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Schweizer Literatur – Literatur aus der Schweiz

Dr. Klara Obermüller Dass Fragen wie diese schwieriger zu beantworten sind als diejenige nach der Herkunft von Zutaten oder dem Sitz von Produktionsstätten, liegt auf der Hand. Und doch ist es reizvoll, nach Antworten zu suchen, zumal in einer Zeit, da Lebensläufe gebrochen, Gewissheiten fraglich und Zugehörigkeiten variabel geworden sind. Bereits im Titel meines Referats habe ich versucht, etwas von dieser Ambivalenz anzudeuten. Schwei- zer Literatur – Literatur aus der Schweiz: ein und dasselbe, sollte man meinen. Oder doch nicht? „Wo Schweiz drauf steht, soll Schweiz drin sein“, so wollen es die Swiss- Wie knifflig die Einordnung im Bereich ness-Regeln, die per 1. Januar 2017 in der Kultur – zumal der sprachgebunde- Kraft getreten sind. Sie halten fest, nen Literatur – sein kann, wurde uns vor wieviel Schweiz in einem Produkt Jahren im Stiftungsrat von „Pro Hel- enthalten sein muss, damit es mit dem vetia“ bewusst, als wir über ein Förde- begehrten weissen Kreuz im roten Feld rungsgesuch des in der Schweiz gekennzeichnet werden darf. Mindes- lebenden, aber russisch schreibenden tens 80% an Zutaten sollten es sein, Autors Michail Schischkin zu befinden heisst es. Bei einem Produkt lässt sich hatten. Darf ein Autor, der zwar in der dies messen. Wie aber definiert man im Schweiz lebt, aber kein Schweizer ist Bereich Kunst und Kultur, was schwei- und auch nicht in einer der vier offiziel- zerisch ist und was nicht? Ab wann, so len Landessprachen schreibt, von einer liesse sich vor dem Hintergrund des Institution wie der „Pro Helvetia“ heutigen Tagungsthemas „Swissness in unterstützt und gefördert werden? So der Bildung“ fragen, ist ein Schweizer lautete die Frage, und sie wurde hitzig Künstler ein Schweizer Künstler und ein diskutiert. Am Ende haben sich die in der Schweiz gefertigtes Bild oder Ja-Stimmen durchgesetzt – mit dem Buch ein Stück Schweizer Kunst oder Argument, dass im Zeitalter von Schweizer Literatur? Oder auch: Was ist Migration und Globalisierung andere das überhaupt, ein Schweizer Künstler, Regeln gelten müssten als damals in ein Schweizer Schriftsteller? Ist das den dreissiger und vierziger Jahren, als einer, der hier geboren ist, einer mit man „Schweizerliteratur“, wie „Schwei- Schweizer Pass oder auch einfach nur zervolk“ auch, noch in einem Wort einer, der in der Schweiz seinen schrieb und im Zuge der „geistigen Wohnsitz hat? Und muss er, um als Landesverteidigung“ genau zu wissen Schweizer Künstler, als Schweizer Autor vorgab, was schweizerisch ist und was zu gelten, unbedingt die Schweiz zum nicht. Thema seines Schaffens machen? Michail Schischkin war damals, als Sie mir dies, bitte, verzeihen. Es ist das diese Diskussion bei „Pro Helvetia“ Gebiet, auf dem ich mich auskenne. stattfand, noch eine Ausnahmeerschei- Und dass auch ich als Kritikerin über die nung. Mittlerweile aber gibt es bereits so Literatur aus dem deutschsprachigen viele solcher Ausnahmeerscheinungen, Raum besser Bescheid weiss als über dass ein eigener Terminus für sie die anderssprachigen Literaturen des geschaffen werden musste: „Literatur eigenen Landes, ist nur ein weiterer mit Migrationshintergrund“ nennt sich Beleg für die obgenannte These. das neue Genre, das in der Schweiz mit Neu ist das Phänomen der „doppelten Namen wie Catalin Dorian Florescu und Zugehörigkeit“ von Schweizer Literatur Melinda Nadj Abonji, wie Irina Brežna, keineswegs, und problematisch wird es Yusuf Yeşilöz, Radka Donnell, Ibrahim meist auch nur dann, wenn politische al-Koni, oder Francesco Micieli – um nur Spannungen das Klima vergiften. So einige wenige zu nennen – gut vertreten war es bis zum Ausbruch des 1. ist. Unabhängig davon, ob sie nun in Weltkriegs eine Selbstverständlichkeit, ihrer Muttersprache oder in einer dass Autoren wie Gottfried Keller, C.F. unserer Landessprachen schreiben, Meyer, Robert Walser, ja, sogar der konfrontieren uns diese Autorinnen und urbernische Jeremias Gotthelf ihre Autoren noch einmal ganz neu mit der Werke in Deutschland publizierten und Frage, was denn nun eigentlich Schwei- sich ganz selbstverständlich der zer Literatur ausmache und worin sie deutschsprachigen Literatur zugehörig sich, wenn überhaupt, von der Literatur fühlten. Und nicht anders hielt es ein anderer Länder unterscheide. Vor dem Charles Ramuz in der Romandie oder Hintergrund des bereits Gesagten dürfte ein im Tessin, die an klar sein, dass Annäherungen möglich, ihrer Zugehörigkeit zur Kultur ihrer eindeutige Antworten jedoch nur schwer Nachbarländer nie den geringsten zu finden sind. Zweifel liessen. Erst als die beiden Weltkriege die kulturellen Gräben auch Fest steht zunächst nur dies, dass die in unserem Land aufrissen, wurden Literatur der Schweiz per se mehrspra- diese Selbstverständlichkeiten fraglich chig ist und man im Grunde genommen und die Autoren gezwungen, sich zu nicht von Schweizer Literatur, sondern entscheiden, wem sie angehören von Schweizer Literaturen im Plural wollten: den ihnen vertrauten Kulturräu- sprechen sollte: von Literaturen, die sich men oder jenem nationalen Réduit, zu dadurch auszeichnen, dass sie janu- dem die Schweiz unter dem Druck von sköpfig sind und sich stets zwei Kulturen aussen geworden war. zugehörig fühlen: derjenigen der Schweiz, der sie entstammen, und Keiner hat diesen Konflikt seinerzeit derjenigen des benachbarten Auslands, klarer zum Ausdruck gebracht als Carl dessen Sprache sie sprechen. Wenn im Spitteler, als er in seiner Rede vor der Folgenden fast ausschliesslich Beispiele „Neuen Helvetischen Gesellschaft“ vom aus der deutschsprachigen Literatur der 14. Dezember 1914 deutlich machte, wo Schweiz angeführt werden, so wollen er die Literaturen seines Landes verortet sehen wollte. „Unser Schweizer Welch enormer kultureller und auch Standpunkt“ hiess die Rede, und sie lief materieller Verlust mit der politisch auf die Feststellung hinaus: motivierten Abkehr vom angestammten „Alle, die jenseits der Landesgrenze Kulturraum einherging, realisierte man wohnen, sind unsere Nachbarn, und bis erst richtig, als der 2. Weltkrieg vorbei auf weiteres liebe Nachbarn; alle, die war und die Abschottungsstrategie der diesseits wohnen, sind mehr als „geistigen Landesverteidigung“ ihre Nachbarn, nämlich unsere Brüder. Der Berechtigung zu verlieren begann. Der Unterschied zwischen Nachbar und durchschlagende Erfolg der Deutsch- Bruder aber ist ein ungeheurer. Auch schweizer Literatur nach 1945 – allen der beste Nachbar kann unter Umstän- voran eines und Friedrich den mit Kanonen auf uns schiessen, Dürrenmatt, später dann auch eines während der Bruder in der Schlacht auf , Otto F. Walter, Adolf unserer Seite kämpft. Ein grösserer Muschg oder –, er Unterschied lässt sich nicht denken.“ verdankt sich nicht nur dem grossen Die Aufforderung, sich dem andersspra- Nachholbedarf deutscher Leserinnen chigen Miteidgenossen näher zu fühlen und Leser nach guter, politisch nicht als dem sprachverwandten Kollegen im kontaminierter Literatur, sondern auch benachbarten Ausland, kam damals vor der Öffnung der Grenzen, die kulturellen allem in der mit dem deutschen Reich Erzeugnissen aus der Schweiz alte sympathisierenden Deutschschweiz gar Märkte zurückbrachte und zusätzlich nicht gut an. Und es bedurfte schon der neue erschloss. Noch hatten es akuten Bedrohung durch den Faschis- Schweizer Verlage wie Arche, Walter mus der dreissiger Jahre, um Spittelers oder Benziger vergleichsweise leicht, prophetischer Mahnung den nötigen sich im deutschsprachigen Raum zu Nachdruck zu verleihen. Vor allem für behaupten. Das änderte sich rasant, als die deutschsprachigen Autoren der die Alliierten deutsche Verlagsgründun- Schweiz wurde die Wahl ihres Stand- gen wieder zuliessen und die deutsche punktes mit dem Aufkommen des Wirtschaft als ganzes sich zu erholen Nationalsozialismus zur Schicksalsfra- begann. ge. Wer es, anders als , ablehnte, der nationalsozialistischen Heute kann man, etwas überspitzt, Reichsschrifttumskammer beizutreten, sagen, dass ein , ein sah sich vom deutschen Markt abge- Markus Werner, Peter Stamm oder schnitten und auf die kleine Deutsch- Thomas Hürlimann, eine Erica Pedretti schweiz zurückgeworfen. Autoren wie oder Gertrud Leutenegger – um nur die Jakob Bührer, Carl Albert Loosli, Adrien bekanntesten zu nennen – nie einen Turel oder Cécile Lauber haben diesen vergleichbaren Erfolg gehabt hätten, Rückzug teuer bezahlt. Sie gerieten wenn sie nicht durch ihre deutschen auch im eigenen Land weitgehend in Verlage auf dem deutschen Markt Vergessenheit und haben sich von der präsent gewesen wären. In den selbstauferlegten Isolation nie mehr Vorankündigungen ihrer Werke wird ganz erholt. allenfalls noch am Rande erwähnt, dass sie in der Schweiz leben oder in der Literatur aus der Schweiz, was ein Schweiz geboren sind, ihre Geschichten kleiner, aber nicht ganz unwesentlicher sind längst in alle Welt ausgeschwärmt, Unterschied ist. Und ja, auch ein kleines ihre Figuren sind Menschheitsfiguren, Land wie die Schweiz gibt den Stoff her, die Probleme, die sie behandeln, aus dem Literatur von Weltgeltung universell. entstehen kann. Nicht der Entstehungs- ort macht den Wert eines Werks aus, Es hat allerdings ziemlich lange sondern die Art und Weise, wie es gedauert, bis der Konflikt um die doppel- geschrieben ist. Und dass Literatur von te Zugehörigkeit der Schweizer – ge- Rang aus Cleversulzbach oder Konolfin- nauer: der Deutschschweizer – Literatur, gen ebenso kommen kann wie aus New sich auflöste und einer neuen Selbstver- York oder Rom, hat die Literaturge- ständlichkeit Platz machte. Noch Mitte schichte zur Genüge bewiesen. der sechziger Jahre erregte Max Frisch die kulturellen Gemüter der Schweiz, In den politisch aufgeheizten sechziger indem er die vorwurfsvolle Frage Jahren des letzten Jahrhunderts sah aufwarf: „Ist unser Land für seine man dies, zumal in der Deutschschweiz, Schriftsteller kein Gegenstand mehr?“ freilich noch etwas anders. Zu nah lag Die Debatte, die er damit bei seinen Kol- für die damals aktive Generation noch legen – Kolleginnen waren damals noch die Weltkriegsvergangenheit, zu frisch dünn gesät – auslöste, zog sich über waren die Erinnerungen, zu aktuell die Wochen hin und wurde sehr kontrovers Debatten um Anpassung und Wider- geführt. Die Fragestellung war eine stand und die Einschätzung einer doppelte: 1. Muss die Schweiz zwangs- Politik, die sich humanitär nannte und es läufig Gegenstand von Literatur sein, doch im Ernstfall nicht war. Die Frage, damit diese als schweizerisch empfun- ob man weiterhin ein Sonderfall, eine den wird? Und 2.: Gibt die Schweiz Insel der Seligen, ein Hort für Verfolgte überhaupt genug Stoff her, um gute sein wollte oder aber ein Land wie ande- Literatur, Literatur von Weltgeltung gar, re auch mit allem, was an Konflikten, an hervorzubringen? Schuld, an Versagen dazu gehört, diese Frage trieb Schriftsteller und Intellektuel- Von heute aus gesehen, würde ich die le in jener Zeit um. Auf eine Kurzformel erste Frage mit Nein und die zweite mit gebracht, liesse sich sagen: Man litt an Ja beantworten. Nein, Schweizer der Schweiz, man rieb sich an ihr und Literatur muss nicht unbedingt die kam doch nicht von ihr los. Die Titel Schweiz zum Gegenstand haben, um dreier kurz hintereinander erschienener als schweizerisch gelten zu dürfen. Ein Bücher machen dies deutlich: „Unbeha- Autor/eine Autorin schreibt wie alle gen im Kleinstaat“ (1963) von Karl anderen Autorinnen und Autoren auch Schmid, „Helvetisches Malaise“ (1964) über das, was ihn oder sie bewegt. Das von Max Imboden und „Diskurs in der kann die Schweiz sein, muss aber nicht. Enge“ (1970) von . Allen Und doch ist das, was dabei entsteht, dreien gemeinsam ist, dass sie das ein Stück Schweizer Literatur oder eben Schweizer-Sein als problematisch empfinden und das Land selbst für den achtziger und neunziger Jahren zu einen „Holzboden“ halten, auf dem den letzten grossen Aufwallungen nichts Rechtes gedeiht. Dass gegen die- geführt hatten. Damals kamen noch se Enge, dieses Unbehagen, dieses einmal all die Themen aufs Tapet, die Malaise anzukämpfen sei, war lange die Autoren bereits in den sechziger und Zeit Konsens unter Schweizer Schrift- siebziger Jahren umgetrieben hatten: stellern und Intellektuellen. Unabhängigkeit, Neutralität, Wehrhaftig- keit – und hinter allem die Frage, wie die Nicht nur die beiden Überväter Max Realität der Schweiz mit unserem Frisch und Friedrich Dürrenmatt, Wunschbild der Schweiz zur Deckung sondern auch Peter Bichsel, Jörg gebracht werden könnte. Im Unter- Steiner, Otto F. Walter, Paul Nizon, schied zu früher wurden diese Debatten Walter Matthias Diggelmann, Kurt Marti, allerdings nicht mehr in der Literatur Hugo Loetscher, Adolf Muschg, Walter selber, sondern an ihren Rändern, in Vogt, Erica Pedretti, Urs Widmer, Jürg Essays, Kommentaren oder öffentlichen Federspiel, , Gertrud Foren, ausgetragen. Und dies nicht zum Leutenegger, – um nur die Wichtigsten Nachteil der Literatur, wie ich meine. zu nennen – machten ihr Land zum Thema oder hatten es zumindest im Seit die Grabenkämpfe um Europa Blick, wenn sie schrieben. Sie arbeiteten zugunsten eines neuen Isolationismus sich an ihm ab, sie setzten sich mit ihm entschieden worden sind und die auseinander, sie gaben ihm eine ausländische Kritik am Verhalten der Stimme. Da allerdings, wo ihre Werke Schweiz während des 2. Weltrkiegs literarische Gültigkeit oder gar Weltgel- dank hoher Geldzahlungen und der tung beanspruchen dürfen, da war es Einberufung einer Historikerkommission mit dieser Fixierung nicht getan. Und zum Schweigen gebracht werden keiner/keine von ihnen hätte wohl je konnte, ist auch im Lager der Schriftstel- eine internationale Leserschaft gefun- ler und Intellektuellen weitgehend Ruhe den, wenn Güllen, Jammers und eingekehrt. Manche bedauern dies und Schilten nur auf der Landeskarte der mahnen sporadisch mehr Engagement Schweiz zu finden gewesen wären. in politischen Angelegenheiten an. Ich Heute würde das wohl niemand mehr kann diese Besorgnis nur bedingt teilen. bezweifeln, und Frischs Forderung nach Denn 1. haben politische Debatten ihren einer vorrangigen Beschäftigung mit Platz in Zeitungen und auf Podien und dem eigenen Land würde vermutlich ins nicht unbedingt in Romanen und Leere laufen. Theaterstücken. Und 2. wird Literatur m.E. nicht dadurch politisch, dass sie Wann der Wandel sich vollzogen hat, ist sich explizit mit Politik beschäftigt, im nachhinein nur noch schwer auszu- genauso wenig, wie sie schweizerisch machen. Sicher ist, dass die Debatten oder gar schweizerischer wird, wenn sie um UNO- und EWR-Beitritt und vor die Schweiz zum Gegenstand hat. Gute allem die erneute Auseinandersetzung Literatur ist existentiell, gute Literatur ist mit unserer Weltkriegsvergangenheit in universell. Ihre Themen sind Liebe und Tod, Freundschaft und Partnerschaft, der Begriff „Morgenessen“ (statt Herkunft und Identität, Heimat und Frühstück) in Dürrenmatts Stück Fremde, und diese Themen gehen „Romulus der Grosse“, das dieser mit Chinesen ebenso an wie Oberwalliser, den Worten verteidigt: „Was in meinem Innerschweizer ebenso wie die Bewoh- Hause klassisches Latein ist, bestimme ner im fernen Sibirien. Oder warum ich.“ sonst wäre Charles Lewinskys „Melnitz“ in China erschienen und Peter Stamms Oder gibt es gesellschaftspolitische „Agnes“ zur Pflichtlektüre deutscher Besonderheiten, die uns von andern Abiturienten geworden? Warum würden unterscheiden? Die Bedeutung des Thomas Hürlimanns Bücher in Russland Militärs zum Beispiel, ohne die Werke gelesen und Lukas Bärfuss’ Stücke in wie Frischs „Dienstbüchlein“ oder das rund ein Dutzend Sprachen übersetzt? Stück „Palaver“ nicht denkbar wären? Und warum gehören – andersrum Die länger als anderswo währende betrachtet – die in Rumänien, Serbien Benachteiligung der Frauen, wie sie und Russland spielenden Werke eines etwa bei Laure Wyss oder Isolde Catalin Dorian Florescu, einer Melinda Schaad thematisiert wird? Oder die Art Nadj Abonji oder eben auch eines und Weise, wie wir uns auf der Bühne Michail Schiskin so selbstverständlich der Weltpolitik präsentieren: als die zur Schweizer Literatur wie diejenigen neutrale Zuschauerin, als die Schuldlo- eines Gerhard Meier aus Niederbipp se, wie es schon Spitteler in seinem oder eines Peter Weber aus Wattwil? „Schweizer Standpunkt“ oder Dürren- Doch wohl deshalb, weil sie allgemein- matt in seiner „Dramaturgie der gültig sind und ihre Geschichten Schweiz“ hervorgehoben hat? weltweit verstanden werden. Wir lesen Gewiss, das alles trifft zu. Die Frage, ob sie, sie gehen uns an, genau so wie uns es in der Schweizer Literatur auch so die Werke eines Balzac, eines Faulkner etwas wie einen unverwechselbaren oder eines Dostojewski angehen, Topos gebe, ist damit aber noch nicht wenngleich sie aus einer ganz anderen beantwortet, und er ist auch gar nicht so Zeit und einer ganz anderen Kultur auf leicht zu finden. Aber es gibt ihn oder uns gekommen sind. gab ihn zumindest, früher, als die Menschheit, auch die schweizerische, Obwohl oder gerade weil dies so ist, noch nicht so weltläufig war wie heute: möchte ich zum Schluss noch einmal Es ist der Topos des Aufbruchs und der auf die Frage zurückkommen, ob es Heimkehr, es ist die Figur des Auswan- nicht doch etwas gebe, was Schweizer derers, die Geschichte dessen, der Literatur von der Literatur unserer auszieht, weil ihm die Heimat fremd Nachbarländer unterscheide. Und wenn geworden ist, und der wiederkommt, ja, was es denn sei. weil er in der Fremde nicht heimisch Sind es sprachliche Eigenheiten? Ja, werden konnte. Wir kennen ihn als die gibt es, und sie führen nicht selten literarische Figur aus Gottfried Kellers zu Auseinandersetzungen mit deut- „Grünem Heinrich“, aus Albin Zollingers schen Lektoren. Bekanntestes Beispiel: „Die grosse Unruhe“. Wir kennen ihn aus Glausers „Gourrama“, aus Frischs Als die Schweiz im Jahr 1998 Gastland „Stiller“, aus Paul Nizons „Untertauchen“ an der Frankfurter Buchmesse war, und auch – um doch noch etwas über versuchte sie, etwas von diesem den deutschschweizerischen Tellerrand Bewusstsein zu vermitteln, indem sie hinauszuschauen – aus den Werken den Eröffnungsvortrag nicht von Adolf eines Blaise Cendrars oder eines Piero Muschg, , Giovanni Bianconi. Wir kennen ihn aber auch als Orelli oder Oscar Peer auf deutsch, Autor, der weggeht und eines Tages französisch, italienisch oder rätoroma- wiederkehrt, nicht reuig oder gar nisch halten liess, sondern von dem aus gebrochen, sondern reich an Erfahrung Libyen stammenden und in der West- und mit einem Blick auf die Schweiz, der schweiz lebenden Autor Ibrahim al-Koni die Daheimgebliebenen irritiert. Robert auf arabisch. Es war dies ein klares Walser wäre hier zu nennen, Glauser Bekenntnis zu einer Schweiz, die bereit wieder, Cendras natürlich und Max ist, über Grenzen hinweg zu schauen Frisch, aber auch Jürg Federspiel und und Zugehörigkeit noch einmal ganz Hugo Loetscher, Paul Nizon, Adolf neu zu definieren. „Schweizer Literatur Muschg, Urs Widmer, Erica Pedretti, – Literatur aus der Schweiz“ – ein Thomas Hürlimann und von den scheinbar geringfügiger semantischer Jüngeren etwa Jonas Lüscher und Peter Unterschied und doch eine Unterschei- Stamm. Peter von Matt spricht in dung von nicht geringer kultureller seinem Essay-Band „Die tintenblauen Tragweite. Eidgenossen“ von einem „Heimkeh- rer-Bewusstsein“ und bezeichnet dieses, verbunden mit einer intensiven Erfahrung der Grenze, als „die eigentli- Referat von Dr. Klara Obermüller che Produktionsbedingung für das anlässlich der Konferenz der Schreiben in der Schweiz“. Bedenkt Schweizerschulen im Ausland 2018 man, dass die Schweiz stets sowohl ein Aus- wie ein Einwanderungsland gewesen ist, dann hat diese These einiges für sich. Die Spannung zwischen Heimat und Fremde, zwischen dem Eigenen und dem Andern, zwischen Öffnung und Isolation ist eine Konstan- te, die das kulturelle Schaffen unseres Landes ebenso prägt wie unser politisches Bewusstsein. Wir sind eigen, und wir sind gleich. Wir öffnen uns, und wir schotten uns ab. Das eine wie das andere ist nötig, das eine wie das andere macht uns aus. Podiumsgespräch an der Konferenz 2018, v.l.n.r.: Isabelle Chassot, Direktorin Bundesamt für Kultur; Dr. Klara Obermüller, Journalistin und Schriftstellerin; Prof. Dr. Heinz Rhyn, Rektor der Pädagogischen Hochschule Zürich; Pascal Affolter, Direktor der Schweizerschule Barcelona; Hans Ambühl, Präsident educationsuisse

Auf den Spuren der Swissness

Die jährliche Konferenz von educationsuisse bringt die Schulleiterinnen und Schullei- ter sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der Schweizerschulen im Ausland für gemeinsame Tage des Austauschs und der Weiterbildung zusammen. Der Tagungsort befindet sich jeweils in einem der Patronatskantone unserer Auslandschulen.

2018 begegneten sich die Schweizerschulen in der Bundeshauptstadt Bern. Da traf es sich gut, dass die Konferenz dem Jahresthema «Swissness in der Bildung» gewidmet war. Den Spuren der Swissness aktuell nachzugehen bedeutet für die Schweizer Bil- dungspräsenz im Ausland gleichsam eine Vergewisserung ihrer raison d’être. Und zu- hause tut eine solche Vergewisserung nicht minder gut; sie gestattet einen Blick in den Spiegel, den uns die Auslandschulen hinhalten – nicht im Sinne einer selbstverliebten Nabelschau, sondern im Dienst der qualitätsorientierten Pflege schweizerischerTraditi - onen im aktuellen Bildungsalltag.

Das vorliegende Referat, welches die Journalistin und Schriftstellerin Dr. Klara Ober- müller im offiziellen Teil der Konferenz hielt, geht der Swissness in der Literatur nach. Schweizerschulen im Ausland

Ecoles suisses à l’étranger

Ausbildung in der Schweiz

Formation en Suisse

Geschäftsstelle Alpenstrasse 26 3006 Bern Schweiz

www. educationsuisse.ch