Das Magazin der Kulturstiftung der Länder 4 2018

HAND-WERK ZUR MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN

LUDWIG VAN BEETHOVEN IN BONN BERLIN: DER SAMMLER KARL H. BRÖHAN EDITORIAL schaften von Schriftträgern und Schreibstoffen – wie etwa die Qualität des Pergaments oder die Zusammen- setzung der Tinte – können zudem wichtige Quellen Schreibkulturen für die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sein. Das Ti- telthema dieses Heftes „Materialität des Schriftlichen“ mit Beiträgen von Oliver Jungen, Julia Ronge, Antonia Kölbl und Johannes Fellmann entführt Sie in den Kos- mos des Handgeschriebenen und illustriert eindrucks- voll, warum die Kulturstiftung der Länder den Ankauf, BIS die Präsentation sowie die konservatorische Pflege von Autographen nationalen Ranges seit nunmehr 30 Jah- 10 ren zu ihren zentralen Aufgaben zählt. Das gestiegene öffentliche Bewusstsein von der besonderen Bedeutung MÄRZ des schriftlichen Kulturerbes dürfte jedoch nicht nur da- 2019 rauf zurückzuführen sein, dass Dinge und ihre Materia- , 1862, (Ausschnitt), Victorian Spiritualists‘ Union, Melbourne Foto: VSU Union, Melbourne Foto: Spiritualists‘ Victorian , 1862, (Ausschnitt), lität in den Kultur- und Sozialwissenschaften der letzten Jahrzehnte eine deutliche Aufwertung als Forschungsge- genstände erfahren haben. Der sich derzeit vollziehende Prof. Dr. Markus Hilgert, Generalsekretär der Übergang von einer analogen zu einer digitalen Schreib- Kulturstiftung der Länder kultur sensibilisiert uns vielmehr für die Tatsache, dass das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft irreparablen

The Flower of Samuel Warrand The Flower Liebe Leserinnen und Leser, Schaden nimmt, wenn diese Gesellschaft die Pflege ihres schriftlichen Kulturerbes vernachlässigt. So wird bei- seit etwa 5.000 Jahren kann der Mensch schreiben. Die spielsweise auch der zukünftige Umgang mit Objekten U ältesten bekannten Manuskripte sind mit bildhaften aus kolonialem Kontext entscheidend von der Verfüg- ORIE ND Georgiana Houghton, Houghton, Georgiana E P Schriftzeichen beschriebene Tontafeln aus dem Süden barkeit aussagekräftiger Schriftzeugnisse abhängen. Das H RA T X des Irak. Im Vergleich zur Entwicklungsgeschichte des klare Bekenntnis der Bundesregierung zum Erhalt des N I I S Homo sapiens ist das Schreiben also eine Fertigkeit, die schriftlichen Kulturgutes sowie die finanzielle Stärkung T 1 S 8 5 wir erst vor relativ kurzer Zeit erworben haben. Manch- der gemeinsam von der Beauftragten der Bundesregie- N 0 mal frage ich mich, ob wir diese Fertigkeit irgendwann rung für Kultur und Medien und der Kulturstiftung der U – K 1 auch wieder verlieren werden. Das geschieht immer Länder getragenen „Koordinierungsstelle für die Erhal-

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E 5 dann, wenn ich mir vornehme, einen Brief ‚von Hand‘ tung des schriftlichen Kulturguts“ sind daher nicht nur

H SYMPOSIUM 0 zu schreiben, und feststelle, dass mir inzwischen die für Archive, Bibliotheken und Museen in Deutschland C

S MIT FILMEN Übung fehlt, gerade so, als sei ich dabei, das Schrei- ein wichtiges Signal.

I WELTEMPFÄNGER

T ben mit Stift auf Papier zu verlernen. Auch diese Zei- S 9

I 1 VON len entstehen mit Hilfe einer Tastatur am Computer, Ihr

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U und ich bin, ehrlich gesagt, erleichtert, dass Sie es dem

I 2

D JOHN & E N Manuskript daher nicht ansehen werden, wie oft ich

M A J 6. korrigiert, gestrichen und ergänzt habe. Die Mühsal des 25. U N D 2 JAMES Schreibprozesses und die aufeinander aufbauenden Zu- stände des Textes werden an dem Geschriebenen nicht WHITNEY mehr abzulesen sein – gut so. Das Vorläufige, nie Abgeschlossene, das wir an un- UND serer eigenen Textproduktion vielleicht als Makel wahr- nehmen, ist jedoch genau das, was uns an den Autogra- HARRY phen anderer Menschen oft besonders anzieht. Können wir uns Beethoven und Kafka nicht ein wenig näher SMITH fühlen, wenn wir auch in ihrem Handgeschriebenen das Ringen um das ‚Richtige‘ erkennen? Jenseits solcher Empfindungen liefern die materiellen Spuren der Ent- stehung eines Textes oder einer Komposition vor allem der Forschung wichtige Anhaltspunkte für die biogra- phische oder kulturgeschichtliche Einordnung eines Ludwig van Beethoven, Autograph des Liedes „Ruf vom Berge“ nach einem Gedicht von Werks. Entsprechendes gilt etwa für Skizzen, Vorzeich- Georg Friedrich Treitschke, 1816, 16 × 19,7 cm; IHR KUNSTMUSEUM nungen oder Studien in der bildenden Kunst. Eigen- Beethoven-Haus Bonn LENBACHHAUS LENBACHHAUS.DE IN MÜNCHEN

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AUTOREN IMPRESSUM INHALT

schmerzhafte Wirklichkeit. Aus dem zusam- Arsprototo 3 EDITORIAL TITELTHEMA MATERIALITÄT mengerafften Fundus eines bankrotten Das Magazin der Kulturstiftung der Länder DES SCHRIFTLICHEN Preistreibers kommen jetzt zwei Handschrif- Lützowplatz 9, 10785 Berlin ten Beethovens nach Bonn. Mithilfe eines Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 8914251 4 AUTOREN / IMPRESSUM Briefs kann die promovierte Musikwissen- Redaktion 030 - 89 36 35-27 20 schaftlerin und Herausgeberin des Beethoven- E-Mail [email protected] 8 Werkverzeichnisses zeigen, dass der Kom­ Internet www.kulturstiftung.de GEMÄLDESAMMLUNG DER ponist schon in jungen Jahren für Brüderlich- keit zwischen den Menschen eintritt. Und Herausgeber Prof. Dr. Markus Hilgert, UND BIBLIOTHEK wie der musikalische Charakter von Beetho- Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder WELTGEIST der Bonner „Lese- und Erholungsgesellschaft“ vens Lied „Ruf vom Berge“ durch Fehler Projektleitung Dr. Stephanie Tasch im Erstdruck nachhaltig verfälscht wurde, Chefredakteurin Carolin Hilker-Möll beweist Julia Ronge mit Beethovens eigen- Geschäftsführender Redakteur Johannes Fellmann ZU HÄNDEN OLIVER JUNGEN händiger Niederschrift. ––– Seite 28 Redaktionelle Mitarbeit Jenny Berg, Antonia Kölbl, Laura Kunkel Autographen als Grundpfeiler der Ob früher mehr Lametta war, ist noch nicht Senior Editor Dieter E. Beuermann kulturellen Überlieferung ausgemacht. Mit Sicherheit aber waren früher Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit — von Oliver Jungen mehr Autographen. Der Germanist und Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com Journalist Oliver Jungen, der sich für diese Anzeigen Jenny Berg, Telefon 030 - 89 36 35-21 Ausgabe mit der Faszination von Original- 28 handschriften beschäftigt hat, wird in Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, SPÄTE BRIEFPOST Zukunft sicher öfter auf Autographen-Mes- Bessemerstraße 51, 12103 Berlin sen anzutreffen sein. Denn er besitzt zwar E-Mail [email protected] Das Beethoven-Haus in Bonn konnte einige an ihn gerichtete Schreiben verehrter Telefon 030 - 89 36 35-41 Fax 030 - 26 55 56‑71 zwei unbekannte Autographen des Zeitgenossen – aber das sind allesamt Jahresabonnement: 20 Euro Komponisten ersteigern — von Julia Ronge E-Mails. Bei der Recherche für Arsprototo Erscheinungsweise Viermal jährlich durfte er jedoch lernen, wie viel näher der Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 12.12.2018 materielle Schreibstoff uns den erhabenen Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 16.000 32 Geistern bringt. Und nicht selten verrät uns DER HANDSCHRIFT das stoffliche Schreibstück Geheimnisse, die JOHANNES FELLMANN Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch der gedruckte Text verschweigt. Kein Wunder auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung AUF DER SPUR also, dass auch die Wissenschaft die Originale Ob Südseemasken aus dem Bismarck-Archi- der Redaktion. Mit Ulrich von Bülow durchs pel, die Kunst der 68er oder Kulturbildung bevorzugt. Oliver Jungen hat in Köln und Litho Mega-Satz-Service, Berlin Deutsche Literaturarchiv Marbach London Deutsche Philologie, Philosophie für Kinder: Johannes Fellmann macht aus Herstellung Buch- und Offsetdruckerei — von Antonia Kölbl und Geschichte studiert und arbeitet seit zwei jedem Thema der Kulturstiftung der Länder H. Heenemann GmbH & Co., Berlin Jahrzehnten als Kulturjournalist, vornehmlich eine faszinierende Geschichte. Bevor er im Vertrieb OML KG, Berlin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Jahr 2005 Arsprototo mitbegründete und ISSN 1860 - 3327 Er hat diverse Bücher veröffentlicht, unter seitdem als Redakteur begleitet, arbeitete anderem zu Alfred Döblin, zur Stilistik und Fellmann als Kulturjournalist und Reporter Arsprototo erscheint mit Unterstützung des für 3sat kulturzeit und das ZDF. 10 Jahre Freundeskreises der Kulturstiftung der Länder. Grammatiktheorie sowie zu großen deut- 1 0 HEILIGE DREI KÖNIGE schen Blindgängern (mit Wiebke Porombka: lang verantwortete er die Kommunikation Deutsche Nullen. Sie kamen, sahen und der KSL. Zukünftig wird er freiberuflich von Henrik Douverman versagten. C. H. Beck, 2016). ––– Seite 20 Kulturinstitutionen und Künstler beraten Kulturstiftung der Länder und seine Expertise in die Wissenschaftskom- Stiftung bürgerlichen Rechts munikation einbringen. Als geschäftsführen- Lützowplatz 9, 10785 Berlin 12 ARCHAISCHES FRAGMENT der Redakteur wird er aber weiterhin für Telefon 030 - 89 36 35-0 Fax 030 - 89 14 251 von Richard Oelze Arsprototo tätig sein und die Leser mit seinen E-Mail [email protected] spannenden Reportagen an ungewöhnliche Internet www.kulturstiftung.de Orte führen: so diesmal in das Berliner Generalsekretär Prof. Dr. Markus Hilgert 14 STAMMBUCH MIT EINTRAG Medizinhistorische Museum der Charité, wo Stellv. Generalsekretär Prof. Dr. Frank Druffner VON NOVALIS die handgeschriebenen Sektionsprotokolle Dezernentinnen Dr. Britta Kaiser-Schuster, von Rudolf Virchow von Tintenfraß und Dr. Stephanie Tasch von Jakob Christian Menzler Austrocknung bedroht sind. ––– Seite 38 Leiter Kommunikation Hans-Georg Moek Leiter der Verwaltung Ronny Günther 15 SCHRIFTLICHER NACHLASS Finanzbuchhalterin Angela Neumann-Bauermeister Titel: Ernst Jünger, Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak von Bernard von Brentano Manuskript des Referentin des Vorstands Jenny Berg Essays „Annäherun- 38 gen. Drogen und 16 PORTRÄT DES LOUIS GAUCHER, JULIA RONGE Informationsgemeinschaft zur Feststellung SCHNITT ­ Rausch“, erschienen der Verbreitung von Werbeträgern e.V. DUC DE CHÂTILLON 1970; Deutsches Handschriften als Spekulationsobjekt? Literaturarchiv von Johann Heinrich Tischbein d. Ä. Fondsgesellschaften, die gierig Originale Marbach STELLEN aufkaufen und wissenschaftliche Arbeit auf Jahrzehnte blockieren? Für Julia Ronge, die Die handgeschriebenen Sektions- Sammlungskustodin im Beethoven-Haus protokolle von Rudolf Virchow Bonn, war das kein Alptraum, sondern — von Johannes Fellmann

4 ARSPROTOTO 4 2018 5 INHALT

LÄNDERPORTRÄT BERLIN

52 DER

ENTDECKER

44  DER SCHÖNE SCHEIN TRÜGT Im Berliner Knoblauchhaus braucht ein Kronleuchter von Karl Friedrich Schinkel Ihre Unterstützung

48  BRUTAL MODERN! Das Braunschweigische Landesmuseum zeigt in einer großen Sonderausstellung Architektur zwischen 1960 und 1980 — von Jenny Berg Karl H. Bröhan sammelte Kunst und Kunst- handwerk des Jugendstil, Art déco und Funktionalismus und schenkte alles der Stadt Berlin — von Uta Baier

5 8 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN

62 HAND IN HAND Der Freundeskreis der Kultur- stiftung der Länder unterstützte die Restaurierung von vier Gemälden Heinrich Basedows im Potsdam Museum — von Frank Druffner

5 0 NEUE BÜCHER 6 4 NACHRICHTEN 51 FREUNDESKREIS / SERVICE / BILDNACHWEIS 6 6 SCHÖN IM DEPOT Matthias Wemhoff mit dem „Schrein von Cammin“ im Depot des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin In Kooperation mit

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ms_anzeige_arspro_215x280.indd 1 15.11.18 11:44 ERWERBUNGEN BEETHOVEN IN GESELL- SCHAFT

Bürgerschaftliche Kulturinitiativen eröffnen Alternativen zu den staatlich vorgegebenen, sie bringen Gegenentwürfe zum Etablierten. Seit 1787 vertrat die „Lesegesellschaft“ als wichtigste private Vereinigung der Bonner Kulturwelt getreu ihrem Motto ET SIBI ET ALIIS – „sowohl für sich selbst, als auch für die Anderen“ – die Ideale der Aufklärung. Bildung und Austausch für mehr Menschen zugänglich zu machen, erklärte sie zum Ziel. So zum Beispiel mit einer umfangreichen Bibliothek – fehlten Privatpersonen doch oft die Mittel, die teuren Druckerzeugnisse zu erstehen. Auch eine Bildersammlung wurde über die Jahrzehnte bewusst aufgebaut. Aus den rund 30 Gemälden, 20 Graphiken und zahlreichen historischen Fotografien, die das Beethoven-Haus Bonn nun zusammen mit der Bibliothek von der „Lese“ erwarb, treten die Protagonisten der Bonner Stadtgesell- schaft hervor. 1887, also 100 Jahre nach der Gründung der bis heute existierenden „Lese“, hatten einige ihrer Mitglieder eine weitere Kulturinstitu- tion aus der Taufe gehoben: den Verein Beethoven-Haus. Neue Aspekte der frühen Bonner Jahre des Meisterkomponisten treten aus der nun erworbenen Sammlung hervor. Der geistige Nährboden, den die „Lese- und Erholungsgesellschaft“ dem jungen Beetho- ven bot, ist in der Ausstellung „Lichtstrahlen der Aufklärung“ zu erleben. Die Exponate spiegeln noch bis zum 31. Januar 2019 den gesellschaftlichen, intellektuellen und politi- schen Aufbruch des Bürgertums – kurz: Beethovens Umfeld – wider.

Linke Seite: Gerhard Kügelgen, Selbstbildnis mit der Büste seines Bruders Karl, 1790, 100 × 75 cm; Beethoven-Haus Bonn Rechte Seite oben: James Lonsdale, Porträt des Geigers und Konzertunternehmers Johann Peter Salomon, ca. 1815, 91 × 70 cm; Beet­hoven-Haus Bonn Rechte Seite unten: Johann Heinrich Richter, Porträt des Jugendfreundes Beethovens und bedeutenden Mediziners Franz Gerhard Wegeler, 1839, 65 × 55 cm; Beethoven-Haus Bonn

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-West- falen

9 ERWERBUNGEN Dreiheilig- keit

Schon 2005 wollte das Museum Kurhaus Kleve die drei Weisen aus dem Morgenland unbedingt für seine Mittelalter-Sammlung haben. Der damalige Direktor wurde bei der Londoner Auktion von Sotheby’s aller- dings überboten. Doch als im selben Jahr der erfolgreiche belgische Käufer starb, gaben seine Erben die Skulpturengruppe als Leihgabe ins Klever Museum. Nun bleibt dank öffentlicher, unternehmerischer und privater Unterstützer die im Bewusstsein der Öffentlichkeit fest mit Kleve verbun- dene Gruppe von Henrik Douverman (um 1480/90 –1543/44) für immer in der Stadt, in der der Künstler seine Lehrzeit verbracht und seine erste eigene Werkstatt eröffnet hatte. Als die Könige in Bethlehem das neugebo- rene Jesuskind suchen und finden, ereignet sich ein Schlüsselmoment der christlichen Legende. Die drei huldigen mit Erstaunen, mit Freude als Vertreter der drei Weltteile als erste dem Gottessohn mit Gold, Weihrauch und Myrrhe. Melchior verkörpert das alte Europa, König Caspar repräsentiert Asien, der jüngste König Balthasar stellt Afrika dar. Das Motiv variiert an der Schwelle zur Neuzeit ein großes Thema europäischer Kunst: Nach der aktuellsten Mode um 1530 in luxuriöse Gewänder gekleidet, präsen­ tieren sich die biblischen Kronzeugen mit ihrer exaltierten Haltung und ihren Gesten, den prachtvollen Frisuren und Bärten in ihrer herausgehobenen Stellung als Heilige. Präzise und lebendig charakterisiert, weist die Gruppe, die wahrscheinlich im Altar­ schrein einer Kirche aufgestellt war, schon in modernere Zeiten.

Henrik Douverman, Heilige Drei Könige, um 1530 –35, H. zw. 81 und 85 cm; Museum Kurhaus Kleve

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststif- tung, Ministerium für Kultur und Wissen- schaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Freundeskreis Museum Kurhaus und Koekkoek-Haus Kleve e.V., Kunststiftung NRW, Rudolf-August Oetker-Stiftung für Kunst, Kultur, Wissenschaft und Denkmal- pflege, Provinzial Rheinland Versicherung AG, Irene Zintzen-Stiftung und weitere Unterstützer

10 ARSPROTOTO 4 2018 11 ERWERBUNGEN PRÄZISE UNEINDEUTIG

In einem Moment erzählen sie lebhafte Geschichten, im nächsten verblassen sie zu verschwommenen Bildern: An der Grenze zur Realität bieten Träume einen idealen Nährboden für Interpretation und Deutung. Den Theorien Sigmund Freuds folgend, sahen die Surrealisten in der Welt des Traumes den Zugang zu einer höheren Wirklichkeit – frei von jeder Kontrolle durch die Vernunft. Präzise wiedergegeben und doch unein- deutig, fordert ihre Kunst den Betrachter dazu auf, Logik und Verstand loszulassen und sich in die Tiefen des eigenen Unbe- wussten zu begeben. Nach seinem Um- zug nach Paris Anfang der 1930er-Jahre kam der in Magdeburg geborene Künstler Richard Oelze (1900 –1980) mit dem Kreis der Surrealisten rund um Max Ernst, René Magritte und Yves Tanguy in Kontakt und entwickelte eine von fantastischen Motiven gekennzeichnete Bildsprache. Mit der für ihn charakte­- ris­tischen, altmeisterlich lasierenden Maltechnik schuf Oelze 1935 das Öl­ gemälde „Archaisches Fragment“: eine großformatige Komposition mit einem grotesken Mischwesen aus biomorphen Formen, das vor einer Seen- und Ufer- landschaft schwebt. Bereits ein Jahr nach Entstehen wurde das Bild auf der Lon­ doner Ausstellung „International Surrea- list Exhibition“ neben Werken von Max Ernst, Salvador Dalí und Man Ray ge- zeigt. Als Werk eines bedeutenden deut- schen Vertreters des Surrealismus ergänzt „Archaisches Fragment“ den Moderne- Bestand des Frankfurter Städel Museums nun um ein wichtiges Zeugnis kulturellen Transfers Anfang des 20. Jahrhunderts.

Richard Oelze, Archaisches Fragment, 1935, 98 × 130 cm; gemeinsames Eigentum des Städelschen Museums-Verein e.V. und des Städel Museums, am Main

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Kurt und Marga Möllgaard- Stiftung 12 ARSPROTOTO 4 2018 13 ERWERBUNGEN Facebook, von Hand BLICK VON Was wohl aus der Kommilitonin wurde, Der Erforschung von Novalis’ dichteri- AUSSEN die damals jeden Montagmorgen direkt schem Werk widmet sich die Forschungs- Neustadt, Hessen, 1. August 1914. Pauken- aus dem Club in die Ästhetik-Vorlesung stätte für Frühromantik und Novalis- schläge, Chorgesang, Gedränge auf dem kam? Und was macht heute der Student, Museum Schloss Oberwiederstedt. An Siegesplatz. Die Verkündigung geht im Chaos fast unter, aber es ist offiziell: Der der nach jedem Seminar noch mindestens der Geburtsstätte des Lyrikers liegt das Krieg ist da. Jubel und Pöbelei auf den eine wichtige Frage hatte? Neugierde dieser Stammbuch Menzlers nun für Forschung Straßen, Misstrauen und Zweifel im groß- Art kann dank sozialer Medien inzwischen und Öffentlichkeit offen, nachdem das bürgerlichen Hause Chindler. Die Anfangs- szene in Bernard von Brentanos (1901–1964) schnell befriedigt werden. Im Studenten- Museum es auf einer Auktion ersteigern politischem Roman „Theodor Chindler“ wohnheim der Harvard University ent- konnte. Die 62 Einträge im Album läutet den Anfang vom Ende einer deutschen standen, führt das Netzwerk Facebook Amicorum, die in den Jahren 1798 bis Familie ein, die ihr Land in allen schicksal- haften Facetten spiegelt: Vater Theodor eine jahrhundertealte Tradition fort: Es 1881 Menzler gewidmet wurden, zeichnen engagiert sich in der Zentrumspartei, Toch- gründet auf dem Wunsch nach medialem das Umfeld Novalis’ in Freiberg nach – ter Margarethe verlässt ihr Zuhause, um sich Austausch zwischen Studienkollegen. ein Lebensabschnitt, der noch zu weiten der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung Im ausgehenden 18. Jahrhundert boten Teilen im Dunkeln lag. In Oberwieder- anzuschließen. Die älteren Söhne Karl und Ernst kämpfen an der Front fürs Vaterland. Stammbücher hierfür die Plattform. stedt wird nun ein Schlaglicht auf das Nesthäkchen Leopold gesteht seine Homo­ Verließ ein Student seinen Studienort, literaturhistorische Dokument gerichtet. sexualität. Die Mutter Elisabeth ist über- so trug er sich ins Buch der Kommilitonen Da das Freie Deutsche Hochstift in Frank- zeugt, die Kinder falsch erzogen zu haben: „Alle waren nicht so, wie sie sein sollten.“ ein. Am 13. Mai 1799 schrieb Friedrich furt am Main das Novalis-Museum bei der Ursprünglich katholisch, linksradikaler von Hardenberg aus Thüringen fünf Erwerbung unterstützte, wird das Stamm- Student und später Kritiker des Kommunis- Zeilen aus Johann Gottfried Herders buch auch in der Erstausstellung des im mus, der sich den National­sozialisten an- dient – Brentano verarbeitet für die 1936 im Gedicht „Das Flüchtigste“ (1787) für Spätsommer 2019 eröffnenden Museums Exil entstandene Geschichte autobiografische Jakob Christian Menzler (1776 –1854) des Stifts, dem Deutschen Romantik Details. Der Autor, 1939 mit dem Internati- nieder. Gemeinsam hatten sie die renom- Museum, zu sehen sein. Und auch für die onalen Literaturpreis ausgezeichnet, wurde mierte Bergakademie im sächsischen bis heute existierende Universität in Frei- erst vor einigen Jahren wiederentdeckt. Ob als Schriftsteller, Redakteur der Frankfurter Freiberg besucht. Der Jurist Hardenberg berg, die älteste noch bestehende montan- Zeitung oder hellsichtiger Essayist: Scharf (1772 –1801) war mit seinem Zweit­ wissenschaftliche Bildungseinrichtung beobachtete er das städtische Leben, erahnte studium der Naturwissenschaften in die weltweit, eröffnet sich so ein Kapitel ihrer gesellschaftliche Umbrüche, teilte Reiseerleb- nisse und kommentierte Literatur, Filme und Fußstapfen seines Vaters getreten. In Geschichte. Ausstellungen im Stil der Neuen Sachlich- seinen ab 1798 erschienenen Publikatio- keit. Manuskripte, Korrespondenzen, Doku- nen wandte er sich aber auch zunehmend Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung mente – den schriftlichen Nachlass seines vielfältigen Œuvres bewahrt nun das Deut- der Lyrik zu, seiner eigentlichen Leiden- der Länder, Freies Deutsches Hochstift sche Literaturarchiv Marbach. schaft. Unter dem Pseudonym Novalis Frankfurt am Main, Land Sachsen-Anhalt, schrieb er sich in die Literaturgeschichte Dr. Arved Grieshaber Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der deutschen Frühromantik ein. der Länder, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien

14 ARSPROTOTO 4 2018 15 ERWERBUNGEN HERZOG UND HERKULES

Ein französischer Offizier vor Kassel in einer österrei- chischen Auktion? Für die Kulturstiftung der Länder, die Hessische Kulturstiftung und die Ernst von Siemens Kunststiftung eine Gelegen- heit, die Museumslandschaft Hessen Kassel zu unterstüt- zen. Und zwar mit einem Gemälde, das der Kasseler Hofporträtist Johann Heinrich Tischbein d. Ä. (1722 –1789) für die muse- ale Vermittlungsarbeit des 21. Jahrhunderts gemalt zu haben scheint: Das Porträt des Louis Gaucher, Duc de Châtillon (1737–1762), aus dem Jahr 1762 ist ein histo- risches Bildnis mit einer solchen Fülle von Verweisen Herzogliches auf (lokal-)historische Ereignisse und deren Schau- Museum Gotha plätze, auf kunsthistorische wie kulturhistorische As- 28.04.– 28.07.2019 pekte, dass die Gemälde­ galerie Alte Meister in Kassel

dem Werk umgehend einen in die Moderne Das und der Weg OSKAR SCHLEMMER Patrimonia-Band (Nr. 391) widmete, um die wichtigsten Facetten zusammenzutragen. So ist das Gemälde ein landesgeschichtliches Do­ kument der französischen Belagerung Kassels während des Siebenjährigen Krieges in Europa (1756 –1763). Der prominent platzierte Stadt- plan Kassels mit den Befes­ tigungen verweist auf den Zusammenhang von Karto- graphie und Krieg, während der Hintergrund mit dem Herkules der heutigen Wilhelmshöhe und einem Vorgängerbau des heutigen Schlosses präzise über

Kasseler Baugeschichte In Kooperation mit: informiert.

Johann Heinrich Tischbein d. Ä., Louis Gaucher, Duc de Châtillon, 1762, 223 × 129 cm; Museums- landschaft Hessen Kassel

Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunst­ stiftung Eintritt Herzogliches Museum Gotha 5,00 € | erm. 2,50 € Schlossplatz 2, 99867 Gotha Öffnungszeiten Telefon (03621) 82 34 - 0 16 täglich 10 – 17 Uhr www.stiftung-friedenstein.de Oliver Jungen über Autographen TITELTHEMA MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN als Grundpfeiler der kulturellen Überlieferung — Seite 20 Julia Ronge über zwei unbekannte Autographen von Ludwig van Beethoven für das Beethoven-Haus in Bonn — Seite 28 VON HAND Antonia Kölbl über Hand- schriften im Deutschen Literaturarchiv Marbach — Seite 32 Johannes Fellmann über die handgeschriebenen Sektions- protokolle von Rudolf Virchow — Seite 38

Farbige Veränderungen in pathologischen Geweben. Tafel III aus dem Beitrag von Rudolf Virchow: Die patholo- gischen Pigmente. In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Band 1, 1847, S. 379 – 404; Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

18 ARSPROTOTO 4 2018 19 TITELTHEMA MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN DER WELTGEIST ZU HÄNDEN AUTOGRAPHEN SIND EIN GRUNDPFEILER DER KULTURELLEN ÜBERLIEFERUNG — EIN VIELSTIMMIGER RUNDBLICK von Oliver Jungen

iemand kann sich ihrer Ausstrahlung entziehen. denen ,Amerikanischen Reisetagebücher‘ Alexander von Es ist, als hätte sich in Autographen der Atem der Humboldts erschienen, da war ich schon sehr berührt.“ N Geschichte in Schrift kristallisiert. Schon Goethe Wie eine Begegnung über die Zeiten hinweg sei das war fasziniert von dieser Spur des Ursprungs, auch gewesen, und zwar nicht nur mit dem Autor, der diese wenn er 1806 in einem „eigenhändig Geschriebenes“ Seiten über fünfzig Jahre lang vervollständigt hatte, möglichst vieler Berühmtheiten erbittenden Brief an sondern auch mit der weiteren Reise der Tagebücher, den Verleger Johann Friedrich Cotta einen „löblich die sie bis nach Moskau führte. Die Aura, die Walter pädagogischen Zweck“ vorschob, nämlich „meinen Benjamin vor mehr als achtzig Jahren in seinem viel­ Knaben durch diese sinnlichen Zeugnisse auf bedeu- zitierten „Kunstwerk“-Aufsatz dem Original zuschrieb, tende Männer der Gegenwart und Vergangenheit ist also noch erfahrbar. Dass sich viele Menschen von aufmerksamer zu machen, als es die Jugend sonst wohl Originalhandschriften ganz direkt angesprochen füh- zu seyn pflegt“. Wir wissen freilich, dass der Dichter- len, erklärt deren teils hohen Preise bei Auktionen. fürst sich geradezu als Autogrammjäger betätigte. Briefe Hinzu kommt, dass Autographen sozusagen ein end­ aus Goethes Hand sind heute wiederum Zehntausende licher Rohstoff sind. Auch Romane und Dokumente Euro wert. Noch einmal um Potenzen höher ist die entstehen heute meist mit Textverarbeitungspro­ Verehrung, die Originalmanuskripten kultureller grammen; die Bearbeitungsstufen Schlüsselwerke entgegengebracht wird. überschreiben einander dabei sogar. Selbst gestandene Wissenschaftler fühlen das Er­ Den greifbaren Ursprung eines hebende bedeutsamer Autographen. Für die Berliner Werks gibt es am ehesten noch in der Musikwissenschaftlerin Martina Rebmann ist es „tat- Musik, wie Martina Rebmann an- sächlich etwas ganz Besonderes“, eine von Bach, Mo- merkt: „Komponiert wird zart oder Beethoven selbst verfasste Musikhandschrift bis heute vor sich zu haben. Dabei geschehe dies ständig, denn meist von man arbeite in der Musikabteilung der Staatsbibliothek Hand.“ Zur Berlin ausschließlich mit den Originalen: „Da sieht manifesten man am meisten.“ Dabei geht es beispielsweise um die Doppelnatur Rekonstruktion von Sammlungszusammenhängen oder von Auto­ die Digitalisierung der für Datierungs- und Provenienz- graphen als fragen wichtigen Wasserzeichen mithilfe einer alle wissenschaft- Beschriftungen ausblendenden Thermographie-Ka- mera. Natürlich geschieht das unter konservatorisch und sicherheitstechnisch optimalen Bedingungen. So schützen Schaumstoffkeile die Handschriften bei der Benutzung. Die Klimatisierung muss stimmen. Die Büroräume werden bei jedem Verlassen fest verschlos- sen. Autographen sind fragile Schätze. Ottmar Ette, Romanist an der Universität Pots- dam, erklärt ganz ähnlich: „Als bei Christie’s in London Aus dem Amerikanischen Reisetagebuch V von Alexander die Kiste aufgeschraubt wurde und die in Leder gebun- Drei der neun Amerikanischen Reisetage- von Humboldt: Rückseite des Chronometers von Ferdinand bücher Alexander von Humboldts; Staats- Berthoud, um 1799; Staatsbibliothek zu Berlin bibliothek zu Berlin

20 ARSPROTOTO 4 2018 21 liche Objekte sowie geschichtshaltige Preziosen für Forschung gehe indirekt vor, schließe also alle Abschrif- Sammler kommt eine erstaunliche Breite des Gegen- ten aus, die etwa an Augensprungfehlern zu erkennen standsbereichs, der von Widmungsexemplaren ge­ seien. „Einige Ur- oder Erstniederschriften aber sind druckter Werke oder im Akkord angefertigten Auto- nicht einmal Autographen, da man ja auch Schreibern grammkarten bis zu nationalkulturell bedeutsamen diktieren konnte. Die Altgermanistik freut sich schon, Originalmanuskripten reicht. Archive rechnen oft auch wenn ein Autor die Niederschrift seines Werks über- Typoskripte hinzu. Noch unüberschaubarer wird es bei prüfte und korrigierte, so wie es Otfrid von Weißen- einem Blick auf das Mittelalter. Karl Lachmann, einer burg bei seinem Evangelienbuch tat.“ Im Spätmittel­ der Nestoren der germanistischen Mediävistik, war alter habe sich die Lage geändert: „Es wird mehr davon ausgegangen, dass mittelalterliche Auto­graphen geschrieben und auch gerne dazu vermerkt, dass man im Grunde nicht existierten. Weil diese Auffassung sich Schreiber und Autor ist. Hierher stammen die meisten hartnäckig hielt, hat der Münsteraner Mediävist Volker Beispiele aus Honemanns wertvoller Liste.“ Honemann vor zwei Jahrzehnten eine eigene Daten- Die Hochzeit der Autographen beginnt in der bank für Originalhandschriften aus dem 9. bis 16. Vormoderne. Dabei nimmt die Sattelzeit um 1800 eine Jahrhundert eingerichtet. Ein Forschungs­desiderat besondere Stellung ein, wie der Literaturwissenschaftler bestehe aber immer noch, sagt der in Essen lehrende Christian Benne jüngst zeigen konnte. Autographe Mediävist Martin Schubert, ein ausgewiesener Fach- Manuskripte nämlich wurden nun nicht mehr als reine mann für Editionsphilologie. So sei schon die Identifi- Druckvorstufen angesehen, sondern gewissermaßen zierung von Autographen schwierig, weil Autornen­ „neu erfunden“ als genuin literarische Handschriften nungen im Hochmittelalter nicht üblich waren. Die mit ästhetischem Mehrwert. Von dort ist es ein kurzer

Aus dem Amerikanischen Reisetagebuch III von Alexander von Humboldt: Guavina oder Erythrinus, ein Fisch aus dem See von Tacarigua, General­ kapitanat Venezuela, 1799; Staatsbibliothek zu Berlin

Weg zu Goethes Autographenbegeisterung. Die histo­ Staatsgalerie Stuttgart aufbewahrt werden, durchaus in rischen und philologischen Wissenschaften haben sich die Zeit um 1480 zu datieren sind. indes lange auf den Inhalt der überlieferten Textzeug- Als Mitorganisator der beliebten, in Zusammen­ nisse beschränkt. Sogar Geschichte habe man vor arbeit mit diversen Universitäten an der Staatsbiblio- wenigen Jahrzehnten noch studieren können ohne thek zu Berlin angesiedelten Vortragsreihe „Die Mate­ einen einzigen Gang ins Archiv, sagt der Präsident des rialität von Schriftlichkeit“ stellt Christian Mathieu fest, Landesarchivs Baden-Württemberg, der Historiker wie groß das allgemeine Interesse am Dialog zwischen Gerald Maier. In den 1970er-Jahren begann ein Um- Bibliothek und Forschung ist. Und das zu Recht. Er denken, für das etwa die werkgenetische Theorie in selbst habe beispielsweise Walter Benjamins „Passagen- Frankreich steht. Der als Material Turn bekannt gewor- werk“ erst richtig verstanden, als in einem der Vorträge dene Aufmerksamkeitsschub für die materiellen Grund- das aus Querverweisen, Markierungen und Ästhetisie- lagen der Kommunikation nimmt heute einen zentra- rungsspiel bestehende Aufschreibesystem dieses Autors len Stellenwert in allen historischen Disziplinen ein. anhand der Originalhandschrift vorgeführt wurde. Längst auch führen Archivare und Bibliothekare mit Deshalb seien Faksimile-Editionen, für die etwa der Universitätswissenschaftlern gemeinsame Erschlie- inzwischen insolvente Stroemfeld Verlag steht, so wün- ßungsprojekte auf Augenhöhe durch. Das Landesarchiv schenswert. Hilfreich ist wohl auch die Digitalisierung Baden-Württemberg etwa war federführend an der des kulturellen Erbes, wie sie derzeit auf breiter Front Entwicklung des Wasserzeichen-Informationssystems stattfindet. Niemand kann das so gut begründen wie WZIS beteiligt. Mit dessen Hilfe konnte schon gezeigt Gerald Maier, seit dem Jahr 2002 auch Bundesratsbe- werden, dass die lange für Fälschungen des 19. Jahr- auftragter für eben dieses Unterfangen: Das Erbe werde hunderts gehaltenen 15 Blätter mit Zeichnungen des gesichert und leichter zugänglich. Trotzdem dürfe diese sogenannten Oberdeutschen Meisters, die heute in der Entwicklung nicht dazu führen, dass die Originale

Walter Benjamin, Aufzeichnungen und Materialien zu den „Passagen“, 1928 –1940, 27,7 × 22,4 cm (im aufgeschlage- nen Zustand), Walter Benjamin Archiv Berlin ARSPROTOTO 4 2018 23 hernach verschwänden, sei es unzugänglich in Tresoren, später wieder bei einer Auktion auftaucht. Der For- wenn sie wertvoll sind, sei es gar im Altpapier, wie das schung sind diese Stücke mitunter für eine Weile ent­ Rechnungshöfe kulturblind schon gefordert hätten. zogen, andererseits hat gerade das Interesse der Privat- Nur einige Fragen ließen sich anhand eines Digi­ sammler viele Autographen gerettet. So sieht das auch talisats beantworten, sagt der renommierte Kafka- Ulrich von Bülow, im Literaturarchiv Marbach unter Biograph Reiner Stach: „Franz Kafkas Handschriften anderem zuständig für den Bereich Erwerbungen. Man erlauben Einblicke in seine Korrekturen, aber auch in wälze die Kataloge der Händler und biete dann gezielt unbewusste Fehlleistungen; sie lassen erkennen, wo er auf ausgewählte Stücke, sagt von Bülow. Aus Geldman- gel habe man längst aufgegeben, alles kaufen zu wollen, was bestehende Sammlungen – allein das Handschrif- TINTENFRASS, MIKROBEN- tenarchiv umfasst 40.000 Kästen – ergänzte. Zu den Händlerkatalogen wird es in Marbach übrigens bald ein BEFALL UND CELLULOSE­ eigenes Projekt geben, weil darin viele sonst nicht mehr ABBAU GEFÄHRDEN greifbare Handschriften abgebildet sind: Zusammen­ DIE FRAGILEN AUTOGRA- arbeit also auch hier. Und die Privatsammler, die es als Liebhaber doch eher auf schöne Blätter abgesehen PHEN-SCHÄTZE hätten, nicht wie das Archiv auf Entwürfe, überließen Marbach häufig sogar ihre gesamte Sammlung. zögerte, wo er unsicher oder besonders erregt war, wo er Was ist auf dem Markt nun derzeit gefragt? Wolf- Otfrid von Weißen- von den eigenen Bildern überwältig wurde und wie er gang Mecklenburg, der Geschäftsführer der Berliner burg, Ausschnitt aus schließlich die Kontrolle zurückgewann. Sie sind hilf- Autographenhandlung J.A. Stargardt, will sich da nicht dem 1. Buch des reich bei der Datierung; Tinte und Bleistift zeigen an, festlegen. Das habe viel mit individuellen Vorlieben zu Evangelienbuches, um 870, 25,5 × 21 cm; ob ein Text am Schreibtisch oder andernorts entstand. tun. Deutlich abgenommen habe aber beispielsweise Österreichische Natio- Ja, mit Hilfe des ‚Process‘-Manuskripts lässt sich sogar das Interesse an einst höchst beliebten Autographen zur nalbibliothek, Wien beweisen, dass Kafka zwar das Ende des Romans von Anbeginn präzise vor Augen stand, dass er jedoch noch keine Vorstellung davon hatte, wie viele Kapitel es brauchen würde, um dorthin zu gelangen.“ Ottmar Ette, der in einem auf 18 Jahre angelegten Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften sämtliche Reiseschriften Alexander von Humboldts ediert – digital und in Form von Lese- fassungen auf Papier –, kann bestätigen, dass sich entscheidende Einsichten nur anhand der Autographen gewinnen lassen. Papieranalysen zeigten, ob Humboldt das Papier aus Paris mitgebracht oder unterwegs gekauft habe. Ebenso verhalte es sich mit dem Schreibstoff: Es sei etwa für die Datierung wichtig, ob es sich bei den einzelnen Hinzufügungen um Humboldts selbstge- machte oder eine gekaufte Tinte handele. Und dann gebe es noch eine ganz eigene „Form des Erlebens“: „Heftung, Falz, Fleckigkeit geht ja auch bei unseren beiden Editionsformen verloren.“ Dass die „Amerikanischen Reisetagebücher“ in Berlin bleiben konnten, wie der Autor selbst verfügt hatte, ist den früheren Eigentümern zu verdanken. Der mexikanische Tycoon Carlos Slim hatte einen unschlag- baren Preis geboten, aber Humboldts Erben verhandel- ten ausschließlich mit der Stiftung Preußischer Kultur- besitz, die das Manuskript 2013 auch mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder für zwölf Millionen Euro erwerben konnte. Insbesondere der spezialisierte Auto- graphenhandel versteht sich als Partner öffentlicher Franz Kafka, vorletzte Manuskriptseite des Romans „Der Process“, erschienen 1925; Archive. Privatsammler werden freilich ebenfalls ge- Deutsches Literaturarchiv Marbach. In der 5. und 6. Zeile von unten lässt sich erken- nen, wie Kafka wenige Sätze vor Ende des Romans und wenige Sekunden vor dem Tod schätzt, zumal das so Veräußerte meist früher oder des Protagonisten zum „Ich“ übergeht. Dieser plötzliche Wechsel der Erzählperspek- tive kommt sonst nirgendwo vor und wurde vom Autor auch nicht korrigiert.

24 ARSPROTOTO 4 2018 25 und habe dann nur die Möglichkeit eines Rückkaufs. Die Hauptgefahr für Autographen kommt freilich von innen. Suboptimale, etwa zu Pilz- und Mikrobenbefall führende Lagerungsbedingungen erklären sich für Johanna Leissner, Expertin für die Sicherung des Kul- turerbes im Fraunhofer EU-Büro Brüssel, teils mit Kriegsschäden, oft aber schlicht mit Geldmangel der verantwortlichen Institutionen. Auch der Klimawandel werde wohl Folgen für die Archivpraxis haben, aber das sei noch kaum erforscht. Daneben bereitet die Material­ alterung Probleme, allem voran der Zerfall des seit den 1840er-Jahren eingesetzten Holzschliffpapiers. Schwe- felsäurereste bauen dabei die Spitzen der Cellulosefasern im Papier ab. Hinzu kommt ein oxidativer Celluloseab- bau. Eine Flüssigphasen-Massenentsäuerung habe sich zwar als effektiv erwiesen, so Leissner, mit den heutigen Kapazitäten – das Zentrum für Bucherhaltung in Leipzig, eine der weltgrößten Entsäuerungsanlagen, kann etwa 100.000 Bücher im Jahr abfertigen – dauere die Behandlung des gesamten betroffenen Bestands jedoch mindestens 50 Jahre. Ein weiteres Problem stellt Tintenfraß dar. Die bis ins 20. Jahrhundert verwendete Eisengallustinte neigt zur Korrosion, weshalb manche Verschiedene Wasserzeichen aus Musikhandschriften des Bach-Handschriften regelrecht durchlöchert sind. Das 18. und frühen 19. Jahrhunderts; Staatsbibliothek zu Berlin Problem ist bei Musikautographen besonders groß, so Martina Rebmann, weil Notenköpfe mehr Tinte auf- preußischen Geschichte. Im Gegensatz zum Kunst- nehmen als Buchstaben. Die Restaurierung gestaltet markt sei der Autographenmarkt mit seinen verhält­ sich aufwendig, ist in solchem Rahmen aber möglich. nismäßig wenigen Teilnehmern generell sehr gesund. Die Lagerungsbedingungen und der Zugang für die Dramatische Ausschläge gebe es so wenig wie spekulie- Wissenschaft machen öffentliche Archive und Biblio- rende Rendite-Fonds, seit die einzige Ausnahme, die theken trotz oft knapper Etats also zu den besten Auf- französische Investmentfirma Aristophil, als Betrugs­ bewahrungsorten für Autographen. Das meint auch system aufgeflogen sei. Die höchsten Preise erzielten Reiner Stach, der das Interesse privater Sammler aller- nach wie vor Musikautographen, nicht zuletzt, weil dings gut verstehen kann: „Ich selbst besitze einen komplette Kompositionen berühmter Künstler nur leeren Briefumschlag Kafkas an seine Verlobte Felice selten im Angebot seien. Vor drei Jahren etwa wurde Bauer, mit eigenhändigem Namenszug, und noch bei Stargardt ein Händel-Autograph für eine halbe immer beschleunigt sich mein Puls, wenn ich dieses Million Euro verkauft. Die hohe weltweite Nachfrage unscheinbare, gelbliche, außerordentlich schön be- nach Musikhandschriften sei sicher auch in der Inter­ schriftete Papier in der Hand halte.“ Und doch: „Würde nationalität der Musiksprache begründet. Mit einer morgen ein Gesetz in Kraft treten, das besagt, sämtliche bestimmten Form von Autographen möchte Mecklen- Kafka-Autographen seien umgehend im Deutschen burg jedoch aus ethischen Gründen nichts zu tun Literaturarchiv in Marbach abzuliefern, so wäre ich haben, dem „Devotionalienkram“. Er widerspricht wahrscheinlich der erste, der das mit Freuden machen moderat der oft kolportierten Auffassung, (inhaltlich würde. Die Handschriften eines der bedeutendsten bedeutungslose) Hitler-Autographen seien in Deutsch- Autoren der Weltliteratur sollten an einem gut gesicher- land mangels Interesse kaum verkäuflich, dafür im ten und unter öffentlicher Kontrolle stehenden Ort Ausland aber umso besser. Verkaufen ließe sich derlei verwahrt werden, ja, was denn sonst?“ Dass dabei der schon. Er selbst und die meisten seriösen Händler Ausstellungsaspekt nicht zu kurz kommen sollte, hebt nähmen es aber schlicht nicht in ihr Angebot auf. Ottmar Ette hervor. Die Humboldt-Reisetagebücher Nicht immer sind Archivare erfreut über den könnten im Humboldt-Forum eine Museums-Heimat kontinuierlich steigenden Marktwert von Autographen. finden und dann auch selbst wieder auf Reisen gehen, Mitunter tauchten auf Auktionen sogar Stücke auf, die etwa in die beschriebenen Länder. Die Handschrift als einmal in den eigenen Beständen waren, sagt Gerald Handreichung zwischen den Völkern: eine schöne Maier. Man könne eine Entwendung selten nachweisen Vorstellung. Johann Sebastian Bach, Autograph der h-Moll-Messe, Credo, 1748/49, 33 × 21,5 cm; Staatsbibliothek zu Berlin 26 ARSPROTOTO 4 2018 27 TITELTHEMA MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN SPÄTE BRIEFPOST DAS BEETHOVEN-HAUS IN BONN KONNTE ZWEI UNBEKANNTE AUTOGRAPHEN DES KOMPONISTEN ERSTEIGERN von Julia Ronge

m 6. Juni 2012 wurde in Berlin ein Beethoven- Brief versteigert, der bislang noch nicht einmal Wien den 17ten Septembr. [1795] A vom Hörensagen bekannt, geschweige denn veröffentlicht war und sofort die Aufmerksamkeit der Lieber! daß du mir hieher geschrieben hast, hat mich Beethoven-Forschung auf sich zog. Dieser neuentdeckte unendlich gefreut da ich mir’s nicht vermuthete. du Brief befand sich in einem geradezu makellosen Erhal- bist also jezt in dem Kalten Lande, wo die Menscheit tungszustand. Besonders besticht sein Format, denn der noch so sehr unter ihrer Würde behandelt wird, ich vierseitige Brief ist aufgeschlagen mit 8,1 × 9,3 cm nicht weiß gewiß, daß dir da manches begegnen wird, was größer als ein Handteller – selbst für die damalige Zeit wider deine Denkungs-Art, dein Herz, und überhaupt ungewöhnlich klein. Zudem ist er sehr sorgfältig und wider dein ganzes Gefühl ist. wann wird auch der ohne Fehler oder Korrekturen geschrieben, was bei Zeitpunkt kommen wo es nur Menschen geben wird, Beethoven nur selten vorkommt und immer ein Zei- wir werden wohl diesen Glücklichen Zeitpunkt nur chen von besonderer Wertschätzung des Adressaten ist. an einigen Orten heran nahen sehen, aber all- Der Brief stammt von 1795, aus einer Zeit, aus der gemein – das werden wir nicht sehen, da werden nur wenige Schriftdokumente von Beethovens Hand wohl noch JahrHunderte vorübergehen. überliefert sind. Bis einschließlich 1794 kennt die den Schmerz, den dir der Tod deiner Mutter verur- Beethoven-Forschung nur acht Briefautographen Beet- sacht hat, habe ich auch sehr gut fühlen können, da ich hovens. Aus 1795 war bislang kein Beethoven-Brief fast zweimal in dem nemlichen Fall bey dem Tode verbürgt. meiner Mutter und meines vaters gewesen bin. wahr- Überraschend ist auch der Adressat. Beethoven lich wemsollte es nicht wehe thuen, wenn er ein Glied richtet sich an Heinrich von Struve (1772 –1851), aus einem so selten anzutreffenden Harmonischen einen Bonner Freund, der wohl zum „Zehrgarten“- Ganzen wegreißen sieht – man kann nur noch hiebey Kreis gehörte. Im Gegensatz zu anderen Mitgliedern vom Tode nicht ungünstig reden, wenn man sich dieses liberal-intellektuellen Zirkels, der sich regelmäßig ihn unter einem lächelnden sanft hinüberträumenden im gleichnamigen Gasthaus mit angeschlossener Buch- Bilde vorstellt, wobey der Abtretende nur gewinnt.–– handlung am Bonner Markt traf, war bislang nichts ich lebe hier noch gut, komme immer meinem mir über Beethovens Beziehung zu Struve bekannt. Zwar vorgestekten Ziele näher, wie bald ich von hier gehe, hatte Struve sich in das Stammbuch eingetragen, das kann ich nicht bestimmen, meine erste Ausflucht wird seine Freunde Beethoven vor der Abreise nach Wien im nach ytalien seyn, und dann vieleicht nach Rußland, November 1792 überreichten, darüber hinaus war aber du könntest mir wohl schreiben, wie hoch die reise von kein weiterer Kontakt dokumentiert. Lorenz von Breu- hier nach P.[etersburg?] kömmt, weil ich jemanden Ludwig van Beethoven, Brief an Heinrich ning, der sich Mitte der 1790er-Jahre in Wien aufhielt, hinzuschicken gedenke sobald als möglich. deiner von Struve, Wien, 17. September 1795, berichtete Anfang des Jahres 1795 nach Bonn: „Struve Schwester werde ich nächstens einige Musik von mir 8,1 × 9,3 cm (Abbildung in Originalgröße); will das Frühjahr zu uns kommen.“ Dies galt bislang als schicken. Beethoven-Haus Bonn. Die Abbildungen die einzige weitere Erwähnung Struves in Beethovens Professor Stup von bonn ist auch hier. Grüße von zeigen die Vorder- und Rückseite des zum Brief gefalteten Blattes: Seite 1 o. r., Seite 2 näherem Umfeld. Beethovens Brief an Struve rückt die Wegeler und Breuning an dich. ich bitte dich mir ja u. l., Seite 3 u. r., Seite 4 o. l. Freundschaft in ein neues Licht und macht sie für die immer zu schreiben, so oft du kannst, laß deine Forschung näher greifbar. Freundschaft für mich sich nicht durch die Entfernung Die Attraktion des Briefes lag aber weder in seinem vermindern, ich bin noch immer wie sonst dein dich Äußeren noch im Datum oder in seinem Adressaten, liebender die größte Sensation war sein Inhalt, der hier nun Beethoven. erstmals veröffentlicht wird.

28 ARSPROTOTO 4 2018 29 drei Notenlinien im System etwas abgesetzt ist, damit schwerwiegende Unterschiede. So hat es der Stecher noch Platz für den Singtext bleibt. versäumt, zu Beginn des Liedes p dolce zu überneh- Der Text des Liedes stammt von Georg Friedrich men, die Anweisung, leise und lieblich zu spielen. Der Treitschke (1776 –1842), dem Dramatiker und Regis- gewichtigste Fehler findet sich am Schluss und kann seur, der Beethoven mit der letzten Textfassung des Beethoven keineswegs gefallen haben. Der Text des Fidelio behilflich war und entscheidend zu dessen Liedes endet in Resignation, weil der Sprecher die Erfolg beigetragen hat. Treitschke veröffentlichte im Distanz zu seiner Liebsten nicht überbrücken kann: Juni 1817 einen Gedichtband, dem als eine von drei „Ich nur bin fest gebannt, weine allhier.“ Um die Musikbeilagen die Vertonung Beethovens beigebun- Hoffnungslosigkeit zu veranschaulichen, lässt Beet­ den war. Beethoven hat die Niederschrift mit einer hoven den Klavierpart immer leiser und langsamer Widmung für den Dichter versehen: „Für seine Wohl- werden, decrescendo und ritardando. Im Erstdruck gebohrn H: v. Treischke Ersten Dichter u Trachter Von finden wir allerdings das Gegenteil. Hier lautet die den Ufern der Vien bis zum Amazonen Fluß.– von Anweisung cresc., lauter werden. Auch das ritardando L v. Beethoven am 13ten WinterMonath 1816“. wurde unterschlagen, so dass die Musik nicht, wie Schon unmittelbar nachdem er ein Belegexemplar von Beethoven intendiert, verebbt, sondern in einem des Gedichtbandes bekommen hatte, bat Beethoven fulminant rauschenden Schluss ausklingt. Kein Wun- Treitschke, sein Autograph an den Musikalienhändler der, dass Beethoven sich ärgerte, denn der Ausdruck Steiner weiterzugeben, „damit das Gestochene, wel- der Resignation, der ihm so wichtig war, wurde damit ches von Fehlern zerstochen, sogleich wieder, wie es zunichte gemacht. Entgegen seinen Wünschen hat seyn muß, gestochen werden kann, u zwar um so Treitschke die Handschrift wohl nicht an den Verleger mehr, weil sonst auf das Dichten u. Trachten ganz weitergegeben, oder vielleicht hatte Steiner auch kein erschrechlich gestochen u. gehauen wird werden“. Interesse an einer Neuauflage des Liedes – erschienen Vergleicht man den Erstdruck mit dem Auto- ist sie jedenfalls nicht. Im Laufe des 19. Jahrhunderts graph, so ist Beethovens Unmut zunächst verwunder- geriet das Autograph in Vergessenheit. Ludwig van Beethoven, lich, denn im Notentext lassen sich keine Abweichun- Dass sich das Beethoven-Haus bei beiden Hand- Heinrich von Struve stammte aus Regensburg, wo sein keinen Unterschied zwischen Mutter und Vater und Autograph des Liedes gen feststellen. Beethoven war allerdings immer sehr schriften, dem Brief an Struve und der Niederschrift „Ruf vom Berge“ nach Vater als russischer Gesandter beim ständigen Reichs- betont den Schmerz, den ihr Hinscheiden ihm verur- einem Gedicht von Georg genau auf die Wirkung seiner Musik bedacht, und des Liedes, 2004 bzw. 2012 vergeblich um einen tag firmierte. Wie sein Vater und seine Brüder trat auch sacht hat. Die Beethoven-Biographik stellt zu Unrecht Friedrich Treitschke, tatsächlich finden sich beim musikalischen Ausdruck Ankauf bemühte, lag an der Unersättlichkeit eines Heinrich in kaiserlich-russische Dienste ein. Vielleicht den Vater als gewalttätiges Monster dar – dieser Brief 1816, 16 × 19,7 cm; französischen Investmentfonds auf Handschriften, der erfolgte der von Lorenz von Breuning erwähnte Besuch lässt ahnen, dass Beethoven ihn keineswegs für ein Beethoven-Haus Bonn nicht nur jeden Preis zahlte, sondern sogar versuchte, Struves in Wien im Frühjahr 1795 auf der Durchreise solches hielt. die Preise gezielt nach oben zu treiben. Der Fonds nach Russland, Beethoven rechnet zumindest damit, Auffallend ist außerdem, dass er zahlreiche Reise- kalkulierte damit, den Marktwert und somit die sein Brief würde Struve „in dem Kalten Lande, wo die pläne schmiedet. „ich lebe hier noch gut“ lässt sogar Rendite seiner Sammlung zu steigern. Das Beethoven- Menscheit noch so sehr unter ihrer Würde behandelt vermuten, dass Beethoven 1795 nicht damit rechnete, Haus war damals nicht bereit, die Preistreiberei zu Links: Friedrich Adolph wird“ antreffen. Aus diversen Andeutungen und Über- dauerhaft in Wien zu bleiben. Zunächst plant er Hornemann, Bildnis von unterstützen und verzichtete schweren Herzens. lieferungen von Zeitgenossen ist Beethovens politische Reisen nach Italien und Russland. Beethoven hielt Heinrich Christian Die Entscheidung erwies sich als richtig. Da der Haltung in der Tendenz bekannt. Dass er aber derart zu vielen Bonner Freunden Kontakt, zu etlichen ein Gottfried von Struve, Investmentfonds Aristophil mit einem Schneeball­ 38,2 × 30,9 cm; Staats- ungeschminkt die Missstände in Russland beim Na- ganzes Leben lang, und auch Struve bittet er, ihn trotz und Universitätsbiblio- system arbeitete, um an die nötigen immensen Geld- men nennt, war neu. Der Brieftext wirft auch ein Licht der weiten Wege nicht zu vergessen und richtet Grüße thek Hamburg mittel zu gelangen, griff der französische Staat ein und auf die im „Zehrgarten“ diskutierten Themen, denn der in Wien weilenden gemeinsamen Bonner Freunde schloss ihn 2015. Nach und nach werden nun die über Beethoven ist sich sicher, dass die Zustände in Russ- aus. Dieser Brief ermöglicht tiefe neue Einblicke in Rechts: Christian Hor- 130.000 Handschriften aus seinem Besitz wieder auf neman, Bildnis von land wider Struves Überzeugungen sind. Beethovens die Überzeugungen und Gefühle des 24-jährigen auf- Ludwig van Beethoven, den Markt geworfen. So erhielt das Beethoven-Haus daran anschließende Hoffnung liest sich geradezu ­strebenden Künstlers. 1802, 6,1 × 4,7 cm; im Juni 2018 in Paris eine neue Chance, den Struve- prophetisch: Die Utopie, dass es eines Tages in ferner Schon 2004 kam ein anderes unerforschtes Beetho- Beethoven-Haus Bonn Brief und das Lied zu erwerben, und blieb diesmal Zukunft ohne Unterscheidung nur noch Menschen ven-Autograph in London auf den Markt. Beethovens der glückliche Bieter. Die Handschriften sind nun an gäbe, geht sogar noch über die Forderung, alle Men- eigenhändige Niederschrift des Liedes „Ruf vom Berge“ einem Ort, an dem ihre Schönheit, ihr ideeller und schen sollten Brüder werden, hinaus. („Wenn ich ein Vöglein wär“) WoO 147 wurde bis wissenschaftlicher Wert geschätzt werden. Das Beet­ Beethovens Kondolenz zum Tod von Struves dato für verschollen gehalten. Der berühmte Hand- hoven-Haus verkauft nicht und entzieht die Schätze Mutter klärt das Entstehungsjahr des Briefes, da Sophia schriftensammler Aloys Fuchs (1799 –1853) hat sie dem Markt. Sammeln ist eine Passion, an die keine Dorothea Struve geb. Reimers am 21. Mai 1795 ge- wohl noch gekannt, aber keine Beschreibung angefer- Renditeerwartung geknüpft sein sollte. storben ist. Der Komponist kann sich gut in den tigt. Auch diese Handschrift besticht zunächst durch Verlust des Freundes einfühlen, weil er selbst bereits ihr ästhetisches Äußeres, auch sie ist im Format ver- Förderer dieser Erwerbung: Kulturstiftung der Länder, beide Eltern verloren hat. Die Nennung seiner verstor- gleichsweise klein. Für die Beethoven-Zeit noch relativ Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, benen Eltern in einem Satz lässt einen höchst seltenen neu ist das lithographierte Notenpapier, das speziell für Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Einblick in Beethovens Gefühlswelt zu, macht er doch Lieder angefertigt wurde, wobei die obere der jeweils Nordrhein-Westfalen

30 ARSPROTOTO 4 2018 31 TITELTHEMA MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN Archivleiter jedoch feststellen: „Er hat seine Hand- schrift an ihre angepasst.“ Durch die Schriftstellerin entdeckte der Lyriker auch die Lebensreformbewegung und den Vegetarismus für sich. Selbst seinen Namen DER HAND- änderte er: Auf ihr Anraten wurde René Karl Wilhelm Johann Josef Maria zu Rainer Maria. „Den eigenen Namen und die persönliche Handschrift, zwei essen­ tielle Identitätsmerkmale Rilkes, hat Andreas-Salomé SCHRIFT AUF verändert“, fasst von Bülow zusammen, „das ist ein- schneidend.“ Ganze Textpassagen aus anderer Quelle übernimmt DER SPUR der drei Jahre jüngere Alfred Döblin (1878 –1957) für seinen Großstadtroman „Berlin Alexanderplatz“ (1929). MIT ULRICH VON BÜLOW DURCHS „Um die Großstadt des angehenden 20. Jahrhunderts zu beschreiben, reichten die Mittel des klassischen DEUTSCHE LITERATURARCHIV Realismus aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr aus. Er MARBACH, DEM ROHSTOFFSPEICHER fügte also Zeitungsberichte über die städtischen Elek­ UNSERER LITERATUR- UND trizitätswerke, Wetterberichte, Statistiken und vieles ZEITGESCHICHTE weitere ein, um das neue Phänomen zu fassen“, so von Bülow. Die Informationsflut der Großstadt reprodu- von Antonia Kölbl zierte Döblin in seinem Roman. Auf den unpaginierten Blättern seines Manuskripts sind die Zitate eingeklebt – der gedruckte Text verschleiert die diversen Quellen er Begriff Handschrift“, erklärt Ulrich von Bülow, jedoch. „ist immer schwierig, denn nicht jede Handschrift Unzählige Briefe und Postkarten zeichnen Alfred Dist tatsächlich von Hand geschrieben. Denken Sie Döblins Lebensweg nach, lassen das intellektuelle zum Beispiel an Typoskripte oder gar Dateien.“ An Netzwerk, in dem er sich bewegte, hervortreten. 1913 einem ungewöhnlich warmen Herbsttag führt der erreicht ihn in der Blücherstraße Berlin-West ein Post- Leiter des Archivs durch die 18 Grad kühle Handschrif- karten-Gruß von Guillaume Apollinaire und Herwarth tensammlung. Sämtliche schriftlichen Unikate in den Walden: „War sehr gut, Ihr Artikel, ich gratuliere. Es Beständen des Deutschen Literaturarchivs Marbach lebe der Döblinismus.“ Genau 20 Jahre später in Paris: lagern hier in grünen Archivboxen, Regalmeter an „Eben erfahre ich durch Herrn Brecht Ihre Adresse. Ich Regalmeter. Ob in Zeiten der Aufklärung verfasst oder würde mich freuen, wenn ich mal gelegentlich zu Ihnen in der Gegenwart geschrieben: Alle Dokumente, auf heraufkommen könnte. Mit der besten Empfehlung“, denen deutschsprachige Literatur- und Ideengeschichte schreibt Günther Anders 1933. „Nur mit guten Verbin- entwickelt wurde, warten hier darauf, in den hellen dungen konnte man im Exil überleben. Diese herzustel- Lesesaal geholt zu werden. Die Rohstoffe unserer Ge- len war aber gar nicht so einfach, weil sich die Aufent- schichten, unserer Geschichte – wie sehen sie aus? Dass haltsorte ständig änderten“, sagt von Bülow. „Das hat Handschriften so einmalig und eigenwillig wie ihre zur Folge, dass Exilbestände oft nicht besonders um- Verfasser sind, wird mit jedem Dokument – ob in fangreich sind. Beim ständigen Um- und Weiterziehen Schönschrift verfasst oder getippt und handschriftlich konnte nicht viel mitgenommen werden. Unsere Philo- ergänzt – augenscheinlicher. Anhand zahlreicher, mit sophiebestände machen das besonders deutlich: Das Unterstützung der Kulturstiftung der Länder erworbe- Archiv von Karl Löwith, einem Schüler Martin Heideg­ nen Autographen zeigt Ulrich von Bülow, wie Hand- gers, ist verhältnismäßig schmal, auf seinem Weg über schriften entstehen und schildert ihre Wege ins Mar­ Italien, Japan bis in die USA nahm er nicht viel mit. bacher Archiv, wo sie dann von Forscherinnen und Ganz anders bei Heidegger selbst: Der klebte ja prak- Forschern benutzt werden. tisch an seiner Scholle und hat die alemannische Hei- Formvollendet und jeder Leserin, jedem Leser ein mat selten verlassen.“ Genuss ist die Schrift Rainer Maria Rilkes. So beste- „Für Dorothea“ lautet seine fein säuberlich notierte chend schön, dass sie seine Korrespondenzpartnerinnen Widmung, unterzeichnet „Weihnachten 37, Martin“. Katharina Kippenberg und Inga Junghans in jedem Was folgt, ist das 1.000 Seiten starke Manuskript der Antwortschreiben noch ein bisschen mehr kopierten, „Beiträge zur Philosophie“ (1989), akkurat mit schwar- wie Ulrich von Bülow herausgefunden hat. Auch die zer Tinte aufs Papier gebracht. Obenauf noch eine Schrift von Lou Andreas-Salomé gleicht der Rilkes weitere Notiz: „Diese Beiträge der Philosophie sind in (1875 –1926) ungemein. Genaues Studium ließ den fünf Schreibmaschinen-Abschriften vervielfältigt und

Winfried Georg Sebald, Materialsammlung für den 2001 erschienenen ARSPROTOTO 4 2018 33 Roman „Austerlitz“, 24,4 × 37,2 cm; Deutsches Literaturarchiv Marbach die Abschriften mit der Urschrift verglichen. 3. Juni 1939.“ Was sachlich erscheint, verrät viel über Heideg­ gers (1889 –1976) ambivalentes Verhältnis zur Schrift und seine Eigenwilligkeit in Bezug auf sein zweites großes Hauptwerk. Erst posthum sollten die Beiträge erscheinen. Um sie jedoch sicher durch den Krieg zu bekommen, verschickte der in Freiburg lehrende Philo- soph die vom Bruder getippten Abschriften an fünf verschiedene Empfänger. „Heidegger mochte die Schreibmaschinen nicht, er empfand sie als Entfrem- dung. Schreiben war für ihn Hand-Werk. Und obwohl sein Nachlass zeigt, wie wesentlich der Akt des Schrei- bens für sein Denken war, sah er sich gerne in der Tradition griechischer Philosophen und betonte, das mündliche Wort sei das Eigentliche.“ Vom Wert des Schriftlichen überzeugt war jedoch Ernst Jünger (1895 –1998), der „ein Verhältnis zum Grüne Archivkästen im Deutschen Literaturarchiv Marbach Papier und selbst großes Interesse an Handschriften hatte“, berichtet UIrich von Bülow, während er in den Das ständige Arbeiten am Text und Überarbeiten Archivkisten sucht. Hier verbergen sich Jüngers Tage­ scheinbar abgeschlossener Werke offenbart das Archiv bücher, umfangreiche Korrespondenzen, die bereits Ernst Jüngers ebenfalls. Angefangen mit seinen Tage­ seine Sekretäre abgelegt hatten, aber auch die Manu- büchern aus dem Ersten Weltkrieg, die im kleinen skripte für sein Werk „Annäherungen. Drogen und Format in die Tasche seiner Uniform passten. Was er im Rausch“ (1970). Der Titel ist wörtlich zu verstehen: Schützengraben notierte, publizierte er schließlich als Gemeinsam mit dem LSD-Erfinder Albert Hoffmann sein erstes Buch „In Stahlgewittern“ (1920). und dem Verleger Ernst Klett traf er sich, um die Droge „Anfangs war Jünger noch wahnsinnig kriegsbe­ einzunehmen. Auf die vielen, eng beschriebenen Seiten geistert. Doch die Wirklichkeit dieses Kriegs, die er in seiner anschließenden Ausführungen klebte er Pflanzen seinem immer wieder überarbeiteten Bericht schildert, und Blumen. Deren Platzierung, die er teils vor dem hat ihn desillusioniert.“ Dennoch gibt es auch während Schreiben, teils danach fixierte, ist dabei keineswegs des Zweiten Weltkriegs Tagebücher, die das Leben an zufällig, wie die Forschung heute weiß. der Ostfront schildern. Nachlässe und Archivmateria- lien überwinden die Ambivalenzen ihrer Bestandsbild- ner nicht, doch sie ermöglichen es, diese genau auszuloten. Und manchmal halten sie unglaubliche Überra- schungen bereit: In den schriftlichen Hinterlassenschaf- ten von Siegfried Lenz (1926 –2014) fand sich ein unpubliziertes Romanmanuskript. 2014 entdeckten es Forscher im Archiv, zwei Jahre später erschien das Buch „Der Überläufer“ (2016). „Und wurde zum Bestseller, das ist wirklich unglaublich!“ Ulrich von Bülow beugt sich über das Buch, indem Lenz „sehr schön, sehr leserlich“ den Text niederschrieb. „Diesen Roman hat der Schriftsteller nach dem Krieg geschrieben, bevor er seine berühmten Werke verfasste. Alle Verlage, denen er die Geschichte anbot, lehnten ab. Dann hat er sie halt liegengelassen.“ Mit Blick auf die Handschrift stellt der Leiter des Archivs fest: „Es wirkt disziplinierend, wenn man in ein Buch schreibt. Da kann man nicht mehr so einfach eine Seite wegwerfen.“ Gleichförmig überzieht das Schriftbild die linierten Buchseiten. Die regelmäßig auf jeder Seite blasser werdende blaue Tinte lässt ver- muten, dass Lenz mit einer Feder schrieb. Zwei Fassun- Alfred Döblin, Manuskript des Romans „ Berlin Ernst Jünger, Manuskript des Essays „Annäherungen. Alexanderplatz“, Version 1, erschienen 1929, gen des Romantexts liegen in Marbach vor, publiziert Drogen und Rausch“, verfasst 1967, erschienen 1970, 16,5 × 21,2 cm; Deutsches Literaturarchiv Marbach wurde die zuletzt verfasste. 20,9 × 27,8 cm; Deutsches Literaturarchiv Marbach

34 ARSPROTOTO 4 2018 35 Nicht in leere Bücher, sondern in Hefte des Schreib­ Ganz klar strukturiert und hoch diszipliniert trieb und Wissenschaftler oder deren Erben selbst entschei- warenherstellers Brunnen schrieb Robert Gernhardt. W. G. Sebald (1944 –2001) seine Schreibarbeit voran. den, was sie wann an wen abgeben, gilt es immer wie- 24 Archivkisten füllen sie. Mit blauem Kugelschreiber „Er ist ja auch ein großer Sprachkünstler. Jeden Satz der, Kompromisse zu finden, „aber bisher konnten wir notierte und skizzierte er auf den DIN-A5-formatigen probierte Sebald erstmal aus, ganz ohne textlichen uns immer einigen“. Was schließlich im Archiv über weißen Blättern. Begegnungen erinnert der in Estland Zusammenhang. Zum Beispiel den ersten Satz der den Neckarauen eintrifft, wird zunächst restauratorisch geborene Gernhardt (1937–2006) durch Por­träts und ‚Ringe des Saturn‘ (1995), der lautet: ‚Im August 1992, eingeschätzt, gegebenenfalls behandelt und dann „im- durch kleine Schilderungen: „Frau Kienzel leitet ein als die Hundstage ihrem Ende zugingen, machte ich mer weiter geordnet, peu à peu, zunächst grob, dann Dorf für Bosnien-Flüchtlinge“, liest Ulrich von Bülow mich, in der Hoffnung, der nach dem Abschluss einer immer feiner“, berichtet Ulrich von Bülow. Umzugskis- aus einem Heft von 1994 vor. „Es steht am Stadtrand größeren Arbeit in mir sich ausbreitenden Leere ent- ten voller Ordner und Papierstöße, sortierte Stapel und von Backnang am Wald etwas abseits des Ortes. Es kommen zu können, auf eine Fußreise durch die Ost- schließlich die grauen Mappen in grünen Archivkästen wurde während der Errichtung beschädigt, Brandstif- Englische Grafschaft Suffolk.‘ Für diesen Satz gibt es – die einzelnen Stationen der Aufbereitung für die tung. Als ich sie im Mai letzten Jahres sah, sprach sie viele Entwürfe. So hat er an jedem Satz herumgefeilt Benutzung sind in den Kellerräumen überall zu sehen. davon, ihre erste Aufgabe werde es sein, die Deutschen und erst am Schluss alle zusammengefügt. Das Wort Von dem Zustand, in dem die Manuskripte, Brief- zu…“, das nächste Wort ist schwer zu entziffern, „bla- ,Handschrift‘ reserviert er für den ersten Gesamttext.“ sammlungen und Typoskripte eintreffen – „Herr Mose- mieren? Nein, zu kalmieren“, liest von Bülow und fügt Von Rainer Maria Rilke und der Lebensreformbe- bach pflegt seine Sachen hier in Ikea-Taschen abzuge- erklärend hinzu: „zu beruhigen.“ Im gleichen Heft, wegung bis zur in Robert Gernhardts Brunnen-Heft ben. Seine Papiere zu ordnen, bedeutet tatsächlich eine einige Seiten weiter, hält Gernhardt fest: „Ich habe es, geschilderten Fremdenfeindlichkeit gegenüber Geflüch- ganze Menge Arbeit“ – bekommen die Nutzerinnen liebe Mutter, gut getroffen, ich bin wie gewünscht im teten, vom Exil-Brief bis zum Roman-Manuskript: und Nutzer des Archivs nichts mehr mit. Bristol abgestiegen.“ Hat der erfolgreiche Dichter und Die Nach- und Vorlässe, die Ulrich von Bülow auf dem „Erstmal wurden mir Kopien aus dem Überset- Verfasser von Otto Waalkes-Drehbüchern Briefe an die dreistündigen Archivrundgang zeigt, bilden unsere zungsmanuskript von W. G. Sebalds ‚Die Ringe des eigene Mutter vorformuliert? Man könne sich bei Zeitgeschichte ebenso ab wie das Schaffen und Leben Saturn‘ ans Bard College geschickt“, erinnert sich Gernhardt nie ganz sicher sein. Manchmal, so weiß der Protagonisten unserer Literaturgeschichte. Bevor Kaitlynn Buchbaum, die am Liberal Arts College in Ulrich von Bülow, ist er schon mitten in einem Werk. das Deutsche Literaturarchiv die Schriftstücke jedoch New York State und an der Humboldt-Universität zu Berlin Deutsche Literatur studierte. Die Übersetzung von Sebalds Roman ins Englische untersuchte sie in ihrer Abschlussarbeit. In Marbach erhielt sie nicht nur Einblick in die Korrekturen und Änderungen, die der Autor im Text des Übersetzers vornahm, viel mehr noch: „Die Dokumente im Archiv – Fotografien, Notizen, Ephemera – machten seinen Schreibprozess für mich erfahrbar. Öffnet man die Boxen, in denen er seine Recherchematerialien sammelte, tut sich die Karte seines Gehirns auf.“ Vor allem aber, erinnert sich Buch- baum, war sie berührt von „den Spuren seiner Anwe- Martin Heidegger, Manuskript zu „Beiträge zur Philosophie“, verfasst 1936/37, erschienen 1989, senheit, wie der Ring einer auf dem Papier abgestellten 14,9 × 21,1 cm; Literaturarchiv Marbach Kaffeetasse. Auch haben seine Autographe eine hap­ tische Qualität: Sebald drückte beim Schreiben so fest erwirbt und der Forschung zur Verfügung stellt, prüft auf, dass ich seine Handschrift unter den Fingern es zunächst, ob die Objekte ihren Kriterien entspre- spüren konnte“. chen: Sind die Verfasser relevant? Wieviel haben sie in Antonia Kölbl ist Kunsthistorikerin und Volontärin welchen Verlagen publiziert? In welchem Umfang ist der Kulturstiftung der Länder. Sekundärliteratur zu ihrem Werk vorhanden? Wie steht es um den Marktwert? Dann begutachten von Bülow Förderer der Erwerbungen: Rainer Maria Rilke, Briefe an Lou Andreas-Salomé: Kulturstiftung der Länder; Alfred und seine Kollegen die angebotenen Materialien. Döblin, Nachlass: Kulturstiftung der Länder, Bundesminis­ „Keine Erwerbung ohne Autopsie“, lautet das Credo. terium des Innern, Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg; Nachlässe sind keine Sammlungen, deren Inhalt Martin Heidegger, Teilnachlass (Sammlung Buchner): Kulturstiftung der Länder, Stiftung Kulturgut Baden- sich aus festgeschriebenen Bestandteilen zusammen- Württemberg, Deutsche Forschungsgemeinschaft, private setzt. „Nachlass ist ein diffuser Begriff. Man muss vor Spenden; Ernst Jünger, Nachlass und Bibliothek: Kulturstif- Ort und immer im Einzelfall bestimmen, was eigentlich tung der Länder, Bundesministerium des Innern, Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg; Siegfried Lenz, Vorlass: dazu gehört, sprich was wirklich wichtig für die Litera- Kulturstiftung der Länder, Deutsche Forschungsgemein- turwissenschaft ist“, erklärt der Archivleiter. Bei Vor­ schaft; Robert Gernhardt, Nachlass, Archiv: Kulturstiftung lässen ist diese Bestimmung noch diffiziler. Daher tritt der Länder, S. Fischer Stiftung; W. G. Sebald, Nachlass und Bibliothek: Kulturstiftung der Länder, Deutsche Forschungs-­ Ulrich von Bülow am liebsten erst dann in Verhand- gemeinschaft lung, wenn der Urheber sein Lebenswerk (vermutlich) schon abgeschlossen hat. Da jedoch die Schriftsteller Siegfried Lenz, Manuskript für den Roman „Der Überläufer“, verfasst 1951, erschienen 2016, 21 × 29,7 cm (im geschlossenen Zustand); Deutsches Literaturarchiv Marbach ARSPROTOTO 4 2018 37 TITELTHEMA MATERIALITÄT DES SCHRIFTLICHEN In der Mitte des 19. Jahrhunderts war das ganz anders. Auch an der Berliner Charité, damals noch ein Armen- krankenhaus in Berlin. Erst ab den 1850er-Jahren war das Aufschreiben dort nicht mehr Privatsache des Arztes, der seine Notizen bisher am Krankenbett für SCHNITT­ den eigenen Gebrauch in einer Art Tagebuch gesam- melt hatte. Die Umstellung auf eine allgemein verfüg- bare Krankenakte in der zweiten Hälfte des 19. Jahr- hunderts war die logische Folge neuer physikalischer STELLEN und chemischer Untersuchungsmethoden, die die Medizin revolutionierten. Aus den Beobachtungen, Laborwerten und Entdeckungen aller Beteiligten formt DIE HANDGESCHRIEBENEN sich idealerweise auch heute noch eine Diagnose, und SEKTIONS­PROTOKOLLE VON eine Behandlung beginnt. RUDOLF VIRCHOW SIND EIN Endlich „geordnete Protokolle einzuführen“, das EINZIGARTIGES NATURWISSEN- hatte sich der Militärarzt Rudolf Virchow (1821–1902) auf die Fahnen geschrieben, als er 1846 an der Berliner SCHAFTLICHES ZEUGNIS Charité für die pathologisch-anatomischen Leichen­ von Johannes Fellmann öffnungen verantwortlich wurde. Der Vorgang des Notierens wirkt unmittelbar ein auf die Rückschlüsse b im Krankenhaus, bei der polizeilichen Ermitt- des Pathologen, hatte Virchow erkannt. Und im exak- lung oder bei Finanzgeschäften auf der Bank gilt: ten Protokoll, das seine Indizien nach einem verbind- O Dokumentationszwang! So mancher Berufszweig lich definierten Reglement erhebt, sah Virchow das singt ein Klagelied über den ständig wachsenden büro- schärfste Instrument, die Pathologie zu mehr Ansehen kratischen Aufwand. Viele Stunden verbringen Pflege- zu bringen. rinnen und Pfleger, Ärztinnen und Ärzte heute im Niemand konnte ahnen, dass Virchow mit seiner Alltag damit, Befunde, Beobachtungen und Laborwerte verwaltungstechnischen Vorgabe an die Sektionsproto- zu erfassen und zu bewerten. Kaum jemand wird be- kolle die Basis für einen beispiellosen Paradigmenwech- streiten, wie wichtig in vielen Bereichen exakte Daten sel in der Medizin schaffen würde. Man belächelte den und eine minutiöse Aufzeichnung sind – ob nun hand- Jungarzt, der sich in dem akademisch kaum relevanten schriftlich oder zunehmend digital. Fach profilieren wollte. Doch die Zeiten standen auf

Johannes Orth (ab Wandel: „Die Pathologie entwickelt sich Mitte des eindeutige Befunde mit Hypothesen und Beobachtun- 1872 Assistent von 19. Jahrhunderts zur Leitdisziplin der naturwissen- gen. Einen „energischen Feldzug gegen die Esoteren“, Rudolf Virchow, ab 1902 dessen Nachfol- schaftlichen Medizin“, sagt Thomas Schnalke, Medizin- nannte Virchows Freund und Arztkollege Benno Rein- ger an der Charité), historiker an der Berliner Charité. Rudolf Virchow hardt den gemeinsamen Anspruch. Weil sie kaum mehr Doppelseite aus dem erkannte, dass „das Studium des Leichnams und seiner geeignete Publikationsmöglichkeiten für programma­ Jahrgangsprotokolle- band 1875, 20,5 × 34 einzelnen Teile mit dem Skalpell, dem Mikroskop und tische Artikel fanden, gründeten die beiden Freunde cm (im geschlossenen dem Reagens“ – neben der klinischen Untersuchung – ihre eigene, bis heute bestehende Zeitschrift „Virchows Zustand) die entscheidenden Hinweise auf Krankheitsursachen Archiv“, um darin theoretische und praktische Patho­ versprach. Virchow wollte die vitalistischen Lehren und logie mit klinischer Medizin zu verknüpfen. Basis von die romantisch verklärten Grundlagen der Medizin Virchows bahn­brechenden Veröffentlichungen waren seiner Zeit als für Patienten gefährlichen Spuk ent­ die Sektionsprotokolle. larven. Man war beispielsweise immer noch überzeugt Virchow wiederholte seine Thesen weiter hart­ davon, dass sich bei Krankheiten die Körperflüssig­ näckig. Für ihn zählten makroskopische, mikroskopi- keiten falsch verbinden. Die Ärzteschaft mischte eifrig sche und experimentelle Befunde. Ein Dorn im Auge

Rudolf Virchow beobachtet eine Schädeloperation in Paris, 2. August 1900 ARSPROTOTO 4 2018 39 Christoph Hoffmann und bedauert: „Noch wird die Modellhaft wird der Schriftförmigkeit der Akten und der Aufzeichnungs­ am schwersten beschä- digte Band von Rudolf vorgang selten mit in Untersuchungen zur Medizin­ Virchows Sektionspro- geschichte einbezogen.“ Warum die schriftliche Proto- tokollen restauriert: kollierung eine so dominante Rolle in einer Prosektur Auf die restaurierungs- bedürftigen Objekte spielte, das interessiert Hoffmann. Das direkte Auf- werden doppelseitig schreiben bzw. Diktieren diene nicht nur dem Festhal- mit Klebstoff be- ten der Befunde, sondern bewirke auch, dass man sich schichtete Trägerpa- piere aufgebracht. Der die sinnlichen Wahrnehmungen bewusst mache und Klebstoff verbindet ein Übersehen von wichtigen Befunden besser vermie- sich mit dem Original den werde. und ermöglicht so „Maßgeblich ist, dass mit dem Protokollieren die mithilfe der Träger­ papiere das Trennen Rudolf Virchow in seinem Arbeitszimmer des Mannigfaltigkeit des Beobachtbaren in eine im Weite- der Fasern (Spalten) pathologischen Instituts der Berliner Charité, um 1900 ren handhabbare Aufstellung überführt wird.“ Die im Querschnitt des große Leistung des Protokolls sei die „Übertragung des Blattgefüges (Bild 1– 8). war ihm die laxe Dokumentation an der Charité. Dort Visuellen ins Symbolische“. Erst beim Schreiben ver- sezierte man zwar so gut wie alle Verstorbenen, die bindet sich das Gesehene mit einem Begriff von ihm. Das gespaltene Blatt Aufzeichnungen waren jedoch unsystematisch und Und da der beobachtete Körper von enormer Flüchtig- kann nun aus dem Inneren heraus stabi­ wurden vor allem erst nach der Sektion aus der Erinne- keit ist, ersetzt das schriftliche Protokoll der Leichen- lisiert werden. Mit rung zu Papier gebracht. Nach mehreren kommentie- sektion in der Konsequenz sogar den Forschungsgegen- geeigneten Fasermate- renden Artikeln, die die gerichtsmedizinischen Regula- stand, resümiert Hoffmann. Die Geschichte der rialien werden Fehl- rien für seine pathologische Praxis adaptierten, erschien Pathologie anhand der Akten und Vordrucke für Sek­ stellen ergänzt und Risse geschlossen 1876 Virchows Standardwerk „Sektionstechnik“, das tionen weiter zu ergründen, würde Christoph Hoff- sowie neue Randbe­ rasch weltweit Beachtung fand. Über die Jahrzehnte mann reizen. Der kollektive Schreibraum der Akten reiche gebildet. Ein entwickelte Virchow seine Sektionstechnik, die bis könne auch enthüllen, wie sich Institutionen radikal anschließend aufge- brachtes Japanpapier heute überwiegend praktiziert wird: Vollständigkeit und veränderten, wie wissenschaftliche Voraussetzungen auf garantiert zusätzliche Genauigkeit sind die Eckpfeiler, keinesfalls sollte eine den Kopf gestellt wurden. Stabilität der durch vorherige klinische Anamnese den Umfang der patholo- Erstaunlicherweise, das bemerkt der renommierte Säureprozesse abge- bauten Blatt- und gisch-anatomischen Untersuchung bestimmen. Einem Forensiker Ingo Wirth amüsiert, hat sich Rudolf Vir- Faserstruktur. (Bild chronologischen Weg von außen nach innen folgt die chow selbst am wenigsten an sein eigenes Regelwerk 9 –14) Sektion den Hauptabschnitten „Äußere Besichtigung“, gehalten. 200 der 35.000 aus dessen Wirkungszeit „Brustorgane“, „Kopf und Gehirn“ und „Bauchorgane“. erhaltenen Protokolle konnte Wirth eindeutig Virchow Virchow führte die Entnahme der Organe ein, die dann zuordnen, viele seien nicht regelgerecht und nur frag- einzeln seziert wurden. Zusätzlich entwickelte Virchow mentarisch verfasst. Wahrscheinlich ist, dass Virchow eine standardisierte Technik des pathologischen Schnei- oft einfach keine Zeit hatte: Als Politiker im Preußi- dens, erläuterte detailliert die Technik der Gehirn- und schen Abgeordnetenhaus und später im Berliner Reichs- Herzsektion. Dreieinhalb Stunden soll der Prozess der tag sorgte er im Nebenberuf für eine neue Kanalisation Erkenntnis bei der Leichenschau nach Virchows Vor­ und Wasserversorgung der sich sprunghaft vergrößern- gaben dauern, eine Stunde allein das Diktieren des den Metropole, gründete die Fortschrittspartei mit, Schwer beschädigter Protokolls dabei einnehmen. stritt sich erbittert mit Reichskanzler Bismarck, kämpfte Band der Sektionspro- An der Charité wandelte sich die Aufzeichnungs- tokolle, 1876; Medizin- historisches Museum praxis nach Virchows Tod grundsätzlich. Aus dem der Charité, Berlin Protokoll wurde ein viele Seiten umfassender Vorgang mit Anlagen, der weiter in Sammelbänden archiviert wurde. Ab 1906 kamen Karteikarten und Archivkästen zum Einsatz, lose Papierbündel im DIN-A4-Format in den 1930er-Jahren, Ende der 1940er-Jahre folgte die Rückkehr zur Sammelbindung der Protokolle. Formu- lare und Vordrucke begleiteten den radikalen Wandel des Aufschreibevorgangs. „Die gemeinsame Heraus­ bildung der Klinik und des klinischen Aufzeichnungs­ wesens im Lauf des 19. Jahrhunderts waren bis zu einem großen Projekt des Medizinhistorikers Volker Hess zwischen 2014 und 2016 weitgehend uner- forscht“, sagt der Luzerner Wissenschaftsforscher

40 In Spülbädern werden Virchow selbst erlebte 1899 noch die Eröffnung des der Klebstoff des Museums mit. Trägerpapiers sowie gelöste Schmutzparti- An der Charité sind heute 150.000 Protokolle kel und Säuren heraus- archiviert, allein 35.000 Protokolle aus Virchows zwei- gespült. Die nun losen ter Wirkungszeit. In 47 dicken Bänden versammelt sie Trägerpapiere werden wieder abgelöst und das Medizinhistorische Museum der Charité. Direktor das Blatt zwischen Thomas Schnalke wünscht sich mehr medizinhistori- Pressmaterialien sche Forschung zur „Kultur des Sezierens“, die unser kontrolliert, getrock- net und geglättet. (Bild aktuelles molekularbiologisches Menschenbild vorberei- 15 –17) tet habe. Für Schnalke sind die Protokolle eine „einzig- artige Quelle für die aus der Praxis des Sezierens abge- Die getrockneten leitete Konzeption des naturwissenschaftlichen Begriffs Blätter werden entspre- des menschlichen Körpers“. Doch Schnalke sorgt sich chend ihrer Reihen- Wieder nutzbar: folge geordnet, gefalzt, der restaurierte Band der um die handschriftlichen Protokolle Rudolf Virchows zu Lagen gebildet und Sektionsprotokolle von 1876 in seiner Obhut. Forschung an den Bänden ist momen- geheftet. Die Rücken- bearbeitung, Fertigung tan unmöglich: Säure, Tintenfraß und Austrocknung der Buchdecke und das für sozialhygienische Reformen und eine bessere Ge- machen eine weitere Bearbeitung unmöglich, etliche Einarbeiten des Buch- sundheitsversorgung der ärmeren Bevölkerung. Der Bände drohen auseinanderzubrechen. Einen besonders blocks in diese be- schließen die Restau- Mediziner blickte weit über den Rand seiner Profession beschädigten Band konnte das Museum mit Hilfe der rierungsarbeiten. (Bild hinaus, interessierte sich für Archäologie und Ethno­ Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen 18 –20) logie und gründete 1869 die „Berliner Anthropolo­ Kulturguts modellhaft restaurieren. 70.000 Euro sind gische Gesellschaft“. veranschlagt, um die dringend nötige Sicherung des Virchows Entdeckungen und Rückschlüsse aus wichtigen naturwissenschaftlichen Zeugnisses zu leis- den Sektionen, die er in mannigfaltigen Publikationen ten. Nun sucht das Museum Förderer für die Rettung veröffentlichte, revolutionierten die Medizin, begrün­ der Sektionsprotokolle, die Thomas Schnalke „eine deten die moderne Entzündungslehre, brachten neue Art Zentralcode für das gesamte Fach der Pathologie“ Erkenntnisse bei Thrombose, Embolie oder Leukämie, nennt. über Geschwülste oder die Regenerationsfähigkeit der Leber. Anatomische Gewissheit statt vitalistischer Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité Spekulation: Virchows Zellularpathologie, in seiner Zeit Charitéplatz 1, 10117 Berlin Telefon 030 - 450 536 122 als Ordinarius an der Universität Würzburg 1849 –1856 Öffnungszeiten: Di, Do, Fr, So 10 –17 Uhr, entworfen, ist bis heute ein Kernbekenntnis des medizi- Mi, Sa 10 –19 Uhr nischen Menschenbilds. Alle Krankheiten gehen dem- E-Mail: [email protected] www.bmm-charite.de nach zurück auf Störungen in den Zellen. Dort können in den pathologischen Prozessen die Ursachen und das Entstehen der Erkrankungen erkannt werden. Die Leiche erschien Virchow wie ein Buch, in dem alle wichtigen Grundlagen abgelesen werden können. Das Fach der Pathologischen Anatomie wurde über seine weltweit Furore machenden Entdeckungen popu- lär. Als Virchow von der Berliner Universität wieder aus Würzburg abgeworben wurde, konnte er die Bedingun- gen diktieren: Institutsneubau, ein gutes Gehalt, eine eigenständige Abteilung in der Charité. 1873/74 wurde sie um zwei Seitenflügel erweitert, Virchow sezierte im hellen Sektionssaal mit großen Fenstern Richtung Norden am kupfergedeckten Sektionstisch, es gab einen Gas- sowie Wasseranschluss, sogar ein Warmwasser­ reservoir wurde vorgehalten. Bald reichten die 120 Zuschauerplätze des Hauptsaals für die Studenten nicht mehr aus. Für die über 23.000 Präparate der patholo­ gischen Sammlung, die heute leider weitgehend durch Brände verloren sind, brauchte es Ende des 19. Jahr- hunderts ein eigenes Museum. Daneben entstanden bis 1906 ein Lehrgebäude und ein Obduktionshaus, Rudolf Virchow, um 1900

ARSPROTOTO 4 2018 43 s ist nicht ungewöhnlich, in einem Diese Seite: Karl Friedrich Biedermeier-Interieur auf Schinkel- Schinkel, Kronleuchter mit beschädigten Oberflächen, HELFEN SIE MIT: E Design zu stoßen, zumal in einem nach 1830 (Detail); Berliner Museum. Hatte doch Karl Museum Knoblauchhaus Friedrich Schinkel (1781–1841), der in Berlin bedeutendste Architekt des deutschen Linke Seite: Blick in das DER SCHÖNE SCHEIN Klassizismus, dem preußischen Gewerbe rekonstruierte Wohnzimmer zahlreiche, oft für den Luxusbedarf im Museum Knoblauchhaus bestimmte Produkte entworfen. Auch TRÜGT das Modell des hier vorzustellenden Kronleuchters im historischen Wohn- zimmer des Knoblauchhauses ist eine Im Berliner Knoblauchhaus braucht ein solche Schöpfung. Der Leuchter stammt Kronleuchter von Karl Friedrich Schinkel zwar nicht aus der früheren Einrichtung von Schinkel besorgten Einrichtung der Pracht dieses Leuchters ist heute jedoch des Hauses, doch befindet er sich schon Berliner Stadtpalais für die preußischen nur noch wenig zu erahnen. Allenfalls Ihre Unterstützung lange in städtischem Museums­besitz: Prinzen. Carl August Mencke, in dessen aus der Distanz vermag der Glanz des von Jan Mende Bereits vor 85 Jahren hing er im Franz- Holzbronzefabrik Schinkel dieses Modell falschen Goldes noch zu überzeugen: Krüger-Zimmer des damaligen Ermeler- fertigen ließ, setzte bei der seriell betrie- Der Lack ist kaum noch erhalten, die hauses, einer Nebenstelle des Märkischen benen Produktion auf preiswerte Ersatz- Vergoldung ist verschlissen, teils eingeris- Museums. Danach für Jahrzehnte ins materialien, die sogenannten Surrogate. sen oder blättert ganz ab. Die Metallteile Depot verbannt, kam der Leuchter Da ein solcher Leuchter natürlich viel sind teils korrodiert, teils verbogen und schließlich ins Knoblauchhaus, das Ende weniger kostete als eine Ausführung in fragmentiert, mitunter als Folge früherer 1989 der Öffentlichkeit zugänglich gegossener und feuervergoldeter Bronze, Restaurierungsversuche. Auch der glä- wurde. war er erschwinglich auch für weniger serne Prismenbehang bedarf nach langer Heute gehört das Museum Knob- Betuchte. Die „Billig-Werkstoffe“ geben Vernachlässigung einer grundlegenden lauchhaus ebenso wie das Märkische sich an diesem Leuchter nicht ohne Reinigung, Neuordnung und partiellen Museum zur Stiftung Stadtmuseum weiteres zu erkennen. Denn die von Ergänzung. Und hier möchten wir Sie, Berlin. Mit seiner originalen Bausubstanz­ versilberten Partien sekundierte Ölver- liebe Leserin und lieber Leser, herzlich ist das Knoblauchhaus im Nikolaiviertel goldung täuscht Hochwertigeres gekonnt um Ihre Unterstützung bitten: Um diese ein Kleinod bürgerlicher Wohnkultur: vor. Und doch sind die raffiniert ein- Schäden konservatorisch zu beheben, Sieben liebevoll rekonstruierte Interieurs schwingenden Tragereifen lediglich aus sind stattliche 4.800 Euro nötig. Indes- mit einer aus Museumsbesitz und Knob­ gedrechselten Holzleisten zusammenge- sen wäre diese Summe in mehrfacher lauch’schem Familiennachlass stammen- fügt, während die aufgeschraubten und Hinsicht gut angelegt, denn die mit der den Ausstattung bilden den Kern des -gesteckten Rosetten, Leuchterarme und Restaurierung einhergehende Befund­ hier Gezeigten – der Alltag der Bieder- Tüllen aus einer Blei-Zinn-Legierung dokumentation könnte der Erforschung meierzeit ist unmittelbar erfahrbar. Von gegossen sind – handwerklich gediegene der Schinkel’schen Surrogatprodukte 1761 bis 1929 gehörte das repräsen­ Arbeit. Die Feinheit des Metallgusses frische Impulse vermitteln. tative, dreistöckige Eckhaus in spät­ steht dem sauberen Schliff des Glasbe- Dr. Jan Mende ist Kurator des Knoblauch- barockem Stil der Seidenhändlerfamilie hangs und dem akkurat ausgeführten hauses, Ausstellungsmacher am Stadt­ Knoblauch. Deren Exponenten, allen Leistenwerk in nichts nach. museum Berlin und Cheflektor des Verlags voran die Brüder Carl und Eduard Mit diesem „Material-Fake“ hegten M im Stadtmuseum Berlin. Knoblauch, waren bestens vernetzt in weder Schinkel noch Mencke betrüge­ den Berliner Gesellschaftskreisen ihrer rische Absichten. Nach damaligem Museum Knoblauchhaus Zeit. Die Humboldt-Brüder sind hier Verständnis adelte nicht der Werkstoff Poststraße 23, 10178 Berlin Telefon 030 - 24002-162 ebenso zu Gast gewesen wie der Philo- das kunstgewerbliche Produkt, sondern Öffnungszeiten: Di – So 10 –18 Uhr soph Friedrich Schleiermacher und die der künstlerische Entwurf, der dem www.stadtmuseum.de/knoblauchhaus Bildhauer Christian Daniel Rauch, Design zugrunde lag. Denn das schon in Wir bitten Sie, liebe Leserin und lieber Johann Gottfried Schadow und Chris- der Antike postulierte Primat der künst- Leser, um Unterstützung für das Mu- tian Friedrich Tieck. Auch Schinkel war lerischen Form besaß Jahrhunderte lang seum Knoblauchhaus in Berlin. Spen- dabei, zumal er ohnehin an der Ausbil- Gültigkeit. Freilich spielte bei diesem den Sie für die Restaurierung des von dung Eduard Knoblauchs, der Privatbau- Modell auch das preußische Sparsam- Karl Friedrich Schinkel entworfenen Kronleuchters und überweisen Sie meister wurde, einigen Anteil nahm. keitsprinzip eine Rolle und die Faszina- unter dem Stichwort „Schinkel-Kron- Aber zurück zum Leuchter: Der tion Schinkels für die Innovationen der leuchter“ auf das Konto des Museums. Entwurf zu diesem Modell entstand kurz beginnenden Industrialisierung. Von der Überweisungsträger finden Sie im Heft nach Seite 66. Vielen Dank! nach 1830 im Zusammenhang mit der einstigen, gewissermaßen gefälschten

44 ARSPROTOTO 4 2018 45 „Töpfer und Schutzengel“ (1929) ist eines der letzten Ge- nach Friedrichsdorf bei Frankfurt. 1930 starb er unerwar- mälde von Johannes Driesch (1901–1930). Schon durch tet in . sein Format gehört es zu den ehrgeizigsten Werken des in Unter dem Einfluss von Paul Cézanne (1839 –1906) Krefeld geborenen Künstlers, aber auch inhaltlich erweist wurden Drieschs Gemälde Ende der 1920er-Jahre heller. In es sich als höchst anspruchsvoll: Driesch, der als Töpfer dieser Zeit wurde er als einer der jungen deutschen Künst- ausgebildet wurde, verbindet in diesem Bild die Themen ler entdeckt, die Moderne und Tradition verzahnten. Er handwerkliche Arbeit, Familie und Metaphysik. An diesem galt als ein nachexpressionistischer Maler, der sich in einer Gemälde lässt sich zeigen, warum Driesch in den späten europäischen und nicht ausschließlich deutschen Tradition 1920er-Jahren als eines der größten Talente der deutschen verortete. 18 Werke des Künstlers fielen 1937 der Aktion Malerei betrachtet wurde. Die fast barocke Verbindung „Entartete Kunst“ zum Opfer. Sie wurden beschlagnahmt zwischen der Ordnung der Fläche, der durch Komposition, und wahrscheinlich vernichtet. Nur wenige Hauptwerke Farben und Licht geschaffenen Räumlichkeit sowie dem In- aus dem relativ kleinen Œuvre sind erhalten. Familienaufstellung halt macht das Gemälde zu einem besonderen Seherlebnis. Das Motiv „Töpfer und Schutzengel“ hat Driesch so- Driesch war einer der ersten Schüler von Gerhard wohl als Radierung wie auch als Gemälde gestaltet. In der Die Ernst von Siemens Kunststiftung erwirbt ein Gemälde von Marcks (1889 –1981) in . Marcks war zum Leiter der Radierung tauchen die gleichen Motive spiegelverkehrt Keramikwerkstatt des Bauhauses ernannt worden und ver- auf, aber nur das Gemälde zeigt die für den Kreis um Ger- Johannes Driesch für das Keramik-Museum Bürgel hard Marcks so wichtige „Tektonik“. Damit meinten diese Künstler, dass sich unter der Oberfläche des an der Natur orientierten Kunstwerks ein klares Gerüst befinden sollte, das Ruhe und Ordnung bringt. Dieses Gerüst wird im Fall von „Töpfer und Schutzengel“ deutlich, sobald man ein Raster über das Bild legt: Eine Diagonale läuft von der hel- len Fläche am Gesicht des Kindes über den Unterarm des Töpfers bis hin zu seinem nur ansatzweise erkennbaren Fuß, die andere über den Kopf des Mannes, der – das wird durch die Diagonale betont –, nicht auf das Gefäß, sondern auf seinen Arm schaut. Das ist mehr als nur ein Detail: Im Kreis um Marcks war man der Meinung, dass der Künst- ler sich auf seine Arbeit konzentrieren muss und nicht auf das Resultat schielen sollte. Das Resultat, also die Tatsache ob etwas letztendlich ein gutes Kunstwerk wird, könne der Künstler selbst nicht beeinflussen. Dafür steht der Schutz- engel im Gemälde genau über dem Gefäß. Ikonografisch Kompositionsgeometrie mindestens so interessant wie die linke Hand des Engels, zu „Töpfer und Schutzengel“ die den Töpfer schützt, ist sein rechter Arm, mit dem er ihn von der durch das Fenster markierten Außenwelt abhält. suchte, diese mit Driesch und drei anderen Studenten auf- In dieser auf die Kunst konzentrierten Welt – so muss man zubauen. 1920 zog die Werkstatt nach Dornburg, wo Max das Gemälde wohl interpretieren – hat nur die Familie ei- Krehan (1875 –1925) eine Töpferwerkstatt führte, die als nen Platz. Wer dann weiß, welche Not die sechsköpfige Fa- Lehrbetrieb Teil des Bauhauses wurde. Im Frühjahr 1922 milie unter den Bedingungen der Weltwirtschaftskrise litt, entschied sich Driesch, die Töpferei zugunsten der Malerei versteht, dass es hier um ein programmatisches Bild für aufzugeben, blieb aber in freundschaftlichem Kontakt zu eine Kunstauffassung geht. Marcks und dem Dornburger Kreis. Seine großen Vorbil- Der Töpfer mit dem Schnurrbart wird meistens mit der als Maler wurden Francisco de Goya (1746 –1828) und dem genannten Töpfermeister Max Krehan identifiziert, Rembrandt van Rijn (1606 –1669), später Giovanni Battista nach anderer Überlieferung könnte es auch ein Porträt von Tiepolo (1696 –1770) und Hans von Marées (1837–1887). Erich Dieckmann (1896 –1944), einem Tischler am Bauhaus Einerseits scheint Driesch mit seiner Malerei gar nicht in sein. Viel wahrscheinlicher ist, dass es gar kein Porträt ist, das Bauhaus zu passen, andererseits zeigt sich gerade da- sondern aus der Erinnerung an die beiden Handwerks- rin die enorme kreative Bandbreite der Weimarer Phase meister ein Symbol für „den Künstler“ entstand. Während der Schule. Seine Kunst wurde seit 1923 von Hell-Dunkel- dieser Künstler sich auf seine Arbeit konzentriert, schauen Effekten und aufleuchtenden Körpern aus einem dunklen die begleitenden Figuren aus dem Bild heraus. Damit zi- Hintergrund bestimmt. Mit dieser bewusst altmeisterli- tiert Driesch selbstbewusst barocke Vorbilder, um den Be- chen Malerei distanzierte er sich offensiv vom experimen- trachter auf die Szene zu lenken und vor allem die Versun- tellen, technischen und abstrakten Diskurs am Bauhaus. kenheit des Künstlers in seine Arbeit zu akzentuieren. Seit Oktober 1923 konnte Driesch ein freigewordenes Bauhaus-Atelier in Weimar nutzen. Als das Bauhaus 1925 Dr. Arie Hartog nach Dessau umsiedelte, blieb er in Weimar und zog 1928 Direktor des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen

Johannes Driesch, Töpfer und Schutzengel, 1929, } www.ernst-von-siemens-kunststiftung.de 195 × 95,7 cm; Keramik-Museum Bürgel AUSSTELLUNGEN aufgeladene Verhältnis von Bewohnern Studentenwohnheim mit den Bauten ihrer Stadt zum Aus- Rebenring, sog. Affen- felsen druck. Polarisiert eben nichts so sehr wie die Frage des Geschmacks, ist sie außer- Polstersessel, um 1960; dem ständig dem Wandel der Zeit unter- Bürostuhl (Entwurf BRUTAL Luigi Colani), Ende worfen. So galt beispielsweise der histo- 1960er-Jahre; Küchen- ristische Fassadenschmuck der Gründer- hocker, 1970er-Jahre; MODERN zeit ab der Jahrhundertwende als zu Braunschweigisches verspielt, überholt und unmodern. In Landesmuseum Das Bauen und Leben Folge dessen wurden bis in die 1960er- in den 60ern und 70ern Jahre Stuck und Giebel an zahlreichen Gebäuden abgeschlagen – um sie heute, steht im Mittelpunkt Jahrzehnte später, teilweise wieder müh- einer Sonderausstellung sam zu rekonstruieren. Die schwierigen Der digitale des Braunschweigischen Fragen nach Erhaltung, Umnutzung, Rekonstruktion oder Abriss, nach Wert- Landesmuseums schätzung und Denkmalwert sind immer Kunstführer von Jenny Berg wieder neu zu stellen und verlieren nicht für das an Aktualität. Das Braunschweigische Landes- Ruhrgebiet Hinter ihnen stecken die berühmtesten museum möchte diesem komplexen Architekten, renommierte Planungs­ Thema auf den Grund gehen und rückt „Braunschweiger Schule“ der TU Braun- büros, hochmoderne Gestaltungskon- die Architektur der Nachkriegs-Moderne schweig – eine der einflussreichsten zepte und innovative Entwürfe: Doch aus der Region Braunschweig-Wolfsburg- Architekturausbildungsstätten der späten vor dem gnadenlos kritischen Blick der Salzgitter in den Mittelpunkt einer Moderne – waren in dieser Region tätig. Öffentlichkeit sind selbst die spektaku- Sonderausstellung. Mit den erst im 20. Doch während die brutalistische Archi- lärsten Bauvorhaben nicht sicher. Ehe die Jahrhundert gegründeten Industriestäd- tektur damals als neu und innovativ galt, Meisterwerke überhaupt auf dem hohen ten Wolfsburg und Salzgitter gehört sie wird sie heute in der öffentlichen Wahr- Thron der Baukunst Platz nehmen zu den Regionen der Bundesrepublik, nehmung meist als Ursprung nüchterner, können, werden sie schon mit profanen die in den 1960er- und 1970er-Jahren sachlicher oder gar seelenloser Beton- Spitznamen versehen. Weisheitszahn, eine besonders hohe Dichte an qualität­ klötze beschrieben. Zeitzeugen werfen einen Blick auf die Ei, Bügeleisen, Blechbüchse, Lippenstift, voller Architektur hervorbrachten. Nam- Abrisswürdige Bausünde oder identi- zeitgenössische Rezeption, die von Prozes- Käsehobel, Schwangere Auster oder hafte Baumeister wie Alvar Aalto, Hans tätsstiftendes Zeugnis deutscher Kultur- sen der Modernisierung und Demokratisie- Affenfelsen: Die Beispiele reichen um Scharoun oder Gottfried Böhm verwirk- geschichte? Vor dem Hintergrund dieser rung geprägt war. Im Kontext der politi- den ganzen Globus. Teils liebevoll, teils lichten hier ihre Utopien vom modernen Frage stellt die von der Kulturstiftung schen, historischen, gesellschaftlichen und abschätzig, bringen sie das oft emotional Leben. Auch prominente Lehrer der der Länder geförderte Ausstellung die kulturellen Zusammenhänge zeichnet die Bauten der 1960er- und 1970er-Jahre als Ausstellung ein differenziertes Bild von der historische Dokumente vor, die aus ihrer Architektur der Nachkriegs-Moderne und Zeit heraus zu erklären und zu inter­ ermöglicht darüber hinaus einen Zugang pretieren sind. 19 Gebäude zwischen zum gesellschaftlichen Diskurs rund um Wolfsburg, Salzgitter und Braunschweig Denkmalschutz, Denkmalwert und Denk- nimmt die Schau unter die Lupe, darun- malpflege. ter die 1965 eröffnete und seit 2017 Jenny Berg ist Referentin des Vorstands der unter Denkmalschutz gestellte Stadthalle Kulturstiftung der Länder. Braunschweig, die 1967 als Stahlbeton- konstruktion von Ulrich Hausmann Brutal modern. Bauen und Leben in den entworfene St. Thomas Kirche Helm- 60ern und 70ern Braunschweigisches Landesmuseum stedt und das auf ein Parkhaus gesetzte, 13.10.2018 – 31.3.2019 14-geschossige Studentenwohnheim www.3landesmuseen.de Rebenring von 1976. Jedes Bauwerk präsentiert sich anhand von Installatio- „Brutal modern. Bauen und Leben in den 60ern www.kunstgebiet.ruhr nen mit historischen Exponaten, die sich und 70ern“, hg. vom auf die Entwurfs- und Baugeschichte Braunschweigischen beziehen oder aus den Bauten selbst Landesmuseum, Theodor Egerland, Bohlweg in Braunschweig, 1964, 107 Seiten, 8,90 Euro gefördert durch die 94 × 115,5 cm; Braunschweigisches Landesmuseum stammen. Aufgezeichnete Interviews mit

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180226_KGR_Anzeige_Arsproto_104x280.indd 1 26.02.18 16:16 Bremen bis hin zum Deutschen Literaturarchiv MIT WEIN STAAT Marbach oder zur Klassik Stiftung Weimar – BILDNACHWEIS NEUE BÜCHER in besonderer Weise die kulturelle Vielfalt in Titel: © Mit freundlicher Genehmigung des Verlages Klett- FREUNDEN SIE SICH MIT UNS AN! MACHEN Deutschland repräsentieren, belegen eindrucks- Cotta – J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart / Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 3 Erstaunlich, wie trinkfest sich manche Koaliti- voll die klugen und inspirierenden Beiträge o. l.: © Foto: Götz Schleser; S. 3 u. r.: © Beethoven-Haus onsverhandlungen gestalteten: 75 Flaschen wur- dieses Jubiläumsbandes. So wird der Horizont- Bonn; S. 4 o. l.: © Foto: privat; S. 4 u. l.: © Foto: privat; S. 4 wandel in den Instituten anschaulich, der sich M. o.: © Foto: Laura Kunkel; S. 4 M. u.: © Mit freundlicher den bei „der teuersten Party der schwarz-gelben Genehmigung des Verlages Klett-Cotta – J. G. Cotta’sche DER FREUNDESKREIS DIE KULTURSTIFTUNG Koalition“ von nur 40 Teilnehmern beim Abend- vor dem Hintergrund eines generellen kultu­ Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart / Foto: Deut- sches Literaturarchiv Marbach; S. 5 l.: © Beethoven-Haus essen zum Abschluss in der Landesvertretung rellen Umschwungs vollzieht und sich vor allem in einer fortschreitenden Digitalisierung Bonn; S. 5 r.: © Foto: Christoph Weber, Berlin; S. 6 o. l.: DER KULTURSTIFTUNG DER LÄNDER von Nordrhein-Westfalen einvernommen. Für © Foto: Leo Seidel; S. 6 u. l.: © Braunschweigisches Lan- 6.417,67 Euro gab es 2009 u. a. einen Clos de niederschlägt. desmuseum / Foto: A. Pröhle; S. 6 o. r.: © Bröhan-Museum Berlin / Foto: Martin Adam; S. 6 u. r.: © Potsdam Museum / Vougeot von Louis Jadot und einen „La Mordo- DER LÄNDER Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 Wolfgang Trautwein Foto: Michael Lüder; S. 8: © Beethoven-Haus Bonn / Foto: rée“ aus dem Burgund. Horst Seehofer begrüßte Andreas Hoppmann; S. 9: © Beethoven-Haus Bonn; S. 10/11: von den Ländern der Bundesrepublik Deutsch­ und Ulrike Horsten- © Foto: Christian Wucherpfennig, Kleve; S. 12/13: © Till begeistert das Ende der „Tütensuppenverpfle- kamp (Hg.), Kultur- Schargorodsky; S. 14: © Forschungsstätte für Frühromantik Kommen Sie den bedeutenden Kunstschätzen land gegründet und nahm am 1. April 1988 in gung der Großen Koalition“. Knut Bergmann institute im Hori- und Novalis-Museum Schloss Oberwiederstedt; S. 15: © Berlin ihre Arbeit auf. Im Oktober 1991 traten erzählt seine „Geschichte der Bundesrepublik Mit freundlicher Genehmigung durch Michael und Peter von unseres Landes in Museen und Sammlungen, zontwandel. Brentano / Fotos: Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 16: die neuen Bundesländer bei. Als Stiftung Bür­ Deutschland“ anhand der Bewirtung, insbe- 50 Jahre AsKI e.V. © Museumslandschaft Hessen Kassel; S. 18/19: © Berliner Schlössern und Gärten näher: Seit 1999 be- sondere der Weinbegleitung für Staatsgäste, die (Arbeitskreis selb- Medizinhistorisches Museum der Charité; S. 20: © Staats- gleitet ein Freundeskreis die Kulturstiftung der gerlichen Rechts verfolgt sie ausschließlich ge­ ihnen von den Bundespräsidenten und Kanzlern bibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachlass ständiger Kultur- Alexander von Humboldt (Tagebücher), s. Ette, Ottmar; Länder, um die Ziele der ersten länderübergrei- meinnützige Zwecke. Sie hat die Berechtigung, gereicht wurden. Wie individuell und wirksam Institute e. V.), Maier, Julia: Alexander von Humboldt: Bilder-Welten. Die fenden Einrichtung dieser Art nachhaltig zu steuerlich wirksame Spendenbescheinigungen „gustatorische Repräsentation“ beim Staatshan- Gemeinschafts­ Zeichnungen aus den Amerikanischen Reisetagebüchern, München, London, New York: Prestel, 2018, 735 S.; S. 21: unterstützen und ihr Fundament in der Gesell- auszustellen. Spenden an die Kulturstiftung der deln von Konrad Adenauer, Richard von Weiz- publikation des © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, WUNDERKAMMER: säcker, Willy Brandt oder Gerhard Schröder aus- AsKI e.V. 387 Seiten Nachlass Alexander von Humboldt (Tagebücher); S. 22: © schaft weiter zu stärken. Mit seinem Engage- Länder sind steuerlich abzugsfähig. Die Kul­ sah, das breitet Bergmann bei seinem Durchgang mit zahlr. Abb. in Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und ment fördert der Freundeskreis insbesondere turstiftung der Länder unterstützt und berät Farbe und Schwarz- Kultur; S. 23: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer EXOTISCHE KURIOSI­ durch die Bonner und Berliner Republik in einer Kulturbesitz, Nachlass Alexander von Humboldt (Tagebü- in Ost- und Mitteldeutschland die Restaurie- deutsche Museen, Bibliotheken und Archive Detailfülle aus, dass nebenbei auch noch eine weiß, 24,80 Euro cher), s. Ette, Ottmar; Maier, Julia: Alexander von Humboldt: Bilder-Welten. Die Zeichnungen aus den Amerikanischen rung von Kunst- und Kulturgütern und eröff- bei der Erwerbung, Vermittlung und Bewah­ TÄTEN-SAMMLUNGEN umfassende Geschichte der deutschen Wein- Reisetagebüchern, München, London, New York: Prestel, kultur mit abfällt. Auch nach Großbritannien 2018, 735 S.; S. 24: © Österreichische Nationalbibliothek, net dem Museumsnachwuchs mit jährlichen rung von national wertvollem Kulturgut. Zehnmal wertvoller als Gold war das Einhorn. oder Frankreich geht der Blick: Die Sommelière Cod. 2687, fol. 16r; S. 25: © Deutsches Literaturarchiv Dass es sich dabei aber um das Horn des Zahn- Marbach; S. 26: © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Reisestipendien zur Kunstmesse TEFAF in des Pariser Präsidialamts kann mal eben jährlich wals handelte, war lange Zeit ein gut gehütetes HERKUNFT Kulturbesitz, Musikabteilung mit Mendelssohn-Archiv; S. Maastricht kostbare Einblicke in den Kunst- Weitere Informationen zur Satzung und den 250.000 Euro für die Akquise der kostbaren 27: © Thermographie: H. Immel; S. 29/30: © Beethoven- Geheimnis der Exotica-Händler. Begehrten das Initiativen finden Sie unter Tropfen aufwenden. Beim „Höhepunkt eines VERPFLICHTET Haus Bonn; S. 31 l.: © Staats- und Universitätsbibliothek markt. Mit ihrem Jahresbeitrag ab 500 Euro spitze, sagenumwobene Utensil doch alle wichti- Hamburg; S. 31 r.: © Beethoven-Haus Bonn; S. 32: © Staatsbesuchs“, dem Zeremoniell des Staatsban- 2015 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München / Foto: fördern die Mitglieder auch das Stiftungsma- www.kulturstiftung.de gen Herrscher der Renaissance für ihre Wunder- ketts, kann sich das gastgebende Land von seiner Wechselausstellungen sind vergängliche Unter- Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 34 u. l.: © Alle gazin Arsprototo, das wiederum auch über die kammern, sonst galt diese nichts. Magische Rechte vorbehalten S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am besten Seite präsentieren. Expertise holten oder nehmungen, was bleibt, ist die zugehörige Eigenschaften wurden dem Zahn zugeschrieben, Publikation. Im besten Fall dokumentiert sie Main / Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 34 o. Aktivitäten des Freundeskreises berichtet. Der hatten die zuständigen Protokollreferate reich- l.: © Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 35: © Mit Hildegard von Bingen wollte mit ihrem Ein- lich, das zeigen die exquisiten Weinfolgen und über den Katalog der ausgestellten Werke hinaus freundlicher Genehmigung des Verlages Klett-Cotta – J. Junge Freundeskreis fördert mit seinem Beitrag horn-Rezept für eine Salbe sogar Leprakranke G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart ARSPROTOTO Speisenangebote, die Bergmann genüsslich – und den mit der Ausstellung verbundenen Erkennt- ab 100 Euro insbesondere Museumsvolontäre heilen. Neues, Seltsames, Seltenes: Wie kam es / Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 36: © für den Leser vergnüglich – noch einmal vorbei- nisgewinn, hält den Forschungsstand fest und Siegfried Lenz Erben 2016 / Foto: Deutsches Literaturarchiv z.B. mit der alljährlichen Reise zur Kunstmesse Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der zur Sammelleidenschaft der westlichen Elite aus Marbach; S. 37: © Mit freundlicher Genehmigung des ziehen lässt: eine Kulturgeschichte Deutschlands ermöglicht der Öffentlichkeit den Zugang zur Königen und Kirchenmännern, wohlhabenden Arbeit im Museum. Einige Kataloge haben das Nachlassverwalters und des Vittorio Klostermann Verlags Art Basel oder der Vergabe des Volontärspreises Länder, erscheint viermal im Jahr und berichtet aus nicht gekannter Perspektive. / Foto: Deutsches Literaturarchiv Marbach; S. 38: © Apothekern oder Abenteurern? Faszination, Zeug zum Handbuch, und gerade die Ausstel- bpk-Bildagentur; S. 39: © Berliner Medizinhistorisches für die Umsetzung künstlerischer Projekte an über die Tätigkeit der Stiftung, ihrer Freundes­ Machtdemonstration und Entertainment gingen Knut Bergmann, lungen deutscher Museen zur Provenienz­ Museum der Charité; S. 40 o. l.: © bpk-Bildagentur; S. 40 Museen. Auf gemeinsamen Reisen wandeln die kreise und über die Kunst und Kultur in den eine wirkungsvolle Verbindung ein in den forschung haben eine Reihe solcher informativer, u. r.: © Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité / Mit Wein Staat Foto: Anja Grubitzsch, PAL Preservation Academy GmbH; Mitglieder beider Freundeskreise auf den Spu- Ländern. Das Abonnement ist kostenlos.Wir Räumen, die Wunder für die Betrachter insze- machen. Eine Ge- auf den Werken der eigenen Sammlung beruhen- S. 41–43 o.l.: © Fotos: Anja Grubitzsch, PAL Preservation nierten und die vermeintliche Gelehrtheit und der Bücher hervorgebracht: Zuletzt das Landes- Academy GmbH Leipzig; S. 43 u. r.: © bpk-Bildagentur / ren unseres kulturellen Erbes und erhalten ex- möchten Sie dennoch herzlich bitten, sich mit schichte der Bundes- Foto: J. C. Schaarwächter; S. 44/45: © Fotos: Leo Seidel; Weltläufigkeit ihres Besitzers ausstaffierten: Der republik Deutsch- museum für Kunst und Kulturgeschichte S. 46: © Kunsthaus Lempertz / Foto: Sascha Fuis Photo- klusiven Zugang zu privaten Sammlungen und einem kleinen Beitrag an den Herstellungs- belgische Journalist Thijs Demeulemeester reiste land, Insel Verlag Oldenburg, das unter dem Titel „Herkunft graphie, Köln; S. 48 u. l./S. 49 M. r.: © Braunschweigisches zu den sammelnden Einrichtungen, die sich und Vertriebskosten zu beteiligen. Bitte über­ über fünf Kontinente und durch acht Jahrhun- verpflichtet!“ ein höchst informatives Glossar Landesmuseum / Foto: A. Pröhle; S. 48/49 M. o.: © Foto: Berlin. 366 Seiten, Andreas Bormann; S. 49 u./50: © bei den Verlagen; S. 52: der Bewahrung dieses Erbes verschreiben. weisen Sie unter dem Stichwort „Arsprototo“ derte, um zu zeigen, wie die Leidenschaft für 25 Euro zur Provenienzforschung in 101 Schlagworten © picture alliance / RMR; S. 53 o./u., S. 54 o./S. 56/57: © präparierte Tiere, für Monster, Ungeheuer und vorlegt. Auf der Grundlage der eigenen Recher- Bröhan-Museum Berlin / Foto: Martin Adam; S. 54 u. l.: © auf eines unserer Konten (beispielsweise 20 Bröhan-Museum Berlin / Foto: Bednorz-Images Köln; S. 55: Wenn Sie mehr über die Aktivitäten unserer Euro). Vielen Dank! Leider können wir Ihnen mystischen Humbug, für östlichen Luxus und chen, regional verankert, aber mit dem Blick auf © Mit freundlicher Genehmigung durch Kaja Hagenauer oft gefälschte Sammelobjekte aus unbekannten ein internationales Forschungsfeld, ist der schön / Bröhan-Museum Berlin / Foto: Martin Adam; S. 58 l.: © Freundeskreise und ihre Fördertätigkeit für diesen Beitrag keine Spendenbescheinigung fernen Welten angeheizt wurde. Welche geschön- gestaltete Band ein gelungenes Beispiel für die Courtesy Museum Ritter, Waldenbuch / Foto: Gerhard Sauer, Heidelberg; S. 58 M. l.: © Hans-Thoma-Kunstmuseum Ber- erfahren möchten, informieren Sie sich gerne ausstellen. ten Reiseberichte und literarischen Phantasma- Integration dieser Forschungen in den musealen nau / Foto: Dieter Conrads; S. 58 M. r.: © Staatliche Museen www.kulturstiftung.de/freundeskreis gorien waren populär? Demeulemeester führt Alltag ebenso wie ihrer Vermittlung an ein zu Berlin, Nationalgalerie / Foto: Andres Kilger; S. 58 r.: © unter vor, wie in einer Zeit der intellektuellen Revolu- Gerhard Richter 2018; S. 59 l.: © Odense City Museums; S. oder sprechen Sie uns direkt an: So können Sie Arsprototo bestellen: breites Publikum. 59 M. l.: © Hamburger Kunsthalle / bpk-Bildagentur / Foto: tion die Kunst der Übertreibung perfektioniert Elke Walford; S. 59 M. r.: © Privatsammlung / Foto: Jens [email protected] oder mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag wird. Die üppigen Illustrationen breiten die Marcus Kenzler Weyers; S. 59 r.: © Groninger Museum; S. 60 l.: © GDKE 030-893635-15 (Geschäftsführung: per E-Mail: [email protected] exotischen Früchte dieser Sammelleidenschaft (Hg.), Herkunft / Landesmuseum Mainz / Max-Slevogt-Galerie; S. 60 M. l.: KULTURINSTITUTE IM © Kirchner Museum Davos / Foto: Kirchner Museum Davos, Prof. Dr. Frank Druffner) im Internet: www.kulturstiftung.de aus: Korallen, Mineralien, Kräuter, präparierte verpflichtet. Die Jakob Jägl; S. 60 M. r.: © Privatsammlung / Foto: Jens Vögel, Algen, kostbare Gefäße aus Nautilus­ HORIZONTWANDEL Geschichte hinter Weyers; S. 60 r.: © Historisches Museum Saar / Foto: Hajo Dietz; S. 61 l.: © Peter Funke 2018 / Foto: Reinhard Haider; muscheln, mumifizierte Affenhände, Schlangen den Werken, Landes- Vor 50 Jahren gegründet, um die damals desola- S. 61 M. l.: Kulturhistorisches Museum Magdeburg / Foto: in Gläsern, in Gold und Silber eingefasste museum für Kunst Dirk Mahler; S. 61 M. r.: © Per Kirkeby Courtesy Galerie ten Verhältnisse renommierter deutscher Kultur- Kokosnüsse – ein Fest für die Fantasie. und Kulturgeschichte Michael Werner, Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York; einrichtungen zu verbessern, ist der Arbeitskreis Oldenburg. Florian S. 61 r.: © Hannes Möller; S. 62: © Potsdam Museum; S. 63 o. r./u. r.: © Potsdam Museum / Foto: Oliver Max Wenske; S. Thijs Demeulemeester, Wunderkammer. Eine selbständiger Kulturinstitute e.V. mittlerweile Isensee Verlag, 63 o. l./u. l.: © Potsdam Museum / Foto: Michael Lüder; S. Oldenburg. 100 64 M./u. l.: © Kulturstiftung der Länder / Fotos: Sebastian Reise zu exotischen Kuriositäten-Sammlun- ein Zusammenschluss von 37 Stiftungen und Seiten mit zahlr. Abb. Semmer; S. 66: © Foto: Oliver Mark gen, Prestel Verlag, München. 176 Seiten mit Vereinen. Dass die Mitgliedsinstitutionen des in Schwarzweiß und zahlreichen Abbildungen, 30 Euro „AsKI“ – vom Richard Wagner Museum und dem Beethoven-Haus über die Kunsthalle in Farbe, 18,95 Euro 50 ARSPROTOTO 4 2018 51 LÄNDERPORTRÄT Karl H. Bröhan mit einer Jugendstil-Vase aus BERLIN seiner Sammlung, 1970er-Jahre

Walter Leistikow, Der Hafen, um 1895, 76 × 112 cm; Bröhan-Museum Berlin

arl Heinz Bröhan (1921– 2000) hoffte auf die hat: „Mitte der sechziger Jahre, ich war um die vierzig Genforschung. Vielleicht würde sie das Samm- Jahre alt, empfand ich die eingefahrene Lebens- und ler-Gen finden, das ihn, den erfolgreichen Arbeitsweise als beengend und unbefriedigend. Ich Geschäftsmann, zum Sammler werden ließ. machte eine radikale Wendung, verkaufte meine Han- K Denn was Sammler antreibe, schrieb Bröhan in delsfirmen und mein schönes Haus bei Hamburg und einem Rückblick auf sein Sammeln und auf sein Leben, zog mit Frau und Kind nach Berlin.“ Das war 1963. sei bisher noch nicht umfassend geklärt. Karl H. Bröhan, 1921 in Hamburg geboren und zum Natürlich steckt hinter der Suche nach dem Samm- Großhandels- und Exportkaufmann ausgebildet, war ler-Gen einerseits ein wenig Koketterie, aber anderer- mit seinem zahnmedizinischen Großhandel vermögend seits die durchaus ernsthafte Frage nach dem Grund für geworden. Seine Frau sagt über ihn, er sei kein Zaude- die eigene Getriebenheit, die das Leben strukturiert, rer, kein Bedenkenträger gewesen. Das leuchtet ange- bestimmt und mit Dingen anfüllt, die allein dazu da sichts dieser Entscheidung durchaus ein. sind, die eigene Sammelleidenschaft zu befriedigen. In Berlin fand er, was er suchte: „Offenheit, geistige Leidenschaft und Getriebenheit bestätigt auch Bröhans Anregung, Unkonventionalität, künstlerischen Reich- Frau Margrit Bröhan: „Manchmal kam jeden Tag ein tum und Vielfalt“, wie er schrieb. Bröhan begann sich Der Sammler Karl H. Bröhan neuer Ankauf ins Haus.“ in das Abenteuer des Kunstsammelns zu stürzen. Das Über die meisten hier vorgestellten Sammler, die zu Stiftern wurden, konnte niemand mehr aus eigener Bekanntschaft Auskunft geben. Bei Karl H. Bröhan ist DER ENTDECKER das anders. Er starb im Jahr 2000 mit 78 Jahren. Seine Ehefrau Margrit Bröhan kann vom Sammeln ihres Mannes, vom Einbau zahlreicher Vitrinen im eigenen Karl H. Bröhan sammelte Kunst und Kunsthandwerk Haus, vom unweigerlichen Platzmangel, vom Einrich- des Jugendstils, Art déco und Funktionalismus ten des privaten Museums in Berlin-Dahlem, vom Schenken und vom Weitersammeln erzählen. Es sind und schenkte alles der Stadt Berlin Geschichten über eine als selbstverständlich empfun- von Uta Baier dene Entwicklung, die Karl H. Bröhan so beschrieben Paul Iribe, Sessel, 1914; Bröhan-Museum Berlin 52 ARSPROTOTO 4 2018 53 Walter Leistikow, habereien als um Vollständigkeit und um die Entde- Manchmal wich die Freude über das nächste Stück Wiesen-Waldland- ckung einer zu dieser Zeit nahezu unbeachteten Kunst. dann aber doch einem Gefühl des Überflusses – nicht schaft mit kleinem Gewässer, o. J., „Ich hatte bemerkt, dass in der Epoche um 1900 ein nur bei der Ehefrau. Bröhan reagierte darauf und kaufte 63 × 76 cm; kaum bekannter Schatz lag, der nur darauf zu warten eine Villa, in der er ein Privatmuseum einrichtete. Bröhan-Museum schien, gehoben zu werden“, schreibt Bröhan in seinen „Unser Wohnhaus in Schlachtensee war schließlich bis Berlin Erinnerungen. Der unbekannte Schatz war das eine, auf die letzte Fensterbank und Wandecke mit Porzella- dieChance, nicht das zu sammeln, was den Mainstream nen, Silbergerät, Möbeln, Teppichen, Gemälden, Zeich- interessiert, war ebenso wichtig. „Ich sammle anti­- nungen, dazu einer ständig wachsenden Fachbibliothek zy­klisch, sagte mein Mann immer“, erinnert sich angefüllt, so dass ein eigenes Gebäude für die Kunst- Margrit Bröhan. Sie schwärmt von Wochenenden auf sammlungen notwendig wurde“, schreibt Bröhan in Flohmärkten in Berlin, in Paris, in Frankreich oder einer Mischung aus Pragmatismus und Besitzerstolz. auf der ganzen Welt. Und von regelmäßigen Wochen- Das private Bröhan-Museum in der ehemaligen Villa endausflügen in die Berliner Kunsthandlungen, in des Bankdirektors Ludwig Berliner in der Max-Eyth- Franz Hagenauer, denen sich die Sammler trafen und wo es, ebenso wie Straße in Berlin-Dahlem eröffnete offiziell 1973 und Spiegel mit Frauen- auf den Flohmärkten, viele Stücke für nicht allzu zeigte Bröhans Schätze auf 550 Quadratmetern. kopf, um 1930; Bröhan-Museum viel Geld zu kaufen gab – zumindest am Anfang, als Zu diesen Schätzen, die alle zwischen 1889 und Berlin Jugendstilwerke noch nicht wieder modern waren. 1939 entstanden, gehörte das exklusive Einzelstück ebenso wie beispielhafte Serien der wichtigsten Künstler der Zeit. Dazu zählen die verspielten, farbigen Glas- kunstwerke des Franzosen Émile Gallé, exquisite Gläser mit Gold- und Emaillebemalung aus Böhmen, Service aus Metall aus Pariser und Wiener Werkstätten. Die Möbel von Eugène Gaillard und Hector Guimard, Peter Behrens und Richard Riemerschmid, Henry van de Velde, Josef Hoffmann und Wilhelm Wagenfeld sind absolute Highlights der Sammlung. Besonders eindrucksvoll sind die Möbel der französischen Kunst- handwerker, deren geradezu rasante Formen die Vorstel- lung des frühen Jugendstil mit seinen geschwungenen war ihm nicht durch familiäre Vorbilder vertraut, aneignet, eine Bibliothek zur Sammlung aufbaut und Naturmotiven verkörpern. Sie stehen im Gegensatz und vielmehr hatte er sich langsam und geradezu klassisch den Austausch mit den Kunsthistorikern sucht. Dabei werden ergänzt von den strengen Formen des Darm- der Kunst genähert. Der Hamburger Unternehmer war wurde ihm seine Frau, die nach dem Umzug in Berlin städters Peter Behrens, wie sie sich beispielsweise im jahrelang Mitglied der Freunde der Hamburger Kunst- Kunstgeschichte studierte, eine wichtige Gesprächs­- Speisezimmer von 1902 für die Ausstellung „Moderne halle, hörte dort Vorträge, besuchte Ausstellungen. partnerin. Wohnräume“ im Berliner Kaufhaus Wertheim zeigen. In Berlin fokussierte er sein Interesse anfangs auf das Der Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg nannte Die Entwicklung zu noch größerer Strenge wird Porzellan der KPM, der Königlichen Porzellanmanu­ die erste Sammlung das „Gesellenstück eines Samm- mit den Möbeln des französischen Möbeldesigners faktur Berlin. Doch das reichte ihm bald nicht mehr. Er lers“. Sein „Meisterstück“ wurde die zweite Sammlung, Jacques-Emilie Ruhlmann deutlich. Dessen Stücke verkaufte die Sammlung an das Land Berlin. Sie wurde die die Zeit zwischen 1889 und 1939, die Zeit von nutzen zwar einfache Formen, die Materialien sind Teil der Porzellansammlungen, die heute im Schloss Jugendstil, Art déco und Funktionalismus, umfasst. jedoch purer Luxus. Ruhlmann bevorzugte tropische Charlottenburg ausgestellt werden. Auslöser war eine Ausstellung zum Jugendstil im Hölzer im Zusammenspiel mit Elfenbein, Perlmutt, Schon in diesen ersten Sammlerjahren wurde Schloss Charlottenburg, erinnert sich seine Frau. Auch Schildpatt. deutlich, wie Bröhan Zeit seines Lebens sammeln hier stieg Bröhan in die Theorie ein, kaufte Bücher, Jede Nennung eines Künstlernamens und eines würde: als Entdecker, der auf seinem Gebiet zum Spezi- studierte Kataloge und Werkverzeichnisse. Margrit Werkes bedeutet, sehr viele andere nicht zu nennen. alisten wird und der sich parallel zur Kunst die Theorie Bröhan erzählt, dass ihr Mann viele Abende lesend am Eine auch nur annähernd vollständige Liste würde den Schreibtisch saß und immer wieder feststellte: „Dieses für diesen Text vorgesehenen Platz sprengen. Ebenso Stück brauche ich auch noch.“ wie die Sammlung irgendwann das Privatmuseum Eugène Gaillard, Vitrine, 1899/1900; „Der Aufbau einer stupenden Fachbibliothek sprengte. Wieder musste sich Bröhan entscheiden. Und Bröhan-Museum ermöglichte ihm und nie mehr als drei Mitarbeitern er entschied sich: „Jeder Sammler steht eines Tages vor Berlin eine Erschließung der Literatur und der Quellen, die der Frage, was aus seinem Haus werden soll. Anlässlich die Objekte des Museums in den Gesamtbereich der meines sechzigsten Geburtstages hatte ich mich ent- Materialgattungen, der produzierenden Manufakturen schieden: Ich bot meine gesamte Museumssammlung und der entwerfenden Künstler einzufügen vermochte“, dem Land Berlin, damals unter der Führung des Regie- lobte der Kunsthistoriker Tilmann Buddensieg den renden Bürgermeisters Richard von Weizsäcker, als Sammler in seinem Nachruf. Bei dieser Art des Sam- Schenkung an. Meine Bedingung war, die Sammlung melns ging es naturgemäß weniger um private Lieb­ geschlossen zu lassen und auszustellen, sie also nicht auf

54 55 verschiedene Museen zu verteilen oder in Magazinen für einige Jahre. Anschließend wurde ihre Stellvertrete- verschwinden zu lassen.“ Berlin nahm das Angebot an. rin Ingeborg Becker Museumschefin. Tobias Hoffmann Das, nach dem Wunsch der Berliner Verwaltung, ist der Erste, der eine andere Präsentationsform als die „Bröhan-Museum“ genannte Haus eröffnete am 14. ursprünglichen „Period Rooms“ probiert. Hoffmann ist Oktober 1983 gegenüber dem Schloss Charlottenburg. sicher, dass er mit dem Vereinzeln und Pointieren der Ab 1994 wurde die Bezeichnung „Landesmuseum für Objekte auf Podesten nur eine moderne Veränderung Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus“ ergänzt. der Präsentation umsetzt, nach der Bröhan, 20 Jahre Als Bröhan die Sammlung 1984 dem Land Berlin nach der Erstpräsentation, auch gesucht hätte. schenkte, wurden 5.000 Sammlungsstücke aufgelistet. Hoffmann charakterisiert den Sammler anhand Für die Zeit danach gibt es jährliche Ankaufsangaben: seiner Sammlung als begeistert von der großbürger­ 1985 wurden beispielsweise 865 Stücke neu erworben, lichen Welt, deren Glanz und Luxus er bewundert habe im Jahr darauf waren es 559 und danach 663. und in seine Sammlung überführte. Reizvoll sei der Insgesamt schenkte Bröhan bis 1997 weitere 9.000 Bruch, der mit den Berliner Sezessionisten, unter ihnen Einzelstücke. Heute zählt die Sammlung – zusammen Walter Leistikow, Karl Hagemeister, Hans Baluschek mit den Ankäufen aus öffentlichen und privaten und Willy Jaeckel, in die Sammlung kam. Schließlich Mitteln – 16.850 Positionen. sei das eine eher ruppige, arme Kunst, die im spannen- Auch wenn der Sammler nach Vollständigkeit den Kontrast zum Luxuriösen stehe. Sie gebe dem strebte, so sind viele der Stücke doch Unikate, über die Museum die Möglichkeit, die Epoche in ihrer ganzen Tilmann Buddensieg sagte: „So sehr Bröhan die Manu- künstlerischen Vielfalt zu zeigen. „Das ist ein Schatz für fakturen interessierten, so waren es im Grunde immer Berlin, den kein anderes Museum zu bieten hat“, sagt die Künstler als Schöpfer von Einzelstücken und Klein- Hoffmann. Die Bilder der Sezessionisten faszinierten serien, die ihm ans Herz gewachsen waren. ‚Fabrikware‘ und faszinieren vor allem die Sammlerehefrau Margrit und anonymes Industriedesign lagen ihm nicht.“ Die Bröhan, die – nach eigener Aussage – kein „Sammler- Stärken der Bröhan-Sammlung sieht ihr aktueller Gen“ besitzt. Kunst kauft sie trotzdem. „Da gibt es Direktor Tobias Hoffmann bei Glas, Keramik und Bilder, von denen ich genau weiß, die gehören zu uns. Porzellan. Beim Funktionalismus, bei Stahlrohrmöbeln Die kaufe ich dann und schenke sie meist sofort dem aus Berlin hingegen gebe es Lücken. Doch die könne Museum“, sagt Margrit Bröhan, die erst kürzlich den das Museum hervorragend ergänzen. Berliner Maler und Sezessionisten Martin Brandenburg Tobias Hoffmann, seit 2012 Museumschef, ist der wiederentdeckt und ausgestellt hat. erste Direktor, der weder mit dem Sammler zusammen- Die Verbindung der Bröhans zum Museum ist eng gearbeitet hat noch ihn persönlich kannte. Nach dem geblieben. Margrit Bröhan ist nicht nur Vorsitzende der Tod von Karl H. Bröhan, der das Museum bis dahin Freunde des Museums. Momentan ediert sie Briefe von geleitet hatte, übernahm seine Frau die Direktorenstelle Walter Leistikow aus ihrem Besitz und wird sie noch in diesem Jahr veröffentlichen. Danach kommen die Originalbriefe direkt ins Museum. Den Entdeckergeist, die Gründlichkeit und das Mäzenatentum hat Margrit Bröhan von ihrem Mann übernommen. Der formu- lierte in seinem „Rückblick“ genannten Statement-Text sein Sammlercredo so: „Mich hat es als Sammler und Kunstliebhaber nie gereizt, ausgefahrene, bekannte Wege zu gehen. Entdeckerfreude und das Aufspüren vergessener oder unterbewerteter Gebiete waren von Anfang an das Feld, auf dem ich meine Ernte einfahren wollte. In dieser selbstgestellten Aufgabe sehe ich die aktive schöpferische Leistung des Kunstsammelns.“ In einigen Jahren wird sich diese schöpferische Leistung noch besser entfalten können. Denn Muse- umsdirektor Tobias Hoffmann plant eine Vergrößerung der Ausstellungsfläche. Das Rathgens-Forschungslabor, eine Einrichtung der Staatlichen Museen zu Berlin, soll aus der dritten Etage des Museums ausziehen. Dann wäre Platz für mehr Bröhan-Schätze und mehr Themenausstellungen über die Kunst von Jugendstil, Glasfabrik Johann Loetz Witwe, Klostermühle (Böhmen), Vasen Jacques-Emile Ruhlmann, Schrank, Art déco, Funktionalismus und Berliner Sezession. und Lampenglocke, um 1900; um 1928; Bröhan-Museum Berlin Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin. Bröhan-Museum Berlin

56 ARSPROTOTO 4 2018 57 KUNST UND KULTUR IN DEN LÄNDERN BREMEN HAMBURG HESSEN MECKLENBURG-VORPOMMERN von Carolin Hilker-Möll BADEN-WÜRTTEMBERG BAYERN BERLIN BRANDENBURG

Wilhelm Kuhnert, Verdächtiges Geräusch, o.J. Heinrich Reinhold, Nach dem Sturm, 1819 DER KÖNIG DER TIERE DER LANDSCHAFT AUF In freier Natur beobachtete er die Hendrik Nicolaas Werkman, Fassade, 1925 Hans Christian Andersen, Weißer Mühlenmann DER SPUR mit zwei Ole Luköies, o. J. ostafrikanische Wildnis, studierte Paul Klee, Rückseite vom „Lebkuchenbild“ Vom Vater im Zeichnen unter- Verhaltensweisen und charakteris- HOT PRINTING — HENDRIK mit Provenienzhinweisen, 1925 POET MIT FEDER UND richtet, avancierte er zu einem der tische Merkmale der Tiere in ihrem NICOLAAS WERKMAN Alexandra Exter, Abstrakte Komposition, bedeutendsten deutschen Land- natürlichen Lebensraum. Er kam Hans Thoma, Der Wanderer, 1906 SCHERE ca. 1914/16 BIOGRAFIEN DER BILDER schaftsmaler des 19. Jahrhunderts: Elefanten, Löwen und Tigern so Anlässlich seines 75. Geburtstages Gerhard Richter, Sekretärin, 1963 Zwei Ballerinen tanzen elegant in Heinrich Reinhold (1788–1825). nah wie kaum ein Maler seiner Zeit: widmet die Kunstsammlung Neu- UNWIRKLICHKEITEN WANDERLAND 20 Jahre Washingtoner Prinzipien: einer verkorkten Flasche, ein Mann Eine Felsschlucht bei Sorrent, Wilhelm Kuhnert (1865–1926). brandenburg dem niederlän­dischen Zum Abschluss eines dreijährigen, ein Baum in der Campagna oder Als einer der ersten europäischen Avantgardisten Hendrik Nicolaas Die Romantiker und Land- REAL POP 1960–1985 balanciert scheinbar eine ganze Romantische Landschaften von vom Deutschen Zentrum für Kul- der Watzmann im Berchtesgade- Künstler reiste er zwischen 1891 Werkman (1882–1945) eine um- schaftsmaler machten es Ende des Dorflandschaft auf dem Kopf und Caspar David Friedrich neben Franz turgutverluste geförderten Prove- ner Land – die Beobachtungen, und 1912 in die damalige Kolonie fassende Werkschau. In seinem 18. Jahrhunderts vor: Wandern Pop als politisches Statement: Die ein Tintenklecks verwandelt sich von Stucks mystischen Bildwelten nienzforschungs-Projekts erzählt die der Künstler auf Studienrei- Deutsch-Ostafrika und skizzierte in Heimatland gilt der konstruktivis- entschleunigt den Alltag. Aus Ausstellung in der Frankfurter Rat- zum „Mann mit Turban“. Mit Mär- oder abstrakten Farbkompositionen die Ausstellung bislang unbekannte sen und Wanderungen in Deutsch- fast wissenschaftlicher Manier erste tisch-abstrakte Künstler als einer dem bürgerlichen Leben war die haushalle reflektiert künstlerische chen wie „Des Kaisers neue Kleider“ Alexandra Exters: Die bewusste Ge- Biografien ausgewählter Werke von land, Österreich und Italien machte, Vorlagen der dortigen Tier- und der Wegbereiter der Moderne. Seine Outdoor-Aktivität im 19. Jahrhun- Positionen zu den gesellschaftli- oder „Die Prinzessin auf der Erbse“ genüberstellung romantischer und Picasso, Klee, Matisse oder Braque hielt er skizzenhaft in freier Natur Pflanzenwelt für seine monumen- anfangs konventionellen Arbeiten dert kaum wegzudenken. Wege chen, medialen und ökonomischen ist der dänische Dichter Hans moderner Werke verdeutlicht in der und fragt: Wie wird ein Kunstwerk fest, bevor aus den Feder- und Blei- talen Ölgemälde. Die erste große als Drucker und Typograf wandel- wurden ausgebaut, Karten präzisiert, Umbrüchen der Nachkriegszeit und Christian Andersen (1805–1875) neuen Sonderausstellung des Kur- populär? Wo wurde es zum ers- stiftzeichnungen wirklichkeitsnahe Retrospektive zum Leben und Werk ten sich ab den 1920er-Jahren zu Aussichtstürme errichtet. Aber ist präsentiert „Malerei und Grafik berühmt geworden. Nahezu unbe- pfälzischen Museums die radikale ten Mal ausgestellt? Wer waren die Landschaftsbilder in Öl wurden. des Künstlers umfasst 120 seiner experimentellen Druckgrafiken, die Wandern typisch deutsch? Wann zwischen Agit Pop und Kapitalisti- kannt sind seine feinsinnigen und Abkehr von der wahrheitsgetreuen Eigentümer? Und unter welchen Seine fragil-kristalline Zeichentech- Zeichnungen, Ölskizzen und Ge- neben der Rezeption seiner Kunst und wie entwickelte sich die Frei- schem Realismus“. Von Klaus Staeck modern anmutenden Arbeiten auf Naturnachahmung und die Hingabe Umständen hat es seine Besitzer ge- nik fand in Karl Friedrich Schin- mälde, aber auch Druck- und Wer- nach 1945 im Fokus der Ausstellung zeitbeschäftigung zu der regelrech- und Wolf Vostell über Almut Heise Papier. Die bisher größte Schau des zur Darstellung der Psyche. Farbe wechselt? Mit dem Fokus auf der kel einen namhaften Abnehmer, der begrafiken sowie Publikationen aus stehen. Spätestens die von ihm per- ten Massenbewegung, die sie heute und Christa Dichgans bis zu Ger- Künstlers in Deutschland zeigt seine und Form verselbstständigen sich, Entwicklung zwischen 1933 und mehrere Arbeiten Reinholds erwarb. europäischen sowie amerikanischen sönlich herausgegebene Zeitschrift ist? Wer den 800 m² weiten Weg hard Richter: Rund 150 Arbeiten zauberhaft-bizarren Scherenschnitte, Innenleben und Empfinden des 1945 rekonstruiert die Schau Ge- Seine erste umfassende Retrospek- Leihgaben, Privatsammlungen und „The Next Call“ brachte Werkman im Germanischen Nationalmuseum vereinen 30 Künstler und Künstle- Klecksographien, Montagen und Künstlers drücken sich in symboli- schichte und Herkunft von aus dem tive zeichnet anhand von rund 120 dem persönlichen Nachlass des aka- ab 1926 internationale Anerken- entlangwandert, findet Antworten. rinnen aus Ost- und West-Deutsch- Collagen. Ob naiv, exotisch oder ex- sierten Landschaften oder Stillleben Bestand des Museums stammenden Werken einen Großteil seiner Schaf- demischen Malers. nung, so durch El Lissitzky und Die Ausstellung führt durch beliebte land in einer Schau. Collagen, Pla- perimentell: Die 150 Werke doku- aus. Die Schau versammelt exklusive Kunstwerken, die beschlagnahmt kate, Offset- und Siebdrucke sowie mentieren Andersens Europa-Reisen fensperioden nach. Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. Theo van Doesburg. Leihgaben namhafter Vertreter aus Wanderregionen und inszeniert und nach Kriegsende restituiert dabei die künstlerischen Auseinan- experimentelle Grafiken hinter­ und knüpfen an seine Bremen-Auf- Hamburger Kunsthalle www.schirn.de Staatliches Museum Schwerin Romantik, Expressionismus, Kubis- wurden. fragen kritisch wie ironisch Politik, enthalte an, die er in seinen Tage­ www.hamburger-kunsthalle.de bis 21.1.2019 www.museum-schwerin.de mus oder Futurismus, die bisher nur dersetzungen mit dem Phänomen Wandern in Malerei, Fotografie, Museum Berggruen, Berlin Konsum, Alltag und Rollenbilder in büchern festhielt. bis 10.3.2019 bis 24.2.2019 selten oder nie der Öffentlichkeit www.smb.museum Musik, Literatur und Film bis in die der BRD und DDR. Kunsthalle Bremen präsentiert wurden. bis 19.5.2019 WILDNIS Gegenwart. Brandenburgisches Landesmuseum www.kunsthalle-bremen.de 68 — POP UND PROTEST SVEN OCHSENREITER — Kurpfälzisches Museum der Stadt für moderne Kunst, Rathaushalle bis 24.2.2019 Die Wildnis kehrt zurück in die Germanisches Nationalmuseum EINE ART LICHT Heidelberg — Frankfurt (Oder) Gegen konservative autoritäre Kunst! Unter diesem Motto widmet www.museum-heidelberg.de Nürnberg INSIDE OUT EINSICHTEN www.blmk.de Strukturen, politische Unterdrü- sich die Schirn der künstlerischen Frei von gesellschaftlichen Zwän- bis 17.2.2019 www.gnm.de DER MÖBELKUNST bis 17.2.2019 CINDY SHERMAN bis 28.4.2019 ckung und Ausbeutung! Für die Auseinandersetzung mit posthu- gen und Erwartungen, ohne Angst Ein aufwändiges klassizistisches Erschrecken, provozieren und ent- Überwindung von Grenzen, für manen Visionen einer unbevölker- vor der Zukunft und dem Versagen, THOMAS MANN IN AMERIKA Möbelkunstwerk aus Mahagoniholz DIE SEHNSUCHT DES LICHTS larven möchte Cindy Sherman Gleichberechtigung, sexuelle Frei- ten Welt, dem Ungezähmten und unwissend über die Grausamkeit der HINTER DEN KULISSEN wird in seinen Einzelteilen präsen- (*1954). Die rund 60 ausgestellten heit und Selbstbestimmung! Die nicht Kultivierten der Natur und Welt und oft schutzlos – Kind zu Deutschland im Nationalsozialis- tiert – Materialkultur trifft auf me- Welche atmosphärische Bildwirkung dramatischen Ereignisse im Jahr der Neuverhandlung des Verhältnis- Das Schlossmuseum Murnau feiert Arbeiten der feministischen ameri- sein hat seine Vor-, aber auch Nach- mus: Thomas Mann (1875 –1955) chanische Verwandelbarkeit. Neben Licht in der Malerei haben kann, 1968 führten über nationale Pro- ses von Mensch und Tier. Rund 100 sein 25-jähriges Jubiläum. Einen kanischen Künstlerin und Fotogra- teile. Seit über 15 Jahren beschäf- flieht ins amerikanische Exil und dem um 1835 in Berlin angefertig- entdeckten die Impressionisten im teste zu einer kulturellen Revolu- Werke namhafter Künstler wie Max Geburtstagsstrauß voller Kunst- fin drehen sich um weibliche Iden- tigt sich der Landauer Künstler Sven schreibt dort eines seiner bekanntes- ten Schreibtischsekretär des Ebenis- ausgehenden 19. Jahrhundert in Eu- tion. Rund 200 Objekte aus der Ernst, Gerhard Richter, Henri werke gab es schon in der Aus- tität und die damit verbundenen Ochsenreiter (*1973) in seinen Bil- ten Werke: „Doktor Faustus“. Das ten Joseph Schneevogl beleuchtet ropa. Von der Sehnsucht der Künst- Zeit, darunter Musikinstallationen, Rousseau, Richard Oelze oder Per stellung „Mit Dank für die Blu- Erwartungshaltungen, Rollenbilder dern mit den Jüngsten der Gesell- Deutsche Literaturarchiv Marbach die Schau die kolonial geprägte Ge- ler nach geradezu irdisch-träumeri- Plakate und Designobjekte, versam- Kirkeby reflektieren die Faszinati- men! Eine Floriade“. Nun lädt das und Klischees. Shermans Beobach- schaft. Die erste museale Einzelaus- rückt mit seiner Ausstellung genau schichte und Materialikonographie schen Paradieszuständen erzählt die melt das Museum für Kunst und onskraft des Begriffs Wildnis von Museum seine Besucher dazu ein, tungen als Frau mischen sich in ih- stellung des Malers zeigt neugierige, diese Zeit in den Fokus. 155 Origi- von Mahagoniholz und die aufwen- Ausstellung und präsentiert selten Gewerbe zu einem Stimmungsbild 1900 bis zur Gegenwart. hinter die Kulissen des Museums- rem Werk mit abgründigem Humor spielende und verträumte Kinder nal-Exponate, darunter Reisetage- digen Techniken des Furnierens. gezeigte Werke u. a. von Paul Signac, der Epoche. betriebs zu blicken. Ob Aufbewah- und offenbaren existenzielle Ängste, Schirn Kunsthalle, Frankfurt a. M. in surrealen, nächtlichen, von Er- bücher, historische Reisekoffer der Dem gegenüber stehen wiederum Albert Gleizes oder Kasimir Male- rung, Konservierung und Ausleihe Träume, aber auch Gewalt- und Museum für Kunst und Gewerbe, www.schirn.de wachsenen konstruierten Umgebun- Familie Mann und zahlreiche Hand- modernes und zeitgenössisches witsch, die sich intensiv mit Licht in bis 3.2.2019 der Exponate oder Wissensvermitt- Todesfantasien. Hamburg gen und reflektiert den Wandel der schriften sowie Fotografien doku- Möbeldesign, darunter Meister- allen stilistischen Ausformulierun- www.mkg-hamburg.de lung – hier werden die „unsichtba- Museum Weserburg, Bremen ­Kinder zu autonomen Wesen. mentieren die persönliche Seite des stücke zweier Berliner Tischler- gen auseinandersetzten. bis 17.3.2019 ren“ Tätigkeitsfelder für die Öffent- www.weserburg.de Kunstsammlung Neubrandenburg Schriftstellers. meister. lichkeit sichtbar. Dieselkraftwerk Cottbus bis 24.2.2019 www.kunstsammlung-neubranden- Deutsches Literaturarchiv Marbach Kunstgewerbemuseum, Berlin www.blmk.de burg.de Schlossmuseum Murnau www.dla-marbach.de www.smb.museum bis 10.2.2019 13.12.2018 – 3.3.2019 www.schlossmuseum-murnau.de bis 30.6.2019 bis 24.2.2019 bis 3.3.2019

58 ARSPROTOTO 4 2018 59 NIEDERSACHSEN NORDRHEIN-WESTFALEN RHEINLAND-PFALZ SAARLAND SACHSEN SACHSEN-ANHALT SCHLESWIG-HOLSTEIN THÜRINGEN

Mittelalterliches Totengedenken am Grab Ottos Lara Favaretto, 032 — 212, 2015 Château de Malbruck, Manderen (Lothringen) des Großen, Inszenierung von Peter Fuchs, Ernst Ludwig Kirchner, Balkonszene, 1935 Zürich, 2018 Hannes Möller, Aschebuch II LARA FAVARETTO — NEED OR STEINERNE MACHT — ERNST LUDWIG KIRCHNER — NO NEED BURGEN, FESTUNGEN, DOMMUSEUM OTTONIANUM Per Kirkeby, Ohne Titel, 2015 HANNES MÖLLER — BRAND- Max Slevogt, Nina im Kostüm einer Pierrette, ERTRÄUMTE REISEN Helene Funke, Drei Frauen, 1915 1926 Sie nimmt weg, fängt auf, fügt SCHLÖSSER IN LOTHRINGEN, MAGDEBURG BÜCHER, ASCHEBÜCHER Ernst Ludwig Kirchner hinzu: Lara Favorettos (*1973) LUXEMBURG UND IM SAAR- — PER KIRKEBY — AUS DER EXPRESSIV WEIBLICH Magdeburgs Geschichte als Kaiser- Erstmals zeigt die Herzogin Anna MAX SLEVOGT — EINE (1880 –1938) gehört zu den be- künstlerisches Schaffen ist geprägt LAND NATUR HELENE FUNKE stadt und bedeutende europäische Amalia Bibliothek in Weimar in ih- RETROSPEKTIVE ZUM kanntesten Malern des deutschen von Prozessen des Wandels, des Zer- Metropole wird mit dem Anfang Mehr als 200 Burgen, Festungen Den inneren Zusammenhang zwi- rem Studienzentrum eine Kunstaus- Expressionismus und zählt als Mit- falls, des Sammelns und des Erin- Ungewöhnliche Bildnisse von November eröffneten Dommuseum 150. GEBURTSTAG und Schlösser gibt es in der ge- schen der Natur und seiner Kunst stellung: Die beiden Bilderzyklen begründer der Brücke-Gruppe am nerns. Ob Holz, Metall oder Beton, Frauen und Frauengruppen wurden Ottonianum Magdeburg neu ge- meinsamen Kulturlandschaft von suchte Per Kirkeby (1938 –2018) „Brandbücher“ und „Aschebü- Das Landesmuseum Hannover Anfang des 20. Jahrhunderts zu kombiniert mit kostbaren, farbin- ihr Markenzeichen: Helene Funke würdigt. Unmittelbar neben dem Lothringen, Luxemburg und dem Zeit seines künstlerischen Schaffens. cher“ des Künstlers Hannes Möller besitzt die weltweit bedeutendste den wichtigsten Künstlern. Die Su- tensiven Stoffen wie Gold oder Sil- (1869 –1957) studierte neben Dom gelegen, werden auf rund 630 Saarland. In seiner neuen grenz- Jetzt präsentiert die Stiftung Schles- (*1954) porträtieren einen Teil der Sammlung des „Dreigestirns des che nach dem Exotischen und Ur- ber – Favorettos Werke tragen die Gabriele Münter in München, Quadratmetern im Gebäude der überschreitenden Sonderausstellung wig-Holsteinische Landesmuseen in geschädigten und zerstörten Bücher, deutschen Impressionismus“: Max sprünglichen, nach anderen Län- Eigenschaften der verwendeten Ma- stellte mit Matisse und Picasso in ehemaligen Reichsbank drei große macht das Historische Museum Saar Schloss Gottorf das beispiellos kom- die der verheerende Bibliotheks- Liebermann, Lovis Corinth und dern und Kulturen zieht sich wie terialien in sich, erzählen von deren den Pariser Salons aus und fei- Themenkomplexe des Mittelalters erstmals die Baugeschichte dieser plexe stil- und medienübergreifende brand von 2004 hinterlassen hat. Max Slevogt. Slevogt (1868 –1932) ein roter Faden durch das Leben zurückliegender Existenz und Le- erte Erfolge als vielfach ausgezeich- präsentiert: Kaiser Otto der Große Anlagen in der Großregion Saar- Werk des international renommier- Die Welt der Bücher und Bibliothe- war der jüngste und vielseitigste und Werk des Malers: In farben- bensdauer. Aus den Kontrasten zwi- nete Malerin und Grafikerin neben (912 –973) und Königin Editha LorLux von den ersten einfachen ten Malers, Bildhauers, Architekten, ken beschäftigt Möller seit vielen Künstler dieses Trios, dem das prächtigen Bilder aus der Fantasie schen hart und weich, schwer und Klimt und Schiele in Wien, wo sie (910 –946), das Erzbistum Magde- mittelalterlichen Burgen bis zur Filmemachers, Naturforschers und Jahren, besonders die Jahrhunderte WeltenMuseum jetzt erstmals eine erschuf er fremde Welten und blieb leicht lässt die italienische Künstle- trotz ihrer über 40 Ausstellungs­ burg und die spektakulären Funde geplanten NS-Ordensburg an der Literaten in einer großen Ausstel- alten, teils aufwendig gefertigten, große Ausstellung widmet. Heute doch seiner Lebensrealität verhaftet. rin skulpturale Setzungen innerhalb beteiligungen von Paris über Ham- der archäologischen Grabungen Saarschleife erlebbar. Hochkarätige lung. Die Schau konzentriert sich fragilen, verletzten und beschädig- fast ausschließlich als Freilichtma- Anhand ausgewählter Stationen wie bestehender Raumgefüge entstehen. burg bis Stockholm verarmt und rund um den Dom. Zu den rund Exponate aus dem Saarland und aus auf die Arbeiten ab den 1980er- ten Exemplare mit ihren deutlichen ler populär, thematisierte Slevogt in Dresden, Berlin, Fehmarn und Da- Erstmals in Deutschland widmet ihr vergessen starb. Erst seit einigen Jah- 100 originalen Ausstellungsobjekten großen renommierten Sammlun- Jahren, die als ein entscheidender Gebrauchsspuren macht er zum Grafik und Malerei auch vielfach vos zeichnet die Ausstellung Kirch- die Kunsthalle Mainz eine Einzel- ren wird ihr Werk wiederentdeckt. gehören der Bleisarg der Königin gen und Museen in Frankreich, Lu- Umbruch in Kirkebys Werk gel- Gegenstand künstlerischer Ausei- Szenen aus Geschichte, Literatur ners Lebensweg und Schaffen nach. ausstellung und zeigt neben Ob- Die Schau zeichnet Funkes künst- Editha, kostbare Beigaben aus den xemburg und Bayern ergänzen die ten. Entsprechender Raum wurde nandersetzung. In einer speziellen und Musik, die allein seiner Phan- Die retrospektive Ausstellung mit jekten und Installationen auch eine lerischen Weg nach und wirft einen Gräbern der Erzbischöfe Wichmann baugeschichtliche Darstellung der seinen Bronzen und Masonit-Ta- Mixed-Media-Technik, basierend tasie entsprangen. Anlässlich des mehr als 180 Kunstwerken veran- frühe Videoarbeit Favorettos. Blick auf ihre Werk- und Lebens­ von Seeburg und Otto von Hessen Burgen und werfen exemplarisch feln gegeben, die seit 1981 entstan- auf Aquarell-/Gouache-Malerei mit Jubiläums präsentiert das Landes- schaulicht, wie er gesellschaftliche biografie. Dazu zählt ein Gemälde sowie antike Bauteile der ottoni- Kunsthalle Mainz Schlaglichter auf Aspekte des Lebens den, sowie vor allem den Gouachen Farbe, Kohle und Rußpigmenten museum Hannover mit 150 Gemäl- und künstlerische Einflüsse immer www.kunsthalle-mainz.de aus ihrer Pariser Zeit von 1909, das schen Bauten am Domplatz. und des Alltags der Menschen in sowie Originalasche der verbrannten den, Zeichnungen und Drucken wieder neu verarbeitete und dabei 14.12.2018 –17.2.2019 als verschollen galt und nun erstmals und großformatigen Zeichnungen, Dommuseum Ottonianum Bücher, entstehen seine beeindru- eine Retrospektive, die ein voll- auch persönlich und malerisch Neu- den Anlagen, von der Bewaffnung wieder gezeigt werden kann. die in ihrer Dichte den Gemälden Magdeburg ckenden Buch-Porträts – mit künst- ständiges Bild eines der wichtigs- land betrat. über sich wandelnde Konsumgüter gleichkommen. — Kunstsammlungen Chemnitz www.dommuseum-ottonianum.de lerischen Mitteln aus der Masse her- ten deutschen Künstler seiner Zeit NOBUYUKI TANAKA bis zum Handwerk. Museum für Kunst und Kulturge- Bundeskunsthalle, Bonn www.kunstsammlungen-chemnitz. Dauerausstellung aus gearbeitete Buch-Individuen. zeichnet. www.bundeskunsthalle.de URFORMEN. PRIMORDIAL Historisches Museum Saar, de schichte Schloss Gottorf, Schleswig www.schloss-gottorf.de Landesmuseum Hannover, Das bis 3.3.2019 MEMORIES Saarbrücken bis 13.1.2019 Herzogin Anna Amalia Bibliothek, bis 24.3.2019 WeltenMuseum www.historisches-museum.org MAGDEBURGER BILDER­ Weimar www.landesmuseum-hannover. In seinen außergewöhnlichen Skulp- bis 23.6. 2019 BOGEN UND IHRE ZEIT www.klassik-stiftung.de — DESIGNERINNEN DER bis 16.2.2019 niedersachsen.de BOGOMIR ECKER WAS DAS turen verbindet sich traditionelle GRASS IN FARBE — DIE bis 24.2.2019 Lacktechnik mit zeitgenössischem DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN Bilderbogen waren ein überaus be- FOTO VERSCHWEIGT HERBERT LIST — DAS AQUARELLE VON GÜNTER Formenrepertoire: Nobuyuki HELLERAU 1898 BIS 1938 liebtes Massenmedium des 19. Jahr- PAUL CITROEN — DER Eine Doppelausstellung an zwei Tanaka (*1959). Inspiriert von MAGISCHE IM VORÜBER­ hunderts: Farbige, mit einem oder GRASS IRRTÜMER UND FÄLSCHUN- Standorten präsentiert das Werk Phänomenen der Natur, verwen- GEHEN Unter dem Titel „Gegen die Un- mehreren Bildern, häufig auch mit MENSCH VOR DER KUNST Das Günter Grass-Haus in Lübeck GEN DER ARCHÄOLOGIE des Bildhauers, Fotografen, Ob- det der in Tokio geborene Künst- sichtbarkeit“ werden erstmalig 19 Text bedruckte Lithografien erfüll- Zum Bauhausjahr 2019 zeigt das jekt- und Installationskünstlers ler das Material meist in poliertem Die Ludwig Galerie Saarlouis prä- Frauen vorgestellt, die bereits im ten die Bedürfnisse nach Informa- zeigt in einer großen Sonderschau Irren ist menschlich – davon bleiben Panorama Museum eine Über- Bogomir Ecker (*1950): Während Tiefschwarz oder intensiv leuch­ sentiert die erste Ausstellung des frühen 20. Jahrhundert im Kontext tion, Unterhaltung und Belehrung. rund 90 Aquarelle des Schriftstel- auch angesehene Wissenschaftler sichtsschau mit rund 80 Werken des die Von der Heydt-Kunsthalle sich tendem Rot. Die Ausstellung des bekannten Avantgarde-Fotografen der Deutschen Werkstätten arbeite- Die Ausstellung „Bilder gehen um lers Günter Grass (1927– 2015) aus nicht verschont. Die Sonderausstel- in Berlin geborenen Malers, Zeich- vornehmlich seiner Auseinanderset- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern Herbert List (1903 –1975) im Saar- ten: Gestalterinnen, die trotz reger die Welt“ zeigt über 70 Bilderbogen sechs Jahrzehnten sowie Gedicht- lung des Roemer- und Pelizaeus- ners und Fotografen Paul ­Citroen zung mit der Fotografie widmet und würdigt Tanaka als herausragen- land. 122 Arbeiten aus den Jahren Entwurfs- und Lehrtätigkeit, zahl- u. a. aus der Magdeburger Drucke- manuskripte und zahlreiche Uten- Museums korrigiert populäre, aber (1896 –1983), die seinen Weg von diese in Wechselwirkung zu einigen den Repräsentanten und Wegberei- 1930 bis 1961 zeigen einen Quer- reicher Ausstellungen und erfolg- rei von Robrahn & Co. silien, mit denen der Künstler seine überholte Thesen zu vergangenen Weimar, wo er zwischen 1922 ausgewählten Objekten bringt, setzt ter des Gebrauchs von Lack in der schnitt des vielfältigen Schaffens des reicher Wettbewerbsteilnahmen im Werke angefertigt hat. Von 1949 bis Epochen. Über 200 Exponate de- Hamburger Fotokünstlers, der die Kulturhistorisches Museum 1954 hatte der spätere Literaturno- und 1924 am Bauhaus studierte, der Skulpturenpark Waldfrieden das Gegenwartskunst. Laufe der Zeit in Vergessenheit ge- Magdeburg cken spektakuläre Fehlurteile und Genregrenzen zwischen Architek- belpreisträger zunächst Bildhauerei in die Niederlande nachzeichnen skulpturale Werk Eckers in Szene. rieten, obwohl sie einen bedeuten- www.khm-magdeburg.de Betrugsfälle in ganz Europa auf. In- Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern tur-, Stillleben- oder Straßenfoto- und Grafik studiert, bevor er sich und seine Entwicklung umfassend Von der Heydt-Museum, Wuppertal den Beitrag zur Herausbildung einer bis 20.1.2019 teraktive Medienstationen sollen da- www.mpk.de grafie, Porträts oder Dokumentation der Literatur zuwandte. Erst rund dokumentieren. www.von-der-heydt-kunsthalle.de bis 10.2.2019 neuen Ästhetik geleistet hatten. bei den kriminalistischen Spürsinn meisterhaft verwischte und so ein Panorama Museum, Bad www.skulpturenpark-waldfrieden.de 40 Jahre später entdeckte er seine Kunstgewerbemuseum Dresden, Frankenhausen der Besucher wecken. bis 17.2.2019 schwer fassbares Œuvre schuf. Leidenschaft für die Wasserfarben Japanisches Palais www.panorama-museum.de Roemer- und Pelizaeus-Museum Ludwig Galerie, Saarlouis wieder. www.kunstgewerbemuseum.skd. bis 10.2.2019 Hildesheim www.ludwig-galerie.saarlouis.de museum Günter Grass-Haus, Lübeck www.rpmuseum.de bis 10.3.2019 bis 3.3.2019 www.grass-haus.de bis 26.5.2019 bis 3.2.2019

60 ARSPROTOTO 4 2018 61 FREUNDESKREIS Novembergruppe“. Im Mittelpunkt steht lung dieses Kontexts das Werk eines 27.1.2019) einen repräsentativen Quer- der gebürtige Schweizer Künstler Wil- weiteren Potsdamer Künstlers von Be- schnitt durch sein frühes Œuvre. Sie helm Schmid (1892–1971), ein Pots­ deutung sein würde: Heinrich Basedow entstanden zwischen 1923 und 1931. damer Mitglied jener „Vereinigung von der Jüngere (1896 –1994), Sohn des Ein Kinderporträt zeigt Christa Heid- HAND IN Revolutionären des Geistes“, die nach gleichnamigen Landschaftsmalers. Base- kamp, die Tochter eines Buch- und dem Ende der Monarchie in Deutsch- dows Biographie zeigt, wie der sozial­ Kunsthändlers, in dessen Geschäftsräu- land radikal neue Wege der Kunst be­ revolutionäre Impetus der November­ men sich die Potsdamer Avantgarde traf HAND gehen wollten. Schmid war 1912 nach revolution anfällig für die andere, die und Basedow 1928 ausstellte, ein wei- Berlin gezogen und lebte – unterbrochen nationalsozialistische Revolution, werden teres den Fischer Johann Wessel (ohne von vielen Reisen und einem Aufenthalt konnte: Zunächst Marinesoldat und Abb.). Alle vier Gemälde waren stark Der Freundeskreis der in Paris zwischen 1924 und 1930 – von Kommunist, trat Basedow 1930 in die verschmutzt, es gab Abriebe in den Kulturstiftung der Länder 1923 bis 1937 in Potsdam. In beiden NSDAP ein, wurde Sturmbannführer Lasuren, teilweise auch Kratzer und unterstützte die Restaurie- Städten war er als Architekt und Maler der SA und 1935 Ratsherr in Potsdam, farbverfälschende Altretuschen. Fehl­ tätig. Dass der aufkommende National- u. a. mit Zuständigkeit für das Heimat- stellen, festhaftende Fremd­partikel und rung von vier Gemälden sozialismus Künstlerexistenzen wie die museum. Nach dem Krieg in Kiel behei- Ausfluglöcher von schädigenden Insek- Heinrich Basedows im Wilhelm Schmids unmittelbar bedrohte, matet und als „Mitläufer“ eingestuft, Heinrich Basedow d. J., Kiefer, 1924, ten beeinträchtigten die Werke nachhal- zeigen Attacken 1934 in der lokalen verzichtete er 1978 nach Protesten wegen 53 × 43 cm; Potsdam Museum tig. Mit Unterstützung des Freundes- Potsdam Museum Presse, gefolgt von antisemitischen seiner NS-Vergangenheit auf den dor- kreises der Kulturstiftung der Länder von Frank Druffner Anfeindungen seiner Frau, der be- tigen Kunstpreis. Als Zeitgenosse konnten die vier Werke restauriert kannten Sängerin Maria Metz (geb. 1886 ­Schmids, als Mitglied des Potsdamer ­werden. Was besonders schön ist: Der 2019 wird das Jahr des Bauhauses. Doch als Miriam Eleonore Metz, Künstler- Kunstvereins und der Gilde der Potsda- Freundeskreis wirkte in diesem Fall schon jetzt wird der Ereignisse gedacht, name Maria Alba). 1937 erfolgte die mer Künstler und als progressiver Maler Heinrich Basedow d. J., Selbstbildnis als Halbakt, Hand in Hand mit der Kulturstiftung die das Feld für die Umstürze auf kultu- Diffamierung seiner Werke als „entartet“, in einem eher konservativen Umfeld 1927, 74 × 60 cm; Potsdam Museum selbst, die sich bei der Finanzierung des rellem und politischem Gebiet vorberei- kurz danach floh das Ehepaar in die (1919 wird er zum Studium nach Wei- Ausstellungsprojektes engagierte. tet haben. Denn 1918 war das Jahr der Schweiz. Die Ausstellung holt nicht nur mar gehen und 1924 zurückkehren) war Der Restaurierung durch den Freun- Novemberrevolution. Es markiert somit das Frühwerk eines Künstlers in das er eine wichtige Figur im unmittelbaren deskreis der Kulturstiftung der Länder den Anfang vom Ende des Kaiserreichs öffentliche Bewusstsein zurück, der Kontext der Novembergruppe. Schmid war in Potsdam bereits die Erfassung des und die erste Etappe des Aufbruchs in durch die NS-Zeit und ihre Folgen aus und Basedow nahmen beide an der ab bekannten Gesamtwerks Basedows d. J. die Welt der Weimarer Republik. Zer- dem Blickfeld der Kunstgeschichte September 1927 stattfindenden „Ausstel- vorausgegangen: Im Februar dieses Jahres mürbt vom Kriegsgeschehen und ohne geraten war, sie rekonstruiert zugleich lung Potsdamer Künstler“ teil, wobei die hatte der Förderverein des Potsdam Aussicht auf einen Sieg meuterten zu- sein künstlerisches Umfeld in Potsdam stilistische Nähe ihrer Werke zwischen Museums das digitale Werkverzeichnis nächst die Matrosen in Kiel, als Signal­ und erarbeitet damit einen weiteren Neuer Sachlichkeit und Magischem des Künstlers vorgestellt (www.private- geber wurden sie zu „Sturmvögeln der Mosaikstein in der Kunst- und Kultur­ Realismus bereits dem damaligen Rezen- kuenstlernachlaesse-brandenburg.de) Revolution“. Die von der Kulturstiftung geschichte der Stadt. senten auffiel. und einen umfangreichen Teilnachlass der Länder geförderte Ausstellung „Die Im Zuge der Ausstellungsvorberei- Vier seiner Gemälde bieten in der Basedows dem Museum übergeben. Das Stunde der Matrosen – Kiel und die tung wurde deutlich, dass zur Darstel- aktuellen Ausstellung (noch bis zum Museum ist durch diese Freundestaten deutsche Revolution 1918“ im Kieler in der Lage, Biographie und Werk der Restaurator Max Stadt- und Schifffahrtsmuseum widmet Wenske, Direk­ Öffentlichkeit (kunst-)historisch fundiert sich noch bis zum 17. März 2019 diesem torin Dr. Jutta aufbereitet und restauratorisch betreut folgenschweren Thema (siehe Arsprototo Götzmann und zur Verfügung zu stellen. Dr. Claudia 2-2018). Auch die Kultur und das Hartmann vom Prof. Dr. Frank Druffner ist stellver­ Kunstleben blieben von den Umwäl- Freundeskreis der Heinrich Basedow d. J., Porträt tretender Generalsekretär der Kultur­ zungen nicht unberührt. So formierte Kulturstiftung Christa Heidkamp, 1923, stiftung der Länder und Geschäftsführer sich unter dem Eindruck der revolutio- der Länder vor 32,5 × 27,9 cm; Potsdam Museum des Freundeskreises. den Werken von nären Ereignisse in Kiel am 3. Dezember Heinrich 1918 die Künstlervereinigung „Novem- Basedow d. J. Potsdam Museum – Forum für Kunst bergruppe“, der innerhalb kurzer Zeit und Geschichte Am Alten Markt 9, 14467 Potsdam 170 Künstler aus allen Sparten beitraten. Heinrich Basedow d. J., Lilie, 1925, Telefon 0331-2896868 Viele von ihnen sollten dann 1919 52 × 33,5 cm; Potsdam Museum Öffnungszeiten: Di, Mi, Fr 10 –17 Uhr, Mitbegründer oder Lehrer des Weimarer Do 10 –19 Uhr, Sa, So 10 –18 Uhr www.potsdam-museum.de Bauhauses werden. Das Potsdam Museum nahm das Weitere Informationen über alle Aktivitäten Jubiläumsjahr zum Anlass für die Son- und Reisen des Freundeskreises sowie zu derausstellung „Umkämpfte Wege der den Restaurierungsprojekten finden Sie auf unserer Website: Moderne. Wilhelm Schmid und die www.kulturstiftung.de/freundeskreis

62 ARSPROTOTO 4 2018 63 NACHRICHTEN grund eher zunehmender EU-Skepsis“, Elisabeth Leitner, Initiatorin von kultur- so Hilgert, seien „internationaler, kultu- hauptstadt2024.at, die Herausforderun- DER FREUNDESKREIS DER KULTURSTIFTUNG reller Austausch und lokale Integrations- gen einer Kulturhauptstadt Europas in — - angebote“ von größter Bedeutung. 2025. Kultur dürfe kein selbstgenüg­ DER LÄNDER IMMER AUF DER SEITE DER KUNST KULTURHAUPT Aus der Praxis des Kulturhauptstadt- samer, elitärer Prozess sein. Zivilgesell- www.kulturstiftung.de/freundeskreis programms berichteten Kelly Diapouli, schaftliche Selbstorganisation müsse STADT EUROPAS künstlerische Leiterin von Eleusis 2021 befördert werden, Integrationsangebote (Griechenland), und Ana Čižauskienė, bräuchten eine barrierefreie Infrastruktur 2025 Geschäftsführerin von Kaunas 2022 und zielgruppengerechte Sprache. Das (Litauen). Es gelte, eine nachhaltige Panel empfahl eine Agenda kleiner, Zum Auftakt: Wie Kultur Erzählung zu finden, die die europäische beherzter Schritte und eine selbstkriti- Geschichte und den Erfahrungsraum der sche, neugierige Haltung auf dem Weg im gemeinsamen Erlebnis Stadt zu verbinden vermag. Ein schwie­ zu einer Vertiefung regionaler Identität vereint riger Prozess, der dunkle Kapitel der als ein Teil Europas. Ein Ratschlag, der von Linda Lücke und Mirco Drewes eigenen Geschichte und Brüche im die Sphären der Kultur wie der Politik Selbstbild hervortreten lasse. gleichermaßen adressiert, ein Ratschlag Nele Hertling, Gründerin der Initia- ganz im Sinne Jean Monnets. „Wenn ich nochmals mit dem Aufbau tive „A Soul for Europe“, diskutierte mit Den emotionalen Höhepunkt des Europas beginnen könnte, dann würde Andreas Kämpf, Vizepräsident des Deut- Tages bildeten die Kurzpräsentationen ich mit der Kultur beginnen“ – diese schen Kulturrates, Kulturentwicklungs- von Chemnitz, Dresden, Gera, Hanno- Erkenntnis in der Rückschau wird Jean berater Dr. Patrick Föhl und Prof. Dr. ver, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg Monnet, dem Wegbereiter europäischer Abschlussdiskussion Einigungsbestrebungen, zugeschrieben. mit Andreas Kämpf, An dessen Worte erinnerte Dr. Stefanie Nele Hertling, Prof. Hubig, die als Vizepräsidentin der Kul- Dr. Markus Hilgert, Prof. Dr. Elisabeth tusministerkonferenz die Auftaktveran- Leitner und staltung zur „Kulturhauptstadt Europas Dr. Patrick Föhl 2025“ am 16. Oktober 2018 eröffnete. (v.l.n.r.) Die Kulturstiftung der Länder hatte als Geschäftsstelle des nationalen Auswahl- verfahrens ins Europäische Haus in Berlin geladen. Prof. Dr. Markus Hilgert, General­ sekretär der Kulturstiftung der Länder, wies auf die Gefahren für das solidarisch geeinte Europa hin: „Vor dem Hinter- und Zittau, die ihre Visionen für eine Kulturhauptstadtbewerbung vorstellten. Es wurden Brücken aus der Vergan- genheit in die Zukunft gebaut, kulturelle Errungenschaften aufgezeigt und auch politische Argumentation fand ihren Platz. Mal wurden Stärken betont, mal Visionen anhand regionaler Problem­ felder entwickelt. Der Ton reichte von sachlich-argumentierend über agitato- risch-begeisternd bis zum Spiel mit künstlerischer Ironie. Man darf voller Vorfreude auf die kommenden Monate schauen. Am 30. September 2019 endet die Bewerbungs- frist. Linda Lücke ist Projektkoordinatorin, Mirco Drewes ist Projektassistent von Gruppenfoto aller Vortragenden der Bewerberstädte „Kulturhauptstadt Europas 2025“.

64 SCHÖN IM DEPOT Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Herr Wemhoff?

Was ich vor Ihnen verberge? Ein wahrhaft 10. Jahrhunderts. Die Form des Schreins mit einem Treck nach Westen in Sicherheit mythisches Objekt. Zu gerne würde ich erinnert an wikingische Häuser, die Eck- gebracht werden. Es heißt, dass dieser es eines Tages im Original sehen. Denn es balken sind mit Tierköpfen geschmückt. Treck von Bombern angegriffen und in besteht eine winzige Hoffnung, dass es Zwischen den Beschlägen sitzen reich Brand gesetzt worden ist. Der Schrein wäre nicht zerstört ist. im wikingischen Tierstil verzierte Platten dann verbrannt. Aber vielleicht ist es auch Vor mir steht eine alte Gipskopie, aus Elchgeweih und Walrosselfenbein. ganz anders gewesen… erstellt, als es das Original noch gab. Es Gerne würde ich jetzt die Beschläge öffnen handelt sich um den Schrein von Cammin, und Sie in das Innere des Kastens schauen Prof. Dr. Matthias Wemhoff, Landes­ dem pommerschen Bischofssitz, heute lassen. Dies geht leider bei einer Gips- archäologe und Direktor des Museums für Kamień Pomorski in Polen. Der Schrein kopie nicht. Vor- und Frühgeschichte in Berlin, mit dem ist ein Hauptwerk wikingischer Künstler, In den letzten Wochen des Zweiten „Schrein von Cammin“ aus der 2. Hälfte des 10. Jahrhunderts im Depot des sie schufen ihn in der 2. Hälfte des Weltkriegs sollten die Schätze aus Cammin Museums, fotografiert von Oliver Mark.

66 Galerie Neuse Kunsthandel GmbH, Achim Neuse Volker Wurster Contrescarpe 14, 28203 Bremen, Tel.: 0421 32 56 42, www.galerieneuse.com

»Partie dechasse« nach Jean-Antoine Watteau (1684-1721) Tapisserie-Manufaktur Charles Vigne, Berlin, um 1760 Wolle und Seide, Maße: 330x161cm