Frankreichs Empire Schlägt Zurück Gesellschaftswandel, Kolonialdebatten Und Migrationskulturen Im Frühen 21
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Dietmar Hüser (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Christine Göttlicher Frankreichs Empire schlägt zurück Gesellschaftswandel, Kolonialdebatten und Migrationskulturen im frühen 21. Jahrhundert Das Empire schlägt zurück. In vielerlei Hinsicht und mit vielfältigen Konse- quenzen. Seit fast drei Jahrzehnten zeigt sich Frankreich als verunsicherte Republik. Als gespalten auch zwischen denen, die die immer offensicht- licheren Rück- und Einflüsse des früheren Kolonialreiches als Wohltat für Gesellschaft, Politik und Kultur des ehemaligen Mutterlandes empfin- den, als Auf-bruch zu neuen Ufern. Und denen, die dies prinzipiell anders sehen, die das Konfrontieren der République une et indivisible mit einer selbstbewussten France au pluriel für den Untergang des Abendlandes halten. Zwischen jenen auch, die negativ empfundene Folgewirkungen einer beschleunigten Welt in primär kolonial- bzw. migrationsdimensio- nierte Begründungskontexte einordnen. Und jenen, die auf das Versagen der „Großen Politik“ verweisen, auf anachronistische Elitenrekrutierung, auf ein erstarrtes republikanisches Modell fernab der gelebten Realität breiter Bevölkerungskreise. Frankreichs Empire schlägt zurück Empire Frankreichs kassel ISBN 978-3-89958-902-3 university press Dietmar Hüser Dietmar Dietmar Hüser (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Christine Göttlicher Frankreichs Empire schlägt zurück Gesellschaftswandel, Kolonialdebatten und Migrationskulturen im frühen 21. Jahrhundert kassel university press Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar ISBN print: 978-3-89958-902-3 ISBN online: 978-3-89958-903-0 URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0002-9037 © 2010, kassel university press GmbH, Kassel www.upress.uni-kassel.de Umschlagbild mit freundlicher Genehmigung des Zeichners Plantu aus dem Buch: Plantu, Je ne dois pas dessiner ..., Paris (Editions du Seuil) 2006, S.136-137. Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 Einleitung Dietmar Hüser Die sechs Banlieue-Revolten im Herbst 2005 – Oder: Über- legungen zur sozialen, politischen und kolonialen Frage in 15 Frankreich I. Gesellschaftswandel Henrik Uterwedde Gesellschaft und Politik in Frankreich – Eine schwierige Be- ziehung im Wandel 57 Sabine Ruß Die "sichtbaren" Franzosen und die Republik – Zur Frage der Ethnifizierung der französischen Politik 75 Dietmar Loch Gesellschaftliche Entsolidarisierung gegenüber den ban- 95 lieues – Städtische Segregation und Stadtpolitik in Frank- reich Carola Hodyas Integrationsmodell in Flammen oder crise sociale? – Deutsche und französische Presseberichterstattung über die violences urbaines im Herbst 2005 123 II. Kolonialdebatten Nina Pauer Europa und die Frage der Gewalt – Die bundesrepublika- nische Resonanz auf den Algerienkrieg am Beispiel des Massakers vom 17. Oktober 1961 in Paris 157 Alice Ebert Frankreichs Umgang mit belasteter Vergangenheit – Die Debatten und Kontroversen um das "Kolonialismusgesetz" 189 von 2005 Sven Korzilius Erinnerungsforderungen von descendants d'esclaves – Berechtigtes Anliegen oder Missbrauch der Geschichte? 217 III. Migrationskulturen Hans-Jürgen Lüsebrink Black-Blanc-Beur – Tendenzen der aktuellen französischen Kulturszene 253 Daniela Hannig Cinéma beur – Maghrebinische Einwanderung und natio- nale Kinokultur in Frankreich 273 Dietmar Hüser / Linda Schüssler Klänge aus Algerien, Botschaften für Frankreich – Der Raï- Beur als Musik französischer Jugendlicher aus maghrebini- schen Migrationskontexten 299 Eva Kimminich Ton-Macht-Musik – Populäre Rap-Lieder und die französi- sche Gesellschaft 331 Autorinnen & Autoren 347 Dietmar Hüser Vorwort Das Empire schlägt zurück. In vielerlei Hinsicht und mit vielfältigen Konse- quenzen. Seit fast drei Jahrzehnten zeigt sich Frankreich als verunsicherte Re- publik. Als gespalten auch zwischen denen, die die immer offensichtlicheren Rück- und Einflüsse des früheren Kolonialreiches als Wohltat für Gesell- schaft, Politik und Kultur des ehemaligen Mutterlandes empfinden, als Auf- bruch zu neuen Ufern. Und denen, die dies prinzipiell anders sehen, die das Konfrontieren der République une et indivisible mit einer selbstbewussten France au pluriel für den Untergang des Abendlandes halten. Zwischen jenen auch, die negativ empfundene Folgewirkungen einer beschleunigten Welt in primär kolonial- bzw. migrationsdimensionierte Begründungskontexte einord- nen. Und jenen, die auf das Versagen der "Großen Politik" verweisen, auf anachronistische Elitenrekrutierung, auf ein erstarrtes republikanisches Modell fernab der gelebten Realität breiter Bevölkerungskreise. Ziel des einleitenden Beitrags "Die sechs Banlieue-Revolten im Herbst 2005 – Oder: Überlegungen zur sozialen, politischen und kolonialen Frage in Frank- reich" ist es, erste Pflöcke einzustecken in das weite Forschungsfeld eines Empire, das mehr und mehr auf die Metropole zurückschlägt. Aufgezeigt wer- den mehrere Lesarten der damals landesweiten Proteste junger Menschen, um daran die zahlreichen Umbrüche der letzten Jahrzehnte zu beleuchten und im Sinne eines zurückschlagenden Empire zuzuspitzen. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem inneren Zusammenhang von gesellschaftlich-staatsbürgerlichen Ausgrenzungs- und ethno-kolonialen Zuschreibungsmechanismen in Frank- reich. Gefragt wird zum einen nach der fracture coloniale hinter der vielzitier- ten fracture sociale, zum anderen nach einer francophonie de l'intérieur, nach Kolonialem als nunmehr integralem Bestandteil eines farbenfrohen kulturellen patrimoine, das längst begonnen hat, nationale Selbstbilder und Selbstver- ständnisse der "Mehrheitsgesellschaft" maßgeblich mitzuprägen. 5 Gesellschaftswandel Die folgenden elf Aufsätze greifen zentrale Aspekte der aufgezeigten Debatten heraus und vertiefen diese unter den Stichworten "Gesellschaftswandel", "Ko- lonialdebatten" und "Migrationskulturen". Dabei unterstreichen die Beiträge im Kapitel "Gesellschaftswandel", wie seit den langen 1980er Jahren im Zuge von Europäisierung und Globalisierung die tradierte Ideenwelt nationaler Selbstverständlichkeiten und Gestaltungsmöglichkeiten sowie zentrale Pfeiler des französischen Politikverständnisses und Sozialmodells verstärkt an Strahl- kraft verloren haben und mit neuen Herausforderungen konfrontiert worden sind: die Vorstellung staatlicher Machbarkeit hoher Wachstumsraten mit den Zwängen globaler Vernetzung; die Klassengesellschaft mit dem Trend hin zu einer Ausgrenzungsgesellschaft schichtenübergreifender sozialer Verletzlich- keit; die ehemals fortschrittlichen Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus mit der "Krise der Vorstädte"; der assimilatorische Diskurs gegenüber Ar- beitsmigranten mit Ansprüchen auf Eigen-Sinn durch deren französische Kin- der; der nach außen formal ad acta gelegte Dekolonialisierungsprozess mit einem nach innen zurückschlagenden Empire und gesellschaftlichen Grund- satzproblemen, die bereits das koloniale Frankreich heimsuchten und häufig überforderten. Die Reihung ließe sich fortsetzen. Zunächst beschäftigt sich Henrik Uterwedde: "Gesellschaft und Politik in Frankreich – Eine schwierige Beziehung im Wandel" mit dem Zusammenhang von Arbeitsmarktsituation und Jugendprotesten auf der einen Seite, politisch- systemischen und politisch-kulturellen Defiziten aktueller Reformimplemen- tierung auf der anderen. Als eine der Hauptursachen für die Schwierigkeiten, Arbeitsmarkt- oder Bildungsreformen tatsächlich durchzusetzen, werden die weiter unzureichenden Vermittlungsprozesse zwischen Politik und Gesell- schaft betont. Sabine Ruß: "Die "sichtbaren" Franzosen und die Republik – Zur Frage der Ethnifizierung der französischen Politik" fragt anschließend, ob der französische Universalismus, der strikte politische Gleichheit der Bürger jenseits von Religion, Rasse und Herkunft fordert, inzwischen in der politi- schen Praxis durch eine partikulare Logik "eingefärbt" wurde. Inwieweit heute ethnische Kategorien gesellschaftliche Wahrnehmungen und Auseinanderset- 6 zungen prägen, beleuchtet der Beitrag schlaglichtartig am Beispiel der Diskus- sion der Vorstadt-Unruhen von 2005, neuer Gruppierungen in der Interessen- Landschaft und der Anti-Diskriminierungspolitik der Regierung. Die prekarisierten Verhältnisse vorstädtischer Quartiere à la française sowie die Etappen und Konzepte einer seit Ende der 1970er Jahre initiierten Stadtpo- litik, die gerade sozial benachteiligte Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Blick nehmen sollte, untersucht Dietmar Loch: "Gesellschaftliche Ent- solidarisierung gegenüber den banlieues – Städtische Segregation und Stadt- politik in Frankreich". Ein Abgleichen von Programmen und Realitäten führt in seinen Augen zu ernüchternden Ergebnissen, sowohl was deren wohnräum- liche und gesellschaftliche als auch deren schulische, berufliche und politische Integration anbelangt. Auf der Basis einer quantitativen wie qualitativen Pres- seanalyse der FAZ und taz, von Le Monde und Libération kommt Carola Ho- dyas: "Integrationsmodell in Flammen oder crise sociale? – Deutsche und französische Presseberichterstattung über die violences urbaines im Herbst 2005" zu dem Ergebnis, dass es zwar nationale Differenzen in der Berichters- tattung gebe, dies freilich weniger grundsätzlich als ursprünglich angenommen und nicht allein aus Gründen unterschiedlicher, respektiv verinnerlichter In- tegrationskonzepte in beiden Ländern. Kolonialdebatten Das ebenfalls drei Aufsätze umfassende Kapitel