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SWR2 Wissen Nach dem Spiel ist vor dem Spiel Was ein Fußball-Trainer heute können muss Von Marcus Schwandner

Sendung: Mittwoch, 16. Dezember 2015, 08.30 Uhr Redaktion: Sonja Striegl Regie: Autorenproduktion Produktion: SWR 2015

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Atmo 01: Geräusche aus den Büros des Trainingszentrums

Autor: Montagvormittag im Geißbockheim in Köln. Fußballtrainer Boris Schommers, Jeans, dicker Pullover, schwarze Haare, Dreitagebart, sitzt mit einer Tasse Cappuccino vor seinem Laptop.

Atmo 02: FC Videoanalyse „Ja, bei der Nachbereitung des Spiels sieht man halt sehr schön unser erstes Tor nach einer Ecke, weg vom Tor geschlagen und wie wir sehr schön in den freien Raum reinlaufen und unser Zielspieler halt die Führung köpft zum 1:0 und gerade in solchen Situationen gehen wir dann halt auch nach dem Spiel her mit den Jungs und geben ihnen natürlich auch positive Rückmeldungen.“

Autor: Schommers bereitet Videoszenen des letzten Spiels vor. Die wird er seinen Spielern der höchsten Nachwuchsklasse im Fußball, der U19-Mannschaft des 1. FC Köln, bei der nächsten Besprechung zeigen.

Sprecherin: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel - Was ein Fußball-Trainer heute können muss“. Eine Sendung von Marcus Schwandner.

Autor: Videos auseinander schneiden und die Szenen anschließend den Spielern präsentieren, das mussten die Trainer früher nicht machen. Heinz Lucas etwa, der heute über 95 Jahre alt ist, trainierte bis 1981 Mannschaften der wie Fortuna Düsseldorf, 1860 München und Eintracht Braunschweig. Er erinnert sich:

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Wort-Take 01 - Heinz Lucas: Der Trainer musste damals auf dem Sportplatz mehr arbeiten als heute, denn heute haben die Trainer einen Konditionstrainer, dann haben sie jemand, der die verletzten Spieler wieder fit macht, dann haben sie einen Torwarttrainer, dafür haben wir längere Zeit auf dem Sportplatz gestanden.

Autor: 35 Jahre später hat sich die Arbeit der Top-Trainer extrem professionalisiert.

Wort-Take 02 - Boris Schommers: Allein wenn man sich jetzt mittlerweile die Teams, die Trainerteams bzw. das Team um das Team oder um den Trainer anschaut: früher hattest du einen Cheftrainer und hattest dann noch einen Co-Trainer auch in den höchsten Ligen oder auch in der Bundesliga. Heutzutage besteht so ein Team ja aus einem Cheftrainer, aus zwei Co- Trainern, aus einem Torwarttrainer, aus einem Individualtrainer, aus einem Techniktrainer, aus einem Sportpsychologen, aus zwei bis drei Zeugwarten, aus drei Physiotherapeuten, das heißt, ich glaube schon, dass man, wie soll man es so 2 ausdrücken, als Trainer eben nicht nur noch für den sportlichen Bereich zuständig ist, natürlich primär, dass man aber auch in Sachen Führung, Teamführung immer mehr dazulernen kann, muss und sollte.

Autor: Das Unternehmen ‚Fußball‘ ist schon lange nicht mehr nur einfach ein ‚Spiel‘. Pro Jahr werden in der 1. Bundesliga über 2 Milliarden Euro umgesetzt. Der ökonomische Druck ist immens. Daher kümmern sich immer mehr Spezialisten um die Mannschaft. Der Manager dieses Teams ist der Cheftrainer. Seine Persönlichkeit, seine Stimmungen wirken auf alle Beteiligten. Boris Schommers strahlt eine enorme Ruhe und Freundlichkeit aus.

Wort-Take 03 - Boris Schommers: Ich glaube, es ist wichtig, dass jeder in seinem speziellen Bereich ein Spezialist ist und dass man auch dort Vertrauen in die jeweiligen Personen hat, dass sie ihre Aufgaben eigenständig zu 100 % erledigen und dann die Resultate zusammenführt, diese Mosaiksteinchen zusammensetzt zu einem großen Ganzen, um eben in diesem Bereich das Wettkampfspiel am Wochenende erfolgreich gestalten zu können, dazu gehört jedes Einzelne, sei es die Analyse, sei es, dass die Spieler mental top eingestellt sind, sei es, dass sie aber vom Taktischen sehr gut vorbereitet sind. Und das Ganze, glaube ich, ist auch meine Aufgabe als Cheftrainer, das dann in die richtigen Wege zu leiten und dann eben zu einem großen Ganzen zusammen zu setzen.

Autor: Wer in einer der obersten drei Ligen Trainer sein will, muss die höchste Trainerlizenz A haben und anschließend eine zehnmonatige Ausbildung des DFB durchlaufen.

Atmo 03: Akademie außen

Autor: Die Hennes-Weisweiler-Akademie liegt im Grünen am Rande des kleinen Städtchens Hennef in Nordrhein-Westfalen. Umgeben von Wald können sich hier jedes Jahr 24 angehende „Fußball-Lehrer“ auf die Ausbildung konzentrieren. Die entspricht - trotz des deutschen Namens ‚Fußball-Lehrer’ - der höchsten Ausbildungsstufe: der UEFA Pro-Lizenz. Wer diesen Abschluss hat, darf in allen UEFA Verbänden Trainer in den höchsten Spielklassen Europas werden. In mittlerweile über 60 Lehrgängen wurden mehr als 1500 Fußball-Lehrer und bald 30 Fußball-Lehrerinnen ausgebildet. Der Psychologe Werner Mickler wählt gemeinsam mit den anderen Ausbildern geeignete Kandidaten aus.

Wort-Take 04 - Werner Mickler: Dazu ist es wichtig, entweder eine hohe Eigenerfahrung zu haben, damit ich einfach auch etwas vor- und nachmachen kann, das ist einfach normal; ne hohe Trainererfahrung haben soll, d.h. also, wenn er die A-Lizenz gemacht hat, soll er ja mindestens ein, nach Möglichkeit zwei, drei Jahre im Spitzenbereich schon gearbeitet haben, Amateurbereich, hoher Amateurbereich, oder Jugendbereich, um einfach die Erfahrung hier mitzubringen, damit wir damit arbeiten können. Der dritte Punkt ist, sie machen eine schriftliche Klausur, sie machen eine Lehrprobe, sie machen ein mündliches Gespräch. 3

Autor: Dann kann es losgehen. Neben den Fußballplätzen und Hallen gibt es im Wald rund um die Hennes-Weisweiler-Akademie Wohnhäuser für die ‚Azubis’. Sie lernen alles über Trainingssteuerung, die Spielanalyse, das Coaching, die Talentsichtung und Spielerbewertung. Mit Gastmannschaften proben sie, das Training zu steuern oder bestimmte Aufgaben umzusetzen. In Rollenspielen werden Mannschaftsführung, Teamgeist oder Management geübt. Auch der Cheftrainer der U19-Mannschaft des 1. FC Köln hat hier gelernt.

Wort-Take 05 - Boris Schommers: Die Ausbildung war super interessant für mich, einfach um diesen zehnmonatigen Austausch auch mit den Kollegen über den Fußball zu haben, täglich zehn, zwölf Stunden über Fußball zu diskutieren, im praktischen als auch im theoretischen Bereich, und natürlich auch in der Lehre ein paar neue Denkanstöße mitzubekommen im Bereich der Trainingslehre. Wir hatten Psychologie, wir hatten Trainingslehre, wir hatten Trainingswissenschaft als drei große Säulen und da muss man dann halt als Trainer für sich rausziehen, was man dann als Trainer aus dieser Ausbildung im praktischen Bereich umsetzen kann.

Autor: Ob die Trainer wirklich genau das lernen, was sie später für ihren Beruf brauchen oder ob die Ausbildung noch besser an die Praxis angepasst werden sollte, war die Fragestellung einer wissenschaftlichen Studie 2013 an der Deutschen Sporthochschule Köln. Die Psychologin Dr. Babett Lobinger hat die Studie geleitet und die Ergebnisse als Ausbilderin an der Hennes-Weisweiler-Akademie umgesetzt.

Wort-Take 06 - Babett Lobinger: Der DFB hat das Projekt unterstützt, es lief über drei Jahre, wir haben sehr viele Interviews geführt und Fragebogendaten gesammelt und haben dann eben in dem Zuge mit 24 Chef- und Co-Trainern der ersten und zweiten Bundesliga, die eben die Ausbildung durchlaufen haben, Interviews geführt und haben sie eben gefragt, so rückblickend, was hast du mitgenommen, was hast du damals gelernt? Und wenn du das jetzt vergleichst mit den Anforderungen, die dein Beruf auch jetzt an dich stellt, was würdest du dir anders wünschen und erwarten?

Autor: Ein Ergebnis: die Teilnehmer wünschten sich mehr Praxis. Folglich müssen angehende Fußballlehrer nun als Übung eine Bundesligamannschaft übernehmen, die Taktik, die Trainingsgestaltung und die Mannschaftsführung organisieren und begründen. Ein weiteres Ergebnis der Studie wurde ebenfalls schnell umgesetzt. Mittlerweile analysieren die Teilnehmer häufiger Spiele der Bundesliga oder internationaler Wettbewerbe gemeinsam. In Dreiergruppen verfolgen sie Partien und präsentieren ihre Analyse den anderen Teilnehmern.

Genau das bereitet der Kölner Chef-Nachwuchstrainer Boris Schommers an diesem Montagvormittag vor:

Atmo 04: FC Videoanalyse „Und wenn wir uns jetzt gerade mal das zweite Tor ansehen, war es auch aus meiner Sicht ein sehr schönes Tor, weil wir einfach vieles richtig machen, wo wir im 4

Spielaufbau über einen Steilklatsch über die linke Seite kommen und wir aber dann letztendlich den Torerfolg erzielen, weil sich der ballentfernte Stürmer sehr gut verhält, eingerückt ist und so am zweiten Pfosten zum 2:0 einschieben kann.“

Autor: U19-Trainer Boris Schommers bearbeitet immer noch die Aufnahme des Spiels vom vergangen Samstag. Diese aufwändige Analyse wird er in Kürze mit seinen Spielern des 1. FC Köln besprechen. Seit drei Stunden sitzt er schon mit einem Techniker an dem DFB-Mitschnitt und zerlegt es in kleine Videoszenen. Er wird seinen Spielern nicht nur die Tore zeigen. Auch die Ecken, sowohl die eigenen als auch die des Gegners, die Freistöße, aber auch das Umschaltspiel, den Spielaufbau oder etwa die Verteidigungsarbeit.

Wort-Take 07 - Boris Schommers: Dass man mit ihnen in den Besprechungsraum geht, dass man ihnen visuell aufzeigt, wo sie vielleicht noch Schwächen haben oder was sie auch gut gemacht haben, um es auch besser umsetzen zu können, diese ganze Arbeit setzt sich dann eben fort in gruppentaktischem Bereichen, dass du halt mal mit einem Defensivverbund auch das Ganze visuell aufarbeitest, weil dann auch aus meiner Sicht versteht man es am besten. Da ist es auch egal, ob es ein Nachwuchsspieler ist oder ein Seniorenspieler, wenn du selber siehst, was du falsch gemacht hast, dann nimmst du es eher an, als wenn man es dir nur sagt.

Autor: Trotzdem muss Schommers die richtigen Worte finden. Das gehört zum guten Coaching. Während er am Schreibtisch die Szenen auseinander schneidet, überlegt er schon, wem er diese Szenen mit welchen Worten präsentieren wird. Wenn er mit der Analyse fertig ist, wird es etwa 12 Uhr sein. Sein Mittagessen mit den Kollegen fällt heute jedoch aus, denn ein Journalist wartet auf ihn im Besprechungsraum. Für diesen Termin nimmt sich Schommers eine Dreiviertelstunde Zeit. Auch das gehört zu den Hauptaufgaben eines Cheftrainers. Nicht jeder mag das.

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Wort-Take 08 - Christoph Daum: Die Medien sind, seitdem ich 1986 begonnen habe bis heute explodiert, also eine Vervielfachung wäre noch nett ausgedrückt, also richtig explodiert, die ganzen privaten Rundfunkstationen, die zusätzlichen Fernsehsender, die auch alle immer wieder ein exklusives Wort haben wollen, das bedeutet ungefähr, dass der Anteil der Medienarbeit sich verhundertfacht hat.

Autor: So beschwerte sich vor fast 20 Jahren Christoph Daum, früherer Trainer von Köln, Leverkusen, Stuttgart und einigen türkischen Vereinen, mit denen er dreimal die türkische Meisterschaft gewann. Dabei spielte damals das Internet kaum eine Rolle. Twitter, Facebook, Youtube und Instagram gab es noch gar nicht. Kein Wunder also, dass sich angehende Fußball-Lehrer heutzutage wünschen, besser auf die neuen und die alten Medien vorbereitet zu werden. Auch das ist ein Ergebnis der Studie der Deutschen Sporthochschule. Babett Lobinger und ihre Kollegen lehren Medienarbeit seitdem wesentlich intensiver in der Ausbildung. 5

Wort-Take 09 - Babett Lobinger: Die Öffentlichkeitsarbeit ist natürlich viel, viel mehr geworden, also wenn wir gucken, was sich da alles verändert hat, selbst wenn man social media nicht selbst macht, also nicht twittert oder ähnliches, was ja auch einige Trainer ab und an versuchen mit Unterstützung, es ist trotzdem ein sehr, sehr großer Bereich und da war auch der Bedarf, dafür besser ausgebildet zu sein oder noch mehr ausgebildet zu werden.

Autor: Daher gehört zur DFB-Ausbildung mittlerweile ein vier Tage Seminar.

Wort-Take 10 - Babett Lobinger: Zu dem wir auch Vertreter der Medien einladen, also sowohl aus Zeitungen, wo wir die Trainer erst einmal informieren, dass es unterschiedliche Zeitungsformate gibt und entsprechend auch unterschiedliche Interviewanfragen kommen und unterschiedliche Formate, und wie das bedient werden kann und wie man das auch professionell regelt, es gibt ja viele Pressesprecher, mit denen muss kooperiert werden, was kann ich von denen erwarten, was sollten, können die leisten?

Autor: Wie man während eines Interviews klug antwortet, welche Themen man wann und wie anspricht, welche Formulierungen man besser nicht benutzt und wann es gut ist, Fragen nicht wirklich zu beantworten, das muss geübt werden. Die Toptrainer werden zu Profis im Umgang mit Journalisten.

Wort-Take 11 - Babett Lobinger: Weil wir dann eben auch Rollenspiele machen mit individuellem Feedback, weil Medienvertreter da sind und kombinieren das mit Teambildung, wo man eben auch lernt, was gibt es für teambildende Maßnahmen? Auch die selbst erfährt und erlebt und auch lernt, Menschen zu beobachten und Probleme gemeinsam zu lösen.

Autor: Menschen beobachten, Probleme gemeinsam lösen - auch das sind neue Aufgaben des Trainers. Früher waren Trainer vor allem fürs Kicken zuständig.

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Wort-Take 12 - : Ja, also jetzt mal abgesehen von dem ganzen Fachlichen und rein Fußballerischen sehe ich eben heutzutage das ganze Psychologische, was da auch auf den Trainer heute zukommt, also die Spieler kommen heute mit ganz anderen Problemen wie vor fünfzehn Jahren, wie ich angefangen habe, wir hatten damals so gut wie keine Probleme, aber heute - alles hat sich doch verändert im Umfeld und die Spieler kommen also auf den Trainer zu mit Dingen, wo man eigentlich gar nicht damit gerechnet hat.

Autor: Private und persönliche Probleme mit einem Spieler zu besprechen, schien vor 20 Jahren Bernd Schuster eher unheimlich zu finden. Schuster, der in seiner aktiven Zeit als Spieler das Tor des Jahrzehnts der 90er Jahre schoss und als Trainer mit Real Madrid Meister wurde. Karl-Heinz Feldkamp hat den persönlichen Kontakt zu 6 seinen Spielern schon damals anders erlebt. Auch Feldkamp ist eine Fußball- Legende: er wurde mit seinen Mannschaften einmal deutscher Meister und dreimal Pokalsieger.

Wort-Take 13 - Karl-Heinz Feldkamp: Die Trainer früher hatten es für meine Begriffe viel schwerer, weil sie taubstumme Spieler hatten, wir durften nichts sagen! Wir haben eigentlich ein Programm akzeptiert, wo wir teilweise nicht mit zufrieden waren, aber wir konnten es nicht verbessern. Wir durften uns ja nicht kritisch äußern, also, heute hat der Trainer es leichter, wenn er in der Lage ist, die Hilfestellungen auch anzunehmen, die aus der Mannschaft kommen, aus dem Umfeld kommen.

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Autor: Das Verhältnis zwischen Trainer und Spieler hat sich in den vergangenen 20 Jahren geändert. Es ist offener und direkter geworden. Der autoritäre Stil vergangener Zeiten ist vorbei. Die Spieler wollen nicht bevormundet werden, sondern Vertrauen zum Trainer haben, selbst Vorschläge machen. Heutzutage wenden sie sich auch mit privaten Dingen an den Chefcoach, weil sich emotionale Belastungen auf das Spiel auswirken könnten. Um auf diese neuen Anforderungen vorbereitet zu sein, lernen angehende Profi-Trainer psychologische Hintergründe zu Mannschafts- und Gesprächsführung. Sie lernen auch, wie sie sich verhalten, wenn ein Spieler Ängste vor Verletzungen entwickelt. Psychologe Werner Mickler von der Hennes-Weisweiler- Akademie:

Wort-Take 14 - Werner Mickler: Es gibt manche, um das nur an einem Beispiel deutlich zu machen, die selber nie einen Unfall oder so etwas gehabt haben. Aber bei manchen reicht es schon aus, ich muss das nur bei jemand anders sehen, und ich kann mich unheimlich gut in dessen Position hineinversetzen, dann habe ich Angst davor, dass mir das auch einmal passieren kann, dass ich das nicht mehr unter Kontrolle habe. Und das sind ja eigentlich irrationale Ängste, weil, ich habe es ja noch nie erlebt! Ich habe es ja nur bei jemand anders gesehen! Aber diese Ängste muss ich dann ernst nehmen und dann muss ich eben versuchen, genau an diesen Dingen zu arbeiten, durch andere Bilder zu ersetzen, was kann dir Sicherheit geben? Auf was müssen wir speziell achten, damit dieser „worst case“ überhaupt erst gar nicht eintritt?

Autor: Das Coaching des Spielers übernimmt natürlich der Psychologe. Aber das kann er nur, wenn der Trainer erkennt, bei welchen Problemen ein Spieler psychologische Hilfe braucht. Basis für diese Arbeit sind Kenntnisse in Kommunikation und Rhetorik. Gute Kommunikation entspringt einer inneren Haltung. Wie wichtig das Verhalten gegenüber der Mannschaft, aber auch gegenüber dem gesamten Team ist, hat Trainerlegende betont, als er 2005 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekam.

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Wort-Take 15 - Otto Rehhagel: 35 Jahre bin ich jetzt Trainer. Habe viele Menschen kennengelernt. Menschenführung, das muss man auch lernen, am Anfang hat man einige Fehler gemacht und im Laufe des Lebens weiß man - um mich jetzt mal philosophisch auszudrücken - Wut und Hass sind schlechte Ratgeber, also dass man auf die Menschen zugehen muss und das habe ich eigentlich immer gemacht. All die jungen Leute, die mir anvertraut wurden, denen bin ich mit Respekt und Achtung entgegen getreten und im Laufe der Zeit haben sie es gemerkt, nachher, das war eigentlich mein größter Erfolg oder meine größten Erfolge, dass meine Spieler, mit denen ich zu tun hatte, später auch meine Freunde geworden sind.

Atmo 05: Trainingszentrum

Autor: Im Trainingszentrum des 1. FC Köln herrscht eine kollegiale Arbeitsatmosphäre. Boris Schommers hat den Journalisten verabschiedet, vertilgt schnell ein Brötchen und ist schon wieder auf dem Weg zum nächsten Termin. Der Kalender des U19- Trainers ist lückenlos gefüllt.

Wort-Take 16 - Boris Schommers: Um 13 Uhr gibt es eine sogenannte Spieltagssitzung, wo ja der sportliche Leiter alle Trainer aus dem Leistungsbereich versammelt und wo man eben über die einzelnen Spiele in der Nachwuchsabteilung spricht, um eben auch über den Tellerrand hinauszuschauen, dass man weiß, wie hat die U15 gespielt, wie hat die U21 gespielt, gibt es irgendwelche Besonderheiten, müssen wir auf etwas reagieren, wie verschieben wir vielleicht Spieler im Trainingsbetrieb? Das ist 13 Uhr, das wird 90 Minuten gehen, und das Training steht schon für heute Abend, nichtsdestotrotz werde ich dann um 14.30 Uhr, 15 Uhr werde ich mich mit meinen Trainerkollegen aus dem Trainerteam treffen, wir werden das Training nochmals durchgehen.

Autor: Schommers selbst spielt seit seiner Kindheit Fußball, zum erfolgreichen Profi hat er es jedoch nicht gebracht. Dafür trainierte er schon in seinem Heimatverein verschiedene Mannschaften. Im Jahr 2005 wechselte er zum 1. FC Köln, zunächst als Co-Trainer. Aber es dauerte nicht lange, bis der heute 36-Jährige Erfolg mit den Domstädtern hatte.

Wort-Take 17 - Boris Schommers: Ja, das war in der Saison 2010/2011, als ich Cheftrainer beim 1. FC Köln geworden bin, da haben wir es geschafft, als Trainerteam auf Anhieb die U17 zur deutschen Meisterschaft zu führen. Das war der erste Titel des Vereins seit 20 Jahren. Für mich persönlich war es natürlich ein schöner Einstieg ins Cheftrainer Dasein. Aber das schaffst du alleine nicht, das ist ein Trainerteam und generell ist es eine ganze Mannschaft mit Individualtrainer und allem drum und dran. Aber es war natürlich ein super Erlebnis und für mich als junger Trainer, im Einstieg, im professionellen Nachwuchsbereich, war es natürlich super.

Autor: Das Team und ‚alles drum und dran‘ sind wichtig. Ohne die Experten um den Cheftrainer geht es gar nicht mehr. Mittlerweile ist es im Profifußball nicht mehr nur 8 entscheidend, wie gut ein Spieler den Ball anschneiden oder auf extrem kurzer Distanz haargenau passen kann. Auch seine Psyche und Persönlichkeit werden über die Jahre beobachtet. Werner Mickler, Psychologe an der Hennes-Weisweiler- Akademie nennt nur einige der psychologischen Aspekte, die für den Erfolg eines Spielers wichtig sein können.

Wort-Take 18 - Werner Mickler: Wie ist der in der Mannschaft integriert, wie verhält der sich auf dem Platz, dann gibt es das Zusatzkriterium, wie verhält der sich im Training? Manche Vereine schicken ja schon spezielle Leute zu Trainingseinheiten hin, um sich vielleicht Spieler anzugucken, die sie holen wollen, wie verhält der sich denn im Training? Oder wie verhält der sich denn in bestimmten kritischen Situationen? Das heißt, ist das jemand, der zum Beispiel im Abstiegskampf in der Lage ist, die positiven Emotionen auf den Platz zu bringen, um die Mannschaft zu führen? Dann wäre das vielleicht jemand, den ich mir gerne holen würde, weil der genau diese positive Energie hereinbringt. Und dann fragt man natürlich auch andere Personen, die mit denen vielleicht schon gearbeitet haben, ihre entsprechenden Jugendtrainer oder so etwas.

Autor: Jeder Bundesligaverein hat eigene Scouts, die die Spieler anderer Mannschaften beobachten. Dabei legen sie umfassende Profile an. Jede mögliche neue Personalie bespricht der Trainer schließlich mit dem Scout, dem sportlichen Leiter und dem Vorstand.

Wort-Take 19 - Boris Schommers: War er eben auf einer Position, wo er mehr oder weniger ein Führungsspieler ist, hat er Verantwortung übernommen, hat er vielleicht die ein oder andere rote Karte, gelbe Karte, Disziplinlosigkeit? Das sind alles ja Daten, die man erfassen kann, die einem schon helfen, um zu sagen, der Spieler kommt für einen in Frage oder nicht. Und mit diesen Daten arbeitet man dann in der täglichen Arbeit, um ihn da vielleicht besser zu machen oder vielleicht ihn in anderen Bereichen zu fördern.

Autor: Das ist aber noch nicht alles. Spezielle, weitergehende Persönlichkeitsanalysen macht ein Expertenteam der Universität Tübingen, das der Sportwissenschaftler Prof. Oliver Höner leitet. Sein Verständnis für die Psychologie auf dem Platz ist tief: Er hat die A-Trainer-Lizenz im Fußball:

Wort-Take 20 - Oliver Höner: Der eine Bereich ist der klassische Bereich der Motivation, wo es vor allen Dingen umso Aspekte wie die Zielsetzung geht, der zweite Bereich ist der der Volition, also von Willenseigenschaften, hier geht es darum, inwiefern Spieler in der Lage sind, ihre Ziele auch tatsächlich umzusetzen, für den Bereich der Emotion haben wir wettkampfbezogene Angst erfasst als Disposition, also die Frage, inwiefern Spieler vor gewissen Wettkämpfen oder auch wichtigen Trainingseinheiten Angstempfindungen haben und diese ihre Leistung mindert; und des Weiteren haben wir so genannte Selbstkonzepte erfasst, das heißt also, die Vorstellung darüber, die ein Spieler von sich selbst bezüglich seiner eigenen Leistungseigenschaften hat.

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Autor: Diese Daten helfen einzuschätzen, ob ein Nachwuchstalent im harten Kampf im Profibereich überhaupt eine Chance hätte. Wer hoch motiviert, willensstark und relativ angstfrei ist, wird später eher in der Bundesliga spielen.

Wort-Take 21 - Oliver Höner: Das, was im Moment in der Praxis läuft, ist, dass der DFB über unser Forschungsinstitut einen Service anbietet, dass einzelne Leistungszentren, also die Nachwuchsakademien der Proficlubs, diese Diagnostik einsetzen können, und dann ist es so, dass in den meisten Nachwuchsleistungszentren ausgebildete Sportpsychologen arbeiten, die dann mit den Diagnoseergebnissen auch entsprechend etwas anfangen können.

Autor: Die Vereine setzen mittlerweile stark auf Nachwuchsarbeit, denn sie können nicht immer zig Millionen für neue Spieler aus anderen Clubs ausgeben. Gute Trainer zeichnen sich deshalb auch dadurch aus, dass sie Spieler aus dem eigenen Nachwuchsbereich ganz nach oben bringen.

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Wort-Take 22 - : Ich habe schon an meiner ersten Station, dem HSV, als ich da Trainer wurde, sieben oder acht Spieler aus der Amateurmannschaft in die Bundesliga mitgenommen und habe auf allen meinen Stationen Wert darauf gelegt, junge Spieler zu haben, aber so wie hier, jetzt beim FC Schalke, wo es mit den Finanzen nicht so gut steht, ist es natürlich im Grunde auch ein Muss, auf junge Spieler zu setzen, aber da das auch in meine Philosophie passt, bin ich halt auch genau richtig da.

Autor: …sagte Felix Magath 2010, als er noch Trainer im Ruhrgebiet war.

Atmo 06: Trainingszentrum

Autor: Boris Schommers wird gleich den hoffnungsvollen Nachwuchs des 1. FC Köln, die U19, trainieren. Vielleicht schlummern hier einige Talente, die bald in der 1. Mannschaft und damit in der Bundesliga spielen werden. Nach einem ganzen Tag im Büro, mit Videoanalyse, Interview mit einem Journalisten, Besprechung mit allen Trainern und dem sportlichen Leiter, einer weiteren Besprechung mit seinen Co- Trainern geht es in Kürze auf den Rasen.

Wort-Take 23 - Boris Schommers: Was dann heute um 17 Uhr mit einem Athletiktraining und einem differenzierten Training in zwei Gruppen beginnt, das geht bis 19 Uhr, die Trainingseinheit mit der Mannschaft und nach 19 Uhr gibt es dann schon die Trainingsnachbereitung und gleichzeitig die Vorbereitung fürs morgige Training, wo wir im Trainerteam besprechen, was wir in groben Zügen morgen machen wollen, damit der grobe Rahmenplan für morgen schon steht. Ich schätze mal, dass ich heute so um 20.30 Uhr nach Hause fahren werde. 10

Atmo 07: FC Aufwärmen

Autor: Punkt 18 Uhr kommen die Kölner U19-Kicker in ihren rot-weißen Trikots auf den Platz. Einige Zuschauer beobachten das Training. Andere sind auf der Jagd nach Autogrammkarten oder Fotos mit den Spielern. Schommers und seine beiden Co- Trainer tragen schwarze Trainingshosen und lange, warme Jacken. Und Fußballschuhe. Sie markieren mit Hütchen zwei zehnmal zehn Meter große Felder. Die Spieler machen sich selbst kurz warm, dann beginnt Cheftrainer Schommers sofort mit dem Training.

Atmo 08: FC 1. Übung „Okay, wir machen jetzt im Prinzip drei Vierermannschaften, es ist jetzt ein bisschen verändert, weil, ihr seht, in jeder Mitte sind zwei Spieler, die stören, ansonsten geht es darum, im ersten Durchgang in einem Vier gegen Zwei vier Pässe hinzubekommen, nach dem vierten auf die andere Seite zu verlagern. Ja?“

Atmo 09: FC 1. Übung „…erster Ball ist frei, und eins, zwei, drei, vier...“

Autor: Boris Schommers und einer seiner Co-Trainer spielen mit, der zweite Co-Trainer beobachtet das Training und die Spieler vom Rand aus. Alle zeigen vollen Einsatz, niemand schont sich. Es wird bis zum letzten um jeden Ball gekämpft. Die Jungs wollen sich für das nächste Spiel empfehlen. Die Trainer geben alles, um ihre Jungs zu fordern. Die wiederum sind total aufmerksam, kommen sofort zusammen, wenn der Trainer etwas sagen will. Trotz der Disziplin ist die Atmosphäre wohlwollend und freundlich. Neben allen Kenntnissen über Fitness, Technik, Psychologie, Athletik und Taktik, sind auch Intuition und Menschenkenntnis wichtig, weiß Prof. Oliver Höner von der Uni Tübingen.

Wort-Take 24 - Oliver Höner: Das Bauchgefühl des Trainers ist und bleibt wahrscheinlich das Wichtigste, was ein Trainer hat, weil er immer wieder in Situationen gerät, die so komplex sind, dass man sie möglicherweise oder mit ziemlicher Sicherheit gar nicht vollends rational entscheiden kann, d. h., auf Basis aktueller Wissensbestände gar nicht entscheiden kann. Sie sind nicht nur komplex, sondern oft ist es auch so, dass ein Trainer spontan reagieren muss, sei es während eines Spiels oder während eines Trainingsprozesses in der Kommunikation mit einem Spieler, so dass ich davon ausgehe, dass das Bauchgefühl nach wie vor das A und O der Trainerkompetenz sein wird.

Autor: Ein erfolgreicher Trainer muss sein Team und jeden einzelnen einschätzen können. Davon ist auch der Psychologe Werner Mickler überzeugt und nennt ein Beispiel aus der Weltmeisterschaft 2014.

Wort-Take 25 - Werner Mickler: Jeder kennt die Fußballnationalmannschaft. Und man hätte ja am Anfang fragen können, warum hat Joachim Löw Schweinsteiger und Khedira mitgenommen, die 11 beide verletzt waren. Weil sie wichtige Funktionen innerhalb der Mannschaft haben und sie davon überzeugt waren, dass die medizinische Abteilung das hinbekommt, so dass sie später, wenn sie weiterkommen sollten, dann eine ganz, ganz wichtige Rolle spielen. Also sehr gut vorausgeplant und vorausgedacht.

Autor: Joachim Löw hat alles richtig gemacht und muss nicht um seinen Job bangen. Bundesligatrainer aber schon, glaubt der 80jährige Karl-Heinz Feldkamp, der mit über 400 Bundesligaspielen als Trainer zu den erfahrensten Fußball-Lehrern gehört. Die Anforderungen an den Beruf und der Druck sind deutlich härter geworden.

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Wort-Take 26 - Karl-Heinz Feldkamp: Trainer werden sich immer mehr von Tag zu Tag, von Erfolg zu Erfolg oder von Misserfolg zu Misserfolg neu in Frage stellen müssen, was früher nicht der Fall war, wenn man mal ein Guter war, dann hatte man eine gewissen Ära und wenn einer sagte der Rasen ist rot oder grün, dann haben wir das geglaubt. Heute muss man sich täglich weiterbilden, und die Qualität der Trainer wird besser, absolut besser.

Autor: Viele der neuen Trainer haben sogar Sportwissenschaften studiert. Alle haben die Ausbildung beim DFB als Fußball-Lehrer absolviert. Die Trainer sind besser ausgebildet, der Job manchmal ein Schleudersitz, dafür wesentlich bunter als früher, so hat es der heute 62jährige Felix Magath erlebt.

Wort-Take 27 - Felix Magath: Natürlich ist Fußball mittlerweile Showgeschäft und natürlich muss man das, was man macht heute auch verkaufen und da gibt es natürlich auch den ein oder anderen, dem es halt leichter fällt, seine Vorstellungen zu verkaufen und es gibt auch den ein oder anderen Trainer, der sich schwer tut, das, was er macht, auch rüberzubringen.

Autor: Der 36jährige Boris Schommers hingegen macht sich noch keine Gedanken ums ‚Showgeschäft‘ der oberen Ligen.

Wort-Take 28 - Boris Schommers: Ich beschäftige mich jetzt nicht mit dem Traum, ob ich es irgendwann mal darf, sondern ich fühle mich sehr wohl, wo ich im Moment bin. Ich habe hier im Verein die Chance bekommen, die U19, die höchste Jugendmannschaft zu trainieren in der Bundesliga, das macht mir sehr viel Spaß und ist genau der nächste richtige Schritt in meiner persönlichen Karriere und da fühle ich mich sehr wohl.

Atmo 10: FC 2. Übung / 2. Durchlauf „Tief. Und ran. Weiter, weiter … Dario! Einer tief!! Ja, ja.“

Autor: Bis zur letzten Minute kämpfen die U19-Spieler um jeden Ball. Doch jedes Training geht zu Ende. 12

Atmo 11: FC Ende „Okay, Männer, Feierabend, das Tor weg, Bälle weg, Hütchen weg, das Tor kann der Verlierer wegtragen!“

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