Martin Hannes Graf

Sprachkontakt, Kulturkontakt und die niederger¬ manischen Matronen-GottheitenMatronen-Gottheiten11

1. Einleitendes

Die rheinischen Matronen(bei)namen des zweiten und dritten Jahrhunderts bilden in der Sprachkontaktforschung und der historischen Sprachwissen¬ schaft eher ein Randthema/ Auch in der vergleichenden Religionsgeschichte (der römischen Provinzen) wird dem Matronenkult erst in jüngerer Zeit ver¬ mehrte Aufmerksamkeit geschenkt.' Dabei sind, Varianten nicht berücksich¬

1 Die vorliegende Studie konnte im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts „Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen. Historische Perspektiven“ (Universität Zürich) erarbeitet werden. Eine nennenswerte Ausnahme bildet in der jüngeren Standard- und Lehrbuch¬ literatur wohl nur Scardigli, Piergiuseppe: Der Weg zur deutschen Sprache. Von der indogermanischen zur Merowingerzeit (Germanistische Lehrbuchsammlung 2), Bern 1994, S. 163-174. Spezialliteratur wird an Ort und Stelle genannt. Besonders erwähnt sei jedoch bereits vorab Mees, Bernard: „Early Rhineland Germanic“, in: North-Western European Language Evolution 49 (2006) S. 13-49 Vgl. Gschlößl, Roland: Im Schmelztiegel der Religionen. Göttertausch bei Kelten, Römern und Germanen, Mainz 2006, passim sowie besonders S. 47-59. Zentral sind die Beiträge des Göttinger Akademiekolloquiums von 1987 in dem Sammelband Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nord¬ europas (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987. Daneben siehe insbesondere Spickermann, Wolfgang: „Die germanischen Provin¬ zen als Feld religionsgeschichtlicher Untersuchungen“, in: Wolfgang Spickermann (Hg.): Religion in den germanischen Provinzen Roms, Tübingen 2001, S. 3-47; Spickermann, Wolfgang: Germania Superior. Religionsgeschichte des römischen Germanien I (Religion der Römischen Provinzen 2), Tübingen 2003. Es scheint zudem, dass mit dem Projekt F.E.R.C.A.N. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die Matronenreligion jedenfalls in ihrer keltischen Ausprägung wachsende Beachtung erfährt. Vgl. dazu etwa Häussler, Ralph: „Alte und neue Götter in der Römischen Provence“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels (Hg.): Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Work¬ shops „Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae“ (F.E.R.C.A.N.) vom 4,- 6.10.2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9), Möhnesee 2005, S. 59-93, besonders S. 79f., und andere in demselben Tagungsband veröffentlichte Beiträge. Einen ganz wesentlichen For¬ schungsfortschritt bietet darin insbesondere Spickermann, Wolfgang: „Keltische Götter in der Germania Inferior? Mit einem sprachwissenschaftlichen Kommentar 399 *5

tigt,schiedene in einem Kultnamen* verhältnismäßig 45 großen Raum zwischenvon Rhein,Matronengottheiten Maas und Moselbezeugt,dieGesamtzahlallein mit einem Zentrum zwischen Köln, Bonn und Aachen weit über hundert ver¬ schiedene Kultnamen 4 von Matronengottheiten bezeugt, die Gesamtzahl allein der niedergermanischen und keltischen Matronennamen beläuft sich auf über 1300 Belege. Die Namen liegen zudem, da sie in Stein gemeißelt sind, in Ori¬ ginalüberlieferung vor und bedürfen zu ihrer Beurteilung keiner überliefe¬ rungsgeschichtlichen Kunststücke, wenngleich die epigraphische Arbeit an gut 1700 Jahre alten Denkmälern mit mancher Schwierigkeit der Wiederher¬ stellung und korrekten Lesung konfrontiert ist. Was die Edition der Denkmä¬ ler anbelangt, so ist man zu einem großen Teil auf die verstreuten Fundberich¬ te und Einzeluntersuchungen angewiesen; immerhin sind aber äußerst viele der Inschriften unter anderem in den Teilbänden von CIL XIII sowie in der „Epigraphischen Datenbank Heidelberg“ (EDH) leicht aufzufinden, und nebst der Monographie von Siegfried Gutenbrunner von 193681936 8 liefert insbesondere Reicherts Lexikon6Lexikon*6 zu den germanischen undzudeneinemgermanischenTeil derundkeltischeneinemTeilderkeltischen Namen die detaillierten Angaben zu Fundorten, zum Dedikantenkontext, zu Lesarten sowie weitere kleine Hilfen für die Arbeit an den Namen. Im Folgenden soll ein Ausschnitt aus der reichen Überlieferung von Matro¬ nennamen unter kontakt- respektive interferenzonomastischen Gesichtspunk¬ ten betrachtet werden, wobei insbesondere real- beziehungsweise kultur- und religionshistorische Hintergründe mit zu berücksichtigen sein werden, da das betreffende Gebiet in den ersten Jahrhunderten nach Christus in ganz besonde¬ rem Ausmaß von einer sprachlichen, ethnischen und religiösen Vielfalt ge¬ 8 prägt war.8war .

von Patrizia de Bemardo Stempel“, in: ebd., S. 125-148.

4 Nach der Terminologie von Hainzmann, Manfred: „Götter(bei)namen - Eine An¬ näherung“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels (Hg.): Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen Workshops „Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae" (F.E.R.C.A.N.) vom 4.-6.10.2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9), Möhnesee 2005, S. 1-14, hier S. 5. 5 Gutenbrunner, Siegfried: Die germanischen Götternamen der antiken Inschriften. (Rheinische Beiträge und Hülfsbücher zur germanischen Philologie und Volks¬ kunde 24), Halle a. d. Saale 1936.

6 6 Reichert, Hermann: Lexikon der altgermanischen Namen. 1. Teil: Text (Thesaurus Palaeogermanicus 1), Wien 1987.

Manche Einträge bei Reichert (wie Anm. 6) sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, vgl. dazu Graf, Martin Hannes: Schaf und Ziege im frühgeschichtlichen Mittel¬ europa - Sprach- und kulturgeschichtliche Studien (Archaeolingua, Main Series 19), Budapest 2006, S. 69. x Vgl. Weisgerber, Leo: Die Namen der Ubier (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 34), Köln / Opladen 1968, S. 268 und passim. 400 12

2. Die religiöse Welt der Spätantike am Rhein Über die Religionen und die Religiosität in den römischen Nord- und West¬ provinzen sind wir dank schriftlicher Aufzeichnungen und insbesondere materieller Hinterlassenschaften im Allgemeinen recht gut unterrichtet, ob¬ schon sich dem heutigen Betrachter die Kultpraktiken selten in allen Einzel¬ heiten erschließen. Die Religion der römischen Antike nördlich der Alpen ist nebst ihrer unbestreitbaren intellektuellen Seite immer auch stark von materi¬ ell-sichtbaren Aspekten geprägt, von Praktiken, die ins Spektakel, in die öffentliche, kollektive Frömmigkeit mündeten, deren Überreste sich dem mo¬ dernen Betrachter noch immer in den monumentalen Sakralbauten, den Kult¬ stätten oder auch den filigranen Votivgaben präsentieren. Prominente Denk¬ mäler einer solchen wenig privaten und vielfach prunkvollen und politisch und militärisch instrumentalisierten Religiosität sind beispielsweise die häufi¬ 9 gen, viele Meter hohen Jupitergigantensäulen.9Jupitergigantensäulen . Glaubenspraktiken und Litur¬ gien' sind schwer zu rekonstruieren, doch tritt uns in vielen der Steindenkmä¬ ler auch eine reiche Bilderwelt entgegen, die, so nimmt die Forschung an, auch tatsächliche religiöse Aktivitäten wie Opferhandlungen, Kultmahlzeiten und ähnliches wiedergebenwiedergeben1010 und damit einen kleinen, doch nicht unbedeuten¬ den Einblick in die Welt der spätantiken Religiosität ermöglichen. Die äußerst komplexen und beweglichen ethnischen Verhältnisse in den Nord- und West¬ 11 provinzen offenbaren eine bemerkenswerte Vielzahl von Religionsformen,11Religionsformen , ein Nach-, Neben- und Miteinander religiöser Praktiken und Moden, Hundert¬ schaften von Göttern, die in ihrer demonstrativen Publizität gleichzeitig wiederum eine Art ,Religion als Privatsache' markieren, insofern die Durch¬ führung von und die Teilnahme an religiösen Praktiken zwar zur römischen Bürgerpflicht gehörte, es aber einer Vielzahl von Personen freigestellt blieb, welche Götter sie in welchem Zusammenhang zu verehren gedachten. Ein Söldner aus dem Orient durfte problemlos Mithras verehren oder andere dii

patrii,patrii , ja Soldaten scheinen in ihren Mannschaftsunterkünften gar private Kultnischen oder ganze dem Privatkult vorbehaltene Sakralbezirke zur Verfü¬

1 ' gung gehabt zu haben,1'haben, während sie in ihrer Eigenschaft als römische Bürger

9 Dazu vgl. Bauchhenss, Gerhard / Noelke, Peter: Die Iupitersäulen in den germa¬ nischen Provinzen (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande/Beiheft 41), Köln 1981.

10 Zu letzteren etwa vgl. Herz, Peter: „Matronenkult und kultische Mahlzeiten“, in: Peter Noelke (Hg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und Inschriften des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII. internationalen Colloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunst¬ schaffens, Köln, 2. bis 6. Mai 2001,2001 , Mainz 2003, S. 139-148

11 11 Vgl. Gschlößl: Schmelztiegel (wie Anm. 3), S. 12-26. 12 Vgl. Höpken, Constanze: „Ein Lamm im Topf: Zeugnisse von Kultausübung im Flottenlager Köln-Alteburg“, in: Archäologisches Korrespondenzblatt 36 (2006) S. 401 *151617

gleichzeitig am Kaiserkult teilzunehmen hatten. Bestimmte Berufsgruppen derdurften Gestalt ihre dergenii inschriftlich verehren, undbelegten einheimische Epiklesen* lokale 1417 mitteleuropäische Reli¬ aufmehrerenEbenenals gionsformen der indigenen keltischen und germanischen Bevölkerungs¬ gruppen lebten ebenso weiter oder formierten sich neu und reihten sich in den

1 ' Religionenpluralismus ein.1'ein. Zu letzteren gehört der Matronenkult, der sich in der Gestalt der inschriftlich belegten Epiklesen 14 auf mehreren Ebenen als Produkt einer kulturellen Kontaktsituation erweist, in der sich Römisches, Keltisches, Germanisches und wohl auch vorindogermanisches Substrat traf, vermischte und gegenseitig zu neuen Formen anregte. Wolfgang Spickermann konnte zeigen, dass unter den Religionsgruppen, die er schematisch nach den epigraphischen Zeugnissen in ,römisch', .öffentlich', .Kaiserkult', .militä¬ risch', .bodenständig' und .orientalisch' einteilte, die .bodenständige' Gruppe den mit Abstand größten Anteil an den bezeugten Religionen der Germania 1:1 Inferior hatte.1:1hatte . Und in der bodenständigen Gruppe sind die (germanischen) Matronenweihungen in Niedergermanien mit 49 Prozent aller Weihungen wiederum am häufigsten."' Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch die Matronenweihungen bei aller Bodenständigkeit in römischem Gewand daherkommen, insofern sie das Medium der epigraphischen lateini¬ schen Schriftlichkeit verwenden. Sie sind „gleichermaßen Zeugnis der Roma¬ nitas und finanziellen Potenz der Weihenden, die damit ein votum dokumen¬ tierten.“1tierten .“ 1 In den Inschriften kommen progressive Züge der sprachlichen Wiedergabe einheimischer Eigentümlichkeiten, wie beispielsweise das so 18 19 genannte „halbe H“ (4),18(4 ), das gestrichene B19B oder germanische Flexions¬ formen, nur zögerlich zum Ausdruck oder konnten sich nicht durchsetzen. Ferner hatten erzwungene oder freiwillige Siedlungsumlagerungen und damit verbundene neue ethnische Zusammensetzungen zur Folge, dass eine Zerglie¬ derung der religiösen Ausdrucksformen eintreten konnte und die wohl zentrale Funktion der Matronen, die Schutzfunktion, neue Bereiche für sich erschließen konnte. Spickermann drückt es treffend wie folgt aus:

83-90, besonders S. 87.

1 ’ 1 ’ Dazu Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 147 prägnant: „Der Mensch der da¬ maligen Zeit war unter religiösen Aspekten sicherlich kein eindimensionales, son¬ dern eher ein polyvalentes Wesen.“

14 14 Zur Terminologie vgl. Hainzmann: „Götter(bei)namen“ (wie Anm. 4).

15 15 Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 128.

16 16 Ebd., S. 127.

17 Ebd.

Ix Ix Vgl. dazu Vennemann, Theo: „4“, in: Sprachwissenschaft 19 (1994) S. 235-270. 19 halamard[o], CIL XIII, 8707.

402 *

[D]ie Schutz- [sic] und lebensspendende Funktion der göttlichen Ahnfrauen konnte durch neue Gruppenbildungen von der ursprünglichen Trägergruppe

abstrahiert und auf römische vici,vici , auf Flüsse und Gewässer, an denen man nun¬ mehr siedelte, oder auch auf größere Personen verbände bezogen werden.werden.2020 Dieser wesentliche Punkt ist, auf Sprachliches übertragen, im Rahmen interferenzonomastischer Grundsätze dahingehend zu präzisieren, dass die Integration fremder Elemente ins eigene System bereits onymisiertes Material umfasst haben kann. Deswegen sind Hybridbildungen, wie sie unten noch zur Sprache kommen werden, teilweise nur in ihrer Oberflächenstruktur als solche zu verstehen respektive setzen nicht zwingend Zwei- oder Mehrsprachigkeit voraus. Gebilde dieser Art sind streng genommen nicht mehr als Namen im engeren Sinne anzusprechen, da sie in der Art einer lokalen Deixis lexika¬ lische Bedeutungen übernehmen. Hier bietet es sich daher umso mehr an, von adjektivischen Beinamen oder Epitheta zu sprechen. Ferner sind nach dem Gesagten ethnische Zuordnungen in den meisten Fällen unmöglich, weswegen sich als terminologische Feinheit der neulich geprägte Begriff sprach-germa- nisch für in phonologisch-morphologischer Hinsicht ,Germanisches4,Germanisches 4 anbie¬ 21 tet.21tet . Hinsichtlich der Religionsformen kann wohl dasselbe gesagt werden: Bei allen Unwägbarkeiten in der ethnischen Bestimmung der in den Epiklesen überlieferten Dedikantennamen ist deren gelegentlich nachzuweisende sprach¬ liche Eindeutigkeit kein Garant für eine tatsächlich bodenständige4bodenständige 4 Religions¬ ausübung. Interferenzen, Überlagerungen, Fluktuationen dürften an der Tages¬ ordnung gewesen sein - umso mehr, als ein eklektizistisches Religionsver¬ ständnis in den Funktionsgleichheiten der indogermanischen Götterwelten an¬ gelegt war, wie sie von Georges Dumézil seinerzeit nachgewiesen wurden, selbst in fremden oder neu geschaffenen Religionen wie den populären Myste¬ rienkulten (Mithras, Eleusis, Sarapis, Isis usw.). Henotheistische Ausprä¬ gungen wie der Mithraskult dürften sogar die Basis für den Erfolg des Christentums gelegt haben, das seinerseits synkretistischen Prozessen gegen¬ über offen war (s.u.). Auf das bekannte Phänomen der Interpretatio Romana 22 kann hier nicht eingegangen werden;22werden ; *es sei im Hinblick auf die Matronen¬ esseiimHinblickaufdieMatronen¬ religion nur erwogen, dass beispielsweise Epitheta mit hydronymischem Kern

20 20 Spickermann: „Keltische Götter'Götter'44 (wie Anm. 3), S. 130. A A Der meines Wissens von Albrecht Greule geprägte Terminus sprach-germanisch beruht auf einem nomenklatorischen Kompromiss, der sich in einer von Archäolo¬ gen, Historikern und Linguisten geführten Diskussion um ethnische Aussagemög¬ lichkeiten im Hinblick auf die Frühgeschichte der Thüringer ergeben hat und der sich in der Folge als verhältnismäßig praktikabel erwiesen hat.

Zur formal-systematischen Analyse dieses Phänomens auf sprachlicher Ebene vgl. Hainzmann: „Götter(bei)namen“ (wie Anm. 4), S. 6f.

403 *25

durchaus mit mediterranen Nymphen zu vergleichen sein dürften respektive umgekehrt, dass mediterrane Nymphen die (sprachliche) Gestalt transalpiner Matronen annehmen konnten.''

3. Geographische Verbreitung und soziale Hintergründe des Matronenkults gert),*Die Verehrung26 sondern dervon seitMatronen der Kaiserzeit ist, abgesehen auch durch von massiveeiner gewissen römische Streuung Präsenz nach Britannien, Hispanien und Südgallien, insbesondere auf Norditalien und den römisch besetzten Teil Germaniens (insbesondere Niedergermanien) und Ostgallien zwischen Rhein und Maas beschränkt, und hier wiederum beson¬ ders konzentriert im Gebiet der Ubier um die römische Colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA), das heutige Köln. Damit gehört das Matronenkult¬ wesen ganz zentral in einen europäischen Kemraum, in den nicht nur die viel ' 4 2? behandelte keltisch-germanische KontaktzoneKontaktzone'4 mit den Germani Cisrhenani2?Cisrhenani fallt (die sich überdies teilweise mit dem dubiosen Nordwestblock überla¬ 26 gert), sondern der seit der Kaiserzeit auch durch massive römische Präsenz bereichert wurde - ein Gebiet notabene, das im Gegensatz zum westlich gelegenen Nordgallien sprachlich kaum romanisiert wurde. Wie in Ober¬ germanien finden sich die meisten epigraphischen Zeugnisse denn auch in Niedergermanien im Bereich der größten militärischen Präsenz an den Reichs¬ 2 grenzen.2grenzen . Bekanntermaßen erlebte das Matronenkultwesen gerade im ubi- schen Raum eine seiner größten Blüten, doch hat man durch die Umsiedlung der Ubier vom linken auf das rechte Rheinufer (38 vor Christus) nur mit einer

2 ’ 2’ Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 145 verweist auch auf die Wesensmobilität der Campestres, die in Afrika als di Campestres, in Spanien als Mars Campester,Campester, nördlich der Alpen als Matres Campestres,Campestres , Beschützerinnen des Exerzierplatzes, wiedergegeben werden konnten. 4 Dazu vgl. insbesondere Rübekeil, Ludwig: Diachrone Studien zur Kontaktzone zwischen Kelten und Germanen (Sitzungsberichte/Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 699), Wien 2002. 25 Vgl. Lund, Allan A.: Die ersten Germanen. Ethnizität und Ethnogenese. Heidelberg 1998, S. 42-50; Weisgerber, Leo: Rhenania Germano-Celtica. Gesammelte Ab¬ handlungen,handlungen , Bonn 1969, S. 275-296. 26 Vgl. Meid, Wolfgang: „Hans Kuhns ,Nordwestblock'-Hypothese. Zur Problematik der ,Völker zwischen Germanen und Kelten*, in: Heinrich Beck (Hg.): Germanen¬ probleme in heutiger Sicht (Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergän¬ zungsbände 1), Berlin / New York 1986, S. 183-212. Die ausführliche erste Präsen¬ tation der Hypothese bei Hachmann, Rolf / Kossack, Georg / Kuhn, Hans (Hg.): Völker zwischen Germanen und Kelten. Schriftquellen, Bodenfunde und Namengut

zur Geschichte des nördlichen Westdeutschlands um Christi Geburt,Geburt, Neumünster 1962; hier siehe insbesondere Karte 13 (o. S.).

2 Vgl. Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 126. 404 bedingten Kultkontinuität von vorrömischer Zeit in die Umiagerung nach Köln zu rechnen. Denn es ist davon auszugehen, dass die

Einführung römischer Verwaltungsstrukturen und der Zuzug von Siedlern aus anderen Reichsteilen Einfluß auf die religiöse Organisation hatte. Somit muß es sich [bei den Matronen] um Gottheiten mit umfassender Zuständigkeit für länd¬ lich geprägte soziale Gruppen gehandelt haben, die als Sippengottheiten mit derdiesen Garnisonen mitzogen am und Rhein.2'* sich auch * Und der sie neuen ist darüberKultorganisation hinaus das anpaßten. Produkt Wurden einer sieKon¬ etwa vorher in heiligen Hainen bzw. Bäumen verehrt, bekamen sie im Zuge der Romanisation Kultbilder und steinerne Heiligtümer in Form von Umgangstem¬ peln, wobei die von ihnen beschützte Sippe in einer als curia verfaßten Form das ,Kultmanagement' übernahm.2Sübernahm. 2S

Sozialgeschichtlich ist das Matronenkultwesen also, wie es in der Kaiser¬ zeit begegnet, das Produkt einer Umlagerung von einer ruralen in eine urbane oder jedenfalls organisiert rurale Situation der Villen-Ökonomie im Umkreis * der Garnisonen am Rhein. 2 Und sie ist darüber hinaus das Produkt einer Kon¬ solidierung von einer Miiitärgesellschaft zu einer Zivilgesellschaft ab der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, in der römische Veteranen, in einer Art Ausbauphase der Umlandbesiedlung'* von Köln, Italisches und Indigenes zu einer neuen religiösen Ausdrucksform veredelten. Die Namen der Gottheiten reflektieren dabei, vereinfacht ausgedrückt, die alten, ihr Überlieferungskon¬ text (Steininschriften) die neuen Gegebenheiten. Sicher ist dabei, dass die ein¬

N N Spickermann: „Die germanischen Provinzen“ (wie Anm. 3), S. 31. Ähnlich Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 129. Vgl. dazu auch Derks, Ton: Gods, Temples and Ritual Practices. The Transformation of Religious Ideas and Values in Roman GauI (Amsterdam Archaeological Studies 2), Amsterdam 1998, S.

122.122 .

29 Zur Ortsumlagerung gehört ebenso der oft betonte Einbezug der ehemaligen, für eine ländliche Gesellschaft charakteristischen Baumkultstätten in die neuen rö¬ mischen Umgangstempel. Bäume bilden darüber hinaus die häufigsten ornamen¬ talen Beigaben auf den Matronensteinen. In den Namen selbst ist der Baum eben¬ falls bisweilen ausgedrückt, so in den Beinamen Dervonnis und Dervonihus (CIL 5, 5791, Mailand) beziehungsweise Alatervis (CIL 7, 1084, Cramond) mit keltischem *deruos- beziehungsweise germanischem *trewan- ,Baum‘ oder ,Eichef Vgl. dazu auch von Petrikovits, Harald: Aus rheinischer Kunst und Kultur. Auswahlkatalog des Rheinischen Landesmuseums Bonn (Kunst und Altertum am Rhein 9), Düssel¬ dorf 1963, S. 58. Zur Bedeutung der Baumomamentik vgl, nun aber neu auch Bauchhenss, Gerhard: „Ziegel, Vögel, Baum und Schlange. Zu den Rückseiten zweier Matronenaltäre vom Bonner Münster“, in: Wolfgang Spickermann / Rainer Wiegels (Hg.): Keltische Götter im Römischen Reich. Akten des 4. Internationalen (Hg.): “ Workshops ,, Fontes Epigraphici Religionis Celticae Antiquae “ (F.E.R.C.A.N.) vom 4.-6.10.2002 an der Universität Osnabrück (Osnabrücker Forschungen zu Altertum und Antike-Rezeption 9), Möhnesee 2005, S. 149-163, hier besonders S. 154f. und passim.

405 32

heimischen Kulte dazu dienten, „einen Teil der ethnischen und persönlichen Identität zu bewahren, nicht in der Vielfalt anderer religiöser und ethnischer Gruppen aufgesogen zu werden, sondern als Thraker oder Syrer in einer zunächst fremden Umwelt bestehen zu können“ - wie es etwa Peter Herz für 30 Soldaten aus dem Osten formuliert.30formuliert . Greg Woolf geht in dieser Beziehung gar noch einen Schritt weiter und vermutet im Matronenkult eine bewusste Reaktion auf den Kosmopolitismus der germanischen Provinzen im spätrömi- sehen Reich, einen gesteigerten Regionalismus und führt dazu den Vergleich mit neuzeitlichem religiösen Fundamentalismus. Die MatronenMatronennamennamen seien dabei in ihrem klassisch römischen Überlieferungskontext „something of a 31 shock“, der aber „deliberately engineered“ sei,31sei , 32und ferner: „The goddesses undferner:„Thegoddesses are enigmatic, their epithets unfamiliar, perhaps ostentatiously difficult to 3 " pronounce.“pronounce.“3" Damit ist eine relativ radikale Sichtweise eröffnet, die aber in ihrem Kern durchaus bedenkenswert ist, insofern die Gruppenvereinzelung, wie ich sie hier nennen möchte, nicht in jedem Fall in einer frühgeschichtlich- vorrömischen Bevölkerungsstruktur verwurzelt sein muss, sondern das Bild einer noch nicht konsolidierten multiethnischen Gesellschaft darstellt. Deren Elemente stehen dabei nur bedingt in Widerstreit. Der Matronenkult repräsen¬ tiert einen Weg der Identitätsbewahrung zwischen römisch-imperialem Lebensstil und lokaler Verwurzelung, der so attraktiv war, dass er früh über fundamentalistische Züge hinauskam und ernsthafte Alternativen zum Kaiser¬ kult, zum klassischen römischen Religionswesen und anderen etablierten Reli¬ gionsformen bot. Die Matronenreligion entstand aber bei aller Produktivität und exotischer Attraktivität nicht aus dem Nichts heraus, sondern führte vielerlei Anlagen unterschiedlichster Ausprägung zusammen. Vor allem muss man davon ausgehen, dass eine - vielleicht präanthropomorphe - Form des Matronenkults beziehungsweise dessen religiöses Konzept schon vor dem Er¬ scheinen der Römer im Rheingebiet existiert hat."

311 Herz, Peter: „Einheimische Kulte und ethnische Strukturen. Methodische Über¬ legungen am Beispiel der Provinzen Germania Inferior, Germania Superior und Belgica“, in: Heinz E. Herzig / Regula Frei-Stolba (Hg.): Labor omnibus unus. Gerold Walser zum 70. Geburtstag dargebracht von Freunden. Kollegen und Schü¬ lern (Historia, Einzelschriften 60), Stuttgart 1989, S. 206-218, hier S. 207. 31 Woolf, Greg: „Local Cult in Imperial Context: The Matronae Revisited“, in: Peter Noelke (Hg.): Romanisation und Resistenz in Plastik, Architektur und Inschriften des Imperium Romanum. Neue Funde und Forschungen. Akten des VII. internatio¬ nalen Colloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens, Köln, 2. bis 6. Mai 2001, Mainz 2003, S. 131-138, hier S. 133.

32 32 Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 138.

Vgl. Herz: „Matronenkult“ (wie Anm. 10), S. 146.

406 4. Zeithorizont

Zeitlich manifestiert sich das Matronenkultwesen vor allem im 2. und 3. Jahr¬ hundert, wobei, wie angedeutet, einerseits ältere Vorstellungen aus einer schrift- und bildarmen Zeit vorausgesetzt werden müssen und andererseits die synkretistische Integration der immer als Dreiergruppen angerufenen Matro¬ nen ins Christentum dank christlicher Trinitätsvorstellungen im weiteren 34 Sinne nicht schwer gefallen sein dürfte.34dürfte . Es ist schwierig, einen Beginn des Matronenkultwesens anzusetzen, da Religionen im Allgemeinen weder einen Anfang noch ein Ende haben. Bei dem vorliegenden Phänomen ist es jedoch insofern sinnvoll, von einem ,Beginn4,Beginn 4 zu sprechen, als mit der römischen Kolonisierung der bevölkerungsarmen rechtsrheinischen Gebiete und dem Zuzug indigener Elemente tatsächlich eine regelrechte Religionsmode um sich zu greifen beginnt, die als Verquickung römischer Formen und indigener Vor¬ stellungen anzusehen ist. Nicht zu Unrecht spricht man deswegen bisweilen von einer „Neuschöpfung galloromanischer Religionssysteme“3>Religionssysteme“ 3> auf der Basis einheimischer Religionsformen, die aus der Kontaktsituation insbesondere an Orten ohne Bevölkerungskontinuität in rechtsrheinischen Gebieten ihre Ener¬ gie schöpfte. Von einem ,Ende‘ zu sprechen ist wiederum sinnvoll, insofern mit dem fortschreitenden 3. Jahrhundert das betreffende Gebiet einer zuneh¬ menden Verunsicherung und Bedrohung durch vermehrt erscheinende vor- und frühalemannische Gruppierungen anheim fiel, was letztlich die Verlegung der römischen Garnisonen zur Folge hatte. Mit der ,Entromanisierung4,Entromanisierung 4 ver¬ schwinden denn auch die Matroneninschriften und damit wenigstens die schriftlichen Manifeste jenes Phänomens.

4 Vgl. Zender, Matthias: „Die Verehrung von drei heiligen Frauen im christlichen Mitteleuropa und ihre Vorbereitungen in alten Vorstellungen“, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 213-228. Kemkes, Martin: „Bei allen Göttern... Gallorömische Religion an Neckar, Rhein und Donau“, in: Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg (Hg.): Impe¬ rium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau,Donau , Esslingen am Neckar 2005, S. 200-207, hier S. 200.

407 5. Ethnika

Das zu besprechende Gebiet kann in seiner indigenen Besiedlungsstruktur nur anhand der Kartierung von Völkemamen, die in antiken Texten erwähnt werden, ethnische Zuordnungen erfahren, was jedoch in vielerlei Hinsicht eine mit Unwägbarkeiten behaftete Angelegenheit ist. Die dem Tacitus-Kommen- tar von Rudolf Much beigegebene Karte etwa zeigt für das erste Jahrhundert 36 nach Christus in erster Linie eindeutig keltische Ethnonyme.36Ethnonyme . Die Tatsache, dass es sich bei einigen dieser Ethnonyme um die vieldiskutierten Germani

Cisrhenani handelt (,( Condrusi , ,Eburones , Caeracates, ,Paemani, Sunuces), trägt auch wenig zur Klärung der Verhältnisse bei. Bei den späteren Ubiern um Köln wenigstens dürfte die germanische Ethnizität unbestritten sein.'7sein.' 7 Innerhalb der römischen Bevölkerung und noch mehr innerhalb der mobilen römischen Armee muss zusätzlich mit weiteren, anderen Volksangehörigen gerechnet werden, wobei im rechtlichen Sinne, abgesehen von den Auxiliar- truppen, alle Soldaten der Legionärstruppen römische Bürger waren. Bildeten innerhalb der Legionen Italiker in der frühen Kaiserzeit den Hauptanteil, so wuchs im Laufe der Zeit insbesondere der Anteil der Südgallier stark an.

1 Unter den Auxiliartruppen waren die so genannten peregrini,peregrini , die ,Fremden1,,Fremden , vielfach zahlenmäßig überlegen, und man hat demnach mit Menschen aus allen Gegenden des Imperiums zu rechnen, von Spanien über Nordafrika bis 38 in den Orient und nach Britannien.38Britannien . Für den vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere die italischen und südgallischen Elemente von Interesse, denn Menschen aus diesen Gebieten könnten möglicherweise erheblichen Anteil an der Blüte des Matronenkultwesens in Niedergermanien gehabt 39 habenhaben.39. Sie könnten einheimische religiöse Traditionen mitgebracht haben,

M' M' Much, Rudolf / Lange, Wolfgang (Hg.): Die Germania des Tacitus. Erläutert von Rudolf Much. 3., beträchtlich erweiterte Aufl., unter Mitarbeit von Herbert Jankuhn, Heidelberg 1967 (Kartenbeilage o. S.). Vgl. auch die Karte bei Weisgerber: Namen der Ubier (wie Anm. 8), S. 6. Zur Identifizierung von nomen und gens in diesem Zusammenhang vgl. beispielhaft Rübekeil, Ludwig: „Canninefates.„Canninefates . Nomen und Gens in der keltisch-germanischen Kontaktzone“, in: Actas do XX. congreso inter¬ nacional de ciencias onomásticas, Santiago, 1999,1999, A Coruña 2002, S. 1237-1247. Zu den Ubiern vgl. immer noch Ewig, Eugen: „Die Civitas Ubiorum, die Francia Rinensis und das Land Ribuarien“, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 19 (1954) S. 1-28.

38 38 Siehe Karte bei Spickermann: „Die germanischen Provinzen“ (wie Anm. 3), S. 47.

’ 4 ’4 Bereits erwogen wurde, dass römische Veteranen aus Norditalien, insbesondere aus dem Po-Gebiet und dem Piemont, eine wichtige Funktion im Ausbau der Villen¬ ökonomie innegehabt haben und in diesem Zusammenhang einheimische Religions¬ formen mitgebracht haben könnten, ln einer sehr bedenkenswerten Hypothese drückt es Ton Derks: Gods, Temples (wie Anm. 28), S. 128, wie folgt aus: „It is also certain that, on completion of their term of Service, many soldiers did not retum to their native country, but married indigenous women and settled in the 408 *

die auf dem Weg der Interpretatio Germanica (allerdings in römisch-mediter¬ ranem Gewand) in der keltisch-germanischen Kontaktzone neue Ausdrucks¬ formen gefunden haben - ein Szenario, das besonders unter der Prämisse der keltischen ,Herkunft4,Herkunft 4 der Matronenreligion nicht unwahrscheinlich ist, gerade auch, weil cisalpin-keltische Traditionen in den Nordprovinzen Impuls gebend 40 gewirkt haben könnten.40könnten .

6. Gesellschaft und Sprache Man geht im Allgemeinen davon aus, dass hauptsächlich Angehörige der römischen Verwaltungsoberschicht, teilweise auch der Offiziersschicht und Personen der indigenen Bevölkerung an der Ausübung der Matronenkulte be¬ teiligt waren. Einen Zugang zu diesem Problembereich gewähren bis zu einem gewissen Grad die Namen der Dedikanten und Dedikantinnen, ferner sind auch kombinatorische Untersuchungen zu Altarqualität und Stand der Dedi¬ 41 kanten aufschlussreichaufschlussreich.41. Aufgrund der in den römerzeitlichen Inschriften so mannigfach zutage tretenden Personen, Personengruppen und Gottheiten hat man sich bisweilen noch weiter gefragt, ob aus diesen Quellen Informationen zur Gesellschafts¬ struktur in politischer, sozialer oder ethnischer Hinsicht gewonnen werden können. Es wurde beispielsweise in Erwägung gezogen, dass die aus der euro¬ 4 “ päischen Frühgeschichte bekannte Verehrung von Muttergottheiten4“Muttergottheiten auf eine

colonia or in the surrounding countryside. They quickly became completely estab¬ lished in the indigenous society and felt such a bond with it that they no longer regarded their place of birth, but the Ubian capital of Cologne as their home town, [...] In this process ,Ubian’ and Italic elements merged. The matrons of course kept their traditional native names: for the cult focused on material ancestors, and these were men who married into the community.“

40 40 Vgl. zu den keltischen Göttemamen in Niedergermanien insbesondere Spicker¬ mann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 136 mit weiterer Literatur.

41 41 Vgl. dazu grundsätzlich Weisgerber: Namen der Ubier {wie Anm. 8), passim sowie Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 385-411.

4 “ 4“ Polome, Edgar C.: „Some aspects of the cult of the mother goddess in western Europe“, in: Lee B. Jennings / George Schulz-Behrend (Hg.): Vistas and Vectors. Essays Honoring the Memory of Helmut Rehder,Rehder, Austin 1979, S. 193-208; Ders.: „Muttergottheiten im alten Westeuropa“, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner Jahrbücher des Rheini¬ schen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpfle¬ ge im Landschafts verb and Rheinland und des Vereins von Altertumsffeunden im Rheinlande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 201-212; Simon, Erika: „Griechische Muttergottheiten“, in: ebd., S. 167-169; Petersmann, Hubert: „Altgriechischer Mütterkult“, in: ebd., S. 172-199.

409 *

gynaikokratisch organisierte Gesellschaft schließen ließe. Das soll hier nicht problematisiert werden, aber auf jeden Fall ist es wahrscheinlich, dass es sich um Kulte handelte, die von einzelnen, auf erweiterter Familienbasis beruhen¬ 4. den Personenverbänden ausgeübt wurden.wurden.4. Darauf weisen insbesondere die Matronenbeinamen, die einen Lokal-, Gentil- oder Kuriaibezug aufwiesen 44 Wohlgemerkt bezieht sich dies aber nur auf die Kultpraxis selbst, nicht direkt auf die Namenbildung. Und damit kommt man für die Matronenepiklesen dem Kern der Dinge am nächsten: Sie sind - auch vor dem Hintergrund der oben unter den geogra¬ phischen Gesichtspunkten gemachten Beobachtungen - Ausdruck eines Grup¬ penbewusstseins, eines Gruppenverständnisses, wie es in dieser Dichte und Intensität für Kontaktsituationen ganz charakteristisch ist. Polyethnische und multikulturelle Gesellschaften tendieren zu einer Gruppenvereinzelung, in der die Gefährdung der Identitäten in der Ausbildung neuer kollektiver Bezugsfor¬ men gedämpft wird. Oder um es mit einem onomastischen Grundsatz zu sagen: Namengebung ist ein Akt von Individualisierung in einem Kontext, wo Individualität nicht mehr gewährleistet ist. Die Matronenbeinamengebung diente unter diesem Gesichtspunkt der regionalistischen Präzisierung und Dif¬ ferenzierung, die in Abgrenzung zum Kosmopolitismus teils seltsame Blüten treiben konnte. Typen von Bezugsformen der Matronenepiklesen verdeutlicht 4 ' folgende Übersicht.4'Übersicht.

4 ' 4' Rüger, Christoph B. „Gallisch-germanische Kurien“, in: Epigraphische Studien 9 (1972) S. 251-260.

44 44 Vgl. dazu Graf: Schaf und Ziege (wie Anm. 7), S. 90-93.

4 ' 4' Die Namenformen sind aus dem üblichen Dativ des Plurals in den Nominativ ge¬ setzt. Die Rekonstruktionen, Typisierungen und (Teil-)Deutungen beruhen, wo sie angegeben sind, zum größten Teil auf denen von Neumann, Günter: „Die germa¬ nischen Matronen-Beinamen“, in: Matronen und verwandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Lan¬ desmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Altertumsfreunden im Rhein¬ lande, Beihefte 44), Köln 1987, S. 103-132; sie berücksichtigen Etymologie und Morphologie der lexikalischen Kerne. Zur Morphologie der Suffixe und Suffixkon¬ glomerate vgl. Vennemann, Theo (gen. Nierfeld): „Morphologie der niederrheini¬ schen Matronennamen“, in: Edith Marold / Christiane Zimmermann (Hg.): Nord¬ westgermanisch (Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Ergänzungsbände 13), Berlin / New York 1995, S. 271-299.; ferner Mess: „Early Rhineland Germa- nic“ (wie Anm. 2) S. 19-27.

410 Beispiele für Lokalbezug: *mapla- (1) Mah(a)linehae (z.B. CIL XIII, 8221, Köln) &lt;—<— germ. *mapla- ,Ver¬, Ver¬ sammlung1sammlung 1 (2) Aumenahenae (z.B. CIL XIII, 12054, Köln), Nersihenae (CIL XIII, 7883, Jülich), Rumanehae (z.B. CIL XIII, 7869, Jülich) (Hydronyme) *Albiniacum (3) A/biahenae (z.B. CIL XIII, 7934, Ober-Elvenich) &lt;—<— *Albiniacum (Ortsname, Elvenich) (4) Iu/ineihae (CIL XIII, 7882, Müntz) &lt;—<— luliacum (Ortsname, Iulia- cum/Jülich) *töma-mais-to- (5) Tumaestiae (CIL XIII, 7902, Sinzenich) &lt;—<— *töma-mais-to- (Flurname, 4 etwa ,geschlagene Lichtung4)Lichtung )

<— ((6)6 ) [Suebae] Sidinae (EDH-Nr. HD001278, Köln) &lt;— (Flurname, etwa ,am 4 Flussufer4)Flussufer ) (7) Aviaitinehae (CIL XIII, 8531, Bürgel) &lt;—<— *axvi-aihti- (Flurname, etwa 4 Grundbesitz, wo es viele Schafe gibt4)gibt )

((8)8 ) Chuchenehae (z.B. CIL XIII, 12009, Merzenich) (Flurname, etwa 4 ,Hügel4),Hügel ) *medio- (9) Mediotautehae (CIL XIII, 8222, Köln) &lt;< germanisiert &lt;< kelt. *medio- 4 tout-ikä (Gebietsname, etwa ,zu beiden Seiten des Stammes wohnend4)wohnend )

Beispiele für Gentilbezug:

(10) Frisiavae (CIL XIII, 8633, Xanten) (&lt;—(<— Frisiavones; z.B. CIL VI, 32866, Rom) (11) Hamavehae (CIL XIII, 7864, Altdorf) (^- Chamavi; z.B. Tacitus, Annal. 13, 55, 2)

(12) Euthungae (CIL XIII, 8225, Köln) («— Euthungi;Euthungi; z.B. Amm. Marc. 17, 6,6 , 1)1 ) (13) Cantrusteihiae (z.B. CIL XIII, 3585, Hoeylaert bei Brüssel) (&lt;—(<— CortdrusF! Caesar, BG 2, 4, 10; Pagus Condrustis? CIL VII, 1073, Britannien)

Beispiel für Personalbezug: (14) Arvagastae (CIL XIII, 7855, Modersheim) &lt;—<— Arvagast (PN, z.B. CIL XIII, 8262, Köln)

41 1 *

Beispiele fur Kurialbezug: 46 (15) Gesahenae (z.B. CIL XIII, 7889, Rödingen) &lt;—<— Gesationes46Gesationes (EDH-Nr. HDO 14812, Jülich; hydronymisch?) 47 (16) Etrahenae (z.B. CIL XIII, 7890, Rödingen) &lt;—<— Etrates47Etrates (EDH-Nr. CuriaHD009439, Amratinna* Holzweiler; 4* (EDH-Nr. hydronymisch?) HD009436) (17) Austriahenae (z.B. EDH-Nr. HDO 16606, Morken-Harff) &lt;—<— Austriates (EDH-Nr. HDO 16612, Morken-Harff)

(18) Am(f)ratninehae (z.B. EDH-Nr. HD001335, Eschweiler-Fronhoven) &lt;-*<-*■ 4 * Curia Amratinna (EDH-Nr. HD009436) (19) Vacallinefijhae Leudinae (CIL XIII, 12020; EDH-Nr. HD027289, 49 Pesch)49Pesch) Die angegebenen Namentypen verdeutlichen, dass topo- respektive hydro- nymische Bezugsformen neben erweitert-personalen, insbesondere gentilen und kurialen eine beachtliche Rolle in der religiösen Organisation spielten. Die Namen drücken einen starken Bezug der Menschen zur natürlichen Umgebung aus; zum örtlich-naturlandschaftlichen Lebensraum ebenso wie zur sozialen Gruppe in verschiedener Abstufung. Darüber hinaus macht die Vielfalt und Diversifizierung der Gottheiten in günstigen Fällen auch deren Mehrfach¬ überlieferung - deutlich, dass sich die Bevölkerung des betreffenden Raumes auf keine einheitlich-ausgeglichene Struktur zurückführen lässt, sondern viel¬ mehr auf ein heterogenes Konglomerat von kleineren und größeren Kollektiven.

46 Alföldy, Geza: „Epigraphisches aus dem Rheinland II“, in: Epigraphische Studien 4 (1967) S. 1-43, hier S. 2-9.

4 4 Vgl. Rüger: „Gallisch-germanische Kurien“ (wie Anm. 43).

48 Vgl. ebd.

44 44 Kurialbezug unter der Voraussetzung, dass der Beiname Leudinae zu germ, *leudiz (vgl. zur Etymologie Orel, Vladimir: A Handhook of Germanic Etymology, Leiden Boston 2003, S. 242) zu stellen ist und damit zu einer nicht weiter spezifizierten Personengruppe, die sich über den Gruppencharakter als Vacallinehae-KurieVacallinehae-Kurie iden¬ tifiziert. Dies ist freilich nicht nachzuweisen, zumal mit Leudin- auch eine detopo- nymische Erweiterung vorliegen kann (zu Leudium, Leudiacum ~ Lüttich?), vgl. Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen (wie Anm. 5), S. 180, was dann lediglich besagen würde, dass die Verehrer der Vacallinehae aus Leudium,Leudium , Leudia¬ cum o.ä. stammen. Der Beiname ist dreimal bei den Vacallinehae in Pesch über¬ liefert, dazu scheint er auch dem Mercurius Leud[...Janus aus Derichsweiler bei Düren beigegeben worden zu sein (CIL XIII, 7859). Man könnte immerhin in Er¬ wägung ziehen, dass analog zu anderen Fällen der leudinische/leudicinische (leu- diacanische) Merkur ein männliches Gegenstück zu den leudinischen Vacallinehae darstellt, wie der Bonner gebrinische Merkur als Gegenstück der Aufanien aufge¬ fasst werden kann (s.u.).

412 52

Unmittelbaren Ausdruck von Sprach- und Kulturkontakt findet man in einigen sprachlichen Formen selbst. Inschriften sind, wie häufig beobachtet, von gesprochener Sprache ganz besonders intensiv durchdrungen, da sie durch keinerlei Überlieferungsabsichten geschönt worden sind. Dazu zählen in Kon¬ taktsituationen Unsicherheiten in der Flexionsmorphologie, wie denn allge¬ mein im Sprachkontakt das Kasussystem als erstes von einer gewissen Dege¬ 50 neration oder Kontamination betroffen istist.50. Gut sichtbar ist dies in der Ver¬ wendung des lateinischen Dativs Plural der femininen d-Stämme mittels Übergeneralisierung der Endung -bus bzw. -äbus statt der Endung -Ts in den adjektivischen, eigentlich vokalisch zu deklinierenden Beinamen, vgl. fol¬ gende Beispiele: (20) Matronis Octocannis (z.B. CIL XIII, 8571, Gripswald) &lt;-»<-»■ Matronis Octocannabus (CIL XIII, 8572, Gripswald)

(21) Matronis Atufrafmehis (z.B. CIL XIII, 7986, Berkum) «-«-► Matronis Atufrafinehabus (z.B. CIL XIII, 7985, Berkum) (22) Matronis Asericinehis (z.B. CIL XIII, 7978, Odendorf) &lt;~+<~+ Matronis Asericinehabus (z.B. CIL XIII, 7981, Odenhausen) Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die seltener auftau¬ chenden germanischen Flexionsendungen des späturgermanischen Dativs Plu¬ ral -ims &lt;< *-(i)miz mit früher Synkopierung und graphischer ^-Repräsentation der auslautenden Lenis:

(23) Matronis Saitchamims (ILS 4807, Hoven bei Zülpich) &lt;-»<-» Matronis Saitchamiabus (4807a, Hoven bei Zülpich)

(24) Matronis Aßims (ILS 4799, Wesseling) +-+ Matronis Aßiabus (ILS 4798, Köln) (25) Matronis Vatvims (z.B. CIL XIII, 7892, Rödingen) &lt;-<-► Matronis 51 Vatviabus (z.B. CIL XIII, 7891, Güsten bei Jülich)51Jülich )

Aus den Beispielen (20)-(22) wird nicht direkt ersichtlich, wie es zu der Flexibilität im Deklinationssystem gekommen ist. Es scheint aber, dass hier das Festlandkeltische zu der Heteroklisie beigetragen haben könnte, wie Bei¬ spiele aus dem gallischen Raum vermuten lassen/" Auch das klassische

50 Vgl. Riehl, Claudia Maria: Sprachkontaktforschung: eine Einführung, Tübingen 2004, S. 90.

51 Siehe dazu nebst der üblichen Literatur auch Philippson, Emst Alfred: „Neues über den Mütter- und Matronenkult am Niederrhein“, in: Modern Language Notes 65 (1959) S. 462-465. 52 Vgl. z.B. die gallischen Inschriften paxpeßo NapavoiKaßo oder EXavencaßo bei Schmidt, Karl Horst: „Die keltischen Matronennamen“, in: Matronen und ver¬ wandte Gottheiten. Ergebnisse eines Kolloquiums veranstaltet von der Göttinger 413 53

Latein kennt in gewissen Fällen feminine -äfo/.v-Ausgänge in der 1. Dekli¬ nation. Sie sind aus Paarformen zur Genusdifferenzierung bei normalerweise homonymen Kasussuffixen (dis et deäbus,ßlils et filiäbus) oder in Anlehnung an Fälle mit obligatorischen derartigen Formen ((duäbus,duäbus , ambäbus) entstanden ’ und haben sich später verselbständigt/ ’ Die Matronenbeinamen-Beispiele, die das Nebeneinander der Formen in engster räumlicher Nachbarschaft zeigen, sind aber eher als Flexionsunsicherheit denn als stilistische Variation zu anhandwerten. der beiden Saitchamiae-Weihungen53 54 vergegenwärtigt: Die Beispiele (23)-(25) zeigen einen noch weiter gehenden Sprachkontakt, insofern die belegten Dubletten Varianten desselben Namens in der Verschrif- tung in zwei Sprachen darstellen. Die Komplexität der Kontaktsituation wird in ihrem vollen Ausmaß ersichtlich, wenn man sich den medialen Prozess von der Auftragsvergabe bis zur anzunehmenden lllokution im Sinne einer realen Epiklese oder Invokation im Zusammenhang des religiösen Aktes beispielhaft anhand der beiden Saitchamiae-Weihungen 54 vergegenwärtigt:

55 4 -Germane 56 (a) Primus, Sohn des Freiatto,55Freiatto , letzterer wohl ein ,Sprach4-Germane,56,Sprach , und Quintus Cominius Primio, vermutlich aufgrund der ubischen -io--io- Ableitungen ebenfalls ein Germane, erfüllen ein Gelübde und beschließen, den von ihnen verehrten saitchamischen Matronen nach Erfüllung eines Wunsches einen Weihestein zu stiften: gern und nach Gebühr (libens merito). (b) Es wird ein nach (provinzial)römischem Vorbild herzustellender Weihestein in Auftrag gegeben: Die Stifter oder allfällige Mittels¬ personen fertigen eine Vorlage für den Steinmetz an. (c) Umsetzung des bereits formalisierten Weihespruchs in die Vorlage. Diese enthält die graphische Repräsentation des auszudrückenden Votivgeschenks in lateinischen Lettern.

(d) Spielraum in der Verschriftung bietet einzig der pluralische Götterbei¬

Akademiekommission für die Altertumskunde Mittel- und Nordeuropas, Köln 1987 (Bonner Jahrbücher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn und des Rheinischen Amtes für Bodendenkmalpflege im Landschaftsverband Rheinland und des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Beihefte 44), S. 133-154, hier S. 136 und besonders 139f.

53 Vgl. Meiser, Gerhard: Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache,Sprache, Darmstadt 1998, § 92,7c (S. 131).

54 54 ILS 4807 (Hoven bei Zülpich): Matronis / Saitchamims / Primus Freiat/tonis l. m. sowie ILS 4807a (ebd.): Matron(is) /Saitehamia[b(us)] Q. Cominius /Primio I. m. Siehe zur patronymischen Namengebung und zu diesem speziellen Fall Weisgerber: Namen der Ubier (wie Anm. 8), S. 136.

56 56 Vgl. Weisgerber ([1969] wie Anm. 41), S. 392.

414 name und dessen spezifische Kasuscinbindung in der Weihung. Auf dem einen Stein wird die lateinische, auf dem anderen die germanische Form des Dativs Plural gewählt.

(e) Die Inschrift wird durch den Steinmetzen nach der Vorlage ausgearbei¬ tet oder im unmittelbaren Rahmen der Weihung gefertigt (mit schrift- magischen Intentionen, dazu siehe sogleich). (f) Kommunikation mit den Gottheiten durch die Setzung des Steins - möglicherweise in einer Zeremonie, in der die Weihung nach der Art einer mündlichen Epiklese oder Invokation im Rahmen einer Opfer¬ feier oder dergleichen ausgesprochen wird. Zentral ist dabei der Aspekt der Auratisierung der Schrift: Der Steinblock als Manifest eines Gelüb¬ des wird durch die Schrift zum Medium. Die in Stein gemeißelte Schrift ist dabei nicht nur Informationsträger mit Bedeutungsfunktion, sondern sie ist im Wesentlichen Andacht und anrufende Verehrung. Dazu dienen die invokative Form und darüber hinaus insbesondere die Nennung des pluralischen Göttemamens (die angerufenen Göttinnen sind nach der traditionellen Etymologie ,Zaubergöttinnen1,Zaubergöttinnen 1 bzw. ,Göt¬ 4 57 tinnen, die durch Zauber ihre Gestalt ändern könnenkönnen4).57). Durch die im Text angelegte Beurkundung des Gelübdes ergibt sich also eine gestei¬ gerte Wirkungsmacht. Dabei kann der Klang des Namens durchaus im Sinne Woolfs als ,shock’ intendiert gewesen sein. Zusätzlich oder alternativ mag bei dieser Art der Schriftmagie auch die Beschriftung als Prozess bereits magischen Charakter besessen haben. Doch dies und alles Weitere entzieht sich unserer Kenntnis.

Der skizzierte hypothetische Prozess ist überlagert von mehreren sprach¬ lichen Problemen, die es zu beachten gilt. Fraglich ist beispielsweise, ob Pri¬ mus Freiattonis und Quintus Cominius Primo die tatsächlichen Personen¬ namen der weihenden Personen waren, oder ob sie für die epigraphische Form einer zusätzlichen Latinisierung unterzogen wurden. Zur Debatte steht auch, welche Überlegungen bei der ersten oder jeder neuen, selbständigen Ver- schriftung eines Göttemamens angestellt wurden und wie die erstaunliche Ein¬ heitlichkeit in der Namenschreibung erzielt wurde.5*wurde. 5 * Die Fragen lassen sich

Vgl. Gutenbrunner: Die germanischen Götternamen (wie Anm. 5), S. 163f., dazu auch Birkhan, Helmut: Germanen und Kelten bis zum Ausgang der Römerzeit. Der Aussagewert von Wörtern und Sachen für die frühesten keltisch-germanischen Kulturbeziehungen (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch¬ historische Klasse 272), Wien 1970, S. 473 (Anm. 1362), S. 532.

5f&lt;5f< Nota bene bei markanten Unterschieden der allgemeinen epigraphischen Ausar¬ beitung (vgl. Derks: Gods, Temples [wie Anm. 28], S. 130; Woolf: „Local Cult“ [wie Anm. 31], S. 131). Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 129, spricht in Bezug auf die Sprache von einem „Bemühen um eine der Phonetik ent¬ sprechende, möglichst genaue schriftliche Wiedergabe“ und führt dazu die Inschrif- 415 ohne direkte und eindeutige Zeugnisse nicht beantworten, doch sie machen deutlich, dass man es bei der Beurteilung der Sprachkontaktphänomene, wie sie in den Matroneninschriften zutage treten, mit zu vielen Unbekannten zu tun hat, als dass man allein aufgrund der Namen zu schlüssigen Resultaten gelangen könnte - weswegen in den obigen Abschnitten die sozial- und religionshistorischen Hintergründe etwas hervorgehoben wurden. Sicher ist einzig, dass in den Verschriftungsprozess eine Persönlichkeit involviert war, die des ,Germanischen4,Germanischen 4 mächtig war: Im Gegensatz zu den lateinisch flektierten Matronennamen, in denen grundsätzlich bereits onymisierte Nomi¬ nalstämme vorliegen können, die nicht zwingend von ,bodenständigen4,bodenständigen 4 oder ,indigenen‘ Personen verschriftet und in den Weiheprozess eingebunden worden sein müssen, setzt die Kenntnis germanischer Flexionsmorpheme Sprecher des Germanischen voraus, die man, überspitzt formuliert, außer in den drei Weihungen an die Saitchamims,Saitchamims , Aflims und Vatvims nirgends direkt greifen kann. 4 Insofern ist Theo Vennemanns Analyseverfahren durchaus stringent, denn verfolgt man dessen Vorgehen, so hat man es beinahe aus¬ nahmslos mit Namenbildungen zu tun, deren semantische ,Verstehbarkeit4,Verstehbarkeit 4 nicht mehr gewährleistet sein musste. Nach Vennemann liegen den Namen im Kern durchweg Hydronyme zugrunde, von denen wiederum Siedlungsnamen 1 " abgeleitet sind/sind/1" Die Ableitungen sind am Ende mit Ausnahme der genannten germanischen Flexionsformen (Dat. Plur.) und möglicherweise germanischen 4 61 ,Matronennamensuffixen,Matronennamensuffixen4 {-eh- &lt;< -/c-)61-/c-) immer lateinisch. Für die lexikali¬ schen Kerne werden von Vennemann in der Regel hydronymische Basen postuliert, die mit ihrer alteuropäischen Grundlage für die Beurteilung der Sprache der Matronenverehrer keine Rolle spielen. Vermeidet man eine solche Sichtweise und rechnet, wie oben in den Beispielen erwähnt, mit ver¬ schiedenen Typen von Ableitungsbasen und Zugehörigkeitsgruppen, so erge¬ ben sich trotz der gesteigerten Komplexität Auswegsmöglichkeiten. Weiter führen insbesondere Namen, die gewissermaßen hybrid sind, also Merkmale von zwei Sprachen aufweisen. Bei den Matronennamen sind es, wie gezeigt,

ten mit .halbem HH44 und andere sprachliche Spezifika ins Feld. Herz: Matronenkuli (wie Anm. 10), S. 147 und Anm. 39, betont insbesondere die „Varianzen bei der Wiedergabe der Vokale, wobei das Bemühen um eine möglichst getreue Wiederga¬ be aufschlußreich für die religiöse Mentalität“ sei.

Weitere (meines Erachtens unsichere) Beispiele für Matronenbeinamen mit -ims- Ausgang bei Vennemann, Theo: „Die mitteleuropäischen Orts- und Matronenna¬ 44 men mit f p, h und die Spätphase der Indogermania44,Indogermania , in: George E. Dunkel (Hg.): Früh-, Mittel-, Spätindogermanisch. Akten der IX. Fachtagung der Indogerma¬ nischen Gesellschaft vom 5. bis 9. Oktober 1992 in Zürich,Zürich , Wiesbaden 1994, S. 403-426, hier S. 404, mit eigenen Lesungen des Autors.

,>(l ,&gt;(l Vennemann: „Morphologie“ (wie Anm. 45). Kritisch dazu Herz: Matronenkult (wie Anm. 10), S. 144.

61 Vennemann: „Morphologie“ (wie Anm. 45), S. 275. 416 65

in der Regel drei Sprachen, von denen sich das Lateinische als Verschriftungs- oder Mittlersprache anhand der Flexionsmorphologie und der Lautsubstitu¬ tionsmechanik (beziehungsweise Graphemsubstitutionen) einfach ausblenden 62 lässt. Folgende Beispiele verdeutlichen diesdies:62:

(26) Seccahenis (CIL XIII, 8846, Euskirchen) &lt;< *sekkon-ikä- ((aa &lt;< o, Suffix¬ 63 substitution; PN Seccus o.ä.63)o.ä. )

(27) Boudunneihis (z.B. CIL XIII, 8217, Köln) &lt;< *bhoudhi-on-ikä sieg¬ 64 reich4reich654 (Suffixsubstitution),(Suffixsubstitution),germ, möglicherweisegerm,inmöglicherweiseBaudihillie in(GB)Baudihillie64(GB) (28) Vacallinehis (z.B. CIL XIII, 7952, Antweiler) &lt;< *upo-kall(i)-in-ikä <0 (kelt. callio ,HuP&lt;0),HuP ) (Va &lt;< uo [kelt. //7-Verlust],7 -Verlust], Suffixsubstitution) Die Namen zeichnen sich durch Lautsubstitutionen aus sowie insbesondere durch die Germanisierung von Suffixen. Dabei ist aber bei der Verschriftung nicht zwingend von Sprechern des Germanischen auszugehen, da es sich bei den lautlichen Differenzen um gewissermaßen verspätete Exonymbildungen handeln kann: Keltische Namen in germanischer Verwendung, lateinisch ver¬ mittelt. Keltisches Wort- und Namenmaterial wird also unter germanische Wortbildungsregeln gefasst, was die grundsätzliche Richtung des Sprach- kontakts demonstriert. Dies gilt ebenso für das oben angeführte Beispiel (13). Stellt man dem Matronennamen Cantrusteihiae das Ethnonym Condrusi oder den Gebietsnamen Condrustis gegenüber und geht in der anlautenden Silbe von urgerm. *ham- aus, so weist der Matronenname germ. ¿/-Vokalismus und -t- vs. -d- auf, der Anlaut hingegen zeigt weiterhin indogermanisch-keltischen Lautstand. Weitergebildet beziehungsweise in der zu erwartenden Ausprägung (allerdings mit kontaktassimiliertem n für m) erscheint das Präfix im Matro¬ nennamen Chantrumanehis (CIL XIII, 7968, Billig), der bisher jedoch ungedeutet ist. Die Forschung hat dabei argumentiert, dass das Matronenkultwesen insge¬ 66 samt keltischen Ursprungs sei,66sei , da ältere Belege ohne germanischen Kontext in Gallien und Oberitalien zu finden seien. Am Rhein sei durch römische Söldner gewissermaßen die Produktivität dieser Religionsform angeregt worden und auf die Germanen übergesprungen. Folgende Belege für einen

Rekonstrukte nach Schmidt: „Die keltischen Matronennamen“ (wie Anm. 52), S. 145f.

63 Vgl. Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 144 und Anm. 225.

64 64 Vgl. Reichert: Lexikon (wie Anm. 6), S. 128. 65 Vgl. Delamarre, Xavier: Dictionnaire de la langue gauloise. Une approche lingu¬ e istique du vieux-celtique continental (Collection des Hesperides), 2e2 édition revue et augmentée, Paris 2003, S. 98f.

66 66 Schmidt: „Die keltischen Matronennamen“ (wie Anm. 52), S. 149.

417 *68

Namenkontakt werden aber von der germanistisch orientierten Sprachwissen¬ schaft noch immer als in umgekehrter Richtung verlaufende Erscheinungen behandelt:

(29) Ollogabiabus (z.B. CIL XIII, 7280, Mainz) versus Alagabiabus (CIL XIII, 8529, Bürgel) (30) Ambiomarcis (CIL XIII, 7789, Remagen) versus Ambiamarcis (z.B. CIL XIII, 7898, Floisdorf) Dabei ist Alagabiabus wohl eher eine Germanisierung von kelt. gabi- &lt;< *gh h- 1 idg. *ghebh-eb ,geben1,,geben , da ja die o-Stufe gab- als Ableitungsbasis für Nomina agentis im Germanischen ungewöhnlich wäre. Überhaupt ist die primäre Ab¬ leitung von starken Verben sprachgeschichtlich die jüngere Bildungsweise; der a-Vokalismus als germanisches Charakteristikum ließe sich einzig dann rechtfertigen, wenn es sich nicht um eine Ableitung von der Verbalwurzel handelte, sondern um eine Ableitung vom dehnstufigen Nomen, doch ist diese Abstraktbildung erst jung bezeugt. Aktuell geht man daher eher von einer relativ konsequenten Germanisierung keltischer Theonyme aus und nicht von 6 einer Keltisierung germanischer Theonyme.6Theonyme . Im Falle von Ambiamarcis versus Ambiomarcis könnte sogar Ambio- die ältere germanische Form sein beziehungsweise Ambia- eine Flypergermanisierung darstellen, da idg. o als germ. o vor Bilabial artikulationsphonetisch durchaus plausibel gemacht wer¬ den kann, wie die ethnonymischen Beispiele Lang-o-bardi oder Marc-o- marmi zeigen.zeigen.6S6S Die bei einer Großzahl von Matronennamen erstaunlich durchgängige Behandlung der Ableitungsmorphologie, die germanischen Charakter hat, macht deutlich, dass der ubisch-niedergermanische Kult einen wesentlich sprach-germanischen Anteil besitzt, der nur mit sprach-germa- nischer Bevölkerung erklärt werden kann. Selbst nach Abzug von morpho¬ logischen Mechanismen (oder Modeerscheinungen), wie man sie allenfalls in den -ahenae-BWdungtn erkennen mag, bleibt doch die Vielzahl der germa¬ nischen oder germanisierten Theonyme an sich bestehen und verdeutlicht die große Wertschätzung, die die Matronengottheiten in der Bevölkerung ge¬ nossen. Im Zusammenhang mit den Germanisierungen sei ein letztes Beispiel gesondert behandelt:

6 1 6 Vgl. de Bemardo Stempel, Patrizia: „Indogermanisch und keltisch ,geben1:,geben : konti¬

nentalkeltisch Gabiae,Gabiae , gabi/gabas,gabi/gabas , keltib. gabizeti,gabizeti , altir. ro-(n)-gab und Zuge¬ höriges“, in: Historische Sprachforschung 118 (2005) S. 185-200, hier S. 191.

68 Dafür kann die Position von idg. o vor Bilabial verantwortlich gemacht werden oder aber der nicht haupttonige Mitteisilbenakzent, vgl. zu letzterem auch Ariouistus,Ariouistus , Charioualdus, XapwyaiaoiXapioptjpog bei Streitberg, Wilhelm: Urgermanische Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgermanischen Dialek¬ 4 te,te, Heidelberg 41974,1974, S. 46f, und S. 192,

418 *1

69 (3 1) Mercurius Gebrinius (Bonn69)(Bonn ) Der in jüngerer Zeit mehrfach behandelte, umstrittene Name des im Aufa- nienheiligtum von Bonn beheimateten [Mercurius] Gebrinius deutet nämlich als agentivische primäre -ro-Adjektivableitung von der erwähnten Verbal¬ wurzel mit dem ubischen Pseudogentilizium -inius (mit der morphologischen Basis germ. *-lnio-) auf germanische Provenienz. Der Beiname ist in mehr¬ facher Hinsicht bemerkenswert:

ll h 1. Er weist unter der Voraussetzung der angesetzten Wurzel *gllebh-*g eb - und phonologisch aufgrund des entgleisten Vokalismus {*g{*ghebh-hebh- anstelle *gfl h von zu erwartendem *gfleHbh-)eHb -) ins Germanische. Die weitere Deutung hängt davon ab, wie weit man eine Lexikalisierung ansetzen mag oder nicht. Geht man von der Primärbedeutung aus, so hat man, abzüglich des (im Zusammenhang mit Mercurius wohl Zugehörigkeit aus¬

4 drückenden) Genti 1 suffixes, von einer ungefähren Bedeutung ,Geber4,Geber oder aber eher: ,Zupacker4,Zupacker 4 auszugehen. Letzteres fuhrt über den Weg

4 der Lexikalisierung zu der Bedeutung ,männliches Zuchttier4,Zuchttier , und hierin wird man vermutlich den eigentlichen Kern des Beinamens zu verorten haben. Der Name ließe sich demgemäß als Gegenstück zu kelt. *gabros verstehen, das mit der Entfaltung der laryngalischen Wurzel zu a analog gebildet ist wie Gebr[ini]us. Die ¿/«-»^-Opposition ist durchaus - und nicht nur im Hinblick auf die Sprachkontakt- thematik - von Belang. Gerhard Bauchhenss argumentiert mit Patrizia de Benardo Stempel zwar, dass mit dem Verlust des indogermanischen ,Schaf-Worts im Keltischen Ableitungen von idg. *kapro- zum Zuge kamen und dass damit Gebrinius als ,Widder4,Widder 4 aufzufassen sei (gemäß 0 den Darstellungen auf einigen AltärenAltären),'0),' doch übergeht er, dass das 71 Theonym eben nicht ffGabriniusGabrinius lautet, sondern Gebrinius.71Gebrinius . Auch

M M Belege bei Reichert: Lexikon (wie Anm. 6), S. 31 lf,, dazu aber Graf: Schaf und Ziege (wie Anm. 7), S. 69.

0 0 Bauchhenss: „Ziegel, Vögel44Vögel 44 (wie Anm. 29), S. 150, Anm. 11.

1 Primärumlaut kann jedenfalls für eine Entwicklung *Gabrinius &gt;> Gebrinius nicht verantwortlich gemacht werden, auch nicht im Keltischen, wo analoge vokalharmo¬ nische Phänomene erst später auftreten (im Kymrischen, Comischen, Bretonischen, vgl. Lewis, Henry / Pedersen, Holger: A Concise Comparative Celtic Grammar. Third edition, second impression with the Supplement of 1961 by Henry Lewis, 3 Göttingen 319611961 [1989], § 181-183). Siehe Gutenbrunner, der sich im ersten sprach¬ wissenschaftlichen Beitrag zu Gebrinius (Gutenbrunner, Siegfried: „Gallisches“, in: Zeitschrift für celtische Philologie 20 [1936] S. 391-399 [I. Mercurius Gebrinius: S. 391-394]) Gedanken zur Etymologie des Beinamens gemacht hat, erwägt S. 392 unter anderem einen Anschluss an kelt. *gabros im Sinne einer „umgekehrten 44 *gebros Schreibung44Schreibung einer (nicht belegten!) Nebenform *gebros mit dem Übergang von e &gt;> a in der Umgebung von g. Gutenbrunner verwirft diese Möglichkeit allerdings so- 419 Spickermann, der eine Ableitung von kelt. *gabro- als „sicher“ qualifi¬ ziert und sich dabei auf einen sprachwissenschaftlichen Anhang von 72 Patrizia de Bemardo Stempel zu seinem Beitrag beruft,72beruft , übergeht die lautlichen Probleme. 73 Die Semantik liegt viel eher allgemein im Bereich von ,männlichem Zuchttier bei Kleinvieh1Kleinvieh 1 (insbesondere bei Ovicapriden). Für die genauere Spezifizierung stellen das Keltische wie das Germanische Wortfelder zur Verfügung, die groß genug sind - und die vor dem Hintergrund einer differenzierten Landwirtschaft (insbesondere einer bis in den Bereich des Industriellen gehenden) 74 Kleinviehzucht im Untersuchungsraum auch vorauszusetzen sindsind.74. Darum ist der unbedingte Ersatz des im Keltischen abgegangenen idg. ,Schaf-Worts durch dasjenige für die Ziege nicht aussagekräftig genug. Vielmehr erweist sich der Name entweder als direktes germa¬ *gabros nisches (das ist urverwandtes) Gegenstück zu kclt. *gabros,, oder es handelt sich um eine Germanisierung, die sich im Sprachkontakt ergeben hat.

2. Dazu sei als ,missing link’ die 1870 zerstörte Stele von Gerstheim (Ei¬ sass; CIL XIII, 5971) genannt. Eine im Halbrelief gearbeitete Männer¬ figur in einer Cuculla, die einen Beutel vor sich hält, trägt die Unter¬ 75 schrift GABRO.GABRO.75 Es ist leider nicht nachzuweisen, dass es sich hierbei

gleich wieder, da sie mit zu vielen Unbekannten operiert. Außerdem ist der skizzierte Wandel nur vor g belegt. Spickermann: „Keltische Götter“ (wie Anm. 3), S. 134 und Anm. 50, unter Beru¬ fung auf Patrizia de Bemardo Stempel (ebd., S. 140).

Vgl. auch Hupe, Joachim: „Studien zum Gott Merkur im römischen Gallien und Germanien“, in: Trierer Zeitschrift für Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete 60 (1997) S. 53-227, hier S. 120, für den der Beiname „bis heute nicht schlüssig gedeutet“ ist. Albrecht Greule danke ich für den Hinweis, dass Namen der Struktur gNbr- beziehungsweise *geb-(a-) + r-Suffix im Germa¬ nischen durchaus möglich sind, vgl. dazu Wahlberg, Mats (Hg.): Svenskt ortnamns- Iexikon, Uppsala 2003, S. 158, sub voce ,Jävsjön‘: Der Gewässername (1742 Giœvra,Giœvra , 1800 liöfrd) enthält im Bestimmungswort ein adjektivisches Element der 1 1 Bedeutung ,gebend1,,gebend , der Name als ganzer würde ,fischreiches Gewässer1Gewässer oder ähn¬

1 lich bedeuten (im Sinne von ,Geber-See1).,Geber-See ). Auch der Ortsname Gebra (1162 Gevere), südöstlich Bleicherode, Thüringen, scheint auf diese Struktur zurückzu¬ gehen, siehe dazu Walther, Hans: Namenkundliche Beiträge zur Siedlungsge¬ schichte des Saale- und Mittelelbegebietes bis zum Ende des 9. Jahrhunderts, Berlin 1971, S. 264, dessen sonderbare Etymologie („ahd. *Gebäre ,Leute an der Flu߬ 1 *ghebh- 1 biegung1,biegung , zu idg. *ghebh- ,biegen, sich krümmen1“)krümmen “) ich allerdings nicht nachvoll¬ ziehen kann.

4 4 Vgl. Graf: Schaf und Ziege (wie Anm, 7), S. 107-130 und passim.

Abgebildet bei Espérandieu, Émile: Recueil général des bas-reliefs, statues et 420 *

um eine Merkurdarstellung handelt. Sprachlich gesehen gehört der Na¬ me jedenfalls in den Bereich des Keltischen, wie eine ganze Reihe wei¬ terermates Ga/ir-Namenerweist.* 76 aus der , Lugdunensis, Aqui¬ tania, Belgica, Germania Inferior und Superior sowie den Agri Decu- 76 mates erweist .

3. Die erwähnte ubische -/mwx-Derivation in Gebrinius scheint aufs Ger¬ manische zu weisen, da abgesehen von den sprachlichen Gesichtspunk¬ ten statistisch gesehen jeder fünfte Ubier ein solches Gentiliz trug. Die ' Ableitung hat, wie die Verbreitungskarte von Weisgerber zeigt,7'zeigt, 7 je¬ doch auch Verwandte im südlichen Frankreich und könnte damit, vor¬ sichtig formuliert, mit einem keltischen homographen Namensuffix kontaminiert sein.™

4. An Außersprachlichem lässt sich bemerken, dass sich Mercurius Gebrinius mit einiger Wahrscheinlichkeit als das männliche Gegen¬ stück der weiblichen Aufanien im Bonner Tempelbezirk betrachten 79 lässt:79lässt : „A Husband for the Mother Goddess“, wie Christoph B. Rüger MI den Gott genannt hat.MIhat. Tatsächlich erscheint Merkur in den römischen Provinzen vor allem des Westens immer wieder im Zusammenhang und im Ensemble mit weiblichen Gottheiten. Die Konstellation in der

busies de la Gaule Romaine,Romaine , Bd. 7, Paris 1918, S. 217, Nr. 5644.

76 76 Zusammenstellung der Belege bei Graf: Schaf und Ziege (wie Anm. 7), S. 43; zum Gabro von Gerstheim ebd., S. 71.

Weisgerber: Rhenania Germano-Celtica (wie Anm. 25), S. 425.

s s Vgl. Herz: „Einheimische Kulte“ (wie Anm. 30), S. 207f; Weisgerber, Leo: „Zu den rheinischen -mms-Bildungen“, in: Edith Ennen / Günter Wiegelmann (Hg.): Festschrift Matthias Zender. Studien zu Volkskultur, Sprache und Landesge¬ schichte,schichte, Bd. 2, Bonn 1972, S. 931-948; Ders.: „Homographe Namensuffixe“, in: Rudolf Schützeichel / Matthias Zender (Hg.): Namenforschung. Festschrift für Adolf Bach zum 75. Geburtstag am 31. Januar 1965,1965 , Heidelberg 1965, S. 32-37.

9 9 Die gegenteilige Ansicht bei Hupe: „Studien zum Gott Merkur“ (wie Anm. 73), S. 100, ist weitgehend haltlos, da es, wie der Autor selber angibt, durchaus positive Evidenz für gemeinsames Auftreten der Matronen mit Merkur gibt und darüber hinaus Merkur eine sehr deutliche Affinität zu weiblichen Gottheiten aufweist, darunter insbesondere Rosmerta und Maia, aber auch Diana, Minerva und Venus (vgl. Graf: Schaf und Ziege [wie Anm. 7], S. 89). Vgl, zu dieser Frage auch Derks: Gods, Temples (wie Anm. 28), S. 119. xo Rüger, Christoph B.: „A Husband for the Mother Goddess - Some Observations on “, the Matronae Aufaniae“,Aufaniae in: Brian Hartley / John Wacher (Hg.): Rome and her Northern Provinces. Papers presented to Sheppard Frere in honour of his retire¬ ment from the Chair of the Archaeology of the , University of Oxford,Oxford, Oxford 1983, S. 210-219.

421 *83

Civitas Ubiorum scheint daher, wie vieles andere, keltische Hinter¬ gründe zu haben - mögen diese transalpin-indigenen Ursprungs oder importiert sein. Zudem passt sie zu dieser Art von Fruchtbarkeits¬ kulten, in denen theriomorphe Ausprägungen von Gottheiten eine Rolle spielten. Insbesondere die Ziege als Begleiterin von Fruchtbar¬ keitsgöttinnen ist ein ,Leitmotiv1,Leitmotiv 1 frühgeschichtlicher Religionen, fer¬ ner der Bock als das befruchtende Prinzip, die Ziege als das nähren¬ 81 dede,81, 83man denke an Amaltheia,mandenkedieanAmaltheia,Amme desdieZeusAmmeund,desZeusetwasund,weiteretwasweiter metonymisch abstrahiert, das auf den Matronensteinen außerordentlich häufig anzutreffende Signum des Füllhorns (das Horn Amaltheias). Die frühgeschichtlich orientierte Sprachkontaktforschung hat herausge¬ stellt, dass: ,,[t]he vitality and persistance of fertility cults is a characteristic of contact situations.“situations.“8'8 ' Dies vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen scheinen in religiöser Hinsicht vor allem fruchtbarkeitsbezogene Bräuche am wenigsten von gegenseitiger Neutralisierung in Kontaktsituationen betroffen zu sein, zum anderen führen Kontaktsituationen sozusagen zur verstärkten Klumpenbildung, insofern sich kleinere bis mittelgroße Gruppierungen formieren, die, wie wohl auch in unserem Fall, in der Form der erwähnten Kurien, Personalverbänden auf erweiterter Familienbasis, um die Aufrechter¬ haltung religiöser Praktiken bemüht sind. Dass es insbesondere fruchtbarkeits¬ bezogene religiöse Praktiken sind, die vor andere Praktiken zu stehen ge¬ kommen sind, hat basale ökonomische Gründe. Die Matronengottheiten hatten für Erntesegen und den Schutz des Einzelnen und vor allem der sozialen Gruppe zu sorgen, sie waren, wie es Friedrich Drexel schon 1922 formuliert 11 hatte, gewissermaßen „Bauernheilige11,„Bauernheilige , die einen „stark ländlichen oder ge¬ 11 8:1 radezu landwirtschaftlichen CharakterCharakter11 trugentrugen.8:1. Sie waren die attraktiven Gottheiten der kleinen, ländlichen Kultanlagen im Umkreis der Villen. Dass es eine Matronentriade, die Bonner Aufanien mit ihrer bislang höchsten Belegzahl, gewissermaßen zu höheren Ehren gebracht hat, liegt nicht, wie man früher angenommen hat, in deren scheinbar prototypischer Wesensart, die

81 81 Eliade, Mircea: Patterns in Comparative Religion,Religion , Cleveland / New York 1970; Polome: „Some aspects“ (wie Anm. 42), S. 199.

8 ~ 11 8~ Markey, Thomas L.: „Social Spheres and National Groups in Germania11,Germania , in: Heinrich Beck (Hg.): Gennanenprobleme in heutiger Sicht,Sicht, Berlin / New York 1986 (Ergänzungsbände zum Reailexikon der germanischen Altertumskunde 1), S. 248-266, hier S. 257. 83 Drexel, Friedrich: „Die Götterverehrung im römischen Germanien“, in: Berichte der Römisch-Germanischen Kommission, vierzehnter Bericht 1922,1922 , Berlin 1923, S. 1-68, hier S. 44. Auch Sonderfunktionen der Matronen sind wohl anzunehmen, so wie Nehalennia/Isis gleichzeitig für Fruchtbarkeit und Schutz der Seefahrenden zuständig war. Eine eher eindimensionale Funktionalität im Matronenkult vermutet Woolf: „Local Cult“ (wie Anm. 31), S. 136 und passim, jedoch spärlich begründet.

422 einen Produktivitätsschub über das ubische Zentrum hinaus ermöglicht hätte. Die Blüte des Aufanienkults gleicht einer Rückkoppelung aus der ländlichen Peripherie in die Welt der Minervier-Offiziere und deren Familien: reflek¬ tierter Kulturkontakt, in dem der Reiz des Exotischen tatsächlich „deliberately engineered“ erscheint/4erscheint/ 4

Abkürzungen:

CIL Corpus Inscriptionum Latinarum,Latinarum , Berlin 1862 ff. EDH Epigraphische Datenbank Heidelberg, &lt;http://www.uni- (10. August 2009) 1LS Dessau, Hermann: Inscriptiones Latinae Selectae, 5 Bde., Berlin 1892-1955.

Summary Language Contact, Culture Contact and the Names of the MatronaexMatronaexnn the Lower Rhine Area

The study offers a survey of the religious, geographic, social and ethnic back¬ grounds of the Matronae cult located between Moselle, Meuse and Rhine during the second and third century AD. With regard to the origin and some formation aspects of the phenomenon, representative types of Matronae epithets are studied considering their specific reference forms (local, ethnic, personal, curial). The paper focuses on names which exhibit characteristics of language contact (Germanic-Celtic-[Latinj) and therewith shows that the Matronae religion is primarily rooted in the Celtic culture. The names exhibit various germanic traits in morphology and phonology such as the feminine theonyms Saitchamims and Vatvims or the masculine theonym Gebrinius,Gebrinius , the latter documented in a sanctuary for the Aufaniae underneath the Münster¬ kirche in the city of Bonn. The name is strongly influenced by germanic pho¬ nology, while its connection to the Celtic *gabros is still highly visible. The Matronae religion is based on fertility rites which tend to become exceedingly attractive in contact situations. Moreover, Roman veterans seem to have supported the diffusion of the cult amongst the territory of the Ubii and initiated the enormous productivity of the cult and its various cult-names.

M M Zur Kritik an der Ansicht, das Bonner Aufanien-Heiligtum sei prototypisch für den niedergermanischen Matronenkult, vgl. Derks: Gods, Temples (wie Anm. 28), S. 124ff. und 130.

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