Alpine Rundtour im Wilden Kaiser Das ist die wahre Krönung!

ie Steinböcke schauen zu. Zu- gegeben, keine wild geborenen, frei laufenden, sondern sozusa- gen die Haustiere des Jägerwirts Dsind es, die den Aufbruch von ihrem Ge- hege aus beobachten. Trotzdem schaffen sie die richtige Stimmung, denn alpin soll die Runde werden, so wild wie der Kaiser heißt. Man kann auch genusswandern hier, zum Beispiel südlich unter dem Massiv entlang von Going bis zum märchenhaft blauen Hintersteiner See. Und natürlich kann man klettern an den grauen Zinnen und Wänden, bis zum oberen zehnten Grad, auf den Spuren großer Alpinge- schichte. Wer das klassische „Bergsteigen“ liebt, für den ist eine Rundtour wie diese das Optimum: aussichtsreiche Wander- wege auf Hangterrassen und in Tälern, ruppige Pfade durch steile Schrofenflan- ken – und jeden Tag ein Gipfel! Gerade recht zum Einlaufen sind die ersten Meter vom Jagerwirt zu Weg- scheid- und Kaiseralm, dann wird’s alpin: Kompromisslos aufwärts zieht der Weg durch die felsige Südflanke des Scheffauer, Wilder Kaiser Reportage

Das ist die wahre Krönung!

Das volle Erlebnis, mit einem Gipfel pro Tag durch den Wilden Kaiser. Das berühmte

Kletterrevier bietet auch dem geländegängigen Bergwanderer viele Optionen. Ein

Vorschlag für eine fünftägige alpine Runde.

Text und Fotos von Andi Dick

immer mal wieder geht die Hand zum hinüber zur Kaindlhütte, die in unverbau- Fels, gelegentlich auch an ein Drahtseil. So barer Lage über thront – ein kai- ist rasch Höhe gewonnen und man serlicher Platz für die erste Übernachtung! ge­nießt den Gipfelblick über die grüne Wenn zum Kaiser der Bettler gehört, Furche des Inntals; südlich paradieren dann liefert die nächste Etappe das pas- die weißen Tauernkämme, nach Norden sende Stichwort: Der Bettlersteig zieht, fließt der Inn ins oberbayerische Alpen- nur oben kurz drahtseilgesichert, durch steilen Wald hinunter nach Hinterbären- bad, ins Herz des historischen Wilden Über grünen Talfurchen Kaisers. Hier hausten die Münchner Berg- vagabunden, die Clique um Dülfer, Preuss paradieren die weißen Kämme und Fiechtl, bevor sie mit haarsträuben- der Hohen Tauern. der Ausrüstung Klettereien erschlossen, die heute noch Respekt verlangen. Ein kleines Stück weiter, auf dem Hans-Ber- vorland, und im Osten reihen sich die ger-Haus, führt eine Frau das Zepter: Sil- Kalkzacken aneinander, denen die nächs­ via Huber will mit ihrem Projekt „Wilde ten Tage gelten. Kaiserin“ und verschiedenen Seminaran- Beim Abstieg auf dem Widauersteig ist geboten „sinnliche Denkerinnen und ver- mit Gegenverkehr zu rechnen; als einer nünftige Genießerinnen“ in die Berge ho- der älteren Klettersteige im Kaisergebirge len. Eine kleine Stärkung auf der Terrasse, ist er klassisch beliebt. Die Schwierigkei- ten halten sich im Rahmen, es lohnt sich aber auf jeden Fall, auf Steine aufzupas- Umfangen: Nach luftiger Querung wird man gepackt von den Steilwänden der sen, die man selbst oder andere auslösen Steinernen Rinne (l.). Freie Sicht auf die Zentralalpen bieten dann die Gipfel – und können. Der schattigen Nordwand entron- romantische Abendstimmungen gibt’s nen, schlendert man auf freien Almwiesen unter anderem am .

DAV 2/2014 97 Des Kaisers alpine Krone Anfahrt: Scheffau hat regelmäßige Kaiser, Dorf 35, A-6352 Ellmau, Tel.: 0043/ Busverbindungen nach Kufstein, Wörgl (0)505 09, [email protected], und St. Johann i.T.; mit dem Auto geht’s wilderkaiser.info am schnellsten über die Inntalautobahn, Ausführliche Infos und mehr Bilder: Ausfahrt Kufstein Süd. alpenverein.de/panorama Beste Zeit: Mitte/Ende Juni bis Ende Septem- überragt vom 800-Meter-Trapez der Klei- Route: ber/Anfang Oktober; vor allem Bettlersteig und 1) Jägerwirt (910 m) – Scheffauer (2111 m) nen Halt, darf sein. Denn danach geht es Steinerne Rinne können im Frühsommer und – Kaindlhütte (1293 m): 1200 Hm, 820 steil hinauf zum Stripsenjoch, vorbei an -herbst bei Nässe und Schnee heikel sein. Hm, 5-6 Std. den prallen Pfeilern der legendenumwo- Anspruch: Anspruchsvolle Bergwanderung 2) Bettlersteig – Hinterbärenbad (829 m) – benen Totenkirchl-Westwand. auf großteils schwierigen (schwarzen) Wegen, Stripsenjoch (1537 m) – Stripsenkopf (1807 m) teils mit leichter Kletterei (I) und/oder Die Herberge ist erreicht; nach einem – evtl. Feldberg: 1040 Hm, 800 Hm, Drahtseilsicherung (bis KS B), aber immer gut 5-6 Std. Apfelstrudel darf man mit reduziertem markiert. Klettersteigvarianten und Gipfelan- 3) Steinerne Rinne – Hintere Goinger Halt Gepäck noch zur Aussichts-Zugabe star- stiege können noch einen Tick schwieriger sein (2192 m) – Gaudeamushütte (1263 m): (II, KS C-D). ten. Knapp über der Hütte steht das 800 Hm, 930 Hm, 5 ½ - 6 Std. Karte: AV-Karte 1:25.000, Nr. 8, Kaisergebirge Tavonarokreuz, sicher eines der meistfoto­ 4) Klamml/ evtl. Klettersteig – grafierten Kaiser-Motive, mit den gestaf- Führer: Horst Höfler, Jan Piepenstock: (2344 m) – Gruttenhütte (1620 m): Alpenvereinsführer Kaisergebirge alpin, 1200 Hm, 720 Hm, 6-8 Std. Bergverlag Rother, München 2006 5) Wilder-Kaiser-Steig – Treffauer (2304 m) Hütten-Info: dav-huettensuche.de – Jägerwirt: 1000 Hm, 1700 Hm, Links und rechts ragen die Tourist-Info: Tourismusverband Wilder 7-8 Std. Felswände dem schmalen Himmelsausschnitt entgegen.

felten Pfeilern von , Fleisch- bank und Totenkirchl im Hintergrund. Ein Stück weiter oben, am Gipfel des Stripsen- kopfs, wurden in den letzten Jahren meh- rere kurze Übungsklettersteige eingerich- tet; wer noch Energie übrig hat, kann Mut und Kraft spielen lassen, vor dem Chillen im Aussichtspavillon. Oder man folgt noch eine gute Stunde lang dem Grat bis zum Feldberg, der aus der Distanz den op- Kopf in den Nacken: Ungeheuer und ganz Befreit: Ist man den Steilwän- den der Steinernen Rinne (l.) timalen Kaiser-Über-Blick gewährt. unsagbar großartig lodert der Fels rings- entronnen, weitet sich der Blick. Kaum übersehbar ist dabei die steile um empor; linker Hand greift ein Turm Die Aussicht übers Ellmauer Tal begleitet den Wanderer an den Kerbe zwischen Predigtstuhl und Fleisch- mit der hinreißenden Kühnheit eines goti- letzten beiden Tagen. bank, das Ziel des nächsten Tages. Die schen Münsters ins Blaue: der Predigtstuhl; Steinerne Rinne, laut AV-Führer „eine der zur Rechten schnellen sich die Fleisch- eindrucksvollsten Bergwandertouren in bankwände, Panzermauern aus Stein, den Nordalpen“, wurde von Leo Madusch- dem gleichen Ziel entgegen: dem engen Mit Stufen und Seilen ist die Platten- ka, dem Berg-James-Dean der 1920er Jah- Ausschnitt des Himmels, der mit schma- schlucht gebändigt; zwischengelagerte re, als „Herz des Kaisers“ unübertroffen lem, ruhigem Blau die erschütternde Ge- Ter­rassen laden ein zum Atemholen und besungen: „Wie von selbst biegt es dir den walt dieser Felsen überspannt.“ Atem anhalten in dieser vertikalen Welt.

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Bergsport komplett zum Ausprobieren Bei der zweiten „Bergsportwoche“ vom 21. bis 28. Juni können Besucher des Wilden Kaisers ein komplettes Spektrum klassischer und moderner Bergsportarten erleben: Wandern, Klettern, Klettersteig, Mountainbike, Canyoning und Rafting. Unter Anleitung durch geprüfte Profis, und sein? Wie wäre es mit einem Rekord? Auch der letzte Tag hält noch einen alles umsonst. Jeden Tag wartet ein neues Dem höchsten Gipfel? Der Gamsänger- Gipfel bereit. Nach gemütlichem Einlau- Angebot, Höhepunkte sind das Sonn­ wendfeuer zum Start am Samstag, die steig ist der „relativ“ leichteste Anstieg fen auf dem Wilder-Kaiser-Steig führt ein Ein­weihung des Klamml-Klettersteiges auf die Ellmauer Halt – dabei durchaus gut markierter Pfad im mittlerweile ge- am Mittwoch und die Nord-Süd-Kaiser- alpin anspruchs- und reizvoll. Zumal wohnten alpinen Gelände auf den Tref- durchquerung durch die Steinerne Rinne. wilderkaiser.info/bergsportwoche wenn man, von der „Gaude“ kommend, fauer, den dritthöchsten Gipfel im Rund. Tipp für Genusswanderer: Die „Kaiser­krone" noch den jüngsten Klettersteig im Kaiser Es wäre aber auch legitim, statt dem letz- führt in sechs Tagen rund um den ganzen davorhängt, der durch die steilen Wände ten Gipfelsturm einfach nur das Schlen- Gebirgsstock. wilderkaiser.info/kaiserkrone des „Klamml“ führt und dessen Felsspalt dern auf dem Höhenweg zu genießen, mit mit einer Balancierseilbrücke überwin- gesundem Abstand zur Hochregion, aber det. Nach dem modernistischen, sportli- auch ausreichend hoch überm Tale, um Im Ellmauer Tor entsteigt man dem chen Auftakt wird es wieder klassischer. den Sog des Alltags noch nicht zu spüren Schlund und der Blick verliert sich in der An Alpenrosenbüschen vorbei ins stille und die jüngsten Erlebnisse im Kopfkino Weite: Über grünen Kämmen schweben Hochgrubachkar, auf ausgesetzten Gras- Revue passieren zu lassen. Oder vielleicht die Eisgipfel der Tauern. Noch eine halbe bändern, den so genannten Gamsängern, schon die nächste Bergwanderrunde im Stunde sorgfältiges Gehen bringt auf den queren, über die einzigartigen Trittbügel Wilden Kaiser zusammenzubasteln. heutigen Gipfel, die Hintere Goinger Halt der „Jägerwand“ balancieren, dann im – dann geht es hinunter zur Gaudeamus- typischen Kalkalpengelände hinaufkra- Jedes Mal, wenn Andi Dick aus hütte mit dem zu Recht weithin berühm- xeln, bis es nicht mehr höher geht. Zu- der Panorama-Redaktion Karte und Führer zum ten Wilder-Kaiser-Schmarrn. rück auf der Gruttenhütte hat man sich Kaisergebirge in der Hand hält, Welche Steigerung soll nach dem Er- den Schweinsbraten aus dem Holzofen springt seine kreative Fantasie an und wirft neue Routen- lebnis Steinerne Rinne noch möglich redlich verdient. Kombinationen aus.

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