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FUSSBALL New Economy im Pott Schalke 04 stand immer für Tradition und Emotion. Die jüngsten Erfolge sind jedoch das Resultat eines neuen Schalke, das mit inzwischen sechs Tochtergesellschaften wie ein Konzern auftritt und sogar die Integration Andreas Möllers vom Erzrivalen zulässt.

eulinge im Spielerkader des FC Schalke 04 wurden vergangene Wo- Nche von einem indiskreten Anruf überrascht. Frau Sobotta von der Ge- schäftsstelle des Bundesligaclubs war am Apparat und erkundigte sich nach den ak- tuellen Körpermaßen. Auch die Schuh- größe wollte sie wissen. Die scheinbar vorwitzige Telefonaktion diente der Vorbereitung einer Auswärts- tour. Frau Sobotta hatte die alljährliche Grubenfahrt zu organisieren, die diesmal an die Kohleflöze der Zeche „Auguste Vik- toria“ führt, und brauchte die Angaben zur Bestellung der Bergmannskluft. Der traditionelle Mannschaftsausflug zu den Fördersohlen unter Schalke soll eine Verbundenheit mit der malochenden Be- völkerung demonstrieren und die kicken- den Millionäre an die Zeiten erinnern, da die Schalker „Knappen“ erst zum Training kommen konnten, wenn Schicht im Schacht war. Tradition und Volksnähe, sagt nämlich Manager Rudi Assauer, während er mit Daumen und Zeigefinger den Ein- gang in die Schachtel Davidoff Grand Cru No. 3 sucht, bildeten nach wie vor „die Philosophie des Vereins“. Tradition. Volksnähe. Philosophie. As- sauer, den der Managerkollege vom Bran- chenrivalen Borussia Dortmund neulich noch als „Kaschmir-Proleten“ bezeichnete, benutzt diese Begriffe, als habe er sie in sei- nem Laptop gespeichert. Schalke 04, das war: Kuzorra, Libuda, Bundesliga-Skan- dal. Dampfendes Gefühlschaos, emotiona- le Heimat, glückliche Kumpels. Alles das ist Schalke 04 nicht mehr. Ein Betriebsausflug unter Tage wirkt wie ein Besuch des haus- eigenen Museums. Schalke ist zwar wieder trendy – aber nicht dank einer rückwärts gewandten Sehnsucht. Fast unbemerkt hat sich der Verein im Windschatten der Branchenfüh- rer aus München, Dortmund und Lever- kusen zu einem Unternehmen entwickelt, das der Bundesliga die Richtung weist. Und ausgerechnet in Schalke beginnt der Fan, die Errungenschaften der Fußball-Un- terhaltungsindustrie mit wohlwollendem Gleichmut zu goutieren. Mit dem Einkauf ausländischer Spitzen- kräfte aus aller Welt und ausgefeiltem

Zweckfußball, der strategisch darauf grün- I. FASSBENDER det, Fehler zu vermeiden, ist das Team ins Schalke-Profi Möller (mit Trainer Stevens im Vordergrund), Zuschauer-Transparent: „Und dich

232 der spiegel 47/2000 Schalkes Weg von der Skandalnudel zum FIRO Vorzeigeclub der Bundesliga Künftige „Arena Auf Schalke“ „Bedürfnis nach Komfort“ • Oktober 1993: Präsident Gün- Obergeschoss der Bundesligatabelle zu- Millionen Mark den Auf- ter Eichberg dankt ab, hinterlässt dings beim Stadionzutritt rückgekehrt. Der lukrative Zugang zu den stieg zum Umsatzfaktor 19 Millionen Mark Schulden. Alkoholkontrollen durch- Geldsäcken der Champions League scheint geschafft. In der Halb- • Dezember 1994: Der Verein führt und nur 1,6 Promil- in dieser Saison möglich. zeitpause eines Spiels gibt sich eine neue Satzung. le erlaubt. Schwer vorstellbar, dass sich Fußball-Le- könnten künftig an den Der Vorstand wird nicht mehr Früher war Schalker- gionäre wie der Belgier Emile Mpenza – 32 Kiosken der „Arena von den Mitgliedern gewählt, Sein anders. Vor 70 Jah- womöglich im Grubenkittel – für die För- Auf Schalke“ mit ihren sondern vom Aufsichtsrat ren ertränkte sich der derleistung der Schrämmaschinen begeis- 50 Grillplatten und 140 bestimmt. Manager Rudi Schatzmeister Willi Nier, tern, bloß weil das Clubidol Zapfhähnen 30000 Besu- Assauer wird hauptamtliches als aufgedeckt wurde, einst die Kohlenwagen eigenhändig auf die cher verköstigt werden. Vorstandsmitglied. dass er verdienten Spie- Sohlen brachte. Der junge Stürmer, der in Im alten Parkstadion lern fünf Mark mehr als • Oktober 1996: weniger als einem Jahr je einen Porsche brauchte man nach As- erlaubt gezahlt hatte, im und einen Ferrari zu Schrott fuhr, versteht sauers Schätzungen „da- wird Trainer. Rhein-Herne-Kanal. Heu- unter Volksnähe allenfalls, samstags ver- für eine drei viertel Stun- • Mai 1997: Gewinn des Uefa- te hat die Stadion-Besitz- lässlich ins Tor zu treffen. de Halbzeitpause“. Pokals. Die Einnahmen dienen gesellschaft ein Projekt- Dem Charme des erdnahen Arbeiter- So werde man künftig, dem Schuldenabbau. Controlling eingerichtet vereins ist der Schalke-Konzern im Zuge dank verbesserter Kapa- • Juli 1999: Als teuerster Profi und mit der Aufsicht eine seiner Komplettmodernisierung längst ent- zitäten, 20 000 statt bis- der Clubgeschichte kommt Ebbe Dortmunder Firma be- rückt. Inzwischen hat der Club seine sechs- her 6000 Würste pro Par- Sand für 10,3 Millionen Mark. traut, die der verhasste te Tochtergesellschaft gegründet. „Das tie verkaufen. Nach Hun- • Juli 2000: Andreas Möller Ruhrpott-Rivale Borussia Herzstück“, sagt Assauer, sei aber noch ger fragt Assauer nicht. wechselt aus Dortmund. empfahl. immer „der Fan“. Allerdings nicht einfach Den Hunger bestimmt er. • Sommer 2001: Die „Arena Auf Nur in diesem Klima nur so, als Mensch. Das wahre Herzstück So lernt der Fan auch, Schalke“ soll eingeweiht werden. konnte passieren, dass ist der Fan als Bratwurstesser. in Annuitäten zu denken. Schalke mit seinem vor- Weil es „die Fußballkultur im Ruhrge- Zusammen mit den Stei- maligen Lieblingsfeind biet“ so vorschreibe, dürfe aus der neuen gerungen aus dem Nachbarzweig Banden- Frieden geschlossen hat. Andreas Möller, Hightech-Arena, die im nächsten Sommer werbung und addiert zum Erlös aus der Ver- das von Dortmund herüberkonvertierte fertig werden soll, „kein Champagnertem- mietung von 72 Logen und 1400 Business- Sinnbild der gepflegten Nachbarschafts- pel werden“, weiß der Manager. Bierchen Seats schlägt der erwartete Catering-Boom animositäten, half mit seinem ersten Bun- und Bratwurst müssten erlaubt bleiben. auf den Clubumsatz durch: 120 Millionen desligator für Schalke beim denkwürdi- Nur hat auch das Grundnahrungsmittel statt wie bisher rund 80 Millionen Mark, gen Sieg über die mächtigen Bayern aus des Zuschauers in einem Stadionprojekt schätzt der Vorstand – bei gleicher München. mit einem Investitionsvolumen von 358 Stadionauslastung und Anzahl von Spielen. Aber ist Möller deshalb schon ein echter Knapp 28000 von 61000 Plätzen sind für die Schalker? Das Reizthema taucht ab in der gesamte kommende Saison schon vergeben. Anonymität der Erfolgserlebnisse. Auch Prompt passt sich das Publikum dem Möller selbst, sonst ein Freund krampfigen Wachstumsstreben des Fußballs an. Das Pathos, wirkte keine Spur überspannt, als „Bedürfnis nach Komfort“ sei gestiegen, er „hiermit“ sein Tor den Fans widmete. eröffnete der Sprecher der Fan-„Arbeits- Möller, „Heulsuse Möller“, galt als In- gemeinschaft Stadionneubau“. Sie ist As- begriff des wehleidigen Profis und feigen sauers letztes Argument. Keiner kann jetzt Strafstoßschinders. Schalke-Fans tauften noch sagen, er habe den Tempel am Fan ihn im Internet „Andrea Möller“, im Fern- vorbeigeplant. sehen nannte ihn Harald Schmidt eine Was nimmt man als moderner Aficiona- „berühmte Spielerfrau“. do nicht alles hin. Dass Schalke nicht mehr Möller war „immer sehr selbstkritisch, nur Schalke, sondern zergliedert ist in eine besonders mir selbst gegenüber“, doch sein Betriebsgesellschaft, eine Museumsgesell- dauernd leidverzerrtes Antlitz kam in Gel- schaft, eine Cateringgesellschaft, eine senkirchen als das Gesicht der Borussia an. GmbH für Ticketing und Sicherheit. Dass „Und dich“, schrieb einer im offenen Brief, der Sportminister Nordrhein-Westfalens „setzt man uns nun zum Bejubeln vor.“

FIRO das neue Schalke als „Tourismusfaktor“ Der Vorstand empfahl, erst mal die Leis- setzt man uns zum Bejubeln vor“ preist. Oder dass der Wachdienst neuer- tungen des Geschmähten abzuwarten. Doch

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Alexander Jokisch, der den Künstler- wettbewerb zur Gestaltung des Gottes- dienstraumes gewann, will auf dem Altar- bild „die Schlacht, das Spiel, die Entschei- dung“ zeigen – die Entscheidung „im Zweikampf“ oder „im Kampf mit sich selbst“. So kompliziert hatte die Schalker Glaubensgemeinschaft ihre Hingabe bis- lang gar nicht gesehen. Wie volksnah ist Schalke 2000? Zum Richtfest des neuen Fußballtempels Ende dieses Monats durften die Seelsorger aus dem Vorstand die Fans nicht einladen. Das Bauordnungsamt legte aus Sicherheits- gründen sein Veto ein. Für sechs Mark Ein- tritt kann aber wahlweise das Stadion besichtigt oder das neue Fußballmuseum besucht werden. Da ist etwa Kuzorras Führerschein oder Fritz Szepans Entnazifizierungsurkunde zu sehen. Die Vereinschronik, an großen Ta- feln illustriert, endet mit zwei historischen

TEAM 2 / IMAGO Daten des Jahres 2000. Der Möller-Trans- Schalker Helden Anderbrügge, Lehmann*: „Melancholische Sehnsucht“ fer im Mai und ein geheimnisvoller Vor- gang vom Juli: „Die FC Schalke 04 AG sei „dem Phänomen Schalke“ leider ra- tung des Stadionprojekts für die anlegen- wird ins Handelsregister eingetragen.“ tional nicht beizukommen, schrieben Fans den Kommanditisten zügige Rendite. Trai- Schon schwante Paul Matzkowski, 79, dem in ihrer Postille „Schalke unser“ zurück, ner Huub Stevens machte sich ans Werk, Freistoßspezialisten der fünfziger Jahre, und: Natürlich solle Möller, „wenn er denn ein kühl kombinierendes Team aufzubau- das „04“ im Clubnamen könne man dann schon einmal da ist“, auch „gefälligst“ gut en, heftige Rückschläge nahm man in Kauf. ja wohl „streichen“. kicken. Es scheint, als solle sich irgendwann al- So sei das eben nicht, wissen die Herren So ist es gekommen. Aber die „fast les verzinsen. New Economy im Pott. Das vom Vorstand zu entgegnen. In allen neu- schon melancholische Sehnsucht nach ei- ganze Vereinsleben findet jetzt in der Zu- en Tochterunternehmen habe der Verein ner Identifikation“ („Schalke unser“) stillt kunft statt. Und irgendwann werde man das Sagen, erläutert Schalke-Geschäfts- auch der prominente Zugang nicht. Einsti- von all diesem Fortschritt etwas haben, führer Peter Peters. 04 bleibt 04. Schalke ge Lieblinge wie , Jens Leh- denkt sich der Fan, der erfährt, dass das tef- habe sich auch nicht wie mancher Kon- mann, Ingo Anderbrügge sind verkauft, lonbeschichtete Arena-Dach binnen 30 Mi- kurrent an Geldgeber verkauft. andere wie Yves Eigenrauch, Michael Büs- nuten geschlossen werden kann. In sechs Nur muss das nicht so bleiben. Da ein kens oder Olaf Thon sind verletzt oder nur Stunden ist der Rasen in seiner Beton- Börsengang der neuen AG nicht auszu- noch gelegentlich im Einsatz. wanne durch eine Öffnung in der Süd- schließen ist und die Kapitalgesellschaft So klingt selbst die Anfeuerung bei er- tribüne aus dem Stadion gefahren. Die Tra- Marketing- und Rechteverwertungskon- folgreichen Heimspielen seltsam reserviert. dition, heißt es zusammenfassend auf zepte umsetzen darf, werden erstaunliche Auch wenn die Fans aufstehen, weil sie einem Baustellenschild, bekomme „ein Perspektiven erkennbar. Schalker sind, wirkt die oft geübte Geste neues Zuhause“. Zwar spielt die Profiabteilung weiter tra- wie ein Pflichtvortrag – und nicht wie eine Schalke, hat man früher immer gesagt, ditionell als eingetragener Verein, aber Ver- Ehrenbezeigung vor den kickenden Hel- sei so etwas wie eine Religion. Ins zweite marktungs- oder Fernsehrechte könnten den wie noch im Jahr des Uefa-Cup-Sieges. Untergeschoss der Hightech-Arena, hinter der Aktiengesellschaft übertragen werden. Schon damals, 1997, wurde vorausge- Umkleidekabinen und Interviewzone, wird In der würden nicht nur alle übrigen Toch- plant. Den unverhofften internationalen deshalb eine Kapelle eingebaut. tergesellschaften für den Arena-Betrieb zu- Triumph hatte eine unerfahrene sammengefasst, sondern Anle- Malochertruppe wie mit dem gern auch Chancen zur Mitbe- Fäustel zu Tage gefördert. Und stimmung geboten. weil zu jener Zeit konkrete Pläne Peters erkennt darin ei- für das modernste Fußballstadion nen „Riesenvorteil“ gegenüber Deutschlands reiften, lenkten un- Fußball-Kapitalgesellschaften in ternehmerische Überlegungen Dortmund oder Leverkusen. das Sportkonzept. Denn mit der Schalker Kon- Man brauchte eine krisenfeste struktion kann die Vorschrift des Mannschaft für die Zeiten, in de- Deutschen Fußball-Bundes listig nen der Kredit abgezahlt werden umgangen werden, die Fremdan- muss. Denn nur wenn das Team legern keine Stimmrechtsmehr- im Jahr der Arena-Einweihung heit gestattet. Die Spiellizenz des auch international auftreten DFB besäße weiterhin der Ver- könnte, verspräche die Vermark- ein, die Vermarktung liefe über die AG. * Oben: nach dem Uefa-Pokal-Sieg gegen In- Das macht Investitionen für ter Mailand im Giuseppe-Meazza-Stadion am Anleger attraktiv. Nur wäre 3. Juni 1997; unten: bei der Präsentation mit

Manager Rudi Assauer, Trainer Huub Stevens FIRO Schalke nicht mehr Chef bei und Co-Manager Andreas Müller am 26. Mai. Neu-Schalker Möller*: „Berühmte Spielerfrau“ Schalke. Jörg Kramer

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