Bioskop 38 V2.Indd
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Zeitschrift zur Beobachtung der Biowissenschaften 10. Jg. • Nr. 38 • Juni 2007 BioSkop Schwerpunkt Ersatzteillager Mensch Schein und Sein Forderungen nach fremdbestimmter Entnahme von Körperteilen werden lauter .... 8 Von Erika Feyerabend Kinder als Knochenmark-»Spender« ............... 9 Sprachliche Verwirrungen ............................... 9 Das TV-Unternehmen Endemol hatte vor Jahren ein neues Fernsehformat kreiert: die Transplanteur im Fokus der Staatsanwälte ....10 D»Realitätsshow«. In einem Container sollten Menschen sich selbst spielen und mit Versäumtes nachholen ................................... 11 der Gunst des Fernsehpublikums Geld und kurzfristige Medienkarrieren gewinnen. Euthanasie Diese Inszenierungen des »Authentischen« ließ die Einschaltquoten steigen. Auch für Noch ist nichts entschieden ............................ 3 die »seriöse« Presse war die Sendung »Big Brother« willkommener Themenlieferant: »Widersetzen Sie sich!« .................................. 3 Neben grundsätzlichen Fragen über Schein und Sein, über entgrenzte Privatsphären, wurden die Container-BewohnerInnen, ihre Sympathiewerte und Konflikte laufend Selbsthilfe & Pharmaindustrie kommentiert. Es folgten Überlebensshows auf einsamen Inseln, die mittlerweile schon Undurchschaubar vernetzt .............................. 4 vergessen sind. Aktuell haben so genannte Casting-Formate Konjunktur. Die Kandi- Sponsoring? Nein danke! ................................ 5 datinnen zeigen ideale Körper, um Super-Modell zu werden, oder sie präsentieren Biobanken sich als unterhaltsam und einsetzbar in weiteren Fernsehauftritten. Das Publikum Etappensieg für KritikerInnen? ........................ 6 bestimmt(e), jeweils per SMS oder anderen Wahl-Prozeduren, die SiegerInnen. Wir Biobanken? Nicht mit uns! ............................. 6 sind also schon gewöhnt an diese Realitätsshows, die – obwohl sie »Wirkliches« Gesundheitsökonomie zeigen wollen – doch fiktionale Charaktere bieten, die sich geben, wie sie sind. Rezept gegen Preistreiberei? ......................... 12 Arzneimittelagentur: »Befragen Sie Eine neue Fernsehsendung der Produktionsfirma Endemol sorgte in den vergangenen Ihren Bundestagsabgeordneten!« .................13 EWochen für Aufregung – in den Niederlanden und weit darüber hinaus. In der »Gro- ßen Spender-Show« sollte eine vermeintlich todkranke Frau mit Unterstützung des Arzneimitteltests Publikums entscheiden, wer von drei BewerberInnen perspektivisch ihre Niere er- Klinische Studien als Geschäftsfeld ...............14 halten soll. Schon die Ankündigung der Sendung machte reichlich und international Klage gegen den Marktführer ....................... 15 Schlagzeilen: Nachrichtenagenturen, Zeitungen, Tagesschau, Hörfunksender – alle be- Weitere Themen richteten. ÄrztInnenverbände, PatientInnenorganisationen, GesundheitsministerInnen ÄrztInnen gegen Chipkarte ............................ 7 meldeten sich zu Wort und plädierten dafür, die Show abzusetzen. Ohne Erfolg. Als Kritik an Pharma-Patenten ............................. 7 das makabre Nieren-Casting dann am 1. Juni im niederländischen Fernsehen zu sehen Interessante Veranstaltungen ........................16 war, verkündete der Moderator im Moment der Entscheidung, dass alles ein ganz Wunschzettel .................................................16 großer Bluff war: Die »Organspenderin« stellte sich als bezahlte Schauspielerin he- BioSkop im September 2007 ..........................16 raus, wobei die tatsächlich auf eine Niere wartenden KandidatInnen in die kal kulierte Täuschungsaktion eingeweiht waren. Impressum Herausgeber: BioSkop e.V. – Forum zur Beob achtung der Die Reaktionen auf diese »Enthüllung« fielen unterschiedlich aus. Es gab kritische Bio wissenschaften und ihrer Technologien DKommentare, aber auch Stimmen voller Bewunderung. So lobte der Medienredakteur Bochumer Landstr. 144a · 45276 Essen der großen niederländischen Zeitung Volkskrant: »Hut ab! Ein Super-Medien-Coup«. Tel. (02 01)53 66 706 · Fax (02 01)53 66 705 Auf einer Pressekonferenz konstatierte der Chef des ausstrahlenden Senders BNN: BioSkop im Internet: www.bioskop-forum.de »Wir haben international viel Aufmerksamkeit für ein Problem erhalten, das tatsäch- Redaktion: Klaus-Peter Görlitzer (v.i.S.d.P.), Erika Feyerabend. lich existiert.« In einigen deutschen Zeitungen war zu lesen, nicht die Show sei der Anschrift: Bernstorffstr. 158 · 22767 Hamburg Skandal, sondern der Mangel an Organen. Der politische und auch persönliche Hand- Tel. (0 40)4318 83 96 · Fax (0 40)4318 83 97 lungsimperativ: Der »Tod auf der Warteliste« muss verhindert werden – durch neue E-Mail: [email protected] Gesetze, erklärte Spendebereitschaft und attraktive Angebote. Beiträge in dieser Ausgabe: Ute Bertrand, Rolf Blaga, Martina Keller, Uta Wagenmann. Sämtliche Artikel in BioSkop sind urheberrechtlich Bitte weiter lesen geschützt. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit auf der nächsten Seite schriftlicher Genehmigung der Redaktion. Satz: www.reviera.de, Essen Druck: Hohlmann Druck & Medien, Essen ISSN 1436-2368 Editorial Schein und Sein mit Babystimmen, Musik und einem leuchtenden Stimmzähler unterlegt, als die Entscheidung fiel. Fortsetzung von Seite 1 ➔ Der inszenierte Schwindel erzeugt reale Wir- Danach fragte der Moderator ausgesuchte Gäste, Dkungen im gesellschaftlichen Sein. Noch am wie sie ihr Urteil denn begründen und teilte Sendeabend schlug der niederländische Finanz- einem Elternpaar mit, dass ihr Kind in der nächs- minister vor, weniger Gebühren für einen neuen ten Runde nicht mehr mitspielen dürfe. Reisepass zahlen solle, wer einen Organspende- Man könnte meinen, die Zeit sei eingefroren. ausweis vorlegt. Eine große Bestatterfirma im Heute regelt das so genannte »Groninger Proto- Pressefreiheit und Nachbarland will Angehörigen Rabatte für Beerdi- koll«, welche Neugeborenen hinter den Mauern »Organspende«-Ausweis gungen gewähren, wenn nachweislich Körperteile von Kinderkliniken versorgt oder getötet wer- »Ja, diese Show bewegt hergegeben wurden. Hierzulande sind politische den. »Auf Leben und Tod« zu entscheiden – in sich jenseits des guten Hoffnungen gestiegen, die seit Jahren öffentlich der Regel nach dem mutmaßlichen Willen der Geschmacks. Drei Schwer- geforderte Mitmachbereitschaft in eine gesetzlich unheilbar Kranken – droht auch hierzulande im kranke, die im öffentlichen verbriefte »Beistandspflicht« aller gegenüber Behandlungsalltag üblich zu werden (Seite 3). In Wettbewerb um eine drin- Organbedürftigen umzumünzen. Die Abgabe von den medizinischen Realitätsshows geht es um gend benötigte Organspende Körperstücken soll zur Norm werden, der sich inszenierte Verteilungsprobleme, die moralisch konkurrieren? (...) Dennoch auch eine bislang schweigende Mehrheit nicht aufgeladen sind – nicht um bares Geld. Das ist ist die Show zu verteidigen. mehr entziehen kann (Siehe Seite 8). in den real existierenden Gesundheitswesen Zum einen sind solche Provo- Das Spektakel erschüttert auch keineswegs Europas anders. Hier wird die Gewährung patent- kationen grundsätzlich von ein wohlgeordnetes, zivilisiertes Transplantations- geschützter Therapien nicht nur nach ihrem der Pressefreiheit gedeckt. geschehen. Die »Spender-Show« spielt mit Pro- Nutzen, sondern auch nach ihrer Wirtschaftlich- Zum anderen darf man dem blemlagen und authentischen Bedürftigen, mit keit berechnet (Seite 12). Sender glauben, dass es ihm gesellschaftlichen Kalkülen über den Wert ihres In den internationalen, klinischen Studien sind in erster Linie darum geht, Lebens, die es außerhalb des Fernsehstudios gibt. »behandlungsfreie« Patienten aus Armutszonen die Öffentlichkeit aufzu- Die symbolischen Koordinaten der gesellschaft- gefragt, um vermarktbare Studienergebnisse und rütteln. (...) lichen Gegenwart sind Medikamente zu pro- Die Chance der drei Kandi- in Aufklärungsschriften Andererseits ist die Realität der duzieren, die später daten, eine Niere von der und als seriös einge- transplantierenden, forschenden dort niemand bezah- Spenderin ›Lisa‹ zu bekom- stuften Berichterstat- und behandelnden Medizin len kann (Seite 14). men, ist viel höher, als sie tungen eingeschrieben. dergestalt, dass sie wohl nur noch Ein durchaus hand- auf offi ziellem Wege zu Die Parole vom fiktionalisiert ertragbar ist. festes Spiel um Geld, erhalten. Die krasse Show »Tod auf der Warteliste« Wissen und Marke- ist deshalb eine Mahnung: (Siehe Randbemerkung auf Seite 9) ist allgegen- ting, in das zunehmend auch gutgläubige Pati- noch heute einen Organ- wärtig. Wir sollen deshalb freiwillig wollen, was entInnen eingebunden werden (Seite 4). Biome- spende-Ausweis auszufüllen. normativ vorgegeben wird, nämlich: im Falle des dizinische Forschung kann In ihren gesellschaft- Um solche Shows in Zukunft Falles unter moralisch hochwertiger Organabgabe lichen Wirkungen und konkreten Eingriffen in unnötig zu machen.« versterben. Andernfalls droht der verschuldete den Lebensalltag von Schwangeren und Kindern aus einem Kommentar des Jour- Tod vieler anderer. Aber auch Nieren-Casting, erheblich sein. In ihren statistischen Konstrukten nalisten Philipp Gessler, den die finanzielle Anreize oder gar Organhandel. Der über molekulare, physiologische und umweltbe- Berliner tageszeitung (taz) am selbstbestimmte Wille wird an die kurze Leine der dingte »Faktoren« psychischer Gesundheit bzw. 31. Mai 2007 auf ihrer Titelseite vernünftigen Transplantationsordnung genommen. Krankheit, kann sie aber ganz und gar virtuell druckte – also genau einen Tag Aus einigen Universitätskliniken und Ethikzentren sein