Jahrbuch 1992

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Jahrbuch 1992 Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes JAHRBUCH 1992 Redaktion: Siegwald Ganglrnair INHALT SIMON WIESENTHAL Festvortrag anläßlich der DÖW-Jahresversammlung 1991 5 BRIGITIE BAILER-GALANDA Verfolgt und vergessen. Die Diskriminierung einzelner Opfergruppen durch die Opferfürsorgegesetzgebung 13 PETER MALINA "In Diensten von Macht und Mehrheit". Überlegungen zur "Endlösung der sozialen Frage" im Nationalsozialismus 26 ELEONORE LAPPIN Rechnitz gedenkt der Opfer der NS-Herrschaft 50 JONNY MOSER Die Anhalte- und Sammellager für österreichische Juden 71 URSULA HEMETEK/MOZES HEINSCHINK © by Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien Lieder im Leid. Zu KZ-Liedern der Roma in Österreich 76 Printed in Austria Umschlaggestaltung: Atelier Fuhrherr, Wien Satz: Peter Horn DOKUMENTATION Hersteller: Plöchl-Druckgesellschaft m. b. H. & Co. KG., 4240 Freistadt ISBN 3-901142-06-1 Zwei Dokumente zur Geschichte des KZ Buchenwald 94 Vortrag 5 SIEGFRIED BEER SIMON WIESENTHAL Inspection of Mauthausen Concentration Camp. FESTVORTRAG ANLÄSSLICH DER JAHRESVERSAMMLUNG DES Ein früher Bericht des amerikanischen Geheimdienstes DOKUMENTATIONSARCHIVS DES ÖSTERREICHISCHEN WIDER­ OSS aus dem befreiten Österreich 107 STANDES IM ALTEN RATHAUS, WIEN, 11. MÄRZ 1991 Liebe Kameraden und Freunde, sehr geehrte Damen und Herren! HANSNEUBROCH/ALBERTSTERNFELD Die Märztage sind in Österreich sehr oft dem Erinnern gewidmet - seit Rezensionen und Stellungnahmen zu Richard Foreggers Essay 45 Jahren leben wir in einer Demokratie und haben heute gewisse Pro­ "Technical Analysis of Methods to Bomb the Gas Chambers of bleme, die wir uns im Jahre der Befreiung 1945 nicht hätten vorstellen Auschwitz" 120 können. Der Nationalsozialismus lag damals am Boden, Österreich war von den Alliierten befreit, die Nazis waren auf der Flucht oder untergetaucht, der MATTHIAS BOECKL Kollaps des Regimes war total. Schon damals sagte ich mir angesichts un­ serer erdrückenden Verluste: Bevor ich meinen Beruf als Architekt wie­ Begrenzte Möglichkeiten. Vorgeschichte, Vertreibung und der aufnehme und Häuser baue, möchte ich daran mitwirken, die Gerech­ weitere Laufbahn österreichischer Architekten der tigkeit wieder aufzubauen, denn Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit sind klassischen Modeme in den Vereinigten Staaten 1938 - 1945 132 die Grundpfeiler, ja die Voraussetzung für ein Leben in einer funk­ tionierenden Demokratie. Wir wissen heute, daß wir nicht alles erreicht haben, was wir uns da­ DOKUMENTATIONSARCHIV DES ÖSTERREICHISCHEN mals vorgenommen haben. Wir erleben, daß die Gerechtigkeit für die Un­ WIDERSTANDES taten der Nazis mit Millionen Toten und tausenden Kranken und Ver­ Tätigkeitsbericht 1991 157 krüppelten nur in beschränktem Umfang verwirklicht worden ist. Über dieses Problem möchte ich heute vor diesem Publikum, den anwesenden Kameraden und Freunden, sprechen. Die Autoren 165 Zu einzelnen Aspekten dieses Problems wurde schon bei Veranstaltun­ gen, in Vorträgen und Beiträgen in den Medien Stellung genommen, aber es ist an der Zeit, ein Resümee vor allem für die Generation der Über• lebenden zu ziehen, die mit jedem Tag ihrem biologischen Ende näher kommt. Die tausenden, die es geschafft haben, die Konzentrationslager zu überleben, die aus Gefängnissen Befreiten und die tausenden Vertriebenen oder Flüchtlinge, die ihr Leben hatten retten können, haben geglaubt, sie könnten die neue, auf den Trümmern des Nationalsozialismus zu errichtende politische Ordnung Österreichs mit ihren Erfahrungen mitgestalten. Doch die Zeit der Abrechnung mit dem Nationalsozialismus und den Fehlern der Vergangenheit war nur von kurzer Dauer. Es wäre längst am Platze, auch über unsere eigene Schuld an dieser Entwicklung seither nachzudenken. Nach dem Krieg wurde ein allgemeiner, umfassender Verband der Opfer des Nationalsozialismus ohne Rücksicht darauf gegründet, aus welchen Gründen die Mitglieder verfolgt waren, ob es politische oder rassische Ursachen waren, ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu 6 Wiesenthal Vortrag 7 politischen Parteien, oder ob es gläubige Menschen waren, die den sträuben sich alle Parteien. Nationalsozialismus aus religiösen Gründen abgelehnt hatten. Diese Mit der Berliner Blockade im August 1948 begann der Kalte Krieg, er Periode der Gemeinsamkeit war bald vorbei, und heute können wir über dauerte zwölf Jahre, und in dieser Zeitspanne ist auf dem Gebiet der diesen schweren Schaden, der allen Verfolgten vor allem durch den Gerechtigkeit sehr wenig geschehen. Unter dem Druck der Besatzungs­ extremen Kommunismus - den Stalinismus - zugefügt wurde, sprechen. mächte wurde zwar eine Anzahl Nazis aus wichtigen Positionen entfernt Der von Stalin geführte Kommunismus wollte sich im Streben nach der und außer Dienst gestellt, aber nach dem Staatsvertrag wurden diese Vorherrschaft in Europa der Verfolgtenverbände bedienen. In manchen Maßnahmen wieder rückgängig gemacht. Es folgte eine Amnestie nach Ländern wurde die Geschichte des Widerstandes verfälscht, und be­ der anderen, auch die Vermögen von verurteilten Nazis wurden nicht - sonders in den Staaten des Ostens, wie Polen, begann nach Kriegsende wie in der Bundesrepublik Deutschland - zur Wiedergutmachung an den eine Verfolgung der Mitglieder des nationalen Widerstandes. So war es Opfern herangezogen. Wenn man etwas für die Verfolgten tun wollte, nach der Strategie der Kommunisten naheliegend, daß auch in Österreich überlegte man sich als eine Art Gleichgewicht, auch etwas für die Nazis dem Verfolgtenverband diese kommunistische Rolle zufallen sollte. Das zu tun. Eine kleine Geschichte aus den sechziger Jahren soll die Situation führte notgedrungen zu einer Spaltung im Verband, aus einer Organisa­ illustrieren. tion wurden drei. Die Kräfte des Leidens, der Verfolgung und des Ich hatte in Erfahrung gebracht, daß sich noch eine große Anzahl von Widerstandes, die eine explosive Stärke hätten haben können, wurden in Gemälden und Kunstwerken, die von den Nazis geraubt worden waren, in Zündhölzer umgewandelt. Den politischen Parteien, die nach der Mehrheit der Obhut des Bundesdenkmalamtes in Depots oder auch in Botschaften bei Wahlen schielten, kam die Angst der Nazis, vielleicht doch zur und Museen befinde. In Briefen an die Regierung regte ich an, die Verantwortung gezogen zu werden, zugute. Nur kurze Zeit nach der Be­ Kunstschätze zu registrieren und in geeigneter Form zu veröffentlichen, freiung Österreichs gab es von seilen der Sozialisten Parolen wie "Nazis damit ehemalige Besitzer oder deren Hinterbliebenen bzw. Nachkommen, nach Sibirien" oder "Schluß mit der Braunen Brut" usw„ bald wich diese die in aller Welt verstreut waren, die Möglichkeit erhielten, ihr Eigentum Einstellung aber der ernüchterten Erkenntnis, daß ohne Nazi-Stimmen wieder zu bekommen. Die Regierung war prinzipiell damit einverstanden, eine Partei keine Majorität erreichen konnte. Die nach dem Krieg aber es dauerte mehrere Jahre, bis es entsprechende Gesetze gab. Als der vorgeschriebene Registrierung ehemaliger Nazis erbrachte eine Zahl von Entwurf für dieses Gesetz endlich ins Parlament kam, mußte ich fest­ 660.000 Erwachsenen bei einer Zahl von Wahlberechtigten von etwa 4 Mil­ stellen, daß am selben Tag ein sogenanntes "Zwischenzeitengesetz" lionen - diese Relation bestimmte die Vorgangsweise aller Parteien. beschlossen werden sollte. Hinter diesem nichtssagenden Titel verbarg sich Wenn man 82 Jahre alt ist wie ich und trotzdem noch ein gutes ein Gesetz zugunsten der ehemaligen Nazis, wonach diesen Personen, die Gedächtnis hat, sieht man, wie schon in den Jahren 1947 /48 die Parteien nach dem Krieg außer Dienst gestellt worden waren, diese Zeiten als den Aufbau ihres Wählerpotentials betrieben. Man darf ja nicht vergessen, Dienstzeiten für die Pensionsberechtigung angerechnet werden sollten. daß auch die Familienangehörigen dieser 660.000 Registrierten Wähler Diese Art der "Koppelung" hatte es - wie ich schon sagte - auch früher waren und ein kolossales Stimmenreservoir bildeten. Diesen vielen gegeben. Das "Kunstbereinigungsgesetz", das 1968 beschlossen wurde, hat Wählerstimmen gegenüber standen die wenigen tausend Österreicher, die bis heute nicht zu einer befriedigenden Abwicklung des Problems geführt. durch die Nazis verfolgt und geschädigt waren, auf - fast möchte ich Die Nachweise über berechtigte Ansprüche sind von Angehörigen ehe­ sagen - verlorenem Posten, umso mehr als sie durch die Zersplitterung maliger Besitzer - damals oft noch Kinder - sehr schwer zu erbringen. in Verbände und Gruppen nicht mit einer starken Stimme sprechen Vor einer Woche besuchte mich ein Journalist vom ORF, um mir vor konnten. Die Toten hatten kein Wahlrecht, und das wog schwer. Ich weiß, laufender Kamera die Frage zu stellen, welche Maßnahmen gegen daß man gerade diese Fakten ungern hört und akzeptiert, aber wann und Zeitungen wie "Sieg" oder "Halt" ergriffen werden sollten, damit sie be­ wo soll ich sie sagen, wenn nicht hier und jetzt. schlagnahmt werden könnten. Ist es nicht erschütternd, daß wir 46 Jahre Was wir als Antwort auf unsere legistischen Forderungen bekommen nach dem Ende des nationalsozialistischen Regimes vor dem Problem haben, ist das sogenannte Verbotsgesetz mit Mindeststrafen von fünf Jahren, das sich aber heute im Kampf gegen neonazistische Erscheinungen und Aktivitäten als untauglich erwiesen hat. Gegen eine Novellierung aber • Im Februar 1992 soll im Nationalrat eine Novellierung des Verbotsgesetzes beschlossen werden, die ausdrücklich die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt. 8 Wiesenthal Vortrag 9 stehen, daß wir keine
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