Der Architekt W. Düttmann
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X Titelthema er Architekt W. Düttmann sah zen und auf sich wirken zu lassen. Dim Kirchenraum den „anderen Auf die dekorativen Änderungswün- Raum“, den Raum der Stille und sche einiger Gemeindemitglieder Besinnung im Getriebe der Stadt. antwortete der erste Pfarrer Bern- Er bat die Gemeindemitglieder, die hard Obst: „Die St. Martins-Kirche Kirche unvoreingenommen zu nut- muss der ‚andere Raum‘ bleiben!“ Seite 22 X Titelthema Architektonisch betrachtet: Unsere Kirche St. Martin Lassen Sie uns doch einmal auf den folgenden Seiten einen etwas genau- eren Blick werfen auf die Mauern Architekt: unseres einzigartigen Gotteshauses... Werner Düttmann, (* 1921 in Berlin; † 1983) Seite 23 X Titelthema Sechs Entscheidungen des Architekten Werner Düttmann verleihen diesem Raum eine einzigartige Wirkung: 1) Das Sanktuarium – der Altar- Doch die vier Arme des Kreuzes sind raum – bildet den architektonischen sowohl durch ihre Stellung im Ganzen Mittelpunkt der Kirche. Es handelt des Raums als auch durch ihre Höhe sich um einen Zentralbau: Für seinen und Länge voneinander unterschie- Zweck und seine Wirkung ist nicht den. Dadurch nimmt das Gedenken mehr die Idee des Prozessionsweges einen besonderen meditativen Zug hin zum Allerheiligsten, sondern die an; es nähert sich der Empfindung Gemeinschaft der Gläubigen um den des Schwebens, denn der axial-linea- Altar herum maßgeblich. re, sozusagen der teleologische Zug der Gedanken löst sich darin auf. 2) Das Sanktuarium ist dabei nur eine Stufe erhöht. Der Stand der Ge- weihten, die es betreten dürfen, ist nicht durch größere Höhe von dem der Laien unterschieden; beide Stän- de sind in der Gemeinschaft der Gläubigen vereint. 3) Vom Sanktuarium her steigt der öffentliche Raum der Gemeinde – einem Auditorium und einem Thea- ter vergleichbar – nach hinten etwas an: Konzentration auf das Moment X Grundriss der Kirche des Schauens in der andächtigen Teil- St. Martin nahme an der Zelebration. Diese Konzentration entspricht dem für die 5) Die Wände dieser Kirche haben Liturgie konstitutiven Zug der „Re- keine Fenster; sie empfängt ihr Licht präsentation“, also die Wieder-Ver- durch schmale, schräg liegende gegenwärtigung des Sühnopfers Dachfenster, die ringsum angeordnet Christi durch das Messopfer. sind. Nur der Altar wird durch ein großes Oberlicht beleuchtet und auf 4) Der Raum hat ein Querschiff: diese Weise betont. Der Raum im Die Zentrierung wird durch die Rück- Ganzen wird durch indirektes Licht sicht auf das Kreuz betont und quali- charakterisiert; es steht für den fiziert; der Zweck der durch sie geför- Raum des Gedächtnisses, seine derten Konzentration ist das Durchlässigkeit und seine Empfäng- Gedenken des leidenden Christus. lichkeit. Seite 24 X Titelthema Dr. Lorenz Wilkens erläutert das Kircheninnere (Foto: OBAK) Liturgiereform und Leere als Bild 6) Die Wände sind in Sichtbeton Eine christo-zentrische Erneuerung ausgeführt und lassen die raue Struk- der katholischen Kirche setzte als tur der ehemaligen Schalung erken- breitere Reformbewegung in den nen – Erinnerung an die Technik, die zwanziger Jahren des vorigen Jahr- diesen Raum herstellte und mithin an hunderts ein, gipfelte schließlich in die condition humaine: den homo fa- den Reformen des II. Vatikanischen ber (d. i. der Mensch, der Handwer- Konzils. In dem Kirchenbau von Sankt ker ist) und die irdische Realität, die Martin aus den 1970er Jahren von er repräsentiert, weil sie es ist, die Werner Düttmann kommt der Geist ihn zum ‚Werken’ zwingt. der konziliaren Erneuerung beson- ders gut zum Ausdruck. Die heute Dr. Lorenz Wilkens, kaum mehr nachvollziehbare Auf- Philosoph und bruchstimmung sehen viele Katholi- Theologe ken jener Generation bis heute in modernen Kirchenbauten der 1960er und 1970er Jahre emotional tragend verkörpert. Hinzuzufügen ist: Archi- tektur eilte dem Konzil voraus; Bau- meister wie Dominikus Böhm und Seite 25 X Titelthema Rudolf Schwarz bauten schon in den Was manch einer in modernen Kir- 1920er und 1930er Jahren in eben chen als Leere empfinden mag, hat diesem Geiste. Sie waren angeregt Romano Guardini ins Positive gedeu- von dem wegweisenden Buch „Chris- tet: „Was die Bildlosigkeit des Heili- tozentrische Kirchenkunst“ des rhei- gen Raumes betrifft, so ist dessen nischen Seelsorgers Johannes van Leere ja doch selbst ein Bild. Ohne Acken aus dem Jahre 1922 (der Titel Paradox gesagt: die richtig geformte war Programm), sie wurden begleitet Leere von Raum und Fläche ist keine und unterstützt durch Persönlichkei- bloße Negation der Bildlichkeit, son- ten wie den Priester und Religions- dern deren Gegenpol. Sie verhält sich philosophen Romano Guardini. zu dieser wie das Schweigen zum Wort. Sobald der Mensch für sie of- „Zurück zu Christus“ meint immer fen wird, empfindet er in ihr eine ge- auch – wie in Sankt Martin sichtbar heimnisvolle Anwesenheit. Sie drückt – einen bewussten Umgang mit De- vom Heiligen das aus, was über Ge- koration, Bild und Ausschmückung, stalt und Begriff geht.“ oft einen weitgehenden Verzicht, da- mit einen Gewinn an Freiheit. Der „Circumstantes“, „Umstehende“, Raum selbst wird das primäre Bild – nannten Dominikus Böhm und Mar- und der Raum wird vom Altar her tin Weber 1923 den Idealentwurf ei- gedacht. Van Acken: „Was wir wollen, ner Messopferkirche. Eine solche ist in einem Satze das: Der Altar als Gemeinschaft von „Circumstantes“ der ‚mystische Christus’ soll der Aus- wird in der Kirche Sankt Martin sicht- gangspunkt und gestaltende Mittel- bare Gestalt, gebaute Liturgie – ganz punkt des Kirchenbaus und der Kir- im Sinne des Canon Romanus: „Me- chenausstattung sein.“ An die mento, Domine, famulorum famula- Tradition der Vierung anknüpfend, rumque tuarum [...] et omnium cir- erhob er schon 1922 die Forderung, cumstantium, quorum tibi fides den Altar „in die Vierung der bisheri- cognita est et nota devotio“. gen Kreuzkirche und unter die Kuppel des Zentralbaues“ zu rücken. Zum (Anm. d. Red.: Übersetzung, lat. -dt.: ersten Mal in Deutschland verwirk- .. im Sinne des Hochgebetes: „Geden- licht wurde eine katholische Kirche ke, Herr, deiner Diener und Dienerin- mit dem Altar ganz in der Mitte in der nen [...] und aller Umstehenden, deren Heiliggeistkirche in Frankfurt-Rieder- Glauben und Opfergesinnung du wald (1931/32) von Martin Weber. In kennst.“) St. Martin ist diese Vorstellung der christozentrischen liturgischen Ge- Immo Wittig, Kultursoziologe, meinschaft mit großer Konsequenz Vorstand OBAK verwirklicht. Seite 26 X Titelthema Zentralbauten als Schlusssteine der drei Westberliner Großsiedlungen St. Martin gehört zu den drei katholi- schen Gemeindezentren, die in den 1970er Jahren als bauliche „Schluss- steine“ der drei Westberliner Satelli- tenstädte Gropiusstadt, Märkisches Viertel und Falkenhagener Feld er- richtet wurden. Neben St. Martin (Architekt: Werner Düttmann, 1972- 73) sind dies: St. Dominicus in der Gropiusstadt und St. Markus im Fal- kenhagener Feld (Architekten jeweils Schädel und Jünemann, 1976-77). Die beiden letztgenannten, auch als „Melitta-Kirchen“ (wegen ihrer Ähn- lichkeit mit dem Melitta-Kaffeefilter) bezeichnet, sind Zentralkuppelbau- ten über quadratischem Grundriss mit frei stehendem Glockenturm. Als Typenkirchen in Stahlbeton errichtet, sind sie der Bauproduktion der Groß- Abb. Die Türme von St. Martin im siedlungen angepasst. St. Martin hin- Märkischen Viertel (oben) und gegen ist für den konkreten Ort am von St. Dominicus in der Gropiusstadt Marktplatz (Märkisches Zentrum) entworfen worden, zwar gleichfalls Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage Zentralbau aus Stahlbeton, jedoch der Isometrien aus „Berlin Stadt und Kirche“ nicht als reproduzierbarer Bau. Anders als die meisten evangelischen griffen und neu interpretiert. Dabei Gemeindezentren der 1960er-70er ist besonders hervorzuheben, dass Jahre sind diese drei katholischen Ge- die Architekten von St. Martin, St. meindezentren dadurch gekenn- Dominicus und St. Markus das Ge- zeichnet, dass sie als Kirchenbau im staltungselement Turm pointiert ein- Stadtraum erkennbar bleiben. So setzen: Die drei Kirchen haben je- wird die tradierte Form des Kirchen- weils einen Glockenturm am baus nicht verleugnet – sondern in Eingangsbereich und sie haben darü- moderner Abwandlung – neu aufge- ber hinaus einen zweiten Turm, ent- Seite 27 X Titelthema weder in Form einer (Pseudo)Vie- Es ist bemerkenswert, dass im Berli- rungskuppel, die in einen Kegelstupf ner Bistum speziell für die schon seit transformiert wird (St. Dominicus, St. den späten 1960er Jahren in die Kri- Markus) oder in Form eines (abge- tik geratenen Großsiedlungen her- schnürten) Vierungsturms, wie beim ausragende Baumeister gewonnen Düttmann-Bau. Diese (Vierungs-)Tür- werden konnten, und diese die litur- me erheben sich genau über dem Al- gische Reform sehr überzeugend in tar, der in der katholischen Liturgie Beton und Stahl umgesetzt haben. zentraler Ort per se ist. Sowohl bei Schädel/Jünemann als auch bei Dütt- mann sind diese transformierten Vierungstürme/-kuppeln sehr raum- Kurt Nelius, greifend und ragen markant – ähnlich Stadtplaner, der byzantinischen Baukunst - aus Vorstand OBAK dem Kirchenbaukörper heraus. Da- mit wird im Siedlungsraum deutlich, wo der liturgische Mittelpunkt (im Mittelalter auch symbolisch die axis mundi, die Weltachse) ist. Idealty- pisch – und in der modernen Archi- tektur eher selten zu finden – ist so- mit die liturgische Mitte auch äußerlich klar in der Architektur ab- lesbar. Ähnlich dem anderen Kirchenbau von Die Vorträge wurden gehalten im Werner Düttmann, St. Agnes (1966) Rahmen der Reihe „Berlins moderne in Kreuzberg,