4. Erbe Und Zukunft: 725 Jahre Stralsund
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146 III. Die Repräsentationen im Systemwandel handen „wie eine zähe Anhängerschaft an alten Festbräuchen".252 Genau auf diese Mischung ging die nationalsozialistische Stadtführung ein. So wurde aus dem tra- ditionellen Schützenfest im Juni 1938 ein „Volksschützenfest", das einen „Volks- schützenkönig" erkor. Traditionelles und Neues sollten im Festkalender der Stadt eine Verbindung eingehen. „Es werden so mit der Zeit hier am Orte die Feiern des l.Mai, des Erntedankfestes, die großen Feiertage der Bewegung zusammen mit der Bevölkerung und der Junge Norden als Treffen der Jugend alljährlich im Vor- dergrund stehen und das Volksschützenfest alle Bevölkerungskreise auf der histo- rischen Grundlage dieses Stralsunder Volksfestes vereinigen."253 Offenkundig traf diese Mixtur von Unterhaltung und mehr oder weniger offe- ner ideologischer Instrumentalisierung traditioneller Elemente die Zustimmung des Publikums weit eher als die auf Distanz orientierte, straffe Kampfinszenierung der NSDAP zu Karpensteins Zeiten. Welche Folgen dies im Hinblick auf Identi- tätsbildung der städtischen Gesellschaft, der Erringung von Loyalität und Zustim- mung zur Diktatur jeweils hatte, lässt sich kaum exakt beantworten. Eine in brei- terem Maße spürbare Abwehr oder Zurückhaltung ist jedenfalls nicht dokumen- tiert. Die Stadt als gesellschaftlicher und kultureller Erfahrungsraum spielte auch in der Zeit der NS-Herrschaft eine prominente Rolle. Und trotz der allgemein zu konstatierenden Prozesse der Entmachtung und Gleichschaltung der Kommunen füllte Stralsund auch in dieser Phase eine initiierende Funktion mit überstädtischer Bedeutung aus. 4. Erbe und Zukunft: 725 Jahre Stralsund 4.1 Mobilisierung und Improvisation Am 11. Februar 1959 konstituierte sich beim Rat der Stadt Stralsund ein „Komitee zur Vorbereitung und Durchführung der Ostseewoche 1959 und der 725-Jahrfeier der Werftstadt Stralsund".254 Das Gremium umfasste 21 Mitglieder. Den Vorsitz des Komitees führte der stellvertretende Vorsitzende des Rates der Stadt, Heinz Vorbeck (SED), ein Mitglied des Rates des Kreises fungierte als sein Stellvertreter. Die Zusammensetzung des Komitees spiegelte eine breite Basis aus Blockparteien und Massenorganisationen wider. Auch Delegierte aus den Betrieben, darunter der Volkswerft, und zwei Genossenschaftsbauern gehörten dem Komitee an. Wenig verwunderlich war, dass die SED-Mitglieder im Komitee in der Mehrheit waren (11 von 21), und ebenso selbstverständlich war unter den politischen Be- dingungen der DDR, dass sowohl die Zusammensetzung wie auch die Arbeit des Komitees von der Kreisleitung der SED beschlossen beziehungsweise nach jewei- 252 Amt für Kommunalpolitik, gez. Stoll, an Gauleitung der NSDAP, Amt für Kommunalpolitik, 26.7.1938, Tätigkeitsbericht für den Monat Juli 1938, in: StaS, Rep. 29/584. 253 Amt für Kommunalpolitik, gez. Kreisamtsleiter [Stoll], an Gauleitung, Amt für Kommunal- politik, 30.6.1938, Tätigkeitsbericht für den Monat Juni 1938, in: StaS, Rep. 29/584. 254 Rat der Stadt, 1. Stellvertr. des Vorsitzenden (Vorbeck), an Kollegen Stadtrat Wessel, 9.2.1959: Mitteilung über die erste konstituierende Sitzung des Ostsee-Komitees am Mittwoch, 11.2.1959, in: StaS, Rep. 54/487. 4. Erbe und Zukunft 147 liger Vorlage bestätigt wurden.255 Der Parteihierarchie entsprechend, berichtete die Kreisleitung wiederum an die nächsthöhere Instanz, die Bezirksleitung der SED in Rostock.256 Das Vorbereitungskomitee beschloss im April 1959 einen Maßnahmenplan, der nicht nur den organisatorischen Aufbau der Vorbereitungsgruppen, sondern auch die inhaltliche Zielrichtung festschrieb.257 Der Plan sah die Bildung von sieben Arbeitsgruppen vor, die durch das Komitee angeleitet und beauftragt wurden. Im Einzelnen waren Arbeitsgruppen für folgende Bereiche zu errichten: 1. Agitation, 2. Kultur, 3. Sport, 4. Stadt- und Dorfverschönerung, 5. Handel, 6. Verkehr, 7. Fi- nanzen. Die Arbeitsgruppen wiederum hatten innerhalb ihrer Arbeitsbereiche „Aktivs" zur Lösung „bestimmter Schwerpunktfragen unter Hinzuziehung der Vorsitzenden der Wohnbezirksausschüsse der Nationalen Front, der Abgeordne- ten und aller Bürger des Stadt- und Landkreises" zu bilden.258 Dieses detaillierte Organisationsgerüst und die Vorspiegelung einer breiten Partizipation politischer und gesellschaftlicher Organisationen verdeckten ein grundlegendes Problem: Die außerordentlich kurze Vorbereitungszeit für die Festveranstaltungen, die nicht nur im Vergleich zu den langfristigen und sorgfältigen Vorbereitungen der 300-Jahr-Feier 1928, sondern selbst noch im Vergleich zu dem eher provisorischen Vorlauf der 700-Jahr-Feier 1934 auffällt. Obwohl die Organisatoren mit der im Vorjahr erstmals durchgeführten „Ostseewoche" bereits Erfahrungen in der Ge- staltung und Durchführung dieser in die Ostsee-Region gerichteten DDR-Präsen- tation gesammelt hatten, und auch ab Dezember 1958 erste Vorbereitungsarbeiten in Angriff genommen worden waren, war der Zeitvorlauf für die Festwoche 1959 extrem kurz, sollten doch schon ab Mai 1959 mit dem 150. Todestag Ferdinand von Schills die ersten Veranstaltungen einsetzen und ab Ende Juni dann die offizi- elle Festwoche beginnen. Diese allgemeine Zeitnot zwang zur Improvisation. Die Arbeitsgruppe Kultur, die für das Festprogramm zuständig war, kritisierte dies und bemängelte auch, dass die Mitarbeit der Nationalen Front und der Massenor- ganisationen nur auf dem Papier gestanden habe und diese die Arbeitsgruppen nicht wirklich unterstützt hätten.259 Auch im Abschlussbericht des Komitees 255 SED-Kreisleitung Stralsund, Beschlussprotokoll Nr. 37 der Bürositzung vom 7. Februar 1959, in: LAG, Rep. IV 4/09, Nr. 316, B1.004, sowie Rat der Stadt Stralsund. Bürovorlage über die Bildung eines Ostsee-Komitees für den Stadt- und Landkreis Stralsund, Stralsund, den 6.2.1959, in: Ebenda, Bl. 143-145. 256 Siehe die laufende Berichterstattung zur Vorbereitung und Durchführung der Festveranstal- tungen in: LAG, Rep. IV 4/09, Nr. 411. 257 Maßnahmenplan für den Stadt- und Landkreis zur Vorbereitung und Durchführung der Ost- seewoche 1959 und der 725-Jahrfeier der Werftstadt Stralsund - 26. Juni bis 5. Juli 1959. Mit vorläufigem Veranstaltungsplan, o.D., in: StaS, Rep. 50/634. In diesem gedruckten Plan ist vermerkt, dass das Komitee ihn am 10.4.1959 verabschiedet habe, dabei muss es sich um einen Datierungsfehler handeln, das Komitee kam erst am 11.4.1959 erstmalig zusammen, siehe auch Rat der Stadt, Komitee Ostsee-Woche, Arbeitsgruppe Kultur, an das Komitee zur Vorbe- reitung und Durchführung der Ostsee-Woche z. H. Gen. Vorbeck, 3.3.1959: Bericht über die von der Arbeitsgruppe Kultur bisher geleistete Arbeit, in: StaS, Rep. 54/487. 258 Maßnahmenplan für den Stadt- und Landkreis zur Vorbereitung und Durchführung der Ost- seewoche 1959 und der 725-Jahrfeier der Werftstadt Stralsund - 26. Juni bis 5. Juli 1959. Mit vorläufigem Veranstaltungsplan, o.D., S.2, in: StaS, Rep. 50/634. 259 Vg] Kommission zur Vorbereitung und Durchführung der Ostsee-Woche - Arbeitsgruppe Kultur - Stralsund, den 13. Juli 1959: Bericht über die Arbeit der Arbeitsgruppe und Auswer- tung der geleisteten Arbeit, gez. Wessel, Leiter der Arbeitsgruppe, in: StaS, Rep. 50/634. 148 III. Die Repräsentationen im Systemwandel wurde der späte Beginn der Vorbereitungsarbeiten als „Hauptfehler" hervorge- hoben.260 Diese Mängel der Vorbereitung erstaunen umso mehr, als sich die 725-Jahr- Feier der Stadt nicht nur in den Rahmen der Ostseewoche261, sondern in ein wei- teres zentrales Datum einfügte: Das zehnjährige Jubiläum der DDR. Genau diese Zusammenhänge hob auch der erwähnte Maßnahmenplan hervor. Unter dem übergreifenden Motto: „Ostsee ein Meer des Friedens", das sich propagandistisch gegen „die aggressive Nato-Politik" der bundesrepublikanischen „Adenauer-Mili- taristen" richtete, betonte das Vorbereitungskomitee, dass Stralsund wegen seines Stadtjubiläums neben Rostock als Hauptveranstaltungsort der Ostsee-Woche „im besonderen Blickpunkt des Geschehens und des Besucherstroms des In- und Aus- landes" liege. „Die gesamte Arbeit in Vorbereitung und Durchführung der Ost- seewoche und der 725-Jahr-Feier ist zur Entwicklung einer breiten politischen Massenarbeit in Vorbereitung des 10. Jahrestages der Gründung unserer Republik zu nutzen."262 Die Gründe für den späten Vorbereitungsbeginn bleiben im Dun- keln. Die umfangreich überlieferten Materialien zur Planung und Durchführung der Festivitäten enthalten zwar reichlich Kritik an eben jenem Tatbestand, aber keinerlei Hinweise auf dessen Ursache. Trotz gedrängter Zeit und Improvisationszwangs formulierten die Organisa- toren hochgesteckte Ziele, die eine propagandistische Wirkung im Sinne der vom V. Parteitag der SED im Juli 1958 verabschiedeten „Hauptaufgabe", Westdeutsch- land bis 1961 im Pro-Kopf-Verbrauch der wichtigsten Lebensmittel und Konsum- güter eingeholt und überholt zu haben, entfalten sollten.263 Zahlreiche Veranstal- tungen, darunter ein eigens für die Festwoche inszeniertes Festspiel und ein Fest- zug als Höhepunkte, Sportturniere, Theater- und Filmvorführungen, Ausstellungen sowie politische Aussprachen mit ausländischen und vor allem westdeutschen Gästen waren vorgesehen. Maßnahmen der Stadtverschönerung und eine ver- besserte Versorgung sollten ein positives Bild vermitteln. Für die Durchführung dieser ehrgeizigen Vorhaben erschien eine umfassende Mobilisierung der Bevölke- rung erforderlich. Sämtliche Parteien und Massenorganisationen hatten in den Monaten April bis Juni ihre Arbeiten entsprechend der ideologischen Hauptfra- gen im Zusammenhang mit dem Stadtjubiläum