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Adam REMMELE

BIOGRAPHIE

11-3 Adam Remmele : ein Leben für soziale Demokratie / Günter Wimmer. - Ubstadt-Weiher [u.a.] : Verlag Regionalkultur, 2009. - 530 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 978-3-89735-585-9 : EUR 24.80 [#1855]

Der 17. Mai 1933 muß als einer der Tiefpunkte der badischen Geschichte angesehen werden. An diesem Tag veranstalteten die Karlsruher National- sozialisten eine "Schaufahrt", auf der sechs ehemals führende SPD- Funktionäre von einer grölenden Menge verhöhnt und anschließend ins KZ Kislau deportiert wurden. Unter den sechs Sozialdemokraten befand sich einerseits Ludwig Marum, der in den Jahren der Weimarer Republik als Ju- stizminister und Staatsrat dem badischen Kabinett angehört hatte und der nicht nur als Sozialdemokrat, sondern auch als Jude den Nationalsozialisten besonders verhaßt war und nur wenig später auf bestialische Art und Weise von den Schergen des NS-Regimes ermordet wurde. Kaum weniger ver- haßt war den Nationalsozialisten Adam Remmele, zu dessen Verhöhnung - Remmele war gelernter Müller - während der Schaufahrt immer wieder das Müllerlied angestimmt wurde. Die Erinnerung an Ludwig Marum wird insbesondere seit 1988 gepflegt - seitdem wird u.a. auf Initiative von Günter Wimmer jeweils im November der Ludwig-Marum-Preis vergeben, mit dem Personen ausgezeichnet werden, die sich entweder für Toleranz und Gewaltlosigkeit eingesetzt oder sich in- tensiver mit der Geschichte Karlsruhes in der NS-Zeit beschäftigt haben. Daneben sind eine ganze Reihe von biographischen Arbeiten zu Ludwig Marum erschienen1 - anders zu Adam Remmele, mit dem sich bisher nur

1 Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und das Ringen um eine offene pluralisti- sche Gesellschaft : Tagung anläßlich des 100. Geburtstages von Ludwig Marum ; am 3. November 2007 in Karlsruhe ; [Dokumentation] / veranstaltet vom Fritz- Erler-Forum - Stuttgart : Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg, [2007]. - 63 S. : Ill. - (Forum Ludwig Marum). - Marum : Mensch, Politiker, Opfer ; Ausstellungskata- recht wenige Arbeiten, so ein Aufsatz in der Reihe Badische Biographien2 und schließlich eine kleine, dafür aber sehr gelungene, Würdigung durch Hans-Georg Merz im Rahmen einer Studie zu führenden badischen Politi- kern im 20. Jahrhundert beschäftigen.3 Eine wirklich umfangreiche Darstel- lung zum Lebensweg Remmeles liegt bisher nicht vor. Damit teilt Remmele das Schicksal vieler badischer Politiker der Weimarer Zeit, zu denen entwe- der noch keine biographischen Studien vorliegen4 oder solche erst in den letzten Jahren erschienen sind.5 Wer war nun Adam Remmele? Einen überaus knappen Überblick über die Lebensleistung Adam Remmeles gibt der Nachruf seines Freundes Harry W. Blumenstock, der in der Zeit des Dritten Reiches aus Karlsruhe emigrieren mußte und der sich am 14. September 1951 in einem Kondolenzschreiben an die Familie Remmeles in Karlsruhe wandte. Wimmer hat diesen der For- schung zugänglich gemacht und am Ende seines Bandes an Stelle eines Nachwortes abgedruckt. - Aus diesem Schreiben soll im Folgenden daher immer wieder zitiert werden. Doch zunächst zur Herkunft Remmeles: Dieser wurde am 29. Dezember 1877 in der Altneudorfer Mühle im südlichen Odenwald geboren. Sehr ein- gehend schildert Wimmer die alltäglichen Sorgen und Probleme der Familie Remmele ebenso wie die Probleme des Müllerhandwerkes an der Wende

log / Landesarchiv Baden-Württemberg; Universität Karlsruhe (TH); Forum Ludwig Marum; herausgegeben von Clemens Rehm, Karlsruhe 2006. - Marum : Mensch, Politiker, Opfer; Ausstellungskatalog / Landesarchiv Baden-Württemberg ... [Hrsg. von Clemens Rehm]. - Karlsruhe : Info-Verlag 2006. - [18] S. : Ill., graph. Darst. ; 21 x 30 cm. - ISBN 978-3-88190-463-6. - Ludwig Marum : ein Sozialdemokrat jüdischer Herkunft und sein Aufstieg in der badischen Arbeiterbewegung 1882 - 1919 / Monika Pohl. - Karlsruhe : Info-Verlag, 2003. - 520 S. : Ill. ; 24 cm. - (For- schungen und Quellen zur Stadtgeschichte ; 8). - Zugl.: , Univ., Diss., 2001/2002. - ISBN 3-88190-341-0 : EUR 25.00 2 Marum, Ludwig / Joachim W. Storck. // In: Badische Biographien. Neue Folge / im Auftrag der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden- Württemberg hrsg. von Bernd Ottnad. - Stuttgart : Kohlhammer. - 25 cm [2559]. - Bd. 4 (1996). - XX, 367 S. - ISBN 3-17-010731-3 : DM 48.00. - S. 198 - 202. - Rez.: IFB 99-B09-435 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz015811247rez.htm 3 Bedeutende badische Politiker des 20. Jahrhunderts / Hans-Georg Merz. // In: Baden - 200 Jahre Großherzogtum. - 1. Aufl. - Freiburg i.Br. 2008, S. 227 - 253. - Remmele, Adam / Gerhard Kaller. // In: Badische Biographien. Neue Folge / im Auftrag der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg hrsg. von Bernd Ottnad. - Stuttgart : Kohlhammer. - 25 cm [2559]. - Bd. 2 (1987), S. 225 - 228. 4 Dies gilt insbesondere für den letzten Vorsitzenden der Badischen Zentrumspar- tei Ernst Föhr, Staatspräsident Joseph Wittemann (Z) oder auch den liberalen Kul- tusminister Hermann Otto Leers. 5 Joseph Wirth : 1879 - 1956; eine politische Biographie / Ulrike Hörster-Philipps. - Paderborn, 1998. - Reichskanzler Konstantin Fehrenbach : eine Biographie / Astrid Luise Mannes. - Berlin, 2006. - Willy Hellpach (1877-1955) : Biographie eines liberalen Politikers der Weimarer Republik / Claudia-Anja Kaune. - Frankfurt am Main, 2005. zum 20. Jahrhundert. Remmele erlernte den väterlichen Beruf in Ludwigs- hafen, wo er auch mit dem Gedankengut und den Forderungen der Sozial- demokratie in Kontakt kam. Hier hat Remmele auch seine weitere politische Prägung erhalten, wobei u.a. der rote Pfalzgraf, Franz Josef Ehrhart, als einer der Lehrmeister Remmeles dem Leser vorgestellt wird. Dieser saß "als roter Hecht im nationalliberalen Karpfenteich" des Ludwigshafener Stadtrates (S. 31) und profilierte sich als "Exponent einer stärker reformi- stisch ausgeprägten Strömung in der Partei" (S. 32), wobei es Ehrhart ge- lang, Anerkennung nicht nur innerhalb der eigenen Partei, sondern selbst bis in bürgerliche Kreise hinein zu gewinnen. In seinen Fußstapfen entwik- kelte sich Remmele "schon ab der Jahrhundertwende zum Pragmatiker" (S. 51). Wenig Verständnis zeigte Remmele dabei für theoretisch aufgeladene Debatten, vielmehr war für ihn schon in "die Sorge für die Verbesserung des Lebensstandards und der Bildung seiner Arbeiterkolle- gen wichtiger gewesen als das Führen langer und fruchtloser Debatten" (S. 52 - 53). Auf die Lehre in Ludwigshafen folgte die dortige Tätigkeit als Leiter des städtischen Arbeitsamtes. Freilich stieß die Ernennung Remmeles in bürgerlichen Kreisen zunächst auf Widerstand, gleichwohl konnte Remmele gerade wegen seiner unpolemischen und pragmatischen Art seine Kandida- tur für dieses Amt durchsetzen und wurde schließlich allgemein akzeptiert. Gleichzeitig beginnt in diesen Jahren das Engagement Remmeles in den Konsumgenossenschaften - ein Engagement, das er sein ganzes Leben fortsetzen sollte. Zugleich war Remmele in der Müllergewerkschaft tätig, bis er schließlich im Jahr 1906 auf dem Posten eines Hauptgeschäftsführers der Müllergewerk- schaft, die ihren Sitz in Altenburg hatte, wechselte und zugleich als Redak- teur der Müllerzeitung tätig war. Gerade dieser Abschnitt in der Biographie Wimmers ist überaus lesenswert. Auch hier gibt der Autor Einblicke in inter- ne Auseinandersetzungen innerhalb der Müllergewerkschaft und stellt Remmele als Exponenten des rechten, reformistisch geprägten Partei- bzw. Gewerkschaftsflügels vor. Noch vor dem Ersten Weltkrieg kehrte Remmele jedoch in die Main-Neckar-Region zurück. Ab 1908 ist er einer der Redak- teure der Mannheimer Volksstimme. In dieser Funktion beschäftigt sich Remmele insbesondere während des Ersten Weltkrieges mit Fragen der Lebensmittelversorgung und bemüht sich um eine schrittweise, aber doch konsequente Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage der Mannheimer Arbeiterschaft. War Remmele bis dahin ein, wenn auch schon nicht mehr ganz unbedeu- tender, SPD-Funktionär gewesen, so tauchte er "wie ein Meteor" (S. 479), um in den Worten Blumenstocks zu sprechen, am 9. November 1918 in der Geschichte Badens auf. An diesem Tag wandte sich der Landsturmmann Remmele in Villingen an seine Kameraden: "Sie hören von ihm in seinen klaren, hämmernden Sätzen, zum ersten Mal die volle, nackte, nüchterne Wahrheit über die Lage des deutschen Volkes in jenem tragischen Augen- blick. Während die bürgerlichen Offiziere ratlos sind und weinen, mahnt der alte Gewerkschaftler zur Ruhe, Besonnenheit und Ordnung!" (so Blumen- stock, S. 479) Tatsächlich hat Remmele bei der Bildung der ersten badi- schen Republik in den Monaten ab November 1918 zunächst als Arbeiter- und Soldatenrat bzw. schon bald in der Landeszentrale der Arbeiter- und Soldatenräte eine ganz zentrale Rolle gespielt: Als Mitglied des "Dreieraus- schusses" der Landeszentrale der Arbeiter- und Soldatenräte wurde ihm das Recht eingeräumt, an Kabinettssitzungen teilzunehmen und in dieser Funktion hat sich Remmele einerseits, um nochmals mit Blumenstock zu sprechen, für das Entstehen "einer starken demokratischen Republik" (zit. S. 479) eingesetzt, andererseits sich aber auch nachdrücklich für die Wieder- einkehr von Ruhe und Ordnung und gegen jeden Radikalismus eingesetzt. Diese wichtige Aufgabe hat Remmele jedoch in der folgenden Zeit als badi- scher Innenminister wahrgenommen. Doch auch gerade darin "spiegelt sich ja die Tragik des demokratischen Sozialismus in jenen Jahren, daß auch dieser sozialdemokratische Innenminister in erster Linie Polizeiminister sein mußte. Immer wieder brandeten die Wogen des Aufruhrs gegen den jungen Staat: Räterepublik in , Lebensmittelunruhen im ganzen Land, die Auswirkungen des Kapp-Putsches, die Erschütterungen der Inflation, die Ermordung Erzbergers, Rathenaus, Orgesch, Nazis und Kommunisten Hand in Hand ... Zwischen all dem steht fest und unerschütterlich der Mini- ster Remmele mit seiner so mühsam aufgebauten Polizei. Gehaßt von Rechts und Links, der Arbeiterverräter, der Novemberverbrecher, der Blut- hund" (S. 480). Eindringlich beschreibt Wimmer die Schwierigkeiten Rem- meles in dieser Phase, den jungen demokratischen Staat zu konsolidieren und dabei konsequent gegen Extremismus von Rechts und Links vorzuge- hen. Daneben soll allerdings auch die aufbauende Tätigkeit Remmeles ge- würdigt werden. So widmet sich der Autor in einem eigenen Kapitel der von Remmele neu gefaßten badischen Kommunalordnung wie auch den Vor- schlägen des Ministers zur Reichs- und Länderreform - eine Debatte, in die sich Remmele insbesondere gegen Ende der 1920er Jahre intensiv einge- schaltet hat. Eingehend informiert wird der Leser jedoch auch über die Arbeitsweise des Ministers, genauso wie der Autor auch immer wieder Abschnitte über die privaten Lebensverhältnisse und die Familie Remmeles einstreut. Aus der badischen Landespolitik hat sich Remmele 1931 zurückgezogen - erwähnt werden muß hierbei, daß er 1929 bereits das Innenministerium aufgegeben hatte, nunmehr jedoch ein Doppelressort hatte und zugleich das Amt als Justiz- und Kultusminister innehatte. 1931 wechselte er nach , wo er eine Tätigkeit beim Zentralverband der Genossenschaften wahrnahm. Hier wurde Remmele 1933 verhaftet und - darauf wurde bereits eingangs hingewiesen - nach Karlsruhe bzw. nach Kislau verschleppt. Ne- ben der Zeit im Konzentrationslager geht die Arbeit auch eingehend auf die Jahre Remmeles in Hechthausen (bei Hamburg) nach seiner Haftentlas- sung ein und schließlich auf seine Rolle beim Wiederaufbau der Konsum- genossenschaften nach 1945. Gerade an diesem Punkt bietet es sich an, auf die Arbeitsweise Wimmers und seine mehr als großen Verdienste bei der Quellenrecherche zur Erstel- lung seines Bandes über Remmele einzugehen. Über viele Jahre war ein Nachlaß Remmele verschollen und gerade dies hat die Forschung davon abgehalten, sich intensiver mit Remmele zu beschäftigen. Günter Wimmer ist es gelungen, an Irmgard und Hannelotte Remmele sowie Rita Scheff, die Nachkommen des badischen Ministers, heranzutreten, die dem Autor eine ganze Reihe von bislang unbekannten Dokumenten zugänglich machten. Dabei wurde manches wie Wimmer erläutert, "aus einem Müllcontainer her- aus gefischt" (S. 488, Fußn. 11), sortiert und jetzt dem Badischen General- landesarchiv als „Nachlaß Remmele“ übergeben. Auch gelang es Wimmer, Kontakte mit den Mitgliedern des Heimatvereins Hechthausen aufzunehmen und bereits im Frühjahr 2008 mit diesen ein Kriegstagebuch Remmeles als Ergebnis gemeinsamer Gespräche herauszugeben. Zum Schreibstil Wimmers läßt sich feststellen, daß dieser immer wieder sehr breite Zitate von Remmele und seinen Zeitgenossen einfließen läßt. Dabei ist es sicherlich richtig, auch den Minister selbst immer wieder zu Wort kommen zu lassen. Dies hat zugleich den Vorteil, daß man auch den Privatmenschen Adam Remmele näher kennenlernt. So flechtet Wimmer beispielsweise auch für die Altenburger Zeit immer wieder breitere Tage- bucheinträge Remmeles ein. Der Leser lernt somit auch den Privatmen- schen Remmele kennen, was um so interessanter ist, als Remmele als ver- schlossen und wenig gesprächig galt. Leider ist die Arbeit sehr breit ge- schrieben, zuweilen ein wenig ermüdend. Diese Bemerkung soll jedoch in keiner Weise die Verdienste Wimmers schmälern. Er hat eine Biographie vorgelegt, die auf jahrelangen Recherchen beruht und eine bisher noch zu wenig gewürdigte Persönlichkeit der badischen Geschichte ins rechte Licht setzt. Jeder, der sich für die Geschichte der ersten badischen Demokratie interessiert, wird in jedem Fall zum Buch Wimmers greifen. Michael Kitzing

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