Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in 1 100 Jahre Novemberrevolution 1918 *

_M_IA__L_INDEMANN______Die Macht in den Händen von Arbeiter- und Soldatenrä- ten, während eine jahrzehntelange dumpfe Herrschaft von Adel und Junkern, Militär und Großbourgeoisie an einem Tag zusammenbricht – das ist Revolution!

Dieser Tag ist ein Tag der Freude, und wir erinnern uns gerne wurden. Es gab immer auch Auseinandersetzungen, wie z.B. daran! Denn die Massen hatten sich in jenem November 1918 im Deutschen Metallarbeiterverband, auch hier in Mannheim, erhoben, um endlich den Frieden durchzusetzen und um die- aber sie führten nicht zur Spaltung. jenigen, die ihnen das fürchterliche Kriegsjoch, die Militärdik- tatur unter kaiserlichem Mantel, den Ausnahmezustand, den Burgfriedenspolitik Hunger, das Fehlen aller staatsbürgerlichen Freiheiten (Pres- Das wurde anders mit dem Weltkrieg: Während vorher für In- sefreiheit, Versammlungsfreiheit) beschert hatten, hinwegzu- ternationalismus und Frieden demonstriert worden war, be- fegen. Die Massen, die ArbeiterInnenklasse. Nicht unter der schlossen nun die Sozialdemokraten die Bewilligung von Führung einer Partei, sondern als spontaner Aufstand. Kriegskrediten im Reichstag. Mit der Burgfriedenspolitik ver- Die ArbeiterInnenklasse war sozialdemokratisch und ge- sprachen die Gewerkschaften den Verzicht auf Streiks und werkschaftlich geschult. Sie hatte über Jahrzehnte erlebt, wie Lohnforderungen und akzeptierten die rabiaten Anforderun- durch den solidarisch geführten gemeinsamen Kampf Fort- gen der Kriegswirtschaft. schritte zu erringen sind, wie sich ihre parlamentarischen Ver- Durch die Kriegssituation war das Deutsche Reich von sei- tretungen verankerten und ihre Organisationen mächtiger nen Rohstoff- und Lebensmittellieferanten bald abgeschnit-

Veranstaltung 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim, 9.11.2018. 2 Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim ten. Schon seit Beginn 1915 wurde die Lebensmittelversorgung Remmele schon wieder zum Kriegsdienst eingezogen. rationiert. Die breite Masse der Bevölkerung war dauernd un- Wer war dieser ? 1880 als Sohn eines terernährt. Nur Arbeiterinnen und Arbeiter in den Rüstungs- Hilfsmüllers in Ziegelhausen geboren, begann Hermann eine betrieben erhielten Lebensmittelzulagen. Der Schwarzmarkt Lehre als Eisendreher in und trat wie sein älte- blühte, die dünne Schicht der Kriegsgewinnler lebte gut. rer Bruder Adam früh in die Gewerkschaft und die SPD ein. Die ArbeiterInnenklasse war selbstbewusst. Das schloss die Über die Jugendorganisation bekam er Kontakt zu Karl Lieb- Arbeiterinnen ein, die während des Krieges in großer Zahl so- knecht und besuchte die Parteischule in 1907/1908, als wohl in der Kriegs- als auch in der Friedensindustrie eingesetzt Rosa Luxemburg dort als Dozentin tätig war. Zwei Jahre später wurden. Arbeiter und Arbeiterinnen organisierten trotz des begegnen wir ihm in Mannheim als Organisator des parteiin- Verbots gemeinsame Streiks, Lohnbewegungen, aber auch po- ternen oppositionellen Karl-Marx-Clubs, der gegen die revisio- litische Streiks wie den großen Januarstreik1918 und bildeten nistische badische SPD-Führung auftrat. Streitpunkt waren die an der Basis gemeinsame Räte oder Ausschüsse mehrheitsso- Bündnisse mit bürgerlichen Parteien im Landtag. Seit dem 1. zialdemokratischer und unabhängiger ArbeiterInnen, während August 1914 musste er Kriegsdienst leisten. ihre Arbeiterorganisationen ständig bemüht waren, die Bewe- gung zu dämpfen. Vor der Revolution In den Monaten vor der Revolution warnten Gewerkschaften Das rote Mannheim und SPD die ArbeiterInnen, aufkeinen Fall zu streiken oder zu Dies alles gilt auch für Mannheim als traditionelle SPD-Hoch- demonstrieren. Mal war die Begründung, den kämpfenden burg in einem als revisionistisch verschrienen Landesverband. Truppen nicht in den Rücken zu fallen, mal war es die War- Zum sozioökonomischen Hintergrund vor dem 1. Weltkrieg: nung vor dem Chaos einer bolschewistischen Revolution nach Baden war damals ein agrarisch geprägtes Land. Fast zwei Drit- russischem Muster. Wurden einerseits solche Anweisungen tel der Bevölkerung lebten in Dörfern. Es galt Realteilung und strikt befolgt, gab es andererseits auch immer wieder Beleg- wegen der kleinbäuerlichen Struktur waren etwa zwei Drittel schaften, die ausscherten. Zum Beispiel war das bei BBC mit der landwirtschaftlich tätigen Familien aufNebenerwerb ange- anarchosyndikalistischen Kampfformen der Fall, die in Mann- wiesen. Rund ein Drittel der Belegschaften der Mannheimer heim damals immer wieder zur Anwendung kamen und die Großbetriebe lebte aufdem Land, vor allem die un- und ange- unmittelbare Durchsetzung von Forderungen zum Ziel hatten. lernten ArbeiterInnen, während die Facharbeiter eher in der Am 5. November 1918 tauchten in Straßenbahnen und Ar- Stadt wohnten. beiterpendlerzügen Flugblätter mit der Aufforderung auf, Ar- Aufdem Land wiederum war die katholische Volkspartei, das beiter- und Soldatenräte zu bilden. Die dort verbreitete Parole Zentrum, sehr stark. Bei den Reichstagswahlen, bei denen nur die lautete: Es lebe die sozialistische Republik! Männer wählen durften, erhielt das Zentrum Anfang des Jahrhun- Anton Geiß, Vorsitzender der Mannheimer und der badi- derts die meisten Stimmen in Baden, erst vor dem Ersten Welt- schen Sozialdemokratie, berichtete später: „In diesen Tagen hat krieg wurde es von den Liberalen überflügelt. Die SPD war vor sich in Mannheim unter der Arbeiterschaft eine gewaltige Gä- allem in den Städten stark und in deren nächster Umgebung. rung gezeigt, namentlich in Fabriken von Benz, Lanz u.a., wel- Der Reichstagswahlkreis Mannheim war der SPD seit 1890 che Tausende von Arbeitern beschäftigen, die sich mit Politik fast durchgehend sicher. Sozialdemokratische Sportvereine, die betätigen und von Werkstatt zu Werkstatt gehen, von Arbeits- Freireligiösen, die Naturfreunde – das sozialdemokratische Mi- platz zu Arbeitsplatz. Wir haben gefunden, dass die radikalen lieu war in den städtischen Arbeiterquartieren – Schwetzinger Elemente daran sind, einen Generalstreik vorzubereiten, und Vorstadt, Lindenhof, Jungbusch, Neckarstadt, Waldhof, aber zwar deshalb, weil in Baden nichts geschehe“, während im auch Käfertal und Feudenheim – allumfassend organisiert. Reich bereits die Demokratisierung eingeleitet werde. Und gerade hier in Mannheim hatte man besonders früh ange- fangen, in der Stadtverordnetenversammlung und im Stadtrat Arbeiter- und Soldatenrat mitzuarbeiten, nämlich seit 1878. Soldaten ergriffen auch in Mannheim am 9. November die In- itiative und besetzten Bahnhof, Post und Rathaus. Sie verhandel- Spaltung derSPD ten mit dem Generalkommando und versicherten sich, dass Die Kriegspolitik der SPD und der Gewerkschaften riefdie dieses nicht eingreifen würde. Sie gründeten mit Mitgliedern der Spaltung hervor. Im April 1917 meldete der Metallarbeiter USPD einen vorläufigen Arbeiter- und Soldatenrat, während die Hermann Remmele die Gründung einer Ortsgruppe der Un- Mannheimer Mehrheitssozialdemokraten einen Wohlfahrtsaus- abhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) beim Be- schuss mit Vertretern aller Parteien und Gewerkschaftsfunktio- zirksamt Mannheim an. Beim Januarstreik 1918 mit rund nären ins Leben riefen – wie ihre Karlsruher Genossen. 15.000 Streikenden wurde der Streikausschuss schon paritä- Die Karlsruher bildeten dann am nächsten Tag auch gleich tisch aus Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) und USPD ge- eine vorläufige Volksregierung für Baden aus Mitgliedern der bildet. Die Streikenden forderten Frieden ohne Annexionen, MSPD und der bürgerlichen Parteien. Damit hatten nur Baden das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die Einführung der und Württemberg eine aus sozialdemokratischen und bürger- parlamentarischen Demokratie, staatsbürgerliche Freiheiten, lichen Parteien gemischte vorläufige Volksregierung. Als Mi- Wiederinkrafttreten der Arbeiterschutzgesetze, keine Ein- nisterpräsident wurde in Baden Anton Geiß gewählt. schränkung gewerkschaftlicher Rechte sowie die Verbesse- In Mannheim war jedoch am 10. November der Wohlfahrts- rung der Ernährungslage. Zu dieser Zeit war Hermann ausschuss von der Bühne verschwunden, stattdessen wurden Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim 3 vormittags Vertrauensleutewahlen zum Arbeiter- und Solda- Allerdings konfliktfrei war die Praxis des Arbeiterrats nicht. So tenrat abgehalten, nachmittags tagte dieser zum ersten Mal: 25 beschlagnahmte er regelmäßig Lebensmittel in Betrieben und bei Mehrheitssozialdemokraten, 25 Unabhängige als Delegierte der Vermögenden, griff bei der Verteilung von Heizmaterial und ArbeiterInnen und 20 Soldaten. Die einstimmige Entschlie- Wohnungen ein, auch gegen die Anweisungen mehrheitssozial- ßung dieser ersten gemeinsamen Sitzung lautete: „Der Arbei- demokratischer Führungen, der badischen Landeszentrale der ter- und Soldatenrat der Stadt Mannheim schlägt den […] Arbeiterräte und des Zentralrats der Arbeiter- und Soldatenräte Arbeiter- und Soldatenräten der größeren badischen Städte vor, in Berlin. sofort die nötigen Schritte zu tun, um Baden als sozialistische Ab 30. November lag Mannheim in der entmilitarisierten Zo- Republik zu proklamieren und die Bildung einer Volksregie- ne, Soldaten durften sich hier nicht mehr aufhalten. Daher rung in die Wege zu leiten. Der Arbeiter- und Soldatenrat gibt schieden die Soldaten aus dem Arbeiter- und Soldatenrat aus, er sich der Überzeugung hin, daß die seitherigen Regierungsstel- hieß fortan Arbeiterrat. Vorsorglich hatte der Arbeiter- und Sol- len im Geiste der neuen Formen ihre Geschäfte weiterführen datenrat zuvor bereits eine Volkswehr gebildet, 300 ausgesuchte werden, natürlich unter Kontrolle und Aufsicht der berufenen Genossen und weitere 700 Schutzmänner, die der Polizei ange- Organe des Arbeiter- und Soldatenrats.“ (Volksstimme vom 11. gliedert wurden. November 1918, Hervorhebungen im Original.) Noch im November hatte der Mannheimer Arbeiter- und Sol- Der Arbeiter- und Soldatenrat wählte einen Militärbefehlsha- datenrat die badischen Arbeiter-, Soldaten- und Volksräte zu ei- ber und einen Vollzugsrat, dem drei Mehrheitssozialdemokraten, ner Landesversammlung am 21./22. November 1918 nach drei Unabhängige und vier Soldaten angehörten. Hermann Rem- Mannheim eingeladen. Hier erschienen über 1.000 Delegierte mele rückte noch am Nachmittag nach, weil einer der Gewähl- aus 70 Orten. Sie erklärten sich zum Vorparlament der freien ten, AdolfSchwarz, Minister für die USPD in Karlsruhe wurde. Republik Baden (nicht: der sozialistischen!) und wählten einen Der Vollzugsausschuss veröffentlichte am 12. November fol- Landesausschuss der Arbeiterräte, der aus MSPD und USPD be- gende Bekanntmachung: „Die staatlichen und städtischen Be- stand. Aus diesem wurde eine drei-köpfige Landeszentrale ge- hörden in Mannheim arbeiten unter der Aufsicht des Arbeiter- wählt, die nur aus Mehrheitssozialdemokraten bestand und als und Soldatenrats. Sie sind nunmehr im Namen des Volkes tätig. Kontrollorgan der vorläufigen Volksregierung fungieren sollte. Ihren Anordnungen ist Folge zu leisten. […] Eine Unterbrechung Ihr gehörte an, der ältere Bruder von Hermann. der Verwaltungstätigkeit und der Rechtspflege treten nicht ein.“ Adam Remmele war Stadtrat der MSPD in Mannheim und Re- Der Arbeiter- und Soldatenrat sah es zunächst als seine Auf- dakteur der Volksstimme. Er machte sich mit seinen beiden Kol- gabe an, für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Angesichts der legen aus und Pforzheim dafür stark, den Einfluss der enormen Aufgaben, die zu bewältigen waren, – Truppen- Arbeiterräte zu begrenzen und ihnen unbefugte Eingriffe in die durchmärsche (Rückzug der Westfront), Entwaffnung und Ver- Tätigkeit der Verwaltungen zu untersagen. pflegung der Soldaten, Lebensmittelversorgung der Bevölkerung, Wohnungsnot – war die Zusammenarbeit mit Wahlen zur Nationalversammlung den Behörden notwendig. So erledigte man quasi als Hilfsorgan Eine am 21. November ebenfalls angesetzte Volksversamm- der Verwaltung deren Aufgaben mit. lung in Mannheim ergab ein klares Votum für die schleunigste

Revolutionäre Demonstration in Mannheim, November1918. 4 Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim

Ausschreibung von Wahlen zur badischen Nationalversamm- Gustav Noske (MSPD) und den inzwischen gebildeten reaktio- lung, die bereits am 5. Januar 1919, also vor den Wahlen zur nären Freikorps blutig niedergeschlagen wurden. Diese Ereignis- reichsweiten Nationalversammlung stattfinden sollte. Die badi- se sind als „Spartakusaufstand“ in die Geschichte eingegangen, – schen Arbeiter- und Volksräte (fast alle hatten sich in Volksräte obwohl der Spartakusbund nur einer der Beteiligten war. umbenannt) sahen sich nicht im Gegensatz zur Nationalver- Am 15. Januar wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sammlung. Lediglich der linke Flügel der USPD, vertreten durch ermordet. An den darauffolgenden Trauerumzügen und Protest- Hermann Remmele, verlangte wenigstens eine zeitliche Verschie- demonstrationen am 17. Januar und am 7. Februar beteiligten bung, wurde aber nicht gehört. Mit der Wahl zur Nationalver- sich die Mannheimer ArbeiterInnen zu Tausenden, auch die sammlung sollten die Räte aufgelöst werden, tatsächlich wurden mehrheitssozialdemokratischen, wie Adam Remmele schreibt. sie im Spätsommer 1919 aufgelöst. Von hier an wendete sich das Blatt. Unterstützt durch eine eigene Die Bindung der mehrheitssozialdemokratischen Arbeiter an Zeitung, die TRIBÜNE, deren Redakteur Hermann Remmele war, ihre Partei hielt noch recht lange. Bei den Wahlen zur badischen konnten die Unabhängigen einen Aufschwung verzeichnen. verfassunggebenden Nationalversammlung am 5. Januar erziel- Nun war auch die zum Jahreswechsel gegründete KPD in te sie in Mannheim 50,6 % der Stimmen (fast 50.000 Wähler und Mannheim präsent. Noch war sie politisch sehr heterogen. So Wählerinnen gaben ihr die Stimme), die USPD kam nur auf4,9 wurde in ihrer Zeitung Die Rote Fahne 1919 noch regelmäßig für % der Stimmen (fast 5.000), in Baden insgesamt aufnur 1,5 %. Veranstaltungen der anarchosyndikalistischen „Freien Vereini- Insgesamt kamen die bürgerlichen Parteien in Baden auf eine gung deutscher Gewerkschaften“ geworben. Zweidrittelmehrheit in der badischen Nationalversammlung. Auch die USPD kannte da keine Berührungsängste: Für den 21. Februar hatte sie zu einer Großkundgebung in den Rosengarten Radikalisierung eingeladen mit Erich Mühsam, dem anarchistischen Dichter und Die Mehrheitssozialdemokratie konnte die Mannheimer Arbei- Aktivisten, als Hauptredner. Über 6.000 Menschen im überfüll- ter und Arbeiterinnen am 6. Januar zu einer Massendemonstra- ten Rosengarten wurden Zeuge, wie Mühsam, nachdem ihm ein tion gegen den angeblichen Putschismus des Spartakusbundes Zettel hingeschoben worden war, erbleichte und dann schrie: mobilisieren. 50.000 nahmen an dieser Demonstration teil. Poli- „Genossen, vor wenigen Stunden ist Kurt Eisner in München er- zeipräsident Eichhorn in Berlin hatte sich geweigert, gegen die mordet worden!“ Volksmarinedivision vorzugehen und wurde dafür im Januar 1919 entlassen. Das führte ab dem 5. Januar zu Massendemons- Generalstreikund Räterepublik trationen und heftigen Protestaktionen in Berlin, die dann von Die USPD, die auch die Leitung des Metallarbeiterverbandes

Mia Lindemann am 9. Novemberim Cinema Quadratin Mannheim. Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim 5 innehatte, riefzum Generalstreikauf, der auch durch die mehr- Revolution doch noch durch die Aneignung der Produktions- heitssozialdemokratischen ArbeiterInnen unterstützt wurde. mittel fortzusetzen. An der Kundgebung am darauffolgenden Tag beteiligten sich Aber auch dieser Aufstand scheiterte daran, dass die Revo- je nach Bericht zwischen 10.000 und 40.000 TeilnehmerInnen. lutionärInnen in der Minderheit waren, sie in Südwest- Hermann Remmele appellierte an die ArbeiterInnen, die No- deutschland isoliert waren und die militärische Überlegenheit vemberrevolution zu vollenden, der Redner der KPD forderte der Gegenseite gesichert war. Inzwischen sorgte auch Adam die KollegInnen auf, die Betriebe in ihre Hand zu nehmen und Remmele als badischer Innenminister dafür, dass die Revolu- sich zu bewaffnen, die Syndikalisten riefen zur direkten Aktion tionärInnen nicht mit Waffen versorgt wurden. auf. Schließlich wurde die Räterepublik proklamiert! Im Anschluss daran zog ein kleiner Teil der Demonstration, SPD und KPD etwa 1.000 Menschen, zum Schloss. Sie stürmten Gericht und Obwohl die ArbeiterInnenklasse die Einheit wollte, nahm die Gefängnis, befreiten die Gefangenen und warfen Akten und Spaltung zu. Bei den Reichstagswahlen im Juni 1920 fiel der Bilder des Großherzogs aufdie Straße. Bürgerliche Zeitungen Stimmenanteil der SPD von 50 % auf30 % in Mannheim, der und die Volksstimme wurden besetzt. Ein revolutionärer Arbei- Anteil der USPD stieg auf20,6 %. terrat setzte sich als Oberste Behörde ein. Er verbot Plünderun- Ihr kennt den Fortgang der Geschichte: Im Herbst 1920 gen und sonstige Straftaten und verhängte das Standrecht. wechselte der linke Flügel der USPD in die KPD und die KPD Aber diese Räterepublik dauerte keine 24 Stunden. Mehr- wuchs in der Weimarer Republik in Mannheim noch kräftig heitssozialdemokraten und gemäßigte Unabhängige verhandel- an. Am Ende der Weimarer Republik war sie stärker als die ten bereits über die Wiedereinsetzung des vorherigen SPD, und beide zusammen hätten die Nazis in die Schranken Arbeiterrats. Die Episode endete damit, dass im Vollzugsaus- weisen können. schuss nun die Mehrheitssozialdemokraten die Mehrheit hat- Was wurde aus unseren Protagonisten? Hermann Remme- ten. Mit ihren fünf Sitzen konnten sie nun die drei le rückte schnell ins Zentralkomitee (ZK) der KPD auf(bis Unabhängigen und den neu hinzugekommen Vertreter der 1932). Zudem wurde er Mitglied des Exekutivkomitees der KPD überstimmen. Kommunistischen Internationale (EKKI), emigrierte in die Es kam im Anschluss an die Besetzung der Volksstimme zu Sowjetunion und wurde dort im Zuge der Stalinschen Säube- einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen Mehrheitsso- rungen 1939 erschossen. Sein Sohn Helmut war bereits ein zialdemokraten und Linken um das Redaktionsgebäude. Dabei Jahr vorher von den Stalinisten ermordet worden. verlor der Leiter der Konsumgenossenschaft, Jakob Müller – Adam Remmele war bis 1932 in der badischen Regierung, Vater von sechs Kindern, sein Leben. teils als Staatspräsident, teils als Innenminister, teils als Jus- Die badische Regierung verhängte sofort den Belagerungszu- tizminister. Die Nazis überführten ihn in einem Schautrans- stand und forderte militärische Verbände an, die zur Aufstands- port zusammen mit seinem Parteigenossen Ludwig Marum bekämpfung auch schon im Ruhrgebiet eingesetzt worden waren. ins KZ Kislau bei Bruchsal. Er wurde dort – im Gegensatz zu Das berüchtigte Freikorps Pfeffer stand bei Seckenheim. Es wur- Marum – nach einem Jahr wieder entlassen und überlebte in de aber glücklicherweise nicht eingesetzt, da Mannheim – wie es . Marum, als Sozialist und Jude, wurde erhängt. hieß – ruhig sei. Die Vereinigung der Angestellten kabelte den- Adam und Hermann Remmele waren zeitweise Reichstags- noch an die Regierung ihren Protest gegen die Vergewaltigung abgeordnete und wurden als die feindlichen Brüder bezeich- der Stadt Mannheim durch den Militarismus. net. Sie sollen sich nicht einmal mehr gegrüßt haben. Einigungsbewegung für Sozialisierung Sieg der Konterrevolution Eine wohl von der USPD angetriebene Einigungsbewegung Aber zurück zur Novemberrevolution: Was waren nun eigent- des Proletariats in den Betrieben wählte im März 1919 einen lich die Haupt-Konflikte, die das Scheitern der Novemberre- aus MSPD, USPD und KPD besetzten Aktionsausschuss. Er volution aus der Sicht der Linken bedingten? erstellte ein Programm, das in den Betrieben in „unzähligen Zunächst war die Frage: Räte- oder parlamentarische Repu- Massenversammlungen“ – so die TRIBÜNE – abgestimmt blik? Die Linken wollten, dass die politische, militärische und worden sei. Darin forderte man die gesetzliche Verankerung ökonomische Macht bei den Arbeiterräten liegen sollte. Das der Arbeiter-, Soldaten-, Betriebs- und Wirtschaftsräte, die schien am Anfang auch der Fall zu sein. Aber die Räte ent- Auflösung der Freikorps und die Bildung einer revolutionären machteten sich selbst, indem der Reichskongreß der Arbeiter- Arbeiterwehr, die beschleunigte Vergesellschaftung der ge- und Soldatenräte in Berlin die schnellstmögliche Wahl einer samten Gütererzeugung, des Großgrundbesitzes, der Berg- Nationalversammlung beschloss. Die Führung der Mehrheits- werke, Verkehrseinrichtungen und Schifffahrtsgesellschaften sozialdemokraten wollte die parlamentarische Demokratie, sowie die sofortige Sozialisierung der dafür reifen Betriebe. Die- eine soziale Republik. Sie strebte letztlich einen durch Sozial- se Sozialisierungsforderung, die eigentlich eine Kernforderung reformen gebändigten Kapitalismus an und keine sozialisti- der RevolutionärInnen war, wurde in Baden kaum diskutiert. sche Räterepublik. Ein Jahr später, als es um die Abwehr des rechtsradikalen Das Gespenst bolschewistischer Diktatur wurde an die Kapp-Putsches ging, kam es wieder zur Bildung eines revolu- Wand gemalt. Aufder Führungsebene der Parteien verquick- tionären Arbeiterrats. Es wurden zudem revolutionäre Be- ten sich sozialdemokratische gegenrevolutionäre Ordnungs- triebsräte gewählt und die großen Betriebe in Mannheim vorstellungen mit reaktionären adligen und bürgerlichen wirklich besetzt. Das war ein letzter ernsthafter Versuch, die Interessen. Ihr gemeinsames Ziel war es, die Revolution nie- 6 Theoriebeilage zur Avanti² - Dezember 2018 100 Jahre Novemberrevolution in Mannheim derzukämpfen. Dies führte zum blutigen Regime der Freikorps wenn die revolutionären Massen stark genug gewesen wären. und zur Niederwerfung aller Aufstände, die die weitergehenden So war letztlich die Errungenschaft der Novemberrevolution Ziele der Revolution durchsetzen wollten. eine bürgerlich-demokratische Republik. Die reaktionäre Macht Ich halte es für zu kurz gegriffen, die Ursache in fehlender der Militärs, der Junker, der Großindustrie und des rechtsradi- Aufklärung der Massen über den Charakter des bürgerlichen kalen Nationalismus hatte sie aber bei ihrer Entstehung in der Parlamentarismus zu suchen. Denn die mehrheitssozialdemo- Revolution nicht nachhaltig in die Schranken verwiesen. Sie kratischen Funktionäre hatten durch jahrelange Mitarbeit in war deshalb von Geburt an gefährdet. Gemeinderäten und Landtagen oder dem Reichstag längst ih- Aufder Ebene marxistischer Theorie können wir sagen, ja, ren Frieden mit diesen politischen Formen geschlossen, sie Freiheit und Gleichheit entstehen in der Sphäre der Zirkulati- wollten lediglich ihre Demokratisierung. on, des Marktes, und sind nur Schein, weil sie das Kapitalver- Kernforderung der Linken war neben der politischen Macht hältnis verstecken, aber sie sind notwendiger Schein. die Sozialisierung jedenfalls der dafür reifen Industrien, des Sklavenarbeit ist unproduktiv, erst der freie Verkäufer seiner Bergbaus und des Bankensektors, wobei hier von unterschied- Arbeitskraft kann Mehrwert und letztlich Profit liefern. lichen Gruppen verschiedene Forderungen erhoben wurden. In der sozialistischen Gesellschaft wird der Mehrwert nicht Die Führung der SPD und der Freien Gewerkschaften hatten mehr privat angeeignet, sondern gehört allen. Dennoch setzt sich mit der Obersten Heeresleitung und der Schwerindustrie dies das freie Individuum voraus. Und so gehören – zumindest darauf verständigt, die Sozialisierung zu verhindern. Und so nach meiner Meinung – diese Dinge zusammen: Keine Demo- war auch die eingesetzte Sozialisierungskommission eigentlich kratie ohne Sozialismus – kein Sozialismus ohne Demokratie! eine Kommission zur Verhinderung der Sozialisierung. Eine weitere Kernforderung war die Demokratisierung des * [Vortrag auf der Veranstaltung Die Novemberrevolution Heeres und der Marine. Das Gegenteil hatte Friedrich Ebert Ge- vor hundert Jahren am 9.11.2018 in Mannheim.]  neral Groener zugesagt. Aber es wäre kein Hindernis gewesen,

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