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Urkunden, Vorgeschichte, Vechte 1

Die ersten Urkunden von 1209-1664

Gerrit Jan Beuker

1209 Scheerhorn Von allen Orten der Gemeinde ist als erster der Name Scheerhorn schriftlich festgehalten. Er findet sich in einer Urkunde aus dem Jahre 1209, in der Graf Baldwin von Bentheim dem Kloster Wietmarschen „die Be- sitzungen … in Scherehorne“ überträgt. In der Rückschrift der Urkunde wird deutlich, dass es hier um „Hertgherinc to Scheerhoern“ geht, heute Hatger. Das Kloster hat dieses Erbe von dem gräflichen Ministerialen (eine Art un- freier gräflicher Verwaltungsbeamter, später niederer Adel, gjb) Rudolf von Ringe gekauft. Das Kloster heißt zu der Zeit „Sancte Marien- Ortsteil Arkel finden Foto der Urkunde rothe“. Der Graf, der keinen Erben hat, über- sich dazu Erläuterungen von 1209 gibt den Besitz in Scheerhorn für immer dem von Ludwig Edel aus Kloster. Harm Kuiper war es, der 2005 über dem Jahr 1954. das Heft Wilhelm Kohl „Regesten aus dem Ar- Danach folgen chiv des Klosters und Stiftes Wietmarschen“ in diesem Kapitel ( 1973, S. 8) auf diese Urkunde auf- in zeitlicher merksam machte. (Signatur I Nr. 29, Druck: Reihenfolge die Inv.Nichtstaaatl.Arch S. 254, Nr. 12) R: Ersterwähnung der anderen Hertgherinc to Scheerhoern. – Nr. 6 – L. 2. Ortsteile in verschiedenen Heute trägt diese Urkunde die Nummer 11 und Urkunden und Unterlagen, liegt im Bestand I (Wietmarschen) des Fürst- soweit sie uns bekannt lich Bentheimischen Archivs. geworden sind, sowie Dr. Heinrich Voort erinnerte uns an die Ur- Beiträge von Albert Rötterink über die Vech- kunden, die Albert Rötterink 1970 in der teschifffahrt, von Eckhard Woide über ar- „Chronik der Gemeinde “ veröf- chäologische Funde und von Dr. Heinrich fentlicht hat. Sie handeln über den Verkauf Voort über Grundherrschaft und Hörigkeit. und Rückkauf der Herrlichkeit Emlichheim an Gottfried von Borckelo beziehungsweise die Herren von Gramsbergen in 1324 bezie- hungsweise 1440. Diese Urkunden sind in alter und heutiger Sprache größtenteils auf- genommen. Hoogstede ist hier 1324 erstmals erwähnt als „Honsteden“. Im Beitrag über den

24 DIE ERSTEN URKUNDEN VON 1209-1664

Urkunde 1209. Übersetzter und lateinischer Text In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Quoniam hominum memoria fragilis est et Heiligen Geistes. Weil die Erinnerung der rerum turbini non sufficit, Menschen zerbrechlich ist und dem Wirbel der quoniam etiam generatio preterit et ge- Geschehnisse nicht gewachsen ist, weil eine neratio supervenit, Generation vergeht und eine andere hinzutritt, ea, que aput homines variis ex causis (und weil) diejenigen Dinge, die bei den contrahendo geruntur, nonnumque veni- Menschen aus verschiedenen Gründen durch unt in oblivionem et per maliciam eorum, einen Vertragsabschluss geregelt werden müs- qui libenter alios circumvenire volunt, de- sen, manchmal in Vergessenheit geraten oder ducuntur in questionem, durch die Bosheit derer, die andere gerne täu- contra quem morbum litterarum pro- schen wollen, in Frage gestellt werden, (und vide statutum est remedium, ut per litte- weil) gegen diese Krankheit vorsorglich das ras memoria repetatur et malignantium Heilmittel der Urkunden geschaffen worden cavillationibus occurratur, ist damit durch Urkunden die Erinnerung wie- Presentis igitur et subsequentis etatis der lebendig wird und den törichten Reden der hominibus attestatione huius pagine le- Böswilligen begegnet wird; gentibus vel audientibus ego Baldwinus (deshalb) möchte ich, Baldwinus Graf von comes de Benethem notum esse desidero, Bentheim, dass den Menschen von heute und quod Rudulfus de Ringe ministerialis den Menschen der kommenden Zeit, die diese meus bona, que a me habuit in Schere- Urkunde lesen oder hören werden, bekannt ist, horne cum omnibus sibi attinentibus in dass Rudulfus von Ringe, mein Diener, manus meas omnino resignavit acceptis (ministerialis = unfreier Diener) die Besitzun- XXXVI marcis a cenobio sororum, quod gen, die er von mir in Scherehorne gehabt hat, dicitur Sanctemarienrothe, priore eiusdem mit allem Zubehör (oder: was ihm zusteht). cenobii Widekino mediante, ganz und gar in meine Hände zurückgegeben et ego eadem bona, cum mea essent hat, nachdem er 36 Mark von dem Schwes- propria et nullum haberem heredem, cuius ternkloster, das Sanctemarienrothe genannt consensum ad hoc requirere deberem, wird, empfangen hat unter Vermittlung des prefato cenobio in perpetuum contradidi, Priors dieses Klosters Widekinus, und ich diese meamqne traditionem, Besitzungen, da sie mein Eigentum sind und ut fortius habeat firmamentum, litteris ich keinen Erben habe, dessen Einverständnis presentis cyrografi muniri et testium no- ich dazu einholen müsste, für immer dem vor- mina feci subscribi. genannten Kloster übergeben habe; und ich Testes hii sunt: Rudolfus Pinguis, Si- habe veranlasst, dass diese Übergabe, damit gerus, Godeschalcus advocatus, Fritheri- sie eine stärkere Bestätigung hat, durch die cus et frater eius Herpo, Everhardus de Urkunde mit vorliegendem Duplikat (wörtlich: Quenethorp, Nicolaus de Turri, Magnus, „durch die Urkunde des vorliegendem Cyro- Eilardus et Hunoldus frater suus, Wilhel- graphs“) bestätigt wird, und dass die Namen mus de Walle, Bernhardus Hert, Hernest der Zeugen hierunter geschrieben werden. de Wengensele et alii quam plures. Actum Diese Zeugen sind Rudolfus Pinguis, Sige- anno incarnationis MCCVllll. rus, Godeschalcus Advokat, Frithericus und sein Bruder Herpo, Everhardus von Quenet- Das Dokument aus: Inventare der nichtstaatlichen horp, Nicolaus de Turri, Magnus, Eilardus und Archive des Kreises Steinfurt von L. Schmitz-Kallenberg (Inv. der nichtstaatlichen Archive Westfalens Reg. Bez. Hunoldus, sein Bruder, Wilhelmus de Walle, Münster) Münster 1907, (Band 1, Heft IV) Bernhardus Hert, Hernest de Wengensele und Übersetzung und Abschrift: Pastor Diddo Wiarda, , im Januar 2007 mehrere andere (Zeugen). Verhandelt im Jahre 1209 der Fleischwerdung (Christi).

25 1 URKUNDEN, VORGESCHICHTE, VECHTE

1324 Honsteden, Arkel und Tinholt Im Jahre 1324 (4), am 6. März, verkaufte Graf „Wy Johann eyn Edelman Greve van Bent- Johannes II. von Bentheim das Gericht Em- hem, Vor Mechttold Grevinne unse echte lichheim sowie verschiedene Güter in dem wijf, her Boldewijn unse broder, Symon, Kirchspiele als Lehen an Gottfried von Bor - Otto, Johann, Hazeke, Tale, Lise unse Kin- ckelo. Die Verkaufsurkunde (vom 06.03.1324) der, unde alle unse rechte erfgenamen, lautet aus: Jungius, Cod. Dipl., S. 106 (zitiert doen kundig allen den die dezen ieghen- nach Rötterink 1970, 11): werdigen brief sehet ofte horet lesen, dar „Wir Johann Edelmann Graf von Bentheim, wy eindrechtlike unde mit einen menen für Gräfin Mechttold, unsere Ehefrau, Herrn willen hebben verkoft unde upgelaten voer Boldewijn, unseren Bruder, Symon, Otto, Jo- unsen borggraven to Benthem hann, Hazeke, Tale, Liese, unsere Kinder, und unsen hof to Arkelo, dat hues to alle unsere gesetzlichen Erben, verkünden Wernerinck to Honsteden, dat hues to alle, die diesen ?eigenwertigen? Brief sehen Anebrocke, dat hues to Herverding oder verlesen bekommen, dass wir einträch- mit aller Slachter nutt, also deye gued tig und mit einer Meinung wollen verkauft gelegen sind, alse mit torve mit twige mit haben und aufgelassen für unseren Burggra- vischerye, mit schwanen vlote, alse van fen zu Bentheim Börgerhorde voort up, also dat gerichte unseren Hof zu Arkel, das Haus Wernerinck van Emlichem geht, unde deze vorgenöm- (Warmer) zu Honsteden (Hoogstede), das den goede gewaeret syn, in dem Oster- haus (H)anebrocke, das Haus zu Herverding wolde und in dem Tinholte mit allen ?rechten?, die auf dem Gut gele- Tinholte, also alse sie gewaerd hebbet ge- gen sind, also mit Torf und Zweigen, mit Fi- wesen van oldes, vortmeer dat Kreppes scherei, Schwanenhaltung wie sie von .??.., Kote unde Rutkote met all eren rechte, das Gericht Emlichheim geht, und diese vor- also alse sie van oldes hebbet gewesen, genannten Güter gewährt sind, in dem Oster- unse unde unser older vorderen, all dit walde und in dem Tinholte vorgesegede goed mit torve mit twige mit Tinholte, wie sie von alters her gewährt worden wateren, mit weyde unde mit aller sind, weiterhin dass Kroppes Kotten (Krop- Schlachter nutt, also als idt gelegen is, schott) und Rutkote (Völker Arkel) mit all unde alle unse theinden tho Scherhorne, ihren Rechten, groff unde finall, so wie sie von alters her gewesen sind für also alse sie uns unde unsern Altvor- uns und unsere Altvorderen; all dieses vorge- deren thobehorden, unde dit vorgesegede nannte Gut mit Torf und Zweig, mit Wasser, goede verkofft hebbet GODEVREDE van Weide und mit allen Schlachtrechten, so wie BORCKELO, Liesen siner echten frawen, dies gelegen ist, und alle unsere Zehnten zu unde eren rechten erffgenamen mit torve, Scheerhorn, grob und schmal, mit twige mit watere mit weyde mit lui- so wie sie unseren Altvorderen gehörten, den unde mit aller Schlachter nutt, also und dieses genannte Gut verkauft haben (an) alse hiere vorgeschreven is, Godevrede von Borckelo, Liesen, seiner Ehe- vor eyn recht vry eigen guedt ewelike frau und ihren gesetzlichen Erben mit Torf, unde erfflike to besittene, dat gelegen is in mit Zweig, mit Wasser, mit Weide, mit Men- den Kerspel the Emlichem, schen und allen Schlachtrechten, wie hier vortmer alle unse enckelde luide de wy oben beschrieben, nu hebbet to Emlichem die dar uth dem für ein recht frei eigen Gut ewiglich und Kerspel geboren sindt, sie sindt wer sie erblich zu besitzen, das gelegen ist im Kirch- sindt, uthgesproken Peter Vierinn, undt spiel Emlichheim, Wennecke ten Borchuys. vortmer wy vor- dazu alle unsere einzelnen Leute, die wir genoemden bekennet dat wy verkofft heb- jetzt zu Emlichheim haben, die dort aus dem

26 DIE ERSTEN URKUNDEN VON 1209-1664

Kirchspiel geboren sind, sie sind, wer sie sind, ausgesprochen Peter Vierinn und Wennecke bet Godevrede van Borckelo, Lysen zyner zum Borchuys frawen, unde zynen rechten erffgenamen weiterhin bekennen wir Vorgenannten, dat Gerichte van Emlichem, also alse idt dass wir verkauft haben Godevrede zu gelegen is dat sick tor Scherhorner Borckelo, Lysen, seiner Frau und seinen ge- Kampe up ein seidt des waters und up setzlichen Erben, das Gericht von Emlichheim, ander seidt sick beginnet tho Holdthemer also wie es gelegen ist, das sich zum Scheer- Slyngen, und endet to Gildener Krüggen, horner Kamp auf der einen Seite des Was- unde alle de Ruminge upen Lande, unde sers, und das auf der anderen Seite beginnt am in den Watere also veeren alse dat gerichte Holdthemer Slyngen und endet an den Gilde- geht, ner Krüggen, und allen Nutzungsrechten zu also alse unsse unde unser Oldtväderen Lande, zu Wasser, so weit das Gericht geht ...“ van olders hefft gewesen, he unde syne Erffgenamen, 1384 Hermans Hues van der Calle van unss, unde unsen Erffgenamen Ernst Kühle schreibt in „Kalle und Tinholt, Ge- het sie man oder vrawe, mer jummer schichte zweier Landgemeinden“: dat to belenne in manstadt, unde an dies- 1384 verkaufte Engelbert v. Zale dem sen Koepe Klos ter Wietmarschen Hermans Hues van der …………… In rechte Urkunde dyt is ge- Calle, von dem Dr. Edel annimmt, daß es sich schehn int Jahr unses Heren, Duisendt um den Hof Kaalmink in Ringe handelte. Das dreyhondert veer und twintich, des dinx - 1152 gegründete Benediktinerstift Wietmar- dages nah Molek Fastelavonds.“ schen hatte sich durch reiche Zuwendungen zum bedeutenden Grundherrn in der Graf- selten mit anderen Grundherren ausgetauscht. schaft entwickelt. Zu den hörigen Bauernerben Ihre Namen finden wir im Wesselbuch des Klo- des Klosters gehörte der Hof Timpe in Kalle. sters verzeichnet. „Tympe edder Callman“ zahlte dem Kloster jährlich 1½ Müdde Roggen und 2 Müdde Gers- 1440 Arkel-Scheerhorn te, dazu ein Rauchhuhn. 1404 hatte die Priorin Jungius, Codex dipl.(?), S. 127-129; Fürstliches Fye van Beesten aus dem wüsten Erbe Alber- Archiv Burgsteinfurt, B Urk. 43 zitiert nach dinck zu Lemke eine volle Warschaft in der Rötterink 1970,13): Tinholter Mark genommen und sie zu Tympen tor Calle gelegt. Die Kinder der hörigen Bau- Linke obere Ecke der Urkunde von 1440 (Rötterink 1970,13) In der fünften Zeile ab viertem Wort: ern leisteten Gesindedienst und wurden nicht Hoff to Arkulo it dat Erve to Brünninck

27 1 URKUNDEN, VORGESCHICHTE, VECHTE

„Ich, Hinrich von Gramsbergen, bekenne und bezeuge mit diesem offenen Brief für mich „Ich Hinrich von Grammesbergen Be- und meine Erben Dass ich habe verkauft und kenne enn tuge myt dessen openen breve verkaufe mit diesem Briefe rechtskräftig? zur vor my enn myne erffgenamen Dat ich festen ewigen Erbschafft und für immer? dem hebe vercofft enn vercope myt dessen breve Edelen Everwin, Grafen zu Bentheim und rechtes stedes vasten ewigen erffcopes erf- Herrn zu Steinfurt und seinen Erben, die Herr- flike enn ummermer dem Edelen Everw- lichkeit und das Gericht von Emlichheim mit yne Greven to Benthem enn Heren to dem Zins (Steuer) und meiner Schwanenhal- Steynforde unn synen erffgenamen de Her- tung und dem Nutzungsrecht auf Land und licheyt enn dat Gerichte von Empninchem Wasser und Fischerei in dem Kirchspiel von myt den Tsyse enn myn Swanenvloet enn Emlichheim vorbenannt, so wie es mein gewe- de rumynge op den lande en jnden water sen ist mit dem Datum dieses Briefes, weiterhin enn Vysscherye jnden Kerspele von Emp- den Hof zu Arkel, genauso das Erbe Brünink, ninchem vorgen: also dat myn heuet ge- genauso das Erbe Hemmeke, genauso das weset von Datum desses breffs Erbe Warmer, genauso das Erbe Hannebrook, item vort den hoff to Arkelo item dat genauso das Erbe Rötterink, genauso zwei Erbe Erve to Brünynck item dat Erve to Her- zu Oeveringen, auf dem Roelof und Hinrich, werdinck item dat Erve to Wermynck sein Sohn, jetzt zur Zeit wohnen, genauso das item dat Erve to Anebroke item dat Erve Erbe Namink und Dyderkinck in dem Dorfe to Ruetgerinck item twe Erve to Overinck Emlichheim, genauso den Hof zu Echteler, ge- dar Roleff enn Hinrich syn soene nu tor nauso den Hof zu Ekenhorst, ausgesondert ein tyd oppe wonet item dat Erve Oesman- Füllen, das ich und meine Erben davon behal- ninck enn Dyderkinck jnden Dorpe to ten, genauso einen Kotten genannt Krop- Empnincheim item den hoff to Echtler schott, genauso einen Kotten (Völcker) zu item den hoff to Eyckinchorst utgeschey- Arkel, genauso meinen Zehnten, schmal und den eyne vulle waer de ich enn myne erff- grob zu Scherhorn, genauso alle die Leute, die genamen dar von beholden item eynen zu diesen vorbenannten Höfen, Erben und koten geheyteln Krepeschote item eynen Gnaden gehören (und) jetzt zur Zeit wohnen koten to Arkelo item mynen Tenden smal im Kirchspiel Emlichheim vorbenannt …“ enn groff to Scherhoorne, jtem all de lude de to dessen vorgenomden hoven Erven 1475 Bathorn enn Gneden horen nu tor tyd wonachtig Das Schätzungsregister der Herrlichkeit Lage jnden Kerspele von Empninchem vorgen: wurde 1990 in den Overijsselsche Historische … Bijdragen, Bd. 105, veröffentlicht. Darin be- schreibt A.L. Hulshoff „Het schattingsregister van Lage“. In der Schätzung von 1475 werden buurschap Bathorn (graafschap Bentheim): unter „Empnincham, Scherhoren, Berthehoren“ „De tende groff unnd schmall aver dat hues vier Tributpflichtige aus unserem Bereich ge- unnd erve Wedelinck, anders genompt Neer- nannt, nämlich Hereking (Neerken) und We- kenshues, inn der baurschafft tho Berthornn, deling alias Nirling (Weelman) sowie Kopes inn dem gerichte to Empnichem.“ Hinrich (Koops) und De Quade. Sie bezahlen ihren Tribut an der Schulenburg in Veldhausen. Ein Verzeichnis (Repetoria op de registers van de particuliere leenkamers in , 1400–1809), das 1988 erschienen ist, vermel- det um 1550 unter „Gericht Emlichheim,

28 ARCHÄOLOGISCHE FUNDE RUND UM HOOGSTEDE

Archäologische Funde rund um Hoogstede

Eckhard Woide

Da geht eine Person über eine Ackerfläche und einer Zeit, die sehr weit zurückliegt. Sie kön- dabei sticht ihr die Form eines Steines ins nen den heutigen Generationen das Leben in Auge, die aus dem üblichen bekannten Rah- der damaligen Zeit nur verdeutlichen, wenn men für Steine herausfällt. Sie hebt den Stein sie richtig hinterfragt werden. Hier helfen die auf und betrachtet ihn von allen Seiten. Sie Archäologen, die durch ihre Forschung und sieht, dass dieser Stein eine allseitig symme- die entsprechenden Ergebnisse Aussagen tref- trische Form hat, die die Natur eigentlich so fen, die uns die damalige Zeit vor Augen füh- kaum herstellen kann. Die Oberfläche des ren können. Steins ist überwiegend feinkörnig hellgrau bis schwarz. Wenn man ihn dreht oder wendet, Das Leben in der damaligen Zeit lässt die Sonne helle kleine Stellen aufblitzen. Seit es Lebewesen auf dieser Erde gibt, geht Der Merkspruch aus der Schulzeit „Feldspat, es immer darum, sich Nahrung zu besorgen, Quarz und Glimmer, die vergesse ich nimmer“ um satt zu werden und zu überleben. An die- kommt ins Gedächtnis zurück, als damals über ser Stelle soll nicht bis zu den Anfängen der Gesteine und dabei besonders über Granit ge- Menschheit zurückgegangen werden. Es reicht sprochen wurde. Könnte also ein Stein aus hier, wenn die Archäologie verdeutlicht, wann Granit sein. Doch Granit ist eigentlich ein Ge- und wie die Menschen gelebt haben, die die stein aus tieferen Schichten und sehr hart. gefundenen Werkzeuge herstellten und mit Und hier taucht der Gedanke auf, dass dieser diesen Werkzeugen arbeiteten. Stein von Menschenhand geformt sein könnte Man muss sich erst einmal von dem Ge- und ein Werkzeug ist. Er wird eingesteckt und danken lösen, dass die Oberfläche der Erde vor zu Hause in eine Schublade gelegt. Die Person mehr als 4000 Jahren – und so alt sind zwei würde gerne mehr zu diesem Stein erfahren, der gefundenen Steinwerkzeuge (Steinbeile doch an wen soll sie sich wenden? Leider gibt genannt) – genau so ausgesehen hat wie sie uns es hier in der Grafschaft Bentheim keine Mög- heute bekannt ist. Das gilt auch für die Graf- lichkeit, darüber eine Auskunft zu erhalten. schaft Bentheim. Dazu kommt, dass das Ge- Die Form hat das Gehirn gespeichert und biet von Hoogstede in diesem Zusammenhang deshalb werden weitere gleiche Funde und nicht allein gesehen werden kann. Die Verän- andere in ähnlicher Form aber nun auch bern- derungen sind nicht punktuell eingetreten, be- steinfarbig auf anderen Ackerflächen entdeckt troffen war immer ein riesengroßes Gebiet. und eingesammelt. An den neuen Funden Die archäologische Zeit, in der die Stein- wird an der Form ganz deutlich, dass es ur- beile hergestellt wurden, ist die Jungsteinzeit, sprünglich Steinwerkzeuge waren. Auch sie auch Neolithikum genannt. Die letzte Eiszeit wandern zum ersten Fund in die Schublade (Weichseleiszeit1 bis 17000 v. Chr.) hatte sich und werden vergessen. So geht es vielen Fun- nach Norden zurückgezogen und die Groß- den, die auch noch in anderen Schubladen la- tiere wie Mammut, Rentier, Wisent usw.2, die gern. Leider, denn sie sind Gegenstände aus am Rande der Eisflächen lebten, die die Nah-

1 Zehm, Bodo, Von Schätzen und Scherben, Rasch Bramsche 1997, S. 10. 2 ebenda, S. 15. 29 1 URKUNDEN, VORGESCHICHTE, VECHTE

rungsquelle für die Menschen waren, sind Die jungsteinzeitliche (spätneolithische) deshalb verschwunden. Auch die Vegetation Einzelgrabkultur (2800–2300 v. Chr.) ist be- änderte sich von der Frostschutt-Tundra über nannt nach den charakteristischen Einzelbe- die Strauch- und Waldtundra und über den stattungen unter Erdhügeln8. Das Verbrei- Eichenmischwald mit Linde und Ulme bis zur tungs gebiet lag u. a. auch in Norddeutschland Massenausbreitung der Buche und Fichte3 zu und in Holland. großen Mischwäldern. Neue Tierarten siedel- Die Materialien Felsgestein und Feuerstein, ten sich in diesen Waldgebieten an wie Bär, aus denen die hier gefundenen Steinbeile her- Luchs, Fuchs, Rothirsch, Hase, Wildschwein gestellt worden sind, waren auch zu damaliger und andere. Die Jagd und deren Waffen Zeit vor Ort nicht vorhanden. Sie müssen des- veränderten sich von der Großwildjagd zur halb in das heutige Gebiet von Hoogstede als Jagd auf Waldtiere und Niederwild. Auch der Material oder als fertiges Produkt gehandelt Fischfang mit Speer oder Pfeil und Bogen4 be- worden sein. reicherte den Speisezettel. Die Steinbeile be- nutzte der Mensch besonders zum Fällen von Beschreibung der im Raum Bäumen, wenn er keine Brandrodung betrieb5 Hoogstede gefundenen Steinbeile oder sie dienten ihm als Waffe. Felsgesteinbeil Aus heutiger Sicht ist die Jungsteinzeit die revolutionärste Veränderung im Leben der Menschheit gewesen. Sie wurden vom Sammler und Jäger, der ständig mit dem Großwild wan- dern musste, zum sesshaften Bauern und Vieh- züchter, der sich an einer Stelle ansiedelte und in den Ackerbau und in die Viehzucht einstieg. Solche Menschen lebten auch im heuti- gen Raum von Hoogstede. Die gefundenen Steinbeile aus Felsgestein und Feuerstein be- Symmetrisches Felsgesteinbeil aus dem weisen es. 4. Jahrtausend v. Chr. (Eckhard Woide) Vollständig erhaltenes, symmetrisches Exem - Die archäologischen plar ( L.: 15,6; B.:7,0; D.: 4,6 cm) aus einem fast Kulturzeiten der Steinbeile schwarzen, porösen Felsgestein mit Einschlüs- Die von Herrn Albert Stegemann gefundenen sen und Glimmeranteilen. Die stark angewit- Steinbeile hat Herr Dr. Jörg Eckert, ehemaliger terte Oberfläche ist gänzlich überschliffen Bezirksarchäologe aus Oldenburg, bestimmt gewesen, auch die deutlich abgesetzten Seiten- und beschrieben. Um die von ihm genannten bahnen, derentwegen eine Zuordnung zu den Kulturbereiche einordnen zu können und ihre Fels-Rundbeilen nicht infrage kommt. Die Namensgebung zu erklären, wird hier kurz Schneide hat eine runde hochgezogene Form darauf eingegangen. und zeigt Arbeitsspuren mit Verrundungen, der Die jungsteinzeitliche Michelsberger Kultur Nacken ist stumpf ausgebildet. Eine genaue ty- (4300–3500 v. Chr.) ist benannt nach dem pologische Zuordnung des Beiles ist schwierig, Michelsberg im Ortsteil Untergrombach von da es Merkmale der Fels-Ovalbeile wie auch Bruchsal bei Karlsruhe6. Hier wurden die ersten der Fels-Rechteckbeile zeigt. Beide Formen Funde gemacht. Ihr Verbreitungsgebiet lag haben eine weite Verbreitung, nicht nur im u. a. auch im südlichen Holland und in Belgien. Weser–Ems-Gebiet, sondern auch weit darüber Die Trichterbecherkultur (4300–2700 v. hinaus. Sie werden aus der jungsteinzeitlichen Chr.) ist benannt nach dem Gefäß mit trich- Michelsberger Kultur hergeleitet, kommen aber terförmigem Hals, das als Trinkbecher gedient auch in der älteren Trichterbecherkultur des hat7. Das Verbreitungsgebiet lag u. a. auch in 4. Jahrtausends v. Chr. vor. Dies dürfte für die- Nordwestdeutschland. ses Beil die wahrscheinliche Zuordnung sein.

3 Zehm, Bodo, Von Schätzen und Scherben, 4 ebenda, S. 22 ff. 6 Hoffmann, Emil, Lexikon der Steinzeit, 7 ebenda, S. 379 ff. Rasch Bramsche 1997, S. 21 ff. 5 ebenda, S. 26 ff. Beck München 1999, S. 262 ff. 8 ebenda, S. 90 ff. 30 ARCHÄOLOGISCHE FUNDE RUND UM HOOGSTEDE

Fels-Rechteckbeil Flint–Rechteckbeil Vollständig erhaltenes dickblattiges Exemplar aus mittelbraun patiniertem, ursprünglich hellgrauem Feuerstein (L.: 14,6; B.: 6,6 ;D.: 3,1 cm). Der Schneidenteil weist bis zur Hälfte des Beiles einen sehr guten Schliff auf, ebenso eine der Seiten. Alle übrigen Bereiche sind nicht überschliffen und zeigen die Abschlag - spuren der Zurichtung. Die Schneide ist noch Geschliffenes Fels-Rechteckbeil scharf und gebrauchsfähig mit nur sehr ge- 4. Jahrtausend v. Chr. (Eckhard Woide) ringen Arbeitsspuren und kleinen Aussplitte- Vollständig erhaltenes, glockenförmiges, klei- rungen. nes und allseitig geschliffenes Exemplar aus Flint-Rechteckbeil feinkörnigem, schwärzlichem Felsgestein mit aus Feuerstein, 3. Jahrtausend starkem Glimmergehalt (L.: 7,9; B.: 4,2; D.:2,3 v. Chr. (Eckhard Woide) cm). Die Schneide zeigt Arbeitsspuren, wäre aber noch durchaus gebrauchsfähig. Die weit verbreitete, auch im Weser-Ems-Gebiet häufig vorkommende Beilform hat ihren Ursprung Die weit überwiegende Zahl dieser weit wohl in der neolithischen Michelsberger Kul- verbreiteten Beilform entstammt der spät- tur, lässt sich aber auch der Trichterbecher- neolithischen Einzelgrabkultur des 3. Jahr- kultur des 4. Jahrtausends v. Chr. zuordnen. tausends v. Chr..

Flint-Rechteckbeil Abschlussbetrachtung Es wären noch weit mehr Aussagen über das Leben der Menschen und über Handelswege in der damaligen Zeit zu treffen, auch für die Grafschaft Bentheim, wenn gefundene Ge- genstände aus archäologischen Zeiten den Ar- chäologen zur Bestimmung zugeführt würden. Ein Fund gibt den Archäologen weitere Ge- heimnisse preis, wenn zusätzlich auch seine Flint-Rechteckbeil aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Fundstelle oder die Umstände seines Fundes (Eckhard Woide) bekannt werden. Ein Fund ist historisch wert- Das vollständig erhaltene Exemplar besteht los, wenn seine Fundstelle nicht bekannt ist. aus hellbraunem Feuerstein mit Einschlüssen Helfen sie weiterhin mit, dass noch mehr Licht und graufleckigen Partien (L.: 12,9; B.: 5,5; D.: in das Dunkel der Geschichte der Grafschaft 3,5 cm). Die Form ist etwas unregelmäßig und Bentheim fällt! daher atypisch, da offenbar aus einem Flint- geröll hergestellt. Bis auf den Nackenbereich ist das Beil gänzlich geschliffen und zeigt nur Verwendete und weiterführende Literatur an einzelnen Stellen Spuren der Zurichtung. Der Brockhaus, Band 3, F. A. Brockhaus GmbH, Leipzig 2004 Both, Frank, (Bearb.), Archäologische Denkmäler Obwohl der Querschnitt nicht typisch für die zwischen Weser und Ems, Isensee Oldenburg 2000 Rechteckbeile ist, muss hier unter Berücksichti- Fansa, Mamoun, Großsteingräber zwischen Weser und Ems, Oldenburg 1992 gung der Ausgangsform, doch von einem Hoffmann, Emil, Lexikon der Steinzeit, Beck München 1999 Flint-Rechteckbeil gesprochen werden. Eine Menghin, Wilfried/Plank, Dieter, Menschen – Zeiten – Räume – Archäologie in Deutschland, Konrad Theis Verlag Stuttgart 2003 Zuordnung zu der spätneolithischen Einzel- Peters, Hans-Günter/Schlüter, Wolfgang, Archäologische grabkultur des 3. Jahrtausends v. Chr. ist Denkmäler und Funde im Landkreis Osnabrück, in: Wegweiser zur Vor- und Frühgeschichte Niedersachsens, Heft 7, Hildesheim 1979 wahrscheinlich. Zehm, Bodo, Von Schätzen und Scherben, Rasch Bramsche 1997

31 1 URKUNDEN, VORGESCHICHTE, VECHTE

Die Vechteschifffahrt

Albert Rötterink

Ausschnitt einer Postkarte von etwa 1925, Partie an der Vechte (Mini Büdden)

Von etwa 1300 bis 1900 n. Chr. leistete die Holz aus dem Samerott. Auf der Rückfahrt Vechteschifffahrt einen beträchtlichen Bei- nahmen die Schiffer unter anderem Nah- trag zur wirtschaftlichen Entwicklung der rungsmittel und Vieh mit. Durch die Kon- Grafschaft Bentheim und von Overijssel. kurrenz neuer Transportmittel kam der Mehr als sechs Jahrhunderte lang sind Vechtehandel im 19. Jahrhundert vollstän- kleine Plattenboote, die sogenannte Zompen dig zum Erliegen. Die Vechte übt heute in oder Schuten, flussaufwärts und -abwärts erster Linie nur noch eine reine Entwässe- gefahren. rungsfunktion aus, um das anfallende über- Das geschah vor allem in den Wintermo- schüssige Niederschlagswasser möglichst naten November bis April, wenn die Vechte schnell und schadlos abzuführen. genügend Wasser führte. Stromabwärts Die Vechte entspringt in Nordrhein-West- transportierte man ab Nordhorn Sandstein- falen bei Darfeld im Münsterland, durchfließt quader aus den Steinbrüchen von Bentheim nach 36 Kilometer auf westfälischem Gebiet die und Gildehaus und andere Rohstoffe wie Grafschaft Bentheim von Südost nach Nordwest

32 DIE VECHTESCHIFFFAHRT

auf einer Länge von 71 Kilometer und mündet in den Niederlanden nach weiteren 60 Ki lo- metern in das , einen Flussarm der Ijssel. Ihre Gesamtlänge beträgt heute 167 Ki- lometer. Sie war vor den verschiedenen Regu- lierungen erheblich länger, denn ursprünglich war die Vechte ein stark mäandrierender Fluss. Sie strömte einst durch ein breites Tal (Ur- stromtal), das als Hochwasserflussbett diente. Vor allem im Winter, wenn die Vechte die rie- sigen Regenmengen nicht aufnehmen konnte, trat sie immer wieder über die Ufer. Jährliche Hochwasser und Überflutungen waren an der Tagesordnung. Insbesondere ab Nordhorn und im weiteren Unterlauf der Vechte waren die Vechte in Hoogstede mit Wehr im Hintergrund, Wasserstandsschwankungen am größten. Die links Einmündung Lee, 2008 (Jan Hindrik Teunis) schlimmsten Hochwasser des letzten Jahr- So hat man die Vechte nach und nach an hunderts gab es im November 1928, ein vielen Stellen begradigt. Man hat Eindei- weiteres im Februar 1946, das als „Jahrhun- chungen vorgenommen und Wehre eingebaut, dert-Hochwasser“ eingestuft und für spätere um das Wasser besser zu beherrschen und die Berechnungen zugrunde gelegt wurde, und Strömungsgeschwindigkeit zu verringern. das Hochwasser vom Dezember 1960. Um diese Davon zeugen noch heute zahlreiche „tote immer wiederkehrenden Überschwemmungen Flussarme“, besonders im Bereich der Samt- in den Griff zu bekommen, hatte man bereits gemeinde Emlichheim. Auf niederländischem Die Vechtequelle ab 1900 auf ganzer Länge erste Maßnahmen er- Gebiet begann man mit diesen Arbeiten be- in Darfeld, 2008 (Albert Rötterink) griffen, die aber bei weitem nicht ausreichten. reits ab 1908, in der Grafschaft wurden erste umfangreiche Arbeiten in den 1930er-Jahren in Angriff genommen. Die gravierendsten Eingriffe erfolgten hier aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Rahmen des Emsland- planes (1958 bis 1970) wurde die Vechte von Nordhorn bis zur niederländischen Grenze nach den neuesten wassertechnischen Ge- sichtspunkten ausgebaut, um besonders die Hochwassergefahr in den bebauten Gebieten der Städte und Dörfer einzugrenzen. Die ersten Bewohner in unserer Region haben sich entlang der Vechte angesiedelt. Dort sind an den höhergelegenen Ufern erste Unterkünfte und Siedlungen und die ersten landwirtschaftlichen Nutzflächen entstanden. Ackerlandplatten und Eschflure treten noch heute teilweise dicht an die Vechte heran. Ab dem 13. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete die Vechte einen bedeutenden Handelsweg von Nordhorn nach . Doch auch schon früher ist die Vechte mit kleinen Booten befahren worden. Davon zeugt der Fund von zwei Einbäumen

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aus der jüngeren Steinzeit (4000–1700 v. Chr.) betätigten sich in dieser Zeit als Frachtschif- bei Vechteregulierungsarbeiten in den 1930er- fer. Stromabwärts transportierte man Sand- Jahren auf -Vorwalder Gebiet. stein aus den Bentheimer und Gildehauser Die Abbildung zeigt eines der Boote. Es lag Steinbrüchen und Holz aus dem Bentheimer 4,70 Meter tief unter der Oberfläche, hatte eine Wald und dem Samerott nach Zwolle. Aus Länge von rund sieben Metern und Breite von dem Holz bauten die Niederländer hauptsäch- 90 Zentimetern. Über diese Zeit ist zwar nicht lich Schiffe. Im eigenen Lande gab es zu wenig sehr viel bekannt, wir können aber annehmen, Holz und kaum abbauwürdigen Naturstein. dass seit dieser Zeit sesshafte Bauern das Mit Pferdefuhrwerken wurden seinerzeit nördliche, beziehungsweise östliche Vechteu- das Holz und die gebrochenen Steine zunächst fer im Bereich der Niedergrafschaft besiedelt zum Nordhorner Hafen, der „Steinmaate“ haben. In Hoogstede grenzt noch heute die transportiert und von dort aus über die Vechte Bauerschaft Arkel direkt an die Vechte. Sehr nach Zwolle verschifft. Dort wurde dann die wahrscheinlich haben auch römische Solda- Fracht in größere Schiffe verladen, die die bis ten um Christi Geburt herum die Vechte im zu sechs bis acht Tonnen schweren Blöcke Bereich der heutigen Niedergrafschaft mit ihren nach Amsterdam oder Rotterdam weiter ver- Schiffen befahren. Sie haben vermutlich sogar frachteten. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts in bestehenden germanischen Gehöften Fluss- erlangte der Handel mit Bentheimer Sandstein kontrollen eingerichtet. So fand zum Beispiel bereits seinen ersten Höhepunkt. der Bauer Adolf Wilde im Herbst 1935 in der Auf der Rückfahrt nahmen die Schiffer Nähe seines Hofes in Emlichheim an der Vechte unter anderem Nahrungsmittel wie Hülsen- das Wappen der XXII. römischen Legion. früchte, Grütze, Fische und Tran mit, ebenfalls

Einbaumfund in den 1930er-Jahren in Vorwald Porzellan aus England und seit 1770 auch Tee, B.J. Trüün, Gerh.Schophuis, Harm Jörissen, J.H. Hans, Kaffee, Zucker, Salz, also Kolonialwaren, rus- Hindr. Zandmann, Jan Mars, Geert Kieft und Aufsichter Cornelius. (Albert Rötterink) sischen Leinsamen, Käse aus Friesland und auch amerikanische Baumwolle für die noch Die eigentliche Schifffahrt auf der Vechte junge Nordhorner Textilindustrie mit. begann nachweisbar erst mit dem 13. Jahr- Die Schiffe benötigten seinerzeit von hundert ab etwa Nordhorn, das 1379 vom Nordhorn nach Zwolle eine Fahrtzeit von Grafen von Bentheim die Stadtrechte verlie- „nur“ sieben Tagen. Bei niedrigem Wasser- hen bekommen hatte. Auch viele Bauern aus stand mussten die Schiffer ihre in Zwolle auf- der Region, so vermutlich auch aus dem genommenen Frachten häufig aber schon in Gebiet der heutigen Gemeinde Hoogstede, Esche löschen, nicht selten auch bereits in

34 DIE VECHTESCHIFFFAHRT

Emlichheim, Laar oder , wo sie Frachtfahrer auf ihre Pferdegespanne über- nahmen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand ein bedeutender Teil des Nordhorner Handels neben der Verladung von Sandstein aus dem Leinen- und Garnhandel. Es waren ebenso po- litische wie wirtschaftliche Gründe, die den Vechtehandel seit dem frühen 19. Jahrhundert mehr und mehr zum Erliegen brachten. Die niederländischen Textilzölle ab 1816 trafen den blühenden Handel in Nordhorn äußerst hart und nahm ihm fast jede Bedeutung. Viele Händler und Spediteure verließen die Stadt. So war 1838 die Vechteschifffahrt, deren Hofzufahrt Koelmann, Hoogstede um 1960, (Hilde Neuwinger) Schiffszahl dreißig Jahre zuvor noch 1200 be- tragen hatte, auf mehr als die Hälfte gesun- Vechtefluss“ die Rede, 1842 habe der Transit- ken. Rund zwanzig Jahre später, 1859, wurde handel „ganz darnieder gelegen“. Doch es be- die Schifffahrt auf der Vechte zwar offiziell stand zu der Zeit schon keine Chance mehr, aufgehoben, doch kam sie erst nach und nach dass der Warenverkehr auf der Vechte überre- zum Erliegen. So belegt eine Aufstellung vom gional noch mit dem auf der Ems konkurrie- Stauwerk in Frenswegen aus dem Jahre 1860 ren konnte. Die offizielle Aufhebung der folgende interessante Zahlen: Schifffahrt auf der Vechte im Jahre 1859 war Vechteabwärts: 243 Schiffe beladen, 16 leer damit vorprogrammiert. Man kann heute mit Stromaufwärts: 195 Schiffe beladen, 46 leer Fug und Recht sagen, dass die Vechte bis Durch den Bau neuer Wasserstraßen, den dahin mehr als nur ein reiner Wasserlauf war, Ausbau der Ems und die Konkurrenz neuer sie war die Lebensader der Region. Transportmittel kam die Vechteschifffahrt schließlich ganz zum Erliegen und verlor Literatur- und Quellenangaben: damit ihre Transportfunktion. VVV Overijssels Vechtdal: Die Vechte von der Quelle bis zur Mündung Noch 1839 hatten sich hauptsächlich die Bureau Publica: Vechtetalroute Nordhorner Kaufleute und Spediteure mit Un- Landkreis Grafschaft Bentheim: Noabers, Infobulletin über den grenzüberschreitenden Tourismus terstützung des Nordhorner Magistrats an die in den Regionen Overijssels Vechtdal, Noordoost Landdrostei in Osnabrück mit dem Ersuchen Twente und Grafschaft Bentheim, 2001 Geert Koopsingraven, Albert Rötterink, Jan Wilde: nach einer Regulierung und Ausbaggerung Emlichheim in alten Bildern, 1982 der Vechte gewandt. Zwei Jahre später, 1841, Jan Wilde: Oeveringen, uralte Höfe an der Vechte; in: Jahrbuch Heimatverein Grafschaft Bentheim 2007, S. 41 bis 60 ist von der „oft gelähmten Schifffahrt auf dem Albert Rötterink: Chronik der Gemeinde Emlichheim, 1970

Die Vechte bei Hoogstede. Von der Kaller Brücke aus flussaufwärts, links im Busch liegt der Hof Koelmann (Bild aus dem Internet)

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Grundherrschaft und Hörigkeit in der Gildschaft Scheerhorn

Dr. Heinrich Voort

Einleitung schaffen wurden, und auf denen sie abhän- Als Graf Johann von Bentheim im Jahre 1324 gige Bauern und ihre Familien ansetzten. dem Gottfried v. Borkulo mehrere Höfe im Ihnen gewährten sie Schutz vor fremder Ge- Kirchspiel Emlichheim verkaufte, darunter den walt, auch garantierten sie ihnen und ihren Schultenhof zu Arkel und die Höfe Wernerinck Nachkommen Erbrecht am Hof. Dafür ver- to Honsteden, Anebroke und Herverding, langten sie Jahr um Jahr einen Anteil am Er- übertrug er diese mit all ihren Nutzungsrechten trag der Ernte sowie weitere Abgaben, wenn an Torf, an Gehölz, an Wasser und Weide, aber der Bauer und seine Frau starben und der Erb- auch „mit luiden“, also allen Menschen, die auf folger den Hof übernahm. Die Eigenbehörig- diesen Höfen wohnten. Sie waren ebenso in- keit war somit durch Rechte und Pflichten begriffen bei dem 1430 beurkundeten Verkauf, sowohl auf Seiten des Grund- und Leibherrn mit dem Gottfrieds Erbe Heinrich v. Gramsber- als auch des Hörigen gekennzeichnet. Sie sind gen dem Grafen Everwin v. Bentheim die ge- für die Grafschaft Bentheim im Einzelnen nie nannten und weitere Höfe überschrieb, als er schriftlich festgelegt worden, sondern wurden „al de lude, de to dessen vorgenomden Hoven, im kollektiven Gedächtnis der Menschen die- Erven enn Gueden horen (enn) nu tor tyd wo- ses Landes überliefert und galten als Land- nachtig in den kersperle van Empninchem“ recht. Wie sich die Hörigkeit in der Gildschaft waren, eigens erwähnte. Und, um noch ein Scheerhorn auswirkte, soll an Beispielen auf- drittes von vielen überlieferten Beispielen an- gezeigt werden. zuführen, auch Johann van Eschede verkaufte 1510 dem Johann van Dedem das Erbe „Sy- Vechte in 1956 mit Tinholter Brücke (Gerrit Ranft) werkinck tho Scherhorn“ mit allen Rechten und „mytten luden up dato dusses brefs dar tho horende“. All diese Leute standen in der Abhängigkeit des Herrn, dem die Höfe gehör- ten und für den sie diese bewirtschafteten, sie waren Hörige oder, wie die später für sie ver- wendete Bezeichnung lautete, Eigenbehörige. Aber was verstand man unter dem Begriff der Hörigkeit? Seine Ursprünge liegen im Mittelalter, sie fallen in eine Zeit, als sich in unserem Raum Grundherrschaften herausbildeten. Wir wissen darüber kaum Genaues, weil die Schriftlich- keit noch wenig ausgebildet war. Offenbar aber handelte es sich um alte Siedlungskerne, die von begüterten Adligen durch Rodung ge-

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Grundherren in der nicht mit Namen genannten „Erve up de Gildschaft Scheerhorn Kalle“ war. Etwa zur gleichen Zeit (um 1518) Di e urkundliche Überlieferung aus der Früh- gehörte dem Johann van Eschede der Hof zeit unseres Gebietes ist dürftig. Schreiben „Colthof“ in Bathorn, der um 1549 mit dem konnte man in den Klöstern, wo Dokumente Grafen zu Bentheim einen neuen Grundherrn über Besitzrechte sorgfältig gehütet wurden, hatte. Dieser ist um 1535 auch als Grundherr und auch die landesherrliche Verwaltung kam von „Honebroick (erve)“ in Bathorn belegt. nicht ohne schriftliche Aufzeichnungen aus, Aus mehreren eher zufällig erhaltenen Ur- doch hat davon nur wenig die Zeitläufe über- kunden und anderen Dokumenten, die einst standen. Das gilt ebenso für die zahlreichen über die Verpfändung, den Verkauf oder die adligen Familien des Landes, denen einst Bau- Vererbung von eigenbehörigen Höfen ausge- ernhöfe gehörten, von denen aber keine Guts - stellt wurden, kennen wir weitere Grundher- archive überliefert sind. Gleichwohl lassen ren im Bereich der Gildschaft Scheerhorn. So sich im Raum Scheerhorn außer dem Grafen setzte Ludolf van Gravestorpe 1403 die bei- zu Bentheim und den Herren v. Borkelo/ den ihm gehörenden Höfe Zaleminch und El- Gramsbergen auch andere Grundherren nach- verikinch in der Bauerschaft Scheerhorn zum weisen. Aufschlussreich ist hier vor allem das Unterpfand. 1412 bestätigten die Geschwister Archiv des früheren Klosters Wietmarschen. Gruys vor dem Richter zu Emlichheim, dass Schon im Jahre 1209 hat es von Rudolfus de ihre Eltern das Erbe Raterdink zu Scheerhorn Ringe einen Hof in Scheerhorn erworben, den an Friedrich v. Beveren verkauft hatten. Das dieser bis dahin als Lehen der Grafen zu Bent- Erbe Syverkinck in Scheerhorn kam 1526 an heim innegehabt hatte. Das war das spätere Vincentius van Besten, und der früher den Erbe Hartgerinck. Aus dem Wechselbuch des Herren v.d. Toerne gehörende Hof des Lam- Klosters ist bekannt, dass es in Scheerhorn bert auf der Kalle wurde 1548 von Eilhart v. einen weiteren Hof besaß, nämlich „Tympen- Wüllen an seinen Bruder Gerlach verkauft, der huiß tor Kalle“. Aus dieser Quelle sind auch ihn wiederum 1549 mit anderen Gütern dem andere Grundherren in dem hier betrachteten Goesen v. Raesfeld käuflich übertrug. „Mit Gebiet belegt. So gehörte 1441 Johann Voet einem Kotten zu dem Tinholt gnandt der Tin- der Hof „Siverkinck to Scherhorn“. 1515 besaß holtß Kotte“ wurde 1606 von den Brüdern Sweder van Schulenberch, ein nicht mit Adolf, Arnold Jost und Wilhelm Grafen zu Namen genanntes „Erve to Scherhorn“, und Bentheim der Henrich Nibberich belehnt, so 1562 war Melchior van Dedem Herr des wie schon seine „Voreltern“ damit belehnt ge- Schultenhofes von Scheerhorn. wesen seien. Für einen bereits genannten Auch das zweite Kloster in der Grafschaft Scheerhorner Hof ist 1624 Johann v. Beve- Bentheim, das 1395 gegründete Frenswegen, ren „als Erb- und Guther über Raterings Erbe“ erwarb in Scheerhorn Höfe, nämlich 1426 vom vor Gericht aktenkundig geworden. Insgesamt Kapitel zu Oldenzaal aus dem Nachlass des aber sind Angaben über die Grundherren der Emlichheimer Pfarrers das Erbe Wichmann Höfe in der Gildschaft Scheerhorn im 16. und oder Wichmink, vermutlich ebenso Luttike frühen 17. Jahrhundert spärlich Wichmink und schließlich 1431 von Roleff ten Auch nachdem 1656 mit der Vermessung Holte das Erbe Blomendael, später „Blomer der landwirtschaftlich genutzten Flächen be- ten Berthorn“ genannt. gonnen und das „Landbuch“ angelegt wurde, Das Frensweger Wechselbuch weist in zeit- bleibt die grundherrliche Abhängigkeit vieler lich nur ungefähr einzuordnenden Nachrich- Höfe in der Gildschaft weiter unbestimmt, ten weitere Grundherren in der Gildschaft wohl weil es nicht im Auftrag des Land- Scheerhorn nach. Um 1515 gehörte Sweder vermessers lag, diese zu ermitteln oder zu no- van Schulenberch der Hof „Alveryng toe tieren. Von den insgesamt darin unter Scheer- Scherhorn“ und ein Kotten in Tinholt , wäh- horn, Arkel, Bathorn, „d’Hoogste & d’Calle“ rend die Familie van Besten Eigentümer eines ausgewiesenen 59 Höfen und Hofstellen ist

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allein bei 14 der Grundherr vermerkt. Bei Blicken wir zurück, so waren im 17. Jahr- dreien wird als „Eygenaer syn graeflijke Ge- hundert in der Gildschaft Scheerhorn wenigs- naden“ genannt (De Scholt in Scheerhorn, D’ tens ein Drittel aller Höfe und sicher die Scholt tot Arkel und Folkers ebenda), und bei Mehrzahl aller größeren Erben eigenbehörig. weiteren neun Bauern ist notiert, allerdings Grundherr über die meisten Bauernhöfe war von späterer Hand, sie seien ein „Benthei- der Graf zu Bentheim. Ihm wurde als Folge misch Meyer“ (Bruyninck Arve, Hemken Arve, der Säkularisation im 19. Jahrhundert noch Suerinck Arve, Guyts Arve, De Prenger, Colt- die früher dem Kloster Wietmarschen gehö- hoff, Hannebrock, Jurinck und Warmel). Nur renden Höfe Hartger und Kaalmann mit einer bei einem Hof hat der Landvermesser hinzu- Reihe anderer Güter als Ausgleich für den gefügt, er werde von einem Meier des Klosters Verlust seiner Regierungsrechte zugesprochen, Frenswegen bewirtschaftet (Blomers Arve). während die Höfe des einstigen Klosters Warum er die übrigen vier den beiden Klös- Frenswegen an die hannoversche Klosterkam- tern gehörenden Höfe nicht als solche be- mer fielen. zeichnet hat, wird nicht klar. Durch den 1650 mit A.H. v. Raesfeld ver- Wechsel und Freikauf einbarten aber erst 1680 zum Abschluss ge- von Eigenbehörigen brachten Verkauf der vormals Kettlerschen Eigenbehörige waren an den Hof gebunden, und Toerneschen Güter kamen Drumme in auf dem sie geboren wurden. Wollten sie auf Tinholt und Alferink in Scheerhorn an das einen anderen Hof ihres Grundherrn heiraten, gräfliche Haus Bentheim. Mit dem wenig spä- so bedurfte es, wenn Verwandte und Freunde ter erfolgten Verkauf der Beverenschen Güter die Eheberedung vereinbart hatten, allein des- fiel den Grafen auch das Erbe Raterink in sen Zustimmung. Zur Heirat auf den Hof eines Scheerhorn zu. Und schließlich war, wie für fremden Grundherrn war aber darüber hinaus 1759 belegt, der Hof des Lambert Tinholt in ein förmlicher Hörigenwechsel erforderlich. der gleichnamigen Bauerschaft „denen von Das belegen die überlieferten Wechselbücher Aschebroick eigen“. der Klöster Wietmarschen und Frenswegen, in denen die aus Die Vechte in 1956 (Gerrit Ranft) der Hörigkeit der jeweiligen Klostergemeinschaft in die des

38 GRUNDHERRSCHAFT UND HÖRIGKEIT IN DER GILDSCHAFT SCHEERHORN

anderen Grundherren entlassene Person und sich fry kopen und darnegst sich nha den die im Gegenzug dafür erhaltene und manch- gude wederomb eigen geben“. Dafür versprach mal auch deren Verbleib verzeichnet wurden. der Prior, dass später ein Kind der Eheleute die So heißt es in Wietmarschen 1441, man habe Freiheit erhalten sollte. dem Johann Voet „overgelaten Hinriche, Johan Hörigenwechsel kam gewissermaßen aus Almerings Sone, quam to Siverkinck to Scher- der Mode. Freikauf aus der Eigenbehörigkeit horn. Entfangen Willikens Gese van Syver- und erneute Eigengebung unter den Grund- kinck up der Kalle“. Ganz ähnlich wurde 1515 herrn des Hofes, auf den ein Höriger oder eine registriert, es sei „overgelaten Sweder van Hörige zu heiraten beabsichtigte, wurde bald Schu len berch, Drosten to Benthem, op sin Erve der Normalfall. Schon viel früher aber war to Scherhorn Volker Aalmerinck van Ringe, auch anderen eigenbehörigen Kindern der Johann Almerings echten Broder“, für den das Weg in die Freiheit möglich. 1573 wurde auf Kloster einen Mann in Veldhausen erhielt. dem Göding protokolliert, „Lucke Hembke und Nehmen wir noch ein drittes Beispiel aus dem Lammen seiner Hausfrauen echte Dochter Frensweger Wechselbuch hinzu. So heißt es Hille geboren zu Scherhorn ist friegekauft vor über einen um das Jahr 1535 vereinbarten 8 dlr“, während 1576 „Volcker zu Arckell und Hörigenwechsel, „onse horighe maghet Yde Hillen seiner Hausfrauen echte Son Henrich“ gheboren van onsen erve Blomers hues toe für 11½ Reichstaler freikam. Berthorn ys ghekomen op onß gnedigen Auch für die folgenden Jahrhunderte haben Junckers Honebroeck (erve) oick toe Berthorn sich ungezählte Beispiele von Freikäufen für gelegen. Dair voir wy weder ontfangen hebn“ Kinder von Eigenbehörigen aus der Gildschaft die älteste Tochter von „Heymekinck toe Scheerhorn erhalten. Greifen wir hier eine Ver- Scheer horn“. Damit war der Wechsel aber anlagung von 1747 heraus, wo es hieß, „Geerd noch nicht zu Ende, denn es heißt weiter: Schulte zu Arckel Kirspels Emblicheimb accor- „Desse hebbe wy weder verwesselt an Herman diert für sich, geboren von Henrich und van Munster voir Gesen ghebaren van der Swenne, den Freythumb mit 12 Rth“. Der für Brüna, dye op onse erve Wychmynck toe die Verbuchung der Einnahmen aus Freikäufen Berthorn ghecomen ys.“ Hier war gewisser- verantwortliche Landschreiber notierte 1776, es maßen ein Ringtausch zustande gekommen, sei dafür „kein gewisses Principium vorhanden, an dem drei Grundherren beteiligt waren. sondern es wird jedes mahl bei der Behandlung Hörigenwechsel waren für die Grundher- desselben auf des sich freykaufenden Vermö- ren mit viel Aufwand verbunden, den sie gen reflexion (= Rücksicht) genommen“. So schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts lagen im 19. Jahrhundert die gezahlten Beträge gern auf die betroffenen Eigenbehörigen ab- häufig etwas niedriger, je nachdem, wie es um wälzten. Wir haben dafür eindeutige Belege. einen Hof stand. 1816 wird registriert, es Als im Jahre 1612 Hermann Broekmann aus „haben sich vom Leibeigenthum freygekauft Bimolten die Erbtochter Gese auf den dem Fenne Wiegmink zu Batthorn“ für 6 Rt. wäh- Kloster Frenswegen gehörenden Hof Wich- rend für ihre Schwester Hille 8 Rt. gezahlt wer- mink zu Bathorn heiraten wollte, machte ihm den musste. In beiden Fällen hat ihr Bruder der Prior zur Auflage, er „sall vor em ein we- Warse als Erbling – und Jungbauer – den Frei- derwessel stellen, und so dat nicht konnen kauf mit dem Rentamt ausgehandelt. Die Ober- konde, sall he sich buten unse schade fry grenze für die beim Freikauf zu zahlende kopen und den breff uns lebern“, und dies Summe lag damals nur unwesentlich höher: Je wurde noch einmal bekräftigt mit den Wor- zehn Reichstaler wurden für abgehende Töchter ten, er solle „na eigendoms recht sich nat guit von Schultenhöfen verlangt: 1825 von Fenne eigen geben“. Im Fall des Hofes Blömer zu (Scheerhorn) und 1844 von Zwane (Arkel). Hin - Bathorn verlangte der Prior von dem einhei- zu kamen noch Schreibgebühren für das Aus- ratenden Bräutigam, „Lambert, so auf et guith stellen und Besiegeln der Urkunde, das war meist fahren und Jenne die Dochter hebben sall, sall ein Sechstel des ausgehandelten Betrages.

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Vechte mit Steilufer Ordentliche Gefälle und Tinholter Brücke 1956 (Gerrit Ranft) Art und Höhe der von einem eigenbehörigen Hof jährlich zu liefernden Abgaben an den Grundherrn unterschieden sich sehr. In erster Linie wurden sie sicher von der Größe des Hofes und der damit gegebenen wirtschaftli- chen Leistungsfähigkeit bestimmt. Das wird deutlich aus dem ältesten erhaltenen gräflich- bentheimschen Heberegister aus dem Jahre 1486, das acht Höfe mit unterschiedlichen Na- turalabgaben aufführt (Tab. 1). Beziehen wir auch die den Klöstern Wiet- marschen und Frenswegen eigenbehörigen Höfe mit ein, so hatten sie nach dem Urbar bzw. den Heberegistern aus dem späten 16. Jahrhundert die unten aufgeführten Abgaben zu leisten (Tab. 2). Anzumerken ist hier, dass die Register bei dem Hof Blomendal oder Bloemer die Nach- richt überliefern, dass er einst die vierte Garbe, also ein Viertel der Getreideernte an seine Grundherrliche Abgaben der Höfe Grundherrschaft lieferte. Wann die Umstel- Bei den in grundherrlicher Abhängigkeit ste- lung auf eine feste Pacht erfolgte, wird nicht henden Bauernhöfen sind die dem Grundherren mitgeteilt. zustehenden Abgaben zu unterscheiden ein- Bei der unterschiedlichen Belastung der mal in solche, die regelmäßig und unverän- Höfe durch grundherrliche Abgaben ist zu be- derlich Jahr für Jahr zu erbringen waren und denken, dass einige den Zehnten zu liefern deshalb als ordentliche Abgaben oder Gefälle hatten, beim Kornzehnten also ein Zehntel bezeichnet wurden. Andererseits gab es jene allen geernteten Getreides. Ursprünglich für Abgaben, die allein bei besonderen Anlässen kirchliche Zwecke bestimmt, waren viele fällig wurden, die sog. außerordentlichen Ab- Zehnten schon früh in weltliche Hände ge- gaben. Sie werden im Folgenden getrennt und langt, einige auch an die Grafen zu Bentheim. für einige Höfe exemplarisch beschrieben. Da das Einbringen des Zehnten aufwendig

Hof Roggen Gerste Pachtrinder Pachtschweine Tab. 1: Jährliche Schulte van Scherhorn 3 Müdde - - - Abgaben an das gräflich-bentheimsche Hemmike 4 Müdde 4 Müdde - 1 Rentamt, 1486 Gosen Bruninck 6 Müdde 5 Müdde - 1 Egbert Wermelinck 3 Müdde 3 Müdde - 1 Anebroick 4 Müdde 2 Müdde - - Schulte van Arkel 4 Müdde 4 Müdde - 1 Daem van lutteken Arkel - 4 Müdde - 1 Tympe upr Kalle - - 1 1

GH Hof Roggen Gerste Hafer Schwein Hühner Geld Tab. 2: Jährliche W Hartgerinck to Scherh. 4 Müdde 4 Müdde - - 1 - Abgaben von Eigen- behörigen des Klosters W Tympe upr Kalle 1½ Müdde 2 Müdde - - 1 1 Mark Wietmarschen (W) F Bloemer 8 Müdde 6 Müdde - 1 - - 1575 und des Klosters Frenswegen (F) 1561; F Wychmanninck 10 Müdde 7 Müdde 2 Müdde - - - GH = Grundherr

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war, weil der Getreideertrag genau vermessen Dokument 1: Erbwinnung Blömer, Bathorn, werden musste, verpachtete das gräfliche Rent- 1600. Quelle: FBA, Frenswegen IV Nr. 8 d amt ihn. 1688 wurde beispielsweise aus dem Hof des Schulten zu Scheerhorn der Korn- Wir Prior und Convent hebben dato heutte ver- zehnt und der „blutige Zehnt“ (von allen neu meijert und verpachtet unße eigenhoriche geborenen Haustieren) meistbietend für 22 guith gheitten das Blomers Erb tho Berthorn in Reichstaler verpachtet, der von Hanebrook für biwesent unßer und M. Gerdt Schomaker in 11 Rt. Auch im Jahre 1760 war der Zehnt des maniren als folcht: Schulten von Scheerhorn für Geld verpachtet, Fur irst Lambert so auff et guith fharen und doch gab er den blutigen Zehnt in natura mit Jenne die Dochter hebben sall, sall sich fry einem Zehnt-Lamm, einem Ferkel und einer kopen und dar negst sich nha den gude wede- Gans, während die Abgabe auch eines Zehnt- romb eigen geben. Dar vür hie wederomb ein kalbes strittig war. Fry kindt gnietten sall so fern Inen godt Kin- Die ordentlichen Abgaben der Höfe waren der geben wurde. grundsätzlich unveränderlich, sie wurden aber It(em) Lambert sall ein guith meyer sein und schon im 18. Jahrhundert um ein sog. Dienst- van den Erb doin glick sein voraltern gedain geld erhöht, das die Bauern statt der früher hebben, und seine Pacht Jarlix wall betaillen. von ihnen in natura geleisteten Spanndienste Und sall den Convent vor Erbwinnunge eins bar bezahlten. Dabei wurden 1637 vielfach vör all geben thokumpstigh Michaelis viffthein abgestufte Sätze von ½ bis 1½ holl. Daler richs Dalder Ao 1601 und dan viff richs dal- verlangt. 1759 wurde ein Vollerbe mit 12 holl. der tho Winkop. Actum...... den 18. Decemb(ris) Reichstalern doppelt so hoch wie ein Halberbe Ao. 1600. eingestuft. Das galt noch 1830. Während dem Bauern hier vom Grundherrn Außerordentliche Gefälle allein auferlegt wird, ein guter „Meier“ zu sein Beim Tode des eigenbehörigen Bauern oder und alles wie seine Vorfahren auf dem Hof zu seiner Frau beanspruchte der Grundherr einen tun, insbesondere seine jährliche Pacht zu Teil des beweglichen Nachlasses als Sterbfall- zahlen, haben wir ein zweites Beispiel eines abgabe. So verzeichnet das Gödingsregister Frensweger Erbwinnungsbriefes für den Hof aus dem Jahre 1578, dass „der junge Albert Wychmink von 1612. Auch dort holte die Erb- Wermer zu Scherhorn“ an den Folgen einer in tochter ihren Mann vom Hof eines anderen Coevorden erlittenen Stichverletzung starb, Grundherren. Für Auffahrt und Erbwinnung worauf „die Frau Venne den Nachlaß gedingt verlangte der Grundherr 50 Rt. auch wird der (hat) für 38 Rixdaler“. Katalog seiner Pflichten auf dem Hof im Ein- Auch konnte der Anerbe eines Hofes des- zelnen festgeschrieben. Interessant ist über- sen Regierung nicht ohne Weiteres antreten, dies die Auflage, dass die alten Leute mit den er musste den elterlichen Hof erst „gewinnen“, jungen zusammen leben sollen und für den d.h. dem Grundherrn eine – in der Höhe nicht Fall, dass dies nicht möglich ist, ein Leib- festgelegte – Summe zahlen. Auch hier sei ein zuchtshaus nach Landrecht und Eigentums- Beispiel aus dem Gödingsregister von 1577 zi- recht errichtet werden soll. tiert: „Junge Hemke zu Scherhorn gnant Johan hat vor sich und seine Hausfrow das Erb nach Dokument 2: Erbwinnung Wychminck, Bat- Eigenthumbs Recht gewonnen und gibt 56½ horn, 1612. Quelle: FBA, Frenswegen IV Nr. 8 d Rixdlr.“ Für den Hof Blömer in Bathorn hat sich im Archiv des Klosters Frenswegen ein Unses Conventz Eigenhorige Gert und Gese Erbwinnungsbrief aus dem Jahre 1600 erhal- Wichminck zu Barthorn hebn mit unser will ten, der den einheiratenden Meier zur Zahlung dat Erb avergegeven Irer dochter Gese, und eines Gewinngeldes von 15 Reichstalern plus Herman ein Son van Broekman zu Bimolt der drei Rt. an Gebühren („Weinkauf“) verpflichtete. ehelich sall tott se uft guit komen, na eigen-

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doms recht sich nat guit eigen geben. It(em) Hemke musste 1738 schon 14 Rt. mit zwei sall vor em ein wederwessel stellen, und so dat Pfund Wachs geben, während Hermann Kolt- nicht konnen konde, sall he sich buyten unse hoff 1749 mit 30 Rt. und 12 Schmitten Linnen schad fry kopen und den breff uns lebern, de veranlagt wurde, und Coep Schulte zu Scheer- olden unse vorg(emelden) solln mit se Inne horn 1755 gar 46 Rt. und zehn Schmitte Lin- blifn und konnen se tsam nicht averein, sollen nen aufzubringen hatte. se biedes sitz sich helfen ein Liftuchtz huß zu Ähnlich, aber durchaus unterschiedlich fiel tzimmern und to besitten na Lant und eigen- die Veranlagung in den anderen Bauerschaf- doms Recht. De jung Meier Herman sall ock ten der Gildschaft aus, indem etwa in Hoog- ein gut from Meijer sin, huß Landt hegen, stede Albert Waermer 1749 mit Abgaben von thuen, wrechten, palung und sunst alles pacht 22 Rt. und Jürgen Jörding mit 30 Rt. plus 12 schattung schuelden, als andere gude Meijers, Schmitte Linnen für jeweils vier Fälle heran- unsträflich, naberlich in ehren halten thuen gezogen wurden, ebenso in Arkel, wo Jan und uthrichten, und sall unsen Convente zu Völker 1729 immerhin 36 Rt. zahlte, während Erffwynnung oder uffart geben funffzig Henrich Schulte 1741 ganze 80 Rt. mit zehn Richßdaler,half up anstaendt Mey und halff Schmitte Linnen beim gräflichen Rentamt in folgenden Jacobi.....1612 uf Palm. Neuenhaus ablieferte. Nehmen wir noch zwei Beispiele aus Scheerhorn vom Beginn des 19. Wenn der Rentmeister des Grafen dem Albert Jahrhunderts hinzu, um das Bild abzurunden, Wermer „uff der Hochstedte“, der 1687 den el- so bezahlte Bruning 1806 für „seiner Tochter terlichen Hof übernehmen wollte, sowohl die Lokke Erbwinnung, die Auffahrt ihres Man- Abgaben für deren Versterb als auch für sei- nes H. Zweers und der alten Leute Versterb 40 ner Frau Auffahrt ganz erließ, so war das al- rth“, während 1814 Jan Hartger seine eigene lein dem Umstand zu verdanken, dass der Auffahrt, die Erbwinnung seiner Frau und das angehende Bauer „uff seine Cösten das ufm Versterb der beiden Alten mit 20 Reichstalern Erbe stehendes Hauß neben der Schewer und beglich. anderen Gebaw“, die wohl in Verfall geraten Beim vorzeitigen Tod eines der Ehegatten waren, wieder herrichten musste. Wie hier und auf einem Hof blieben die Forderungen des in den beiden dokumentierten Fällen aus Bat- Gutsherren für Versterb und Auffahrt eines horn Erbwinnung und Auffahrt für einen Hof neuen Partners, also für zwei „Fälle“, in der gemeinsam veranlagt wurden, so war es spä- Regel erheblich geringer. Warse Hannebrock ter die Regel, dass dabei auch das „Versterb“ etwa musste 1756 nach dem Tode seiner Frau beider Eltern einbezogen und in einer Summe nur 8 Rt. zahlen, nach dem Tode von Jan Völ- für „vier Fälle“ ausgehandelt wurde. Die Höhe ker wurde seine Witwe 1748 mit 18 Rt. zur dieser Summe richtete sich im Grundsatz nach Kasse gebeten. Es war anerkanntes Recht der der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Eigenbehörigen, dass sie beim Tode eines Ehe- Hofes, in der Praxis orientierte man sich dabei gatten auf dem Hof eine zweite Ehe eingehen aber zumeist an dem bei der letzten Verdin- durften, wenn die Kinder noch nicht alt genug gung vereinbarten Betrag. Dem Grundherrn für die Erbwinnung waren, doch galt dies bei war an einer möglichst hohen Abfindung sei- einem nicht auf dem Hof geborenen Ehegat- ner Ansprüche gelegen, der Bauer versuchte, ten nur eingeschränkt, indem ihm oder ihr mit sie niedrig zu halten. Entscheidend war in dem Rat der nächsten Verwandten sog. „Mal- jedem Fall, dass der Hof in seiner Substanz jahre“ bis zur Volljährigkeit des Erblings, d.h. nicht litt, denn nur dann waren von ihm jähr- bis dieser 25 Jahre alt war, zugebilligt wurden. liche Pachtzahlungen in voller Höhe zu er- Auch seit die Grafschaft Bentheim im warten. So schwankten die aufzubringenden Jahre 1753 an Kurhannover verpfändet war, Beträge in weiten Grenzen von Hof zu Hof richtete sich die Kammerverwaltung bei der und von Zeit zu Zeit. Johann Brüning zahlte Festlegung der außerordentlichen Gefälle ge- 1738 für vier Fälle nur zehn Reichstaler, Harm wöhnlich nach den früher getroffenen Ver-

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einbarungen. Gleichwohl wurde der aktuelle Giebt jährlich an Pacht 24 Scheffel Roggen, Zustand des Hofes stets mit berücksichtigt. Als 16 Scheffel Gerste, 10 Scheffel Hafer und 4 Rtlr hilfreich erwies sich dabei ein sog. „Pecu- 14 Str Holl. Pachtgeld. Fünfzig Gulden Dienst- lium“, eine meist vom Hausvogt vorgenom- geld sind von den vormaligen Wehrfester von mene Aufstellung mit Angaben zur Größe und der Herrschaft für 1000 Gulden abgekauft. Steuerpflicht des Hofes einschließlich einer Das Erbe hat jährlich noch zu verzinsen Abschätzung des Inventars, wobei insbeson- Letzte Erbwinnung 1787 65 Rthlr. dere der Viehbestand zu Buche schlug. Diese Letzter Frauen Auffarth 1796 36 Rthlr. konnte neben den Aktivposten – Viehbestand, Veldhausen den 18ten November 1828. Getreide auf dem Halm, bisweilen auch Ge- Der Hausvogt (gez.) Brüna. rätschaft – auch die auf dem Hof lastenden Schulden erfassen und dadurch einen guten Als ungewöhnlich hoch ist die 1819 von Jan Einblick in seinen Zustand vermitteln. Ratering zu Scheerhorn für die Zulassung „zum Erbgewinn und seine künftige Frau Dokument 3: Peculium (Vermögensstand) Schwenne zur auffahrt auf dem Erbe“ ver- Schul te zu Arkel, 1828. Quelle: FBA, F Akte 560 langte Summe von 200 Reichstalern anzuse- hen. Begründet wurde sie damit, dass sein Peculium des Herrschaftlichen Erbes Schulte Vater den Hof viele Jahre als Heuermann be- zu Arkel. Der WehrfesterHindrick Schulte wirtschaftet, ihn also selbst nie gewonnen nebst seiner ersten Frau Jenne Schrör und die hatte, obwohl er von ihm abstammte. Der für zweite Zwane Bielefeld sind todt. Auf dem Jan erst 1823 ausgestellte Erbwinnungsbrief Erbe sind acht Kinder, wovon die älteste Toch- garantierte seinen Nachkommen aber, dass sie ter aus erster Ehe namens Ale die Erbwinnung „vor allen anderen zur Nachfolge im Erbe zu- für sich die Auffarth für ihren künftigen Mann gelassen werden“. So wurden die Interessen Egbert Winkels und der Eltern Versterb zu ver- sowohl des Gutsherrn als auch des eigenbe- dingen wünscht. hörigen Bauern gewahrt. Das Erbe ist groß 61 Müdde, worunter 33 Müdde schlechter Wiesen und Weiden. Giebt jährlich Grundsteuer 18 r 12 gr. Hält 4 Pferde, Vechte, Steilufer und Schilf, 1956 (Gerrit Ranft) 8 Kühe, 40 Schafe.

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Hofhörige, Hoffreie, Freie Regel wurde dieses „Eine Beste“ aber schon im Von den 59 Bauernhöfen, die es in der 16. Jahrhundert mit Geld bar abgelöst. So ver- Gildschaft Scheerhorn um die Mitte des 17. zeichnet das Gödingsregister von 1578: „Kul- Jahrhunderts nach den Aufzeichnungen des man zu Scherhorn ist in meins gnedigen Land buches gab, waren wenigstens ein Drittel Herrn Freiheit verstorben, und hat die Frau ein eigenbehörig, ebenso wie ihre Bewohner. Das das Beste gedingt vor 6 Rixd.“ Verhältnis verschob sich bald kräftig infolge Seit etwa Mitte des 17. Jahrhunderts hat- zunehmender Besiedlung, wobei die Zahl der ten die Grafen zu Bentheim in Tinholt mehre- Eigenbehörigen nicht wuchs. Welchen Stand ren Kolonisten Wildgrund zur Kultivierung aber hatten die Bewohner der übrigen Höfe, zugewiesen und die Erlaubnis zur Ansiedlung also der überwiegenden Mehrzahl, wenn sie erteilt. Zu ihnen dürften die auf dem Landgö- nicht eigenbehörig waren? ding in Emlichheim 1670 vermutlich als Neu- Verallgemeinert, aber im Ansatz durchaus bauern zum Einen Besten verdingten „Gröne richtig ist die Behauptung des in Diensten der in Tinholt“ mit 6 Rt. ebenso wie „Klom Berndt hannoverschen Regierung stehenden Haus- in Tinholt“, der wegen des Versterbs seiner vogts Köhler in Neuenhaus, der in einem Be- Frau 3 Rt. zahlte, gehören. 1688 werden „die richt an seine vorgesetzte Dienststelle im sambtliche Nye Meyere im Tinholtz“ erwähnt, Jahre 1798 feststellte, dass die Bauern „im Ge- ohne dass sie namentlich aufgeführt werden. richt Emlicheim meistens bludtfreye Leuthe In gleicher Weise nennt sie das Rentamtsre- sind“. Sie waren damit nicht uneingeschränkt gis ter von 1718, wo es heißt, „die sambtliche frei, auch zeigt sich, dass es bei ihnen Unter- Meyere zu Tinholtz geben wegen ihre Frey- schiede gab. Das ist an Beispielen näher zu heit ahn Habern 25 Müdde“. Hier war also belegen. statt oder zu der einmaligen Sterbfallabgabe des Einen Besten eine jährliche Haferpacht Gräflich bentheimsche Freie eingeführt worden. Als Hille Hembke in Scheerhorn im Jahre Greifen wir auch einige Fälle aus dem 18. 1573 aus der Eigenbehörigkeit des Grafen zu Jahrhundert heraus, so heißt es in der gräfli- Bentheim entlassen wurde und aus der Hand chen Domänenrechnung von 1759 unter des Landdrosten ihren Freibrief entgegenneh- Scheerhorn, „Henrich Kaalman ist blutfrey“, men konnte, enthielt dieser die Bestimmung, und weiter Joan Schlickert „ist blutfrey und es „sall dieselbige Hille in meinß gnedigen bezahlet das Eine Beste“. In der Bauerschaft Herrn Echte und Frieheit pleiben“. Echte be- Tinholt fielen damals in diese Kategorie gleich deutet hier soviel wie Schutzverhältnis. Wäh- zwölf kleinere Höfe, deren Besitzer gleichfalls rend Freie in den Städten und auch in den „dem Leib-Eigenthum nicht unterworfen“ Dörfern den Schutz ihrer Gemeinschaft unter waren, die aber unterschiedliche Mengen an der Garantie des Landesherrn genossen, Getreide, manchmal auch Wachs oder einen konnte auf dem platten Lande auch ein mäch- geringen Geldbetrag jährlich an das gräfliche tiger Adliger (oder gar die Kirche) den Freien Rentamt lieferten. Das ging aber wohl auf Schutz vor fremder Gewalt und Rechtsschutz Auflagen zurück, die der Landesherr ihnen gewähren. Auch Hille Volker zu Arkel erhielt einst bei der Anweisung von Land oder das 1578 ihren Freibrief „mit dem bescheide, dass Recht zur Schafweide gemacht hatte. sie in meins gn(ädigen) Hern Frieheit pleiben Es waren vor allem die Besitzer jüngerer soll“. Damit bestand zwischen dem früheren und kleiner Hofstellen, zumeist Kotten und Grund- oder Leibherrn und dem jetzt Freien Brinksitzereien, nicht selten auch von Alt- weiterhin eine Form der Abhängigkeit, die ein und Backhäusern, die gräfliche Echthörige Leben lang währte. Erst nach dem Tode des wurden. Greifen wir aus der Fülle der Daten Echthörigen verlangte der Schutzherr aus dem die im gräflichen Domänenregister von 1806 Nachlass das „Besthaupt“, d.h. vom Mann das verzeichneten Angaben über die Zahlung des beste Pferd, von der Frau die beste Kuh. In der Einen Besten heraus, so heißt es: „Kropschots

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alte Frau von der Kalle 16 rt“ (= Reichstaler), Landvögtin (1532-1540) ausgetragenen Streit dann weiter „Schulten Harms alte Frau von mit Graf Arnold zu Bentheim, bei dem es um Scherhorn 6 rt“, und ebenso hoch veranlagt Weiderechte ging und von des Kaisers „hoff- wurde „Harm Wortels Ehefrau, Gildschaft horige Luyden ende Meyers in der Burschupp Scherhorn, 6 rt“. Nur wenig höher fiel der Be- toe Scherhorn“ die Rede ist. Namen dieser Hö- trag aus für „Bolle alte Frau aus Berthorn 7 rt“, rigen werden aber nicht genannt. da der Taxwert der Kuh anders ausfiel. Noch Sicher aus dem 16. Jahrhundert stammt 1830 nennt der Rentmeister der fürstlichen Do- das Bruchstück einer undatierten Liste mit der mänen unter den pflichtigen Bauern in Tinholt Überschrift „Erven ende koeten, hoeren yn „Jan van Ringe, ¼ Erbe, ist frei und bezahlt bei den hoff Ootmarsum yn der Parochie van Em- Versterb das Eine Beste“. Weiter heißt es dort, lichem“. Darin ist eine bemerkenswerte Nach- „Herm Schäfer, ein Kothen-Erbe, ist der Herr- richt über den Hof „Engesinck yn Bertehoern“ schaft nicht eigen und bezahlt das Eine Beste“. enthalten, wenn es heißt, „Lubbert Engesinck Die Sterbfallabgabe des Einen Besten besitter ys hoffvry en Alyt syn wyff was hoff- mussten alle Personen zahlen, wie es in den horych, mer daer ys se uthgekofft“, und sie Rechnungen des herrschaftlichen Landschrei- habe „sich nu gegeven yn der hoffry echte bers heißt, die „auf dem platten schatzbaren met Henrich oren oldesten sonne ock uthge- Lande wohnen“ und nicht adlig-frei waren. kofft“. Hier war also sichergestellt, dass auch Ausgenommen waren, so notierte 1781 der die nächste Generation auf dem Erbe hoffrei Landschreiber, alle dem Prinzen von Oranien sein und in der minder abhängigen Stufe der „in der Grafschaft zustehenden Guths-Leuthe, Hörigkeit bleiben würde, die sie frei machte welche in der Echte oder eigentlich zu dem von der Zahlung des Versterbs und der Erb- Hofe Ootmarsum gehören“. winnung. Es liegt an der nur bruchstückhaften ar- Ootmarsumer Hofhörige und Hoffreie chivalischen Überlieferung für die einst geist- Im Jahre 1475 ließ der Bischof von Utrecht lichen Güter, seien es die des Bischofs oder der von allen ihm pflichtigen Bauernhöfen in der Komturei Ootmarsum oder des Kapitels Ol- Twente eine Schatzung erheben, die auch vier denzaal, die in der Grafschaft Bentheim lagen Höfe in Scheerhorn und Bathorn erfasste, und im Gefolge der Säkularisation zunächst in nämlich Hercking, De Quade, Wedeling alias den Besitz des Kaisers und dann in Privathand Niring und Kopes Hinrich. In welcher Weise oder an die Staten van Overijssel gelangten, die Bauern auf diesen Höfen dem Bischof ver- wenn wir über einen langen Zeitraum nichts pflichtet waren, geht aus dem Register nicht über die Geschicke dieser Höfe erfahren. Hier- hervor. Kaiser Karl V. hat, nachdem er 1528 hin gehört aber eine Eintragung im Gödings- den Bischof von Utrecht als Landesherr in register von 1573, nach der sich Volkers zu Overijssel abgelöst und dessen Besitzungen Arkel Tochter Swenne aus der gräflich-bent- übernommen hatte, die Rechte der Bevölke- heimschen Echte freigekauft hatte und „uf des rung auf dem platten Lande, wie sie nach Konnings sitzen (= Hof) gefaren (war) und Recht und Herkommen überliefert waren, auf- sich in desselben Echt geben“ hatte. Auch hier zeichnen lassen. Danach gab es vier Klassen ist also von einer anderen Echte als der des von Hörigen mit unterschiedlichen Rechten Grafen zu Bentheim die Rede. und Pflichten. Nur zwei davon, die Hofhöri- Erst aus dem späten 17. Jahrhundert er- gen und die Hoffreien, nicht aber Kurmedige fahren wir Näheres aus einer von der Provinz und Eigenbehörige, gab es unter den Hörigen Overijssel erstellten Liste über „die geene, soo des Kaisers im Bereich des Kirchspiels Em- onder den Hof van Ootmarsum gehooren“ und lichheim. Nachrichten über sie sind spärlich in der Grafschaft Bentheim lagen. Dort wer- aber aufschlussreich. den unter den „Hofvryen“ in Bathorn genannt Erwähnt werden sie in einem während der Ensinck, Salminck, Coopshuis, Nierkinck, Amtszeit von Karls V. Schwester Maria als Quaden huis und Schiphouwer, während unter

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Scheerhorn aufgelistet sind Camphuys und meister zusicherte, dass er und seine Nach- Harm Schutten (in einer anderen Aufstellung kommen gleich anderen „Kettlerschen freyen wird er Schulten genannt). Von diesen Hof- Leuthen“ in der Grafschaft Bentheim „die per- freien heißt es, dass sie „jaarlijks op den Hof- söhnliche Freiheit“ behalten sollte und nach dag te Ootmarsum compareeren (= erscheinen) ihrem Tode aus ihrem Nachlass das Eine Beste moeten“. Für jeden von ihnen wird vermerkt, gefordert werde. Da aber der Hof, den er nun „betaald jaarlijks niets“, doch notierte der erhielt, „Herrschaftlicher aygenhöriger Grund“ Rentmeister 1739 in seiner Rechnung über die sei, müsse der Anerbe jedes Mal Erbwinnung den Staten van Overijssel gehörenden Domä- tun. nen (teilweise mit anderer bauerschaftlicher Zuweisung), dass jeder 25 Gulden zahlen Dokument 4: Meierbrief Lubbers, Tinholt, 1722 müsste, wenn er oder sie aus der Echte aus- Quelle: FBA, F Akte 196 scheiden wollte. Nachdem die hannoversche Klosterkam- Zu wießen sey hiemit männiglichen, dass der mer die „ehemaligen holländischen Güter“ Gerrit Hermssen Schulte dass lange Jahren (auch oranische Güter genannt) übernommen hero wüest gelegenes undt nun mehro Discus- hatte und von dem Rentmeister Köhler ver- sirtes Lubbers Gerdten Erbe in Tinholt Gild- walten ließ, nannte dieser 1814 in seinem Ein- schaft Scherhorn Kirspelß Emblichheim heut nahmeverzeichnis fünf Höfe, davon zwei in unten benenten dato ist vermeyert und einge- Scheerhorn und drei in Bathorn. Bei Kamps, räumet worden, also und folgendergestalt. Kwade und Koops vermerkte er: „ist bloß hof- 1. Daß erstlich derselbe sofort solches Erbe hörig“ , während er eine zu zahlende Geldpacht ankleben, alles Landt wo es auch gelegen, bei Ensink (7 fl 48 st) und Schiphauer (7 fl 1 st zu seinem undt deß Erben besten in guthen 4 d) eintrug. Mit dieser Zahlungsverpflich tung vollen frechten schaffen undt die davon werden sie auch 1857 noch genannt. alienirten Landereyen, wo die nun gelegen, frey antasten undt zu seinen und deß Erben Weitere Freie Besten nutzen solle, gebrauchen und culti- Zwischen wenigstens zwei der adligen Guts- viren möge; gestalten gene die unbewilligte herren in der Grafschaft Bentheim, die ihre Creditores, welche solche Landereyen in Güter bereits im 17. Jahrhundert an die Gra- Genuß haben oder einigen spruch an gen- fen zu Bentheim verkauft haben, und einigen meltes Erbe Lubbers machen wurden, Hoher der ihre Höfe bewirtschaftenden Bauern be- Obrigkeit schutz und rechtliche manute- stand früher ein Schutzverhältnis. Auch nach nentz geleistet werden solle. dem Übergang des Eigentums an Grund und 2. soll der Colonus Gerrit Hermsen Schulte ge- Boden behielten diese Bauern ihren Sonder- halten seyn, die gantz zerfallene gezimmerte status als freie Leute. Von einem einst den alß Hauß, scheuren, und sonsten in Dach Herren v.d. Toerne gehörenden Hof heißt es und fach der Gebühr nach zu ersetzen, die 1754, „Joan Drumme auf die Kalle ist gleich- Heggen und Zaune zu repariren undt in falß frey und hat ein freyes Erbe“, aus dem das guten esse zu conserviren pp gräfliche Rentamt allein eine jährliche Korn- 3. Hatt Er Gerrit Hermssen Schulte sich undt pacht an Roggen und Hafer hob. Auch Alfe- seine künfftige frauen unndt Erben wohl rink in Scheerhorn war früher „Thornischer austrucklich reservirt, dass bey verfallenes Meyer“, wie es in den gräflichen Domänen- Versterb mit ihme, seiner kunftigen Frauw- rechnungen heißt, und 1759 wird vermerkt: en undt Erben, gleich anderen dießer Graf- „Albert Alfering ist frey von Geblüte“. Wie schaft eingesessene Kettlerrschen freyen sich dies in der Praxis auswirkte, zeigt der Fall Leuthe möge gehalten werden, wie dem des Gerrit Hermsen Schulte, der 1722 das ihme undt den seinigen die persöhnliche zuvor lange wüste Erbe Lubbers Gerd in Tin- Freyheit vorbehalten bleibt undt nur allein holt übernahm, wobei ihm der Landrent- das Eine Beste bey jeden Versterb zu praes -

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tiren verpflichtet seyn solle, gleichwohl dass Das Ende der Hörigkeit der ankommender Erbling schüldig und ge- Die Französische Revolution und Napoleons halten seyn solle, alleweil dass Erbe hin Eroberungszüge brachten das Gedankengut wieder zu gewinnen, pleibendt das Erbe von Freiheit und Gleichheit aller Menschen in cum annexis wie alle Herrschaftl. Aygen- die Länder Europas. Es wirkte nach, auch nach- höriger grund expressive vorbehaltlich. dem die Franzosen 1813 wieder vertrieben 4. Dahingegen hatt Er Gerrit Hermssen Schulte waren und die Grafschaft Bentheim wenig vor sich undt die seinige angenommen, die später definitiv in das Königreich Hannover Jährliche pfachtgeldere ad fünf undt zwant- eingegliedert wurde. Schon 1820 diskutierte die zig Reichßtahler Holländisch undt wegen allgemeine Ständeversammlung des König- seiner undt den seinigen gnädigst erstatteten reichs über die gewünschte Aufhebung der freythumbß Ein Müdde Habern Jährlichß Sterbfallabgabe der Bauern, doch erst 1832 ent- ins Renth Ambt Nienhauss zu liefferen undt schied das Finanzministerium, „das sog. Eine zu bezahlen pp. Beste oder Besthaupt in der Grafschaft Bent- 5. In urkundt dessen habe ich als zeitlicher heim ferner nicht mehr einfordern zu lassen“. Landt Rentmeister diese eigenhändig un- Auch der Eigenbehörigkeit wurde ein Ende tergeschrieben und gegenwertigen recess uff gemacht. 1831 erließ Wilhelm IV. von England gnädige ratification Ihro Hochgräfl. Exc. als König von Hannover die „Verordnung Meines gnädigen Herrn zur Nachricht ver- über die bei der Ablösung der grund- und fertigt undt dem Colono mitgetheilt. Actum gutsherrlichen Lasten und Regulirung der Nienhauß den achten January Tausend Sie- bäuerlichen Verhältnisse zu befolgenden Grund- ben hundert zwantzig und zwey. (gezeich- sätze“, 1833 erschien dazu die „Ablösungs- net) F. Sibin, Landt Rtr. Ordnung“. Sie sollten einen Ausgleich für den Verlust der Rechte der früheren Gutsherren Genau diese Konstruktion des Verhältnisses schaffen. Bereits 1834 ließ die Hannoversche von Gutsherr und Bauer dürfte auch auf einen Klosterkammer, die alle säkularisierten vor- weiteren Hof in Tinholt zutreffen, von dem mals geistlichen Güter verwaltete, durch ihren es 1830 in der fürstlichen Domänenrechnung Rentmeister Köhler in Neuenhaus Verhand- heißt: „Egbert Schlickert, ein halbes Erbe, ist lungen mit den Bauern auf den einst dem Klos - blutfrei und bezahlt das Eine Beste, gibt Erb- ter Frenswegen eigenbehörigen Höfen in winnung und Versterb.“ Bathorn führen, um die Ablösung auf dem Festzuhalten bleibt, dass für die Freien Wege der Güte zu vereinbaren. Da die von unter den Bauern in der Gildschaft Scheer- Köhler errechneten Beträge recht moderat horn durchaus unterschiedliche Bedingungen waren, kam es bald zu einer Einigung. So ver- „Vechtestrand“ im Verhältnis zu ihrem Schutzherrn galten, fügte die Klosterkammer, dass „die von den in 1956 „Hooge Kalle“ (Gerrit Ranft) die historisch gewachsen sind. Eigenbehörigen der Kloster Receptur Bent- heim für die ungewissen Eigenthums-Gefälle und ungemessenen jährlichen Spanndienste“ jährlich zu zahlende Rente erstmalig Martini 1835 fällig sein sollte. Ihre Höhe betrug für Johann Harm Blömer vier Gulden, für Warse gr. Wieferink (oder Wiechmink) sechs Gulden und für Wwe. kl. Wieferink fünf Gulden. Schwieriger gestaltete sich die Ablösung für die Eigenbehörigen des Fürstlichen Hau- ses. Aufgrund seines Einspruches traten die Ablösungsgesetze für die ihm eigenbehörigen Höfe, also die Mehrzahl aller Höfe in der Graf- schaft, vorerst nicht in Kraft. Nach langen

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Prozessen unterwarf sich der Fürst erst 1848 spiel und verpflichteten sich, jedes Jahr eine im Vertrag über die standesherrlichen Ver- zumeist relativ bescheidene Summe zu ent- hältnisse des Fürstlichen Hauses Bentheim richten, die sie befreite von den Zahlungen hinsichtlich seiner Besitzungen den hanno- „für Gewinn, Auffahrt, Sterbefälle und Frei- verschen Ablösungsgesetzen. briefe, für die Holznutzung (und) für den Damit konnten auf Antrag der Betroffenen Heimfall“, wie die Standardformulierung in die ordentlichen Gefälle durch Einmalzahlung den Ablöse-Rezessen lautete (Tab. 3). des 25fachen Betrages für immer abgelöst Um teilweise erheblich höhere Summen werden. Ihren Wert ermittelte eine staatlich ging es bei der Ablösung der ordentlichen Ge- eingesetzte Ablösungs-Kommission unter Zu- fälle. Sie konnte für einige Höfe zwar schon grundelegung marktüblicher Preise für die zu bald rechtsverbindlich abgeschlossen werden, liefernden Naturalien. Da nicht immer fest- zog sich aber bei anderen noch einige Jahre stand, ob das Fürstliche Haus allein Anspruch hin. Da die bisherigen Verpflichtungen für Bar- auf diese Leistungen hatte, forderte sie Dritte zahlungen (etwa für das Dienstgeld) fast immer durch öffentliche „Edictalladung“ auf, ihre in holländischen Gulden ausgewiesen waren, Rechte geltend zu machen. Nach Ablauf die- die der Ablösung von Naturallieferungen zu- ser Frist wurde das Ergebnis der Auseinan- grunde liegenden Normalpreise aber in gängi- dersetzung, wenn beide Parteien zustimmten, ger Münze (Courant) berechnet wurden, gaben in einem förmlichen „Ablösungs-Rezess“ fest- die Rezesse das Ablösekapital in aller Regel in gehalten. Die Zahlung der Ablösesumme machte zwei Währungen an (Tab. 4). Fast alle betrof- die Bauern frei von diesen Leistungen. fenen Hofbesitzer haben mit den Grundabga- Etwas komplizierter war die Ermittlung des ben zugleich auch die bisher gezahlte Rente für Ablösungs-Betrages für die veränderlichen die früheren außerordentlichen Gefälle mit Gefälle. Dazu hatte der Gesetzgeber bestimmt, dem 25-Fachen ihres Jahresbetrages abgelöst. dass „die Ausmittelung nach dem Durch- Die für die Ablösung errechneten Beträge schnitte derjenigen Beträge geschehen (sollte), weichen für die einzelnen Höfe stark von- welche in den letzten sechs Fällen gezahlt einander ab, da sie sich aus höchst unter- worden sind“ und dazu genau vorgegeben, wie schiedlichen Lieferungen und Leistungen zu- dies geschehen sollte. Die Ablösung konnte sammensetzen. Warmer etwa löste je 12 entweder durch eine einmalige Kapitalzahlung Scheffel Roggen und Gerste sowie eine Geld- oder durch eine jährlich zu entrichtende Rente pacht von 22 Rt. 33 St. mit insgesamt 2133 erfolgen. Als erster hat offenbar Hannebrook Gulden Kapital ab. Der Schulte zu Scheerhorn in Hoogstede noch 1848 die unständigen Ge- hingegen musste für die Ablösung von 72 fälle abgelöst und dafür eine Rentenzahlung Scheffel Roggen und 80 Roggengarben eine von vier Gulden 14 Stüver im Jahr verein- Ablösesumme von 1569 Taler courant oder bart. Schnell folgten auch andere seinem Bei- umgerechnet 2832 Gulden aufbringen.

Hofname Jahr der Umwandlung Jährliche Rente Ablösung, Kapitalzahlung Tab. 3: Umwandlung der unständigen Gefälle Hannebrock 1848 4 gl 14 st 1854 in eine jährliche Rente Kolhoff 1848 5 gl 10 st 1855 (in Gulden und Stüver holl.) und deren Warmer 1850 6 gl 1850 endgültige Ablösung Schulte zu Arkel 1850 10 gl 1853 durch Kapitalzahlung Süvermann 1851 3 gl 9 st 1854 Jüring 1851 4 gl 5 st 1856 Völkers 1851 5 gl 12 st 1854 Raterink 1851 9 gl 8 st 1854 Bruning 1851 3 gl 8 st 1854 Hemmeke 1851 4 gl 1851 Prenger zu Berge 1851 3 gl 10 st 1855

48 GRUNDHERRSCHAFT UND HÖRIGKEIT IN DER GILDSCHAFT SCHEERHORN

Hofname Jahr Kapital, holl. Gulden Kapital, Rt. Courant Kaalmann 1849 - 236 r 2 gGr 8 pf Warmer 1850 2133 gl 4 st 3 dt . Schulte zu Arkel 1853 1767 gl 10 st 851 r 3 pf Völkers 1854 1157 gl 10 st 290 r 4 gGr 7 pf Ratering 1854 1485 gl 49 r 15 gGr 8 pf Hannebrock 1854 688 gl 15 st 489 r 1 gGr 8 pf Brüning 1854 1501 gl 1 st 856 r 14 gGr 4 pf Suvermann 1854 1002 gl 10 st 653 r 21 gGr 9 pf Hatger .... 320 gl 604 r 16 gGr 6 pf Kolthoff 1855 655 gl 307 r 9 pf Prenger zu Berge 1855 310 gl 12 st 4 d 787 r 1 gGr 6 pf Sch. zu Scheerhorn 1856 - 1569 r 3 pf Jeuring 1856 1558 gl 15 st 894 r 21 gGr 1 pf Hemmecke 1859 1416 gl 5 st 563 r 24 gGr 4 pf

Tab. 4: Ablösung der Grundabgaben und der Rente gl = Gulden, st = Stüver, d = Deut, r = Reichstaler Courant, gGr = gute Groschen, pf = Pfennig. Tabelle zusammengestellt nach Unterlagen im Fürstlich-Bentheimschen Archiv in Burgsteinfurt

Dokument 5: Edictalladung Süvermann, Scheerhorn 1854

Edictalladung Süvermann, Scheerhorn 1854 Quelle: Osnabrücker Anzeigen 1854 (Heinrich Voort)

49 1 URKUNDEN, VORGESCHICHTE, VECHTE

Sehr spät erst wurden die jährlichen Zah- Höfe verfügen. Wie alle anderen Bürger un- lungen zweier einst höriger Höfe abgelöst, die seres Landes trugen sie allein noch jene Las - nach der Säkularisation mit den „oranischen ten und Verpflichtungen, wie sie Staat und Gütern“ an die hannoversche Klosterkammer Gesellschaft forderten. gekommen waren. Rentmeister Crameer be- richtete ihr 1870, dass er den Pflichtigen Literatur auftragsgemäß die Ablösung durch Kapital- Anon., Onuitgegeven Memorie van Racer over de Hofho- righeid; in: Verslagen en Mededelingen Overijssels zahlung von je 71 Gulden 18 Stüver nahege- Regt en Geschiedenis, dl. 2, 1862, p. 17-62 legt hatte, doch nur Ensing in Bathorn war P.G. Aalbers, Het einde van de horigheid in Twente en Oost-Gelderland 1795-1850; Zutphen 1979 dazu bereit. Schiphouwer in Scheerhorn hatte Ludwig Edel, Von der Herrlichkeit Emlichheim; in: Jahr- sich zum angesetzten Termin nicht eingefun- buch Heimatverein Grafschaft Bentheim 1953, S. 34-40 Joannes Henricus Jungius, Codex diplomatum et docu- den, sodass Crameer anregte, ein ordentliches mentorum .... pro historia antiquissimae Comitatus Bent- Ablöseverfahren einzuleiten. Das dürfte un- heimiensis; Hannover/Leipzig 1773 Heinrich Specht, Kloster und Stift Wietmarschen. verzüglich erfolgt sein. Eine Siedlung am Südrande des Bourtanger Hochmoores Die Ablösung grundherrlicher Lasten be- (Das Bentheimer Land, Bd. 39), Nordhorn 1951 Albert Rötterink, Chronik der Gemeinde Emlichheim, 1970 endete für die große Mehrzahl der Bauernhöfe Heinrich Voort, Die „außerordentlichen Gefälle“ aus den in der früheren Gildschaft eine viele Jahrhun- eigenbehörigen Höfen in der Grafschaft Bentheim; in: Jahrbuch Heimatverein Grafschaft Bentheim 1980, S. 10-38 derte lange Periode wirtschaftlicher Abhän- Derselbe, Das Wechselbuch des Klosters Frenswegen; in: gigkeit von einem Gutsherrn. Sie stand am Beiträge zur Geschichte des Klosters Frenswegen (Das Bentheimer Land, Bd. 100), Bad Bentheim 1982, S. 9-66 Ende einer Entwicklung, die die Mitsprache Derselbe, Die gräfliche Echte – Zur Stellung von freien, des Gutsherrn bei Heirat und Erbfolge, bei wachszinsigen und keurmedigen Bauern in der Grafschaft Bentheim; in: Jahrbuch Heimatverein Grafschaft Bentheim Brautschatz und Abkehr vom Hof nur schritt- 1983, S. 19-36 weise aufhob. Die nunmehr freien Bauern Derselbe, Das Landbuch des Kirchspiels Emlichheim aus dem Jahre 1656 (Das Bentheimer Land, Bd. 148), Tinholter Brücke konnten fortan uneingeschränkt über ihre Bad Bentheim 2000 1956 (Gerrit Ranft)

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