13. Jahrgang, Nr. 155 Dezember 2010 o t u c h s RT r i b ü n e f ü r Ko m m u n i s tFe n u n d So z i a l i s t e n i n De u t s c h l a n d Die Lüge vom Nationalsozialismus

Als Deutschlands Bankiers, Industrielle und Jun- frontal gegen die nationalen Interessen des deut- ker den senilen Reichspräsidenten von Hinden- schen Volkes. Hitlers NSDAP, die nach Mussoli- burg im Januar 1933 dazu veranlaßten, Hitlers nis italienischen und Salazars portugiesischen Faschisten die Staatsgewalt auszuliefern, zogen Faschisten vom Kapital ans Ruder gebracht wor- sie damit die Notbremse. Das Großkapital wollte den war, hatte den Auftrag, von ihren wahren in einer äußerst zugespitzten Klassenkampfsi- Absichten durch griffige und gängige Parolen tuation der unausweichlichen Machtprobe mit abzulenken. Nur so konnte das Trojanische Pferd den Kommunisten und den durch sie geführten in die gegnerische Burg gezogen werden. proletarischen Massen zuvorkommen. Dabei stör- Nach der Niederwerfung des deutschen Faschis- te der von Hitler gewählte Tarnname National- mus durch die Rote Armee und deren Alliierte im I n h a l t sozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) Jahre 1945 verfuhr man mit Drahtziehern und Seite die eingefleischten Arbeiterfeinde und Sozia- Exekuteuren der Hitlerschen Schreckensherr- Fremdbestimmtes und Hausgemachtes 2 listenhasser nicht im geringsten. Denn das schaft in Ost und West auf völlig entgegengesetzte Walter Womackas unvergängliches Werk 3 Imperialistische Handelsbarrieren Schafsfell, in dem sich der faschistische Wolf prä- Weise. Während in der späteren DDR nicht nur die gegen die DDR (Teil 3) 4 sentierte, zielte allein auf Irreführung. Der KPD Stallburschen der braunen Diktatur zur Rechen- Kämpfer an der Außenwirtschaftsfront 5 Ernst Thälmanns – mit 6 Millionen Wählerstim- schaft gezogen, sondern auch die Herrenreiter Vom Bergmann zum Staatsmann 5 men und 300 000 Mitgliedern sowie einem straff politisch wie ökonomisch ausgeschaltet wurden, E. Rasmus: Für Gerhard Beil 5 organisierten paramilitärischen Rotfrontkämp- machte das Bonner Adenauer-Regime tragende Röslers krankmachende Gesundheitsreform 6 Ein mieser Typ 7 ferbund die damals schlagkräftigste kommuni- Säulen des faschistischen Repressionsapparates zu Ronald Lötzsch: Herr Biedenkopf irrt 7 stische Partei außerhalb der Sowjetunion – sollte Stützpfeilern seiner „Demokratie“. Nazi-Generäle, Die wechselvolle Geschichte eines Lenin-Bildes 8 durch massives Eindringen in deren soziale Basis Nazi-Richter, Nazi-Lehrer und Nazi-Beamte gaben Abc des Marxismus: Basis und Überbau 8 das Wasser abgegraben werden. Deshalb hüllten weitgehend den Takt und den Ton an. Globke, der 10 Jahre DDR-Museum in Tutow 9 sich Hitlers Horden in die Toga von „Anwälten Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, stieg Bochum: Ein DDR-Kabinett im Ruhrgebiet 9 Gewerkschaftsspalter in Westberlin: für Arbeiterinteressen“. Der Trick blieb nicht sogar zum Guru des Kanzlers auf. Als die UGO zum „Streik“ aufrief 10 ohne Wirkung. Mit demagogischen Versprechun- Dieser inhaltlichen Konstellation entsprach dann Die Weitsicht des Lyrikers Helmut Preißler 10 gen lockten die Faschisten unzählige deutsche auch die Wortwahl beider Seiten: Nannte man „Zeitzeugen“ mit Gütesiegel 11 Proletarier – darunter auch viele Erwerbslose – in der DDR den Faschismus an der Macht – die Wanderausstellung oder Verwirrspiel? 12 in die „Sturmabteilungen“ ihrer SA. Da die den offene, unverhüllte Diktatur der reaktionärsten Der Mops und der Mond 13 Mehr als 22 000 Stolpersteine 14 Ausgepowerten vorgegaukelte „zweite Revolu- und aggressivsten Kreise des Finanzkapitals – In memoriam Dr. Ludwig Katzenstein 15 tion“ nach der „Machtergreifung“ aber ausblieb, beim wahren Namen, so hielt die politische Füh- Zur Bio-Debatte: kam unter den Genasführten bald Unzufrieden- rung der BRD, welche den angeblich „verordneten Umweltgerecht erzeugte Produkte für alle! 16 heit auf. Deshalb wurde die SA nach dem soge- Antifaschismus“ im Osten heftig attackierte, an Einladung nach „Heideruh“ 16 nannten Röhm-Putsch vom 30. Juni 1934 in die der Hitlerschen Wortschöpfung Nationalsozialis- n Oskar Lafontaine: zweite Reihe verbannt und durch die elitären mus fest. Dabei kommt den antikommunistischen Der archimedische Punkt RF-Extra I Totenkopf-Verbände der SS ersetzt, deren Ange- Ideologen die phonetische Nähe von Nationalso- n Antisemitismus – ein zutiefst hörige überwiegend aus „gehobeneren Schich- zialismus und Sozialismus sehr zupaß, um ihre reaktionäres Phänomen RF-Extra III ten“ stammten. Lüge von den „zwei deutschen Diktaturen“ – eine Kundus: Von der Etappenidylle zum Frontgebiet 17 Kuba: Die Visionen des Realisten Raúl Castro 18 Stellte Hitlers NSDAP das direkte Gegenteil einer Variante der berüchtigten Totalitarismus-Dok- Wie Jugoslawiens Partisanen ihr Land befreiten 19 Arbeiterpartei dar, dann hatte sie mit dem Sozia- trin – weltweit zu verbreiten. China: Erstmals gesetzliche Regelung lismus noch weniger am Hut. Allein die seit der Dort, wo man Hitlers Mörderbande sowohl betrieblicher Arbeitskonflikte 20 Oktoberrevolution ständig wachsende Anzie- umgangssprachlich als auch in offiziellen Ver- Ein „würdiger“ Laureat 20 CIA-General Vernon Walters: hungskraft der sozialistischen Ideen zwang die lautbarungen weiterhin als Nationalsozialisten Spezialist für die „Letzte Ölung“ 21 Faschisten zur Anpassung an das Vokabular ihrer verharmlost, leitet man Wasser auf die Müh- Polen: Jagd auf Hammer und Sichel 21 ideologischen Todfeinde. Während die Herrschaft len neuer Faschisten. Sie sammeln sich inner- Erinnern an Oradour-sur-Glane 22 der Krupps unangetastet blieb, balbierte man die wie außerhalb der Institutionen, auch wenn es Belgien: Nous sommes un, wij zijn één 22 Krauses fortan mit Schlagworten wie „Volksge- angesichts des heutigen Kräfteverhältnisses Zum 100. Todestag Lew Tolstois 23 Solo einer Nachtigall 24 meinschaft“, „Volksempfänger“, „Volkswagen“, in Deutschland vorerst wohl keiner SA und SS Aus Hellges Anekdotenkiste „Volkseintopf“ und „Volksempfinden“ über den bedarf. Kammblasen oder Flötentöne? 24 Löffel, um sie anschließend dem großen Volks- Vor diesem Hintergrund ist es beunruhigend, daß Jurij Winars historisches Konzert 25 sterben an den Fronten des von Hitler entfessel- selbst als Antifaschisten ausgewiesene Politi- Vor fünf Jahren starb das Erzählertalent Harry Thürk 25 ten Krieges auszuliefern. ker der BRD, darunter auch solche aus den Rei- „Sprachzuchtmeister“ Hansgeorg Stengel 26 Übrigens diente auch das N im Kürzel des faschi- hen der Linkspartei, das Wort Faschismus nicht Botschafterin der heiteren Muse: stischen Parteinamens dazu, die Masse der Deut- mehr in den Mund zu nehmen wagen. Der Bereit- Bärbel Wachholz 27 schen hinter das Licht zu führen und bei ihnen schaft zur Anpassung an den terminologischen Als Louis Armstrong in der DDR gastierte 27 Archie und die Pharisäer 28 niedrigste Instinkte auszulösen. Der rassistisch- „Mainstream“ muß ein Ende gesetzt, der angeb- Leserbriefe 29 chauvinistische Herrenmenschen-Taumel, der die liche Nationalsozialismus als Faschismus klar Grafik des Monats 32 Hölle von Auschwitz hervorbrachte, richtete sich benannt werden. Klaus Steiniger Seite 2 RotFuchs / Dezember 2010

Fremdbestimmtes und Hausgemachtes Über zwei Journalisten der „Süddeutschen“, die etwas tiefer zu loten suchten

m 3. Oktober feierte die deutsche Bour- der zum Teil zwar problembehafteten, jener Kapitalisten, welchen die DDR zeit Ageoisie zum 20. Mal den Tag der Anne- aber insgesamt leistungsfähigen DDR- ihrer Existenz das Ausbeuterhandwerk xion der DDR. Unsere Intelligenz wurde Wirtschaft. Auch in diesem Jahr hörte gelegt hatte, durchaus Sinn. mit Feiertagsreden, Selbstbeweihräuche- man in den Jubelreden kein Wort von der Doch wir wollen uns nicht darauf beschrän- rungsattacken, Propaganda-Stories und „Treuhand“. Zu negativ sind die Gefühle, ken, die Fehler der Anschlußpolitiker aus Lügenaufgüssen beleidigt. die gerade diese „Behörde“ bei früheren dem Westen darzulegen. Auch wir Ost- Da tut es gut, daß es in journalistischen DDR-Bürgern ausgelöst hat. Man will sie deutschen müssen uns dem historischen Revieren noch Leute gibt, die anders als in Vergessenheit geraten lassen, da sie eine Geschehen von 1989/90 rückhaltlos stel- die Masse der Lohnschreiberlinge versu- Wirtschaftskatastrophe auslöste, wie sie len. Wir machen es uns zu leicht, wenn wir chen, eine ungeschönte Bestandsaufnahme keine noch so ineffiziente Planwirtschaft die heutige Situation einfach nur empörend des tatsächlichen Geschehens in den soge- je hätte verursachen können. Das gesamte finden und uns allein als Opfer fremder, nannten neuen Ländern zu wagen. Chri- Volksvermögen der DDR verwandelte sich betrügerischer Mächte sehen. Hat es doch stoph Cadenbach und Bastian Obermayer binnen weniger Jahre in einen riesigen auch die „Helmut-Helmut“-Rufe in Dresden sprachen mit echten oder selbsternann- Schuldenberg. Raub und Verschleuderung und anderswo gegeben. Die BRD-Fahnen ten Ost-Experten, werteten Statistiken waren dem vorausgegangen. Während Mil- wurden zwar aus dem Westen geliefert, aus und reisten ins thüringische Jena. lionen im Osten arbeitslos wurden, stieg die dann aber von Ostdeutschen geschwenkt. Das Ergebnis präsentierte dann das Maga- Zahl der Vermögensmillionäre im Westen Das Wedeln mit den 100-DM-Begrüßungs- zin der Süddeutschen Zeitung unter dem sprunghaft um 40 %! Ein Zufall? Nie zuvor geldscheinen war eine freigewählte Selbst- Titel „Geschlossene Gesellschaft“. Dieser hat es in Friedenszeiten eine solche Plün- erniedrigung. Viele hingen erwartungsvoll Bericht bemüht sich um Ehrlichkeit, ver- derung und De-Industrialisierung im Maß- an den Lippen der Heilsbringer und waren meidet arrogante Anti-Ost-Untertöne und stab eines ganzen Landes gegeben. bereit, ihnen jedes Wort zu glauben. dümmliche Belehrungen. Auch das Prinzip „Rückgabe vor Entschä- Zugegeben: Auch ich schenkte der vermeint- Die Zahlen lassen eine Beschönigung auch digung“ war den Festrednern peinlich. Ein lichen Wahrheitsliebe und journalistischen kaum zu. Ostdeutsche machen heute etwa ganzes Volk wurde zum Freiwild für west- Redlichkeit sogenannter Qualitätsmedien 20 % der BRD-Gesamtbevölkerung aus, sind deutsche Eigentümerinteressen erklärt. viel zu lange Vertrauen, bis ich endlich aber in doppelt so hohem Maße arbeitslos Während Profi-„Vertriebene“ wie Erika begriff, daß Verdummung und Manipu- wie Westdeutsche. Das gleiche trifft auf Steinbach hofiert werden, schweigt man lation deren Auftrag und Geschäft sind. den Niedriglohnsektor, die Zahl der Hartz- die Vertreibung Tausender und Abertau- Ich weiß noch gut, mit welchem naiven IV-Aufstocker und die Jugendarbeitslosig- sender Ostdeutscher tot. In Kleinmachnow Stolz ich meine erste Westzeitung kaufte keit zu. Ostdeutsche verdienen etwa 17 % lebt z. B. nur noch ein Fünftel der Alteinge- und nach Hause trug. Die Mentalität des weniger als ihre westdeutschen Kollegen, sessenen – die anderen wurden verjagt und Jagens nach der Banane erleichterte den arbeiten dabei aber länger. umgesiedelt, um solchen „Edelmännern“ Räubern ihren Raubzug ganz erheblich. Cadenbach und Obermayer wiesen ziem- wie Jörg Schönbohm Platz zu machen. Dem müssen wir uns stellen, auch wenn so lich anschaulich nach, wie die Bevölke- Dem Fehlen einer ostdeutschen Elite ging mancher nachträglich Scham darüber emp- rung im Osten fremdbestimmt wird. Sie deren Entfernung aus allen relevanten finden mag, den Rattenfängern in die Falle stellt nur 20 % der sogenannten BRD-Elite, Bereichen der Gesellschaft voraus. Nahezu gegangen zu sein. Nur wenn man sich selbst worunter Entscheidungsträger in Wirt- die gesamte Intelligenz wurde ausge- gegenüber ehrlich ist, kann man jene Resi- schaft, Politik, Medien, Justiz und ande- tauscht. Enorme geistige, kulturelle und gnation überwinden. in der nicht wenige ren Bereichen gemeint sind. Auch im Osten wissenschaftliche Potenzen liegen seitdem noch immer verharren. Dem Schock und der selbst sind nicht mehr als 30 % der Spitzen- brach. Eine Katastrophe! Welches Land Scham müssen Wut und Widerstand folgen. kräfte Einheimische. Politische Gremien, kann sich so etwas leisten? Eine zuneh- Ohne einen ungetrübten Blick auf das Han- Universitäten, DAX-Unternehmen, lukra- mende geistige Verarmung Deutschlands deln der Mächtigen von damals und heute tive Grundstücke, Immobilien, Fernsehsen- ist das Ergebnis. werden wir der Dinge nicht Herr. Von den der und Zeitschriften befinden sich fest in Heute sind die Ostdeutschen jene Bevöl- jetzt am Ruder Befindlichen eine sachli- westdeutscher Hand. kerungsgruppe in Europa, welcher am che Analyse und Kurskorrektur zu erwar- Dafür sind Ostdeutsche als Kanonenfut- wenigsten von dem Land gehört, in dem ten, führt in die Irre: Sie selbst sind die ter gefragter. Sie stellen inzwischen gut sie selbst lebt. Sie sind de facto nur noch Täter von gestern. Sie brauchen die Kluft die Hälfte der einfachen Soldaten im „Aus- geduldete Gäste in ihrer Heimat. Die Hoff- zwischen Ost und West, handeln doch alle landseinsatz“. Mit anderen Worten: im nungslosigkeit schlägt sich nicht zuletzt Ausbeuter und Unterdrücker seit jeher nach Krieg. Bei einem Anteil von 20 Prozent der in der Geburtenrate nieder, die lediglich der Devise „Teile und herrsche!“ Gesamtbevölkerung ist das ein aufschluß- von der im Vatikanstaat deutlich unter- Doch ich glaube, daß eine auf solchen reicher Aspekt. Wenigstens beim Sterben- boten wird. Rezepten basierende Selbstlegitimierung dürfen bevorzugt man sie … Was viele „Leistungsträger“ nicht auszu- bereits den Kern künftigen Scheiterns in Die Autoren des Münchner Blattes haben sprechen wagen, ist die Tatsache, daß es sich trägt. Deshalb haben mich auch die versucht, sich der Gegenwart zu nähern. nie um eine wirkliche Einheit ging, wie Festreden der hitzigen kalten Krieger am Das ist anerkennenswert und wird viel zu sie bundesdeutsche Politiker vorgaukeln, 3. Oktober nicht erwärmen können. selten gewagt. Cadenbach und Obermayer sondern allein ums Beutemachen. Die DDR Ulrich Guhl, gelangen zu dem Schluß, daß Ostdeutsche wurde wie eine Kolonie behandelt und als immer da fehlen, wo es um Macht geht, Konjunkturmotor für die damals schwä- dafür aber überproportional dort zu fin- chelnde BRD-Wirtschaft betrachtet. Hinzu Hinweis an unsere Leser: den sind, wo der Kampf um die nackte Exi- kam der Wunsch, den „Kommunismus“ auf Wegen der Feiertage und des Jahres- stenz zur Debatte steht. deutschem Boden endlich auszulöschen. Wagen wir den Versuch einer Analyse. Betrachtet man die Politik der BRD-Füh- wechsels gelangt die Nr. 156 des RF Die geringe Wirtschaftsleistung hat ihre rung in Ostdeutschland unter diesem Blick- erst am 6. Januar zum Versand. Wir Ursache in der durchgängigen Vernichtung winkel, dann macht das Ganze aus der Sicht bitten um Verständnis. RotFuchs / Dezember 2010 Seite 3

Unvergänglich und unauslöschbar

Am 18. September ist der Maler Walter Womacka, dessen Werk weit über die Grenzen der DDR hinaus Beachtung fand, von uns gegangen. Wir ehren ihn, indem wir verschiedene Facetten seines Schaffens, das die Jahrhunderte überdauern wird, hier anklin- gen lassen.

Gehöft am Wasser (2002)

Enkelin Anna (1978) Selbstporträt

Schreiender Stier (1995)

Fenster im ehemaligen Staatsrats- gebäude der DDR (1964) Seite 4 RotFuchs / Dezember 2010

Imperialistische Handelsbarrieren gegen die DDR Hallsteins Alleinvertretungsanmaßung (Teil 3 und Schluß)

nde 1955 wurde der seit Gründung Kapitalismus zu beseitigen. Das war der Maßnahmen im Interesse der Erzielung Eder DDR bereits praktizierte Allein- Kern des Kalten Krieges. von Maximalprofit zu verhindern trach- vertretungsanspruch der BRD – die nach Bezogen auf die deutschen Verhältnisse tet. dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, hieß das Liquidierung der DDR und Voll- Die DDR ist nicht allein untergegangen, Walter Hallstein, benannte Doktrin – zum zug der „deutschen Einheit“ unter west- sondern als Teil einer Gemeinschaft von Gesetz erhoben. Bonn maßte sich an, für lichem Diktat, also Wiederherstellung Staaten, die einem Sozialismusmodell „alle Deutschen“ zu sprechen. Als erklärter der bis 1945 auch im Osten bestehenden folgte, welches sich auf Dauer als nicht Rechtsnachfolger des 1945 untergegange- kapitalistischen Ordnung. hinreichend lebensfähig erwies. Die DDR nen Deutschen Reiches reklamierte die Wenn dies bis 1989 nicht gelang, war das konnte nur mit der Sowjetunion existie- BRD auch das Monopol auf die Außenver- der solidarischen Hilfe und Unterstüt- ren. Als deren sozialistische Politik aber tretung. Wer die DDR als zweite deutsche zung der Sowjetunion und der anderen aufgegeben wurde, war auch die Grund- Republik akzeptierte, hatte mit politischen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft lage für ein Weiterbestehen der DDR nicht und wirtschaftlichen Sanktionen zu rech- zu verdanken. mehr vorhanden. nen. Dabei wurden nur sozialistische Staa- Trotz der komplizierten Ausgangslage Das aber ist nicht das Ende sozialisti- ten ausgenommen. und des gnadenlosen Kampfes der BRD scher Vorstellungen. Ich bin vom Fortbe- Die BRD lehnte die Zweistaatentheorie, gegen die DDR auf allen Feldern geschah stand unserer Idee unverändert überzeugt, wie der nach dem Krieg entstandene Sta- das eigentliche deutsche Wirtschafts- selbst wenn es augenblicklich so aussieht, tus quo bezeichnet wurde, grundsätz- wunder, das die Voraussetzungen für ein als läge deren Zukunft bereits hinter ihr. lich ab. allen zugängliches Bildungssystem, ein Schon Rosa Luxemburg hat die Alterna- Als Jugoslawien und Kuba die DDR diplo- umfassendes Gesundheitswesen für alle tive klar benannt. Sie lautet: Sozialismus matisch anerkannten, brach Bonn die Bürger und andere soziale Maßnahmen oder Barbarei. Beziehungen zu ihnen ab. Einige kapitali- schuf, in den 40 Jahren der Existenz der Auch wenn derzeit in vielen Ländern das stische Staaten und Entwicklungsländer DDR. Ihre Selbstbehauptung gegen die Mittelmaß regiert und die Massen mehr- waren durchaus bereit, ihr Verhältnis BRD war mit hohen Kosten, vielen Ein- heitlich den Herrschenden hinterhertrot- zur DDR schrittweise zur normalisie- bußen und Verlusten verbunden. ten, muß und wird das nicht bis zum Ende ren, was die BRD mit ihrem ganzen poli- Die ungünstigen Ausgangspositionen aller Tage so bleiben. Die Entwicklung, tischen und ökonomischen Gewicht zu und der ununterbrochene Kampf der BRD redeten wir uns ein, vollziehe sich gesetz- verhindern wußte. Das bedeutete: keine gegen die DDR haben unsere gesamte mäßig und aufsteigend. In der Tendenz diplomatischen Beziehungen, keine Entwicklung beeinflußt. Dennoch war vielleicht, aber nicht ohne Rückschläge Anerkennung der Pässe der DDR, keine die DDR 1990 nicht pleite, ihre Wirt- und schon gar nicht mechanisch und auto- Botschaften, keine offiziellen Handels- schaft keineswegs marode, waren rie- matisch. Der Fortschritt gerät mitunter vertretungen, keine Handelsabkommen, sige Vermögenswerte vorhanden. Sonst ins Stocken, woran dann immer viele Fak- dafür aber höhere Zölle, eine strangu- wäre ja die Übernahme der Banken, Ver- toren beteiligt sind. lierte Lizenzpolitik, keine Zahlungsab- sicherungen, Industrieanlagen, Woh- Politische Organisationen, und wenn sie kommen. nungen und Handelsorganisationen, die sich noch so wichtig nehmen, sind nur ein Neben der Cocom-Liste und dem Allied bereits Anfang 1990 begann, nicht so Element dabei. Heute gehören weniger Travel Office erwies sich die Hallstein- lukrativ gewesen. als drei Prozent der Bundesbürger einer Doktrin als das wirksamste Mittel der Nach Einverleibung der DDR durch die Partei an. Bei uns waren es weit mehr. Bundesregierung, um der DDR mit dem BRD wurde der bereits seit Jahrzehnten Und es waren nicht nur Opportunisten, Ziel ihrer Vernichtung zu schaden. geführte Kampf gegen jede Form sozia- die Karriere machen wollten. Die gab es Ihr gelang es bis 1969, lediglich zu 13 listischer Entwicklung und sozialisti- auch, mehr als genug. Aber wir waren Staaten volle diplomatische Beziehungen schen Denkens fortgesetzt. Der kurzen nicht wenige, die bewußt Partei ergrif- herzustellen. Erst danach – als sich in Etappe, in der „blühende Landschaften“ fen und sich entsprechend bildeten. Das, Bonn die sozialliberale Koalition unter versprochen wurden, folgte der Einfall so scheint mir, ist derzeit unser größtes Kanzler Willy Brandt zur Aufgabe der von Scharen politischer, ökonomischer Manko: fehlendes politisches Wissen! Hallstein-Doktrin entschlossen hatte – und juristischer „Berater“, die den Boden Dr. Gerhard Beil † wagte es eine Reihe Staaten der Dritten für die Vertreter der Konzerne und Ban- Welt, solche Beziehungen zur DDR auf- ken vorbereiten sollten, um die Konkur- Unser Autor war Minister für Außenhandel zunehmen. Nach Abschluß des Grund- renzbetriebe der DDR auszuschalten oder der Deutschen Demokratischen Republik. lagenvertrages zwischen DDR und BRD zu vereinnahmen. im Jahre 1972 folgten dann alle kapita- Parallel dazu begann die Phase der Dele- listischen Industrieländer. gitimierung des politischen und wirt- Allen Leserinnen und Lesern des RF, Die genannten diskriminierenden Maß- schaftlichen Systems der DDR unter nahmen der NATO – von Cocom über das der Losung vom „Unrechtsstaat“. Poli- den gleichgesinnten Kampfgenos- Alliierte Reisebüro bis zu diversen Boy- tische Parteien und Organisationen der sen, unseren aufgeschlossenen kotten und Embargos – wurden mit vol- „abgewickelten“ DDR, ihr Bildungs- und Sympathisanten, den kritisch-soli- ler Unterstützung der BRD oder sogar Gesundheitswesen wurden kurzerhand darischen Weggefährten und den auf deren Initiative ergriffen. beseitigt. Zahllose Ermittlungsverfah- All das geschah aufgrund einer ideolo- ren, Verhöre und Hausdurchsuchungen unserer Weltanschauung mit gisch motivierten Politik, die sich dem erzeugten eine Atmosphäre der Angst Toleranz und Fairneß begegnenden strategischen Ziel der USA unterordnete, und Unsicherheit. Sie waren zugleich Andersdenkenden wünschen wir die „Ausbreitung des Kommunismus“ die Nebelwand, hinter der sich die Über- einzudämmen und ihn zurückzurollen nahme der Banken, Versicherungen und (Rollback). Dazu wurden die DDR und Handelsorganisationen der DDR vollzog. schöne Weihnachtstage und die anderen sozialistischen Staaten auf Milliardenwerte gingen dabei über den allen Feldern mit der Absicht bekämpft, Tisch. Das war der Anfang einer Politik, ein sinnerfülltes neues Jahr. das alternative Gesellschaftsmodell zum die jede Form und jeden Ansatz sozialer RotFuchs / Dezember 2010 Seite 5

Eine Fundgrube nicht nur für Historiker Bilanz eines Kämpfers an der Außenwirtschaftsfront

utor des unlängst im Verlag Das Neue Gerhard Beil schildert, wie die Außen- durch die unermüdliche und präzise Arbeit ABerlin erschienenen Buches „Außen- händler der DDR bis 1989 darum kämpfen der beteiligten Außenhändler und Unter- handel und Politik“ ist Dr. Gerhard Beil. mußten, die sich aus vielfältigen Manövern nehmen in wirtschaftliche Erfolge umge- Er war der letzte Minister des Ressorts in der Bundesrepublik und ihrer imperiali- münzt wurden. der Regierung der Deutschen Demokra- stischen Verbündeten ergebende Wirt- Widerlegt wird die plumpe Behauptung, tischen Republik. So wurde diese Ausar- schaftsblockade zu durchbrechen. Seit die DDR-Wirtschaft sei leistungsunfähig beitung, die noch kurz vor seinem Tode Gründung der beiden deutschen Staaten gewesen. Die im Buch angegebenen Zahlen erschien, gewissermaßen zu einem histo- hielt die später durch Hallstein offiziell über den Export von Produktionsmitteln rischen Dokument. Geschildert werden verkündete Alleinvertretungsanmaßung in das westliche Ausland, beispielsweise mit hoher Akribie die schwierige volks- andere Länder davon ab, über Handels- industrieller Anlagen und Werkzeugma- wirtschaftliche Ausgangssituation in der abkommen mit der DDR Liefer- und Lei- schinen, sprechen eine beredte Sprache. sowjetischen Besatzungszone und dann der stungsverträge abzuschließen, wie es Die Zwecklüge von den angeblich maro- DDR, die zwingenden Gründe für Import sonst zwischen Staaten üblich ist. Dar- den, also wertlosen volkseigenen Betrieben und Export beim Aufbau einer neuen öko- über hinaus verhinderte eine umfangrei- wird allein durch die detailliert geschil- nomischen Ordnung. Sie sind in der vom che und ständig erweiterte Warenliste, derten Importe der DDR von hochmo- „RotFuchs“ veröffentlichten dreiteiligen die von den NATO-Staaten vorgeschrie- dernen Industrieanlagen aus westlichen Artikelserie Gerhard Beils angedeutet und ben wurde und noch bis 1994 wirksam Ländern ad absurdum geführt. Sie dient werden im Buch eingehender beschrieben. blieb, Lieferungen der darin aufgeführten der BRD lediglich als „Begründung“ der Kriegsbedingte Zerstörung von Produkti- Erzeugnisse an „Ostblockländer“. durch die Treuhand betriebenen Vernich- onsmitteln in enormem Ausmaß, Dispropor- Umgekehrt wurden Exporte der DDR, die tung oder Verschleuderung des DDR-Volks- tionen zwischen den im Osten verbliebenen zur Bezahlung von Importen notwendig vermögens. Abgesehen davon, daß zum industriellen Resten, Rohstoffarmut und waren, durch handelspolitische Maß- Zeitpunkt der „friedlichen“ Konterrevolu- Reparationsleistungen, Verluste an wissen- nahmen und Druck auf solche westlichen tion diese importierten Produktionsmit- schaftlich-technischem Know-how sowie Unternehmen, die an Einfuhren aus der tel vollzählig vorhanden waren, hätten ein damit verbundener Rückstand gegen- DDR interessiert waren, unterbunden oder „marode“ Unternehmen gar keine Chance über kapitalistischen Industrieländern ein- zumindest erschwert. Zu diesem Zweck gehabt, sie überhaupt zu nutzen. schließlich Westdeutschlands bestimmten schufen die Westmächte und die BRD in Allen, die sich über die Preisgabe der DDR die Ausgangslage. Westberlin das sogenannte Allied Travel Gedanken machen, ist Gerhard Beils Buch Zur Lösung dieser Probleme reichte die Office, ohne dessen Genehmigung eine dringend zu empfehlen. Für Historiker, gegenseitige Unterstützung der sozialisti- Einreise von DDR-Bürgern in NATO-Län- welche um die wahrheitsgemäße Darstel- schen Länder nicht aus. Die DDR mußte in der grundsätzlich nicht erfolgen konnte. lung der DDR-Geschichte bemüht sind, ist die internationale Arbeitsteilung einbe- Welche Nachteile und Schäden der DDR die Lektüre geradezu obligatorisch. zogen sein, um den Lebensstandard ihrer durch dessen Tätigkeit entstanden, ist Dr. Manfred Böttcher Bevölkerung kontinuierlich erhöhen und Gerhard Beils aufschlußreichem Buch die Vorzüge der sozialistischen Produkti- zu entnehmen. Es trägt sehr anschau- onsweise voll zur Entfaltung bringen zu lich zum Verstehen konkreter politischer Unser Autor – ein namhafter Wirtschafts- können. Genau das aber wollten die erklär- und außenwirtschaftlicher Aktivitäten journalist und Publizist – war Generaldi- ten Feinde des Sozialismus verhindern. der DDR-Regierung bei, deren Ergebnisse rektor der DEWAG.

Für Gerhard Beil Vom Bergmann (26. 5. 1926 bis 19. 8. 2010)

zum Staatsmann Wie schmerzlich bleibt Dein Platz jetzt unbesetzt ... Du hast ihn ausgefüllt mit Anspruch r. Gerhard Beil war seit 1954 im Mini- In der Person dieses herausragenden bis zuletzt, Dsterium für Außenhandel der DDR Ministers der DDR-Regierung verkör- Treu Deinem Auftrag, um der Wahrheit tätig und steuerte dort als Staatssekre- pert sich die geschichtliche Tatsache, zu genügen. tär speziell die Handelsbeziehungen zu daß der sozialistische deutsche Staat Du warst dabei, Geschicke neu zu den kapitalistischen Industrieländern. von Arbeitern und Bauern an den ent- fügen Später wirkte er viele Jahre als Minister scheidenden Schaltstellen geführt wor- Für Deines Staates und des Friedens für Außenhandel. Sein Leben war dem den ist. M. B. Horizont, Aufbau des Sozialismus gewidmet und Beseelt, geschäftlich handelnd und vollzog sich zugleich unter den Bedin- gungen einer ausbeutungsfreien Gesell- gekonnt, schaft. Gerhard Beil ging den Weg vom Als ein Minister mit historischer Arbeiter zum Staatsmann. Gelernter Mission, Industriekaufmann und Bauschlosser, Und wahrtest diplomatisch Klassen- Maschinist im Braunkohletagebau, Berg- position – mann in der Wismut, Student in Berlin, Selbst nach der Schmach einer Wissenschaftler in Babelsberg, wurde verlornen Schlacht. er schließlich erster Außenhändler sei- Drum sei Dir ehrend Dank, was Du ner Republik. – Von Marx hatte Gerhard vollbracht. Beil gelernt, daß Wissen Macht ist. Das E. Rasmus blieb sein Credo bis zuletzt. Seite 6 RotFuchs / Dezember 2010

Röslers krankmachende Gesundheitsreform Bahn frei für Zweiklassenmedizin und Diktatur der Pharmakonzerne

m September 2010 stufte der Spitzen- ein enormes Einsparungspotential vor- Am Kosten-Boom des Gesundheitswesens Iverband der gesetzlichen Kranken- handen wäre. Mit den vorhandenen tech- ist der Staat maßgeblich beteiligt, erhöhte kassen 23 von 160 Einrichtungen dieser nischen Möglichkeiten sind weniger als er doch die Mehrwertsteuer ab 1. Januar Art als gefährdet ein. Weitere 46 Kassen fünf Kassen erforderlich, um die Pflicht- 2007 von 16 auf 19 %. Medikamente wer- stünden wegen ihrer fragilen Finanzlage versicherten ordnungsgemäß zu betreuen. den mit dem Höchstsatz der Umsatzsteuer unter Beobachtung. Neun schreiben rote In der DDR gab es mit der SVK ohnehin von 19 % belegt, während nicht lebens- Zahlen, mehr als 40 % haben finanzielle nur eine alle Versicherten erfassende Ein- notwendige Waren oder Dienstleistun- Probleme. Insgesamt würden die Kassen richtung dieser Art. gen mit null oder sieben Prozent belastet 3,1 Mrd. Euro weniger aus dem Gesund- Gesetzliche Krankenkassen und der Staat sind. 2009 lagen die Arzneimittelkosten heitsfonds einnehmen, als sie für die Ver- leisten sich überdies sechs Krankenkas- der gesetzlichen Krankenkassen bei ca. sorgung der Versicherten ausgeben müßten, senverbände und einen „Spitzenverband 32,4 Mrd. Euro. Mehr als 5 Mrd. davon hieß es. Für 2011 sagt man ein finanziel- Bund der Krankenkassen“. Hinzu kommen sind Umsatzsteuern, die der Staat den Kas- les Defizit von 11 Mrd. Euro voraus. Mit 34 kassenärztliche und kassenzahnärztli- sen bzw. den Beitragszahlern abforderte. der Einführung des 2007 beschlossenen che Vereinigungen mit ihren beiden Spit- Die Aufhebung der Mehrwertsteuer für „Gesundheitsfonds“ ab Januar 2009 ver- zenverbänden. Sie alle verschlingen das Medikamente und andere medizinische sprach Merkels damalige CDU/SPD-Regie- Geld der Pflichtversicherten, niemand Hilfsmittel wäre für diese eine enorme rung, die Finanzprobleme der gesetzlichen fragt nach der Daseinsberechtigung sol- Entlastung. Krankenversicherung zu lösen. Mehr noch: cher „gewachsenen“ Strukturen. Seit vielen Jahren macht die Arbeitslosig- Sie stellte eine Senkung der Beiträge in Die Pharmaindustrie kann in der BRD keit den Krankenkassen schwer zu schaf- Aussicht. Alle Pflichtversicherten sollten schalten und walten, wie sie will. Sie fen. Hinzu kommt die geringe oder ganz fortan gleiche Beiträge an die Kassen ent- diktiert die Preise auf dem Arznei- unterbleibende Einkommenssteigerung richten. Beschlossen wurde ebenfalls, daß mittelmarkt. Damit sich daran nichts Arbeitender. Niedrige Einkünfte führen in Schwierigkeiten geratene Kassen von ändert, operiert sie mit einer riesigen zu geringen Kassenbeiträgen. ihren Mitgliedern Zusatzbeiträge erhe- Lobby. Für Medikamente gelten hierzu- CDU und FDP wollen lediglich vier Milliar- ben dürfen. Die „Arbeitgeber“ sollten von lande Höchstpreise, die weit über den in den des für 2011 angenommenen Defizits zusätzlichen Zahlungen befreit sein. anderen EU-Staaten geforderten Beträ- von elf Milliarden Euro durch Ausgaben- Bereits seit Juli 2005 müssen die Beschäf- gen liegen. Bekannt ist auch, daß neue drosselung einsparen. Die restlichen sie- tigten 0,9 % mehr Beitrag an die Kasse Medikamente, die im Wirkungsmecha- ben Mrd. werden durch eine Erhöhung der abführen als ihre „Arbeitgeber“. Hinzu nismus keinen oder nur geringen Fort- Beiträge von 14,9 auf 15,5 % aufgebracht. kommen 10 Euro, die pro Quartal für schritt gegenüber bisherigen besitzen, Die Pflichtversicherten tragen davon einen Arzt- oder einen Zahnarztbesuch zu maßlos überhöhten Preisen auf den 8,2 % und die „Arbeitgeber“ lediglich 7,3 %. fällig werden. Angezogen haben auch die Markt gebracht werden. Ab 2012 sollen deren Beiträge sich nicht Zuzahlungen für Leistungen und Medi- Die Bundesregierung will künftig Preis- mehr verändern, während den Versicher- kamente, was ja ebenfalls eine Form von nachlässe der Pharmaindustrie um bis ten künftig Zusatzbeiträge in unbegrenzter Zusatzbeiträgen darstellt. Seit der letz- zu 16 % durchsetzen. Damit könnten etwa Höhe aufgebürdet werden können, wenn ten Gesundheitsreform (2005) sind die 9.4 Mrd. Euro eingespart werden. Nach die Kasseneinnahmen nicht reichen. Das Kosten für Arzneimittel um 41 %, für ärzt- Erkenntnissen des Heidelberger Phar- ist der Einstieg in Röslers famose Kopf- liche Behandlungen um 21 % und für Kran- makologen Prof. Ulrich Schwab wird das pauschale und die von ihm angestrebte kenhausaufenthalte um 18 % gestiegen. Problem dadurch aber nicht gelöst. Eine Privatisierung gesetzlicher Krankenkas- Es wurde weder die Kostenentwicklung gerechte Preisgestaltung für Pharmazeu- sen. „Wir haben keine Alternative“, hört gestoppt, noch konnte die Einnahmeseite tika und medizinische Hilfsmittel bedarf man aus dem Regierungsstall. der gesetzlichen Kassen gestärkt werden. völlig anderer gesetzlicher Grundlagen. Einzige Gewinner der schwarz-gel- Die schwarz-gelbe Koalition des Kapitals Diese müßten die maßlosen Profite der ben „Gesundheits“-Reform 2010 sind die versucht diese fiskalische Entwicklung Konzerne drastisch einschränken. Davor Pharmaindustrie und die privaten Versi- zu Lasten der Versicherungspflichtigen haben sich bisher alle BRD-Regierungen cherungskonzerne. Denn im Gesundheits- zu lösen. Über die Gestaltung effizienter gedrückt. wesen der BRD gibt die „Versicherungs-, Strukturen des Gesundheitswesens wird 2003 plante Schröders Koalition aus SPD Gesundheits- und Pharma-Lobby“ den Ton nicht oder kaum noch nachgedacht. und Grünen die Einführung einer Positiv- an, nicht aber Merkel und ihr beflissener Das Grundproblem besteht darin, daß liste für Medikamente, wie es sie schon Gesundheitsminister. eine wirklich solidarische Krankenver- in anderen EU-Ländern gibt. Sie hätte Dr. Ulrich Sommerfeld, Berlin sicherung alle Menschen erfassen müßte – die erstattungsfähigen Präparate/Medi- Arbeiter, Angestellte, Beamte und selb- kamente von 50 000 auf 20 000 reduziert. ständige Unternehmer. 2009 waren 87 % Die schwarzen Pharma-Lobbyisten brach- Be-miß-standsaufnahme aller BRD-Bürger gesetzlich und nur 13 % ten die Liste damals über den Bundesrat Immer mehr Bundesdeutsche privat versichert. Daraus ergibt sich, daß zu Fall. Der jetzige FDP-Gesundheitsmi- verarmen: das Gesundheitssystem in seiner derzei- nister Rösler – ebenfalls ein Strohmann tigen Form von den gesetzlich Versicher- der marktbeherrschenden Arzneimittel- Abstreicher eines Staates ten getragen wird. Privat Versicherte und konzerne – hat über dieses Einsparungs- demokratisch für deren Kassen ziehen daraus Nutzen, leisten potential noch nicht einmal nachgedacht. ideologische Anstreicher aber keinen entsprechenden Beitrag. Statt dessen entlastet er die privaten Ver- trotz Einstreicher immer größerer Ein weiteres Problem besteht darin, daß sicherungskonzerne. Sie sollen fortan die Gewinne es viel zu viele gesetzliche Krankenkassen gleichen Preise für Medikamente zuge- Profitsüchtige mit Verruf – gutem Ruf mit riesigen Verwaltungsapparaten, Ver- billigt bekommen wie gesetzliche Kas- schaden Gesellschaft mögenswerten und hochdotierten Vorstän- sen. „Besserverdienenden“ will er den anders als Stadtstreicher den gibt. Vor zehn Jahren waren es noch Weg in private Versicherungskonzerne herabgewürdigt rund 420 Kassen, heute geht man von 160 angesichts steigender Beiträge der gesetz- Jürgen Riedel, Minden aus, wobei in weiteren Zusammenlegungen lichen Kassen „erleichtern“. RotFuchs / Dezember 2010 Seite 7

Ein mieser Typ Vom schamlosen Gebaren eines zum Top-Manager aufgestiegenen Denunzianten

nter dem Titel „Die neue Ost-Elite politische Integrität, auf die Eignung für Stephan Schön verliert auch kein Wort Ubraucht noch eine Generation Zeit“ den öffentlichen Dienst zu prüfen hatte.“ darüber, daß im Gegensatz zur DDR- erschien in der „Sächsischen Zeitung“ Und weiter heißt es: „Von den wissen- Universitäts- und Hochschulintelligenz vom 2./3. Oktober ein Beitrag von Stephan schaftlichen Spitzen blieben nur wenige 90 % (!) der Volkspolizisten vom Freistaat Schön. Dazu unsere Meinung: im Amt – in Dresden wie überall in Ost- Sachsen übernommen wurden und heute Wir glauben Ihnen, Herr Schön, was Sie deutschland.“ (Eine dieser wenigen Spit- von dem durch Herrn Tillich eingesetz- über Günter Hertel schreiben, der es als zen war offenbar G. Hertel, der sich selbst ten VP-Major Merbitz befehligt werden ... einer der ganz wenigen Ostdeutschen dazu gemacht hatte.) Was mußten demgegenüber die DDR-Wis- geschafft habe, ins Top-Management gro- Da freut man sich regelrecht über die senschaftler verbrochen haben, um mas- ßer Weltkonzerne aufzusteigen. Weshalb Offenheit, mit der hier vom rigorosen senweise (!) abgesetzt zu werden und um das bislang nur wenigen „Ostdeutschen“ Rausschmiß nahezu aller DDR-Univer- lakonisch festzustellen, daß es noch „eine gelingt, bedarf einer soliden Analyse und sitäts- und Hochschulprofessoren – ein- Generation Zeit“ benötigen werde, um eine keines oberflächlichen Kommentars. schließlich jener der Medizin! – berichtet neue „Ost-Elite“ heranzubilden. Die aber Wenn es Herrn Hertel aufgrund seiner wird. Auf den Herrn Weltkonzern-Top- war doch durch unsere Kollegen aus dem hervorragenden Ausbildung an der Hoch- Manager Hertel bezogen heißt das, daß er Westen sofort da, als es galt, die Lücken schule für Verkehrswesen in Dresden sich anmaßte, Richter zu sein und seine (!) zu füllen, welche durch den Wegfall der gelungen ist, zeitgleich mit der „Wende“ Kollegen, mit denen er viele Jahre zusam- Ausgestoßenen entstanden waren. Welch zum Ordentlichen Professor ernannt zu menarbeitete, nun auf politische Loyalität großzügige Geste! werden und ins Top-Management interna- und fachliche Eignung zu prüfen. Günter Hertel sollte sich zusammen mit tionaler Unternehmen zu gelangen, dann Was ist das für ein Charakter (zu gut dem ihm hörigen Schreiber des betreffen- gratulieren wir ihm. Er hat offenbar in der deutsch: mieser Typ!), den auch das Grund- den SZ-Artikels schämen. Das tut er nicht, DDR eine hohe Qualifizierung erhalten. gesetz nicht störte, in dem es (leider nur sondern stellt sich in Pose der Öffentlich- Aber wo sind denn ... die vielen anderen formal) u. a. heißt: Die Würde des Men- keit. Er rühmt sich, mitgeholfen zu haben, DDR-Wissenschaftler (einschließlich der schen (hier altehrwürdiger Professoren ...) eine ganze Generation von Wissenschaft- Universitäts- und Hochschulprofessoren, ist unantastbar. lern – seine Kollegen! – unter Mißachtung d. h. die Kollegen von Herrn Hertel) geblie- G. Hertel hat seine Kollegen abgesetzt (so elementarer Rechtsmittel ausgeschaltet zu ben? Hebt sich nur er aufgrund seiner Aus- Herr Schön) und in diesem Absetzungs- haben. Das ist in der deutschen Geschichte bildung, seiner Fähigkeiten und seiner prozeß sich dann selbst zum Profes- in der Tat einmalig – unabhängig davon, Eignung von ihnen ab? sor berufen lassen. Und das wurde zum welche Großtaten Hertel nachher in sei- Die Antwort gibt Hertel selbst, der sich 20. Jahrestag der „deutschen Einheit“ aus- nen „Weltkonzernen“ auch noch vollbracht nicht schämt (eher brüstet), indem er drücklich gewürdigt. Wir hätten eher end- haben mag! durch den Artikelschreiber Schön fest- lich eine Entschuldigung erwartet! PS: Wir bleiben anonym, weil man stellen läßt, „... daß Anfang der 90er Jahre Und mit dem hier beschriebenen Abset- genug über uns hergefallen ist. Soll die das Gros (!) der etablierten DDR-Forsche- zungs- bzw. Liquidierungsprozeß zogen Geschichte richten! Und jene, welche an relite aus politischen Gründen abgesetzt die auf Karriere wartenden westdeutschen einen Gott glauben, sind sich sicher, daß war“, wobei er (Hertel) selbst aktiv bei der Wissenschaftler ein und füllten „die Lüc- alle, die Unrechtes getan haben, ihrer „Abwicklung“ mitgewirkt habe, um eine ken“... Wo aber blieb die liquidierte DDR- Strafe nicht entgehen. „neue Uni-Fakultät“ aufzubauen ... Universitätsintelligenz? Darüber verliert Wir wissen es zu werten, wenn es in dem Herr Schön kein Wort. Es sind offenbar – SZ-Artikel heißt: „An seiner (?) Hochschule wie für G. Hertel – Verschwundene bzw. Dieser an den SZ-Chefredakteur Uwe Vet- leitete er (d. h. G. Hertel) ... jene Kommis- Erledigte, von denen ohnehin 20 Jahre terig gerichtete Brief ging der RF-Redak- sion, die letztlich jeden einzelnen auf später viele nicht mehr leben. tion aus Dresden zu.

Herr Biedenkopf irrt

or kurzem diskutierten in der RBB-Sen- mit einigen markigen Sprüchen, die man Von echten Verhandlungen konnte keine Vdung „Klipp und klar“ die ersten Mini- verkürzt mit „Kommt nicht in Frage!“ wie- Rede sein. sterpräsidenten der nach dem Anschluß dergeben könnte. Die von Biedenkopf geforderten Voraus- der DDR an die BRD neugegründeten Län- Übrigens waren es nicht erst die Nazis, die setzungen für die „Berechtigung“ zur Ver- der Brandenburg und Sachsen, Stolpe und von „Anschluß“ sprachen. Am 12. Novem- wendung der Vokabel „Anschluß“ treffen Biedenkopf, über ihre Erfahrungen. Bei- ber 1918 beschloß die österreichische also auch auf den Anschluß der DDR an läufig kamen sie dabei auch auf Platzecks „Nationalversammlung“ den „Anschluß“ die BRD zu. „Anschluß“ ist die Angliede- „Lapsus“ mit dem „Anschlußvertrag“ zu an Deutschland. Die Siegermächte verbo- rung eines Gebietes an ein anderes – ohne sprechen. Es gab einiges Hin und Her, ob ten ihn allerdings. jede Wertung. „Anschluß“ – siehe „Österreichs Anschluß Der sogenannte Einigungsvertrag zwi- Bleiben wir also getrost bei unserem an das Deutsche Reich“ – nicht doch eine schen der BRD und der DDR war im „Anschluß“! etwas abwertende Bezeichnung für ein Grunde nur formal ein Vertrag. Eigentlich Prof. Dr. Ronald Lötzsch so hehres Unterfangen wie die „ Wieder- brauchte Bundesinnenminister Schäuble vereinigung“ der beiden deutschen Staa- das Schriftstück dem willfährigen DDR- Aus „info links“, Berlin-Lichtenberg, ten sei. Das Palaver beendete Biedenkopf Staatssekretär Krause nur zu diktieren. 7. Oktober 2010 Seite 8 RotFuchs / Dezember 2010

Die wechselvolle Geschichte eines Lenin-Bildes

1929 in der Familie von Kommunisten aller großes Geheimnis. Bei vielen Visiten Platz. Damit aber recht viele Genossen und geboren, wuchs ich in einer Zeit auf, die der Wiesbadener und einer Haussuchung Freunde ein Porträt des Führers der Okto- den Genossen viel Mut, Optimismus und der Leipziger Gestapo blieb das Bild unent- berrevolution ihr eigen nennen konnten, ließ Kampfgeist abforderte. Mein Vater Alfred es mein Vater durch einen Fotografen ver- Schellenberger war damals Instrukteur der vielfältigen. Das Werk des Genosen Hübsch- KPD-Unterbezirksleitung (Main). mann gehörte zu den ersten Lenin-Bildern, In unserer Wiesbadener Wohnung trafen die es im Frühlingsmonat vor Kriegsende im sich häufig die Mitglieder der antifaschi- Leipziger Norden gab. Wie groß aber war die stischen Widerstandsgruppe. Unter ihnen Bestürzung der Widerstandskämpfer, als sie waren auch Genossen, die der Assoziation – gerade aus der Illegalität heraustretend Revolutionärer Bildender Künstler Deutsch- oder aus Gefängnissen und Konzentrati- lands angehörten, so der Maler und Gra- onslagern befreit – davon erfuhren, daß es fiker Ernst Hübschmann-Engelhardt. Er unter den zunächst in eingerückten schenkte und widmete meinem Vater am Amerikanern weiterhin als verboten galt, 31. Dezember 1932 ein Lenin-Bild, das er ein Lenin-Bild zu besitzen oder als Kopie gemalt hatte. unter die Leute zu bringen. Das Porträt erhielt einen Ehrenplatz bei So wurde unser Wladimir Iljitsch abermals uns. In dem kleinen Wohnzimmer trafen zum Untertauchen gezwungen. sich oft die Frauen der Widerstandskämpfer deckt. Es war für uns stets ein Triumph, Erst mit dem Einmarsch der Roten Armee Charlotte Schellenberger, Anneliese Hoevel wenn „unser Freund“ solche Attacken unver- im Juli 1945 konnte die KPD wieder unge- und Grete Noetzel. Sie ließen sich damals sehrt überstanden hatte. hindert an die Öffentlichkeit treten. Damit auch mit „unserem Lenin“ fotografieren. Endlich war es soweit: Im April 1945 konnte waren wir wirklich befreit und so auch Doch schon bald nach dem Machtantritt der sich das Bild wieder ohne Gefährdung unser Lenin-Bild. Übrigens befindet es sich Faschisten mußte das Bild seinen Ehren- unserer Familie in aller Öffentlichkeit zei- jetzt im Besitz des Leipziger Stadtgeschicht- platz gegen ein illegales Quartier im Kleider- gen. Jedenfalls nahmen wir das an. Sofort lichen Museums. schrank eintauschen. Das war dann unser erhielt Lenin wieder seinen angestammten Anneliese Schellenberger, Leipzig

Abc des Marxismus Basis und Überbau

„Das allgemeine Resultat, das sich mir ergab Mit der Veränderung der ökonomischen entspringt, wo die materiellen Bedingungen und, einmal gewonnen, meinen Studien zum Grundlage wälzt sich der ganze ungeheure ihrer Lösung schon vorhanden oder wenig- Leitfaden diente“, schrieb Karl Marx um die Überbau langsamer oder rascher um. In stens im Prozeß ihres Werdens begriffen Jahreswende 1858/59, „kann kurz so for- der Betrachtung solcher Umwälzungen sind. In großen Umrissen können asiatische, muliert werden: In der gesellschaftlichen muß man stets unterscheiden zwischen antike, feudale und modern bürgerliche Pro- Produktion ihres Lebens gehen die Men- der materiellen, naturwissenschaftlich treu duktionsweisen als progressive Epochen schen bestimmte, notwendige, von ihrem zu konstatierenden Umwälzung in den öko- der ökonomischen Gesellschaftsformation Willen unabhängige Verhältnisse ein, Pro- nomischen Produktionsbedingungen und bezeichnet werden. Die bürgerlichen Pro- duktionsverhältnisse, die einer bestimmten den juristischen, politischen, religiösen, duktionsverhältnisse sind die letzte ant- Entwicklungsstufe ihrer materiellen Pro- künstlerischen oder philosophischen, kurz agonistische Form des gesellschaftlichen duktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit ideologischen Formen, worin sich die Men- Produktionsprozesses ... Die im Schoß der dieser Produktionsverhältnisse bildet die schen dieses Konflikts bewußt werden und bürgerlichen Gesellschaft sich entwickeln- ökonomische Struktur der Gesellschaft, die ihn ausfechten. den Produktivkräfte schaffen zugleich die reale Basis, worauf sich ein juristischer und Sowenig man das, was ein Individuum ist, materiellen Bedingungen zur Lösung dieses politischer Überbau erhebt, und welcher nach dem beurteilt, was es sich selbst dünkt, Antagonismus*. Mit dieser Gesellschafts- bestimmte gesellschaftliche Bewußtseins- ebensowenig kann man eine solche Umwäl- formation schließt daher die Vorgeschichte formen entsprechen. Die Produktionsweise zungsepoche aus ihrem Bewußtsein beurtei- der menschlichen Gesellschaft ab.“ (MEW, des materiellen Lebens bedingt den sozialen, len, sondern muß vielmehr dies Bewußtsein Bd. 13, S. 8 f.) politischen und geistigen Lebensprozeß aus den Widersprüchen des materiellen Diesen „Leitfaden“ sollte man, neben dem überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein des Lebens, aus dem vorhandenen Konflikt „Manifest der Kommunistischen Partei“, Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt zwischen den gesellschaftlichen Produk- bei der Aneignung der marxistisch-lenini- ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußt- tivkräften und Produktionsverhältnissen stischen Theorie stets zur Hand haben. Zu sein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe erklären. Eine Gesellschaftsformation beachten ist lediglich, daß einige gewich- ihrer Entwicklung geraten die materiellen geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte tige Besonderheiten, die im Übergang zur Produktivkräfte der Gesellschaft in Wider- entwickelt sind, für die sie weit genug ist, kommunistischen Formation auftreten, spruch mit den vorhandenen Produktions- und neue höhere Produktionsverhältnisse hier ausgeklammert sind. Das liegt daran, verhältnissen oder, was nur ein juristischer treten nie an die Stelle, bevor die materi- daß diese im Marxschen Verständnis schon Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsver- ellen Existenzbedingungen derselben im nicht mehr der „Vorgeschichte“, sondern hältnissen, innerhalb deren sie sich bisher Schoß der alten Gesellschaft selbst ausge- bereits der „eigentlichen Geschichte“ der bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen brütet worden sind. Daher stellt sich die Menschheit zugeordnet werden müssen. der Produktivkräfte schlagen diese Ver- Menschheit immer nur Aufgaben, die sie G. D. hältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt lösen kann, denn genauer betrachtet wird *Antagonismus = unüberbrückbarer Gegen- dann eine Epoche sozialer Revolution ein. sich stets finden, daß die Aufgabe selbst nur satz RotFuchs / Dezember 2010 Seite 9

10 Jahre DDR-Museum im Kreis Demmin Bekannt durch Mostrich, gibt Tutow auch heute seinen Senf dazu

or zehn Jahren waren Genossen aus Dacharbeiten anfielen und Leitungen neu es vorwärtsgeht. Die ersten vier Gäste- VBerlin und Oranienburg die ersten installiert werden mußten. Nicht nur die zimmer sind bereits fertig, weitere 10 Gäste im damals neu gegründeten DDR- Leber wächst mit ihren Aufgaben, son- bis 12 sollen es noch werden, auch einige Museum in Tutow, Kreis Demmin/Meck- dern auch der Erfindungsreichtum und Wohnungen sind geplant. Unterdessen lenburg-Vorpommern. Sie alle hielten reißt der Strom der Spender nicht ab. die ganze Zeit über dem Haus die Treue, Täglich vergrößert sich der Fundus. wurden zu dessen Förderern, stifte- Mit besonderer Freude wurde unlängst ten aus ihrem persönlichen Besitz eine komplette und gebundene Geset- mannigfaltige Gegenstände – von der zessammlung der DDR entgegengenom- Reißzwecke und dem FDJ-Ausweis bis men. zu Wartburg und Trabbi. Sogar hohe Es ist immer wieder schön zu erle- Auszeichnungen gehörten dazu. Die- ben, wenn Gäste erfreut vor dem von ser Freundeskreis beobachtete auf- ihnen Gestifteten stehen. So geschah merksam die Entwicklung von einem es unlängst, als eine Besucherin des kleinen Sammlungsort bewahrenswer- Museums ein Hochzeitsgeschenk des ter DDR-Güter zum repräsentativen stellvertretenden Ministerpräsidenten Museum mit einer leistungsfähigen der DDR Alexander Abusch an einen Gaststätte. Er verfolgte auch den wach- inzwischen leider verstorbenen Genos- senden Zustrom wertvollen Kulturguts sen erkannte, das sie selbst dem Haus aus DDR-Zeiten. Bald reichten die zur übereignet hatte. Verfügung stehenden 250 qm nicht Als nun jene Genossen, welche im mehr aus. Das Magazin platzte aus Jahr 2000 den Reigen der nach Tutow allen Nähten. fahrenden Gruppen eröffnet hatten, Anfang 2010 bot sich Gelegenheit, im Zwei Grafiken als Geschenk wiederum als erste in das erweiterte selben Ort, doch in weitaus günstigerer Objekt kamen, zeigten sie sich von dem Lage, das Gelände und das Gebäude der die Begeisterung für die Schaffung von bisher Geleisteten beeindruckt. Sie wur- ehemaligen Konservenfabrik Tutow, die etwas Neuem. den eingeladen, auch die sonst für das u. a. eine bekannte Mostrichsorte gelie- Einige Helfer hoffen übrigens nach Publikum nicht zugänglichen Magazine fert hatte, zu erwerben und den Komplex Abschluß der Arbeiten auf eine Festein- und andere Räume in Augenschein zu damit auf 3000 qm zu erweitern. stellung beim DDR-Museum. So zum Bei- nehmen. Zu einem Höhepunkt gestaltete Ein starkes, ehrenamtlich tätiges Kollek- spiel die beiden Köche, die im großen Saal sich dann die Übergabe zweier gerahm- tiv machte sich unter Leitung von Fred und im Café viele Gäste bewirten möch- ter Originalgraphiken des Hohenneuen- Spiegel, dem Begründer und Geschäfts- ten. Oder auch ein Tischler und ein KfZ- dorfer Künstlers Curt Wild-Wall durch führer des Hauses, an die Arbeit. Unvor- Handwerker, die sich auf dem Gelände Sohn und Schwiegertochter. Seine Arbei- stellbar, was alles aufgeräumt, repariert Werkstätten ausbauen und dann einige ten „Angela Davis“ und „Mutter und Kind“ und neu geschaffen werden mußte! Bei Jahre mietfrei nutzen dürfen. Angedacht bereichern die Räume. den Toren zur Absicherung des Objekts ist auch, Behinderte für Führungen und Ich möchte dem DDR-Museum in Tutow fing es an, brandsichere Verbindungstü- den Kontakt mit Besuchern in das Kollek- auch aus den Reihen der „RotFuchs“-Leser ren wurden eingebaut, die Wasser- und tiv aufzunehmen. Viele Ideen und Pläne, noch viele Besucher wünschen. Seine Koor- Abwasserversorgung waren neu zu regeln aber natürlich viel zu wenig Geld für all dinaten sind: DDR-Museum Tutow, 17129 und vieles andere mehr. das. So wird nun schrittweise an der Voll- Tutow, Erlenweg 42, Telefon 03 99 99/ Als alles für den Empfang der ersten endung des DDR-Museums gearbeitet, 7 05 57, Fax 0 03 99 99/7 05 59, www.ddr- Besucher bereit zu sein schien, regnete und jeder Besucher, der ins Haus kommt, museum-tutow-mv.de es so heftig durch, daß umfangreiche trägt durch seinen Obolus dazu bei, daß Bibliotheksrätin Hanna Spiegel

Bochum: Ein DDR-Kabinett im Ruhrgebiet

m DDR-Kabinett Bochum, das im März eine Bochumer Gymnasialklasse im Rah- konnten wir ein Philipp-Müller-Ehren- I2010 gegründet worden ist, gedachten men ihres Politikunterrichts unser Kabi- banner der FDJ in Empfang nehmen. Dazu wir des diesjährigen 7. Oktober als unse- nett. In dem dreistündigen freimütigen werden wir einen kurzen Abriß über den res eigenen Feiertags. Wir führten eine Gespräch konnten wir viele Fragen beant- Essener Blutsonntag erarbeiten. Denn wer Mitgliederversammlung des im April ent- worten und mancher Fehlinformation von den Jugendlichen weiß heute noch, standenen Fördervereins durch, bei der es Tatsachen entgegenstellen. Eine weitere wer der damals durch einen Polizisten um die Jahresplanung für 2011 ging. Mit Klasse hat sich bereits angemeldet. Erschossene war und wie es zu diesem guter Musik, einer Soljanka und einem Unlängst war der frühere PDS-Bundes- Mord gekommen ist? Glas Sekt haben wir den Gründungstag tagsabgeordnete Prof. Ludwig Elm aus Wenn man sich die brutalen Polizeiein- der DDR anschließend gebührend gefei- Jena bei uns zu Gast. Er zeigte sich sehr sätze der jüngsten Zeit, die unzählige Ver- ert. angetan und sagte seine Unterstützung letzte gefordert haben, vor Augen führt, Unser Kabinett ist ein Versuch, auch im zu. Wir freuen uns über jede Geste der drängt sich einem unwillkürlich die Frage Westen der BRD die Geschichte der DDR Solidarität. Immer, wenn ein neues Aus- auf: Ist es bald wieder soweit? Deshalb für heute heranwachsende und kommende stellungsstück in den Räumen unseres dürfen wir nicht nachlassen zu erinnern, Generationen greifbar zu bewahren. Übri- Kabinetts seinen Platz erhält, ist das zu mahnen und zu kämpfen. gens besuchte kürzlich erstmals auch ein Ansporn zum Weitermachen. Zuletzt Andreas Maluga Seite 10 RotFuchs / Dezember 2010

Als die UGO zum „Streik“ aufrief

ls Laufbursche bekam ich im Sommer wenige lamentierten über die später in Zucht- Mai ab 24 Uhr der Arbeit so lange fernzublei- A1948 von meinem Chef den Auftrag, ein hausstrafen umgewandelten Todesurteile ben, bis die gestellten Forderungen erfüllt Paket von einem mir unbekannten Lieferan- für 5 der 12 Angeklagten. Das Gericht habe sind“. Auf meinem Heimweg von der Arbeit ten in Berlin abzuholen. doch nur ein „kleines Wirtschaftsvergehen“ verließ ich tags darauf das geduckte Back- Kurt G. besaß im Gesundbrunnen (Westber- behandeln müssen, hieß es. steingebäude des U-Bahnhofs Gesundbrun- lin) eine Damenschneiderei und hielt sich Szenenwechsel: Wenige Monate später, am nen. Dabei sah ich mich mit der Wirklichkeit bislang mit der Herstellung von Schnittmu- 21. März 1949, wetterte die in Westberlin des Tages konfrontiert – dem UGO-Streik. stern über Wasser. Nun öffnete er das läng- gegründete Unabhängige Gewerkschafts- Es wimmelte von Menschen. Überwiegend liche Paket und strahlte beim Betrachten Opposition (UGO) – eine Spalterzentrale zur erblickte ich männliche Personen grölend des Inhalts; ein Ballen weißen flauschigen Verdrängung des Freien Deutschen Gewerk- beim „Streiken“. Frauenstimmen kreisch- Filzes – aus Meerane. schaftsbundes (FDGB) – gegen ein Detail der ten hysterisch dazwischen, als plötzlich Heimarbeiterinnen fertigten dann daraus Währungsbestimmungen, von denen beson- Jeeps der französischen Militärpolizei her- Bolerojäckchen und modische Baskenmüt- ders die Eisenbahner betroffen waren. anpreschten. Die Menschen flüchteten, und zen. Ich durfte die fertigen Kleidungsstücke Die Reichsbahn unterstand nach Vereinba- ich schloß mich ihnen an. Ein kurzes Stück an die im Kaiserdamm 88 ansässige Firma rungen auf der Potsdamer Konferenz der Straße verlief parallel zu den Gleisen der Arno Zyka ausliefern. Zu deren Kundenkreis Hoheit der Sowjetischen Militäradministra- S-Bahn. Den Gehweg trennte vom tiefer lie- gehörten vornehmlich britische Offiziers- tion in Deutschland (SMAD). Nach der sepa- genden Bahnkörper ein stabiles Gitter. Ich familien. Aber auch die Sängerin Rita Paul raten Währungsreform lag es nahe, allen verharrte dort. Der Blick auf die Gleisanla- (Ich zähl‘s mir an den Knöpfen ab) in Moabit Eisenbahnern, die ihren Dienst in Westberlin gen beunruhigte mich zutiefst. und Rudi Schuricke (O mia bella Napoli) in verrichteten oder dort ansässig waren, einen Ein etwa vier Meter langer Doppel-T-Träger Rahnsdorf zählten zu den Abnehmern. Betrag in D-Mark auszuzahlen. lag quer über einem S-Bahngleis und der Wenige Monate später erhob sich in der West- Das der UGO bekannte Problem, zu dessen holzverkleideten Stromschiene, die von des- presse ein Geschrei, daß man gegen angeb- Ursachen die Westmedien fleißig beitrugen, sen Last gänzlich eingeknickt war. Irgend- liche Schieber aus Meerane einen Prozeß bestand indes darin, daß kaum ein Berliner welche Leute hatten den Eisenträger aus eröffnet habe. Im November/Dezember tagte seine Karte in Westberlin löste, sondern die Ruinen herangeschleppt und über die Ein- dann das Gericht im Lindenhof von Glauchau „billigere“ Ostmark beim Kauf vorzog. Im friedung geschoben. und stellte fest: „Noch am 30. April 1945 Tagesdurchschnitt kamen so auf den Bahn- Ein Zeitzeuge bestätigte mir später: „Eine fast gründeten gute Bekannte aus der Nazizeit höfen von Gesundbrunnen bis Papestraße, tausendköpfige Menge warf von der Brücke einen illegalen ,Fachausschuß‘. Er diente von Bellevue bis Spandau nur etwa 3500 DM in der Badstraße Zementblöcke auf die Schie- dazu, die privaten, profitsüchtigen und auch zusammen. Obwohl die Generaldirektion der nen des S-Bahnhofs Gesundbrunnen.“ politischen Interessen der Meeraner Indu- Reichsbahn noch am 9. Mai im Interesse ihrer So etwas nannte sich Streik. Die Presse der striellen durchzusetzen, und befaßte sich Bediensteten eine Lösung anbot, rief die UGO SED und des FDGB sprach deshalb berech- insbesondere damit, die Verteilung der von „alle Westberliner Eisenbahner auf, am 20. tigterweise vom „UGO-Putsch“. Hans Horn der Landesregierung Sachsen dann zuge- wiesenen Globalkontingente an Garn sowie Produktionsauflagen diesen Fabrikbesitzern zuzuschieben.“ Die Weitsicht des Lyrikers Helmut Preißler Durch den illegalen Ausschuß wurden unter dessen Mitgliedern die Regierungsauflagen, Garnzuteilung und Restauflagen so verteilt, Seine Gedichte lesen sich wie Reportagen, Riesenhaft wie es den privatkapitalistischen Interessen hautnah am Puls der Zeit. Und für jedes Wort scheinen ganz plötzlich die Mängel, der Meeraner Unternehmer am besten ent- steht eine Empfindung. Man glaubt, selbst und das Gelungene sprach. Hingegen sabotierte man bewußt die im Geschehen zu sein, bei Ereignissen, die ist nicht mehr sichtbar. Wünsche und Ansprüche der volkseigenen der Parteinahme für das Neue nicht entbeh- Schützende Gitter Betriebe. Drei von den „wichtigen Männern“ ren. Die Rede ist von Helmut Preißler. vor mordlustig lauernden Bestien türmten noch rechtzeitig in den Westen. Zu Er war Straßen- und Tiefbauarbeiter, stu- empfinden die tödlich Bedrohten ihnen gehörte Paul Klemm. Das 1930 heraus- dierte dann Wasserwirtschaft. Aus der als Grenze der eigenen Freiheit. gegebene „Heimatbuch der Stadt Meerane“ Kriegsgefangenschaft kommend, wurde sagt über ihn aus, daß er schon damals 150 er Neulehrer, Kulturarbeiter in Eisen- Die Sinne verwirren sich. Webstühle im eigenen Betrieb und etwa 250 hüttenstadt, Lyrikredakteur der „Neuen Lohnwebereien besaß, bei denen 400 bis 600 Deutschen Literatur“ (NDL) und später Beschützte Personen beschäftigt waren. künstlerischer Mitarbeiter am Kleistthea- verklagen die Schützenden. Zu den neun anwesenden Angeklagten ge- ter in Frankfurt/Oder. Freie schreien nach Freiheit. hörten auch der Kleiderstoffgroßhändler Wir gratulieren Helmut Preißler ganz herz- Bürger zerschlagen das Tor, Kretzschmar sowie die Webereibesitzer lich zu seinem 85. Geburtstag, den er am das die Brandstifter aussperrt. Bohrisch und Reinhold. Sie spannen im 16. Dezember begeht. Und die von Feinden Bedrohten wahrsten Sinne des Wortes ihre Fäden in Das Gedicht „Gedanken um konterrevo- bedrohen die Freunde die verschiedensten Verwaltungsebenen des lutionäre Ereignisse“ stammt aus dem und geben den Feinden das Beil. Sachsenlandes, so auch in die Sächsische Jahre 1972. Industrie-Kammer, selbst in den Justizap- Erbarmungslos schlägt der Feind zu, parat. wenn nicht starke Genossen In der Urteilsbegründung vom 7. Dezem- Am Anfang sind Fehler, den Arm festhalten mitten im Schlag, ber 1948 hieß es zu dem Hauptangeklag- hergeholt aus Vergangenem, das Beil an sich reißen, ten: „Durch eine ungenügende Kontrolle der ungeheuer vergrößert durch Lügen, die Tore versperren. Werkverträge mit Westberliner Firmen hat Quelle für Zweifel an allem Erprobten. die Freunde befreien vom Feinde und Kretzschmar es ferner ermöglicht, daß diese Dann bringen die Zweifel von der Verwirrung. zu Schiebergeschäften größten Ausmaßes Mißtrauen gegen Genossen benutzt wurden, durch die der Ostzone erheb- und Hellhörigkeit Eingesandt von liche Werte entzogen worden sind.“ Nicht für das Geflüster der Feinde. E. Rasmus, Berlin RotFuchs / Dezember 2010 Seite 11

„Zeitzeugen“ mit Gütesiegel Beim Anschwärzen der DDR gilt auch der Schmutzigste als Saubermann

eitzeugen sind für die historische Stellvertretender Bundesvorsitzender der • Gustav Rust – der Dritte in diesem illu- ZForschung unverzichtbar. Sie wider- „Vereinigung der Opfer des Stalinismus“. stren Bund – ist durch sein demonstratives spiegeln Geschichtsabläufe und Ereignisse Holzapfels Biographie weist indes noch eine Gehabe in der Mitte ein sattsam aus der Sicht des Selbsterlebten. Das gilt andere Seite auf: Im Januar 2010 erging das bekannter „Zeitzeuge“ ganz besonderer Güte. zunächst einmal für alle Zeitzeugen – ganz Urteil eines Amtsgerichts in einem Prozeß, Mit an der Hand baumelnder Fessel und unabhängig davon, zu welcher Bewertung den unser Protagonist selbst angestrengt umgehängten Plakaten über eine neunjäh- sie gelangen. Aufgabe von Historikern, Päd- hatte, nachdem seine zweite Ehefrau nach rige Haft in der DDR – wofür, läßt er offen agogen, Journalisten und anderen auf die der Scheidung nicht bereit gewesen war, – versucht Rust Aufsehen zu erregen. Das gesellschaftliche Entwicklung Einflußneh- ihm einen Versorgungsausgleich zu zah- ging selbst dem Bundespräsidenten und menden ist es, sich über solche subjektiven len. Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge den Bürgermeistern der Berliner Stadtbe- Bewertungen der Objektivität zu nähern. gelangte „das Gericht zu der Überzeugung, zirke Mitte und Tiergarten, auf deren Ter- Die heutigen Meinungsmacher setzen sich daß der Antragsteller seine Kinder aus ritorien dieser Mann vor allem agiert, über indes darüber hinweg. Auf der Grundlage erster Ehe … als Minderjährige in massi- die Hutschnur. ihrer antikommunistischen und dem Kapi- ver Form und über einen längeren Zeitraum Rust warnte vor der „FDJ-Aktivistin Angela talismus verpflichteten Positionen spie- hinweg sexuell mißbraucht hat“. Tochter Merkel“ ebenso wie vor der „PDS und der Sta- geln sie vor, den Schlüssel der Erkenntnis und Sohn beschrieben in eidesstattlichen simörderbande“. Und wie könnte es anders gefunden zu haben. Zeitzeugen, die ihnen Erklärungen detailliert die Übergriffe des sein: Er klagte auch die „russisch-asiati- widersprechen, werden nicht anerkannt Vaters, welche die Tochter als Neun- bis schen Horden“ an, die 1944 in Ostpreußen und häufig verleumdet. Durch das Opfer/ Dreizehnjährige ertragen mußte. „die Mädchen“ vergewaltigt hätten. Täter-Bild und die Einordnung von Zeit- Carl-Wolfgang Holzapfel, der so den Nimbus Für sein Machwerk „Ich war auch dabei“ zeugen in dieses Schema werden Methoden der Opferrolle und des Hüters christlicher fand der Dauerprotestierer zunächst keinen wissenschaftlicher Forschung ad absurdum Werte schmählich verlor, streitet alles ab. Verleger. Der „Spiegel“ stellte hierzu lako- geführt. Der Wahrheit nahezukommen oder Er spricht von „Halluzinationen und Sug- nisch fest: „Der Häftling hetzt mit Nazipa- sie gar zu ergründen, ist nichts anderes gestionen“, seinen Sohn bezichtigt er der rolen gegen die Rote Gefahr“. Und: „Rust ist als der Versuch, möglichst viele Aussagen „Drogenpsychose“. ein aggressiver Wirrkopf.“ sachkundiger Zeitzeugen, unabhängig von • Siegmar Faust war als Mitarbeiter der Franz Schönhuber, Horst Mahler und Rudolf deren Auslegungen, in die Bewertung einzu- Gauck-Birthler-Behörde nicht länger trag- Hess sind Gustav Rusts Lieblings-Ikonen. beziehen, wobei es keine Tabus geben darf. bar. Wegen seines Einsatzes für die seiner- So verwundert es nicht, daß zu seinem Glaubhaftigkeit und Solidität der Positionen zeitige KZ-Aufseherin Margot Pietzner, die Buchangebot auch die Geschichte der SS von Zeitzeugen werden auch vom Erschei- um eine hohe Entschädigung kämpfte, da und andere faschistische Literatur gehö- nungsbild, dem Verhalten und den Motiven sie zwischenzeitlich als „Opfer des Stalinis- ren. Die einschlägig bekannte „Junge Frei- der jeweiligen Akteure bestimmt. mus“ anerkannt worden war, trennte man heit“ bezeichnete diesen Mann als „mutigen Im Folgenden sollen drei sogenannte Zeit- sich von ihm. Doch schon 1996 gelang Faust Patrioten“, während er sich selbst als „Natio- zeugen aus dem Hause Birthler/Knabe den ein Comeback als „Landesbeauftragter für nalen Sozialisten, aber ohne Gaskammern“ RF-Lesern vorgestellt werden. die Stasi-Unterlagen“ in Sachsen. Neben sieht. • Carl-Wolfgang Holzapfel gehörte jahrzehn- allgemeinen Mängeln in der Amtsführung Gustav Rust wurde seit 2004 mehrfach telang zu den Frontleuten im Kampf gegen wurden bei ihm schon bald Verbindungen wegen Körperverletzung verurteilt, so für das Ministerium für Staatssicherheit. Der zu einer Psycho-Sekte, dem „Verein zur För- Faustschläge in das Gesicht eines Anders- Westberliner wurde wegen seines provoka- derung der Psychologischen Menschen- denkenden. torischen Auftretens gegen die DDR 1965 kenntnis“, wo er sich als Referent verdingte, Gratulation zu solchen Zeitzeugen! inhaftiert, nach einem Jahr jedoch „freige- festgestellt. Seine Vorliebe für pornogra- Gotthold Schramm kauft“. Danach ist er als „eine Persönlich- phische Dokumentationen im Internet, die keit des öffentlichen Lebens“ und „rastloser er während des Dienstes verfolgte, wurde Ankläger des Unrechts in der DDR“ aktiv ihm schließlich zum Verhängnis. 89 von Schon am 8. November beging unsere geworden. Demonstrative Aktionen wie 101 Landtagsabgeordneten entzogen ihm treue Leserin, die gestandene Anti- seine Plazierung auf dem Grenzstreifen das Vertrauen. faschistin, Sozialistin und namhafte am Checkpoint Charlie, Hungerstreiks, als Siegmar Faust wurde während seiner DDR- Schriftstellerin aus der DDR „Kunst“ bezeichnete „Haftantritte“ im Gru- Haftzeit von der BRD ebenfalls „freigekauft“, selkabinett des Herrn Knabe, die er dann trat 1980 in die erwiesenermaßen mit Agen- Elfriede Brüning nach wenigen Stunden aus „psychischen ten westlicher Geheimdienste durchsetzte ihren 100. Geburtstag. Gründen“ abbrechen mußte, aber auch her- und an Verbrechen gegen die DDR beteiligte Der „RotFuchs“ drückt dieser heraus- ausfordernde Zwischenrufe, hysterisches Internationale Gesellschaft für Menschen- ragenden Frau, die durch ihr unermüd- Gelächter und heftiges Klatschen zur Unter- rechte ein, deren Zeitschrift er vier Jahre brechung von Buchbesprechungen zählen als Chefredakteur betreute. liches Schaffen unserer Literatur neue zu den Qualitätsmerkmalen des Herrn Holz- Vorstandsmitglied der „Union der Opferver- Facetten gab, seine tiefe Verbunden- apfel. Zu erwähnen wäre auch sein geziel- bände kommunistischer Gewaltherrschaft“ heit aus. tes „Engagement“ für angeblich in der DDR und Geschäftsführer des „Menschenrechts- mißhandelte Heimkinder. zentrums Cottbus e. V.“, gehört Faust inzwi- Holzapfels politische Weste ist bunter als schen zu den „Zeitzeugen“ und Referenten Am 18. Dezember um 10 Uhr lädt die bunt: seit 1962 Mitglied der CDU; 1978 in Knabes „Museum“. RF-Regionalgruppe Erfurt-Weimar zur Übertritt zur FDP; 1989 Anschluß an die Seine Haltung zum faschistischen Naziter- rechtsradikalen Republikaner, für die er ror brachte er übrigens in seinem Diskus- Neuwahl ihrer Leitung sich 1990 um ein Mandat im Bayerischen sionsbeitrag bei einer Buchvorstellung in Landtag bewarb; 1990 Beitritt zum Freun- der Ladengalerie der „jungen Welt“ Ende herzlich ein. Die Veranstaltung findet deskreis der CSU; Mitglied im faschistoiden 2009 auf den Punkt, indem er erklärte, die im Jugendbüro Filler, Erfurt, Schiller- Witiko-Bund; langjähriger Vorsitzender der Gestapo sei „humaner als das MfS“ gewe- straße 44, statt. „Vereinigung 17. 6. 1973 e. V.“ und seit 2008 sen. Seite 12 RotFuchs / Dezember 2010

Wanderausstellung oder Verwirrspiel? Wie gewisse „Historiker“ die Geschichte zu vergewaltigen suchen

ürzlich habe ich mir eine Wander- Dem Charakter der Schau entspricht auch völlig unbegreiflich, daß „der Kommu- Kausstellung angesehen, die eher an die Behauptung, allein in sowjetischen nismus nach wie vor so viele Sympathi- ein Verwirrspiel erinnerte. Veranstal- Internierungslagern habe es Hunger, santen findet“. Schließlich wurde sogar terin ist die „Initiativgruppe Internie- hygienische Verwahrlosung und völlig der millionenfache Judenmord mit der rungslager Ketschendorf e. V.“ bei der unzureichende medizinische Versorgung Bemerkung in Frage gestellt: „Was ist sattsam bekannten „Gedenkstätte Opfer sowie dadurch verursachte zahlreiche dagegen der Holocaust!?“ Zur Ehrenret- politischer Gewaltherrschaft“ in Frank- Todesfälle gegeben. Die Sterberate war tung Ostdeutscher sei angemerkt, daß furt (Oder). Die Schau war zuvor bereits in den Internierungslagern aller Alliier- solche Kommentare fast ausschließlich in verschiedenen Orten beider Teile der ten hoch. Die französischen Lager ver- an westdeutschen Ausstellungsorten ein- BRD gezeigt worden. zeichneten z. B. die höchsten Verluste an getragen wurden. Bei allem Mitgefühl für Leben, Leiden und Menschenleben in ihrer über 100jährigen Auf besonders perfide Weise präsentierte Sterben der Internierten wende ich mich Geschichte. Im 1947 geschlossenen briti- man die Ausstellung in der zwar zum im Interesse der historischen Wahrheit schen Lager Bad Nenndorf sollen Inter- städtischen Museum „Viadrina“ gehö- gegen die Fehlinterpretation des Gesche- nierte systematisch mißhandelt, einige renden, de facto aber von der Birthler- hens. sogar zu Tode gefoltert worden sein. Auch Behörde betriebenen „Gedenkstätte Opfer Immerhin weist das Faltblatt der „Initia- im US-Hauptlager Dachau wurden nicht politischer Gewaltherrschaft“ in Frank- tivgruppe“ darauf hin, daß die Inter- wenige Krankheits- und Todesfälle regi- furt (Oder). Als gehörten die entsprechen- nierungslager auf der Grundlage von striert. den Schautafeln ebenfalls dazu, wird die Beschlüssen der vier Siegermächte des In bezug auf sowjetische Speziallager gilt Köpenicker Blutwoche in einer Weise dar- Zweiten Weltkrieges und keineswegs es zu bedenken, daß die katastrophale gestellt, als seien die damaligen SA-Mör- nur in der sowjetischen Besatzungs- Versorgungslage, die nach dem durch die der zu Opfern einer „kommunistischen zone errichtet worden waren. Die über deutschen Faschisten entfesselten Krieg Gewaltherrschaft“ geworden. Da ist von 100 Jahre alte Geschichte solcher Lager zunächst herrschte, auch in der UdSSR einem 1950 geführten Schauprozeß gegen zeigt, daß sie stets dem Kriegsrecht und selbst noch den Verlust zahlreicher Men- schwerkrank vor Gericht gezerrte Ange- insoweit der Grausamkeit von Kriegen schenleben zur Folge hatte. klagte die Rede. Sechs Verurteilte seien geschuldet waren. Ganze Personengrup- Auf westlicher Seite erlangten die Rhein- in jenem Raum der Ausstellung am 20. pen wurden dort nach bestimmten Krite- wiesenlager der Amerikaner traurige Februar 1951 mit dem gleichfalls abgebil- rien oft auch willkürlich und unabhängig Berühmtheit. Mangelhafte Ernährung deten Fallbeil hingerichtet worden. von im Einzelfall erwiesener Schuld ein- und unhygienische Zustände – die Gefan- Auch so kann „Geschichte“ vermittelt geliefert und nach dem Ermessen des genen hausten auf verschlammten Wie- werden, wobei man dem Betrachter die jeweiligen Siegers behandelt. Davon sen unter freiem Himmel in Erdlöchern tatsächlichen Zusammenhänge bewußt zeugen neben den sowjetischen auch die – führten zum Tod eines erheblichen Teils vorenthält. Volker Link, Frankfurt (Oder) amerikanischen, britischen und franzö- der Eingelieferten. – In der Ket- sischen Internierungslager, in denen ab schendorf-Ausstellung sucht man 1945 weit über 100 000 Menschen arre- vergeblich nach einem Bekenntnis tiert wurden. zur Schuld des deutschen Faschis- Die Alliierten waren in Jalta und Pots- mus an allen späteren Übeln. Dort dam darin übereingekommen, sämtliche beschränkt man sich auf einen durch ihre Rolle im Naziregime Belaste- einzigen Satz im Faltblatt: „Hitler- ten in „automatischen Arrest“ zu verbrin- deutschland löste 1939 den 2. Welt- gen. Daher mußte ihnen daran gelegen krieg aus und stürzte Europa in ein sein, zunächst einmal die aktiven Par- furchtbares Chaos.“ Das Wort Chaos teigänger der Hitlerdiktatur dingfest zu steht hier für mehr als 50 Millionen machen. Für eine genaue Schuldprüfung Tote, darunter weit über 20 Millio- waren anfangs weder die juristischen nen Sowjetbürger und auch mehr noch die materiellen Voraussetzungen als 10 Millionen Deutsche, für die 6 gegeben. Daher befanden sich unter den Millionen jüdischen Opfer des Holo- Betroffenen auch nicht wenige Unschul- caust, den systematischen Massen- dige, die häufig von leiderfahrenen oder mord in den Konzentrationslagern auch nur mißgünstigen Mitbürgern ange- und die Ausrottung unzähliger Men- zeigt wurden. Heute zu behaupten, es schen in fast allen Ländern Euro- habe sich bei den Internierten durchweg pas. um Unschuldige gehandelt, obwohl in Beim Betrachten des Gästebuches Statistiken unterschiedlicher Herkunft der Schau fand ich unter mehr als von bis zu 80 % begründeterweise Festge- 80 Eintragungen lediglich zwei, mit setzten ausgegangen wird, zielt letztlich denen auf die ursächliche Schuld der nur darauf ab, die unter dem Hakenkreuz Hitlerfaschisten hingewiesen wurde. begangenen Verbrechen zu verharmlosen. Fast alle anderen ergingen sich in Auch in der Ausstellung über das Lager vorgestanzter Wortwahl über die Ketschendorf fehlt jeglicher Versuch einer „Opfer kommunistischer Gewaltherr- Differenzierung. schaft“ und „roter Diktaturen“. Ein Tiefer geht’s nimmer: Michail Gorbatschow – einst Generalsekretär der KPdSU und Nr. 1 der Dort ist z. B. von 1500 inhaftierten „sowje- Besucher behauptete sogar: „Alles Sowjetunion – wirbt als skrupelloser Renegat tischen Angehörigen deutscher Kampfba- das, was zu sehen und zu hören war, und Geldjäger für eine Tasche des Mode- und taillone“ – gemeint sind die berüchtigten hat sich in abgewandelter Form in Reiseartikel-Produzenten Louis Vuitton. Wlassow-Truppen – die Rede, ohne auf Ostdeutschland bis 1989 wieder- deren Verstrickung in schlimmste Kriegs- holt.“ Ein anderer fand es angesichts Aus „Financial Times“, 6. April 2008. verbrechen der Nazis hinzuweisen. der „Verbrechen des Stalinismus“ Eingesandt von Wolfgang Schröder, Schöneiche RotFuchs / Dezember 2010 Seite 13

Der Mops und der Mond Ein ND-Verriß, der an Thälmann nicht zu kratzen vermag

icht nur der „RotFuchs“-Leser weiß: Verfasser der ND-Rezension ist ein gewis- Zusammenkunft in Ziegenhals am 7. NWenn ein „Held der friedlichen Revo- ser Fred Bruder – manchen Verteidigern Februar 1933 eine ZK-Tagung oder „nur“ lution“ wie Lothar de Maizière seine Legen- der Gedenkstätte Ziegenhals in unguter eine Funktionärskonferenz gewesen sei. den vorgestellt hat, kommt das am Abend Erinnerung. Dessen Beitrag endet mit Hing etwa von der vollzähligen Anwe- in den Fernseh-Nachrichten. Wenn Leute den Worten: „Damit keine Mißverständ- senheit aller ZK-Mitglieder die Bedeu- wie Sarrazin ihren braunen Sud ablas- nisse aufkommen: Czichon und Marohn tung dieser Beratung ab, die bekanntlich sen, werden sie binnen weniger Tage zu bieten keinen Thälmann ohne Fehl und unter Bedingungen der Illegalität statt- Bestseller-Autoren. Die mei- finden mußte? Übrigens prote- sten Medien kennen ihre Rolle stierte Herr Bruder mit keinem im Spiel. Aber was geschieht, Wort gegen die Zerstörung der wenn ein zweibändiger Thäl- Gedenkstätte! mann-Report erscheint? Wer hat Drittens versteigt sich B. zu da in einer überregionalen gro- der unbewiesenen Behauptung, ßen Tageszeitung einen Bericht Stalin trage Mitverantwortung gefunden? an Thälmanns Tod. Er wischt Das Schweigen im Walde hat die gründlich geprüften Tat- Gründe. Die Ideologen der Bour- sachen einfach vom Tisch und geoisie sehen auch im toten folgt durchsichtigen Zwecklü- Thälmann ihren Feind und gen. Den folgenden Satz sollte eine Gefahr wie einst Hitler und sich der Rezensent patentieren Himmler im lebenden Arbeiter- lassen: „Dieser Mord gehörte zur führer. Überlebensstrategie der Nazis.“ Nach 1990 suchten die neuen Vielleicht findet er auch noch Machthaber jede Erinnerung an eine „Strategie“, die es gebietet, Thälmann auszulöschen. 2010 den toten Thälmann mit der Elle ließen sie sogar jene Gedenk- professioneller Antikommuni- stätte in Ziegenhals bei Berlin sten zu messen? schleifen, wo er zum letzten Mal Bruder tadelt, daß der Report vor seinen Mitkämpfern gespro- „von zwei in die Jahre gekomme- chen hatte. Tadel. Dennoch drängt sich dem Leser nen Historikern“ geschrieben worden sei, Was beunruhigt die Politiker und Poli- der Eindruck auf, hier soll ein überwun- „die bis zu dieser Publikation weder über tikaster im Dienste der herrschenden dener Heldenmythos wiederbelebt und Thälmann noch über die KPD geforscht“ Klasse bei Thälmann am meisten? Georgi fortgeschrieben werden.“ hätten. Das sind erstaunliche „Argu- Dimitroff sah in ihm die Verkörperung Da wäre so manches zu hinterfragen: mente“! Ist für den „Thälmann-Forscher“ der revolutionären Theorie, „die sich in Woher will Herr Bruder eigentlich wis- Bruder Alter etwa eine Schande? Gilt es unmittelbarem Zusammenhang mit der sen, welchen Eindruck „der Leser“ vom nicht eher zu rühmen, wenn zwei marxi- revolutionären Praxis des kämpfenden Report hat? Warum darf nur er darüber stische Historiker zehn Jahre ihres Ruhe- Proletariats formiert“. Zum anspornenden bestimmen, was andere darüber den- standes dazu nutzen, um die Biographie Erbe Thälmanns gehören sein Beitrag zur ken? Und was heißt „überwundener Hel- und das Lebenswerk Thälmanns – dieses Herausbildung einer marxistisch-leni- denmythos“? großen deutschen Arbeiterführers – gegen nistischen Partei mit Masseneinfluß in Darf die Linkspartei, der das ND Fälschungen und Schmähungen zu vertei- Deutschland und sein kühnes Auftreten bekanntlich nahesteht, etwa keine Vor- digen? Hat Herr Bruder schon den Schatz als kommunistischer Präsidentschafts- bilder haben? Und wenn doch – warum gehoben, der in den 3860 Anmerkungen kandidat gegen die im Jahre 1932 dro- dann nicht Thälmann? Bruder fragt die des Reports steckt? Ahnt er auch nur das hende faschistische Machteroberung Autoren, ob „ein realistisches Thälmann- Maß der dort investierten Arbeit? sowie sein beispielgebendes Verhalten in bild“ garantiert sei. Sehen wir uns sei- Herr Bruder hatte den Auftrag zu seiner den Kerkern der braunen Diktatur. Könn- nen Beitrag dazu etwas genauer an. Der Besprechung im ND schon volle zwei Jahre ten das vielleicht Gründe dafür sein, daß Hobby-Historiker wählt drei Episoden vor dem Erscheinen des Werkes von Czi- Ernst Thälmann in der „Ahnengalerie“ des aus Thälmanns Leben und Kampf aus: chon und Marohn in der Tasche. Warum Programmentwurfs der Linkspartei nicht Erstens die „Wittorf-Affäre“, welche die wurde eigentlich gerade er dafür ausge- einmal Erwähnung findet? Wie ich rein Verfasser des Reports als einen „Kon- sucht? Prof. Dr. Horst Schneider zufällig erfuhr, wird Thälmanns Leben flikt“ betrachten. Es handelte sich um und Kampf übrigens sogar in den Lehr- die Unterschlagung von Parteigeldern büchern des fernen Äthiopien gewürdigt. durch den Hamburger KPD-Funktionär Warum also nicht bei uns? Wittorf, die 1928 aufgedeckt und von den Kurz nach dem Erscheinen des „Thäl- bürgerlichen Medien und einigen par- Die Lerche mann-Reports“, den Eberhard Czichon teiinternen Widersachern Thälmanns so komm du Lerche und Heinz Marohn mit Unterstützung benutzt wurde, um den KPD-Vorsitzenden Tagverkünderin Ralph Dobrawas im Verlag Wiljo Heinen loszuwerden. Stalin stellte sich damals das ist mein Tag sag herausbrachten, veröffentlichte das ND an die Seite Thälmanns. Aus dem Sach- eine Besprechung unter der recht abfäl- verhalt, den die beiden Verfasser sorg- ich nach jeder Nacht ligen Schlagzeile „Kein Held ohne Fehl fältig recherchiert haben, macht Herr den Kopf im Nacken und Tadel“. Zunächst ist zu bemerken, daß Bruder „eine Zäsur nicht nur im Leben lauschend dir sich Thälmann selbst nie als ein solcher Thälmanns, sondern in der Geschichte und nicht den gesehen hat. Wer von den Älteren kennt der KPD“. Siegesmeldungen nicht seinen „Brief an einen jungen Ker- Zweitens läßt sich der ND-Rezensent Christa Müller kergenossen“? über sein Lieblingsthema aus, ob die Seite 14 RotFuchs / Dezember 2010

Mehr als 22 000 Stolpersteine Gunter Demnig schuf Mahnmale für Naziopfer in über 530 Orten

ngesichts der „großen Themen“, zu freundschaftlichen Miteinanders von zwei Töchtern und dem Sohn aus Jerusa- Adenen „Reformpakete geschnürt“ wer- Juden und nichtjüdischen Deutschen wird lem angereist. Es wurde wie ein Wieder- den, fühlt man buchstäblich, wie Frau langsam wieder geknüpft. Dabei geht es sehen, denn die Initiatoren des feierlichen Merkel ständig auf einem dieser „Pakete“ vor allem darum, den heute Lebenden, Aktes aus dem Berliner Hansaviertel ste- kniet und für uns alle kräftig „schnürt“. aber besonders auch den nachfolgen- hen mit dem 95jährigen schon lange in Da werden andere Fragenkomplexe von den Generationen, vor Augen zu führen, Verbindung. Sie sind im Detail mit der den Medien bewußt vernachlässigt. So daß das „Grauen nicht in Auschwitz und tragischen Geschichte seiner Familie ver- bleibt es dem „RotFuchs“ vorbehalten, Treblinka, sondern in Berlin, vor unserer traut. sich solcher Themen anzunehmen und Haustür begann“. So formulierte es die Bis April 2010 hat der Aktionskünst- sie ins Gespräch zu bringen. Ich ler Gunter Demnig bereits 22 000 denke dabei u. a. an den Beitrag Steine in 530 Städten und Gemein- „Stolpern über Stolpersteine“ in der den, darunter der Niederlande, Bel- August-Ausgabe. Großartig, was giens, Polens und Ungarns, gesetzt. Antifaschisten unterschiedlicher Eine gigantische Arbeit! In der BRD Herkunft und Weltanschauungen handelt es sich um ein offiziell geför- in der Stadt Dormagen da bewegt dertes Projekt, was Demnig eine haben. Sie gedachten gemeinsam verdiente Sonderstellung einräumt aller Opfer des Hitlerregimes – von und so die Lösung mancher Fragen deportierten und vergasten Juden erleichtert. Weitere Initiativen der bis zu dem durch die SA ermordeten demokratischen Öffentlichkeit kön- ortsansässigen Kommunisten Ernst nen lediglich in bereits vorgegebene Junghans. Gewiß, sie haben sich hier Abläufe eingebracht werden. vorerst nicht bis zum Ende durchset- Inzwischen gibt es übrigens auch zen können, doch schon der gemein- einen Film „Stolpersteine – Kunst same Wille war ein Erfolg. im öffentlichen Raum“. Der Titel Während die Faschisten aus diesem läßt eine gewisse Einengung und Block von Leibern „verwertbares formelles Herangehen an ein wichti- Leben“ – sei es für ihre bestialischen ges humanes Anliegen erkennen. Er „Versuche“ am menschlichen Körper, Dieses dem durch Japans Hirohito-Faschisten hinge- wurde im polnischen Słubice gezeigt, den Sklaveneinsatz in Steinbrü- richteten deutschen Kommunisten und sowjetischen während man gleichzeitig auf dem chen, die Konservierung tätowier- Kundschafter Richard Sorge gewidmete Straßenschild rechten Oder-Ufer einen ersten ter Haut oder das Herausbrechen aus der DDR – auch in sorbisch – erwarb unser Leser Stolperstein verlegte. So nimmt die von Zahngold – filterten, um zugleich Edwin Wesemann aus Hannover auf einem Flohmarkt. Bewegung immer mehr grenzüber- „wertloses Leben“ sofort ins Gas zu Es hat inzwischen im Richard-Sorge-Museum einer schreitenden Charakter an – aus schicken, hat sich im BRD-Alltag Moskauer Schule seinen Ehrenplatz gefunden. gutem Grunde, gibt es doch rassi- etwas ganz anderes eingebürgert. stische Tendenzen, die der Abwehr Die Gemeuchelten werden verschiede- Patin einer Stolperstein-Legung, bei der bedürfen, nicht nur in Deutschland. nen „Opfergruppen“ zugeordnet: geistig ich zugegen war, in ihrer Begrüßungs- Zurück zu unserer Feier im Hansaviertel. oder körperlich Behinderten, Sinti und ansprache. Bei extrem sommerlichen Temperaturen Roma, Juden, Christen, Homosexuellen, Verunsicherte jüdische Familien hatten in und heftig vorbeirauschendem Straßenver- Gewerkschaftern, Kommunisten und den ersten Jahren der braunen Diktatur kehr bangten wir darum, daß das Ganze Sozialdemokraten. Diese befremdliche Wege gefunden, das „Land der Dichter und gelingen möge. Doch kaum trat Kantor „Untergliederung“ krönt in der Regel die Denker“ zu verlassen, ehe es zum Land Isaac Sheffer von der Jüdischen Gemeinde Ausgrenzung der Kommunisten, wie wir der Henker mutierte. In den Tod gingen Berlin ans Mikrofon, zog er mit seinem es auch in Dormagen erlebt haben, wo sich jene Juden, welche „den Deutschen“ bis klagenden Gesang alle in seinen Bann. „Musterdemokraten“ plötzlich um einen zuletzt dieses Maß an Ungeheuerlichkeit Nach dem Vortrag herrschte zunächst ver- faschistischen „Märtyrer“ scharten. In nicht zugetraut hatten. Ihre Gutgläubig- haltene Stille. Doch dann zerbrach das weiterer Amtsdeutsch-Vervollkommnung keit bezahlten sie mit dem Leben. Zögern, schließlich war es ja keine Beer- werden neben Termini aus dem Dritten Ungeachtet dieser Barbarei sind in den digung, sondern eher ein Neuanfang, dem Reich neue Vokabeln wie „Abschiebe- Nachkriegsjahren viele Juden nach man Beifall zollen durfte. haft“, „Residenzpflicht“, „vorübergehende Deutschland zurückgekehrt oder neu Ein Instrumentalquartett von Schüle- Arbeitserlaubnis“ und „Niederlassungs- eingewandert. Dramatisch entwickelte rinnen der 6. Klasse der Rudolf-Steiner- recht“ kreiert, die eigentlich der „Entna- sich die Situation nach dem Anschluß der Schule spielte zart auf. Der elfjährige zifizierung“ unterliegen müßten. DDR an die BRD. Auf die inzwischen abge- Jan verlas Briefe von Gertrud und Louis In Dormagen vermied man es, die Sorge klungenen Beschwörungen, nun wachse Hirsch, ermordeten Verwandten des anwe- um die jüdischen Opfer allein den Juden endlich wieder zusammen, was zusam- senden Ehrengastes. Es folgte ein Lied zu überlassen. Die ganze Stadt kümmerte mengehöre, folgte die viele ernüchternde „Mir sajen do“, dessen Text im Ghetto von sich darum. Es handelt sich um eine poli- Lageeinschätzung der Polizei: Vor allen Wilna entstand. Die ergreifende „Ballade tisch-moralische Pflicht der sozialistisch- jüdischen Objekten, so der Großen Syn- von den Stolpersteinen“ trug Jakob Hirsch kommunistischen Bewegung. Manche agoge in Berlins Oranienburger Straße, selbst vor. Stefan Hilleckenbach verlas verdrängen das mitunter aus falsch ver- zogen unverzüglich Doppelposten auf. MP- Biographien Berliner Juden, die bis zu standenem „Klassenbewußtsein“. Auch bewaffnete Uniformierte vor einer zutiefst ihrer Deportation 1942 im Hansaviertel ein reicher Jude, der ins Gas geschickt friedlichen Einrichtung – so etwas war gelebt hatten. Nach 68 Jahren wurden ihre wurde, bleibt für uns ein Opfer der Hit- für Ostberliner Augen gewöhnungsbe- Namen nun verewigt. Ein Abschiedsge- lerschen Genozid-Verbrechen. dürftig. sang des Kantors galt den „auf Transport“, Das 1933 von den deutschen Faschi- Zur Stolperstein-Legung, über die ich hier in die Vernichtung gegangenen Berlinern. sten zerrissene Band des friedlichen, ja berichte, war Jakob Hirsch mit seinen Walter Ruge RotFuchs / Dezember 2010 Seite 15

In memoriam Dr. Ludwig Katzenstein Erinnern an einen in Auschwitz ermordeten Arzt und Humanisten

ppendorf ist eine kleine Landgemeinde Eltern ebenso glücklich wie unser Haus- tapfere Mann im weißen Kittel bald nicht Ezwischen Augustusburg und Freiberg arzt Dr. Katzenstein. mehr aufgesucht wurde. am Fuß des Erzgebirges. Bis 1989 gab es Der aber hatte inzwischen ganz andere Wegen vielfältiger Schikanen, denen er dort die lebhaft pulsierende LPG „Neue Sorgen. An sein Haus klebten die Nazis ausgesetzt war, hatte Dr. Katzenstein Zeit“, zahlreiche Handwerker und einige schon am 4. Juni 1931 auf dem Eppen- größere Betriebe, darunter den VEB Kra- dorfer Standesamt seinen Austritt aus nich, in dem über 500 Werktätige Damen- der israelitischen Religionsgemeinschaft schuhe herstellten. Hinzu kamen der VEB erklärt. „Ich bin doch Deutscher, wie alle Wäschekonfektion „Planet“, der die ganze anderen, und hier ist meine Heimat“, soll DDR mit Bettwäsche versorgte, und der er gesagt haben. „In erster Linie aber bin VEB Küchenmöbel „Ratiomat“. Lediglich ich Arzt. Was wollen die also von mir?“ von diesem Werk ist noch ein Torso übrig- Die Faschisten gingen noch einen Schritt geblieben, alle anderen wurden „verun- weiter. Anfang April 1933 wurde Dr. Kat- treut“. Die einstige „Doktorvilla“ gehört zenstein festgenommen und in das Schutz- heute einem Dachdecker, der das Gebäude haftlager Flöha-Plaue eingeliefert. Ein zur renoviert hat. Die Produktionsstätten der Begleiteskorte gehörender SA-Mann hatte vormals volkseigenen Betriebe mußten Befehl, ihn zu erschießen. Doch der brachte Supermärkten weichen, von denen es in es nicht fertig, seinen eigenen Arzt umzu- dem kleinen Ort gleich vier (!) gibt. bringen. Ein Kerl, von dem nur der Spitz- Meine Eltern erwarteten mich Ende Sep- name „Gift“ bekannt wurde, schlug Dr. tember oder Anfang Oktober 1935. Ich Katzenstein dann in einer Turnhalle der wurde aber schon in den ersten August- Kreisstadt Flöha brutal zusammen. Ihm tagen als Siebenmonatskind geboren. blieb nur, seine Leidensgefährten – Kom- Da es auf dem Lande noch keinen Inku- munisten, Sozialdemokraten und Zeugen bator gab, schien ich kaum lebensfähig Zettel mit der Aufschrift „Juda verrecke!“ Jehovas – medizinisch notdürftig zu ver- zu sein. Die Liebe meiner Mutter und und „Itzig, verschwinde aus unserem Dorf!“ sorgen, obgleich er selbst arg zugerichtet die intensive medizinische Betreuung Wegen Morddrohungen mußte er sogar für worden war. durch den Humanisten Dr. Ludwig Bald mußte Ludwig Katzenstein die Katzenstein retteten dem Schwäch- „Doktorvilla“ aufgeben und einem ling das Leben. Dies alles erfuhr ich neuen Arzt Platz machen. Er selbst freilich erst später, als der verdiente aber landete 1938 zunächst in Chem- Arzt längst tot war. Viel ist von ihm nitz, wo er nur noch Juden betreuen nicht überliefert, das Wenige verdan- durfte. Allerdings nicht mehr als pro- ken wir dem Ortschronisten Manfred movierter Mediziner, sondern ledig- Wünsche, einem ehemaligen Schul- lich als „Krankenbehandler“. Was er direktor. Er hat in jahrzehntelanger dort erleiden mußte, können wir heute mühevoller Forschung die Geschichte lediglich ahnen. Am 27. Februar 1943, meines Heimatortes erkundet und als als nur noch wenige Patienten in den Ergebnis akribisch harter Arbeit zwei Chemnitzer Judenhäusern verblieben aussagekräftige Bände mit dem Titel waren, wurde er zusammen mit seiner „Eppendorf im Wandel der Zeiten“ her- Frau von den Faschisten in das Vernich- ausgegeben. tungslager Auschwitz abtransportiert Dr. med. Katzenstein kaufte als Allge- und dort am 2. Mai ermordet. meinmediziner und Hausarzt im März Seit 2009 ist auf dem Bürgersteig vor 1931 die Eppendorfer Nacke-Villa und der einstigen Praxis Dr. Katzensteins richtete dort eine Praxis ein. Wegen ein Stolperstein eingelassen, der an den seines unermüdlichen Wirkens und Mann erinnert, ohne dessen ärztliche seiner allenthalben bekannten Hilfs- Kunst ich nicht auf der Welt wäre. bereitschaft wurde er von der Bevöl- Heute erstarre ich vor Schrecken, kerung geachtet, ja geliebt. Zu meiner wenn ich lese, daß deutsche Gerichte Mutter soll er gesagt haben, als sie aus „demokratischen Beweggründen“ mit mir Winzling in die Sprechstunde Einfahrt zum Konzentrationslager Auschwitz- Aufmärsche von Neo-Nazis erlauben, kam und bezahlen wollte: „Von Ihnen, Birkenau welche obendrein noch durch Polizei- liebe Frau Otte, nehme ich kein Geld. kordons geschützt werden, obwohl die Ihr Mann ist ja arbeitslos, da kommen Sie einige Wochen den Ort verlassen. SA-Leute Einwohner und Bürgermeister der betrof- doch so schon kaum über die Runden.“ veranstalteten ein regelrechtes Pistolen- fenen Städte solche faschistischen Provo- Er tat, was ihm möglich war, um mein schießen auf die Fenster der Katzenstein- kationen entschieden ablehnen. Wollen schwaches Leben zu retten. Als selbst Villa. diese BRD-Juristen, daß die Erinnerung er nicht mehr weiter wußte, überwies er Die Gemeindeverwaltung entzog dem an das Schicksal von 6 Millionen ermorde- mich an einen Spezialisten in Freiberg. Mediziner seinen Schularztvertrag, da ten Juden – unter ihnen Dr. Ludwig Katzen- Meine Mutter, die sich keine Omnibus- ein Jude nicht länger „arische Kinder“ stein – geschändet wird und andere Völker fahrt leisten konnte, legte die 25 km mit behandeln durfte. Die Faschisten stell- wieder Angst vor Gewalt aus Deutsch- dem Kinderwagen zu Fuß zurück. Nach ten einen der Ihren in Uniform vor die Pra- land haben? der Konsultation mußte sie die gleiche xis und ließen diesen notieren, wer sich Der Stolperstein von Eppendorf soll für die Strecke erneut bewältigen. Und das nicht von Dr. Katzenstein weiter verarzten ließ. Gleichgültigen und Sorglosen eine Mah- nur einmal, sondern wiederholt. Als die Die meisten Patienten hielten dem massi- nung sein! Behandlung dann anschlug, waren meine ven Staatsterror nicht stand, so daß der Erhard Otte, Ehrenfriedersdorf Seite 16 RotFuchs / Dezember 2010

Umweltgerecht erzeugte Produkte für alle! Agrar-Industrie-Komplex verleumdet Bio-Landbau

ls ich den Artikel „Der Trick mit Zerstörung der nationalen Märkte in der tinteressen des Agrar-Industrie-Komple- Aden Bio-Produkten“ im September- Dritten Welt durch die subventionierten xes gesteuert. „RotFuchs“ las, vermerkte ich mir: teil- Exporte solcher staatlich gepäppelten Wirt- Auch der Verweis auf Steiner kann die Not- weise sehr fragwürdige Thesen. Denn der schaftszweige ganz zu schweigen. wendigkeit einer gesunden und umweltver- Text enthält neben durchaus Bedenkens- Das alles fällt in dem genannten Artikel träglichen Landwirtschaft in keiner Weise wertem auch recht Bedenkliches, wobei glatt unter den Tisch. Wir haben es hier in Frage stellen. Die wurde von Steiner das Wichtigste fehlt. mit einem jener vielen Wirtschaftsberei- gerade nicht erfunden. Außerdem gehörte Der Artikel legt den Schluß nahe, „kon- che zu tun, in denen Produktivkräfte unter es immer zum Propaganda-Arsenal des ventionelle“ Landwirtschaft sei geeignet, kapitalistischen Produktionsverhältnissen Großkapitals und seiner Meinungsmacher- das Welternährungsproblem zu lösen, der längst zu Destruktivkräften entartet sind. zentralen, humane, fortschrittliche, linke Bio-Landbau hingegen nicht. Das stellt die Unter solchen Bedingungen wird sich das Inhalte mit rassistischem und abstrus Wirklichkeit auf den Kopf. So lautet die auch nicht wirklich ändern lassen, weil es mystischem „Ideengut“ zu vermengen, um mir einleuchtend erscheinende Kernaus- am System liegt. Beim Bio-Anbau sind die die Leute zu verwirren. Wer sich davon den sage eines Kommentars des Agrarwis- Nahrungsmittelerzeugung (um die es mir Wind aus den Segeln nehmen läßt, trinkt senschaftlers Dr. Peter Clausing über den allein geht) und der „biologische“ Anbau auch noch den Kakao, durch den er gezo- Weltagrarbericht 2008. Der Autor verweist „nachwachsender Rohstoffe“ für den westli- gen werden soll. Behauptungen, wie sie auch im RF-Beitrag chen Luxusenergieverbrauch, Hypermobi- Wenn in der DDR eine offene Debatte über aufgestellt werden, ins Reich vom kapita- lität und imperialistisches Militär scharf Fragen einer umweltschonenderen Land- listischen Agrar-Industrie-Komplex ver- voneinander zu unterscheiden. wirtschaft im Rahmen der insgesamt breiteter Propagandamärchen. Aus der Tatsache, daß Bio-Lebensmittel vorbildhaften Entwicklung der Genossen- Es muß auf die massiven Probleme ver- heute eher eine Elite-Angelegenheit sind, schaften (LPG) noch nicht möglich war, so wiesen werden, welche die konventionelle folgt nicht, daß sie deshalb bekämpfens- hat das vor allem zwei Gründe. Einerseits Landwirtschaft hinsichtlich der Auslau- wert seien. Das wäre lachhaft, denn aus mußte man sich in der harten Konfronta- gung der Böden, des Eintrags von Insek- diesem Grunde müßten wir dann ja auch tion mit dem Imperialismus im Kalten Krieg tiziden, Pestiziden und anderer giftiger höhere Bildung und klassische Musik ableh- schwerwiegenderen Problemen zuwenden, Chemikalien ins Grundwasser, in unsere nen. Die Forderung kann nur sein: Gesunde anderseits wurde das auch durch gewisse Lebensmittel und in die Umwelt überhaupt und umweltgerecht erzeugte Lebensmit- Beschränkungen der Diskussionskultur, (Stichwort Bienensterben) hervorruft. Von tel für alle! Das ist fast gleichbedeutend von denen im „RotFuchs“ schon des öfte- der unsäglichen Massentierhaltung mit damit, die Eigentumsfrage zu stellen. Denn ren die Rede war, gefördert. ihren Begleiterscheinungen über Tierquä- die konventionelle Landwirtschaft liegt In Ländern wie Kuba und China gewinnt lerei bis zu den Gülle„entsorgungs“folgen längst nicht mehr im Menschheitsinter- der Bio-Landbau übrigens zunehmend an und arzneiverseuchtem Fleisch, von der esse, sondern ist nur noch durch die Profi- Bedeutung. Peter Maaßen, Frankfurt/Main

„Heideruh“ – ein Kleinod für Antifaschisten Wunderschöner Erholungsort lädt „RotFuchs“-Leser zum Ausspannen ein

er in die Nordheide vor den Toren Ham- Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung Mitglieder des Vereins „Wohn- und Ferien- Wburgs fährt, sucht dort vor allem die – aus der ganzen Bundesrepublik. heim Heideruh e. V.“ geworden. Sie gehören Ruhe einer von Menschenhand geschaffenen Für uns Heimgäste mit DDR-Biographie auch zu den ehrenamtlichen Mitarbeitern Landschaft. So ist der Name „Heideruh“, den war „Heideruh“ ein Erlebnis besonderer der Einrichtung. sich ein dortiges Ferienheim besonderer Art Das Heim bietet ideale Bedingungen für gegeben hat, durchaus zutreffend. Seminare, Veranstaltungen mit Zeitzeugen Anlaß zu dessen Gründung war 1945 der und Konferenzen aller Art. Auch Jugendli- durch die britische Militäradministration che sollen stärker einbezogen werden. Vor dem Komitee politisch Verfolgter im Raum allem aber ist und bleibt „Heideruh“ ein Hamburg erteilte Auftrag, eine Erholungs- wunderschöner Erholungsort, wo die Gäste stätte für Kinder aus den Konzentrations- im Mittelpunkt stehen. Sie sollen einen lagern Bergen-Belsen und Neuengamme unbeschwerten und erholsamen Aufenthalt aufzubauen. Die Gegend um Buchholz/Nord- genießen und können gemeinsam die nähere heide wurde in Erwägung gezogen. Nach Umgebung erkunden. Zum ständigen Ange- Schaffung der erforderlichen Voraussetzun- bot gehören der Besuch antifaschistischer gen betreute man in „Heideruh“ zunächst Art. Hier begegneten wir Gleichgesinnten, Gedenkstätten in Norddeutschland und Aus- etwa 140 Kinder aus den genannten Lagern Freunden und Genossen. Nicht wenige unse- flüge in die herrliche Heidelandschaft. oder von Widerstandskämpfern. Sie konn- rer Gesprächspartner aus der alten BRD Hier soll nicht verschwiegen werden, daß ten sich bei Sport, Spiel und guter Pflege waren Mitglieder der 1956 verbotenen KPD das Erholungsheim mit einer Reihe von Pro- erholen. In den Folgejahren nutzten ehema- oder anderer fortschrittlicher Organisatio- blemen zu ringen hat, nicht zuletzt finanzi- lige Häftlinge den Komplex, um nach grau- nen, die durch das Adenauer-Regime ver- eller Art. Die derzeitige Durststrecke kann samen Jahren des Faschismus neue Kraft folgt wurden, gewesen. Trotz ihres hohen nur bewältigt werden, wenn die Belegung zu sammeln. Alters sind etliche von ihnen noch heute des Heimes ganzjährig garantiert ist. Auch Heute kommen dorthin neben noch leben- aktiv. In der Begegnung mit ihnen wuchs „RotFuchs“-Leser sind herzlich eingeladen, den Opfern der Hitlerdiktatur auch deren unser eigener Mut, gegen die herrschenden dort Gäste zu sein. Angehörige sowie Mitglieder antifaschi- Verhältnisse anzukämpfen. Inzwischen sind Matthias und Marion Werner, Berlin, stischer Organisationen – unabhängig von bereits viele Antifaschisten aus dem Osten Bea Trampenau (Geschäftsführerin „Heideruh“) RotFuchs / Dezember 2010 Seite 17

„Unsere Jungs“ in Kundus Afghanistan 2010: Von der Etappen-Idylle zum knallharten Frontgebiet

er am 9. September 2001 die Zwil- Koalitionäre über die friedlichen Ziele wegen solcher „Fehlgriffe“ Beschwerde Wlingstürme des New Yorker Welt- der Aggression widerlegt. Aus angeb- einzulegen. All das diskreditierte und handelszentrums tatsächlich rammen lichen Aufbauhelfern sind inzwischen demaskierte die vorgetäuschte „Frie- ließ, ist bisher noch nicht restlos geklärt. ganz ordinäre Okkupanten geworden. Die densmission“. Nur eines steht fest: Es waren mit Sicher- frommen Sprüche von westlicher Kultur Durch solche Untaten ausgelöste psycho- heit keine finsteren Gestalten vom Hin- und Hilfe, die man dem Volk bringen und logische Druckwellen breiteten sich über dukusch. Indes lieferten die Trümmer erweisen wolle, sind längst verklungen. das ganze Land aus. So blieb es nur eine dieses Bauwerks und die dem verruch- Edelmütige Ritter und „Freunde“ der Ein- Frage der Zeit, bis sie auch Merkels „Bür- ten Verbrechen zum Opfer Gefallenen heimischen erweisen sich als ordinäre ger in deutscher Uniform“ in Kundus und dem damaligen US-Präsidenten George Landsknechte. Sie sind Söldner im Dien- Umgebung erwischten. Das führte dort W. Bush jr. den heißersehnten Vorwand ste der Herren ihrer Entsendestaaten. zu einer völligen Änderung der Situa- für die Einführung einer veränderten Condoleezza Rice hat als Bushs Außen- tion. Aus dem fast verträumten Milieu Doktrin des globalen Interventionismus. ministerin bei dem blutigen Unterfan- der „Brunnenbohrer“ wurde über Nacht Der neue Hauptfeind war gefunden und gen mit Regie geführt. Angesprochen ein knallhartes Frontgebiet. Nun gab es wurde sofort ins Visier genommen. Wa- auf die Schwierigkeiten, die sich schon auf einmal wie in jedem Krieg auch Tote. shington bezeichnete ihn als „interna- zu Beginn der Aggression zeigten, ver- Nach Lesart der BRD-Regierung waren tionalen Terrorismus“. glich sie die Situation in Afghanistan mit das vorerst „Opfer gemeiner, hinterli- Das Pentagon schlug brutal zu. Über jener in den westlichen Zonen Deutsch- stiger und verabscheuenswürdiger Ver- Nacht erklärte man Afghanistan zur lands nach 1945. Ein kleiner Unterschied brechen“. Diese Tonlage wurde bis 2009 „Heimstatt aller Terroristen“. Die Ver- bestand und besteht indes darin, daß durchgehalten – auch von Angela Merkel. einten Nationen ließen sich von der Deutschland ab 1939 Aggressor war, Dann entschied sich der neue Kriegsmi- Bush-Administration für deren Ziele ein- während Afghanistan seit 2001 das Opfer nister zu Guttenberg für eine veränderte spannen und machten das Spiel mit. Eine einer Aggression ist. Sprachregelung. UNO-„Friedensmission“ wurde insze- Viele „Gutwillige“ zogen anfangs gemein- Aber es floß mehr deutsches Blut in niert, die den Angriffskrieg kaschieren sam mit ihren „amerikanischen Freunden“ Afghanistan. Deshalb stellte man nach sollte. Allen „Gutwilligen“ wollte man in das zentralasiatische Land, wo sie sich bewährtem Vorbild in Berlin einen gro- Gelegenheit geben, daran mitzutun. Es in solide befestigte Lagern verschanz- ßen Stein auf, um die Namen der gefal- fehlte nicht an Vorschlägen zur Tarnung ten. Dort lebten die Bundeswehrange- lenen BRD-Bürger dort zu verewigen. des blutigen Unterfangens. Schulen und hörigen zunächst ziemlich unbehelligt. Schließlich hatten sie ihr Leben ja für Krankenhäuser sollten gebaut, Brunnen Nach Medienberichten glich der afgha- die gefährdete freiheitlich-demokrati- gebohrt und den Afghanen ein Leben wie nische Norden – ihre „Besatzungszone“ – sche Grundordnung der Bundesrepu- Gott in Frankreich beschert werden. Tat- in den ersten Jahren der Okkupation fast blik am Hindukusch geopfert, um einer sächlich aber ging es einzig und allein einer Idylle. Man bewachte die Schlaf- Formulierung des früheren Kriegsmini- um Ressourcen und strategische Ziele. mohnfelder, baute Schulen, bohrte Brun- sters Struck (SPD) zu folgen. Die Namen Die Afghanen wehrten sich ihrer Haut. nen, verteilte Bonbons an afghanische der afghanischen Kinder, Frauen und Ein anhaltender und sich ständig auswei- Kinder und spielte Skat. Die Gewehre Männer, die der inzwischen von jeglicher tender Partisanenkrieg gegen die frem- der Soldaten hingen bei Spaziergängen Strafverfolgung ausgenommene Bundes- den Eindringlinge gewann an Kraft und in die Dörfer ihrer „Schutzbefohlenen“ wehr-Oberst Klein auf dem Gewissen hat Wirkung. Er ging bemerkenswerterweise lässig über der Schulter. Von Krieg war und die ihr Leben einer Kanne billigen gerade von jenen aus, die einst durch die damals nichts zu spüren – jedenfalls in Benzins wegen nahe Kundus verloren, CIA gegen „die Sowjets“ mobilisiert und der „deutschen Zone“. Daher wurde die blieben unerwähnt. Nur mutige PDL- ausgerüstet worden waren. Die Taliban Teilnahme von Bundeswehreinheiten am Bundestagsabgeordnete haben sie mit formierten sich – sieht man hier einmal Überfall auf Afghanistan, eines wenig ihren Schildern ins Gedächtnis geho- von ihrer mittelalterlich anmutenden bekannten fernen Landes, daheim kaum ben. Ideologie ab – in den vergangenen neun zur Kenntnis genommen. Und die Kanzle- Ex-Kriegsminister Jungs bereits vom Jahren zu einer schlagkräftigen Truppe rin schwärmte so intensiv von der „Frie- „Spiegel“ als künftiger Kanzler gehan- mit antiamerikanischer und antieuro- densmission“ ihrer „Jungs“, daß sie am delter Nachfolger, adlig und feurig, kam päischer Stoßrichtung. Die Vorstellung Ende selbst daran zu glauben begann. direkt zur Sache, als er neun Jahre nach der 200 000 Besatzer, eine der Kabuler Nun ist dieses Land seiner Größe nach Beginn des NATO-Überfalls auf Afgha- Quisling-Administration zuzuordnende sowie bei Berücksichtigung der unter- nistan endlich den Krieg beim wahren reguläre Armee mit einigem Durchset- schiedlichen Stämme und Nationalitäten, Namen nannte und Panzerhaubitzen auf zungsvermögen formieren zu können, die es bewohnen, vor allem aber unter das Schlachtfeld schaffen ließ, um den dürfte auf Sand gebaut sein. Bei erster dem Aspekt der Sitten und Gebräuche, ihr Vaterland verteidigenden Feinden Gelegenheit werden viele „Regierungs- nicht mit europäischen Maßstäben zu in einer härteren Gangart begegnen zu soldaten“, von ihren „Schutzmächten“ messen. können. bewaffnet und ausgebildet, zu den Frei- Die Abgesandten des Pentagons sahen Der Krieg in Afghanistan ist in ein qua- schärlern überlaufen, fühlen sie sich sich in ihrem Okkupationsgebiet von litativ neues Stadium getreten. Die Bun- doch in erster Linie als Afghanen, die Beginn an ganz anderen Parametern deswehr steht mit ihrer Teilnahme an sich mit dem Speck aus dem Westen gegenüber. Gleich nach der Ankunft diesem Überfall durchaus in der Tradi- kaum auf Dauer ködern lassen. nahm man sie unter Feuer. Aus ersten tion der Wehrmacht. Wie ist nun die tatsächliche Verfaßtheit Zusammenstößen erwuchsen schnell Von dem, was 1989 durch die „Dissiden- der BRD-Krieger in einem fremden Land, weitere Konflikte. Die U.S. Air Force ten“ der DDR in der „Heldenstadt“ Leipzig das selbst Hitler zu weit entfernt war, attackierte Hochzeitsgesellschaften und anderswo stolz verkündet wurde, ist um dort für „deutsche Zucht und Ord- und andere friedliche Veranstaltungen nicht viel übrig geblieben. Aber gerade nung“ zu sorgen? mit Bordkanonen und Bomben. Selbst heute müßte die Parole „Schwerter zu Die Zeit hat die wohltönenden Phra- die Kabuler Quisling-Regierung Karsais Pflugscharen!“ heißen. sen der einander ablösenden Berliner sah sich wiederholt dazu gezwungen, Dr. Günther Freudenberg, Bernburg Seite 18 RotFuchs / Dezember 2010

Die Visionen des Realisten Raúl Castro Kubas Führung stellte Weichen für die Zukunft

ubas Gewerkschaftszentrale CTC über alle drückenden Probleme, die gro- ist?, fragt Vandepitte rhetorisch. Ein Kkündigte Mitte September an, daß ßen wie die kleinen. Dabei ging es dem weiteres Manko ist wiederum mit den bis April 2011 eine halbe Million Stellen neuen Präsidenten um ein ökonomisches Auswirkungen der Sonderperiode ver- im öffentlichen Dienst und bei staatli- Modell, das heutigen und künftigen Her- bunden. Der Lohn, der den Beschäftig- chen Unternehmen gestrichen werden. ausforderungen entsprechen soll. Sorg- ten in Landeswährung gezahlt wird, Betroffen ist rund ein Achtel derer, die fältigen Recherchen folgten konkrete ist im Vergleich mit dem anderswo bisher in diesem Sektor ihre Löhne und Pläne. Doch bevor an deren Verwirkli- schwächelnden Dollar oder der kuba- Gehälter bezogen haben. Die Freigesetz- chung gegangen werden konnte, wurde nischen Touristenwährung CUC fast ten könnten z. B. umgehend in der Land- Kuba in den Jahren 2008 und 2009 hart ohne Wert. Egal, ob jemand hart oder wirtschaft und anderen Bereichen, wo getroffen: von drei aufeinanderfolgen- gar nicht arbeitet, mit seinem Gehalt akuter Arbeitskräftemangel herrsche, den schweren Wirbelstürmen sowie kann er kaum etwas anfangen, sieht Beschäftigung finden, heißt es. Auch den Auswirkungen der internationa- man vom Kauf der allen Kubanern per die Aufnahme einer selbständigen hand- len Finanz- und Wirtschaftskrise. Libreta gewährten Grundversorgung werklichen Tätigkeit werde gestattet. Nichtsdestotrotz hielt sich die sozialisti- ab, die indes allein zum Leben nicht Handelt es sich hier um einen Bruch mit sche Republik beachtlich. Zwischen 2004 ausreicht. dem Sozialismus? und 2009 erreichte Kuba Zuwachsraten Mit anderen Worten: Es gibt keine Die Vorhaben, um die es geht, werden von durchschnittlich 6 %, verglichen mit unmittelbare Beziehung zwischen der Bevölkerung nicht von einem Tag 3,6 % im Maßstab Lateinamerikas. So Beschäftigung, Einkommen und Kauf- zum anderen übergestülpt, sondern sind war der Moment gekommen, sich nun- kraft. Eine solche Situation wirkt demo- innerhalb der kubanischen Führung, mehr den strukturellen Defiziten zuzu- tivierend, zumal ein Teil der neuen aber auch in der Öffentlichkeit seit lan- wenden. Havanna sieht sich dabei mit Generation nicht mehr von der Selbst- gem gründlich diskutiert worden, bevor zwei fundamentalen Problemen kon- losigkeit der alten revolutionären Garde sie Präsident Raúl Castro im August der frontiert: Unter sozialen, kulturellen geprägt ist. Das fundamentale Problem obersten Volksvertretung in Havanna und wissenschaftlichen Aspekten kann besteht wohl darin, daß sich der kubani- unterbreitete. sich Kubas gesellschaftliches System sche Arbeiter heute weniger als vor der Nach dem Wegfall der Sowjetunion mit reichen und hochentwickelten Län- Sonderperiode für die Produktion seines sowie der um sie gruppierten europä- dern durchaus messen, während es in Betriebes verantwortlich und als Eigen- ischen sozialistischen Staaten und ange- seiner wirtschaftlichen Leistungskraft tümer der vergesellschafteten Produk- sichts der verschärften ökonomischen eher auf dem Niveau der anderen Kari- tionsmittel empfindet, was bekanntlich Blockade seitens des Imperialismus sah bikstaaten verharrt. der entscheidende Hebel im Sozialismus sich Kuba in den 90er Jahren einer als Dieser Widerspruch – auch eine Folge ist. Entsprechende Erfahrungen wurden „Sonderperiode“ umschriebenen ökono- der anhaltenden Blockade – führt bei der ja auch in der DDR gesammelt. mischen Zerreißprobe von beispiello- Bevölkerung zwangsläufig zu Erschei- Das Anliegen einer schrittweisen Gesun- sem Ausmaß gegenüber. Deren Folgen nungen von Passivität. Der belgische dung der kubanischen Wirtschaft auf sind auch heute noch zu spüren. Fast Journalist Marc Vandepitte, auf des- sozialistischer Grundlage, das Raúl über Nacht wurde die karibische Insel- sen Artikel wir uns hier u. a. stützen, Castro und seine Mitstreiter jetzt anvi- republik von allen bisherigen Verbin- schilderte die Stimmungslage so: „Du sieren und entschlossen in Angriff neh- dungen abgeschnitten, Industrie und bist ein großer Pianist, kannst dir aber men, dürfte viel Kraft, Kühnheit und Landwirtschaft stürzten buchstäblich privat kein Klavier kaufen. Du bist ein Ausdauer erfordern. in ein schwarzes Loch. Aber der sozia- bekannter Chirurg ohne eigenes Auto RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel listische Staat nahm auch unter derart oder ein Ingenieur, dem mißlichen Umständen keine Massenent- das Telefon fehlt.“ Die lassungen vor, wie sie im Kapitalismus infolge nur geringer sofort erfolgt wären. Dadurch entstand Konsumtionsmöglich- ein enormes Maß an Überbeschäftigung – keiten für Nichtbesitzer allein im öffentlichen Sektor waren etwa von Valuta herrschende 20 % der dort Tätigen völlig unnötig. Frustration bleibt Diese Situation untergrub zwangsläu- natürlich nicht ohne fig auch die Stabilität der nationalen Auswirkungen auf die Währung – des Peso –, was zur Folge Produktionssphäre. hatte, daß das devisenarme Land sämt- Wie kann man Men- liche Importe äußerst teuer bezahlen schen zu effizienter mußte. Arbeit bewegen, wenn Bis zur ersten Hälfte dieses Jahrzehnts sie sich für ihr Einkom- galt in der kubanischen Wirtschaft men nicht das leisten gewissermaßen das Prinzip „Friß Vogel können, was sie begeh- oder stirb!“ Dann setzte sich Schritt für ren und auch benöti- Schritt ein von ökonomischen Kriterien gen? bestimmtes Herangehen durch. Wie kann man hoch- Ekuadors linkskatholischer und antiimperialisti- Nachdem Fidel Castro im November 2005 qualifizierte junge sein gesundheitsbedingtes Ausscheiden Leute für eine Tätigkeit scher Staatspräsident Rafael Correa – ein Vorkämp- aus der Staatsführung signalisiert hatte, in der Landwirtschaft – fer für die Befreiung Lateinamerikas – ging aus dem eröffnete sein die Verantwortung über- bei über 30 Grad Hitze CIA-gelenkten und fehlgeschlagenen Putsch als Sie- nehmender Bruder Raúl – kein Mann und hoher Luftfeuchtig- ger hervor. Unser Foto zeigt ihn bei einer Begegnung der großen Gesten, aber ein Realist mit keit – gewinnen, wenn mit der Bevölkerung in Guayaquil. Visionen – einen ebenso freimütigen wie außer dem Arbeitsplatz tabulosen Dialog mit der Bevölkerung vieles nicht abgesichert RotFuchs / Dezember 2010 Seite 19

Mit dem roten Stern an der Mütze Jugoslawiens Partisanenarmee siegte im antifaschistischen Befreiungskrieg

ugoslawien war der größte Vielvöl- Aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina ausgerüstet werden. Ende 1943 waren Jkerstaat Osteuropas. Auf seinem Ter- wurde unter Führung der kroatischen zwei Drittel Jugoslawiens befreit. ritorium lebten nahezu 20 Nationalitäten, Ustascha-Faschisten ein großer Staat, Der Versuch, die von der serbischen Exil- waren fast alle Weltreligionen vertreten. der als „regionale Ordnungsmacht“ die- regierung unter General Mihailović gebil- Die größte ethnische Gruppe bildeten Ser- nen sollte. deten königstreuen Tschetnik-Verbände ben, während Slowenien und Kroatien Die KPJ war die einzige gesellschaftliche für den gemeinsamen Kampf zu gewin- wirtschaftlich höher entwickelt waren. Kraft, die den Kampf gegen die Okkupan- nen, schlug nach einigen Versuchen fehl. So entstanden hier separatistische Organi- ten fortsetzen wollte. Schon im Mai 1941 Fortan kämpften die etwa 70 000 Tschet- sationen, die sich von Jugoslawien abspal- wurden die Vorbereitungen für einen Auf- niks auf der Seite der Faschisten gegen ten wollten. stand getroffen. Nach dem Überfall auf die Partisanen. Da der General diese Kol- Dem stellte sich die 1919 geschaffene die Sowjetunion formierte sich ein Parti- laboration aber geschickt verheimlichte, Sozialistische Arbeiterpartei – seit 1920 sanenhauptstab unter Titos Leitung. Zu galt er bei den Westmächten als Führer hieß sie KPJ – entgegen. Sie war die ein- jenem Zeitpunkt gab es 12 000 eingetra- des Widerstandes. Doch der Übergang der zige gesamtjugoslawische Kraft, wel- gene Kommunisten und 30 000 Jungkom- Königstreuen auf die Seite der Faschisten che die tatsächliche Gleichberechtigung munisten. Sie waren in jedem Landesteil verschaffte den Kommunisten endgültig aller Völkerschaften einforderte. Zugleich präsent und bildeten den Kern der Parti- die unbestrittene Führungsrolle im Befrei- wandte sie sich der armen Bauernschaft sanenbewegung. Diese konnte auch auf ungskampf. Im November 1942 wurde der zu, der sie eine radikale Bodenreform in einen Teil der 300 000 ehemaligen Soldaten Antifaschistische Rat (AVNOJ) als gesetz- Aussicht stellte. Mit 65 000 Mitgliedern zählen, die sich der Kapitulation entzogen gebendes Organ geschaffen. In ihm ver- war die KPJ zu jener Zeit nach der KP der und ihre Waffen versteckt hatten. fügte die KPJ über den stärksten Einfluß. Tschechoslowakei die stärkste kommu- Am 7. Juli 1941 erteilte Tito den Befehl zum Am 29. November 1943 schuf der AVNOJ in nistische Partei in Osteuropa und mit Aufstand, der in den nächsten Wochen das Jajce in Gestalt des Nationalen Befreiungs- 14 % der Sitze die drittstärkste Parlaments- ganze Land erfaßte. Nun gab es bereits komitees mit Tito an der Spitze die erste gruppe. Mit ihrem Programm hatte sie 80 000 Partisanen. Waffen und Munition provisorische Regierung eines freien Jugo- nicht nur die herrschenden Serben, son- mußten bis 1945 vom Feind im Kampf slawiens. Im gleichen Monat erfolgte deren dern auch die Separatisten herausgefor- erbeutet werden. Es handelte sich u. a. um Anerkennung durch die Hauptmächte der dert: Für 20 Jahre mußte die KPJ in die 618 978 Karabiner und Maschinenpistolen, Antihitlerkoalition. Illegalität gehen. Auch innere Kämpfe 45 215 leichte und schwere Maschinenge- Mit der siebenten Offensive im Frühling schwächten die Partei, die 1928 nur noch wehre, 70 178 Pistolen und 364 Millionen 1944, zu der die Operation „Rösselsprung“ etwa 2000 Mitglieder besaß. Schuß Munition. gehörte, setzten die Faschisten noch ein- 1937 übernahm der 45jährige Kroate Josip Die Faschisten versuchten die Partisa- mal an, das Zentrum des Befreiungskamp- Broz (Pseudonym Tito) die Führung der nen in sieben Offensiven gegen größere fes zu zerschlagen und Titos habhaft zu Partei, die er schnell zu reorganisieren Abteilungen, bei denen sie den Hauptstab werden. Doch auch dies mißlang. verstand. 1940 betrug ihre Mitgliederzahl vermuteten, einzuschließen und mit über- Durch die Proklamierung des neuen Jugo- wieder 6500, während der Jugendverband legenen Kräften zu vernichten. Diese Tak- slawiens, Italiens Ausscheiden aus dem 18 000 Genossen zählte. Im Frühjahr 1941 tik verfehlte jedoch ihr Ziel. Die Partisanen Krieg und die sowjetische Offensive auf standen die Kommunisten an der Spitze waren über die faschistischen Truppen- dem Balkan kam es zu einem weiteren der Volksbewegung, die eine prodeutsche bewegungen stets informiert, empfingen Aufschwung des Partisanenkampfes. 1944 Regierung stürzte und die neue zu einem die Angreifer gut vorbereitet und hiel- besaß die Volksbefreiungsarmee eine Freundschaftsvertrag mit der Sowjet- ten sie lange auf. Da sie sich zumeist mit halbe Million Kämpfer, die in 15 Korps union zwang. Handfeuerwaffen verteidigten, war die mit 50 Divisionen und 20 Selbständigen Die plötzliche Veränderung des Kräftever- Entfernung zwischen den Kämpfenden Brigaden sowie 130 Partisanenabteilun- hältnisses in Jugoslawien veranlaßte Hit- zu kurz, um Flugzeuge massiv einsetzen gen gegliedert waren. Bis zum März 1945 lerdeutschland, seinen ursprünglich für zu können. wuchs sie auf 800 000 Männer und Frauen Mitte Mai geplanten Angriff auf die UdSSR Bei der ersten Offensive gegen die „Parti- an. Im Herbst 1944 gingen die Partisanen im Interesse einer „Sicherung der Süd- sanenrepublik“ von Užice (Westserbien) im mit Unterstützung der in Nordjugosla- flanke“ um mehr als einen Monat zu ver- Herbst 1941 griffen etwa 100 000 Faschi- wien einmarschierenden Roten Armee, schieben: Am 6. April 1941 überfielen die sten rund 15 000 Partisanen an, die sich der umgeschwenkten bulgarischen Armee deutschen Faschisten mit ihren Verbün- nach Ostbosnien absetzten. 1942 wichen und albanischer Partisanen zu ihrer letz- deten Italien, Ungarn und Bulgarien das 80 000 Partisanen der Offensive von ten Offensive über. Im Oktober wurde Bel- Königreich Jugoslawien. Nach 12 Tagen 500 000 Faschisten geschickt aus. Der grad befreit und bis zum 15. Mai 1945 das kapitulierte dessen Armee, der Monarch Zustrom in die Berge und Wälder riß ganze Land. ging samt Kabinett ins britische Exil. Das nicht ab. In jenem Jahr gab es schon Dieser Sieg wurde teuer erkämpft: 1,7 Mil- Land wurde unter den Aggressoren auf- 150 000 Partisanen, die zur aus 27 Divi- lionen Jugoslawen verloren ihr Leben, dar- geteilt, in Serbien und Montenegro instal- sionen bestehenden Volksbefreiungsar- unter 305 000 Partisanen. Von den 100 000 lierten sie Marionettenregierungen. mee umgewandelt wurden. Im Frühling Partisaninnen wurde jede vierte getötet. Bedeutende Kräfte der einheimischen 1943 zählte man 300 000 uniformierte Par- 50 000 Kommunisten fielen im Kampf. Faschisten standen gegen die Partisanen tisanen mit roten Sternen an der Mütze. Der vierjährige Partisanenkrieg war bereit: eine 22 000 Mann starke SS-Divi- Sie konnten nun eigenständig Offensiven das bewußtseinsprägendste Element sion aus der deutschen Minderheit, die durchführen. in der tausendjährigen südslawischen serbische faschistische ZBOR-Bewegung, Nach der Kapitulation Italiens im Septem- Geschichte. Nicht zuletzt wohl deshalb die albanischen Ballisten und die SS-Divi- ber 1943 verbesserten sich die Kampfbe- widersetzten sich die Jugoslawen der Ost- sion „Skanderbeg“ aus dem Kosovo (beide dingungen der Partisanen. Viele Italiener europa überrollenden Konterrevolution Vorgänger der UÇK), Sloweniens „Weiße liefen zu ihnen über. Mit deren Waffen am längsten. Garde“ und serbische Gendarmen. konnten 80 000 Männer und Frauen Dr. Bernhard Majorow Seite 20 RotFuchs / Dezember 2010

China: Erstmals gesetzliche Regelung betrieblicher Arbeitskonflikte

n der südchinesischen Provinz Guang- der Arbeiter am Montageband plötzlich von Konzernen beschäftigt sind. Niedrige Bezah- Idong wurde Mitte Juli der Entwurf des 900 auf 2000 Yuan herauf. lung und ungünstige Lebensbedingungen ersten Gesetzes der Volksrepublik vorge- Ein Hauptanliegen des erwähnten Gesetz- liefern ständig sozialen Zündstoff. stellt, mit dem feste Regeln für Arbeits- entwurfs besteht in der Schaffung eines „Es ist für Guangdong und die ganze Volks- streitigkeiten und Lohnverhandlungen rechtlichen Rahmens für Lohn- und Gehalts- republik von großer Dringlichkeit, daß ein eingeführt werden sollen. Wie Liu Mu, Vor- verhandlungen. Unter seinen 83 Artikeln Gesetzeswerk geschaffen wird, das den sitzender der Arbeitsrechtsabteilung des befassen sich allein 25 mit dieser Thematik. chinesischen Arbeitern ständige und ver- Ständigen Komitees des Provinz-Volkskon- Es ist vorgesehen, daß die Gewerkschaften nünftige Lohnzuwächse zu sichern vermag“, gresses – der gesetzgebenden Körperschaft solche Verhandlungen zwischen gewählten erklärte He Gaochao, ein mit dieser Thema- Guangdongs – vor Journalisten erklärte, Arbeitervertretern und den jeweiligen Unter- tik befaßter Wissenschaftler der Zhong- geht es u. a. darum, Arbeitern wie Inha- nehmen in die Wege leiten, wenn mehr als shan-Universität. bern privater Firmen unnötige Kosten zu ein Fünftel der Beschäftigten eine Lohner- Aus der Foxconn-Tragödie sei die Lehre ersparen. höhung verlangt. Im Falle einer Weigerung zu ziehen, daß die Unternehmen dazu ver- Die „Regulierung des Demokratischen der Firmenleitung, Gesprächen beider Seiten anlaßt werden müßten, die Würde der Managements in Unternehmen von zuzustimmen oder an ihnen teilzunehmen, Arbeitenden in der täglichen Praxis zu Guangdong“, wie das Dokument betitelt würden die Arbeiter dazu berechtigt sein, respektieren, betonte Liu Mu. ist, diene dem Zweck, zwei Hauptstreit- unverzüglich die Produktion einzustellen. Während ein Teil der Experten große Hoff- punkte bei Arbeitskonflikten unter Kon- Repressalien gegen Streikende, z. B. deren nungen auf das legislative Vorhaben setzt, trolle zu bringen: mangelhafte Betreuung Entlassung, werden in dem Gesetzentwurf äußern andere eher Skepsis. Sie zeigen sich der Belegschaften und niedrige Entlohnung ausdrücklich untersagt. nicht davon überzeugt, daß allein ein Gesetz der Arbeiter. Das betonte Ou Guangyuan, „Gegenwärtig sind wir noch nicht durch die reale Situation in den privaten Betrieben Vorsitzender des Ständigen Komitees des Gesetze wie dieses geschützt. Die Konzerne fundamental zu ändern vermag. Die Selbst- Volkskongresses der für die Einführung feuern oftmals streikende Arbeiter ohne morde bei Foxconn seien auf ein Riesenmaß der neuen Normen ausgewählten Provinz. jede Abfindung. Künftig werden unsere von 72 % der Belegschaft zu leistender Über- Schon vor anderthalb Jahren war dort ein Rechte besser gewahrt sein“, meinte ein stunden und die Mißachtung der Erholungs- solches Gesetzeswerk auf den Weg gebracht, von Xinhua Befragter. bedürfnisse der Arbeiter zurückzuführen, dann aber auf Grund der globalen Krise Im Falle einer Annahme des vorerst noch in heißt es in einem der Öffentlichkeit über- vorerst aufgeschoben worden, um keine der Diskussion befindlichen Entwurfs wird gebenen Untersuchungsprotokoll. zusätzliche Unruhe in den Betrieben ent- das Projekt Chinas bislang umfassendstes Die Allchinesische Föderation der Gewerk- stehen zu lassen. Arbeitsgesetz sein. „Es schafft erstmals schaften fordert von den zuständigen Orga- Wie die chinesische Nachrichtenagentur eine Grundlage dafür, daß die Belegschaf- nen in Beijing, die Lohnverhandlungen Xinhua berichtete, wurden die damals ten ganz legal ihre Lohnforderungen gel- landesweit für obligatorisch zu erklären. angedachten Maßnahmen der Öffentlich- tend machen können“, sagte der bereits Ein von gewerkschaftlicher Seite initiiertes keit abermals unterbreitet. Im Sommer erwähnte Liu Mu. Nicht nur die Arbeiter Pilotprojekt wird derzeit in zehn Provin- fanden in Guangdong zwei einschneidende werden künftig rechtlich stärker abgesi- zen und Großstädten erprobt. Die chine- Arbeitsniederlegungen statt. Sie betrafen chert, auch viele Unternehmer stimmen sische Zentralregierung fördert es bereits Omron in Guangzhou – einen Konzern der dem Entwurf zu, weil auf diese Weise aus seit dem Jahr 2000. Unterdessen haben Autoelektronik, welcher Zubehör für Honda- ihrer Sicht unnötige Unterbrechungen des 17 000 Unternehmen eigene Regulative über und Toyota-Fahrzeuge herstellt – und das Produktionsrhythmus durch zuvor nicht Lohnverhandlungen beschlossen. Wie der Unternehmen Atomnitec in Foshan, das angekündigte Arbeitsniederlegungen ver- leitende Gewerkschaftsfunktionär Zhang ebenfalls Autoteile für Honda produziert. mieden werden könnten. Jiangmo dazu bemerkte, sind die bisherigen Bei Omron verlangten die Arbeiter eine In der Provinz Guangdong gibt es 30 Millio- Ergebnisse dieser Art von „Selbstheilung“ Erhöhung ihrer monatlichen Bezüge von nen Wanderarbeiter, von denen die meisten alles andere als zufriedenstellend. 1300 Yuan auf 1800 Yuan. Bei vorangegan- bei den im Delta des Perlflusses angesie- RF, gestützt auf die chinesische genen Streiks, die ebenfalls verschiedene delten arbeitsintensiven ausländischen Nachrichtenagentur Xinhua Hersteller von Montageteilen für Honda und Toyota betrafen, waren die Unterneh- mensleitungen gezwungen worden, den dort erhobenen Forderungen der Beschäf- Ein „würdiger“ Laureat tigten entgegenzukommen, da längere Arbeitsunterbrechungen zu erheblichen inhellig bejubelt Berlin die Vergabe des sondern ein umfassendes politisches Pro- Konzernverlusten geführt hätten. In eini- Ediesjährigen Friedensnobelpreises an gramm, das eine grundsätzliche Umgestal- gen Firmen hatte man Streikführer dar- Liu Xiaobo. tung Chinas verlangt, darunter den Aufbau aufhin entlassen. Bundeskanzlerin Merkel habe sich in der eines föderativen Bundesstaates nach dem Aufsehen erregte in China der Fall eines Vergangenheit bereits für die Freilassung Modell der Bundesrepublik Deutschland, 18jährigen Wanderarbeiters. Er war bei des chinesischen „Dissidenten“ eingesetzt der vollständig mit jahrtausendealten chi- dem Elektronikkonzern Chimei Innolux in und werde dies weiterhin tun, erklärte ein nesischen Staatstraditionen bricht. Außer- Foshan, der sich mit Foxconn zusammen- Regierungssprecher. Liu habe den Preis dem sollen sämtliche seit der Gründung der geschlossen hatte, beschäftigt gewesen. für seinen „Kampf um fundamentale Men- Volksrepublik vollzogenen Nationalisie- Anfang des Jahres stürzte sich der junge schenrechte in China“ erhalten, schrieb rungsmaßnahmen rückgängig gemacht wer- Mann vom 6. Stock eines Wohnheims in die das Auswärtige Amt. den. Dies beinhaltet auch die Rückgabe des Tiefe. Zuvor hatten sich im Foxconn-Indu- Tatsächlich laufen Lius Forderungen auf seit Jahrzehnten von Kleinbauern genutzten striekomplex, der zum Sonderwirtschaftsge- nicht weniger als den Umsturz in der Volks- Landes an einstige Großgrundbesitzer und biet Shenzhen nahe Hongkong gehört, bereits republik China hinaus. Die von ihm mit- die Erfüllung von Forderungen nach China zehn Selbstmorde ereignet. Nach einem Auf- verfaßte „Charta 08“ ist im Unterschied zu expandierender westlicher Konzerne. schrei in ganz Guangdong setzte Foxconn im den Petitionen anderer chinesischer „Dis- „Informationen zur deutschen Außenplitik“, Juni die durchschnittlichen Monatsbezüge sidenten“ keine Menschenrechtsresolution, 11. 10. 2010, German-foreign-policy.com RotFuchs / Dezember 2010 Seite 21

Spezialist für die „Letzte Ölung“ Als CIA-General Walters 1989 Washingtons Botschafter in Bonn wurde

m April 1989 wurde Vernon Walters teur maßgeblich beteiligt, so im Koreakrieg hatten. So erklärt es sich, den Experten für Ials Außerordentlicher und Bevollmäch- (1950–1953), beim Staatsstreich gegen den besonders delikate Unternehmungen und tigter Botschafter der Vereinigten Staaten demokratisch gewählten Präsidenten die „Letzte Ölung“ auf diesen Vorposten zu von Amerika in Bonn akkreditiert. Er war Mohammad Mosadegh in Iran (1953), bei stellen. Der Einsatz des Generals Vernon damals bereits 72 Jahre alt und eigentlich Geheimdienstaktionen zur Verhinderung Walters in Bonn war gewissermaßen das nach einem abenteuerlichen Leben schon von Wahlerfolgen der Kommunisten in Ita- personelle Kernstück zur Verwirklichung längst im „wohlverdienten Ruhestand“. Nun lien (1960–1962) oder beim blutigen Mili- der durch die Bush-Administration 1988/89 vertrat der Geheimdienstgeneral auf einmal tärputsch in Brasilien (1964). Er war als entwickelten „Grand Strategy“, bei der es um die Weltmacht USA in der Bundesrepublik Operativchef der CIA verantwortlich für die Zerschlagung des Sozialismus in Eur- Deutschland. die umfassende Unterstützung des Pino- opa ging. Sie war politisch subversiv und Generalleutnant Vernon A. Walters erläu- chet-Putsches in Chile (1973) und bei den von Fachleuten dieses Metiers erdacht, um terte die Ausgangslage so: „Kurz vor Neu- Aktivitäten zur Erdrosselung der „Nelkenre- durch erfahrene Spezialisten vor Ort umge- jahr 1989 rief mich der Präsident zu sich und volution“ in Portugal (1974/75). Seine Spuren setzt zu werden. drängte mich, die Botschaft in Deutschland sind bei den viele Opfer fordernden Geheim- Dem Endziel (Todesstoß für die sozialisti- zu übernehmen. … Dann fügte er die gera- dienstoperationen gegen demokratische Pro- schen Staaten Europas) war der Auftrag dezu prophetischen Worte hinzu: ‚Dort wird zesse in Angola, Guatemala, Nicaragua und vorgeschaltet, diese dem Einfluß der sowje- es ums Ganze gehen. Dick, willst du mir hel- nicht zuletzt bei den brutalen Menschen- tischen Politik immer nachhaltiger zu ent- fen oder wirst du mich im Stich lassen?’ Das rechtsverletzungen südamerikanischer ziehen. Dafür gab es ausreichende Ansätze genügte für einen alten Soldaten. Ich ant- Militärregimes im Rahmen der Operation in Polen, Ungarn und nicht zuletzt auch in wortete, daß ich mich sehr geehrt fühle, ihn CONDOR zu finden. der DDR. Die frühere US-Außenministe- in Deutschland vertreten zu dürfen.“ Vernon Walters wurde im Januar 1989 in rin Condoleezza Rice schrieb im Rückblick Diese nüchternen Worte charakterisieren der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit auf die damalige Lage in der DDR: „Nach kaum die gespenstische Situation: Da sit- den außergewöhnlich freimütigen Worten Einschätzung der CIA war binnen weniger zen zwei CIA-Veteranen im Oval Office des zitiert: „Ich werde nicht geschickt, wenn Monate mit einer völligen Umgestaltung Weißen Hauses zusammen, der frühere CIA- ein Erfolg wahrscheinlich ist. Eine meiner Ostdeutschlands zu rechnen, was zu einer Direktor George W. Bush sen. und sein ehe- Hauptaufgaben ist es, die Letzte Ölung zu nichtkommunistischen Regierung und zu maliger CIA-Stellvertreter, General Vernon geben, kurz bevor der Patient stirbt.“ Das ist einem dramatischen Anwachsen des Verlan- A. Walters – der eine Präsident der USA, der wohl der Schlüsselsatz, der uns offenbart, gens nach Wiedervereinigung führen werde.“ andere schon länger im Ruhestand. welches Ziel hinter der Strategie der Bush- Die Wiederherstellung der staatlichen Ein- Bush meint, es gehe ums Ganze! Was ist Administration in den Jahren 1988 bis 1990 heit Deutschlands sollte im Kalkül der US- darunter zu verstehen? Warum und wie soll stand. Und nicht minder hinter den Instruk- Strategen ursprünglich das Endresultat der dieses „Ganze“ gerade in Bonn entschieden tionen, die Walters von Bush für seinen Ein- Beseitigung des Sozialismus sein. werden? Welche politischen Konstellationen, satz in Bonn erhalten hatte. Doch angesichts der Dynamik sich überstür- welche besonderen Gründe müssen Anfang Warum wurde dieser Mann gerade dorthin zender historischer Abläufe und im Ergebnis 1989 bestanden und vorgelegen haben, um geschickt? Die alte BRD-Hauptstadt war in der bekannten Stammelei des „kampf- einen Geheimdienstgeneral mit mehr als Europa nicht nur die technisch-organisato- erprobten“ SED-Politbüromitglieds Günter 40 Jahren Fronterfahrung im Kalten Krieg risch am besten vorbereitete Basis für auf Schabowski am Abend des 9. November 1989 für einen Einsatz als USA-Botschafter in den Osten des Kontinents zielende Geheim- wurde die „Einheit Deutschlands“ urplötz- der BRD zu reaktivieren? dienstoperationen, sondern schon immer lich zur Schwungmasse bei der Beseitigung General Walters, Jahrgang 1917, diente Ausgangspunkt, Logistikzentrale und Rück- des „Realsozialismus“ im Osten Europas. seit 1941 in den Streitkräften der USA, von zugsbecken für CIA-Aktivitäten in dieser Kohl ging daraus mit dem Heiligenschein Anfang an in Positionen der militärischen Region. Es darf auch als gesichert angesehen des „Kanzlers der Einheit“ hervor und Nachrichtendienste. Er war an allen politi- werden, daß die westlichen Dienste zu die- erwies sich als eifrigster Vollstrecker der schen Brennpunkten in der zweiten Hälfte sem Zeitpunkt in Osteuropa ein dichtes Netz US-Strategie in Deutschland. des 20. Jahrhunderts als subversiver Ak- von Agenten und Kontaktpartnern geknüpft Klaus Eichner

Polen: Jagd auf Hammer und Sichel

eit dem 8. Juni gilt in Polen ein neues der in einer späten Beratungsphase ins Spiel Symbol im Kopf erschienen war, trägt jetzt SGesetz. Es betrifft u. a. Ergänzungen gebrachten antikommunistischen Klausel an dieser Stelle die gedruckten Worte „Ham- zum Artikel 256 des Strafgesetzbuches, der war der Sejm-Abgeordnete Stanisław Piętá, mer und Sichel“ mit dem Hinweis darauf, ursprünglich Freiheitsstrafen bis zu zwei der zunächst erklärt hatte, ihm gehe es um daß die graphische Darstellung nach dem Jahren für jene vorsah, welche faschisti- das Verschwinden von T-Shirts mit den Por- Strafgesetzbuch verboten sei. sche oder andere totalitäre Staatsformen träts von Lenin und Che Guevara, um dann Wir drücken den polnischen Genossen propagierten oder Haß aus nationalen, eth- die Ahndung jeglicher faschistischer und unsere uneingeschränkte Sympathie und nischen, rassischen oder religiösen Grün- kommunistischer Symbole zu verlangen. Solidarität aus und versichern ihnen, den schürten. Paragraph 2 des nunmehr Der beim Flugzeugabsturz in Smolensk ums daß wir Seite an Seite mit ihnen gegen in Kraft befindlichen Gesetzes droht jenen Leben gekommene Präsident Lech Kaczyński die mittelalterlich anmutenden antikom- Strafen an, welche „faschistische, kommu- fertigte das Gesetz aus. munistischen Exzesse in Polen und wei- nistische oder andere totalitäre Symbole Die Kommunistische Partei Polens hat auf teren osteuropäischen Ländern, die auch öffentlich zeigen“. die legislative Provokation Warschaus in anderswo Schule machen könnten, den Im ursprünglichen Entwurf der Verände- frappierender Weise geantwortet. Ihre Kampf führen werden. rungen des Gesetzes war das Verbot kommu- Monatszeitschrift „Brzask“ (Morgenröte), RF, gestützt auf eine Information nistischer Symbole nicht enthalten. Initiator die zuvor mit dem Hammer-und-Sichel- von Prof. Zbigniew Wiktor, Wrocław Seite 22 RotFuchs / Dezember 2010

Erinnern an Oradour-sur-Glane Unverjährbarkeit faschistischer Kriegsverbrechen bleibt oberstes Prinzip

m 10. Juni 1944 wurde das 2000-See- General Charles de Gaulle, der 1958 mit Seit dem Sieg der Alliierten der Anti- Alen-Städtchen Oradour-sur-Glane Unterstützung der gesamten Rechten hitlerkoalition gehört Frankreich – nordwestlich von Limoges „aus Vergel- erneut zum Präsidenten der Französischen wie die UdSSR/Rußland, die USA und Groß- tung für eine Aktion französischer Hecken- Republik gewählt worden war, ratifizierte britannien – dem Sicherheitsrat der Ver- schützen“ – es handelte sich um Kämpfer 1960 die ebenfalls von der Unverjährbar- einten Nationen als Ständiges Mitglied an. der Résistance – durch Angehörige der keit solcher Untaten ausgehende Konven- Auf dem Londoner Treffen der „Vier“ am 8. berüchtigten SS-Division „Das Reich“ in tion vom 14. Mai 1954. August 1945 wurde das Statut des Nürn- Schutt und Asche gelegt. Die in der dann berger Tribunals beschlossen. Es war ein angezündeten Kirche des Ortes zusam- national wie international herausragen- mengetriebenen Einwohner wurden gna- des Ereignis, weil damit eine neue Seite denlos umgebracht. Erst 1953 fand ein im Völkerrecht aufgeschlagen wurde: Prozeß gegen die überführten und ding- Erstmals legte man verbindlich fest, daß fest gemachten Mörder statt. Zunächst Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen verurteilt, wurden die meisten von ihnen die Menschlichkeit unverjährbar sind. schon nach kurzer Strafverbüßung amne- Auch wenn heute noch Täter aus den stiert. Reihen der faschistischen Mordbanden Heute nehmen rechtskonservative Kräfte wie der SS hier und dort gelegentlich vor massiven Einfluß auf den in gleicher Gerichten Italiens oder der BRD erschei- Richtung tendierenden französischen nen, darf man die Tatsache nicht verken- Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, der nen, daß solche Prozesse – besonders in Das Lachen der Mörder: Angehörige der SS- dieses Amt nur mit Hilfe der im ersten den ersten Nachkriegsjahrzehnten – im Division „Das Reich“ unweit von Oradour Wahlgang für den Faschisten Le Pen deutschen Westen eher die Ausnahme abgegebenen und in der zweiten Runde Demgegenüber ist die Haltung Sarkozys darstellten. Häufig wurden Verfahren von auf ihn übertragenen Stimmen erringen zwiespältig. Einerseits setzt er seine ver- höchster Brisanz viele Jahre verschleppt konnte. Sie wollen ihn zu einem Abrüc- balen Angriffe auf Kriegs- und Naziverbre- und gefällte Urteile nachträglich durch ken vom Prinzip der Unverjährbarkeit von cher fort, andererseits steht der Hausherr Entscheidungen höherer Instanzen oder Kriegsverbrechen bewegen. In dieser fun- im Elysee-Palast unter enormem Druck, Amnestierung der abgeurteilten Täter damentalen Frage hat sich Paris am 28. den Standpunkt aller bisherigen franzö- ausgehebelt. Das Beispiel der freigelas- Februar 1952 dadurch festgelegt, daß der sischen Nachkriegsregierungen zu verlas- senen Mörder von Oradour-sur-Glane damalige Präsident Vincent Auriol eine sen. Dem Senat wurde sogar ein äußerst beweist das. entsprechende völkerrechtliche Konven- unehrenhafter Vorschlag unterbreitet, der RF, gestützt auf „Initiative Communiste“, tion vom August 1949 ratifizierte. Auch dieses Prinzip aushebeln soll. Frankreich

Nous sommes un, wij zijn één Flandrische Separatisten wollen Belgien zerstückeln

n Belgien forcieren separatistische und Belgien zu teilen, würde nicht nur bedeu- Internationalisten erteilen die belgischen Irechtsgerichtete Kräfte die staatliche ten, die Eisenbahnverbindungen, das Kommunisten und mit ihnen viele Sozia- Abtrennung des wohlhabenderen flan- integrierte Gesundheitswesen und viele listen, Gewerkschafter und andere Linke drischen Landesteils vom ärmeren fran- andere miteinander verflochtene infra- den Spaltungsmanövern eine entschie- zösischsprachigen Wallonien. Gewisse dene Abfuhr. Auf dem ersten Pressefest Politiker und deren Sprachrohre empfehlen der Wochenzeitung „Solidaire“ – Organ dessen Bewohnern, sie sollten sich doch der Partei der Arbeit Belgiens (PTB) –, das an Nordfrankreich anschließen oder eine unter der Bezeichnung „Manifiesta“ statt- an der Loslösung der Slowakei von Tsche- fand, wurde die Zusammengehörigkeit chien orientierte Variante anstreben. großgeschrieben. 6000 Flamen, Brüsseler Aber die Situation ist absolut unvergleich- und Wallonen waren nach Bredene gekom- bar. Die Tschechische Republik und die men, um gleichberechtigt und in voller Slowakei, die sich 1993 gewaltfrei von- Harmonie zu feiern und zugleich Pläne einander trennten, waren historisch selb- für gemeinsames Handeln zu schmieden. ständige Territorien gewesen und wurden PTB-Präsident Peter Mertens führte die erst nach 1918 zu einem Staat vereinigt. Stimmung auf den Höhepunkt, als er in Überdies war Prag nicht wie Brüssel, beiden Sprachen ausrief: Nous sommes wohin sich jeden Tag 229 500 Flamen und un – wij zijn één! (Wir sind eins!) 126 500 Wallonen zur Arbeit begeben, eine strukturelle Bereiche auseinanderzurei- So heißt auch der Titel einer im Brüs- durch und durch zweisprachige Stadt, son- ßen, sondern auch die Lebensfähigkeit des seler Parteiverlag gerade erschienenen dern befand sich inmitten des tschechi- ganzen Landes aufs Spiel zu setzen. Broschüre mit Fragen und Antworten zur schen Kernlandes mit einer überwiegend Deshalb stößt die chauvinistische Zukunft Belgiens. Darin wird jeglichem dadurch geprägten Einwohnerschaft, Attacke, deren Gefährlichkeit man indes Nationalismus und Separatismus entschie- wenn auch nicht wenige Deutsch spra- nicht unterschätzen sollte, auf ent- den der Kampf angesagt. chen. schiedenen Widerstand. Als verläßliche RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel RotFuchs / Dezember 2010 Seite 23

Lew Tolstoi zum 100. Todestag Er prägte die russische Nationalliteratur wie kaum ein anderer

iele sehen in dem Großen der glanz- die Lebenslüge des Luxus und der Bequem- etwa, um ihn zu bekämpfen, sondern um Vvollen russischen Literatur des lichkeit. Nun bin ich dessen müde. In Armut ihm den Treueid zu leisten, für Wandbilder 19. Jahrhunderts auch den Größten unter will ich das unglückliche Leben abschlie- reif gemacht. Aber sie sollten als Dienst- den Epikern der Weltliteratur. Lew Nikola- ßen“, schrieb er. herren des Möchtegern-Weltherrschers jewitsch Tolstoi, der Gutsbesitzersohn aus Der ehrliche und aufrechte Tolstoi besitzt in in die Historie eingehen. Als Tolstoi starb, Jasnaja Poljana, erlebte die Epoche russi- der Kulturwelt viele Freunde und Bewunde- berichteten die Telegrafenagenturen: „Nun schen Lebens von der zaristischen Leibei- ist auch er dahingegangen, der alte Mann genschaft bis an die Schwelle der großen von Jasnaja Poljana, der einer der größten sozialen Umwälzungen. Wenige Wochen war unter den Erdenkindern: ein Weltdich- vor seinem Tod lehnte der energische Agi- ter – und doch auch der typische Vertreter tator für seine Ideen, seine Gedanken über des russischen Volksgeistes.“ den Sinn des Lebens, über Gott und die Eine der wenigen deutschen Rezensionen Welt, über Krieg und Frieden, über Ehe, der Werke Tolstois war 1887 im sozial- Kunst, Kultur, Volkswohlfahrt und Volks- demokratischen Berliner Volksblatt der bildung, über die Erziehung des Menschen- Erzählung „Polikuschka“ gewidmet. In geschlechts, über das „Recht“ – kurz über dem Artikel unter der Überschrift „Was alles, was Menschen bewegt und erregt – ist Realismus?“ hieß es: „Tolstoi widmet den den ihm zuerkannten Friedensnobelpreis Armen sein Herz, sein Talent, seine Arbeit, ab. L.N.T – unter dieser Abkürzung wurde denn er ist ein wahrhaft großer Dichter.“ sein erstes Werk „Die Kindheit“ 1852 ver- Gelegenheit zur Begegnung mit Lew Tolstoi öffentlicht – begründete die Verweigerung rer, aber auch Kritiker. Er selbst verteidigte bieten dem interessierten Leser die wieder- damit, daß seine Lebensarbeit nicht poli- sich gegen diese eindeutig und bestimmt. holt in der DDR aufgelegten Romane und tischer Natur gewesen sei. Wenn er auch In einem Brief an S. A. Ratschinski vom Erzählungen, insbesondere die „Gesam- die Erhaltung des Friedens im Interesse 27. Februar (8. 2.) 1878 erklärte er nach dem melten Werke“ in 20 Bänden (1964–1978) der seelischen Vervollkommnung des Men- Erscheinen der „Anna Karenina“ die spe- des Verlags Rütten & Loening. schen so sehr wünsche und dieser Gedanke zifischen Qualitäten seines Werkes: „Ihre Manfred Wozniak, Erfurt sein Wirken bestimmt habe, so könne er Beurteilung der Anna Karenina scheint mir dafür eine Belohnung nicht in Empfang unrichtig zu sein. Der Zusammenhalt des nehmen. Aufbaus ist nicht auf die Fabel gegründet DVD-Angebote: Lew Tolstoi starb am 20. November 1910. und nicht auf die Beziehungen (Bekannt- Rußlands größter Schriftsteller hatte Jas- schaften) der Personen, sondern auf den Anläßlich des Wiedererscheinens des naja Poljana zuvor heimlich verlassen und inneren Zusammenhang (...). Ich fürchte, Prozeßberichts von Klaus Steiniger war sich an einen unbekannten Ort zurückgezo- Sie haben beim Lesen des Romans dessen Angela Davis im Juni in der BRD zu gen. Mit dem Abschiedsbrief an seine Fami- Idee nicht bemerkt.“ Gast. Sie nahm auch am ND-Presse- lie endet jene Periode, in der er sich nach Mit Erstaunen wird der Leser von „Krieg fest teil, wo sie und der Autor bei einer seinen beiden großen Romanen „Krieg und und Frieden“ feststellen, daß er bis zu Freiluftveranstaltung auf der großen Frieden“ (1863–1869) und „Anna Karenina“ den Irrwegen der oft schwer verständli- Bühne miteinander debattierten. (1875/77 stärker und stärker im seelischen chen Geschichte Deutschlands geführt Am 4. Juli erhielten der seit 28 Jahren Kontakt mit den Problemen seiner Zeit ohne wird. Zum Jahr 1806, als ein zahlenmä- in der Todeszelle gefangengehaltene geistige Übereinstimmung befand: „Suchet ßig stark überlegenes preußisches Heer afroamerikanische Journalist Mumia mich nicht. Ich fühle das Bedürfnis, mich vor den Truppen Napoleons bei Jena und Abu Jamal und Klaus Steiniger den vom Lärm und der Unruhe des Lebens Auerstedt aufgab, schreibt Tolstoi, „daß die Preis für Solidarität und Menschen- zurückzuziehen. Diese ewigen Besucher unbegreifliche Kapitulation ganzer Armee- und Gäste, diese ewigen Bittsteller, diese korps ohne Kampf und starker Festungen würde des BÜsGM. Vertreter von Kinematographen und Gram- ohne Belagerung die Deutschen geneigt Von beiden Veranstaltungen liegen mophongesellschaften, welche mich in Jas- machen muß, an die Genialität des Sie- DVD-Filmdokumentationen vor, die naja Poljana geradezu belagern, haben mein gers zu glauben, die allein ihnen den Ver- gegen eine Spende für den RF bei Leben vergiftet. Ich muß mich von dieser lauf des Krieges in Deutschland erklärlich Sylvia Feldbinder (Tel. 030/4 43 92 76) Unruhe erholen. Das ist für meine Seele machen kann“. („Krieg und Frieden“, Bd. 2, oder per Mail wie für meinen sündigen Leib erforder- Berlin 1947, S. 448) Die Geschichtslegende [email protected] lich, der schon 82 Jahre in diesem Jam- hat die Minister des preußischen Königs, erhältlich sind. mertal gelebt hat. Dreißig Jahre trug ich die sich Napoleon entgegenstürzten, nicht

Redaktion und Verein gratulieren den Jubilaren des Monats Dezember. Herzlich beglückwünschen wir Hilde Lehmann (17. 12.) aus Zschopau, Christa Behn (20. 12.) aus Ückermünde und Edith Schmitt (22. 12.) aus Berlin zur Vollendung des 80. Lebensjahres. Unser aufrichtiger Gruß gilt den neuen 75jährigen Günther Müller (11. 12.) aus Jena, Siegfried Voigt (13. 12.) aus Berlin, dem Meister der Lüfte Hans Beck (18. 12.) aus Salzwedel und Kurt Melzer (25. 12.) aus Berlin. In fester Verbundenheit übermitteln wir der jungen Garde der 60jährigen unsere Gefühle kämpferischer Solidarität. Sie gelten Michael Räthel (6.12.) aus Nersingen, Vivian Metzger (11. 12.) aus Berlin, Hans-Peter Ziegler (13. 12.) aus Stuttgart und Ingrid Matwejew (26. 12.) aus Berlin.

Auch allen anderen Geburtstagskindern des Monats wünschen wir Gesundheit und Lebensmut. Seite 24 RotFuchs / Dezember 2010

Solo einer Nachtigall Dresdner Theaterleben in schwerer Nachkriegszeit

resden wäre nicht Dresden, wenn es mit einer besonders schwierigen Passage, Händeklatschen als ein Zeichen der Ver- Dnicht verstanden hätte, auch ohne die den Musikern und dem Dirigenten alles trautheit seiner Fans mit ihrem Schwarm. Opernhäuser und Konzertsäle Musik und abverlangte. Von meinem Platz aus konnte Später ging er nach Berlin zum Film und Theater vom Feinsten aus dem Boden zu ich die Konzentration in den Gesichtern der wurde dort ein international bekannter Dar- stampfen. Das Kurhaus Bühlau oben am Mitwirkenden gut beobachten, auch die Ent- steller. Ein Musikerlebnis ganz besonde- Rande der Heide war zum Opernhaus spannung durch die erlösend-harmonischen rer Art dürfte wohl einmalig gewesen sein. umfunktioniert worden. Wir saßen auf Schlußtakte. Es war ein Konzert, das die Bongarts dirigierte „Stücke von Mozart“. wackligen Gartenstühlen und genossen Zuhörer zu stehenden Ovationen hinriß. Die Die Luft war warm und düfteschwer. Es Musik und Gesang, von besten Kräften dar- Musiker sandten Kußhände in ihr Publikum, herrschte Stille, wie geschaffen für Mozart- geboten. das sich daraufhin am eigenen Beifall regel- sche Musik unter freiem Himmel. In einer Einige Namen sind mir noch in Erinnerung. recht berauschte. Pause zwischen zwei Stücken begann auf Joseph Keilberth war unbestritten ein uni- Auch ohne eine Kennerin der Musik zu einmal eine Nachtigall zu singen. Bongarts versales Musikgenie als Dirigent und musi- sein, lasse ich mich gern von ihr verzau- ließ den Taktstock sinken, die Musiker setz- kalischer Leiter. 1947 löste ihn der ebenso bern. Bei den schauspielerischen Darbie- ten ihre Instrumente ab, wir Zuhörer ver- gefeierte Heinz Bongarts ab. „ Die Trötschel tungen habe ich allerdings kaum ein Stück harrten in Atemlosigkeit, bis der kleine singt!“ – das allein war ein Grund, sich eine ausgelassen. stimmgewaltige Vogel mit einem Triller Opernkarte zu besorgen. Gleich nach dem Krieg mußten zunächst das davonflog. Dann erst setzte die menschli- Christel Goltz‘ „Salome“ soll die beste Operettentheater in der Vorstadt Leuben che Musik wieder ein. aller Salomes gewesen sein. Bei „La Tra- und die Tonhalle in der Glacisstraße das Auf dem Heimweg hatte ich in der Straßen- viata“ erinnere ich mich einer Szene, in der zerstörte Schauspielhaus neben dem Zwin- bahn gerade noch vorn auf dem Trittbrett die Akteure alle vorn an der Rampe saßen ger ersetzen. In der Tonhalle eröffnete die Platz gefunden, an den Bauch eines Man- oder standen und wundervoll sangen, allen Theaterstadt Dresden bereits im Juli 1945 nes gepreßt, der eine Stufe höher drin im voran der Tenor Bernd Aldenhoff. Am mei- die erste Saison im Frieden mit dem bezie- Wagen stand. Ich schielte zu ihm hoch. Es sten beeindruckte mich allerdings das Glit- hungsreichen Stück „Nathan der Weise“, das war Bongarts, der sich mit einem Musi- zerspiel seines Brillantringes. Funkelnde wie kein anderes in diese schwere, aber hoff- ker über die „Vogelsinfonie“ unterhielt. Es Sterne sandte der in den schäbigen Zuschau- nungsvolle Zeit paßte. blitzte, donnerte und goß in Strömen. Unser erraum aus. Als das alte Schauspielhaus in den 60er kleiner Sänger, der Hunderte von Menschen Das Ensemble spielte und sang in immer Jahren als Großes Haus seine Pforten wie- und ein berühmtes Orchester verzaubert ausverkauftem Haus vor begeistertem Publi- der öffnete, wurde die Tonhalle in Kleines hatte, wird sich wohl in sein warmes Nest kum. Quietschende Stühle, gelegentliches Haus umbenannt. Die Dresdner waren mit gekuschelt haben. Tellerklappern aus der nahe gelegenen Küche ihren Schauspielern verbunden wie kaum Leider ging meine Zeit als Bauhilfsarbeiterin und andere wenig opernfreundliche Geräu- die Menschen in einer anderen Stadt. Einige beim Enttrümmern des Dresdner Zwingers, sche schienen die Künstler gerade deshalb Namen sind mir noch in Erinnerung: Ama- über die ich im September-RF berichten zu Höchstleistungen anzuspornen. Die bei- lie Dittrich, die Altmeisterin, Traute Richter, durfte, nach einem Jahr zu Ende. Ich hatte den weltbekannten Orchester Philharmonie Hermann Stövesand, Erich Ponto, Marita mich wie viele andere mit dem Hepatitis- und Staatskapelle musizierten im Steinsaal Böhme als Eliza und Peter Herden als Hig- Virus angesteckt, wurde krank geschrieben des Hygienemuseums, nachdem ein von der gins in dem Paradestück My Fair Lady, das und kurierte das Leiden unter der Pflege Decke herabhängendes Mikrofon die Aku- mehr als hundertmal über die Bühne ging. meiner Lieben daheim aus. Maria hatte stik den Verhältnissen entsprechend auf- Horst Schulze war das unumstrittene Idol unterdessen in der Zeitung eine Annonce gebessert hatte. Der Raum war klein, die der Dresdner, in seiner Art unverwechsel- entdeckt: Krankenhaus Neustadt/Sachsen Kartenzahl demnach beschränkt. Einmal bar. Durch eine Krankheit hatte er die Haare sucht dringend Medizinisch-Technische konnte ich mich ohne Billett durchmogeln verloren, was sich unter den Theaterfreun- Assistentin. Sie sagte in meinem Namen zu, und saß dann mit anderen auf den Treppen- den schnell herumsprach. Als er das erste und so kam es, daß ich am 2. Mai 1949, noch stufen, die zu einer Seitentür hinaufführten. Mal wieder mit einem wunderhübschen ganz gelb im Gesicht, nach Neustadt fuhr, Das Konzert ist mir gut in Erinnerung. Man Lockenkopf auf der Bühne stand, gab es um meine neue Arbeitsstelle anzutreten. spielte ein neu einstudiertes modernes Stück bereits dafür freundliches Schmunzeln und Renate Teller, Worpswede Aus Hellges Anekdotenkiste Kammblasen oder Flötentöne?

n der Reihe der DDR-Volksbildungsmi- Leiter ich zu jener Zeit war, ganz aufgeregt, eine Klavierspielerin an, dort eine Mandoli- Inister – von Paul Wandel bis Margot am vergangenen Nachmittag sei ein Mann nengruppe, anderswo Flötisten und Akkor- Honecker – stand Ende der 50er Jahre auch durch die Seminarräume gegangen, der sich deonspieler und schließlich den Musiklehrer Fritz Lange. Bei seinen Mitarbeitern galt er als Minister für Volksbildung ausgewiesen selbst, der gerade mit seinen Bläsern übte. als etwas rauhbeinig, bisweilen auch skur- habe. Er zeigte sich – wie die junge Frau wei- Als sich Fritz Lange verabschiedete, soll er ril. Als der gestandene Antifaschist einmal ter berichtete – recht angetan von dem, was vor sich hin gemurmelt haben: „Ein richti- zu den Kollegen in der Lehrerbildung sprach, er dort sah und hörte: Buchstäblich überall ges Musikinstrument zu beherrschen ist für gab er ihnen die „Empfehlung“, jeder Lehrer wurde musiziert. einen angehenden Unterstufen-Lehrer wohl müsse dazu in der Lage sein, auf einem Kamm Das erklärte sich so: Zu meinem Kollegium doch besser, als nur auf dem Kamm blasen zu blasen, um so den Schülern eine Melodie gehörte damals ein sehr aktiver Musiklehrer, zu können.“ Meine Informantin fragte mich, vorzugeben. Dieser etwas merkwürdige Rat- der an jenem Nachmittag tatsächlich in allen was der Minister damit wohl gemeint haben schlag hing ihm eine ganze Weile an ... verfügbaren Seminarräumen die Lehrerstu- könnte … Eines Morgens meldete mir eine Studentin denten mit ihren Instrumenten üben ließ. So Ich wußte die Antwort, schmunzelte aber des Instituts für Lehrerbildung Kyritz, dessen traf der unerwartete Besucher aus Berlin hier nur in mich hinein. Helmuth Hellge RotFuchs / Dezember 2010 Seite 25

Ausdruck wahrer Befreiung Als Jurij Winar im August 1945 vor begeisterten Bautzenern ein sowjetisch-sorbisches Freundschaftskonzert dirigierte

iner meiner guten Freunde, der kürz- das Gebiet wieder in Besitz genommen Als dann am 12. August 1945 – ein Viertel- Elich seinen Einhundertsten gefeiert hatten, um mit den sowjetisch-polnischen jahr nach der bedingungslosen Kapitula- hätte, läge er nicht schon einige Jahre Einheiten zurückzukehren. tion der Hitlerfaschisten –, während alles auf dem Bautzener Proitschenbergfried- Der sorbische Lehrer Jurij Winar war noch in Schutt und Asche lag, sorbische hof, war ein berühmter und wohl auch einer der ersten, die in Radibor für die Chöre aus Radibor und Bautzen sowie der international bekannter sorbischer Kom- Normalisierung des Lebens sorgten. Chor sowjetischer Offiziere gemeinsam ponist. Und er war ein sehr volksverbun- Dazu gehörte es, seine Freunde, Bekann- ein Konzert unter Leitung Jurij Winars dener, streitbarer Kommunist. Jurij Winar ten und Kirchgemeindemitglieder zusam- boten, war die Begeisterung im Saal unvor- gehörte zu den ersten Nationalpreisträgern menzuführen, um gemeinsam jene Lieder stellbar. der DDR. Einer, der sich nicht unterord- anzustimmen, welche man ihnen in der Dieses historische Konzert war mit dem nete, sondern engagierte und auch man- Nazizeit verboten hatte. Kein Wunder, daß Namen Jurij Winar verbunden, zugleich che sonst verschlossenen Türen in Berlin der Musikus, Chorleiter, Komponist und aber auch Ausdruck der sich entwickeln- zu öffnen verstand. Poet damals eine Vielzahl von Liedern den Freundschaft zwischen sorbischen, Den Nazis war der Radiborer Junge – ein schrieb, die wir alle voller Begeisterung deutschen und sowjetischen Menschen. Lehrer und Chorleiter, der das Liedgut sangen, weil sie zukunftsorientiert und Nicht mehr nachzuvollziehen ist, aus wel- seines sorbischen Volkes mit einfachen optimistisch waren. chen heutigen Republiken die damaligen Menschen in deren Muttersprache zum Auch die Männer und Frauen in der Uni- Rotarmisten stammten, die u. a. auch die Erklingen brachte – natürlich ein Dorn form der Roten Armee waren auf Jurij sorbische Hymne erklingen ließen. im Auge. So verwiesen sie ihn der Heimat. Winar aufmerksam geworden. Zunächst Das Bautzener Musikereignis war kei- Schließlich sollten alles Sorbische und in baten sie ihn um Deutschunterricht. Diese nem Zufall geschuldet und stellte auch erster Linie die geistige Elite der Sorben Aufgabe erfüllte er nicht nur gern, sondern keine Kuriosität dar. Es fußte auf einer ausgerottet werden. auch mit Akribie. Dabei kam das Musi- geschichtlichen Befreiungstat und war Die zunächst vorübergehende Niederwer- kalische nicht zu kurz. Die sowjetischen deren unvergeßliche Nuance. fung der Faschisten durch sowjetische Genossen trugen ihm an, zur Wiederbele- Es wäre nicht schlecht, würden sich mehr und polnische Soldaten, vor denen die Ein- bung der sorbischen Öffentlichkeitskul- Menschen daran erinnern oder sich davon wohner Radibors, da sie ihre slawischen tur und als Ausdruck echter Befreiung erzählen lassen, wer uns damals unter Brüder sehnlichst erwartet hatten, nicht einen Höhepunkt zu schaffen. Es folgten enormen Opfern vom Faschismus befreite, geflohen waren, im April 1945 bleibt unver- Proben, wobei die geringen Sprachbarrie- uns die ersten Schritte in eine antifaschi- gessen. Die endgültige Befreiung erfolgte ren schnell überwunden, Texte gelernt, stisch-demokratische Ordnung ebnete und erst, als die inzwischen in Richtung Ber- mit dem Dirigenten, Organisator, künst- damit den Grundstein für vier glückliche lin weitergezogene Rote Armee erneut sor- lerischen und technischen Leiter Jurij Jahrzehnte in Frieden und sozialer Gebor- bische Erde betrat. Die Radiborer waren Winar und untereinander Freundschaf- genheit legte. geflüchtet, als Hitlers Truppen zeitweilig ten geschlossen wurden. Helge Tietze, Bautzen

Vor fünf Jahren starb das Erzählertalent Harry Thürk

m 24. November jährte sich zum fünf- hatte sich noch so vieles vorgenommen. Aten Mal der Todestag Harry Thürks. Als ihn eine schwere Krankheit – Spätfolge Der begnadete Schriftsteller aus der DDR der unmenschlichen US-Giftangriffe auf starb in einem Weimarer Krankenhaus. das Volk Vietnams – niedergeworfen und Vielleicht war es eine Erlösung für ihn, ständig ans Bett gefesselt hatte, schrieb der zuletzt so lange an das Bett gefesselt er noch immer. hatte leben müssen. Aber darüber sollte Harry Thürk war Fotoreporter und Jour- man nicht spekulieren. nalist, bevor er seine Leidenschaft fürs Harry Thürks literarische Gestalten werden Geschichtenerzählen entdeckte. Er sei in den Gedanken seiner großen Leserschar einer, der notiere, was ihm auffalle, und weiterleben und noch lange an ihn erin- einer, der gerne nachfrage, sagte der Autor nern. Meister einer rauhen, faszinierenden einmal über sich selbst. und volksnahen Poesie, war Harry Thürk Seine Leser schätzten gerade das an ihm, nie ein Mann des polierten Wortes, weit auch wenn sein Name in „West“-Litera- eher ein die Wahrheit auskundschaften- turlexika nicht zu finden ist. Wie sollte er der und suchender großer Erzähler. Seine auch, kam Harry Thürk doch nicht nur als über 60 Buchtitel, deren literarische Palette DDR-Schriftsteller aus dem Osten, sondern Weihnachten in Palästina. vom Roman bis zur militärhistorischen widerstand auch den Stürmen der Zeit, die „Nein, ich kann Euch kein Wasser geben – Dokumentation reichte, erschienen ins- andere davonwehten. Erst in Zukunft wird die Israelis haben es uns schon seit sechs gesamt in Millionenauflagen. Sie zeugten sein Schaffen eine gerechte Würdigung Monaten gesperrt!“ von einer ungeheuren Schaffenskraft und erfahren. Zeichnung von Matiz in einem seltenen Erzähltalent. Harry Thürk H. E. Ziegenbalg, Riesa-Weida „Solidaire“, Brüssel Seite 26 RotFuchs / Dezember 2010

„Sprachzuchtmeister“ Hansgeorg Stengel Ein ausgefuchster Wortspieler, der messerscharf zu pointieren wußte

ansgeorg Stengel wurde am Der hoch talentierte Satiriker jonglierte Eulenspiegel Verlag von Werner Sell- H30. Juli 1922 im thüringischen Greiz meisterhaft mit der Sprache und ver- horn herausgegebene „Dicke Stengel“ geboren. Nach dem Abitur zog man mit Illustrationen von Hans-Eber- ihn 1941 zur faschistischen Wehr- hardt Ernst erfuhr mehrere Aufla- macht ein. Ab 1945 war er fast ein Das schlägt dem Faß gen. „Allerhand Sprachwursteleien“ Jahrzehnt Redakteur des „Eulenspie- (Untertitel) bot der Schriftsteller gels“, in dem er sich immer wieder zu die Krone aus unter dem Titel „Wortadella“ (1997) Wort meldete. Bereits 1950 debütierte mit Illustrationen von Rolf F. Müller Stengel mit seinem Gedichtband „Mit Wo man hobelt, kräht kein Hahn, an. In dem Buch „Stengels großer Rät- Schrubber und Besen“ im Thüringer grober Klotz ist halb gewonnen. selspaß“ (1998) gaben sich Hansgeorg Volksverlag Weimar. Diesem folg- Was sich neckt, ist alt getan, Stengel und Manfred Bofinger als mit ten in kurzen Abständen seine rund wie gebettet, so zerronnen. allen Wassern gewaschene Rätsel- 40 Bücher mit Gedichten, Erzählun- freunde zu erkennen. Anläßlich seines gen, Feuilletons, Reiseberichten und Blindes Huhn sieht mehr als zwei, 80. Geburtstages erschienen 2002 Epigrammen. Der Meister des Wor- Stengels sämtliche Gedichte unter tes und des Witzes verstand es über steter Tropfen kommt von oben, dem Titel „Dicht an dicht“. Der Autor fünf Jahrzehnte, den Freunden der Aug um Aug verdirbt den Brei, erteilte auch Sprachunterricht in 33 Satire Lese- und Hörfreuden zu berei- Ende gut ist aufgeschoben. Lektionen auf der CD „Wer lernt mir ten. Variantenreich wußte er seinen Deutsch?“ (2005), die Klaus Feldmann Namen als Titelmetapher zu nutzen. Gottes Mühlen beißen nicht, besprach. Dafür stehen seine stets schnell ver- keine Rose hat zwei Seiten, Stengel bereicherte mit seinen „Wort- griffenen Bücher: „Mit Stengelszun- witzwerken“ mehr als fünfzig Jahre wenn sie auch die Wahrheit spricht. gen“, „Der rettende Stengel“, „Die feine die humoristisch-satirische Literatur stenglische Art“, „Der Unschulds- Guter Rat krümmt sich beizeiten. und war geradezu eine „Instanz für stengel“, „Mit Stengelsgeduld“, Ironie und deren tiefere Bedeutung“. „Stengelsextrakt“, „Stenglisch for you“ Frisch gewagt, fällt selbst hinein, Wie nebenbei prägte er als „Sprach- oder „Stenglisch Waltz“. Seine hand- unrecht Gut will Weile haben. zuchtmeister“ das Bewußtsein für lichen Vierzeilerbändchen aus dem Morgenstunde höhlt den Stein, eine lebendige Ausdrucksweise. Sein Eulenspiegel-Verlag erfreuten sich wer zuletzt lacht, liegt begraben. Kollege Lothar Kusche sah die Ursa- großer Beliebtheit. In einem Gespräch chen für die außergewöhnliche Reso- bekannte der Schriftsteller: „Mein Hansgeorg Stengel nanz der Stengelschen Kurzprosa in Hobby ist die Sprache, ich bin im deren „ironischer, dabei meist freund- Grunde ein verhinderter Philologe.“ licher und niemals zynischer Art der Hinter dem ausgefuchsten Wortspieler mochte mit einer einzigen Formulie- Weltbetrachtung ...“ verbarg sich indes stets der Satiriker rung Wirkungen zu erreichen, zu denen Hansgeorg Stengel starb am 30. Juli und Humorist. Er spießte Wahrheiten andere Autoren ganze Seiten benötigten. 2003 – dem Abend seines 81. Geburts- mit spitzer Feder auf und wußte vieles Er erhellte manches Zwielichtige, ver- tages – nach langer Krankheit. mit Lust am produktiven Sprachspiel mittelte Lebensweisheit und attackierte Dieter Fechner auf den Punkt zu bringen. Seine Verse Bekämpfenswertes mit funkelnden Gei- waren stets ein Genuß, da er sie treff- stesblitzen, aber stets ohne erhobenen sicher zuzuspitzen vermochte. Stengel Zeigefinger. Seit 1973 trat Stengel blödelte in irdischen Niederungen und jährlich in etwa 300 Veranstaltun- auf intellektueller Höhe. Poetisch gab er gen als „nomadisierender Solokaba- Denkanstöße mit brillanten Pointen. rettist“ auf. Auch seine vergnüglichen Reiseberichte Plaudernd und unterhaltsam begei- „Seegang, Satan, Sansibar“ und „Als ich sterte der verschmitzte Moralist mal in Japan war“ versprühten Humor seine Zuhörer von der Ostsee bis zum der ihm eigenen Art. Das letztgenannte Erzgebirge. Die zahlreichen Stengel- Buch war gleichsam der literarische Fans füllten die Säle, da er nicht nur Extrakt zweier Schiffsreisen, die der zum Lächeln bewegte, sondern auch Autor 1971 unternahm. Beide Reisebü- unliebsame Wahrheiten aussprach. cher erschienen später im „Doppelpack“. Das brachte ihm bisweilen Ärger Weiterhin fanden „Gelichter und Geläch- ein. Sein Anliegen war es, mit kur- ter“, „Frühling, Sommer, Herz und Kin- zen Wortspielen Pointen zu setzen, der“ oder der Sammelband „Epigramme um Zustände zu erhellen, Umstände und Gedichte“ schnell ihre Leser. Hans- zu verdeutlichen und menschliche georg Stengel fühlte sich Erich Kästner Schwächen zu parodieren. verwandt, der meinte, der Satiriker sei Stengel legte 1993 den fröhlichen Rei- eine Art Schulmeister. 1975 bekannte seführer „Thüringen“ vor, den Ralf Stengel in einem Interview: „Ich möchte Alex Fichtner mit Zeichnungen berei- das Kabarettistische, das elementar cherte. Im gleichen Jahr brachte er Komische in der Sprache wieder bewußt- gemeinsam mit dem Illustrator Hans- machen. Sprache als Rohstoff ist mein Eberhardt Ernst den „Super-Struwel- Terrain, meine Liebe und meine Lei- peter“ heraus. 1994 folgte „Max und denschaft.“ 1984 legte der Autor „Ein Moritz, die zwei Bengel – frei nach Pendelbuch für Rechts- und Linksleser“ Busch, gezeichnet von Ernst und unter dem Titel „AnnasusannA“ vor. gereimt von Stengel“. Der 1996 im Zeichnung von Renatus Schulz RotFuchs / Dezember 2010 Seite 27

Bärbel Wachholz, eine Botschafterin der heiteren Muse

ie allzu früh verstorbene Schlager- betrieb sie gründliche Studien der Musik. verliehen der inzwischen republikweit Dsängerin Bärbel Wachholz war nicht Auf erste Titel, die sich mit ihrem Namen bekannten und mit ihrem Zunftkollegen nur eine charmante Frau und populäre Armin Kämpf verheirateten Künstlerin Unterhaltungskünstlerin, sondern ver- zusätzlich Renommé. Bald reiste Bärbel körperte auch in diesem Genre ihr Land – Wachholz nach Frankreich, in die Nieder- die DDR – auf eindrucksvolle Weise. Apo- lande und nach Syrien, wo sie ein Scheich thekerin hatte sie werden wollen, begann allen Ernstes gegen 300 Kamele eintau- aber ihre dann steile Karriere statt dessen schen wollte. Beim Internationalen Schla- in einem Fotolabor. Doch es war die Musik, gerfestival in der polnischen Küstenstadt die sie schon bald zu großer Form auflau- Sopot errang sie unter 21 Teilnehmerin- fen ließ. Bereits im Schulchor hatte Bärbel nen den 3. Platz. Zahlreiche Gastspiele in sich zu profilieren begonnen und sogar den damals sozialistischen Ländern Ost- einen Preis im Einzelgesang erhalten. Erst- und Südosteuropas sicherten ihr auch dort mals trat sie dann bei der 700-Jahr-Feier eine begeisterte Anhängerschaft. Die DDR ihrer Heimatstadt Eberswalde in einer verlieh ihrer Botschafterin der heiteren kleinen Rolle öffentlich auf und wurde Muse, die bei allem Glanz und Rampen- vom Fleck weg als Solistin eines bekann- verbanden, folgten rasch Wachholz-Plat- licht anmutig und natürlich geblieben war, ten Tanzorchesters engagiert. Zugleich ten, welche reißenden Absatz fanden. Sie den Kunstpreis. RF

Als Louis Armstrong in der DDR gastierte

anchmal möchte man schon früher keiner mehr so genau. Else Lücke schwört wird der amüsante Text durch ein Inter- Mgelebt haben, zum Beispiel, wenn alle Eide dieser Welt, sie habe den Mei- view mit dem seinerzeitigen Kulturminister man das Buch von Stephan Schulz „What a ster der Trompete in ihrem Ort mit eigenen Hans Bentzien und der Vorstellung aller Wonderful World“ in Händen hält. Irgend- Augen gesehen, als er dort Wasser für sein beteiligten Musiker. „What a Wonderful wie hat es der Ostdeutsche schon immer Auto brauchte: „Er is uff uns zu mit ’nem World“ ist ein tolles und erhellendes Buch gewußt, aber dann doch wieder verges- verbeulten Pott unterm Arm. Water für sein über den größten Jazzer aller Zeiten, als sen, daß der große und wunderbare Louis Auto wollt’a haben.“ Und ein Butterbrot von dieser durch die DDR tourte. Armstrong in der DDR gastierte. Gerne ihr habe es noch dazugegeben. Stephan Wer eines der Konzerte selbst erlebte oder wären Jazzfans der heutigen Zeit dabeige- Schulz meint allerdings, dieser Zwischen- Armstrong ganz zufällig getroffen hat, wesen, auch wenn man nach Karten anste- fall könne sich so nicht zugetragen haben, sollte einen Leserbrief an den RF schicken, hen mußte und vielleicht seinen kleinen da der berühmte Musiker niemals allein denn auch das ist gelebte Zeitgeschichte. Lehrlingslohn über den Tisch der Vorver- unterwegs gewesen sei, sondern immer mit Thomas Behlert, Gotha kaufskasse hätte schieben müssen. Heute seiner Frau Lucille und mindestens einem Stephan Schulz, What a Wonderful World. sind Konzertbilletts um vieles teurer und Betreuer von der Künstleragentur der DDR Als Louis Armstrong durch den Osten die Künstler dennoch nicht immer gut auf- im Schlepptau. Leider gibt es keine Zeitzeu- tourte. Verlag Neues Leben, Berlin 2010, gelegt. Bei Louis Armstrong konnte der gen aus Pärchen, die von Armstrong einen 256 S., 14,95 € Zuschauer indes sicher sein, daß er etwas Kaugummi oder eine Signatur bekamen. Unvergeßliches, etwas Einmaliges erleben Die Geschichte ist offenbar schön erfun- würde. – Der Bericht ist wie ein guter Tat- den, und Else Lücke mag ruhig weiter an sachenroman angelegt. Damit dem jazzbe- ihrer Legende stricken. geisterten Leser nichts vorenthalten bleibt, In diesem Buch erfährt man auch alles zu Besonders herzlich grüßen wir unseren recherchierte Stephan Schulz mehr als zwei den großartigen und immer ausverkauften seit vielen Jahren bewährten Mitstreiter Jahre in Archiven, befragte etliche Zeit- Armstrong-Konzerten in Leipzig, Magde- zeugen und interviewte Musiker. Seltene burg, Berlin und Erfurt. In Schwerin mußte Wolfgang Naundorf, der am 2. De- Fotos und Dokumente lassen das Buch für ein Auftritt leider abgesagt werden. Der zember 75 Jahre alt wird. Als stellver- den Armstrong-Liebhaber im besonderen dortige Bezirksdirektor der Konzert- und tretender Vorsitzender der RF-Regio- und für den Jazz-Fan im allgemeinen ein Gastspieldirektion soll dringend um einen nalgruppe Chemnitz-Zwickau-Plauen unverzichtbares Stück Literatur werden. Konzerttag in der Stadt gebeten haben. Da hat er großen Anteil am erfolgreichen So wird jedes Konzert vom ersten Anste- aber Schwerin nie eine Jazz-Hochburg war Wachstum der „RotFuchs“-Familie in hen nach Eintrittskarten bis zum letzten und die Werbung überdies nicht gerade dieser Region. Ton erläutert. Auch die Aktionen davor brillant gewesen sein soll, endete das Ganze Herzliche Glückwünsche gehen an und danach sind gründlich dargestellt, mit einer Blamage. Doch auch ein Konzert Klaus Baunack, Mitglied des Vorstan- und sogar Mythen wie Legenden geht der von Klaus Lenz – dem bekanntesten Jazz- des der RF-Regionalgruppe Berlin, der Autor nach. musiker der DDR – und vielen seiner promi- am 2. Dezember seinen 75. Geburtstag Es stimmt, daß der Musiker gemeinsam mit nenten Mitstreiter war dort im September begeht, und an Bernd Gutte aus Görlitz, seinem Troß und dem Begleiter Karl-Heinz 2010 nur mäßig besucht. der am 26. Dezember 65 Jahre alt wird. Drechsel in Genthin eine Pause einlegte, um Begebenheiten des Schweinshaxenessers Beide Genossen haben sich als Autoren sich die Beine zu vertreten. Am Ende gab es Louis Armstrong mit Werner Josh Sell- aktiv und ideenreich um unsere Zeit- sogar ein Bier, Bockwurst und Autogramme horn, Karl-Heinz Drechsel, dem Blumen- für die restlos begeisterten Verehrer. Aber mädchen Gabriele Malue und einigen mehr schrift verdient gemacht. ob Armstrong auch in Pärchen war, weiß sind humorvoll dargestellt. Abgerundet Seite 28 RotFuchs / Dezember 2010

Archie und die Pharisäer

ls es Archie in ein langgezogenes Stra- Typ, der mit sanfter Stimme sprach, aber und sozialdemokratischer Seite ständig Aßendorf der Oberlausitz verschlug, mit gepflegter harter Hand zu ohrfeigen gestellte Gretchenfrage: Wie haltet ihr erlebte er, was Faustrecht bedeutet. Der wußte. Er schlug die Schüler, weil sie faul es mit der DDR?, deren negative Beant- Stärkere nahm dem Schwächeren das und vergeßlich seien, obwohl sein eige- wortung inzwischen als Voraussetzung Wenige weg, was dieser gerade ergattert für jegliches Miteinanderreden oder Mit- hatte, und wenn es nur eine Wasserrübe einanderregieren, zum Beispiel in Berlin war. Einmal kam er mit einem kleinen und Brandenburg, gilt. Sack voll gestoppelter Kartoffeln vom Archie hat da so seltsame Assoziationen. Felde, als er an Mimik und Körperspra- Er denkt ganz automatisch an die Hexen- che einiger junger Burschen, die ihm ent- jäger des Mittelalters, die nach Überlie- gegenkamen, sofort bemerkte, daß sie ferungen zunächst mit lammfrommer ihm die Knollen abnehmen wollten. Er und scheinheiliger Stimme auf die von stellte den Beutel auf die Erde und warf ihnen Denunzierten, Observierten und mit den mühsam zusammengeklaubten angeblich vom Teufel Besessenen einge- Kartoffeln nach ihnen, als sie bedrohlich redet haben, bevor sie ihnen die Daumen- näherrückten. Dann verteidigte er sich schrauben anlegten und ihre Opfer dann mit der Hacke. Bloß nicht klein beige- dem Scheiterhaufen übergaben. ben, wenn man schon mit leeren Händen Das Wort Pharisäertum fällt Archie auch nach Hause kommt, schoß es ihm durch bei all den heuchlerischen Debatten ein, den Kopf. Dieser Gedanke befeuerte seine die um Armut in der Welt, Kinder-Solda- Wut. Es gelang ihm, die halbwüchsigen ten, grassierende Seuchen auf anderen Rowdys in die Flucht zu schlagen. Archie Kontinenten, die Klimakatastrophe, die hielt erst inne, als eine Frau aus dem Fen- Krisen des Kapitals und das Abwälzen ster des gegenüberliegenden Hauses zu ihrer Folgen auf die einfachen, schlecht zetern begann: „Diese Polacken, diese bezahlten, in Teilzeit arbeitenden Men- Habenichtse sollen doch abhauen, stop- schen oder Hartz-IV-Empfänger geführt peln uns noch die letzten Abern weg.“ Sie werden. Man verkauft ein von den reichen sagte tatsächlich Abern. Ländern dominiertes System, in dem es Neben Archie stieg plötzlich ein alter nur noch um Profit geht, als das Nonplus- Ein Wolf im Schafspelz will in fremde Mann von seinem klapprigen Fahrrad. Mit ultra, während Afrika und Asien – von Hürden einbrechen. Der als Präsident- der Landsermütze sah er wie ein Volks- schaftskandidat verkleidete deutsche China und Japan einmal abgesehen – auf sturmmann aus. „Hör nicht auf die alte McCarthy namens Joachim Gauck bei der Almosen angewiesen bleiben. Nazi-Tante, die hat ja einen Sprung in der PDL-Fraktion Mit anderen Worten: Wo man hinsieht – Schüssel“, sagte er. „Früher warf sie mit Pharisäertum. Was für mein Nachkriegs- Steinen nach Fremdarbeitern und erhielt nes Gedächtnis äußerst lückenhaft war. dorf zutraf, von dem der alte Mann mit dafür noch Beifall. In diesem Dorf sind Seine Haushälterin mußte ihm immer die der Landsermütze – übrigens ein Antifa- alle Pharisäer.“ Der Alte sammelte ein Tasche hinterhertragen, was sie gern tat, schist – sagte, alle seien Pharisäer, scheint paar Kartoffeln von der Straße auf, gab weil sie ihn offenbar liebte. Der Pfarrer im Kapitalismus ein globales Problem zu sie Archie zusammen mit zwei Äpfeln, die mochte uns nicht, bleute uns aber das sein. Vielleicht tut man dem historischen er aus einer zerschlissenen Aktentasche Evangelium ein. Mit allen Mitteln wur- Begriff damit sogar Unrecht, werden doch hervorkramte. „Laß dich doch mal bei den wir zur Gottesfurcht erzogen. Archie im Alten wie im Neuen Testament die Pha- uns im Niederdorf sehen, in der ,Tanne‘ hielt den Prediger für einen Pharisäer und risäer früherer Zeiten wohl zu einseitig wollen wir ein neues Kino aufmachen“, sagte ihm ins Gesicht, daß man durch dargestellt. Manfred Hocke ermunterte er Archie. Dieser bedankte Ohrfeigen nur Angst erzeuge, mit Gott sich und versprach sein Kommen. habe das überhaupt nichts zu tun. Dafür „Pharisäer sind selbstgerechte und eng- erhielt er eine Extraportion. Der Unter- stirnige Menschen, die sich über den richt hatte Archie indes nicht geschadet, Splitter im Auge der anderen erregen, weil die dort erworbenen Kenntnisse spä- „Leistungsgesellschaft“ wobei sie den Balken im eigenen Auge ter sein Verständnis für mittelalterliche nicht sehen wollen“, erklärte ihm daheim Kunst förderten. Manche Unternehmer die Mutter. Sie liebte blumige Verglei- An die Jugendjahre auf dem Dorf erinner- nicht träge brüsten sie sich che, erfand manchmal auch selbst wel- ten Archie dann die Berichte der Medien Träger der Leistungsgesellschaft che. Archie hatte sie danach gefragt, was über prügelnde Priester und einen Pfar- zu sein eigentlich Pharisäer seien. Er sollte mit rer, der wegen seiner ebenso scheinheili- statt Leistung Prinzip diesem Wort dann im Konfirmandenun- gen wie bedeutungsüberladenen Sprüche, auf Beschäftigtenkosten glanzreich terricht noch des öfteren zu tun haben. Zu vor allem aber aufgrund seiner finsteren zu werden dieser Unterweisung kam er wie ein Blin- Gesinnung beinahe zum Bundespräsiden- statt Leistung Abfall der zur Farbe. Sie waren als Flüchtlinge ten gewählt worden wäre. Beim Namen was sie an Menschenverachtung gegen den Willen der Eigentümerin im dieses Mannes drängt sich Archie stän- produzieren Haus einer bigotten Witwe einquartiert dig das Wort Pharisäertum auf. Was statt Leistung Anstieg worden, die sie als Gottlose betrachtete für ein engstirniger und selbstgerech- müllwertiger Profitgier und mit Verachtung strafte. Die Mutter ter Gottesmann muß jemand sein, der zu statt Leistung Fähigkeit weinte deswegen hin und wieder. Also den Linken geht und sagt: „Ich will euch Sozialverbrechen legal zu begehen: ging Archie zum Pfarrer in den Unter- zwar die Beine wegziehen, ihr könnt mich egal ist nach rechtsjustierter Justiz richt und wurde wider Erwarten dessen aber vorher noch wählen, um zu bewei- Psychoterror durch Kündigung Lieblingszögling, weil er die Palmsonn- sen, daß ihr endlich in der Gesellschaft Verarmungslohn tage, die Propheten und die Jünger Jesu dieser Bundesrepublik angekommen seid.“ lückenlos aufsagen konnte. Der Pfar- Absurd und pharisäerhaft findet Archie Jürgen Riedel, Minden rer war ein salbadernder älterer, eitler auch die der Linkspartei von bürgerlicher RotFuchs / Dezember 2010 Seite 29

eine gesunde Psyche, aber auch viel Wissen, um lösen sucht. Wie oft habe ich es erlebt, daß Schüler Leserbriefe an die Wahrheit. Dabei hat sich der „RotFuchs“ sehr im Zirkel die Weltfremdheit des Staatsbürger- verdient gemacht und Lorbeer erworben. kunde- oder Geschichtsunterrichts bemängelten Ro t Fu c h s Der Leserbrief von Bernd Nantke hat mich beson- und sich nur um der Zensur willen zwiespältig an ders berührt. Wie oft habe ich als Zirkelleiter im das anpaßten, was vom Lehrer gewünscht wurde. FDJ-Studienjahr meiner Tochter erlebt, daß die Das FDJ-Studienjahr konzipierten u. a. hervorra- jungen Leute frustiert und enttäuscht von den gende Wissenschaftler wie Prof. Erich Hahn. Die unzureichenden und zum Teil törichten Antworten Umsetzung bei der Schuljugend war allerdings Es ist 16 Jahre her, daß ich auf Einladung von mancher Stabü-Lehrer ankamen, mit einem Bauch Sache von FDJ und Volksbildung einschließlich Genossen nach Deutschland kam, um eine mehr- voller Zorn; denn sie waren keine Gegner, hatten der Patenbetriebe. Natürlich hätte man vieles teilige Artikelserie über die Situation fünf Jahre aber eine Menge Fragen. Nantke beschreibt eines besser machen können. Doch die FDJ konnte nur „nach dem Fall der Berliner Mauer“ zu schreiben. unserer schrecklichen Defizite: Daß er eine Tren- so gut sein, wie Schule, Elternhaus und Betrieb Meine Freunde haben damals so viele phantastische nung der DDR-Geschichte der 50er/60er Jahre die Voraussetzungen dafür schufen. Interviews und Begegnungen in Potsdam, Frankfurt von den folgenden Jahrzehnten vornimmt, macht E. Rasmus, Berlin (Oder), Dresden und anderen Orten sowie in Berlin sehr nachdenklich … selbst für mich arrangiert, daß ich eine in den Ein Wort noch zum Beitrag über die Ente mit der Die ostdeutsche Geschichte der letzten 20 Jahre USA aufsehenerregende Serie schreiben konnte. „Judenkartei“. Ein Glück, daß in diesem Falle der hat bewiesen, daß Begriffe wie Vereinigung, Beitritt Seit meinem Ausscheiden als Chefredakteur der Zentralrat der Juden in Deutschland geantwortet oder Anschluß nicht dazu taugen, das Wesen der „People’s World“ – der Zeitung der KP der USA – hat. Mir wurde eine solche Ehre nicht zuteil, als am 3. Oktober 1990 eingetretenen gesellschaftli- betätige ich mich als Autor und gehöre weiterhin ich mich gegen die Lüge vom „verordneten Antifa- chen Veränderungen auf einstigem DDR-Gebiet zu dem Redaktionskollegium an. Aus finanziellen schismus in der DDR“ wandte und die Frage stellte, erfassen. Es handelt sich vielmehr um den Rückfall Gründen mußten wir das Erscheinen unserer wie die Überlebenden des Holocaust eigentlich in den Kapitalismus mit all seinen Gebrechen. Print-Ausgabe einstellen und bringen statt dessen die Berufung Globkes ins Bundeskanzleramt Unter dem Deckmantel einer Scheindemokratie täglich die Internet-Website www.peoplesworld.org durch Adenauer verkraftet hätten. und angeblicher Freiheit fand eine grenzenlose heraus. Besucht sie doch bitte einmal! Überdies Rudi Krause, Berlin Inbesitznahme der DDR durch das westdeut- werde ich die Frage eines Austauschs von Artikeln sche Kapital, dessen politische Handlanger und mit dem „RotFuchs“ bei uns aufwerfen. Mit dem Oktober-„RotFuchs“ haben dessen Leser mediale Sprachrohre statt. Klaus Steiniger bringt Tim Wheeler, Baltimore erneut einen in diesen Tagen besonders notwendi- es auf den Punkt, wenn er im Leitartikel des RF gen „Mutmacher“ erhalten. Der Leitartikel vor allem 153 schreibt: „Vor 20 Jahren wurde die Deutsche Ein Freund von „Weisheiten“ auf Kalenderblättern war es, der mir half, den „Jubiläumstag“ unserer Demokratische Republik – das gute Deutsch- bin ich gerade nicht. Beim diesjährigen Blatt zum Vereinnahmung zu überstehen, ohne Trübsal zu land – von der Konterrevolution zu Fall gebracht „Tag der Deutschen Einheit“ mache ich jedoch eine blasen: Die haßtriefende Anti-DDR-Kampagne und der imperialistischen BRD – dem schlechten Ausnahme. Ich möchte den „RotFuchs“-Lesern unserer Feinde erweist sich in der Tat nicht als Deutschland – einverleibt.“ nicht vorenthalten, wie der Text lautete: „Im Krieg Triumphgeschrei vermeintlicher Sieger, sondern Günther Röska, Leipzig ist die Wahrheit das erste Opfer.“ (Aischylos) eher als ein Reflex, mit dem man in der Tierwelt Hajo Jahn, Fangschleuse sogenannte Angstbeißer bezeichnet. – Die Furcht Zu meinen Aktivitäten in den 80er Jahren gehörte die vor dem anderen, hier also vor uns, löst ungezügelte Schaffung eines Gesprächskreises von Theologen Der Artikel im Oktober-RF „Außenpolitik oder Aggressionen aus. Uns aber bestärkt sie in der und marxistisch-leninistischen Philosophen, der Ausverkauf?“ hat mich sehr interessiert. Auch ich Zuversicht, daß unser Vorstoß nicht vergebens war, durch Generalsuperintendent Dr. Günter Krusche gehörte zu den Mitarbeitern des MfAA der DDR, sondern in die Zukunft hineinwirken wird. und mich geleitet wurde. Dort entwickelte sich die – in meinem Falle nach 20jähriger Tätigkeit als Dafür sprechen auch die zahlreichen Fakten über auch ein von gegenseitigem Vertrauen geprägtes Sekretärin – knallhart „abgewickelt“ wurden. das, was DDR wirklich war, die in anderen Beiträgen Verhältnis zum Konsistorialpräsidenten Dr. Manfred Ich war einige Jahre in Botschaften tätig, so in dieses Heftes in Erinnerung gerufen werden. Kurzum: Stolpe. In seinem Arbeitszimmer verständigten wir Kuba, wo meine Tochter geboren wurde, zuletzt in Ein Glück, daß es den „RotFuchs“ gibt! uns darüber, daß es in der DDR etwa eine Million der Abteilung „Internationale Ökonomische Orga- Wolfgang Clausner, Schwerin wirkliche Marxisten und eine Million wirkliche nisationen der UNO“. Wir waren ein tolles Kollektiv Christen gäbe. (Ich war damals so naiv, dies zu und hatten einen ausgezeichneten Leiter. Nach dem Lesen der ehernen Leitartikel Klaus glauben, mit Stolpe habe ich später nicht darüber 1990 zog dann Herr Meckel ins MfAA ein. Ich Steinigers, die dem „RotFuchs“ vorgespannt sind gesprochen, ob es auch bei ihm Naivität war.) Wir erinnere mich noch an die erste große Mitarbei- wie die Pflugschar, welche die erste Furche zieht, gingen beide davon aus, daß dieses Potential für terversammlung im Foyer, als er mit seinem BRD- drängte es mich schon des öfteren zur Kommen- einen besseren Sozialismus wirksam gemacht Berater von Braunmühl die Versammlung eröffnete. tierung. Der jüngste, der die „quicklebendige Tote“ werden müsse. Noch im Juni 1990 hat Stolpe im Ich stand damals neben meinem Parteisekretär namens DDR feiert, hält mich nun nicht länger Hauptreferat einer wissenschaftlichen Konferenz und habe ihm leise zugeflüstert: „Wir sind doch zurück. Man muß des Trostes schon sehr bedürftig zum Dialog von Marxisten und Christen diese im so viele, warum verjagen wir die beiden nicht sein, um die Haßgesänge der gleichgeschalteten persönlichen Gespräch vertretene Auffassung einfach?“ In meiner Abteilung arbeitete auch der Medien als „wunderbare Melodie“ zu empfinden. wiederholt. Später kam es dann zu einer Entfrem- Hundertschafts-Kommandeur der Kampfgruppe Mich machen sie nur wütend und ob ihrer dreisten dung zwischen uns. des MfAA. Als ich erfuhr, daß deren Angehörige Lügenhaftigkeit manchmal auch sprachlos. Am Rande bemerkt: Ich war Ohrenzeuge im Arbeits- ihre Waffen einfach abgeliefert hatten, konnte ich Die DDR als „Gespenst aus der Gruft“ steigen zu zimmer Stolpes, als er sich dafür einsetzte, daß der nicht verstehen, wie man die Macht so sang- und sehen, macht mich gruseln. Trotz aller Beschwö- noch kurz zuvor von der Bonner Prominenz hofierte klanglos aus den Händen gab. rungen des Autors: Die DDR ist tot! Ich selbst und jetzt gejagte einen Ruhepunkt Meckel hat seinen Bruder sofort als Personal- gedenke ihrer in Wehmut. Sie lebt bestenfalls in in Beelitz finden sollte, als ehemalige Genossen chef ins Ministerium geholt. Er empfing mich mit der Erinnerung vieler Menschen, durchaus auch diesen todkranken Mann im Stich ließen. „Jesuslatschen“ und in salopper Kleidung zu einem in angenehmer, wie ein guter Freund, mit dem Dr. sc. Fritz Welsch, Berlin Gespräch im ehemaligen Büro des stellvertretenden man vier Jahrzehnte lang gelebt und gekämpft Außenministers Peter Florin, der 1987/88 Präsident hat. Unsere Erbschaft sind wichtige Erfahrungen, Als Bürger der Oberlausitz – aufgewachsen in der UNO-Vollversammlung gewesen war. im Guten wie im Schlechten, die wir festhalten, Bischofswerda (Schiebock), wohnhaft in Baut- Der Verlust meines Landes schmerzt mich noch heute. aufschreiben und weitergeben sollten. (Der RF tut zen – hat mich Manfred Hockes Artikel „Archie Ich träume davon, daß irgendwann „etwas Neues“ dies weitgehend.) Sie könnten uns vielleicht noch auf dem ‚Sächsischen Reiter‘“ im Oktober-RF wie Phönix aus der Asche steigt. Der „RotFuchs“ nützlich werden, wenn die Idee des Sozialismus, durch seine stilistisch lebendige Darstellung sehr trägt das Seine dazu bei. Dafür danke! zumal die ja nicht mit der DDR gestorben ist, noch interessiert. Bärbel Umlauf, Berlin einmal die Massen ergreift. Es lebe der Sozialismus! Wie Archie besuchte auch ich die Oberschule in Und um den ging es doch wohl in der DDR, nicht Bischofswerda. Wie er erinnere ich mich an den Ungern mache ich Komplimente, weil ich immer aber um die DDR an sich. „hohlwangigen alten Mann“ – den ersten nach fürchte, die Grenze zur Schmeichelei zu über- Heinz Ehrenfeld, Kmalives, Kreta 1945 eingesetzten Direktor der Oberschule, Dr. schreiten. Aber ich muß schon sagen, daß die Paul Kegel. Oktoberausgabe des RF für unsereinen sehr Für den Leitartikel in der Oktoberausgabe finde ich Ergänzend zur Aussage, daß sich der „Sächsische wohltuend gewesen ist. Die derzeitige Infamie kaum Worte, denn er ist in Einheit mit dem Inhalt Reiter“ in DDR-Zeiten zu einer florierenden HO- der Medien stellt wohl die Ouvertüre zum Kalten von solcher Sprachbrillanz, daß es seelisch wie Gaststätte entwickelte, muß gesagt werden, daß Krieg Nr. 2 dar. Was da an Lügen, Halbwahrheiten, geistig ein Hochgenuß war, ihn zu lesen. sich dieses Kleinod sozialistischer Gastronomie Hetze und Verschlagenheit von Berufskriegern Probleme habe ich hingegen mit dem Extra-Beitrag seit Jahren in absolutem Verfall befindet. Beim oder schleimigen Anpassern über den Äther von Dr. Horst Adam in derselben Ausgabe. Der Autor, Vorbeifahren erinnere ich mich immer wieder der gehaucht oder durch die Kabel gejagt wird, ist der unsere Volksbildung zu Recht würdigt, macht dort von Kollektiven durchgeführten Kulturveran- für den Endverbraucher am Bildschirm oder bei es sich m. E. etwas zu leicht, wenn er ideologische staltungen, die bei Kollegen und Gästen großen Printmedien kaum zu ertragen. Da braucht es Probleme auf Kosten des FDJ-Studienjahres zu Anklang fanden. Manfred Reinsch, Bautzen Seite 30 RotFuchs / Dezember 2010

„Man wird niemals eine Erneuerung der kommuni- nach wenigen Jahren als naturgegeben oder vom dauert die weltweite Epoche des Übergangs vom stischen Weltbewegung ohne eine sehr schmerz- Himmel gefallen betrachten und darum nicht mehr Kapitalismus zum Sozialismus an. Die Auseinan- hafte und schonungslose Selbstkritik zur Rolle der verteidigen. War das nicht in der DDR ähnlich? dersetzung mit jenen bürgerlichen Auffassungen, Kommunisten 1989/90 und zuvor erreichen können“, Die KP Kubas hat ja jetzt eine Kampagne eingeleitet, die als Marxismus dargestellt werden, ist eine schrieb Marianne Hoffmann im RF 152. Das ist um wesentlich mehr Menschen auf dem Lande in der Bedingungen für die Entwicklung einer revo- hundertprozentig auch meine Ansicht. Alles, was wir Genossenschaften und Staatsgütern anzusiedeln, lutionären Arbeiterbewegung. Die Einbeziehung künftigen Generationen noch hinterlassen können, um mit dem bisher brachliegenden Arbeitskräfte- einiger reformistischer Ansichten Hobsbawms ist die Schilderung, wie es wirklich war. Einerseits potential die dringend benötigte Produktion von wird beim Ringen um die Bewältigung globaler gehört dazu die Widerlegung der unzähligen Lügen, Nahrungsgütern und Rohstoffen anzukurbeln. Probleme möglich sein. mit denen der Klassenfeind und dessen Papageien In Kuba kann dreimal im Jahr die Ernte eingefahren Dr. Ehrenfried Pößneck, Dresden alles Positive dieser 40 Jahre DDR zuzuschütten werden. Mit natürlicher Fruchtfolge ist es möglich, bemüht sind. Dabei spielt der RF eine Rolle, die die Ertragskraft der Äcker hochzuhalten, so daß In Walter Ruges Artikel „Rückkehr an die Curzon man nicht hoch genug einschätzen kann. sich Agrarchemikalien wie Dünger und Schädlings- Line“ im September-RF gibt es zwei Sätze, die Andererseits gehören zur Analyse aber auch Antworten bekämpfungsmittel minimieren lassen. offensichtlich einen falschen Eindruck vermitteln. auf die Fragen „Was haben wir falsch gemacht?“ und Wir alle kennen die heroischen Taten der kubani- „…Die Rote Armee blieb damals am Bug bei Brest, „Wie konnte es zu dieser historischen Katastrophe schen Ärzte und Alphabetisierer – jetzt ist es an den an der alten Grenze des Zarenreiches – der von kommen?“ Es waren nicht nur Geringfügigkeiten, Genossen der KP, den offenkundigen Schwächen den Briten ermittelten Curzon Line – nach 200 km sondern gravierende Fehler, die begangen wurden. energischer zu Leibe zu rücken. Wir wünschen Vormarsch stehen. Wahrscheinlich war das zwischen Niemand gesteht gern eigenes Versagen ein, aber ihnen allen Erfolg. Der Kampf geht weiter! Ribbentrop und Molotow so abgesprochen.“ für jene, welche im Herzen bis heute Sozialisten Jens-Torsten Bohlke, Leuven/Belgien Dazu ist folgendes zu sagen: 1. Seit dem Wiener und DDR-Bürger geblieben sind, dürfte eine andere Kongreß 1815 gehörte das Kerngebiet Polens um Hürde weitaus schwerer zu überwinden sein: Wenn Unter der Losung „Für eine Welt des Friedens, Warschau zum Zarenreich. Nach dem Überfall man begangene Fehler heute offen ausspricht, bläst der Solidarität und der sozialen Veränderungen, Deutschlands auf Polen am 1. September 1939 man dann nicht in das Horn jener, welche sich Tag besiegen wir den Imperialismus!“ finden vom rückte die Rote Armee ab 17. September tatsäch- für Tag darin überschlagen, den Sozialismus – vor 13. bis 21. Dezember in Johannesburg, Südafrika die lich von der (seit dem 18. März 1921 bestehenden) allem die DDR – zu verunglimpfen? Das wäre doch 17. Weltfestspiele der Jugend und Studenten statt. sowjetisch-polnischen Grenze bis zum Bug, d. h. aber das letzte, was man möchte. Veranstalter ist wiederum der WBDJ. Das Festival bis zur Curzon Line vor. Diese entsprach in etwa Für mich kommt es in erster Linie auf das Motiv ist Nelson Mandela und Fidel Castro gewidmet. der Grenze zwischen der polnisch-sprachigen an. Kritisiere ich, um den Sozialismus und die DDR Zu seinen Forderungen gehören u. a. Verstaatli- und der ukrainisch- bzw. weißrussisch-sprachigen schlechtzumachen, oder kritisiere ich, um ihm für chung der Bergwerke in Südafrika, Befreiung der Bevölkerung. die Zukunft einen Weg bahnen zu helfen? Wenn Westsahara von der marokkanischen Okkupation; Das Vorrücken der Roten Armee nur (!) bis zur zwei das gleiche tun, ist das bekanntlich nicht schnelle Lösung der Dafur-Krise im Sudan; Ende Bug-Linie war jedoch ursprünglich nach den dasselbe. Ewa Babarnus, Berlin der US-Blockade gegen Kuba. deutsch-sowjetischen Abmachungen im „Gehei- Wenn Anfang 2011 im RF der Festivalbericht eines men Zusatzprotokoll“ nicht vorgesehen. In dessen Als treuer „RotFuchs“-Leser freue ich mich auf jede deutschen Teilnehmers erscheinen würde, empfände Punkt 2 ist als Grenze „die Linie der Flüsse Narew, neue Ausgabe. In den meisten Zuschriften finde ich das als sehr erfreulich. Josef Rehak, Berlin Weichsel und San“ angegeben, also ca. 150 km ich meine Meinung bestätigt, in anderen nicht. westlich von der Bug-Linie mitten durch polni- Dies muß nicht nur so sein, sondern ist auch gut Ich hatte das große Lebensglück, auf dem Weg sches Gebiet. so. Nicht einverstanden bin ich mit dem Inhalt der vom Maurer zum Lehrer an Marxschen Stätten Daß die Rote Armee nur bis zum Bug vorrückte, wichtigen Serie „Abc des Marxismus“. Es wird ein lernen zu können: Als Germanistik-Student der bedeutete, daß sich die Sowjetunion bei der „Teilung gesellschaftspolitisches Wissen vorausgesetzt, das Universität Jena, an der Marx in absentia promo- Polens“ nicht zur Komplizin Hitlerdeutschlands niemand, der gerade erst das Abc erlernen will, vierte, als Gasthörer an der Karl-Marx-Universität machen ließ. Da die sowjetischen Truppen ihren haben kann. Hier sollte lieber auf wissenschaft- Leipzig und als Dozent an der Parteihochschule, Vormarsch hier beendeten, wurde dann im deutsch- liche Brillanz zugunsten allgemeinverständlicher die gleichfalls den Namen von Marx trug. Meine sowjetischen Vertrag vom 28. September 1939 die Erklärungen verzichtet werden. Alles andere stiftet Diplomarbeit schrieb ich zur politischen Lyrik von einstmals von Curzon vorgeschlagene Grenzlinie Verwirrung. Es wird das Gegenteil von dem erreicht, Georg Weerth, der mit Marx freundschaftlich übernommen. Richard Wagner, Berlin was angestrebt wird. verbunden war. Engels bezeichnete ihn als den Helmut Timm, Groß Nemerow ersten sozialistischen Dichter. Euer Oktoberheft ist köstlich! Klaus Lederer präsentiert Bis zum Ende meiner Lehrtätigkeit an DDR-Hoch- uns diese Republik der Pfeffersäcke und Plünderer Bei der Lektüre unserer Zeitung verfolge ich mit schulen unterrichtete ich ausländische Studenten, so: „Die … heutige Demokratie ist Voraussetzung und großem Interesse die Beiträge zu Grundaussagen vor allem aus Ländern der Dritten Welt mit damals Schlüssel zur Lösung der Eigentumsfrage.“ Darauf unserer Klassiker (z. B. Abc des Marxismus/Arbeit). sozialistischer Orientierung. Aus nationalen Befrei- wäre man ja gar nicht gekommen! Angesichts des Zugleich stelle ich fest, daß der Schwerpunkt der ungsbewegungen entwickelten sich Bruderparteien, wichtigtuerischen Geschnatters über ein „Ende Veröffentlichung auf die Darstellung der historischen deren Abgesandten wir die Marxsche Dialektik der Arbeitsgesellschaft“, zu dem Leute neigen, Wahrheit gerichtet ist. Das halte ich für dringend vermittelten, seinen Humanismus und Internatio- die noch nie am Fließband eines Fleischkombinats erforderlich. Ebenso notwendig ist es aber auch, nalismus. Daran ändert auch die Tatsache nichts, gestanden oder unter Tage gearbeitet haben, ist den Blick in die Zukunft zu richten, zumal ich daß nicht alle Blütenträume gereift sind und oft nur Götz Dieckmanns Beitrag zu diesem Thema mit niemanden kenne, der sich mit der notwendigen verlorene Illusionen zurückblieben. dem passenden Engels-Zitat von der „Arbeit als Autorität aus marxistischer Sicht diesem Thema Dr. Heinz Sonntag, Magdeburg erster Grundbedingung allen menschlichen Lebens“ widmet. Jene, welche das könnten, werden immer geradezu labend. Walter Ruge, Potsdam älter – die Einschläge kommen näher. Heute möchte ich eine Menge Fragen stellen, auf Wer aber klärt die nachwachsende Generation aus die man als RF-Leser diese oder jene Antwort weiß, Ohne die Standpunkte des RF und der „jungen Welt“ kommunistischer Sicht auf? Wie ist der Kapitalismus wobei ausführlichere und neue Gedanken dazu sowie die Distel-Aufführung am Puttbusser Theater zu überwinden? Welche Rolle spielen die chinesischen schon von Nutzen wären. gegen die Machtgierigen und Kalten Krieger hätte Genossen? Wie sieht der Sozialismus von Hugo Warum gelten einige Hartz-IV-Bezieher als Betrüger ich wohl die Hetze und den Einheits-Taumel der Chávez aus? Wer ist die treibende revolutionäre – die Zumwinkels und andere Steueremigranten nur Medien gar nicht ausgehalten. Es reicht! Übrigens Kraft unserer Zeit? Kurzum: Wie sehen Theorie als Sünder? Warum erfahren im 21. Jahrhundert habe ich „RotFuchs“-Exemplare Gästen unseres und Praxis des antiimperialistischen Kampfes aus, der Klerus und das Adelspack wieder eine solche „Koggenhus“ aus Schleswig-Holstein und dem wenn sich der Charakter der Arbeiterklasse sichtbar Akzeptanz? Warum wimmelt es – besonders bei Ruhrgebiet sowie einem Österreicher, der sich sehr ändert? Was ist, wenn es keine Theorie mehr gibt, schwarz-gelb-rosa – im Bundestag nur so von interessiert zeigte, mitgegeben. Der fragte mich oder sie niemand mehr kennt? Die Diskussion über Konzernanwälten? Wie lange will man Wahlen nach meiner Meinung zur sogenannten Einheit. solche Fragen wäre ein Gewinn. noch als demokratisch bezeichnen, wenn sich die Mit Sorge hatte er 1989 die grölenden Deutschen Peter Pöschmann, Döbeln Nichtwählerpartei ständig vergrößert? Erfährt der durch sein Land fahren sehen. Kolonialismus eine Wiederbelebung in moderner Er war auch in der DDR gewesen und sprach mit Entscheidend ist die Arbeitsproduktivität, das lehrte Form? Hochachtung von der Arbeit, die damals von uns schon Lenin. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Ich hätte noch so vieles auf Lager. Vielleicht dienen geleistet wurde. Kuba zumindest seine Landwirtschaft innerhalb von meine Fragen manchem RF-Leser als Anregung und Renate Rega, Lauterbach (Rügen) 20 Jahren nicht besser in Schwung bringen konnte. veranlassen ihn zu eigenen Meinungsäußerungen. Ich habe mich einige Male vor Ort umgesehen. Steffen Heimlich, Suhl Der Leserbrief von Wilfried Steinfath im RF 152 Früher war es der Hunger, der die Leute zur Arbeit zum 20. Juli und der Tat Stauffenbergs trifft in zwang. Heute gibt es seit Jahrzehnten in Kuba Die Leserbriefe von Dr. Lambrecht, Dr. Lotze und einem wichtigen Zusammenhang nicht den Kern: eine Grundversorgung, für die sich niemand mehr Walter Ruge bestätigen, daß Eric Hobsbawms Stauffenberg war keineswegs für die Fortsetzung anstrengt. Und jede soziale Errungenschaft wird Publikationen großes Interesse hervorrufen. Meine des Krieges. Er lehnte das Hitlerregime ab – frei- bald vergessen, weil die allermeisten Menschen sie Koordinaten sind: Trotz der Niederlage von 1989/91 lich erst seit 1942. Dennoch war dieses Attentat RotFuchs / Dezember 2010 Seite 31

eine mutige antifaschistische Tat. Das ist auch im Marxismus-Leninismus erreicht hat. Genützt hat Es gibt für mich ein soziales Umfeld, das mir hilft meine Meinung. es ohnehin nichts. Wie der beiliegenden Kopie eines und in dem ich auch anderen helfen kann. Es gab Konservative Hitlergegner können wir hinsichtlich Notenspiegels des Germanistischen Instituts der einen Zusammenhang, den man erst richtig zu Herkunft, Sozialisation, Werdegang, Motivation usw. Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität schätzen weiß, wenn er nicht mehr da ist. Jetzt nicht an Thälmann oder Breitscheid messen. Der vom 16. 9. 1964 zu entnehmen ist, entsprach das suche ich in der Partei nach Führern, die ehrlich Widerstand kam auch von Antikommunisten. Prädikat „genügend“ zu diesem Zeitpunkt einer und mit Tatkraft, ja Kampfkraft dem Arbeiter eine Vielleicht ist es notwendig, zur Person Stauffen- Vier. Das Prädikat „mangelhaft“ gab es damals Zukunft zeigen können. Gibt es „den Arbeiter“, bergs etwas zu sagen. Immerhin hatte er – wie jetzt noch nicht oder nicht mehr. Horst Hahn, Rowa „die Arbeiterklasse“ eigentlich noch? Interessiert bekannt wurde – Kenntnis von den Vorstellungen sich heute überhaupt noch jemand für eine sol- des Nationalkomitees Freies Deutschland sowie des Es ist gut, daß ein neuer Band über die erfolgreiche kommunistisch-sozialdemokratischen Widerstandes Außenpolitik der DDR vorliegt. Auch die Bespre- che Zuordnung? Arbeitskampf? Klassenkampf? im Innern des Landes (Saefkow/Leber). Bei den chung des Buches durch Franz-Karl Hitze im RF Fremdworte oder eher unerwünschte Dinge? Es Männern des 20. Juli treffen Schuld, Mittun und Nr. 152 ist in Ordnung. Doch in der Bildunterschrift gilt: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Ist das in Gegnerschaft zusammen, wobei die Übergänge zur Konferenz von Helsinki 1975 wird Erich Honecker der Partei Die Linke anders? fließend sind. Man darf den kommunistischen als Staatsratsvorsitzender bezeichnet. Er leitete Auf der Suche nach Antworten auf meine vie- Widerstand nicht zum Maßstab für jene machen, aber die DDR-Delegation und unterzeichnete den len Fragen finde ich mich immer gerne bei den welche keine Kommunisten waren. Es zählt hier Vertrag als Erster Sekretär des Zentralkomitees der „RotFuchs“-Treffen in Leipzig ein, die an jedem der gemeinsame Nenner: Sturz des Hitlerregimes SED. Staatsratsvorsitzender wurde er erst ein Jahr ersten Dienstag im Monat stattfinden. Klare Worte und Beendigung des Krieges. später. Dr. Kurt Laser, Berlin sind stets hilfreich. Gerhard Masuch, Leipzig Dr. Peter Fisch, Dresden In einer DDR-Zeitung las ich einmal folgendes: Beim Lesen eines interessanten Artikels aus der Wer glaubt, daß das Polittheater der letzten Monate Ein Lehrer berichtete vor seiner Klasse darüber, sowjetischen Presse vergangener Tage bin ich auf demnächst beendet sein wird, den enttäuscht daß er einst mit eingesetzt worden sei, Bauern Aussagen zu Lenins Leitungsstil gestoßen. Nachdem Finanzminister Wolfgang Schäuble: „Wir bemühen zum Eintritt in die LPG zu bewegen. Einer der von eine Abordnung von Arbeitern und Bauern aus uns zu verhindern, daß die Folgen der SED-Diktatur ihm Angesprochenen wollte partout nichts davon dem Gouvernement Stawropol einen Waggon mit verharmlost und vergessen werden. Es werden wissen und ließ überhaupt nicht mit sich reden. Er Lebensmitteln für die Hungernden nach Moskau weitere Mittel für die Aufbereitung der SED-Diktatur forderte den Lehrer sogar dazu auf, unverzüglich bereitgestellt…“, zitierte ihn am 30. September der seinen Hof zu verlassen, da er sonst den Hund gebracht hatte, dessen Adressat Lenin selbst war, hiesige „Nordkurier“. losmachen werde. traf er folgende Festlegung: Der Waggon sei schnell- Um wessen Mittel handelt es sich eigentlich? Tags darauf meldete sich ein Schüler bei diesem stens und ohne jede bürokratische Verschleppung Dr. Manfred Bewersdorf, Neubrandenburg Lehrer und berichtete ihm, er habe die Geschichte zu übernehmen. Die Hilfsgüter sollten den Bedürf- seinem Vater erzählt. Von ihm solle er ausrichten, tigen nicht nur zugewiesen werden, sondern auch Auf Initiative des sogenannten rot-roten Senats aus daß er dieser Bauer gewesen sein könnte. Wenn unter Angabe der Spender. Es seien Maßnahmen SPD und Linkspartei hat das Berliner Abgeordne- der Lehrer allerdings noch einmal auf den Hof käme, zu treffen, um für die Delegation aus Stawropol zu tenhaus für einen erheblichen Teil der im Osten würde er den Hund nur dann von der Kette lassen, sorgen, sie gut unterzubringen, zu verpflegen und der Stadt Lebenden nicht nur eine Verschlechte- wenn er versuchen sollte, ihn zum Austritt aus der ihr den Dank des Moskauer Deputierten-Sowjets rung ihrer Wohnverhältnisse, sondern auch eine LPG zu bewegen. Hans Schneider, Erfurt auszusprechen. Schließlich müsse man die Gäste indirekte Mieterhöhung ins Auge gefaßt. In einer auch mit Literatur versorgen und ihnen Einrichtun- Novellierung der Berliner Bauordnung legte es Eine Bemerkung zu dem Beitrag „Krieg ist Frieden. gen Moskaus, welche sie interessieren, zeigen. fest: „Abfallschächte dürfen nicht errichtet werden. Wie bourgeoise Meinungsmacher Begriffe in ihr Lenin wies an, ihn unverzüglich und eingehend Bestehende Abfallschächte sind spätestens bis zum Gegenteil verkehren“ im RF 151. Hinsichtlich des zu informieren. 31. Dezember 2013 außer Betrieb zu nehmen. Die Untertitels stellt sich mir die Frage, was eigentlich Was ist an diesen Weisungen bemerkenswert? Sie zu ihrem Befüllen vorgesehenen Öffnungen sind schlimmer ist: die bürgerliche Meinungsdiktatur waren äußerst knapp und präzis. Alle wesentlichen bis zu diesem Zeitpunkt dauerhaft zu verschließen.“ oder deren Claqueure aus Politik und Wirtschaft. Ich frage: Warum sollen die Müllschlucker aus DDR- Der stets geschniegelte, für Gel werbende und frech Gesichtspunkte wurden bedacht. Der politische Zeiten für immer geschlossen werden, obwohl sie grinsende Feudalkrieger an der Spitze des „Verteidi- Sinn des Geschenks, die menschliche Solidarität, sich seit Jahrzehnten bestens bewährt haben? gungsministeriums“ glaubt, man müsse der Nation ging nicht unter. Die persönlichen Interessen und Gerda Greifzu, Berlin „den Krieg in Afghanistan nur anständig erklären“. Neigungen der Beteiligten wurden in Rechnung Allerdings ist „anständiger“ deutscher Expansions- gestellt und – schließlich – auch die notwendige Wenn ich lese, daß der abgetretene Hamburger OB drang weltweit bereits bestens bekannt. Kontrolle garantiert. Ole von Beust eine „ihm zustehende Abfindung“ Des weiteren meint der freiherrliche Edelmann, es Wo gibt es heute noch einen solchen Leitungsstil? erhält, bleibt mir der Bissen im Munde stecken. Wer möge doch zur Selbstverständlichkeit werden, was Günter Vehoff, Hagenow drei Monate nach seinem selbstgewählten Rückzug heute noch viel eher die Ausnahme sei: Gemeint noch volle Bezüge von „angemessenen“ 13 577 ist deutscher Kriegsexport. Man kehre die Sache Sarrazin ist ein geistiger Brandstifter. Seiner Islamo- Euro und anschließend zwei Jahre „Übergangs- doch einmal um: die Ausnahme zuerst – alle Kriegs- phobie, in der er Menschen muslimischer Herkunft geld“ von 6788 Euro erhält, wird auch weiterhin verherrlicher in ihr feudales Refugium. Dann hole geringeres „qualifikatorisches und intellektuelles der CDU treu bleiben, denn dann beschränkt sich man eine alte Losung hervor: Friede den Hütten, Potential“ als Folge „genetischer Belastungen“ sein lebenslanges Salär auf nur noch 6313 Euro. Krieg den Palästen! unterstellt, ist nicht nur Blödsinn, sondern auch An diese Einschränkung muß man sich erst einmal Peter Hünerbein, Hellenthal historisch unhaltbar. Die islamische Welt war gewöhnen! Mein Hartz-IV-Satz beträgt 84,41 Euro monatlich. Olé, wir sind ein Volk! Seit einigen Jahren lese ich regelmäßig und sehr über Jahrhunderte dem christlichen Abendland in Wilfried Durand, Unterwellenborn gern die Zeitschrift „RotFuchs“. Ich stelle immer vielerlei Hinsicht weit überlegen. Wir haben heute wieder fest, daß die Beiträge meist den Nagel auf häufig auf Grund unserer Ignoranz und unserer Zum Text „Meckels Dauerkrieg mit der Grafen- den Kopf treffen – egal, ob es sich um DDR-Themen eigenen Bildungsmängel in der westlichen Welt familie“ im RF 153: Natürlich können es einige oder Kommentare zur unmittelbaren Gegenwart in vergessen, daß die islamische Wissenschaft z. B. Leute sehr erbaulich finden, daß der sogenannte der kapitalistischen Gesellschaft handelt. Sehr gut in Bereichen der Medizin, Mathematik und Astro- Dauerkrieg nun endlich als wertvolle Information gefallen mir der Mix aus nationaler und internatio- nomie im Mittelalter bahnbrechend war. Sarrazin im Klassenkampf der vereinigten Linkskräfte auch naler Politik und vor allem die Tatsache, daß der hat sicher nichts dagegen, daß die Schecks, die im „RotFuchs“ aufgeschlagen ist. Allerdings hätte Gedanke des proletarischen Internationalismus er für sein Machwerk erhält, mit arabischen Zahlen es die journalistische Sorgfaltspflicht zumindest ständig wachgehalten wird. ausgefüllt werden. Es ist kein Zufall, daß der größte geboten, auch folgende Tatsache zu vermitteln: Eine Von dieser Idee sind auch die jährlich Ende August Teil der Menschheit – und sicher auch er – heute Sprecherin von Meckels Büro teilte schon vor über in Mala Upa stattfindenden tschechisch-deutsch- mit ihnen rechnet. einem Jahr mit, daß ihr Chef seinen Hauptwohnsitz polnischen Freundschaftstreffen geprägt. 2010 Übrigens sollte sich Sarrazin einmal mit seinem eige- in Mahlendorf inzwischen zugunsten eines anderen befanden sich unter den Teilnehmern die Enkeltochter nen Familiennamen beschäftigen. Dieser leitet sich in seinem Wahlkreis aufgegeben habe. Zuvor hatte Ernst Thälmanns und Kubas Geschäftsträgerin in etymologisch nämlich vom Wort Sarazenen ab. Im der „Zaunlattenstreit“ mit einem Vergleich geendet, Prag. Dieter Ammer, Chemnitz Mittelalter bezeichnete man Menschen muslimischer wie dieses Konfliktpotential mit Meckels Wegzug ohnehin gegenstandslos geworden ist. Insoweit Ich bin vor etwa zwei Jahren der Partei Die Linke Herkunft so. Auch aus dem Sabäischen leitet sich „lodert“ („RotFuchs“) also nichts mehr! beigetreten, weil ich Antworten auf viele Fragen der Name ab. Die Sabäer waren ein semitisches Dieter Hornung, Berlin suche. Ich war ein normaler DDR-Bürger, gehörte Volk, das auf der arabischen Halbinsel im heutigen keiner Partei an und stand dennoch jeden Tag Jemen lebte. Unser Islamexperte Thilo Sarrazin Eine kurze Bemerkung zum Leserbrief von Dr. Kurt mitten im Leben, ohne Angst, zwar mit Sorgen um dürfte also ein Nachfahre arabischer, muslimischer Laser im Oktober-RF: Eigentlich ist es mir egal, die Gesundheit und familiären Problemen, aber Einwanderer sein. Willkommen in Deutschland, welche Note Angela Merkel während ihres Studiums immer in der Gewißheit: Ich bin niemals allein. Thilo! Ulrich Guhl, Berlin Seite 32 RotFuchs / Dezember 2010

Am 10. Dezember um 16.30 Uhr führt die RF-Regionalgruppe Berlin eine

öffentliche Mitgliederversammlung in „Victors Residenzhotel“, Am Friedrichs- hain Nr. 17 (früherer Standort des Saalbaus Fr.), durch. Es spricht der Vorsitzende des RF-Fördervereins Rolf Berthold. Verkehrsverbindung: Bus 200 vom Alexan- derplatz aus

Am 11. Dezember um 10 Uhr ist RA Ralph Dobrawa, Gotha, bei der RF-Regionalgruppe Dresden in der „Dro- genmühle“ Heidenau, Dresdner Straße 26, zu Gast. Er spricht über das Thema

Jugend heute – Fechten’s die Enkel besser aus?

Am 15. Dezember um 15 Uhr findet die Jahresabschlußveranstaltung der RF-Regionalgruppe Bautzen/Ober- lausitz für Mitglieder und Leser im Klub des Unabhängigen Seniorenverbandes, Bautzen, Löhrstraße 33, statt. Es spricht Prof. Dr. Dr. Roland Strietzel über das Thema

Vom Himmel hoch, da kommt es her – moderne Leit- und Überwachungs- systeme aus dem Weltall

Am 16. Dezember um 14 Uhr spricht der stellvertretende Vorsit- zende des Fördervereins Wolfgang Dockhorn auf einer Veranstaltung der RF-Regionalgruppe Magdeburg im Kulturraum der Autowerkstatt Opitz, Kühleweinstraße 1, über das Thema

20 Jahre nach dem Anschluß der DDR an die BRD – Bilanz und Ausblick

Wachstum im Schutz einer Mauer Grafik von Klaus Parche

Der im Februar 1998 gegründete „RotFuchs“ ist eine von Parteien unabhängige kommunistisch-sozialistische Zeitschrift. Herausgeber: Künstlerische Mitarbeit: Autorenkreis: Prof. Dr. Hans Heinz Holz „RotFuchs“-Förderverein e.V. Dieter Eckhardt, Heinz Herresbach, Dr. Matin Baraki Hans Horn Klaus Parche, Heinrich Ruynat, Renatus Schulz Chefredakteur: Rolf Berthold Dr. Klaus Huhn Dr. Klaus Steiniger (V.i.S.d.P.) Dr. Manfred Böttcher Dr. Hans-Dieter Krüger Versand und Vertrieb: Rudi Kurz Karin Dockhorn Rheinsteinstraße 10, 10318 Berlin Dr. Vera Butler (Melbourne) Anna-Louisa-Karsch-Str. 3, 10178 Berlin Tel. 030/561 34 04 Wolfgang Clausner Wolfgang Mäder Tel. 030/2 41 26 73 Bruno Mahlow Mail: [email protected] Prof. Dr. Götz Dieckmann [email protected] Dr. Bernhard Majorow oder Sonja Brendel (Redaktionsadresse) Dr. Rudolf Dix Wolfgang Metzger Tel. 030/5 12 93 18 Ralph Dobrawa Prof. Dr. Harry Milke Bruni Büdler, Hans Ludwig, Harry Sekretärin: Karin Großmann Dieter Fechner Schreyer, Peter Barth u. v. a. m. Frank Mühlefeldt Layout: Rüdiger Metzler Dr. Peter Fisch Finanzen: Jürgen Thiele Prof. Dr. Werner Roß Bernd Fischer Wartenberger Str. 44, 13053 Berlin Herstellung: Druckerei Bunter Hund Walter Ruge Tel. 030/981 56 74 Peter Franz Karl Schlimme Unser Konto: Internet: www.rotfuchs.net Günter Freyer Gerhard Schmidt „RotFuchs“-Förderverein Internet-Präsentation und akusti- Prof. Dr. Georg Grasnick Prof. Dr. Horst Schneider Kto.-Nr.: 2 143 031 400 sche Ausgabe (für Sehbehinderte): Ulrich Guhl Joachim Spitzner Berliner Sparkasse Sylvia Feldbinder Dr. Ernst Heinz Fritz Teppich BLZ: 100 500 00 Dr. Dieter Hillebrenner Dr.-Ing. Peter Tichauer Für Einzahler im Ausland Redaktionsschluß ist jeweils IBAN: DE 27 1005 0000 0220 1607 59 Manfred Hocke Prof. Dr. Zbigniew Wiktor (Wrocław) der erste Tag eines Monats. BIC: BELADEBEXXX Die Mitarbeit weiterer Autoren ist erwünscht. Die in namentlich gezeichneten Beiträgen zum Ausdruck gebrachten Auffassungen müssen nicht mit denen der Redaktion übereinstimmen.