlässt George Aufnahmen für ein komplettes Album, das sein Sohn Dahni und Jeff Lynne anhand seiner ausführlichen Notizen fertigstellen und 2002 unter dem Titel "Brainwashed" veröffentlichen.

August 2002 München-Haidhausen - München-Oberföhring *Der "Daphne-Brunnen" vom Orleansplatz findet in der Bogenhauser "Wahnfriedallee" ein neues Plätzchen.

Die nach vorne schreitende hübsche Bronzefigur, die sich in der Verwandlung in einen Lorbeerbaum befindet, findet ihren neuen Standort zwischen zwei Bäumen.

Seite 780/814 September 2002 München-Theresienwiese * Toni Roiderer wird als "Sprecher der Wiesnwirte" zum Nachfolger von Willy Heide gewählt.

Gleichzeitig bringen die "Wiesnwirte" erstmals einen gemeinsamen Krug heraus.

Oktober 2002 München-Haidhausen * Das "Haidhausen Museum" in der Kirchenstraße kann sein 25-jähriges Jubiläum feiern.

Aus diesem Anlass wird der Öffentlichkeit ein dreidimensionales Stück Stadtteilgeschichte zur Verfügung gestellt. Das zwei mal einsvierzig Meter große Modell mehrerer Herbergsanwesen in der "Grube" wurde von den Hobby-Modellbauer Ruth und Hans Irlbacher, sowie Hermann Voßeler detailgetreu hergestellt und mit - aus historischen Fotos - ausgeschnittenen Papierfiguren ergänzt. Ein Rundhorizont mit ausgetüftelter Beleuchtung machte die ganze Szenerie überzeugend realitätsnah.

18. November 2002 Großbritannien * Knapp ein Jahr nach seinem Tod erscheint George Harrisons Album "Brainwashed", das von seinem Sohn Dahni und Jeff Lynne anhand seiner ausführlichen Notizen fertiggestellt wird.

2003 München-Theresienwiese * Die ehemaligen Wiesnwirte Marianne und Anton Weinfurtner stehen erneut wegen "Steuerhinterziehung" vor Gericht. Das "Landgericht München I" geht von einem Schaden von 1,5 Millionen Euro für den Fiskus aus.

Marianne Weinfurtner, die das Gericht für die "treibende Kraft" hält, wird wegen vier und ihr Mann Anton wegen drei Fällen der "Umsatzsteuerverkürzung" schuldig gesprochen. Ins Strafmaß einbezogen wird eine Verurteilung der Eheleute zu je zwei Jahren mit Bewährung aus dem Jahr 2001. Das Urteil ist bereits rechtskräftig.

Anton Weinfurtner und seine am Unternehmen beteiligte Ehefrau und Buchhalterin haben laut dem früheren Urteil den "Fiskus getäuscht, wo immer sich Gelegenheit bot". Frau Weinfurtner wird zu viereinhalb Jahren, Herr Weinfurtner zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Februar 2003 München-Untergiesing * Der Designer Uwe Binnberg und der bildende Künstler Christoph Nicolaus kaufen den "Hochbunker" an der Claude-Lorrain-Straße, um darin exklusive Wohnungen einzurichten.

Für den "Bunker" gilt lediglich ein "Bestandsschutz". Das bedeutet, dass er zwar verändert werden darf, hinterher aber noch das Aussehen des vorherigen Gebäudes erkennen lassen muss. Der "Betonkasten aus Kriegszeiten" an der Claude-Lorrain-Straße 26 ist damit der erste und einzige "Luftschutzbunker" in München, der für Wohnzwecke umgebaut werden darf.

Der ursprünglich mit Keller, Erdgeschoss und drei Obergeschossen erbaute achteckige Turm mit seinen 2,40

Seite 781/814 Metern dicken Mauern bietet eine Gesamtfläche von 280 Quadratmetern. Statt Fenster hat er nur schmale Sichtschlitze, durch die 63 Jahre kaum Licht einfallen konnte und dadurch im Inneren des "Bunkers" eine dunkle und muffige Atmosphäre erzeugte. Immerhin wurde das "Bauwerk" im Jahr 1941 für einen Zweck geschaffen, bei dem nicht gerade die Verbreitung einer freundlichen Atmosphäre im Vordergrund stand.

April 2003 München-Ludwigsvorstadt * Die Untersuchungsergebnisse zum "Deutschen Theater" werden den Stadträten vorgelegt.

Das "Wirtschaftsreferat" berechnet die Kosten für die notwendige Sanierung mit 138 Millionen Euro und empfiehlt aufgrund der "unfinanzierbaren Kosten", das Theater zu schließen. Innerhalb kürzester Zeit werden 60.000 Unterschriften zum Erhalt des "Deutschen Theaters" gesammelt.

Auch Oberbürgermeister Christian Ude will das "Deutsche Theater" dicht machen, doch das Theater und seine Freunde kämpfen dagegen, schlagen günstigere Alternativen vor, auch einen Neubau. Doch der kommt aus rechtlichen Gründen nicht in Frage.

Ab 3. April 2003 München-Untergiesing * Bevor die Umbaumaßnahmen für das Projekt "Wohnen im Turm" beginnen, muss erst eine mehrmonatige Wartezeit überbrückt werden. Das geschieht mit einer "Kunstaktion" unter dem Titel "120 Tage Kunst im Bunker".

Die Eigentümer verfolgen mit dieser Aktion das Ziel, einerseits das Image des "Betonkastens aus Kriegszeiten" zu verbessern, andererseits wollen sie "durch die Kunst versuchen, das bedrückende des Bunkers aufzubrechen und ihn bis zur tatsächlichen Bautätigkeit mit Leben zu füllen".

Die "Kunstaktion" dauert bis zum 26. Juli. Dabei herrscht eine breite Übereinstimmung. Doch mit dem anschließenden Genehmigungsverfahren der Umbauplanung scheiden sich wieder die Geister.

Während sich Rathauspolitiker von der "Bunker-Kreativität" begeistert zeigen, melden Architektur- und Denkmalschutzexperten ihre Bedenken an.

Und obwohl das "Gebäude" gar nicht unter "Denkmalschutz" steht, meinen sie, dass "so ein Bunker fast das Einzige [sei], das uns heute noch an den Krieg erinnert". So ein "Wehrbau" habe deshalb eine ebenso hohe Aussagekraft wie eine Stadtmauer oder eine Burg.

16. Juni 2003 München-Graggenau * StadtratSiegfried Benker forderte im Namen der Fraktion der GRÜNENin einem Antrag, sich mit der Kolonalgeschichte in den Münchner Straßennamen und dem Umang mit diesem Erbe verstärkt zu befassen:

Dem Stadtrat wird dargestellt, welche Straßennamen nach Personen, Ereignissen und Orten aus der Geschichte der ehemaligen deutschen Kolonien benannt sind. Dem Stadtrat wird ein Vorschlag unterbreitet, wie mit diesem Kolonialerbe umgegangen werden soll.

Seite 782/814 Die Diskussion drehte sich im Vorfeld um die Von-Trotha-Straße, die Von-Gravenreuth-Straße, die Dominikstraßeund die Wißmannstraße.

1. August 2003 München * Der Vorsitzende der CSU-Stadtratsfraktion, Hans Podiuk, selbst Bewohner des Kolonialviertels, entrüstet sich über den Antrag auf mögliche Straßenumbenennungen:"Ich persönlich kann keine Verherrlichung von Kolonialverbrechen erkennen, wenn Straßen nach Orten oder Personen aus der Kolonialzeit benannt sind".

2. Oktober 2003 München * Dieter Hildebrandt ist nach 145 Sendungen letztmals Gastgeber in der SatiresendungScheibenwischer.

Dezember 2003 München-Ludwigsvorstadt * Der Stadtrat beschließt, vier Millionen Euro für die Notsanierung des "Deutsche Theaters" zur Verfügung zu stellen, um dort bis Ende 2007 spielen zu können und in der Zwischenzeit einen privaten Investor zu finden.

Doch alle Verkaufspläne zerschlagen sich. Es wird klar, die Stadt müsste ihre Bühne herschenken und einem Käufer für die Sanierung sogar noch 30 Millionen Euro drauflegen.

2004 München-Ludwigsvorstadt * Jannik Inselkammer wird "geschäftsführender Gesellschafter" der "Augustiner-Brauerei".

März 2004 München-Untergiesing * Mit dem Umbau des "Luftschutzbunkers" an der Claude-Lorrain-Straße wird begonnen.

Zunächst müssen die dicken "Bunkerwände" bis auf ein Betonskelett abgetragen, die Wandstärke mit einer Betonfräse von 2,40 auf 1,20 Meter halbiert, neue Decken eingezogen und die Haustechnik installiert werden. Dank raumhoher Fensterfronten ist es dort jetzt hell und freundlich, wo bis vor Kurzem nur durch schmale Schlitze schwaches Tageslicht eindrang. Alleine die Umbaukosten erfordern einen Finanzaufwand von 1,6 Millionen Euro.

Jede Wohneinheit des inzwischen sechsstöckigen Gebäudes besteht aus 120 bis 130 Quadratmetern. Die beiden oberen Stockwerke, die das Architekten-Team - auch um den Kostendruck zu mindern - auf den ursprünglich vierstöckigen "Bunker" gesetzt hat, bestehen sogar komplett aus einer Glas- und Stahlkonstruktion. Nichts behindert in diesen "Luxus-Lofts" den Panoramablick auf die Isarauen und die Silhouette der Innenstadt.

18. September 2004 München-Theresienwiese * Die Pschorr-Bräuroslbekommt einen neue Festhalle. 80 Meter lang und 60 Meter breit ist das Zelt. 300 Kubikmeter Holz 100 Tonnen Stahl stecken in dem Festzelt, 6.000 qm Staffplanen in der

Seite 783/814 Dekoration.

18. September 2004 München-Theresienwiese * Das Löwenbräu-Festzeltwird als erstes Bierzelt der Welt nach ISO 9001:2000 zertifiziert.Der Qualitätssicherungsstandard umfasst Kriterien von der Zeltsicherheit über Notfallpläne, Arbeitsabläufe, Essensgeschmack, Sauberkeit bis hin zur Laustärke der Musik.

18. September 2004 München-Theresienwiese * Das Geschirr für das Brauereigespann von Paulanerwird erneuert. Es kostet 125.000 ? für sechs Pferde. 2.280 Arbeitsstunden sind für die Herstellung angefallen.

1. Dezember 2004 München-Oberwiesenfeld * Das Rock Museum Munichauf dem Fernsehturmwird eröffnet. Es ist im Aussichtskorbdes Olympiaturmsuntergebracht und liegt auf ungefähr 180 Metern Höhe. Damit ist es das weltweit höchstgelegene "Rock-Museum der Welt". Betrieben wird das Rock Museum Munichvon Herbert Hauke und Arno Frank Eser.

2005 USA * Der Konzern "Anheuser-Bush Inbev" übernimmt die Münchner Traditionsmarken "Löwenbräu", "Spaten" und "Franziskaner".

Das belgisch-brasilianisch-amerikanische Unternehmen ist durch immer neue Milliardenübernahmen zum weltweiten Marktführer in Sachen Bier geworden; mit einem Umsatz von 40 Milliarden Dollar und hohen Gewinnen.

2005 Rom-Vatikan * Der alte "VW Golf" von Joseph Ratzinger wird im Jahr seiner "Papstwahl" um 189.000 ? nach Amerika verkauft.

Das "Heilige Blechle" ist damit aber noch lange keine "Reliquie". Dazu müsste Benedikt XVI. erst gestorben und zumindestens zum "Seligen" erklärt worden sein.

2005 München-Theressienwiese * Der Wiesnwirte-Sprecherund Wirt des Löwenbräu-Festzeltes, Ludwig Wiggerl Hagn, schlägt die Einführung eines Wiesnkruges aus Plastik vor, der 800 Gramm leichter als ein Glaskrug (1.300 Gramm) ist.

Der Vorstoß scheitert: "Ich hab? ja nur darüber nachgedacht. Machen tu? ich das sowieso net. Oder nur, wenn der Gast einverstanden ist".

16. März 2005 München-Haidhausen * Die Vollendung der Instandsetzungs- und Erweiterungsarbeiten der "Villa Stuck" werden

Seite 784/814 mit einem Festakt gefeiert.

Insgesamt 12,97 Millionen Euro musste die Stadt München dafür aufbringen.

19. April 2005 Rom-Vatikan * Nach dem Tod des Papstes Johannes Paul II. wird "Kardinal" Joseph Ratzinger zu seinem Nachfolger auf dem "Stuhl Petri" gewählt.

Der in Marktl am Inn als Sohn eines "Gendarmen" geborene gibt sich den Namen Benedikt XVI.. Das motiviert die "Bild-Zeitung" umgehend, ihre Titelseite mit "WIR SIND PAPST" zu überschreiben.

In der englischen Presse wird dagegen die Vergangenheit in der "Hitler-Jugend" des "Papa-Ratzi" hervorgehoben.

25. April 2005 München-Kreuzviertel * Mit den Worten: "Heute erfüllt sich ein lang gehegtes Anliegen: Der Freistaat Bayern ehrt den großen Staatsmann Minister Maximilian Joseph Graf von Montgelas mit der Aufstellung eines Denkmals am Promenadeplatz", übergibt "Finanzminister" Kurt Faltlhauser das Denkmal der Öffentlichkeit.

Die fast zehn Tonnen schwere und 6,20 Meter hohe Skulptur wurde - nach einem Wettbewerb - von der Berliner Künstlerin und Kunstprofessorin Karin Sander geschaffen. Sie ließ dazu Montgelas-Büsten und Gemälde fotografieren und einscannen. Mit den gesammelten Daten errechnete der Computer ein dreidimensionales Bild.

Auf dieser Datenbasis entwickelte die Künstlerin und der Engineering-Dienstleister "Bertrandt AG" das tragende Stahlgerüst der aus fünfzehn Segmenten bestehenden Aluminiumfigur. Die einzelnen Teile wurden aus viereckigen Rohlingen mit einem Gesamtgewicht von dreißig Tonnen auf "Fünf-Achs-Hochgeschwindigkeitsfräsen" ausgefräst.

Die acht Tonnen schwere Figur wird von einem eineinhalb Tonnen schweren Stahlgerüst getragen. Die Verbindungstechnik im Inneren der Skulptur wiegt weitere 500 Kilo.

Damit das "Montgelas-Denkmal" richtig wirkt, muss man es aus einiger Entfernung betrachten, erst dann kann man den Dargestellten eindeutig identifizieren. Je näher man der Statue kommt, desto mehr löst sie sich - bedingt durch die Oberflächenstruktur - auf und wird abstrakt. Dieses "Abstandhalten" zu dieser geschichtsträchtigen Persönlichkeit war ein Anliegen der Künstlerin.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Höhe der Skulptur. Dabei ist sie mit ihren 6,20 Metern exakt genauso hoch wie das daneben stehende "Orlando-di-Lasso-Denkmal". Allerdings mit dem Unterschied, dass der "Aluminium-Montgelas" nicht auf einem Sockel, sondern in der Wiese steht. Und das ist angemessen, da in einer demokratischen Gesellschaft niemand mehr idealisiert dargestellt und auf einem Sockel aufgestellt werden darf und damit für den "normalen Bürger" unerreichbar wird. Und ein "Reformer", der noch dazu mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität steht, kann, wenn schon unbedingt ein persönliches Denkmal Aufstellung finden muss, durchaus angemessen sein.

Gleichzeitig mit der Aufstellung des "Montgelas-Denkmals" wird sang- und klanglos die "Gedenktafel für Bayerns

Seite 785/814 ersten demokratischen Ministerpräsidenten", Kurt Eisner, mit der Begründung entfernt, dass ja in angemessenem Abstand und an authentischer Stelle seit dem Jahr 1989 eine Bodenplatte angebracht worden ist. Die "Eisner-Gedenkplatte" wird im Depot des "Münchner Stadtmuseums" abgestellt.

7. September 2005 München-Angerviertel * Das Bier & Oktoberfestmuseumwird im ältesten noch erhaltenen Bürgerhaus Münchens, in der Sterneckerstraße 2, durch Oberbürgermeister Christian Ude eröffnet.

Den finanziellen Grundstock für die Ausstellung hat der inzwischen verstorbene Wiesnwirtund langjährige Sprecher der Wiesnwirteund Präsident des Hotel- und GaststättenverbandesXaver Heilmannseder gelegt, nachdem er dem Verein Münchner Oktoberfestmuseumeine großzügige Erbschaft hinterlassen hat. Einige der in den 1980er-Jahren geschlossenen Deutschen Brauereimuseum e.V.finden sich nun im Bier & Oktoberfestmuseumwieder.

17. September 2005 München-Theresienwiese *Das Hofbräuhaus-Festzelterstrahlt in neuem Glanz und erscheint seither wie ein Pendant des Stammhauses am Platzl.

17. September 2005 München-Theresienwiese * Die Ochsenbratereierhält an der Südseite mehr Fenster, die zusätzlich Licht ins Zelt lassen.

18. September 2005 München-Theresienwiese * Das Hacker-Festzelterhält ein Cabrio-Dach. Ein circa 50 qm großer Teil der überdachung kann bei geeignetem Wetter um einige Meter abgesenkt werden. Damit ist ein Blick auf den Sternenhimmel oder dem weiß-blauen Himmel vom Zeltinneren aus möglich. Außerdem zirkuliert die Luft im Zelt besser.

26. September 2005 München - Berlin - Wiesbaden* Am 25. Jahrestag des Wiesn-Attentatsbringen mehrere Organisationen, Gewerkschaften und Einzelpersonen, darunter mehrere Münchner Stadträte sowie Landes- und Bundespolitiker der SPD, im Deutschen Bundestageinen Antrag zur Wiederaufnahme des Verfahrens ein.

Der Antrag findet keine politische Mehrheit und wird vom Bundeskriminalamt - BKAabschlägig beschieden.

Oktober 2005 München-Graggenau * Eine Bietergemeinschaft bestehend aus der "Accumulata Immobilien Development" und der "LBBW-Immobilien", einer Tochter der "Landesbank Baden-Württemberg", erwirbt die ehemalige "Residenzpost".

Die beiden Firmen haben ambitionierte Pläne für das Gebäude und wollen auf dem rund 4.300 Quadratmeter großen Grundstück ein "Luxushotel der Extraklasse" entstehen lassen, mit 160 bis 190 Zimmer, passend zur exklusiven Lage. 300 bis 390 Millionen Euro soll das Projekt kosten.

Seite 786/814 Im Gebäude können neben den "Hotelzimmern" und "Suiten", "Konferenzräume", ein "Ballsaal", ein "Wellnessbereich" und edle "Boutiquen" Platz finden.

Während die Verhandlungen mit möglichen Investoren geführt werden, beantragen die Eigentümer eine "alternative Nutzung". Diese ist ein Mix aus Gastronomie und Geschäften.

So findet sich hier die Diskothek "8seasons", der "Feinkosthändler Käfer", das "Café L?Opera" und andere mehr, darunter auch der Schuhhersteller "Ed. Meier".

2006 München-Untergiesing * Die Garagenbrauer im "Giesinger Bierlaboratorium" in der Birkenau 5 machen aus einem Hobby ihren Beruf.

Sie beginnen mit einer 100-Hektoliter-Anlage. Die Brauanlage besteht im Wesentlichen aus einer umgebauten Doppelgarage, einem Gärkeller und einem darunterliegenden Lagerkeller.

2006 München-Untergiesing * In der "Giesinger Brauerei" wird erweitert und die Kapazität durch eine 1.000-Hektoliter-Anlage ersetzt.

Das ist der offizielle Beginn der kleinen Münchner Privatbrauerei, die damit zur "zweitgrößten Privatbrauerei Münchens" aufsteigt - gleich nach der "Augustiner Brauerei" mit cirka 1,1 Millionen Hektolitern.

26. Juni 2006 Spitzingsee * Der "Problembär" Bruno wird in der Nähe der Rotwand im Spitzingseegebiet erschossen.

17. November 2006 Berlin * Als erstes Bundesland kippt Berlin den Ladenschluss an Werktagenkomplett. Geschäfte können von Montag bis Samstag rund um die Uhr öffnen. Zudem dürfen die Läden auch an den Adventssonntagen und bis zu sechs weiteren Sonntagen öffnen. Das benachbarte Brandenburg, aber auch andere Bundesländer ziehen nach.

September 2007 München-Theresienwiese * Der "Lüftlmaler" Sepp Ingerl malt viele Boxen des "Hofbräuhaus-Festzeltes" mit München-Motiven aus.

Es gibt einen neuen Zelthimmel mit rautengemusterten Soffbahnen auf denen Masskrüge, Hopfengirlanden und Brezn abgebildet sind.

??? September 2007 München-Theresienwiese * Sepp Krätz lässt die üblichen Kieselsteine um sein "Hippodrom" teeren, damit seine illustren Gäste geraden Schritts in Zelt kommen, auch auf High Heels.

Seite 787/814 Nicht bedacht hat er jedoch, dass die Kiesel bei Regen für die nötige Drainage sorgen. Als dann das Wasser von oben kam, floss es nicht mehr in den Untergrund - sondern in einen Kabelschacht.

Und weil sich Elektrizität und Feuchtigkeit nicht gut vertragen, gab?s plötzlich in allen Zelten keinen Strom mehr.

September 2007 München-Theresienwiese * In der "Ochsenbraterei" werden 104 Ochsen verzehrt.

9. November 2007 München-Waldtrudering * Das Baureferat entfernt die alten Straßenschilder "Von-Trotha-Straße" und bringt dafür die Neuen mit der Bezeichnung "Hererostraße" an. Sie werden noch einige Zeit beschädigt und beschmiert.

2008 München-Theresienwiese * Das "Mahnmal für die Opfer des Wiesn-Attentats" wird neu gestaltet.

Die 1981 durch Friedrich Koller entworfene, bronzene Stele ist von ihm um eine halbrunde, durchlöcherte Stahlwand erweitert worden, die an die Streukraft der Bombe erinnern soll.

2008 München-Theresienwiese * Die Westfassade des "Hofbräuhaus-Festzeltes" wird mit einer großen Glasfläche neu gestaltet.

Es gibt neue Lüftungsmöglichkeiten und die Boxen werden denen der Südseite angepasst.

Mai 2008 München-Ludwigsvorstadt * Die vom Stadtrat gebilligte "Mindestsanierung"für das "Deutsche Theater"soll 79,5 Millionen Euro kosten, inklusive Risikoreserve.

Später wird das Budget wegen der Preisentwicklung auf 86 Millionen Euro aufgestockt. Bis zum Herbst 2011 soll alles fertig sein.

25. Juni 2008 München * Aufgrund des bevorstehenden 90. Todestages von Kurt Eisner am 21. Februar 1919beschließt der Stadtrat die Ausschreibung eines neuen Denkmals für den ersten demokratischen Ministerpräsidenten des Freistaats Bayern.

September 2008 München-Theresienwiese * Jeder "Wiesnbesucher",ob Erwachsener, Kind oder Greis, schafft im Durchschnitt 1,1 Liter "Wiesnbier".

Seite 788/814 September 2008 München-Theresienwiese * Nach dem Tod von Erich Hochreiter sen. ist jeder der drei Söhne (Erich, Dieter und Werner) für eine der drei kleinen "Festzelte" zuständig.

Erich für die "Weißbier-?Carousel?-Bar", Dieter für die "Haxenbraterei" und Werner für die "Bratwurst".

September 2008 München-Theresienwiese * 6.483 "Lebensmittel- und Hygienekontrollen" werden von sieben Mitarbeitern des "Kreisverwaltungsreferats" durchgeführt.

Es geht um die Einhaltung der einschlägigen Lebensmittelvorschriften und -vorgaben. 703 Beanstandungen werden verzeichnet.

28. September 2008 Freistaat Bayern * Bei der Wahl zum 16. Bayerischen Landtag

stürzt die CSU mit ihrem amtierenden Bayerischen Ministerpräsidenten Günter Beckstein auf 43,4 Prozent [- 17,3] ab und verliert nicht nur 32 Abgeordnetenmandate [jetzt 92], sondern auch die seit 1962 ununterbrochen erreichte absolute Mehrheit der Landtagsmandate. Die SPD mit ihrem Kandidaten Franz Maget erringt 18,6 Prozent der Stimmen [- 1,0] und 39 Sitze das bisher schlechteste Ergebnis seit 1946. Die FDP bekommt 8,0 Prozent [+ 5,4] und 16 Sitze und kommen nach 14 Jahren Abwesenheit im bayerischen Parlament wieder zurück. Erstmals ziehen die Freien Wählermit 10,2 Prozent der Stimmen [+ 6,2] und 21 Sitzen in den Bayerischen Landtagein. DIE GRÜNENkommen auf 9,4 Prozent der Wählerstimmen [+ 1,7] und 19 Sitze.

Oktober 2008 München-Ludwigsvorstadt - München-Fröttmaning * Anders als bei den vorhergehenden Sanierungen ruht der Theaterbetrieb im "Deutschen Theater" nicht.

Das Unternehmen zieht während der Zeit der Sanierung in ein riesiges "Theaterzelt" nahe der Fröttmaninger "Fußballareana". Das Exil soll bis Ende 2011 dauern.

Diese Übergangslösung ist allerdings sehr teuer. Allein die Zeltmiete kostet im Jahr gut zwei Millionen Euro. Und weil am Anfang nicht genug Publikum kommt, schreibt das Theater Verluste.

2009 München-Maxvorstadt *In Stahlregalen von insgesamt 46 Kilometern Länge liegen im "Bayerischen Hauptstaatsarchiv" rund 8 Millionen Dokumente zur bayerischen Geschichte aus über 1.200 Jahren.

Seite 789/814 Zur Benutzung des "Geheimen Hausarchivs der Wittelsbacher", das 750 laufende Regalmeter umfasst, braucht man eine Extragenehmigung des "Herzogs" von Bayern.

2009 München-Au * Die "Josef Bernbacher & Sohn GmbH & Co KG" ist einer der größten Nudelhersteller in Deutschland.

30.000 Tonnen Nudeln werden pro Jahr in der Fabrik am Tassiloplatz hergestellt. Rund 50 Millionen Umsatz Euro macht die Firma.

Die Wirtschaftskrise hat dem Unternehmen, das 130 Mitarbeiter hat, nicht geschadet. Im Gegenteil: "Viele, die sich nicht mehr so oft Fleisch leisten wollen, essen jetzt öfters mal Nudeln".

Mehr als Dreiviertel der Produktion wird in Bayern verkauft. Diese Beschränkung auf den regionalen Markt ist eines der Erfolgsrezepte von Bernbacher.

Januar 2009 München-Graggenau * Das "Café L?Opera" muss seine Räume in der "Residenzpost" aufgeben.

Gleiches passiert dem "Feinkosthändler Käfer" im Februar.

Februar 2009 München-Graggenau * Weil sich für das angestrebte "Luxushotel" in der ehemaligen "Residenzpost" zwar namhafte Betreiber, aber immer noch keine Investoren haben finden lassen, entscheiden sich die "Accumulata Immobilien Development" und die "LBBW Immobilien" für einen "zweiten Weg", auch wenn noch weitere Gespräche in Richtung "Luxushotel der Extraklasse" geführt werden.

Die Eigentümer haben in der Zwischenzeit einen "Bauantrag" eingereicht, der Wohnungen, Büros, Geschäfte und schicke Bars vorsieht. Einfach der berühmte "Münchner Mix", der immer dann entsteht, wenn eine teuere Immobilie in bester Lage auf den Markt kommt.

Juni 2009 München-Ludwigsvorstadt * Erstmals wird öffentlich darüber gesprochen, dass die Sanierungsarbeiten am "Deutschen Theater" länger als geplant dauern werden.

Der Grund sind Arbeiten am Fundament, das tiefer in die Erde reichen könnte, als von den Genehmigungen gedeckt. Die Sache ist heikel, weil unter dem Theater die U-Bahn verläuft.

19. September 2009 München-Theresienwiese * Im § 53 der Betriebsvorschrift des Referats für Arbeit und Wirtschaft, Tourismusamt Abt. Veranstaltungenheißt es Thema Bierausschank:

Seite 790/814 "Das Oktoberfest ist das traditionelle Münchner Volksfest mit Münchner Gastlichkeit und Münchner Bier. Diese Tradition gilt es weiter zu wahren. An Wiesnbesucher darf deshalb nur Münchner Bier der leistungsfähigen und bewährten Münchner Traditionsbrauereien (das sind derzeit: Augustinerbrauerei, Hacker-Pschorr-Brauerei, Löwenbrauerei, Paulanerbrauerei, Spatenbrauerei und Staatliches Hofbräuhaus), das den Münchner Reinheitsgebot von 1487 und dem Deutschen Reinheitsgebot von 1906 entspricht, ausgeschenkt werden. Das Festbier darf nur in Maßkrügen (1,0 l Gefäßen) und das Weißbier in 0,5 l Gefäßen (Weißbierglas) ausgeschenkt werden".

19. September 2009 München-Theresienwiese * Zur besseren Entlüftung werden im Hofbräuhaus-FestzeltVentilatoren in die Rauchabzüge integriert und weitere große Fenster zum öffnen in der Westfassade eingebaut.

4. Oktober 2009 München-Theresienwiese * Die Wiesnbesucher verspeisen 111 Ochsen in der Ochsenbraterei.

8. November 2009 München-Graggenau * Nach Protesten aus der Bevölkerung wird eine Kopie der Gedenktafel an die Reichskristallnachtneben dem Eingang des Alten Rathausesangebracht und enthüllt.

Dezember 2009 München-Ludwigsvorstadt * Die Rohbauarbeiten am "Deutschen Theater" beginnen.

Schon bald tauchen die ersten Probleme und Überraschungen auf, von denen trotz intensiver Begutachtung niemand wusste: ein unbekanntes Kellergewölbe, Pilzbefall oder statische Probleme. All das kostet Zeit und Geld.

2010 München-Englischer Garten - Lehel *Das "Eisbach-Surfen" auf der "stehenden Welle" beim Eintritt des "Eisbachs" an der Prinzregentenstraße in den "Englischen Garten" ist offiziell erlaubt. Das Baden ist dagegen verboten!

Die Surfer reisen aus der ganzen Welt an. Und die Passanten können das ganze Jahr von der Brücke aus dem nassen Vergnügen zusehen.

März 2010 München-Maxvorstadt * Dem Stadtrat wird ein Konzept über die Neugestaltung des "Platzes der Opfer des Nationalsozialismus" vorgestellt.

Eine zusammenhängende Platzfläche soll ein ungestörtes, zur Besinnung anregendes Verweilen ermöglichen.

Seite 791/814 Den Schwerpunkt des Platzes bildet eine nahezu quadratische Fläche, in deren Zentrum das bestehende Denkmal neu platziert wird. Durch zusätzliche Inschriften werden das Gedenken an alle Opfergruppen sowie der Hinweis auf den örtlichen Bezug zur "Gestapo-Zentrale" und dem künftigen "NS-Dokumentationszentrum" stärker hervorgehoben.

18. September 2010 München-Theresienwiese * Der Probebetrieb für die neue Bier-Ringleitungim Winzerer-Fähndl-Festzeltbeginnt. Gleichzeitig mit den Fundamenten für das neue Zelt wurde auch die unterirdische Bierleitung gelegt. Die Anlage ist 300 Meter lang und verläuft in einem großen Quadrat gut einen Meter unter dem Zeltboden. Wenn die Leitung gefüllt ist, befinden sich insgesamt 2.400 Liter Bier darin. Die Fließgeschwindigkeit ist minimal, damit kein Schaum entsteht.

Es gibt nur eine einzige Einfüllstelle an der nordöstlichen Ecke des Rohrquadrats.Die neuen Behälter für die Zentralversorgung lassen sich in einer Stunde auffüllen. Der Weg des Bieres ist eine Wissenschaft für sich.Er beginnt in der Paulaner Brauerei, wo es bei minus ein Grad in Tankwagen gefüllt wird. Mit etwa null Grad kommt es am Winzerer-Fähndl-Festzeltan, wo es in die drei Riesentanks mit je 28.000 Liter gefüllt wird. Dort kann der Gerstensaft noch zwei oder drei Grad wärmer werden, bevor er in die unterirdische Leitung fließt.

Die Rohre haben einen Durchmesser von 10 Zentimeter für den Bier-Durchfluss, umschlossen von einer 20 Zentimeter dicken Dämmung.Die letzten vier bis sechs Meter zur Schenke kommt noch ein zusätzlicher Durchlaufkühler hinzu, damit der Gast seine Mass Bier mit einer anständigen Temperatur von sechs bis sieben Grad bekommt.

November 2010 München-Ludwigsvorstadt * Die Wiedereröffnung des "Deutschen Theaters" ist nun für Oktober 2012 geplant. Doch auch dieser Termin ist nicht sicher.

Zur Not muss das Theater halt bis April 2013 in seinem Zelt bleiben, heißt es in einem Papier der Stadtverwaltung. Theater-Chef Werner Steer braucht aber einen klaren Umzugstermin, "denn wir müssen die Eröffnungsproduktion bereits jetzt planen".

20. November 2010 Rom-Vatikan * ErzbischofReinhard Marx wird von Papst Benedikt XVI. in das Kardinalskollegiumaufgenommen.Bis zum Februar 2012 ist der Münchner Bischofdas jüngste Mitglied des Kardinalskollegiums.

2011 München-Englischer Garten * Wenn man die Maximiliansanlage,den Hofgartenund den Finanzgartenhinzu zählt, umfasst der Englische Garteneine Fläche von über 417 Hektar.

Die drei Bäche (Schwabinger Bach, Eisbach und Oberstjägermeisterbach) haben eine Länge von 8,5 Kilometern. Von den 16 Hektar Wasserflächen ist der Kleinhesseloher Seemit acht Hektar das größte Gewässer. Das 78 Kilometer lange Wegenetz (davon 12 Kilometer Reitwege) beinhaltet auch über 100 Brücken und Stege.

Seite 792/814 2011 Bundesrepublik Deutschland * Der durchschnittliche Bierverbrauch liegt in Deutschland nur noch bei 106,6 Liter. Zum Vergleich: 1980 waren es noch 145,9 Liter. Das ist ein Rückgang von rund 37 Prozent.

August 2011 München-Ludwigsvorstadt * Ein Schwelbrand im Dachstuhl des gerade sanierten "Deutschen Theaters" wird den geplanten Umzugstermin nicht verzögern.

13. August 2011 Planegg - München-Theresienwiese * Die Wiesnwirt-LegendeWilly Heide stirbt im Alter von 91 Jahren.

17. September 2011 München-Theresienwiese * AntjeSchneider ist - gemeinsam mit ihrer Mutter Anneliese Haberl - Chefin der Ochsenbraterei, nachdem ihr Vater Hermann Haberl im Februar 2011 verstorben ist.

17. September 2011 München-Theresienwiese * Über eine 300 Meter lange Ringleitungwird das goldfarbene Pschorr-Wiesnbierin der Bräuroslzu den Schänken geliefert. Die Bräuroslverfügt damit als zweites Bierzelt über diese Technik.

17. September 2011 München-Theresienwiese * Ludwig Wiggerl Hagn kann sein 50-jähriges Wiesnjubiläumfeiern. Er ist damit der dienstälteste Wiesnwirt.

Oktober 2011 München-Ludwigsvorstand * Nach einer Sitzung des "Aufsichtsrates des Deutschen Theaters" lässt dessen Chef Hep Monatzeder wissen, dass man "sehr unzufrieden" ist mit der Leistung der Architekten und Projektsteuerer.

Doch eine Auswechslung der Verantwortlichen für die Baustelle will bei dem Stand des Verfahrens keiner mehr.

Deutlich wird, dass die 86 Millionen Euro nicht reichen werden. Außerdem ist die geplante Wiedereröffnung im Frühjahr 2013 sehr ungewiss. Womöglich wird der Umzugstermin erst imOktober 2013 stattfinden.

3. Oktober 2011 München-Theresienwiese * Insgesamt 6,9 Millionen Menschen haben das größte Volksfest der Welt, die Wiesn, besucht. Davon kamen rund 20 Prozent aus dem Ausland.

118 Ochsen werden in der Ochsenbratereiverspeist, 522.821 Hendl werden gegessen und 7.922.500 Mass

Seite 793/814 Wiesnbierfließen durch die durstigen Kehlen.

2012 Freistaat Bayern * In Bayern erzeugen 4.220 "Wasserkraftanlagen" 12.500 Gigawattstunden Strom.

Damit werden 15 Prozent des bayerischen Stromverbrauchs gedeckt. In 93 Prozent der bayerischen Flüsse sind Anlagen zur Stromgewinnung eingebaut.

2012 Bundesrepublik Deutschland *In Deutschland setzen die mehr als 1.300 Brauereien rund 96 Millionen Hektoliter Bier ab.

8. Mai 2012 München-Graggenau * Der Wirtschaftsausschuss des Stadtratsentscheidet über die Vergabe der Konzessionen für die Wiesn 2012. WiesnwirtSepp Krätz kann vorerst das "Hippodrom" weiterbetreiben.Der Grund: Die Staatsanwaltschaft braucht noch Zeit, um die Ermittlungen in Sachen Steuerhinterziehung abzuschließen.Diese haben im Herbst 2011begonnen.

Krätz soll in seinem "Andechser am Dom" Personalabgaben nicht korrekt abgeführt haben.Insgesamt werden drei Durchsuchungen von der Steuerfahndung durchgeführt.

Die Stadt hat ihn 2011 bereits abgemahnt, weil er im "Hippodrom" Angestellte geschlagen hat.Wegen dieses Vorfalls ist er mit einem Strafbefehl über 18.000 ? belegt worden, den er letztlich akzeptiert hat.

15. Mai 2012 München-Graggenau - München-Angerviertel * Im Turmstüberldes Valentin-Karlstadt-Musäumsgründet sich der "Valentin-Karlstadt-Förderverein e.V. * SAUBANDE". Seine Aufgaben sieht er in der "Wahrung, Stärkung und Verbreitung des Ansehens und des Wissens über Karl Valentin, Liesl Karlstadt und den Münchner Volkssängern".

Juli 2012 München-Ludwigsvorstadt * Bürgermeister Hep Monatzeder bestätigt, dass die Sanierung des "Deutschen Theaters" mindestens 94 Millionen Euro kosten wird.

Doch eine solche Kostensteigerung ist - nach seinen Worten - nicht ungewöhnlich für Altbauten. Das renovierte Haus soll nun im Juni 2013 spielfertig übergeben werden.

September 2012 München-Theresienwiese * Das "Löwenbräu-Festzelt" wird mit dem Energiesparsystem KNX ausgestattet.

Das System sammelt Informationen der Beleuchtungs-, Lüftungs- und Fenstersteuerung sowie von den Gasstrahlern und dem Wasserverbrauch. Die Informationen werden zentral in einem Server verarbeitet, der entssprechende Befehle zurück gibt.

Seite 794/814 16.500 LED-Leuchten erhellen das "Löwenbräu-Festzelt".

30. November 2012 München-Angerviertel * Das Bier & Oktoberfestmuseumund der Verein Münchener Brauereien e.V.sehen scheinbar keinen Anlass das 525. Jubiläum des Münchner Reinheitsgeboteszu begehen.

6. Dezember 2012 München-Obergiesing * Mit dem ersten Spatenstich beginnt der Ausbau des neuen Braubetriebs für den Giesinger Bräuin der Martin-Luther-Straße 2, direkt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche. Obwohl der Giesinger Bräusein Bier nur regional vertreibt, ist die Nachfrage ist in den letzten drei Jahren kontinuierlich gestiegen.Damit ist das Produktionsvolumen in der Birkenau 5 vollständig ausgeschöpft.

Außerdem gibt es keine Anfahrtsmöglichkeiten für die Kunden, die das Bier meist direkt in der Brauerei kaufen.Auch die Lkw, die das Malz liefern, tun sich beim Rangieren in dem Wohngebiet schwer. Deshalb haben sich die Brauerum ihren Geschäftsführer Steffen Marx für den Umzug entschieden.

2013 Bundesrepublik Deutschland - Freistaat Bayern * In Deutschland gibt es 1.340 Brauereien.

Davon befinden sich 622 in Bayern, alleine 163 in Oberfranken, womit die Region rund um Bayreuth und Hof Nummer eins in Bayern ist.

Die bayerischen Brauereien haben 22 Millionen Hektoliter Bier verkauft. 4,4 Millionen Hektoliter sind in den Export gegangen, ein Rekordergebnis. Gerade die Chinesen trinken sehr gerne und immer mehr Bier aus Bayern.

Während in ganz Deutschland immer weniger Bier verkauft wird, kann in Bayern der Absatz noch um 0,7 Prozent gesteigert werden.

Im Jahr 2013 trinkt jeder Deutsche im Durchschnitt 108 Liter. Der Bayer schafft immerhin 135 Liter. Der unangefochtene europäische Biertrink-Spitzenreiter ist Tschechien, gefolgt von Deutschland und Österreich.

7. Februar 2013 Mount Hagen * In Mount Hagen in Papua Neu-Guinea wird die zwanzigjährige Leniata Kepari bei lebendigem Leib als "Hexe" verbrannt.

Die junge Frau soll einen Knaben verhext haben. Der Sechsjährige hat zuvor über Schmerzen in Magen und Brust geklagt und ist daraufhin in das Krankenhaus gebracht worden. Am nächsten Tag stirbt er.

Die Männer ziehen die mutmaßliche "Hexe" aus, foltern sie mit einer erhitzten Eisenstange, fesseln sie und übergießen sie mit Benzin.

Seite 795/814 Danach wird Kepari Leniata ins Feuer geworfen.

Sie verbrennt bei lebendigem Leib. Bilder zeigen sie unter einem brennenden Lkw-Reifen, der offenbar noch auf sie geschmissen wurde. Sie selbst ist Mutter eines acht Monate alten Mädchens.

Polizisten und Feuerwehrleute schreiten nicht ein. Angeblich lässt die Meute ihr Einschreiten nicht zu.

März 2013 München * Bald werden 75 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, wobei in Deutschland München mit 4.516 Einwohnern pro Quadratkilometer an der Spitze steht.

Zum Vergleich: Es folgen Berlin mit 3.899, Herne mit 3.205, Stuttgart mit 2.925 und Oberhausen mit 2.762 Einwohnern pro Quadratkilometer. Herne und Oberhausen schrumpfen zurzeit allerdings.

Manila, die Hauptstadt der Philippinen bringt es auf mehr als 43.000 Menschen pro Quadratkilometer.

Die dichtbesiedelte europäische Stadt ist Levallois-Perret bei Paris mit 26.000 Einwohnern auf dem Quadratkilometer. Immerhin fast dreimal so viel wie in New York mit etwas mehr als 10.000 Einwohnern pro Quadratkilometer.

1. April 2013 München-Untergiesing - München-Theresienwiese * Die "Giesinger Brauerei" will auf die "Oide Wiesn". Die kleine Münchner Privatbrauerei stellt auf einer Pressekonferenzpläneihre "Wiesn-Hütte" vor.

Ein Super-Aprilscherz!!!

Mai 2013 München-Untergiesing * Die Bahn verspricht einen besseren Lärmschutz entlang der "Braunauer Eisenbahnbrücke".

Die Bauarbeiten können allerdings erst 2015 beginnen, da die Streckensperrung erst auf internationaler Ebene abgesprochen werden muss.

21. Juli 2013 München-Haidhausen * Auf dem Gelände des Ostbahnhofs wird eine Gedenktafel auf Privatgrund für die Widerstandsgruppe Weiße Roseangebracht. Zehn Jahre hatder Kampf zwischen den Stadtteilpolitikern und einem Politikwissenschaftler und der Landeshauptstadt angedauert.

September 2013 München-Graggenau * Die Stadt München kauft nach 18 Jahren das von dem Künstler Bruno Wank geschaffene Werk "Argumente" zu einem "aus Datenschutzgründen" nicht genannten Preis.

Seite 796/814 Die Kunstinstallation aus Bronzesteinen erinnert in der Viscardigasse an jene Münchner, die zwischen 1933 und 1945 den "Hitlergruß" vor der "Feldherrnhalle" nicht leisten wollten und deshalb über die Viscardigasse ausgewichen sind.

22. September 2013 Bundesrepublik Deutschland - Berlin?Bei der Wahl zum 18. Bundestagerhält

die CDU/CSU mit ihrer amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel 41,5 Prozent [+ 7,7] und 311 Sitze. Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück erringt 25,7 Prozent der Stimmen [+ 2,7] und 193 Sitze. Die FDP bekommt 4,8 Prozent [- 9,8] und scheitert damit an der Fünf-Prozent-Hürde. Bündnis 90/DIE GRÜNENkommen auf 8,4 Prozent der abgegebenen Stimmen [- 2,3] und 63 Sitze. Die PDS erkämpft 8,6 Prozent der Stimmen [- 3,3] und zieht mit 64 Abgeordneten in den Deutschen Bundestagein.

Angelika Merkel wird Bundeskanzlerin einer Großen Koalitionbestehend aus CDU/CSU und SPD.

Oktober 2013 Freistaat Bayern * Wegen der ungünstigen Witterungsverhältnisse fällt in Bayern die Hopfenernte schlecht aus und liegt mit 22.300 Tonnen 27 Prozent unter dem Durchschnitt der letzten sechs Jahre (30.500 Tonnen).

53 Prozent der Ernte ist "Bitterhopfen", 47 Prozent "Aromahopfen". Fast 86 Prozent der deutschen Hopfenanbauflächen liegen in Bayern, wovon 97 Prozent oder 14.086 Hektar auf die Hallertau fallen. Es ist damit das weltweit größte geschlossene Hopfenanbaugebiet.

Für 100 Liter Bier werden im Durchschnitt etwa 120 Gramm Hopfen benötigt.

6. Oktober 2013 München-Theresienwiese * Das Oktoberfest 2013endet. Das Fazit lautet:

In 16 Tagen besuchten 6,4 Millionen Besucher die Wiesn, davon kamen 540.000 Gäste auf die Oide Wiesn. Der Konsum und damit die Umsätze waren zum Teil stark rückläufig. 6,7 Millionen Mass Wiesnbier wurden getrunken. 114 Ochsen wurden in der Ochsenbratereiverzehrt, in der Kalbs-Kuchl58 Kälber verspeist. Insgesamt wurden 1.552 Straftatenbei der Polizei angezeigt. Es gab 492 Festnahmen. 449 Körperverletzungenwurden von der Polizei registriert. Die Polizeistatistik weist 99 Gewalttaten (gefährliche Körperverletzungen) aus, worunter auch die 58 Masskrugschlägereienzählen. 44 Täter konnten sofort festgenommen werden. 6 Raubüberfällewurden angezeigt und 46 Falschgelddelikteerfasst. 504 Taschendiebstähle. 78 Täter konnten gefasst werden. 16 Strafanzeigen wurden wegen Sexualdeliktengestellt, darunter wegen zwei Vergewaltigungen.

Seite 797/814 7.551 Hilfeleistungen mussten die Sanitäter und Ärzte leisten. 914 Patienten mussten ins Krankenhaus gebracht werden. 638 Wiesnbesucher mussten wegen Alkoholvergiftungenmedizinisch überwacht werden. Der überwiegende Teil dieser Patienten ist zwischen 18 und 30 Jahren alt, etwa ein Drittel ist weiblich. 27 Personen waren jünger als 16 Jahre. 230 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wurden registriert. 140 Mal musste der U-Bahnhof Theresienwiesegesperrt werden. 81.000 gestohleneMasskrüge werden den Besuchern wieder abgenommen. Rund 4.200 Fundstücke wurden im Wiesn-Fundbüroabgegeben. Darunter das obligatorische Gebiss. 22.221 Autofahrer wurden kontrolliert. Bei 473 Fahrzeugführern wurde Alkoholeinfluss festgestellt.

Münchens Oberbürgermeister Christian Ude nahm nach 21 Jahren Abschied von der Wiesn.

19. November 2013 München * Ferdinand Schmid, der Chef der Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, die 51 Prozent an der Augustiner-Brauereibesitzt, stirbt im Alter von 88 Jahren in München.

20. November 2013 München * Der Kabarettist Dieter Hildebrandt stirbt in München.

4. Dezember 2013 München-Graggenau * Die GRÜNEN-Landtagsabgeordneten Katharina Schulze und Sepp Dürr stülpen über den im Mai aufgestellten "Gedenkstein für die Trümmerfrauen und die Aufbaugeneration" am Marstallplatz einen brauen Sack. Dieser trägt die Aufschrift:

"Den richtigen ein Denkmal. Nicht den Alt-Nazis. Gegen Spaenles Geschichtsklitterung."

Die Begründung: Er vermittelt "ein falsches Bild von den Aufräumarbeiten in der Stadt. Mehr als 90 Prozent der Männer und Frauen, die später zu Trümmerfrauen stilisiert wurden, waren zwangsverpflichtete Alt-Nazis, die um ihre Essensmarken bangten".

31. Dezember 2013 Bundesrepublik Deutschland * Die Pfandhausbetreiber können ihr Schmuddel-Image ablegen und sich erfolgreich zum modernen Dienstleister weiterentwickeln.Die deutsche Pfandkreditbranche gibt in dem umsatzschwachen Jahr 2013 rund 630 Millionen Euro an Krediten aus.

Inzwischen nehmen immer mehr Menschen die Dienste der Leihhäuser in Anspruch, da, anders als bei den immer weniger an Privatkunden interessierten Banken, den Pfandhäusern auch Menschen willkommen sind, die nur kleine Darlehen brauchen. Bei kurzen Laufzeiten ist ein Pfandkredit meist günstiger als ein Bankdarlehen. Zudem wird im Leihhaus kein Lohnnachweis verlangt und die Verhandlungen dauern oft keine zwei Minuten.

Pro Monat werden bei Pfandkrediten ein Prozent Zinsen fällig, zuzüglich einer Gebühr, die sich nach der Höhe

Seite 798/814 des Kredits richtet. Mit einem Pfandkredit werden oft unvorhersehbare Ausgaben - wie eine Steuernachzahlung - finanziert oder die Darlehen müssen in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten einfach für die laufenden Ausgaben herhalten.

Wird der Kredit nach Ende der Laufzeit nicht verlängert und das Pfand nicht ausgelöst, kommt es zur Versteigerung. Findet sich dort auch kein Interessent, versuchen die Pfandhausbesitzer diese über ihre Läden zu verkaufen. Ist der Erlös höher als der Darlehensbetrag plus Zinsen, entsteht ein Überschuss, der aber ausschließlich dem Kunden zusteht. Wenn dieser ihn nicht einfordert, wird das Geld nach zwei Jahren an den Staat abgeführt. Allerdings werden nur 6,5 Prozent der Pfänder nicht mehr ausgelöst.

2014 Bundesrepublik Deutschland - Freistaat Bayern * In Deutschland gibt es insgesamt 1.352 Brauereien.Davon befinden sich 616 Braustätten in Bayern.

Der Bierabsatz liegt in Deutschland bei 95.620.000 Hektoliter.Auf Bayern entfallen davon 23.131.000 Hektoliter.

27. Januar 2014 München-Maxvorstadt * Der neu gestaltete Platz der Opfer des Nationalsozialismuswird der Öffentlichkeit übergeben. Der Platz wurde seit 2012 für 3,9 Millionen Euro umgestaltet und ergänzt.

Bäume schirmen den Platz jetzt besser vom Verkehr ab, der Parkplatz wurde verkleinert und die Säule mit der Ewigen Flammeist in den Mittelpunkt gerückt worden. Eine 18,5 Meter lange und 1,3 Meter hohe Bronzetafel erinnert nun an die verschiedenen Opfergruppen. Ein Bronzeband im Boden weist auf den Standort der früheren Gestapo-Zentraleund zum NS-Dokumentationszentrumhin.

21. Februar 2014 München-Graggenau * Die bayerische Landtagspräsidentin Barbara Stamm lehnt es ab, ein Porträt des ersten demokratischen bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisners im Bayerischen Landtag anzubringen. Der Verein "Das andere Bayern e.V." übergibt das Porträt schließlich der SPD-Fraktion.

9. März 2014 München * Das Nachrichtenmagazin Focusberichtet, dass das "Verbot des Bierausschanks im traditionellen Steinkrug" durch die EU durch Bayern erfolgreich verhindert worden ist. Zwei Monate vor der Europa-Wahlist das für Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner ein weiterer Beweis für die Regulierungswutder Brüsseler Bürokraten.

Tatsache aber jedoch: Die Europäische Kommission hatte nie das Ziel, Bierkrüge aus Steingut zu verbieten.Es ging lediglich um eine 10 Jahre alte Regelung, wonach Eichstriche auf Gläsern angebracht werden müssen, um die richtige Inhaltsmenge feststellen zu können.Das ist aber beim Keferloherschon aufgrund des Materials nicht anwendbar.

Biertrinker müssen in Gaststätten lediglich darauf hingewiesen werden, dass sie die Füllmenge im Krug durch ein

Seite 799/814 sogenanntes Umfüllmaß, das kann ein Glaskrug sein, überprüfen lassen können.

24. März 2014 British Columbia/Kanada *Gegen 10:30 Uhr stirbt Jannik Inselkammer, Gesellschafter der Augustiner Brauereiund erfolgreicher Immobilienunternehmer, beim Helicopter-Skiingbei einem Lawinenunfall in der kanadischen Provinz British Columbia.Er ist 45 Jahre alt. Als geschäftsführender Gesellschafterhält der Unternehmer 35 Prozent der Anteile an der Augustiner-Brauerei.

1. April 2014 München-Au * Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung prüft das "Landratsamt München", ob dem Wiesnwirt Sepp Krätz auch die "Schanklizenz" für die "Waldwirtschaft" in Großhesselohe entzogen werden soll.

Damit wäre Krätz? kleines "Gastronomie-Imperium" endgültig zerschlagen. Nach seiner Verurteilung im "Steuerhinterziehungsprozess" muss er bereits damit rechnen, dass ihm die "Schanklizenz" für den "Andechser am Dom" entzogen wird. Und damit braucht er sich gar nicht mehr um eine "Wiesn-Lizenz" fürs "Hippodrom" bewerben.

8. April 2014 München * Nachdem das Bayerische Innenministeriumim Herbst 2013 die Badeverordnunghat auslaufen lassen, endet in Bayern auch der darin enthaltene "Zwang zur Badekleidung". Das Münchner Kreisverwaltungsreferatwill das Nacktbadenin der Stadt auf insgesamt fünf Bereiche festschreiben. Das sind jene Orte, an denen der hüllenlose Bade- und Sonnengenuss auch bisher schon erlaubt war und deren Adressen sich seit Jahren in diversen Reiseführern wiederfinden.

Gerade die Nackerten im Englischen Gartensind - vor allem bei Besuchern aus Ländern, in denen solche textilfreien Zonen als "unsittlich" gelten - eine bekannte Touristenattraktion. Und das sind die künftigenNackerten-Paradiese:

Im Englischen Gartenauf der Schönfeldwiesehinterm Haus der Kunst, innerhalb des Ovals der Reitbahn. Die sogenannte "Poebene". In der Schwabinger Bucht, zwischen Sulzbrückeund Alte-Heide-Stegim nördlichen Teil des Englischen Gartens. Am Ostufer der Isarinsel Oberföhring. Bei Maria Einsiedelim westlichen Hochwasserbett der Isar. An der Brudermühlbrückeim östlichen Hochwasserbett der Isar bis hinauf zur Braunauer Eisenbahnbrücke. Am Südufer desFeldmochinger Seesdürfen die Münchner auch künftig auf ihre Badekleidung verzichten. ?Und selbst amFlaucher, demNacktbadestrand Nummer Eins, an dem bisher - sehr zur Verwunderung der Stadtpolitiker -Textilzwangbestand, dürfen jetzt offiziell die letzten Hüllen fallen.

Um den 20. April 2014 München-Au * Die Abbrucharbeiten an den Gebäuden um den denkmalgeschützte Fassade des Zacherlbausan der Ohlmüllerstraße haben begonnen. Auf dem Gelände soll der neue Verwaltungsbau der Paulaner-Brauereiuntergebracht werden.Lediglich die historische Fassade und die Kellergewölbe müssen erhalten werden.

Seite 800/814 28. April 2014 München-Theresienwiese * Der Ausschuss für Arbeit und Wirtschaftbefasst sich mit der Frage, wer die Nachfolge für Ex-WiesnwirtSepp Krätz im Hippodromantreten soll. Sepp Krätz war am 28. März von der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München Iin 36 Fällen wegen Steuerhinterziehungzu einer Freiheitsstrafe von einen Jahr und zehn Monaten auf Bewährungund einer Geldstrafe von 570.000 Euro verurteilt. Seine Schanklizenzfür den Andechser am Domhat er bereits verloren, das selbe Verfahren für die Waldwirtschaftin Großhesselohe wird im Mai angeschlossen.

Das Wirtezeltwird Siegfried Able, der bisherige Wirt der Kalbskuchlauf der Wiesn, übernehmen. Er ist Betreiber des See-Biergartens Lerchenaumit 1.200 Plätzen, des Eiszaubersam Stachus und seit 2008 auch der Kalbskuchl. Zudem gehören ihm Pizza-Ständeim Stachus-Untergeschoss und im Hauptbahnhof, in Letzterem auch der Süßigkeitenstand Münchner Zuckerl. Im Tierpark Hellabrunnhat er einen Biergarten, ein Caféund einen Fish-and-Chips-Stand.

Siegfried Able wird das Hippdromin Marstallumbenennen.Auch das Festzeltwird vollkommen neu gestaltet. Seine Kalbskuchlmit 300 Plätzen übernimmt Erich Hochreiter, der Wirt des Biergartens am Viktualienmarkt.

Der Besetzung des Wirtezeltesauf der Wiesn gehen hinter den Kulissen heftige Auseinandersetzungen.Deutlich und laut fällt die Kritik an dem seit 1980 praktizierten Vergabesystemder Stadt aus, das zwar korrekt abgewendet worden sei, aber aus einer Zeit stammt, als Volksfestenoch ein reines Reisegewerbewaren.

Unangenehm heftig fällt die Kritik des Sprechers der Wiesnwirte, Toni Roiderer, aus.Für ihn ist der "Emporkömmling" Siegfried Able nur ein "Kioskbetreiber", der nie "Wunschkandidat" war.Die etablierten Wiesnwirtewollen sogar ernstlich prüfen, ob sie ihn überhaupt in ihrem Kreis aufnehmen wollen.

21. Mai 2014 München-Maxvorstadt * Im Eingangsbereich des Justizgebäudesan der Prielmayersteaße 5 wird eine Gedenktafel für jüdische Juristenangebracht, die in der Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsregimes zwangsweise aus dem Justizdienst entfernt worden sind.

4. Juni 2014 München-Theresienwiese * Der Preis für die Mass Wiesnbier überschreitet erstmals die magische Grenze von 10 Euro. Im Löwenbräu-Festzeltund beim Schottenhamelwerden für den Liter Wiesnbier 10,10 Euro verlangt.

24. Juni 2014 New York * Das Originalmanuskript von Bob Dylans Song "Like ARolling Stone", das er mit Bleistift auf einem Hotel-Briefpapier verewigt hat, wird in New York um zwei Millionen Dollar versteigert. Ein weiteres Dylan-Manuskript mit dem Titel "A Hard Rain?s A-gonna Fall"erzielt immerhin noch 485.000 Dollar.

Eine von den Beatles im Jahr 1961 in Hamburg signierte Rechnung bringt immerhin noch 375.000 Dollar. Yeah, yeah, yeah!

1. Juli 2014 München-Graggenau * Die Süddeutsche Zeitungberichtet über einen sensationellen Fund im Apothekenhofder

Seite 801/814 Münchner Residenz. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich um das fast unversehrte Grab einer 40- bis 60-jährigen Frau, die nach ihrem Tod an anderer Stelle verbrannt und im späteren Apothekenhofbeigesetzt wurde.

Die Archäologen fanden einen stattlichen Scherbenhaufen an Feinkeramik, die zum Teil kunstvoll mit in den Ton geritzten Schraffuren, Bändern und Zickzack-Mustern. Auch verschiedene Bronzeutensilien haben die Forscher entdeckt, darunter zwei Vasenknopfnadeln. Die Ur-Münchnerin hat vor mehr als 3.000 Jahren in der späten Bronzezeit (1350 bis 1200 vor Christi) nahe der Isar und ihren Seitenarmen gelebt. Nach der wissenschaftlichen Auswertung sollen die schönsten Fundstücke in der Residenzausgestellt werden.

31. Juli 2014 München-Theresienwiese * Auf der Theresienwiesesollte im Juni 2015 ein Kamelrennenstattfinden. Auf einem 1,8 Kilometer langen Sand-Rundkurs sollen die bis zu 70 Stundenkilometer schnellen Renn-Dromedareerstmals außerhalb der Arabischen Halbinsel gegeneinander antreten. Die bis zu zehn Millionen Dollar teueren Kamele werden mit Spezialflugzeugen nach München gebracht.

Als Jockeys wurden bis vor kurzem - wegen dem geringen Gewicht - Kinder eingesetzt, die ihren Familien in Asien abgekauft wurden. Diese viel kritisierte Praxis haben die Golfstaaten inzwischen aufgrund der Interventionen der Unicefeingestellt. Die Kinder wurden von teueren Computern ersetzt, die ihre Peitschen ferngesteuert schwingen. Gelenkt werden diese von den Kamelbesitzern, die neben der Dromedar-Rennbahn mit ihren Off-Road-Pick-Upsfahren. Auch hier sollen sich spektakuläre Duelleabspielen.

Von dem Kamelrennen werden die Münchner nichts mehr hören.

4. August 2014 München * Der neue "Familienreport" des "Bayerischen Sozialministeriums" zeigt, dass sich die Zahl der "unehelich geborenen Kinder" seit den 1990er Jahren verdreifacht hat.

Außerordentlich hohe uneheliche Geburtsraten zeigen die ost- und nordbayerischen Randregionen auf. Anders gesagt: Je christlicher die Bevölkerung, desto höher die Zahl der "unehelich geborenen Kinder".

3. September 2014 Planegg * Die Wiesnwirte der großen Festzelte treffen sich - wie jedes Jahr - in der Planegger Wallfahrtskirche Maria Eich, um dort eine mehrere Kilo schwere Kerze zu stiften. Diese Tradition hat der ehemalige Sprecher der Wiesnwirteund Festwirt der Bräu-Rosl, Willy Heide, nach dem Oktoberfest-Attentatim Jahr 1980 ins Leben gerufen. Sie soll für eine friedliche Wiesnstehen. Georg Heide, der Sohn des 2011 verstorbenen Willy, setzt die Tradition gemeinsam mit seiner Frau Renate und Tochter Daniela fort.

Bei den Münchnern hält sich aber eisern das Gerücht, dass das Mordstrumm von einer Kerze für eine sich pünktlich zum Wiesn-Beginn einstellende Schönwetterfront gestiftet wird.Denn schönes Wetter bedeutet für die Wiesnwirte auch gute Umsätze und damit Gewinn.Denn wie singen die Festwirtein Maria Eich: "Maria hilf uns allen aus unsrer tiefen Not".

12. September 2014 München-Untergiesing * Im Tierpark Hellabrunnwird die einhundert Jahre alte Kuppel des

Seite 802/814 Elefantenhausesgesprengt. Das Ammoniak im Urin der Tier hat dem byzantinischen Kuppelbau aus dem Jahr 1914 so zugesetzt, dass er bereits 2010 wegen akuter Einsturzgefahr gesperrt werden musste.

Jetzt soll das Ensemble saniert und originalgetreu wieder aufgebaut werden.Dabei soll es mehr Platz für die Tiere geben.

Oktober 2014 München-Theresienwiese * Der geschätzte Wirtschaftswert des "größten Volksfestes der Welt" liegt bei etwa 954 Millionen Euro.

Die Stadt als Veranstalter nimmt lediglich 7,3 Millionen Euro an "Stand­entgelten" ein. Die Kosten liegen bei 5,7 Millionen Euro. Die Differenz von 1,6 Millionen Euro wird in die Instandhaltung und den Ausbau des "Festgeländes" investiert.

5. Oktober 2014 München-Theresienwiese * Das Oktoberfest 2014endet.Das Fazit lautet:

In 16 Tagen besuchten 6,3 (6,4) Millionen Besucher die Wiesn, davon kamen 610.000 (540.000) Gäste auf die Oide Wiesn. Der Konsum und damit die Umsätze waren zum Teil rückläufig. (Zahlen in Klammer = 2013) 6,5 (6,7) Millionen Mass Wiesnbier wurden getrunken. 112 (114) Ochsen wurden in der Ochsenbratereiverzehrt, in der Kalbsbraterei48 (58) Kälber verspeist. Insgesamt wurden 1.290 (1.552) Straftatenbei der Polizei angezeigt. 398 (449) Körperverletzungenwurden von der Polizei registriert. Die Polizeistatistik weist 36 (58) Masskrugschlägereienauf. 3.603 (7.551) Hilfeleistungen mussten die Sanitäter und Ärzte leisten. 681 (638) Wiesn-Besucher mussten wegen Alkoholvergiftungenmedizinisch überwacht werden. Der überwiegende Teil dieser Patienten ist zwischen 18 und 30 Jahren alt, etwa ein Drittel ist weiblich. (230) Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetzwurden registriert. 150 (140) Mal musste der U-Bahnhof Theresienwiesegesperrt werden. 112.000 (81.000) gestohleneMasskrüge werden den Besuchern wieder abgenommen. 3.646 (rund 4.200) Fundstücke wurden im Wiesn-Fundbüroabgegeben. Darunter das obligatorische Gebiss. Wasserverbrauch: 115.000 Kubikmeter Gasverbrauch: 220.000 Kubikmeter Stromverbrauch: 2,98 Millionen Kilowattstunden

6. November 2014 Obergiesing * Der Brauereibetrieb im Giesinger Bräuin der Martin-Luther-Straße 2, direkt gegenüber der Heilig-Kreuz-Kirche, nimmt seine Tätigkeit auf. Die Giesinger Brauerschreiben mit dem Bauvorhaben ein Stück Münchner Biergeschichte. Am neuen Standort kann die Kapazität bereits in der ersten Ausbaustufe auf 5.000

Seite 803/814 Hektoliter pro Jahr gesteigert werden. Das Gebäude gehört den Stadtwerken, die Brauer ziehen als Mieter ein.

2,8 Millionen Euro investierte der Giesinger Bräuin sein neues Brauhaus.Das neue Brauhaussamt Bierstüberlund Freischankflächebreitet sich auf einer Fläche von 600 Quadratmetern aus.Die Gäste im 60 Plätze fassenden Bräustüberlkönnen durch ein riesiges Panoramafenster in die Brauerei und die Flaschenabfüllanlageschauen.

In zwei weiteren Schritten soll danach die Braukapazität auf bis zu 13.000 Hektoliter jährlich erhöht werden.Eine erhöhte Freischankfläche, sowie eine Rampe, über die Lkw Malz liefern und das Bier für die Getränkemärkte abholen können, ergänzen den Braubetrieb. Am neuen Ort ist genügend Platz für Fassbier. Bisher füllte die Brauerei ihr Bier vor allem in Flaschen ab.

16. November 2014 München-Maxvorstadt * Im Volkstheaterfindet die dritte SAUBANDE-Matinée,desKarl Valentin-Liesl Karlstadt-Fördervereins,statt.

Es wirken mit: Luise Kinseher, Maria Peschek, Frank-Markus Barwasser (alias Erwin Pelzig), die Couplet AG, Bele Turba, das Fünferlmit Johanna Bittenbinder, Heinz Josef Braun, Sebi Tramontana und Andreas Koll, Hans Well mit den Wellbappn, Stephan Zinner und Holger Paetz.

22. Dezember 2014 Crawford * Der britische Pop-Star Joe Cocker stirbt im Alter von 70 Jahren in Crawford/Colorado.

31. Dezember 2014 München * In der Zusammenstellung der städtischen Zuschüsse, die der Münchner StadtkämmererErnst Wolowicz jedes Jahr veröffentlicht, werden die Subventionen im Kultur-, Unterhaltungs- und Bildungsbereich deutlich.

Das Stadtmuseumwird pro Besucher mit 106,55 Euro unterstützt, die Münchner Philharmonikererhalten pro Zuhörer 97,13 Euro, das Volkstheaterkriegt für jeden Zuschauer 77,67 Euro, in der Stadtbibliothekwird jedes ausgeliehene Buch mit 2,99 Euro bezuschusst, nur der Tierpark Hellabrunnsorgt 2014 für ein positives Ergebnis.Die Eisbär-Babies führten zu einem enormen Besucheranstieg von 1,7 auf 2,12 Millionen.Damit überstiegen die Einnahmen die Ausgaben.Trotzdem wird jede Eintrittskarte mit 93 Cent subventioniert.

Bis 2015 München-Obergiesing - München-Au * Die "Giesinger Brauerei" will ein fester Bestandteil der "Auer Dult" werden und gleichzeitig ihren Marktanteil in München auf ein halbes Prozent ausbauen.

Das hört sich im ersten Moment nach wenig an, ist aber in einer Stadt wie München ein beachtlicher Beitrag.

2015

Seite 804/814 München-Untergiesing * Die Arbeiten für den Lärmschutz entlang der "Braunauer Eisenbahnbrücke" sollen beginnen.

Die durch die Bauarbeiten verursachte Streckensperre muss zuvor erst auf internationaler Ebene abgesprochen werden.

2015 München * Die Zahl der "Falschparker", die die Weiterfahrt der Straßenbahn verhindern, hat sich auf 160 [2014: 197] reduziert.

Die "Münchner Verkehrsgesellschaft - MVG" führt den Rückgang auf das warme Wetter zurück. "Bei Schneefall wären es erfahrungsgemäß noch einige mehr gewesen".

Durch den sich schnell bildenden "Trambahn-Stau" sind oft Hunderte Fahrgäste betroffen. Das Abschleppen der Fahrzeuge wird beschleunigt.

30. Januar 2015 München * Der Sänger Heino ("Schwarzbraun ist die Haselnuss") erhält für "die humorvollste beziehungsweise hintergründigste Bemerkung im Sinne von Karl Valentin, für eine Rede oder Handlung, für ein Zitat, welches in der Öffentlichkeit publik wurde", den "Karl-Valentin-Orden 2015" der "Münchner Gesellschaft Narrhalla" überreicht.

Peinlich!

14. Februar 2015 München-Untergiesing * Mit einem Fest "auf dem Bierkeller" feiertder "Giesinger Bräu" seinen Abschied von seinem Stammsitz in der Untergiesinger Birkenau.

Im Jahr 2006 mietete "Geschäftsführer" Steffen Marx dort eine Doppelgarage und richtete eine Brauerei samt Bierkeller ein.

Die alten Anlagen sind abgebaut und verkauft. Im Herbst übernimmt ein Handwerksbetrieb das Untergiesinger Gelände.

Seit November 2014 wird das Bier des "Giesinger Bräu" im ehemaligen Umspannwerk in der Martin-Luther-Straße gebraut und verkauft.

21. April 2015 München-Graggenau - München-Theresienwiese * Der "Stadtrats-Ausschuss für Arbeit und Wirtschaft" diskutiert in einer nichtöffentlichen Sitzung über die Bewerbungen für das diesjährige "Oktoberfest".

Insgesamt liegen dem "Wirtschaftsausschuss" 1.214 Bewerbungen vor, 2014 waren es noch 1.310 gewesen. 568 Bewerber werden zugelassen [2014: 569]. Die Bandbreite reicht vom großen Bierzelt bis zum Zuckerwattestand, von der Achterbahn bis zum Flohzirkus.

Seite 805/814 Das "Schützen-Festzelt" soll künftig 7.000 statt bisher 5.500 Plätze bekommen. Gleichzeitig wird die "Festhalle" schmäler.

Die "Hühnerbraterei Poschner" und sein Inhaber Berni Luft kommt nicht mehr zum Zug. Dafür erhält Josef Able, der ältere Bruder des "Marstall"-Wiesnwirts Siegfried Able, einen Standplatz. Über das Konzept ist noch nichts bekannt.

30. April 2015 München-Maxvorstadt * Das "NS-Dokumentationszentrum" an der Brienner Straße wird als "Lern- und Erinnerungsort" eröffnet.

An diesem Tag jährt sich die "Befreiung Münchens" vom NS-Terror durch die US-Streitkräfte zum 70. Mal.

15. Juni 2015 München - München-Theresienwiese * Die Brauereien und Wiesnwirte erhöhen die Bierpreise für das Oktoberfest 2015um durchschnittlich 3,17 Prozent. Die Mass Wiesnbierkostet jetzt zwischen 10.- und 10,40 ?uro. Begründet wird die Preiserhöhung - wie jedes Jahr - mit höheren Brauereikosten, gesetzliche Vorgaben und erhöhtem Personaleinsatz.

Den Vogel schießt freilich der Sprecher der WiesnwirteToni Roiderer mit der Bemerkung ab: "Eigentlich müssten Sie fragen, wie wir es schaffen, so günstig zu bleiben".

Die Preise werden von den Betreibern der Wiesn-Festzelteund Unternehmungen festgelegt. Die Stadt München überprüft lediglich, ob die Preise angemessen sind. Zum Vergleich: Der Bierpreis für die Mass liegt in Münchens Großbetrieben - je nach Lage - zwischen 7,20 und 9,90 ?uro.

15. September 2015 Langwied* Die Paulaner-Brauereinimmt ihre Abfüllanlage in Langwied in Betrieb. Noch wird Bier in die Flaschen gefüllt, das am Nockherberg hergestellt wurde.Es ist ein Weißbier. Die alte Brauerei am Nockherberg wird im März 2016 stillgelegt.

18. September 2015 München-Berg am Laim * Die Kongregation der Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paulfeiert das 175-jähriges Bestehen ihres Konvents. Im Jahr 1840 hatten sie den Südflügel der Josephsburgin Berg am Laim erworben. Er bildet den Ursprung des heutigen Alten- und Pflegeheims St. Michael, in dem auch viele Nonnen ihren Lebensabend verbringen.

4. Oktober 2015 München-Theresienwiese * Das Oktoberfest 2015endet. Das Fazit lautet:

In 16 Tagen besuchten 5,9 (6,3) Millionen Besucher die Wiesn, davon kamen 535.000 (570.000) Gäste auf die Oide Wiesn.Der Konsum und damit die Umsätze waren zum Teil rückläufig. (Zahlen in Klammer = 2014.) 7,3 (7,7) Millionen Mass Wiesnbier wurden getrunken.

Seite 806/814 114 (112) Ochsen wurden in der Ochsenbratereiverzehrt. Insgesamt wurden 1.191 (1.290) Straftatenbei der Polizei angezeigt. 372 (398) Körperverletzungenwurden von der Polizei registriert. Die Polizeistatistik weist 47 (36) Masskrugschlägereienaus. 3.312 (3.617) Hilfeleistungen mussten die Sanitäter und Ärzte leisten. 628 (681) Wiesn-Besucher mussten wegen Alkoholvergiftungenmedizinisch überwacht werden. 121 (150) Mal musste der U-Bahnhof Theresienwiesegesperrt werden. 110.000 (112.000) gestohleneMasskrüge werden den Besuchern wieder abgenommen. 2.948 (3.646) Fundstücke wurden im Wiesn-Fundbüroabgegeben. Wasserverbrauch: 120.000 (115.000) Kubikmeter Gasverbrauch: 220.000 (220.000) Kubikmeter Stromverbrauch: 2,89 (2,98) Millionen Kilowattstunden

6. Oktober 2015 München-Isarvorstadt * Auf der Museumsinselwird eine 250-Kilo-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Es handelt sich um einen sogenannten Zerscheller, also den Überrest einer nicht detonierten, aber in der Luft oder beim Aufschlag zerbrochenen amerikanischen Bombe.

Es ist der erste Bombenfund auf der im Krieg schwer getroffenen Museumsinsel.

8. Dezember 2015 München-Berg am Laim * Die Standort-Entscheidung für einen neuen Konzertsaalist zugunsten des Werksviertelsgefallen. Die Bayerische Staatsregierungbeendet damit eine fünfzehn Jahre andauernde Diskussion. Eröffnet werden kann der Konzertsaalvoraussichtlich im Jahr 2021 - wenn alles reibungslos läuft! Die Baukosten sollen zwischen 200 und 300 Millionen Euro liegen.

Die Erbpachtfür das gut 8.000 Quadratmeter große Areal, auf dem 15.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche entstehen werden, soll jährlich bei 600.000 Euro betragen. Über 50 Jahre gerechnet, bedeutet das 30 Millionen Euro für den Besitzer des Geländes, den Pfanni-Erben Werner Eckart. Der Bauherr wird der Freistaat Bayernsein. Bezahlt wird das Projekt hauptsächlich vom Steuerzahler.

Die Alternativstandorte Paketposthalleund Finanzgartensind damit ausgeschieden. Bei dem einen Objekt wären die Kosten zu hoch geworden, beim anderen befürchtet man eine Klagewelle. Damit hätte sich der Fertigstellungstermin jeweils weit nach hinten geschoben und das Projekt unkalkulierbar gemacht.

16. Dezember 2015 München-Graggenau * Der bayerische Finanz- und HeimatministerMarkus Söder eröffnet im Vierschäftesaalder Münchner Residenzeine zeitlich befristete Ausstellung von Bronzeskulpturen aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert.Es handelt sich dabei um Bronze-Skulpturen, die durch Kopien ersetzt und danach aufwändig restauriert worden sind.

Die Ausstellung ist bis zum 14. Februar 2016 für die Öffentlichkeit zu besichtigen. Danach können die Werke im

Seite 807/814 Bronzesaalnur noch geladene Gäste und Teilnehmer gelegentlich stattfindender öffentlicher Führungen erleben.

10. Januar 2016 Großbritannien * Der Sänger David Bowie stirbt an Leberkrebs. Zwei Tage zuvor, an seinem 69. Geburtstag, war sein Album "Blackstar"veröffentlicht worden.

10. Januar 2016 München-Berg am Laim * In der Kultfabrikund im Optimol-Geländegehen endgültig die Lichter aus. Damit schließt Europas größte Party-Zone.

25. Januar 2016 München-Au * Für die neue Hauptverwaltung der Paulaner-Brauereiin der Ohlmüllerstraße 42 kann seinRichtfestfeiern. Der kaufmännische Geschäftsführer Stefan Schmale betont dabei: "Paulaner ist in der Au geboren, Paulaner gehört hierher."

Bis zum 15. November 2016 soll das Gebäude schlüsselfertig übergeben werden.Danach können die rund 300 Beschäftigten der Paulaner-Hauptverwaltungihre Büros beziehen.

15. Februar 2016 München-Graggenau * Die zeitlich befristete Ausstellung von Bronzeskulpturen aus dem späten 16. und frühen 17. Jahrhundert im Vierschäftesaalder Münchner Residenzwird wieder geschlossen. Nun können die Werke im Bronzesaalnur noch geladene Gäste und Teilnehmer gelegentlich stattfindender öffentlicher Führungen erlebt werden.

11. März 2016 Santa Monica * Der britische Keyborder Keith Emerson, Mitbegründer der Bands Niceund Emerson, Lake and Palmer, ist in Santa Monica in Kalifornien gestorben. Die Polizei geht von Selbstmord des 71-jährigen durch Erschießen aus.

Um Januar 2017 München - München-Berg am Laim * Von 206 Büros, die sich für das Projekt "Konzerthaus im Werksviertel" beworben haben, wählt die "Baubehörde" 35 Teilnehmer aus.

Stephan Braunfels befindet sich nicht unter den Auserwählten, obwohl er dank seiner "Bundestagsbauten" in Berlin und der Münchner "Pinakothek der Moderne" einer der bekanntesten deutschen Architekten ist.

Laut der "Baubehörde" kommt er bei der Jury auf eine zu schlechte Beurteilung seiner Bewerbung. Das will der 67-jährige Architekt nicht akzeptieren, weshalb er den Klageweg beschreitet.

8. Februar 2017 München * Die "Münchner Metzgerinnung" veranstaltet ihre jährliche "Weißwurst-Prüfung".

Seite 808/814 Je zwei "Innungs-Obermeister", "Veterinäre", "Verbraucher" und "Wirte" nehmen an der "Verkostung" der Produkte von 29 "Metzgereien" teil. Danach regnet es wieder "Goldmedaillen".

12. Februar 2017 München-Obergiesing * Aus Anlass des 500. Jahrestages der Reformationbringt die Giesinger Brauereieinen dunklen Doppelbockauf den Markt - den "Innovator" - und veranstaltet an diesem Tag ein Starkbierfest. Das Etikett der Bierflasche ziert ein Bild der evangelischen Martin-Luther-Kirche."Schismator" wäre ganz sicher die treffendere Bezeichnung für das Starkbier gewesen.

14. Februar 2017 München - München-Berg am Laim * Die "Staatsregierung" akzeptiert die juristische Schlappe, die das "Staatliche Bauamt" im Rechtsstreit um den "Architekturwettbewerb" um den neuen "Konzerthausbau auf dem Werksviertel" hat einstecken müssen.

Zuvor hatte die "Vergabekammer der Regierung von Oberbayern" der Klage des Architekten Stephan Braunfels im Wesentlichen Recht gegeben. Nun muss das "Staatliche Bauamt" die Bewerbung des Berliner Architekten Stephan Braunfels neu bewerten.

Das erneut aufgegriffene Verfahren wird die Entscheidung über die Architektur des neuen Konzerthauses im Werksviertel um mehrere Monate verzögern.

21. Februar 2017 München * Die Fraktion Die Linke des Münchner Stadtrats bringt einen Antrag zur Umbenennung des Marienhofs in Kurt-Eisner-Platz ein. Darin heißt es:"Der bislang namenlose Platz nördlich des Rathauses wird anlässlich des hundertsten Jahrestages der Proklamation der "freien Volksrepublik Bayern" durch den ersten Bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner zum "Kurt-Eisner-Platz" gewidmet.

Die Landeshauptstadt setzt sich beim Betreiber der S-Bahn München dafür ein, dass auch die geplante Haltestelle für den zweiten S-Bahn-Tieftunnel nach Kurt Eisner benannt wird."

25. April 2017 München * Scheinbar hat nun auch die Bayerische Staatsregierung ihren Frieden mit Kurt Eisner gemacht.In einem Schreiben des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst heißt es:

"Die Rolle Kurt Eisners bei

der Beendigung des Ersten Weltkrieges, beim Ende der Monarchie und der Einführung einer demokratischen Verfasstheit in Bayern, beim Bemühen, den künftigen deutschen republikanischen Bundesstaat föderal auszugestalten und bei der Bereitschaft, auch die (Mit)Verantwortlichkeit des Deutschen Reiches beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges als Grundlage für eine neue Friedens•ordnung in Europa anzuerkennen,

Seite 809/814 werden von der Bayerischen Staatsregierung außerordentlich positiv bewertet.

Hinzu kommt die Tatsache,

dass Eisner als Intellektueller (vor allem orientiert an Immanuel Kant), mit seinem jüdischen (familiären) Hintergrund und als Pazifist (zumal als Zeitgenosse der Blutbäder des Ersten Weltkrieges) wie durch seine Ermordung als amtierender Bayerischer Ministerpräsident am 21. Februar 1919 zu einer Symbolgestalt für aufgeklärt-demokratische Kräfte gegenüber den chauvinistisch-antisemitischen wurde, in deren späterer Konsequenz auch die Barbarei des NS-Regimes in Bayern und Deutschland steht".

Das Ministerium stellt darin in Aussicht, Kurt Eisner bei den zentralen bayerischen Jubiläumsfeierlichkeiten des Jahres 2018 ("100 Jahre Freistaat Bayern") entsprechend zu würdigen.

Vielleicht bekommt er dann auch ein Bild in der Bayerischen Staatskanzlei.

3. Mai 2017 München - München-Berg am Laim * Die "Vergabekammer Südbayern" hat den erneuten "Nachprüfungsantrag" des Architekten Stephan Braunfels zurückgewiesen.

Die Schiedsstelle schließt sich damit der Begründung des "Staatlichen Bauamtes" an, da sich "diese im Rahmen des Beurteilungsspielraums des Aufraggebers" hält.

18. Mai 2017 München - München-Berg am Laim * Der Berliner Architekt Stephan Braunfels gibt nicht auf und will mit einer Klage beim Oberlandesgerichtdurchsetzen, doch noch am Wettbewerb um den neuen Konzertsaaldes Freistaates Bayern im Werksviertelteilnehmen zu dürfen.

18. Mai 2017 München-Graggenau - München-Berg am Laim * Die Entscheidung über den Architekten-Wettbewerbfür den neuen Konzertsaalim Werksviertelist für diesen Termin vorgesehen. Aufgrund des juristischen Verfahrens, das der Architekt StephanBraunfels eingeleitet hat, wird die Entscheidung erst Ende Oktober - Anfang November2017fallen.

14. Juli 2017 Tierpark Hellabrunn * Mit dem ersten Spatenstich beginnen die Arbeiten für das im künftigen Parkteil Europa des Tierparks Hellabrunn gelegene Mühlendorf.

10. August 2017 München - München-Berg am Laim * Der "Vergabesenat des Oberlandesgerichts" weist die Beschwerde des Berliner Architekten Stephan Braunfels gegen die "Auswahl der Teilnehmer am Architekten-Wettbewerb" zurück.

Seite 810/814 Jetzt soll alles ganz schnell gehen:

Ende Oktober, Anfang November soll eine Jury den "Siegerentwurf" für das neue Münchner "Konzerthaus" küren, im Frühsommer 2018 sollen die Bauarbeiten auf dem "Werksviertel" beginnen.

7. September 2017 München-Haidhausen * Margot (68) und Günter Steinberg (78) geben bei der Präsentation ihres traditionellen Wiesn-Krugesüberraschend bekannt, dass sie sich aus dem operativen Bereichim Hofbräuhaus-Festzelt zurückziehen werden. Die Leitung der HB-Festhalleübernehmen deren Kinder Ricky Steinberg (47) und Silja Schrank-Steinberg (45), die schon seit vielen Jahren auf der Wiesn und im Hofbräukellermitarbeiten.

2. Oktober 2017 Santa Monica * Der US-amerikanische Rock-Musiker Tom Petty stirbt in Santa Monica in Kalifornien an Herzversagen.

3. Oktober 2017 München-Theresienwiese * Das Oktoberfest 2017endet. Das Fazit lautet:

In 18 Tagen besuchten angeblich 6,2 Millionen Besucher [2016: 5,6 in 17 Tagen, 2015: 5,9 in 16 Tagen, 2014: 6,3 in 16 Tagen] die Wiesn. 2017 gab es keine Landwirtschaftsausstellung, dafür eine Oide Wiesn. Im Jahr 2017 besuchten 480.000 Gäste [2015: 535.000] die Oide Wiesn.

Der Konsum - und damit derUmsatz - hatsich erholt. [Zahlen in Klammer = 2016 - 2015 - 2014.]

7,5 Millionen Mass Wiesnbier [6,1 - 7,3 - 7,7] wurden getrunken. 127 Ochsen [109 - 114 - 112] wurden in der Ochsenbratereiverzehrt. Insgesamt wurden 1.162 Straftaten[1.067 - 1.191 - 1.290] bei der Polizei angezeigt. 314 Körperverletzungen[331 - 372 - 398] wurden von der Polizei registriert. Die Polizeistatistik weist 49 Masskrugschlägereien[42 - 47 - 36] aus. 3.449 Hilfeleistungen [3.897 - 3.312 - 3.617] mussten die Sanitäter und Ärzte leisten. 670 Wiesn-Besucher [593 - 628 - 681] mussten wegen Alkoholvergiftungenmedizinisch überwacht werden. ?? [35 - 121 - 150] Mal musste der U-Bahnhof Theresienwiesegesperrt werden. 120.000 gestohleneMasskrüge [96.000 - 110.000 - 112.000] wurden den Besuchern wieder abgenommen. 4.055 Fundstücke [2.915 - 2.948 - 3.646] wurden im Wiesn-Fundbüroabgegeben.

19. November 2017

Seite 811/814 München-Maxvorstadt * Zum sechsten Mal veranstaltet die "SAUBANDE", der Valentin-Karlstadt-Förderverein, eine Benefiz-Matinéeim Münchner Volkstheater.

Es treten auf: Ilse Neubauer, Maria Peschek und Helmut Dauner, Mrs. Zwirbel, Hans Well und die Wellpappn, Bele Turba und Nadia Tamborrini, das "Fünferl" mit Johanna Bittenbinder, Heinz Josef Braun, Sebi Tramontana und Andreas Koll, Veronika Bittenbinder mit Band, Stefan Noelle, Stephan Zinner, Arthur Senkrecht mit Bastian Pusch am Piano und Holger Paetz sowie die eine oder andere Überraschung.

Die namhaften Künstlerinnen und Künstler geben ihr Bestes, garniert mit valentinschen Spitzen.

23. November 2017 Karlsruhe - München-Isarvorstadt * Die Bundesstaatsanwaltschaftin Karlsruhe stellt die Ermittlungen zum Brandanschlag auf das damalige Zentrum der Israelitischen Kultusgemeinde Münchensan der Reichenbachstraße 27 ein.

Dort waren bei einem Brandanschlag auf das jüdische Altersheimam 13. Februar 1970 zwei Frauen und fünf Männer, darunter zwei Holocaust-Überlebendezu Tode gekommen.

26. Januar 2018 Tierpark Hellabrunn * Das Richtfest für das im künftigen Parkteil Europa des Tierparks Hellabrunn entstehende Mühlendorf findet statt.

6. Februar 2018 München * München ist wieder einmal mit weitem Abstand Deutschlands Stauhauptstadt.51 Stunden im Jahr verbringt der Münchner im Stau. Im internationalen Vergleich steht München auf Platz 76 von 1.360.

1. Juni 2018 Freistaat Bayern * In jedem Dienstgebäude des Freistaats Bayern muss ein Kreuz angebracht werden. Das löst Proteste und deutschlandweit eine kontroverse Diskussion aus. Selbst Vertreter der christlichen Kirchen widersprechen dem Beschluss. Auch deshalb, weil Ministerpräsident Markus Söder erklärt: "Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion."Im Kreuz spiegle sich vielmehr "unsere bayerische Identität und Lebensart".

7. Oktober 2018 München-Theresienwiese * Das Oktoberfest 2018endet. Das Fazit lautet:

In 16 Tagen besuchten 6,3 Millionen Besucher [2017: 6,2 Millionen in 18 Tagen; 2016: 5,6 in 17 Tagen; 2015: 5,9 in 16 Tagen; 2014: 6,3 in 16 Tagen] die Wiesn. 2018 gab es keine Landwirtschaftsausstellung, dafür eine Oide Wiesn. Im Jahr 2018 besuchten 500.000 Gäste [2016: 480.000; 2015: 535.000] die Oide Wiesn. Der Konsum - und damit der Umsatz - hat sich erholt. [Zahlen in Klammer = 2017 - 2016 - 2015 - 2014.] 7,5 Millionen Mass Wiesnbier [7,6 - 6,1 - 7,3 - 7,7] wurden getrunken. 124 Ochsen [127 - 109 - 114 - 112] wurden in der Ochsenbraterei verzehrt und

Seite 812/814 48 Kälber [59 - xx - 50 - xx] in der Kalbsbraterei. Insgesamt wurden 924 Straftaten [1.162 - 1.067 - 1.191 - 1.290] bei der Polizei angezeigt. 62 Sexualdelikte [42] auf dem Festgelände, davon vier Vergewaltigungen. xxx Körperverletzungen [314 - 331 - 372 - 398] wurden von der Polizei registriert. Bei einer Schlägerei am 28. September war ein Todesfall zu verzeichnen. Die Polizeistatistik weist 27 Masskrugschlägereien [36 - 42 - 47 - 36] aus. 3.333 Hilfeleistungen [3.449 - 3.897 - 3.312 - 3.617] mussten die Sanitäter und Ärzte leisten. 717 Wiesn-Besucher [670 - 593 - 628 - 681] mussten wegen Alkoholvergiftungen medizinisch überwacht werden. ?? [?? - 35 - 121 - 150] Mal musste der U-Bahnhof Theresienwiese gesperrt werden. xx.xxx gestohlene Masskrüge [120.000 - 96.000 - 110.000 - 112.000] wurden den Besuchern wieder abgenommen. 2.685 Fundstücke [4.055 - 2.915 - 2.948 - 3.646] wurden im Wiesn-Fundbüro abgegeben.

7. November 2018 München * Ministerpräsident Markus Söder spricht auf einem Staatsakt zum 100. Geburtstag des Freistaats Bayern, ohne dessen Gründer Kurt Eisner und die Ermordung des Sozialisten durch einen Rechtsradikalen mit einem Wort zu erwähnen.

Ein Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung bezeichnet Söders Rede "dem Anlass in keiner Weise angemessen", da er seine Rede in scherzhaft-launigem Stil vortrug, passend eher zum "Jubiläum eines Trachtenvereins".

9. November 2018 München-Haidhausen * An der Fassade des Unionsbräu an der Einsteinstraße 42 und im Innenhof werden zwei Gedenktafeln an die jüdische Brauerfamilie Schülein enthüllt. Die Tafeln hat der Münchner Bildhauer Toni Preis gestaltet. Die Festreden halten u.a. der Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers und die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Dr. Charlotte Knobloch.

Der Text auf den Erinnerungstafeln lautet:"1885 erwirbt Josef Schülein das Anwesen Einsteinstraße (damals Äußere Wiener Straße) 38 - 44 und gründete die Unionsbrauerei Schülein & Co.. Am 5. Januar 1921 fusioniert die Brauerei mit der Löwenbräu AG. Dr. Hermann Schülein, der Sohn der Firmengründers, wird Vorstandsvorsitzender. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 werden die Schüleins auf Grund ihrer jüdischen Herkunft aus all ihren Funktionen gedrängt.

Dr. Hermann Schülein verlässt im Frühjahr 1936 Deutschland und emigriert mit seiner Familie in die USA. Joseph Schülein stirbt am 9. September 1938 auf Gut Kaltenberg. 1943/44 wird fast das gesamte Areal der Unionsbrauerei durch Bomben zerstört.

Auch in den USA als Brauereiunternehmer erfolgreich, unterstützt Dr. Hermann Schülein den Wiederaufbau Münchens. Er stirbt am 14. Dezember 1970.

Zu Beginn der 1990er Jahre werden die noch erhaltenen Kellerräume der Unionsbrauerei saniert. 1998 eröffnet dort ein Kulturzentrum mit Räumen für Theater, Film und Musik."

Seite 813/814 31. Dezember 2018 München * Der Ausstoß der Augustiner-Brauerei liegt im Jahr 2018 bei 1,63 Millionen Hektolitern. Das entspricht einem Plus von 2 Prozent gegenüber dem Vorjahr und lässt Augustiner auf Platz 11 unter den größten deutschen Brauereien landen.

14. Mai 2019 München-Isarvorstadt * Die Schiffsschraube vor dem Kongresssaal des Deutschen Museums wird demontiert und auf das Außengelände der Flugwerft Schleißheim gebracht.

Die Schiffsschraube entstand im Jahr 1905, war aber nie in Gebrauch. Sie ist elf Meter lang und hat einen Durchmesser von 6,85 Meter. Es ist der Propeller eines Schnelldampfers, die von der Friedrich Krupp AG Essen gegossen worden war. Jeder der drei Flügel wiegt 4.400 Kilogramm. Insgesamt, samt den Lagerblöcken, wiegt das Monstrum 52.040 Kilo.

Die Verlegung der Schiffsschraube ist wegen der Sanierung der Ludwigsbrücke notwendig. Sie kommt frühestens in sechs Jahren (2025) zurück.

23. Juni 2019 München * Mehrere Männer eines Sicherheitsdienstes haben barbusige Frauen am Isarufer zwischen Wittelsbacherbrücke und Reichenbachbrücke angesprochen und sie an das Nacktbadeverbot erinnert, das mit einigen Ausnahmen überall in der Landeshauptstadt gilt, obwohl der Wachdienst angewiesen worden war, das textilfreie Baden an der Isar auch außerhalb der FKK-Zonen nicht von sich aus zu verfolgen.

Die Badeverordnung verlangt etwas unpräzise: "Wer öffentlich badet, muss im Stadtgebiet der Landeshauptstadt München Badekleidung tragen". Der Stadtrat muss sich nun in seiner Sitzung am 26. Juni damit beschäftigen, wie viel Nacktheit München verträgt und was unter "nackt" überhaupt zu verstehen sei.

2. Juli 2019 München * Der Stadtrat beschäftigt sich mit der Detailplanung für das neue König-Ludwig-Zwo-Denkmal auf dem Isarbalkon der Corneliusbrücke. Damit geht ein Herzens-Projekt des Deutsche-Eiche-Wirts Dietmar Holzapfel endlich in Erfüllung.

6. Mai 2021 München-Maxvorstadt * In Erinnerung an die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 hat der Künstler Arnold Dreyblatt auf dem Königsplatz ein Mahnmal errichtet. Es trägt den Titel "The Blacklist / Die Schwarze Liste".

Das am historischen Ort in den Boden eingelassene Mahnmal zeigt Werke von 310 Autor*innen, die im NS-Regime geächtet wurden. Dreyblatt wählte jeweils die letzte Veröffentlichung der Autor*innen bis einschließlich 1933.

22. Juni 2021 München ? Der Sieben-Tage-Inzidenzwert sinkt in München auf 9,8. Im Vergleich: BRD: 7,2; Bayern: 9,92.

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