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Monatsbericht April 2012 29

Der Europäische Ausschuss für ­Systemrisiken: vom institutionellen ­Fundament zur glaubwürdigen makroprudenziellen Überwachung

Eine wesentliche Schlussfolgerung der Europäischen Union aus der Finanz­krise ist, dass die auf Einzelinstitute ausgerichtete Finanz­aufsicht bei systemischen Risiken an ihre Grenzen stößt. Daher wird sie zunehmend um die sogenannte makroprudenzielle Sichtweise ergänzt, die in stärkerem Maße die Interdependenzen zwischen den Akteuren und zwischen Finanzwirtsc­ haft und Realwirt­ schaft beachtet. Dem trägt die neue europäische Finanz­architektur Rechnung, indem zur traditio­ nellen Säule der Einzelinstitutsaufsicht der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) hinzu­ getreten ist. Damit existiert seit nunmehr über einem Jahr ein europäisches Gremium, das syste­ mische Risiken im Bereich der Finanz­stabilität analysiert sowie befugt ist, Warnungen und Emp­ fehlungen an EU-Institutionen, nationale Regierungen und Aufsichtsbehörden auszusprechen, die die Adressaten beachten und umsetzen sollen.

Die besondere Stellung der Notenbanken im ESRB ist vor dem Hintergrund ihrer makroökonomi­ schen und analytischen Kompetenz und ihrer Finanzmarkte­ xpertise sachgerecht. Wichtige Schlüs­ sel für die Glaubwürdigkeit des ESRB sind die Qualität seiner Risikoanalysen und die Relevanz der Warnungen und Empfehlungen. Mit dem ESRB besteht die Chance, die Gefahr von Finanz­krisen zu verringern beziehungsweise ihre Folgen abzumildern. Der folgende Beitrag stellt die wichtigs­ ten Elemente der makroprudenziellen Überwachung und des ESRB dar und berichtet – soweit öffentlich – über dessen Arbeit in seinem ersten Jahr. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 30

Eine neue Institution für kroprudenzielle Aufsicht rechtzeitig vor erkann­ die makroprudenzielle ten Risiken warnen und ihr entsprechende Hin­ Überwachung tergrundinformationen und Analysen zur Verfügung stellen. Umgekehrt sollte die mikro­ ESRB erweitert Eine zentrale Lehre aus der Finanz­krise ist prudenzielle Aufsicht die systemisch relevanten Wirtschafts­ die Erkenntnis, dass Finanz­stabilität nur dann Informationen und Erkenntnisse an die makro­ politik um makro­pruden­ sichergestellt werden kann, wenn das Finanz­ prudenzielle Aufsicht weitergeben. Nur so kann ziellen Blick­ winkel system als interdependentes System und in sei­ eine sich wechselseitig befruchtende Zusam­ ner Interaktion mit der Realwirtschaft betrach­ menarbeit entstehen. tet und behandelt wird.1) Damit erweitert sich die Finanzaufsicht um den Blickwinkel der Grundsätzlich wirkt makroprudenzielle Politik Makro­ ­makroprudenziellen Überwachung mit dem zwei Externalitäten entgegen, die traditionell prudenzielle Politik wirkt Ziel, sogenannte systemische Risiken 2) zu er­ als Rechtfertigung für regulatorische Eingriffe Exter­nalitäten kennen und zu begrenzen. Mit der Gründung in das Marktgeschehen angesehen werden. Die entgegen des Europäischen Ausschusses für System­ erste Externalität stellt der gleichzeitige oder risiken (European Systemic Risk Board: ESRB) sequenzielle Ausfall von eng miteinander ver­ zum Jahresbeginn 2011 wurde auf europäi­ flochtenen Finanz­instituten dar. Sie kann die scher Ebene ein wichtiger Baustein gelegt, um gesamtwirtschaftlichen Kosten der Insolvenz einen glaubwürdigen Handlungsrahmen zu eines Instituts enorm erhöhen. Die zweite Ex­ etablieren, mit dem Ziel, systemische Risiken zu ternalität resultiert aus der Prozyklizität des erkennen und abzumildern. So heißt es in der Finanz­systems. Damit sind sich selbst verstär­ EU -Verordnung zum ESRB: „Die Aufgabe des kende Rückkopplungseffekte zwischen Finanz- ESRB sollte darin bestehen, in normalen Zeiten und Realwirtschaft gemeint. Solche Verwer­ die Systemrisiken zu überwachen und zu be­ fungen können unter Umständen realwirt­ werten, um die Gefahr des Ausfallrisikos von schaftliche Zyklen verlängern und sogar in eine Systemkomponenten für das System zu be­ tiefe gesamtwirtschaftliche Rezession münden. grenzen und die Widerstandsfähigkeit des Finanz­systems gegen Schocks zu stärken.“3) Mit der Prozyklizität systemischer Risiken ist das Starke Stellung Verhältnis der makroprudenziellen Überwa­ der nationalen Zentralbanken Neue Finanz­ Die Gründung des ESRB ist eingebettet in die chung und Politik zu anderen Bereichen der im ESRB architektur Neuordnung der europäischen Aufsichtsstruk­ Wirtschaftspolitik, insbesondere auch zur Geld­ turen im Europäischen System der Finanz­ politik, angesprochen. Denn auch deren Hand­ aufsicht. Dort bilden die drei EU-Aufsichtsbe­ lungsumfeld wird von Finanzzyklen­ beeinflusst. hörden,4) deren sowie Damit verbunden sind zahlreiche Fragen, etwa die nationalen Aufsichtsbehörden die mikro­ nach einer sachgerechten Operationalisierung prudenzielle und der ESRB die makropruden­ der Ziele, nach einem effektiven Instrumenta­ zielle Säule der neuen Finanz­architektur. Die rium, einer klaren Ziel-Mittel-Zuweisung und makroprudenzielle Überwachung ergänzt die traditionelle mikroprudenzielle Aufsicht, die 1 Vgl. hierzu auch: Internationaler Währungsfonds, Central sich vor allem auf das einzelne Institut konzen­ banking lessons from the crisis, Policy Paper, Mai 2010; und triert. Makro- und mikroprudenzielle Überwa­ Internationaler Währungsfonds, Lessons of the Financial Crisis for Future Regulation of Financial Institutions and chung bedürfen der Zusammenarbeit und der Markets and for Liquidity Management, Policy Paper, Koordination und damit einer engen Verzah­ ­Februar 2009. 2 Zur Definition systemischer Risiken vgl. auch: Deutsche nung – nicht nur auf der europäischen, son­ Bundesbank, Ansätze zur Messung und makroprudenziel­ dern auch auf der nationalen Ebene. Sie sollten len Behandlung systemischer Risiken, Monatsbericht, März 2011, S. 39 ff. relevante Informationen und Erkenntnisse zeit­ 3 Verordnung (EU) Nr. 1092/2010, Erwägungsgrund 10. nah miteinander austauschen. Die makropru­ 4 Siehe Erläuterungen auf S. 31, Die neue europäische Auf­ sichtsstruktur. Zu den Organisationsstrukturen des ESRB im denzielle Überwachung sollte deshalb die mi­ Einzelnen siehe S. 35 f. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 31

Die neue europäische Aufsichtsstruktur

Mikro­ und makroprudenzielle Aufsicht bedürfen betriebliche Altersversorgung (European Insur­ der engen Verknüpfung. Zu diesem Ergebnis ance and Occupational Pensions Authority: kam auch die von der EU­Kommission im No­ EIOPA) und die Europäische Wertpapier­ und vember 2008 eingerichtete Expertengruppe Marktaufsichtsbehörde (European Securities and unter Leitung von Jacques de Larosière (De­Laro­ Markets Authority: ESMA) tragen gemeinsam sière­Gruppe), die aufsichtliche Lehren aus der mit den nationalen Aufsichtsbehörden dazu bei, Finanzkrise zog. Sie stellte in ihrem Abschluss­ die Qualität und die Kohärenz der Mikroaufsicht bericht fest: „Während die Aufsicht auf Makro­ in der EU zu verbessern sowie die grenzüber­ ebene nur funktionieren kann, wenn sie sich in schreitende Aufsicht zu stärken.2) irgendeiner Form auf die Beaufsichtigung auf Mikroebene auswirkt, kann die Aufsicht auf Die ESAs haben eine eigene Rechtspersönlich­ Mikro ebene die Stabilität des Finanzsystems nur keit. Sie können in festgelegten Bereichen tech­ wirksam schützen, wenn sie den Entwicklungen nische Standards entwickeln, welche von der auf Makroebene angemessen Rechnung trägt.“1) EU­Kommission in unmittelbar gültiges Recht überführt werden können. Der ESRB ist ein ­ Die von der De­Larosière­Gruppe empfohlene päisches Kooperationsgremium. Er besitzt keine stärkere Integration der europäischen Finanzauf­ eigene Rechtspersönlichkeit und keine Durch­ sicht wurde mit dem Anfang 2011 geschaffenen griffsrechte. Ihm obliegt im ESFS die Verantwor­ Europäischen Finanzaufsichtssystem (European tung für die makroprudenzielle Überwachung. System of Financial Supervision: ESFS) umge­ Zentral für die künftige Abwehr systemischer setzt. Dieses Aufsichtsnetzwerk vereint die natio­ Risiken ist ein stetiger Erkenntnisaustausch nalen Aufsichtsbehörden der 27 EU­Mitglied­ zwischen den Beteiligten in beide Richtungen. staaten, die drei europäischen Aufsichtsbe­ hörden, deren Gemeinsamen Ausschuss (Joint Committee) sowie den ESRB. 1 Vgl.: EU­Kommission, Report der Hochrangigen Gruppe zur Finanzaufsicht in der EU, Brüssel, 25. Feb­ Die drei neuen EU­Aufsichtsbehörden (European ruar 2009, S. 43. Supervisory Authorities: ESAs), also die Europäi­ 2 Zur Ausgestaltung der mikroprudenziellen Aufsicht in sche Bankenaufsichtsbehörde (European Bank­ der EU vgl.: Deutsche Bundesbank, Internationale Zu­ sammenarbeit in der Bankenregulierung: Historie und ing Authority: EBA), die Europäische Aufsichts­ aktuelle Entwicklungen, Monatsbericht, September behörde für das Versicherungswesen und die 2011, S. 83 ff.

Die neue europäische Aufsichtsstruktur ESFS

Mikroprudenzielle Aufsicht Makroprudenzielle Aufsicht

Gemeinsamer Ausschuss der ESAs

Informations- und EBA EIOPA ESMA Erkenntnis- ESRB austausch

Nationale Aufsichtsbehörden

Deutsche Bundesbank Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 32

nicht zuletzt nach der Rolle der Notenbanken in duktinnovationen an den Finanzmärkten­ macht der makroprudenziellen Politik. Im Folgenden die Analyse ebenfalls nicht leichter. wird deshalb zunächst erörtert, wie eine glaub­ würdige Risikoanalyse und ein instrumenteller Die Risikoanalyse muss im Idealfall erstens alle Risiken ent­ Handlungsrahmen für eine effektive makropru­ potenziellen systemischen Risiken identifizieren. decken und Gefährdungs­ denzielle Überwachung gestaltet sein müssen. Sie muss zweitens das destabilisierende Poten­ potenzial Anschließend werden die institutionellen Struk­ zial der Risiken abschätzen und sie priorisieren. ­abschätzen turen des ESRB, insbesondere die Bedeutung Die Werkzeuge hierzu reichen von einer umfas­ von Warnungen und Empfehlungen, beschrie­ senden Darstellung und Interpretation der rele­ ben und die Arbeit des ESRB im ersten Jahr sei­ vanten Informationen über die Konstruktion nes Bestehens dargestellt. von Frühindikatoren und sogenannten Risk Dashboards bis hin zu Stresstests beziehungs­ weise Szenarioanalysen, Netzwerkmodellen Glaubwürdige Risikoanalyse und anderen ökonometrischen Modellen.5) Auf entwickeln diese Arbeiten kann der ESRB bei seiner Risiko­ analyse aufbauen und das breite Wissen von Verschiedene Finanz ­stabilität und systemische Risiken sind Zentralbanken und Aufsichtsbehörden über Ausgangsrisiken multidimensionale Phänomene. Aus verschie­ Marktprozesse und Wechselwirkungen zwi­ führen zu systemischer denen Ausgangsrisiken können systemische schen Finanz­system und Realwirtschaft nutzen. Gefährdungs­ lage Gefährdungslagen entstehen. Nichts könnte Die EU-Verordnung zum ESRB selbst enthält dies besser verdeutlichen als ein Vergleich von ­einige Vorgaben zur Risikoanalyse. Die erste Finanz ­krise und Staatsschuldenkrise. Bei der Vorgabe betrifft das Risk Dashboard, das der Finanz­krise gingen die Gefahren für die Ins­ ESRB aufbauen soll. Ein Risk Dashboard unter­ titute von Engagements in bestimmten Märk­ teilt das systemische Risiko in verschiedene ten für verbriefte Immobilienkredite aus, die Risiko­kategorien und aggregiert mehrere In­ eine Vertrauenskrise am Interbankenmarkt ver­ dikatoren zu Risikoklassen. ursachten. Dagegen stehen in der Staatsschul­ denkrise Verflechtungen zwischen den Risiken Die zweite Vorgabe der EU-Verordnung betrifft Datenaustausch der Verschuldung des Staates und der daraus den Austausch von Daten zwischen dem ESRB zwischen ESRB und anderen erwachsenden Bedrohung für die Eigenkapital­ und den zuständigen Behörden und Zentral­ ­Behörden position und die Refinanzierungsbedingungen banken. So versorgt der ESRB die europäischen der Banken im Mittelpunkt der systemischen Aufsichtsbehörden mit erforderlichen Informa­ Gefährdungslage. tionen über die relevanten Risiken. Gleichzeitig arbeiten die ESAs, das Europäische System der Definition der Diese Vielschichtigkeit erschwert es, die Ziele Zentralbanken (ESZB), die EU-Kommission so­ Finanzstabilität zu operationalisieren. Anders als zum Beispiel wie die nationalen Aufsichtsbehörden und Sta­ vielschichtig in der Geldpolitik, wo in Europa Preisstabilität tistikbehörden eng mit dem ESRB zusammen. klar definiert ist, ist Finanz­stabilität schwieriger Dabei erhält der ESRB grundsätzlich aggregierte zu fassen. Außerdem kompliziert die Vielschich­ Daten, er kann jedoch in zu begründenden tigkeit die Risikoanalyse. Das Finanz­system Ausnahmefällen – zum Beispiel wenn die Daten kann bereits fragil sein, bevor Schwierigkeiten eines einzelnen Finanz­instituts als systemrele­ offen erkennbar werden. Womöglich bauen vant eingestuft sind – auch vertrauliche Einzel­ sich Schwachstellen erst langsam auf, ohne daten anfordern.6) Für den ESRB kann es un­ dass Fremdfinanzierungsgrad, Risikoprämie, Volatilität oder andere Indikatoren zunächst 5 Vgl. auch: Deutsche Bundesbank, Ansätze zur Messung klare Handlungssignale geben. Dabei können und makroprudenziellen Behandlung systemischer Risiken, im Hintergrund bereits exzessive Risikoüber­ Monatsbericht, März 2011, S. 39 ff. 6 Vgl.: Art. 15 Abs. 6 und Abs. 7 der Verordnung (EU) nahmen stattfinden. Das hohe Tempo der Pro­ Nr. 1092/2010. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 33

erlässlich sein, dass er auch Einzeldaten analy­ können, das dann von der Europäischen Union siert, insbesondere im Zusammenhang mit der und den Mitgliedstaaten konsistent angewandt Analyse von Ansteckungseffekten. Soll die ma­ wird. Dabei dürfen keine Anreize geschaffen kroprudenzielle Analyse gehaltvoll sein, muss werden, die Regulierung zu umgehen. Zudem sie auch empirisch den Ansteckungsprozess sollten die Instrumente vorausschauend und verstehen und abschätzen. Dafür können Mi­ flexibel eingesetzt werden können. In der EU, krodaten erforderlich sein.7) Im Einzelfall muss mit ihren unterschiedlichen Wirtschaftsräumen der erwartete Erkenntnisgewinn abgewogen und Finanz­strukturen, ist es sachgerecht, wenn werden gegen die Kosten zusätzlicher Melde­ die nationalen makroprudenziellen Aufseher pflichten und das Erfordernis, die Datenvertrau­ Unterschiede zwischen den Finanz­systemen lichkeit zu wahren. Gelingt es, die Datenbasis der Mitgliedsländer berücksichtigen können, auf europäischer Ebene zu erweitern, wären solange die Prinzipien des Binnenmarkts und damit bereits bedeutende Kooperations- und Mindeststandards bei der Regulierung, insbe­ Koordinierungsgewinne durch den ESRB reali­ sondere auf dem Gebiet der Einzelinstitutsauf­ siert. Die systemische Risikoanalyse stünde auf sicht, eingehalten werden. einem breiteren Datenfundament und könnte die Interdependenzen und Rückkopplungen Für den Bankensektor kann man vor allem an An Basel III- besser und vorausschauender analysieren. Eine dasII Basel I -Instrumentarium anknüpfen.9) Im Instrumentarium anknüpfen wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Mittelpunkt stehen dort insbesondere zusätz­ makroprudenzielle Überwachung wäre damit liche Kapitalpuffer. Sie stärken die Widerstands­ geschaffen. fähigkeit des Finanz­sektors gegenüber systemi­ schen Ereignissen. Sind sie ausreichend bemes­ sen, können sie im Ernstfall die Dominokette Effektive Instrumente und sequenzieller Ausfälle von Instituten unterbre­ glaubwürdiger Handlungs­ chen und die Ansteckungsrisiken vermindern. rahmen erforderlich Kapitalpuffer reduzieren die Prozyklizität im Sys­ tem, weil bei Eintritt eines systemischen Ereig­ Der ESRB als Der ESRB ist als Beratungsgremium konzipiert. nisses dann mehr Spielraum besteht, bevor die Beratungs­ Seine Instrumente sind Warnungen und Emp­ Finanz ­institute gezwungen sind, Risikoaktiva gremium fehlungen. Die zugrunde liegende EU-Verord­ abzubauen und die Kreditvergabe einzuschrän­ nung beschreibt das formale Verfahren hier­ ken. Im Vorfeld können bei exzessivem Kredit­ für.8) In der praktischen Arbeit des ESRB werden wachstum antizyklische Kapitalpuffer sinnvoll die Empfehlungen an das breite Spektrum von sein, die das Kreditwachstum begrenzen. Auf Instrumenten anknüpfen, das derzeit in vielen europäischer Ebene ist dabei auf Konsistenz Teilbereichen der Finanz­markt­gesetz­gebung des Einsatzes des Instrumentariums zu achten, weiterentwickelt wird. Die Regulierungsinten­ nicht zuletzt auch weil Institute mit grenzüber­ sität ist dabei heterogen und reicht von dem schreitenden Aktivitäten betroffen sind und bislang schon recht fein entwickelten Regulie­ weil Maßnahmen, die die Kreditvergabe berüh­ rungsinstrumentarium im Bankensektor bis zu ren, Auswirkungen auf die geld­politische Trans­ kaum oder gar nicht regulierten Bereichen des mission haben. Zu der hierzu erforderlichen Ko­ sogenannten Schattenbankensystems. ordination und Abstimmung sollte der ESRB wesentlich beitragen. Glaubwürdiger Hier ist es die Aufgabe des Gesetzgebers, einen Handlungs­ glaubwürdigen Handlungsrahmen für die ma­ rahmen Vgl.: F. Dierick, P. Lennartsdotter und P. Del Favero, The ­erforderlich kroprudenzielle Politik zu entwickeln. Um der 7 ESRB at work – its role, organisation and functioning, Ma­ Vielschichtigkeit systemischer Risiken gerecht cro-prudential Commentaries, Issue No 1, Februar 2012. zu werden, muss die makroprudenzielle Politik 8 Zu den prozeduralen Details siehe S. 37. 9 Vgl.: Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht ein umfassendes Instrumentarium einsetzen 2010, S. 105 ff. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 34

Finanzielle Die Absicht, den Aufbau von finanziellen Un­ einem regelgebundenen Instrumentarium pro­ Ungleich­ gleichgewichten zu bremsen, verfolgen auch fitieren, da diskretionäre Eingriffe selbst mit gewichte limitieren die Pläne, eine Verschuldungsquote als Relation vielfältigen Problemen behaftet sind, so gilt von Bilanzsumme zu Eigenkapital einzuführen. dies auch für die makroprudenzielle Politik: Ihre Sie soll die Finanz­ierungshebel unabhängig Entscheidungsträger sind nicht mit einem un­ vom Risikogehalt der Aktiva limitieren und da­ fehlbaren Wissen über systemische Zusammen­ mit die Regulierung unabhängiger von der Be­ hänge versehen. Nicht zuletzt angesichts der rechnung von Risiko­aktiva machen. Eigenkapi­ Neuartigkeit systemischer Fragestellungen er­ talzuschläge für systemrelevante Institute in­ scheint es auch auf diesem Politikfeld sinnvoll, tendieren, das sogenannte „too-big-to-fail“- soweit möglich, regelgebundene Verfahren Problem nicht zu groß werden zu lassen. einzusetzen und Instrumente zu verwenden, Andere Instrumente, wie die sogenannte Net die primär wie automatische Stabilisatoren wir­ Stable Funding Ratio und die Liquidity Cover­ ken. Gerade aus diesem Grund sind antizyk­ age Ratio,10) setzen am Liqui­ditätsrisiko an. Sys­ lische Kapitalpuffer ein geeignetes Instrument temische Risiken manifestieren sich häufig als zur Begrenzung makroprudenzieller Risiken. Liquiditätskrisen von Finanz­instituten mit dem Interbankenmarkt als Katalysator. Für den Ver­ Um die Glaubwürdigkeit der makroprudenziel­ Klare Ziel-Mittel- sicherungssektor gibt es künftig mit den Sol­ len Politik zu gewährleisten, sind klare Zuwei­ Zuweisung vencyI I -Regulierungen instrumentelle Anknüp­ sungen von Mitteln zu Zielen erforderlich. Da­ fungspunkte. Auch Fragen der Marktinfrastruk­ zu gehört die Erkenntnis, dass geldpolitische tur können von systemischer Bedeutung sein Instrumente keine makroprudenziellen Ins­ und bedürfen geeigneter Instrumente. trumente sind. Nach einem in der Theorie der Wirtschaftspolitik allgemein anerkannten Makro­ Angesichts der hier bewusst nur angedeuteten Grundsatz ist ein Instrument nur einem Ziel zu­ prudenzielle Vielfalt denkbarer makroprudenzieller Instru­ zuordnen.11) Angewandt auf das Verhältnis von ­Überwachung kommunizieren mente bedarf es wohl noch einiger Erfahrung, Geldpolitik und makroprudenzieller Politik bis sich ein Instrumentarium herausgebildet bleibt die Geldpolitik der Geldwertstabilität ver­ hat, das etwa mit dem der Geldpolitik ver­ pflichtet, die makroprudenzielle Politik braucht gleichbar ist. Klarheit der Instrumente und Ziele daher spezifische Instrumente und institutio­ ist jedoch schon deshalb wichtig, weil die ma­ nelle Regelungen. In der längeren Frist gibt es kroprudenzielle Überwachung einer demokra­ zwischen Geldwertstabilität und Finanz­stabilität tischen Rechenschaftspflicht unterliegt und keinen Zielkonflikt. Im Gegenteil: So wie die auch der Öffentlichkeit kommuniziert werden Geldpolitik für ihren Erfolg auf einen funktio­ muss. nierenden Transmissionsmechanismus und ein gesundes Finanz­system angewiesen ist, so ist Makro­ Zu warnen ist vor jeder zweckfremden Instru­ Geldwertstabilität eine wichtige Voraussetzung prudenzielle mentalisierung des Begriffs des systemischen für Finanz­stabilität. Indem beide Politikbereiche ­Überwachung hat Grenzen Risikos. Nicht jedes große Unternehmen ist als mit den ihnen jeweils zur Verfügung stehenden systemisch einzustufen. Zur Rechtfertigung von Instrumenten ihre eigenen Ziele verfolgen, för­ ordnungspolitisch fragwürdigen Interventionen dern sie indirekt das jeweils andere Ziel. Es be­ eignet sich der Begriff des systemischen Risikos steht insoweit Zielkomplementarität. nicht. Es ist hier auch die Einsicht in die Gren­ zen der makroprudenziellen Politik erforderlich. Sie ist kein Allheilmittel, und mit ihr bricht nicht 10 Zu diesen Instrumenten vgl.: Deutsche Bundesbank, ein Zeitalter frei von Finanz­zyklen an. Zu war­ Finanz­stabilitätsbericht 2010, S. 105 ff.; und Deutsche Bundes­bank, Finanzstabilitätsbericht 2011, S. 67 ff. nen ist diesbezüglich auch vor einem diskretio­ 11 Vgl.: J. Tinbergen, On the Theory of Economic Policy, nären Interventionismus. So wie auch andere 1952. Vgl. auch: Deutsche Bundesbank, Konsequenzen für die Geldpolitik aus der Finanzkrise, Monatsbericht, März Bereiche der ­Finanz- und Wirtschaftspolitik von 2011, S. 55 ff. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 35

Makro­ Eine erfolgreiche präventive makroprudenzielle als Ganzes. Sie dürfen keine Weisungen von prudenzielle Überwachung und Politik verringern die Häu­ Mitgliedstaaten, anderen Unionsorganen oder ­Überwachung und Politik figkeit und die Intensität von Finanz­markt­ öffentlichen beziehungsweise privaten Einrich­ können Geld­ politik entlasten turbu ­lenzen. Sie entlasten damit die Geldpoli­ tungen einholen oder entgegennehmen. tik, weil diese im Abschwung weniger leicht Gleichzeitig nehmen diese auch keinen Einfluss unter Druck gerät, die Zinsen zu senken, um auf die ESRB-Mitglieder.13) auf die bedrohte Finanz­stabilität zu reagieren, oder auf unkonventionelle geldpolitische Maß­ Der ESRB greift auf ein breites Kompetenzspek­ Breites nahmen zurückzugreifen, die vielfach die Gren­ trum zurück. Indem nationale Institutionen be­ Kompetenz­ spektrum im zen zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik­ ver­ teiligt sind, kann die Systemrisikoanalyse auch ESRB vertreten wischen. Bei angespanntem Finanz­system und regionale Besonderheiten beziehungsweise zunehmendem Preisdruck können effektive Unterschiede in der EU berücksichtigen. Aller­ makroprudenzielle Instrumente die Finanz­sta­ dings hat die damit verbundene Größe des bili­tät sicherstellen, während gleichzeitig die ESRB auch Nachteile. Die Koordinierung wird Geldpolitik gestrafft würde. Umgekehrt trägt schwieriger, insbesondere wenn sich in Krisen­ eine Geldpolitik, die im Interesse der Geldwert­ zeiten die Ereignisse überschlagen. Die Stärken stabilität die Finanz­marktentwicklung gebüh­ des ESRB liegen deshalb vor allem in der mittel- rend berücksichtigt, zur Finanz­stabilität bei. und längerfristigen Perspektive und in der Kri­ senprävention, nicht im Krisenmanagement.

Institutionelle Struktur Der Verwaltungsrat ist das Beschlussorgan des Verwaltungsrat ESRB. Mit den Vertretern der nationalen Zen­ ist Beschluss­ ­zwischen Vielfalt an organ ­Kompetenzen und tralbanken, der EZB, aller Regu­lierungs- und Aufsichtsbehörden, der EU-Kommission und effektiver Arbeitsweise des Wirtschafts- und Finanz­ausschusses (WFA) ESRB als Teil des Der ESRB ist Teil des neuen Europäischen sowie den Vorsitzenden der beratenden Aus­ Europäischen Finanz­aufsichtssystems (ESFS). Neben dem schüsse (ATC und ASC) sitzen dort insgesamt Finanzaufsichts- systems ESRB umfasst dieses auch die nationalen Auf­ 65 Mitglieder. Davon haben 37 ein Stimmrecht. sichtsbehörden der 27 EU-Mitgliedstaaten und Der Präsident der EZB ist der Vorsitzende des die drei neuen EU-Aufsichtsbehörden sowie Verwaltungsrates. Jedes stimmberechtigte Mit­ den Gemeinsamen Ausschuss der Europäischen glied hat eine Stimme. Der Verwaltungsrat be­ Aufsichtsbehörden. Während diese Institutio­ schließt grundsätzlich mit einfacher Mehrheit nen Aufgaben der Einzelinstitutsaufsicht auf der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder. nationaler beziehungsweise europäischer Eine Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Ebene wahrnehmen,12) ist der ESRB für die Stimmen ist erforderlich, um eine Empfehlung Überwachung des EU-Finanz­systems in seiner anzunehmen oder eine Warnung oder Empfeh­ Gesamtheit zuständig. Im ESRB sind insbeson­ lung zu veröffentlichen. Mit 14 Mitgliedern ist dere alle Notenbanken und nationalen und der Lenkungsausschuss deutlich kleiner als der europäischen Behörden vertreten, deren Auf­ Verwaltungsrat. Er bereitet die Sitzungen des gaben Bezug zur Finanz­stabilität haben (vgl. Verwaltungsrates vor, prüft die zu erörternden Schaubild auf S. 36). Diese Zusammensetzung Unterlagen und überwacht die Fortschritte der gewährleistet einen Austausch von Erkenntnis­ laufenden Arbeiten. sen zwischen Notenbanken und den Aufsichts­ behörden. Außerdem werden die Makro- und Mikroaufsicht in der EU eng miteinander ver­ 12 Vgl. zur Neuausrichtung der Mikroaufsicht in der EU: zahnt. Der ESRB ist unabhängig, und seine Mit­ Deutsche Bundesbank, Internationale Zusammenarbeit in glieder sind unpar­teiisch und handeln einzig der Bankenregulierung: Historie und aktuelle Entwicklun­ gen, Monatsbericht, September 2011, S. 83 ff. und allein im Interesse der Europäischen Union 13 Vgl.: Art. 7 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 36

Die Organisationsstruktur des ESRB *)

Lenkungsausschuss (14 Mitglieder)

7 Notenbankvertreter 1 Vertreter der 3 Vertreter der 2 Vertreter von 1 Vertreter ESRB-Vorsitzender EU-Kommission ESAs ATC und ASC des WFA Erster stellvertretender Mitglied der EBA-Vorsitzender ATC-Vorsitzender WFA- ESRB-Vorsitzender EU-Kommission EIOPA-Vorsitzender ASC-Vorsitzender Vorsitzender EZB-Vizepräsident ESMA-Vorsitzender 4 nationale Noten- bankgouverneure

Unterstützt den Entscheidungsprozess

Verwaltungsrat (65 Mitglieder) – Beschlussorgan

29 Notenbank- 1 Vertreter der 3 Vertreter der 4 Vertreter von 27 Vertreter der 1 Vertreter vertreter EU-Kommission ESAs ATC und ASC NSAs des WFA EZB-Präsident Mitglied der EBA-Vorsitzender ATC-Vorsitzender i. d. R. WFA- EZB-Vizepräsident EU-Kommission EIOPA-Vorsitzender ASC-Vorsitzender Vorsitzende der Vorsitzender 27 Notenbank- ESMA-Vorsitzender 2 stellvertretende nationalen Auf- gouverneure ASC-Vorsitzende sichtsbehörden

37 Mitglieder mit Stimmrecht 28 Mitglieder ohne Stimmrecht

Beratung und Unterstützung

ASC (16 Mitglieder) ATC (62 Mitglieder)

ATC-Vorsitzender 27 nationale Notenbankvertreter 27 Vertreter der NSAs 15 externe Sachverständige 1 EZB-Vertreter 3 Vertreter der ESAs 2 Vertreter der EU-Kommission 1 Vertreter des WFA 1 Vertreter des ASC

ESRB-Sekretariat Analytische, statistische, administrative und logistische Unterstützung für alle Gremien

* Die Vertreter der genannten Institutionen sind weisungsunabhängig. ESRB European Systemic Risk Board, Europäischer Ausschuss für Systemrisiken. ESA European Supervisory Authority, EU-Aufsichtsbehörde. EBA European Banking Authority, Europäische Bankenauf- sichtsbehörde. EIOPA European Insurance and Occupational Pensions Authority, Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungs- wesen und die betriebliche Altersversorgung. ESMA European Securities and Markets Authority, Europäische Wertpapier- und Markt- aufsichtsbehörde. WFA Wirtschafts- und Finanzausschuss. ATC Advisory Technichal Committee, Beratender Fachausschuss. ASC Advi- sory Scientific Committee, Beratender Wissenschaftlicher Ausschuss. NSA National Supervisory Authority, Nationale Aufsichtsbehörde. Deutsche Bundesbank

Beratungs­ Weitere Gremien des ESRB sind der Beratende Experten zusammen, die umfangreiches Fach- gremien und Fachausschuss, das Advisory Technical Commit­ und Sachwissen in den Bereichen Bankwesen, Sekretariat unterstützen tee (ATC), sowie der Beratende Wissen­schaft­ Wertpapierwesen, Versicherungswesen und liche Fachausschuss, das Advisory Scientific betriebliche Altersversorgung haben und den Committee (ASC), die den Verwaltungsrat mit Verwaltungsrat vor allem methodisch bera­ Analysen unterstützen. Die Mitglieder des ATC ten.14) Der Vorsitzende und die beiden stellver­ sind typischerweise die Leiter der Bereiche tretenden Vorsitzenden werden vom Verwal­ Finanz­stabilität oder Finanz­aufsicht in den No­ tungsrat ernannt. Das Sekretariat unterstützt tenbanken oder den Aufsichtsbehörden. Der Verwaltungsrat kann Untergremien einsetzen, 14 Die benannten Personen gehören keiner ESA an und die ausgewählte Themen bearbeiten. Diese werden aufgrund ihrer allgemeinen Kompetenz sowie ihrer Untergremien bereiten gegebenenfalls War­ unterschiedlichen Erfahrung in wissenschaftlichen Diszipli­ nen oder in anderen Bereichen, insbesondere in kleinen nungen oder Empfehlungen vor. Der ASC setzt und mittleren Unternehmen, Gewerkschaften oder als An­ sich aus dem Vorsitzenden des ATC und 15 bieter bzw. Verbraucher von Finanzdienstleistungen, aus­ gewählt (vgl.: Art. 12 Abs. 1 der Verordnung (EU) vom Verwaltungsrat gewählten unabhängigen Nr. 1092/2010). Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 37

den ESRB analytisch und administrativ. Ferner erläuterte „comply-or-explain“-Mechanismus stützt es sich auf fach­liche Beratung durch die übt Rechtfertigungs- und Handlungsdruck auf ESAs, die nationalen Zentralbanken und die na­ die Adressaten aus, der nicht zu unterschätzen tionalen Aufsichtsbehörden.15) ist, vor allem bei öffent­lichen Empfehlungen. Die Adressaten müssen sich dann nicht nur dem ESRB und dem Europäischen Rat erklären, Warnungen und Empfehlun­ sondern letztlich auch der breiten Öffentlich­ gen beachten und umsetzen: keit. essenziell für die Glaub­ Im Gegenzug zählt zur Glaubwürdigkeit, dass Verantwortungs­ würdigkeit des ESRB der ESRB mit der ihm übertragenen Verantwor­ voller Umgang des ESRB mit Warnungen und Identifiziert der ESRB signifikante Risiken für die tung gewissenhaft umgeht. Das bedeutet, eine Instrumenten Empfehlungen Finanz ­stabilität in der Europäischen Union, angemessene Balance bei den Warnungen be­ spricht er öffentliche oder nicht öffentliche ziehungsweise Empfehlungen zu finden: Zu Warnungen oder Empfehlungen aus, um den häufige Risikowarnungen würden die Glaub­ Risiken vorzubeugen, entgegenzutreten oder würdigkeit untergraben, gegebenenfalls syste­ sie einzugrenzen. Adressaten können die Union mische Verwerfungen gar befördern. Anderer­ insgesamt, Mitgliedstaaten, die EU-Kommission seits dürfte das Ansehen des ESRB aber auch sowie die europäischen oder nationalen Auf­ Schaden nehmen, wenn er nötige Warnungen sichtsbehörden sein. Empfehlungen sind mit unterlassen würde. Insofern war es richtig, einer Handlungsanweisung sowie einer Umset­ möglichst viel Expertise im ESRB zu vereinen zungsfrist verbunden.16) Der ESRB überwacht und in ihm die Fachkenntnis aller europäischen diese Umsetzung. Die Adressaten informieren Notenbanken und Aufsichtsbehörden zu bün­ den ESRB und den Europäischen Rat über die deln. ergriffenen Maßnahmen. Außerdem rechtferti­ gen sie ihr eventuelles Nichthandeln in ange­ messener Weise (sog. „comply-or-explain“- Das erste Jahr des ESRB: Mechanismus). Sollte der ESRB feststellen, dass Aufbauarbeit im Schatten die Empfehlung nicht befolgt wurde oder dass der Staatsschuldenkrise das Nichthandeln unbegründet ist, wird er den Adressaten und den Europäischen Rat darüber Der ESRB hat im Januar 2011 seine Arbeit auf­ Arbeiten des in Kenntnis setzen.17) genommen. Seine bisherige Tätigkeit stand da­ ESRB im ersten Jahr seit seiner mit zum einen unter dem Eindruck der sich im Gründung Ohne rechtlichen Die künftige Schlagkraft des ESRB hängt von Jahresverlauf verschärfenden Staatsschulden­ Sanktions­ der Durchsetzbarkeit seiner Empfehlungen ab. krise. Zum anderen war sie geprägt von einer mechanismus, aber nicht ohne Hierin könnte ein Handicap liegen: Der ESRB typischen institutionellen Aufbauarbeit, mit der Macht kann zwar Warnungen und Empfehlungen aus­ sich eine neu gegründete Institution nach und sprechen, diese sind aber für die Adressaten nach einen effektiven Handlungsrahmen inner­ nicht verbindlich, sodass ein rechtlicher Sank­ halb ihres allgemeinen Mandats gibt. Letzteres tionsmechanismus fehlt. Mittel- bis langfristig fängt an bei der Identifikation von Arbeits­ steht und fällt der Erfolg des ESRB mit der Ak­ schwerpunkten sowie der Gründung von zeptanz ­seitens der Mitglieder, der Adressaten Arbeitsgruppen und reicht bis hin zur Erörte­ und der Öffentlichkeit. Das Beispiel des euro­ rung von makroprudenziellen Politikinstrumen­ päischen Stabilitäts- und Wachstumspakts hat ten und dem hierfür notwendigen und sach­ eindrücklich veranschaulicht, dass die Glaub­ würdigkeit einer Institution nicht durch Regel­ missachtung untergraben werden darf. Der 15 Vgl.: Art. 4 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010. 16 Vgl.: Art. 16 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010. ESRB ist aber keinesfalls ohne Macht. Der oben 17 Vgl.: Art. 17 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 38

gerechten Rahmen. Arbeitsschwerpunkte und rüber hinaus sollen sie Leitlinien erlassen, damit erste Ergebnisse werden aus den Pressemit­ die Finanz­institute die Risiken aus Fremdwäh­ teilungen des ESRB, den Stellungnahmen des rungskrediten besser in ihre internen Risiko­ Vorsitzenden des ESRB und den Anhörungen managementsysteme einbeziehen. Sie sollen vor dem Europäischen Parlament sowie aus die Finanz­institute verpflichten, entsprechendes den bisher erfolgten öffentlichen Empfehlun­ Eigenkapital vorzuhalten. Des Weiteren sollen gen deutlich. sie die Finanz­ierungs- und Liquiditätsrisiken aus Fremdwährungskrediten überwachen. Umzu­ ESRB informiert Die konkreten Ergebnisse aus Analysen und in­ setzen sind die Empfehlungen bis zum 31. De­ Öffentlichkeit ternen Diskussionen im ESRB sind vertraulich. zember 2012. Besondere Fristen gelten für ein­ und Parlament Gleichwohl informiert der ESRB regelmäßig zelne dieser Empfehlungen.20) über seine Arbeit.18) So findet im Anschluss an die Verwaltungsratssitzungen gegebenenfalls Einige große europäische Institute refinanzieren Empfehlungen eine Pressekonferenz statt. In dieser legt der sich in hohem Maße in US-Dollar.21) Mit dem zur US-Dollar- Refinanzierung ESRB seine Risikoeinschätzungen dar und gibt Rückzug der US-Geldmarktfonds im Laufe der einen Überblick über seine aktuellen Tätigkeits­ Staatsschuldenkrise gerieten einige Banken in schwerpunkte. Seiner Rechenschafts- und Be­ US-Dollar-Refinanzierungsschwierigkeiten. Au­ richtspflicht kommt der ESRB durch einen Jah­ ßerdem war eine Verkürzung der Laufzeiten resbericht sowie im Rahmen von öffentlichen der US-Dollar-Passiva zu beobachten. Der ESRB Anhörungen des ESRB-Vorsitzenden vor dem ist zu dem Schluss gekommen, dass die Anfäl­ Europäischen Parlament nach, und zwar min­ ligkeit der US-Dollar-Refinanzierung von euro­ destens einmal im Jahr.19) päischen Kreditinstituten bedeutende Liquidi­ tätsrisiken für die Banken und mittelfristig für Empfehlungen Der ESRB hat bislang öffentliche Empfehlungen die Realwirtschaft in sich birgt. Daher empfiehlt zu Fremd­ zu Fremdwährungskrediten, zur Überwachung er den nationalen Aufsichtsbehörden, Fristen­ währungs­ krediten der US-Dollar-Refinanzierung und zu nationa­ inkongruenzen und Gegenparteirisiken zu len makroprudenziellen Mandaten ausgespro­ überwachen, sowie die Aufsicht zu US-Dollar- chen. In den letzten Jahren haben Fremdwäh­ Swaps und gruppeninternen Exposures zu er­ rungskredite an nicht abgesicherte Kreditneh­ weitern. Bei exzessiven Exposures der Banken mer in einigen Mitgliedstaaten der Europäi­ sollen geeignete Maßnahmen ergriffen wer­ schen Union zugenommen. Die Zinssätze für den. Ferner sollen US-Dollar-Refinanzierungs­ Fremdwährungskredite liegen zum Teil deutlich schocks in den Notfallrefinanzierungsplänen unter denen für Kredite in Heimatwährung. der Kreditinstitute so berücksichtigt werden, Fremdwährungskredite gehen gegebenenfalls dass systemische Risiken vermieden werden. mit Wechselkursrisiken einher. Nicht abge­ sicherte Schuldner können bei einer Aufwer­ Der ESRB hat Empfehlungen veröffentlicht, wie Empfehlung zu tung der Fremdwährung oder einem Zins­ nationale makroprudenzielle Mandate ausge­ nationalen makro­ anstieg den Schuldendienst dann unter Um­ staltet werden sollen. Die Empfehlungen geben prudenziellen ständen nicht mehr tragen. Dieses Risiko hält wichtige Eckpunkte vor, lassen aber hinrei­ Mandaten der ESRB für systemisch relevant. Er fordert des­ chend Spielraum für Anpassungen an die Struk­ halb die nationalen Aufsichtsbehörden, die EBA und die Mitgliedstaaten dazu auf, die Finanz­ 18 Alle öffentlich zugänglichen Informationen des ESRB institute zu verpflichten, ihre Kunden besser sind einsehbar unter: www.esrb.europa.eu. 19 Vgl.: Art. 19 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1092/2010. über die Risiken zu informieren. Die nationalen 20 Vgl.: Empfehlung des Europäischen Ausschusses für Aufsichtsbehörden sollen zudem das Ausmaß Systemrisiken vom 21. September 2011 zu Fremdwäh­ rungskrediten (ESRB/2011/1), Amtsblatt der Europäischen der Fremdwährungskreditvergabe besser über­ Union vom 22. November 2011 (Abl. EU 2011/C 342/01). wachen, gegebenenfalls einschränken und Vor­ 21 Zum Problem der US-Dollar-Refinanzierungslücke vgl. auch: Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2011, gaben für die Bonität der Kunden machen. Da­ S. 60 f. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 39

turen des Finanz­sektors und der nationalen ESRB soll der Ausschuss auf nationaler Ebene Aufsicht. Die Mitgliedstaaten sollen einer Be­ der Bündelung der Expertise und der Verzah­ hörde die Zuständigkeit für die makropruden­ nung von makroprudenzieller Überwachung zielle Über­wachung zuweisen. Dies kann eine und mikroprudenzieller Aufsicht dienen. Dem einzelne Institution oder ein Gremium sein, in Referentenentwurf zufolge soll die Bundesbank dem mehrere Institutionen mitwirken. Dabei ist eine Reihe wichtiger Aufgaben erhalten. Insbe­ die Zusammenarbeit innerhalb der makropru­ sondere soll sie für die Finanz­stabilität maßgeb­ denziellen Behörde sowie die Kooperation mit liche Sachverhalte analysieren sowie Gefahren anderen Institutionen zu regeln und zu koordi­ identifizieren, welche die Finanz­stabilität beein­ nieren. Zentralbanken sollen eine bedeutende trächtigen können. Sie soll dem Ausschuss Rolle in der makroprudenziellen Über­wachung Warnungen und Empfehlungen vorschlagen, haben, vor allem bei der unabhän­gigen makro­ deren Umsetzung überwachen und bewerten prudenziellen Analyse.22) Die zuständige Be­ und einen jährlichen Bericht über die Finanz­ hörde handelt auf eigene Initiative und reagiert stabilität an das Parlament vorbereiten. Der zum Beispiel auch auf Warnungen und Emp­ Ausschuss soll zudem über den Umgang mit fehlungen des ESRB. Die Behörde soll in Koope­ Warnungen und Empfehlungen des ESRB be­ ration mit der mikroprudenziellen Aufsicht sys­ raten. Schließlich soll der Ausschuss die Bun­ temrelevante Institute und Strukturen benen­ desanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA) nen. Sie soll Zugang zu allen notwendigen über die Entwicklung der Finanz­stabilität und Daten erhalten und den Einsatz erforderlicher über seine Beschlüsse und Entscheidungen in­ Instrumente empfehlen. formieren, soweit dies zur Erfüllung der Aufga­ ben des Lenkungsausschusses der FMSA erfor­ Glaubwürdigkeit Unabhängigkeit soll – dem ESRB zufolge – die derlich ist. Aus Sicht der Bundesbank ist die der nationalen makro­prudenzielle Behörde vor äußerem Druck geplante Weiter­entwicklung und Stärkung der makro­pruden­ ziellen Behörde schützen. Dies ist für ihre Glaubwürdigkeit un­ Finanz ­marktaufsicht zu begrüßen. Damit zieht wichtig erlässlich. Außerdem soll sie so mandatiert wer­ Deutschland eine der zentralen Lehren aus der den, dass sie vorausschauend handeln kann Finanz ­krise und wird der internationalen Ver­ und dem Aufbau systemischer Risiken rechtzei­ antwortung gerecht, die sich nicht zuletzt aus tig entgegenwirkt. Makroprudenzielle Entschei­ der Bedeutung des deutschen Finanz­systems dungen sollen zeitnah veröffentlicht werden, ergibt. solange die Ver­öffentlichung selbst nicht mit Risiken für die Finanzmarktstabilität­ einhergeht. Insbesondere soll die makroprudenzielle Be­ Chancen nutzen hörde Stellungnahmen zu systemischen Risiken abgeben können. Dabei sind Transparenz und Mit dem ESRB besteht die Chance, die makro­ Finanzstabilität Rechenschaft wichtig, damit die Öffentlichkeit prudenzielle Überwachung in Europa zu etab­ stärken und der Finanz­sektor die Maßnahmen verste­ lieren und entscheidend weiterzubringen. Er­ hen und nachvollziehen können. Der ESRB folgreich genutzt trägt er dazu bei, die Wahr­ empfiehlt, dass sich die makroprudenziellen Be­ scheinlichkeit und Häufigkeit von Finanz­krisen hörden vor den nationalen Parlamenten verant­ und systemischen Krisen zu verringern bezie­ worten. hungsweise ihre Folgen abzumildern. Dazu müssen die Adressaten die Warnungen und In Deutschland In Deutschland befindet sich derzeit eine Vor­ Mandat auf lage zum makroprudenziellen Mandat im Ge­ dem Weg setzgebungsverfahren,23) das noch in diesem 22 Ihre Unabhängigkeit im Sinne des Art. 130 des Vertra­ ges über die Arbeitsweise der Europäischen Union wird Jahr abgeschlossen werden soll. Danach ist vor­ dadurch nicht beeinträchtigt. gesehen, einen Ausschuss für Finanz­stabilität 23 Vgl.: Referentenentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der deutschen Finanzaufsicht, einsehbar unter: www.bundes­ zu errichten. Wie auf europäischer Ebene der finanzministerium.de. Deutsche Bundesbank Monatsbericht April 2012 40

Empfehlungen respektieren und umsetzen. besseren Früherkennung von systemischen Risi­ Auch wenn mit der beschriebenen Neuausrich­ ken und deren konsequenter Bekämpfung. tung der Finanz­architektur auf europäischer Jetzt gilt es, die Instrumente in der täglichen und auf nationaler Ebene Finanz­krisen auch Arbeit zu nutzen und dadurch zur Stärkung der künftig nicht gänzlich ausgeschlossen werden Finanz ­stabilität beizutragen. Letztlich wird der können, schafft sie doch die Grundlage zur Erfolg des ESRB daran gemessen werden.