Schweizer Literatur – Literatur Aus Der Schweiz
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Schweizer Literatur – Literatur aus der Schweiz Dr. Klara Obermüller Dass Fragen wie diese schwieriger zu beantworten sind als diejenige nach der Herkunft von Zutaten oder dem Sitz von Produktionsstätten, liegt auf der Hand. Und doch ist es reizvoll, nach Antworten zu suchen, zumal in einer Zeit, da Lebensläufe gebrochen, Gewissheiten fraglich und Zugehörigkeiten variabel geworden sind. Bereits im Titel meines Referats habe ich versucht, etwas von dieser Ambivalenz anzudeuten. Schwei- zer Literatur – Literatur aus der Schweiz: ein und dasselbe, sollte man meinen. Oder doch nicht? „Wo Schweiz drauf steht, soll Schweiz drin sein“, so wollen es die Swiss- Wie knifflig die Einordnung im Bereich ness-Regeln, die per 1. Januar 2017 in der Kultur – zumal der sprachgebunde- Kraft getreten sind. Sie halten fest, nen Literatur – sein kann, wurde uns vor wieviel Schweiz in einem Produkt Jahren im Stiftungsrat von „Pro Hel- enthalten sein muss, damit es mit dem vetia“ bewusst, als wir über ein Förde- begehrten weissen Kreuz im roten Feld rungsgesuch des in der Schweiz gekennzeichnet werden darf. Mindes- lebenden, aber russisch schreibenden tens 80% an Zutaten sollten es sein, Autors Michail Schischkin zu befinden heisst es. Bei einem Produkt lässt sich hatten. Darf ein Autor, der zwar in der dies messen. Wie aber definiert man im Schweiz lebt, aber kein Schweizer ist Bereich Kunst und Kultur, was schwei- und auch nicht in einer der vier offiziel- zerisch ist und was nicht? Ab wann, so len Landessprachen schreibt, von einer liesse sich vor dem Hintergrund des Institution wie der „Pro Helvetia“ heutigen Tagungsthemas „Swissness in unterstützt und gefördert werden? So der Bildung“ fragen, ist ein Schweizer lautete die Frage, und sie wurde hitzig Künstler ein Schweizer Künstler und ein diskutiert. Am Ende haben sich die in der Schweiz gefertigtes Bild oder Ja-Stimmen durchgesetzt – mit dem Buch ein Stück Schweizer Kunst oder Argument, dass im Zeitalter von Schweizer Literatur? Oder auch: Was ist Migration und Globalisierung andere das überhaupt, ein Schweizer Künstler, Regeln gelten müssten als damals in ein Schweizer Schriftsteller? Ist das den dreissiger und vierziger Jahren, als einer, der hier geboren ist, einer mit man „Schweizerliteratur“, wie „Schwei- Schweizer Pass oder auch einfach nur zervolk“ auch, noch in einem Wort einer, der in der Schweiz seinen schrieb und im Zuge der „geistigen Wohnsitz hat? Und muss er, um als Landesverteidigung“ genau zu wissen Schweizer Künstler, als Schweizer Autor vorgab, was schweizerisch ist und was zu gelten, unbedingt die Schweiz zum nicht. Thema seines Schaffens machen? Michail Schischkin war damals, als Sie mir dies, bitte, verzeihen. Es ist das diese Diskussion bei „Pro Helvetia“ Gebiet, auf dem ich mich auskenne. stattfand, noch eine Ausnahmeerschei- Und dass auch ich als Kritikerin über die nung. Mittlerweile aber gibt es bereits so Literatur aus dem deutschsprachigen viele solcher Ausnahmeerscheinungen, Raum besser Bescheid weiss als über dass ein eigener Terminus für sie die anderssprachigen Literaturen des geschaffen werden musste: „Literatur eigenen Landes, ist nur ein weiterer mit Migrationshintergrund“ nennt sich Beleg für die obgenannte These. das neue Genre, das in der Schweiz mit Neu ist das Phänomen der „doppelten Namen wie Catalin Dorian Florescu und Zugehörigkeit“ von Schweizer Literatur Melinda Nadj Abonji, wie Irina Brežna, keineswegs, und problematisch wird es Yusuf Yeşilöz, Radka Donnell, Ibrahim meist auch nur dann, wenn politische al-Koni, oder Francesco Micieli – um nur Spannungen das Klima vergiften. So einige wenige zu nennen – gut vertreten war es bis zum Ausbruch des 1. ist. Unabhängig davon, ob sie nun in Weltkriegs eine Selbstverständlichkeit, ihrer Muttersprache oder in einer dass Autoren wie Gottfried Keller, C.F. unserer Landessprachen schreiben, Meyer, Robert Walser, ja, sogar der konfrontieren uns diese Autorinnen und urbernische Jeremias Gotthelf ihre Autoren noch einmal ganz neu mit der Werke in Deutschland publizierten und Frage, was denn nun eigentlich Schwei- sich ganz selbstverständlich der zer Literatur ausmache und worin sie deutschsprachigen Literatur zugehörig sich, wenn überhaupt, von der Literatur fühlten. Und nicht anders hielt es ein anderer Länder unterscheide. Vor dem Charles Ramuz in der Romandie oder Hintergrund des bereits Gesagten dürfte ein Francesco Chiesa im Tessin, die an klar sein, dass Annäherungen möglich, ihrer Zugehörigkeit zur Kultur ihrer eindeutige Antworten jedoch nur schwer Nachbarländer nie den geringsten zu finden sind. Zweifel liessen. Erst als die beiden Weltkriege die kulturellen Gräben auch Fest steht zunächst nur dies, dass die in unserem Land aufrissen, wurden Literatur der Schweiz per se mehrspra- diese Selbstverständlichkeiten fraglich chig ist und man im Grunde genommen und die Autoren gezwungen, sich zu nicht von Schweizer Literatur, sondern entscheiden, wem sie angehören von Schweizer Literaturen im Plural wollten: den ihnen vertrauten Kulturräu- sprechen sollte: von Literaturen, die sich men oder jenem nationalen Réduit, zu dadurch auszeichnen, dass sie janu- dem die Schweiz unter dem Druck von sköpfig sind und sich stets zwei Kulturen aussen geworden war. zugehörig fühlen: derjenigen der Schweiz, der sie entstammen, und Keiner hat diesen Konflikt seinerzeit derjenigen des benachbarten Auslands, klarer zum Ausdruck gebracht als Carl dessen Sprache sie sprechen. Wenn im Spitteler, als er in seiner Rede vor der Folgenden fast ausschliesslich Beispiele „Neuen Helvetischen Gesellschaft“ vom aus der deutschsprachigen Literatur der 14. Dezember 1914 deutlich machte, wo Schweiz angeführt werden, so wollen er die Literaturen seines Landes verortet sehen wollte. „Unser Schweizer Welch enormer kultureller und auch Standpunkt“ hiess die Rede, und sie lief materieller Verlust mit der politisch auf die Feststellung hinaus: motivierten Abkehr vom angestammten „Alle, die jenseits der Landesgrenze Kulturraum einherging, realisierte man wohnen, sind unsere Nachbarn, und bis erst richtig, als der 2. Weltkrieg vorbei auf weiteres liebe Nachbarn; alle, die war und die Abschottungsstrategie der diesseits wohnen, sind mehr als „geistigen Landesverteidigung“ ihre Nachbarn, nämlich unsere Brüder. Der Berechtigung zu verlieren begann. Der Unterschied zwischen Nachbar und durchschlagende Erfolg der Deutsch- Bruder aber ist ein ungeheurer. Auch schweizer Literatur nach 1945 – allen der beste Nachbar kann unter Umstän- voran eines Max Frisch und Friedrich den mit Kanonen auf uns schiessen, Dürrenmatt, später dann auch eines während der Bruder in der Schlacht auf Peter Bichsel, Otto F. Walter, Adolf unserer Seite kämpft. Ein grösserer Muschg oder Hugo Loetscher –, er Unterschied lässt sich nicht denken.“ verdankt sich nicht nur dem grossen Die Aufforderung, sich dem andersspra- Nachholbedarf deutscher Leserinnen chigen Miteidgenossen näher zu fühlen und Leser nach guter, politisch nicht als dem sprachverwandten Kollegen im kontaminierter Literatur, sondern auch benachbarten Ausland, kam damals vor der Öffnung der Grenzen, die kulturellen allem in der mit dem deutschen Reich Erzeugnissen aus der Schweiz alte sympathisierenden Deutschschweiz gar Märkte zurückbrachte und zusätzlich nicht gut an. Und es bedurfte schon der neue erschloss. Noch hatten es akuten Bedrohung durch den Faschis- Schweizer Verlage wie Arche, Walter mus der dreissiger Jahre, um Spittelers oder Benziger vergleichsweise leicht, prophetischer Mahnung den nötigen sich im deutschsprachigen Raum zu Nachdruck zu verleihen. Vor allem für behaupten. Das änderte sich rasant, als die deutschsprachigen Autoren der die Alliierten deutsche Verlagsgründun- Schweiz wurde die Wahl ihres Stand- gen wieder zuliessen und die deutsche punktes mit dem Aufkommen des Wirtschaft als ganzes sich zu erholen Nationalsozialismus zur Schicksalsfra- begann. ge. Wer es, anders als Jakob Schaffner, ablehnte, der nationalsozialistischen Heute kann man, etwas überspitzt, Reichsschrifttumskammer beizutreten, sagen, dass ein Adolf Muschg, ein sah sich vom deutschen Markt abge- Markus Werner, Peter Stamm oder schnitten und auf die kleine Deutsch- Thomas Hürlimann, eine Erica Pedretti schweiz zurückgeworfen. Autoren wie oder Gertrud Leutenegger – um nur die Jakob Bührer, Carl Albert Loosli, Adrien bekanntesten zu nennen – nie einen Turel oder Cécile Lauber haben diesen vergleichbaren Erfolg gehabt hätten, Rückzug teuer bezahlt. Sie gerieten wenn sie nicht durch ihre deutschen auch im eigenen Land weitgehend in Verlage auf dem deutschen Markt Vergessenheit und haben sich von der präsent gewesen wären. In den selbstauferlegten Isolation nie mehr Vorankündigungen ihrer Werke wird ganz erholt. allenfalls noch am Rande erwähnt, dass sie in der Schweiz leben oder in der Literatur aus der Schweiz, was ein Schweiz geboren sind, ihre Geschichten kleiner, aber nicht ganz unwesentlicher sind längst in alle Welt ausgeschwärmt, Unterschied ist. Und ja, auch ein kleines ihre Figuren sind Menschheitsfiguren, Land wie die Schweiz gibt den Stoff her, die Probleme, die sie behandeln, aus dem Literatur von Weltgeltung universell. entstehen kann. Nicht der Entstehungs- ort macht den Wert eines Werks aus, Es hat allerdings ziemlich lange sondern die Art und Weise, wie es gedauert, bis der Konflikt um die doppel- geschrieben ist. Und dass Literatur von te Zugehörigkeit der Schweizer – ge- Rang aus Cleversulzbach oder Konolfin- nauer: der Deutschschweizer – Literatur, gen ebenso kommen kann wie aus New sich auflöste und einer neuen