Klaus Bölling Staatssekretär Ad Im Gespräch Mit Werner Reuß
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 29.08.2008, 20.15 Uhr Klaus Bölling Staatssekretär a.D. im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, ganz herzlich willkommen zum alpha-Forum. Unser heutiger Gast ist Klaus Bölling, Journalist, Publizist. Er war Chefredakteur und Intendant, aber vor allen Dingen war er im Range eines Staatssekretärs Chef des Bundespresseamtes und Sprecher der Bundesregierung in den Jahren 1974 bis 1982. Dazwischen gab es eine kurze Unterbrechung, in der er ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der damaligen DDR war. Ich freue mich, den "Meister der gezielten Diskretion", wie er einmal genannt wurde, begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen, Klaus Bölling. Bölling: Guten Tag, Herr Reuß. Reuß: Es gab Zeiten, in denen man Sie täglich auf dem Bildschirm gesehen hat – nicht immer in ganz einfacher Mission. Deshalb die Frage, die sicherlich viele Zuschauer interessiert: Was macht Klaus Bölling heute? Bölling: Ich muss, und das ist eigentlich eine glückliche Fügung, nicht mehr 12 und manchmal 14 Stunden im Dienst sein. Damit will ich nicht renommieren, das war einfach so. Manchmal saß ich sogar noch etwas länger als der Bundeskanzler im Büro. An dem Tag, an dem meine "Dienstfahrt" zu Ende war – auch die des Bundeskanzlers Helmut Schmidt –, rief mich morgens um 6.35 Uhr eine Redakteurin des WDR an und fragte mich: "Wie fühlen Sie sich?" Da habe ich ihr wahrheitsgemäß gesagt: "Ungeheuer erleichtert. Weil ich nämlich von heute an nicht mehr Ihre Fragen zur Scharfrichterzeit beantworten muss!" Ich bin beschäftigt, ich kann gelegentlich noch Vorträge halten, es gibt immer noch Leute, die an meinen Meinungen interessiert sind – vor allem an meiner Meinung über eine gefährliche Entwicklung des deutschen Fernsehens, im Wesentlichen des Privatfernsehens, aber leider auch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Dies darf ich im Hause des Bayerischen Fernsehens dennoch sagen. Die Orientierung der Programmpolitik der ARD an der Quote habe ich seit Jahren für unheilvoll gehalten. Aber ich will den Gastgeber hier in München-Freimann nicht beschimpfen. Reuß: Seit 1947, als Sie Redakteur beim Berliner "Tagesspiegel" waren, haben Sie die politische Entwicklung in immer wieder sehr spannenden Schlüsselpositionen verfolgt. Man darf sagen, Sie sind ein Homo politicus. "Politik ist Kampf um Macht, aber eben auch wertendes Streiten und streitendes Werten darüber, wie wir leben und wie wir dezidiert nicht leben wollen." Dieser Satz stammt von Erhard Eppler, dem ehemaligen Bundesminister und Ihrem Parteikollegen. Würden Sie dem zustimmen? Oder anders gefragt: Was ist, was war Politik für Klaus Bölling? Bölling: Was ich Ihnen darauf antworte, Herr Reuß, ist sehr unoriginell. Es war der große, in Trier geborene Karl Marx, der gesagt hat: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Ich bin kein gläubiger Fortschrittsmensch, ich glaube, dass Fortschritte nur in sehr kleinen Schritten erreicht werden können. Das, was der österreichische Philosoph Karl Popper das social engineering oder peace meal engineering genannt hat, ist auch mir wichtig. Ich bin also davon überzeugt, dass man bei allen Veränderungen und Fortschritten immer auch wieder mit Rückschritten rechnen muss. Viele unserer Journalisten, die sich heute so ein bisschen präzeptoral äußern – zu der Regierung von Frau Merkel und zur Großen Koalition –, haben manchmal sehr gute Ideen. Aber sie verkennen, dass das, was zu ändern ist, was offenkundig schlecht ist in unserer Gesellschaft, eben nicht mit einem einzigen großen Anlauf über Nacht verändert werden kann. Nein, das ist mühsam, das kostet Geduld, das enttäuscht viele Wähler, aber es kommt trotzdem darauf an, Ungerechtigkeiten zu korrigieren. Die Vorstellung einer absolut gerechten Gesellschaft muss jedoch Utopie bleiben. Neulich ist doch auch erinnert worden an den "Prager Frühling" in den 60er Jahren, an den "Sozialismus mit menschlichem Antlitz": Das hört sich sehr schön an und es wäre wunderbar, wenn es so etwas gäbe. Aber es gibt so etwas nicht. Es war eine wunderbar idealistische Vorstellung, die Dubček und viele Intellektuelle – darunter auch der frühere Präsident Vaclav Havel – damals entwickelt haben. Aber mein Beitrag war ja nicht der eines Politikers, sondern ich bin ein enger Berater eines ganz auf pragmatische Politik orientierten Hamburger Bundeskanzlers gewesen, der sich selbst immer als Kantianer bezeichnete. Ich hatte bereits, bevor ich in den Dienst von Helmut Schmidt getreten bin, Kant gelesen. Und heute noch finde ich es wunderbar, was der Königsberger Philosoph, der ja aus Königsberg nie herausgekommen ist, geschrieben hat in seinem Traktat "Zum ewigen Frieden". Dort stehen Sätze, die heute noch in einem EU-Vertrag, nämlich im Lissabon-Vertrag, stehen könnten. Bei Kant heißt es, kein Friedensschluss soll für einen solchen gelten, der mit einem Dolus eingegangen wird, der also mit der Absicht eingegangen wird, bestimmte wichtige Teile eines Vertrags klammheimlich zu leugnen oder umzudeuten. Ich habe damals einen kleinen Beitrag dazu leisten können, zwar nicht die Politik von Helmut Schmidt primär umsetzen zu können – denn das war die Sache des Parlaments und seiner Minister –, sie dafür aber begreiflich zu machen. Denn viele Irritationen, viele Frustrationen der Wähler rühren ja daher, dass die Probleme so ungemein kompliziert sind, mit denen wir es heute zu tun haben. Und natürlich muss man hier sofort wieder das Thema der Globalisierung einflechten: dass wir heute viele Probleme mit nationalen Regierungen gar nicht mehr lösen können, dass wir angewiesen sind auf die Hilfe, die Unterstützung, die Solidarität der anderen. Es kommt also darauf an, Politik durchsichtig zu machen: Die Modephrase hierzu lautet "Transparenz". Das war meine Aufgabe. Vielleicht ist genau das im Zusammenhang mit der Schröderschen "Agenda 2010" nicht gut genug gelungen, sodass dann manche, die zunächst einmal einem so begabten Politiker wie Gerhard Schröder – auch er ist ja ein wahrer Homo politicus – zugejubelt hatten, gesagt haben: "Das ist ungerecht, was der da macht!" Und dennoch steht bis heute für mich fest – das steht auch für den Bundespräsidenten oder für einen Sozialdemokraten wie Franz Müntefering fest –, dass das der richtige Ansatz war. Es hat auch etwas gebracht; aber das wurde – und nun benutze ich ein Wort, das ich eigentlich gar nicht schätze, Herr Reuß – nicht richtig verkauft, es wurde den Menschen nicht verständlich gemacht. Sie glaubten, das sei ein Anschlag auf die soziale Gerechtigkeit. Aus diesem Grund kam es dann zum Frust bei vielen Wählern. Reuß: Liegt das auch ein bisschen an dem, was Sie eingangs sagten, nämlich an den Medien, die vielleicht eher auf eine Personalisierung der Politik ausgerichtet sind? Die Politiker reagieren darauf z. T. ja auch. Lothar Späth, der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident, meinte einmal auf die Frage, welcher Politiker denn Filmstar werden könnte: "Die meisten, aber in ungewollten Rollen." Und der ehemalige Bundesgeschäftsführer der SPD Peter Glotz sagte einmal: "Der Unterschied zwischen einem Schauspieler und einem Politiker ist heute graduell, nicht prinzipiell." Würden Sie dem zustimmen? Bölling: Ich habe Peter Glotz sehr geschätzt. Natürlich ist das eine Wahrheit, aber ich würde sie doch relativieren wollen. Mein großer Hamburger Freund, also Helmut Schmidt, hat einmal gesagt: "Ich agiere ja manchmal als Staatsschauspieler." Selbstverständlich macht man das als Politiker – und als Kanzler zumal. Das Fernsehen ist ja auch seit Jahrzehnten das entscheidende Medium. Aber wenn ein Politiker nichts weiter ist als ein talentierter Schauspieler, wenn er nichts weiter ist, als einfach nur gut aussehend oder sehr charakteristisch oder lediglich mit einer Nase wie weiland Cyrano de Bergerac auffällt oder durch besonders geschmackvolle oder geschmacklose Krawatten, dann würde das auf keinen Fall ausreichen: Da muss schon auch Substanz sein. Bei einem Mann wie z. B. Strauß war Substanz und rhetorische Qualität und komödiantische Qualität. All das galt auch für seinen Hamburger Gegenspieler. Aber wenn man dem Publikum nicht Argumente liefert, die das Publikum auch verstehen kann, dann wird das nichts. Die politische Sprache darf dabei natürlich keine populistische Sprache sein, es muss nur eine populäre Sprache sein. Als Protestant kann ich sagen, die politische Sprache muss im besten Sinne so sein, wie Luther gesprochen hat. Denn Phrasen werden sehr bald durchschaut. Nein, allein mit komödiantischen Talenten kann man keine Wähler gewinnen und Fernsehzuschauer beeindrucken. Reuß: Wir werden gleich noch einmal zur Politik zurückkommen, aber für den Moment würde ich gerne eine kleine inhaltliche Zäsur machen und den Zuschauern den Menschen Klaus Bölling näher vorstellen. Sie sind am 29. August 1928 in Potsdam geboren, Ihr Vater war Verwaltungsjurist. Sie kommen aus einer deutsch-jüdischen Familie, Ihre Mutter wurde ihrer jüdischen Herkunft wegen von den Nazis verfolgt und nach Auschwitz deportiert. Sie waren fünf Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen, und knapp 17, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Wie erinnern Sie Ihre frühe Kindheit? Wie war Ihr Elternhaus? Wie sind Sie aufgewachsen? Bölling: Wie viele andere Eltern in Deutschland, bei denen ein Elternteil aus einer jüdischen Familie kam, hat man die Söhne – denn es ging diesbezüglich wesentlich um die Söhne – sich so entwickeln lassen wie alle anderen Jungs auch. Das heißt, ich bin mit zehn