Funktionsnatur. HS 2014 V10 Von Der Gartenstadt Zum Abstandsgrün
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theory lab lecture series Funktionsnatur. HS 2014 V10 Von der Gartenstadt zum Abstandsgrün Ein zentrales Anliegen der Reformbewegungen an der Schwelle zum 20. Jahrhundert ist die Rückführung des Menschen in die Natur, an der er körperlich und moralisch genesen soll, um eine neue, bessere Gesellschaft zu schaffen. Soziale Visionäre und bürgerliche Pragmatiker gehen eine reformerische Allianz ein. Letztere versprechen sich von einer stärker an sozialen Aspekten orientierten Durchgrünung der Stadt grössere gesellschaftliche Stabilität. Gartenstadtkonzeptionen, wie die von Theodor Fritsch oder Ebenezer Howard, fordern wirtschaftlich eigenständige Trabantenstädte im Grünen. Neben diesen neuen Gartenstädten gewinnt auch der Kleingarten sowie eine neue Generation von Volksparks an Bedeutung. Städtisches Grün soll – so das Credo der Reformer – planmässig in der Stadt verteilt sein, aktiv benutzbar sein (für Schema der Gartenstadt. Ebenezer Howard, Sport und Spiel, passive Erholung, Selbstversorgung) sowie architektonisch organi- 1898. In: Howard: «ATomorrow - A Peaceful Path to Real Reform», London 1898, S. 158 siert sein. Mit dem Ersten Weltkrieg geht die alte politische und soziale Ordnung Europas unter. Auf den Schock des Massensterbens durch neue Kriegstechnik folgen wirtschaftliche und politische Krisen. In dieser Zeit des «endlosen Wirbels» (Karl Jaspers) nimmt der Garten eine besondere Rolle ein. Der Widerspruch zwischen einer hochtechnisierten Zivilisation und ihrer sentimentalen Natursehnsucht sollte in ihm aufgelöst werden. In ihm sollte ein Stück traditionelle Kulturlandschaft in die industrialisierte Welt hinübergerettet werden. Hier sollte das Individuum Kraft schöpfen können, um in der Massengesellschaft zu bestehen. Die Aufl ösung derartiger Gegensätze gehört zur programmatischen Vision des ‚Wohngartens‘ der Moderne und seiner gärtnerischen Darstellung von Kulturlandschaft und Wildnis. Auch auf städtebaulicher Ebene wird ein Paradigmenwechsel vollzogen: Dem Leitbild der Gartenstadt folgt das Leitbild der Stadtlandschaft mit ihren informellen, fl iessenden Grünfl ächen. Im Zuge der Moderne- kritik werden die Grünfl ächen der Nachkriegsmoderne zwar pauschal als ‚Abstands- grün‘ stigmatisiert. Inzwischen werden jedoch viele der multifunktionalen Grossland- schaften jener Zeit als wichtige Beiträge zum Siedlungsgrün anerkannt. © Johannes Stoffl er 2014 «Lichtgebet» des Malers Fidus, 1910. www.girot.arch.ethz.ch www.facebook.com/LandscapeArchitectureETHZurich Landschaftsarchitektur HS 2014 Seite 01 Literatur: Mader, Günter: Gartenkunst des 20. Jahrhun- derts. Garten- und Landschaftsarchitektur in Deutschland, Stuttgart 1999. Stoffler, Johannes: „Siedlungsgärten des 20. Jahrhunderts in Basel und Umgebung“, In: Icomos Schweiz (Hg.), Gartenwege der Schweiz, Band 2, Baden 2013, S. 7–20. Weilacher, Udo: „Zwischen Naturalismus und Minimalismus“, In: Bund Schweizer Landschafts- architekten (Hg.), Landschaftsarchitekturführer Schweiz, Basel, Berlin, Boston 2002, S. 24–53. Weiterführende Literatur: Ammann, Gustav: Blühende Gärten. Erlenbach- Zürich 1955. Baumann, Martin: Freiraumplanung in den Siedlungen der zwanziger Jahre am Beispiel der Planungen des Gartenarchitekten Leberecht Migge, Halle 2002. Kaufmann Haus, Palm Springs, Richard Neutra 1946. In: Shepheard, S. 58 De Michelis, Marco: „Die grüne Revolution“. In: Mosser, Monique; Teyssot, Georges: Die Garten- kunst des Abendlandes, Stuttgart 1993. Hennecke, Stefanie: „Gartenkunst in der Stadt seit dem 19. Jahrhundert. Gestalterische und so- ziale Differenzierungen im öffentlichen Raum“, In: Schweizer, Stefan und Sascha Winter (Hg.), Gar- tenkunst in Deutschland, Berlin 2012, S. 233–250. Imbert, Dorothée: The Modernist Garden in France. New Haven, London 1993. Kidder-Smith, George Everald: Switzerland buil- ds. Its native and modern architecture. New York, Stockholm 1950. Koch, Hugo: Gartenkunst im Städtebau. Berlin 1914. Migge, Leberecht: Die Gartenkultur des 20. Jahr- hunderts. Jena 1913. Rudberg, Eva: The Stockholm Exhibition 1930. Modernism’s Breakthrough in Swedish Architec- ture. Stockholm 1999. Freibad Letzigraben Zürich, Gustav Ammann und Max Frisch, 1947-49. In: Stoffler, S. 184 Shepheard, Peter: Modern Gardens. London 1953. Stoffler, Johannes: Gustav Ammann. Landschaf- ten der Moderne in der Schweiz. Zürich 2008. Treib, Marc: Modern Landscape Architecture. A critical review. Cambridge 2003. Treib, Marc: The Architecture of Landscape 1940–1960. Philadelphia 2002. Tunnard, Christopher: Gardens in the Modern Landscape. London 1938. Weilacher, Udo: Visionäre Gärten. Die modernen Landschaften von Ernst Cramer. Basel, Berlin, Boston 2000. Stadtlandschaft, Reinhold Lingner 1948. Wiegand, Heinz: Entwicklung des Stadtgrüns in Deutschland zwischen 1890 und 1925 am Beispiel der Arbeiten Fritz Enckes,“ Geschichte des Stadt- grüns, Band 2, Berlin 1981. Landschaftsarchitektur HS 2014 Seite 02.