G B M Nr. 45 Schriftenreihe zur Kultur

Zeitzeichen Ausstellung der GBM in der Ladengalerie der »jungen Welt« vom 18. Juni bis 31. August 2019

Inhaltsverzeichnis

Einführung S. 2

Rede zur Eröffnung der Ausstellung Martina Dost S. 4

Kein häßlicher Regentropfen der Geschichte Dr. Peter Michel S. 17

1 Blick in die Ladengalerie während der Eröffnungsrede Rede zur Eröffnung der Ausstellung Martina Dost

Am 31. August 2019 schließt die vermutlich letzte Ausstellung der GBM. Da wir seit der Aufgabe unserer Geschäftsräume keine originalen Kunstwerke mehr zeigen konnten, bot es sich an, in der Ladengalerie der Tageszeitung »junge Welt« noch einmal über 30 Werke »unserer« bildenden Künstler der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die »junge Welt« zieht am gleichen Strang und zeigt ebenfalls regelmäßig fortschrittliche Kunst. Es war eine erfreuliche Zusammenarbeit, die durch großes Besucherinteresse belohnt wurde. Erfahrener Kurator war Peter Michel, der mit seiner Frau Maria die Fäden der Organisation in der Hand hielt. Aber ohne die körperliche Arbeit des Aufhängens, die von den Profis der Zeitung erledigt wurde, ohne die Einladungen und umfangreiche Kleinarbeit, die viele Helfer der GBM und der »jungen Welt« im Hintergrund leisteten, hätten wir nicht solchen Erfolg verzeichnen können.

2 Galeriegespräch: Andreas Wessel, Peter Michel, Arnold Schölzel, Martina Dost, von links

Am 18. Juni eröffneten wir die Ausstellung im vollbesetzten Raum mit einer Begrüßung von Helga Hörnig, der Vorsitzenden der GBM, mit einer Rede von Stefan Huth, dem Chefredakteur der »jungen Welt« und einer Eröffnungsrede von mir, Martina Dost. Stefan Huth erinnerte an die unermüdliche Arbeit der GBM, der Abwertung und dem angestrebten »Vergessen« der DDR-Künste ein Podium entgegenzusetzen. Er bedankte sich nochmals für die Schenkung einer Reihe von Grafiken aus dem Besitz von Maria und Peter Michel im Jahr 2017, die nun den Bestand der »jungen Welt« erweitern. Am 11. Juli luden wir zu einem Galeriegespräch zum Thema »Es geht auch anders! Über den Umgang mit Kunst der DDR«, welches Arnold Schölzel1 moderierte. Die »junge Welt« fasste den Abend so zusammen:

1 Arnold Schölzel, langjähriger Chefradakteur der jungen Welt, nun Chefredakteur des »Rotfuchs«

3 »Auf dem Podium sprach der Initiator der jW-Kunstedition Wessel mit Michel und mit der Malerin Martina Dost, Vorsitzende des Arbeitskreises Kultur der GBM, auch das Publikum meldete sich immer wieder zu Wort. Michel argumentierte, die Bilderstürmerei der 90er sei weitgehend vorüber und langsam wieder ein positiver Bezug auf die DDR-Kunst möglich. Eine prominente Ausstellung im neuen von Mäzenen gestifteten Museum Barberini in Potsdam sei sogar vom Bundespräsidenten eröffnet worden. Dost sah das als Ausnahme – eine Ausstellung wie »Point of No Return. Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst«, die ab dem 23. Juli im Leipziger Museum der bildenden Künste gezeigt wird, lasse dagegen die Rückkehr zu »alten Kämpfen« befürchten. Offenkundig ist allerdings bei aller »Unbildung« (Heidrun Hegewald) des heutigen Publikums bezüglich der Verhältnisse im Sozialismus dessen neu erwachendes Interesse an der DDR-Kunst. Wer nun das Gefühl hat, kunsthistorischen Nachholbedarf zu haben, greift vielleicht zum aktuellen Heft der Marxistischen Blätter (Schwerpunkt »Kulturstaat DDR«),2 oder – noch einfacher – weiterhin zur jungen Welt.«3 Aus den »Marxistischen Blättern« übernahmen wir den Beitrag von Peter Michel in unser Heft. Andreas Wessel betreut für die »junge Welt« die neuaufgelegte Edition von Original-Grafiken. Wir freuen uns auf die Finissage am 30. August mit dem Liedermacher Frank Viehweg und Peter Michel, der aus seinen zwei Bänden »Künstler in der Zeitenwende« lesen wird. Martina Dost

Rede zur Ausstellungseröffnung in der »jungen Welt«, 18. Juni 2019

Liebe Freunde der »jungen Welt«, liebe Mitglieder der GBM, liebe Künstlerkollegen, liebe Gäste! Vor reichlich 25 Jahren, im Dezember 1993, fand in Berlin ein zweitägiges Symposium statt, auf dem beraten wurde, ob man die Kunstwerke aus der DDR, die nicht in Museen hingen, gleich mitsamt

2 Marxistische Blätter 4_2019 3 »junge Welt«, Ausgabe vom 13.07.2019, Seite 10 / Feuilleton, Auszug

4 Heidrun Hegewald · Als Nadine starb · Hommage à Käthe Kollwitz Grafit · 2012 den Immobilien »verwertet« - oder ob man sie aufbewahrt und wofür man sie ideologisch nutzen kann. Es ging um die Werke, die zum Vermögen der Parteien und Massenorganisationen gehörten und in unseren Ferienheimen sowie in Betrieben oder LPG-en hingen. Das Symposium hieß »Auf der Suche nach dem verlorenen Staat«. Veranstalter war das Deutsche Historische Museum, unterstützt von der Veruntreuungsanstalt des DDR-Vermögens. Die Linie der Treuhand stand fest: »... schließlich geht es um Kunst eines letztlich unsäglich fehlgeleiteten und fehlgeschlagenen StaatesDDR ... Denn Kunst der DDR war entweder – und zwar ganz überwiegend - offizielle Auftragskunst im Stile des vom Staat verordneten sozialistischen Realismus, oder es war Nischenkunst«4. Deshalb sollte die Erbmasse bewahrt werden, soweit sich nicht schon vernichtet war, »damit immer wieder gezeigt und bezeugt werden

4 Auf der Suche nach dem verlorenen Staat, 1994 DHM und ARS NICOLAI GmbH, ISBN: 3-89479-042-3

5 Willi Sitte · Hercules ringt mit Cacus · Farb- zinkografie · 1993

kann, ... wie skrupellos privilegierte Klassen, herrschende Schichten – und dazu gehören zum großen Teil auch die Künstler mit ihren Auftraggebern – solche Luft- und Lügengebilde produzieren und ihrem Volk als bestehende Realität verkaufen.«5 Sieben Rednern aus der BRD standen nur drei aus der DDR gegenüber. Von denen bliesen zwei in das gleiche Horn. Nur Christa- Maria Mosch aus der GBM setzte dem mutig etwas entgegen, indem sie das Wesen und das Ziel der Kunstförderung, vorwiegend des FDGB, ihrer Arbeitsstelle, erläuterte. Ob das jemand verstanden hat? »Vor allem die erste Hälfte der Neunzigerjahre war eine Zeit des gezielten Abbruchs von kulturellen Strukturen, die in der DDR gewachsen waren und dem nicht nur der Palast der Republik, viele

5 ebenda

6 Theater, Orchester, Verlage, Bibliotheken und Kulturhäuser zum Opfer fielen, sondern auch kommunale Ausstellungsstätten und Galerien des Kulturbundes. ... Doch wir als Menschenrechtsorganisation haben dem etwas entgegengesetzt, … das war nichtkommerziell, war von Solidarität getragen und wurde ehrenamtlich über fast zwei Jahrzehnte verwirklicht. ... Der damalige Vorstand mit seinem Vorsitzenden Wolfgang Richter und seinem Stellvertreter Horst Kolodziej eröffnete in unseren schönen, hellen Räumen in der Weitlingstraße die GBM-Galerie. Horst Kolodziej war in der DDR 1. Sekretär des Verbandes Bildender Künstler. So war es nur natürlich, dass er in der GBM für einen festen Platz der bildenden und angewandten Künste sorgte und den Arbeitskreis ›Kultur‹ ins Leben rief. Die Ausstellungen hatten das Ziel, vor allem jenen ein Wirkungsfeld zu bieten, die nach 1989/90 kaum noch Gelegenheit hatten, ihre Werke öffentlich zu zeigen«6. Heidrun Hegewald erklärte auf der Festveranstaltung zum 20. Jahrestag der GBM: »Die GBM hat mir … für mein geistig-künstlerisches Überleben eine Heimat gegeben. Ob mit Bild oder Wort, sie wurde mein Forum und Ihr meine Freunde. Ich konnte mir meiner Würde wieder bewusst werden. In unwürdigen Verhältnissen. Und das betrifft mich nicht allein«7. Viele unserer Künstler leben inzwischen nicht mehr. Solange sie noch bei uns waren, bekamen sie Gelegenheit, ihre Bilder einem wirklich interessierten Publikum vorzustellen. Unsere Ausstellungen waren immer sehr gut besucht. Auch progressive Kunst aus dem Ausland stellten wir aus, und wir versuchten mit der Sommergalerie, an die Traditionen des bildnerischen Volksschaffens in der DDR anzuknüpfen. Bei uns hingen Werke von Ronald Paris und Lea und Hans Grundig, wir zeigten Graphiken von Max Lingner und Leo Haas, der mehrere KZ überlebte, Plakate von Rudolf Grüttner, Fotos von Gabriele Senft, Skulpturen von Gerhard Rommel und Martin Wetzel, Malerei und Grafik aus Kuba, Nikaragua und Mallorca. In Heft 40 unseres Arbeitskreises Kultur, was hier ausliegt, können Sie das nachlesen. 87 Ausstellungen in 17 Jahren, dazu Lesungen, Kunstdiskussionen, Filmvorführungen und andere Veranstaltungen, alles ehrenamtlich organisiert, das ist unsere Erfolgsbilanz. In kaum

6 Peter Michel in seiner Rede zur Galeriefinissage der GBM, 3. November 2016, Heft 40 des AK Kultur 7 20 Jahre GBM in ICARUS 3/2011S. 25

7 Walter Womacka Blaue Rose · Öl auf Leinwand 1999

einem Verein, der sich nach 1990 gründete, spielt die Kunst eine so große Rolle wie in der GBM, in den meisten Vereinen kommt sie gar nicht vor. Aber Kampf um Menschenrechte heißt auch, Kunst und Kultur zu bewahren und der Massenverdummung etwas entgegenzusetzen. Unsere Räume in der Weitlingstraße mussten wir aus ökonomischen Gründen Ende 2016 aufgeben, die neue Unterkunft im ND-Gebäude erlaubt uns keine Ausstellungen originaler Kunst mehr. Wenn wir jetzt den bevorstehenden 70. Gründungstag der DDR feiern und die anderen 30 Jahre »Freiheit« bejubeln, dann werden uns zum großen Teil die gängigen Vorurteile und Verunglimpfungen begleiten. Allerdings gibt es inzwischen auch andere Töne: das Barberini- Museum Potsdam zeigte die Gemälde aus dem Palast der Republik und viele andere Werke der DDR, wenn auch meist mit dümmlichen

8 Peter Michel meldet sich zu Wort, im Hintergrund rechts das Gemälde von Gudrun Brüne »Bernhard Heisig vor dem brennenden Breslau« · Ol auf Leinwand · 2013

Texten versehen. Die Kunsthalle Rostock stellt regelmäßig Kunst aus der DDR aus und trotzt dabei jenen Ewig-Gestrigen, die das verbieten wollen. In im Kunstmuseum Moritzburg gibt es eine Dauerausstellung, in der DDR-Kunstwerke als selbstverständlicher Teil der »anderen Moderne« präsentiert werden. Das Kunstarchiv Beeskow sammelte gleich nach 1990 Werke aus FDGB-Heimen, Kombinaten und anderen Einrichtungen. Auch manche Betriebe haben ihre Galerie noch - wie die Leuna-Werke und die Maxhütte -, allerdings sind die Werke nicht immer öffentlich zugänglich. Und nicht zu vergessen: die »junge Welt«, die in ihren Räumen unermüdlich Werke fortschrittlicher Künstler zeigt. Ein herausragendes Merkmal für Künstler in der DDR ist zweifellos ihr handwerkliches Können aufgrund einer soliden Ausbildung. Nach dem Krieg lehrten fortschrittliche überlebende und aus der Emigration

9 Harald K. Schulze · Looser · Acryl auf Leinwand · 2015 zurückgekehrte Künstler an den Hoch- und Fachschulen. Die Generation, die davon profitierte - die Mattheuer, Brüne, Sitte, Heisig, Tübke, Womacka und viele andere -, gab ihr Wissen weiter an die Nachfolgenden. Und Bernhard Heisig erklärte einmal, dass er – im Gegensatz zur bürgerlichen Kunsttheorie - die Bedeutsamkeit der

10 Bildstoffe und ihre Bewertung für wichtig hält. Damit unterscheidet sich diese Kunst von der heutigen Beliebigkeit. Hinter mir hängt die »Blaue Rose« von Walter Womacka. Diese Rose wurde zum Logo der GBM. Womacka schuf dieses Werk 1999, als die NATO, also auch Deutschland, Jugoslawien bombardierte. Ein Symbol des Romantikers Novalis – die blaue Blume als Zeichen für den Traum vom Frieden - gerät in Womackas Bild ins Fadenkreuz eines Bomberpiloten. Aber nicht sie wird vernichtet, sondern Unschuldige - wie auf der Brücke von Varvarin -, ein Vorgang, für den der menschenverachtende Begriff »Kollateralschäden« eingeführt wurde. Die Ächtung von Krieg war das Thema unzähliger Künstler. Das entsprach der Politik unseres Staates. Willi Sitte ist nicht nur bekannt ist für seine sinnenfreudigen Gemälde. Immer wieder verarbeitete er künstlerisch seine Kriegserlebnisse. Er malte der »Die Überlebenden« von Stalingrad und das Massaker von Lidice und nahm in ergreifenden Studien zu den Ereignissen in Korea, Chile, Vietnam oder Jugoslawien Stellung. Wie alle Großen hatte er Geschichtsbewußtsein, er schlug den Bogen von mittelalterlicher christlicher Kunst, die nie nur christlich war, sondern sozial, über Bauernkrieg, Pariser Kommune und Novemberrevolution. Bis zu seinem Tod mit 92 Jahren blieb er jemand, der sich einmischte und dafür auch die christliche und antike Mythologie nutzte – wie hier in seiner Zinkographie »Hercules ringt mit Cacus“. Ein antiker Stoff wird, wie auch bei Susanne Kandt-Horn, Joachim Lautenschläger und Marguerite Blume-Cárdenas, zum Zeichen für die Kämpfe in der Gegenwart. Lange Zeit stand vor dem Eingang zu unserer GBM-Galerie die Plastik »La Terra II« von Jenny Wiegmann-Mucchi, ein sitzender Frauenakt als Gleichnis für Frieden und Menschlichkeit. Diese großartige Bildhauerin, die aus Spandau stammte, schloss sich wie Willi Sitte den italienischen Partisanen an. 1933 hatte sie den Maler und Graphiker geheiratet und lebte mit ihm in Mailand. Ihre schlimmen Erfahrungen mit dem Faschismus in Deutschland und Italien ließen sie politisch reifen. Auch nach dem Krieg drängte sich das Partisanenmotiv – wie hier in ihrer Plastik »Feuer in Algerien« - immer wieder in den Vordergrund. Eine ihrer

11 Ulli Wittich - Groß- kurth · Vase · Keramik zweifarbig engobiert · 1979

berührendsten Figuren ist die Gestalt des Patrice Lumumba, den sie als Gefesselten, zum Erschießen verfrachteten Mann zeigt. Ihr Mann Gabriele Mucchi, in der DDR einer der anregendsten Realisten, der einen großen Freundeskreis hatte, ist hier mit seiner Lithographie »Der neue Christophorus« vertreten, ein älteres Blatt vonbeklemmender Aktualität, wenn man an die Dramen denkt, die Flucht und Vertreibung bis heute mit sich bringen. Ronald Paris, der drei Mal in der GBM ausstellte, greift diesen Bildstoff in seinem Gemälde »Charons Boote im Mittelmeer« auf. Hier hängt der Farbentwurf dieses Gemäldes, das seit 2017 in den Redaktionsräumen der »jungen Welt« zu sehen ist. Emerita Pansowová, die feinfühlige Bildhauerin, die Jenny Wiegmann- Mucchi noch kennenlernen durfte, schuf zahlreiche Werke für den öffentlichen Raum. Am bekanntesten ist wohl ihre »Palucca«-Figur. Hier ist sie mit ihrer Kleinplastik »Reiterin mit Kind« vertreten.

12 Günther Brendel · Stilleben mit Blumen und Früchten Öl auf Hartfaser · 2005

Auch Heidrun Hegewalds Kunst liegt uns allen mit ihrem ethischen Anspruch und mit der Rigorosität der künstlerischen Umsetzung besonders am Herzen. Hier zeigt sie ihre Hommage à Käthe Kollwitz mit dem Titel »Als Nadine starb«, ein bewegendes Blatt, von einem persönlichen Unglück angeregt, das im Gedächtnis haften bleibt. Ihr großartiges Rosa-Luxemburg-Porträt stand erst kürzlich im Mittelpunkt einer achtungs- und liebevoll gestalteten Ausstellung mit Kunst aus der DDR im Schweriner Museum. Ihr Gemälde »Kassandra sieht ein Schlangenei«, das sich im Kunstarchiv Beeskow befindet, ist ebenso ein bildnerisches Gleichnis über aufkeimenden und immanenten Faschismus wie Harald K. Schulzes Gemälde »Looser«. Schlagbereite und abwehrend hochgerissene Arme zweier Lederjackenglatzköpfe bilden mit einer Fahne mit runenhaften

13 Martina Dost Alter Hof im Tessin Aquarell, Feder, Tusche 2014

Elementen ein Hakenkreuz. Die Gefahr wird gezeigt, die von ohnmächtiger Wut, von alten, heimtückischen Parolen und Manipulationen ausgeht. Ihre Wut wird die Schwachen treffen. Ein Veitstanz der Gewalt. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. Von Bernhard Heisig zeigten wir in der GBM-Galerie Grafiken aus seinem Zyklus »Der faschistische Alptraum«. Leider kam aber keine Einzelausstellung mit seinen Werken zustande. Doch seine Frau Gudrun Brüne gestaltete mit uns gemeinsam eine repräsentative Auswahl ihrer Gemälde. Der Tod ihres Mannes traf sie tief. Sie ehrte

14 Gudrun Wetzel · Nach dem Unwetter · Pastell · 2005 ihn u. a. mit einem Porträt, das sie nach seinem Tode malte und ihn vor seiner brennenden Heimatstadt, der »Festung Breslau«, zeigt. Vieles, was wir hier sehen, fordert unsere Phantasie, unsere Erinnerungen und unsere Stellungnahme heraus. Von Rolf Biebl ist ein kleiner Gipsentwurf für seine zwei lebensgroßen Bronzegüsse der »Rosa Luxemburg« zu sehen; einer davon steht direkt neben der Ladengalerie. Der Metallgestalter Achim Kühn präsentiert aus seiner Serie »Stahlbibliothek« sein geschmiedetes Werk »Die Gedanken sind frei«, eine Metapher voller Ironie. Allein 56 Werke und Werkgruppen von ihm und seinem Vater Fritz Kühn wurden in der »neuen Freiheit« zerstört oder gestohlen. Rolf Kuhrt, Ernst Jager und Nils Burwitz nehmen mit ihren Graphiken Stellung zu aktuellen, viele von uns ergreifenden Geschehnissen. Die »Grand Dame« der deutschen Keramikkunst Ulli Wittich- Großkurth aus ist mit einer ihrer liebevoll gestalteten Vasen

15 Ernst Jager Hilflos in Gaza Grafit · 2014 vertreten, Thomas Richter, der jahrzehntelang seine Graphiken in den Dienst der »jungen Welt« stellte, mit einem seiner erotisch aufgeladenen Gemälde. Konrad Knebel zeigt eines seiner zahllosen Skizzenblätter, der Gebrauchsgrafiker Rudolf Grüttner einige seiner Arbeiten für die GBM und Wolfram Schubert sein gleichnishaftes Stillleben »in memoriam«, das an die Zeit seiner Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion erinnert; er nannte diese Jahre in Anlehnung an Maxim Gorki »meine Universitäten«. Genießen sie die kostbare Malerei Heinrich Tessmers, die Landschaften Gudrun Wetzels und Jürgen Wittdorfs. Erfreuen sie sich an den Karikaturen Harald Kretzschmars und Ralf Alex Fichtners, an den Stillleben von Günter Brendel und Dieter Rex, am Farbenspiel bei Siegfried Besser, an den Kleinplastiken von Anke

16 Besser-Güth, Martin Wetzel und Gerhard Rommel und an den Arbeiten von Klaus Georg Przyklenk und Archi Galentz. Nichts ist unwichtig. Landschaften, wie ich sie male, oder Stillleben können ebenso komplexe Wirkungen hervorrufen wie andere Werke - bis hin zu stark abstrahierten Kompositionen. Denken Sie nur zurück in die Kunstgeschichte: zu den Schöpfungen des Kommunisten Pablo Picasso oder zu Werken, die von den Nazis als »entartet« diffamiert wurden. Aus dem Zusammenspiel vieler individueller Sicht- und Schaffensweisen ergibt sich das Ganze in seiner Vielfalt, so wie es auch typisch für die bildenden und angewandten Künste in der DDR war. Man unterstellt ja, das sei ein sozialistisch-realistischer Einheitsbrei gewesen. Der Kunstwissenschaftler Lothar Lang, ebenfalls eng mit der GBM verbunden, erkannte schon 1976/77 anlässlich der VIII. Kunstausstellung der DDR in eine weit gefächerte Stiltypologie unserer Kunst. Sie reiche von sensualistisch- realistischen Verfahrensweisen über expressiv-realistische Deutungen, veristische Interpretationen und sinnbildhafte Visionen bis zur Integration konstruktivistischer und scheinbar surrealer Formationen.8 Peter H. Feist nutzte später zur Kennzeichnung von Hauptlinien der Kunst in der DDR den Begriff »dialektischer Realismus« und führte voller Stolz für sie den Terminus »die andere Moderne« ein. Wie in einem Brennglas werden in der kleinen Auswahl dieser Ausstellung solche Eigenheiten erlebbar. Sicher haben wir Gelegenheit, in unserem Galeriegespräch am 11. Juli 2019 ausführlicher auf einzelne Künstler einzugehen. Dazu lade ich Sie heute schon herzlich ein. Im Namen der GBM bedanke ich mich bei der »jungen Welt« für die Möglichkeit, in der Ladengalerie Werke »unserer« Künstler zu zeigen. Ich denke: wir werden vom gleichen Geist angetrieben, uns eint das gleiche Ziel. Die GBM wird es aus Altersgründen nicht mehr ewig geben. Der »jungen Welt« wünsche ich Überleben auf Dauer, mit Nachwuchs, der auch schon mal Marx, Engels, Lenin und Nachfolgende studiert hat, denn solch eine Zeitung brauchen wir.

8 Lothar Lang. Malerei und Graphik in der DDR, Reclam Verlag 1986, S. 280 ff.

17 Kein hässlicher Regentropfen der Geschichte

Peter Michel

Die Zeichen der Hoffnung auf einen achtungsvolleren Umgang mit in der DDR entstandener Kunst mehren sich – trotz aller Rückfälle in die Niederungen des Kalten Krieges – seit etwa einem Jahrzehnt. Menschen engagieren sich, die klüger und sensibler sind als viele »Aufarbeiter« und Meinungsmacher, die nach der wohlfeilen Parole des Juristen und Politikers Alexis de Tocqueville handeln: »Das Publikum wird eher die einfache Lüge als die komplizierte Wahrheit glauben«. Es sind Museumsleute, Restauratoren, Mitglieder von Kunstvereinen, Mäzene, ein forderndes Museumspublikum, vernünftige Kommunalpolitiker, Kunstwissenschaftler und

18 Wolfram Schubert · In memoriam · Öl auf Hartpappe · 1999

Journalisten und jene, die sich nicht damit abfinden, dass der Osten Deutschlands – einschließlich seiner Kunst - dreißig Jahre nach dem in Endlosschleifen umjubelten „Mauerfall“ immer noch nicht in der deutschen Einheit angekommen ist. Vandalistische Vorgänge gibt es zwar auch gegenwärtig immer wieder9, wobei vor allem bronzene Plastiken vor Buntmetalldiebstählen nicht sicher sind. Sie treten nicht mehr so massiv auf wie in den Neunzigerjahren. Es gibt jedoch Verbrechen – wie den Abriss des Palastes der Republik oder des architektonisch einzigartigen »Ahornblattes« in Berlin –, die nicht vergessen werden und ewige Schandflecken der »freiheitlichen Demokratie« à la BRD bleiben werden. Beispiele gibt es überall im Osten Deutschlands, die künftigen Generationen verdeutlichen sollten, wie man mit künstlerischen oder architektonischen Zeugnissen einer menschenwürdigen Vergangenheit nicht umgeht.

9Vgl. auch Peter Michel: Kulturnation Deutschland? Streitschrift wider die modernen Vandalen, Verlag Wiljo Heinen Berlin und Böklund 2012

19 Jede Aktion guten Willens ist deshalb willkommen. Erst kürzlich entdeckte man im Gesundheitszentrum des Arbeitersamariterbundes Frankfurt (Oder) ein 25 Quadratmeter großes Fresko wieder, das der Maler Rudolf Grunemann 1958 geschaffen hatte. Das Gebäude, in dem der Volkseigene Betrieb (VEB) Energieversorgung untergebracht war, wurde nach der »Wende« zum Sitz des Arbeitsamtes. Dort »störte« das realistische Gemälde und verschwand hinter einer Wand. Danach zog der Arbeitersamariterbund ein, ohne das Bild zu kennen. Ehemalige Mitarbeiter des VEB vermissten das Werk und machten den Geschäftsführer darauf aufmerksam. Er ließ es freilegen. Da es nur wenige Beschädigungen gab, konnten die Restauratoren ihre Arbeit bald beenden. Seit wenigen Monaten kann es nun wieder wirken und erinnert an die Geschichte des Gebäudes. Ein riesiges Mosaik des spanischen Künstlers Josep Renau10, das 1984 am Kultur- und Freizeitzentrum am Moskauer Platz in Erfurt angebracht worden war und nach dem Abriss dieses Gebäudes lange Jahre eingelagert und restauriert wurde, wird im Herbst 2019 an einer aufwändigen Trägerkonstruktion, die die Krümmung des Werkes wiederholt, am alten Standort wieder angebracht. Das wird möglich, weil sowohl die Stadt als auch die Denkmalpflege des Landes Thüringen und die Wüstenrot-Stiftung die Summe von 600 000 Euro dafür aufbrachten. In Neubrandenburg wurde im November 2018 ein 2,20 Meter hohes Karl-Marx-Denkmal des Bildhauers Gerhard Thieme, das 2001 entfernt worden war, nicht am alten Standort, aber in einer Parkanlage wieder aufgestellt; ein Neubrandenburger Ehepaar hatte dafür 10 000 Euro gespendet. Manche Fakten, die in Vergessenheit geraten waren, werden wieder aufgespürt. So konnte man kürzlich ein Sgraffito an der Fassade des Rotstein-Hotels bei Görlitz als eine Arbeit des Malers Richard Pusch aus dem osterzgebirgischen Reinhardtsgrimma identifizieren, weil sich die örtliche Presse dafür interessierte. Auch in war es eine örtliche Zeitung, die dafür sorgte, dass eine Plastik auf einem

10 Josep Renau lebte als Emigrant in der DDR. Als Kulturbeauftragter der spanischen republikanischen Regierung hatte er dafür gesorgt, dass Pablo Picassos »Guernica«-Bild im spanischen Pavillon der Pariser Weltausstellung 1937 ausgestellt wurde. Vgl. auch Peter Michel: Künstler in der Zeitenwende, Band I, Verlag Wiljo Heinen Berlin und Böklund 2016, S. 241-245

20 Martin Wetzel Menschenrechtspreis der GBM 2002 Bronze verwilderten Gelände als ein Werk des Bildhauers Reinhard Dietrich erkannt wurde. Das Bestreben, etwas für die verdrängten Zeugnisse der Kunst aus der DDR zu tun, nimmt zu. Die Stiftung des Softwaremilliardärs Hasso Plattner plant, in Potsdam ein Museum für Kunst aus der DDR einzurichten. Plattner hatte sich schon dafür engagiert, dass das Museum Barberini solche Kunst in großem Umfang zeigte – und er beschämte damit so manches staatliche Museum. Nun will er das Areal des verfallenen ehemaligen Terrassen-Restaurants »Minsk« am Potsdamer Brauhausberg, das abgerissen werden sollte, für 20 Millionen Euro kaufen, das Gebäude originalgetreu restaurieren und als Museum einrichten. Er rettet damit nicht nur ein Zeugnis der architektonischen Moderne der DDR, sondern bringt darin auch seine ansehnliche Sammlung unter. Was die staatlichen Entscheider nicht nur aus Kosten-, sondern aus meist niederen politischen Gründen nicht

21 Archi Galentz Nelja Öl auf Holz · 2003 tun, führen Millionäre und Milliardäre vor, die einen Nerv für anspruchsvolle Kunst haben. Das war schon vor 1989 so, als der Kölner »Schokoladenkönig« Peter Ludwig in großem Umfang Kunst aus der DDR kaufte, in seinen Museen zeigte und Künstler wie Walter Womacka in ihrem Wollen ermutigte. Mit dem Interesse für die Werke wächst auch die Neugier darauf, unter welchen Umständen sie entstanden. Was ging mit dem Untergang der DDR z.B. für die Mitglieder des Verbandes Bildender Künstler verloren? Zur Zeit der Aufbruchsstimmung, die dem Zweiten Weltkrieg folgte, setzten die SED und die Regierung hohe kulturpolitische Erwartungen in die Künstler, oft ohne die besondere Wirkungsweise der Künste zu beachten. In der Phase der so genannten Formalismus-Debatte gab es deshalb schwere Konflikte, die dazu führten, dass Künstler die DDR in Richtung Westen verließen, wo sie

22 mit neuen, anderen Problemen konfrontiert wurden. Rückfälle in enge kulturpolitische Denkweisen gab es zwar immer wieder, aber spätestens seit der Mitte der Siebzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts hatte sich der Künstlerverband eine solche Autorität erworben, dass seine Wirkung in der Gesellschaft stärker wurde. Das war vor allem mit der Präsidentschaft des Malers und Graphikers Willi Sitte und dem wechselseitigen Lernen von Künstlern, Partei und Staat verbunden. Die Zahl der Kulturfunktionäre, die kunstgemäßer dachten und handelten, wuchs. Der Verband hatte in den Achtzigerjahren mehr als 6000 Mitglieder; davon etwa 25 Prozent Frauen, die vorwiegend in den angewandten Bereichen tätig waren. Wenn man heute zurückblickt, wird der große Verlust deutlich, den die brutale Anschlusspolitik der BRD im Kunstbereich zu verantworten hat. Hoffnungen auf »mehr künstlerische Freiheit«, die vorwiegend von Bürgerrechtlern gehegt wurden, gingen nicht auf; die Diktatur des Geldes und ein harter Verdrängungskampf auf dem Kunstmarkt setzten ebenso ein wie der Verlust an Werten und Maßstäben. Der Verband zerfiel, teilweise in naiver Manier beschleunigt durch illusorische Vorstellungen mancher Mitglieder von künftiger Unabhängigkeit. An die Stelle des Verbandes traten kleinteilige territoriale Vereinigungen, die kaum noch Einflussmöglichkeiten auf staatliche Entscheidungen haben. Die großen Dresdener Kunstausstellungen mit ihrem Millionenpublikum gibt es nicht mehr. Wichtige Museen wurden von westdeutschen Leitungen übernommen, die z. T. kein offenes Verhältnis zu Kunst aus der DDR hatten oder zu wenig von ihr kannten; die Museen wurden oft so umstrukturiert, dass diese Kunst in die Depots wanderte. Die Werkstätten des Verbandes, u. a. für Bronzeguss und Glasgestaltung, wurden geschlossen oder von Privateigentümern übernommen. Gästehäuser des Verbandes in Berlin, Ahrenshoop, auf einem Weinberg bei Naumburg und im tschechischen Harrachow, die gleichzeitig Arbeits- und Erholungsmöglichkeiten für Künstler boten, wurden von anderen genutzt. Zahllose kleine Galerien des Kulturbundes verschwanden; sie wurden entweder geschlossen oder von Privatinitiativen besetzt. Die Lehrtätigkeit an den Kunsthochschulen, auf die der Künstlerverband der DDR großen Einfluss hatte, verlor – wo neue, importierte

23 Eröffnung der Ausstellung: im Vordergrund die Bronze von Jenny Wiegmann-Mucchi »Feuer in Algerien« 1957/58

Lehrkräfte wirkten – an Substanz; oft zog Beliebigkeit ein. An einigen Kunsthochschulen spielte sich ein widerlicher Verdrängungskampf ab. Die vom Verband initiierten Wettbewerbe »100 ausgewählte Graphiken« und »Beste Plakate« verschwanden ebenso wie die großen, periodisch wiederholten internationalen Ausstellungen der »Ostseebiennale« in Rostock und der weltoffenen »INTERGRAFIK« in Berlin. Der Staatliche Kunsthandel der DDR, der eng mit dem Verband zusammenarbeitete und nicht nur für den preiswerten Erwerb von Kunstwerken durch ein großes Publikum sorgte, sondern vielen Künstlern Einnahmen brachte, wurde liquidiert. Gesetzliche Fördermaßnahmen, die der Verband für junge Künstler eingefordert hatte, um ihnen einen guten Start in die freiberufliche Tätigkeit zu sichern, gibt es nicht mehr. Das gesellschaftliche Auftragswesen, das von Gewerkschaften, Organisationen und anderen Einrichtungen

24 mitgetragen wurde und sichere Honorare einbrachte, verschwand; dort hatten sich viele Künstler mehr und mehr gegen zu enge Erwartungen der Auftraggeber durchgesetzt. Eine staatliche Honorarordnung, die mit dem Verband vereinbart worden war, wanderte in die Papierkörbe. Eine vom Verband eingeforderte Festlegung, 2 bis 0,5 Prozent der Gesamtbausumme für baugebundene Kunst auszugeben, fiel ersatzlos weg; dabei war es weniger um eine schlichte »Bekunstung« fertiger Architektur gegangen, sondern zunehmend um ein kluges Zusammenspiel von Architektur und Kunst im Interesse komplexer Umweltgestaltung. Von den zahlreichen nationalen und internationalen Pleinairs und Symposien überlebten nur einige: die Bildhauerpleinairs in Hoyerswerda und Reinhardtsdorf (Elbsandsteingebirge) und das Keramiksymposium im thüringischen Römhild. Was sich ebenfalls unter noch lebenden Künstlern vor allem der älteren Generation erhalten hat, ist ein Gemeinschaftsgeist, der sich in gegenseitiger Achtung und freundschaftlichem Miteinander äußert. Die internationalen Beziehungen des Verbandes brachen zusammen. Es hatte Freundschaftsvereinbarungen mit Künstlerverbänden zunächst in allen sozialistischen Staaten, später auch in Frankreich, Italien, Finnland, Österreich, Dänemark und Nikaragua gegeben. Gerade aus den letztgenannten Ländern – vor allem aus Österreich und Finnland – kamen Botschaften großen Bedauerns; teilweise halten Freundschaften, die dort entstanden, bis heute.11 Von den 6000 Mitgliedern des Verbandes konnten allein 1988 etwa 1000 zum Studium originaler Werke in die Museen kapitalistischer Länder reisen. Das war durch Solidarität innerhalb des Verbandes möglich. Die Valuta, die der Staatliche Kunsthandel durch Verkäufe von Kunst aus der DDR in die Alt-BRD und andere kapitalistische Länder einnahm, gingen nicht vollständig an die Schöpfer der Werke, sondern wurden teilweise in einen Fonds eingezahlt, der sparsam zur Finanzierung solcher Reisen genutzt wurde. Hier halfen sich Künstler gegenseitig. Die DDR wirkte in den Kulturorganisationen der UNESCO aktiv mit: in der AICA (der Organisation der Kunstkritiker), in der ICOGRADA (der Organisation der Gebrauchsgrafiker, in der

11Vgl. auch Peter Michel: Künstler in der Zeitenwende, Band I und II, Verlag Wiljo Heinen Berlin und Böklund 2016 und 2018

25 Rudolf Grüttner aus Ost-Berlin Vizepräsident war), der ICOMOS (der Organisation der Denkmalpfleger), der AIAP (der Organisation der Maler und Graphiker) und anderen. Da in diesen Organisationen die Mitgliedschaft mit der Zahlung von Beiträgen in Valuta verbunden war, übernahm der Staat DDR für die Künstler diese Pflicht. Nun fehlen sie dort. Zwischen beiden deutschen Staaten gab es ein Kulturabkommen, von dem heute kaum noch jemand spricht. Schon vor dem Abschluss dieser Vereinbarung fanden in der BRD Ausstellungen mit Kunst aus der DDR statt. Als 1983 Peter Ludwig in der Galerie Schloss Oberhausen etwa 260 Werke aus seiner Sammlung zeigte, begrüßte der damalige Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, diesen Schritt als »einen weiteren Akt des ›Türöffnens‹. … Kunst unserer Zeit braucht offenes Denken, offene Augen und offene Wege, damit sie uns nahe kommt«. Dieser Ausstellung waren andere im gesamten Gebiet der alten Bundesrepublik vorausgegangen; bis 1989/90 folgten weitere. Danach wurde die Tür erst einmal heftig zugeschlagen. Das offizielle Nach»wende«-Deutschland begriff nicht, welcher Schatz ihm mit der bildenden Kunst der DDR in den Schoß fiel. Der Maler Johannes Heisig erinnerte sich daran, »dass wir im Westen gefragte Gesprächspartner waren, solange das Land noch geteilt war. … Nach der Wiedervereinigung erlosch das Interesse an den Ostlern schlagartig. … Die große Chance, mit derselben Sprache die so unterschiedlichen Entwicklungen gemeinsam aufzuarbeiten, ist komplett verpasst worden«.12

Bewahrenswert

Der bekannte Kunsthistoriker Peter H. Feist entwickelte um 1990 systematisierende Überlegungen zu den Besonderheiten der in der DDR entstandenen Kunst und für eine künftige DDR- Kunstgeschichtsschreibung. Er warnte eindringlich davor, das kulturelle Erbe der DDR unbedacht preiszugeben, denn jeder Bilderstürmerei folge zwangsläufig nach einem gewissen Zeitraum

12 Michael Hameter: Übermalen. 15 Gespräche – Ein Porträt des Malers Johannes Heisig, Mitteldeutscher Verlag Halle (S.) 2017, S. 55

26 Anke Besser-Güth Gloria Keramik teilglasiert, gebrannt · 2010

erschrockenes Bedauern von Irrtümern und Verlusten. Es zeige sich, »dass eine ganze Menge von Kunst aus der DDR zumindest einigen der international (oder in der BRD) als gültig gehandhabten Kriterien und Messlatten standhielt«; zugleich sei die Frage nach bewahrenswert Eigenständigem wichtig, das sich gegen die »nivellierende Flut globaler Einheitsmoden« herausbildete. Zu den Merkmalen der Kunst in der DDR gehöre ein »ausgeprägtes, feines Empfinden für Soziales, für alle Konsequenzen aus der Tatsache, dass Menschen nicht anders denn als soziale Wesen existieren.

27 Heidrun Hegewald im Galeriegespräch

In Folge ergab sich ein Kunstkonzept, das die Kunst nicht hermetisch vom ›Außerkünstlerischen‹ abgrenzt, sondern ihr Eingreifen und Wirken, mithin auch ihre Möglichkeit, erlebt und verstanden zu werden, deutlich favorisiert«. Äußerlich Plakativem habe immer auch eine engagierte Kunst gegenübergestanden, die nicht nur half, »die Realität in ihrer Widersprüchlichkeit tiefer eindringend zu erfassen«, sondern auch die Fähigkeit zu eingreifendem Handeln stärkte – auch »als Teil einer internationalen ›linken‹ Kultur, im Weiterarbeiten an einer Alternative zu Kapitalherrschaft und Imperialismus«. Die Kunstverhältnisse der DDR hätten, so schrieb er, dazu beigetragen, ein Geschichtsbewusstsein und ein Zukunftsbild zu fördern, »in dem Antifaschismus, internationale Solidarität, vor allem mit der Dritten Welt, Friedenserhaltung und – freilich sehr spät – die Aufmerksamkeit für Ökologie als hohe Werte galten«. »Künstler aus der DDR haben

28 die figurative Kunst … gekräftigt. Sie bereicherten diese vor allem um Varianten eines … dialektischen Realismus, der nicht mehr in herkömmlicher Weise erscheinungsgetreu operiert, sondern phantasievoll die Inhalte ins Spiel bringt.« Diese Art zu schaffen »bildete zeitweise eine Ermutigung für Künstler, beispielsweise in der BRD, der allgegenwärtigen Dominanz nichtrealistischer Kunstkonzepte standzuhalten«. Peter H. Feist verwies damals auch darauf, dass wichtige Erfahrungen der klassischen Moderne – zum Beispiel aus Expressionismus und Verismus – aufgegriffen und revitalisiert wurden. In einer angeblich »kollektivistisch« ausgerichteten Gesellschaft habe sich die Kunst um Individualität bemüht und die Darstellung des dialektischen Widerspruchsverhältnisses von Typus und Einzelnem, Alltag und Epoche sei in Praxis und Kunsttheorie kein fruchtloses Unterfangen gewesen. Ebenso habe die Kunst in der DDR – beispielsweise durch Simultanbilder und andere Raum-Zeit-Montage-Verfahren – eigenständige Leistungen hervorgebracht, »um sozial-historische Zusammenhänge und Prozessverläufe auf neue Weise bildkünstlerisch zu erhellen«. Auch habe sie sich stilistisch fast immer entschiedener, als es zeitweise in anderen sozialistischen Ländern geschah, gegen die Übernahme des »Shdanow-Stils auf Repin-Basis« und Entsprechendes in der Plastik gesperrt. Es sei ihr engagierter, etwas bewirken wollender, geschichtsbewusster Realismus, den die Kunst der DDR als Wert und Herausforderung in eine größere gesamtdeutsche und gesamteuropäische Kunstszene einzubringen habe.13 In Peter H. Feists thesenartigen Überlegungen taucht der Begriff »dialektischer Realismus« auf. Dieser Terminus, den bereits der Kunstkritiker der »Roten Fahne«, Alfred Durus, in den Endzwanziger- und beginnenden Dreißigerjahren genutzt hatte, war in der offiziellen Kulturpolitik der DDR suspekt, weil er angeblich der »Entpolitisierung« diente. Man hielt bis kurz vor ihrem Ende am Dogma vom »sozialistischen Realismus« fest. Feist war einer der ersten, die aus der Analyse der tatsächlichen Kunstprozesse ihre theoretischen Schlussfolgerungen zogen. Der »Shdanow-Stil auf Repin-Basis« konnte – historisch gesehen – einem sozialistischen

13Alle Zitate aus Peter H. Feist: DDR-Kunst – was bleibt? Prämissen für eine neue Kunstgeschichtsschreibung, in: Bildende Kunst, Heft 7/1990, S. 55 – 57

29 Realismus zugeordnet werden. Doch diese Schublade war für die »Weite und Vielfalt« der Kunst in der DDR zu eng. Wenn Feist nun eindeutig von »dialektischem Realismus« sprach, so war das die logische Fortsetzung seiner Überlegungen. Denn die Einheit und der Kampf der Gegensätze, der dialektische Zusammenhang von Inhalt und Form, von Wesen und Erscheinung, von Wirklichkeit und Möglichkeit, … alles das begleitet auch heute ernsthafte realistische künstlerische Schaffensprozesse. Voller Selbstbewusstsein führte Peter H. Feist für das spezifische Erscheinungsbild weltweit anerkannter Werke der bildenden und angewandten Künste der DDR die Bezeichnung »die andere Moderne« ein und überließ ihn nicht jenen, die gegenwärtig mit höchstem Aufwand unter diesem Schlagwort Gleichgültigkeiten empormanipulieren. Dieser Begriff ist allgemein gebräuchlich geworden, wenn man von substanzvollen Werken aus der DDR spricht. Das wissenschaftliche Erbe, das Peter H. Feist hinterlassen hat, wird weiterwirken, vor allem bei seinen noch lebenden Weggefährten und in der Generation von Kunstwissenschaftlern, die er mitgeprägt hat.

Ohne Scheuklappen

Der Trend der Neunzigerjahre, im Umgang mit Kunst aus der DDR keine Differenzierung zuzulassen, war Teil einer verheerenden Anschlusspolitik der BRD. Es mehren sich nun die Zeichen der Vernunft. Es gibt sogar einige wenige Politiker, die – unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit – einen Beitrag dazu leisten. Exbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) warnte schon im Jahr 2003 anlässlich der Eröffnung einer Gerhard-Kettner-Ausstellung in Dresden davor, angebliche »Staatskünstler« auszugrenzen. Der Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), sprach 2016 bei der Vernissage einer Willi-Sitte-Ausstellung in Merseburg voller Sympathie für den Künstler. Und der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) bezog Ende Oktober 2017 in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung »Hinter der Maske« im Barberini-Museum Potsdam gegen das Fehlurteil Stellung, man könne in der DDR entstandene Kunst »nicht verstehen oder einordnen, ohne immer sofort ihren Bezug zu Staat und Gesellschaft zu bestimmen«.

30 Siegfried Besser · Komposition · Öl auf Hartfaser · 2011

Er plädierte statt einer solchen »Verkürzung« nachdrücklich dafür, in der DDR entstandene Kunst »eben als Kunst« wahrzunehmen.14 Solche Statements darf man sicher nicht überbewerten. Doch sie unterscheiden sich wohltuend von hetzerischen Auslassungen in der Vergangenheit. Als 2009 im Berliner Gropiusbau die Ausstellung »60 Jahre – 60 Werke« anlässlich des Jubiläums des Grundgesetzes ohne ein einziges Werk aus der DDR eröffnet wurde, schrieb das Kuratoriumsmitglied Siegfried Gohr: »Wer vermisst eigentlich diese zeitgebundenen, situationsbedingten und oft epigonalen Werke? … Warum sind die Werke von Künstlern, die in eine menschenverachtende Diktatur verstrickt waren oder ihr aktiv gedient

14Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Ausstellungseröffnung »Hinter der Maske. Künstler in der DDR«, Potsdam, 28.10.2017

31 haben oder als Alibi von Nutzen waren, so wichtig? … Die Ausstellung … beweist Gott sei Dank, dass die ›DDR-Kunst‹ wirklich nur ein Nebenkriegsschauplatz ist«.15 Es ging also um Kriegsschauplätze. Eröffnet wurde diese skandalöse Schau von der aus der DDR stammenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Der Schriftsteller Christoph Hein schrieb in einem zornigen Brief an die Bundesregierung: »Die Bilder und Graphiken, die Skulpturen und Installationen, die in der Zeit der DDR und im Herrschaftsbereich dieses untergegangenen Staates entstanden, sollen nach dem Wunsch des Kurators wie ›ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten‹. Was für eine Sprache! Ich will sie keineswegs mit der Sprache jener anderen Richter gleichsetzen, die einst eine ›entartete Kunst und entartete Künstler‹ zu vernichten suchten. … Aber die Haltung dieser Kunstrichter ist die gleiche, der Wunsch und das Ziel, sie sind deckungsgleich: ausmerzen, ausradieren, verdunsten«.16 Vergessen werden diese Auswüchse des Kalten Krieges nicht! Wenn man – wie im Kunstmuseum Moritzburg in Halle (S.) – Ausstellungen sieht, die ganz selbstverständlich Kunst aus der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR in einer neuen Abteilung der Schau »Wege der Moderne« zeigt, kann man von einem bedeutenden Ereignis sprechen. Mehr als 100 Werke der bildenden und angewandten Kunst, die zwischen 1945 und 1990 entstanden, ergänzen eine schon länger vorhandene Dauerausstellung der Moderne von den Anfängen bis 1945, verdeutlichen Traditionslinien, erinnern an Künstlern, die schulbildend wirkten oder während der beschämenden Formalismusdiskussion Halle in Richtung Westen verließen. Man begegnet Werken von Herbert Kitzel, Hermann Bachmann, Eugen Hoffmann, Theo Balden, Horst Strempel und anderen wieder, die zu den legitimen Fortsetzern der Moderne nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten. Man sieht eigenwillige Arbeiten von Willi Sitte, der in seiner Frühzeit manchen Ärger mit Formalistenjägern hatte, von Willi Neubert, Werner Tübke, Hermann Glöckner, Waldemar Grzimek, Wolfgang Mattheuer, Willy Wolf,

15Welt, 2.6.2009 16 Christoph Hein und Peter Michel: DDR-Kunst soll wie ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten, in: Deutsche Geschichte, Sonderheft 1/2010: 20 Jahre deutsch-deutsches Dilemma – eine alternativlos ehrliche Bilanz. Einheit in Zwietracht, S. 72 ff.

32 Achim Kühn · Die Gedanken sind frei Stahl · 2009

Clemens Gröszer und vielen anderen, die bis zum Ende der DDR und darüber hinaus wirkten.Geurteilt wird in den Begleittexten einfühlsam und achtungsvoll. Widersprüche werden nicht ausgeblendet, die Werke werden ernst genommen. Der Stolz auf den reichhaltigen Bestand des Museums und die Möglichkeit, ihn jetzt zu präsentieren, wird spürbar. Vorurteile gibt es nicht. In der Dresdener Galerie Neue Meister ist die Hoffnung auf einen vernünftigen Neuanfang nach der »Entsorgung« der Kunstwerke aus der DDR ins Depot nur zum Teil aufgegangen. Die hochemotionale Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden während einer öffentlichen Diskussion im Lichtsaal des Albertinums am 6. November 2017 machte den Unmut des Publikums deutlich – bis hin zur Feststellung, dass neue Direktoren, die kein offenes Verhältnis zu Kunst aus der DDR haben,

33 fehl am Platze seien. Einige Tage nach dieser Veranstaltung erschien in der »Sächsischen Zeitung« ein Artikel der US-amerikanischen Kunstwissenschaftlerin April A. Eisman, die über Bernhard Heisig und die Kulturpolitik in der DDR promoviert hatte. Sie beobachte die Abwesenheit von Kunst aus der DDR in Museen des Ostens mit großem Erstaunen, notierte sie. Dass die ostdeutsche Kunst nicht so gut sei wie die westliche, sei schlichtweg ein Irrtum. Die fehlende Anerkennung ostdeutscher Kunst im vereinten Deutschland stehe in einem extremen Kontrast zum wachsenden Interesse im Rest der Welt. Es sei die Pflicht eines Museums, »die besten Werke einer Sammlung zu zeigen und andere über diese Werke aufzuklären, wenn das nötig ist. … Bis deutsche Fachleute erkennen, dass die ostdeutsche ein genauso bedeutender Teil der Nachkriegskunst ist wie die westdeutsche, kann die Überwindung der Ost-West-Debatte nicht sachlich stattfinden. Dresdens bemerkenswerte Kunsttradition endet nicht 1949«.17 Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde schließlich am 15. Juni 2018 eine Ausstellung mit dem Titel »Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949-1990« eröffnet, eine Auswahl aus dem Depot, geordnet nach den Zeitpunkten der Erwerbungen und von den Organisatoren selbst zurückhaltend als »Bestandspräsentation« bezeichnet. Diese Ausstellung wurde – wie der Dresdener Kulturwissenschaftler Paul Kaiser treffend schrieb - »ertrotzt, nicht geplant«.18 Ein Katalog erschien nicht; dazu war die Vorbereitungszeit zu kurz. Bis zum 7. Januar 2019 war diese Ausstellung, die sofort zahlreiche Besucher hatte, mit 114 Gemälden und Skulpturen im Albertinum geöffnet – mit hochrangigen Werken u. a. von Siegfried Klotz, Angela Hampel, Wilhelm Lachnit, Baldur Schönfelder und Konrad Knebel. Auch Willi Sittes Mehrtafelbild »Die Überlebenden« von 1963 war wieder zu sehen, das zur Zeit der »Wende« in vorauseilendem Gehorsam vom damaligen Direktor Horst Zimmermann ins Depot verbannt worden war. Man muss nun die Frage stellen, wie es in diesem Dresdener Museum weitergeht. Ein Nachdenken sollte darüber einsetzen, welche von den so lange weggesperrten Arbeiten in die ständige öffentliche Präsentation gehören. Es ist eine Zumutung zu erleben, wie sich der gegenwärtig

17 April A. Eisman: Der Prophet im eigenen Land, in: Sächsische Zeitung vom 11.11.2017, S. 12 18 Paul Kaiser: Tunnelblick aus der Sackgasse, in: Sächsische Zeitung vom 16.6.2018, S. 14

34 Gabriele Mucchi Nuovo Christophoro Lithografie · 1964

aus unerfindlichem Grund höchstbezahlte deutsche Künstler Gerhard Richter in zwei Sälen mit fragwürdigen Hervorbringungen ausbreiten kann. Im Gästebuch gibt es die Forderung, einen dieser Säle für wechselnde Ausstellungen mit Kunst aus der DDR zu nutzen. Das Staatliche Museum Schwerin zeigte vom 6. Juli bis zum 7. Oktober 2018 eine Ausstellung mit dem Titel »Hinter dem Horizont«. Sie war langfristig mit Verstand und Gefühl vorbereitet und musste nicht »ertrotzt« werden. Die Selbstverständlichkeit, die den Umgang mit Kunst aus der DDR bestimmt, hat dort Tradition. Nach zahlreichen vorangegangenen Werkschauen wurden nun erstmals alle Bereiche präsentiert: Gemälde, Zeichnungen, Plastiken, Collagen,

35 Mail Art und Aktionskunst. Im Zentrum standen Heidrun Hegewalds Ganzkörperporträt der Rosa Luxemburg und Thomas Zieglers Viertafelbild »Sowjetische Soldaten«; sie hingen an exponierter Stelle in einem Auditorium, das für Vorträge und Diskussionen mit den Besuchern genutzt wird. Auch in Schwerin gab es erfreuliche Wiederbegegnungen mit Werken von Rudolf Austen, Wieland Förster, Carl Hinrichs und anderen. Hinzu kamen Werke von Bernhard Heisig, Gudrun Brüne u. a., die zur ständigen Abteilung für Gegenwartskunst gehören. Es gab einen gut vorbereiteten zweisprachigen Katalog. Die Museumsleute aus der berühmten Kunststadt Dresden können im mecklenburgischen Schwerin lernen, wie ein normaler Umgang mit Kunst aus der DDR aussieht. Bis zum 10. März 2019 war in der Kunsthalle Rostock eine Ausstellung mit dem Titel »Willi Sitte – Fritz Cremer« zu sehen, die von einem Massenpublikum besucht wurde. Sie setzte Präsentationen fort, in denen bereits andere Künstler aus der DDR im Mittelpunkt standen: u. a. Werner Tübke, Arno Rink, Jo Jastram und Wolfgang Mattheuer. Bilder aus den ersten Schaffensjahren Willi Sittes sowie Plastiken, selten gezeigte Zeichnungen und Graphiken Fritz Cremers nahmen hier einen beeindruckenden, auch ästhetisch überzeugenden Dialog auf. Doch diese Schau zog den Zorn unbelehrbarer Kalter Krieger auf sich. Die BILD-Zeitung brachte an einem großen Fenster der Lichthalle eine Schrift an: »UNSITTEN – Herr Neumann, schließen Sie diese Ausstellung!«. Der Direktor der Kunsthalle, Jörg- Uwe Neumann, reagierte gelassen und ließ diese Schrift stehen. Ein Schreiber namens Sven Hadon, Mitglied der »Vereinigung der Opfer des Stalinismus«, bezeichnete Sitte und Cremer als »Proletarische Übermenschen, … sozialistische Helden, … stramme SED- Mitglieder«. Der Historiker und Antikommunist Fred Mrotzek, Leiter einer »Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland«, nannte die Ausstellung einen Skandal. Eduard Beaucamp, Kunstkritiker aus Frankfurt/Main, war fassungslos über diese Hetze: »Die sind wohl verrückt. Das darf man auf keinen Fall verbieten. Das nutzt weder der Kunst noch der Gesellschaft. … Diese Kunst sollte man in der Nationalgalerie zeigen.« Jörg-Uwe Neumann war sprachlos, dass nach 30 Jahren noch solche Diskussionen nötig sind: »All diese Bilder und Skulpturen haben ein

36 humanistisches Menschenbild und sind einfach unfassbar gut.« Auf eine Umfrage der Ostseezeitung »Darf man diese Kunst zeigen?« antworteten 96,3 Prozent der Befragten mit »Ja«. Irgendwie haben Leute wie Sven Hadon und Fred Mrotzek den Anschluss verpasst. Aber sie sind nach wie vor aktiv.19 Im zu Ende gehenden Jahrzehnt gab es an vielen Orten Ostdeutschlands Überblicks- und Personalausstellungen, die Stationen auf dem Weg waren, Kunst aus der DDR aus der ihr nach 1989/90 zugewiesenen Schmuddelecke zu holen. Die dümmliche Phrase von Auftragskunst als a priori schlechter Kunst hört man heute seltener. »Staatskünstler« werden von Wissenschaftlern und seriösen Journalisten zunehmend weniger nach ihren gesellschaftlichen Funktionen, sondern nach der künstlerischen Substanz ihrer Werke beurteilt. Doch es ist noch eine weite Strecke zurückzulegen. Im Zentrum Potsdams wurde trotz aller Proteste erst kürzlich die in der DDR erbaute, architektonisch wertvolle Fachhochschule abgerissen; dafür plant man nun den Wiederaufbau der historisch schwer belasteten Garnisonskirche. Vandalenakte setzen sich fort. In Berlin formiert sich Widerstand gegen den geplanten Radikalumbau und die Vernichtung des Innenraums der St.-Hedwigs-Kathedrale, der nach den Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg von Architekten und Künstlern aus Ost- und Westdeutschland neu gestaltet wurde. Dieser katholische Bauskandal würde u. a. Werke des Metallkünstlers Fritz Kühn treffen. Am kapitalistischen Umgang mit Kultur wird sich in einem Staatswesen, das vom Geld regiert wird, nichts Grundsätzliches ändern. Dennoch: Engagierte Menschen tragen die staatlich gewollte Abwertung von Werken aus der DDR immer weniger mit, weil sie immer öfter deren Qualitäten erkennen und bewahren wollen.

19Alle Zitate wurden verschiedenen Ausgaben der Ostseezeitung vom November 2018 entnommen.

37 Herausgeber: Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde Arbeitskreis «Kultur« / Freundeskreis «Kunst aus der DDR» Franz-Mehring-Platz 1 10243 Berlin Tel.: (030) 2978 4688; Fax: (030) 2978 4689 E-Mail: [email protected] V.i.S.d.P.: Arbeitskreis «Kultur» Redaktion: Martina Dost Redaktionsschluss: 10. August 2019 Abbildungsnachweis: Dr. Peter Michel: S.6, 8, 10, 12, 13, 15, 18, 21, 22, 27, 31; Dr. Frank Wecker:S.2, 9, 24, 28; Heidrun Hegewald: S. 5; Ernst Jager: S.16; Gabrio Mucchi: S. 35; Jenny Dost: S. 3; Martina Dost: S. 14, 17;

Titelbild: Ikarus, Federzeichnung von Ronald Paris

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