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Ewa Musiał

Orbis Linguarum vol. 52/2018, DOI: 10.23817/olin.52-16

Ewa Musiał (https://orcid.org/0000-0001-9285-676X) Uniwersytet Wrocławski

Carl und Gerhart Hauptmann. Das schwierige Verhältnis der beiden Brüder

Das Verhältnis der Brüder Carl und Gerhart Hauptmann wurde durch Höhen und Tiefen in der Bruderliebe geprägt. Der ältere Bruder Georg und die jüngere Schwester Johanna spielten dabei nur eine Nebenrolle. Carl und Gerhart waren enger miteinan- der verbunden, als mit den beiden anderen Geschwister, es ist auf das Alter und den fast gleichzeitigen Schulweg zurück zu führen. Aufschlussreich für die Analyse der Beziehungen sind vor allem Briefe und Tagebücher Carl und Gerhart Hauptmanns, aber auch Gerhart Hauptmanns Erin- nerungen, die er in seinem tagebuchartigen Werk Das Abendteuer meiner Jugend niederschrieb. Diese im Jahre 1937 erschienene Autobiographie lässt ein subjektives Bild der Bruderbeziehungen vorstellen und umfasst nur die ersten 26 Jahre Gerharts Leben. Die Notizen und Tagebuchblätter von Carl sind nicht vollständig publiziert, waren aber auch nicht regelmäßig und zum Thema Gerharts sehr kurz.1 Nebenbei wurden auch 300 Briefe und Erinnerungen der zweiten Ehefrau zum Gedächtnis des 75. Geburtstages Carl Hauptmanns betrachtet, die im Rahmen eines deutsch-polni- schen Editionsprojektes von mir bearbeitet wurden. Genutzt wurde auch der Text aus der Feder von Johanna Hauptmann, der zu Feier des 70. Geburtstages von Gerhart Hauptmann entstanden ist. Es scheint offensichtlich zu sein, dass die Kinderjahre der Beiden eine ruhige Phase in ihren Beziehungen waren, Carl und Gerhart hatten zwar in Salzbrunn ihre getrennten Freundeskreise, aber die gegenseitigen guten Relationen wurden dadurch nicht zerrissen. Die Kinder von Robert und Marie Hauptmann wuchsen in einem wohlhabenden Haus auf. Die Eltern, als Besitzer und Verwalter des Gasthofes Zur preußischen Krone in Salzbrunn, dem schlesischen Kurort, waren in der Saison mit ihrer Arbeit beschäftigt. In der Zeit des Hochbetriebes wurden die vier Kinder der Familie Haupt- mann von einem Kindermädchen betreut. Sie genossen vermutlich deswegen eine gewisse Freiheit, die ihnen Altersgleichen nicht immer erlebten. Die Geschwisterkonkurrenz begann vermutlich in der Schulzeit, in der der ältere Bruder Carl Erfolg hatte, Gerhart hingegen nur schwer mit dem Lernen vorankam.

1 Vgl. Anna Stroka: Gerhart Hauptmanns Beziehungen zu seinem Bruder Carl und zu Hermann Stehr. In: Białek Edward, Eugeniusz Tomiczek (Hg.): Orbis Linguarum, Vol. 24, Wrocław – Legnica: ATUT 2003, S. 89.

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Zu den schulischen Leistungen von Carl und den Misserfolgen von Gerhart kamen auch die Krankheiten Carls, durch die er eine verstärkte Zuwendung der Eltern und der Familie bekommen hat. Die schweren Lungenentzündungen, die Carl durchging, wurden auch in Gerharts Erinnerungen mehrmals thematisiert. Die schwächliche Natur Carls ließ ihn nicht daran hindern, den Bildungsweg zu bestreiten, anfangs in einer Dorfschule in dem Familienwohnort, dann in der Realschule am Zwinger in Breslau, und dann in Jena und Zürich. Er erlangte den Doktortitel und konnte eine weitere wissenschaftliche Karriere anstreben. Im Gegensatz zu Carl ging Gerharts Schul- und Bildungsweg nur schleppend voran. Als Grund dafür galt vielleicht die immer schlechter werdende soziale Position der Familie, die wegen der finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Schwester von Robert Hauptmann, den Gasthof aufgeben musste. Die Zeit der Schwierigkeiten fiel mit der Schulzeit Gerharts zusammen. Die Misserfolge Gerharts sind jedoch auch auf seine Einstellung zur institutionalisierten Bildung zurück zu führen. Schon seit immer stand im Zentrum seiner Sensibilität sein Freiheitsbedürfnis: „Er liebte immer die vollkommene Freiheit über Alles“.2 Weder auf dem Gymnasium noch in der Kunstschule in Breslau und der Akademie in oder an den Universitäten in Jena und in kam er zu einem Abschluss, auch eine Lehre zum Landwirt hat je kein positives Ergebnis.3 Carl Hauptmann soll derjenige gewesen sein, der die literarische Ader bei Gerhart entdeckte. Dieses wurde auch in den Erinnerungen der Schwester der beiden Brüder Johanna Hauptmanns geäußert. In ihrem anlässlich des 70. Geburtstages Gerharts entstandenem Text wurde niedergeschrieben:

„Carl hatte wohl am ersten die nach jeder Richtung hin hohe künstlerische Begabung Gerharts erkannt und hing unendlich an dem jüngeren Bruder. Er wusste, dass seine Aufsätze trotz mangelnder Orthographie, ausgezeichnet waren, ja, dass in einzelnen seiner Schulhefte Märchen, Gedichte und Erzählungen aller Art stände.“4

Nach langem Überlegen und Schwanken zwischen Literatur und Bildhauerei hat Gerhart Hauptmann entschieden, sich der Schriftstellerei zu zuwenden. Vor Son- nenaufgang, Einsame Menschen und Das Friedensfest erlaubten ihm die Karriere zu beginnen und machten seinen Namen sofort populär.5 Das überraschte nicht nur Gerhart, aber auch Carl:

„Vor der Wendung und Wandlung der Dinge war vor allem mein Bruder Carl irritiert. Er war es zuerst und vor allem gewesen [...], der an mich geglaubt und mich nach Kräften

2 Vgl. Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie. C.H.Beck: 2012, S. 13. 3 Vgl. Peter Sprengel: Der Künstler stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Berlin Propyläen 2009, S. 175. 4 Johanna Lotte Hauptmann: Mein Bruder Gerhart zitiert nach: Krzysztof A. Kuczyński: W krę- gu Carla i Gerharta Hauptmannów. Jelenia Góra 2018, S. 235. 5 Vgl. Gustav Erdmann: Das Haus am Hange. Carl und Gerhart Hauptmann in Schreiberhau. /O: Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte 1991, S. 1.

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gefördert hatte. Carls Liebe zu mir und meinem Wesen hatte sich in allen Formen der Protektion ausgelebt. Er war mir begeistert bis an den Rand des Felsens gefolgt, an dem ich meine Ikarus Flügel ausbreiten sollte. Und siehe, ich flog, und er blieb zu seiner Verdutzung und später zu seinem Schreck am Ufer zurück.“6

Carl Hauptmann publizierte sein erstes Werk Sonnenwanderer unter dem Pseud- onym Ferdinand Klar. Die im Jahr 1890 erschienene Skizze fand bei Gerhart, dem die Autorschaft Carls nicht bewusst war, Hochachtung und Bewunderung:

„Ich fand“, sagte Gerhart, „diese kleine, zart hingehauchte Sache ‘Der Sonnenwande- rer’, die ich gelesen hatte, ohne zu wissen, daß sie von Carl war, ausgezeichnet. Ich sagte ihm das und fügte hinzu: ‘Nun brauchst du mich nicht zu sekkieren. Du bist doch selbst ein Dichter!“7

Schon viele Jahre zuvor äußerte Carl Hauptmann in einem Brief an seine erste Ehefrau sein Verlangen nach einer „menschlicheren Wissenschaft“: „Wenn nicht der Zeitpunkt nur beinahe da wäre, ich würf alles über den Haufen und flöge einer menschlicheren Wissenschaft in die Arme.“8 Das zwischen den Brüdern um das Jahr 1890 bestehende gute Verhältnis, brachte sie zu der Entscheidung ein gemeinsames Haus zu kaufen, wo sie mit ihren Familien einziehen wollten. Eine Wanderung in das Riesengebirge ließ die Entscheidung auf Mittelschreiberhau fallen. Im Jahre 1891 bezogen Gerhart, Marie und die Kinder das neu renovierte Haus, dann auch Carl mit Martha, der ersten Ehefrau. Das Zusammenleben in dem Haus in Schreiberhau brachte schnell Missverständ- nisse und Spannungen mit sich. Einen Konflikt verursachte die Tatsache, dass der Vater – Robert Hauptmann, das Vermögen ungleich verteilte und das Haus und das Grundstück auf den Namen Gerharts eingetragen hatte. Auch die Ehekrise Gerharts und Marie hatte Einfluss auf die im Haus herrschende Atmosphäre. Dazu kam die Spannung im Bereich des Schriftstellerdaseins, das sich bei Gerhart blendend ent- wickelte und Carl nur im Schatten des Bruders leben ließ. Zum ersten Mal stand Carl im Schatten des Bruders und empfand es als überra- schend, als ihre Abhängigkeit voneinander, immer schwächer wurde. Gerhart schrieb:

„Er konnte mir damals noch nicht nachfliegen. Jahrelang ist er dann noch verzweifelt auf und ab am Rande des Felsens gelaufen, weil er nicht begreifen konnte, daß ich seiner Protektion entflogen war.“9

Beim Kauf des Hauses in Schreiberhau war „eine Neuauflage des Neid- und Eifersuchtskomplexes vorprogrammiert – nun aber mit umgekehrten Vorzeichen: Carl, der bisher Privilegierte, wird nie auch nur entfernt an den schriftstelleri-

6 Gerhart Hauptmann zitiert nach: Erdmann (wie Anm. 5), S. 1. 7 Carl F. Behl: Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann. Tagebuchblätter. München: Kurt Desch Verlag 1949, S. 190. 8 Carl Hauptmann zitiert nach: Gustav Erdmann (wie Anm. 5), S.3. 9 Gerhart Hauptmann zitiert nach: Gustav Erdmann (wie Anm. 5), S. 1.

251 Ewa Musiał schen Erfolg des Bruders heranreichen“10. Die Bemühungen Carls sich auch in der Literatur durchzusetzen, blieben anfangs unbeachtet. Als seine Publikationen häufiger wurden, wurde er als Nachahmer Gerharts bezeichnet. Dazu trugen die Thematik, das beschriebene Milieu und die literarischen Eingriffe, die die Beiden verwendeten, bei.11 Dazu kam das Empfinden, das Gerhart mit diesen Worten beschrieb:

„Aber Carl in seiner Bestürzung wollte nicht Wort haben, daß auf dem neuen Gebiet der Öffentlichkeit seine Stimme nicht das geringste Gewicht hatte und der Sinn seiner Protektion zu Ende war [...] Da bestand für ihn etwas wie eine Nabelschnur, und er wollte nicht glauben, sie sei nun zerrisse.“12

In der Erinnerung Gerharts blieb Carl im Umgang ein schwerer Mensch:

„Eine Charakteranalyse, die bei Carl eine über Hysterie hinausgehende Reizbarkeit der Nerven feststellt, hat besonderen Eindruck auf ihn gemacht. Hatte er doch selbst oft unter solchen Reizzuständen seines Bruders gelitten.“13

Die Erfolglosigkeit Carl Hauptmanns, sein schwieriger Charakter, die Kinderlo- sigkeit von Martha trugen zu der Verschlechterung der Beziehungen Carls zu seinem Bruder. Gerhart erinnerte sich dabei an das Verhalten Carls:

„Meine Söhne hatten nun leider zwei Väter, da Carl sich die Rechte des älteren Bruders nicht nehmen ließ, war ich eigentlich nur in Vertretung Vater.“14

Einige Monate nach dem Zusammenziehen deutete Gerhart in seinem Tagebuch das erste Mal an, dass das Leben unter einem Dach kein guter Schritt für die beiden Familien, aber vor allem für die Brüder war:

„Das einzig Denkbare ist: Trennung. Die Fruchtlosen, tiefzerrüttenden gegenseitigen Verwirrungen durch Reden, welche, nicht gewaltsam zerrissen, erst mit völliger Er- schöpfung der Redender enden müßten und zwischen mir und Carl gang und gäbe.“15

Wenig später, am 24. November 1891 schrieb er:

„Ich glaube nicht, daß durch das Zusammenleben in einem Hause, wie wir es jetzt betreiben, das Verhältnis zwischen uns Brüdern günstig beeinflußt wird [...] Unsere Temperamente sind verschieden.“16

10 Peter Sprengel (wie Anm. 3), S. 176. 11 Vgl. Anna Stroka (wie Anm. 1), S. 94. 12 Gerhart Hauptmann zitiert nach: Gustav Erdmann (wie Anm. 5), S. 2. 13 Carl F. Behl (wie Anm. 7), S. 78. 14 Martin Machatzke (Hg.) :Gerhart Hauptmann Notiz-Kalender 1889-1891. Frankfurt/M: Pro- pyläen Verlag 1982. 15 Martin Machatzke (wie Anm. 14), S. 339. 16 Martin Machatzke (wie Anm. 14), S. 344f.

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Das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haus machte aus den Beiden kei- ne Freunde, im Gegensatz, es trennte sie auf längere Zeit. Im Jahre 1894 wurde die Wohngemeinschaft der Brüder, auch durch die Trennung Gerharts und seiner Ehefrau, geteilt. Gerhart zog nach Berlin-, Marie und die drei Söhne nach Dresden. Carl bewohnte das Haus in Schreiberhau fast drei Jahrzehnte lang, für Gerhart war dieses Haus nur für drei Jahre eine Bleibe. Dieses veränderte nichts an der Tatsache, dass es in die Geschichte als Haus der beiden Brüder eingegangen ist und bis heute als solches auch existiert. Im Ehekonflikt Gerharts und Maries stellte sich Carl auf die Seite seiner Schwäge- rin und versuchte seinen Bruder von der Trennung abzuhalten, er appellierte an sein Verantwortungsgefühl und wollte ihn von der endgültigen Entscheidung abbringen. Gerhart war jedoch bereit, mit Margarethe Marschalk zusammen zu kommen und dafür die Familie zu verlassen. Carl Hauptmann blieb mit Martha in Schreiberhau wohnen. Bei einem Fami- lientreffen zu Weihnachten 1897 wurde ein Aussöhnungsversuch unternommen. Carl fühlte sich aber durch das von Gerhart gebrachte Geschenk verletzt. Die drei Proviantkisten, die Gerhart für Carl kommen ließ, wurden zum Ansatz eines heftigen Streits. Gerhart verließ in Folge dessen noch während der Feiertage Schreiberhau.17 Nach dem Auszug aus dem Haus in Schreiberhau begann Gerhart ein Haus für Margarethe Marschalk in Agnetendorf, den „Wiesenstein“, zu bauen. 1901 bezogen sie das Haus gemeinsam. Die Scheidung von Marie wurde erst drei Jahre später und nach ihrer Einwilligung ausgesprochen. Am 18. September 1904 heiratete Gerhart in Agnetendorf zum zweiten Mal. Carl nahm an der Feier teil.18 Die Kontakte der Familien blieben weitgehend korrekt, die Brüder trafen sich zufällig während ihrer Wanderungen und besuchten sich gegen- seitig. Doch einen Schlussstrich zwischen den beiden Brüdern zog eine Auseinan- dersetzung, nach der Gerhart „keine Möglichkeit [...] nichtmal durch Erniedrigung“, zur Versöhnung sah.19 Auch der Tod der Mutter im Jahre 1906 brachte die Brüder nicht enger zusammen. Im Jahre 1906 lernte Carl Maria Rohne in kennen, verliebte sich in sie mit Leidenschaft und wollte eine Scheidung von Martha bezwecken. Dieses wiederholte Szenario eines Ehebruchs und einer neuen Liebe brachte die Brüder wieder einmal einander näher. In den Briefen Maria Rohnes, die vor ihrer Eheschließung entstanden, ist das Interesse Carls an Gerhart zu sehen. Den Briefen zu Folge tauschten Carl und Maria Informationen über Theateraufführungen Gerharts oder Zeitungsmeldungen zu seinen Werken aus:

17 Vgl. Anna Stroka (wie Anm. 1), S. 94. 18 Vgl. Eberhard Berger, Elfriede Berger (Hg.), Carl Hauptmann. Chronik zum Leben und Werk. Stuttgart: frommann-holzboog 2001, S. 146. 19 Vgl. Anna Stroka (wie Anm. 1), S. 96.

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„Liebster, hast Du gelesen über das Stück Deines Bruders? [...] Wann wird die Premiere von Deines Bruders Stück sein? Frag ihn doch mal danach. Wenn ich es rechtzeitig weiß, bekomme ich sicher noch ein Billet.“20

Maria Rohne betonte die Freude, die Carl an den Treffen mit Gerhart hatte:

„Wie schön, daß Du mit Deinem Bruder zusammen warst und Ihr viel von einander hattet.“21

Aber es fehlte in den Briefen nicht an Bitterkeit Carls:

„Gott Du, wie traurig ist es, daß Du Dich Deinem Bruder gegenüber innerlich so fremd fühlst. Ich hab so viel darüber nachgedacht, was Du schreibst. Siehst Du nicht ein bisschen zu schwarz?“22

In dem Brief vom 18. Februar 1907 äußerte sich Maria mit diesen Worten:

„Und was hilft Erfolg! Sieh, was er aus Deinem Bruder gemacht hat. Ach, gewiß ist er schön, und unentbehrlich für die, die in ihren besten Augenblicken unmittelbar vor dem Publikum stehn, – für Dich sind ja lange neue da, ehe die Leute vor dem Früchten der vergangenen stehn. Was tut Dir das?“23

Die Gefühle Carls an Gerhart wurden zu einem Gemisch aus Liebe, Sehnsucht, Freude, aber auch dem Gefühl von Befremdung, Eifersucht und Hass. Maria und Carl wünschten sich die Anwesenheit Gerharts bei ihrer Hochzeitsfeier in Potsdam:

„Aber natürlich Du, sag es Gerhart, wenn Du meinst, daß er nicht zu ungern dabei wäre. Ich bin glücklich über alles, was herzlich und gut zwischen Euch ist.“24

Mit Enttäuschung nahmen Carl und Maria die Tatsache an, dass Gerhart nicht dabei sein konnte:

„Ja, mit Gerhart, das ist dann wohl so besser und ich hoffe, Du nimmst es nicht schwer, daß er dann nicht dabei ist, – ich meine, sind wir dann später einmal allein und gemütlich mit ihm zusammen, hat man überhaupt noch mehr davon.“

Zu der Trauung beglückwünschte Gerhart Hauptmann die Eheleute mit einem Telegramm. Die Brüder begegneten sich nicht regelmäßig, zeitweise auch sehr selten. Der Bruch in ihrer Beziehung dauerte an, man hat den Anschein, dass den Beiden die Kraft fehlte, die Kluft zwischen ihnen zu überbrücken. Das Loslassen des Anderen

20 Maria Rohnes Brief an Carl Hauptmann, Akademie der Künste (AdK) CHA K 84, 11.12.1907. 21 Maria Rohnes Brief an Carl Hauptmann, AdK CHA K 84, 21.08.1907. 22 Maria Rohnes Brief an Carl Hauptmann, AdK CHA K 84, 12.05.1908. 23 Maria Rohnes Brief an Carl Hauptmann, AdK CHA K 84, 18.02.1908. 24 Maria Rohnes Brief an Carl Hauptmann, AdK CHA K 84, 1.10.1908.

254 Carl und Gerhart Hauptmann. Das schwierige Verhältnis der beiden Brüder kam aber auch nicht in Frage. Carl Hauptmann brauchte während seiner Schaffens- zeit seine Ruhe, nahm Distanz auf, das fühlte auch sein Bruder und wurde nicht gerne Gast in Schreiberhau. Dazu kam noch die Tatsache, dass Carl in finanziellen Schwierigkeiten steckte und sich gezwungen sah, Gerhart öfters um Hilfe zu bitten. Carl Hauptmann schrieb seit 1910 keine Tagebuchnotizen, die Informationen über die Treffen der Brüder können nur anhand Gerharts Tagebücher festgestellt wer- den. Gerhart vermerkte eine Information über die Geburt Carls und Marias Tochter Monona im Jahre 1910 oder über den 60. Geburtstag Carls im Jahre 1918, bei dem Gerhart dabei gewesen war. Am 4. Februar 1921 starb Carl Hauptmann. Er wurde am 8. Februar in Schrei- berhau beigesetzt. Gerhart Hauptmann ist zu der Trauerfeier wegen einer dauernden Italienreise nicht erschienen. Das Herauskommen aus dem Schatten des erfolgreichen Bruders erwies sich als unmöglich, die Versuche blieben erfolglos. Will-Erich Peuckert, einer der Freunde Carl Hauptmanns beurteilte es folgenderweise: „denn er [Carl] hat selbst wenig über sich selbst gesagt, wie auch die wahre Bedeutung Carls für Gerhart kaum zu Genüge bekannt geworden ist“.25 Einige Jahre nach dem Tod Carl Hauptmanns versuchte seine zweite Ehefrau, Ma- ria Hauptmann (Rohne) eine Antwort auf die schwere Frage zu finden, warum Carl Hauptmann im seiner literarischen Tätigkeit nicht mehr erlangen konnte. Vorträge und literarische Treffen die Maria zu Ehren ihres Ehemannes organisierte, warfen einige Fragen auf, die sie zu beantworten versuchte. In ihren Erinnerungen an den Dichter schrieb sie damals, zum Gedächtnis seines 75. Geburtstages:

„In Diskussionen nach meinen Vorträgen über den verstorbenen Dichter tauchte öfter die Frage auf: Wie ist es nur möglich, daß das Werk Carl Hauptmanns verhältnismäßig so wenig bekannt blieb? Und wie kann man überhaupt an diese Persönlichkeit herankommen? Es gibt darauf vielerlei Antworten, vielleicht liegt auch eine Begründung in dem Werke selbst, das alles andere als leicht eingängig ist. Herausgreifen möchte ich nur folgendes: Gerhart Hauptmann. Ist sein Werk und dessen Verbreitung zu denken ohne die Tat von S. Fisch­ er, von Brahm und Schlenther? Steht nicht hinter dem tiefgründigen Dichter und Ge­ stalter der getreue Eckart Anton Kippenberg? In dieser Beziehung hat an Carl Hauptmanns literarischer Wiege keine gütige Fee gestanden. Es sind acht Verlage, mit denen er bzw. seine Erben zu tun hatten. Ein dauernder Wechsel, meist aus ganz äußeren Gründen. Kostbare Steine seines Lebenswerkes sind vollkommen verschüttet. Das ist weniger Schuld, als Schicksal – ein schweres Schicksal.“26

Einige Zeilen später versuchte Maria Hauptmanna weitere Gründe zu nennen, die aus ihrer Perspektive von großer Bedeutung waren:

„Ich möchte aber noch einen anderen Grund nennen, aus dem heraus man zu seinen Lebzeiten wenig von Hauptmann wußte. Er liegt in ihm selber. Man forderte ihn öfter auf, sich doch mehr in der Öffentlichkeit zu zeigen. Er war ein blendender Gesell-

25 Will-Erich Peuckert: Zu Carl Hauptmann, AdK Sammlung zum CH-Archiv 130, S. 1. 26 Maria Hauptmanns Erinnerungen an den Dichter, Akademie der Künste (AdK) CHA 108.

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schafter, der die Sprache in seltener Weise beherrschte. Sein profundes Wissen, seine akademische Bildung gaben ihm die Möglichkeit, in jedem Gespräch führend zu wirken und die Diskussionen zu lenken, so daß er immer einen großen Kreis von Zuhörern um sich hatte. Aber jede Lockung in der Richtung wies er ab. „Ich würde mich verausgaben, und es würde dem Werk abträglich werden.“27

Der Nachlass Carl Hauptmanns, darunter Briefe, Tagebücher und viele weitere Do- kumente seiner Autorenschaft bilden einen umfangreichen Korpus von Ego-Dokumen- ten. Die unter anderem in der Akademie der Künste in Berlin oder in der Handschrif- tenabteilung der Universitätsbibliothek in Wrocław aufbewahrten Materialien werden nach ihrer Bearbeitung eine weitere wichtige Informationsquelle, die das Wissen über das Leben und Werk Carl Hauptmanns und seines Bruders vervollständigen wird.

„Ich weiss ja, dass ich einstweilen noch verdammt bin, mich als Nebensache zu sehen, nähmlich von allen, die mit Gerhart zu thun haben, der nun einträglicher ist. Denn ich bin ja nur sein Bruder.“28 Carl Hauptmann

Bibliographie

Carl F. Behl: Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann. Tagebuchblätter. München: Kurt Desch Verlag 1949. Eberhard Berger, Elfriede Berger (Hg.): Carl Hauptmann. Chronik zum Leben und Werk. Stuttgart: frommann-holzboog 2001. Krzysztof A. Kuczyński: W kręgu Carla i Gerharta Hauptmannów. Muzeum Miejskie. Dom Gerharta Hauptmanna. Jelenia Góra 2018. Martin Machatzke (Hg.): Gerhart Hauptmann Notiz-Kalender 1889-1891. Frankfurt/M: Propyläen Verlag 1982. Will-Erich Peuckert: Zu Carl Hauptmann, Akademie der Künste (AdK) Sammlung zum CH-Archiv 130. Maria Rohne: Briefe an Carl Hauptmann, Akademie der Künste (AdK) CHA K 84. Maria (Rohne) Hauptmanns Erinnerungen an den Dichter, Akademie der Künste (AdK) CHA 108. Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie. C.H.Beck: 2012. Peter Sprengel: Der Künstler stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Berlin Propyläen 2009. Anna Stroka: Gerhart Hauptmanns Beziehungen zu seinem Bruder Carl und zu Her- mann Stehr. In: Białek Edward, Eugeniusz Tomiczek (Hg.): Orbis Linguarum, Vol. 24, Wrocław – Legnica: ATUT 2003.

27 Maria Hauptmann (wie Anm. 26). 28 Carl Hauptmann an S. Fischer zitiert nach Eberhard Berger, Elfriede Berger (wie Anm. 18), S. 87.

256 Carl und Gerhart Hauptmann. Das schwierige Verhältnis der beiden Brüder

Schlüsselwörter Carl Hauptmann, Gerhart Hauptmann, Maria Rohne (Hauptmann), das schwi- erige Verhältnis der Brüder

Abstract Carl and Gerhart Hauptmann. The challenging relationship of the brothers.

My article is based on my dissertation entitled Transcription and commentary on Maria Rohne’s letters adressed to Carl Hauptmann in the years 1907-1921. The dissertation was prepared as a part of German-Polish project aiming to research the literary legacy of Carl Hauptmann. In my article I’m focusing on the complex and challenging relationship of Carl and Gerhart Hauptmann. Moreover, special attention is drawn to the period of Carl and Gerhart Haupt- mann’s childhood and schooldays, then career decisions and their literary work. The article attempts to analyse the entire life of Carl and Gerhart Hauptmann; still, the main emphasis is placed on their difficult relations. The article aim to familiarise readers with Gehart and Carl Hauptmann, whose work has remained overshadowed by the popularity of the younger brother – Gerhart Hauptmann.

Keywords

Carl Hauptmann, Gerhart Hauptmann, Maria Rohne (Hauptmann), challenging relationship of the brothers