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MANFRED KAPLUCK Kommunisten contra bürgerliche Demokratie? Das KPD-Verbot und die Folgen

STEFAN BOLLINGER : Wie kamen Sie zur kommunistischen Bewe - gung, was prägte Sie?

MANFRED KAPLUCK : Darf ich zunächst einen Gedanken zu Ihrem Gesprächstitel sagen? Kommunisten standen einer bürgerlichen Demokratie in dem angesprochenen Zeitraum nie konträr gegenü - ber. Sie beteiligten sich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und wurden später seine Verteidi - ger gegen negative Veränderungen. Selbstverständlich traten sie für eine Alternative zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung ein und erkennen auch heute noch im Sozialismus die bessere Demokratie. Mit 16 Jahren wurde ich, zunächst entsprechend einer Familien- tradition, im Juni 1945 in Essen Mitglied der Kommunistischen Manfred Kapluck – Jg. 1929 Partei Deutschlands. Zunächst wollte ich nicht in die Jugendarbeit (geb. in Essen), Leiter der eingebunden werden, fühlte mich eher zu Erwachsenen hingezo - Jungen Pioniere für die gen, erhielt jedoch kurzerhand meine erste »Überzeugung« beige - Bundesrepublik, 1952 bracht und wurde so zum Mitbegründer der Freien Deutschen inhaftiert, 1960 Mitglied des Politbüros des ZK der KPD, Jugend in Westdeutschland. Gemeinsam mit anderen Freunden 1968 Mitglied des Initiativ- vertrat ich 1946 auf dem ersten Parlament der FDJ in Brandenburg ausschusses für die die FDJ Westdeutschlands und lernte dort Erich Honecker, Paul Wiederzulassung der KPD, Verner, Hermann Axen, Heinz Keßler und Horst Brasch kennen. November 1968 Mitglied Vielleicht besagt das nicht viel, doch begann hier eine langjährige des Arbeitsausschusses zur Zusammenarbeit. Erst Kreisvorsitzender der FDJ in Essen, später Neukonstituierung der DKP, langjähriger Bezirksvorsit - Leiter der Jungen Pioniere für die Bundesrepublik und Mitglied zender der DKP in - des Sekretariats des Zentralbüros der FDJ Westdeutschlands. Mit Westfalen, gegenwärtig in gefangen, mit gehangen: Das FDJ-Verbot 1951 war ein erster der Marx-Engels-Stiftung Schock. Immerhin saß ich mit einigen Freunden bereits Anfang e. V. Wuppertal tätig. 1952 im Essener Knast. Wir hatten keine silbernen Löffel geklaut, ignorierten allerdings das FDJ-Verbot und erklärten, weiterhin tätig sein zu wollen. Ergebnis: Anklage wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« beim Bundesgerichtshof. Nach der Gefängnishaft folgten vierzehn Jahre in der Illegalität. Das spricht sich leicht, war gewiß mit der Zeit der Älteren während des Faschismus nicht zu vergleichen, war jedoch auch nicht nur abenteuerlich schön, zumal lange Trennungen von der Familie erforderlich wurden. Deutschlandtreffen der Jugend in Berlin, Weltfestspiele der Ju - gend und Studenten in Warschau, Moskau und Wien durfte ich ar - beitsmäßig begleiten. 1960 fand ich mich im ZK der KPD und im Politbüro der Partei wieder. 1966 folgten noch einige Prozesse, die ausgingen wie das Hornberger Schießen, mir jedoch zur Legalität KAPLUCK Interview 68

»In Bonn wird von deut - schen Politikern auf Befehl verhalfen. Im Auftrag unserer Parteiführung gründete ich gemein - der Besatzungsmächte eine sam mit vier weiteren Genossen den »Initiativausschuß für die sogenannte Verfassung Wiederzulassung der KPD«, war nach der Neukonstituierung der beraten, die in Wirklichkeit DKP zwölf Jahre Bezirksvorsitzender der DKP in Ruhr-Westfalen, nur das Feigenblatt zur Ver - arbeitete später für den Parteivorstand und bin seit 1989 in der deckung des Kolonialregi - MARX-ENGELS-STIFTUNG in Wuppertal tätig, natürlich ehren - mes ist. Die zu bildende westdeutsche Regierung amtlich. Zuviel des Lebenslaufs, zu wenig zur Politik und Arbeit. wird demnach nichts ande - res sein, als eine Marionet - STEFAN BOLLINGER : Seit Februar 1949 war die KPD nach Beendi - ten-Regierung des Besat - gung der »sozialistischen Arbeitsgemeinschaft von SED und 1 zungsregimes... KPD« formal selbständig. Wie haben Sie diese »Selbständigkeit« Zur Durchführung dieser erlebt? Oder anders gefragt, war die KPD nicht die westdeutsche ihrer Politik bedienen sich Bezirksleitung der SED? Immerhin war die Westabteilung beim diese Kräfte gewisser Parteiführer Westdeutsch - SED-ZK, bei wechselnden Namen, für die Anleitung der westdeut - lands. Durch die führenden schen Genossen verantwortlich. Max Reimann stand bis Ende der Politiker der CDU, FDP und sechziger Jahre auf der Einladungsliste für SED-Politbüro-Sitzun - SPD, durch die Doktoren gen. Adenauer, Blücher und Schumacher wird die Politik MANFRED KAPLUCK : Selbständigkeit erlebte ich von Anfang an. Sie des westdeutschen Mono - polkapitals und seiner deut - bezog sich auf unseren und meinen Verantwortungsbereich in den schen Junior-Partner auf Westzonen und dann in der BRD. In meiner Arbeit vor Ort, aber Versklavung durch Marshall- auch bei Verhören, im Gefängnis oder vor Gericht konnte mir die Plan, Ruhr- und Besat - SED doch wohl nicht direkt helfen, sondern stets nur meine Um - zungsstatut unterstützt und gebung, also die Partei. Um so höher bewerte ich die Solidarität, gerechtfertigt.« die wir auch von der SED empfingen. Entschließung der Solinger Vielleicht ist es hier angebracht, Fragen, die früher wie heute an Delegiertenkonferenz der KPD (5.-6. März 1949), in: uns gerichtet werden, historisch sachlich zu beantworten, auch Günter Judick, Josef wenn sie polemisch gestellt wurden: »War Ihre Partei nicht ein An - Schleifstein, Kurt Steinhaus hängsel der SED?«; »Hatte Ihre Partei überhaupt und vielleicht erst (Hrsg.): KPD 1945-1968. nach Stalins Tod und später nach dem XX. Parteitag der KPdSU Dokumente. Bd. 1. Neuss eine Möglichkeit, eigenständige Politik zu betreiben?« So ähnlich 1989, S. 267/268, 271. lauten ja auch Ihre Fragen. Wir sollten uns erinnern: Die KPD wurde 1918 konstituiert. Sofort setzte eine Verfolgung ein, die mit dem feigen Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ihren ersten Horror-Höhe - punkt hatte. Nach einem ersten kurzzeitigen Verbot war die KPD dann 1933 erneut der Illegalität und dem mörderischen Terror des Faschismus ausgesetzt. In all diesen Jahren waren und blieben wir die Kommunistische Partei Deutschlands. Was sollte sich daran 1945, nach der Befrei - ung vom Faschismus ändern? Der Vorsitzende des Zentralkomitees war Wilhelm Pieck, in diesem Komitee wurden die Weichen gestellt. Die Aufteilung unseres Landes in Zonen konnte uns doch nicht daran hindern, daß wir uns als eine aus der Tradition ge- wachsene Partei verstanden, die mit dem Aufruf der KPD auch kla - re Vorstellungen zur aktuellen Situation wie zu ihren Zielen hatte. Wir waren eine Partei, die lediglich durch Zonengrenzen ge - trennt, unterschiedliche Bedingungen ihrer Arbeit vorfand. Auffas - sung und Erwartung, über den Weg der Einheit Deutschlands wie - der zu einer einheitlichen Organisation zu finden, blieben auch nach der Vereinigung von KPD und SPD in der sowjetischen Be - satzungszone Allgemeingut von SED wie KPD. Wenn gemeinsame 69 KAPLUCK Interview

»Die Gegner der Bundes- Ziele auch nicht erreicht werden konnten, der innere Verbund, die republik verstärken ihre totale Solidarität der SED mit der KPD blieb und war für uns west - Bemühungen, die freiheitli - deutsche Kommunisten Selbstverständnis. che demokratische Grund - Daß sich damit Probleme verbanden, die über Mißverständnisse ordnung zu untergraben. hinaus durch eine von uns gewollte Zusammengehörigkeit weiter Jede Teilnahme an solchen Bestrebungen ist unverein - zu einer gewissen Abhängigkeit und auch zu Fehlern in der politi - bar mit den Pflichten des schen Tätigkeit führten, soll nicht verschwiegen werden. Doch ver - öffentlichen Dienstes. Alle standen wir diese Kampfgemeinschaft zwischen der SED und der im unmittelbaren oder mittel - KPD stets als Bund der Solidarität. Max Reimann war vor dem baren Bundesdienst stehen - Verbot der KPD Vorsitzender der Partei und wurde nach dem Ver - den Personen haben sich bot Erster Sekretär des Zentralkomitees. Ein Bergarbeiter, der nach gemäß § 3 des vorläufigen der KZ-Haft in die Verantwortung der Führung der KPD gestellt Bundespersonalgesetzes durch ihr gesamtes Verhal - wurde und mit unserer Partei in allen Phasen den Weg engster Zu - ten zur demokratischen sammenarbeit mit der SED sowie mit der Führung der KPdSU in Staatsordnung zu beken - allen Phasen ging. Das war gewünscht und gewollt. nen. Wer als Beamter, An - Keine Abteilung, auch nicht die Westabteilung des ZK der SED, gestellter oder Arbeiter im hatte das Recht, dem Politbüro der KPD Anweisungen zu geben. Bundesdienst an Organisa - Dennoch arbeiteten wir mit den Genossinnen und Genossen gern tionen oder Bestrebungen zusammen. Hatten sie doch zahlreiche Kontakte zu westdeutschen gegen die freiheitliche de - mokratische Staatsordnung Parteien, Organisationen und Persönlichkeiten und waren selbst teilnimmt, sich für sie ausgebildete wissenschaftliche Fachkräfte. Eine gute konstruktive betätigt oder sie sonst un - Zusammenarbeit fand auf der Ebene der Politbüros statt. Nicht terstützt, wer insbesondere ohne Grund wurde Max Reimann zu Politbürositzungen der SED im Auftrag oder im Sinne eingeladen, er nahm natürlich vorwiegend an Beratungen zu der auf Gewalthandlungen gesamtdeutschen Problemen teil. abzielenden Beschlüsse des Ich selbst habe die KPD stets als eigenständige politische 3. Parteitages der kommuni - stischen SED und des soge - Kampfgemeinschaft empfunden, in die wir uns selbst mit Arbeit, nannten ›National-Kongres - mit Ideen und auch mit streitbarer Meinung einbringen konnten. ses‹ wirkt, macht sich einer Gleichzeitig erwartete ich jedoch von meiner Partei, daß sie eng schweren Pflichtverletzung mit der SED und der KPdSU verbunden blieb. schuldig. Zu den Organisationen, STEFAN BOLLINGER : Wie wirkte sich diese Zusammenarbeit bzw. deren Unterstützung mit den Dienstpflichten unvereinbar Abhängigkeit in der praktischen Politik ab 1949 aus? War auch die sind, gehören insbesondere: »Hand Moskaus« zu spüren? Verstand man überhaupt in Berlin und 1. die Kommunistische Par - gar in Moskau die spezifische Situation im Westen? tei Deutschlands mit all ihren Unterorganisationen, MANFRED KAPLUCK : Gegenfrage: Wodurch war denn die spezifi - 2. die sozialdemokratische sche Situation in Bonn, Hamburg oder München gekennzeichnet? Aktion, Der Kalte Krieg begann pünktlich. Viel hing von der seit 1949 3. die Freie Deutsche Jugend (FDJ), begonnenen Remilitarisierung der Bundesrepublik ab. Zur Restau - 4. Die Vereinigung der So - ration des Kapitalismus in unserem Land gehörte das erklärte Ziel wjetfreunde, der politischen und später militärischen Integration in das westli - 5. die Gesellschaft zum Stu - che Bündnis. Die Spaltung Deutschlands wurde in Kauf genom - dium der Kultur der Sowjet- men, denn der Sozialismus in den östlichen Ländern sollte Union, zunächst zurückgedrängt und über diesen Weg die DDR »befreit 6. der Kulturbund zur demo - werden«. kratischen Erneuerung Deutschlands, Damals standen die Kommunisten gemeinsam mit Gewerkschaf - 7. der gesamtdeutsche ten und anderen demokratischen Kräften gegen die Remilitarisie - Arbeitskreis für Land- und rung, für die Einheit des Landes. Würden zunächst die aktivsten Forstwirtschaft. Kräfte ausgeschaltet, also z.B. die FDJ und später die Kommuni - 8. das Komitee der Kämpfer sten, die als »Brückenkopf des Ostens« bezeichnet wurden, dann für den Frieden, erschien die Realisierung der Regierungspolitik günstiger. Die KAPLUCK Interview 70

9. das Komitee der Jungen Friedenskämpfer, Politik der Herrschenden in Westdeutschland war durchsichtig. 10. die Vereinigung der Ver - Warum sollte sie in Berlin und Moskau nicht erkannt werden? folgten des Naziregimes ... Gegen Schuldige ist un - STEFAN BOLLINGER : Warum verlor die KPD seit 1947/48 so schnell nachsichtig die sofortige Entfernung aus dem Bun - ihren Masseneinfluß in Westdeutschland? Wirkte das Beispiel desdienst ... herbeizu - SBZ/DDR oder waren es vornehmlich interne Schwächen in der führen.« Führungstätigkeit und in der Massenarbeit? Politische Betätigung von Angehörigen des öffentli - MANFRED KAPLUCK : Nach 1945 hatte die KPD einen guten Start. chen Dienstes gegen die Trotz der zahlreichen Opfer, der Dezimierung der KPD durch demokratische Grundord - zwölf Jahre des Terrors stieg die Mitgliedschaft schnell auf etwa nung, Beschluß der Bundes - regierung vom 19. Septem - 200.000. Bis 1953/1956 war die KPD mit Fraktionen im Deutschen ber 1950, in: Georg Fülberth , in Landtagen sowie in hunderten Stadt- und Gemein - (Hrsg.), a.a.O., S. 83f. deparlamenten vertreten. Bis 1947/48, während des demokrati - schen Aufbruchs nach der Befreiung Deutschlands vom Faschis - mus, wirkte sie in der Regierung Karl Arnolds in Nordrhein-West - falen sowie in sämtlichen Landesregierungen mit Ausnahme Schleswig-Holsteins und Württemberg-Hohenzollerns mit. Die Partei war mit ihren Mitgliedern aktiv am Aufbau der Gewerk - schaften und getreu ihrer antifaschistischen Tradition an der demo - kratischen Neugestaltung unseres Landes beteiligt. So weit so gut. Doch die konservativen Kräfte der Bundesrepublik retteten den Antikommunismus aus der faschistischen Zeit in die neue hinüber. Westliche Besatzungsmächte gaben die Zutaten. Bereits 1950 wur - den durch einen Adenauererlaß Kommunisten aus den Verwaltun - gen entfernt. Die Tätigkeit von uns Kommunisten wurde krimina - lisiert. Zu diesem Zeitpunkt konnte das Beispiel SBZ/DDR wohl kaum wirken, zumal Blockade und Verleumdung unmittelbar ein - setzte. Wer will, wer darf in einer solchen Situation mit Kommuni - sten zusammenarbeiten? Der öffentliche Druck schlug sich bei Wahlen nieder – erst recht 1953, kurz nach den Ereignissen des »Bundesinnenminister Dr. 17. Juni. Folgerichtig erleichterte diese Kriminalisierung, sowie gab laut Neue Verfolgungen, öffentlichkeitswirksam inszeniert, die Vorbereitung Zeitung dem Bundestag be - des KPD-Verbots. kannt, daß alle Organisatio - Mängel, Schwächen und Fehler in der eigenen Parteiarbeit nen, die eine von den Kom - können wir natürlich immer ausmachen, nicht nur in der Aufbau - munisten inszenierte Volks - befragung gegen die Remili - phase. Daß kommunistische Politik nicht unfehlbar ist, mußten wir tarisierung vorbereiten, auf unlängst bitter erfahren. einstimmigen Beschluß der Bundesregierung vom STEFAN BOLLINGER : Hätte die KPD nicht mehr auf Distanz zur SED 24. April [1951] gemäß Arti - gehen müssen? Die Probleme der Übernahme des sowjetischen kel 9 Absatz 2 des Grund - Modells im Osten Deutschlands dürften ihr doch nicht entgangen gesetzes der Bundesrepu - sein? Wie wirkte sich überhaupt die Verhaftung führender west - blik verboten worden sind. Die kommunistische Volks - deutscher Kommunisten wie Kurt Müller und Fritz Sperling auf die befragung wurde verboten, Stimmung der KPD aus? da sie ... die verfassungs - mäßige Ordnung des Bun - MANFRED KAPLUCK : Distanz zur SED? Das wäre eine Distanz zur desrepublik zerstören will.« antifaschistisch-demokratischen Ordnung, zum Streben nach Wie - [Verbot der Volksbefragung dervereinigung, zur Forderung nach Abschluß eines Friedensver - gegen die Remilitarisierung], in: Georg Fülberth (Hrsg.), trages mit Deutschland und natürlich auch Distanz zu dem Versuch a.a.O., S. 84. geworden, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Und wohin dann mit Erkenntnissen, mit Ideen, mit unserer Politik 71 KAPLUCK Interview in Westdeutschland? Vielleicht in den Schoß derer kriechen, die über die Westintegration eine Liquidierung der DDR anvisierten? Sollten wir Wohlverhalten gegenüber den etablierten Parteien üben? Vielleicht »bitte, bitte« sagen, damit wir nicht verfolgt und verboten werden? Zu diesen Fragen möchte ich ausführlicher antworten dürfen. Zwischen dem Beginn der Remilitarisierung und dem Verbot der KPD lagen sechs Jahre. Interessant ist, daß der Verbotsantrag durch die Adenauer-Regierung bereits vier Jahre vorher gestellt wurde. Das stand durchaus im Zusammenhang mit dem Verbot der FDJ von 1951. Verbote gegen den Demokratische Frauenbund Deutsch - lands, den Demokratische Kulturbund sowie die Aktion »Frohe Ferien für alle Kinder« folgten. Selbst das Eintreten für gesamt - deutschen Sportverkehr wurde behindert und unter Strafe gestellt. Betriebsräte einer Oberhausener Schachtanlage erhielten für Ver - handlungen mit dem Ministerpräsidenten der DDR Otto Grote - wohl, die sie über den Ankauf westdeutscher Steinkohle führten, Gefängnisstrafen. In jüngster Zeit wurde häufiger publiziert, daß bis 1968 gegen et - »Das Adenauer-Regime ist wa 200.000 Menschen unmittelbar polizeiliche und gerichtliche der Feind der Volksrechte Ermittlungsverfahren angestrengt wurden und ca. 500.000 mittel - und jeder Demokratie. bar betroffen waren. Die Zahl der durch die Justizbehörden in Ge - Wenn die Bevölkerung Westdeutschlands leben fängnisse verbrachten Bundesbürger lag vor dem KPD-Verbot be - will, muß sie das Adenauer- reits bei 3.000 und erhöhte sich aber nach dem Verbot – ohne kurz - Regime stürzen. fristige Festnahmen – noch einmal bis auf insgesamt 10.000 Es wäre lächerlich zu Jugendliche, Frauen und Männer, die teilweise zu mehrjährigen erwarten, daß das Regime Haftstrafen, oft mit nachfolgenden Nebenstrafen und zur Polizei - Adenauer, welches die für aufsicht verurteilt wurden. die Bevölkerung unerträgli - Wer stand denn in dieser Zeit solidarisch zu uns? Können Sie chen Verhältnisse in West - deutschland geschaffen hat, verstehen, daß auch unter dem Druck und den Verfolgungen, denen selbst den Wunsch hätte, wir ausgesetzt waren, das Wort Distanzierung für uns ein Fremd - daß diese Verhältnisse wie - wort blieb? der abgeschafft werden. Es Wer will behaupten, daß im Osten Deutschlands das sowjetische wäre ferner ein Trugschluß Modell übernommen worden sei. Das Rätesystem? Das Einpartei - zu meinen, westdeutsche ensystem? Die totale Veränderung sämtlicher Eigentumsformen? Pseudowahlen unter dem Auch gegenüber der Entwicklung in der DDR hatte die KPD ent - Adenauer-Regime der Täu - schung und Unterdrückung sprechend der Lage in der Bundesrepublik durchaus eigene pro - des Volkes, oder Teilrefor - grammatische Vorstellungen, selbst wenn sie zu dieser Zeit noch men, welche die Grundlage stark ideologisch mit der Zielstellung der internationalen kommu - der in Westdeutschland be - nistischen Bewegung nach der Ablösung des Kapitalismus durch stehenden Ordnung unan - eine proletarische Revolution und die Errichtung der Diktatur des getastet lassen, könnten Proletariats verhaftet waren. den Notstand in West - deutschlands beseitigen und Vergessen wir bitte nicht, das Leben und die politische Existenz zur Vereinigung Deutsch - deutscher Kommunisten hing vom Sieg der Sowjetunion und ihrer lands führen. Die Unter - Verbündeten über den Faschismus ab. Das prägte die Politik und drücker werden alle ihnen auch das Verhältnis zur KPdSU. Lange Zeit blieben wir unkritisch, zur Verfügung stehenden selbst gegenüber Stalinschen Verfehlungen und Verbrechen. Natür - Machtmittel benutzen, um lich war die Verhaftung der stellvertretenden Vorsitzenden der eine grundlegende Ände - KPD, Kurt Müller und Fritz Sperling, ein Thema in der Partei. Vie - rung der bestehenden Lage und die nationale Vereini - le waren im Zweifel. Konnte es sich nicht doch um eine Agen - gung Deutschlands zu ver - tentätigkeit in den eigenen Reihen handeln? Gegeben hatte es das hindern, Deshalb muß das allemal und war uns auch später nicht fremd. Besonders schlimm KAPLUCK Interview 72

Regime Adenauer gestürzt und auf den Trümmern die - war für die KPD die 1949 begonnene Auseinandersetzung mit dem ses Regimes ein freies, »Titoismus«. Pauschale Verdächtigungen und unzureichende sach - einheitliches, unabhängiges, liche Auseinandersetzung schadeten der KPD wie der gesamten demokratisches und kommunistischen Bewegung in diesen Jahren. Die KPD verlor friedliebendes Deutschland geschaffen werden. eine Reihe ihrer erfahrensten Funktionäre und in der Folge viele Nur der unversöhnliche und Mitglieder. Die Art der Auseinandersetzung behinderte das Erken - revolutionäre Kampf aller nen eigener Fehler. Es war also mehr als eine Stimmung oder ein deutschen Patrioten kann Thema. und wird zum Sturz des Adenauer-Regimes und STEFAN BOLLINGER : Am 17. August 1956 wurde nach langem Pro - damit zur Beseitigung der zeß im Kalten-Kriegs-Klima die KPD durch das Bundesverfas - Herrschaft der amerikani - schen Imperialisten in West - sungsgericht verboten. Das war in der bundesdeutschen Geschich - deutschland führen.« te – neben dem Verbot der rechtsextremen Sozialistischen Reichs - Programm zur nationalen partei – ein einmaliger Vorgang. Fast einmalig war dieses Verbot Wiedervereinigung Deutsch - aber auch in Westeuropa. War das nur Ausdruck des zutiefst reak - lands. Beschlossen vom tionären Charakters des »Adenauer-Regimes« des »nationalen 2 PV der KPD (2. November Verrats« , das »gegen das Volk regiert«? Oder konnten die 1952), in: Günter Judick, Josef Schleifstein, Kurt herrschenden konservativen Kräfte Schwächen und ernste Fehler Steinhaus (Hrsg.), a.a.O., der KPD-Politik ausnutzen? Bd. 1, S. 404. MANFRED KAPLUCK : Vielleicht beantwortet Ihre erste Frage die zweite. Das Klima des Kalten Krieges wollen wir nicht mit einer Klimaanlage in heißen Bürohäusern vergleichen. Darf ich mich hier wiederholen? Die Restauration des Kapitalismus wurde vor - angetrieben. Westintegration stand auf der Tagesordnung. Die Remilitarisierung wurde durchgesetzt, die Spaltung vertieft und zuerst die BRD als Separatstaat gebildet. Konnten wir das etwa als nationale Politik bezeichnen? Dennoch, politische Fehleinschätzungen, wenn auch der Situati - on geschuldet, sowie verengte programmatische Aussagen schade - ten und wurden verständlicherweise vom Gegner ausgenutzt. Im - merhin formulierte die Erklärung des Parteivorstandes der KPD vom 17. August 1956: »Mit dem Verbot der KPD ist die Adenauer- Regierung zur reaktionärsten Regierung Europas geworden.« Und: »Der Weg von 1933, der Weg der Unterdrückung der Arbeiterbe - wegung ist damit beschritten worden.« Von dieser ersten Reaktion, die auf einen Vergleich mit dem faschistischen Regime hinauslief, bis zur Erkenntnis, daß selbst legale Initiativen zur Zurückgewin - nung der Legalität möglich sind, war ein weiter Erkenntnisweg. Politische Veränderung in der Arbeit waren notwendig, gleichzei - tig erlebten wir die Härte des Vorgehens gegen Kommunisten.

STEFAN BOLLINGER : Welche Rolle spielte aus Ihrer Sicht das »Pro - gramm zur nationalen Wiedervereinigung« von 1952? Erwies es sich nicht als Verhängnis, mit alten Klassenkampfparolen in einer nunmehr doch funktionierenden parlamentarischen Demokratie zu operieren? Und verbaute sich die KPD mit ihren Angriffen auf die »rechten Gewerkschaftsführer« und die SPD nicht alle ernst - haften Möglichkeiten für die selbst immer gewünschte Einheits - 3 front-Politik. Wobei die SPD-Führung aus ihrem Antikommunis - mus keinen Hehl machte, aber »ein grober Klotz auf einen groben Keil«? 73 KAPLUCK Interview

»In dem Verfahren über den MANFRED KAPLUCK : Obwohl das »Programm zur nationalen Wie - Antrag der Bundesregierung dervereinigung« von der KPD erst nach dem Verbotsantrag 1952 auf Feststellung der Verfas - beschlossen wurde, reduzierte das Bundesverfassungsgericht das sungswidrigkeit der Kommu - Programm auf die Forderung nach einem »revolutionären Sturz des nistischen Partei Deutsch - Adenauer-Regimes« zur Beweisführung im Verbotsprozeß. Gewiß lands hat das Bundesverfas - sungsgericht – Erster Senat war das Programm Reaktion auf die Politik der Regierung Aden - – aufgrund der in der Zeit auer, die jeden Ansatz einer Wiedervereinigung im Keim erstickte vom 23. November 1954 bis und die Spaltung Deutschlands vertiefte. Übrigens trat eben wegen zum 14. Juli 1955 durchge - dieser Politik Gustav Heinemann bereits 1951 als Innenminister führten Verhandlung durch zurück und aus der CDU aus. Das Programm forderte die Bildung Urteil einer Regierung der nationalen Wiedervereinigung. Dennoch, mit für Recht erkannt: Fehleinschätzungen der Situation und der seltsam unrealistischen I.1. Die Kommunistische Partei Deutschlands ist ver - Forderung nach dem »revolutionären Sturz des Adenauer-Regi - fassungswidrig. mes« wurde der KPD großer Schaden zugefügt. 2. Die Kommunistische Par - Noch verheerender waren die Thesen, die auf dem ersten tei Deutschlands wird auf- regulären Parteitag der KPD 1951 angenommen wurden. Doch gelöst. auch hier möchte ich zunächst auf die politische Entwicklung ver - 3. Es ist verboten, Ersatzor - weisen. Der gemeinsame antifaschistische Kampf von Kommuni - ganisationen für die Kom - sten und Sozialdemokraten, der Schwur in Konzentrationslagern munistische Partei Deutsch - lands zu schaffen oder be - oder in der Emigration zur Einheit hielt offenkundig nicht lange stehende Organisationen vor. Zunächst gab es auch in den Westzonen erhebliche Bemühun - als Ersatzorganisationen gen, eine gemeinsame Partei zu schaffen. Gebildete Einheitskomi - fortzusetzen. tees wurden jedoch von den Militärregierungen verboten und vom 4. Das Vermögen der Kom - zentralen sozialdemokratischen Büro Dr. Schumachers torpediert. munistischen Partei In den DGB-Gewerkschaften IG Bergbau und Energie sowie der Deutschlands wird zugun - IG Bau wurden bereits 1949/50 gewählte Gewerkschaftsfunktionä - sten des Bundesrepublik Deutschland zu gemeinnüt - re vor die Türe gesetzt, weil sie Mitglieder der KPD waren. Die zigen Zwecken eingezogen SPD strebte Regierungsmitverantwortung an und meinte, wenn sie ... sich regierungskonform verhielte, sei das Ziel leichter zu erreichen. III. Vorsätzliche Zuwider - Da wollte man mit Kommunisten keine politische Verbindung und handlungen gegen diese verweigerte selbst den eigenen Mitgliedern die Arbeit in Initiati - Entscheidung oder gegen ven, in denen Kommunisten tätig waren. die im Vollzuge dieser Ent - scheidung getroffenen Maß - Natürlich dürfen wir sektiererische Fehler der KPD nicht überse - nahmen werden gemäß §§ hen und können sie auch mit der schwierigen Lage der KPD 47, 42 des Gesetzes über im Kampf gegen einen übermächtigen imperialistischen Gegner das Bundesverfassungsge - allein nicht erklären. Beschuldigungen, die Gewerkschaftsführer richt mit Gefängnis nicht un - als Interessenvertreter der deutschen und amerikanischen Monopo - ter 6 Monaten bestraft.« le bezeichneten und behaupteten, Gewerkschaftsfunktionäre wür - [Das Verbot der KPD], in: den Interessen der deutschen Arbeiter verraten, waren nicht nur Georg Fülberth (Hrsg.), falsch, sondern förderten die Isolierung von Kommunisten. Wenn a.a.O., S. 174. Gewerkschaftsführern die Absicht unterstellt wurde, sie wollten die Gewerkschaften auf den Kriegskurs einstellen, dann klingt die Beschwörung notwendiger Aktionseinheit wie eine hohle Phrase. Schlimm war der Aufruf in der These 37, gegen den Willen der Gewerkschaftsführer und mit Unterstützung der unorganisierten Arbeiter Kämpfe auszulösen, sie zu führen und dazu Kampflei- tungen zu bilden. Letztlich verloren durch die Antwort der Gewerkschaftsführungen und eigenem Fehlverhalten Kommuni - sten nahezu sämtliche gewerkschaftliche Leitungsfunktionen. Noch während der Illegalität wurde solch fehlerhafte Politik korrigiert. Trotz solch falscher, sektiererische Politik haben Kommunisten durchaus im Parlamentarismus ein notwendiges Kampffeld KAPLUCK Interview 74

»Ein Verbot der Kommunisti - schen Partei Deutschland gesehen. Nach Möglichkeit kandidierte die KPD bei sämtlichen steht der Wiederzulassung Parlamentswahlen und konnte in Gemeinden, Städten und in den einer kommunistischen Par - Ländern trotz Verbotsdrohung bis 1956 beachtliche Stimmen- tei im Falle gesamtdeut - gewinne erzielen. scher Wahlen rechtlich nicht entgegen... TEFAN OLLINGER Eine Partei ist nicht schon S B : Welche Rückwirkungen hatten die tiefen Ein - dann verfassungswidrig, schnitte in der Entwicklung der SED, 1948 mit dem Übergang zur wenn sie die obersten Prin - stalinistischen »Partei neuen Typus«, 1952 mit dem Proklamieren zipien einer freiheitlichen des »Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus« und 1953 mit der demokratischen Grundord - Arbeitererhebung am 17. Juni? nung nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktive MANFRED KAPLUCK : Die Einschnitte versuchte ich zur vorherigen kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der be - Frage zu beantworten. Wir gingen davon aus, daß die Politik erfol - stehenden Ordnung hinzu - greich sein konnte und waren wesentlich von der Richtigkeit unse - kommen ... rer Programmatik überzeugt. Dabei müssen wir uns allerdings von Eine Partei ist schon dann der Vorstellung frei machen, daß die Politik der SED einen breiten verfassungswidrig, wenn sie Raum in der Diskussion der KPD eingenommen hätte. Das Hemd eine andere soziale und po - war uns näher als der Rock. Können Sie sich nicht vorstellen, daß litische Ausprägung der frei - FDJler in der Illegalität oder in Gefängnishaft eine Partei neuen heitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesre - Typus wünschten, weil sie darin eine Partei mit größerer Geschlos - publik deshalb anstrebt, um senheit, mit Kampfkraft und Offensivgeist sahen? Zum Beschluß sie als Durchgangsstadium des Aufbaus der Grundlagen des Sozialismus unsere damalige zur leichteren Beseitigung Meinung: Na endlich. Die Ereignisse 1953 schätzten wir als jeder freiheitlichen demokra - Versuch der Konterrevolution ein. tischen Grundordnung über - haupt zu benutzen, mag STEFAN BOLLINGER : Warum blieb die KPD zu den Möglichkeiten diese Beseitigung auch erst im Zusammenhang mit oder eines demokratischen Staates skeptisch? Max Reimann arbeitete nach der Wiedervereinigung doch im Parlamentarischen Rat an der Ausarbeitung des Grundge - stattfinden sollen...« setzes mit und erklärte später, daß die Kommunisten das Grundge - [Leitsätze des KPD-Verbots - setz zwar nicht für das Ziel ihrer Politik hielten, wohl aber die urteils], zit. in: Manfred ersten sein werden, die es verteidigen würden. Wilke, Hans-Peter Müller, Marion Brabant: Die Deut - ANFRED APLUCK sche Kommunistische Partei M K : Hat Max Reimann nicht Recht behalten? Ja, er (DKP). Geschichte – Organi - lehnte seine Unterschrift unter die »Spaltungsurkunde Deutsch - sation – Politik, Köln 1990, lands« ab. Aber wurden Kommunisten und andere Demokraten S. 83f. nicht bis heute zu aktiven Verteidigern des Grundgesetzes, gegen hundertfache negative Veränderungen dieser Verfassung, so wie das die KPD-Mitglieder im Parlamentarischen Rat voraussagten? Ist der Grund des Zweifelns durch das FDJ-Verbot, durch Ver - folgungen und den Verbotsantrag gegen die kommunistische Partei nicht handfest genug? Wurde Max Reimann nach seiner Mitarbeit im Parlamentarischen Rat nicht wenig später per Haftbefehl gesucht? Übrigens: Das Grundgesetz wurde vom Papst noch nicht heilig gesprochen und ist auf demokratischer Grundlage durchaus veränderbar. Ziel für kommunistische und sozialistische Parteien sollte auch nach dem Scheitern des »Realsozialismus« ein demokratischer Sozialismus bleiben.

STEFAN BOLLINGER : Wie aktuell hielten die westdeutschen Kom - munisten die Möglichkeit der Wiedervereinigung in den fünfziger Jahren? Gab es 1956 Sympathien für eine Verlangsamung des sozialistischen Aufbaus in der DDR, wie dies etwa Schirdewan 75 KAPLUCK Interview

»Das Ungeheuerliche ist vertrat, um den Boden für einen gemeinsamen, nationalen Kampf geschehen. Auf Druck der für den Sozialismus zu legen? Adenauer-Regierung hat das Bundesverfassungsge - MANFRED KAPLUCK : Aktuell kämpften wir doch für die Wiederver - richt die KPD verboten und einigung, standen deswegen vor den politischen Sonderkammern ihre Auflösung mit Polizeige - walt angeordnet. Die KPD westdeutscher Gerichte und fanden uns nicht selten in Gefängnis - ist da, und die KPD bleibt sen wieder. Nachzulesen in Tausenden unserer Anklageschriften da. So erfordert es das In - und Urteilen. Die aktuelle Möglichkeit der Einheit entsprach unse - teresse der Arbeiterklasse rer Überzeugung. Skepsis? 1951 wollten meine Frau und ich heira - und des deutschen Volkes. ten. Genossen empfahlen uns, dies doch besser um ein Jahr zu ver - Das Urteil gegen die KPD schieben, dann könnten wir im wiedervereinigten Deutschland die ist gesprochen im Namen Ehe schließen. Wir heirateten trotz der hoffnungsfrohen Ankündi - der deutschen Konzernher - ren, der Militaristen und der gung, dennoch möchte ich das nicht als Skepsis gegenüber unserer amerikanischen Hochfinanz. Politik werten. Das Volk wird das Urteil Auffassungen von Schirdewan oder Ackermann spielten in unse - gegen die KPD niemals ren Diskussionen eine relativ geringe Rolle. Mehr vielleicht bei anerkennen, weil es gegen Max Reimann, der mit Karl Schirdewan befreundet war. An eine Frieden, Freiheit und natio - Begegnung mit Genossen Schirdewan später auf einem Arbeiterju - nale Wiedervereinigung gendkongreß erinnere ich mich gern. Er meinte, wir müßten wie gerichtet ist ... Das Verbot der KPD als einer deut - ein Baum sein, der mit starken Wurzeln fest verankert sei. Doch die schen und demokratischen Baumkrone solle sich im Winde biegen, beweglich sein, aber Stür - Partei und der Raub der men trotzen. Das Bild gefällt mir noch heute. Mandate ihrer Abgeordne - ten zeigt, wie in der Bundes - STEFAN BOLLINGER : Wie reflektierte die illegale KPD die seit republik die Demokratie mit 1956 einsetzenden Diskussionen in kommunistischen Parteien Füßen getreten wird ... Westeuropas? Der Weg von 1933, der Weg der Unterdrückung der Ar - beiterbewegung ist damit MANFRED KAPLUCK : Nach dem XX. Parteitag der KPdSU zog beschritten worden. Mit dem unsere Partei Lehren aus der Vergangenheit. Korrekturen in der Verbot der KPD ist die Politik wurden spätestens auf dem Parteitag der KPD 1963 mani - Adenauer-Regierung zur fest. Er stellt deshalb ein besonderes Ereignis an einem Wende - reaktionärsten Regierung punkt dar, weil er bereits vor der »Großen Koalition« die Signale Europas geworden... Das Verbot der KPD war zu der Partei für den Weg in die Legalität auf »Grün« stellte. verhindern und es ist zu be - Max Reimann erklärte die Verteidigung des Grundgesetzes zur seitigen, wenn die SPD und Aufgabe aller Volkskräfte. In seiner programmatischen Erklärung der DGB dafür ihre ganze korrigierte der Parteitag frühere Fehleinschätzungen. Ein neues Kraft einsetzen. Das erfor - Verhältnis zur aktiven demokratischen Mitarbeit in den Gewerk - dert, daß einige sozialdemo - schaften wurde als Aufgabe formuliert und damit frühere sektiere - kratische Führer ihre passi - rische Einengungen überwunden. Die Partei orientierte sich auf das ve Haltung aufgeben, durch die die Reaktion ermutigt Bemühen um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse. und die Sache des Friedens Als wichtigste Lehre aus der Illegalität wurde die Notwendigkeit und der Demokratie und die herausgestellt, die legale Massenarbeit zu entwickeln. In der Akti - Positionen ihrer eigenen vität im Kampf für Frieden und Demokratie könne das Ansehen Organisationen geschwächt und die Autorität der gesamten Partei wachsen: »Das ist auch der würden.« beste Weg des Kampfes um die Legalität der Partei, der beste Weg, Erklärung des PV der KPD um Schritt für Schritt das Parteiverbot zu durchbrechen, das Ver - zum Parteiverbot (17. August 1956), trauen der Bevölkerung zu gewinnen, so daß schließlich die Forde - iin: Günter Judick, Josef rung nach Aufhebung des Parteiverbots zur Forderung breitester Schleifstein, Kurt Steinhaus Volksschichten wird.« (Hrsg.), a.a.O., Bd. 2, In der Tat wurde mit dem Parteitag eine neue positiv veränderte S. 153, 155. Politik der KPD sowie die offensivere Aktivität im Kampf um die Legalität eingeleitet. Eine Grundlage dafür war bestimmt die Über - KAPLUCK Interview 76

»Ob Wiederzulassung oder ob Neugründung, in jedem windung von Schwächen und die Korrektur fehlerhafter Politik. Falle muß die kommunisti - sche Partei, die jetzt oder in STEFAN BOLLINGER : Der Zug der Wiedervereinigung war mit dem Zukunft aus dem Schatten - NATO-Beitritt der Bundesrepublik und dem Mauerbau abgefahren. dasein der Illegalität hervor - Mit den Konzepten von John F. Kennedy, später Willy Brandts, tritt, eine von Grund auf neue, gewandelte kommuni - zeichnetet sich eine Abkehr vom Kalten Krieg ab. Die KPD war stische Partei sein. Die Par - weiter illegal. Aber erste Anzeichen eines politischen Klimawech - tei muß zur alten KPD ja sels waren auch in der Bundesrepublik zu beobachten. Mitte der und zugleich nein sagen. sechziger Jahren stand die SPD vor einem Regierungseintritt, den Die Partei ist kein Gespenst, sie sich mit dem Godesberger Programm und dem Bekenntnis zur sondern ein lebendiges Westbindung erkauft hatte. Da kam es 1966 zum Briefwechsel Wesen. Also muß sie SED – SPD und fast zum Redneraustausch beider Parteien. lernen, muß Konsequenzen ziehen.« Ulbricht setzte – bei allen Berührungsängsten – offenkundig auf Robert Havemann: »Die die SPD, um einen Wandel der deutsch-deutschen Beziehungen zu Partei ist kein Gespenst«. erreichen und die Anerkennung der DDR auf diesem Wege zu Plädoyer für eine neue KPD, befördern. Wurde die KPD davon überrascht? in: Der Spiegel, H. 52/1965, S. 30. MANFRED KAPLUCK : Müßten wir uns nicht zunächst mit dem The - ma beschäftigen, wie es zu den Veränderungen kam, die Sie in Ihrer Frage ansprechen? Mitte der sechziger Jahre entwickelten sich auch in der Bundesrepublik die Friedensbewegung und ande - re demokratische Kräfte. Dafür standen die Ostermärsche, die sich ausgehend von allgemeinen pazifistischen Anliegen und Aussagen mit zunehmender Kraftentfaltung der Friedensbewegung widme - ten, gegen den schmutzigen US-Krieg in Vietnam protestierten und bis hin zu einer aktiven Entspannungspolitik die Anerkennung der DDR forderten. Die aggressive Aufrüstung mit Atomwaffen, ihre Aufstellung auch in der Bundesrepublik, der mit dem gewünschten Zugriff auf Atomwaffen verbundene Hegemonieanspruch von Kreisen des westdeutschen Großkapitals mit ihrem erklärten Ziel der Machtausdehnung über die Liquidierung der DDR hinaus nach Osten, das verlangte geradezu nach verstärkter Antiatom- und Frie - densbewegung. Eine massive Einschränkung der demokratischen Grundrechte, die bis zu dem Höhepunkt der Annahme von Not - standsgesetzen getrieben wurde, führte zu der bekannten sehr um - »Den ersten sichtbaren Ausdruck einer wirklichen fassenden Antinotstandsbewegung und erweiterte sich besonders Wandlung würde ein neues unter der studentischen Jugend zur außerparlamentarischen Oppo - Statut der Partei geben. Es sition, der APO. Politische Zuspitzungen und die Herausbildung müßte demokratisch sein neuer demokratischer Bewegungen der sechziger Jahre vollzogen und jeden Rückfall in den sich vor dem Hintergrund von Krisenerscheinungen des kapitalisti - ‘stalinistischen’ Zentralismus schen Systems. von vornherein unmöglich Der Regierungswechsel vom 1. Dezember 1966 war objektiv machen. Das neue Statut der KP Schwedens könnte Ausdruck für die dringende Notwendigkeit, die bundesdeutsche als Vorbild dienen. Es ver - Politik an veränderte innen,- wirtschafts- und außenpolitische bietet jeden Einfluß höherer Gegebenheiten anzupassen. Nach Kanzler , nach Leitungen und Parteiorgane der ersten Wirtschaftskrise, nach dem Anwachsen der Arbeitslo - auf die Parteiwahlen. Es senzahlen und der Erschütterung des Glaubens an ein »ewiges« gestattet die Bildung opposi - Wachstum war die SPD für der Regierung der Großen Koalition. tioneller Fraktionen in der Das ehemalige NSDAP-Mitglied wurde Partei und damit die öffentli - che Kritik an der Politik der Bundeskanzler, Vizekanzler und Außenminister. Partei durch ihre Mitglieder. Widersprüchlich war auch die weitere Zusammensetzung der Regierungsmannschaft, denn mit Gustav Heinemann wurde ein 77 KAPLUCK Interview

Damit wird die Parteidiszi - namhafter Gegner der Aufrüstungspolitik und auch des KPD-Ver - plin in Meinungs- und Über - bots Justizminister, aber zugleich trat mit Franz-Josef Strauß ein zeugungsfragen aufgeho - exponierter Verfechter der Remilitarisierung und Atomrüstung in ben, durch die ein Kommu - die Regierung ein. nist gezwungen werden Angesichts solcher Entwicklung und vor dem Regierungswech - könnte, in der Öffentlichkeit Meinungen zu rechtfertigen sel war der angesprochene Brief- und Redneraustausch durchaus und zu vertreten, die er gewünscht und denkbar. selbst für falsch hielt.« Gemeinsam mit anderen Politbüromitgliedern der KPD wurde Robert Havemann, a.a.O., ich in dieser Zeit zu mehreren Politbürositzungen der SED einge - S. 30. laden und hatte die Möglichkeit, dabei auch mitstreiten zu können, zumindest darüber, wie weit sich ein Entgegenkommen zur SPD lohnt und eventuell grundsätzliche Kritik an rechten SPD- Führungspersönlichkeiten zurückgenommen werden sollte. Dabei verhehlte ich meine Einsicht nicht, daß die Perspektive eines ver - einten Deutschlands ohne Gemeinsamkeit mit der SPD kaum denk - bar war. Trotzdem vertrat ich den Standpunkt, daß ein Entgegen - kommen angesichts des latenten Antikommunismus nicht zu weit gehen dürfe. Zu Ihrer weiteren Frage: Überrascht war die KPD nicht. Hatten »...das Auftreten einer wirk - wir doch längst gute Beziehungen zu sozialdemokratischen Genos - lich erneuerten und womög - sinnen und Genossen und auch zu Betriebsparteigruppen der SPD lich auch erfolgreicheren KP aufgenommen und waren gemeinsam mit zahlreichen Sozialdemo - in der Bundesrepublik würde zweifellos in der DDR nicht kraten in verschiedensten Bewegungen und Initiativen aktiv. Die ohne Wirkung bleiben. KPD förderte jede Annäherung der SPD an SED und DDR. Dies wird besonders deut - lich, wenn man sich vor Au - STEFAN BOLLINGER : Welche Erwartungen setzte die KPD in diese gen hält, zu welchen Fragen Wandlungen? Oder wirkte die alte Sozialdemokratismus-Angst das Programm einer neuen weiter? Welche Rolle wurde ihr von der SED zugewiesen? KP unmißverständlich Stel - lung zu nehmen hätte. Viele dieser Fragen sind nicht nur ANFRED APLUCK M K : Die Frage nach der »alten Sozialdemokratis - in Deutschland aktuell, son - mus-Angst« provoziert mich zu der anderen: Schlagen Sie Ihr Kind dern bewegen die ganze immer noch? Lassen wir das Angstsyndrom beiseite. Unsere kommunistische Welt... Erwartungen waren doch logisch. Wir erfaßten diese Situation als .als erstes (wäre) eine kriti - Chance, den Weg in die Legalität offensiv beschreiten zu können. sche Auseinandersetzung Eine Rolle wurde uns von der SED nicht »zugewiesen«. Ist es auch mit der eigenen Parteige - im nachhinein schwer zu verstehen, daß die KPD die bewegliche schichte dringend erforder - lich ... war die Spaltung der Politik der SED unterstützte und darin eine Grundlage für die deutschen Arbeiterbewe - wachsende Intensität eigener Tätigkeit erkannte? gung, ihre Polarisierung in die radikal revolutionäre STEFAN BOLLINGER : 1965 schrieb Robert Havemann, antifaschisti - KPD und die gemäßigte sche Widerstandskämpfer und bekanntester linker DDR-Oppositio - reformistische SPD, wovon neller im »Spiegel« gegen das KPD-Verbot, zur Neugründung sich die Kommunisten die baldige sozialistische Revo - einer KPD, die aber auch für die DDR Konsequenzen hätte haben lution in Deutschland erhoff - müssen. Die KPD verurteilte diesen Artikel stellvertretend für die ten, nicht schließlich doch SED scharf. Wie sahen Sie diesen Vorstoß damals und nun über ein Fehlschlag? 30 Jahre später? .Es wäre auch notwendig, sich von der falschen Inter - MANFRED KAPLUCK : Zunächst, ich fühlte mich seinerzeit in der pretation des Begriffes ›Sta - Beantwortung des Artikels nicht in einer Stellvertreterrolle, denn es linismus‹ loszusagen, die nur die schlimmsten Aus - ging doch in erster Linie um die KPD und nicht um die SED. wüchse der Stalinschen Ära Damals fragten wir uns, warum uns Robert Havemann nicht kon - als Verfehlung anerkennt ..., sultiert hat. Was bedeutete das in einer Situation, in der selbst KAPLUCK Interview 78 nicht aber begreifen will, daß die Ursache vor allem Adenauer sagte: »Ich bin absolut dafür, daß die Kommunisten nicht in der Person Stalins, wieder zugelassen werden.« Nur Gutes? Welche Partei wurde sondern in der Struktur des gewünscht? Eine, die als Knüppel gegen die SED gebraucht wur - Partei- und Staatsapparates de? Wir hatten das Ziel, die in der Illegalität kämpfende Partei in lag, wo Demokratie besten - die Freiheit zu führen und zwar mit ihren Grundsätzen und ihrer falls nur noch als Fassade Politik. Ist es da schwer zu verstehen, wenn wir hinter Havemanns existierte... Wir leben ... nicht nur in der Vorstoß den Gedanken vermuteten, daß er eine Reformpartei Zeit, in der sich eine neue wünschte. Heute nach 30 Jahren sehe ich das noch negativer, weil Welt des Menschen in ich glaube, daß hier Absprachen mit ähnlich Denkenden zugrunde gewaltigen Geburtswehen lagen. Leider scheint das in Akten nicht zu finden sein. ankündigt, wir leben auch in der Zeit der Bombe ... Welt - STEFAN BOLLINGER : Mit der Großen Koalition verstärkten KPD krieg heißt heute Welttod. und SED die Versuche, in der Bundesrepublik wieder eine kom - Sollten darum nicht gerade die deutschen Kommunisten munistische Partei zu legalisieren. Welche unterschiedlichen Kon - ihre Einstellung zum moder - zepte haben aus Ihrer Sicht dabei eine Rolle gespielt? Was wollten nen Pazifismus gründlich Ulbricht und Reimann und gab es aus Ihrer Kenntnis auch unter - überprüfen?« schiedliche Auffassungen in der SED-Führung? Mischte sich die Robert Havemann, a.a.O., KPdSU in diese Prozesse ein? S. 31. MANFRED KAPLUCK : Bitte bei allen Fragen immer zunächst an die Bewegung denken und davon die Aktenfunde ableiten. Denn »Ein tiefes Unbehagen brei - eigentlich ist die Frage doch so: Führten die Veränderungen in der tet sich in unserem Land aus. Vielen Bürgern er - Bonner Regierungspolitik und in den demokratischen Bewegungen scheint die Gegenwart unsi - etwa dazu, daß die Forderung nach Wiederzulassung der KPD in cher, die Zukunft ungewiß. der Öffentlichkeit erhoben wurde? Spontan nicht, dennoch gab das Arbeiter und Angestellte, wachsende Demokratiebewußtsein neue Möglichkeiten, diese Angehörige aller werktätigen Forderung zu erheben. Auch aus heutiger Sicht war es richtig, die Schichten, vor allem unserer Chance zu nutzen. arbeitenden und studieren - Wenn sich die Chancen, den Weg in die Legalität erfolgreich zu den Jugend, beginnen, an einem System zu zweifeln, beschreiten, vergrößerten, widerspiegelte sich das vielfältig. Nicht in dem das Profit- und nur in den Bedingungen, die zur Großen Koalition führten, sondern Machtstreben einiger weni - auch in der verstärkten Bündnispolitik der KPD, in der Beteiligung ger das Maß aller Dinge, an Bewegungen und bei außerparlamentarischen Aktionen. Die Richter über Leben und Tod illegale Tätigkeit der KPD selbst konnte qualifiziert werden, die des Volkes ist... konspirative Arbeit wurde verändert, nach dem zwar alten, aber Die Kommunistische Partei wichtigen Leninschen Prinzip: »Illegal soviel wie nötig – legal Deutschland will ihren Bei - trag leisten, damit das Volk soviel wie möglich«. Kommunisten verstärkten ihre Tätigkeit vor der Bundesrepublik einen allem in Betrieben und Gewerkschaften. Genossinnen und Genos - Weg findet, der zu Frieden sen beteiligten sich an der Herausgabe von legalen Publikationen und Wohlstand, zu einer ge - und Wochenzeitungen. In Vorbereitung des Parteitages 1963 wurde sicherten Zukunft führt... ein »Ernst-Thälmann-Aufgebot« gestartet, das dem Engagement Die Kommunistische Partei junger Kommunisten in der Gewerkschaftsjugend, der Naturfreun - Deutschlands ist die soziali - stische und demokratische dejugend und anderen Bereichen der Jugendarbeit Rechnung trug Partei der Arbeiterklasse und die Zahl der Mitglieder um mehr als 1.000 ansteigen ließ. und des werktätigen Volkes Der Kampf der KPD war stets von internationaler Solidarität be - in der Bundesrepublik.« gleitet. Kommunistische Parteien forderten mit uns wiederholt und Programm der KPD – Ent - öffentlich die Aufhebung des Verbots. Die sozialistischen Länder, wurf (Februar 1968), in: vor allem die Sowjetunion, verlangten nachdrücklich von der Bun - Günter Judick, Josef desregierung, der KPD ihre legale Betätigungsmöglichkeit zurück - Schleifstein, Kurt Steinhaus (Hrsg.), a.a.O., Bd. 2, S. zugeben. Bis in Handelsbeziehungen, an denen Westdeutschland 395. natürlich interessiert war, spielte das eine Rolle. Aus eigener Kenntnis kann ich sagen, daß es zwischen Walter 79 KAPLUCK Interview

»Keine dieser Lebensfragen Ulbricht und Max Reimann über die aktuelle Notwendigkeit, die ist auf die Dauer lösbar, KPD zu legalisieren, keine Meinungsverschiedenheiten gab, wenn wenn nicht die Macht der auch über einzelne Schritte ein Meinungsaustausch notwendig war. Monopole über Staat und Unterschiedliche Auffassungen in der SED-Führung? Sie waren Wirtschaft gebrochen wird. vorhanden, ich hielt und halte sie für unbedeutend, zumal, meiner Demokratie, Frieden und Auffassung nach, der richtige und erfolgreiche Weg beschritten eine gesellschaftliche Vor - wärtsentwicklung können wurde. Von Einmischung der KPdSU kann keine Rede sein. Viel - nur verwirklicht werden mehr war es bedeutsam, daß auch im Ergebnis positiver Konsulta - durch eine Veränderung der tionen und durch die enge Zusammenarbeit mit den Politbüros der Machtverhältnisse, durch SED und der KPdSU die Legalisierung unserer Partei erreicht tiefgehende demokratische werden konnte. Reformen, durch eine demokratische Umgestal - STEFAN BOLLINGER : 1956 wurde die KPD verboten, 1968 saßen tung, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens – Mitglieder der verbotenen Partei bei Justizminister Heinemann am Wirtschaft und Staat, Tisch und gemeinsam wurde über ein Weg zur Neukonstituierung Bildung und Kultur – erfaßt einer kommunistischen Partei nachgedacht. Was empfanden Sie und dem arbeitenden Volk damals als Mitglied der Parteiführung? den maßgeblichen Einfluß auf die Geschicke unseres MANFRED KAPLUCK : Glauben Sie, Grete Thiele hätte als Mitglied Landes sichert.« Programm der KPD – Ent - des ZK der KPD einen Privatbesuch bei Herrn Heinemann wurf (Februar 1968), in: gemacht, den die Parteiführung erstaunt zur Kenntnis genommen Günter Judick, Josef hätte? Das Wort Neukonstituierung fiel in diesem Gespräch Schleifstein, Kurt Steinhaus übrigens nicht. Über Wege zur Legalität wurde nachgedacht. (Hrsg.), a.a.O., S. 418f. Darf ich trotzdem zur Entwicklung in dieser Zeit und zu »Verhandlungen« etwas sagen? 1966 wurde die Forderung nach Aufhebung des KPD-Verbots in verschiedenen Kreisen der Bevölkerung stärker aufgegriffen und fand national wie international deutliche Zustimmung. So bildete sich in Rheinland-Pfalz ein »Ausschuß für politische Amnestie und zur Aufhebung des KPD-Verbots«, dem Pfarrer Symanowsky, die Studienrätin Bienko, Dr. Benseler u.a. angehörten. Zahlreiche Per - sönlichkeiten aus Kreisen der Gewerkschaften, der Intelligenz und Kultur engagierten sich individuell oder in Initiativen ähnlich. Be - sonders in der Jugend wurde die Forderung stärker aufgegriffen. Das Politbüro der KPD beschäftigte sich mit entsprechenden Maßnahmen für einen Weg in die Legalität. Der Erste Sekretär Max Reimann wandte sich am 15. Februar 1967 in einem Brief an die Bundesregierung und schlug schrittweise Maßnahmen zur Auf - hebung des KPD-Verbots vor. Der zu diesem Zeitpunkt gegründe - »Nach den Beamtengeset - te »Initiativausschuß zur Wiederzulassung der KPD« fand in hun - zen in Bund und Ländern derten Versammlungen erhebliche öffentliche Beachtung. darf in das Beamtenverhält - Obwohl dieses Verhandlungsangebot nicht angenommen wurde, nis nur berufen werden, wer die Gewähr dafür bietet, kam es zu ernsthaften Gesprächen mit Parlamentsabgeordneten, daß er jederzeit für die frei - Vertretern der Fraktionen im Bundestag und Regierungsvertretern. heitlich-demokratische Grete Thiele führte Gespräche mit Gustav Heinemann und Horst Grundordnung im Sinne des Ehmke. Kurt Erlebach und ich konsultierten im Auftrag der Grundgesetzes eintritt, sind Parteiführung Bonner Politiker. Beamte verpflichtet, sich Dabei stellte sich heraus, daß die Bereitschaft über eine inter - aktiv innerhalb und außer - fraktionelle Initiative im Bundestag das Verbot aufzuheben, nicht halb des Dienstes für die Erhaltung dieser Grundord - die erforderliche Zustimmung fand. Es wurden Wege gefunden, die nung einzusetzen. schließlich zur Legalität, zur Konstituierung der DKP führten. We - Es handelt sich hierbei um sentlich dabei war, daß die Kommunisten der Bundesrepublik ihrer KAPLUCK Interview 80 zwingende Vorschriften. Jeder Einzelfall muß für sich sozialistischen Zielsetzung, ihrem revolutionären Anspruch, ihrer geprüft und entschieden Politik auf der Grundlage der Ideen von Marx, Engels und Lenin werden... treu blieben. Ein Bewerber, der verfas - sungsfeindliche Aktivitäten STEFAN BOLLINGER : Wie vollzog sich die Neukonstituierung der entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst einge - DKP praktisch? stellt. Gehört ein Bewerber einer Organisation an, die MANFRED KAPLUCK : Am 26. September 1968 gab Kurt Bachmann verfassungsfeindliche Ziele auf einer internationalen Pressekonferenz in Frankfurt am Main die verfolgt, so begründet diese Neukonstituierung der kommunistischen Partei bekannt. Tags zu - Mitgliedschaft Zweifel daran, vor konstituierte sich ebendort ein Bundesausschuß, der die Initia - ob er jederzeit für die frei - tive der Kommunisten trug. heitlich-demokratische Grundordnung eintreten Die Deutsche Kommunistische Partei, die DKP, nahm damit ih - wird. Der Zweifel rechtfertigt re Tätigkeit auf. Schnell schlossen sich in zahlreichen Städten der in der Regel eine Ablehnung BRD Kommunisten zu Initiativen, Ausschüssen und Gruppen zu - des Anstellungsantrages.« sammen. Die Öffentlichkeitsarbeit begann. Beschluß der Ministerpräsi - dentenkonferenz: Grundsät - STEFAN BOLLINGER : Wie neu war die DKP wirklich, welche Rolle ze zur Frage der verfas - spielten die »Altkader«, und gelang es damals, neue Personen und sungsfeindlichen Kräften im öffentlichen Dienst, Einsichten zu gewinnen? Immerhin war es ja die Zeit der Studen - 28. Januar 1972, in: tenbewegung und einer bis dahin unbekannten Politisierung und Georg Fülberth (Hrsg.), Linksorientierung unter bundesdeutschen Intellektuellen! Welche a.a.O., S. 357. Auswirkungen hatten Pariser Mai und Prager Frühling für die politischen Auseinandersetzungen?

MANFRED KAPLUCK : Verständlicherweise waren es zunächst Mit - glieder der »alten« KPD oder »Altkader«, wie Sie es nennen, die zur Neukonstituierung der DKP initiativ wurden. Und das überall dort, wo Kommunisten auch während der Illegalität tätig blieben. Doch in relativ kurzer Zeit konnte die Zahl der während der Ille - galität aktiven 11.000 Mitstreiter verdreifacht werden. Vorwiegend junge Menschen aus den verschiedenen demokratischen Bewegun - gen traten in die DKP ein und verhalfen ihr zu einer dynamischen öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit. Wenige Monate nach der Kon - stituierung gab die DKP bereits ihre Tageszeitung »Unsere Zeit«, die UZ heraus. Die schnelle Zunahme der Mitgliedschaft war gewiß auch auf die Studentenbewegung und Linksorientierung vor allem der Jugend in dieser Zeit zurückzuführen.

STEFAN BOLLINGER : Das KPD-Verbot ist bis heute nicht aufgeho - ben, trotzdem existieren im 1990 größer geworden Deutschland mehrere Parteien, die sich in der einen oder anderen Weise in der Tradition der KPD-Aufrufer vom 11. Juni 1945 sehen. Ist damit das Weiterführende Literatur: Verbotsurteil geschichtliche Makulatur? Nach dem Zusammen - Günter Judick, Josef bruch in der DDR war dort und im alten Bundesrepublik viel von Schleifstein, Kurt Steinhaus Vergangenheitsbewältigung die Rede, ist das für die Alt-BRD nicht (Hrsg.): KPD 1945-1968. auch noch aktuell? Und schließlich, gibt es aus den damaligen Dokumente. Band 1 1945- 1952/Band 2 1953-1968, Erfahrungen Konsequenzen für heutige politische Strategien der Neuss 1989. Linken? Oder anders gesagt, wie halten es Kommunisten heute mit der Demokratie und der Revolution?! 81 KAPLUCK Interview

Manfred Grieger, Günter MANFRED KAPLUCK : Mit der Neukonstituierung der DKP war das Judick, Gert Meyer, Josef KPD-Verbotsurteil nicht aufgehoben. Es bleibt ein Relikt des Kal - Schleifstein: Stalins Schat - ten Krieges. Negative Folgeerscheinungen, politische Diskriminie - ten. Stalin und die westeu - rungen und soziale Belastungen wirken fort. Justizopfer aus der ropäischen Kommunisten, Zeit des Kalten Krieges wurden nicht rehabilitiert, erhielten bis Neuss 1989. Georg Fülberth: KPD und heute keine Haftentschädigung und werden fortgesetzt durch den DKP 1945-1990. Zwei Wegfall ihrer Rentenansprüche für erlittene Haftzeiten bestraft. kommunistische Parteien in Akteneinsicht in die Unterlagen westdeutscher Geheimdienste, wie der vierten Periode kapitali - des Verfassungsschutzes oder des BND, wird nicht gewährt. stischer Entwicklung, Darüber hinaus setzte in den neuen Bundesländern eine umfang - Heilbronn 1990. reiche Diskriminierung und eine Welle von Verfolgungen aus poli - Manfred Wilke/Hans-Peter tischen Gründen ein. So stellte der Bundesminister des Inneren am Müller/Marion Brabant: Die Deutsche Kommunisti - 10. September 1990 fest, es bestünden Zweifel an der Verfassungs - sche Partei (DKP). treue bei allen Funktionären der SED und der Massenorganisatio - Geschichte – Organisation – nen der ehemaligen DDR. Für die Einzelfallprüfung wurde wie - Politik. Köln 1990. derholt nach Beziehungen zur KPD und anderen »für verfassungs - Manfred Wilke, Hans-Peter widrig erklärten, verbotenen oder als verfassungsfeindlich bekannt Müller: SED-Politik gegen gemachten Organisationen« gefragt. die Realitäten. Verlauf und Die Aufhebung des KPD-Verbotsurteils bleibt aktuell. Kommu - Funktion der Diskussion über die westdeutschen nisten forderten unlängst in einer Eingabe an den Deutschen Bun - Gewerkschaften in SED und destag und die Bundesregierung: KPD/DKP 1961 bis 1962, »– Die Bundesregierung trifft die Feststellung: das KPD- Köln o.J. Verbotsurteil vom 17. August 1956 ist historisch überholt, damit Herbert Mayer: Nur eine gegenstandslos geworden und aufzuheben. Wahlniederlage? Zum Ver - – Der Bundestag beschließt eine Novellierung des Bundesver - hältnis zwischen SED und fassungsgerichtsgesetzes.« KPD in den Jahren 1948/49. Hrsg. Gesellschaftswissen - Urteile des Bundesverfassungsgerichts könnten eine Revisions - schaftliches Forum/Helle möglichkeit erhalten. Über diese gesetzlich eingeräumte Möglich - Panke e.V. (hefte zur ddr-ge - keit kann das KPD-Verbotsurteil nach mehr als dreieinhalb Jahr - schichte: Heft 12), zehnten revidiert und aufgehoben werden. Gewiß sind andere Berlin 1993, S. 29-46. Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nach Hans-Peter Müller: den jüngsten Verfassungsänderungen und der Wiedervereinigung Gründung und Frühge - schichte der DKP im Lichte Deutschlands ebenfalls korrekturbedürftig. der SED-Akten, in: Klaus Dabei sind wir uns der Unterstützung der DKP und PDS gewiß. Schroeder (Hrsg.): Erfahrungen, Konsequenzen für die heutige politische Strategie Geschichte und Transforma - der Linken? Es gibt für die jetzige Situation keine Lehrmeister. tion des SED-Staates. DKP und PDS haben längst aus der vergangenen und der jüngsten Beiträge und Analy sen, Zeit ihre politischen und programmatischen Schlußfolgerungen ge - Berlin 1994, S. 251-285. zogen. Sie werden daran weiterarbeiten. Beide stehen vor dem Herbert Mayer: Durchsetzt von Parteifeinden, Agenten, gleichen Gegner, dem Kapitalismus pur. PDS wie DKP proklamie - Verbrechern...? Zu den ren, wenn auch differenziert, den Sozialismus als Alternative zur Parteisäuberungen in der kapitalistischen Unordnung. Beide Parteien brauchen Bündnispart - KPD (1948-1952) und der ner, vielleicht sollten sie sich bald zu gemeinsamen Aktionen Mitwirkung der SED. verständigen. Das könnte positiv und anregend auf andere linke Hrsg. Gesellschaftswissen - und demokratischen Kräfte wirken. schaftliches Forum/Helle Panke e.V. (hefte zur ddr-ge - 1 Siehe Vereinbarung von SED und KPD über die Bildung einer sozialistischen Arbeitsge - schichte: Heft 33), meinschaft (14. Februar 1947), in: Günter Judick, Josef Schleifstein, Kurt Steinhaus Berlin 1995. (Hrsg.): KPD 1945–1968. Dokumente. Band. 1, Neuss 1989, S. 203f. 2 So formuliert in: Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands. Beschlossen vom PV der KPD (2. November 1952), in: ebenda, S. 401. 3 Dies besonders nachdrücklich in der berühmt-berüchtigten These 37. Siehe: Die gegenwär - tige Lage und die Aufgaben der KPD. Entschließung des Münchner [Weimarer] Parteitags (3.-5. März 1951), in: ebenda, S. 335-380.