Standpunkte 12 / 2019 Für Die Verbindende, Neue
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STANDPUNKTE 12 / 2019 INGAR SOLT Y FÜR DIE VERBINDENDE, NEUE KLASSENPOLITIK UND FÜR EINEN KLUGEN LINKEN POPULISMUS ZUR STRATEGIEDISKUSSION DER LINKEN IN DEUTSCHLAND1 Die Welt befindet sich im rapiden Umbruch. Die kaum über- setzte sich – zur Überraschung von vielen – Amira Mohamed wundene ökonomische Krise kehrt massiv zurück. Sie ver- Ali durch, die 2015 in die LINKE eingetreten ist, seit 2017 im schränkt sich mit vielen anderen Facetten: Prekarisierung Deutschen Bundestag sitzt und dort bislang die Themen Ver- und Unsicherheit durch Arbeitsmarktreformen, Sozialabbau, braucher- und Tierschutz bearbeitete. Mohamed Ali gewann Mietenexplosion und die Digitalisierung haben eine Krise gegen ihre Kontrahentin Caren Lay, die insbesondere für ihr des sozialen Zusammenhalts zur Folge. Daraus entstanden Engagement in der Mietenthematik bekannt ist, deren Kan- ist eine Krise der repräsentativen Demokratie, die die politi- didatur aber manchen in der Fraktion als versuchte Einfluss- schen Parteiensysteme im «Westen» in teilweise atemberau- nahme der Parteiführung erschien. bendem Tempo umpflügt und zum weltweiten Aufstieg von Für andere war die Wahl von Amira Mohamed Ali die Fort- extrem rechten Kräften geführt hat. Die neoliberale Art und setzung des «Hufeisens», also jenem Bündnis des mehr- Weise, wie der Arbeitsmarkt und wohlfahrtstaatliche Arran- heitlich ostdeutschen Reformerflügels «Forum demokra- gements umstrukturiert werden, verschärft die Krise der so- tischer Sozialismus» und der Anhänger*innen von Sahra zialen Reproduktion. Mit dem relativen Abstieg der USA und Wagenknecht. Diese sehen sich selbst als linken Flügel, weil dem Aufstieg Chinas geht ein neuer kalter Wirtschaftskrieg Wagenknecht sich lange für einen konsequenten Opposi- einher, der die Welt immer stärker in eine Aufrüstungsspirale tionskurs und gegen rot-rot-grüne Parteienbündnisse aus- und einen Wettbewerb um Ressourcen und Hochtechnolo- gesprochen und ein besonderes Talent bewiesen hat, die gien hineinzieht. All dies findet im Kontext einer sich immer Klassenfrage öffentlich zuzuspitzen. Dabei fiel weniger ins stärker zuspitzenden Klimakrise statt, die das Ergebnis eines Gewicht, dass sich Wagenknecht in wirtschaftspolitischen kapitalistischen Systems ist, das auf einem endlichen Plane- Fragen zunehmend in eine sozialdemokratische Richtung ten auf endloses Wachstum angewiesen ist. In dieser extre- entwickelt hat und man diesbezüglich nicht mehr so ohne men Krisensituation braucht es eine starke demokratisch-so- Weiteres vom linken Flügel sprechen konnte, von Fragen der zialistische Linke, die ein breites gesellschaftliches Bündnis Emanzipations- und Migrationspolitik mal ganz abgesehen. knüpft, die Machtfrage stellt und die unhaltbaren Verhält- So oder so, als Fortsetzung oder Erhalt des «Hufeisens» nisse grundlegend transformiert. Die LINKE in Deutschland und linker Erfolg wurde Amira Mohamed Alis Wahl auch vom steht vor der Herausforderung, eine Strategie zu finden bzw. Wagenknecht-Flügel gefeiert. Diether Dehm posierte gleich weiterzuentwickeln, um diese Aufgabe meistern zu können. in der Mitte der beiden neugewählten Fraktionsvorsitzenden Zugleich befinden sich sowohl Bundestagsfraktion als auch mit gereckter Faust. Indes avancierte Sahra Wagenknecht in Partei in einem Umbauprozess. Der folgende Text versteht der Woche nach ihrem Rückzug erstmalig zur beliebtesten sich als ein Beitrag zur Strategiediskussion der LINKEN für Politikerin in Deutschland. Wagenknecht-Anhänger*innen eine starke linke Politik in Deutschland. haben dies zum Anlass genommen, die innerparteilichen An- griffe auf Wagenknecht, die in ihren Augen zu deren Rück- 1 DIE LINKE VOR EINEM NEUSTART zug geführt hatten, zu geißeln. Diese hätten die LINKEN ihr MIT VIELEN OFFENEN FRAGEN bestes Zugpferd gekostet. Sahra Wagenknecht ist nicht mehr länger Fraktionsvorsit- Wagenknechts Medienpräsenz kann zweifellos nicht ge- zende der LINKEN im Deutschen Bundestag. Die LINKE hat ringgeschätzt werden. Für viele Menschen, insbesondere ROSA LUXEMBURG STIFTUNG einen neuen (alten) Fraktionsvorsitz. In der Kampfkandidatur außerhalb der Ballungsräume, existiert die LINKE nur durch Wagenknecht. So funktioniert, ob es einem gefällt oder die zwei Prozent Differenz zerstritten und bis aufs Messer be- nicht, die Mediendemokratie. Zugleich aber haben sich die kämpften. Aber Linke streiten nun einmal gern, und wenn es Prophezeiungen des Wagenknecht-Lagers, die LINKE wür- solidarisch vonstattengeht, ist das ja auch produktiv. de ohne Wagenknecht unter die Fünfprozenthürde rutschen, Jüngst entzündete sich eine Debatte anhand eines Inter- auch nicht bewahrheitet. Die LINKE steht bei der Sonntags- views mit Ole Rauch, Mitherausgeber des Ada-Magazins frage stabil zwischen 9 und 10 Prozent und mit seinem sehr (ab Januar 2020: Jacobin Deutschland), in dem er das Kon- moderaten Kurs holte der thüringische Ministerpräsident Bo- zept der Mosaik-Linken kritisiert. Dieses stammt von Hans- do Ramelow das historische Rekordergebnis von 31,0 Pro- Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der zent für die Linkspartei. IG Metall und Gastprofessor am Fachbereich Soziologie der Währenddessen hat die LINKE in Brandenburg und Sach- Universität Jena. Urban hatte das Konzept im Jahr 20077 im sen historische Niederlagen erlitten, ganz egal, ob sie mit- Zuge der globalen Finanzkrise entwickelt. Es war es zu ei- regierte oder in der Opposition war. Auch die Formel «Wer nem Leitbegriff für viele geworden, die ein gesellschaftliches regiert, verliert! Wer nicht regiert, gewinnt!», die für den Zeit- Reformbündnis mit dem Ziel einer sozialökologischen Trans- raum von 1990 bis 2010 Gültigkeit hatte, ist also nicht mehr formation jenseits des Krisenkorporatismus anstrebten.8 Das so einfach aufrechtzuerhalten und den Befürworter*innen Konzept war der Versuch einer kritischen Intervention in ei- oder Gegner*innen von Regierungsbeteiligungen entgegen- ner Zeit, in der so etwas wie die Abwrackprämie der Bundes- zuschleudern. Zugleich ist die Behauptung, dass linke Politik regierung die Gewerkschafts- und die Klimagerechtigkeits- in «Regierungsverantwortung» sich zwangsläufig entradikali- bewegung entzweite und in der die IG Metall nach ihrem siert oder sogar neoliberal wird, wie zwischen 2002 und 2012 Linksschwenk in Opposition zur Agenda-2010-Politik in ei- in Berlin geschehen, fragwürdig geworden. Vor dem Hinter- ne strukturkonservative Richtung und in ein Bündnis mit der grund der eindrucksvollen Interaktion in Berlin zwischen der Großen Koalition trieb.9 Linkspartei im Parlament und sozialen Bewegungen auf der Das mehr als zehn Jahre alte Konzept der Mosaik-Linken Straße hat sich die Politik der LINKEN in der Regierung eher ist nun heute – angesichts der veränderten Bedingungen von radikalisiert und für 1,5 Millionen Haushalte, deren Miete (Euro-)Krisenentschärfung, SPD-Zerfall, Aufstieg der AfD jetzt gedeckelt wird, spürbare Verbesserungen erwirkt. Etwa usw. – vielleicht nicht mehr so sehr leitgebend und strate- 170.000 Haushalte werden ihre Mieten sogar senken dürfen. gisch wichtig für linke Politik. Aber das von Mimmo Porca- Kippt das Bundesverfassungsgericht das Berliner Gesetz oder ro entwickelte, verwandte Konzept einer «verbindenden Par- Teile davon nicht, dann wird es die Berliner Mieter*innen um tei» – also von Parteien, die anders als die kommunistischen 2,5 Milliarden Euro entlasten;2 und niemand muss in aufrei- und sozialdemokratischen Parteien des 20. Jahrhunderts oh- bender Arbeit die Mieter*innen über ihre Rechte informieren, ne Vorfeldorganisationen existieren und eher soziale Bewe- weil nach dem neuen Mietendeckelgesetz, das rückwirkend gungen verbinden – ist weiterhin ein einflussreiches Leitbild ab dem 18. Juni 2019 gilt, die Immobilieneigentümer und Ver- für linke Politik in Deutschland.10 mieter das selbst tun müssen.3 Dabei stützt sich diese Mieten- Rauch kritisiert, dass die Mosaik-Linke ein Begriff dafür politik auf eine breite Bevölkerungsmehrheit: Über 70 Prozent sei, «dass man es irgendwie akzeptiert hat, dass die Gewerk- der Bevölkerung befürworten das Gesetz zum Mietendeckel,4 schaften eine jährliche Latschdemo mit Wurststand haben, und fast 60 Prozent der Berliner*innen erkennen an, dass die die Linkspartei alle Jahre wieder einen bräsigen Wahlkampf LINKE als Partei von Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtent- macht, die SPD sich verrät und die außerparlamentarische wicklung und Wohnen, den größten Anteil an diesem Erfolg Linke irgendwo protestiert und eingekesselt wird».11 Rauch hat.5 Das Berliner Modell zeigt also, wie erfolgreich linkes Re- wurde aus dem Umfeld von «Aufstehen» beigepflichtet: Ur- gieren sein kann, wenn es sich mit außerparlamentarischen ban habe die Linke mit diesem Konzept auf einen Irrweg ge- Bewegungen wie den Mieterinitiativen von Kotti & Co. bis Bi- bracht. Linke Bewegungsparteien seien allerorten kläglich zim Kiez und der Interventionistischen Linken und ihrer «Rote- gescheitert. Annähernd erfolgreich gewesen sei diese Poli- Stadt-Kampagne» verbindet und wenn es auf eigenen stadt- tik nur dort gewesen, wo – wie in Griechenland oder Thü- politischen Organizing-Kampagnen wie denen der LINKEN in ringen – keine alte Sozialdemokratie mehr in Konkurrenz zu der Neuköllner Gropiusstadt, einem von Großwohnsiedlun- einem stehe. Hoffnung gebe es gegenwärtig nur innerhalb gen geprägten Ortsteil von Berlin,6 fußt. der klassischen Sozialdemokratien, die sich nicht als Bewe- Die LINKE in Deutschland steht jedenfalls vor einem Neu- gungsplattform begreifen würden, sondern als klassische anfang