Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften 10. Jg. • Nr. 38 • Juni 2007

BioSkop Schwerpunkt Ersatzteillager Mensch Schein und Sein Forderungen nach fremdbestimmter Entnahme von Körperteilen werden lauter .... 8 Von Erika Feyerabend Kinder als Knochenmark-»Spender« ...... 9 Sprachliche Verwirrungen ...... 9 Das TV-Unternehmen Endemol hatte vor Jahren ein neues Fernsehformat kreiert: die Transplanteur im Fokus der Staatsanwälte ....10 D»Realitätsshow«. In einem Container sollten Menschen sich selbst spielen und mit Versäumtes nachholen ...... 11 der Gunst des Fernsehpublikums Geld und kurzfristige Medienkarrieren gewinnen. Euthanasie Diese Inszenierungen des »Authentischen« ließ die Einschaltquoten steigen. Auch für Noch ist nichts entschieden ...... 3 die »seriöse« Presse war die Sendung »Big Brother« willkommener Themenlieferant: »Widersetzen Sie sich!« ...... 3 Neben grundsätzlichen Fragen über Schein und Sein, über entgrenzte Privatsphären, wurden die Container-BewohnerInnen, ihre Sympathiewerte und Konflikte laufend Selbsthilfe & Pharmaindustrie kommentiert. Es folgten Überlebensshows auf einsamen Inseln, die mittlerweile schon Undurchschaubar vernetzt ...... 4 vergessen sind. Aktuell haben so genannte Casting-Formate Konjunktur. Die Kandi- Sponsoring? Nein danke! ...... 5 datinnen zeigen ideale Körper, um Super-Modell zu werden, oder sie präsentieren Biobanken sich als unterhaltsam und einsetzbar in weiteren Fernsehauftritten. Das Publikum Etappensieg für KritikerInnen? ...... 6 bestimmt(e), jeweils per SMS oder anderen Wahl-Prozeduren, die SiegerInnen. Wir Biobanken? Nicht mit uns! ...... 6 sind also schon gewöhnt an diese Realitätsshows, die – obwohl sie »Wirkliches« Gesundheitsökonomie zeigen wollen – doch fiktionale Charaktere bieten, die sich geben, wie sie sind. Rezept gegen Preistreiberei? ...... 12 Arzneimittelagentur: »Befragen Sie Eine neue Fernsehsendung der Produktionsfirma Endemol sorgte in den vergangenen Ihren Bundestagsabgeordneten!« ...... 13 EWochen für Aufregung – in den Niederlanden und weit darüber hinaus. In der »Gro- ßen Spender-Show« sollte eine vermeintlich todkranke Frau mit Unterstützung des Arzneimitteltests Publikums entscheiden, wer von drei BewerberInnen perspektivisch ihre Niere er- Klinische Studien als Geschäftsfeld ...... 14 halten soll. Schon die Ankündigung der Sendung machte reichlich und international Klage gegen den Marktführer ...... 15 Schlagzeilen: Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Tagesschau, Hörfunksender – alle be- Weitere Themen richteten. ÄrztInnenverbände, PatientInnenorganisationen, GesundheitsministerInnen ÄrztInnen gegen Chipkarte ...... 7 meldeten sich zu Wort und plädierten dafür, die Show abzusetzen. Ohne Erfolg. Als Kritik an Pharma-Patenten ...... 7 das makabre Nieren-Casting dann am 1. Juni im niederländischen Fernsehen zu sehen Interessante Veranstaltungen ...... 16 war, verkündete der Moderator im Moment der Entscheidung, dass alles ein ganz Wunschzettel ...... 16 großer Bluff war: Die »Organspenderin« stellte sich als bezahlte Schauspielerin he- BioSkop im September 2007 ...... 16 raus, wobei die tatsächlich auf eine Niere wartenden KandidatInnen in die kalkulierte Täuschungsaktion eingeweiht waren. Impressum Herausgeber: BioSkop e.V. – Forum zur Beobachtung der Die Reaktionen auf diese »Enthüllung« fielen unterschiedlich aus. Es gab kritische Bio wissenschaften und ihrer Technologien DKommentare, aber auch Stimmen voller Bewunderung. So lobte der Medienredakteur Bochumer Landstr. 144a · 45276 der großen niederländischen Zeitung Volkskrant: »Hut ab! Ein Super-Medien-Coup«. Tel. (02 01)53 66 706 · Fax (02 01)53 66 705 Auf einer Pressekonferenz konstatierte der Chef des ausstrahlenden Senders BNN: BioSkop im Internet: www.bioskop-forum.de »Wir haben international viel Aufmerksamkeit für ein Problem erhalten, das tatsäch- Redaktion: Klaus-Peter Görlitzer (v.i.S.d.P.), Erika Feyerabend. lich existiert.« In einigen deutschen Zeitungen war zu lesen, nicht die Show sei der Anschrift: Bernstorffstr. 158 · 22767 Hamburg Skandal, sondern der Mangel an Organen. Der politische und auch persönliche Hand- Tel. (0 40)4318 83 96 · Fax (0 40)4318 83 97 lungsimperativ: Der »Tod auf der Warteliste« muss verhindert werden – durch neue E-Mail: [email protected] Gesetze, erklärte Spendebereitschaft und attraktive Angebote. Beiträge in dieser Ausgabe: Ute Bertrand, Rolf Blaga, Martina Keller, Uta Wagenmann. Sämtliche Artikel in BioSkop sind urheberrechtlich Bitte weiter lesen geschützt. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit auf der nächsten Seite schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Satz: www.reviera.de, Essen Druck: Hohlmann Druck & Medien, Essen ISSN 1436-2368 Editorial

Schein und Sein mit Babystimmen, Musik und einem leuchtenden Stimmzähler unterlegt, als die Entscheidung fiel. Fortsetzung von Seite 1 ➔ Der inszenierte Schwindel erzeugt reale Wir- Danach fragte der Moderator ausgesuchte Gäste, Dkungen im gesellschaftlichen Sein. Noch am wie sie ihr Urteil denn begründen und teilte Sendeabend schlug der niederländische Finanz- einem Elternpaar mit, dass ihr Kind in der nächs- minister vor, weniger Gebühren für einen neuen ten Runde nicht mehr mitspielen dürfe. Reisepass zahlen solle, wer einen Organspende- Man könnte meinen, die Zeit sei eingefroren. ausweis vorlegt. Eine große Bestatterfirma im Heute regelt das so genannte »Groninger Proto- Pressefreiheit und Nachbarland will Angehörigen Rabatte für Beerdi- koll«, welche Neugeborenen hinter den Mauern »Organspende«-Ausweis gungen gewähren, wenn nachweislich Körperteile von Kinderkliniken versorgt oder getötet wer- »Ja, diese Show bewegt hergegeben wurden. Hierzulande sind politische den. »Auf Leben und Tod« zu entscheiden – in sich jenseits des guten Hoffnungen gestiegen, die seit Jahren öffentlich der Regel nach dem mutmaßlichen Willen der Geschmacks. Drei Schwer- geforderte Mitmachbereitschaft in eine gesetzlich unheilbar Kranken – droht auch hierzulande im kranke, die im öffentlichen verbriefte »Beistandspflicht« aller gegenüber Behandlungsalltag üblich zu werden (Seite 3). In Wettbewerb um eine drin- Organbedürftigen umzumünzen. Die Abgabe von den medizinischen Realitätsshows geht es um gend benötigte Organspende Körperstücken soll zur Norm werden, der sich inszenierte Verteilungsprobleme, die moralisch konkurrieren? (...) Dennoch auch eine bislang schweigende Mehrheit nicht aufgeladen sind – nicht um bares Geld. Das ist ist die Show zu verteidigen. mehr entziehen kann (Siehe Seite 8). in den real existierenden Gesundheitswesen Zum einen sind solche Provo- Das Spektakel erschüttert auch keineswegs Europas anders. Hier wird die Gewährung patent- kationen grundsätzlich von ein wohlgeordnetes, zivilisiertes Transplantations- geschützter Therapien nicht nur nach ihrem der Pressefreiheit gedeckt. geschehen. Die »Spender-Show« spielt mit Pro- Nutzen, sondern auch nach ihrer Wirtschaftlich- Zum anderen darf man dem blemlagen und authentischen Bedürftigen, mit keit berechnet (Seite 12). Sender glauben, dass es ihm gesellschaftlichen Kalkülen über den Wert ihres In den internationalen, klinischen Studien sind in erster Linie darum geht, Lebens, die es außerhalb des Fernsehstudios gibt. »behandlungsfreie« Patienten aus Armutszonen die Öffentlichkeit aufzu- Die symbolischen Koordinaten der gesellschaft- gefragt, um vermarktbare Studienergebnisse und rütteln. (...) lichen Gegenwart sind Medikamente zu pro- Die Chance der drei Kandi- in Aufklärungsschriften Andererseits ist die Realität der duzieren, die später daten, eine Niere von der und als seriös einge- transplantierenden, forschenden dort niemand bezah- Spenderin ›Lisa‹ zu bekom- stuften Berichterstat- und behandelnden Medizin len kann (Seite 14). men, ist viel höher, als sie tungen eingeschrieben. dergestalt, dass sie wohl nur noch Ein durchaus hand- auf offi ziellem Wege zu Die Parole vom fiktionalisiert ertragbar ist. festes Spiel um Geld, erhalten. Die krasse Show »Tod auf der Warteliste« Wissen und Marke- ist deshalb eine Mahnung: (Siehe Randbemerkung auf Seite 9) ist allgegen- ting, in das zunehmend auch gutgläubige Pati- noch heute einen Organ- wärtig. Wir sollen deshalb freiwillig wollen, was entInnen eingebunden werden (Seite 4). Biome- spende-Ausweis auszufüllen. normativ vorgegeben wird, nämlich: im Falle des dizinische Forschung kann In ihren gesellschaft- Um solche Shows in Zukunft Falles unter moralisch hochwertiger Organabgabe lichen Wirkungen und konkreten Eingriffen in unnötig zu machen.« versterben. Andernfalls droht der verschuldete den Lebensalltag von Schwangeren und Kindern aus einem Kommentar des Jour- Tod vieler anderer. Aber auch Nieren-Casting, erheblich sein. In ihren statistischen Konstrukten nalisten Philipp Gessler, den die finanzielle Anreize oder gar Organhandel. Der über molekulare, physiologische und umweltbe- Berliner tageszeitung (taz) am selbstbestimmte Wille wird an die kurze Leine der dingte »Faktoren« psychischer Gesundheit bzw. 31. Mai 2007 auf ihrer Titelseite vernünftigen Transplantationsordnung genommen. Krankheit, kann sie aber ganz und gar virtuell druckte – also genau einen Tag Aus einigen Universitätskliniken und Ethikzentren sein (Seite 6). vor Ausstrahlung der »Spender- ist bereits der Ruf nach bezahlter Organabgabe Die Dialektik von Schein und Sein ist vielfäl- Show«. Anderer Meinung als zu vernehmen (Seite 10). Auch bislang »Undenk- tig. Sie kann nicht darauf reduziert werden, dass der Kommentator (Überschrift bares« liegt im Bereich des Möglichen: Organver- die biomedialen Welten irgendwann den Wunsch seines Textes: »Der eigentliche gabe jenseits des anonymen Verteilungssystems verstärken, sich wieder dem »wirklichen« Leben Organ-Skandal«) sind offen- für begüterte SelbstzahlerInnen. zuzuwenden. Einerseits entfalten all die unter- sichtlich viele LeserInnen. Das 1995 irritierte die christliche TV-Gesellschaft haltsamen, die »authentischen«, aber auch die jedenfalls zeigte sich in einer Reihe von Zuschriften, welche (NCRV) in den Niederlanden mit ihrer Fernseh- journalistischen Inszenierungen politische Wir- die taz am 11. Juni auf Seite 12 show »Auf Leben und Tod«. Fünfzig Studiogäste kung nach ihrem eigenen Maß. Andererseits ist veröffentlichte. wurden zur Entscheidung per Knopfdruck gebeten. die Realität der transplantierenden, forschenden Das arrangierte Dilemma: Zwei Neugeborene und behandelnden Medizin dergestalt, dass brauchen eine medizinische Behandlung. Es gibt sie wohl nur noch fiktionalisiert ertragbar ist. aber nur Kapazitäten für ein Kind. Die Eltern durf- Das ist der harte Kern des Realen im medialen ten ein Plädoyer halten; Dias der Kinder wurden Schein und Showbusiness.

2 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Euthanasie

Noch ist nichts entschieden Patientenverfügungsgesetz: Die neueste Variante

Die Papier-Produktion geht weiter. Anfang Juni stellten zwei Unionsabgeordnete den Von Klaus-Peter Görlitzer dritten Gesetzentwurf vor, der Patientenverfügungen rechtsverbindlich machen soll. (Hamburg), Journalist, Wann das Gesetzgebungsverfahren wirklich startet, ist ungewiss. redaktionell verantwort- lich für BioSkop Es kommt ziemlich selten vor, dass der betont »Widersetzen Sie sich ... Eanti-christliche Humanistische Verband (HVD) ... dem Vorhaben zur gesetzlichen Ab- christdemokratischen Politikern applaudiert. sicherung von Patientenverfügungen!« Erreicht haben das nun Hans Georg Faust (CDU) Diese Aufforderung haben BioSkop und und Wolfgang Zöller (CSU) – mit ihrer Variante die Hospizvereinigung OMEGA Mitte eines Patientenverfügungsgesetzes, die sie Anfang Juni an die Abgeordneten des Deutschen Juni in vorstellten. »Sehr zufrieden« ist der Bundestages geschickt. Auszüge aus dem HVD damit, dass Zöller und Faust die verbindliche gemeinsamen Brief: Reichweite vorab erklärter Behandlungsverzichte weder auf die Sterbephase beschränken noch von der Art der Erkrankung abhängig machen wollen. »Dem angekündigten Gesetz zur Legalisierung Ihren Vorschlag halten die beiden Unions- Dvon Patientenverfügungen sehen wir mit sehr politiker für eine konsensfähige Alternative zu großer Sorge entgegen. Unserer Überzeugung zwei Gesetzentwürfen (Siehe BioSkop Nr. 37) der nach droht hier ein grundlegender gesellschaft- Bundestagsabgeordneten Joachim Stünker (SPD) Zwischenbilanz licher Paradigmenwechsel. Anders als weithin und Wolfgang Bosbach (CDU). Doch alle drei aus Österreich behauptet, ermöglichen rechtsverbindliche Variationen unterscheiden sich im Kern überhaupt »Seit einem Jahr können Patientenverfügungen keineswegs einen selbst- nicht: Sämtlich billigen sie den Stopp lebens- Patienten in Österreich be- bestimmten Verzicht auf sinnlose Therapien oder erhaltender Maßnahmen bei Kranken, die zwar stimmen, wie sie behandelt Apparatemedizin am Lebensende. Vielmehr wür- ihren Willen persönlich nicht äußern können, aber werden sollen, wenn sie nicht de dadurch ein Behandlungsverzicht staatlich keineswegs im Sterben liegen – jeweils vorausge- mehr in der Lage sind, ihren legitimiert, der den Tod herbeiführt, bei nicht setzt, dass die Betroffenen die tödlichen Unterlas- Willen zu äußern. Das Inter- einwilligungsfähigen Menschen, die keineswegs sungen irgendwann in einer Patientenverfügung esse ist groß, erstellt wurden im Sterben lieben. Besonders gefährdet sind verlangt haben. aber nur 120 Verfügungen. Menschen im Koma und mit Demenz. Würde Ein Patient kann in Öster- eine Erklärung, aufgeschrieben in gesunden Gemeinsame Einschätzung reich eine Wiederbelebung Tagen, als aktueller Wille, sterben zu wollen, Das Besondere an ihrem Entwurf ist laut nach einem Herzstillstand ausgelegt, hieße das: Töten durch Unterlassung Faust und Zöller, dass vor einem beabsichtigten ablehnen oder die künstliche und auf vermutetes Verlangen kranker Men- Behandlungsabbruch unbedingt geprüft werden Ernährung mit einer Magen- schen würde in den Kliniken und Pflegeheimen müsse, ob der Inhalt der Vorausverfügung auch sonde verweigern.« üblich und gesellschaftlich erwünscht. (...) tatsächlich dem momentanen Willen und der ak- Gemeinsam mit zahlreichen Unterstützern aus einer Meldung des österrei- tuellen Lage des Patienten entspreche. Einschät- und Unterstützerinnen des Appells. ›Das gesell- chischen Fernsehsenders ORF zen sollen das sein Betreuer oder Bevollmäch- schaftliche Tötungsverbot darf nicht ange- vom 1. Juni 2007 tigter gemeinsam mit dem behandelnden Arzt. tastet werden!‹ (http://www.bioskop-forum. Nur wenn sie sich nicht einigen können, muss ein de/appell/appell_toetungsverbot.html) appellie- Vormundschaftsgericht entscheiden, ob die Be- ren wir an Sie: Widersetzen Sie sich dem Vorha- handlung fortgesetzt werden soll oder nicht. ben zur gesetzlichen Absicherung von Patienten- Auf diese Weise zu verfahren, passt gut zu verfügungen! Auch ein ins Gespräch gebrachter den Bedürfnissen und Papieren der Bundesärzte- ›Kompromiss‹, die Reichweite von Patientenver- kammer. Deren Präsident Jörg-Dietrich Hoppe fügungen auf eine kaum definierbare ›Todesnä- erklärte denn auch gleich: »Wir unterstützen he‹ zu begrenzen, würde den drohenden Para- diesen Vorschlag.« digmenwechsel weder verhindern noch aufhal- Ungewiss ist, wann das angekündigte Gesetz- ten. Es muss weiterhin selbstverständlich sein, gebungsverfahren im Bundestag richtig los geht. schwerst pflegebedürftige Menschen, die nicht Ursprünglich war geplant, damit noch vor der im Sterben liegen, umfassend zu versorgen.« parlamentarischen Sommerpause zu beginnen.

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 3 Alltag

Undurchschaubar vernetzt Selbsthilfe und Pharmafi rmen – Ein Erfahrungsbericht zu Kooperationen zwischen ungleichen Partnern

Von Rolf Blaga (Berlin), Pharmaunternehmen sind an Kontakten zu des Erkrankten, Zugang zu allen Therapieange- Psoriasis Selbsthilfe PatientInnen-Organisationen lebhaft inter- boten zu bekommen, das aber erst noch gegen Arbeitsgemeinschaft essiert – insbesondere, wenn es gilt, neue ÄrztInnen und Krankenkassen politisch durchge- Medikamente zu vermarkten. Als Zielgrup- setzt werden müsse. pe im Blick haben einige Firmen auch die Früher haben wir in unregelmäßigen Abstän- Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsgemeinschaft den Spenden aus der Wirtschaft bekommen. Wir (PSOAG), einen Zusammenschluss von haben das stets als Anerkennung für unsere Arbeit »Nicht mehr frei von Menschen, deren Hautkrankheit landläufi g verstanden. Seit einigen Jahren sind auch für die Wirtschaftsinteressen« »Schuppenfl echte« genannt wird. Einblick Psoriasis neuartige und sehr teure Arzneimittel »Die Arzneimittelkonzerne in die Strategien und Versuchungen der (»Biologics«) zugelassen. Seitdem ist das unter- haben erkannt, dass die Arzneimittelhersteller gibt der folgende nehmerische Interesse an uns spürbar gewachsen. Selbsthilfegruppen über Erfahrungsbericht von PSOAG-Vorstands- Die Firma Serono hat eine intensive Marktstudie einen großen Einfl uss ver- mitglied Rolf Blaga. betrieben. Mit Hilfe einer Londoner Marketing- fügen. Dort empfohlene Firma namens PHASE II wurden eigene, mehrspra- Medikamente werden auch Es ist unübersehbar: Immer mehr Firmen leisten chige Broschüren zu verschiedenen Aspekten der verordnet und gekauft. (...) Esich eine oder mehrere »Patientenbeauftragte«. Schuppenflechte online gestellt und PatientInnen Die Informationen, die die Ihre Aufgabe ist es, möglichst in direkten Kontakt aus verschiedenen Ländern zu »Psoriasis-Bot- Patienten über Selbsthilfe- mit Kranken zu kommen; zum Beispiel über eige- schaftern« gemacht. gruppen bekommen, sind ne oder in Auftrag gegebene Internetportale zum Schließlich entwickelte PHASE II das Konzept längst nicht mehr frei von Krankheitsbild, über ÄrztInnen, die für Beratungen »Welt-Psoriasis-Tag« – ein Tag, an dem weltweit Wirtschaftsinteressen. (...) im Rahmen firmeneigener Telefon-Hotlines gut über das Thema Psoriasis geredet werden soll. Je höher die Funktion inner- honoriert werden sowie PR-Anzeigen in Patien- Nun ist unsere Krankheit nicht so dramatisch, wie halb der Selbsthilfe, desto tenzeitschriften. Zum Instrumentarium der Mar- Aids oder Krebs. Aber jeder von uns PatientInnen eher ist die Tatsache bekannt, ketingstrategInnen gehören auch Unterstützung weiß, dass Schuppenflechte im öffentlichen Be- dass die Industrie über die durch bezahlte ReferentInnen bei »Tagen der wusstsein durchaus mit Angst vor Ansteckung Patienten direkt Einfl uss auf offenen Tür in Arztpraxen« oder eigene Informati- oder Gefühlen von Ekel verbunden ist. Vor allem die Verordnungen nimmt.« onsmaterialen zum Krankheitsbild. aber wissen wir, dass es Menschen gibt, die an Erkenntnisse von Kirsten Subtiler läuft die Ansprache über Selbsthilfe- ihrer Psoriasis verzweifeln. Daraus haben die Wer- Schubert, wissenschaftliche organisationen. Eine beliebte Variante sind firmen- bestrategInnen abgeleitet, dass man als Betrof- Mitarbeiterin am Zentrum für eigene Newsletter mit wichtigen Infos für Selbst- fener das Recht einfordern muss, jede potenziell Sozialpolitik der Universität hilfe-FunktionärInnen. Auch bieten die Hersteller hilfreiche Therapie verschrieben zu bekommen. . Sie erstellte gemeinsam den Organisationen gern an, die PR-Arbeit oder Nicht zufällig lautete das Motto des ersten Welt- mit Professor Gerd Glaeske die die Gestaltung des Internetauftritts zu überneh- Psoriasis-Tag: »Es gibt Hilfe«. Da treffen sich die Studie »Einfl uss des pharmazeu- men. Es finden gemeinsame Informationsveran- gemeinsamen Interessen von verzweifelten Patien- tisch-industriellen Komplexes auf staltungen, Schulungen oder Pressekonferenzen tInnen und Anbietern teurer Pharmaprodukte. die Selbsthilfe« – im Auftrag der statt. Auf den eigenen Beipackzetteln wird für Um den ersten Welt-Psoriasis-Tag vorzuberei- Selbsthilfe-Fördergemeinschaft diejenige Selbsthilfeorganisation geworben, zu ten, wurden 2004 viele nationale Psoriasis-Ver- der Ersatzkassen. Schuberts der man die besten Kontakte pflegt. Da wird ein bände nach Amsterdam und London eingeladen. Aussagen stehen in einer Presse- mitteilung der Ersatzkassen vom Hinweis auf eine PatientInnenveranstaltung in der Die Profis der PR-Agentur PHASE II machten 29. November 2006. Den (nur von ApothekerInnen gelesenen) Pharmazeu- deutlich, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit sei. Es 35-seitigen Werkstattbericht fi n- tischen Zeitung finanziert. ReferentInnen werden folgten Treffen in Kopenhagen und Stockholm, auf det man vollständig im Internet: für Vorträge in den örtlichen Gruppen gestellt denen die Versammelten geschult wurden, wie www.kkh.de/fi leserver/kkh2006/ oder sogar ein Büfett zum Jubiläum einer Grup- man mit JournalistInnen und PolitikerInnen um- BROCHURES/Broschuere404.pdf pe spendiert – allerdings mit der Auflage, einen geht. In 2006 gab es ein fünftägiges, internatio- Firmenstand aufstellen zu dürfen. So werden nales Symposium zu Psoriasis und Psoriasis Ar- enge und regelmäßige Kontakte aufgebaut und thritis für ÄrztInnen und PatientenvertreterInnen. ein gemeinsames Interesse von Medikamenten- Inzwischen hatten sich weitere Hersteller von Anbietern und PatientInnen formuliert: das Recht »Biologics« bereit erklärt, Aktionen zum »Welt- ➔

4 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Selbsthilfe & Pharmaindustrie

➔ Psoriasis-Tag« zu finanzieren. Die Patienten-Ver- inszenierten Telefon-Aktionen. Das alles bedeu- Ärztliche Fortbildung treterInnen aus über 40 Staaten wurden darauf tet: Wir haben in den vergangenen Jahren von MEZIS nennt sich eine Initia- vorbereitet, mit diesen Firmen Aktionen in ihrem der pharmazeutischen Industrie immer wieder tive von MedizinerInnen, die Land zu planen. In kurzer Zeit wurde ein Netz- Geld bekommen, um gemeinsam abgestimmte sich von Pharmafi rmen nicht werk aufgebaut, wie es bei den ÄrztInnen schon Aktionen zum »Welt-Psoriasis-Tag« durchzufüh- vereinnahmen lassen wollen lange existiert. In teuren Hotels an attraktiven ren. Es hat uns gefreut, auf unsere Organisation (Siehe BioSkop Nr. 37). Übliche Orten werden Veranstaltungen oder Kurse ange- und unser Krankheitsbild aufmerksam machen zu Einfl ussnahmen schilderte boten – auf Kosten der Unternehmen. Natürlich können. Aus eigenen Mitteln hätten wir das nicht jüngst MEZIS-Mitgründer Dr. ist es angenehm, derart privilegiert untergebracht finanzieren können. Aber damals war uns noch Eckhard Schreiber-Weber. Sein und behandelt zu werden. nicht bewusst, wie sehr wir mit diesen Aktionen Artikel »Sanfte Bestechung« Seit 2005 arbeitet die PR-Agentur PHASE II zu einem Rädchen in der Marketing-Strategie der erschien im Magazin »secur- nicht mehr direkt für die Pharmaindustrie, son- Konzerne geworden sind. vital« (Nr. 2/2007) der Kran- dern für die »International Federation of Psoriasis Es gab auch schon Versuche, unsere Bericht- kenkasse Securvita. Kleine Associations (IFPA)«. Vor allem deren Funktionä- erstattung zu beeinflussen. Mal sollten wir nicht Leseprobe: rInnen erhofften sich vom Welt-Psoriasis-Tag, dass darüber schreiben, dass ein bekannter Schauspie- »Den Marketing- und Werbe- ihre nationalen Selbsthilfe- ler auf der Pressekonfe- strategien der Pharmafi rmen Organisationen dadurch Man kennt sich, trifft sich renz einer Pharmafirma kann ich mich auch als kri- mehr Mitglieder und mehr europaweit in guten Hotels. seine Psoriasis öffentlich tischer Arzt kaum entziehen. politischen Einfluss gewin- Hochkarätige MedizinerInnen, gemacht hat. Dann wurde In der ›Ärzte-Zeitung‹ lese ich nen würden. gut geschulte PR-ExpertInnen kritisiert, dass wir Neben- morgens in einem scheinbar Aktionen zu einem und PatientenfunktionärInnen wirkungen eines »Bio- redaktionellen Beitrag, dass einheitlichen »Welt-Pso- logics« benennen, denn PatientInnen mit Asthma von kommen zusammen. riasis-Tag« zu machen, das könnte PatientInnen regelmäßigem Körpertraining diese Idee hat auch die PSOAG aufgegriffen. schließlich abschrecken. Aber das waren keine profi tieren. Der Trainings- Es waren natürlich nur solche Projekte, die von ernsthaften Beeinflussungsversuche. Die wirk- erfolg könne aber noch der Pharmaindustrie abgesegnet und finanziert liche Einflussnahme läuft viel subtiler: Man kennt gesteigert werden, wenn die wurden. Seit 2004 haben wir jedes Jahr einen sich, trifft sich europaweit in guten Hotels und PatientInnen zusätzlich das Internet-Chat veranstalten können, mit einem Restaurants. Hochkarätige MedizinerInnen, gut langwirkende Medikament T. Experten, der uns normalerweise zu teuer gewe- geschulte PR-ExpertInnen und Patientenfunktio- nähmen, wird Herr Professor sen wäre. Einmal wurde an alle FachärztInnen närInnen kommen zusammen. Die einen wollen P. zitiert. Woher weiß er das? für Dermatologie und Rheumatologie ein Plakat ihre hoch dotierten Vorträge halten, die anderen Er stellte eine Studie auf einer zum »Welt-Psoriasis-Tag« verschickt. In 2004 ihr Produkt anpreisen und die letzteren ihre von Boehringer Ingelheim und 2005 haben wir im Berliner »U-Bahn-Fernse- Mitgliederzahlen und ihren politischen Einfluss bezahlten Veranstaltung vor. hen« auf unsere Krankheit aufmerksam machen erhöhen. Das ist alles mit Geld möglich. Ernsthaf- Diese produziert das Medika- können. Andere Verbände aus unserem Bereich te, grundlegende Kritik am Medikament und an ment. (...) den Preisen äußert in solchen Kreisen niemand. Mittags lese ich meine Post. Es fehlt an sachlicher Distanz, die geboten Der Hausärztliche Qualitäts- Sponsoring? Nein danke! ist, wenn PharmavertreterInnen und PatientInnen zirkel lädt ein – zusammen Die Erfahrungen mit Arzneimittelherstellern miteinander zu tun haben. Auch eine Selbsthilfe- mit Novartis Pharma im Brief- Dhaben in der Psoriasis Selbsthilfe Arbeitsge- Organisation, die von unterschiedlichen Firmen kopf. Die Firma bezahlt das meinschaft (PSOAG) Nachdenklichkeit und Geld nimmt, ist vor Einflussnahmen nicht gefeit. Essen und den Referenten. (...) engagierte Diskussionen hervorgerufen. Am Sie wird sich zwar nicht direkt für ein Medikament Ich fahre zu einer anderen 4. Mai gab es dann einen Beschluss: Die Mit- aussprechen, aber auch nur schwerlich gegen Veranstaltung. Im Programm gliederversammlung forderte den PSOAG-Vor- eines. Die Pharma-Angebote insgesamt werden und im zentralen Veranstal- stand auf, dass er sich zwar um SpenderInnen unkritisch oder weniger kritisch eingeschätzt. tungsgebäude fi nden sich kümmern, aber keine Sponsorenverträge mit Nicht jede Patientenvertretung ist gleich un- Dutzende von Pharmafi rmen. Pharmaunternehmen mehr unterschreiben soll. glaubwürdig, wenn sie größere Summen von der Selbst der Referent meines Zur Begründung heißt es unter anderem: »Die Pharmaindustrie angenommen hat. Das eigene Power-Point-Kurses entpuppt Patienten, die sich an uns wenden, erwarten Selbstverständnis und Selbstbewusstsein spielt sich als Pharmareferent von glaubwürdige Informationen von uns. Politiker, sicher auch eine Rolle. Trotzdem: Die PSOAG Novartis und erläutert uns mit denen wir sprechen, erwarten, dass unsere sieht sich aufgrund der öffentlichen Diskussion die Präsentationstechnik am Positionen nicht fremd gesteuert sind. Diesen verpflichtet, zukünftig bewusst eine kritische Beispiel eines Vortrages über Anspruch werden wir einlösen, selbst auf das Distanz zu den verschiedenen AkteurInnen im das Blutgerinnungsmittel Risiko hin, dass wir deshalb einzelne Aktio- Gesundheitswesen zu halten – anstatt mit seiner Firma. Seine Worte: ›It’s nen nicht mehr finanzieren können.« ihnen undurchschaubar vernetzt zu sein. show-time!‹.«

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 5 Biobanken

Etappensieg für KritikerInnen? Die großspurige SESAM-Langzeitstudie der Universität Basel darf stattfi nden – aber nur unter Aufl agen

Von Uta Wagenmann Die Vorbereitungen laufen seit Oktober 2005, Insbesondere aber lehnt die EKBB »die Ent- (Berlin), Gen-ethisches nun haben die Basler Psychologen um Pro- nahme und Untersuchung der genomischen DNA Netzwerk fessor Jürgen Margraf für ihr großspuriges bei allen Versuchspersonen vor dem Erreichen der Projekt namens SESAM (Siehe BioSkop Nr. 32) Mündigkeit« ab. Genetische Daten dürften erst »grünes Licht« bekommen: 3.000 Menschen dann erhoben werden, wenn Versuchspersonen dürfen sie zwanzig Jahre lang beobachten sich frei und informiert dafür entschieden haben, und testen. Die Langzeitstudie könnte den- derartige Tests zuzulassen. Damit können die noch scheitern: Die zuständige Ethikkom- angeblich für die Entstehung psychischer Erkran- mission macht unbequeme Aufl agen. kungen so wichtigen genetischen Dispositionen frühestens in knapp zwanzig Jahren erhoben wer- Der Vorsitzende der Ethikkommission beider Basel den – und auch nur dann, wenn die dann mündig D(EKBB), Hans Kummer, nennt SESAM »ein sehr gewordenen Beforschten eigens einwilligen. ambitiöses Unterfangen mit einer sehr aktuellen »Jetzt stellt sich die Frage noch schärfer als und wichtigen Fragestellung«. Die »Schweizeri- zuvor, welche neuen Erkenntnisse SESAM eigent- sche Studie zu Entwicklung und seelischer Ge- lich liefern soll«, so Gabriele Pichlhofer von der sundheit« (SESAM) könne daher im Grundsatz unabhängigen, gentechnikkritischen Organisation stattfinden. Vor einer endgültigen Freigabe müss- Basler Appell. Die Studie sei nach wie vor äußerst Die BioSkop-Kampagne ten jedoch noch einige Auflagen erfüllt werden. fragwürdig. »Insofern ist das Votum der EKBB ein »Biobanken? Nicht mit uns!« Die allerdings sind weniger leichtgängig als Etappensieg«. will für Transparenz sorgen, der wohlwollende Tonfall vermuten lässt, den Einfl uss auf Gesetze nehmen Kummer bei der öffentlichen Präsentation der SESAM öffnet Hintertüren und – vor allem – den zivilen EKBB-Stellungnahme Ende März anstimmte. SE- Kritisiert wird in der öffentlichen Diskussion in Ungehorsam stärken. Sie SAM ist als Langzeitstudie konzipiert, um Zusam- der Schweiz neben Datenschutzfragen vor allem können mitmachen: Schrei- menhänge zwischen genetischen Dispositionen auch der Forschungsansatz der SESAM-Studie. ben Sie an Kliniken und und Umwelteinflüssen mit psychischer Gesundheit Sowohl die Definition wie die Untersuchung Labore, fragen Sie Ihre Ärzt- beziehungsweise Krankheit herstellen zu können. seelischer Krankheiten ist besonders kontext- und Innen! Lassen Sie sich über Zu diesem Zweck wollen ForscherInnen der Uni- kulturabhängig; hier mit simplen Korrelationen den Verbleib entnommener versität Basel 3.000 Kinder kontinuierlich untersu- von Datensätzen zu arbeiten, sei daher nicht nur Körperstoffe aufklären! chen – über einen Zeitraum von zwanzig Jahren, reduktionistisch, sondern auch unseriös: Da die Verlangen Sie die Aushändi- der schon vor der Geburt beginnt. Außerdem ForscherInnen durch ihre Befragungen und Unter- gung der Proben und gespei- sollen genetische und weitere Daten von Eltern suchungen die Situation in den Familien beein- cherten Daten oder deren und Großeltern erhoben werden. flussen können, entstünden keine objektivierbaren sofortige Vernichtung! Beim Dass Kinder über eine so lange Phase den In- Daten. Die SESAM-Leitung dagegen meint, die Formulieren helfen wir gern, teressen von ForscherInnen ausgesetzt sein sollen, geplante Langzeitbeobachtung werde nicht mehr Muster briefe und ein Bioban- verlangt nach Ansicht der EKBB besondere Aufla- Einfluss auf die Familien haben als der normale ken-Dossier stehen im Inter- gen. So wird die Projektleitung dazu verpflichtet, Alltag. net: www.bioskop-forum.de eine unabhängige Begleitstudie zu finanzieren, So umstritten der wissenschaftliche Wert des Wir freuen uns auf Ihre die mögliche psychische und soziale Auswirkun- Projektes auch sein mag – rechtspolitisch hat SE- Rückmeldung! gen der Teilnahme an SESAM beobachten soll. SAM eine herausragende Bedeutung. Weil Kinder BioSkop, c/o Erika Feyerabend, Deren Ergebnisse müssen der EKBB jährlich vorge- juristisch als nicht einwilligungsfähig gelten, die Telefon (0201) 5366706, legt werden, um bei »studienbedingten Konflikten Mitwirkung aber keinerlei persönlichen Nutzen Mail: [email protected] oder Belastungen entsprechende Maßnahmen zu für die TeilnehmerInnen bringt, handelt es sich bei ergreifen«. Außerdem muss eine unentgeltliche der Langzeitstudie um fremdnützige Forschung an Anlaufstelle für erkrankte ProbandInnen eingerich- Nichteinwilligungsfähigen. Ob diese Art der For- tet werden. Schließlich sei es »ethisch nicht ver- schung überhaupt rechtlich zulässig ist, darüber tretbar, dass das Untersuchungspersonal bei Sicht- streitet man sich auch in der Schweiz. barwerden einer psychischen Erkrankung oder im Die so genannte Bioethik-Konvention des Fall einer akuten Krise (...) untätig zuschaut.« Europarates, die derartige Eingriffe erlaubt, hat ➔

6 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Initiativen & Kontakte

Kritik an Pharma-Patenten ÄrztInnen gegen Chipkarte Antrag auf Akteneinsicht Der preiswerte Zugang zu patentgeschützten Unabhängige Organisationen wie BioSkop oder »Vor einem Monat wurde das DMedikamenten muss weltweit sichergestellt Udas Komitee für Grundrechte und Demokratie Forschungsprogramm SESAM werden. Das fordern Hilfs- und Nichtregierungs- kritisieren seit langem die geplante elektronische mit drastischen Abstrichen organisationen in einer »Berliner Erklärung Gesundheitskarte (eGK). Inzwischen sind auch Me- und unter Aufl agen von der für Innovation und Zugang zu unentbehrlichen dizinerInnen wach geworden: Beim Deutschen Ärz- Ethikkommission beider Basel Arzneimitteln!«, initiiert von medico interna- tetag, Mitte Mai in Münster, lehnten die meisten (EKBB) zugelassen. Doch nach tional, Brot für die Welt, Misereor und BUKO DelegiertInnen die eGK »in der bisher vorgestellten wie vor liegen Hintergrund Pharma-Kampagne. Und sie kritisieren das Form« ab. Durch die projektierte Speicherung und Pläne des umstrittenen patentgeschützte Forschungsmodell auch ganz sensibler PatientInnendaten in zentralen Rechnern Projekts im Dunkeln. Am grundsätzlich: Es führe dazu, dass vorwiegend werde das Arzt-Patientenverhältnis »schwer be- 17. April hat deshalb der Bas- Medikamente und Impfstoffe für Zahlungskräf- schädigt oder sogar zerstört«, so der Beschluss des ler Appell gegen Gentechno- tige entwickelt würden. »Damit werden gerade Ärztetages. Krankenversicherte könnten mit Hilfe logie beim Staatssekretariat jene Menschen vom Zugang zu Arzneimitteln des elektronischen Rezeptes in Risikoklassen ein- für Bildung und Forschung in ausgeschlossen, die sie am dringendsten geteilt werden, die ihnen »womöglich ein ganzes Bern ein Gesuch um Akten- bräuchten.« Leben lang anhaften«; ein medizinischer Nutzen einsicht in Sachen SESAM der Karte sei bislang nicht erkennbar. gestellt. Unabhängig vom Gefährliche de-facto-Monopole Trotzdem sieht sich die Bundesärztekammer Entscheid der EKBB und einem »Bald 13 Millionen Menschen«, so die Erklä- (BÄK) bisher nicht veranlasst, aus den 2007 ge- möglichen baldigen Beginn rung, »sterben jährlich an Krankheiten, die ei- starteten eGK-Modellversuchen (Siehe BioSkop der Studie fordert der Verein gentlich behandelbar wären«, etwa an Malaria, Nr. 36) auszusteigen; das Ärztetag-Votum wertet Einsicht in sämtliche amtliche Tuberkulose oder AIDS. »Sie sterben aber auch, die BÄK lediglich als »Momentaufnahme«. Ge- Dokumente, die im Zusam- weil Pharma-Patente als de-facto-Monopole gen »diese Art ›konstruktiver Mitarbeit‹ an dem menhang mit dem nationalen dafür sorgen, dass selbst lebensnotwendige Regierungsprojekt eGK« mobilisiert nun die Verei- Forschungsschwerpunkt Medikamente unerschwinglich teuer sind oder nigung IPPNW (Ärzte in sozialer Verantwortung). SESAM beim Staatssekretariat gar nicht erst entwickelt werden.« Die Organi- Sie appelliert an die BÄK, »den mehrheitlich vorliegen. (...) sationen schlagen Zwangslizenzen für notwen- gefassten Beschluss der Ärzteschaft konsequent Insbesondere verlangen wir dige Arzneien vor; und die Präparate müssten umzusetzen«; das aktuelle eGK-Projekt sei sofort Akteneinsicht in sämtliche Ab- vor Ort produziert werden. Prinzipiell notwen- zu stoppen. IPPNW-Vorstandsmitglied Matthias kommen, die zwischen der Fir- dig sei eine Politik, die »Arzneimittel als öffent- Jochheim betont, das Erfassen medizinischer ma Hoffmann-La Roche und liche Güter begreift, die prinzipiell von Mono- Daten auf zentralen Servern sei »kein Vorgang, dem Nationalen Forschungs- polen und exklusiven Vermarktungsrechten der ohne vorherige demokratische und offene schwerpunkt SESAM oder der ausgenommen sind«. Diskussion der Betroffenen, also aller Patienten Universität Basel geschlossen Die Erklärung im Internet: und Ärzte, stattfinden darf«. wurden. (...) Die Erkenntnisse www.medico-international.de/kampagne/ aus der Akteneinsicht können gesundheit/erklaerung.asp Kontakt: IPPNW, Telefon (030) 698074-0 Basis für juristische Schritte des Basler Appells gegen ➔ die Schweizer Regierung zwar bereits unterzeich- Man werde die Auflagen erfüllen und bald mit der Gentechnologie sein.« net. Doch eine rechtsverbindliche Grundlage im Rekrutierung von Schwangeren beginnen, erklärte aus einer Pressemitteilung des Alpenstaat gäbe es erst, wenn auch das Über- etwa der stellvertretende Direktor von SESAM, »Basler Appells gegen Gentech- einkommen ratifiziert würde. Ungewiss ist, ob Alexander Grob, nach der EKBB-Entscheidung. nologie« vom 17. April 2007. beziehungsweise wann es so weit kommt. Aber Auch sei der Kern der Studie nicht gefährdet, da Der Verein hatte bereits im die Schweizer Regierung arbeitet derzeit an einem DNA-Analysen bei Volljährigen erlaubt bleiben. März 2006 über 12.000 Protest- »Humanforschungsgesetz«, das fremdnützige Stu- »Weil die Korrelationen mit Krankheiten sich unterschriften gegen SESAM dien mit Nichteinwilligungsfähigen erlauben soll. ohnehin erst im Erwachsenenalter zeigen«, so Jür- an die Basler Ethikkommission Da die EKBB ihr Votum zu SESAM ausdrück- gen Margraf, Leiter von SESAM, »können wir mit übergeben. Mittlerweile hat das lich auf die Bioethik-Konvention stützt, stärkt sie der Empfehlung der Ethikkommission gut leben.« Staatssekretariat für Bildung und Forschung die beantragte implizit den BefürworterInnen einer Ratifizierung Die Langzeitstudie wird weiterhin mit zivilge- »vollständige Akteneinsicht« den Rücken. Das kritisiert der Basler Appell ve- sellschaftlichem Protest rechnen müssen. »Erst abgelehnt. Die Initiative erhofft hement. »Wir lehnen fremdnützige Forschung an einmal werden wir abwarten, ob SESAM die sich nun Unterstützung vom Nichteinwilligungsfähigen mit Nachdruck ab«, so Auflagen erfüllen kann und wie das Projekt dann Eidgenössischen Datenschutz- Gabriele Pichlhofer, »und wir fordern die Projekt- im Detail aussieht«, so Pichlhofer vom Basler beauftragten. leitung auf, endlich auf die Studie zu verzichten.« Appell. »Wenn es nötig wird, leiten wir dann Kontakt: Tel. (0041) 616920101, Davon sind die SESAM-Betreiber weit entfernt. auch rechtliche Schritte ein.« Internet: www.baslerappell.ch/

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 7 Schwerpunkt

Noch mehr Fremdbestimmung? Vorschläge zur Änderung des Transplantationsrechtes

Von Klaus-Peter Görlitzer Das Transplantationsgesetz (TPG) wird im Medizin Werbung zu machen. Wie in einer kon- (Hamburg), Journalist, Dezember zehn Jahre in Kraft sein. Sein zertierten Aktion haben diverse ExpertInnen und redaktionell verantwort- Zweck, die Verfügbarkeit verpfl anzbarer Organisationen vor einigen Monaten begonnen, lich für BioSkop Organe erheblich zu steigern, wurde indes das geltende Transplantationsrecht immer wieder weit verfehlt: Die Zahl der Nieren, Herzen, in Frage zu stellen. Einige Beispiele: Lebern, Lungen und Bauchspeicheldrüsen, Die Bundesärztekammer (BÄK) machte die die alljährlich in deutschen Kliniken ent- Organtransplantation zum Schwerpunktthema nommen wurden, stagniert zwischen 3.500 beim diesjährigen Deutschen Ärztetag, der Mitte und 4.000. Nun geht die »Organspende«- Mai in Münster stattfand. Auf Initiative des Lobby in die Offensive: Die Rufe, die recht- BÄK-Vorstandes wurde eine »Reform des Trans- lichen Rahmenbedingungen noch mehr zu plantationsrechts mit Augenmaß« reklamiert. lockern, werden lauter. Manche Vorschläge »Denkbar«, heißt es in einer gefassten Entschlie- propagieren unterschwellig eine Pfl icht zur ßung, »wäre beispielsweise eine Ausweitung des »Organspende«. zur Lebendspende akzeptierten Personenkreises«. Erwägenswert finden die meisten Ärztetag-De- »Laut aktueller Eurobarometer-Umfrage vom Mai legiertInnen »die Unterstützung so genannter L2007 befürworten 81 Prozent der Europäer den ‚Überkreuz-Spenden‘ zwischen nicht verwandten Organspendeausweis«, meldete das Deutsche Personen«. Kliniken mit Intensivstationen soll- Zu einer Ärzteblatt am 1. Juni in seiner Internet-Ausgabe. ten dazu angehalten werden, ihrer gesetzlichen Entscheidung bewegen Tags drauf wurde der »Tag der Organspende« Verpflichtung nachzukommen, wonach sie »Es sollte die Möglichkeit begangen, und die Deutsche Stiftung Organ- potenzielle »SpenderInnen« an das zuständige geprüft werden, jeden Füh- transplantation (DSO) kündigte an, sie werde im Transplantationszentrum melden müssen. Wei- rerscheinbewerber zu einer Herbst – mal wieder – eine bundesweite »Infor- tere Förder-Beschlüsse wurden gefasst, darunter Entscheidung für oder gegen mationskampagne« starten. die Anregung, FührerscheinbewerberInnen mit eine Organspende zu bewe- Die Methode, mit Hilfe der Demoskopie für der Option zur »Organspende« zu konfrontieren gen. Damit würde nicht nur die Ziele des Auftraggebers zu werben und ent- (Siehe Randbemerkung links). der Anteil der Bevölkerung sprechende Akzeptanz zu behaupten, ist zwar Der Nationale Ethikrat geht noch erheblich erhöht, der einen Organspen- alles andere als unüblich; beim Thema »Organ- weiter. Anders als der Ärztetag plädiert er für derausweis besitzt, sondern spende« ist es aber mehr als peinlich. Denn die eine Regelung, wonach faktisch jede/r so lange es würde bei den jungen wahren Bilanzen sehen automatisch als »Organ- Auto- und Motorradfahrern so aus: Von denjenigen Lediglich 5,8 Prozent der 2005 spenderIn« angesehen möglicherweise ein erhöhtes 1.220 Menschen, denen im in Deutschland registrierten wird, bis er oder sie dieser Bewusstsein für ihre Verant- Jahr 2005 nach Feststel- »SpenderInnen« von staatlichen Vorannahme wortung geschaffen.« lung des »Hirntodes« in Körperteilen hatten zuvor ausdrücklich widerspricht. Entschließung »Optimierung Deutschland Körperteile schriftlich eingewilligt. Damit die BürgerInnen der Organspende«, beschlos- herausgeschnitten wur- diese Reform zwecks sen vom Deutschen Ärztetag den, hatten lediglich 5,8 Prozent zu Lebzeiten Körperteilbeschaffung, die eine Änderung des am 16. Mai 2007 eine entsprechende »Organspende«-Erklärung TPG erfordern würde, auch mitkriegen, sollen sie verfasst; nachzulesen sind diese Zahlen in der offi- nach Meinung der Ethik-ExpertInnen »in einem ziellen Statistik der DSO. Daraus folgern lässt sich geregelten Verfahren zur persönlichen Erklärung zweierlei: Zum einen werden Organentnahmen darüber aufgefordert werden, ob sie zur Organ- hierzulande meist fremdbestimmt, nämlich ohne spende bereit sind«. Die Pro- oder auch Contra- Einwilligung des Betroffenen, durchgeführt. Zum Erklärung, sekundierte Bayerns Sozialministerin anderen kann man angesichts der »Spender«- Christa Stewens, sollte unbedingt auf der ge- und Zustimmungszahlen wohl nicht wirklich von planten elektronischen Gesundheitskarte (Seite 7) überwältigender Akzeptanz der »Organspende« registriert werden; dafür werde sie sich persön- reden. lich einsetzen. Das Selbstbestimmungsrecht Das wissen natürlich auch diejenigen, deren werde durch so eine Neuregelung nun wirklich beruflicher Alltag es ist, Körperteile zu beschaf- nicht eingeschränkt, erzählte Ethikrat-Mitglied fen, zu transplantieren und für diesen Zweig der Hermann Barth, im Hauptberuf Präsident des Kir- ➔

8 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Ersatzteillager Mensch

Unfreiwillige der »Gewebespende«. Offen lässt das Gesetz allerdings, nach welchen Kriterien und Verfahren Knochenmark-»Spender« explantierte Gewebe konkret verteilt werden Der Bundesrat wird voraussichtlich Anfang sollen. Juli über das umstrittene Gewebegesetz Kurz vor der Abstimmung im Bundestag Ende abstimmen. Die vom Bundestag bereits Mai wurden auch Regeln zur fremdnützigen, beschlossenen Paragraphen regeln das Be- riskanten Entnahme von Knochenmark geän- schaffen, Testen, Lagern und Verarbeiten dert. Und zwar so, dass die Bundesvereinigung menschlicher Zellen und Gewebe. Lebenshilfe, die Menschen mit geistiger Behin- derung vertritt, der Presse mitteilen konnte: »Es Doppelt Ist die Länderkammer einverstanden, kann das ist ein wichtiger Erfolg, dass die Lebenshilfe verfügbar werden IGewebegesetz noch diesen Sommer in Kraft tre- mit ihrer Forderung durchdringen konnte, den »Zur Förderung der postmor- ten. Widerspruch kam im Bundestag bis zuletzt Schutz nichteinwiligungsfähiger Erwachsener talen Organspende fordert von den Bündnisgrünen. Deren Gesundheitspo- vor fremdnützigen Eingriffen sicherzustellen.« der 110. Deutsche Ärztetag litiker Harald Terpe kritisiert: »Die Bundesregie- Laut Gewebegesetz darf nicht zum »Spender« diejenigen Institutionen, die rung täuscht die Öffentlichkeit. Die Kommer- gemacht werden, wer volljährig ist, aber wegen beratend Empfehlungen zu zialisierung menschlicher Gewebe ist mit dem Erkrankung oder Behinderung gar nicht zustim- Patientenverfügung und Gewebegesetz anders als behauptet keinesfalls men kann. Aber: Für Kinder sieht der Gesetzge- Vorsorgevollmacht geben, ausgeschlossen.« Tatsächlich können Gewebeein- ber diesen kategorischen Schutz nicht vor – im auf, auch die Organspende richtungen eine arzneimittelrechtliche Zulas- Gegenteil: Das Entnehmen von Knochenmark als mögliche Verfügung zu sung für Gewebetransplantate beantragen und bei Minderjährigen soll zulässig sein, wenn benennen. Die Organspende folglich auch Handel damit treiben. Offiziell eine derartige »Spende« erkrankten Eltern oder nach Feststellung des Hirn- untersagt ist aber, unbearbeitete Körperstoffe, Geschwistern helfen soll. todes muss nicht im Wider- beispielsweise Augenhornhäute oder Herzklap- Für den uneingeschränkten Schutz aller Men- spruch zu einer Patienten- pen, gewinnbringend zu vermarkten. schen, die juristisch gesehen als einwilligungs- verfügung stehen.« Menschliche Gewebe dem relativ strengen unfähig gelten, hatte sich BioSkoplerin Erika aus der Entschließung »Organ- Arzneimittelrecht zu unterstellen, findet die Feyerabend am 7. März bei einer Sachverständi- spende und Patientenverfü- Bundesärztekammer grundlegend falsch. Sie genanhörung des Gesundheitsausschusses stark gung«, beschlossen vom Deut- freut sich aber über einige »Nachbesserungen«: gemacht. Dabei stellte sie das Gewebegesetz schen Ärztetag am 16. Mai 2007 Wichtig ist den ÄrztefunktionärInnen der nun ganz grundsätzlich in Frage. Die Stellungnahme beschlossene Vorrang der »Organspende« vor gibt es bei BioSkop, Telefon: (0201) 5366706.

➔ chenamts der Evangelischen Kirche, anschließend dem mehr oder weniger informierten Publikum. Sprachliche Verwirrung Der medizinische Vorstand der DSO, Professor Günter Kirste, trägt die Linie des Ethik- JournalistInnen werden unter anderem dafür rates, die doch einige Kritik erntete, nicht mit, bezahlt, exakt und sensibel zu formulieren. jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Dafür hat Beim Thema »Organspende« liegen viele Be- Kirste aber einen brisanten Vorschlag auf Lager, richterstatterInnen immer mal wieder daneben. der selbstverständlich auch dazu dient, mehr Regelmäßig verbreiten Presse, Radio und Ferse- Körperteile zu besorgen: »Der DSO-Vorstand hen Sätze wie den folgenden: »In Deutschland regte an«, meldete die Nachrichtenagentur dpa sterben täglich drei Menschen, weil sie vergeb- am 31. Mai, »auch über Organspenden nach lich auf ein Spenderorgan gewartet haben.« einem Herztod nachzudenken.« Ein Herz-Kreis- (zum Beispiel: WAZ, 9. Juni 2007). Wer eine laufstillstand von zehn Minuten wird in manchen solche Ursache-Wirkung (»weil«) behauptet, europäischen Staaten als Todeskriterium gewer- hat vor dem Schreiben wohl einfach vergessen tet, also darf dann explantiert werden. zu recherchieren, also sich nach den jeweiligen, Möglich, dass der eine oder andere Vorschlag schließlich tödlich verlaufenden Erkrankungen demnächst ernsthaft in deutschen Parlamenten der PatientInnen zu erkundigen. Oder meinen die diskutiert wird. Vorher sollten die PolitikerInnen AutorInnen solcher Berichte wirklich, Warten sei aber unbedingt dafür sorgen, dass mögliche per se tödlich und menschliche Nieren, Herzen Unregelmäßigkeiten im Transplantationsbetrieb oder Leberstücke seien Arzneimittel, die jede/r vollständig aufgeklärt und abgestellt werden. ganz selbstverständlich beanspruchen kann? (Siehe Seite 10)

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 9 Ersatzteillager Mensch

Im Fokus der Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Transplanteur Christoph E. Broelsch

Von Klaus-Peter Die Essener Staatsanwaltschaft nimmt der- der Universität Duisburg-Essen, Prof. Lothar Zech- Görlitzer (Hamburg), zeit das Transplantationszentrum der Ruhr- lin, hat ein Disziplinarverfahren gegen Broelsch Journalist, redaktionell metropole unter die Lupe. Der Verdacht eingeleitet, das der Betroffene selbst beantragt verantwortlich für der StrafverfolgerInnen klingt unglaublich: habe; »die Spendenpraxis«, heißt es in der Rekto- BIOSKOP Erpressung und Vorteilsannahme. Dutzende ratsmitteilung, »wird nicht weiter fortgeführt.« PatientInnen könnten im Uniklinikum nur Scheinbar unbeeindruckt von den laufenden, gegen Zahlung einer Geldspende operiert längst bundesweit beobachteten Ermittlungen worden sein; selbst Organhandel wird nicht veranstaltete Broelsch Anfang Juni ein Internati- ausgeschlossen. Im Fokus der Ermittlungen: onales Transplantationssymposium im Congress Das Ansehen der Cheftransplanteur Christoph E. Broelsch. Center Essen – Anlass für BioSkop, gegen diese Medizin gestärkt? Veranstaltung zu protestieren (Siehe Randbe- »Für seine herausragenden Der erste Vorwurf wurde Mitte Mai in der Essener merkung rechts). Vor fünf Jahren, im Juni 2002, Leistungen in der Chirurgie DLokalpresse laut: Der Sohn einer Patientin habe hatte Broelsch schon einmal zu einem Interna- hat Ministerpräsident Peer erklärt, dass seine krebskranke Mutter erst von tionalen Lebendspende-Symposium nach Essen Steinbrück am 19. August Professor Broelsch operiert worden sei, nachdem geladen. Mit der damaligen, von vielen Medien 2004 das Große Verdienst- er eine Spende von 5.000 Euro gezahlt habe; zu- beachteten Veranstaltung (Siehe BioSkop Nr. 18) kreuz des Verdienstordens vor sei seine Mutter im Uniklinikum abgewiesen initiierte Broelsch ein Forum für ausgewählte der Bundesrepublik Deutsch- worden. Wenige Tage später kam heraus, dass die ReferentInnen, die hartnäckig dafür werben, land an Professor Christoph Essener Staatsanwaltschaft seit Monaten bereits Organentnahmen zu kommerzialisieren; Broelsch Broelsch vom Universitätskli- wegen eines anderen Verdachts gegen den be- selbst plädierte für »finanzielle Anreize zur Ver- nikum Essen überreicht. ›Die rühmten Chirurgen ermittelt: Broelsch und einer besserung der Organspende«; »die ökonomisierte großen Leistungen von Prof. seiner Oberärzte sollen eine Leber gegen Geld Welt«, so Essens Cheftransplanteur, »braucht für Dr. Broelsch haben das An- transplantiert haben – an der gesetzlichen Warte- die Organspende keine Ausnahme zu machen«. sehen der deutschen Medizin liste vorbei. Das jedenfalls behaupten die Brüder Und außerdem: »Wer zur Organtransplantation auch international ungemein einer krebskranken Griechin. 60.000 Euro in bar beiträgt, trägt zur Kostendämpfung im Gesund- gestärkt‹, sagte der Minister- wollen sie zu diesem Zweck besagtem Oberarzt heitswesen bei!«, schrieb Broelsch. präsident. ›Neben seiner übergeben haben. Tätigkeit als herausragender Derweil forderte Nordrhein-Westfalens In- »Operation Niere« Chirurg ist Prof. Dr. Broelsch novationsminister Andreas Pinkwart (FDP) per Ein halbes Jahr später waren das Transplan- engagierter Protagonist Pressemitteilung, PatientInnen, die »in ähnlicher tationszentrum und sein Chef erneut Gegenstand einer Erweiterung des Weise geschädigt wurden«, sollten sich bei der von Schlagzeilen. Am 5. Dezember 2002 veröf- Kreises der Lebendspender. Leitung des Uniklinikums melden; und Ober- fentlichte die Wochenzeitung DIE ZEIT ein aufrüt- Mit Nachdruck vertritt er staatsanwältin Angelika Matthiesen empfahl telndes Dossier: »Operation Niere. Organvermitt- damit die Interessen derjeni- allen, die zur Aufklärung beitragen könnten, eine ler fädeln Geschäfte ein, die bis nach Deutschland gen, deren Leben von einer Hotline des Landeskriminalamtes anzurufen (Te- reichen«. Wer dieses Musterbeispiel investigativer rechtzeitigen Organspende lefon 0800/5677878). Inzwischen, Stand: 6. Juni Berichterstattung, recherchiert und geschrieben abhängt.‹«” 2007, untersucht die 15-köpfige »Sonderkommis- von der Hamburger Journalistin Martina Keller, aus einer Mitteilung, verbreitet sion Klinik« rund 80 Operationen, die – so der las bzw. lesen wollte, erhielt einen minutiösen am 20. August 2004 vom Verdacht – beschleunigt oder nur gegen Zahlung Einblick in Strukturen und Praktiken des interna- Presse- und Informationsamt einer »Spende« möglich geworden seien. tionalen Organhandels. »Nach der Statistik des der damaligen, rot-grünen Lan- Vorhaltungen, in seinem Verantwortungs- israelischen Krankenkassen-Managers Rosenfeld«, desregierung in Nordrhein-West- bereich seien PatientInnen zur Spende gepresst hieß es im Dossier der ZEIT, »wurden in den ver- falen. Der im Mai 2005 in NRW worden, bestreitet Broelsch ebenso kategorisch gangenen zwei Jahren sieben gekaufte Nieren in abgewählte Sozialdemokrat wie irgendeine persönliche Bereicherung: »Wenn Deutschland transplantiert, alle in Essen.« Steinbrück stieg anschließend Spenden geleistet wurden«, so eine persönliche Wegen des Verdachts des Organhandels zum Bundesfi nanzminister auf. Erklärung des Cheftransplanteurs, »so gingen ermittelte anschließend die Staatsanwaltschaft sie – bei einem entsprechenden Honorarver- Essen – Alfred Rosenfeld befragte sie aber nicht. zicht von meiner Seite – ausschließlich auf ein Untersucht wurden mehrere Operationen, die im Forschungskonto der Klinik, von wo aus sie der Essener Transplantationszentrum stattgefunden medizinischen Forschung zuflossen.« Der Rektor hatten: Es ging jeweils um israelische Patienten, ➔

10 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Schwerpunkt

➔ denen Nieren von »Lebendspendern« aus Mol- gemäß deutschem Recht müssten »Lebendspen- dawien und der Ukraine übertragen wurden; derInnen« im Anschluss an die Organentnahme Frage an alle Förderer Empfänger und »Spender« sollen angeblich mit- eigentlich medizinisch betreut werden. Fraglich »Das gibt es wirklich nicht einander verwandt gewesen sein. Im Juni 2004 ist zudem, ob Lebendspende-Kommissionen Or- alle Tage: ein internationaler stellten die StrafverfolgerInnen ihre Ermittlungen ganhandel mit Gewissheit ausschließen können. Kongress, geleitet von einem ein; zwei Monate später überreichte der dama- Diversen Presseartikeln zu den aktuellen Wissenschaftler, gegen den lige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück das Ermittlungen ist zu entnehmen, dass es für die gerade StaatsanwältInnen Bundesverdienstkreuz an Professor Broelsch. StrafverfolgerInnen gar nicht so einfach sein ermitteln! Möglich ist das in Die Essener Staatsanwaltschaft, die heute in soll, im Uniklinikum Essen zu ermitteln. Höchst der Ruhrmetropole Essen, die mindestens einem Fall auch dem Verdacht auf bedenklich, was die Westdeutsche Allgemeine bald Europas Kulturhaupt- Organhandel nachgeht, könnte die alten, nicht Zeitung (WAZ) am 25. Mai zu berichten wusste: stadt sein will: Jedenfalls aufgeklärten Vorgänge nun noch einmal untersu- Die Staatsanwältin habe erfahren müssen, »wie erwartet Professor Christoph chen. BioSkoplerin Erika Feyerabend bekräftigte allgegenwärtig die Angst ist auszusagen, wie E. Broelsch, Chef des Essener am 8. Juni 2007 per Pressemitteilung: »Wir hof- sehr gerade Mitarbeiter des Klinikums fürch- Transplantations zentrums, fen, dass die Staatsanwaltschaft dieses Mal um- ten, sich beruflich ins Abseits zu katapultieren«, am kommenden Montag und fassender ermittelt und auch die entsprechende schrieb die WAZ. Dienstag (11./12. Juni 2007) Chirurgen aus aller Welt – im Congress Center Essen den Verdacht des Organhandels nahe legt, hatte sollen sie dann zwei Tage Versäumtes BioSkop wiederholt öffentlich hingewiesen (Siehe lang über Transplantationen z.B. BioSkop Nr. 21); ebenso auf anonyme Hin- und Lebendorganspenden nachholen weise, die damals aus dem Klinikum zu BioSkop reden. Auch ›Ethik und »Die Staatsanwaltschaft hat sich damals nicht gedrungen waren. Rückhaltlos aufgeklärt wurde Ökonomie‹ stehen auf dem genug angestrengt« – diese Einschätzung von der Sachverhalt aber nicht – weder durch Staats- Programm des Symposiums BioSkoplerin Erika Feyerabend stand am anwältInnen noch von Essener Universität oder (www.living-donor-essen.de), 25. Mai 2007 in der Westdeutschen Allgemeinen Lebendspendekommission. Und was taten die ›Chairman‹ der Sitzung zur Zeitung (WAZ). Deren Reporterin Hayke Lanwert PolitikerInnen? Sie verharrten auf Tauchstation! Ethik bei der Lebendorgan- beleuchtete den »Fall des Essener Starchirurgen Gegenwärtig gibt es – nicht nur für die Staats- spende ist Prof. Broelsch Prof. Christoph Broelsch«, Titel ihres Berichtes: anwaltschaft – Anlass und eigentlich auch die persönlich. Adressiert an den »Operation Chefarzt«. Pflicht, Versäumtes nachzuholen. Dabei kann es Gastgeber, an Essens Politiker- »Damals«, das war zwischen Dezember 2002 hilfreich sein, immer mal wieder die Homepage Innen, Universitätsklinikum, und Juni 2004. Essener StaatsanwältInnen er- von BioSkop anzuklicken, denn dort steht das Wissenschaftsministerium mittelten zwar seinerzeit im Transplantationszen- Online-Dossier »Ermittlungen im Transplanta- und die Unterstützer dieses trum, versäumten es aber einfach, auch den isra- tionszentrum Essen – Einblick. Ausblick. Durch- Kongresses (Deutsche For- elischen Krankenkassenmanager Alfred Rosenfeld blick?«. Zu lesen sind reichlich Informationen schungsgemeinschaft, di- zu befragen. Der hatte laut Wochenzeitung Zeit über »Lebendorganspenden«, finanzielle Anreize verse Pharmafi rmen) stellt gesagt, dass in Essen »sieben gekaufte Nieren« und Geschäfte mit Körperteilen: BioSkop diejenige Frage, die transplantiert worden seien (Siehe Artikel auf Sei- www.bioskop-forum.de/dokumentationen/ sich eigentlich aufdrängt: te 10). Auf Rosenfelds Darstellung, die zumindest broelsch/broelsch-01.htm ›Sehr geehrte Damen und Herren, wäre es angesichts politische Unterstützung bekommt, die seinerzeit Anlass für BioSkop, diejenigen, die für solche der laufenden Ermittlungen rein gar nicht erkennbar war.« Zweifelsfrei auf- Zustände mitverantwortlich sind, öffentlich an nicht geboten, die Veranstal- geklärt werden muss, ob die Darstellung des demokratische Spielregeln zu erinnern: »Auch Ar- tung abzusagen bzw. deren Herrn Rosenfeld zutrifft oder nicht. beitsplätze dürfen keine rechtsfreien Zonen sein«, Unterstützung einzustellen?‹« Zu ermitteln ist in diesem Zusammenhang betont BioSkop in seiner Pressemitteilung: »Wer aus einer Pressemitteilung von auch, wie die vor »Lebendorganspenden« ein- tatsächlich will, dass all die Vorwürfe lückenlos BioSkop vom 8. Juni 2007. Leider zuschaltende Kommission bei der Ärztekammer aufgeklärt werden, muss den MitarbeiterInnen haben die AdressatInnen es vor- Nordrhein eigentlich geprüft hat, ob jemals des Klinikums den Rücken stärken. Universitäts- gezogen zu schweigen und das verkaufte Nieren in Essen verpflanzt worden sind leitung, Aufsichtsrat des Uniklinikums und lan- Symposium stattfi nden zu lassen. oder nicht. Wie viele potenzielle Organgebe- despolitisch Verantwortliche müssten öffentlich Anders die Staatsanwaltschaft: rInnen hat die Kommission eigentlich angehört? zusichern, dass Aussagen über die Verhältnisse Sie agiert im Fall Broelsch der- Liegt eine ungewöhnliche Häufung ausländischer im Transplantationszentrum Akte von Zivilcourage zeit ziemlich zielstrebig – wo- Wohnsitze von SpenderInnen vor oder ist ihr sind. Sie dürfen weder mit arbeitsrechtlichen möglich so, wie es BioSkop schon vor fünf Jahren gefordert hatte. aktueller Wohnsitz nicht mehr bekannt? Dies Konsequenzen, noch mit sonstigen Benach- könnte auf Unregelmäßigkeiten hinweisen; teiligungen quittiert werden.«

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 11 Gesundheitsökonomie

Rezept gegen Preistreiberei? Kölner Qualitätssicherungsinstitut soll Nutzen von Arzneien künftig in Beziehung zu seinen Kosten setzen

Von Martina Keller Die Behandlung mit dem Anti-Darmkrebs- heit. Und so wird kalkuliert: Wenn beispielsweise (Hamburg), Journalistin mittel Avastin kostet rund 40.000 Dollar im eine 100.000 Euro teure Therapie einen Patienten Jahr pro Patient. Laut Ergebnissen klinischer heilt und ihm zehn zusätzliche Lebensjahre bei Studien verlängert es das Leben der Er- voller Gesundheit einbringt, liegen die errechne- krankten um durchschnittlich fünf Monate. ten Kosten pro qualitätsadjustiertem Lebensjahr In Großbritannien werden die Therapiekos- nur bei 10.000 Euro. Wenn ein Medikament den ten von den öffentlichen Kassen allerdings Patienten nicht heilt und ihn durchschnittlich nicht bezahlt. Das National Institute for nur wenige Monate länger leben lässt, liegen Health and Clinical Excellence (NICE) hatte die Kosten entsprechend höher. Für das vom Nutzen und Kosten gegeneinander abge- Roche-Konzern vermarktete Avastin (Wirkstoff: wogen und das Verhältnis für zu ungünstig Bevacizumab) kam das NICE so auf eine Summe befunden. Das NICE nimmt solche Analysen von umgerechnet 130 000 Euro pro qualitätsad- seit 1999 vor. Ähnliche Berechnungen zur justiertem Lebensjahr. Wirtschaftlichkeit von Medikamenten soll »Bei diesem Wert rät das NICE von der Kosten- es künftig auch in Deutschland geben. übernahme ab, weil es einen zwar nur ungefähren, aber deutlich niedrigeren Grenzwert hat, was Den Auftrag zur Kosten-Nutzen-Bewertung hat als Kosten pro gewonnenes qualitätsadjustiertes Ddas Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit Lebensjahr akzeptiert werden kann«, sagt Rein- im Gesundheitswesen (IQWiG) in Köln mit der hard Busse, der seit fünf Jahren den Lehrstuhl für Gesundheitsreform erhalten, die seit April gilt. Management im Gesundheitswesen an der Tech- »Bei der wirtschaftlichen Bewertung sollen neben nischen Universität Berlin inne hat. Die Obergren- dem Patientennutzen auch die Angemessenheit ze für die Kosten leitet sich aus volkswirtschaft- und Zumutbarkeit einer Kostenübernahme durch lichen Statistiken ab. »Es ist ein Wert, der inter- die Versichertengemeinschaft angemessen be- national überall ähnlich aussieht«, sagt Busse. rücksichtigt werden«, teilte die Bundesregierung Die Weltgesundheitsorganisation beispielweise auf eine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen mit. empfiehlt, sich an einer Summe zu orientieren, Somit müssen Medikamente künftig eine so ge- die bis zum Dreifachen des Bruttoinlandprodukts nannte »vierte Hürde« nehmen, nachdem bereits (BPI) pro Kopf betragen könnte. Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit belegt sind. In England liegt die Grenze beim Doppelten Nach welcher Methodik Kosten und Nutzen des BPI pro Kopf, bei etwa 30.000 Pfund, also Anzeige ins Verhältnis gesetzt werden sollen, ist allerdings umgerechnet 45.000 Euro. Das heißt in anderen noch unklar. Strittig dürfte insbesondere sein, ob Worten: Therapiekosten, die über dem liegen, was gefällig? eine finanzielle Obergrenze festgelegt wird, ab zwei gesunde Menschen in einem Jahr erarbeiten, der eine Therapie nicht mehr bezahlt werden soll. werden von den öffentlichen Kassen in Großbri- Sie können in Bislang gilt der Grundsatz: Neue Therapien wer- tannien nicht mehr bezahlt. Allerdings handelt BioSkop inserieren! den von den gesetzlichen Krankenkassen finan- es sich dabei um keinen fixen Wert. »Da gibt es Rufen Sie uns an: ziert, wenn sie tatsächlich zusätzlichen Nutzen einen Ermessensspielraum«, sagt IQWiG-Leiter Tel. (02 01) 53 66 706 bringen – egal wie teuer sie sind. Seit April ist Peter Sawicki. nun die Kosten-Nutzen-Bewertung im Sozialge- Pharmazeutische Unternehmen gehen bei setzbuch festgeschrieben. Das IQWiG will zu- ihrer Preisgestaltung übrigens nach ähnlichen sammen mit Gesundheitsökonomen die Praxis in Prinzipien vor: »Arzneimittelpreise spiegeln ja anderen Staaten sichten und bis zum Jahresende nicht einfach die Herstellungskosten«, sagt Busse, eine Methodik für Deutschland vorschlagen. »bei vielen Mitteln steckt genau die gleiche Über- In angelsächsischen Ländern wie Großbritan- legung der Hersteller dahinter: Wie viel bringt das nien ist bereits seit Jahren das so genannte Qualy- Medikament, und je mehr es bringt, um so teurer Modell verbreitet. Es legt als Berechnungseinheit ist der Preis.« ein »qualitätsadjustiertes Lebensjahr« zugrunde, Skandinavische Länder beziehen in ihre Ana- das bedeutet: ein Lebensjahr bei voller Gesund- lysen auch die so genannte willingness to pay ein, ➔

12 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Gesundheitsökonomie

»Befragen Sie Ihren Bundestagsabgeordneten!« Die Perspektive großer Eigentlich wollte das Bundesgesundheitsminis- Vorständler auch nach dem Volumen der einge- Arzneimittelhersteller Eterium bis Juli die Zulassung von Arzneien und worbenen Zulassungsanträge bemessen werden. »Das Institut für Empirische Medizinprodukten reformiert und industrie- »Der Gesetzentwurf löst ein Problem, was die Gesundheitsökonomie wurde freundlicher gestaltet haben (Siehe BioSkop Nr. Pharmaindustrie vor drei Jahren hatte, was aber vom Verband Forschender 37). Daraus wird vorerst nichts: Einflussreiche so nicht mehr besteht«, kritisiert etwa DAMA- Arzneimittelhersteller e.V. PolitikerInnen des Regierungslagers sind offen- Skeptiker Karl Lauterbach (SPD). (VFA) beauftragt, ein Gutach- bar dagegen, das Bundesinstitut für Arzneimittel Gestoppt ist die DAMA noch längst nicht; der ten zur Versorgungssituation und Medizinprodukte (BfArM) in eine markt- Gesetzentwurf soll zwar verändert, aber weiter mit Arzneimitteln in Deutsch- orientierte Dienstleistungsagentur namens beraten werden. Grund genug für die im BfArM land zu erstellen. Die Ergeb- DAMA zu verwandeln. aktive Betriebsgruppe der Gewerkschaft Verdi, nisse zeigen alarmierende Am 21. März, bei einer Anhörung im Ge- gegen den Regierungsplan weiter zu mobilisie- Versorgungslücken: Millionen sundheitsausschuss, warnten ExpertInnen, die ren. Verdi fordert: »Befragen Sie Ihren Bundes- deutscher Patienten sind von Reform drohe PatientInnen zu gefährden. Hin- tagsabgeordneten zur DAMA!«. einer eklatanten Unterver- tergrund der Bedenken: Arzneien sollen noch Infos und Kontakt: www.verdi-im-bfarm.de sorgung mit Arzneimitteln schneller geprüft und das Gehalt der DAMA- Klaus-Peter Görlitzer betroffen. ➔ also die Bereitschaft der Bürger zu zahlen. Die Als Konsequenz bildete der GB-A zum Beispiel Drei von 10 Beispielen aus Bevölkerung wird in Stichproben befragt, was ihr im Falle der cholesterinsenkenden Statine eine der Studie: In Deutschland ein bestimmter Behandlungserfolg wert sei. »Das Festbetraggruppe, in die auch das Pfizer-Medika- leben zurzeit ca. eine Milli- Problem ist, dass der Wert auch von der ability to ment Sortis (Wirkstoff: Atorvastatin) einbezogen on Menschen, die an einer pay abhängt, der Fähigkeit zu zahlen«, sagt Busse. wurde. Für Sortis werden seither nur die Kosten Demenz leiden. Bei den »Insofern sind diese Konstrukte sehr theoretisch.« der bewährten Standardtherapie erstattet. Bei Betroffenen besteht eine Während Kritiker der Kosten-Nutzen-Analyse den kurzwirksamen Insulinanaloga für die Be- Unterversorgung mit Anti- vor dem Einstieg in die Zwei-Klassen-Medizin handlung von Diabetes-Typ 2 beschloß der GB-A: dementiva von 74%. Bei der warnen, sehen Befürworter neben den ökono- Sie sind nur dann verordnungsfähig, wenn sie rheumatoiden Arthritis, an mischen Zwängen auch strategischen Nutzen. Die nicht mehr kosten als Humaninsulin. In beiden der bis zu 800 000 Menschen Analysen könnten die Preisgestaltung der Her- Fällen waren Kosten-Nutzen-Überlegungen nicht hierzulande leiden, muss steller beeinflussen: »Eine solche Rechnung kann mehr nötig. von einer Unterversorgung dazu dienen festzustellen, wie hoch oder niedrig Künftig wird es darum gehen, auch in sol- mit innovativen Arzneimit- müsste der Preis eines Medikaments sein, damit chen Fällen eine Obergrenze festzulegen, wo teln von 69% ausgegangen ich auf ein Kosten-Nutzen-Verhältnis komme, das eine patentgeschützte neue Therapie tatsächlich werden und bei den bis zu noch akzeptabel ist«, sagt Busse. einen Zusatznutzen bringt, womöglich aber nur 6 Millionen Osteoporose-Er- Die neue Prüfbefugnis des IQWiG wird auch einen geringen. IQWiG-Chef Sawicki sieht gesell- krankten in Deutschland ist die Entscheidungen im Gemeinsamen Bundesaus- schaftlichen Diskussionsbedarf in der Frage. Das eine Unterversorgung mit schuss (G-BA) beein- IQWiG könne einen der empfohlenen medika- flussen, der seinerseits Die neue Prüfbefugnis des IQWiG solchen Grenzwert mentösen Therapie von 51% regelmäßig Gutachten- wird auch den Gemeinsamen nicht festlegen. »Das festzustellen.« aufträge an das IQWiG Bundesausschuss beeinflussen, müsste eine Institution aus einer Pressemitteilung, vergibt. Der G-BA ist der entscheidet, welche Leistungen sein, die demokratisch die der Verband Forschender mächtig: Er legt fest, die Krankenkassen bezahlen legitimiert ist, zum Arzneimittelhersteller (VFA) am welche Leistungen müssen – und welche nicht. Beispiel der Bundes- 23. Mai 2007 verbreitet hat. Der die gesetzlichen Kran- tag.« Sawicki glaubt VFA vertritt die Interessen von kenkassen hierzulande bezahlen müssen – und allerdings nicht, dass es so kommen wird. »Einen 43 global agierenden Konzernen welche nicht. Dabei muss der G-BA schon jetzt solchen Preis gibt es nicht in Deutschland, und und ihren über 100 Tochter- und die Wirtschaftlichkeit neuer Therapien berücksich- ich sehe auch keine Vorschläge dafür.« Das liege Schwesterfi rmen; laut Selbst- tigen. Beurteilungskriterien hatte das Bundessozi- »vielleicht an der deutschen Geschichte, vielleicht darstellung repräsentieren die VFA-Mitgliedsfi rmen »rund zwei algericht vor einem Jahr in seinem Urteil zu dem an der deutschen Vernunft«. Die Frage, was ein Drittel des gesamten deutschen Blutverdünner Clopidogrel genannt. Der Kernsatz begrenzter Therapieerfolg dem einzelnen und der Arzneimittelmarktes«. Das des Urteils lautete: »Nicht jeder noch so geringe Gesellschaft wert sei, sei schließlich eine philoso- zitierte Auftragsgutachten hält Nutzungsvorteil ist bei hohen Kostendifferenzen phische: »Der eine Patient sagt, ich würde Haus der VFA auf seiner Homepage wirtschaftlich; bei deutlich höheren Nutzungs- und Hof für ein weiteres Jahr mit meiner Frau bereit: www.vfa.de/pk20070523 vorteilen müssen aber durchaus höhere Kosten in verkaufen, der andere sagt, ich möchte diese Kauf genommen werden.« Therapie nicht mehr.«

BioSkop Nr. 38 Juni 2007 • 13 Arzneimitteltests

Klinische Studien als Geschäftsfeld Im Auftrag von Arzneiherstellern werben spezialisierte Firmen Versuchspersonen an – zunehmend in Osteuropa

Von Erika Feyerabend Weltweit, so vorsichtige Schätzungen, Dieser Dienstleistungssektor boomt. Die (Essen), Journalistin und fi nden jedes Jahr 50.000 klinische Studien jährlichen Wachstumsraten der CRO werden BioSkoplerin statt. Über die Hälfte dieser Versuche mit auf 15 Prozent beziffert. Der Bedarf an Pro- Menschen laufen in den armen Staaten. bandInnen ist groß, besonders für Studien der Organisiert werden die Medikamententests Test-Phase III, welche die letzte Hürde vor der meist von privatwirtschaftlichen Dienstleis- Medikamenten-Zulassung darstellt. Auf Basis der terfi rmen (CRO) – im Auftrag von Arzneimit- Studienergebnisse entscheiden letztlich die Zu- telherstellern. lassungsbehörden wie die US-amerikanische FDA, die europäische EMEA oder das deutsche BfArM Spannende Studie Pharmaunternehmen agieren weltweit, und sie (Siehe Kasten auf Seite 13), ob ein Präparat auf Die Anthropologin Adriana Pfusionieren mit steigender Geschwindigkeit. den Pillenmarkt darf oder nicht. Petryna von der University Der Markt verheißt hohe Renditen, ist aber hart Phase-III-Studien benötigen etliche tausend of Pennsylvania hat die Arz- umkämpft; die Suche nach Wirkstoffen, die sich kranke und gesunde Versuchswillige, bis zu neimitteltest-Branche einge- als potenzielle Umsatzrenner erweisen könnten, 10.000 Menschen können in zehn oder mehr hend unter die Lupe genom- läuft oft ins Leere. Und das Vermarktungsmono- Ländern parallel an einer solchen Arzneimittelprü- men; das besondere Augen- pol in Gestalt patentgeschützter Medikamente fung teilnehmen. Diese Testphase ist besonders merk der Wissenschaftlerin ist auf zwanzig Jahre begrenzt. Die klassische aufwändig; sie kostet viel Zeit und Geld. Der Pool galt dabei den Verhältnissen Wertschöpfungskette, die von der Forschung und verfügbarer Versuchs-PatientInnen in Westeuropa in Lateinamerika und Ost- Entwicklung bis zur Produktion und Vermark- und in den USA aber schrumpft. Aus Perspektive europa, denn diese gelten tung reicht, wird porös. Für Marketing sollen die der CRO gibt es in den reichen Industriestaaten als Wachstumsregionen im Pharmamultis rund 40 Prozent ihres Budgets eine »Therapie-Sättigung«: Besonders chronisch globalen Studien-Markt. Pe- aufwänden, besagen Schätzungen. In Forschung Kranke nehmen verschiedene Tabletten gleich- tryna befragte und beobach- und Entwicklung investiert die Branche deutlich zeitig ein; würden sie bei Arzneimittelversuchen tete PharmamanagerInnen weniger: Hier soll der Anteil an den Gesamtausga- mitmachen, könnten unerwünschte Wechselwir- ebenso wie privatwirtschaft- ben bei 20 Prozent liegen. kungen mit der Test-Substanz auftreten – ein liche Dienstleisterfi rmen Unabdingbare Voraussetzung für die Zulas- gesundheitliches Risiko für die Betroffenen, aber (CRO), deren tägliches Ge- sung eines neuen Präparates sind klinische Studi- auch ein geschäftliches Risiko für die Auftragge- schäft es ist, im Auftrag von en. Sie sollen nachweisen, dass und gegen welche ber der Studie. Arzneiherstellern klinische Erkrankungen die getestete Substanz wirkt. Ge- Prüfungen abzuwickeln. checkt wird auch, welche Risiken bei Einnahme Im Visier der Studiendienstleister Über Ergebnisse ihrer auf- der neuen Pille auftreten können und ob und in Angesichts solcher Bedingungen schauen sich schlussreichen, spannenden welchem Verhältnis unerwünschte Wirkungen CRO vorzugsweise in anderen Erdteilen nach Pro- Studie berichtete Petryna in des Präparats zum erwarteten Nutzen stehen. bandInnen um. Ins Visier der Studien-Dienstleister der sozialwissenschaftlichen Viele Hersteller machen solche Studien nicht rücken, neben den bekannten Armutsregionen in Zeitschrift BioSocieties aus selbst – lieber beauftragen sie so genannte Con- Afrika und Asien, zunehmend auch die postsozia- Cambridge. Ihr englisch- tract Research Organizations (CRO). Diese Dienst- listischen Länder Osteuropas. Polen beispielsweise sprachiger Aufsatz erschien leistungsunternehmen organisieren, möglichst verzeichnet jährlich rund 400 neue klinische Ver- im März 2007 (Nr.1, kostengünstig und in aller Welt, Experimente suche und Investitionen von einer halben Millarde S. 21-40), Überschrift: »Cli- zwecks Marktzulassung neuer Pharmaka. Getestet Dollar für diese Zwecke. In Tschechien werden nical Trials Offshored: On werden auch Wirkstoffe, die für die Behandlung ähnliche Dimensionen vermutet. Eine/r von hun- Private Sector Science and einer bestimmten Krankheit bereits zugelassen dert BürgerInnen hat nach Schätzungen einer dort Public Health«. sind, deren mögliches Einsatzgebiet der Hersteller tätigen Geschäftsfrau bereits an wissenschaft- aber auf weitere Krankheiten ausgeweitet sehen lichen Experimenten teilgenommen. Insgesamt will. Üblich und rechtlich notwendig sind auch soll Osteuropa der »zweitgrößte Produzent kli- Prüfungen leicht veränderter Nachahmungen nischer Daten« sein, erfuhr die US-amerikanische (Generika) von pharmazeutischen Verkaufsschla- Anthropologin Adriana Petryna, die gängige gern; seltener, aber öffentlich mehr beachtet, sind Praktiken der Arzneimittelversuchsbranche einge- Experimente mit gentherapeutischen Methoden. hend untersucht hat (Siehe Randbemerkung links). ➔

14 BioSkop Nr. 38 • Juni 2007 Klinische Studien

➔ »Erfolgreich in Polen testen« oder »Entdecken Sie Pharma-Nachrichten Russland für die klinische Forschung«, mit solchen Klage gegen für BörsianerInnen Slogans buhlen die Dienstleistungsanbieter heute den Marktführer » ›Ich erwarte in der derzeit um Auftraggeber. eher gering konsolidierten Sieben Milliarden US-Dollar Schadensersatz Branche eine großen Über- »Unbehandelte Kranke« gesucht Swill die Regierung Nigerias vom US-Pharma- nahmewelle‹, sagt Vice- Die Zahl chronisch Kranker mit Diabetes, multi Pfizer erstreiten. Ihre Klageschrift, einge- President Fritz Kröger von Darmkrebs oder überstandenem Herzinfarkt ist reicht beim Obersten Gericht des westafrika- der Unternehmensberatung auch in Osteuropa hoch. Aus Sicht der CRO sind nischen Landes, wirft dem weltgrößten Arznei- A.T.-Kearney im Gespräch das gute Rahmenbedingungen; dies gilt auch mittelhersteller vor, ein Präparat gegen Menin- mit der Finanz-Nachrich- für die Tatsache, dass dort PatientInnen oft gar gitis (Hirnhautentzündung) illegal an Kindern tenagentur dpa-AFX. Die keinen Zugang zu medizinischer Behandlung getestet zu haben.1996, während einer Menin- Großen der Branche wie haben. Und ganz sicher schlucken sie nicht so gitis-Epidemie im nigerianischen Bundestaat Pfi zer, GlaxoSmithKline, aber viele verschiedene Medikamente wie Menschen in Kano, hätten ÄrztInnen im Auftrag von Pfizer auch Novartis, hätten lange Westeuropa. Die Alphabetisierungsrate ist hoch, das damals noch nicht zugelassene Antibio- keine größeren Zukäufe mehr und so bereiten die Prozeduren der Einwilligung tikum Trovan rund 200 Mädchen und Jungen getätigt und könnten auch wenig Schwierigkeiten. Die Kliniken begrüßen die verabreicht – angeblich ohne Einwilligung auf dem deutschen Markt Arzneitests, weil sie in diesem Rahmen den Kran- der Eltern und ohne Kenntnis der Gesundheits- aktiv werden. ken überhaupt eine Therapie anbieten können. behörden. Als Kontrollgruppe hätten Kinder Dass Pharmaforschung Die Teilnahmebereitschaft ist – mangels Alternati- gedient, die mit einem – bereits zugelassenen ein riskantes Geschäft ist, ve – hoch. So ist das Geschäft mit den Studien ein – Wirkstoff eines Pfizer-Mitbewerbers behan- zeigt der Kurssturz beim ganz »normaler« Bestandteil der Gesundheitsver- delt worden seien. Biotech-Zwerg Paion. Eine sorgung geworden. Laut Klageschrift starben elf an Hirnhaut- Studie mit dem Hoffnungs- Klinische Prüfungen sind kein reiner Erkennt- entzündung erkrankte Kinder nach Konsum von träger Desmoteplase gegen nisgewinn. Sie zielen auf Marktzulassung eines Trovan; etliche der kleinen Versuchspersonen Schlaganfall zeigte nicht Medikamentes. Von strategischer Bedeutung sind hätten anhaltende gesundheitliche Schäden die gewünschte Wirkung, deshalb sowohl das Testdesign als auch die Re- davon getragen.1997 kam Trovan in den USA wie das Unternehmen am krutierung der Versuchspersonen. Ihre Anwerbung auf den Markt, allerdings ließ die US-Gesund- Freitag mitteilte. Die Aktie besorgt die CRO, den Prüfplan entwickelt der auf- heitsbehörde FDA das Antibiotikum nur für Er- verlor daraufhin mehr als traggebende Pharmakonzern. Die »unbehandelten wachsene zu; 1999 warnte die FDA, die Arznei 60 Prozent an Wert. Doch Kranken« aus den Armutsregionen dieser Erde könne schwere Leberschäden verursachen. auch Größe allein ist kein lassen die ExpertInnen auf positive Testergebnisse Pfizer bestreitet die Vorwürfe; Eltern und Be- Allheilmittel: Branchenprimus hoffen. Ausgeklügelte Teilnahmekriterien oder hörden hätten sehr wohl von den Tests gewusst. Pfi zer mit einem Umsatz von eine erhöhte Dosis des Vergleichsmedikamentes Was stimmt, sollen nun Richter herausbekom- 45 Milliarden Dollar in 2006 mit entsprechend höheren Nebenwirkungen men. Anfang Juli soll es die erste Anhörung pumpt jährlich mehr als sie- ebenfalls. Diesem Ziel dient auch die verbreitete der Beteiligten geben. Ute Bertrand ben Milliarden Dollar in die Praxis, ein neues Prüfpräparat nicht mit einer Forschung – mit begrenztem verfügbaren Standardtherapie zu vergleichen – Erfolg. Ab 2010/11 droht das sondern mit einem wirkungslosen Placebo, etwa akzeptabel sei, soll je nach Region und Studien- Auslaufen des Patentschutzes einer Zuckerpille. population unterschiedlich beantwortet werden für den Cholesterin-Senker können. Die Verfügbarkeit eines Medikamentes, so Lipitor – das weltweit meist- Dehnungsfähige Regeln das ziemlich zynische Kalkül, sei in Osteuropa und verkaufte Medikament mit Die »Helsinki-Erklärung« des Weltärztebundes seinen Gesundheitssystemen nun mal nicht so einem Umsatz von fast 13 billigt den Einsatz von Placebos in klinischen selbstverständlich wie in Westeuropa. Milliarden Dollar. Ende 2006 Versuchen nur, wenn es keine Standardbehand- Die Global Player in Forschung und Entwick- musste Pfi zer die Entwick- lung gibt. Für die Industrie geht es aber darum, lung wollen keine globalen Schutzstandards. An lung des ehemaligen Hoff- »Effizienz« zu produzieren. Placebos sind billiger der Schnittstelle ihrer kommerziellen Interessen nungsträgers Torcetrapib als bereits bewährte Arzneien, und der Vergleich und krisenhafter Gesundheitssysteme haben sie und Lipitor-Nachfolgers mit Placebos bringt eindeutigere Ergebnisse. regionale und dehnungsfähige Regeln entworfen, einstellen. Auch GlaxoSmith- Deshalb haben PharmamanagerInnen, gemeinsam um »behandlungsfreie« Kranken mit Zuckerpillen Kline erlitt Anfang der Woche mit juristischen und biomedizinischen ExpertInnen zu versorgen und fragwürdigen Experimenten einen Rückschlag beim Diabe- aus Europa, Japan und den USA, die Richtlinie auszusetzen. Dass die so produzierten Ergebnisse tes-Mittel Avandia.« für »Gute klinische Praxis« (ICH-E10) kreiert. Sie auf westeuropäische und »therapiegesättigte« aus einer Meldung der Finanz- ist eine marktgängigere Alternative. Ob der Ge- Krankengruppen übertragen werden können, das nachrichtenagentur dpa-AFX brauch von Zuckerpillen in kontrollierten Studien bezweifeln selbst manche CRO-ManagerInnen. vom 1. Juni 2007

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Vorschau ◆ Genetische Diagnostik Themen im September 2007 Neuer Regulierungsanlauf?

◆ Schwerpunkt ◆ Gesundheitspolitik Vorsorgen und Überwachen Der gläserne Patient

Fr. 29. Juni, 18 Uhr – So. 1. Juli, 13 Uhr Mi. 11. Juli, 18.15 - 20 Uhr Veranstaltungstipps Hofgeismar (Ev. Akadaemie, Gesundbrunnen 8) Berlin (Universitätsklinikum Charité, Campus Mi. 27. Juni, 18.15 Uhr - 20 Uhr ◆ Hauptsache gesund? Mitte, Sauerbruchweg 2, Hörsaal 6) Berlin (Universitätsklinikum Charité, Campus Tagung ◆ Selbstbestimmung im Sterben? Mitte, Sauerbruchweg 2, Hörsaal 6) »Mittlerweile ist Gesundheit im Zuge der neuen Vortrag ◆ Alles auf eine Karte? medizinisch-biotechnischen Möglichkeiten zum »Widersprüche der Patientenverfügung in der Praxis« Vortrag Megatrend geworden. Ist aber Gesundheit das erläutert Jeanne Nicklas-Faust bei der Ethik-Ring- Die geplante elektronische Gesundheitskarte höchste Gut. Was ist Medizin und wofür ist sie vorlesung der »Charité«. Die Medizinprofessorin und ihre Risiken beleuchtet Wolfgang Linder im da?« So lockt die evangelische Akademie Hofgeis- von der Ev. Fachhochschule Berlin hat einschlägig Rahmen der Charité-Ringvorlesung »Ethik in der mar zur Tagung ins Schlößchen Schönburg. Ziel sei geforscht. Ihre Doktorarbeit vom August 2003 Medizin«. Der Jurist, langjähriger Referent für es, »über das rein Körperliche hinaus nach einem trägt den Titel: »Eine Untersuchung zu Akzeptanz Gesundheits- und Sozialdatenschutz beim bremi- Verständnis von Gesundheit zu fragen, das im und Verbreitung von Patientenverfügungen bei schen Datenschutzbeauftragten, engagiert sich Alltag des Lebens, und damit auch in der Medizin, Hämodialysepatienten in Deutschland«. heute ehrenamtlich in einer Arbeitsgruppe des tragfähig ist«. Erkenntnisse bringen sollen Vorträge, Fr. 20. Juli - Fr. 27. Juli Komitees für Grundrechte und Demokratie. In Diskussionen, ein Kurzfilm und ein Kabarettist. Es Tübingen (Universität, Interfakultäres Zentrum einem ausführlichen Interview, publiziert in referieren u.a. die Professorinnen Barbara Duden für Ethik in den Wissenschaften, Wilhelmstr. 19) BioSkop Nr. 34, warnte Linder: »Die Gesundheits- und Marianne Gronemeyer. ◆ Der menschliche Körper zwischen karte soll am Anfang der zentralen Erfassung der Infos u. Anmeldung unter Telefon (05671) 881-122 Krankheitsgeschichten aller Versicherten stehen.« Vermarktung und Unverfügbarkeit Mo. 2. Juli, 19.30 Uhr Klausurwoche Mi. 27. Juni, 18.15 - 19.45 Uhr Aachen (Universitätsklinikum, Pauwelsstr. 30, Das Bundesministerium für Bildung und Forschung Bochum (Malakowturm, Marktstraße 258a) Hörsaal KH 5) finanziert Klausurwochen »zur Einübung und ◆ Wie überwinden wir die Knappheit ◆ Pharmakonzerne in Entwicklungsländern Vertiefung interdisziplinärer Arbeit und Kommuni- der Organe? Vortrag kation«. Das Tübinger Ethikzentrum greift tief in Vortrag Referentin Claudia Jenkes gibt einen Einblick in die den Fördertopf und lässt sieben Tage lang über die Diese Frage will der Kölner Philosophieprofessor Arbeit der BUKO Pharma-Kampagne. Die Nichtre- »Ressource Mensch« reden, zum Beispiel: Eigen- Michael Quante öffentlich stellen und aus seiner gierungsorganisation aus beobachet und tums- und Verfügungsrechte am Körper, Biopa- »medizinethischen« Sicht beantworten. Einge- analysiert kontinuierlich die Geschäftspraktiken tente, Organspende, Biobanken, Neuroimplantate, laden hat ihn das Bochumer Institut für Medizi- von Pharmakonzernen in den Staaten des Südens. Reproduktionsmedizin. Allerdings ist die Klausur nische Ethik und Geschichte der Medizin. Dessen BUKO strebt dabei an, Missstände aufzudecken nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt. Wer Leiter Jochen Vollmann profiliert sich gern als pro- und öffentlich zu machen. Gastgeber ist die katho- wissen will, was geplant ist, klickt: www.izew. fessoraler Verfechter von Patientenverfügungen. lische Hochschulgemeinde. uni-tuebingen.de/izew/izew_veranst.html

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