Ein Wegweiser für junge Leute

Spuren jüdischer Geschichte in Stadt und Landkreis Würzburg

Landkreis Würzburg in Zusammenarbeit mit dem Partnerlandkreis Mateh Yehuda (Israel) und dem Kooperationsprojekt Landjudentum in Unterfranken VORWORT

Herzlich willkommen im Landkreis Würzburg! Dr. Martina Edelmann

Du bist hier zu Besuch? Du gehst hier zur durch einen Ort, als fiktive Erzählung, als Schule? Du bist mit Deiner Klasse hier Berichte von jüdischen Kindern oder als oder mit einer Gruppe? Und Du fragst Interviews. Wenn Du mal ein Wort nicht Dich, was Du hier sehen oder machen verstehst, dann schaue doch im Glossar kannst? am Ende der Broschüre nach, dort werden die Fachbegriffe erklärt. In der Broschüre, die Du in der Hand hältst, Förderer Impressum werden Zeugnisse der jüdischen Geschichte Dazu findest Du zahlreiche Abbildungen, im Landkreis Würzburg und das jüdische einen Informationsteil zu den einzelnen Herausgeber: Landkreis Würzburg, 2013 Leben in Würzburg heute vorgestellt. Du Orten und einen kleinen historischen Landkreis Würzburg – Kommunale Jugendarbeit kannst die einzelnen Orte aufsuchen oder Überblick. Auf unterschiedlichen Wegen Klaus Rostek | Zeppelinstr. 15, 97074 Würzburg Dich einfach nur informieren. kannst Du so versuchen, etwas über die Tel. 0931 8003-376 | Mail [email protected] Geschichte der Juden im Landkreis und in Jugendliche aus dem Landkreis Würzburg der Stadt Würzburg zu erfahren. Gestaltung: Ulrike Fuchsberger, Ingrid Schinagl und aus dem Landkreis Mateh Yehu- Druck: bonitasprint, Würzburg da (Israel) trafen sich im Sommer 2012 Mit dieser Broschüre liegt ein Text vor, den Bildnachweis: während eines Austauschprogramms, um Jugendliche für Jugendliche geschrieben Aub | 24 Mireille Kaplan | 25 Mireille Kaplan Veitshöchheim | 44 - 51 Gemeinde Veitshöchheim verschiedene Orte im Landkreis Würzburg haben. Unterstützt wurden sie dabei von Hanauer | 54 John Hanauer, Rotraud Ries | mit Spuren jüdischen Lebens auszuwäh- denjenigen, die für die einzelnen Orte zu- 55 Stefanie Neumeister len und über diese in der vorliegenden ständig sind. Wir hoffen, dass es uns al- Loewenberg | 62 | 67 Broschüre etwas zu schreiben. Du wirst len gelungen ist, bei Dir das Interesse an Shalom Europa | 70 – 77 Shalom Europa sehen, wir haben diese Beschreibung ganz einem wichtigen Teil der Kultur im Raum Alle weiteren Fotos: Klaus Rostek unterschiedlich gestaltet: als Rundgang Würzburg zu wecken.

Gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und dem Europäischen Landwirtschaftsfond für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)

klimaneutral natureOffice.com | DE-204-106698 gedruckt INHALT INHALT

Einführung 6 Jüdisches Leben in Stadt und Landkreis Würzburg

Karte 10

Ausgewählte jüdische Orte 12 Allersheim 12 Aub 18 Gaukönigshofen 28 Höchberg 34 Veitshöchheim 42 Würzburg Zeittafel 52 Hans A. Hanauer 54 Susan Loewenberg 62 Shalom Europa 70

Glossar 78

Zum Projekt 86 Projektgruppen und Verantwortliche Projektbeteiligte und Förderhinweis

Kontakt und Information 88

4 t u 5 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG

Einführung: Jüdisches Leben im Landkreis und der Stadt Würzburg Rebekka Denz

In vielen Orten im heutigen Landkreis und ins 19. Jahrhundert hinein mehrheitlich auf natürlich auch in der Stadt Würzburg lebten dem Land. Im Mittelalter waren sie nach ei- Jahrzehnte lang, ja oft sogar Jahrhunderte ner Phase der Blüte der Gemeinden häufig lang Juden. Vielerorts gründeten sie eine (gewalttätigen) Anfeindungen von Christen jüdische Gemeinde. Sie unterhielten also als ausgesetzt und wurden aus den meisten Religionsgemeinschaft eine Synagoge und deutschen Städten vertrieben. Deswegen Mikwe, manchmal auch eine jüdische Schule mussten sie sich in Dörfern und Kleinstäd- und einen jüdischen Friedhof. ten niederlassen. Juden lebten unter sich, aber vor allem ab dem 19. Jahrhundert mehr und mehr mit In der Stadt Würzburg zum Beispiel kam es Nichtjuden gemeinsam. Juden und Nichtju- seit 1298 immer wieder zu gewalttätigen den wohnten oft in der selben Straße oder Angriffen auf und Vertreibungen von Juden. im selben Haus. Häufig besuchten jüdische Vom 15. bis 17. Jahrhundert wurden Juden und christliche Kinder ein und dieselbe mehrfach aus Würzburg ausgewiesen. Sie Schule. Juden waren also Teil des alltägli- waren also gezwungen, sich eine neue Blei- chen Lebens in der Region, auch wenn sie be im ländlichen Umland zu suchen. Erst ab durch die christliche Bevölkerung immer Anfang des 19. Jahrhunderts durften sich Weitere Informationen online: wieder ausgegrenzt und angefeindet wur- Juden wieder in der Stadt Würzburg nieder- www.-landkreis-wuerzburg.de (Leben im Landkreis – Landjudentum) den. lassen. www.alemannia-judaica.de/ Sechs dieser Orte, in denen früher einmal [Entsprechende Unterseiten zum Landkreis und der Stadt Würzburg] Juden lebten, haben wir ausgewählt, um Dir Bis vor fast 100 Jahren – genauer gesagt ein wenig von der jüdischen Geschichte in bis zur NS-Zeit – gab es nirgendwo im Ansprechpartner: der Würzburger Gegend zu erzählen. Das deutschsprachigen Raum so viele jüdische Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken sind folgende Orte: Allersheim, Aub, Gau- Gemeinden wie in Franken. Zwischen dem Valentin-Becker-Straße 11, 97072 Würzburg königshofen, Höchberg, Veitshöchheim und Mittelalter und der NS-Zeit bestanden al- Telefon 0931 18275, [email protected] Würzburg. lein hier in Unterfranken mehr als 200 jüdi- www.johanna-stahl-zentrum.de sche Gemeinden. In der Würzburger Region Was viele junge – aber auch ältere – Leute lebten in diesem Zeitraum an mehr als 30 Öffnungszeiten nicht wissen: Die jüdische Bevölkerung in Orten Juden. 1932 gab es in der Würzburger Mo-Do 13.00-17.00 Uhr, Fr 9.00-13.00 Uhr und nach Vereinbarung Deutschland lebte vom Spätmittelalter bis Gegend nur noch 18 jüdische Gemeinden. 6 t u 7 EINFÜHRUNG EINFÜHRUNG

Fragst Du Dich jetzt, warum die Anzahl der jüdischen Gemeinden schon bis 1932, also vor dem Nazi-Terror von mehr als 30 auf 18 geschrumpft war? Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hatten sich einige jü- dische Gemeinden aufgelöst oder mehrere kleine Gemeinden zu einer größeren zusam- mengeschlossen. In dieser Zeit zogen näm- lich viele Juden vom Land in die Städte oder wanderten sogar aus – meistens in die USA.

Und heute? Heute gibt es nur noch eine einzige jüdische Gemeinde in Unterfranken. Das ist die „Jüdische Gemeinde Würzburg und Unterfranken”. Sie hat ihren Sitz in der Stadt Würzburg. Über die heutige jüdische Gemeinde in Würzburg findest du in diese Broschüre ein eigenes Kapitel.

Wenn Du heute durch die Würzburger Re- gion fährst, findest Du noch viele Spuren dieses früheren jüdischen Lebens. Du stößt auf jüdische Friedhöfe oder ehemalige Syn- agogen. Und es gibt auch Museen, in denen Du mehr über die jüdische Geschichte er- fahren kannst. Mit der Broschüre laden wir Dich ein, Dich auf die Reise zu machen!

8 t u 9 Ober- KARTE KARTE Unter- Frickenhausen Aub Kürnach Hausen Gossmannsdorf Fuchsstadt Acholshausen Gaukönigshofen Rottenbauer Heidingsfeld Röttingen Allersheim WÜRZBURG Güntersleben Veitshöchheim Reichenberg Kirchheim Höchberg Bütthard Kist Thüngersheim Eisingen Zell a. Main Zell Margetshöchheim Waldbrunn Waldbüttelbrunn Ober- Ober- Unter- Greußenheim Unter- Remlingen N Neubrunn Ehemalige jüdische Orte jüdische 20. (Mittelalter bis Jhd.)Ehemalige 1932 Gemeinden Jüdische der BroschüreIn beschriebene Orte Holzkirchen

10 t Böttigheim u 11 ALLERSHEIM ALLERSHEIM

Jüdischer Friedhof Klaus Rostek

Auf dem alten jüdischen Friedhof Allers- heim in der Nähe von Giebelstadt, südlicher Landkreis Würzburg, finden sich heute noch etwa 2000 Grabsteine. Insgesamt wurden von circa 1665 bis 1967 etwa 4000 Juden Kontakt und Information: hier begraben. Archiv im Rathaus Giebelstadt Friederike Langeworth, Archivpflegerin Telefon 09334-8080 (Do 13.00-17.00 Uhr) [email protected] Besichtigungstermine können vereinbart werden 12 t u 13 ALLERSHEIM ALLERSHEIM

Historischer Überblick

17. Jahrhundert Nach Ende des 2. Weltkrieges Interessengemeinschaft der jüdischen Land- Auch nach 1945 gab es noch Friedhofs- bevölkerung erwarb vom Kloster Bronnbach schändungen. Die Zukunft des Geländes das Gelände. war zunächst ungewiss. Otto Mannheimer, ein aus Giebelstadt stammender Jude, setz- Bis Anfang des 19. Jahrhunderts te sich für die Wiederinstandsetzung des ließen Juden aus mehr als 20 Gemeinden Friedhofes ein. ihre Verstorbenen in Allersheim beisetzen. 1967 Im Laufe des 19. Jahrhunderts Das letzte Begräbnis auf dem Friedhof Der allgemeine massive Mitgliederschwund Allersheim: Otto Mannheimer ließ sich hier jüdischer Landgemeinden betraf auch die in seiner fränkischen Heimat beerdigen. jüdische Gemeinde Allersheim. Dennoch bestand die israelitische Friedhofs-Korpo- ration weiter.

Im Nationalsozialismus (1933-1945) Der Friedhof mit dem Flurnamen „Juden- garten“ wurde zweimal durch antisemiti- sche Angriffe beschädigt und in der Pog- romnacht vom 9.11.1938 wurde das Haus von Heinrich Baumann, dem jüdischen Friedhofswärter, komplett verwüstet. Nach der Deportation der letzten Landjuden kam Jüdische Grabsteine, Friedhof Allersheim es zur Schließung des Friedhofs. Gegen das Vorhaben der Nationalsozialisten, das Friedhofsgelände einzuebnen, erhob der Allersheimer Bürgermeister Einspruch mit der Begründung, dass der jüdische Friedhof Rückzugsgebiet für einheimische Vögel sei. Dadurch konnte die endgültige Zerstörung des Friedhofs verhindert werden.

14 t u 15 ALLERSHEIM ALLERSHEIM

Oben: Segnende Priesterhände deuten auf einen Angehörigen des Stammes der Kohen hin. Besonderheiten jüdischer Mitte: Die Abbildung von Sense und Rechen lassen Friedhöfe vermuten, dass hier ein Bauer bestattet wurde. Unten: Der Baumstumpf symbolisiert den Tod eines Auf jüdischen Friedhöfen dürfen, anders als jung verstorbenen Menschen. in der christlichen Tradition, Gräber nicht neu belegt sowie Grabsteine nicht entfernt werden. Auch werden die Gräber nicht ständig besucht. Der Tradition nach legen Besucher einen Stein zur Erinnerung auf die Grabplatte oder den Grabstein. Im All- gemeinen werden aufgrund des 2. Gebots („Du sollst Dir kein Abbild machen“) auf Grabsteinen keine Menschen abgebildet.

Verschiedene Symbole auf den Grabstei- nen geben Auskunft über das Leben der Verstorbenen. Beispiele aus dem jüdischen Friedhof Allersheim sind auf Seite 16 abge- bildet.

Gedenksteine

Auf dem Friedhof Allersheim finden sich neben Grabsteinen auch Gedenksteine für Weiterführende Informationen: Opfer aus der Zeit des Nationalsozialismus. Erhältlich im Rathaus Giebelstadt (siehe Seite 12) Broschüre „Bezirksjudenfriedhof Allersheim“ Zum Andenken an: (Gemeinde Giebelstadt) IDA MANNHEIMER Dokumentation Deutsch-Israelisches Jugendbe- geb. Neumann 27.01.1878 in Giebelstadt gegnungsprojekt „Jüdischer Friedhof Allersheim“ im Juni 1944 im KZ Auschwitz ermordet (Landkreis Würzburg) „Geschichte der jüdischen Gemeinde Allersheim im Ochsenfurter Gau“ Joachim Braun Würzburger Diözesangeschichtsblätter 2007 16 t u 17 AUB AUB

Geschichtlicher Überblick Mikwe Frank Finkenberg Jüdischer Friedhof Die Stadt Aub lag im Mittelalter an der Seit den Anfängen gab es im Laufe der Jahr- ße hlstra Alte Synagoge Mü Kreuzung zweier Fernhandelsstraßen. Dies hunderte aber auch zahlreiche gewalttätige hweg arbac ße H förderte die Ansiedlung von Handwerkern, Ausschreitungen gegen die jüdische Bevöl- hstra bac Gedenkstein Har Handelsleuten und Beherbergungsstät- kerung bis hin zur endgültigen Vertreibung Neue Synagoge Schule ten, seit dem 13. Jhd. auch von jüdischen während der Zeit des Nationalsozialismus. H a Händlern und ihren Familien. Die jüdische In der Pogromnacht am 10. November 1938 u tz p pla ts kt t ar Gemeinde Aub zählt vermutlich zu einer der wurden die Synagoge beschädigt, die In- ra M ß Judengasse e Wohnhaus von Senta ältesten Gemeinden in Süddeutschland. Sie neneinrichtungen sowie die Ritualien ver- bestand seit dem Hochmittelalter bis in die nichtet. Daraufhin verließen viele jüdische Stolpersteine Neuzeit ohne größere Unterbrechungen. Einwohner Aub, bis 1940 die Gemeinde Seit der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts war endgültig aufgelöst wurde. Aub auch Sitz eines Rabbinats. Im Ort gab es alle wichtigen jüdischen Einrichtungen: Synagoge, einen Schulraum, Mikwe und Friedhof.

Bis ins 19. Jhd. lebten die jüdischen Familien fast ausschließlich vom Vieh- und Waren- handel. Während des Kaiserreiches (1870 – 1914) erreichten die jüdischen Einwohner aus Aub eine weitgehende gesellschaftliche Eingliederung. Dies führte zur Blütezeit der Kultusgemeinde. Es gab mehrere jüdische Waren-Handlungen und 1881 wurde Julius Sichel als erster jüdischer Einwohner in den Stadtrat Aub gewählt. Am deutsch-franzö- sischen Krieg 1870/71 und am 1. Weltkrieg nahmen zahlreiche jüdische Männer aus Aub teil. Die Gefallenen werden auf zwei Kriegerdenkmälern genannt.

Gedenkstein 18 t u 19 AUB AUB

Zeittafel Senta Kannenmacher

1930 Senta wird als einziges Kind ihrer Senta Kannenmacher war ein jüdisches Eltern Martha und Abraham Kannen- Mädchen, das 1930 in Aub geboren wurde. macher geboren. Ihr Vater hieß Abraham und war der Reli- gionslehrer und Vorbeter der jüdischen Ge- 1936 Senta wird eingeschult. meinde. Sentas Mutter Martha hatte eine Schwester namens Milli, die in Paris lebte. 1938 Senta wird von ihrem Vater Abraham Beide Frauen schrieben sich viele Briefe, in zuhause unterrichtet, da jüdische denen der Alltag und die Sorge der Familie Kinder keine allgemeinen Schulen zum Ausdruck kommen. Allerdings mussten mehr besuchen dürfen. sie die Briefe sehr vorsichtig formulieren, um keinen Verdacht zu erregen, da die NS- 1939 Juni: Die Familie von Senta muss Behörden diese Briefe teilweise gelesen ha- ihr Haus aus Geldnot verkaufen und ben. Aus den erhaltenen Briefen stammen zieht nach Frankfurt/Main um. die Auszüge auf den folgenden Seiten.

1940 Sentas Vater wird verhaftet und kommt ins Konzentrationslager Sachsenhausen, anschließend nach Neuengamme. Vater Abraham (1901-1942)

1942 Abraham wird in der Vergasungs- kammer der Tötungsanstalt Bern- burg ermordet.

1942 Senta wird als 11-Jährige zusammen mit ihrer Mutter nach Raasiku (Est- land) deportiert. Dort werden beide ermordet.

Mutter Martha (1906-1942) Senta Kannenmacher (1930-1942) 20 t u 21 AUB AUB

Aub, undatiert, ca. 1937 (von Martha) Aub, den 17.04.1939 (von Martha) Sommer 1939 (von Martha) Liebe Milli! […] Ich habe viel Arbeit, aber Wie habt ihr Pessach verbracht? Bei uns Schon wieder muss ich dich belästigen, dennoch will (ich) deinem Wunsche nach- war es sehr einfach. [...] aber es ist jetzt schon ein ½ Jahr und lieber kommen und dir etwas schreiben. Unsre Unser Haus sowie Hof und Garten gehört Abr(aham) bittet sehr, dass baldigst für sei- liebe Senta hat ein Dirndl und ein anderes jetzt Richard. Es tut mir oft das Herz weh, ne Auswanderung gesorgt wird. Ich meine Kleid bekommen und beide nach 8 Tagen wenn ich ihn an unseren Rosenstöcken und oft, mir bricht das Herz entzwei! […] schon gerissen. So habe ich immer zu fli- Traubenstöcken herumschneiden sehe und Liebe Senta ist ein braves Kind und (es) hat cken. Sie ist ein großer Wildfang. uns gehört nichts. […] Liebe Milli, wie du sie jeder gern und (sie) sagt immer, Mutti, siehst haben wir große Sorgen mit uns. weine nicht, ich gehe fort und schicke die Aub, den 11.01.1939 (von Martha) Dollar und dann kommt der liebe Papa. Hoffentlich haben wir doch Glück, so dass Frankfurt, Anfang Juli 1939 wir bald fort können. […] Ich verliere oft den (von Martha) Brief von Cousine Meta aus der Schweiz Mut. Liebe Senta ist wieder hier und freut Meine Lieben, wir haben den Entschluss an Milli nach Paris. ca. Februar 1940 sich sehr und ging gleich zu Meiers und gefasst, für einige Wochen nach Italien Es ist schlimm, dass alle Auswanderungen erzählte, dass sie bald fort kann. Auch wir (Mailand) zu fahren und von dort aus das immer am Geld scheitern. Meine Geschwis- wären glücklich, wenn das Kind einmal von Weitere zu veranlassen. Wir können uns ter sind noch alle drinnen. Gebe Gott, dass unseren Sorgen nichts wüsste. […] Fleisch zwar noch nicht ganz das richtige Bild über sich das Los der Juden an Purim zum Guten haben wir schon ein viertel Jahr nicht mehr die dortigen Verhältnisse machen, aber ich wendet. gegessen. habe doch so viel Vertrauen zu Gott und mir selbst, dass es der richtige Weg sein Aub, den 23.01.1939 (von Abraham) wird. […] Zum Leben brauchen wir in Italien Was wäre es auch für Senta gut, wenn sie Geld. weg wäre: ich unterrichte sie selbst. Die einzige Gesellschaft hat es [= Senta] an Frankfurt, Ende Juli 1939 (von Martha) Ruth, die aber doch noch nicht zur Schule Es fällt mir heute schwer Euch zu schreiben. geht. Senta spricht und schreibt schon ganz Warum, könnt ihr Euch wohl vorstellen. Wir nett englisch. hatten uns jetzt endgültig für nächste Wo- Ich selbst finde immer Beschäftigung, ich che festgelegt, unsere Koffer sind gepackt, lerne jetzt auch spanisch, ist einen nette aber die Speditionsfirma hat ihre Packer Sprache, denn es könnte möglich sein, dass nicht geschickt. Vielleicht soll es so sein,

Weiterführende Informationen: wir nach Südamerika verschlagen werden, wie Gott will. da spricht man ja spanisch, aber auch in Wir selbst haben gültige Pässe, daran liegt www.alemannia-judaica.de/aub_synagoge.htm USA ist es praktisch, dieses zu können. es also nicht. Wollen wir das Beste hoffen. www.alemannia-judaica.de/aub_friedhof.htm Wir müssen das Schicksal so nehmen wie es Liebe Senta würde sich ganz besonders www.stadt-aub.de/ uns Gott auferlegt. freuen, nach Paris zu kommen. 22 t u 23 AUB AUB

Alte Synagoge Jüdischer Friedhof Hauptstraße 21/Ecke Neuertgasse: Harbachweg, im 19. Jh. errichtet, vermutlicher Standort weil alter Friedhof (schräg gegenüber, bis 1744 in Gebrauch mit Denkmal) zu klein wurde Grabsteine des alten Friedhofs teilweise in die Mauern verbaut hier: Grab von Sentas Großvater Aaron Rosenfeld

Schule Zugang vom Kirchplatz, Volksschule von Senta ca. 20 bis 30 christliche und jüdische Schüler Feiertage je nach Religion

Mikwe direkt am Bach, Zugang über Fußweg keine historischen Fotos vorhanden Mikwe der jüdischen Gemeinde außerdem in Aub: Privatmikwe in der Neuertgasse 10 (Privathaus)

24 t u 25 AUB AUB

Wohnhaus von Senta Jüdisches Viertel Marktplatz 19, Geburtshaus von Senta westlich der Hauptstraße (erbaut 1616) im Mittelalter Hauptwohngebiet Schuh- und Hutladen der Großmutter vieler Juden Regina Rosenfeld im Erdgeschoss ehemalige Schächterei der Familie Familie von Senta war gezwungen, es in Fleischmann in der Judengasse der NS-Zeit zu verkaufen (mit Stolpersteinen) Innenseite des rechten Türpfostens: Einlassungskerbe für die Mesusa Neue Synagoge (auch bei anderen Häusern zu finden) Neuertgasse 12 (errichtet 1743) bis Mitte 19. Jh. mit eigenem Rabbiner Religionslehrer in der Synagoge und Vorbeter war Sentas Vater Abraham heute Privatbesitz

Stolpersteine Bodenplatten als Mahnmal vor Wohn- haus von Senta und ihrer Familie

Jüdisches Viertel Neue Synagoge

26 t u 27 GAUKÖNIGSHOFEN GAUKÖNIGSHOFEN

Das jüdische Leben in Gaukönigshofen Klaus Rostek

Hallo, ich heiße Fritz Kurt Weil und möchte euch gerne meinen Heimatort und das jüdi- sche Leben in Gaukönigshofen zeigen.

1927 wurde ich in Gaukönigshofen geboren und lebte dort mit meiner Familie (meinem Vater Ferdinand Weil, meiner Mutter Sitti Weil und meinem jüngeren Bruder Alfred) Am Königshof 2. Bis zur Synagoge, zur Mikwe und zur jüdischen Schule, wo der Religions- unterricht für uns Juden stattfand, waren es nur ein paar Schritte. Allerdings besuchte ich gemeinsam mit allen Gaukönigshofer Kindern die örtliche Grundschule. Dort lern- te ich meinen Banknachbarn Alfred Betz, zur Pogromnacht 1938 wurde das Leben für meinen späteren Freund, kennen. Zu Beginn uns Juden immer unerträglicher. Ich kam führten wir Juden ein ganz normales Leben gemeinsam mit meinem Bruder nach Frank- in Gaukönigshofen. Im Alltag hatten wir furt an eine jüdische Schule. Anfangs hatte viele Gemeinsamkeiten mit unseren christli- ich noch Briefkontakt zu meinem Freund Al- chen Nachbarn, nur das religiöse Leben war fred Betz, nach der Pogromnacht durfte ich eher getrennt. Erst mit der Machtergreifung diesen Kontakt nicht weiterführen. Hitlers 1933 hat sich die Situation allmäh- Kontakt und Information: lich verschlechtert. Ich spürte das beson- Gemeinde Gaukönigshofen ders in der Schule: Unser Lehrer, Oberlehrer Am 21.03.1942 wurde Fritz Kurt Weil von Auskunft im Rathaus Fritz, hat sich schlagartig zum überzeugten Würzburg aus in das von den Deutschen Tel. 09337 9719-0 Nazi gewandelt und uns jüdische Kinder besetzte, polnischen Izbica deportiert und [email protected] diskriminiert. In den folgenden Jahren bis dort ermordet.

Öffnungszeiten der Synagoge und des Museums: Jeden 1. Sonntag im Monat, 14.00 -16.00 Uhr. Führungen für Gruppen nach Vereinbarung 28 t u 29 GAUKÖNIGSHOFEN GAUKÖNIGSHOFEN

Ehemaliges jüdisches Gemeindehaus mit Schule Synagoge und Kreisgedenkstätte und Lehrerwohnung

Stolpersteine

Mikwe Museum Schutzjudenhäuser

Jüdische Wohnhäuser um 1933 30 t u 31 GAUKÖNIGSHOFEN GAUKÖNIGSHOFEN

Zeittafel Erinnerungen an die Pogromnacht

16. Jhd. Erste Ansiedlung von Juden. Regina Walch [geb. 1924] Paul Lesch [geb. 1928] Ca. 1750 Gründung der jüdischen Gemeinde. „Es war furchtbar! Wir waren alle zu Hause, „Als Kind, ich war damals 10 Jahre alt, habe 1768 Bau der Synagoge mit Mikwe. als auf einmal eine schreiende Meute vor ich nichts mitgekriegt in der Nacht, aber 1790 Erweiterung der Synagoge. unserem Haus die Straße entlang gezogen unser Vater hat mich damals eine Stunde 1819 Bau der externen Mikwe. ist. Wir haben gehört, wie sie dem Juden eher geweckt, ist mit mir zur zerstörten Sy- 1842 Renovierung der Synagoge. Vorchheimer und dem Juden Bach Fenster nagoge gegangen und hat zu mir gesagt: und Türen eingeschlagen haben. Ich bin ´Ich will dir mal zeigen, was heute Nacht 1938 10. November: Pogromnacht. Be- dann am nächsten Tag nach der Schule passiert ist.` Auf dem Rückweg, so nach ca. schädigung, Zerstörung und Plün- in die Synagoge gegangen. Alles war ein 200 m, ist er stehengeblieben: ´Was hier ge- derung jüdischer Gemeindegebäu- Trümmerhaufen. Und die Familie Kleemann schieht ist Unrecht!` Das habe ich damals de, Wohnhäuser und Geschäfte. hatte im Flur einen großen Obstschrank, der gehört, aber verstanden habe ich es erst war jetzt zerschlagen. Das ganze Obst war Jahre später nach dem 2. Weltkrieg.“ 1939 28. Juni: Verkauf der jüdischen ein großer Trümmerhaufen. `Was essen die Schule und Synagoge an die Ge- jetzt wohl im Winter?´, habe ich mich ge- Aus „Gegen das Vergessen“ Zeitzeugeninterviews Gaukönigshofen 2010 meinde Gaukönigshofen weit unter fragt.“ dem reellen Wert. Alfred Betz [geb. 1928] 1942 Die letzten 29 jüdischen Einwohner „In der Nacht bin ich erwacht durch den wurden nach Izbica im von NS- Lärm draußen. Am nächsten Morgen auf Deutschland besetzten Polen und dem Schulweg habe ich die jüdischen nach Theresienstadt deportiert und Wohnhäuser mit den eingeschlagenen dort ermordet. Zu Erinnerung sind Fenstern gesehen. Die Betten waren auf- deren Namen auf einer Gedenktafel geschlitzt, Geschirr zerschlagen, ich bin der Kreisgedenkstätte Gaukönigs- furchtbar erschrocken. In der Schule sagte hofen aufgeführt. uns der Lehrer Fritz (er war ein Nazi), `Der Weiterführende Informationen: Volkszorn hätte sich so geäußert´. Wir Kin- „Stolpersteine Gaukönigshofen“ 1988 16. Oktober: Eröffnung der ehema- der konnten uns keinen Reim daraus ma- Familiengeschichte der jüdischen ligen Synagoge als Gedenkstätte; chen und nach dem Unterricht sind wir Gemeinde Gaukönigshofen Einrichtung eines Museums in der sofort zur Synagoge gerannt. Da war alles DVD „Gegen das Vergessen“ – ehemaligen jüdischen Schule. kurz und klein geschlagen.“ Zeitzeugeninterviews entstanden in einem Austausch- projekt mit deutschen und israelischen Jugendlichen Nähere Infos siehe Seite 28 32 t u 33 HÖCHBERG HÖCHBERG

e traß Zeittafel pts au H Rebekka Denz, Andrea Sterzinger

Ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 1914-1918 Im Ersten Weltkrieg fallen min- Schriftliche Quellen belegen eine jü- destens 13 ehemalige Schüler der Präparandenschule e traß anns dische Gemeinde in Höchberg. Ein- Israelitischen Präparandenschule. Sonnem Geburtshaus Sonnemann zelne Juden haben vermutlich schon Mindestens ein Mitglied der jüdi- vorher hier gesiedelt. schen Gemeinde Höchberg, Abraham 1661 Die erste Synagoge in Höchberg ist Bravmann, ist auch gefallen. Synagoge in Nutzung. 1924 Die jüdische Gemeinde Höchberg hat 1721 Bau der neuen Synagoge im Ober- noch 33 Mitglieder; hinzu kommen dorf im barocken Stil 50 auswärtige Schüler der Israeliti- eb Tri Ca. 1780–1830 Blütezeit der jüdischen schen Präparandenschule. m A Gemeinde. Sie besteht aus 150 bis 1933 Die jüdische Gemeinde Höchberg hat 200 Personen. nur noch 22 Mitglieder. 1820 Gründung einer einklassigen jüdi- 1938 10. November: Pogromnacht. Die In- ten ngar de schen Elementarschule neneinrichtung der Synagoge Höch- Ju Am 1821 Einrichtung des jüdischen Friedhofs berg wird demoliert. Auf dem jüdi- 1828 Einrichtung der Stelle eines bezahl- schen Friedhof werden Grabsteine Am T ri ten Ortsrabbiners. Der erste Ortsrab- umgeworfen und zerstört. Die Ein- eb Jüdischer Friedhof biner wird Lazarus Ottensoser. richtung von Wohnungen und Häu- 1865 Gründung der Israelitischen Präpa- sern, in denen Juden leben, werden randenschule durch Lazarus Otten- zerstört. soser 1939 Die letzte nachweisbare Bestattung Ab 1861 Juden dürfen ihren Wohnort frei auf dem jüdischen Friedhof erfolgt. wählen, sich also auch in den Städ- 1951 Kauf des ehemaligen Synagogenge- ten niederlassen. Viele jüdische Fa- bäudes durch die evangelische Kir- Kontakt und Information: milien ziehen aus Höchberg weg, chengemeinde. Das Gebäude wird Dauerausstellung zur jüdischen Geschichte im Gebäude der ehemaligen Präparandenschule häufig ins nahegelegene Würzburg. umgebaut und bis heute als Kirche Öffnungszeiten: Sonntag von 14 bis 17 Uhr und nach Vereinbarung 1904 Renovierung der Synagoge im Ober- genutzt. Führungen für Schulen und an den Abenden für andere Gruppen oder Vereine. Eintritt frei! dorf

Eingang Sonnemannstraße 15 Ansprechpartner Markt Höchberg: Herr Gerd Waltinger, Geschäftsleitender Beamter Tel. 0931 49707-24, E-Mail [email protected] 34 t u 35 HÖCHBERG HÖCHBERG

Synagoge

Ab 1661 war die erste Synagoge in Höch- berg in Nutzung. 1721 wurde sie durch einen neuen größeren Synagogenbau im Oberdorf ersetzt. Die damalige barocke Innenausstattung wies sehr große Ähn- lichkeiten mit der Synagoge in Veitshöch- heim auf. Viele Häuser, in denen jüdische Familien wohnten, standen in der Nähe der neuen Synagoge. Das Gebäude wurde 1904 renoviert. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts „Die imposante Synagoge zeugt von der ehemaligen Größe von Höchbergs jüdischer Gemeinde.“ fanden hier nur noch Gottesdienste an ho- (Willi Wertheimer: Lebenserinnerungen, S. 39) hen Feiertagen und zu besonderen Anläs- Der Chuppastein war früher an der Außenmauer der Synagoge angebracht. Auf ihm findet sich die Zahl sen statt. Die meisten Gottesdienste wur- 1661, das Jahr der Fertigstellung der ersten Synagoge. den in der Israelitischen Präparandenschule abgehalten, da die jüdische Gemeinde auf- grund von Auswanderung und Wegzug in die Städte geschrumpft war. Prinzipiell ge- nutzt wurde die Synagoge aber bis in die Nazi-Zeit. In der Pogromnacht im Novem- ber 1938 wurde die Inneneinrichtung der Synagoge von Nazis demoliert und religiöse Schriften wurden zerstört.

1951 kaufte die evangelische Gemeinde die Synagoge und baute sie um. Bis heute wird sie als Kirche genutzt. In der Matthäuskir- che zeigen die Spuren jüdischen Lebens, dass der christliche Glaube seine Wurzeln im Judentum hat. Wenn man sich das Inne- Das Fragment einer Torarolle mit einem Abschnitt aus re der Kirche genauer anschaut, sieht man, dem 1. Buch Mose, Kapitel 18. Die Menora ist ein Geschenk der Marktgemeinde Höchberg an die evangelische Kirchengemeinde dass dort noch Überreste der früheren Nut- St. Matthäus. zung als Synagoge zu finden sind.

36 t u 37 HÖCHBERG HÖCHBERG

Rabbiner Abraham Bing

Durch die hebräische Grabinschrift wird die ist entführt worden, das Licht Gottes ist er- große Wertschätzung deutlich. Sie lautet in loschen; der im Lehrhaus Vortragende, der Übersetzung: ausgezeichnete Talmudgelehrte, Lehrer und Fürst der Tora, um sie kämpfte er, von Mut- „P. T.1 der berühmte Fromme, der enthaltsa- terschoß an geheiligt, er stieg in die Höhen me und betagte Chassid2, unser Lehrer und der Engel Gottes auf, zu den Höchsten im Rabbiner Abraham Bing Sega‘‘l3, Vorsitzen- Geheimnis des Garten Eden, mit Freude der des Rabbinatsgerichts in Würzburg und möge er dort eintrete, die göttliche Gegen- Umgebung, möge Gott sie schützen, Amen. wart schauen, seine Gemeinde beschützte In die Höhen abberufen am 5. Adar4 601 er, bis Schiloh5 kommt. T.N.Z.B.H.6“ LFK. Unglück über Unglück, die heilige Lade 1. März 18417

„Einige Male besuchten wir den altehrwürdigen jüdi- schen Friedhof in Höchberg, in welchem Gelehrte und Jüdischer Friedhof 1 P.T. oder P.N. ist die hebräische Abkürzung für angesehene Männer der Gemeinde begraben waren.” „Hier liegt begraben” oder „Hier ruht”. (Willi Wertheimer: Lebenserinnerungen, S. 39) Im Gegensatz zu vielen anderen jüdischen 2 Ehrenvolle hebräische Bezeichnung für Männer, Landgemeinden verfügte Höchberg über ei- die sich als „Wohltäter” übersetzen lässt. nen eigenen Friedhof, der 1822 eingerichtet 3 Hebräische Abkürzung für einen Stellvertreter der wurde. Vorher beerdigten die Höchberger levitischen Gemeinde. Auch die Levitenkanne, die auf Juden die Verstorbenen auf dem jüdischen dem Grabstein als Symbol angebracht ist, zeugt da- von, dass Bing ein Nachkomme der Leviten war. Diese Bezirksfriedhof in Allersheim. Auf dem waren im jüdischen Tempel im antiken Jerusalem Höchberger jüdischen Friedhof wurden im die Assistenten der Priester. Ihr Symbol – häufig auf 19. Jahrhundert viele Rabbiner aus Würz- Grabsteinen zu finden – ist die Levitenkanne. burg bestattet, so auch der sehr bedeuten- 4 Adar ist eine hebräische Monatsbezeichnung. Nach dem christlichen Kalender liegt der Adar meist de Rabbiner Abraham Bing. Sein Grabstein im Februar. ist restauriert worden. In der Pogromnacht 5 Hebräisch: Schiloh. 1. Moses, 49, 10: Einheitsüber- am 10. November 1938 wüteten die Nazis setzung: „(...) dem er gehört”; Luther: „Held”. auch hier. Grabsteine wurden umgestürzt 6 T.N.Z.B.H. ist die hebräische Abkürzung für „Möge und beschädigt. Die letzte Beerdigung auf seine / ihre Seele eingebunden sein in das Bündel des dem Friedhof fand 1939 statt. Lebens”. 7 Aus: Naftali Bar-Giora Bamberger: Memor-Buch, S. 201

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Leopold Sonnemann Israelitische Präparandenschule

Leopold Sonnemann7 wurde am 29. Okto- Von 1865 bis in die 1930er Jahre gab es in brachte ich auf dieser Schule, und man ber 1831 in Höchberg als Sohn streng religi- Höchberg eine Israelitische Präparanden- verlangte viel von uns. Unsere Lehrer waren öser jüdischer Eltern geboren. Sehr religiös schule. Der Gründer der Schule war der preußischer als die Preußen. Sie wollten uns zu leben war in dieser Zeit und in der Re- Ortsrabbiner Lazarus (Elieser) Ottensoser. mehr Stoff beibringen, als unsere jungen gion üblich. Sein Geburtshaus steht in der An der Schule wurden jüdische Jugendliche Köpfe aufnehmen konnten. (...) heutigen Sonnemannstraße 62. Die Straße zu Lehrern ausgebildet. Später und nur ver- Zahlreich waren die zu bewältigenden Fä- wurde also später nach ihm benannt. Daran einzelt besuchten auch nichtjüdische Kin- cher. Außer den weltlichen wie Deutsch, sieht man, was für ein bedeutender Mensch der diese Schule, meist kamen sie direkt aus Rechnen, Algebra, Geschichte, Geographie, Leopold als Erwachsener werden sollte. Höchberg. Lange Zeit waren nur Jungs auf Turnen, Musik und Harmonielehre waren Leopold mit seiner Schwester Johanna im Alter von Auch an seinem Geburtshaus findet sich der „Präparandie” – ab 1928 durften auch auch die jüdischen Fächer zu bewältigen. ca. 9 bzw. 7 Jahren. Fotografie nach einem Gemälde eine Hinweistafel. Mädchen die Schule besuchen. Da waren (...) Mischnah, Talmud, hebräische des Würzburger Malers Neufelder. Leopold lebte mit seiner Familie aber nur Die Präparandenschule machte Höchberg Sprachlehre, Liturgiegesänge und Vorbe- neun Jahre in Höchberg. Sie mussten we- in ganz Deutschland und sogar im Ausland ten.” (Willi Wertheimer: Lebenserinnerun- gen schlechter Erwerbsmöglichkeiten und bekannt, da die Schüler nicht nur aus der gen, S. 33 und 35) antisemitischer Anfeindungen nach Hessen Region, sondern eben auch von auswärts umziehen. Zunächst wohnten sie in Of- kamen. Willi Wertheimer war ab 1910 fenbach, dann in Frankfurt/Main. Leopold Schüler der „Präparandie” in Höchberg. Er wurde später Eigentümer und Herausgeber stammte aus Hardheim (Baden), wo er 1897 der bedeutenden „Frankfurter Zeitung”. Er geboren wurde. In seinen Erinnerungen be- wurde auch deutschlandweit und regional schreibt er das Leben in Höchberg sehr an- politisch tätig. Er war beispielsweise an der schaulich: Gründung der liberalen Deutsche Volkspar- tei beteiligt. „Gegenüber (...) erhob sich das große alte Leopold Sonnemann starb am 30. Oktober Gebäude der Präparandenschule. Man ging 1909 in Frankfurt/Main. Er ist auf dem dor- durch ein Tor, vorbei an der Wohnung des tigen jüdischen Friedhof begraben. Hausmeisters, (...), dann eine Treppe hin- 7 Quellennachweis Bild: Anna Schnädelbach, Michael Bis heute wird die Erinnerung an diesen be- auf. Oben gab es drei Säle und das Lehrer- Lenarz, Jürgen Steen (Hrsg.), Frankfurts Demokra- tische Moderne und Leopold Sonnemann. Jude, deutenden ehemaligen Bürger Höchbergs konferenzzimmer. Einen Stock höher waren Verleger, Politiker, Mäzen [Eine Ausstellung des histo- bewahrt. Nicht nur eine Straße wurde nach das Musikzimmer und noch einige weitere Gebäude der ehemaligen Israelitischen Präparanden- rischen Museums Frankfurt in Kooperation mit dem ihm benannt, sondern auch die Realschule Schlafsäle. Auf dem Flur dieses Stockwerks Jüdischen Museum Frankfurt am Main], Frankfurt schule, heute kleines Museum zur jüdischen Geschichte 2010, S. 311. trägt seinen Namen. ging es recht lebhaft zu. Drei Jahre ver- und Präparandenschule.

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Zeittafel Dr. Martina Edelmann

1644 3 jüdische Familien leben in Veitshöchheim. 1933 Noch 36 Juden leben in Veitshöchheim. Zwischen Ab 1709 Mehr als 10 jüdische Familien leben im Ort. 1933 und 1939 wandern 18 Veitshöchheimer Juden Um 1730 Errichtung der Synagoge mit Vorsänger- nach Amerika und Palästina aus. wohnung und Mikwe Machtergreifung durch die Nationalsozialisten. Be- 1744 Simon Höchheimer wird in Veitshöchheim ge- ginn der Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung boren. der Juden in Deutschland 1813 Im „Edikt, die Verhältnisse der jüdischen Glau- 1938 Übernahme der Synagoge durch die Gemeinde bensgenossen in Bayern betreffend“, wird die Veitshöchheim. In der Pogromnacht werden ein Zahl der jüdischen Haushalte in Veitshöchheim jüdisches Geschäft und jüdische Wohnungen ver- auf 21 festgelegt. wüstet . 1843 Die jüdische Gemeinde erreicht die höchste 1940 Umbau der Synagoge zum Feuerwehrgerätehaus Mitgliederzahl (ca. 160 Personen). 1941/1942 Deportationen von Juden aus Würzburg und 1861 Abschaffung des Edikts von 1813. Von nun an Umgebung in Ghettos oder Konzentrations- und können Juden in Bayern ihre Wohnsitze frei Vernichtungslager in von Nazi-Deutschland be- wählen. Einige Juden ziehen aus Veitshöch- setzte osteuropäische Länder, unter ihnen die letz- heim in die nahegelegene Stadt Würzburg ten, noch in Veitshöchheim lebenden Juden. oder an andere Orte, einige wandern aus, meist 1952 Die Gemeinde Veitshöchheim erwirbt die ehemalige nach Amerika. Synagoge von der „Jewish Restitution Successor 1871 Durch ein Reichsgesetz werden Juden und Organisation“ (JRSO, Jüdische Restitutionsnachfol- Nichtjuden als Bürger des deutschen Reiches ger-Organisation). gleichgestellt. 1986-1994 Wiederherstellung der Synagoge und Einrich- 1881/1882 Zuzug der Unterleinacher Juden nach tung des Jüdischen Kulturmuseums Veitshöchheim Veitshöchheim, unter ihnen die Familie Freu- 1995 Gründung der Simon-Höchheimer-Gesellschaft denberger 1998 Gründung des Genisaprojekts Veitshöchheim zur 1914-1918 16 Männer der jüdischen Gemeinde mel- Inventarisierung der Genisafunde aus fränkischen den sich zum Militärdienst im 1. Weltkrieg. Synagogen Julius Kahn, Berthold Klein und Siegmund 2009 Verlegung von Stolpersteinen in Erinnerung an die Sichel fallen im Krieg. von den Nationalsozialisten ermordeten Bürger 1925 Die jüdische Gemeinde in Veitshöchheim hat Veitshöchheims 53 Mitglieder.

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Hallo, mein Name ist Aaron*. Meine Fami- * Die Geschichte haben die Mitglieder lie war seit vielen Jahren in Veitshöchheim der Projektgruppe erdacht, als sie das Museum und die Synagoge in Veits- ansässig. Man kann unsere Geschichte bis höchheim besichtigt hatten. Aaron auf das Jahr 1644 zurückverfolgen, als erst hat also nie gelebt, doch vereint seine Geschichte die Erlebnisse von einmal nur 3 Juden hier lebten. Einer davon vielen Juden in Veitshöchheim. war ein Vorfahre von mir. Mein Vater wurde 1899 in Veitshöchheim Mein Vater hatte einen guten Freund na- geboren, in dem Ort, wo sich der bekann- mens Ludwig Stern, der auch der jüdischen te Hofgarten und das Sommerschloss der Gemeinde angehörte. Beide unternahmen Hofgarten Fürstbischöfe befindet. sehr viel gemeinsam. Sie besuchten dieselbe Inzwischen gab es hier auch eine jüdische Klasse in der Schule und lernten zusammen Gemeinde mit etwa 60 Mitgliedern. Früher mit Nichtjuden. 1915 mussten sie allerdings waren das noch viel mehr, fast 30 jüdische ihre Schulausbildung unterbrechen, weil sie Familien wohnten in der ersten Hälfte des in den 1. Weltkrieg zogen, obwohl sie noch 19. Jahrhunderts in Veitshöchheim. Viele sehr jung waren. von ihnen sind aber nach Amerika ausge- wandert oder in die nahegelegene Stadt Würzburg umgezogen. Veitshöchheim war ja nur ein kleines Dorf mit wenigen Mög- lichkeiten.

Synagoge innen (von 1926) Wie in jeder jüdischen Familie hatte mein Vater 8 Tage nach seiner Geburt in der Synagoge von Veitshöchheim seine „Brit Mila“, die rituelle Beschneidung. Ich weiß, dass seine Oma eine „Mappa“, ein spezielles Tuch, auf dem die Beschneidung stattfand, für ihn gestickt hat. So ein Band ist im Le- ben eines jüdischen Jungen sehr wichtig.

Mappa Ausschnitt Soldat Ludwig Stern 44 t u 45 VEITSHÖCHHEIM VEITSHÖCHHEIM

Wie die meisten Deutschen waren auch sie Feuerwehrhaus umbauen und hat das 1940 Dieses alte Gebetbuch erinnert mich an sehr patriotisch eingestellt. Auf einer Erin- auch gemacht! jene unbeliebten Botengänge, die ich als nerungstafel in der Synagoge von Veits- Kind ab und an erledigen musste. Zusam- höchheim kann man bis heute ihre Namen Dieses schreckliche Ereignis habe ich jedoch men mit dem Vorsänger ging ich hoch in lesen. Man war damals stolz darauf, Soldat nicht mehr mitbekommen, da ich 1938 mit den Dachboden der Synagoge, um dort in für Deutschland zu sein. meiner Familie Veitshöchheim endgültig der Genisa alte, ausrangierte Gebetbücher Nach dem Krieg studierte Ludwig Medizin verlassen und nach Palästina gehen muss- zu lagern. Dort oben war es staubig, dunkel und ließ sich danach als Arzt in Veitshöch- te, in das Gebiet des heutigen Staates Israel. und im Winter eiskalt. Kein Ort, an dem man heim nieder. Er war sehr beliebt bei den In meinem Gepäck hatte ich viele persön- sich lange aufhält. Aber diese alten Texte Gedenktafel Leuten. Mein Vater und Ludwig blieben liche Dinge wie meine Kippa und meinen durften wir nicht einfach wegwerfen, und Freunde, Ludwig floh in die USA, nachdem Gebetsmantel (Tallit), aber auch ein seit lan- der Dachboden der Synagoge war ein guter er von den Nazis verleumdet worden war. gem benutztes Gebetsbuch meines Vaters. Ort, diese heiligen Dinge abzulegen. Mein Vater bekam von ihm einen Brief aus New York, wo Ludwig mit seiner Frau bis zu seinem Tod lebte.

Aber nun zu mir selbst: Ich wurde 1925 hier in Veitshöchheim geboren, ungefähr 50 weitere Juden lebten zu dieser Zeit hier. Die Kinder gingen seit Jahrhunderten zum jüdischen Religionsunterricht, der in der Wohnung des Lehrers und Vorsängers in der Synagoge stattfand, um Hebräisch zu lernen. Ich hatte jedoch nicht das Glück, dort hingehen zu dürfen, da bereits 1926 die Wohnung an eine christliche Familie vermietet worden war. Bank Vorsängerwohnung Normalerweise hätte ich auch mit 13 Jah- ren in Veitshöchheim meine Bar-Mizwa gehabt, doch die Synagoge war zu diesem Zeitpunkt schon der jüdischen Gemeinde enteignet worden und nicht mehr in Be- nutzung. Man wollte die Synagoge in ein Dachboden Synagoge Gebetbuch (Siddur)

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In Israel heiratete ich mit 18 Jahren – ich Man hat mir auch Fotos von „Stolperstei- weiß, das ist sehr jung - meine Frau Rachel, nen“ in Veitshöchheim geschickt. In vielen die in Israel geboren war. Wir hatten eine Orten Deutschlands werden diese Steine eher bescheidene Heirat nach jüdischen vor den ehemaligen Wohnhäusern von Leu- Vorschriften, zu denen auch das Bad in der ten in den Gehweg eingesetzt, die unter der Mikwe gehörte. Von außen erinnerte mich nationalsozialistischen Diktatur ermordet die Mikwe dort ein wenig an das alte Bad in worden sind. Der Vater von Ludwig Stern Veitshöchheim. gehörte auch dazu.

Ich bin nie mehr nach Veitshöchheim ge- Ich selbst bin inzwischen zu alt, um noch kommen – lange Jahre wollte ich zunächst einmal nach Veitshöchheim zu fahren, wür- nichts mehr von dem Ort wissen. Es ist auch de es aber heute gerne tun. Vielleicht trägt immer noch schmerzhaft, sich an all das zu meine Geschichte dazu bei, dass junge Leu- Mikwe erinnern. Ich weiß aber aus der Zeitung und te dorthin reisen und sich das alles ansehen. von Freunden, die schon dort waren, dass die alte Synagoge wieder hergestellt wurde und heute Teil eines Museums ist, in dem die Geschichte der Juden in Veitshöchheim und Umgebung erklärt wird.

Man hat auch die alten Bücher, die dort oben im Dachboden lagen, wieder gefun- den und versucht nun, diese alle zu lesen und sorgfältig aufzubewahren.

Links: Genisafunde Eigentlich ist ziemlich viel von dem, was ich Rechts: Sukka in meiner Jugend dort noch gesehen habe, erhalten und auch wieder hergerichtet, wie zum Beispiel die Lehrerwohnung oder die Mikwe. Neben der Synagoge steht ein kleines Häuschen, in dem früher einmal Ju- den gelebt haben. Dort hat sich sogar eine Wand der alten Sukka (Laubhütte) erhalten. Synagoge heute Stoplerstein Hermann Stern

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Jüdisches Kulturmuseum Veitshöchheim

Seit 1994 gibt es in Veitshöchheim das Jü- dische Kulturmuseum. Eigentlich war dieses Museum gar nicht geplant, doch als 1986 die ehemalige Synagoge zu einer Galerie für Kunstausstellungen umgebaut werden solle, fand man viele unerwartete Dinge: Trümmer der alten Synagogeneinrichtung im Fußboden, tausende Reste von alten Bü- chern und Papieren im Dachboden der Syn- agoge, eine Mikwe, eine hebräische Inschrift in einem Zimmer im Nachbarhaus und noch einiges mehr. So wurde die Synagoge wie- der hergestellt und neu eingeweiht, sie ist auch religiös nutzbar. Neben der Synagoge steht ein ehemaliges jüdisches Wohnhaus, in dem sich heute das Museum befindet. Dort kann man gut nachvollziehen, wie Juden früher in Veitshöchheim und in der Gegend gelebt haben.

Öffnungszeiten (März – Oktober): Donnerstag 15 bis 18 Uhr und Sonntag 14 bis 17 Uhr Eingang: Thüngersheimer Straße 17 97209 Veitshöchheim Telefon 0931 9802 754 oder -764 Mail [email protected] www.jkm.veitshoechheim.de

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Zeittafel (1933-1945)

1933 30. Januar: Adolf Hitler wird von Reichspräsi- 1939 Juli: Kindertransport nach England: Unter den jü- dent Paul von Hindenburg zum Reichskanzler dischen Kindern befindet sich Hans A. Hanauer aus ernannt. Würzburg. 1933 März: In den Tagen nach der Reichstagswahl 1939 1. September: Beginn des 2. Weltkriegs vom 5. März 1933 erfolgt im gesamten Deut- 1941 15. September: Alle Juden in Würzburg und Unter- schen Reich, so auch in Würzburg, die „Macht- franken, die älter als sechs Jahre sind, müssen einen ergreifung” durch die Nationalsozialistische gelben Stern, den so genannten „Judenstern” Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Die Aus- tragen. grenzung der jüdischen Deutschen beginnt. 1941 Herbst: Juden müssen auf Anordnung der Gestapo 1933 11. März: Erste Boykottaktion gegen Geschäfte in sogenannte „Judenhäuser” umziehen. von Juden in Würzburg 1941 27. November: 1. von insgesamt 6 Deportationen 1935 15. September: Erlass der „Nürnberger Ge- von Juden aus Würzburg. Unter den Deportier- setze”: Fortan gelten jüdische Deutsche nicht ten in das von den Nationalsozialisten besetzte mehr als voll berechtigte „Reichsbürger“ Riga (heute: Lettland) sind die Eltern von Hans A. 1938 9./10. November: Pogromnacht im ganzen Hanauer – Alfred und Hella Hanauer. Beide werden Deutschen Reich. Auch in Würzburg wird die ermordet. Inneneinrichtung der Synagoge verwüstet. 1942 20. Januar: Auf der „Wannsee-Konferenz“ werden Im Zuge der Reichspogromnacht kommen in die konkreten Schritte für die Deportation der jüdi- Würzburg aufgrund von Misshandlungen oder schen Bevölkerung Europas beschlossen. durch Selbstmord vier jüdische Menschen ums 1942 20. Juni: Im ganzen Deutschen Reich werden die Leben. jüdischen Schulen geschlossen – so auch die Jüdi- Nach der Reichspogromnacht sche Volks- und Berufsschule in Würzburg. Das Pogrom führt zu einer verstärkten Aus- 1942 23. September: 5. Deportation von Juden aus wanderung jüdischer Menschen aus dem Würzburg: Unter den Deportierten in das Ghetto Deutschen Reich. Die Auswanderung bleibt bis Theresienstadt ist Susi Fechenbach mit ihrer Familie. zum Spätsommer 1941 prinzipiell möglich, ist 1943 17. Juni: 6. und letzte größere Deportation von Ju- aber mit der Enteignung des Besitzes verbun- den aus Würzburg: Die Gestapo erklärt Unterfran- den. Auch die ersten Kindertransporte nach ken nach dieser Deportation für „judenrein”. England werden organisiert. 1945 8. Mai: Ende des 2. Weltkriegs: Befreiung des Deut- 1938 15. November: Ein reichsweites Gesetz verbie- schen Reiches von der Nazi-Diktatur tet jüdischen Kindern den Besuch von allge- 1945 ab Juni: Vereinzelt kehren jüdische Überlebende Hinweis: Eine Zeittafel zur jüdischen Geschichte in Würzburg ab 1945 meinen öffentlichen Schulen. Fortan müssen nach Würzburg zurück. Unter ihnen ist die Familie findest Du auf Seite 73. sie jüdische Schulen besuchen. Fechenbach. 52 t u 53 WÜRZBURG WÜRZBURG

Begleite Hans Arno Hanauer auf einem Spaziergang durch Würzburg Stefanie Neumeister

Hallo, ich heiße Hans. Ich wurde am 17. Feb- Meistens gehe ich ganz gern zur Schule, weil ruar 1929 in Würzburg geboren. Mit meinen ich so jeden Tag meine Freunde sehen kann. Eltern Alfred und Hella Hanauer wohne ich Meine Mitschüler sind alle jüdisch, genau am Rennweger Ring. Mein Vater stammt wie ich. Mein Schultag beginnt mit einer aus dem unterfränkischen Ort Wiesenfeld, Stunde jüdischen Religionsunterricht. Aber mein Großvater väterlicherseits war Vieh- natürlich lernen wir auch Mathe, Deutsch, händler. Mein Vater hat im Ersten Weltkrieg Naturwissenschaften und all die anderen für Deutschland gekämpft. Schwer verwun- Fächer. det kehrte er aus dem Krieg zurück und zog nach Würzburg. Wenig später hat er meine Mutter geheiratet. Mein Vater ist Kaufmann. Gemeinsam mit seinem Bruder Felix hat er 1923 die Kurz-, Hans mit seinen Eltern Hella und Alfred in einem Würzburger Park, ca. 1931; © John Hanauer Weiß- und Wollwarenfirma „Gebrüder Ha- nauer“ gegründet. Das Geschäft befindet sich ganz in der Nähe unserer Wohnung und manchmal besuche ich ihn dort. Ich bin übrigens Schüler an der Jüdischen Kontakt und Information: Volks- und Berufsschule in Würzburg. Eines Johanna-Stahl-Zentrum für jüdische der Schulgebäude befindet sich in der Sand- Geschichte und Kultur in Unterfranken bergerstraße 1, dort habe ich Unterricht. Valentin-Becker-Str. 11 97072 Würzburg Tel. 0931 18275 [email protected] www.johanna-stahl-zentrum.de

Bürozeiten:

Mo bis Do 13–17 Uhr, Fr 9–13 Uhr John Hanauer mit seinem Enkel beim Besuch in Würz- Gebäude, in dem Hans Arno Hanauer zur Schule ging, und nach Vereinbarung burg, 2011; © Rotraud Ries Sandbergerstraße 1, Würzburg; © Stefanie Neumeister 54 t u 55 WÜRZBURG WÜRZBURG

In einem Interview aus dem Jahr 2011 be- Jüdische Volks- und Berufsschule richtet John Hanauer, wie er sich heute nennt, von einem besonders einprägsamen Die Israelitische Volksschule wird 1856 Ereignis. Er erinnert sich sehr gut an den als Privatschule gegründet und 1921 in 10. November 1938, den Tag nach dem No- eine öffentliche Schule umgewandelt. vemberpogrom. Von dem Fahrer der Familie Bis 1938 ist es allerdings weit verbreitet, wurde er zur Schule gefahren. Dort musste dass jüdische und nichtjüdische Schüler er mit ansehen, wie Nazis vor dem Schulge- gemeinsam zur Schule gehen. Gerade in bäude in der Sandbergerstraße zahlreiche den kleineren Orten in Unterfranken gibt Bücher verbrannten. Hans stieg nicht aus es meist keine eigenen jüdischen Schu- dem Auto aus. Schnell machten sie wieder len. kehrt und fuhren zurück nach Hause. Ab 1938 dürfen jüdische Schüler keine

öffentlichen Schulen mehr besuchen. Nach der Schule mache ich mich mit einigen Heutige Ansicht des Hauses, in dem Hans Arno Hanauer In Würzburg hat dies zur Folge, dass die Freunden auf den Nachhauseweg. Ich woh- mit seinen Eltern wohnte, Rennweger Ring 14, Würzburg inzwischen umbenannte Jüdische Volks- ne am Rennweger Ring 14. Wir haben eine und Berufsschule in der Kettengasse 25 tolle Wohnung, sie ist groß und ich habe ein komplett überfüllt ist. Daher werden ei- eigenes Zimmer voller Spielsachen. Gleich nige Klassen in einem Gebäude der Is- nebenan ist der Ringpark, in dem ich oft mit raelitischen Lehrerbildungsanstalt in der meiner Mutter spazieren gehe. Sandbergerstraße 1 unterrichtet. Nach dem Novemberpogrom kann das Gebäu- Manchmal gehe ich mit meiner Mutter auch de jedoch nicht mehr benutzt werden, Einkaufen. Unser Weg führt uns dann quer der Unterricht wird in die Bibrastraße 6 durch den Hofgarten. Dort gibt es nicht nur verlegt. 1942 wird die Jüdische Volks- hübsche Blumen, sondern auch eine richtige und Berufsschule endgültig geschlos- Wasserfontäne. Am anderen Ende des Hof- sen. Im ehemaligen Schulgebäude in der gartens befinden sich viele Geschäfte. Blick in den Würzburger Hofgarten Sandbergerstraße befindet sich heute die David-Schuster-Realschule.

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Am Schabbat gehen wir oft in die Synago- Synagogen in Würzburg vor 1933 ge. Dort wird gesungen und gebetet, was ich meistens ziemlich langweilig finde. Deshalb In Würzburg gibt es sechs Synagogen, treffe ich mich lieber mit ein paar anderen bevor die Nationalsozialisten 1933 an Jungs draußen vor der Synagoge zum Spie- die Macht kommen. Die Hauptsynago- len. ge steht in der Domerschulstraße 21. Im Hinterhof der Synagoge befindet sich die Nach dem Gottesdienst feiern wir zuhau- Jüdische Schule. se den Schabbat mit einem großen Essen. Meine Mutter zündet dann zwei Kerzen an Während des Novemberpogroms von und mein Vater spricht den Kiddusch. Ich 1938 wird die Inneneinrichtung der mag vor allem das gemeinsame Essen. Was Hauptsynagoge von den Nazis zerstört. ich jedoch nicht so toll finde ist, dass ich am Die Würzburger Synagoge wird nur Schabbat nicht Fahrrad fahren darf. deshalb nicht niedergebrannt, weil die Gefahr besteht, dass dadurch auch die umliegenden Wohn- und Geschäfts- Der Vater von Hans, Alfred Hanauer, wurde gebäude in Brand geraten. Erst in der im Zuge der Reichspogromnacht 1938 von Nacht vom 16. März 1945 wird die Syna- der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen. goge bei der Bombardierung der Stadt Die Gestapo verlegte ihn in das Polizeige- durch die Alliierten endgültig zerstört. fängnis am Rande des Hofgartens. John Hanauer erzählt in einem Interview aus dem Auf dem Grundstück der ehemaligen Sy- Jahr 2011, dass er mit seiner Mutter in die- nagoge befindet sich heute das Archiv ser Zeit jeden Tag im Hofgarten spazieren und die Bibliothek der Diözese Würzburg. ging. So gelang es ihnen, den Vater täglich An diesem Gebäude ist eine Gedenktafel zu einer festgelegten Stunde am Fenster angebracht, die an die ehemalige Syna- des Gefängnisses zu sehen und ihm zuzu- goge erinnert. winken. Nach einer Woche wurde Alfred Gedenktafel für die ehemalige Synagoge in der Hanauer aus der Haft wieder entlassen. Domerschulstraße, Würzburg

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Am 20. Juli 1939 schicken Alfred und Hella Kindertransporte Hanauer schweren Herzens ihren einzi- gen Sohn Hans im Alter von zehn Jahren Nach dem Novemberpogrom 1938 ver- mit einem Kindertransport nach London. schlechtern sich die Lebensbedingungen In England wird er von einer Pflegefamilie für die Juden in Deutschland massiv. aufgenommen, er lernt rasch die englische Einige Eltern sehen keinen anderen Aus- Sprache und bekommt einen neuen Namen weg mehr, als ihre Kinder ins Ausland zu – John. Seine Eltern versprechen ihm, bald schicken, um sie in Sicherheit zu bringen. nachzukommen. Doch John Hanauer sieht Mehrere internationale jüdische Hilfsor- seine Eltern nie wieder. ganisationen bereiten Kindertransporte vor, von denen die meisten nach England Alfred und Hella Hanauer werden am gehen. Ende 1938 genehmigt die briti- 27. November 1941 von Würzburg aus de- sche Regierung die Aufnahme jüdischer portiert und in der Nähe von Riga ermordet. Kinder bis zum Alter von 17 Jahren. In Im Jahr 2011 wurden zwei Stolpersteine vor England sollen sie ihre Ausbildung ab- dem ehemaligen Wohnhaus der Familie am schließen und später in andere Länder Rennweger Ring 14 in Würzburg verlegt, im auswandern. Gedenken an Alfred und Hella Hanauer. John Hanauer lebt heute in Kfar Saba, Israel. Viele Kinder haben das Glück, in jüdi- Anlässlich der Stolpersteinverlegung für schen und nichtjüdischen Pflegefamilien seine Eltern reiste er 2011 gemeinsam mit untergebracht zu werden. Einige kom- Weiterführende Informationen: mehreren Familienmitgliedern nach Würz- men in Heimen unter. Weitere Kinder- Quelle burg. Zeitzeugeninterview mit John Hanauer (geführt im transporte gehen nach Belgien, Palästina Johanna-Stahl-Zentrum, Juni 2011) und in die USA. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs enden die Kindertransporte. Literatur Film Wolfgang Benz/Claudia Curio/Andrea Hammel Kindertransport. In eine fremde Welt, Dokumentar- Etwa 10.000 jüdische Kinder und Ju- (Hrsg.), Die Kindertransporte 1938/39. Rettung und film, Regie Mark Jonathan Harris, 2000. gendliche aus Deutschland, aber auch Integration, Frankfurt am Main 2003. aus Österreich, Polen und der Tschecho- Internet Roland Flade, Die Würzburger Juden. Ihre Geschichte Website des Arbeitskreises Stolpersteine Würzburg, slowakischen Republik sind da schon vom Mittelalter bis zur Gegenwart [Mit einem Beitrag mit der Biographie von Alfred und Hella Hanauer, gerettet. Ihre Eltern und Geschwister von Ursula Gehring-Münzel], Würzburg 1987. unter: http://www.stolpersteine-wuerzburg.de überleben meist nicht. Stolpersteine für Alfred und Hella Hanauer am Rebekka Göpfert, Der jüdische Kindertransport. Von Website Alemannia Judaica mit Informationen zur Rennweger Ring 14 in Würzburg Deutschland nach England 1938/39, Frankfurt 1999. jüdischen Geschichte in Würzburg, unter: Diane Samuels, Kindertransport. A Play in Two Acts http://www.alemannia-judaica.de/wuerzburg_ [englische Ausgabe], Stuttgart 2011. synagoge_a.htm 60 t u 61 WÜRZBURG WÜRZBURG

Überleben in der Nazi-Zeit. Die Geschichte von Susan Loewenberg Rebekka Denz

Hallo, mein Name ist Susan, Susan Loewen- und nebeneinander. Das war ein wenig wie berg. Ich möchte Dir ein wenig aus meinem heute. Es spielt für uns ja auch selten eine Leben erzählen und ein paar Orte meiner Rolle, ob jemand Christ, Moslem oder Jude Kindheit in Würzburg zeigen. ist. Aber ab 1933 änderte sich das Leben für jüdische Kinder und ihrer Familien im- Ich wurde am 12. April 1933 in Würzburg mer mehr. Die Nazis sagten, dass jüdische geboren. Damals trug ich noch meinen Deutsche weniger Rechte haben sollten als Mädchennamen Susi Fechenbach. Ich kom- nichtjüdische Deutsche. Es wurden immer me aus einer jüdischen Familie. Ein paar von mehr Gesetze erlassen, die jüdische Deut- ihnen stelle ich Dir kurz vor: Meine Eltern sche ausgrenzten und die das Miteinander hießen Max und Mathilde Fechenbach. Mei- von Christen und Juden unmöglich machte. ne Mutter haben aber alle Hilde genannt. Christliche Kinder spielten nicht mit mir. Mir Mein großer Bruder, der fünf Jahre älter als war das Spielen auf der Straße verboten. In ich war, hieß Walter. Meine Oma mütterli- meiner Kindheit in Würzburg hatte ich also cherseits hieß Pauline. – erzwungenermaßen – fast nur mit jüdi- schen Kindern und Erwachsenen zu tun. So Als ich im April 1933 geboren wurde, re- zum Beispiel in der Schule, die ich besucht gierten Adolf Hitler und die NSDAP (Natio- habe, das war die Jüdische Volksschule. nalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) Deutschland schon seit kurzem. Bevor Hit- ler und seine Partei von vielen Deutschen gewählt worden waren, hatten Christen und Juden in Deutschland die gleichen Rechte. Antisemitismus gab es aber auch schon vor 1933 in Deutschland. Juden und Christen lebten allerdings meist ganz normal mit- Oben: Meine Eltern Max und Hilde Fechenbach Unten: Das ist das letzte Foto, das von meinem Bruder Walter und mir in Deutschland gemacht wurde. Beide: © Michael Loewenberg 62 t u 63 WÜRZBURG WÜRZBURG

Jüdische Volks- und Mittagstisch, Wolfhartsgasse 11 Berufsschule, Bibrastraße 6 Zum Mittagstisch kamen vor allem jüdische Ich besuchte in der Jüdischen Volks- und Erwachsene und kaum jüdische Kinder. Berufsschule nur die 1. und den Anfang der Mein Vater Max war Koch. Er hat gemein- 2. Klasse. Wegen der Ausgrenzung und Ver- sam mit meiner Mutter Hilde und anderen folgung der jüdischen Deutschen waren nur in unserer Küche gekocht. Die wenigen Ju- noch sehr wenige jüdische Schulkinder in den, die in der Nazi-Zeit noch in Würzburg Würzburg, so dass alle Klassen gemeinsam lebten, kamen zum Essen in unsere Privat- in einem Raum unterrichtet wurden. wohnung. In unserer Wohnung war ein Diese jüdische Schule wurde lange vor mei- ständiges Kommen und Gehen. ner Schulzeit 1856 unter dem Namen „Isra- elitische Volksschule“ gegründet und 1942 Außer der Diskriminierung und Ausgren- von den Nazis geschlossen. Israelitisch ist zung von jüdischen Deutschen geschahen übrigens ein anderes Wort für jüdisch. Im noch schlimmere Dinge: Juden wurden Laufe der Jahre gab es mehrere Gebäude, in von den Nazis gezwungen, Deutschland zu denen der Schulunterricht stattfand. verlassen. Zunächst wurden sie zur Aus- wanderung gezwungen oder ins Gefängnis Neben der Schule hatte ich im Würzburg gesteckt. Später wurden Juden in Ghettos der Nazi-Zeit in einem anderen Zusammen- und Lager in dem von Nazi-Deutschland hang mit jüdischen Leuten zu tun. Denn besetzte Ausland verschleppt. Viele sind mein Vater veranstaltete in unserer Woh- dort ums Leben gekommen. Auch meine nung einen Mittagstisch für Juden, die zu Familie und ich wurden deportiert. dieser Zeit noch in Würzburg lebten.

Oben: Der Standort der ehemaligen Jüdischen Volks- und Berufsschule heute Unten: Die Gedenktafel am Standort Das Haus in der Wolfhartsgasse 11 heute

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Deportation Theresienstadt

Von 1941 bis 1943 gab es sechs Deporta- Meine Familie und ich wurden mit ande- Im Frühsommer 1945 wurde Theresienstadt tionen aus Würzburg. Mehr als 2000 Juden ren Juden nach Theresienstadt deportiert. endlich befreit: Meine Oma, meine Eltern aus Würzburg und Unterfranken wurden Der Ort Theresienstadt (heute: Terezín in und ich hatten überlebt. Walter war einige deportiert, nur ungefähr 45 von ihnen Tschechien) war zu dieser Zeit von Nazi- Zeit zuvor nach Auschwitz deportiert wor- überlebten. Meine Oma Pauline und Mut- Deutschland besetzt. Die Nazis hatten dort den. Er hat das Vernichtungslager überlebt. ter, mein Vater und Bruder Walter und ich ein Ghetto eingerichtet, in dem jüdische Es grenzt an ein Wunder, dass so viele mei-

Der Gedenkort heute wurden am 23. September 1942 mit dem Menschen unter schlimmen Bedingungen ner engen Verwandten die Shoah überlebt 5. Deportationszug aus unserer Heimat- leben mussten. Viele Inhaftierte sind dort haben. stadt weggebracht. Ich war noch ein Kind, gestorben und von den Nazis umgebracht erst neun Jahre alt. worden. Seit ein paar Jahren gibt es in Würzburg eine Gruppe von Leuten, die die Erinnerung Als wir im Ghetto ankamen, wurde meine an die Deportation wach halten. Ihr Projekt Familie getrennt. Ich verbrachte den gan- heißt „Wir wollen uns erinnern”. Du kannst zen Tag in der Unterkunft im so genannten „Mädchenheim”. Es war eine schreckliche Dich im Internet darüber informieren: Dieses Porträt von mir wurde in Theresienstadt im www.wir-wollen-uns-erinnern.de Zeit: Weil ich solche Angst hatte, fing ich November 1942 auf eine Papiertüte gemalt. Bezahlt wieder an, Daumen zu lutschen. Ich war wurde mit einem Stück Brot: © Michael Loewenberg ständig krank und fiebrig. Wir versuchten, ein wenig Alltag unter diesen schrecklichen Bedingungen zu leben. Manchmal nahm ich am geheimen Schulunterricht teil. Ich spiel- te auch in der Kinderoper Carmen mit. Bei der Aufführung saßen jüdische Inhaftierte und Nazis im Publikum. Mein Vater Max arbeitete im Ghetto als Koch. So rettete er uns das Leben. Denn die ganze Familie Führung zum Erinnerungsweg: außer Vater sollte ins Vernichtungslager Christine Hofstetter (Gästeführerin / Auschwitz deportiert werden. Er sagte, dass guide touristique), er nicht ohne uns in Theresienstadt bleiben Theresienstraße 15, 97070 Würzburg und mit nach Auschwitz kommen wolle. So Tel 0931 7849284, Mobil 0160 980 8041 blieben wir alle im Ghetto Theresienstadt. E-Mail: [email protected] Drei Jahre lang wurden wir gezwungen, www.wuerzburger-gaestefuehrer.de dort zu leben. 66 t u 67 WÜRZBURG WÜRZBURG

Villa Mandelbaum, heute: Rottendorfer Straße 26

Nach der Befreiung kehrte ich gemeinsam Dort habe ich 1955 meinen Mann Gary mit meiner Familie in meine Geburtsstadt Loewenberg geheiratet. Gary stammt auch Würzburg zurück. Wir lebten mit anderen aus Deutschland. Er wurde in Berlin gebo- Juden, die nach der Befreiung nach Würz- ren. Wir haben zwei Kinder, unseren Sohn burg kamen, in der Villa Mandelbaum. Mei- Michael und unsere Tochter Marisha. Bis ne Familie und ich wohnten im Erdgeschoss. heute leben wir in den USA. Meine Eltern Unter dem Dach und im Keller lebten wei- und mein Bruder Walter sind dort im hohen tere Juden. Wir warteten auf die Rückkehr Alter gestorben.

Villa Mandelbaum heute von Walter. In dieser Zeit besuchte ich für kurze Zeit die Schule. Dort wurde ich aber als „Drecksjüdin” beschimpft. Meine Mutter hat mich von der Schule genommen und ich bekam Privatunterricht.

Würzburg wurde für uns nur eine Zwi- schenstation, denn im September 1946 wanderten wir allesamt in die USA aus. Mein Vater wollte gerne in Deutschland bleiben, aber meine Mutter wollte Deutsch- land lieber verlassen. Sie wollte nicht, dass Weiterführende Informationen: ihre Kinder nach den Schrecken der Nazi- Roland Flade: Juden in Würzburg. 1918-1933, Quellen Würzburg 1985. Zeit in Deutschland aufwachsen. Mein gro- Zeitzeugeninterview mit Susan Loewenberg (geführt ßer Bruder Walter kam zwei Wochen vor von Stefanie Neumeister, Johanna-Stahl-Zentrum, Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens unserer Abreise aus dem Vernichtungslager Würzburg, April 2012) in Bayern, München 1992. Auschwitz nach Würzburg zurück. Er ist ge- Literatur, Gedruckt Literatur, Online meinsam mit uns in die USA gegangen. Zvi Avneri / Larissa Daemmig: Wuerzburg, in: Alemannia Judaica, http://www.alemannia-judaica.de/ Encyclopedia Judaica, 2nd edition, S. 248-249. „Unser Überleben ist ein Wunder”, in: Main- Johanna Stahl Center for Jewish History and Culture post, 20.04.2012, https://www.mainpost.de/ in / Stolperstein Initiative Würzburg regional/wuerzburg/-Unser-Ueberleben-ist-ein- (Hg.): Remembrance & Encounter. Biographical Traces Wunder;art735,6741518 of Würzburg Jewry on the Ocassion of the Visit of Former Jewish Citizens in Würzburg, 16 to 23 April Initiative „Wir wollen uns Erinnern”: 2012, Würzburg 2012. http://www.wir-wollen-uns-erinnern.de/ 68 t u 69 WÜRZBURG WÜRZBURG

Shalom Europa – Jüdisches Leben in Würzburg heute Klaus Rostek, Rivka Scherpf

Das neue Jüdische Gemeinde- und Kultur- und hat einen großen Saal für öffentliche zentrum Shalom Europa ist Sitz der Jüdi- kulturelle Veranstaltungen. Für junge Men- schen Gemeinde Würzburg und Unterfran- schen werden eine Jugendtagungsstätte, ken. Sie ist heute die einzige in der Region.1 ein öffentliches Jugendzentrum sowie eine Es kümmert sich um interne Gemeinde- Mittagsbetreuung auch für nichtjüdische angelegenheiten für die jüdische Bevölke- Schüler geboten. Der Jüdischen Gemeinde rung (orthodoxe Synagoge, Beratungsbüro Würzburg gehören heute mehr als 1000 für Einwanderer, koschere Küche, religiöse Mitglieder an, der überwiegende Teil lebt in Feste, Hilfe für ältere Menschen, religiöse Würzburg. Erziehung und Kurse), ist aber darüber hi-

naus auch aktiv auch für Nichtmitglieder. 1 Im Vergleich: 1933 gab es mehr als 100 jüdische So betreibt Shalom Europa ein Museum Gemeinden in Unterfranken.

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David Schuster Die Jüdische Gemeinde Würzburg nach 1945

Keiner hat die jüdische Gemeinde Würz- 1945 Ab 1991 burgs in der Nachkriegszeit so geprägt Die wenigen unterfränkischen Rückkehrer Mit der Zuwanderung der sogenannten wie David Schuster (1910 - 1999). In seine aus Theresienstadt und Verschleppte aus Kontingentflüchtlinge, Juden aus der ehe- Amtszeit von 1958 bis 1996 fielen der Aus- anderen europäischen Ländern (sog. dis- maligen Sowjetunion, stieg die Zahl der Ge- bau der Gemeinde, die Wiederherstellung placed persons) gründeten bereits 1945 meindemitglieder auf über 1000. des Friedhofsgebäudes auf dem jüdischen die neue Jüdische Gemeinde Würzburg. Friedhof (Würzburg, Werner-von-Siemens- Kurz danach zog die Gemeinde um in die 2001-2006 straße) und der Neubau der Synagoge. Valentin-Becker-Straße und wuchs in den Bau und Einweihung des neuen jüdischen Auch das Projekt Shalom Europa wurde von Folgejahren auf fast 200 Mitglieder. Kultur- und Gemeindezentrums Shalom Eu- ihm auf den Weg gebracht. ropa. In Bad Brückenau geboren wurde er als 24. März 1970 27jähriger 1937 aufgrund seiner jüdischen Einweihung der Neuen Synagoge Würzburg Herkunft im KZ Dachau und ein Jahr spä- ter im KZ Buchenwald inhaftiert. Mit der 1987 Auflage, Deutschland sofort zu verlassen, Bei Bauarbeiten im Stadtteil Pleich wurden wurde Schuster aus der Haft entlassen und fast 1500 Grabsteine und Fragmente vom wanderte 1938 in das damalige britische mittelalterlichen jüdischen Friedhof gefun- Mandatsgebiet Palästina, dem späteren den. Es ist der weltweit größte Fund seiner Israel, aus. Art. Das Dokumentationszentrum für jüdi- 1956 kehrte er nach Würzburg zurück und sche Geschichte und Kultur in der Valentin- engagierte sich für die dortige Jüdische Becker-Straße wurde eingerichtet. Gemeinde. Für seinen Beitrag zur christlich- jüdischen Verständigung und sein Wirken in politischen, jüdischen wie nicht-jüdischen Institutionen in Würzburg und Bayern, er- hielt er zahlreiche Auszeichnungen. Heute ist sein Sohn Dr. Josef Schuster sein Nachfolger als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde.

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Jüdische Einwanderer aus der Junges jüdisches Leben in Würzburg ehemaligen Sowjetunion Im Gespräch mit jungen Leuten der Jüdi- ten von ihnen ist es kein Problem, z.B. ei- Ab 1991 gab es in Deutschland ein be- schen Gemeinde Würzburg: nen nichtjüdischen Partner zu haben oder sonderes Programm für die Integration „Wir bieten viele Aktivitäten an, um jüdi- sich nicht-koscher zu ernähren. Die einzige jüdischer Zuwanderer, um jüdisches Leben schen Kinder und Jugendlichen die Religion Möglichkeit, jüdische Werte zu erleben und und jüdische Kultur in Deutschland zu er- nahe zu bringen: Schabbatfeiern für junge zu erhalten, bietet die jüdische Gemeinde.“ halten und einen Beitrag zur Aufarbeitung Leute, gemeinsam jüdische Feiertage be- „Die Jugendlichen fühlen sich als Deutsche, des Holocausts zu leisten. Zwischen 1991 gehen, Sommer-Lager, ein Jugendzentrum dennoch aber auch als Teil der jüdischen und 2004 wanderten 247.000 Juden nach und vieles mehr.“ Kultur. Und glücklicherweise hatte noch Deutschland ein. Die Gründe für diese mas- „Außerhalb der Gemeinde üben viele keine keiner Probleme mit Antisemitismus – ob- sive Auswanderung waren die schlechten Religion aus, auch weil ihre Eltern oft nicht wohl es diesen sicher auch in Würzburg Bedingungen in den Nachfolgestaaten an Religion interessiert sind. Für die meis- gibt.“ der Sowjetunion (z.B. Russland und Uk- raine). Etwa 1.000 von ihnen kamen nach Würzburg, da es in Unterfranken nur hier eine jüdische Gemeinde gab. Aufgrund des Verbots der Religionsausübung unter dem Kommunismus waren zunächst viele Ein- wanderer nicht religiös jüdisch. Die Jüdi- sche Gemeinde Würzburg bot und bietet bis heute hier Unterstützung, religiöse Kurse zur Eingliederung und Religionsunterricht für jüdische Schüler.

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Synagoge Museum Shalom Europa

Die orthodoxe Synagoge ist das wichtigste Das Museum im Jüdischen Gemeindezen- Zentrum der Jüdischen Gemeinde. trum Shalom Europa zeigt umfassend das Die Abendgebete am Schabbat und an Feier- orthodoxe Leben. Schwerpunkte sind: tagen, im Sommer jeweils um 19:00 Uhr, im • Grundlagen des Judentums Winter um 18:00 Uhr, sind für alle, auch für • Leben und Feste Nichtjuden offen. • Trauer und Gebet Eine Besichtigung der Synagoge für Schul- • Juden in Würzburg klassen und Jugendgruppen ist möglich. • Mittelalterliche Grabsteine aus der Pleich

Anmeldung unter: Öffnungszeiten des Museums: Israelitische Gemeinde Würzburg Mo bis Do 10–16 Uhr Valentin-Becker-Straße 11 So und Feiertage 11–16 Uhr 97072 Würzburg Freitags/Samstags geschlossen Telefon 0931 404140 Valentin-Becker-Straße 11 Mail [email protected] 97072 Würzburg www.shalomeuropa.de Telefon 0931 4041441 Mail [email protected] http://museumshalomeuropa.de Führungen für alle Schularten auf Nachfra- ge auch außerhalb der Öffnungszeiten.

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Fachglossar Rebekka Denz

Antisemitismus Chuppastein bezeichnet die rassistisch motivierte Feind- auch Hochzeitsstein genannt, ist ein an schaft gegen Juden. Den religiös bedingten  Synagogen angebrachter Stein, an dem Hass gegen Juden nennt man Antijudais- bei jüdischen Hochzeiten Glas zerschmet- mus. tert wird. Der Brauch des Chuppasteins war vor allem im süddeutschen Raum verbrei- Bar Mitzwa tet. (aramäisch: Sohn des Gebots) bezeichnet ein Ritual, mit dem die Religionsmündigkeit Displaced Person von männlichen Juden gefeiert wird. Mit 13 (kurz: DP) ist ein englischer Begriff für eine Jahren gilt ein männlicher Jude als religiös Person, die nicht am Ort beheimatet ist. volljährig und zählt als vollwertiger Gottes- Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es jüdi- dienstteilnehmer. sche und nichtjüdische DPs. Jüdische DPs wanderten nach  Palästina oder Übersee Beschneidung aus, kehrten in ihre Ursprungsländer zurück (hebräisch: Brit Mila oder Berit Mila: Bund oder blieben in Deutschland. der Beschneidung) ist ein grundlegendes Gebot im Judentum. Ein männlicher Jude Genisa tritt durch diese am achten Tag nach seiner (hebräisch: Lager, Speicher. Plural Genisot) Geburt in den Bund mit Gott ein. Die Be- ist ein Ablageort in einem Gebäude einer schneidung führt ein ausgebildeter Fach- jüdischen Gemeinde. Dort werden nach mann durch, der Mohel. den Gesetzen der jüdischen Religion nicht mehr nutzbare, religiöse Texte und Literatur Cheder sowie Kultgegenstände aufbewahrt. (hebräisch: Stube, Zimmer) ist die Bezeich- nung für eine traditionelle jüdische Ele- Hebräisch und Jiddisch mentarreligionsschule. Der Cheder befand Hebräisch ist die Sprache der  Tora, der sich zumeist im Privathaus des jüdischen religiösen Literatur und der Gebete. Das Lehrers. Hebräische hat ein eigenes Alphabet, das man von rechts nach links schreibt. In

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Deutschland entwickelten Juden eine eige- Kalender Koscher ne Sprache: das Jüdisch-Deutsche oder das Die jüdische Zeitrechnung beginnt mit der (hebräisch: rein, tauglich) sind solche Lebens- (West-)Jiddische. Jiddisch ist eine Misch- Erschaffung der Welt, wie sie in der  Tora mittel, die den jüdischen Speisevorschriften sprache aus dem mittelalterlichen Deutsch beschrieben ist.  Rabbiner haben die- (im Hebräischen: Kaschrut) entsprechen. Das und vielen hebräischen Begriffen. Jiddisch se auf das Jahr 3760 vor dem Jahr 1 der Gegenteil von koscher ist treife. wird in hebräischen Buchstaben geschrie- christlichen Zeitrechnung festgesetzt. So ben. entspricht das christliche Jahr 2013 dem Mappa jüdischen Jahr 5773. Mit dem Fest Rosch (Plural: Mappot) ist die hebräische Bezeich- Israel ha-Schana (hebräisch: Haupt des Jahres) im nung für Torawimpel. Es bezeichnet ein siehe Palästina September beginnt das neue jüdische Jahr. Stoffband, das um die  Tora gewickelt Im Gegensatz zum christlichen Kalender wird. Auf ihm sind die wichtigsten Lebens- Jeschiwa beginnt der jüdische Tag nicht um Mitter- stationen eines männlichen Juden in Wort ist die hebräische Bezeichnung für eine Tal- nacht, sondern er beginnt und endet mit und Bild dargestellt. mudhochschule. Hier werden meist männli- dem Sonnenuntergang bzw. mit dem Er- che Schüler im Studium der  Tora und des scheinen des ersten Abendsterns. Menora  Talmud unterrichtet. (hebräisch: Leuchter, Lampe. Plural: Meno- Kiddusch rot) ist die Bezeichnung für den siebenar- Jüdischer Friedhof (hebräisch: heilig, Heiligung) bezeichnet den migen Leuchter. Ein solcher Leuchter stand Die Bewahrung der Grabstätten und die Segensspruch über einen Becher Wein, mit bereits im jüdischen Tempel im antiken Einrichtung eines Friedhofs gehören zu den dem der  Schabbat und die jüdischen Fei- Jerusalem. Heute findet man in vielen jü- wichtigsten Aufgaben jeder jüdischen Ge- ertage begonnen werden. dischen Haushalten und  Synagogen eine meinde. Sie ist eine dringendere religiöse Menora. Sie ist ein sehr gängiges Symbol Verpflichtung als die Errichtung einer  Sy- Kippa des Judentums. nagoge. Die Neubelegung einer einzelnen (Plural: Kippot) ist die hebräische Bezeich- jüdischen Grabstätte bzw. die Auflösung nung für die Kopfbedeckung, die jüdische Mesusa eines gesamten jüdischen Friedhofs wird Männer im  orthodoxen Judentum tra- (hebräisch: Türpfosten. Plural Mesusot) be- wegen der traditionellen Vorstellung der gen. Manche tragen die Kippa immer, an- zeichnet eine Kapsel am rechten Innenrah- Auferstehung abgelehnt. Dies auch, da eine dere nur in der  Synagoge, beim Lesen in men der Türen eines Hauses, in dem sich jüdische Grabstätte als Besitz des Verstor- religiösen Texten und beim Friedhofsbesuch Pergamentstreifen mit Texten aus der  Tora benen betrachtet wird. Als besondere Regel ( Jüdischer Friedhof). befinden. Beim Betreten und Verlassen des beim Betreten gilt das Bedecken des Kopfes Hauses wird sie berührt und ein Segens- bei männlichen Besuchern, meist mit einer spruch gesprochen. Kippa.

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Mikwe oder Mikwa (Pl. Mikwaot) Purim Schächten bezeichnet das rituelle Tauchbad. Der Zweck ist ein jüdisches Fest, das so genannte Los- bezeichnet die jüdische Form des Schlach- einer Mikwe liegt nicht in der Erlangung hy- fest (vom Hebräischen pur: das Los). An Pu- tens. Bei dieser Schlachtmethode wird das gienischer, sondern der rituellen Reinheit. rim feiern Juden die Rettung des jüdischen völlige Ausbluten gewährleistet, das durch Jüdische Frauen und Männer besuchen sie Volkes durch Königin Esther. In der  Syn- das Blutgenussverbot der jüdischen Tradi- zu verschiedenen Anlässen. agoge wird die Esther-Rolle gelesen, in der tion gefordert wird. Somit ist Schächtung diese Geschichte erzählt wird. die Voraussetzung für koscheres Fleisch Orthodoxes Judentum ( Koscher). bezeichnet jene jüdische Religionsströ- Rabbiner mung, die an der traditionellen Praxis und (vom Hebräischen: rabbi: mein Meister) ist Schutzjuden Lebensform festhält. Der Begriff entstand ein Schriftgelehrter, der an einer besonde- Juden in Deutschland waren zwischen dem erst im 19. Jahrhundert, um sich vom neu ren Schule die  Tora und ihre Auslegun- 15. bis ins 19. Jahrhundert dazu gezwun- entstehenden Reformjudentum abzugren- gen studiert hat. Wegen seiner Kenntnisse gen, sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes zen. ist er in allen religiösen Fragen zuständig unter den Schutz des jeweiligen Herrschers und übernimmt so auch richterliche Funk- zu begeben. Den Schutzjuden wurde in so- Palästina tionen in der jüdischen Gemeinde. Als geis- genannten Schutzbriefen ein zeitlich be- (hebräisch: Eretz Israel) bezeichnet die Re- tiges Oberhaupt einer jüdischen Gemeinde grenztes Recht zur Niederlassung gewährt. gion im Nahen Osten, die häufig auch als nimmt er ebenfalls seelsorgerische und „Heiliges Land” bezeichnet wird. Palästina pädagogische Aufgaben wahr. Nicht jede Schutzjudenhaus war bis 1922 nie eine politische Einheit und Gemeinde hat einen eigenen Rabbiner. Der  Schutzjuden hatte folglich auch keine eindeutigen Gren- Gottesdienst muss nicht unbedingt von ei- zen. Am 14. Mai 1948 wurde in Teilen des nem Rabbiner geleitet werden, dies ist meist Shoah Gebietes Palästina der Staat Israel ausge- die Aufgabe der  Vorsänger. (hebräisch: Verwüstung, Vernichtung, Ka- rufen. tastrophe) bezeichnet die ideologisch vor- Schabbat bereitete und durchgeführte industrielle Pessach gilt als der siebte Tag der Schöpfung. Der Massenvernichtung weiter Teile der euro- ist die hebräische Bezeichnung für das sie- wöchentliche Ruhetag beginnt wie alle päischen Judenheit im nationalsozialisti- bentägige jüdische „Fest der ungesäuerten jüdischen Tage bei Erscheinen des ersten schen Machtbereich von 1933 bis 1945. Der Brote”. Es wird an den Auszug des jüdischen Abendsterns am Vorabend, also der Schab- Begriff Holocaust (griechisch: Brandopfer; Volkes aus Ägypten erinnert. Aus Anlass des bat am Freitagnachmittag. Ganzopfer) gilt aufgrund seines Wortur- Festes werden spezielle ungesäuerte Brot- sprungs zum Teil als problematisch emp- fladen gegessen, die so genannten Mazzot fundenes Synonym für Shoah. (auch: Mazzen).

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Stolpersteine Tallit Die Mischna (hebräisch: Lernen, Wieder- siehe die Kapitel über Senta Kannenma- ist die hebräische Bezeichnung für den Ge- holung) ist ein Gesetzeswerk, das die Fünf cher aus Aub, S. 22 und Hermann Stern aus betsmantel. Im  orthodoxen Judentum Bücher Moses erweitert. Die Gemara (ara- Veitshöchheim, S. 49. legen sich nur männliche Juden dieses Tuch mäisch: Vollendung, Abschluss) wiederum beim Gebet in der  Synagoge und zu Hau- kommentiert und diskutiert die Mischna. Sukka se um. Im Unterschied zur schriftlichen Tora wurde (hebräisch: Laubhütte. Plural: Sukkot) be- der Talmud zunächst mündlich tradiert und zeichnet die Laubhütte, in der Teile des Talmud erst im 2. Jahrhundert u. Z. schriftlich ko- siebentägigen jüdischen Festes Sukkot, des  Tora difiziert. Er wird bis heute fortgeschrieben. Laubhüttenfestes, gefeiert werden. An Suk- kot erinnern sich Juden an den Auszug aus Tora Vorbeter oder Vorsänger Ägypten. Das Fest weist auch Züge eines (hebräisch: Lehre, Gesetz) ist eine Bezeich- (hebräisch: Chasan, Plural Chasanim) liest Erntedankfestes auf. Die Laubhütte wird nung für die schriftliche und mündliche in einer  Synagoge aus der  Tora und im Freien oder an einer dafür geeigneten Überlieferung. Im Sinne der schriftlichen spricht bzw. singt die Gebete. In vielen Stelle im Haus errichtet. Das Dach einer Überlieferung bezeichnet man die Fünf Landgemeinden hatte der Vorsänger die Laubhütte muss geöffnet werden können. Bücher Moses als Tora. In der  Synago- Aufgabe, die jüdischen Kinder im Fach Reli- Zum Fest werden besondere Feststräuße ge wird dieser Text auf handgeschriebenen gion zu unterrichten. aus verschiedenen Zweigen (Palme, Myrte, Pergamentrollen im Tora-Schrein aufbe- Bachweide) gebunden und ein Paradiesap- wahrt. Die Herstellung der Tora folgt stren- fel (Etrog) bereitgehalten. Der Strauß heißt gen Vorschriften über die Art des verwen- „Lulav“. deten Materials, die Gestaltung und alle Arbeitsgänge. Die Tora wird innerhalb eines Synagoge Jahres in einem festgelegten Zyklus wäh- (vom Griechischen: sich versammeln) be- rend der Schabbatgottesdienste ( Schab- zeichnet ein jüdisches Mehrfunktionshaus, bat) vollständig vorgelesen. in dem jüdische Gottesdienste abgehalten In einer weiter gefassten Bezeichnung ver- werden, studiert wird und sich die Gemein- steht man die gesamte Hebräische Bibel de versammelt. Die Synagoge wird häufig (Fünf Bücher Moses; Propheten; Schriften) auch „Judenschul” oder „Judenschule” ge- als schriftliche Tora. Als mündliche Überlie- nannt, was nicht mit einer jüdischen Schule ferung bezeichnet man den Talmud (hebrä- zu verwechseln ist. isch: Lernen, Lehre, Studium), der sich wie- derum in Mischna und Gemara unterteilt.

84 t u 85 ZUM PROJEKT ZUM PROJEKT

Projektgruppen und Verantwortliche Jugendaustausch und Projektarbeit

Gruppe Aub Gruppe Veitshöchheim Seit 1990 organisieren die Partnerland- Projektbeteiligte Frank Finkenberg Martina Edelmann kreise Würzburg und Mateh Yehuda (Isra-  Landkreis Würzburg Liron Aharon Karen Heußner el) Jugendaustauschprogramme in enger  Landkreis Mateh Yehuda (Israel) Natalia Nazarenko Zippi Yedidya Zusammenarbeit mit der EinKarem High-  Kooperationsprojekt Landjudentum Jonathan Hansen Maike Rösch school, dem Deuschhaus-Gymnasium in Unterfranken Idan Zarmon Nitsan Lui Würzburg und dem Gymnasium Veits-  EinKarem Highschool (Israel) Julia Kuhl Jonathan Hofinger höchheim. 2012 habe 16 israelische und 17  Deutschhaus-Gymnasium Würzburg Einat Kazari Omer Cohen deutsche Jugendliche gemeinsam in einer  Gymnasium Veitshöchheim Verena Köbler 2 ½-tägigen Projektarbeit ehemalige jüdi-  Johanna-Stahl-Zentrum Gruppe Gaukönigshofen Yuval Cohen sche Orte in Stadt und Landkreis Würzburg  Israelitische Gemeinde Würzburg Klaus Rostek Yuval Shunari aufgesucht, anhand von Biografien all das Lara Neuhauser zusammengetragen und dokumentiert, was Förderhinweis Yael Botanerero Gruppe Würzburg (Hanauer) heute noch sehen ist. Ergänzend hat sich  Jugendaustausch und Projekt sind ge- Lukas Ott Stefanie Neumeister eine Arbeitsgruppe mit dem jungen jüdi- fördert aus Mitteln des Bundesjugend- Stav Ohayon Rachel Baraboj schen Leben heute in Würzburg befasst. Die planes und des Landkreises Würzburg. Lukas Weber Alina Bastian Ergebnisse der binationalen Arbeitsgruppen  Die Broschüre wurde gefördert aus Mit- Doron Barnanadov Shaked Cohen sind in dieser Broschüre zusammengetra- teln des Landkreises Würzburg und des Liel Levi gen. Kooperationsprojektes Landjudentum in Gruppe Höchberg Unterfranken. Andrea Sterzinger Gruppe Würzburg (Loewenberg) Elisabeth Rudi Rebekka Denz Sara Yachnin Nira Gabay Philipp Siebenlist Hila Cohen Neta Daniel Nicole Hofmann David Schneller Shalom Europa Rivka Scherpf Jonathan Gerschütz Eilon Rafael Wir bedanken uns für die Unterstützung Leonie Fritsche bei Georg Pfeuffer (Aub) und Paul Lesch Rotem Swissa (Gaukönigshofen).

86 t u 87 Kontakt und Information

Landkreis Würzburg – Kommunale Jugendarbeit Klaus Rostek Zeppelinstr. 15, 97074 Würzburg Tel. 0931 8003-376 Mail [email protected]

Deutschhaus-Gymnasium Würzburg Frank Finkenberg Zeller Strasse 41, 97082 Würzburg Tel. 0931 35940-0 Mail [email protected]

Kooperationsprojekt Landjudentum in Unterfranken Projektmanagerin Rebekka Denz Tel. 0931 9701637 Mail [email protected]