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www.ssoar.info "Genosse Herr Minister": Sozialdemokraten in den Reichs- und Länderregierungen der Weimarer Republik 1918/19-1933 Schröder, Wilhelm Heinz Veröffentlichungsversion / Published Version Zeitschriftenartikel / journal article Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit / provided in cooperation with: GESIS - Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Schröder, W. H. (2001). "Genosse Herr Minister": Sozialdemokraten in den Reichs- und Länderregierungen der Weimarer Republik 1918/19-1933. Historical Social Research, 26(4), 4-87. https://doi.org/10.12759/hsr.26.2001.4.4-87 Nutzungsbedingungen: Terms of use: Dieser Text wird unter einer CC BY Lizenz (Namensnennung) zur This document is made available under a CC BY Licence Verfügung gestellt. Nähere Auskünfte zu den CC-Lizenzen finden (Attribution). For more Information see: Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0 https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de Diese Version ist zitierbar unter / This version is citable under: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-31331 Historical Social Research, Vol. 26 — 2001 — No. 4, 4-87 "Genosse Herr Minister": Sozialdemokraten in den Reichs- und Länderregie- rungen der Weimarer Republik 1918/19-1933 ∗ Wilhelm Heinz Schröder Abstract: This article deals with the general role of the German Social Democracy as a governing political party and especially with a collective biography of the social de- mocratic members of national („Reich“) and regional („Länder“) cabinets during the period of the Weimar Re- public. The article is divided into five chapters: (1) asks for the governing capability („Regierungsfähigkeit“) of the po- litical parties and especially of the Social Democratic Party; (2) describes the constitutional conditions of the parliamen- tary governing systems („Regierungssysteme“) on national and regional level, especially the development, function and structure of the cabinets („Reichsregierung“; „Länder- regierung“); (3) gives the necessary information about the most important results of the elections on national („Reich- stagswahlen“) and regional („Landtagswahlen“) level and about the political consequences for the formation of cabi- nets; (4) presents and discusses selected results from a col- lective biography of all 213 social democratic members of national („Reichsminister“) and regional („Landesminis- ter“) cabinets, especially the typical life course („typischer Lebenslauf“) concerning the absolutely dominating group of „Arbeiterminister“ (ministers who originally worked as skilled workers); (5) answers to the question if the social democratic ministers were sufficiently capable of governing and summarizes the special relation between the Social Democracy and the public services (“öffentlicher Dienst”) in Weimar Republic. Finally the appendix contains an anno- tated list of all examined social democratic ministers. ∗ Address all communications to: Wilhelm H. Schröder, Zentralarchiv für Empirische Sozial- forschung, Abteilung Zentrum für Historische Sozialforschung, Liliencronstr. 6, D – 50931 Köln; E-mail: [email protected]. 4 0. Einleitung Im Kaiserreich blieb die Sozialdemokratie auf Reichs- und Länderebene von jeglicher Regierungsbeteiligung ausgeschlossen, erst mit der Novemberrevolu- tion 1918 bestand die Möglichkeit und auch die Notwendigkeit, sich überhaupt und umfassend an den Reichs- und Länderregierungen zu beteiligen. Die Reichskanzler und die Reichsminister, aber auch - im Rahmen der ausgeprägt föderativen Struktur des Deutschen Reiches - die Ministerpräsidenten und Minister der Länderregierungen zählten sicherlich zu den politischen Funkti- onseliten ihrer Zeit. Darüber hinaus stellten sie - zumindest teilweise - den Kern einer sich in der Weimarer Republik auf Reichs-, aber auch auf Länder- ebene herausbildenden politischen Klasse. Der heuristische Gebrauch des in der Forschung umstrittenen Begriffes „politische Klasse“ auch für die Weima- rer Verhältnisse scheint zumindest für den Langfristvergleich geeignet. Ebenso war es gerade die Diskussion über die „politische Klasse“ in Deutschland1, die weit über die engen Grenzen der Wissenschaft hinaus in Medien und Politik geführt wurde und die nachhaltig die zentrale Rolle des politischen Personals für Funktionieren, Leistungsfähigkeit und Stabilität repräsentativ-demokra- tischer Systeme vor Augen geführt hat. Die These von der konstitutiven Rolle der politischen Führungsgruppen für die Entwicklung von demokratischen Systemen fand und findet jedoch nicht immer die ungeteilte Zustimmung der Forschung2. Für eine Soziologie z.B., die die politische Ordnung einer Gesellschaft als Ausdruck ihrer sozioökonomi- schen Strukturen betrachtet, müssen Eliten und ihre strukturellen Merkmale von zweitrangigem Interesse sein. Auch in der geschichtswissenschaftlichen Betrachtung politischer Systeme wird den gesellschaftlichen Führungsgruppen als Kollektive in der Frage nach den entwicklungsbestimmenden Faktoren relativ geringe Aufmerksamkeit geschenkt. Bei der Analyse der Entwicklung politischer Systeme dominieren neben verfassungs-, sozial-, kultur- und wirt- schaftsgeschichtlichen Ansätzen vor allem ereignisgeschichtliche Re- konstruktionen unter besonderer Betonung der Rolle einzelner führender Per- sönlichkeiten. Die Struktur und das Verhalten von Eliten als Kollektive werden - dies läßt sich z.B. an der Historiographie zur Weimarer Republik deutlich ablesen - dagegen sehr häufig nicht als eigenständige, erklärungskräftige Fakto- ren des historischen Entwicklungsgangs ins Blickfeld der Analyse gerückt. 1 Der „moderne“ Begriff der "politischen Klasse" wird in der Bundesrepublik besonders seit Beginn der 1990er Jahre in der Forschung kontrovers diskutiert, siehe u.a.: Klingemann / Stöss / Weßels (1991); Leif / Legrand / Klein (1992); v. Beyme (1993); Golsch (1998); Bor- chert / Zeiß (1999); Klages (2001). 2 Zur - ebenfalls umstrittenen - Eliteforschung in der Bundesrepublik vgl. exemplarisch den Sammelband aus dem Kontext der "Potsdamer Elitestudie": Bürklin / Rebenstorf u.a. (1997); vgl. aus dem Kontext des ZHSF-Forschungsbereichs „Parlamentarismus-, Eliten- und Bio- graphieforschung“ Schröder / Weege / Zech (2000). 5 Demgegenüber können kollektivbiographische, besonders auf quantitativen Methoden basierende Untersuchungen die These von der strategischen Bedeu- tung politischer Eliten für die Etablierung und Bestandssicherung repräsentati- ver Demokratien untermauern3. An diese kollektivbiographischen Untersu- chungen knüpft die vorliegende Studie zu den sozialdemokratischen Regie- rungsmitgliedern an.4 Reichs- und Landespolitik in Weimar wurden nicht nur geprägt von verfas- sungsmäßigen Strukturen und Institutionen, von wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Sachzwängen etc., sondern eben auch wesentlich durch die regie- renden Politiker und ihre persönlichen Leistungen. Entgegen der objektiv fest- stellbaren hohen Bedeutung des Regierungspersonals und der damit meist verbundenen zeitgenössischen subjektiven Prominenz sind Leben und Werk, selbst die bloßen Namen der Weimarer Regierungsmitglieder (nicht erst seit) heute weitestgehend vergessen. Dieses Vergessen beginnt schon auf der Ebene der vier sozialdemokrati- schen Reichskanzler: während Friedrich Ebert, der nur sehr kurz als Reichs- kanzler amtierte, zumindest als Reichspräsident in Erinnerung blieb, kennt man den „Reichsministerpräsidenten“ Philipp Scheidemann meist nur noch als denjenigen, der von einem Fenster des Reichstages am 9. November 1918 die Republik ausgerufen hat. Dagegen kennt man von Gustav Bauer und Hermann Müller, den beiden anderen sozialdemokratischen Reichskanzlern und mehrfa- chen Reichsministern, meist nicht einmal den Namen mehr. Dies setzt sich auf der Ebene der insgesamt 19 sozialdemokratischen Reichsminister (einschließ- lich der Volksbeauftragten) fort: wer kennt noch z.B. Gustav Noske (Wehr), Rudolf Wissell (Wirtschaft, Arbeit), Robert Schmidt (Vizekanzler, Wirtschaft), Karl Severing (Inneres, auch in Preußen), Dr. Adolf Köster (Auswärtiges), Dr. Gustav Radbruch (Justiz) oder Dr. Rudolf Hilferding (Finanzen)? Das Vergessen betrifft in noch stärkerem Maße die Mitglieder der Länder- regierungen. Wer kann sich heute wohl noch erinnern an Heinrich Drake (Lip- pe), Heinrich Deist (Anhalt)5 oder selbst Otto Braun (Preußen), jene drei sozi- aldemokratischen Regierungschefs mit den längsten Dienstzeiten in der Wei- marer Republik? Nicht zu reden von anderen zu ihrer Zeit bekannten sozialde- mokratischen Staats- bzw. Ministerpräsidenten mit kürzeren Amtszeiten wie Wilhelm Blos (Württemberg), Wilhelm Buck (Sachsen), August Frölich (Thü- ringen), Johannes Hoffmann (Bayern), Dr. Heinrich Jasper (Braunschweig), Adam Remmele (Baden), Johannes Stelling (Mecklenburg-Schwerin) oder Karl Ulrich (Hessen), um nur einige von den insgesamt 39 sozialdemokratischen 3 Vgl. exemplarisch: Best (1989); Best (1990); Best / Cotta (2000). 4 Diese Studie ist u.a. eine Fortführung des BIOSOP-Projektes; siehe Schröder (1995). 5 Im Rahmen eines Sonderheftes zu Heinrich Deist (Sachsen-Anhalt 17, 2000) ist auch unter dem Titel „Die Sozialdemokratie als regierende Partei in den Ländern der Weimarer Repu- blik: Regierungsfähigkeit, Regierungssystem, Regierungsbeteiligung, Regierungsmitglieder“ eine Vorstudie zum vorliegenden Beitrag erschienen. 6 Länderregierungschefs der Weimarer Republik zu nennen. Die Liste der ehe- mals prominenten Namen ließe sich fortsetzen. Das, was für die Regierungs- chefs schon gilt, gilt für die „bloßen“ Minister