Die Revolution Von 1918 Und Ihre Auswirkung Auf Schiltach in Baden
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Die Revolution von 1918 und ihre Auswirkung auf Schiltach in Baden von Dr. Helmut Horn ©2019 Die viel zu wenig gewürdigte Revolution von 1918 ist der Grundbaustein unserer heutigen Demokratie. Entscheidenden und richtungsweisenden Anteil hatten die Mehrheitssozial- demokraten. Zu keiner Zeit, und in Baden noch weniger als im Deutschen Reich, gab es eine Mehrheit für eine weitergehende Revolution hin zu einem Rätesystem. In diesem Artikel soll aufgezeigt werden, wo sich bei der Revolution 1918 in Deutschland die wahren Entscheidungen abspielten und wie marginal der Einfluss der „badischen Provinz“ war. Dazu ist es von Nöten, die revolutionären Ereignisse in Schiltach in die revolutionären Abläufe des Deutschen Reiches, Badens und Württembergs einzubinden. Es zeigt sich, dass in Baden die Revolution einen ähnlichen und doch anderen Verlauf nahm als in Berlin oder Stuttgart. Aufgrund zahlreicher Quellenzitate werden positive aber auch negative Entwicklungen und Folgen der Revolution herausgearbeitet. Viel zu wenig wird die Novemberrevolution von 1918 gewürdigt. 2018 weder in Deutschland noch in Schiltach. Dabei war es eine umwälzende Revolution mit nachhaltigen Folgen. „Die größte aller Revolutionen“1 schuf „eine Demokratie, von deren Errungenschaften wir noch heute profitieren“2. Statt die Revolution vor 100 Jahren an ihren positiven Ergebnissen zu messen, werden aus nachträglicher und damit besserwisserischer Sicht oFt nur die negativen Aspekte herausgehoben. So spricht der Autor Joachim Käppner von einem traurigen Paradox: 1 Buchtitel von Robert Gerwarth: Die größte aller Revolutionen: November 1918 und der Aufbruch in eine neue Zeit, München, 2018. Nach einem Zitat von Theodor WolFF, Chefredakteur des Berliner Tageblatts am 10.11.1918 über die Ereignisse des Vortages. 2 Robert Gerwarth im Gespräch mit Dieter Kassel; ein Beitrag des Deutschlandfunkes vom 30.10.218, Deutschland - Kultur https://www.deutschlandfunkkultur.de/november-revolution-1918-in-deutschland- revolution-mit.1008.de.html?dram:article_id=431854. 1 Sowohl die bürgerlich-konservative Geschichtsschreibung als auch die orthodox-marxistische betrachteten die Revolution von 1918 als Fremdkörper, als Ereignis ohne Potential zu einem dritten Weg.3 Aus Sicht der DDR und der Linken hatte die SPD (gemeint sind die Mehrheitssozialdemokraten)4 „die Revolution verraten und die wahren Revolutionäre ermorden lassen, deren Ideale dann die SED verwirklichte“.5 Linke und Kommunisten trauern noch immer der nicht erFolgten Errichtung einer proletarischen Diktatur in Deutschland nach. So titelte der Spiegel 1968 „November 1918: ‚Kartoffeln – keine Revolution‘“6 und der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer schreibt 2018: Die deutsche Revolution von 1918 war durch und durch ein Trauerspiel, nicht weil es den führenden Akteuren etwa an besten Absichten gemangelt hätte, aber was ihnen fehlte, waren revolutionärer Mut, Phantasie und Geschlossenheit. Die Spitzen der „Friedenskoalition“, bestehend aus Sozialdemokraten, Zentrum und Liberalen, wollten die bürgerlich- demokratische Revolution eigentlich gar nicht, die von den Massen vorangetrieben wurde. Sie bejahten rückhaltlos die volle Parlamentarisierung, aber bereits der Republik hätte Ebert gerne eine konstitutionelle Monarchie unter einem liberalen Hohenzollern vorgezogen.7 Der deutsche Publizist Sebastian HafFner äußerte 1969 in seinem Buch Der Verrat heftige Kritik an der Sozialdemokratie. Die deutsche Revolution war eine sozialdemokratische Revolution, die von den sozialdemokratischen Führern niedergeschlagen wurde.8 Die Führenden Sozialdemokraten, allen voran Ebert, sah er als Verräter und Mörder an. Hätte die Ebert-SPD die Massenbewegung genutzt, statt sie zu fürchten, das alte Militär zum Teufel gejagt, statt sich mit ihm zu verbünden, wäre die Republik 1933 wahrscheinlich nicht untergegangen oder wenigstens nicht den Nazis in die Hände gefallen.9 Seine Ansichten aus dem Buch wirken bis in die Neuzeit nach, obwohl er schon zehn Jahre später zugab, dass er einiges anders schreiben würde. Fehler, nicht nur von ihm, war und ist, dass die handelnden Personen nach den Ergebnissen ihrer Politik beurteilt werden und „nicht, wie es Historiker tun“, „nach den Motiven jenseits der Revolutionsfurcht“ gefragt werden, „nach den Handlungsspielräumen der Akteure, nach ihrem Wissen und ihren Vorstellungen“.10 HafFner verdrängte völlig die Probleme, die auF den Entscheidungen der entstehenden Regierungen auf Reichs- wie auF Landesebene lastete. So betont Robert Gerwath, dass wir Fälschlicherweise die Geschichte der Novemberrevolution wie auch die Geschichte der Weimarer Republik allgemein sehr stark vom Ende her lesen, gewissermaßen als Vorgeschichte zum AuFstieg des Nationalsozialismus.11 3 Käppner 2017, 17. 4 SPD = Sozialdemokratische Partei Deutschlands, von Mitte 1917 bis 1922 MSPD (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands) auch genannt zur Abgrenzung zur USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), solange die Spaltung von MSPD und USPD bestand. 5 Vgl. taz 2018. 6 Malanowski, Wolfgang: November 1918:“Kartoffeln - keine Revolution“, Spiegel, 46/1968, 100. 7 Fischer, Joschka: Risiko Deutschland: Krise und Zukunft der deutschen Politik, ebook, 2018. 8 Käppner 2017, 17-18. 9 Käppner 2017, 18. 10 Vgl. Käppner 2017, 18. 11 S. Pkt. 2. 2 Der 9. November erschien somit „vielen als trostloses Symbol der defizitären deutschen Geschichte“12. Viele denken bei Weimarer Republik, wenn sie heute überhaupt eine Vorstellung davon haben, an eine „schwache Republik, die kurzlebige, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt“ war.13 Mit der Wiedervereinigung 1990 sank das Interesse an der Revolution von 1918 gar auF den völligen Nullpunkt14, erst ab 2008 sind zarte Neuansätze einer korrekteren Bewertung zu Finden, die die Revolution nicht aus der Perspektive des späteren Scheiterns15 sondern aus der Sicht der Akteure im damaligen Kontext beurteilt. Obwohl „die Idee, dass 1918 keine ordentliche Revolution war“, „in der Forschung lange ad acta gelegt“ ist, hält sich „im öffentlichen Bewusstsein das verächtliche Bild einer bloß halben Revolution, das seit Längerem solidem Desinteresse gewichen ist“.16 Auch wenn Autoren gnädiger mit der Rolle der Sozialdemokratie wurden, so bleibt unbestreitbar, dass diese „im Bestreben, das Reich 1918/19 nicht in Chaos, Not und Bürgerkrieg entgleiten zu lassen, einen zu hohen Preis zahlten“17. Leider entfaltete sich eine „fatale Dynamik 1919 zwischen Eberts MSPD, die allzu devot den alten Eliten gegenüber war, und den Linksradikalen, die hilF- und besinnungslos versuchten, die Oktoberrevolution zu inszenieren“18, was dazu Führte, dass nicht nur Eberts MSPD 1919 „den faschen Feind mit den falschen Verbündeten“19 bekämpfte, sondern auch die Landesregierungen. Negativ miteinander verwoben sind Revolution, Weimarer Republik und deren VerFassung. In der BRD wollte man sich immer „in sicherer Distanz zu Weimar“20 wissen. Mit dieser Demokratie wollte man nichts gemein haben. „Bonn ist nicht Weimar - geprägt 1956 durch den Titel eines Werks des Schweizer Journalisten Fritz René Allemann - avancierte so zu einem Leitsatz, der ganzen Schülergenerationen vermittelt wurde“.21 Laut Autor Gerwath wurde Weimar zur „Negativmatrize“ der Bundesrepublik.22 Der Konstitution haftete jedoch bis in die letzten Jahre hinein eher ein negativer Charakter an, der sich schon zu Zeiten der Republik selbst manifestierte, vor allem aber auf den immer wieder betonten Charakter des Grundgesetzes als eine Art „Antithese“ zur Weimarer Verfassung gründete. Allzu oft wurde die Verfassung aus der Perspektive des Scheiterns der Weimarer Republik betrachtet.23 Und die Zeit zwischen 1918 und 1933 bezeichnete man gar als „Vorhof des Dritten Reiches“ oder wurde als „Lehrstück des Scheiterns einer Demokratie“ dargestellt.24 12 Taz 2018. 13 S. Pkt. 2. 14 Käppner 2017, 19. 15 Vgl. Käppner 2017, 20. 16 Taz 2018. 17 Käppner 2017, 18. 18 Taz 2018. 19 Vgl. taz 2018. Nach Nieß. 20 Taz 2018. 21 Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag: Stärken und Schwächen der Weimarer Reichsverfassung, WD 1 – 3000-034/12, 4. 22 Taz 2018. 23 Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag: Stärken und Schwächen der Weimarer Reichsverfassung, WD 1 – 3000-034/12, 4. 24 Ebd. 3 In den letzten Jahren hat sich der Blick der zeithistorischen Forschung auf die Weimarer Republik jedoch stark verändert.25 So kommt der Rechtswissenschaftler Christoph Gusy zu dem Ergebnis, dass die „Weimarer VerFassung eine gute VerFassung in schlechter Zeit (war).26 Und so muss immer wieder, und das ist auch ein wesentliches Anliegen dieses Artikels, auF die positiven ErrungenschaFten dieser Revolution hingewiesen werden, die man nicht verdrängen oder vergessen darf. „Die Revolution 1918 ist ein Meilenstein in der verkannten und vernachlässigten Geschichte der deutschen Freiheitsbewegungen“ resümiert Buchautor Käppner zu Recht. Und er fordert, dass „im Pantheon dieser Freiheitsbewegungen“ „der Revolution von 1918/19 und jenen, die sie wagten, für immer ein besonderer Platz“ gebührt.27 Der November 1918 gilt als Geburtsstunde der deutschen Demokratie.28 „Der wahre Beginn unserer Demokratie“29 brachte das Ende der Monarchie, ganz im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, in denen noch immer die Monarchie in abgeschwächter Weise existiert. Unter schwierigsten Bedingungen etablierte sich eine parlamentarische Demokratie, die den unterschiedlichsten HerausForderungen, von dem verlorenen Krieg bis hin zur Demobilisierung von Millionen von Menschen, standhielt.30 Der Schutz der