FEIERSTUNDE Aus Anlass Des 10. Jahrestages Der Konstituierenden Sitzung Des Ersten Frei Gewählten Gesamtberliner Parlaments Nach Der Wiedervereinigung Der Stadt Am 11
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FEIERSTUNDE aus Anlass des 10. Jahrestages der konstituierenden Sitzung des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments nach der Wiedervereinigung der Stadt am 11. Januar 2001 FEIERSTUNDE aus Anlass des 10. Jahrestages der konstituierenden Sitzung des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments nach der Wiedervereinigung der Stadt am 11. Januar 2001 in der Nikolaikirche Herausgegeben vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Referat Öffentlichkeitsarbeit 10111 Berlin Redaktion: Karin Brandes und Anja Zieke Herstellung: Verwaltungsdruckerei Berlin Titelfoto: Rainer Gaertner/publicon 2 FEIERSTUNDE aus Anlass des 10. Jahrestages der konstituierenden Sitzung des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments nach der Wiedervereinigung der Stadt am 11. Januar 2001 in der Nikolaikirche I. Rückblick auf die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 11. Januar 1991 Eröffnungsansprache Klaus Franke Alterspräsident des Abgeordnetenhauses von Berlin Seite 5 Diskussion und Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses von Berlin über den Geltungsbereich der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 Seite 10 Ansprache Dr. Hanna-Renate Laurien Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Seite 32 Aufzählung der Mitglieder des 1. Gesamtberliner Parlaments (12. Wahlperiode) Seite 34 3 II. Festveranstaltung in der Nikolaikirche am 11. Januar 2001 Begrüßung und Ansprache Reinhard Führer Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin Seite 39 Ansprache Klaus Franke Senator a. D. Stadtältester von Berlin Alterspräsident des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 12. Wahlperiode Seite 45 Ansprache Dr. Irana Rusta Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin Seite 48 Festrede Brigitte Grunert Parlamentsberichtserstatterin beim Tagesspiegel Seite 52 4 I. Rückblick auf die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 11. Januar 1991 Klaus Franke Alterspräsident des Abgeordnetenhauses von Berlin Meine Damen und Herren! Nach Artikel 39 Absatz 5 der Verfassung von Berlin tritt das Abgeord- netenhaus unter dem Vorsitz des ältesten Mitglieds des Hauses zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Ich bin am 11. April 1923 geboren und frage, ob ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das älter ist; das möge sich dann bitte melden. – Das ist nicht der Fall. Somit werde ich das Amt des Alterspräsidenten wahrnehmen. Ich eröffne hiermit die 1. Sitzung der neuen Wahlperiode des Abgeord- netenhauses von Berlin. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zum ersten Mal seit genau 40 Jahren versammelt sich wieder eine aus freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangene Volksvertretung des ganzen Berlin zu einer konstituierenden Sitzung. Ich begrüße die Abgeordneten und alle Gäste sehr herzlich. Der Ort, an dem wir uns für diese erste Sitzung treffen, nämlich diese alte, ehrwürdige und historisch so bedeutsame Kirche St. Nikolai ist mit Bedacht für die konstituierende Sitzung gewählt worden. Denn diese Kirche dokumentiert in ihrer bewegten Geschichte den Geist und die Offenheit, die für diese Region, in der wir politisch tätig sind, prägend ist. Sie hat die guten und schweren Zeiten Berlins erlebt und erlitten, und sie ist unabhängig von ihrer ursprünglichen religiösen Bestimmung ein Ort guter, lebendiger Traditionen. 5 Diese heutige Sitzung hat für Berlin eine herausragende Bedeutung. Das frei gewählte und demokratisch legitimierte Abgeordnetenhaus beginnt seine verantwortungsvolle Tätigkeit. Die Bürger der Stadt setzen in uns hohe Erwartungen. Sie gilt es zu erfüllen. Dass wir dies heute in einem wiedervereinigten Berlin tun dürfen, ist Anlass zu großer Freude und Genugtuung. Die Absurdität einer geteilten Stadt ist vorbei. Berlin ist endlich wieder eine Stadt, die gemeinsam ihre Probleme lösen und ihre Zukunftserwar- tungen formulieren und gestalten kann. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat, einer Anregung Willy Brandts folgend, jahrzehntelang seinen unbeugsamen Willen bekundet, dass die Mauer fallen und dass Deutschland mit seiner Hauptstadt Berlin in Frieden und Freiheit wiedervereinigt werden muss. Dies ist geschehen. Die Geschichte hat manchmal einen langen Atem. Dass die deutschen Hoffnungen sich so überraschend schnell erfüllten, ist ein Geschenk, für das wir dankbar sein sollten. Diese Zuwendung der Geschichte fordert von uns aber auch Verständnis und eine große Sensibilität für die außer- ordentliche Lage, und sie fordert die Bereitschaft, nach mehr als 40 Jahren der Teilung wieder aufeinander zuzugehen. Das, was die Tren- nung an Entfremdung brachte, kann nur mit einer inneren Bereitschaft zur Einheit überwunden werden. Alle Präsidenten des Abgeordneten- hauses von Berlin und die überwältigende Mehrheit aller Abgeordneten haben in der Vergangenheit mit großer Entschlossenheit an dem Gedanken der Einheit festgehalten und damit den Willen der Berliner in Ost und West immer wieder unbeirrt zum Ausdruck gebracht. Es ist gut, dass die beharrliche Behauptung klarer Rechtspositionen nicht vor den Strömungen des Zeitgeistes gewichen ist. Die Vereinigung beider TeileBerlins stellt uns vor große Aufgaben. Berlin ist nach vier Jahrzehnten der Trennung nicht einfach und von heute auf morgen wieder zusammenzufügen. Mit dem Abriss der Mauer kann nicht an die früheren Bedingungen schlicht angeknüpft werden. Die Entwick- lungen in Ost und West können nicht kurzerhand fortgesetzt werden. Uns allen stellen sich schwere Verbindungsaufgaben. Aber Berlin hat in seiner Geschichte schon schwierigere Zeiten bestanden und durchgestanden. 6 Wir werden auch diese Probe bestehen, zumal sie die Chance für eine hoffnungsvolle, für eine gute Zukunft in sich trägt. Gestatten Sie mir noch drei Anmerkungen, die mir wichtig erscheinen. 1. Wir, die frei gewählten Abgeordneten aus dem vereinten Berlin sollten bei unserer Arbeit nicht vergessen, dass wir zwar Angehörige von Fraktionen sind, aber in erster Linie und vor allem Vertreter aller Bürger der Stadt. Wir haben Bürgeranliegen umzusetzen. Nicht das Profil unserer Parteien darf Maßstab unseres Handelns sein, sondern das Wohl der Stadt. Wir haben die allererste Pflicht, die Interessen aller Bürger zu vertreten, insbesondere auch die Interessen derer, die zu den Benachteiligten der Gesellschaft gehören. Wir haben die Aufgabe, die Geschicke der Stadt auf das Beste ordnen zu helfen und damit ihr Ansehen zu mehren. Dazu gehört, dass wir zum Beispiel nicht jede Meinung, die aus einem anderen politischen Lager kommt, gleich von vornherein verwerfen – nur, weil sie der politische Gegner vorträgt. Die scheinbare Gesetzmäßigkeit, einer Meinung schon deshalb zu widersprechen, weil sie vom politischen Gegner kommt, ist ein immer wieder sich einschleichendes Übel der poli- tischen Praxis. Die Probleme, die vor uns liegen, verlangen ein Zusammenstehen und ein Bündeln aller Kräfte und ein sorgfältiges Prüfen aller Ideen. Es darf nicht sein, dass ein großer Teil der Abgeordneten sich von der konstruktiven Mitarbeit ausgeschlossen fühlt. Wir brauchen das Mitwirken aller und können uns in Zukunft nicht den Luxus leisten, auch nur eine einzige Idee unbeachtet zu lassen. 2. Zu den Haupttugenden im öffentlichen Leben gehört die Toleranz. Das Wort „Toleranz“ist so leicht dahingesagt – und so schwer zu praktizieren. Sie im täglichen Umgang anzuwenden, möchte ich allen mit besonderer Eindringlichkeit ans Herz legen. Jeder hat Anspruch darauf, dass seine Meinung gehört wird und dass wir ihn in seinem Bemühen ernst nehmen, 7 das Beste für die Stadt zu wollen. Das Zusammenleben in einer großen Stadt fordert vor allem Rücksichtnahme und Respekt voreinander. Zum toleranten Umgang miteinander gehört, die Ideale des anderen zu achten und sie zu respektieren, gerade auch dann, wenn man sie nicht teilt. Voltaires berühmter Satz: „Ich verabscheue, was sie schreiben, aber ich würde mein Leben dafür hingeben, dass sie weiter schreiben können.“ nennt in seinem Kern das, was den toleranten Umgang miteinander aus- macht. Wir gewählten Volksvertreter haben als erste diese Haltung vorzu- leben und sie zu praktizieren, denn in ganz Berlin soll wieder der Satz gelten, dass jeder nach seiner eigenen Fasson selig werden darf. 3. Die Zukunft, die vor uns liegt, ist doppelt schwer. Wir haben gewaltige Aufgaben zu lösen, über deren Ausmaß sich wohl nicht alle im Klaren sind, und wir nehmen in diese Zukunft manche Belastungen aus der Vergangenheit mit. In den letzten 40 Jahren hatten die Bürgerinnen und Bürger im Ostteil der Stadt ohne Zweifel den schwereren Teil zu tragen. Wir aus dem westlichen Teilder Stadt sollten uns daher in der Beurteilung mancher Verhaltensweisen in diesem Teil der Stadt eher zurückhalten – es stünde uns gut an. Eine Grundvoraussetzung für das schnelle Zusam- menwachsen beider Stadtteile ist nicht die Kritik übereinander, sondern das Verständnis füreinander. Diejenigen, die in demokratischen Lebens- verhältnissen groß geworden sind, haben denen, die sie erst seit kurzem praktizieren können, vorzuleben und durch beispielhaftes Verhalten zu beweisen, dass die Demokratie die bessere Form des Zusammenlebens von Menschen ist, dass sie besser funktioniert, dass sie wirkungsvoller und vor allem, dass sie bürgernäher ist. Dies ist nicht durch Behauptungen, sondern nur durch Verhalten zu beweisen, und wir sollten uns nicht scheuen, dies zu tun. Wir haben auch zu beweisen, dass der Rechtsstaat die unübertroffene Grundlage für eine funktionsfähige Gesellschaftsord- nung ist. Wir müssen gerade zur Zeit jeder Versuchung widerstehen, aus diesem oder jenem Anlass seine Grundsätze nicht wirklich ernst zu nehmen. Die Verdächtigung