Carl Und Gerhart Hauptmann. Das Schwierige Verhältnis Der Beiden Brüder
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Ewa Musiał Orbis Linguarum vol. 52/2018, DOI: 10.23817/olin.52-16 Ewa Musiał (https://orcid.org/0000-0001-9285-676X) Uniwersytet Wrocławski Carl und Gerhart Hauptmann. Das schwierige Verhältnis der beiden Brüder Das Verhältnis der Brüder Carl und Gerhart Hauptmann wurde durch Höhen und Tiefen in der Bruderliebe geprägt. Der ältere Bruder Georg und die jüngere Schwester Johanna spielten dabei nur eine Nebenrolle. Carl und Gerhart waren enger miteinan- der verbunden, als mit den beiden anderen Geschwister, es ist auf das Alter und den fast gleichzeitigen Schulweg zurück zu führen. Aufschlussreich für die Analyse der Beziehungen sind vor allem Briefe und Tagebücher Carl und Gerhart Hauptmanns, aber auch Gerhart Hauptmanns Erin- nerungen, die er in seinem tagebuchartigen Werk Das Abendteuer meiner Jugend niederschrieb. Diese im Jahre 1937 erschienene Autobiographie lässt ein subjektives Bild der Bruderbeziehungen vorstellen und umfasst nur die ersten 26 Jahre Gerharts Leben. Die Notizen und Tagebuchblätter von Carl sind nicht vollständig publiziert, waren aber auch nicht regelmäßig und zum Thema Gerharts sehr kurz.1 Nebenbei wurden auch 300 Briefe und Erinnerungen der zweiten Ehefrau zum Gedächtnis des 75. Geburtstages Carl Hauptmanns betrachtet, die im Rahmen eines deutsch-polni- schen Editionsprojektes von mir bearbeitet wurden. Genutzt wurde auch der Text aus der Feder von Johanna Hauptmann, der zu Feier des 70. Geburtstages von Gerhart Hauptmann entstanden ist. Es scheint offensichtlich zu sein, dass die Kinderjahre der Beiden eine ruhige Phase in ihren Beziehungen waren, Carl und Gerhart hatten zwar in Salzbrunn ihre getrennten Freundeskreise, aber die gegenseitigen guten Relationen wurden dadurch nicht zerrissen. Die Kinder von Robert und Marie Hauptmann wuchsen in einem wohlhabenden Haus auf. Die Eltern, als Besitzer und Verwalter des Gasthofes Zur preußischen Krone in Salzbrunn, dem schlesischen Kurort, waren in der Saison mit ihrer Arbeit beschäftigt. In der Zeit des Hochbetriebes wurden die vier Kinder der Familie Haupt- mann von einem Kindermädchen betreut. Sie genossen vermutlich deswegen eine gewisse Freiheit, die ihnen Altersgleichen nicht immer erlebten. Die Geschwisterkonkurrenz begann vermutlich in der Schulzeit, in der der ältere Bruder Carl Erfolg hatte, Gerhart hingegen nur schwer mit dem Lernen vorankam. 1 Vgl. Anna Stroka: Gerhart Hauptmanns Beziehungen zu seinem Bruder Carl und zu Hermann Stehr. In: Białek Edward, Eugeniusz Tomiczek (Hg.): Orbis Linguarum, Vol. 24, Wrocław – Legnica: ATUT 2003, S. 89. 249 Ewa Musiał Zu den schulischen Leistungen von Carl und den Misserfolgen von Gerhart kamen auch die Krankheiten Carls, durch die er eine verstärkte Zuwendung der Eltern und der Familie bekommen hat. Die schweren Lungenentzündungen, die Carl durchging, wurden auch in Gerharts Erinnerungen mehrmals thematisiert. Die schwächliche Natur Carls ließ ihn nicht daran hindern, den Bildungsweg zu bestreiten, anfangs in einer Dorfschule in dem Familienwohnort, dann in der Realschule am Zwinger in Breslau, und dann in Jena und Zürich. Er erlangte den Doktortitel und konnte eine weitere wissenschaftliche Karriere anstreben. Im Gegensatz zu Carl ging Gerharts Schul- und Bildungsweg nur schleppend voran. Als Grund dafür galt vielleicht die immer schlechter werdende soziale Position der Familie, die wegen der finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Schwester von Robert Hauptmann, den Gasthof aufgeben musste. Die Zeit der Schwierigkeiten fiel mit der Schulzeit Gerharts zusammen. Die Misserfolge Gerharts sind jedoch auch auf seine Einstellung zur institutionalisierten Bildung zurück zu führen. Schon seit immer stand im Zentrum seiner Sensibilität sein Freiheitsbedürfnis: „Er liebte immer die vollkommene Freiheit über Alles“.2 Weder auf dem Gymnasium noch in der Kunstschule in Breslau und der Akademie in Dresden oder an den Universitäten in Jena und in Berlin kam er zu einem Abschluss, auch eine Lehre zum Landwirt hat je kein positives Ergebnis.3 Carl Hauptmann soll derjenige gewesen sein, der die literarische Ader bei Gerhart entdeckte. Dieses wurde auch in den Erinnerungen der Schwester der beiden Brüder Johanna Hauptmanns geäußert. In ihrem anlässlich des 70. Geburtstages Gerharts entstandenem Text wurde niedergeschrieben: „Carl hatte wohl am ersten die nach jeder Richtung hin hohe künstlerische Begabung Gerharts erkannt und hing unendlich an dem jüngeren Bruder. Er wusste, dass seine Aufsätze trotz mangelnder Orthographie, ausgezeichnet waren, ja, dass in einzelnen seiner Schulhefte Märchen, Gedichte und Erzählungen aller Art stände.“4 Nach langem Überlegen und Schwanken zwischen Literatur und Bildhauerei hat Gerhart Hauptmann entschieden, sich der Schriftstellerei zu zuwenden. Vor Son- nenaufgang, Einsame Menschen und Das Friedensfest erlaubten ihm die Karriere zu beginnen und machten seinen Namen sofort populär.5 Das überraschte nicht nur Gerhart, aber auch Carl: „Vor der Wendung und Wandlung der Dinge war vor allem mein Bruder Carl irritiert. Er war es zuerst und vor allem gewesen [...], der an mich geglaubt und mich nach Kräften 2 Vgl. Peter Sprengel: Gerhart Hauptmann. Bürgerlichkeit und großer Traum. Eine Biographie. C.H.Beck: 2012, S. 13. 3 Vgl. Peter Sprengel: Der Künstler stand auf hoher Küste. Gerhart Hauptmann im Dritten Reich. Berlin Propyläen 2009, S. 175. 4 Johanna Lotte Hauptmann: Mein Bruder Gerhart zitiert nach: Krzysztof A. Kuczyński: W krę- gu Carla i Gerharta Hauptmannów. Jelenia Góra 2018, S. 235. 5 Vgl. Gustav Erdmann: Das Haus am Hange. Carl und Gerhart Hauptmann in Schreiberhau. Frankfurt/O: Kleist-Gedenk- und Forschungsstätte 1991, S. 1. 250 Carl und Gerhart Hauptmann. Das schwierige Verhältnis der beiden Brüder gefördert hatte. Carls Liebe zu mir und meinem Wesen hatte sich in allen Formen der Protektion ausgelebt. Er war mir begeistert bis an den Rand des Felsens gefolgt, an dem ich meine Ikarus Flügel ausbreiten sollte. Und siehe, ich flog, und er blieb zu seiner Verdutzung und später zu seinem Schreck am Ufer zurück.“6 Carl Hauptmann publizierte sein erstes Werk Sonnenwanderer unter dem Pseud- onym Ferdinand Klar. Die im Jahr 1890 erschienene Skizze fand bei Gerhart, dem die Autorschaft Carls nicht bewusst war, Hochachtung und Bewunderung: „Ich fand“, sagte Gerhart, „diese kleine, zart hingehauchte Sache ‘Der Sonnenwande- rer’, die ich gelesen hatte, ohne zu wissen, daß sie von Carl war, ausgezeichnet. Ich sagte ihm das und fügte hinzu: ‘Nun brauchst du mich nicht zu sekkieren. Du bist doch selbst ein Dichter!“7 Schon viele Jahre zuvor äußerte Carl Hauptmann in einem Brief an seine erste Ehefrau sein Verlangen nach einer „menschlicheren Wissenschaft“: „Wenn nicht der Zeitpunkt nur beinahe da wäre, ich würf alles über den Haufen und flöge einer menschlicheren Wissenschaft in die Arme.“8 Das zwischen den Brüdern um das Jahr 1890 bestehende gute Verhältnis, brachte sie zu der Entscheidung ein gemeinsames Haus zu kaufen, wo sie mit ihren Familien einziehen wollten. Eine Wanderung in das Riesengebirge ließ die Entscheidung auf Mittelschreiberhau fallen. Im Jahre 1891 bezogen Gerhart, Marie und die Kinder das neu renovierte Haus, dann auch Carl mit Martha, der ersten Ehefrau. Das Zusammenleben in dem Haus in Schreiberhau brachte schnell Missverständ- nisse und Spannungen mit sich. Einen Konflikt verursachte die Tatsache, dass der Vater – Robert Hauptmann, das Vermögen ungleich verteilte und das Haus und das Grundstück auf den Namen Gerharts eingetragen hatte. Auch die Ehekrise Gerharts und Marie hatte Einfluss auf die im Haus herrschende Atmosphäre. Dazu kam die Spannung im Bereich des Schriftstellerdaseins, das sich bei Gerhart blendend ent- wickelte und Carl nur im Schatten des Bruders leben ließ. Zum ersten Mal stand Carl im Schatten des Bruders und empfand es als überra- schend, als ihre Abhängigkeit voneinander, immer schwächer wurde. Gerhart schrieb: „Er konnte mir damals noch nicht nachfliegen. Jahrelang ist er dann noch verzweifelt auf und ab am Rande des Felsens gelaufen, weil er nicht begreifen konnte, daß ich seiner Protektion entflogen war.“9 Beim Kauf des Hauses in Schreiberhau war „eine Neuauflage des Neid- und Eifersuchtskomplexes vorprogrammiert – nun aber mit umgekehrten Vorzeichen: Carl, der bisher Privilegierte, wird nie auch nur entfernt an den schriftstelleri- 6 Gerhart Hauptmann zitiert nach: Erdmann (wie Anm. 5), S. 1. 7 Carl F. Behl: Zwiesprache mit Gerhart Hauptmann. Tagebuchblätter. München: Kurt Desch Verlag 1949, S. 190. 8 Carl Hauptmann zitiert nach: Gustav Erdmann (wie Anm. 5), S.3. 9 Gerhart Hauptmann zitiert nach: Gustav Erdmann (wie Anm. 5), S. 1. 251 Ewa Musiał schen Erfolg des Bruders heranreichen“10. Die Bemühungen Carls sich auch in der Literatur durchzusetzen, blieben anfangs unbeachtet. Als seine Publikationen häufiger wurden, wurde er als Nachahmer Gerharts bezeichnet. Dazu trugen die Thematik, das beschriebene Milieu und die literarischen Eingriffe, die die Beiden verwendeten, bei.11 Dazu kam das Empfinden, das Gerhart mit diesen Worten beschrieb: „Aber Carl in seiner Bestürzung wollte nicht Wort haben, daß auf dem neuen Gebiet der Öffentlichkeit seine Stimme nicht das geringste Gewicht hatte und der Sinn seiner Protektion zu Ende war [...] Da bestand für ihn etwas wie eine Nabelschnur, und er wollte nicht glauben, sie sei nun zerrisse.“12 In der Erinnerung Gerharts blieb Carl im Umgang ein schwerer Mensch: „Eine Charakteranalyse, die bei Carl eine über Hysterie hinausgehende Reizbarkeit der Nerven feststellt, hat besonderen Eindruck auf ihn gemacht.