20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr – nationale und internationale Perspektiven

Edition 2011/12 JdBJdB Jahrbuch des Bahnwesens Nah- und Fernverkehr

20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr – nationale und internationale Perspektiven

Herausgeber Verband der Bahnindustrie in Deutschland, mit Unterstützung des Förderkreises des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, Köln

Redaktion Professor Dr.-Ing. Hubert Hochbruck

Edition 2011/12

002_003_Impressum_Innentitel.indd 3 01.11.11 11:54 Inhalt

Inhalt 12 7 Vorwort BMVBS 9 Vorwort VDB 11 Vorwort VDV-Förderkreis

I. Geschichte des HGV in Deutschland und Europa 12 Aus der Geschichte des Hochgeschwindigkeitsverkehrs Horst Weigelt 22 Die Bedeutung des HGV für den Personenverkehr in Deutschland Rüdiger Grube 29 26 Hochgeschwindigkeitszüge in der europäischen Verkehrspolitik Matthias Ruete

II. Verkehrsmarkt 29 Der HGV-Weltmarkt sowie Potenziale in Deutschland und Europa Nicolas Wille, Niklas Schüller

III. Betrieb und Betriebsplanung 34 20 Jahre Angebotsplanung und Betrieb Werner Weigand 34 IV. Technik und Produktion 39 Erfahrungen und Anforderungen für die Zukunft Joachim Mayer, Frank Panier

V. Infrastruktur 45 Leit- und Sicherungstechnik für den HGV Wolfgang Jakob 48 Hochgeschwindigkeitsoberleitungen 45 Heinz Tessun

GSM-R Funk 54 Elastisch, wirtschaftlich, sicher – gestiegene Anforderungen an HGV-Trassen Funkblockzentrale Signal (RBC) optional Winfried Bösterling, Konstantin von Diest

VI. Fahrzeuge Gleisabschnittgrenze

Ortungs-Balisen Stellwerk 58 ICx – DB AG und Siemens starten neue Ära im internationalen Intercity-Verkehr Ansgar Brockmeyer

4 Jahrbuch des Bahnwesens 2011/12

004_005_Inhaltsverzeichnis.indd 4 03.11.11 10:58 62 Bremssysteme – Entwicklung und Ausblick 48 Stefan Haas 66 Radsätze – vom ICE V zum ICE 3 Franz Murawa 70 Wartung und Management von Hochgeschwindigkeitsbahnen in Spanien Andrés López-Pita, Marta Sánchez-Borràs

VII. Umwelt und Nachhaltigkeit 75 Der umweltfreundliche Hochgeschwindigkeitsverkehr – Anspruch oder Widerspruch? 54 Joachim Kettner, Peter Westenberger

VIII. Forschung und Innovation 80 Klimatests für Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge Gabriel Haller 84 Leichtbau – ein altes Thema neu belebt Christian Schindler

IX. Perspektiven des HGV weltweit 89 Hochgeschwindigkeitsverkehr und InterCity-Verkehr in China 58 Peter Mnich, Yuanfei Shi 99 Weltweite Erfolge und Perspektiven des Hochgeschwindigkeits- verkehrs Gunther Ellwanger

X. Alle VDB-Mitgliedsunternehmen im Überblick 109

Inserenten 80 Max Bögl GmbH & Co.KG, Neumarkt ...... 101 Powerlines Group GmbH, Wien ...... 49

BUG Verkehrsbau AG, Berlin ...... 57 A. Rawie GmbH & Co. KG, Osnabrück ...... 47

ContiTech Luftfedersysteme GmbH, Hannover ..73 Robel Bahnbaumaschinen GmbH, Freilassing ...51

EuroMaint Rail GmbH, Leipzig...... 69 Voith Turbo GmbH & Co. KG, Heidenheim ...... 6

Plasser + Theurer GmbH, Wien...... 13 Vossloh Fastening Systems GmbH, Werdohl ...... 1

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004_005_Inhaltsverzeichnis.indd 5 03.11.11 10:58 Vorwort BMVBS Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, im vergangenen Jahr feierte die Eisenbahn in Deutschland ihr 175. Jubiläum. Der rasante Siegeszug des Verkehrsmittels Bahn hängt nicht ganz unwesentlich mit einem weiteren Jubiläum zusammen, das wir in diesem Jahr begehen können: Vor 20 Jahren, am 2. Juni 1991, nahm auf der Strecke von -Altona nach Frankfurt am Main der erste Hoch- geschwindigkeitszug in Deutschland seine Fahrt auf. Bereits am 29. Mai hatten sechs ICE- Züge eine Sternfahrt durch die Republik nach Kassel-Wilhelmshöhe angetreten. Dieser Tag markiert den Auftakt einer neuen Ära im Fernreiseverkehr. Foto: BMVBS/Fotograf: BMVBS/Fotograf: Foto: Ossenbrink Frank Wenn wir heute zurückblicken, können wir sicher feststellen: Die technisch hoch an- Dr. Peter Ramsauer spruchsvollen Züge, die damals auf Deutschlands Schienen erstmals eingesetzt wurden, haben das Reisen revolutioniert. Die schnelle Verbindung von Städten blieb nicht länger dem Flugzeug vorbehalten. Vielfach konnte die Bahn nunmehr Stadtzentren konkurrenz- los schnell und komfortabel miteinander verbinden. Die Konkurrenzfähigkeit des Verkehrsträgers Schiene trägt nicht nur dazu bei, bezahl- bare Mobilität für alle zu gewährleisten. Sie hat auch eine ökologische Komponente, die angesichts des Klimawandels immer bedeutsamer wird. Klima- und umweltfreundliche Mobilität sind ohne die Bahn kaum denkbar. Trotz hoher Geschwindigkeiten ist der ICE sparsam im Verbrauch. Und die Entwicklung bleibt nicht stehen: Gegenüber den Vorgän- gern ICE 1 und ICE 2 konnte beim ICE 3 der Energiebedarf nochmals deutlich reduziert wer- den. Ein halbbesetzter Zug verbraucht umgerechnet nicht einmal zwei Liter Benzin pro Reisendem auf 100 Kilometern. Nach 20 Jahren und drei kontinuierlich weiterentwickelten Zuggenerationen ist der ICE heute ein fester Bestandteil des vernetzten Lebens unserer hochmobilen Gesellschaft. Täglich nutzen über 210.000 Fahrgäste das bundesweite ICE-Netz. Im Jahr 2010 reisten fast 78 Millionen Fahrgäste im ICE, 1992 waren es noch rund zehn Millionen. Die Züge bewältigen damit über 60 Prozent der gesamten Leistung im Fernverkehr in Deutschland. Bundesweit stehen Deutschlands schnellstem Zug inzwischen 1200 Kilometer Neu- oder Ausbaustrecke zur Verfügung, auf denen Geschwindigkeiten von 230 km/h und mehr ge- fahren werden können. Auf den Neubaustrecken Köln/Rhein-Main und Nürnberg – Ingol- stadt fahren die Züge der dritten ICE-Generation sogar 300 km/h. Hochgeschwindigkeitszüge sind heute nicht nur in Deutschland eine feste Größe im Personenfernverkehr. Der ICE hat in den vergangenen 20 Jahren auch international an Bedeutung gewonnen. Er verbindet in Kooperation mit anderen Eisenbahnverkehrsunter- nehmen Europas Metropolen. Bereits seit September 1992 verkehrt er in die Schweiz und auch in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Dänemark und Österreich fahren heute ICE-Züge. Im Jahr 2010 hat der deutsche Hochgeschwindigkeitszug erstmals das Festland verlassen. Nach der Fahrt unter dem Ärmelkanal konnte ich gemeinsam mit zahlreichen Gästen den ICE in London feierlich begrüßen. Ab 2013 soll der ICE dann regelmäßig zwischen der bri- tischen Hauptstadt und Deutschland pendeln. Auch das ist ein Zeichen der Konkurrenz- fähigkeit deutscher Produkte. 20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr in Deutschland mit dem ICE haben das Reisen schneller und komfortabler, umweltfreundlicher und internationaler gemacht. Der Si- cherheitsaspekt steht dabei natürlich immer an erster Stelle. Die nächste Seite dieser Geschichte wird bereits im Jahr 2012 aufgeschlagen. Dann werden 16 Züge der neuesten ICE 3-Generation den Betrieb aufnehmen, um zunächst in Deutsch- land und später dann auch auf den Verbindungen nach Paris und London zum Einsatz zu kommen. Wettbewerbsfähige und kundenorientierte Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie inno- vative Bahntechnikhersteller in Deutschland, die konsequent auf Sicherheit, Qualität, Umweltschutz und Energieeffi zienz setzen, sind und bleiben Voraussetzung für diesen Erfolg.

Dr. Peter Ramsauer, MdB Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

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007_Vorwort_Ramsauer _ BMVBS.indd 7 01.11.11 09:00 Vorwort VDB Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, es war gewiss eine besonders glückliche Fügung: Fast gleichzeitig mit der wieder gewon- nenen Einheit Deutschlands konnte vor 20 Jahren die Deutsche Bahn eines ihrer großen Ziele verwirklichen und den Hochgeschwindigkeitsverkehr beginnen. Am 2. Juni 1991 fuhr der erste fahrplanmäßige ICE zwischen Hamburg und München. Das ist ein guter Anlass, um nach zwei Jahrzehnten dieses Ereignis zu würdigen und vor allem auch die Zukunft des Hochgeschwindigkeitsverkehrs zu betrachten. Die ersten 60 ICE-Triebzüge waren, es war die Zeit noch vor der Bahnreform, das sorgfältig geplante und auch gemeinsam erprobte Projekt von Bahn und Industrie. Und alle, die daran Dr.-Ing. Klaus Baur Prof. Dr. Ronald Pörner beteiligt waren, schauen heute noch voll Stolz und Freude auf diese gemeinsame Arbeit von Hersteller und Betreiber. Ja, man setzte auf Gemeinsamkeit bei dieser im wahrsten Sinne des Wortes Bahn brechenden Innovation der Hochgeschwindigkeitsfahrzeuge. Und so ist es aus heutiger Sicht auch gerecht, dass der Erfolg des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Deutschland viele Väter und Mütter hat. Die ersten Erfahrungen mit dem ICE führten nach einer Planungs- und Entwicklungszeit von einigen Jahren zum ICE 2 in seinen verschiedenen Ausführungen und dann zum ICE 3, der als Triebwagenzug betrieblich Höchstgeschwindig- keiten bis zu 330 km/h fährt. In die Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhun- derts fällt auch der Bau der Hochgeschwindigkeitstriebzüge mit Neigetechnik, die heute in ihrer elektrischen Variante ebenso im DB-Fahrplan einen festen Platz gefunden haben. Und die erfolgreiche Gemeinsamkeit betreffend, muss auch erwähnt werden, dass in den 1990er Jahren die großen Konsortien, in denen die wichtigsten Hersteller der Bahnindustrie in Deutschland vertreten waren, gemeinsam für die Entwicklung und den Bau des rollenden Materials verantwortlich zeichneten. Das Engagement von Industrie und Betreibern galt und gilt nicht nur dem Einsatz des rollenden Materials in Deutschland. Nein, die Bahnindustrie hat sehr früh begonnen, den internationalen und grenzüberschreitenden Einsatz der Hochgeschwindigkeitszüge zu pla- nen. Die Lieferungen von in Deutschland gefertigten Hightech-Schienenfahrzeugen haben einen immer größer werdenden Anteil am Gesamtexport der Branche. Mit ihren Hochge- schwindigkeitsfahrzeugen hat die Bahnindustrie in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten ihre Stellung als führender Produzent insgesamt ausgebaut und durch die glo- bale Zusammenarbeit immer wieder neue Impulse für innovative Konzepte erhalten. Die vergangenen 20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr haben das Image der Bahnen sehr positiv verändert. Waren die ersten Hochgeschwindigkeitszüge noch Innovationen, die in den Medien vielfach große Beachtung fanden, ist es heute beinahe selbstverständlich, dass mit dem Zug im engen Takt auch ferne Ziele besser erreicht werden, als mit dem Flugzeug oder dem Auto. Dass das alles nicht ohne Probleme und Rückschläge zu erreichen war, muss auch gesagt werden. Eine überzeugende Sprache aber sprechen die Zahlen: Allein in Deutschland nutzen jährlich 78 Millionen Reisende die ICE-Züge. Und die Tatsache, dass Technik und Aus- stattung der Züge zielstrebig verbessert werden und das Streckennetz kontinuierlich ausge- baut wird, ist trotz aller Diskussionen um die Finanzierungen wenig umstritten. Die ständig wachsenden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und der Wirtschaft erfor- dern leistungsfähige und die Umwelt schonende Verkehre. Das führt zu einer integrierten Verkehrspolitik, bei der die Bahnen immer größere Verkehrsanteile übernehmen müssen. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr der Zukunft stellt sich diesen Herausforderungen in Deutschland, in Europa und weltweit. So gelten als zukünftige Forderungen für attraktive Personenverkehre vor allem Sicherheit, Zuverlässigkeit, geringer Energieverbrauch auch bei hohen Geschwindigkeiten, hoher Komfort, hohe Standardisierung und geringer Wartungs- aufwand. Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr stehen heute viele Namen, Hersteller und unter- schiedlichstes Design. Es sind, um nur einige Beispiele zu nennen, der TGV von Alstom, die Züge des Typs Velaro von Siemens oder der Zefi ro von Bombardier. Die modernen Fahrzeuge sind durch ihre Plattformkonzepte nun auch fl exibel zu gestaltende Grundtypen, die auf ihren jeweiligen Einsatz zugeschnittene Fahrzeugfamilien ermöglichen. Dazu zählt auch der ICx, der von Siemens in Partnerschaft mit Bombardier gebaut und in den kommenden Jahren bei der DB eingesetzt werden wird.

Dr.-Ing. Klaus Baur Prof. Dr. Ronald Pörner Präsident Hauptgeschäftsführer Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e.V. Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) e.V.

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009_Vorwort_Baur_Poerner _ VDB.indd 9 03.11.11 10:56 Vorwort VDV-Förderkreis Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, ausgehend von dem Wunsch der Kunden öffentlicher Verkehrsangebote, preisgünstig, sicher, komfortabel, pünktlich und möglichst schnell in einem einfach benutzbaren System von Tür zu Tür befördert zu werden, wurde mit den seit 20 Jahren ständig zu- nehmenden Angeboten des Hochgeschwindigkeitsbahnverkehrs ein überaus wichtiges Etappenziel erreicht. Weitere Erwartungen der Fahrgäste konnten erfüllt werden. Dem Wunsch der Kunden nach einer zusammenhängenden Reisekette in möglichst vie- len Reiseabschnitten trug z. B. das zum Fahrplanwechsel im Dezember 2003 eingeführte City-Ticket Rechnung, das Kunden mit Fernverkehrskarten der Deutschen Bahn AG am Dr. Dieter Klumpp Tag der Ankunft am Zielbahnhof die kostenlose Nutzung der ÖPNV-Angebote zu einem Ziel innerhalb des Stadtgebietes und am eingetragenen Tag der Abreise die ÖPNV-Nut- zung zum Bahnhof einräumt. Mittlerweile gilt dieses Angebot bereits in 118 Städten. Mit viel Engagement wurde auch dafür in den Bahnhöfen die Wegweisung zu den Nahver- kehrsangeboten der DB AG und der Unternehmen des örtlichen Nahverkehrs realisiert. Mit dem ähnlichen, die Komfortwünsche der Kunden nach einer einfachen und kosten- günstigen Erreichbarkeit des Flughafens im Rahmen ihrer Urlaubsreise berücksichti- genden Angebot Rail & Fly – der Zug zum Flug – wurde oftmals Reisenden das erreichte hohe Leistungsvermögen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs erstmals bewusst. Dadurch konnten neue Kunden geworben werden. Mit den vielfältigen BahnCard- und Sparangeboten bietet die Bahn den Kunden Mög- lichkeiten, preisgünstige Fahrberechtigungen auch im Hochgeschwindigkeitsverkehr zu erwerben. Der erreichte Sitzplatzkomfort in den Hochgeschwindigkeitszügen, die verbesserte Zugänglichkeit der Bahnsteige in den Bahnhöfen durch Aufzüge und Fahrtreppen, die Hilfestellung und Betreuung Behinderter beim Ein- und Ausstieg verdeutlichen die um- fassenden Anstrengungen der DB AG, den Kundenerwartungen gerecht zu werden. Zu dem Wunsch der Fahrgäste nach einer sicheren Reise gehört insbesondere auch deren Informationsbedürfnis auf dem Bahnsteig und in den Zügen, vor allem bei einer Störung. Der erreichte Standard kann sich auch auf diesem Gebiet sehen lassen. Last but not least bietet die Bahn in steigendem Maße ihren Kunden auch die Möglich- keit, Pkw für die Fahrt vom und zum Bahnhof zu leasen. Die Unternehmen des VDV-Förderkreis e. V. sind mit dem Betreiber des Hochgeschwin- digkeitssystems stolz auf das bisher Erreichte. Sie werden auch weiterhin sehr engagiert an erforderlichen Optimierungen und der Einbringung technologischer Weiterentwick- lungen in das vorhandene System arbeiten. Dabei wird einerseits ein besonderes Augen- merk auf eine weitere Verbesserung der Verfügbarkeit und damit der Pünktlichkeit des Gesamtsystems und andererseits auf eine noch bessere Erfüllung der Kundenerwartun- gen zu legen sein.

Dr. Dieter Klumpp 1. Sprecher des VDV-Förderkreises

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011_Vorwort_Klumpp_VDV-Foerderkreis.indd 11 01.11.11 09:04 Vorgeschichte Schnellverkehr

Horst Weigelt Aus der Geschichte des Hochgeschwindigkeitsverkehrs

Das deutsche Eisenbahnnetz ist in seinen Grundzügen vor 175 bis 125 Jahren als Dampfbahn für die Verkehrserschließung des damaligen Wirtschafts- und Staatssystems mit Fahrgeschwindigkeiten von 50 bis 60 km/h entstanden. Die weitere technische Entwicklung erreichte um 1900 fast 100 km/h. Nachfolgend werden die anschließenden Fortschritte mit motorischen Antrieben im Wettbewerb mit Auto und Flugzeug skizziert.

1 Hohe Ansprüche an die motivkonstruktion gestellt: „The engine, der „Rocket“ systematisch Leichtbau be- Eisenbahn – von Anfang an if its weighs six tons, must be capable of trieben und als innovative Elemente den drawing after it, day by day, on a well con- Röhrenkessel sowie direkt mittels Treib- Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und structed Railway, on a level plane, a Train stangen an die Dampfzylinder gekoppelte Geschwindigkeit waren von Anfang an of Carriages of the gross weight of Twenty Treibräder und anderes mehr neu konstru- herausragende Merkmale des neuen Ver- Tons, including the Tender and Water Tank, iert. Auf der letzten von den geforderten kehrssystems „Dampfeisenbahn“. Schon at the Rate of Ten Miles per Hour, with a 40 Testfahrten über jeweils 2,8 km Länge der von der Liverpool and Manchester pressure of steam in the boiler not excee- erreichte die Rocket 38,6 km/h Reisege- Railway ausgeschriebene Wettbewerb „for ding Fifty Pounds per square inch” [1]. schwindigkeit und erfüllte die Erwartun- the most improved locomotive engine“ Da steht also: “day by day”. Und präzise gen von Laien und Fachleuten auf hohe fand das lebhafte Interesse der Fachwelt vorgegeben das erwartete Leistungspro- Geschwindigkeit. und führte zur Meldung von vier neu- fi l der Lokomotive. Es bildete eine der Anschließend vollendete George Stephen- en Lokomotiven sowie zu Hunderten an Grundlagen für die Entwicklung der hohen son, der Vater von Robert und Schöpfer der Schaulustigen und Fachleuten an den drei Betriebsqualität der mitteleuropäischen ersten Eisenbahn Stockton – Darlington, Testtagen vom 6. bis 8. Oktober 1829 auf Eisenbahnen, gekennzeichnet durch das nun als Bauleiter die 50 km lange, zwei- der ebenen Neubaustrecke des Rainhill. spätere umgangssprachliche Lob im Wirt- gleisige Neubaustrecke Liverpool – Man- Für die Eisenbahngesellschaft ging es im- schaftsleben: „Pünktlich wie die Eisen- chester. Bei der glanzvollen Eröffnung am mer noch um die Kernfrage Traktion der bahn.“ 15. September 1830 überstieg die Planung Wagenzüge durch stationäre Dampfma- Von vier vorgestellten neuen Lokomotiven für die acht (!) Sonderzüge wohl das prak- schinen und Seilzüge oder durch „Loco- erfüllte nur die „Rocket“ (Rakete) aus der tisch Durchführbare bei noch ungeübten motive engines“. Fabrik von Robert Stephenson and Comp. Gästen. Die von den Teilnehmern eher als Das Eisenbahndirektorium hatte in den zu Newcastle die Bedingungen der Aus- sensationell, denn als Gefährdung ange- “Stipulations and Conditions” strenge schreibung, maßgebend konstruiert und sehenen Zwischenfälle beschleunigten die substantielle Anforderungen an die Loko- vorgeführt von Robert selbst. Er hatte bei Entwicklung der Eisenbahn-Betriebsvor-

Bild 1: Erscheinungsbild und Leistungsprofi l typischer Reisezüge zwischen 1840 und 1890 [2]

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012_021_Weigelt.indd 12 01.11.11 09:14 Vorgeschichte Schnellverkehr

• die Einführung von „Durchgangswa- gen“ mit Seitengang und witterungs- geschützten Übergängen mittels Fal- tenbälgen zwischen den Wagen (und daher D-Zug), • das Mitführen von Speisewagen und dessen Zugänglichkeit während der Fahrt – dadurch Wegfall von zeitrauben- den Speiseaufenthalten in Bahnhöfen mit bahnsteiggelegenen Restaurants, • die Bespannung mit neuen, leistungs- starken 2'B-Lokomotiven und • die Erhöhung der zulässigen Fahrge- schwindigkeit durch Verbesserungen in Bild 2: Die neue preußische Schnellzuglokomotive S 2, eine 2'B-Maschine, vor Oberbau, Bremstechnik und Signalwe- einem der ersten D-Züge, aufgenommen am 19. November 1893 in Potsdam [3] sen [3].

schriften, die für Sicherheit und Leistungs- Fahrplantrassen in das System und nicht Der Angebotstyp D-Zug mit sprunghafter fähigkeit des Systems Bahn sorgen und bei in großen Innovationssprüngen. Verkürzung der Reisezeit und Erhöhung Bahnreformen oft unterschätzt werden. des Reisekomforts war von Anfang an ein glänzender Erfolg, wurde in weiteren Rela- 2.2 Markante Reisezugtypen tionen eingesetzt und über Jahrzehnte in 2 Von frühen Eisenbahnzügen Technik und Komfort weiterentwickelt. Be- zum D-Zug Aus der Vielfalt der damaligen Zugarten liebt waren auch die „Kurswagen“, die un- auf den Hauptbahnen seien hier Personen- terwegs vom so genannten Stammzug auf 2.1 Überblick züge, Schnellzüge und D-Züge herausge- fächerförmig ausstrahlende Fernzüge um- griffen, um die frühzeitigen und vielsei- rangiert wurden und die Zahl der umstei- Die kaum überschaubare Literatur zur Ei- tigen Anstrengungen und Fortschritte in gefreien Direktverbindungen im schnellen senbahngeschichte enthält eine Fülle von Richtung höherer Geschwindigkeiten zu Netz wesentlich erhöhten. Erinnert man Informationen über Lokomotiven und dokumentieren. sich auch noch an den seinerzeit billigen Wagen. Angesichts jahrzehntelangem Ein- Am Anfang der Eisenbahngeschichte be- Gepäcktransport im Packwagen, so kann satz der einzelnen Typen, zumal gemischt förderten universelle „Personenzüge“ in man dem D-Zug als nahezu einheitlichem in verschiedenen Zuggattungen, ist der zumeist drei Fahrten pro Tag und Richtung und auch grenzüberschreitendem Produkt Überblick schwierig. Um so mehr ist eine Personen und Güter. Nachdem für Güter- der mitteleuropäischen Bahnen weit vor Graphik von Nutzen, die den Fortschritt transport auf Hauptbahnen besondere dem Automobilzeitalter die Anerkennung bei den Reisezügen in Deutschland ver- Güterzüge eingesetzt wurden, erhielten nicht versagen. deutlicht (Bild 1). Personenzüge zusätzliche Gepäck- und Begriffe wie Schnellverkehr oder Hoch- Amand Freiherr v. Schweiger-Lerchenfeld auch Postwagen, deren Be- und Entladung geschwindigkeit waren freilich seinerzeit hat in seinem Kompendium „Vom rollen- allerdings die Haltezeit in den Zwischen- noch nicht gebräuchlich. Reisezeitverkür- den Flügelrad“ 1894 [2] diese von einem un- bahnhöfen verlängerten und den durch zungen wurden zu jedem Fahrplanwechsel bekannten Fachmann gezeichnete Graphik neue, stärkere Lokomotiven erzielten Nut- angestrebt. In stark nachgefragten Rela- veröffentlicht, die uns heute Aufschluss zen wieder aufzehrten. tionen wurden z. B. besondere Fortschrit- über 60 Jahre Entwicklung von Reisezügen Demzufolge forderte die Öffentlichkeit spe- te durch lange Non-stop-Fahrten erzielt, vermittelt. Bild 1 zeigt für sechs Zeitschei- zielle, schnellere Angebote für den Fernver- wie beim D 79/80 Berlin – München mit ben von 1840 bis 1890 jeweils das Erschei- kehr. Im Ergebnis verkehrte am 1. Mai 1851 77,6 km/h Reisegeschwindigkeit durch Be- nungsbild eines typischen Reisezuges, erstmalig ein „Schnellzug“ Berlin – Köln schränkung auf die Zwischenhalte Halle und zwar mit dominierendem Lokomotiv- mit einer durch Wegfall von Zwischenhal- und Nürnberg. Im Übrigen bildeten Post- typ, neu eingeführten, aber auch älteren ten an „unbedeutenden Bahnhöfen“ um und Packwagen das Rückgrat des schnel- Reisezugwagen und dazu Gepäck- und 25 % (!) erhöhten Reisegeschwindigkeit auf len Post- und Kleingutverkehrs mit Unter- Postwagen des Nachrichten- und Klein- 41,4 km/h. Für diese Zuggattung gab es wegssortierung (Bild 2). gutverkehrs. Wir erkennen den Fortschritt anfänglich auch Bezeichnungen wie „Cou- bei den Reisezügen als stufenweise Ein- rierzug“ oder „Eilzug“. stellung neuer Lokomotiven und Wagen. Mutig hat der Autor auch noch Zahlenwer- 3 Schnellfahrrekorde und Ideen te für typische Zuggewichte einschließlich 2.3 Innovation „D-Zug“ nach der Jahrhundertwende Lokomotive und für die Reisegeschwindig- keit einschließlich Haltezeiten angegeben. Die nachhaltigste Innovation für schnellen 3.1 Rekordfahrten Es ist erstaunlich, was die damaligen pri- Reiseverkehr erzielten die deutschen Län- mit Strom und Dampf vaten und staatlichen Eisenbahngesell- derbahnen mit dem Angebotstyp „D-Zug“ schaften und die aufblühende Bahnindus- (letzte Zeile in Bild 1 und Bild 2). Am 1. Mai Internationale Vergleiche waren zur Jahr- trie für Fortschritte erzielt haben. Es wird 1892 fuhr der D 31/32 die Fernstrecke Ber- hundertwende 1899/1900 in Presse und aber auch deutlich, dass sich die Verbesse- lin – Hildesheim – Köln erstmals mit der Unterhaltung ein beliebtes Thema, gleich- rungen im Reisezugnetz auf evolutionäre sensationellen Reisegeschwindigkeit von gültig, ob es sich um Brücken, Schnell- Weise vollzogen haben, also mit stufen- 64,3 km/h. Komponenten dieser Innova- dampfer oder Eisenbahnen handelte. Und weiser Einführung neuer Fahrzeuge und tion waren bei den Bahnen hatten England und Frank-

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012_021_Weigelt.indd 14 01.11.11 09:15 reich im Jahr 1900 höchste Reisegeschwin- digkeiten zu bieten, 83,2 km/h für 635 km London – Edinburgh oder 90,5 km/h für 154 km Paris – St. Quentin. Und die magi- sche Zahl von 100 km/h schien greifbar. Das befl ügelte interessante Entwicklun- gen in Deutschland [3]. Bereits 1901 erreichte eine elektrische vier- achsige Versuchslokomotive von Siemens & Halske mit 15 000 V Drehstrom auf der 23 km langen, fast geradlinigen Militärei- senbahn zwischen Marienfelde und Zos- sen einen Weltrekord von 162,5 km/h. Die magische Zahl von 100 englischen Meilen, also 160,9 km/h, waren damit überschrit- Bild 3: Der AEG-Drehstrom-Triebwagen fuhr am 2. Oktober 1903 einen ten. Aber bei weiteren Versuchen mit zwei Weltrekord von 210,2 km/h [3] Triebwagen und dreiachsigen Drehgestel- len hob ein Drehgestell bei 160 km/h kurz 2‘B2‘-h4v (auf bayerisch S 2/6) mit mit bestens geschmierter Lokomotive und ab und spreizte das Gleis: Die Grenzen des 2200 mm großen Treibrädern an die Bay- vollem Kesseldruck vor vier Schnellzugwa- vorhandenen Oberbaus waren erreicht. erische Staatsbahn lieferte (Bild 5). Dieses gen mit 150 t Last die Spitzengeschwindig- Nach Einbau eines schwereren Glei- Unikat fuhr am 2. Juli 1907 mit dem bay- keit von 154,5 km/h. Erst am 11. Mai 1936 ses durchbrachen zwei neu entwickelte erischen Verkehrsminister v. Frauendorfer konnte die deutsche Dampfl okomotive Elektro-Triebwagen die nächste „magi- auf dem Führerstand in gestreckter Linien- 05 002 aus dem Berliner Werk von Borsig sche“ Grenze von 200 km/h: Am 6. Okto- führung zwischen München und Augsburg diesen Rekord mit 200,5 km/h überbieten. ber 1903 schaffte dies der von Siemens & Halske ausgerüstete Drehstromtriebwa- gen mit 201 km/h und am 15. Oktober mit 206,8 km/h Spitzengeschwindigkeit. Am 27. Oktober erreichte der Triebwagen der AEG die etwas höhere Weltrekordmarke von 210,2 km/h – alles Meisterleistungen der deutschen Industrie (Bild 3). Allerdings eignete sich die Fahrleitung mit drei Lei- tern übereinander nicht für die Fernbahn- elektrifi zierung von Gleis- und Weichen- feldern. Aber zeitparallel liefen anderen Ortes praktische Versuche für die Elektri- fi zierung mit Einphasenwechselstrom und mit Gleichstrom. Die Erfolge ließen die Dampfl okfachleute nicht ruhen. 1902 schrieb der VDI einen Bild 4: Die Kuhn-Wittfeld-Schnellfahrlokomotive S 9 der preußischen Staatsbahn Wettbewerb für eine Dampfl okomotive von 1904 erreichte im Test vor leichtem Zug 137 km/h [3] aus, die einen Zug von 180 t mit 120 km/h befördern und zum Aufholen von Verspä- tungen 150 km/h erreichen sollte. Aus- geführt wurden nur zwei Lokomotiven 2‘ B2‘ n3v durch Henschel & Sohn nach dem preisgekrönten Entwurf von Kuhn und Wittfeld mit 2200 mm großen Treib- rädern (Bild 4). Diese beiden Lokomotiven der preußischen Gattung S 9 hatten u. a. einen windschnittig ausgebildeten vorde- ren Führerstand, erreichten aber im Test vor einem 109 t-Zug nur 137 km/h, wäh- rend eine Standardmaschine S 4 bereits 136 km/h schaffte und eine S 7 von Borries zwischen Spandau und Hannover sogar 143 km/h, beides Beispiele für leistungsfä- hige preußische Maschinen. Auch die Bayern spielten mit: 1902 liefer- te Maffei aus München eine Schnellzug- lok nach Baden, die 144 km/h erreichte. Historisch gewichtiger ist freilich die Bild 5: Die schnellste Lokomotive der deutschen Länderbahnen, die bayerische Leistung des Konstrukteurs Anton Ham- S2/6, erreichte am 2. Juli 1907 154,5 km/h Reisegeschwindigkeit vor einem 150-Tonnen-Wagenzug [3] mel, der innerhalb von vier Monaten eine

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Bild 6: Mit August Scherl war mit seiner großräumi- dieser Schnell- gen Konzeption einer Fernschnellbahn den zuglokomotive Anforderungen der Zukunft um ein halbes mit Schräg- stangenantrieb Jahrhundert voraus. und Blindwelle Fassen wir das Wesentliche zusammen: wurde 1911 Scherls übergreifende Analyse der Situa- der elektrische tion traf ins Schwarze: Weiteres Städte- Zugbetrieb zwischen wachstum, überlastete Hauptbahnen im Bitterfeld und Mischbetrieb von Personen- und Güterzü- Dessau eröffnet gen, zu langsame und zu wenig D-Züge. [8] Seine Konzeption: Schaffung einer vom Güterverkehr getrennten Schnellbahn für schnellen Personenverkehr mit 200 km/h Fahrgeschwindigkeit, elektrischer Traktion, mit Antrieb aller Räder und (wegen seiner pessimistischen Einschätzung des Rad- Bild 7: Schiene-Systems) als Einschienen-Stand- Elektrische bahn mit Stabilisierung durch rotierende Reichsbahn- Kreisel. Scherl skizzierte ein Grundnetz für strecken (Ende 1930) [5] 200 km/h, ergänzt durch Zubringernetze für 120/150 km/h und 30/60 km/h. In Über- lagerung und Verknüpfung sollten sie eine Art Spinnennetz bilden. Aus heutiger Sicht war die grundsätzliche Idee von August Scherl, nämlich die eines zusätzlich zur bestehenden Eisenbahn gebauten Fernschnellbahn-Netzes, ein zielführendes Konzept für den attraktiven Fernpersonenverkehr. Was Scherl nicht einschätzen konnte, waren die techni- schen Schwierigkeiten bei der Realisierung seiner eigenwilligen Konfi guration als Ein- schienenbahn mit teilweiser Trassierung über Dächern. Erstaunlich weitsichtig waren anderer- seits die damaligen Vorstellungen für die (Die S 2/6 und die Schwestermaschine Bild 7. Festzustellen ist, dass die preußi- Trassenführung im Gelände und für strom- 05 001 gehören zu den kostbarsten Expo- schen und bayerischen Eisenbahnen mit linienförmig und großzügig gestaltete naten im DB-Museum in Nürnberg.) der Deutschen Bahnindustrie bereits vor Triebwagenzüge. Ersetzt man in Bild 8 die Kriegsbeginn 1914 durchaus praxistaugli- Einschienenbahn durch heutigen moder- che elektrische Bahnen für verschiedene nen Schienenfahrweg, glaubt man einen 3.2 Erprobungen für den Alltag Einsatzbereiche entwickelt haben. ICE zu sehen. mit elektrischem Antrieb In der realen Entwicklung haben zwei Weltkriege – jeweils mit Kriegszeit und Die vorgenannten Rekorde stehen in ei- 3.3 Der Systementwurf Kriegsfolgen, Verschleiß und Zerstörung senbahngeschichtlichen Kompendien viel- von August Scherl – große netzweite Konzeptionen völlig in fach im Vordergrund, wenngleich andere den Hintergrund gedrängt. Deshalb sah technische Entwicklungen weitaus größe- Während die deutschen Bahnen ganz kon- sich die als Nach- re Breitenwirkungen für die Bahnkunden kret an der „Elektrifi zierung“ besonders folger der deutschen Länderbahnen ver- erzielen sollten: Nach Aufnahme des ers- geeigneter Nahverkehrs- und Fernbahnen anlasst, technisch-betriebliche Lösungen ten elektrischen Betriebes einer Vollbahn arbeiteten, lagen allerdings die Schwer- auf dem bestehenden Netz zu entwickeln, auf der Strecke Meckenbeuren – Tettnang punkte der Investitionen für die Infra- denn Automobil und Flugzeug waren tech- der Süddeutschen Lokalbahn AG im Jahr struktur in der Steigerung der Mengenleis- nisch ertüchtigt aus dem ersten Weltkrieg 1895 folgten ab 1899 Versuchsbetriebe tungsfähigkeit für die stetig wachsende gekommen und machten der Eisenbahn, durch Staatsbahnen für den Nah- und Re- Verkehrsnachfrage durch Bau zweiter Stre- besonders in der 1. und 2. Klasse bereits gionalverkehr in Berlin und Hamburg mit ckengleise und Rangierbahnhöfe sowie Konkurrenz. Drehstrom, Gleichstrom und Einphasen- großer Hauptpersonenbahnhöfe. wechselstrom sowie Elektrifi zierungen In dieser Phase legte der Verleger August von Fernbahnen in Bayern, Schlesien und Scherl im Mai 1909 eine weit in die Zukunft 4 Neuanfänge auf alten im Raum Bitterfeld-Dessau – Magdeburg reichende Konzeption für ein innovatives Strecken: FD-Züge (Bild 6). Nicht zuletzt wurden in Berlin und Eisenbahnsystem vor [4]. Es trug den Titel: Hamburg die Grundlagen für den plan- „Ein neues Schnellbahnsystem – Vorschlä- Nach vier Jahren Verschleiß im Ersten mäßigen elektrischen Vorortbahnbetrieb ge zur Verbesserung des Personenver- Weltkrieg 1914 – 1918 und unzulänglicher und die spätere S-Bahn gelegt. Den Netz- kehrs“. Im Rückblick auf seitdem verstri- Unterhaltung danach, sodann Ablieferun- zustand bei der Reichsbahn von 1930 zeigt chene 110 Jahre muss anerkannt werden: gen von Lokomotiven und Wagen an die

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012_021_Weigelt.indd 16 01.11.11 09:15 Siegermächte, war das einst glanzvolle deutsche Eisenbahnsystem abgewirt- schaftet. Die Höchstgeschwindigkeit sank 1918 auf 75 km/h. Es dauerte bis 1929, bis das Geschwindigkeitsniveau von 1914 wie- der erreicht war. Um aus der Misere wenigstens auf den Hauptstrecken herauszukommen und at- traktivere Fernzüge zu bieten, schuf die Deutsche Reichsbahn (DR) ab 1923 das Angebot der „Fern-D-Züge“, abgekürzt FD. Hans Baumann beschreibt 1931 den Zugtyp wie folgt [5]: „Der FD-Zug (Fern- durchgangszug) fährt mit einer Höchst- geschwindigkeit von 110 km/h, dient dem Durchgangsverkehr auf weite Entfernun- Bild 8: Einen Vorgriff auf die Neubaustrecken der 1990er Jahre zeigt diese Studie gen bei Tage und hält nur an Brennpunk- der Scherlschen Schnellbahn von 1909 ten des Verkehrs. Die FD-Züge führen nur die 1. und die 2. Klasse“. Entscheidend für die Erzielung höherer Geschwindigkeit war die Beschränkung auf zwei bis drei D-Zug- Wagen 1. und 2. Klasse sowie Speisewagen, weggelassen wurden Gepäck- und Post- wagen, es gab wenige Zwischenhalte und stärkste und neueste Schnellzug-Dampf- lokomotiven wurden eingesetzt. Für den Sommerfahrplan 1930 nennt Bau- mann 18 Zugpaare als FD mit zwei bis drei D-Zug-Wagen und Speisewagen. Die Fahrzeiten betrugen (als Beispiele): Berlin – Hamburg-Altona 3,5 Std., Berlin – Köln 8 Std, Berlin – München 9 Std. Damit wa- ren die Reisezeiten von entsprechenden D-Zügen von 1914 zumeist unterschritten (Bild 9). Aber das war noch kein Durch- bruch zu einem attraktiven Angebot im Wettbewerb mit dem Automobil auf Land- Bild 9: FD-Zug in Hamburg [8] straßen und dem Flugzeug. Dazu bedurfte es eines Innovationssprunges auf einer neuen Entwicklungslinie, und zwar der des Verbrennungsmotors.

Bild 11: Am 21. Juni 1931 erreichte der „Schienenzeppelin“ zwischen Ludwigslust und Wittenberge die Rekordgeschwindigkeit von 230,2 km/h. Das Bild zeigt ihn nach Bild 10: Das Netz der Fernschnellzüge (FD), Sommer 1930 der Ankunft in Spandau

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Triebwagen alter Bauart 80 km/h Leichttriebwagen 100 km/h Eiltriebwagen 160 km/h Schnelltriebwagen moderner Bauart (1931) moderner Bauart (1932) windschnittiger Bauart (1932) Bild 12: Die technologische Entwicklungslinie zum Schnelltriebwagen der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft [3]

5 Vom Propellertriebwagen wagen 182 km/h Höchstgeschwindigkeit. dem DR-Zentralamt für einen Schnelltrieb- zum Schnelltriebwagen – Am 21. Juni 1931 ab 3.27 Uhr durchraste der wagen mit zwei bereits bewährten 410 PS- 1923 bis 1939 spartanisch eingerichtete Propellertrieb- Maybach-Dieselmotoren mit einem Gene- wagen in 98 Minuten die 257 km lange rator in den Enddrehgestellen und elektri- Entwicklungslinien auf der Basis des Ver- Strecke von Hamburg-Bergedorf bis zum schem Antriebsmotor im mittleren Dreh- brennungsmotors ließen sprunghafte Lehrter Bahnhof in Berlin und erreich- gestell des insgesamt 41,9 m langen und Reisezeitverkürzungen – zumindest auf te zwischen Karstädt und Wittenberge gut ausgerüsteten Dieseltriebwagens. Im gestreckt trassierten Altstrecken – erwar- 230 km/h Höchstgeschwindigkeit (Bild 11). Februar 1931 erging der Entwicklungsauf- ten. Und angesichts der fortschreitenden Die Abendzeitungen in Deutschland waren trag an die WUMAG in Görlitz, im Oktober Motorisierung auf der Straße und auch voll mit dieser Sensation. Das schien also 1932 war das innovative Fahrzeug bereits des zunehmenden Flugverkehrs musste eine mögliche Entwicklungslinie zu sein: fertiggestellt, am 19. Dezember, 8 Uhr, star- die Eisenbahn die technische Entwicklung mit fl ugzeugartig leichtem „Fahrzeug“ und tete der neue Triebwagen von Berlin nach vorantreiben (Weigelt in [3]). Propellerantrieb das Geschwindigkeits- Hamburg. Hinter Nauen erreichte der Zug Die ersten Ideen und Innovationen kamen potenzial von vorhandenen und zügig mühelos 150 km/h, überschritt dann die von Franz Kruckenberg und Kurt Stedefeld. trassierten bestehenden Eisenbahnstre- hundert Meilen und erreichte schließlich Die von ihnen angestrebte Hängeschnell- cken auszunutzen. 165 km/h. Auf der Pressefahrt an Sylvester bahn ließ sich nach ersten Untersuchun- Aber auch die Reichsbahn hatte seit 1924 1932 entriss der Schnelltriebwagen dem gen noch nicht fi nanzieren. Kruckenberg eine Entwicklungslinie verfolgt, nämlich englischen Expresszug Swindon – Padding- wandte sich daher 1928 dem Leichtbau den Einsatz von Verbrennungsmotoren ton das „Blaue Band der Züge“. Angelehnt mit Rad-Schiene-System zu, und zwar zum Antrieb in Triebwagen, nachdem sich an den Flying Scotsman verbreitete sich zunächst mit motorisch angetriebenen die Dampftriebwagen der Vorkriegszeit rasch der Name „Fliegender Hamburger“. Luftschrauben im volkstümlich als „Schie- als zu schwerfällig für Zukunftslösungen Hunderte von Hamburgern empfi ngen ihn nenzeppelin“ bezeichneten Aluminium- erwiesen hatten. Wie Bild 12 zeigt, hatte am 15. Mai 1933 begeistert als ersten plan- Triebwagen. die DR die Entwicklung und Erprobung mäßigen Schnelltriebwagen nach 2 Std. 1930 erreichte Kruckenberg zwischen Han- stufenweise vorangetrieben: Von 65 km/h 18 Min Non-stop-Fahrt von Berlin Lehrter nover und Celle mit dem nur 18,58 t wie- über 80 und 100 km/h bis zu dem Auftrag Bahnhof bei 124,6 km/h Reisegeschwin- genden und 25,4 m langen Propellertrieb- von Dr. Ing. Fuchs und Oberrat Breuer aus digkeit (Bild 13). Die Deutsche Reichsbahn schuf mit die- sem und den nachfolgenden 33 Diesel- triebwagen ein von Berlin in nahezu alle Hauptachsen ausstrahlendes Schnell- fahrnetz mit einer sprunghaften Erhö- hung der Reisegeschwindigkeit um 25 bis 30 km/h, dazu Schnellverbindungen mit Elektrotriebwagen auf der Strecke München – Stuttgart. Es waren nicht nur die dokumentierten Geschwindigkeiten, sondern die persönlich „erlebten“ und „erzählten“ Fahrten, die das ganze Sys- tem bewundern ließen. Auch der Autor hat die Schnellfahrt Berlin – Hamburg als Schüler im Sommer 1936 nicht vergessen: Telegrafenmasten, Signale, Gebäude fl o- gen vorbei, während internationale Ge- schäftsleute ihre Akten studierten. Erst am Bild 13: Eine große Menschenmenge erwartet die erste fahrplanmäßige Ankunft 1. Mai 1988 hatte der Autor wieder einen so des FDt „Fliegender Hamburger“ am 15. Mai 1933 in Hamburg Hauptbahnhof [3] starken Eindruck, als er im InterCity-Expe-

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012_021_Weigelt.indd 18 01.11.11 09:15 rimental die Rekordfahrt mit 406,9 km/h derherstellung von Anlagen und Fahrzeu- Baudienst und der Industrie, das Leis- erlebte und Hubschrauber zurückblieben. gen. Ohne die Eisenbahner hätte der Wie- tungsangebot der schnellen Reisezü- Dazwischen lagen 52 Jahre, geprägt von deraufbau der Wirtschaft nicht begonnen. ge auf vorhandener Infrastruktur in Rückschlägen, Krieg, fragwürdiger Eisen- Aber die Bahn wurde nach der Währungs- Geschwindigkeit und Reisekomfort zu bahnpolitik der Bundesrepublik und gro- reform von 1948 bald von der Konkurrenz verbessern. Hier haben sich viele Per- ßen Anstrengungen der Eisenbahner und auf der Straße eingeholt – und nun hieß sönlichkeiten verdient gemacht und in der Bahnindustrie, um den Vorkriegszu- es, das System zu modernisieren. Die Stre- die Fachliteratur eingebracht. stand wieder zu erreichen und in das Zeit- cken mit Trassierungsparametern aus den 2. Initiativen aus der Bahnindustrie zu alter des Hochgeschwindigkeitsverkehrs Anfängen der Eisenbahn, d. h. enge Gleis- neuen Technologien und Systemen. vorzustoßen. bogen im Berg- und Hügelland und zahl- 3. Die Ideen, Studien, Untersuchungen Das weltweit bewunderte Schnellfahrnetz reiche Kopfbahnhöfe, bremsten schnelle und Initiativen von Persönlichkeiten mit insgesamt 34 Diesel-Schnelltriebwa- Züge aus. An ein ausgesprochenes Schnell- verschiedener Provenienz, das Stre- gen und drei Elektrotriebwagen für den fahrnetz war vorerst überhaupt nicht zu ckennetz aus dem 19. Jahrhundert und schnellen Fernverkehr bestand nicht nur denken. Vielmehr mussten die Angebote die Fahrzeugtechnik aus dem 20. Jahr- aus den attraktiven Fahrzeugen, sondern im Fernreise- und Güterverkehr der schma- hundert durch Neu- und Ausbau von auch aus erneuertem Oberbau, teilwei- len Bundesrepublik Deutschland auf die Strecken als Gesamtsystem sprunghaft se 1200 m Vorsignalabstand und anderen nun hier dominierenden Nord-Süd-Ströme auf ein höheres Niveau anzuheben. verbesserten Komponenten des Fahrwegs. ausgerichtet werden. Schnelle Strecken Zwar wurden im Flachland bis 132,8 km/h gab es nur am Oberrhein, zwischen Mün- Die herausragende Leistung der Deut- Reisegeschwindigkeit erreicht, doch kam chen und Augsburg und in Norddeutsch- schen Bundesbahn mit der Fahrzeugin- man im Mittelgebirge mit engen Gleisbö- land, aber keine langen Rennstrecken, dustrie und der Bauwirtschaft war die gen nicht über 100 km/h hinaus. wie einst Oppeln – Breslau – Frankfurt/ zügige Elektrifi zierung der Hauptstrecken. Währenddessen entstanden unter maß- Oder – Berlin oder Berlin – Hannover und Bereits 1949/50 wurden Strecken im Raum geblichem Einsatz von Eisenbahninge- Berlin – Hamburg. Stuttgart sowie Nürnberg – in nieuren großzügig trassierte Reichs - Auch die polyzentrische Bevölkerungs- Betrieb genommen. 1960 waren es 259 km, autobahnen für den ansteigenden Auto- und Wirtschaftsstruktur der Bundesrepu- 1964 dann 612 km und 1968 waren im Bun- mobilverkehr. Wer scharf beobachten blik mit der Hauptstadt Bonn am Rhein desbahngebiet 8000 km elektrische Stre- konnte, musste die bereits eingeleitete und den nunmehr durch Spezialisierung cken in Betrieb, 1989 sogar 11 661 km. Zu Verbesserung der Infrastruktur zugunsten auf bestimmte Wirtschaftsektoren aufblü- den Strecken und Stellwerken kamen die des Automobils und das Zurückbleiben henden Großstädten wie Frankfurt a. M. durchgreifenden Entwicklungen leistungs- der Eisenbahn erkennen. Die zehn neuen oder München erforderten die Neuausrich- fähiger und schneller elektrischer Loko- Schnellzug-Dampfl okomotiven der Bau- tung des Fernverkehrsnetzes. motiven und Triebwagen – von der umfas- reihe 01 machten zwar 1935 auf der Hun- Die seit 1949 als „Deutsche Bundes- senden Verdieselung einmal abgesehen. dertjahrausstellung der Deutschen Reichs- bahn“ (DB) fi rmierende Bahn in den drei bahn mit ihrer Parade mächtigen Eindruck „Westzonen“ sammelte von Fahrplan zu 7.1 Angebotssysteme – aber sie waren im Grunde nicht die Sym- Fahrplan die jeweils instand gesetzten bole der Zukunft. Das waren vor allem die besten Fahrzeuge zusammen, um den Die systematischen Verbesserungen des Elektrolokomotiven und Elektrotriebwa- Anforderungen der Wirtschaft nachzu- Leistungsangebotes lassen sich insbeson- gen, die eher im Hintergrund standen und kommen, wieder D-Züge und einige noch dere an der Einführung folgender Fahr- damals Nürnberg nur von München her nicht sonderlich schnelle FD-Züge für zeuggenerationen und Fahrplansysteme mit eigenem Antrieb erreichen konnten. den Geschäftsverkehr anzubieten, und konzentriert präsentieren (nach [6]): zwar vorwiegend in nordsüdlicher Rich- tung. Wiederaufbau zerstörter Anlagen, 1957: Trans-Europ-Expreß-Züge (TEE): 6 Zweiter Weltkrieg Instandsetzung beschädigter Fahrzeuge Auf Anregung des Präsidenten der Nie- 1939 bis 1945 und die Folgen und Modernisierung gingen ineinander derländischen Eisenbahnen (NS), M. den über. Die damals vollbrachten enormen Hollander, erarbeiteten 1953 mitteleuro- Der Zweite Weltkrieg hat die Deutsche Leistungen der Eisenbahn, der Bauunter- päische Eisenbahnen die Grundlagen für Reichsbahn in Infrastruktur und Fahr- nehmen und der Bahnindustrie sind in [6] grenzüberschreitende Triebwagen mit zeugen unvorstellbar abgenutzt, durch umfassend dokumentiert. herausragendem Komfort 1. Klasse. Mit 14 Transporte für alles und jedes, auch für Verbindungen eröffneten sieben europäi- die Beförderung von Juden und Sinti in sche Eisenbahnunternehmen 1957 den TEE- Vernichtungslager. In den letzten Kriegs- 7 Aufbruch Verkehr, vorbildlich im Komfort mit nur jahren kamen dann die systematischen zum Schnellverkehr drei Sitzen 1. Klasse je Reihe, mit 140 km/h Bombenangriffe der Alliierten auf die Höchstgeschwindigkeit nach neuer EBO. Knotenbahnhöfe hinzu, um die deutsche Im Rahmen der wahrhaft riesigen Aufgabe Berühmt wurden die Zugpaare „Helve- Wirtschaft durch Lähmung des Hauptver- der Modernisierung der Deutschen Bun- tia“ Hamburg – Zürich und Rhein – Main kehrsträgers Eisenbahn abzuwürgen. Zum desbahn insgesamt und des Strukturwan- Frankfurt – Amsterdam. Helvetia erreichte Schluss zerstückelten noch zahlreiche dels der Zugförderung im Besonderen sind 1959 über 100 km/h Reisegeschwindig- Brückensprengungen das deutsche Eisen- im Rückblick auf den schnellen Reisever- keit. bahnnetz. kehrs drei große Entwicklungsbänder zu Am Ende schien die deutsche Eisenbahn erkennen: 1971: Intercity-Züge 1. Klasse ruiniert. Aber die Eisenbahner krochen aus IC im 2-Stunden-Takt auf vier Linien ein- Bunkern und Kellern, kamen zurück von 1. Die systematische Arbeit des DB-Fahr- geführt, bespannt mit neuen elektri- der Front und aus Gefangenschaft und plandienstes, von Fahrplan zu Fahr- schen Lokomotiven der Baureihe 103, zu- gingen mit Pickel und Schaufel an die Wie- plan zusammen mit Maschinendienst, nächst (mit Rücksicht auf den Oberbau)

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mit 160 km/h Höchst- und 104,5 km/h 7.2 Studie für ein Schnellfahrnetz Wirtschaftlichkeit eines Ausbaus der Alt- Durchschnittsgeschwindigkeit, später bis strecke und alternativ einer vorausgewähl- 200 km/h Höchstgeschwindigkeit. Der DB vorstand unter dem Vorsitz von ten Neubaustrecke in gestreckter Linien- Prof. Heinz M. Öftering erteilte einem Team führung zwischen Hamburg – Harburg und 1979: Intercity 79 unter der Leitung von Prof. Albert Dobmei- Celle mit Vorschlägen für die Gleisführung Intercity 79, Mai 1979, 1. und 2. Klasse im er den Auftrag, ein Netz von Schnellfahr- in den Knoten.

1-Stunden-Takt, Vmax = 160 km/h, Durch- strecken für die damalige Bundesbahn zu Im September 1964 legten Prof. Albert schnitt 102,3 km/h. erarbeiten. Damit sollte, als Reaktion auf Dob maier und die Präsidenten Dr. Adal- die Netzplanungen für neue Autobahn- bert Baumann, Hermann Stroebe und Kurt 1985 trassen, eine Antwort gegeben werden Hagner dem DB-Vorstand einen 110 Seiten IC 85, 1. und 2. Klasse im 1-Stunden-Takt, für einen schnellen und wirtschaftlichen starken Untersuchungsbericht vor [7].

Vmax = 200 km/h auf 400 km Strecke, Transport von Personen und Gütern mit Im Rückblick wurde damit der erste zu- Durchschnitt 108 km/h. der Eisenbahn. kunftsgerichtete, durch verkehrswirt- Den nächsten großen Fortschritt brach- Der Autor hat Anfang der 1960er Jahre an schaftliche und eisenbahnbetriebliche te der Fahrplan 1991 mit dem Einstieg in den Planungen und Wirtschaftlichkeits- Fakten untermauerte Anstoß zu einem den Hochgeschwindigkeitsverkehr, dem berechnungen von alternativen Neu- und Schnellfahrnetz aus neuen, vorhandenen Intercity-Express und 250 km/h Höchst- Ausbaustrecken für 200 bis 250 km/h zwi- und auszubauenden Hauptstrecken erar- geschwindigkeit auf den Neubaustre- schen Hamburg und Hannover maßgeb- beitet (Bild 14). Dies war die erste umfas- cken Hannover – Würzburg und Mann- lich mitgearbeitet. Im Oktober 1962 legte sende Untersuchung in einer Zeit, da nur heim – Stuttgart. Die hierzu erforderliche er mit seinem Team vier Streckenvarianten für die Autobahnen deutschlandweite Entwicklung wird nachfolgend skizziert. vor. Im März 1963 folgte der Vergleich der Planungen und ein „Bedarfsplan für neue Strecken“ vorlagen. Wie Dr. Baumann in [8] berichtete, hatte sich aus den Untersu- chungen ergeben, dass für die Eisenbahn „durch geeignete Fahrwege wie durch Fortschritte der Fahrzeugkonstruktion Geschwindigkeiten bis 250 km/h als aus- sichtsreich, künftig weitgehend anwend- bar und auch sicherungsmäßig beherrsch- bar betrachtet werden können.“ Bereits bei 200 km/h zeichne sich allerdings eine Grenze ab, bei deren Überschreiten um- fangreiche Streckenum- und -neubau- ten erforderlich seien. Bild 14 zeigt den Vorschlag für den Neu- und Ausbau von Schnellstrecken der Gruppe für allgemeine Studien [7]. Prof. Dobmaier hatte sich auch bei Prof. Öftering dafür eingesetzt, während der Internationalen Verkehrsausstellung in München 1965 planmäßige Schnellzüge mit 200 km/h Höchstgeschwindigkeit zwischen München und Augsburg einzu- setzen. Die sechsachsige elektrische Neu- baulokomotive BR E 03 führte modernste Reisezugwagen (Bild 15). Auf diese Weise demonstrierte die DB das große Potenzial des Rad-Schiene-System in einer Zeit, da so genannten „unkonventionellen Ver- kehrsmitteln“ eine große Zukunft zuge- schrieben wurde.

8 Erste Hochgeschwindig- keitsstrecken

Nach dem Vorschlag von Schnellstre- cken und der Vertiefung der Konzeption innerhalb der DB sowie der Realisierung der Schnellbahn „Shinkansen“ in Japan gewann die Idee einer Fernschnellbahn in Rad-Schiene-Technik in Deutschland an Unterstützung. Die Begründung von neuen Strecken musste allerdings über Bild 14: Vorschlag für den Ausbau von Schnellbahnstrecken [7] das Motiv „Ergänzungsstrecken“ zur Ka- e

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012_021_Weigelt.indd 20 01.11.11 09:15 Die Bedeutung des HGV für Deutschland

Rüdiger Grube Die Bedeutung des HGV für den Personenverkehr in Deutschland

Weiß mit rotem Streifen, windschnittig und schnell: So kennt man den ICE. Vor 20 Jahren nahmen die ersten Superschnellzüge ihre Fahrt auf und läuteten das Hochgeschwindigkeitszeitalter im deutschen Schienen- verkehr ein. Das hat das Land verändert – es hat die Menschen mobiler gemacht und Deutschland rückte nach der Wiedervereinigung auch auf der Schiene näher zusammen. Der ICE ist Inbegriff einer epoche- machenden Veränderung: Kein Projekt hat den Bahnbetrieb stärker geformt. Der deutsche Hochgeschwindig- keitsverkehr ist ein Erfolg des Systemverbunds Bahn. Heute verbindet der Intercity-Express nicht nur deutsche Städte, sondern fährt über die Grenzen in sechs Nachbarländer. Auch die nächste Generation der weißen Züge ist schon in Sicht, damit der ICE auch in Zukunft für einen Umstieg von Auto und Flugzeug auf die Schiene begeistert.

Der Startschuss für den 20 Jahren immer weiter gewachsen – von zurück. Bundesweit stehen Deutschlands deutschen HGV ursprünglich 60 Zügen auf über 250 Züge. schnellstem Zug inzwischen 1200 km Neu- Bis heute hat die ICE-Flotte rund 1,4 Mrd. oder Ausbaustrecke zur Verfügung, auf de- Am 29. Mai 1991 war es soweit: Das Zeit- km zurückgelegt und bildet mit ihren vier nen Geschwindigkeiten von 230 km/h und alter der Hochgeschwindigkeitszüge be- Generationen das Rückgrat des Fernver- mehr gefahren werden können. Auf den gann mit einer Sternfahrt von Hamburg, kehrs in Deutschland. Neubaustrecken Köln/Rhein–Main und München, Stuttgart, Mainz und Bonn zum Die ICE-Züge bewältigen über 60 % der ge- Nürnberg – Ingolstadt fahren die ICE-3-Zü- neuen ICE-Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe. samten Leistung im Fernverkehr. ge 300 km/h, auf der Strecke von Frankfurt Dort wurden die vier ICE vom Bundes- Mit dem weißen Schienenfl itzer hat das nach Paris sogar bis zu 320 km/h. präsidenten Richard von Weizsäcker fei- Bahnfahren sein angestaubtes Image ver- erlich begrüßt. Am 2. Juni pünktlich um loren. Das ganze Land war 1991 fasziniert 5.53 Uhr begann der ICE 593 „Münchner von den neuen Zügen. Bereits in den ers- Zuwachs für die ICE-Familie Kindl“ als erster planmäßiger ICE seine ten 100 Tagen wollten mehr als 2,5 Mio. Fahrt von Hamburg über Frankfurt (Main) Reisende das ICE-Fahrgefühl erleben. Das Im Laufe der 20 Jahre bekam die ICE-Flotte nach München – der Startschuss für eine entsprach einem Fahrgastzuwachs von Familienzuwachs: Nach dem ICE 1 – einem neue Ära im deutschen Schienenverkehr. 25 % auf den entsprechenden Strecken. mehrteiligen Triebzug bestehend aus zwei Der ICE 1 (Bild 1) stellte damals einen ge- Und die Begeisterung dauert bis heute an: Triebköpfen und zwölf nicht angetriebe- waltigen technologischen Fortschritt dar Die Reisendenzahl im ICE hat sich von rund nen Mittelwagen – nahm die zweite ICE- und galt als bedeutendste Innovation 10 Mio. Fahrgästen 1992 bis zum Jahr 2010 Generation 1996 den Betrieb auf. Mit dem der Deutschen Bundesbahn im Personen- auf fast 78 Mio. fast verachtfacht. Heute ICE 2 kam eine kuppelbare Version dazu, fernverkehr nach dem Zweiten Weltkrieg. nutzen täglich über 210 000 Fahrgäste das um Strecken im „Flügelzug-Verfahren“ zu Auch die weitere Entwicklung spricht für engmaschige ICE-Netz und legen dabei bedienen (Bild 2). Das luftgefederte Fahr- sich: Die ICE-Flotte ist in den vergangenen eine Strecke von durchschnittlich 307 km werk sorgt für mehr Komfort, die leichte

Bild 1: InterCityExpress (ICE 1) bei Ehringen, Bild 2: InterCityExpress 2 (ICE 2) auf der Schnellfahrstrecke Strecke Basel – Karlsruhe Hamburg – Berlin bei Schönhausen (Elbe)

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022_25_Grube.indd 22 01.11.11 12:06 Bild 3: ICE T auf der Verbindung Innsbruck – Berlin bei Bild 4: ICE 3, Baureihe 406, im Pariser Bahnhof Garmisch-Partenkirchen mit dem Zugspitzmassiv im Hin- Gare de l’Est tergrund

Bauweise ermöglicht es, mit 14 statt mit WC-Systeme mit Wasserspülung und Va- Bundesrepublik weltweit für ihr fl ächen- zwölf Wagen zu fahren. Um auch auf kon- kuumabsaugung – bei der Einführung des deckendes ICE-Netz bewundert. Denn es ventionellen und kurvenreichen Strecken ICE 1 vor 20 Jahren eine Neuheit – kommen erschließt das ganze Land – von Hamburg Fahrtzeit zu gewinnen, gingen im Mai 1999 ganz ohne Chemikalien aus. Der Lärmpe- nach München, von nach Köln. die ersten ICE T mit Neigetechnik an den gel der Züge konnte durch die aerodyna- Im Gegensatz zu anderen Nationen ist das Start. Die ICE T können sich wie Motorrad- mische Form und Schallabsorber an den Hochgeschwindigkeitsnetz weder zentra- fahrer in die Kurven legen, um mit einer Rädern gesenkt werden. Weitere Neuent- lisiert noch auf wenige Punkt-zu-Punkt- Neigung von bis zu acht Grad die Gleis- wicklungen wurden später in die Serie Verbindungen ausgerichtet. bögen schneller zu durchfahren, ohne den eingebracht: So arbeiten die Klimaanla- Wie die „Generation Golf“ gibt es heute Reisekomfort zu beeinträchtigen. gen der ICE 3-Züge ohne klimabelastende eine „Generation ICE“. Das sind Menschen, Der ICE T und der 2001 folgende ICE 3 synthetische Kältemittel. Beim Redesign die viele hundert Kilometer mit der Bahn stehen für das Triebwagenkonzept: Die des ICE 1 konnte die Zahl der angebotenen pendeln, reisen und dabei arbeiten, ent- Antriebsleistung ist auf mehrere Achsen Sitzplätze zeitgleich mit dem Komfort er- spannen oder kommunizieren. Und das verteilt, was eine höhere Beschleunigung höht und damit der Energieverbrauch pro oft täglich und mehrere zehntausend oder ermöglicht. Während der ICE T mit seiner Fahrgast gesenkt werden. gar hunderttausende von Kilometern pro Neigetechnik vor allem auf kurvenreichen Trotz der hohen Geschwindigkeiten ist die Jahr. Wohnen in Berlin, arbeiten in Ham- Strecken im Inland fährt, ist der ICE 3 auch ICE-Flotte recht sparsam. Bei einer Auslas- burg – in Sachen Mobilität setzt der Hoch- international unterwegs (Bild 3). Er ist der tung von rund 50 % liegt der Energiever- geschwindigkeitsverkehr kaum Grenzen schnellste ICE und der erste Zug mit seri- brauch des ICE 3 umgerechnet bei weniger – Pendeln mit dem ICE gehört zum Alltag. enmäßigen linearen Wirbelstrombremsen. als 2 l Benzin pro Person und 100 km, beim Die neueste Generation – 16 mehrsystem- ICE 2 bei rund 2,5 l und beim ICE 1 immer- fähige ICE 3 der Baureihe 407 von Siemens hin noch bei weniger als 3 l Benzin. Europa rückt im – bringt das Markenzeichen der DB ab 2012 Seit Anfang 2009 ist Bahnfahren noch Schienenverkehr zusammen auf den modernsten Stand der Technik klimafreundlicher. Mit dem Umwelt-Plus und erfüllt die höchsten Standards bei Si- Angebot ermöglicht die Deutsche Bahn Die hohe Vernetzung der deutschen Hoch- cherheit, Fahrgastkomfort und Effi zienz. Firmenkunden, ihre Geschäftsreisen kom- geschwindigkeitsstrecken erfordert auch

plett CO2-frei zu unternehmen. Die DB eine hochwertige Infrastruktur, die die DB kauft dafür den Anteil des Stromver- gemeinsam mit dem Bund auf die Beine Mit dem ICE brauchs aus regenerativen Energien ein. gestellt hat und kontinuierlich weiter aus-

klimafreundlich reisen CO2-freie Reisen und Transporte auf der baut. Ganze 948 km umfasste das Netz, als Schiene erfreuen sich wachsenden Zu- die ersten 23 ICE 1 zwischen München und Der ICE hat viele Menschen dazu bewegt, spruchs. Zudem wurden die Angebote auf Hamburg unterwegs waren. 20 Jahre spä- vom Flugzeug oder Auto auf umweltscho- die Fahrtziel-Natur-Reisen von Ameropa, ter ist die ICE-Familie auf 8150 km Strecke nendes und entspanntes Reisen mit der Klassenfahrten und Rail-inclusive-tours- unterwegs. Davon liegen 6865 km im DB- Bahn umzusteigen. Gerade die attraktiven Tickets ausgedehnt. Netz, der Rest im benachbarten Ausland Reisezeiten auf den Schnellfahrstrecken (Bild 4). Denn der ICE wurde in den vergan- überzeugen: Ein Fahrgast im Fernverkehr genen 20 Jahren ein überzeugter Europäer. erspart der Umwelt im Vergleich zum Auto Der ICE schafft Nähe Bereits im September 1992 wurden die Ver- rund zwei Drittel des klimaschädigenden kehre in die Schweiz aufgenommen. Heu- CO2 – im Vergleich zum Flugzeug sind es Der ICE entwickelte sich schon kurz nach te sind rund 80 europäische Städte direkt sogar mehr als 75 %. seiner ersten Fahrt zu einer echten Mar- von Deutschland aus erreichbar. Täglich Schon bei der Entwicklung der ICE-Züge ke und steht mittlerweile europaweit für nutzen mehr als 40 000 Fahrgäste die über hat die Bahn von Anfang an Maßstäbe komfortables sowie schnelles Reisen. Der 260 grenzüberschreitenden Verbindungen, in Sachen Umwelt gesetzt: Durch ihre Hochgeschwindigkeitszug wurde Stück für von denen 70 % mit dem ICE und weiteren Aerodynamik konnte der Energieverbrauch Stück auch zum Aushängeschild Deutsch- Hochgeschwindigkeitszügen von Part- deutlich gesenkt werden. Beim Brem- lands in der ganzen Welt. Touristen – egal nerbahnen, wie z. B. dem TGV, befahren sen wird der über die modernen genera- ob aus den USA oder Fernost – lassen sich werden. In Kooperation mit den anderen torischen Bremsen erzeugte Strom zu- gern vor den weißen Flitzern mit dem ro- europäischen Partnerbahnen steuert die rück ins Netz gespeist. Die geschlossenen ten Streifen fotografi eren. Zudem wird die ICE-Flotte Ziele in sechs Nachbarländern

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022_25_Grube.indd 23 01.11.11 12:06 Die Bedeutung des HGV für Deutschland

Bild 5: Die Deutsche Bahn stellte am 19.10.2010 erstmals Bild 6: Präsentation des neuen ICE Velaro D am 22.09.2010 einen ICE 3 im Londoner Bahnhof St. Pancras International auf der Innotrans, bei der DB nach Zulassung als vor Baureihe 407 für den internationalen Einsatz vorgesehen

an: Schweiz, Frankreich, Belgien, Nieder- Neue Anforderungen Schnitt unterwegs. Das erfordert in den lande, Dänemark und Österreich. Und 2010 bringen Veränderungen ICE-Werken Höchstleistungen bei War- verließ ein ICE zum ersten Mal auf Gleisen tung und Instandhaltung. In den moder- das europäische Festland und wurde in An- Attraktive Fahrzeiten und ein fl ächen- nen Werken rollen die Triebzüge heute in wesenheit zahlreicher prominenter Vertre- deckendes Schienennetz lassen immer voller Länge in die Regelinspektion. Am ter in London vorgestellt (Bild 5). mehr Reisende auf den ICE umsteigen. Der nördlichen Ende der ersten ICE-Linie, in So wie Deutschland mit dem ICE in den Hochgeschwindigkeitszug hat damit nicht Hamburg-Eidelstedt, entstand vor mehr letzten 20 Jahren zusammenrückte, wird nur das Reiseverhalten verändert, sondern als 20 Jahren das erste ICE-Betriebswerk. mit dem europäischen Hochgeschwin- auch die Deutsche Bahn selbst: Das Unter- Die Wartung erfolgt dort – wie in den an- digkeitsverkehr Europa in den kommen- nehmen wurde durch den ICE moderner, deren Werken – auf drei Arbeitsebenen. den Jahren weiter zusammenrücken. Der kundenorientierter und internationaler. Beim täglichen Boxenstopp inspizieren, grenzüberschreitende Fernverkehr erfreu- Im direkten Wettbewerb mit dem Flugver- warten und reinigen die Frauen und Män- te sich im vergangenen Jahr an einem kehr hat die DB zahlreiche Kooperationen ner im Werk die ICE, führen Funktionsprü- Zuwachs an Fahrgästen von 7 % und die mit den europäischen Partnerbahnen ge- fungen, Kontrollen und Spezialreparaturen Deutsche Bahn baut die internationalen schlossen und auch neue Servicekonzepte durch. Neben Hamburg gibt es inzwischen Verbindungen weiter aus: Im Frühjahr 2012 entwickelt. Die hochwertige Bordgastro- sieben weitere Betriebswerke: in Leipzig, startet die DB in Kooperation mit der SNCF nomie, exzellente Arbeitsmöglichkeiten, München, Berlin, Frankfurt (Main), Dort- eine Direktverbindung zwischen Frankfurt der Sitzkomfort oder der umfangreiche mund, Köln und Basel (Bild 7). Derzeit (Main) und Marseille. Für die Folgejahre ist Am-Platz-Service in der 1. Klasse liefern wird in Frankfurt (Main) ein weiteres ICE- die Aufnahme regelmäßiger Verkehre mit viele Gründe, den Hochgeschwindigkeits- Werk errichtet. Dort werden dann die Züge täglich drei Zugpaaren zwischen Frankfurt verkehr zu nutzen. Das Betriebskonzept der neusten ICE-Generation ICE 3 M (Bau- (Main) und London geplant. Auf dieser der ICE lautet: hohe Laufl eistung, Zuver- reihe 407) gewartet. Verbindung wird der ICE 3 der Baureihe 407 lässigkeit im Einsatz und wenig Standzei- Mit dem Start des Hochgeschwindigkeits- fahren (Bild 6). ten. 500 000 km pro Jahr sind die ICE im verkehrs haben sich auch die Anforderun- gen an die Ausbildung und Qualifi zierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der DB geändert. Dazu gehören kunden- orientierte Schulungsprogramme, neue Unternehmensbekleidung sowie das Ent- wickeln neuer Serviceleistungen und kom- plexer IT-Lösungen. Auch die neuen tech- nischen Komponenten und Werkstoffe er- fordern ein stets aktuelles Verständnis der technischen Abläufe und setzen besonde- res fachliches Wissen voraus. Der Technik- wandel hat neue Berufsbilder – im Service, im Verkauf, im Bahnhof, im Zug und in der Instandhaltung – hervorgebracht und da- mit neue Chancen für die DB-Mitarbeiter geschaffen. So sind neben den klassischen Verkehrsberufen wie Eisenbahner im Be- triebsdienst, Fachrichtung Lokführer/ Transport oder Fahrweg und Kaufmann im Verkehrsservice insgesamt über 25 Be- rufsausbildungen möglich – von Mecha- Bild 7: ICE-Werk der Deutschen Bahn in Leipzig, Blick in die Wartungshalle troniker und Industriemechaniker über

24 Jahrbuch des Bahnwesens 2011/12

022_25_Grube.indd 24 01.11.11 12:06 Fachkraft für Schutz und Sicherheit und Fachmann für Systemgastronomie bis hin zu IT-Systemelektronikern. Dieses breite Spektrum spiegelt sich auch in der Vielzahl der dualen Studiengänge der Deutschen Bahn wider. Zum Beispiel werden Ingeni- eurstudiengänge der Fachrichtung Facili- ty Management oder Projekt Engineering ebenso angeboten wie Wirtschaftsinfor- matik und Informatik oder auch betriebs- wirtschaftliche Studiengänge, wie „Food Management“.

Herausforderung: Technik Bild 8: ICx auf freier Strecke (Simulation) Aus dem Radsatzwellenbruch eines ICE 3 im Jahr 2008 in Köln – bei dem keine Men- Deutsche Bahn mit Siemens einen Vertrag in der Zukunft aber auch nach Paris und schen zu Schaden kamen – hat die Deut- im Wert von rund 6 Mrd. EUR über den Ab- London fahren. sche Bahn klare Konsequenzen gezogen: ruf von 220 ICx-Zügen und mit Option auf Ein nächster großer Schritt für die Mo- Alle ICE-Achsen werden heute bis zu zwölf weitere 80 Fahrzeuge unterzeichnet – die bilität in Deutschland wird die Inbe- Mal häufi ger mit Ultraschall geprüft als bislang größte Investition in der Geschich- triebnahme der Neu- und Ausbaustrecke vorher. Darüber hinaus entwickeln die te der DB. Die Züge werden vom Rohbau Nürnberg – Erfurt – Leipzig/Halle – Berlin Hersteller derzeit neue Achsen, die nach bis zur Endmontage in Deutschland gefer- 2016 bzw. 2018 sein. Damit verkürzt sich Lieferung, Zulassung und Einbau die Fahr- tigt, was tausende von Arbeitsplätzen – die Reisezeit von Berlin nach München von zeugverfügbarkeit wieder stärken sollen. auch in der mittelständischen Zulieferin- heute rund sechs Stunden auf rund vier Außerdem vereinbarte die DB mit den Her- dustrie – sichert. Der ICx überzeugt unter Stunden. Das ICE-System wird also auch stellern verbindliche Qualitätsstandards anderem durch seine besondere Umwelt- in Zukunft immer attraktiver und deshalb für den Bau neuer Züge, damit die für die freundlichkeit. Die Fahrzeuge verbrauchen weiterhin nicht nur Vielfahrer und Pendler, Kunden und das Unternehmen ärgerlichen im Vergleich zum Vorgänger bis zu 30 % sondern auch neue Kundengruppen für Einschränkungen der ICE-Flotte bald der weniger Energie und bieten eine hohe das Bahnfahren begeistern. Vergangenheit angehören. Wirtschaftlichkeit im Betrieb sowie durch die fl exible Raumgestaltung einen neuen Der Autor Komfort für die Fahrgäste. Damit setzt das Generationswechsel Fahrzeug ab 2016 neue Standards für den Dr. Rüdiger Grube für die Zukunft Hochgeschwindigkeitsverkehr. Vorsitzender des Vorstandes Vorher – im Lauf des Jahres 2012 – werden der DB AG Nach 20 Jahren mit den Schienenfl itzern die neuen ICE 3 der Baureihe 407 auf die ist die nächste Generation des ICE-Systems Schiene gebracht. Die Züge verstärken schon in Sicht (Bild 8). Im Mai 2011 hat die zunächst die ICE-Flotte im Inland, sollen

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022_25_Grube.indd 25 01.11.11 12:06 Der HGV in der europäischen Verkehrspolitik

Matthias Ruete Hochgeschwindigkeitszüge in der europäischen Verkehrspolitik

In den letzten Jahrzehnten haben Hochgeschwindigkeitszüge zu einem Wandel des europäischen Eisenbahn- wesens geführt, der 1981 mit der Eröffnung des ersten Teilstücks der Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Paris und Lyon in Frankreich seinen Anfang nahm. Mit Freigabe des ersten Hochgeschwindigkeits- abschnitts zwischen Hannover und Würzburg und Inbetriebnahme der ersten ICE-Generation trat Deutschland 1991 – also zehn Jahre später – dem „Hochgeschwindigkeits-Club“ bei. Dieses Jahr feiern wir somit nicht nur das 20-jährige Bestehen des Hochgeschwindigkeitsschienenverkehrs in Deutschland; auch das Erlebnis Hochgeschwindigkeitsbahn in Europa wird 30 Jahre alt.

Von der Einzelstrecke zum Netzwerk

Hochgeschwindigkeitszüge in Europa sind eine Erfolgsgeschichte. Sie haben nicht nur zu einer Renaissance des Perso- nenfernverkehrs auf der Schiene geführt, sondern stehen auch als Beispiel für unser Innovationspotenzial zugunsten der Wett- bewerbsfähigkeit und des territorialen Zu- sammenhalts Europas; außerdem leisten sie einen Beitrag zu einem nachhaltigen und umweltfreundlicheren europäischen Transportsystem. Seit der Einführung von Hochgeschwin- digkeitsverbindungen ist die Zahl der Fahrgäste, die sich für dieses Transport- mittel entscheiden, ständig gewachsen. Die Anzahl der Passagierkilometer auf al- len Strecken in Deutschland, Belgien, Spa- nien, Frankreich, Italien und Großbritanni- en hat sich von 15,2 Mrd. im Jahr 1990 auf 92,33 Mrd. im Jahr 2008 erhöht. Die Entwicklung des europäischen Hoch- geschwindigkeitsschienennetzes ist durch drei sich gelegentlich auch überschnei- dende Phasen geprägt: In einer ersten Phase bauten mehrere Länder unabhängig voneinander einzelne neue Hochgeschwindigkeitsstrecken. Sie konnten nur eine sehr begrenzte Anzahl von Verbindungen bedienen und aus die- sem Grund auch nur einen recht kleinen Marktanteil des gesamten schienenge- bundenen Personenfernverkehrs für sich beanspruchen. Angesichts der unter- schiedlichen technischen Entwicklungen auf nationaler Ebene war eine Kompatibi- lität der verschiedenen Systeme nicht ge- währleistet, was die weitere Entwicklung hin zu einem Hochgeschwindigkeitsbahn- netz erschwert hätte. Um dieses Hindernis zu überwinden, kam einer Interoperabili- tät entscheidende Bedeutung zu. In einer zweiten Phase wurden die Hochge-

Foto: European Commission European Foto: schwindigkeitsstrecken durch Streckenab-

26 Jahrbuch des Bahnwesens 2011/12

026_028_Ruete.indd 26 01.11.11 09:17 zweige erweitert und/oder es kamen neue Bild 1: Abschnitte hinzu, so dass nationale und 30 Jahre HGV in regionale Hochgeschwindigkeitssysteme Frankreich: Am 22. September 1981 entstanden. Hochgeschwindigkeitszüge startete der erste ersetzten nach und nach konventionelle TGV vom Gare de Züge als Rückgrat des Personenfernver- Lyon in Paris in kehrs in mehreren Mitgliedstaaten. Richtung Lyon. Damit begann die In einer dritten Phase schließlich fi ndet Ära der Hoch ge- nun die grenzüberschreitende Verbindung schwin dig keits züge. der nationalen oder regionalen Netze und Eigens dafür war die Entstehung eines europäischen Hoch- eine 462 Kilometer geschwindigkeitsnetzes statt. Durch Fest- lange Schnellfahr- strecke von Paris legung gemeinsamer Standards mithilfe nach Lyon gebaut der Technischen Spezifi kationen für die In- worden teroperabilität (TSI) trägt die Europäische Foto: SNCF Union dazu bei, die Interoperabilität die- ses Bahnnetzes über Grenzen hinweg zu Jahres 2005 wird sich der Güterverkehr gen Ergänzungen in einem einzigen rechts- ermöglichen. Die europäische Dimension voraussichtlich fast verdoppeln. Bis 2050 gültigen Dokument zusammenfasst. Die des Hochgeschwindigkeitsbahnverkehrs sollte der Großteil der Personenbeförde- Umgestaltung sieht überarbeitete Bedin- wird auch durch die Tatsache verdeutlicht, rung über mittlere Entfernungen auf die gungen in den Bereichen Finanzierung dass viele Hochgeschwindigkeitsstrecken Eisenbahn entfallen. Für Reisestrecken bis und Gebührenerfassung, Wettbewerb und in Prioritätsprojekte der Trans-European zu einer Länge von 1 000 km dürften Hoch- regulatorische Aufsicht vor. Networks (TEN-T) aufgenommen wurden geschwindigkeitszüge den Vormarsch des Eine Voraussetzung, die die Bahn erfüllen und so die Grundlage für eine Kofi nanzie- Flugzeugs als bevorzugtes Verkehrsmit- muss, um unseren Erwartungen gerecht rung durch die EU schaffen. tel stoppen. Dies bedeutet eine zusätzli- zu werden, ist eine angemessene Schie- che Belastung des gesamteuropäischen neninfrastruktur, die in der Lage ist, die Schienennetzes um 67 Mrd. Pkm bis 2050. Marktbedürfnisse sowohl in quantitativer Fahrplan zu einem einheitlichen Gleichzeitig befürwortet das Weißbuch als auch qualitativer Hinsicht zu erfüllen. europäischen Verkehrsraum das Konzept einer Integration der ver- Ein wesentlicher Faktor für den Personen- schiedenen Verkehrsträger; für die Perso- verkehr ist dabei sicherlich die Verkürzung Im März 2011 veröffentlichte die Europäi- nenbeförderung würde dies beispielsweise von Reisezeiten. Aus diesem Grund sieht sche Kommission das Weißbuch Fahrplan bedeuten, dass alle größeren Flughäfen an das Weißbuch auch eine Verdreifachung zu einem einheitlichen europäischen Ver- das Schienennetz angebunden werden. der Länge des bestehenden Hochge- kehrsraum. Bei diesem Weißbuch handelt schwindigkeitsschienennetzes vor. es sich um ein strategisches Dokument, Vor diesem Hintergrund sollte auch er- das die jüngste Verkehrspolitik bewertet, Die Schaffung eines einheitlichen wähnt werden, dass das Weißbuch ganz auf langfristige Herausforderungen ein- europäischen Verkehrsraums klar auf eine Infrastrukturlücke zwischen geht und die Ziele unterstreicht, die wir in den „alten“ und „neuen“ Mitgliedstaa- den nächsten 40 Jahren bis 2050 erreichen Um dem Bahnverkehr – und hierzu zäh- ten hinweist. Diese Infrastrukturlücke ist müssen, um ein wettbewerbsorientier- len auch Hochgeschwindigkeitszüge – die nicht zuletzt auch im Hochgeschwindig- tes und ressourcenschonendes Verkehrs- Wahrnehmung seiner ihm zugedachten keitsschienennetz vorhanden. Die oben system zu schaffen. Außerdem stellt das Rolle auf dem künftigen europäischen Ver- beschriebene Situation eines gerade ent- Weißbuch ein detailliertes Rahmenwerk kehrsmarkt und die Bewältigung der noch stehenden kohärenten Hochgeschwin- für politische Maßnahmen zur Verfügung, vor uns liegenden Herausforderungen zu digkeitsnetzes in Europa gilt sicherlich um diese Vorgaben erfüllen zu können. ermöglichen, sind einige Maßnahmen für weite Teile Westeuropas; in den neuen Dem Schienenverkehr kommt in dem erforderlich. Europaweit harmonisierte Mitgliedstaaten jedoch ist ein solches Netz Weißbuch eine wichtige Aufgabe zu, da rechtliche Rahmenbedingungen und die zum größten Teil noch gar nicht vorhan- eines seiner wesentlichen Ziele die stär- Beseitigung technischer und vor allem den. Ohne die Notwendigkeit der Einfü- kere Nutzung energieeffi zienter Verkehrs- verwaltungstechnischer Hindernisse, die gung bestimmter „fehlender Bindeglieder“ träger im Personen- und Güterverkehr ist. heute noch die Interoperabilität eines eu- in den Hochgeschwindigkeitsnetzen der Die Bahn ist derjenige Verkehrsträger, der ropäischen Schienensystems beeinträchti- „alten“ Mitgliedstaaten in Frage stellen zu am besten geeignet ist, einen steigenden gen, sind von entscheidender Bedeutung, wollen, ist es doch offensichtlich, dass ein Beförderungsbedarf zu decken und gleich- um das Potenzial des Schienenverkehrs in ganz erheblicher Teil der Verdreifachung zeitig die Nachhaltigkeit des Verkehrssys- vollem Maße zu nutzen. Die Europäische des europäischen Hochgeschwindigkeits- tems zu gewährleisten. Die stärkere Nut- Kommission hat eine Reihe von Initiativen netzes auch in den neuen Mitgliedstaa- zung der Bahnen wird auch nötig sein, um eingeleitet, um Fortschritte auf diesem ten stattfi nden wird. Polen beispielsweise die hochgesteckten Ziele hinsichtlich ei- Gebiet mit dem Ziel eines einheitlichen entwickelt bereits konkrete Pläne für den ner Verringerung der Abhängigkeit vom Öl europäischen Verkehrsraums sicherzu- Bau neuer Hochgeschwindigkeitsstrecken und Senkung der Treibhausgasemissionen stellen. In diesem Zusammenhang ist die mit einer Y-förmigen Streckenführung zu erfüllen, denen sich der Europäische Umgestaltung des Ersten Eisenbahnpa- zwischen Warschau, Breslau und Posen Rat als Vertretung der Mitgliedstaaten auf kets sehr wichtig. Sie zielt auf die Verein- als Kernstrecke und Zweigstrecken nach höchster Ebene verpfl ichtet hat. fachung, Verdeutlichung und Modernisie- Deutschland und in die Tschechische Re- Dementsprechend befürwortet das Weiß- rung der rechtlichen Rahmenbedingungen publik. Auch in der Tschechischen Republik buch einen starken Anstieg des Schienen- ab, indem sie drei Direktiven (91/440/CEE, liegen schon Pläne für nationale und inter- verkehrs. Im Vergleich zu den Werten des 95/18/CE und 2001/14/CE) und ihre jeweili- nationale Hochgeschwindigkeitsstrecken

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026_028_Ruete.indd 27 01.11.11 09:17 Der HGV in der europäischen Verkehrspolitik

in den Schubläden. Das starke Interesse erwarten, dass die Bahn viele Flugreisen im Effi zienz und Wettbewerbsfähigkeit des an der Entwicklung des Hochgeschwindig- Inland ersetzen und zum führenden Ver- Güter verkehrs in diesen Ländern und in keitsschienenverkehrs in den neuen Mit- kehrsträger auf wichtigen Verbindungen ganz Europa erheblich verbessern. gliedstaaten verdient die Aufmerksamkeit zu Nachbarländern werden kann. Wir wissen, dass bei den konventionellen der Europäischen Kommission und wird Ein solcher Durchbruch des Hochge- Schienennetzen ein dringender Investi- sich mit Sicherheit auch in dem künftigen schwindigkeitsschienenverkehrs würde tionsbedarf besteht. Aus diesem Grund transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-T) offensichtlich weitere Bemühungen in dürfen Investitionen in Hochgeschwindig- widerspiegeln, das derzeit als Teil der TEN-T- einigen wichtigen Bereichen notwendig keitsnetze nicht zu Lasten der Investitionen Richtlinien geprüft wird. machen. Die Entwicklung eines Hochge- in das konventionelle Netz erfolgen. In die- Die Pläne besitzen das Potenzial, zu einem schwindigkeitsnetzes muss in ein Kon- sem Kontext sollte daran erinnert werden, Wandel des Fernverkehrmarkts in den neu- zept für eine ausgewogene Entwicklung dass der Anteil des Bahnverkehrs an den en Mitgliedstaaten zu führen, sowohl bei des Schienennetzes als ganzes integriert Gesamtinvestitionen in die Verkehrsinfra- nationalen, als auch internationalen Rei- werden und dabei sowohl die Bedürfnisse struktur in den westeuropäischen Ländern sen; ein Hochgeschwindigkeitsnetz würde des Regionalverkehrs als auch des Güter- im Allgemeinen höher ist als in den Län- den Zusammenhalt mit diesen Ländern verkehrs berücksichtigen. Das konventi- dern Mitteleuropas. Zum Teil erklärt sich verbessern und sie gleichzeitig näher an onelle Schienennetz spielt eine wichtige dies durch die hohen Investitionen in den ihre Nachbarn bringen. Regionale Arbeits- Rolle als Zubringer vom und zum Hochge- Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr in märkte könnten ausgeweitet werden, schwindigkeitsnetz. Eine Verbesserung der Westeuropa. Dementsprechend können und die Mobilität jedes Einzelnen würde Verbindungsstrecken des konventionellen wir davon ausgehen, dass der Anteil der verbessert. Parallel dazu würde ein Hoch- Schienennetzes wird dazu beitragen, dass Investitionen, die in den Bahnverkehr fl ie- geschwindigkeitsnetz entsprechend den auch Städte und Gebiete, die selbst außer- ßen, an den Gesamtinvestitionen in die ambitionierten Zielen des Weißbuchs zu halb des Hochgeschwindigkeitsnetzes lie- Verkehrsinfrastruktur selbst in den neuen einem nachhaltigeren Verkehrssystem in gen, von den Vorteilen der Hochgeschwin- Mitgliedstaaten weiter steigen muss, wenn der gesamten EU beitragen. digkeitsstrecken profi tieren. Angesichts Hochgeschwindigkeitsprojekte fi nanziert der Wichtigkeit des Güterverkehrs, die im werden sollen. Angesichts der Notwendig- Weißbuch ebenfalls herausgestellt wird, keit einer ausgewogenen Entwicklung des Vorteile von müssen auch Investitionen in den Güter- Schienennetzes sollten Hochgeschwindig- Hochgeschwindigkeitsnetzen transport auf der Schiene in die Gleichung keitsstrecken Teil eines Gesamtpakets sein, miteinfl ießen. Ein besonderer Schwer- das auch Investitionen in das konventio- Erfahrungen von anderen Hochgeschwin- punkt sollte dabei auf den Schienengüter- nelle Schienennetz für den Personen- und digkeitsstrecken in Europa und Übersee verkehrskorridoren liegen, von denen bis Güterverkehr umfasst. haben gezeigt, dass die Eisenbahn den 2013 und 2015 jeweils neun eingerichtet Auch muss betont werden, dass die eu- Markt für Flug- und Bahnreisen beherr- werden. ropäische Dimension eines Projekts für schen kann, wenn die Reisezeiten auf der Eine Optimierung regionaler Zubringer- die Kommission natürlich einen hohen Schiene weniger als etwa 3,5 h betragen; strecken ist wichtig, damit Waren diese Stellenwert genießt. In vielen Fällen kann sinkt dieser Wert unter 2,5 h, so könnte die Korridore auch erreichen können. Darüber es vernünftig und angemessen sein, dass Bahn Flugreisen fast vollständig ersetzen. hinaus muss allgemein die Qualität des in einer ersten Phase nationale Abschnit- Hochgeschwindigkeitsnetze und -züge wä- Schienennetzes vieler neuer Mitgliedstaa- te des Hochgeschwindigkeitssystems ren außerdem in der Lage, der Bahn wett- ten verbessert werden, speziell in Hinsicht realisiert werden. Jedoch sollte die Ver- bewerbsfähige Reisezeiten im Vergleich auf Achslasten, um sie an europäische pfl ichtung vorhanden sein, das zu Beginn zum Auto zu ermöglichen. Daher steht zu Standards anzupassen. Dies würde die nationale System zu einem integralen Be- standteil des europäischen Hochgeschwin- digkeitsschienennetzes zu machen. Daher wird sich eine enge Zusammenarbeit zwi- schen benachbarten Staaten für die Ent- wicklung einer gemeinsamen Vision und eines gemeinsamen Konzepts für grenz- überschreitende Verbindungen als ent- scheidend erweisen. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird die Erfolgsgeschichte der Hochge- schwindigkeitszüge in absehbarer Zeit in weiteren Mitgliedstaaten der Europäi- schen Union fortgeschrieben, zum Vorteil sowohl der Menschen als auch der Wirt- schaft in Europa.

Der Autor Dr. Matthias Ruete Generaldirektor der Generaldirek- tion Mobilität und Verkehr der Bild 2: Im Vergleich zu den Werten des Jahres 2005 wird sich der Güterverkehr Europäischen Kommission, Brüssel voraussichtlich fast verdoppeln. Einen Effi zienzgewinn bieten hier vor allem ec.europa.eu/transport/ multimodale Lösungen Foto: M. Neuhaus

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026_028_Ruete.indd 28 01.11.11 09:18 Die vergangenen 20 Jahre Hochgeschwindigkeitsverkehr haben das Image der Bahnen sehr positiv verändert.

Waren die ersten Hochgeschwindigkeitszüge noch Innovationen, die in den Medien vielfach große Beachtung fanden, ist es heute beinahe selbstverständ lich, dass mit dem Zug im engen Takt auch ferne Ziele besser erreicht werden, als mit dem Flugzeug oder dem Auto. Allein in Deutschland nutzen jährlich 78 Millionen Reisende die ICE-Züge.

Und die Tatsache, dass Technik und Ausstattung der Züge zielstrebig ver bessert werden und das Streckennetz kontinuierlich ausgebaut wird, ist trotz aller Diskussionen um die Finanzierungen wenig umstritten.

Die ständig wachsenden Mobilitätsbedürfnisse der Menschen und der Wirt- schaft erfordern leistungsfähige und die Umwelt schonende Verkehre. Das führt zu einer integrierten Verkehrspolitik, bei der die Bahnen immer größere Verkehrsanteile übernehmen müssen. Der Hochgeschwindigkeitsverkehr der Zukunft stellt sich diesen Herausforderungen in Deutschland, in Europa und weltweit. So gelten als zukünftige Forderungen für attraktive Personenverkehre vor allem Sicherheit, Zuverlässigkeit, geringer Energieverbrauch auch bei hohen Geschwindigkeiten, hoher Komfort, hohe Standardisierung und geringer Wartungsaufwand.

ISSN 1434-4343 ISBN 978-3-7771-0429-4