Ministerium für Landesumweltamt Umwelt und Naturschutz, Nordrhein-Westfalen Landwirtschaft und Verbraucherschutz – Sonderbericht – des Landes Nordrhein-Westfalen Gewässergütebericht 2000 30 Jahre Biologische Gewässerüberwachung in Nordrhein-Westfalen IMPRESSUM Herausgeber: Ministerium für Umwelt und Naturschutz Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen 40190 Düsseldorf Telefon: (0211) 45 66 - 0 e-mail: [email protected]

Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen Wallneyer Str. 6, 45133 Essen Telefon: (02 01) 79 95 - 0 e-mail: [email protected]

Redaktion: Susanne Seuter umweltbüro essen, Gänsemarkt 29/31, 45127 Essen Erarbeitet von: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LUA, der StUÄ und der LÖBF unter Beteiligung des Naturschutzzentrums Kleve und der -Universität Bochum ISSN: 1437-7500 Informationsdienste: Umweltdaten aus NRW, Fachinformationen des LUA NRW: • Internet unter http://www.lua.nrw.de

Bereitschaftsdienst: Nachrichtenbereitschaftszentrale des LUA NRW (24-Std.-Dienst): Telefon (0201) 71 44 88 Vertrieb: Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen Postfach 102 363, 45023 Essen

Layout, Satz: Helga Friedrich, Angela Tuczek

Druck: Moeker Merkur Druck GmbH, Köln

2 Vorwort

Vorwort

Am 1. Januar 1969 wurde die Landesanstalt für Gewässerkunde und Gewässerschutz, eine Vorläufer- institution des heutigen Landesumweltamtes (LUA), gegründet. Damit wurde der Grundstein für die einheit- liche Gewässerüberwachung im Lande geschaffen. Seitdem sind drei Jahrzehnte vergangen, in denen im Gewässerschutz viel angepackt und erreicht wurde. Dies belegen zum Beispiel die alle fünf Jahre er- scheinenden Gewässergütekarten. In diesen Karten wird der Grad der organischen, biologisch leicht abbau- baren Belastung dargestellt. Aber nicht nur die biologisch leicht abbaubaren Stoffe wurden mit Programmen zur Abwasserreinigung bei Industrie und Gewerbe reduziert. Die langlebigen, schwer abbaubaren Stoffe, organische Spurenstoffe mit giftigen Wirkungen bereits in kleinsten Mengen, werden zwar auch vermindert, wegen ihrer Wirkungen bleiben sie aber weiter auf der Tagesordnung. Nach dem katastrophalen Fischsterben 1969, das von der Mainmündung bis weit in den Niederrhein reichte, wurde 1970 die erste Rheinmessstation Kleve-Bimmen an der Grenze zu den Niederlanden in Betrieb genom- men. 1973 wurde dort der erste, im LUA entwickelte dynamische Fischtest installiert, der rund um die Uhr Schadwirkungen auf die Gewässerorganismen anzeigt. Neben den genannten Untersuchungs- und Überwachungsarbeiten ist an den fließenden und stehenden Gewässern des Landes für eine breite Palette unterschiedlicher Problemstellungen eine Fülle von Arbeiten von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes durchgeführt worden. Toxische Belastungen, routinemäßige Überwachung der Abwassereinleiter mit Fischen als Bioindikatoren zur Prüfung der Schadwirkungen gereinigten Abwassers, Eutrophierung stehender Gewässer und Talsperren, Versauerung der Bäche, Entwicklung und Nutzungsmöglichkeiten von neu entstandenen Seen im rheinischen Braunkohlerevier, Pflege- und Nutzungskonzepte für Naturschutzgewässer waren und sind die Themen, denen nachgegangen werden muss. Die Weiterentwicklung der Messverfahren zur Beurteilung von toxischen Stoffen und für die Gewässerbewertung sind weitere Arbeitsfelder. Nicht zuletzt sind biologisch-limnologische Untersuchungen ganz allgemeiner Bestandteil von Planungen und Maßnahmen der Sanierung sowie des vorsorgenden Gewässerschutzes. Neue Herausforderungen ergeben sich aus der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie mit ihrem ökosystemaren Ansatz. Hierzu sind in NRW bereits wert- volle naturwissenschaftliche Vorarbeiten geleistet worden. Der vorliegende Gewässergütebericht 2000 gibt Gelegenheit, die breite Palette der Untersuchungen mit vor- wiegend biologischen Aufgaben darzustellen. Dabei wurde nicht Vollständigkeit angestrebt, sondern der Versuch unternommen, ausgewählte, typische Beispiele aufzuzeigen. Der Gewässergütebericht 2000 ist das Werk einer großen Zahl von Autorinnen und Autoren der Staatlichen Umweltämter und des Landesumweltamtes, aber auch der Kooperation mit der Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten sowie von Biologischen Stationen. Neben den bei den einzelnen Aufsätzen genannten Personen ist vielen ungenannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihr Engagement und ihre sorgfältige Mitarbeit zu danken. Vieles, worüber hier berichtet wird, haben Frauen und Männer erarbeitet, die nicht mehr in der Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes tätig sind. Ohne ihre Vorarbeit wäre dieser Bericht nicht zustande gekommen. Wir wünschen dem Gewässergütebericht 2000 eine freundliche Aufnahme bei seinen Leserinnen und Lesern.

Bärbel Höhn Dr. Harald Irmer Ministerin für Umwelt und Naturschutz, Präsident des Landesumweltamtes Landwirtschaft und Verbraucherschutz (MUNLV) Nordrhein-Westfalen des Landes Nordrhein-Westfalen

3 Inhalt

1 Einleitung ...... 7

2 Spezifische Gewässerbelastungen ...... 13 2.1 Saprobie - biologische Gewässergüte ...... 17 2.2 Trophie ...... 17 2.3 Versauerung ...... 20 2.4 Salzbelastung ...... 22 2.5 Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel ...... 23 2.6 Strukturgüte ...... 23

3 Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen ...... 27

3.1 Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen ...... 31 3.1.1 25 Jahre Gewässergüteüberwachungsstationen in Nordrhein-Westfalen – Europas dichtestes Messstationennetz – ...... 31 3.1.2 Einsatz von kontinuierlichen Biotestverfahren zur Gewässergüteüberwachung ...... 37 3.1.3 Zebramuscheln im Dienste des Umweltschutzes – Akkumulationsmonitoring von biologisch verfügbaren Schadstoffanteilen in der Weser . . . . 41 3.1.4 Wiedereinbürgerung des Lachses in Nordrhein-Westfalen – Stand, wissenschaftliche und praktische Aspekte ...... 49

3.2 Rhein und Nebenflüsse ...... 55 3.2.1 Rheinstrom ...... 55 3.2.1.1 Leben im Rhein ...... 56 3.2.1.2 Sanierung und Restaurierung von Altgewässern am Unteren Niederrhein – Auswirkungen auf Gewässerbeschaffenheit und Trophie ...... 70 3.2.1.3 Aktionsprogramm Rhein ...... 77 3.2.2 Sieg ...... 79 3.2.2.1 Erfolge der Gewässerüberwachung an der oberen Sieg ...... 79 3.2.2.2 Die Gewässergüteentwicklung der unteren Sieg ...... 84 3.2.2.3 Gewässergüte und ökologischer Zustand der Agger ...... 87 3.2.3 Die Wupper – Vom „Schwarzen Fluss“ zum Lachsgewässer? ...... 91 3.2.4 Erft ...... 101 3.2.4.1 Die untere Erft – Ein subtropischer Fluss ...... 101 3.2.4.2 Entwicklung der Gewässergüte in der Swist ...... 104 3.2.5 Ruhr ...... 107 3.2.5.1 Die untere Ruhr – Ein staureguliertes Fließgewässer auf dem Weg zur ökologischen Durchgängigkeit 107 3.2.5.2 Die Volme – Entwicklung der Gewässergüte im Zeitraum von 1969/70 bis 1999 ...... 117 3.2.6 Emscher ...... 139 3.2.6.1 Vom Abwasserkanal zum Fluss – Erfolgreiche Schritte bei der ökologischen Wiederbelebung des Emschersystems . 139 3.2.6.2 Auferstanden aus dem Schmutzwasserbett – Erfolge von Renaturierungsmaßnahmen im Emschersystem ...... 152 3.2.7 Die Lippe im Rückblick der Güteüberwachung ...... 163

5 3.3 Ems und Einzugsgebiet ...... 177 3.3.1 Die Güteentwicklung der Ems von 1969 bis 1999 ...... 177 3.3.2 Die Werse – Wechselwirkungen zwischen Abwasserreinigung und Gewässergüteentwicklung in den letzten 30 Jahren ...... 184 3.3.3 Ibbenbürener Aa ...... 193

3.4 Einzugsgebiet Weser ...... 197 3.4.1 Die Weser, der Mensch und das Salz: Entwicklungsmöglichkeiten eines großen Fließgewässers in Deutschlands Mitte ...... 197 3.4.2 Der Emmerstausee: Ein Eingriff mit Folgen ...... 211

3.5 Einzugsgebiet Maas ...... 215 3.5.1 Entwicklung der Gewässergüte in der Wurm ...... 215 3.5.2 Die Niers – Der Wandel von der „Landeskloake“ zum Fischgewässer ...... 225

3.6 Einzugsgebiet Ijsselmeerzuflüsse ...... 233 3.6.1 Issel – Ein landwirtschaftlich geprägter Flachlandfluss ...... 233 3.6.2 Die Berkel – Ein sandgeprägtes Gewässer im Münsterland ...... 239

4 Stehende Gewässer ...... 243 4.1 Entwicklung der Gewässerbeschaffenheit ausgewählter Tagebauseen der Ville ...... 247 4.2 Baggerseen und ihre Folgenutzungen ...... 257 4.3 Ökologische Entwicklung von Kleingewässern der Westfälischen Tieflandsbucht ...... 267 4.4 Die Sanierung des Schlossgrabens in Münster ...... 283

5 Gewässerversauerung ...... 287 5.1 Untersuchungen zur Gewässerversauerung in Nordrhein-Westfalen ...... 289 5.2 Die Ölbachquelle: sauber, sauer und seltsam schön ...... 293

6 Einfluss von hormonell aktiven Schadstoffen auf Fische in Nordrhein-Westfalen 298

7 Gewässerstrukturgüte der Fließgewässer ...... 309

8 Ausblick ...... 315 8.1 Rohstoffgewinnung in Flussauen: Über die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und die Wiederherstellung auentypischer Lebensräume am Beispiel der Weser ...... 317 8.2 Zuviel Salz in der Suppe – Notwendigkeit eines einheitlichen Grubenwasserkonzeptes für Emscher und Lippe ...... 323 8.3 Endokrin wirksame Stoffe in Oberflächengewässern ...... 335 8.4 Arzneimittel ...... 337 8.5 Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie ...... 341

Fotonachweis ...... 345

6 1 Einleitung Einleitung

1 Einleitung

Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA)

Von der Wasserqualität zur Gewässerqualität 1 Einleitung

Wasser ist nicht selbstverständlich überall und zu Gewässer zum Wohl der Allgemeinheit zu bewirt- jeder Zeit in der gewünschten Menge und Qualität schaften sind. Erst mit der 5. Novelle von 1986 vorhanden. Deshalb wurde auch in recht wasser- wurde rechtlich verbindlich festgelegt, dass die reichen Regionen wie den Rheinlanden, Westfalen Gewässer als Bestandteile des Naturhaushalts zu und dem Lippeschen – heute Nordrhein-Westfalen – bewirtschaften sind. Die jüngste, 6. Novelle von schon von jeher Vorsorge getrieben. Vor allem der 1996 legt im § 1a als Grundsatz fest: Schutz vor Hochwasser und die Sicherung der Ufergrundstücke waren zentrale Bestandteile der „Die Gewässer sind als Bestandteil des Naturhaus- Daseinsvorsorge. Wasser als Energieträger wurde haltes und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen genutzt, um die Kleinindustrie schon vor Jahr- zu sichern. Sie sind so zu bewirtschaften, dass sie hunderten zu entfalten. Bereits um die Wende vom dem Wohl der Allgemeinheit und im Einklang mit 19. zum 20. Jahrhundert wurde entschieden, die ihm auch dem Nutzen einzelner dienen und ver- Ruhr als Trinkwasserfluss zu schonen und die meidbare Beeinträchtigungen ihrer ökologischen Emscher als Abwasserfluss zu 'brauchen', heute Funktionen unterbleiben.“ besser zu 'missbrauchen'. Eine ähnliche, verzögerte Entwicklung bahnt sich Nach dem Ende des 2. Weltkriegs nahm die Ver- jetzt auf europäischer Ebene an. Waren die ersten unreinigung der Flüsse und Bäche während des das Wasser betreffenden EG-Richtlinien lediglich Wiederaufbaus dramatisch zu. Erst im wahrsten auf die Sicherung einer zweckentsprechend guten Sinne stinkendes Wasser, Fischsterben, Schaum- Beschaffenheit des Wassers ausgerichtet, so setzt berge von Waschmitteln und Öllachen auf den die kommende EU-Wasserrahmenrichtlinie als Flüssen führten mit sich steigernden Ansprüchen allgemeines Ziel eine gute ökologische Qualität an das Trinkwasser zu inzwischen flächendecken- der Gewässer, die mit biologischen Kenngrößen der Reinigung des Abwassers. regional und gewässertypspezifisch zu bestimmen ist. Wenn man bedenkt, dass die EG-Fischgewäs- Parallel dazu wurde die Entkoppelung der Wasser- serrichtline von 1976 (EG 1976) lediglich chemische körper von ihrer Aue durch Meliorierung und Qualitätsziele für Kenngrößen des Wasser- Dränung so weit getrieben, dass auch nasse chemismus und die Wassertemperatur bestimmt, Dauergrünlandstandorte ackerfähig wurden. Der nur auf die Beschaffenheit des Gewässerbettes als auf maximale Nutzung der Fläche für Landwirt- weitere, unersetzbare Grundlage für das Leben von schaft, Siedlung und Gewerbe ausgerichtete, rein Fischen oder die Erreichbarkeit der Laichgründe technische Ausbau wurde noch massiv betrieben, von Lachs und Meerforelle aber überhaupt keinen als es bereits durch Überproduktion erhebliche Bezug nimmt, dann kann man schon von einem strukturelle Probleme in der Landwirtschaft gab und Quantensprung in der gesellschaftlichen Akzeptanz naturnah gebliebene Gewässer ein rares Gut ge- des Gewässerschutzes reden. worden waren. Dennoch bleibt immer ein bitterer Beigeschmack, Inzwischen hat sich viel geändert. Das kann man wenn der heute erreichte Stand der Abwasserreini- z. B. an der Entwicklung der im § 1 des Wasser- gung und die ersten Erfolge von Renaturierungen haushaltsgesetzes (WHG) formulierten Ziele ab- und Entfesselungen der Flüsse und Bäche mit dem lesen. In der ersten Fassung von 1957 und auch der Zustand vor Beginn der Rückbesinnung auf die zweiten ist lediglich festgelegt, dass die Benutzung Werte gesunder Gewässer verglichen werden. Wir der Gewässer einer behördlichen Erlaubnis oder sollten nicht zurückschauen zu einer Zeit, derer wir Bewilligung bedarf (WHG 1957). Mit der 4. Novelle uns heute schämen müssen, sondern die immer von 1976 wurde im Grundsatz eingeführt, dass noch großen Aufgaben vor uns sehen.

9 Meilensteine der Gütebewertung Beginn des Jahres 2000 konnte der letzte Fischtest am Rhein in NRW stillgelegt werden, weil in- Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eine zwischen vor allem der ebenfalls von einem Mit- biologische Methode zur Bewertung der Gewässer- arbeiter des Hauses entwickelte dynamische güte entwickelt, die in revidierter Form heute noch Daphnientest eine noch breitere Palette potentieller als Saprobiensystem Bestand hat. Die mittels Schadstoffe empfindlicher detektieren kann (KNIE Indikatororganismen definierten Gütestufen galten 1978) (s. Kap. 3.1.2). lange Zeit als die Bewertungsmethode für Gewäs- ser schlechthin. In der Tat war auch über Jahrzehnte Zur Vereinheitlichung der biologischen Fließgewäs- nur die Belastung mit biologisch leicht abbaubaren, serbewertung, auf deren Grundlage die Gütekarten organischen Substanzen zu indizieren, denn das entstehen, wurde 1982 eine „Richtlinie zur Ermitt- war das Problem. Inzwischen sind neue, uner- lung der Gewässergüteklasse“ für NRW in Zusam- wünschte Stoffe im Wasser und neue Probleme ent- menarbeit mit den inzwischen bei den meisten standen, die differenziertere Bewertungsmethoden Wasserwirtschaftsämtern tätigen Biologen und von erfordern. Verbänden und Untersuchungseinrichtungen in NRW erarbeitet und vom Ministerium eingeführt. Schon in den 50er Jahren begann die regelmäßige Das war ein wichtiger Schritt zur Standardisierung chemische und auch die biologische Untersuchung der Mess- und Bewertungsverfahren. Das zu- der Fließgewässer des Landes. Sie wurde zunächst grundeliegende Saprobiensystem existierte damals von verschiedenen Untersuchungslabors im Auftrag noch in verschiedenen Versionen und wurde erst der Wasserwirtschaftsämter durchgeführt. Einer der 1991 als DIN-Norm (DIN 1991) für die ganze Auftragnehmer war die Limnologische Station Bundesrepublik formal vereinheitlicht und aktuali- Niederrhein in der Max-Planck-Gesellschaft, von der siert (FRIEDRICH 1990). die Gebiete der heutigen StUÄ Aachen, Köln und Düsseldorf untersucht wurden. Diese Institution Seit dem Umweltprogramm der Bundesregierung wurde bei Gründung der Landesanstalt für Gewäs- von 1975 gilt Güteklasse II oder besser als all- serkunde und Gewässerschutz des Landes Nord- gemeines Güteziel für die Fließgewässer in der rhein-Westfalen (LGG) am 1. Januar 1969 der Auf- Bundesrepublik. Dieses damals hochgesteckte Ziel gabenbereich Biologie. wurde nicht mehr aus den Augen verloren und bildet bis heute eine Grundlage des Handelns im Ge- Im Sommer desselben Jahres ereignete sich ein wässerschutz. dramatisches Fischsterben im Rhein. Tagelang Als ein weiterer Meilenstein der Umsetzung biologi- trieben verendete und verendende Fische vom scher Untersuchungsergebnisse in den praktischen Mittelrhein bis in die Niederlande. Um festzustellen, Gewässerschutz kann die Ableitung von Mindest- ob die akut toxische Belastung des Rheinwassers güteanforderungen aus der statistischen Aus- noch anhielt oder nur die geschädigten Fische wertung der biologischen und chemischen Daten abtreiben, wurden von der Landesanstalt in einem der Überwachung der Fließgewässer gelten. Das nahegelegenen Baggersee rheintypische Fische Ergebnis war aus der Sicht des Zeitzeugen eine der gefangen und im Fluss exponiert. Ein Mitarbeiter wichtigsten gemeinsamen Arbeiten von Biologen, wurde abgestellt, der das Verhalten der Fische Chemikern und Abwassertechnikern. Schon nach beobachtete. Der Begriff „Dynamischer Biotest“ exi- fünf Jahren wurden sie ersetzt durch die All- stierte zu der Zeit noch nicht. Angeregt durch diese gemeinen Güteanforderungen, AGA (LWA 1991) Katastrophe wurden jedoch in mehreren Landes- als Entscheidungshilfe für die Wasserbehörden in anstalten Fischmonitore entwickelt. Mitarbeiter des wasserrechtlichen Erlaubnisverfahren und vom heutigen LUA hatten maßgeblichen Anteil an der Ministerium offiziell im Lande Nordrhein-Westfalen Entwicklung des dynamischen Fischstestes (JUHNKE eingeführt. &BESCH 1971, JUHNKE & ERMISCH 1973), der in der bereits 1970 in Betrieb genommenen Messstation Ein ähnlich folgenschwerer Unfall wie 1969 ereigne- an der Deutsch-Niederländischen Grenze einge- te sich am 1. November 1986, als in einer Lager- setzt wurde. Später wurde das System der halle der Firma Sandoz ein Brand ausbrach, dessen Biomonitore ausgebaut zu einer Palette, bei denen ökotoxikologische Folgen bis zur Messtation Bad verschiedene Organismen eingesetzt werden. Zu Honnef biologisch nachweisbar waren. In der Folge

10 wurde im Zuge der Anpassung der Gewässerüber- schutzbedürftige Tiere der Bäche. Bis heute beteiligt wachung an neue Herausforderungen das INGO- sich das Land an einem internationalen Monitoring- System installiert, das vor allem eine adaptierte programm (FRIEDRICH &HESSE 1990). In jüngster Palette chemischer Kenngrößen umfasst, die in den Zeit ist die Versauerungsintensität der Fließge- vom LUA betriebenen, landeseigenen, z. T. neu er- wässer in NRW wie auch sonst in Deutschland deut- richteten Messstationen gemessen werden. Dazu lich rückläufig, offensichtlich ein Erfolg der Ent- 1 Einleitung gehören auch die Dynamischen Bioteste (s. Kap. schwefelung von Rauch- und Abgasen. 3.1.2). Daneben wurden an mehreren Stationen Zu der Zeit, da der Verbesserung der Wasserbe- künstliche Aufwuchsträger installiert. Dabei handelt schaffenheit schon sehr viel Aufmerksamkeit galt, es sich um Steine aus dem Rhein, die in durch- gab es noch keinen gesellschaftlichen Konsens für löcherten Plastikflaschen im Rhein exponiert sind. den ganzheitlichen Gewässerschutz. Zur Maximie- Auf ihnen siedeln sich Tiere an. Der Vorteil der rung der Nutzung in den Auen wurde rein technisch künstlichen Aufwuchsträger liegt inbesondere darin, betriebener Gewässerausbau und die entsprechen- dass sie sich an Pontons befestigt immer in der de Unterhaltung stark voran getrieben. Auch gleichen Tiefe unter der Wasseroberfläche befinden Hochwasserrückhaltebecken mit Dauerstau waren und auch bei Hochwasser zugänglich sind. erstrebte Ziele. Erst Mitte der 70er Jahre begann ein Neben der Verschmutzung der Fließgewässer mit Umdenken, das sich u. a. in der „Richtlinie für natur- biologisch leicht abbaubaren Substanzen, wie sie nahen Ausbau und Unterhaltung der Fließgewässer typischerweise im häuslichen und dem aus der in NRW“ 1980 (LWA 1980) manifestierte. Die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte stam- Richtlinie war zugleich ein Meilenstein auf dem menden Abwasser vorherrschen, erwies sich die Wege zur intensiven Kooperation von Ingenieuren Eutrophierung als ein schwerwiegendes Problem, und Biologen in Richtung auf gemeinsames Denken das vor allem in Trinkwassertalsperren zu erheb- und Handeln im Sinne eines ganzheitlichen lichen Störungen der Wasseraufbereitung führte. Im Gewässerschutzes als eine der Kernaufgaben der Zuge der Kies- und Sandgewinnung sowie als Folge Wasserwirtschaft. In der Folge wurde die Richtlinie des Braunkohletagebaues im rheinischen Revier mehrfach überarbeitet und mit der 5. Auflage 1999 zwischen Köln und Aachen waren viele Ab- wurde sie umbenannt in „Richtlinie für naturnahe grabungsseen entstanden. Anthropogen entstande- Unterhaltung und naturnahen Ausbau der Fließ- ne Seen waren bis zu der Zeit noch wenig unter- gewässer in Nordrhein-Westfalen“ (LUA 1999). sucht und auch hierbei hat sich die inzwischen in Die Konsequenz war der Versuch, die Gewässer 'Landesanstalt für Wasser und Abfall NRW' um- ökologisch als Ganzheit aus Wasserkörper, Gewäs- benannte Dienststelle intensiv an der Erarbeitung serbett und umgebender Aue zu begreifen und für wichtiger wassergütewirtschaftlicher Grundlagen ihren Zustand Bewertungsverfahren zu entwickeln. beteiligt, insbesondere durch Arbeiten im Münster- Wegweisend ist die 1985 gemeinsam von der länder Kiessandzug (CHRISTMANN 1984). und durch Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsentwicklung Untersuchung und Bewertung einer großen Zahl und Forstplanung NRW (LÖLF) und dem Landes- von Seen im Rekultivierungsgebiet der rheinischen amt für Wasser und Abfall in einer Expertengruppe Braunkohle. erarbeitete und herausgegebene Schrift „Bewertung Anfang der 80er Jahre traten als Folge der des ökologischen Zustandes von Fließgewässern“ Belastung der Luft insbesondere mit Schwefelver- (LÖLF & LWA 1985) zu nennen. Aufbauend darauf bindungen Versauerungserscheinungen an fließen- und den zwischenzeitlich an vielen Stellen ent- den und stehenden Gewässern vor allem in wickelten Ideen und Forderungen erschien folge- Nordamerika und Nordeuropa in Erscheinung, die richtig 1993 der Entwurf für die Bewertung und zu dramatischen Schäden an den Organismen in Kartierung der Strukturgüte von Fließgewässern in ihnen führten. Auch Nordrhein-Westfalen blieb NRW. Damit wurde der Erfordernis Rechnung ge- davon nicht verschont. Insbesondere in den abwas- tragen, dass zur Bewertung auch der Gewässer- serfreien Oberläufen in Gebieten mit schwach struktur ein auf wissenschaftlicher Basis erarbeite- gepuffertem Bachwasser trat erhebliche biologische tes, praktikables Instrument verfügbar sein muss, Verarmung auf, die nicht nur die Fische, vor allem mit dessen Hilfe vorhandene Defizite aufgezeigt und Forellen, betraf, sondern auch viele besonders Verbesserungen dokumentiert werden können.

11 Soweit ein geraffter Rückblick über 30 Jahre Ent- Literatur wicklung der biologischen Gewässeruntersuchung. CHRISTMANN, K.H. (1984): Limnologische Untersuchungen von Neueste Entwicklungen beziehen sich auf die öko- vier Baggerseen des Münsterländer Kiessandzuges. LWA- Schriftenreihe "Wasser und Abfall" H. 39. 149 S. Baggerseen toxikologische Untersuchung von Langzeitwirkun- Schriften der LA gen von Industriechemikalien und auch von DVWK (Hrsg.) (1978): Gestaltung und Nutzung von Baggerseen. Naturstoffen, die verstärkt in die Gewässer ge- DVWK-Regeln 108. langen. Eine wichtige Methode für die Ermittlung EG (1978): Richtlinie der Rates der Europäischen Gemeinschaft über die Qualität von Süßwasser, das schutz- und verbesse- biologischer Langzeitwirkungen ist die Messung des rungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten, gentoxischen Potenzials (umu-Test, s. Kap. 3.2.3) vom 18.7.1978, (78/659/EWG) - Fischgewässerrichtlinie. aber auch der endokrinen Wirkung (s. Kap. 6 & 8.3) ERMISCH, R. & I. JUHNKE (1973): Automatische Nachweisvor- richtung für akut toxische Einwirkungen auf Fische im in Wasser und Abwasser. Strömungstest.- Gewässer und Abwässer, H. 52, S. 16-23 Kempen-Hüls. Die Zukunft bringt neue Herausforderungen auf- FRIEDRICH, G. & K.-J. HESSSE (1990): Gewässerversauerung in grund der kurz vor der Verabschiedung stehenden Nordrhein-Westfalen. LWA NRW Jahresbericht '90. S. 37-43. EU- Wasserrahmenrichtlinie. Sie weist der bio- JUHNKE , I & W.K. BESCH (1971): Eine neue Testmethode zur Früherkennung akut toxischer Inhaltsstoffe im Wasser.- logischen Gewässeruntersuchung einen hohen Gewässer und Abwässer, H. 50/51, S. 107-114, Kempen- Stellenwert bei der Bewertung der Oberflächen- Hüls. gewässer zu und damit den Biologen in der KNIE, J. (1978): Der Dynamische Daphnientest - ein automati- scher Biomonitor zur Überwachung von Gewässern und Wasserwirtschaft hohe Verantwortung (s. Kap. 8.5). Abwässern. Wasser und Boden 12, 310-312. LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1980): Richtlinie für naturnahen Ausbau und Unterhaltung der Fließgewässer. LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1991): Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer (AGA) - Ent- scheidungshilfe für die Wasserbehörden in wasserrecht- lichen Erlaubnisverfahren. LÖLF & LWA (Landesanstalt für Ökologie, Landschaftsent- wicklung und Forstplanung NRW & Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1985): Bewertung des ökologischen Zustandes von Fließgewässern, Düsseldorf. LUA (Landesumweltamt NRW) (1999): Richtlinie für naturnahe Unterhaltung und naturnahen Ausbau der Fließgewässer. WHG (1957): Wasserhaushaltsgesetz der Bundesrepublik Deutschland. WHG (1996): Wasserhaushaltsgesetz der Bundesrepublik Deutschland, 6. Novelle.

12 2 Spezifische Gewässerbelastungen Gewässerbelastung

2. Spezifische Gewässerbelastungen und deren Bewertung

Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA) & Susanne Seuter (umweltbüro essen)

Oberflächengewässer unterliegen vielen Nutzun- Die Gewässerbelastungen haben sich im 20. Jahr- gen. Sie nehmen Abwässer auf, dienen als Schiff- hundert stark gewandelt. Mit der Einführung der fahrtsstraßen, der Fischerei, der Erholung, der zentralen Wasserversorgung und der Abwasser- Bewässerung und nicht zuletzt der Trinkwasserver- kanalisation Anfang des Jahrhunderts gab es einen sorgung. Die „Regelung der Vorflut“ durch Gewäs- sprunghaften Anstieg der organischen Belastung serausbau und -unterhalt, um die Niederungen und der Gewässer. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg die Auen der Fließgewässer intensiv nutzen zu stellten die leicht abbaubaren organischen Stoffe Gewässer- belastungen

können, aber auch die Nutzung der Wasserkraft das Hauptproblem der Verunreinigung dar. Während 2 Spezifische führen vor allem zur Beeinträchtigung der Gewäs- des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg sergestalt und damit der Funktion als Lebensraum nahm die Belastung der Gewässer – kommunaler für Pflanzen und Tiere. Die vielfältigen Nutzungen und industrieller Herkunft – stetig zu. Insbesondere und Gewässerbelastungen haben vielerorts zur am Rhein wurde die Ölverschmutzung des als inter- Verarmung der Gewässerlandschaft geführt. nationale Schifffahrtsstraße genutzten Stroms zum Problem. Anfang der siebziger Jahre war der Seit Beginn des Jahrhunderts wurde zunächst die Höhepunkt der Gewässerverschmutzung erreicht. Belastung der Fließgewässer mit organischer, biolo- Die Sauerstoffgehalte waren mit 1-2 mg/l am gisch leicht abbaubarer Substanz bewertet. Das ist Niederrhein auf einem Minimum angelangt, was nur die Grundlage der seit 1971 erstellten Gewässer- noch einzelnen anspruchslosen Fischarten und gütekarte von Nordrhein-Westfalen (Abb. 1). Die wenigen anderen Gewässerorganismen das Über- erste von der Länderarbeitsgemeinschaft Wasser leben gestattete. Durch die Inbetriebnahme zahl- (LAWA) herausgegebene Gewässergütekarte für reicher Kläranlagen seit Mitte der siebziger Jahre die Bundesrepublik Deutschland erschien 1976. verringerte sich die organische Belastung Seither wird die Intensität der Verunreinigung von vieler Flüsse und Bäche deutlich. Inzwischen wird in Flüssen und Bächen durch biologisch leicht abbau- Nordrhein-Westfalen das Abwasser von 95 % aller bare organische Stoffe mit standardisierter Methodik Einwohner biologisch geklärt. Diese Maßnahmen bundesweit einheitlich erhoben und wird seitdem bewirkten, dass die Sauerstoffgehalte wieder an- alle 5 Jahre fortgeschrieben. stiegen. Damit ging eine Verbesserung der Gewäs- sergüte einher und die Fischfauna sowie die Auch heute noch wird von Vielen die saprobielle Lebensgemeinschaft der niederen Tiere (Makrozoo- Beurteilung, d. h. die Bewertung der Auswirkungen benthos) konnte sich erholen. von Gewässerbelastungen mit biologisch leicht abbaubaren Substanzen als die Methode schlecht- Seit dem Ende der achtziger Jahre wird zunehmend hin angesehen. Kritik an den „viel zu grünen Karten“ laut, weil sie die Beeinträchtigung der Gewässer, die über die Die plakative Darstellung der Güteklassen in den Belastung mit leicht abbaubaren organischen durch LIEBMANN (1962) eingeführten Signalfarben Substanzen hinausgehen, nicht erfassen. Dank der von blau über grün und gelb bis rot hat Belastungs- zunehmenden Abwasserreinigung sind die Flüsse schwerpunkte unserer Fließgewässer aufgezeigt. und Bäche zwar im Hinblick auf diese Stoffe saube- Die erst aufgrund der Gewässergütekarte möglich rer geworden, aber aufgrund neuartiger oder vorher gewordene gute räumliche Zuordnung von Verur- durch die ungeklärten Abwässer „maskierten“ sachern punktueller Gewässerverunreinigung hat in Belastungen weisen die Gewässer heute andere der Vergangenheit einen nicht unerheblichen Gütedefizite auf, die u. a. durch rein technischen Beitrag zur Reinhaltung der Flüsse und Bäche gelei- Ausbau, Eutrophierung, Versauerung, Langzeit- stet. Die in den siebziger Jahren vorherrschende toxizität und Mikroverunreinigungen entstehen . gelbe und rote Farbe der Karten hat sich im Laufe der achtziger Jahre in eine überwiegend grüne Die Produktion vieler neuer Stoffe und deren Karte gewandelt. Anwendung, aber auch der fortschreitende Gewäs-

15 Abb. 1: Gewässergütekarte Nordrhein-Westfalens von 1969 oben und 1995 unten

16 serausbau führten zu Beeinträchtigungen, die nicht sind, wenn sie in ihrem ganzen Lebenszyklus die mit Hilfe des Saprobiensystems erfasst und bewer- erforderlichen Lebensbedingungen vorgefunden tet werden können. Lange Zeit fehlten umsetzbare haben. Eine standorttypische Besiedlung mit Arten Ansätze zur Messung, Klassifikation und Bewertung die hohe Ansprüche an die Wasserqualität stellen der neuen Gewässerbelastungen. Unterdessen ist zeigt an, dass das Gewässer über einen längeren die Entwicklung weitergegangen (vgl. hierzu Zeitraum nicht oder nur gering belastet wurde. Das FRIEDRICH 1986, BAYER. LANDESAMT FÜR WASSERWIRT- Fehlen bestimmter Arten hingegen lässt Rück- SCHAFT 1986, BAYER. LANDESAMT FÜR WASSERWIRT- schlüsse auf Schadstoffbelastungen zu, die durch SCHAFT 1998, FRIEDRICH & LACOMBE 1992). ergänzende chemisch-physikalische Untersuchun- gen ermittelt werden müssen.

Auch zur Ableitung von Allgemeinen Güteanforde- Gewässer- belastungen

rungen für Fließgewässer (AGA) wurde die Güte- 2 Spezifische klassifikation auf der Grundlage des Saprobien- 2.1 Saprobie systems herangezogen (LWA 1991). Die AGA strebt als allgemeines Güteziel für alle Fließgewässer die – biologische Gewässergüte Güteklasse II oder besser an.

Die Saprobie, bisher vereinfacht als biologische Gewässergüte bezeichnet, beschreibt die Gewäs- serbelastung durch organische Stoffe, die von Bakterien, Pilzen und heterotrophen Einzellern 2.2 Trophie unter Sauerstoffverbrauch abgebaut werden. Die Trophie ist die Intensität der photoautotrophen Erhöhung des Angebotes an organischen Stoffen Produktion im Gewässer. Die pflanzliche Produktion wird z. B. durch Abwässer verursacht. Hohe Sapro- ist in erster Linie abhängig von der Nährstoffver- bie in Gewässern führt zu Verhältnissen, die nicht sorgung, steht aber auch in engem Zusammenhang nur das Ökosystem belasten, sondern auch die mit Licht, Temperatur und Wasserbewegung. Zur Nutzung durch den Menschen beeinträchtigen. Die Charakterisierung der Nährstoffsituation wird der Einführung der biologischen Klärung von Abwäs- Gesamtphosphorgehalt verwendet, da der Prozess sern hat in der Vergangenheit zu einer erheblichen der Eutrophierung meist auf eine erhöhte Verfüg- Reduzierung dieser Belastungen geführt. barkeit von Phosphor zurückzuführen ist. Die Die Belastung von Gewässern mit organischer bio- Einstufung der trophischen Situation erfolgt in der logisch leicht abbaubarer Substanz wird anhand des Regel anhand der Parameter Chlorophyll a und Saprobiensystems klassifiziert. Es basiert auf dem Sichttiefe stehender Gewässer. Je nach Trophie Vorkommen oder Fehlen unterschiedlich anspruchs- werden die Gewässer als oligotroph, mesotroph und voller Arten. Das auf KOLKWITZ & MARSSON (1902) eutroph bezeichnet. Klassischerweise wurde diese zurückgehende und von LIEBMANN (1962) revidierte Klassifizierung nach dem Belastungskonzept von Saprobiensystem ist inzwischen als DIN-Norm VOLLENWEIDER (OECD 1982) auf stehende Ge- 38410 (DIN 1992, FRIEDRICH 1991) eingeführt und wässer angewandt und umfasste nur die drei war lange Zeit die einzige Grundlage der Bewertung genannten Stufen. Insbesondere in belasteten von Fließgewässern. Gewässern ist diese Abstufung nicht ausreichend. Daher wurde das Trophiesystem um die Stufen poly- Anhand der vorgefundenen Organismen, die an die troph und hypertroph ergänzt (Tab. 1). jeweiligen Lebensumstände angepasst sind, erfolgt In stehenden Gewässern kommen auch unter unbe- die Beurteilung der Gewässergüte (Abb. 2). Die lasteten, naturnahen Bedingungen unterschiedliche Untersuchung der aquatischen Lebensgemein- Trophiegrade im Bereich von oligotroph bis eutroph schaft liefert naturgemäß keine Information über vor. Der Übergang vom eutrophen zum polytrophen spezifische Schadstoffe oder deren Konzentra- Trophiegrad ist mit einem starken Anstieg der tionen. Sie erlaubt jedoch hinsichtlich der Wasser- Belastung verbunden. qualität integrierende Aussagen über einen länge- ren Zeitraum, da die Organismen nur anzutreffen

17 Bewertung der Güteklassen (nach LAWA 1996)

Gewässergüteklasse I: oligosaprob (unbelastet bis sehr gering belastet) • Gewässerabschnitte mit reinem, stets annähernd sauerstoffgesättigtem, und nährstoffarmem Wasser; • geringer Bakteriengehalt; • mäßig dicht besiedelt, vorwiegend mit Algen, Moosen, Strudelwürmern und Insektenlarven; • sofern sommerkühl, Laichgewässer für Salmoniden Epeorus sylvicola Charakteristische Art für Gewässergüteklasse I - II: oligosaprob bis β-mesosaprob (gering belastet) Güteklasse I • Gewässerabschnitte mit geringer anorganischer Nährstoffzufuhr und organischer Belastung ohne nennenswerte Sauerstoffzehrung; • dicht und meist in großer Artenvielfalt besiedelt; • sofern sommerkühl, Salmonidengewässer

Gewässergüteklasse II: β-mesosaprob (mäßig belastet) • Gewässerabschnitte mit mäßiger Verunreinigung und guter Sauerstoffversorgung; • sehr große Artenvielfalt und Individuendichte von Algen, Schnecken, Kleinkrebsen, Insektenlarven; • Wasserpflanzenbestände können größere Flächen bedecken; Ecdyonurus forcipula • artenreiche Fischgewässer Charakteristische Art für Güteklasse I-II

Gewässergüteklasse II - III: β-mesosaprob bis α-mesosaprob (kritisch belastet) • Gewässerabschnitte, deren Belastung mit organischen, sauerstoffzehrenden Stoffen einen kritischen Zustand bewirkt; • Fischsterben infolge Sauerstoffmangels möglich; • Rückgang der Artenzahl bei Makroorganismen; • gewisse Arten neigen zu Massenentwicklung; • fädige Algen bilden häufig größere, flächendeckende Bestände

Gewässergüteklasse III: α-mesosaprob (stark verschmutzt) • Gewässerabschnitte mit starker organischer, sauerstoffzehrender Verschmutzung und meist niedrigem Sauerstoffgehalt; Calopteryx sp. • örtlich Faulschlammablagerungen; Massenform in Güteklasse II • Kolonien von fadenförmigen Abwasserbakterien und festsitzenden Wimpertieren übertreffen das Vorkommen von Algen und höheren Pflanzen; • nur wenige gegen Sauerstoffmangel unempfindliche tierische Makroorganismen wie Egel und Wasserasseln kommen bisweilen massenhaft vor; • mit periodischem Fischsterben ist zu rechnen

Gewässergüteklasse III - IV: α-mesosaprob bis polysaprob (sehr stark verschmutzt) • Gewässerabschnitte mit weitgehend eingeschränkten Lebensbedingungen durch sehr starke Verschmutzung mit organischen, sauerstoffzehrenden Stoffen, oft durch toxische Einflüsse verstärkt; zeitweilig totaler Sauerstoffschwund; Asellus aquaticus • Trübung durch Abwasserschwebstoffe; Massenform in Güteklasse III • ausgedehnte Faulschlammablagerungen; • durch Wimpertierchen, rote Zuckmückenlarven oder Schlammröhrenwürmer dicht besiedelt; • Rückgang fadenförmiger Abwasserbakterien; • Fische nicht auf Dauer und nur ausnahmsweise anzutreffen

Gewässergüteklasse IV: polysaprob (übermäßig verschmutzt) • Gewässerabschnitte mit übermäßiger Verschmutzung durch organische sauerstoffzehrende Abwässer; Fäulnisprozesse herrschen vor; Sauerstoff über lange Zeit in sehr niedrigen Konzentrationen vorhanden oder gänzlich fehlend • Besiedlung vorwiegend durch Bakterien, Geißeltierchen und freilebende Wimpertierchen; • Fische fehlen; Chironomus thummi-Gruppe Massenform in Güteklasse III- IV Landesumweltamt• bei starker toxischer NRW Belastung biologische Verödung 1 Tab. 1: Definitionen der Trophiegrade für stehende Gewässer (LAWA 1998)

Oligotroph • Produktion schwach aufgrund geringer Verfügbarkeit der Nährstoffe • Phytoplanktonentwicklung ganzjährig gering • hohe Sichttiefe durch geringe Planktondichten • ganzjährig hohe Sauerstoffsättigung, Sauerstoffkonzentration des Tiefenwassers am Ende der Stagnationsperiode über 4 mg/l O2 Mesotroph • Produktion höher als beim oligotrophen Gewässer aufgrund höherer Verfügbarkeit der Nährstoffe • mäßige Phytoplanktonentwicklung bei großer Artenvielfalt mit Maximum im Frühjahr • mittlere Sichttiefen

• häufig metalimnisches O2-Minimum, im Hypolimnion kann Sauerstoffmangel auftreten Gewässer- belastungen

Eutroph • Produktion hoch aufgrund guter Verfügbarkeit der Nährstoffe 2 Spezifische • hohe Phytoplanktonentwicklung • deswegen Sichttiefe gering • Algenblüten möglich • oberste Wasserschicht durch Assimilationstätigkeit der Algen zeitweise mit Sauerstoff übersättigt • gegen Ende des Sommers regelmäßig starker Sauerstoffmangel im Tiefenwasser Polytroph (hoch-polytroph • Produktion sehr hoch aufgrund sehr hoher Nährstoffkonzentrationen, Produktion daher zeitweilig kommt unter nicht nährstoff-(P)-limitiert naturnahen • mehrfach im Jahr auftretende Algenmassenentwicklungen, im Sommer dominieren oft Blaualgen Bedingungen • Sichttiefe daher oft sehr gering (zeitweilig unter 1 m) wahrscheinlich • übermäßig hohe Sauerstoffzehrung, Sauerstoffschwund und nachfolgend Schwefelwasserstoff- nicht vor) Bildung im Hypolimnion spätestens ab Mitte des Sommers Hypertroph • Nährstoffverfügbarkeit ganzjährig sehr hoch, Planktonproduktion nicht nährstoff-(P)-limitiert (kommt unter • ganzjährig andauernde, die Gewässerfarbe bestimmende Algenmassenentwicklungen naturnahen • Sichttiefe daher stets sehr gering (nur ausnahmsweise über 1 m) Bedingungen • in geschichteten Seen starkes Sauerstoffdefizit im Tiefenwasser zu allen Jahreszeiten, nicht vor) bereits wenige Wochen nach Beginn der sommerlichen Schichtung ist der Sauerstoff im Hypolimnion vollständig aufgezehrt

Eutrophierung algen (Phytoplankton). Sie trüben und färben das Wasser. In thermisch geschichteten Seen und Werden z. B. durch den Abtrag von Düngemitteln Talsperren führt die Sauerstoffzehrung im dunklen aus landwirtschaftlichen Nutzflächen oder den Tiefenwasser zu Anreicherung von Schwefel- Zufluss von Abwässern verstärkt Pflanzennährstoffe wasserstoff, Kohlendioxid, Eisen und Mangan sowie (Nitrate, Phosphate) in die Gewässer eingetragen, Methan- und Faulschlammbildung im Sediment. kommt es zu Eutrophierungserscheinungen. Natürlich ist damit auch eine Veränderung der Stickstoff- und Phosphorverbindungen wirken auf Biozönosen verbunden. Algen und höhere Wasserpflanzen als Dünger. Die direkten Folgen der Eutrophierung in Fließgewäs- Der Trophiezustand von Fließgewässern wurde im sern sind die Verkrautung durch Massenwuchs eini- Zuge der Gewässerüberwachung bisher nicht ger Blütenpflanzen, von Fadenalgen oder anderen gesondert ermittelt. Die pflanzliche Produktion spielt Algen, die sich auf den Substraten von Sohle und jedoch auch in den Fließgewässern eine große Ufer entwickeln. Rolle. Sie wird in großen Flüssen (Rhein, Ruhr) durch vom Phytoplankton verursachte Grün- oder In Seen, Talsperren und gestauten Fluüssen Braunfärbung des Wassers sichtbar. In Gewässern äußerst sich die Eutrophierung durch Massenent- mit geringerer Wassertiefe können Algen auf dem wicklungen von im Wasser schwebenden Mikro- Substrat dicke Überzüge bilden oder es kommt zur

19 Verkrautung durch Makrophyten. Massenent- Die Versauerung der Gewässer hat tiefgreifende wicklung von Fadenalgen, vor allem der Gattung Veränderungen der aquatischen Lebensgemein- Cladophora und dichte Makrophytenbestände füh- schaften zur Folge. Durch die Versauerung werden ren zu einer Reduzierung der Strömung, wodurch die Refugien zahlreicher Arten vernichtet, die durch typischen Fließgewässerarten der Lebensraum die vielfältigen anthropogenen Einflüsse ohnehin genommen wird. Massenhaftes Pflanzenwachstum bereits stark bedroht sind. Besonders auffällig und behindert besonders in Flachlandgewässern den wirtschaftlich bedeutsam ist der Verlust von Abfluss (Krautstau). Auch die Veralgung der Fischpopulationen. Weniger offensichtlich ist die Substratoberfläche führt zu einer Verdrängung von Schädigung der Algen, Makrophyten und benthi- Arten, die auf kiesig-steiniges Substrat angewiese- schen Makroinvertebraten. Neben den negativen ne sind. In den neuen Gütekarten werden stark Auswirkungen der Säurebelastung auf die eutrophierte Fließgewässerstrecken durch die Organismen wirken auch die bei extrem niedrigen Kennung „alg“ ausgewiesen. pH-Werten aus dem anstehenden Gestein freige- setzten Metallionen wie z. B. Aluminium, Blei, Die Erweiterung des Klassifizierungssystems für Mangan, Nickel und Zink schädigend. Trophie auf die planktondominierten Fließgewässer erfolgt, durch Bewertung des im Flussplankton ent- Die Gewässerversauerung lässt sich anhand spezi- halteten Chlorophylls als Indikator. Sie wird seit fischer Gewässerorganismen (Indikatorarten) nach- 1995 in der Gütekarte NRW angegeben. weisen und in ihrer Intensität klassifizieren. Die Der Ausbau von Kläranlagen mit den der Erfassung des Säurestatus erfolgt heute mit Hilfe Nährstoffeliminierung dienenden Reinigungsstufen von wirbellosen, säureempfindlichen Indikator- für Phosphor und Stickstoff, der Verzicht auf phos- organismen. BRAUKMANN (1994) hat ein vierstufiges phathaltige Waschmittel sowie verbessertes Bewirt- System entwickelt, dass auf dem Vorhanden- schaftungsmanagement in der Landwirtschaft sein bzw. Fehlen bestimmter Makrozoen basiert haben bereits eine Verringerung der Nährstoffbe- (Abb. 3). lastung bewirkt. Die als Bioindikatoren verwandten Makroinvertebra- ten lassen sich entsprechend der Einteilungen 2.3 Versauerung unterschiedlich saurer Gewässer hinsichtlich ihrer Säureempfindlichkeit in vier Klassen unterteilen Zu Beginn der achtziger Jahre wurde vor allem in (BRAUKMANN 1999): den skandinavischen Ländern und in Nordamerika die Gewässerversauerung zum Problem. Auch in Klassen der Säureempfindlichkeit der Indikatorarten: Deutschland sind schwach gepufferte Bäche und 1. säureempfindlich: nur in permanent nicht sauren Seen in Gebieten, deren geologischer Untergrund Gewässern vorkommend aus basenarmen Silikatgesteinen (z. B. Graniten, 2. mäßig säureempfindlich: auch in leicht sauren Gneisen) oder silikatischen Sanden bestehen, als Gewässern vorhanden versauerungsgefährdet einzustufen. 3. säuretolerant: vertragen stärkere periodische Säureschübe In Nordrhein-Westfalen sind in erster Linie Bäche des Sauerlandes und der Senne betroffen (vgl. 4. säureresistent: auch in permanent sauren Gewäs- sern noch lebensfähig, oft wegen fehlender Kon- Kap. 5). Die Versauerungsgefährdung dieser Ge- kurrenten häufiger als in weniger sauren Bächen biete ist zum einen auf das kalkarme Ausgangs- gestein und zum anderen auf den Schadstoffein- trag aus der Luft zurückzuführen. Außerdem tragen ausgedehnten Fichtenbestände durch die Humi- Durch die einmalige Untersuchung des Makrozoo- fizierung der Fichtenstreu und die erhöhte Schwefel- benthos kann allerdings nicht festgestellt werden, deposition durch den Auskämmeffekt der Nadel- ob das Gewässer in jüngster Zeit versauert ist. Dazu bäume zur Versauerung der Bäche bei (SCHIMMER & ist der Vergleich mit Untersuchungsergebnissen aus FRIEDRICH 1990). Der Schadstoffeintrag aus der Luft vergangener Zeit erforderlich. Zur Zeit stattfindende hat zur Folge, dass vor allem naturnahe, besonders Versauerung muss durch Wiederholungsunter- schützenswerte Bergbäche betroffen sind. suchungen nachgewiesen werden.

20 Indikatorarten säureempfindlich mäßig säureempfindlich säuretolerant säureresistent Baetis niger Silo pallipes Baetis spec. Elmis aenea Leuctra nigra Isoperla spec. Limnius perrisi Apatania spec. Apatania Polycelis felina Nemoura spec. Nemurella picteti Ancylus fluviatilis Epeorus sylvicola Ephemera danica Rhyacophila tristis Sericostoma spec. Ephemerella ignita Habrophlebia lauta Protonemura spec. Amphinemura spec. Taenopteryx hubaulti Taenopteryx Gammarus fossarum Rhyacophila obliterata Hydropsyche instabilis Hydropsyche Odontocerum albicorne Habroleptoides confusa Rhitrogena semicolorata Plectrocnemia conspersa Säurezustandsklassen:

1. permanent nicht saure Gewässer: Gewässer- belastungen

Der pH-Wert liegt gewöhnlich deutlich 2 Spezifische über 6,5, meistens bei etwa 7,0, die pH-Minima unterschreiten in der Regel den Wert von 6,0 nicht.

2. episodisch schwach saure Gewässer Die pH-Werte sind ähnlich wie bei Typ 1, aber seltene pH-Erniedrigungen unter 6,0 sind möglich, die jedoch in der Regel 5,5 nicht unterschreiten

3. periodisch saure Gewässer: (kritischer Säurezustand, deutliche ökologi- sche Schäden) Der pH-Wert liegt normalerweise unter 6,5, pH-Minima sinken bei Säureschüben öfter unter 5,5. Bei niedrigem (Basis-) Abfluss können die Werte längere Zeit, z. B. während sommerlich-herbstlicher Niedrigwasserperioden, im neutralen Bereich liegen.

4. permanent saure Gewässer: (starke ökologische Schäden) Der pH-Wert liegt in der Regel ganzjährig im sauren Bereich meist unter 5,5, pH- Minima fallen während der Schnee- schmelze oder nach Starkregen unter 5,0, oft sogar unter 4,3.

Abb. 3: Typische Indikatoren der Säurezustandsklassen nach Braukmann (1994) (aus: Bayer. Landesamt für Wasserwirtschaft 1996; verändert)

Neben dem Makrozoobenthos eignen sich auch den Säurezustand schwach gepufferter Fließge- Kieselalgen (Diatomeen) zur Bestimmung des wässer zu ermitteln (CORING 1999). Die Klassifi- Säuregrades. Kieselalgen kommen ganzjährig, indi- zierung erfolgt in Anlehnung an die von BRAUKMANN viduen- und artenreich in nahezu allen limnischen definierten Säurezustandsklassen in vier Typen ver- Lebensräumen vor. Bereits HUSTEDT (1939, zit. in sauerter Fließgewässer. Lediglich der Typ 1 wird CORING 1999) erkannte die Abhängigkeit der durch die Einführung des Subtypes der nicht akut Kieselalgen vom Säuregrad ihrer Wuchsorte und versauerungsgefährdeten Gewässer ergänzt. gliederte sie in fünf Klassen. Die Weiterentwicklung des Hustedtschen pH-Klassifizierungssystems erlaubt heute durch die Gesellschaftstypenanalyse

21 2.4 Salzbelastung u. U. schon Konzentrationen von > 100 mg/l wirk- sam sein können. Die Salzgehalte der Fließgewässer werden sowohl Sulfate sind in Gewässern natürlicherweise in gerin- durch natürlich vorhandene Salze (geogene Her- gen Konzentrationen vorhanden. Gewässer aus kunft) als auch durch anthropogene Quellen (indu- Salzgebieten können oft mehrere 100 mg/l, Gruben- strielle und bergbaubedingte Salzableitungen, wässer bis zu 3.000 mg/l Sulfat enthalten. Sulfate Salzverbrauch in Haushalt und Gewerbe, Streusalz können durch ihre beton-korrosiven Eigenschaften im Winter) bestimmt. Größere Mengen im Wasser vor allem an Wasserbauwerken Schäden bewirken gelöster Salze können für verschiedene Nutzungen (LUA 97). nachteilige Wirkungen haben – vor allem Chloride und Sulfate sind dabei von Bedeutung. Aquatische Nach einer Vorgabe des LAWA-Arbeitskreises Lebensgemeinschaften sind entsprechend dem „Qualitative Hydrologie der Fließgewässer (QHF)“ Salzgehalt des Gewässers aus physiologisch unter- wird auch die Salzbelastung der Fließgewässer schiedlich salztoleranten Organismen zusammen- klassifiziert. Dabei gelten folgende Einstufungen: gesetzt. • Als Zielvorgabe (gering belastet, Güteklasse II) Die gut wasserlöslichen Chloride sind in fast allen werden Chloridkonzentrationen zwischen 50 – Binnengewässern enthalten und in geringen 100 mg/l für Fließgewässer festgelegt. Konzentrationen für die aquatische Biozönose un- • Bei Chloridkonzentrationen von 200 – 400 mg/l bedenklich. Konzentrationen ab 400 mg/l lassen sind bereits Änderungen der Besiedlung festzu- erhebliche Störungen, z. B. einen deutlichen Rück- stellen. Empfindlichere Arten des Makrozoo- gang an salzempfindlichen Arten erwarten. Be- benthos fehlen bereits. Fische sind in der Regel sonders nachteilig wirken sich kurzfristige, größere noch nicht betroffen und höherwertige wasser- Schwankungen des Salzgehalts aus, die schädlich wirtschaftliche Nutzungen sind nur geringfügig auf die osmotische Regulation der Lebewesen ein- beeinträchtigt. wirken. • Unter dem Einfluss von Chloridkonzentrationen Die Chloridkonzentration im Rhein hat für die um 400 – 1000 mg/l (erhöhte bis hohe Salzbe- Trinkwassergewinnung und die Bewässerung von lastung) kann sich nur noch eine Biozönose ent- Nutzpflanzen große Bedeutung. Das durch Ab- wickeln, die hinsichtlich der Artenzusammen- leitungen aus den elsässischen Kaliminen bereits setzung und Artenzahl merklich reduziert ist. vorbelastete Rheinwasser wird in Nordrhein- Bei Chloridgehalten um 1.000 – 2.500 mg/l Westfalen insbesondere über die Sümpfungswässer • (hoher Versalzungsgrad) bestehen die aquati- des Kohlebergbaus zusätzlich aufgesalzen. Mit dem schen Lebensgemeinschaften in erster Linie aus Sümpfungswasser werden große Mengen an salztoleranten Arten mit der Tendenz zu Chlorid abgeleitet, ohne dass es bis heute eine Massenentwicklungen. Die Funktionen im Nah- volkswirtschaftlich vertretbare, umweltschonende rungsnetz werden nur unvollständig erfüllt. Die Maßnahme zu dessen Entfernung gibt. Bei der Fischfauna beschränkt sich auf adulte Individuen Kalisalzgewinnung hingegen fallen die Salze in besonders toleranter Arten. Eine natürliche fester Form an und werden dann in Wasser gelöst in Reproduktion vieler Pflanzen- und Tierarten, ins- den Rhein geleitet. besondere der Fische, ist nicht mehr gewähr- Vor allem für unsere niederländischen Nachbarn leistet und die Erkrankungsrate bei den noch vor- ist die Einhaltung des Leitwertes von 200 mg/l kommenden Fischarten ist deutlich erhöht. (EG-Richtlinie für die Trinkwassergewinnung aus Sämtliche höherwertigen Nutzungen, auch für Oberflächengewässern) wichtig, da die Nieder- landwirtschaftliche Zwecke, sind weitestgehend länder in hohem Maße auf die Nutzung des Rhein- eingeschränkt. wassers für die Trinkwassergewinnung und für die Gewässerbelastungen mit Chloridkonzentra- Bewässerung in der Landwirtschaft und für Unter- • tionen über 3.500 mg/l bieten nur noch glaskulturen angewiesen sind. Brackwasserarten geeignete Lebensbedingun- Im Verteilungsnetz der öffentlichen Wasserver- gen. Die Zönosen bestehen in der Regel nur sorgung kann Chlorid zudem korrosiv wirken, wobei noch aus sehr wenigen Arten.

22 In den Konzentrationsbereichen von 100 bis max. schaft Wasser (LAWA) für ausgewählte gefährliche 2.500 mg/l Chlorid können sich stabile Süßwasser- Stoffe (u. a. einige PBSM) Zielvorgaben eingeführt bzw. gemischte Süßwasser-/Brackwasserbiozöno- (LAWA 1997). Zielvorgaben sind festgelegte sen nur dann ausbilden, wenn bestimmte Rand- Konzentrationsangaben, bei deren Einhaltung oder bedingungen eingehalten sind: Unterschreitung aus heutiger Sicht keine Gefährdung der jeweils betrachteten Schutzgüter • Die Konzentrationsschwankungen dürfen nur (u. a. Trinkwasser, Aquatische Lebensgemein- gering sein; schaften) zu befürchten ist. Bei den fachlich begrün- es darf im Gewässerverlauf keine Ausfällung von • deten Zielvorgaben handelt es sich um Eisenocker bzw. Bariumsulfat stattfinden; Orientierungswerte, deren Konzentrationsangaben es dürfen keine fischtoxischen Stoffe wie • nicht überschritten werden sollten. Zielvorgaben Ammonium und Nitrit in erhöhten Konzentra- sind keine rechtlich verbindlichen Grenzwerte, bei Gewässer- belastungen

tionen vorhanden sein; 2 Spezifische deren Überschreitung zwingend Maßnahmen zu • das Wasser muss hohe Sauerstoffgehalte auf- ihrer Einhaltung durchzuführen sind. weisen und darf nicht übermäßig warm sein und Zur fachlichen Ableitung der Zielvorgaben für das • das Gewässerbett muss gut strukturiert sein. Schutzgut Aquatische Lebensgemeinschaften wer- den Ergebnisse aus anerkannten Testverfahren mit Bakterien, Algen, Krebsen und Fischen als Vertreter 2.5 Pflanzenbehandlungs- und der vier maßgeblichen Trophiestufen herange- Schädlingsbekämpfungsmittel zogen. Sie stehen stellvertretend für die übrigen Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämp- Organismen der einzelnen Trophieebenen. fungsmittel (PBSM) belasten viele Bäche und Flüsse Nordrhein-Westfalens. PBSM gelangen überwiegend durch landwirtschaftliche und nicht- 2.6 Strukturgüte landwirtschaftliche Anwendung in die Gewässer, während die produktionsbedingten Einträge auf Über die stoffliche Belastung der Gewässer hinaus Rhein und Wupper beschränkt sind (LUA 1999). wurde inzwischen erkannt, dass die Gewässer- struktur eine erhebliche Rolle für die „Bewohnbar- Die Gewässerorganismen von den Algen bis zu den keit“ der Flüsse und Bäche durch Organismen Fischen können durch diese hochgiftigen Substan- spielt. Wasserbau und Gewässerunterhaltung zen geschädigt werden. Insbesondere Insektizide haben im Laufe von Jahrhunderten dazu beigetra- wirken bereits bei extrem niedrigen Konzentrationen gen, Ackerland und Siedlungsflächen zu gewinnen, hochgiftig. Insekten und deren Larven, Krebstiere wobei erhebliche ökologische Schäden an den und Fische reagieren auf diese Chemikalien äußerst Gewässern und ihrem Umland entstanden sind. empfindlich. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat diese Entwicklung Für den Menschen stellen die PBSM in den Gewäs- im Zuge der Technisierung und Industrialisierung sern ebenfalls eine Gefahr dar. Die Belastung von der Landwirtschaft und der Besiedlung von Über- Grund- und Oberflächenwasser mit PBSM bereitet schwemmungsflächen rasant zugenommen. Der der Trinkwassergewinnung - in Nordrhein-Westfalen jahrzehntelange rein technische Gewässerausbau werden 70 % des Trinkwassers aus Oberflächen- hat Bäche und Flüsse zu Vorflutern verkommen las- wasser gewonnen - zum Teil erhebliche Probleme. sen. Auch als bereits erhebliche Anstrengungen zur Die in Deutschland geltenden strengen Bedingun- Wasserreinhaltung betrieben wurden, erfolgte durch gen für die Trinkwassergewinnung sehen aus die Kanalisierung der Gewässer weiterhin deren gesundheitlichen Vorsorgeaspekten für jeden ein- strukturelle Schädigung. zelnen Wirkstoff einen Grenzwert von 0,1 µg/l Viele Bäche wurden in monotone, schnurgerade Trinkwasser vor. Die Einhaltung der Grenzwerte ist Gewässerläufe im Trapez- oder Kastenprofil – oft oft nur durch den Einsatz aufwendiger Technologien gemauert oder betoniert – ohne Ufergehölze ver- in der Trinkwasseraufbereitung möglich. wandelt. Sie haben ihren ökologischen Wert, aber Neben dem in der Trinkwasserverordnung festge- auch ihren landschaftlichen Reiz verloren. Die legten Grenzwert hat die Länderarbeitsgemein- Biozönose verarmt und in den unbeschatteten,

23 gleichförmig strukturierten und meist nährstoffbela- Bewertet wird die Gewässerstruktur anhand der steten Gewässern können nur noch Allerweltsarten Intensität der Abweichung vom Leitbild. Die gewähl- existieren. te Klassifikation in 7 Stufen (Tab. 2) ist nicht natür- lich vorgegeben und man kann die Degradations- Inzwischen hat das Interesse an Renaturierungen grade in unterschiedlich gegliederte Klassifikationen deutlich zugenommen und man bemüht sich vieler- bringen. Die hier gewählte bewertende Abstufung ist orts unter Berücksichtigung der Probleme der eine Konvention. Sie versucht einerseits mit vertret- Landwirtschaft und des Hochwasserschutzes um barem Aufwand eine hinreichende Abstufung der strukturelle Verbesserungen. unterschiedlichen Degradationsstadien darzustellen Mit der Strukturgüte wird das Gewässer als und andererseits keine größere Genauigkeit vorzu- Lebensraum und als Grundlage für die Entwicklung täuschen als mit der gewählten Methode erreichbar des Ökosystems bewertet (vgl. Kap. 7). Grundlage ist. der Bewertung ist der natürliche bzw. im höchst- möglichen Maße naturnahe Zustand, der durch das Tab. 2: Strukturgüteklassen der LAWA „Leitbild“ beschrieben wird. Die LAWA definiert das (Stand 1998) Leitbild als den Zustand eines Gewässers anhand Struktur- Grad der farbige des heutigen Naturpotenzials des Gewässeröko- güteklasse Beeinträchtigung Kartendarstellung systems auf der Grundlage des Kenntnisstandes über dessen natürliche Funktionen. Das Leitbild 1 naturnah dunkelblau 2 bedingt naturnah hellblau schließt insofern nur irreversible anthropogene 3 mäßig beeinträchtigt grün Einflüsse auf das Gewässerökosystem ein und 4 deutlich beeinträchtigt hellgrün beschreibt kein konkretes Sanierungsziel, sondern 5 merklich geschädigt gelb dient in erster Linie als Grundlage für die Bewertung 6 stark geschädigt orange des Gewässerökosystems (Gewässergüteklasse I). 7 übermäßig geschädigt rot Es kann lediglich als das aus rein fachlicher Sicht maximal mögliche Sanierungsziel verstanden werden, wenn es keine sozioökonomischen Be- Literatur: schränkungen gäbe. Kosten-Nutzen Betrachtungen BAYER. LANDESAMT FÜR WASSERWIRTSCHAFT, INST. F. WASSER- FORSCHUNG (1986): Münchener Beiträge zur Abwasser-, fließen daher in die Ableitung des Leitbildes nicht Fischerei und Flußbiologie, Bd. 40. ein. BAYER. LANDESAMT FÜR WASSERWIRTSCHAFT, INST. F. WASSER- FORSCHUNg (1996): Flüsse und Seen in Bayern - Gewäs- Entsprechend den prinzipiellen strukturellen sergüte und Wasserbeschaffenheit 1995. Wasserwirtschaft in Bayern, H. 29. Unterschieden zwischen den von Natur aus sehr BAYER. LANDESAMT FÜR WASSERWIRTSCHAFT, INST. F. WASSER- variablen Fließgewässern wurde für die Bewertung FORSCHUNg (1998): Integrierte ökologische Gewässer- eine grobe Gewässerklassifikation nach dem Taltyp bewertung - Inhalte und Möglichkeiten. Münchener Beiträge zur Abwasser-, Fischerei und Flußbiologie, eingeführt. Es werden unterschieden: Bd. 51.

BRAUKMANN, U. (1994): Biologische Indikation und Kartierung des Mittelgebirgsgewässer: Flachlandgewässer: Säurezustandes kleiner Fließgewässer in Baden- – Kerb- und Klammtalgewässer – Löß-/Lehmgewässer Württemberg. Erweiterte Zusammenfassungen der DGL- Jahrestagung 1993, S. 70-76, Krefeld. – Sohlenkerbtalgewässer – Sandgewässer BRAUKMANN, U. (1999): Indikation mit Hilfe des Makrozoobenthos. – Auen- und Muldentalgewässer – Kiesgewässer In: v. TÜMPLING, W. & G. FRIEDRICH (Hrsg.): Biologische – Organische Gewässer Gewässeruntersuchung. Gustav Fischer Verlag, Jena. – Niederungsgewässer CORING, E. (1999): Indikation mit Hilfe von Diatomeen. In: v. TÜMPLING, W. & G. FRIEDRICH (Hrsg.): Biologische Gewässeruntersuchung. Gustav Fischer Verlag, Jena. Darüber hinaus werden in den Bereichen Sohle, DIN 38410 T.2 (1992): Biologisch-ökologische Gewässer- Ufer und Umland Kenngrößen erhoben, die zur untersuchung: Bestimmung des Saprobienindex (M2). In: Bewertung der Strukturgüte herangezogen werden. Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- und Schlammuntersuchung. Weinheim. Im Bereich der Sohle wird die Laufentwicklung, das FRIEDRICH, G. (1986): Stand der Gütebewertung und nutzungs- Längsprofil und die Sohlenstruktur betrachtet. Im bezogene Qualitätsanforderungen an Fließgewässer in der Uferbereich wird das Querprofil und die Uferstruktur Bundesrepublik Deutschland. In: Bewertung der Gewäs- serqualität und Gewässergüteanforderungen. Münchener bewertet und im Bereich des Umlandes das Beiträge zur Abwasser-, Fischerei und Flußbiologie, Gewässerumfeld. Bd. 40.

24 FRIEDRICH, G. (1991): Eine Revision des Saprobiensystems. Z. LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) (1998): Gewässer- Wasser-, Abwasserforsch. 23, S.141-152. bewertung - stehender Gewässer, Vorläufige Richtlinie für eine Erstbewertung von natürlich entstandenen FRIEDRICH, G. (1998): Die Gewässerstrukturgütekarte - ein Bei- Seen nach trophischen Kriterien, Berlin. trag zum ganzheitlichen Gewässerschutz. In: ZUMBROICH, T.; A. MÜLLER & G. FRIEDRICH (1998): Strukturgüte von LIEBMANN, H. (1962): Handbuch der Frischwasser- und Ab- Fließgewässern - Grundlagen und Kartierung. Springer wasserbiologie, Bd. 1. Gustav Fischer Verlag, Verlag. 2. Auflage, 588 S.

FRIEDRICH, G. & J. LACOMBE (Hrsg.) (1998): Ökologische LUA (1997): Gewässergütebericht 1996 - Auswertung des Trend- Bewertung von Fließgewässern. Limnologie Aktuell, messprogramms 1990-1995. Essen: Eigenverlag Bd. 3, 462 S. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart. Landesumweltamt NRW, 92 S..

KOLKWITZ, R. & M. MARSSON (1902): Grundsätze für die LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1991): biologische Beurteilung des Wassers nach seiner Allgemeine Güteanforderung für Fließgewässer Flora und Fauna. Mitt. kgl. Prüfanstalt Wasserver- (AGA). LWA-Merkblätter Nr. 7, Düsseldorf. sorgung und Abwasserbeseitigung, Berlin-Dahlem 1, S. 33-72. OECD (Organization for Economic Cooperation and Develop- ment) (1982): Eutrophication of Waters - Monitoring, Gewässer- belastungen LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) (1976): Die assessment and control. Paris. 154 S. 2 Spezifische Gewässergütekarten der Bundesrepublik Deutschland, Mainz. SCHIMMER, H. & G. FRIEDRICH (1990): Die Auswirkungen der Gewässerversauerung auf das Makrozoobenthos aus- LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) (1997): Zielvorgaben gewählter Mittelgebirgsbäche im Sauer und Sieger- zum Schutz oberirdischer Binnengewässer, Bd. I, Berlin. land. Lauterbornia H. 5; 49-66. LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) (1996): Gewässer- güteatlas der Bundesrepublik Deutschland - Biolo- gische Gewässergütekarte 1995, Berlin.

25 26 3 Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen Fließgewässer

3 Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA)

In den nachstehenden Aufsätzen des Kapitels wird stoffbelastungen mit automatisch arbeitenden Bio- zunächst in Kapitel 3.1 über Aktivitäten der staat- monitoren in den automatischen Messstationen hat lichen Dienststellen der Wasserwirtschaft berichtet. neben ihrer fachlichen vor allem auch eine „Schutz- Dabei werden als erstes die ortsfesten Über- mann-Funktion“, denn die Rund - um - die Uhr Über- wachungsstationen an den für die Trinkwasser- wachung der Wasserbeschaffenheit der Rheins und gewinnung besonders wichtigen Flüssen darge- seiner für die Trinkwasserversorgung besonders stellt. Sie sind zum Teil mit automatisch arbeitenden wichtigen Zuflüsse setzt die Wasserwirtschaftsver- biologischen Testapparaturen ausgerüstet, um kurz- waltung in die Lage, rasch auf ungewöhnliche fristig Veränderungen der Wasserbeschaffenheit Belastungen zu reagieren, so dass die Verursacher messen und entsprechende Maßnahmen ergreifen plötzlicher, erhöhter Schadstoffbelastung erkannt zu können. Diese biologischen Monitore sind auch und verfolgt werden können. erst in der Berichtszeit überhaupt entwickelt worden. Sie ersetzen nicht die chemische Untersuchung Ein besonderer Absatz ist der Wiedereinbürgerung sondern ergänzen sie. Sie bilden zusammen mit der des Lachses gewidmet. Der Rheinsalm, wie der chemischen Analytik eine sachliche Einheit, man Lachs im Volksmund genannt wird, ist ein Symbol könnte sagen Chemie und Biologie gehören im des modernen Gewässerschutzes. Die Aktivitäten 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Gewässerschutz zusammen wie die beiden Seiten zur Wiedereinbürgerung sind ein Beispiel erfolg- einer Münze. Die biologische Indikation von Schad- reicher Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen

r e Ib s be e nb ü W re Minden E ner m Aa s l s e E t e h c h e c A a b a V

a l A e k e g a n B B i e D r k E e m s l Münster Bielefeld W e r r e S h Detmold r t W a c e m e l b v Ö m e e a r S r E A s r e H B t S e S o c h o l e u b a c I h r

s e R s s

h e e i e W N e l r s i n i p p e L i p p e L Lippstadt Herten e A l t r S esek A h s e m e n h e l a u c A l s m e m i e E D M ö h n e R u h r R u h r Essen H k e ö c n e Duisburg p n p e o h r H e Hagen R u t t Arnsberg e Krefeld N N i e per r u p s W S c h w E a n l Düsseldorf n m V e p o e l ft m r n n e E e L e

z r ü l g g e S A m r f r d o u e r n Köln S F W e g S i R u r S e d n I S Siegen e g Aachen S i S w R i t h t f s h l r t Bonn e c l b S stehende Gewässer i K a E i V a n c h

e f O l Markierte Gewässer sind in den t r f U Kapiteln 3, 4 und 5 beschrieben

29 und Institutionen im Lande, denn der Gewässer- vor Ort von allgemeinem Interesse sind und sowohl schutz im engeren Sinne kann nur die Lebens- das breite Feld der biologischen Untersuchungen bedingungen für anspruchsvolle Arten schaffen. In als auch das Ergebnis ihres Zusammenspiels mit der Regel müssen die Wasserorganismen ihren den anderen Aktivitäten im Gewässerschutz darzu- Weg allein finden, aber beim Lachs kann man, stellen. erfolgreich, nachhelfen. Damit liegt Nordrhein- Daraus ergibt sich auch, dass von einer Reihe der Westfalen auch voll im Trend der verstärkten, auf bedeutenden Flüsse wie Ruhr, Erft, Rur und Weser das Ökosystem gerichteten Gewässerschutzpolitik nur Abschnitte oder besondere Probleme beschrie- der Europäischen Union, über die im Kapitel 8.5 ben werden. berichtet wird. Für den Rhein wird zunächst die generelle In den Kapiteln 3.2 bis 3.6 werden Fließgewässer Entwicklung der biologischen Beschaffenheit des der großen Einzugsgebiete Rhein, Ems, Weser, Rheinstroms selbst über die 30 Jahre beschrieben. Maas und der Flüsse zum Ijsselmeer dargestellt. Darüber hinaus werden auch die besonderen Bei der Auswahl der Themen war zu beachten, dass Probleme seiner Altgewässer dargestellt. Haupt- routinemäßig alle fünf Jahre der biologische Zu- strom und Aue mit Altarmen, Altwässern und zeit- stand aller großen und der wasserwirtschaftlich weise wasserführenden Hochflutrinnen gehören wichtigen kleinen Fließgewässer des Landes zusammen zur landschaftlichen „Stromlandschaft“. Nordrhein-Westfalen in Text und Karte dargestellt Deshalb ist ihre Sicherung und ggf. Renaturierung wird. Diese Karten mit Bericht bewerten die Fließ- sowohl eine Aufgabe der Wasserwirtschaft als auch gewässer und die Westdeutschen Kanäle anhand des Naturschutzes, die selbstverständlich auch eine ihrer Belastung mit biologisch leicht abbaubarer Einheit zum Schutze der Gewässer sein müssen. Belastung, ihrer Saprobie. Auch an mehreren anderen Beispielen wird die Der nächste Bericht wird zur Zeit zusammen mit der enge Verzahnung der biologischen Untersuchungs- Gütekarte, Stand 1999/2000 vorbereitet. Doppelun- ergebnisse mit der Erfüllung der allgemeinen gen sollten vermieden werden und in dem hier vor- Aufgaben in der Wasserwirtschaft verdeutlicht. Um liegenden Sonderbericht war daher Gelegenheit den Rahmen des Berichtes nicht zu sprengen wurde gegeben, näher auf solche Flüsse und Bäche ein- jedoch auf eine umfassende Darstellung der zugehen, die in dem Routinebericht zu kurz abge- Massnahmen und Programme zur ökologischen handelt werden müssen, obwohl ihre besonderen Entwicklung und zur Renaturierung der Fließ- Probleme und die erzielten Verbesserungen im gewässer verzichtet. Dazu werden an anderer Stelle Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte nicht nur besondere Berichte erstellt.

30 Gewässergüteüberwachungsstationen

3.1 Aktivitäten in Nordrhein-Westfalen 3.1.1 25 Jahre Gewässergüteüberwachungsstationen in Nordrhein-Westfalen – Europas dichtestes Messstationennetz – Jaqueline Lowis (LUA) & Klaus Selent (StUA Hagen)

Einleitung 1973 auch mobile Stationen problemorientiert für einen definierten Zeitraum eingesetzt. Über derart Die Gewässerüberwachung in Nordrhein-Westfalen mobile Stationen verfügen die StUÄ Hagen und wird gemeinsam vom Landesumweltamt NRW (LUA Lippstadt. NRW) und den Staatlichen Umweltämtern (StUÄ) betrieben und lässt sich in zwei grundsätzlich unter- schiedliche Messstrategien unterteilen: Stationsausstattung Zum einen wird ein Langzeit-Messprogramm im Rahmen des Gewässergüteüberwachungssy- Die maximale technische Ausstattung einer Mess- stems (GÜS) durchgeführt, dass der Sicherung der station, deren einzelne Komponenten nachfolgend Gewässer als Ökosystem und der Gewährleistung beschrieben werden, ist in Abb. 2 dargestellt. der vielfältigen Nutzungen dient. â ein kontinuierlich betriebenes Probenahmege-

Zum anderen wird infolge des Sandoz Schadens- rät zur Bereitstellung von Rückstellproben 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens falles – bei dem 1986 nach einem Brand bei â eine Integralmessstation zur kontinuierlichen der Firma Sandoz große Mengen Löschwasser, Bestimmung von z. B. pH-Wert, Leitfähigkeit, welches mit Pflanzenschutzmitteln beaufschlagt Temperatur, Trübung, Sauerstoffgehalt, SAK war, in den Rhein gelangten – seit 1987 die zeit- und Redoxspannung, nahe Gewässerüberwachung im Rahmen intensi- â vierten Gewässerüberwachungsorganisation Anreicherungsapparaturen für z. B. mittel- bis (INGO) eingesetzt, die der Aufdeckung und Ver- schwerflüchtige organische Mikroverunreinigun- folgung kurzzeitiger Stossbelastungen nach Un- gen mittels Adsorberharzen oder Schwebstoffe fällen, Havarien oder Betriebsstörungen in Kläran- mittels Schwebstoffzentrifuge, lagen oder industriellen Betrieben und der früh- â biologische Wirkungstests, wie z. B. der zeitigen Information der Trinkwasserwerke dient. Dynamische Daphnientest, der Dreissena- Ferner unterstützt das Messstellennetz die Verur- Monitor (Muscheltest) oder der Algentest. sacherermittlung innerhalb Nordrhein-Westfalens. â Prozessanalysengeräte zur Bestimmung von Für beide Messstrategien setzen das LUA und die z. B. Ammonium, Chrom VI oder TOC StUÄ seit über 25 Jahren stationäre und mobile â Datentransferprozessoren für die tägliche Messstationen ein. Abb. 1 lässt erkennen, dass sich Datenfernübertragung zur Alarmzentrale im LUA die meisten der ortsfesten Messstationen an Rhein, und/oder in die zuständigen StUÄ. Ruhr und Weser befinden. Mit den Messwerten aus den Stationen ist eine frühzeitige Information der Wegen der geforderten Zeitnähe zwischen Probe- Wasserwerke gegeben, die diese Gewässer für die nahme und Analysenergebnis werden spezielle Trinkwassergewinnung nutzen. Messverfahren angewendet: Mit zunehmender Messnetzdichte ist eine effizien- Bei dem Integralmessverfahren wird ein Teilstrom tere Eingrenzung der Verursacher von Gewässer- des Gewässers kontinuierlich auf die Messgrössen verunreinigungen möglich. Die intensivierte Gewäs- untersucht, die mit Elektroden zu messen sind. Dies serüberwachung umfasst zur Zeit ein Netz von sind vor allem pH-Wert, Sauerstoffgehalt, Wasser- 23 stationären Messstationen unterschiedlicher temperatur, Trübung und Leitfähigkeit. Weitere spe- Ausstattung, wobei 15 dieser Stationen vom LUA zifische Messsonden können bei Bedarf ange- und 8 Stationen von den StUÄ betrieben werden. schlossen werden. Neben den ortsfesten Überwachungsstationen Die organischen Mikroverunreinigungen werden werden von den Staatlichen Umweltämtern seit mittels Screening bestimmt. Als Screening bezeich-

31 Petershagen/Weser Z Ils

Porta Westfalica / Weser P W e s e r

W E e m r s r e

Kleve Bimmen / Rhein

I s s R e h Leven / Lippe e l i Wesel / Lippe n L i p p e

N i e Fröndenberg / Ruhr l r r m e s h e R e c i m s u E h D DU-Homberg / Rhein Hattingen / Ruhr r Oeventrop / Ruhr Menden / Hönne Hemer / Öse Mülheim-Kbg. / Ruhr P Schalksmühle / Volme Rhein-Mitte W.-Barmen / Wupper ne e n Düsseldorf / Rhein W u p p e r L Neuss-Eppingh. / Erft Opladen / Wupper Leverkusen / Rhein g r i e R e S u g r Erft g A

Menden / Sieg P Niederschelden / Sieg

Bad Honnef / Rhein

23 Überwachungsstationen Überwachung rund um die Uhr

Probenahmestation: Automatische, kontinuierliche Entnahme von Wasserproben (Rückstellproben) zur Analyse im Alarmfall

Integralmessstation: Kontinuierliche Aufzeichnung von Temperatur, elektrischer Leitfähigkeit, pH-Wert, Sauerstoff-Gehalt, SAK, Trübung und Redoxspannung sowie Übertragung der Daten zur Alarmzentrale Wirkungsteststation: Kontinuierliche Ermittlung der toxischen Wirkung von Schadstoffen auf Daphnien, Muscheln, Leuchtbakterien und Algen in Testapparaturen

Screeningstation: Tägliche Untersuchnungen auf organische Schadstoffe nach spezifischen Übersichtsverfahren; außerdem Prozessanalysegeräte (z.B. Ammonium, Chrom VI, TOC, Chlorid) P ,Schwebstoffzentrifugen Z

Abb. 1: Messstellennetz der intensivierten Gewässerüberwachung

32 Elemente der zeitnahen Gewässerüberwachung kontinuierlich Messfühler pH, O2, WT, LF, Trübung, SAK, Redoxspannung

mehrmals täglich on-line-Verfahren LHKW, BTX, Pestizide

täglich Öko-Einzelprobe TOC, Salze, Nährstoffe

Stichprobe Anreicherung Probenahme-Automat Biomonitore Prozessanalysengeräte Datenfernübertragung

Mischproben Dynamischer TOC Chlorid Daphnientest Ammonium Chrom VI

Purge and trap Dreissena- GC-Screening HPLC-Screening Algentest GC-Screening Monitor

leichtflüchtige organische schwerflüchtige apolare polare organische Wirkungen auf Mikroverunreinigungen Mikroverunreinigungen Mikroverunreinigungen, Wasserorganismen (GC/MS) Rückstellproben Abb. 2: Elemente der intensivierten Gewässerüberwachung net man Übersichtsanalysen anhand derer das Im Dynamischen Daphnientest wird das Bewegungs- Abweichen vom „Normalzustand“ leicht erkennbar verhalten von Wasserflöhen kontinuierlich registriert. wird. Dabei werden Wasserproben z. B. mittels Bei Abweichungen vom regulären Schwimmverhal- gaschromatographischer oder flüssigkeitschromato- ten wird Alarm ausgelöst. Im Dreissena-Monitor wird 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens graphischer Methoden auf organische Schadstoffe das Schalenöffnungs-Verhalten von Muscheln konti- untersucht. Die erhaltenen Rohdaten werden ohne nuierlich registriert, während der Algentest als aufwendige Qualitätssicherung auf Auffälligkeiten Störung der Photosynthese die Veränderung der geprüft. Die Abweichung gegenüber dem Normalzu- Chlorophyll-Fluoreszenz anzeigt. Auch bei den Bio- stand wird bei den organischen Schadstoffen durch monitoren erfolgt eine Datenfernübertragung. einen Vergleich chromatographisch gewonnener Der Einsatz von Prozessanalysengeräten in der Spektren ermittelt, die für die jeweiligen Fließge- Gewässerüberwachung dient in erster Linie der wässer charakteristische „Fingerabdrücke“ dar- Überwachung und Dokumentation von relevanten stellen. Beim Vorliegen ungewöhnlicher Befunde Wasserinhaltsstoffen, um z. B. auf nicht funktionie- werden die Substanzen mit Hilfe der Massenspek- rende Abwasserbehandlungsanlagen und/oder un- trometrie (MS) identifiziert und quantifiziert. erlaubte Einleitungen zurückschließen zu können. Neben den Untersuchungen der Wasserphase ge- Besonders in den Fällen, in denen ein bestimmter winnt die separate Charakterisierung und die Be- Schadstoff durch eine chemisch-physikalische stimmung der Inhaltsstoffe von Schwebstoffen, Methode zu analysieren ist, bietet sich eine konti- Sedimenten und Biota wachsende Bedeutung. Die nuierliche on-line-Überwachung an. Seit einigen Untersuchung des Schwebstoffgehaltes und der Jahren werden Prozessanalysengeräte in der Ge- spezifischen Beladung von Schwebstoffen sind wässerüberwachung problemorientiert eingesetzt. wesentlicher Bestandteil von Gewässerunter- Bewährt haben sich insbesondere (quasi-) kontinu- suchungen, da aufgrund der hohen Adsorptions- ierlich arbeitende Geräte für Stickstoff-, Phosphor- fähigkeit viele Schadstoffe in den feinen Partikeln und Kohlenstoffverbindungen. Üblicherweise be- angelagert und angereichert werden. Zur Schweb- nötigen die Prozessanalysengeräte eine entspre- stoffgewinnung werden in einigen Messstationen chende Probenvorbehandlung, wie z. B. eine Mem- insbesondere Durchfluss-Zentrifugen, die bis zu branfiltration oder eine Filtration über Papierband- 1000 Liter Wasser pro Stunde im Durchfluss zentri- filter, um einen sicheren Betrieb bei akzeptablem fugieren können, eingesetzt. Wartungsaufwand zu gewährleisten.

Biomonitore werden in den Messstationen an Die Datenerfassung aller in den Messstationen Teilströmen des Gewässers betrieben; die einge- gemessenen Kenngrößen erfolgt sowohl auf setzten Organismen zeigen integrale Wirkungen Schreibstreifen als auch auf Datenloggern. Neben von Stossbelastungen an. Sie ergänzen somit die den Messwerten werden z. B. auch Betriebszustän- chemischen Analysen um die Wirkungsinformation. de, Laufzeiten von Pumpen, Gerätestörungen regi-

33 striert. Die Datenfernübertragung in die Alarmzen- â Aufdeckung und Verfolgung von kurzzeitigen trale des Landesumweltamtes in Düsseldorf und/ Schadstoffwellen. Häufig werden Verunreinigun- oder die zuständigen Staatlichen Umweltämter er- gen, deren Ursache innerhalb Nordrhein-West- folgt routinemäßig z. B. jede Nacht. Bei einer fest- falens liegt, mit Hilfe des Messstellennetzes gestellten Überschreitung eines Grenzwertes aufgedeckt. Am Rhein werden pro Jahr bis zu werden die Alarmwerte sofort an das zuständige 5 Meldungen über erhöhte Schadstoffkonzen- Amt übermittelt. Nach Verifizierung der Alarmwerte trationen über den Warn- und Alarmdienst Rhein werden gegebenenfalls die entsprechenden Mel- weitergegeben, die durch Messstationen fest- dungen weiter- und Sofortuntersuchungen vor Ort gestellt wurden. Dies kann bis zu 25 % aller eingeleitet. Schadensfälle pro Jahr am Rhein ausmachen. Darüber hinaus tritt ein abschreckender „Staren- Die anfallenden Kosten für derartige Messstation kasteneffekt“ auf, der dazu geführt hat, dass hängen zum einen von den örtlichen Gegeben- die Anzahl der unerlaubten Einleitungen in den heiten und zum anderen von der geforderten Ge- letzten Jahren stark rückläufig ist. räteausstattung ab. Eine Messstation mit einer wie oben beschriebenen Ausstattung kostet zwischen â Im Falle eines Suchauftrages werden die Er- 300.000 und 500.000 DM. Die reinen Gerätekosten gebnisse der Messstationen im Rahmen der liegen bei ca. 200.000 DM. Der einzuplanende Be- Verursacherermittlung herangezogen. treuungs- und Wartungsaufwand für eine derartige â Durchführung von kombinierten Emissions-/ Station liegt bei etwa einem Tag wöchentlich. Immissionsuntersuchungen Treten im Rahmen der intensivierten Gewässer- â Kontinuierliche Beobachtung von Eutrophie- überwachung Auffälligkeiten auf, so werden diese rungserscheinungen analytisch abgesichert. Beim Überschreiten von â Warngrenzen führen sie zu einer Alarmauslösung im Überwachung von Stauabsenkungen Rahmen nationaler und internationaler Alarmdienste (Schlammabtrieb) wie zum Beispiel der Meldekette der Wasserwerke â Ermittlung von Tagesganglinien z. B. von Sauer- an der Ruhr oder dem Internationalen Warn- und stoff, Temperatur oder pH-Wert Alarmdienst Rhein. â Überwachung von Fällungsversuchen zur Ver- Generell lässt sich beobachten, dass die Anzahl der minderung der P-Fracht Schadensfälle, die über den internationalen Warn- Im Folgenden soll anhand von drei ausgewählten und Alarmdienst Rhein weitergeleitet wurden, im Beispielen der erfolgreiche Einsatz der Messstatio- Laufe der Jahre rückläufig ist (Abb. 3). nen exemplarisch aufgezeigt werden:

40 Benzol/Styrol im Rhein bei Kleve-Bimmen 35 30 Im April 1999 wurden in einer Stichprobe aus dem 25 Rhein bei Büderich (km 812, links) 50 µg/l Benzol 20 und 5 µg/l Styrol bestimmt. In der Messstation 15 Kleve-Bimmen wurde korrespondierend eine Ben- 10 zol/Styrol-Schadstoffwelle mit maximalen Konzen- 5 trationen von 25 µg/l Benzol und 2,5 µg/l Styrol 0 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 beobachtet. Die Messstationen Düsseldorf-Flehe Chemische Industrie Ölschadensfälle Schiffshavarien und Duisburg zeigten korrespondierend keinen Abb. 3: Schadensfälle am Rhein Befund. Im Rahmen der Verursacherermittlung zeig- te sich, dass es sich um eine linksseitige Einleitung im Bereich zwischen Rhein-km 780 und 812 han- Erfahrungen delte. Zeitlich korrespondierende Abwasserproben Im Folgenden werden exemplarisch einige wichtige der in Frage kommenden Einleiter waren ohne Aufgaben und Einsatzmöglichkeiten der Mess- Befund. Bei der sich anschließend auf Schiffe kon- stationen im LUA und in den StUÄ aufgelistet: zentrierenden Ermittlung konnte ein Schiff ermittelt

34 werden, das nach Anlieferung von Benzol auf der licherweise von der Altlast emittierten Dioxine sind Fahrt vom Wesel-Datteln-Kanal kommend links- überwiegend partikulär gebunden. Daher kommen seitig den Rhein bergauf fuhr und am kommenden der Trübungsmessung und der Schwebstoffmes- Tag mit absolut trockenen Tanks eine Werft im sung besondere Bedeutung zu. Bereich Duisburg zwecks Schweißarbeiten anfuhr. Die Belastung der Ils durch die ehemalige nieder- Aufgrund weiterer Ermittlungen und der Tatsache, sächsische Sonderabfalldeponie Münchehagen dass das Schiff in jüngster Vergangenheit auch kann seit Errichtung der Messstation kontinuierlich Styrol geladen hatte, ist mit großer Wahrscheinlich- rund um die Uhr auf die o. g. Parameter überwacht keit davon auszugehen, dass dieses Schiff durch werden. Sanierungserfolge bzw. die Notwendigkeit Auspumpen und/oder Auswaschen der Ladungs- weiterer Sanierungsmaßnahmen können zeitnah reste als Verursacher der Gewässerverunreinigung erkannt und in die Wege geleitet werden. anzusehen ist.

Dioxine in der Ils Ammoniumgehalte in der Sieg

Die Ils liegt im Dienstbezirk des StuA Minden und ist Das Staatliche Umweltamt Hagen betreibt an der der alleinige Vorfluter aller Oberflächengewässer Sieg in Niederschelden an der Landesgrenze zu und des oberflächennahen Grundwassers aus dem Rheinland-Pfalz seit 1991 eine Gewässergüteüber- Bereich der ehemaligen Sonderabfalldeponie wachungsstation. Diese Trendmessstelle dient ins- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Münchehagen (Niedersachsen). Die Ils fließt nach besondere der Erfolgskontrolle der im Bewirtschaf- Überschreiten der Landesgrenze in NRW in die tungsplan „Obere Sieg“ festgelegten Güteziele Gehle, die anschließend ein Wasserschutzgebiet (vgl. Kap. 3.2.2.1). durchquert und dann in die Weser mündet. Das Überwachungsprogramm hat die Aufgabe, den In dem Beitrag des StUA Siegen wird die in den letz- qualitativen und quantitativen Ist-Zustand des ten Jahren durch Kläranlagenbau und -sanierung Grundwassers und des Wassers der Ils sicher zu festzustellende Verbesserung der Gewässergüte erfassen, um die weitere Ausbreitung der Schad- erläutert. Die dort dargestellten Ergebnisse der stoffe in Richtung Ils vor, während und nach den Trenduntersuchungen (13 Stichproben pro Jahr) Sanierungsmaßnahmen dokumentieren zu können. zeigen, dass die Belastung der Sieg durch Am- monium-Stickstoff kontinuierlich abgenommen hat Die systematische Überwachung von Grund- und und seit 1994 die Allgemeine Güteanforderung von Oberflächenwasser hat auch die Funktion, den 1 mg/l NH4-N quasi erreicht worden ist. Erfolg durchgeführter Sicherungs- und Sanierungs- maßnahmen an der Altlast zu erkennen oder aber Ein differenzierteres Bild zeigen die Ergebnisse der auch frühzeitig die Notwendigkeit weitergehender kontinuierlichen NH4-N-Messungen mit einem Sanierungsmaßnahmen festzustellen. Ammonium-Prozessphotometer, welches seit Ende 1994 in der Messstation Niederschelden betrieben Die in der Vergangenheit mit dem Oberflächen- wird. In Abbildung 4 sind die NH4-N-Gehalte in der wasser aus der ehemaligen Deponie in die Ils ver- Sieg von 1995 bis 1998 dargestellt werden. frachteten dioxinbelasteten Schwebstoffe sind weiterhin dahingehend zu untersuchen, ob die Dabei ist folgendes festzustellen: durchgeführten Sicherungsmaßnahmen an der Deponie zur wirksamen Unterbrechung des Trans- l Die Belastung der Sieg mit NH4-N hat in den portweges geführt haben. vergangenen Jahren stetig abgenommen.

In der Messstation an der Ils werden folgende Mess- l Die NH4-N-Gehalte steigen im Winterhalbjahr größen bestimmt: immer wieder an, was erwartungsgemäß auf die dann unvollständige Nitrifikation in den Kläran- pH-Wert, Sauerstoffgehalt, elektrische Leitfähigkeit, lagen und im Gewässer zurückzuführen ist. Temperatur, Trübung, Abfluss, TOC (aus SAK), Dreissena-Monitor und Schwebstoffanteil, weiterhin l In den Jahren 1995 bis 1997 sind bei den kon- ist für 2000 eine Anreicherungeinrichtung für orga- tinuierlichen NH4-N-Messungen wesentlich nische Spurenverunreinigungen geplant. Die mög- höhere NH4-N-Gehalte als in den 13 Stich-

35 Ausblick Das Konzept zur zeitnahen Gewässerüberwachung und Schadensfallbearbeitung im Rahmen nationaler und internationaler Alarmpläne hat sich grundsätz- lich bewährt. Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von kontinuierlichen Überwachungsstationen im LUA und in den StUÄ sind allgemein anerkannt. Die fachliche Zuständigkeit des LUA für die INGO- Stationen am gesamten nordrhein-westfälischen Rheinabschnitt inklusive seiner wichtigsten Neben- flüsse stellt ein organisatorisch einheitliches Über- Abb. 4: Ammoniumgehalte der Sieg in Nieder- wachungssystem sicher. schelden Das Messstationen-Netz an Rhein und Ruhr kann für den Bereich der relevanten punktuellen Einlei- proben im Rahmen der Trenduntersuchungen tungen aus der Großindustrie und den kommunalen festgestellt worden. Kläranlagen als derzeit ausreichend angesehen werden und führt auch bei nicht vom Verursacher l Am 21.12.1995 wurde eine maximale Konzen- gemeldeten Schadstoffwellen zu guten Ermittlungs- tration von 15 mg/l NH4-N in der Sieg festge- ergebnissen bezüglich der in Frage kommenden stellt. Dieser Alarmwert wurde umgehend an die Einleiter. zuständigen Behörden weitergeleitet. Daraufhin wurden sowohl weitere Probenahmen aus dem Die Ausstattung der vorhandenen Messstationen Fließgewässer sowie bei allen Kläranlagen und und die Überwachungsstrategie müssen flexibel bekannten Industriebetrieben durchgeführt als den veränderten Erkenntnissen und Anforderungen auch Betriebsüberprüfungen vorgenommen. an die Gewässerqualität angepasst werden. Aus Trotz umfangreicher Recherchen konnte jedoch diesem Grund werden die Messstationen seit 1996 der Verursacher letztendlich nicht ermittelt verstärkt um gewässerspezifische Messeinrichtun- werden. Es blieb jedoch der Verdacht, dass die- gen ergänzt. Die Messstationen sind je nach Frage- se Gewässerverunreinigung durch eine „inner- stellung qualitativ mit Geräten aufzurüsten. Im Sinne betriebliche Reinigungsaktion“ kurz vor Weih- des effizienten Betriebes der Messstationen arbei- nachten 1995 verursacht worden war. ten das LUA und die StUÄ eng zusammen.

36 Biotestverfahren

3.1.2 Einsatz von kontinuierlichen Biotestverfahren zur Gewässerüberwachung Dr. Brigitte von Danwitz (LUA)

Zur zeitnahen Überwachung von Fliessgewässern stelle für Gewässerkunde Baden-Württemberg ent- werden neben den gängigen physikalisch-chemi- stand 1971 eine Testapparatur, aus der später der schen Messverfahren auch biologische Mess- Kerren-Strömungsfischtest hervorging (JUHNKE & methoden, sogenannte „kontinuierliche Biotestver- BESCH, 1971). Als Testkriterium dient die Fähigkeit fahren“ eingesetzt. Sie zeigen in Ergänzung zu der eingesetzten Goldorfen, sich einer in perio- chemischen Analysen, mit denen z. B. außerge- dischen Abständen von 10 Minuten erzeugten wöhnliche Konzentrationserhöhungen von Einzel- Strömung entgegen zu stellen und dabei ihre stoffen nachgewiesen werden können, direkt Schwimmposition zu behalten. Unter der Einwirkung Wirkungen von Stoffen und Stoffgemischen an. Da von Schadstoffen verlieren die Fische diese Fähig- diese Informationen mit anderen Methoden nicht keit und werden abgedriftet, was vom Testgerät zu erreichen sind, stellen sie eine notwendige automatisch registriert und im Wiederholungsfall als Ergänzung zu physikalisch-chemischen Analysen- Alarmmeldung herausgegeben wird. Das Test- verfahren bei der Gewässerüberwachung dar system wurde im Laufe der Jahre modifiziert und (LAWA 1996). optimiert. Ab 1972 wurden Strömungsfischtests in den Wasserkontrollstationen Kleve-Bimmen und Die Reaktionen von Organismen in Testgeräten, die

Bad-Honnef am Rhein eingesetzt. In Ergänzung 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens in einer Messstation kontinuierlich einem Teilstrom zum Strömungsfischtest entwickelte KNIE (1978) ein des Gewässers ausgesetzt sind, können direkt zur Testsystem mit Wasserflöhen, den Dynamischen Bewertung von Stoßbelastungen herangezogen Daphnientest (Abb. 1). In diesem Testsystem wird werden oder eine intensivierte Analytik zur Ursa- das Schwimmverhalten von Daphnien (Klein- chenermittlung auslösen. Gravierende Schädigun- krebsen) über optische Sensoren beobachtet. gen der Testorganismen werden stets als Hinweis auf eine mögliche Schädigung der Gewässerbio- zönose gesehen. Sie können Veranlassung sein, weitergehende biologische Untersuchungen durch- zuführen, um Auswirkungen auf die Gewässer- organismen festzustellen. So wurden z. B. an verschiedenen Stellen im nordrhein-westfälischen Rheinabschnitt künstliche Substrate ausgebracht, die im Alarmfall unabhängig vom Wasserstand un- verzüglich auf ihre Besiedlung hin überprüft werden können (vgl. Kap. 3.2.1.1). Da die biologische Wirkung eines Stoffes nicht von einer chemischen Analyse abgeleitet werden kann und mit chemisch- analytischen Methoden nicht jederzeit alle Schad- stoffe nachgewiesen werden können, sind biolo- gische Testverfahren für Überwachungsnetze un- verzichtbar.

Entwicklung In den 70er Jahren wurden von Biologen des nord- rhein-westfälischen Landesamtes für Wasser und Abfall (LWA) die ersten kontinuierlichen Biotest- verfahren entwickelt. Veranlassung waren verschie- dene Schadensfälle, verbunden mit Fischsterben größeren Ausmaßes am Niederrhein. In Zusam- menarbeit zwischen dem LWA und der Landes- Abb 1: Dynamischer Daphnientest

37 Schadstoffe im Wasser rufen bei den Daphnien ein neuartigen Testverfahren wurde deshalb zunächst verändertes Schwimmverhalten hervor. Weichen nur der Dreissena-Monitor (BORCHERDING 1992) vom diese Veränderungen signifikant vom Normalverhal- LWA in die Biotestpalette in den Messstationen mit ten ab, wird durch das Testsystem Alarm ausgelöst. aufgenommen. Das Testprinzip des Dreissena- Seit 1982 werden Dynamische Daphnientests neben Monitors beruht auf der Registrierung der Schalen- den Strömungsfischtests in den Wasserkontroll- bewegungen der Dreikantmuschel (Dreissena stationen eingesetzt. Als im November 1986 mit polymorpha). Sinkt der prozentuale Anteil offener Pestiziden verunreinigtes Löschwasser beim San- Muscheln (Vermeidung eines Kontaktes zum Außen- doz-Brand in den Oberrhein gelangte, konnte mit medium und einer möglichen späteren Schädigung dem Dynamischen Daphnientest in der Wasserkon- des Organismus) oder steigt die Häufigkeit der trollstation Bad-Honnef der Eintritt der Schadstoff- Schalenbewegungen sprunghaft an, so deutet dies welle nach NRW verfolgt werden. Nicht zuletzt auf einen Schadstoffeinfluss hin. deshalb wurden die beiden kontinuierlichen Biotest- verfahren neben physikalisch-chemischen Mess- methoden feste Bestandteile der Intensivierten Ge- Beispiel für einen Alarm: wässerüberwachungsorganisation (INGO) in NRW Heizöl in Düsseldorf 1997 (Abb. 1, Kap. 3.1.1). Am 16.01.97 kollidierten bei Düsseldorf-Reisholz Die breite Schadstoffpalette, mit der bei Gewässer- (Rhein-km 723) zwei Motortankschiffe miteinander. verunreinigungen gerechnet werden muss, machte Aus einem der Schiffe trat in der Folge leichtes Heiz- eine Weiterentwicklung der Biotests erforderlich. öl aus; der Geruch war in weiten Teilen Düsseldorfs Das LWA nahm deshalb von 1989 bis 1992 an deutlich wahrzunehmen. In Rückstellproben konn- einem von der Deutschen Kommission zur Rein- ten entsprechende Konzentrationen an Kohlenwas- haltung des Rheins (DKRR) initiierten Verbundvor- serstoffen analysiert werden. Als die Welle ölhalti- haben teil, in dem insgesamt 22 kontinuierliche gen Wassers kurze Zeit später die Wasserkontroll- Testverfahren entweder weiter- oder neuentwickelt station Rhein-Mitte (Düsseldorf-Rathausufer, km 744) wurden (WIR 1995). Für alle trophischen Ebenen passierte, lösten die dort installierten Biotestver- wurden abschließend Geräte für den Einsatz im fahren Alarm aus. Rhein empfohlen. Von der Entwicklung eines Ge- räteprototypen bis zu seiner Einsatzfähigkeit als Im Dynamischen Daphnientest war innerhalb kurzer kontinuierliches Messgerät in einer unbemannten Zeit eine deutliche Verminderung der Schwimm- Messstation ist jedoch ein langer Weg. Von den aktivität der Wasserflöhe zu verzeichnen (Abb. 2).

Abb 2: Reaktion von Wasserflöhen im Dynamischen Daphnientest auf die Einleitung von Heizöl (19.1.1997)

38 Im Dreissena-Monitor sank der Anteil offener behörden am Rhein Anstrengungen zur Vereinheit- Muscheln unter der Einwirkung des mit Heizöl be- lichung der Aus- und Bewertung der Messdaten lasteten Rheinwassers von über 80 % auf unter sowie die zur Einbindung des Testverfahrens in 35 % ab (Abb. 3). Nachdem die Schadstoffwelle nationale Alarmpläne unternommen. durchgelaufen war, öffneten die Muscheln ihre Schalen wieder, wobei das Ausgangsniveau erst nach einigen Tagen erreicht wurde. Dies ist vermut- Ausblick lich auf Rückstände des ölhaltigen Wassers in den Insgesamt hat sich die Beobachtung des Schwimm- Zuleitungen zu den Testsystemen zurückzuführen. verhaltens der Wasserflöhe als geeignetes Über- Akute Schädigungen der Biozönose treten jedoch wachungskriterium herausgestellt. Teilweise traten vielfach ohne direkt wahrnehmbare Nebeneffekte im Dynamischen Daphnientest jedoch Probleme – wie Geruch bei Ölunfällen – auf, dann sind wir aufgrund der unzureichenden Methode der Mess- allein auf die Bioteste angewiesen. wertaufnahme auf. Als Fortschritt in der Messtechnik ist deshalb die Entwicklung von Daphnientests zu werten, die auf der Auswertung von Videobildern Aktueller Stand beruhen. Diese neuartigen Geräte haben den Vor- Kontinuierliche Biotestsverfahren haben sich als teil, dass mehrere Verhaltensparameter zugleich Element der zeitnahen Gewässerüberwachung in erfasst und zur Alarmauslösung herangezogen NRW bewährt. In den 70er und 80er Jahren wurden werden können. Derartige Geräte werden zur Zeit 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens von den Strömungsfischtests und Dynamischen von den jeweiligen Herstellern in Zusammenarbeit Daphnientests häufig Alarme angezeigt. Heutzutage mit Überwachungsbehörden an Rhein und Elbe zur erscheint der Strömungsfischtest jedoch aufgrund Praxisreife gebracht. der verbesserten Rheinqualität und der sinkenden Da die verschiedenen Biotestverfahren untereinan- Belastung durch Schadstoffstöße als für die Rhein- der nicht ersetzbar sind, ist anzustreben, jeweils überwachung zu unempfindlich. Da in den letzten eine Testbatterie mit Funktionsträgern unterschied- Jahren kein Alarm im Strömungsfischtest mehr licher trophischer Ebenen (Destruenten, Primär- registriert wurde, wurden die Geräte Ende 1999 produzenten, Konsumenten) zu implementieren. abgeschaltet. Der Einsatz von Bakterientests zur Überwachung Da der Dynamische Daphnientest das am weitesten von Oberflächengewässer ist derzeit jedoch nicht verbreitete kontinuierliche Biotestverfahren am geplant. Die im Verbundforschungsvorhaben ge- Rhein ist, wurden 1999 von den Überwachungs- testeten Bakterientests erwiesen sich als zu unemp-

Abb 3: Reaktion von Muscheln im Dreissena-Monitor auf die Einleitung von Heizöl (16.1.1997)

39 findlich. Ein kontinuierlicher Leuchtbakterientest ist Literatur eher für die Überwachung von Abwassereinleitun- BORCHERDING, J. (1992): Die Schalenbewegungen der Muschel gen von Interesse, bei denen mittels statischer Dreissena polymorpha als Monitorsystem zur Gewässerüber- wachung. Schr.-Reihe Verein WaBoLu 89, Gustav Fischer Leuchtbakterientests regelmäßig eine Hemm- Verlag, Stuttgart 1992. wirkung angezeigt wird. Ergänzt werden soll die BUND/LÄNDER-PROJEKTGRUPPE „Wirkungstests Rhein“ (WIR) (1995): Testpalette in den nordrhein-westfälischen Mess- Kontinuierliche Biotestverfahren zur Überwachung des stationen mittelfristig durch einen Algentest, bei dem Rheins. UBA-Berichte 1/95, Erich Schmidt Verlag, Berlin, 289 S. 1995. als Messkriterium die Änderung des Fluoreszenz- verhaltens infolge einer Schädigung der Photo- JUHNKE, I U. W. K. BESCH (1971): Eine neue Testmethode zu Früherkennung akut toxischer Inhaltsstoffe im Wasser. synthese-Vorgänge dient. Gewässer und Abwässer, (5), 50/51, S. 107-114.

KNIE, J. (1978): Der Dynamische Daphnientest - ein automa- tischer Biomonitor zur Überwachung von Gewässern und Abwässern. Wasser und Boden 12, 310-312.

LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA)(Hrsg): Empfehlun- gen zum Einsatz von kontinuierlichen Biotestverfahren für die Gewässerüberwachung. Kulturbuchverlag Berlin, 1996.37 S.

40 Akkumulationsmonitoring

3.1.3 Zebramuscheln im Dienste des Umweltschutzes – Akkumulationsmonitoring von biologisch verfügbaren Schadstoffanteilen in der Weser Dr. Dieter Busch (StUA Herten)

Die für eine Gewässerbiozönose ökotoxikologisch dem Härtegrad und abnehmendem pH-Wert des relevanten Schadstoffbelastungen bestehen aus Wassers rapide an (WACHS 1994). Zwischen der verschiedenen organischen Verbindungen (z. B. Lö- Bioverfügbarkeit von Schwermetallen und der Sali- sungsmittel, Pestizide, PCBs, organische Schwer- nität des Flusswassers gibt es ebenfalls deutliche metallverbindungen) und anorganischen Stoffen Zusammenhänge (BUSCH et al. 1998). (z. B. Schwermetallsalze). Um eine Wirkung entfal- Die routinemäßige Gewässerüberwachung erfasst ten zu können, müssen die meisten Substanzen die Konzentrationen von erkannten Schad- oder zunächst über unterschiedliche Aufnahmepfade in Problemstoffen im unfiltrierten Wasser. Schwer- die Organismen gelangen. Die biologische Aufnah- metalle werden z. B. in Stichproben oder als Misch- mefähigkeit der jeweiligen Schadstoffe ist daher proben (z. B. Zwei-Wochen-Mischproben) unter- eine wichtige Voraussetzung für ihr ökotoxikolo- sucht. Bei der Analyse von Schwermetallen (z. B. gisches Risikopotential. Blei, Cadmium, Chrom, Nickel) und lipophilen orga- Wasserlösliche anorganische Verbindungen (z. B. nischen Verbindungen werden oft Konzentrationen Schwermetalle) werden von den Organismen vor- unterhalb der angewandten Bestimmungsgrenzen 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens wiegend aus dem Wasser (Kiemenpfad) resorbiert gefunden. Diese Stoffe liegen im Wasser in sehr und anschließend in spezifischen Zielorganen (z. B. niedrigen Konzentrationen vor, sind aber trotzdem Leber oder Niere) gespeichert. Organische Verbin- biologisch verfügbar und können somit auf Organis- dungen (z. B. Pestizide, PCBs) sind meist nur in men wirken. geringem Umfang wasserlöslich, sie werden von Aufgrund der Datenlage sind für viele Schadstoffe Organismen (z. B. Fische) hauptsächlich über den in der Wasserphase die real vorliegenden Konzen- Magen-Darm-Trakt mit der Nahrung aufgenommen trationen und Trends in der Belastungsentwicklung und im Fett der Körpergewebe akkumuliert. Eine nicht bewertbar. Maßstäbe für eine biologische Resorption von Schadstoffen aus Sedimenten Verfügbarkeit der vorliegenden Belastungen, z. B. erfolgt durch Körperkontakt oder über die Aufnahme für Schwermetalle, sind nicht ableitbar. Seit 1997 von Sedimentpartikeln in den Magen-Darm-Trakt. werden in NRW an ausgewählten Messstellen Die im Wasserkörper gelösten oder an feinpartiku- Schadstoffkonzentrationen in Gewässerschweb- läres Seston gebundenen Schadstoffe werden stoffen untersucht. Mit dieser Methode konnte für schon bei sehr geringen, teilweise analytisch nicht einige Stoffgruppen das Problem der Bestimmungs- nachweisbaren Konzentrationen von aquatischen grenzen gelöst werden, da partikulär gebundene Organismen aufgenommen und in erheblichem Um- Schadstoffe hier in wesentlich höheren Konzen- fang akkumuliert. Die Bioverfügbarkeit von Schad- trationen vorliegen. stoffen hängt dabei von einer Reihe von komplexen chemisch-physikalischen und biologischen Rand- bedingungen ab. Im aquatischen Milieu unterliegen die Schadstoffe chemisch-physikalischen Verände- rungen. Die sich wandelnden chemischen Spezifi- zierungen beeinflussen die biologische Verfügbar- keit. Diese ist häufig nicht mit den absoluten Konzentrationen in abiotischen Kompartimenten (Wasser, Seston, Sediment) des Ökosystems korre- liert (BUSCH et al. 1995a). Gleichzeitig kann es zu synergistischen Toxizitätssteigerungen als Wechsel- wirkung mit anderen Wasserinhaltsstoffen kommen. So steigen beispielsweise die Giftwirkung und die Bioverfügbarkeit von Schwermetallen mit sinken- Abb. 1: Messstation

41 Das Problem für die Einschätzung des ökotoxikolo- gischen Risikos bleibt bestehen, da die Bioverfüg- barkeit von Schadstoffen häufig nicht direkt mit ihren absoluten Konzentrationen korreliert ist, sondern einer Vielzahl von anderen Faktoren unterliegt. Daher ist es sinnvoll, ergänzend zu den bereits lau- fenden behördlichen Überwachungsprogrammen, geeignete Methoden für ein biologisches Monitoring von Schadstoffen und deren Bioverfügbarkeit zu entwickeln, um die routinemäßige Gewässerüber- wachung zu ergänzen (BUSCH et al. 1992).

Zur Entwicklung geeigneter Methoden für ein Abb. 3: Messapparatur mit Dreissena polymorpha Schadstoffakkumulationsmonitoring wurde für die ARGE Weser ein von den Bundesländern Bremen, Die Anreicherungsfaktoren für Schwermetalle und Niedersachsen, Hessen und Nordrhein Westfalen CKWs aus dem unfiltrierten Flusswasser liegen bei 2 3 finanziertes, fünfjähriges Pilotprojekt (BUSCH et 10 -10 (BUSCH et al. 1992). Mit den Muscheln al.1995b, 1996) an der Universität Bremen (Institut gelingt auch ein Nachweis von Schadstoffen (z. B. für Ökologie und Evolutionsbiologie) durchgeführt. Cd, PCBs), die bei der Analytik im Wasser unter der Hierbei wurden über einen mehrjährigen Zeitraum Bestimmungsgrenze liegen. Von Dreissena war ihre intensive Untersuchungen der Schadstoffbelastung hohe Toleranz gegenüber Umweltkontaminationen der Biozönose des Wesersystems vorgenommen. und ihre gute Fähigkeit zur Schadstoffakkumulation Neben dem Akkumulationsmonitoring wurden regel- aus Vorversuchen bekannt (BUSCH et al 1989). mäßig die Schadstoffbelastung von Vertretern ver- Für ein aktives Monitoring wurden jeweils ca. 100 schiedener Trophiestufen der Weserbiozönose Muscheln mit geringer Vorbelastung in den Mess- (sessile Algen, Flohkrebse, natürliche Muschelpopu- stationen der ARGE Weser (Abb. 4) in Durchfluss- lationen) und Wesersedimente untersucht. becken im Weserwasser exponiert und nach zwölf- Für das Akkumulationsmonitoring wurde die wöchiger Expositionsdauer wieder entnommen. In Süßwassermuschel Dreissena polymorpha (Abb. 2 jeweils 20 Einzelmuscheln wurden die Konzentra- und 3) (Zebra-, Dreikant-, Wandermuschel) einge- tionen von Blei, Cadmium, Chrom, Nickel, Zink und setzt. Muscheln haben als filtrierende Organismen Kupfer im Weichkörper analysiert (AAS). Die ange- durch ihre Ernährungsweise engen Kontakt mit den reicherten Quecksilber-, Pestizid- und PCB-Konzen- gelösten und den feinpartikulär gebundenen Schad- trationen wurden jeweils in Mischproben untersucht. stoffen der Wasserphase. Die Schadstoffaufnahme Bei der statistischen Auswertung der erhobenen erfolgt über Kiemen und Verdauungstrakt. Daten lassen sich regionale und zeitliche Bela- stungsunterschiede gut auf signifikantem Niveau Abb. 2: absichern, da eine relativ hohe Anzahl von Einzel- Im Einsatz für tieren untersucht wurde. Im Zeitraum von 1990 bis die Umwelt- 1993 wurden auch an den nordrhein-westfälischen überwachung: Weserstationen (Porta, oh. Minden) und Peters- Dreissena hagen (uh. Minden) zehn Expositionsläufe von polymorpha jeweils zwölfwöchiger Dauer durchgeführt (Tab. 1).

42 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Expositionsorte an Weser und Nebenflüssen

Weserstationen: Flusskilometer Hemeln HEM km 12 Boffzen BOF km 69 Hajen HAJ km 120 Hessisch-Oldendorf HOL km 147 Porta POR km 198 Petershagen PTH km 213 Drakenburg DRB km 278 Intschede INT km 330 Bremen-Hemelingen HBH km 361 Bremen-Farge HBF UW-km 27 = 389 Brake BRA UW-km 38 = 400 Quell- und Nebenflüsse: Flusskilometer Letzter Heller LEH Werra, km 84 Wahnhausen FUL Fulda, km 94 Verden VER Aller, km 113 Reithörne* OLH Hunte, Unterlauf km 6 (* die Station Reithörne gehört dem Land Niedersachsen)

Abb. 4: Lage der Dauermessstationen der ARGE Weser

43 Tab. 1: Expositionszeiträume Werra und Aller zu erhöhten Konzentrationen in den Muschelweichkörpern. Im Vergleich zu den anderen Expositionslauf Datum Weserstationen lagen die nach der Exposition in AR 10 14.09.1990 – 21.12.1990 Porta und Petershagen erreichten Konzentrationen AR 11 20.12.1990 – 21.03.1991 auf relativ niedrigem Niveau. AR 12 21.03.1991 – 21.06.1991 AR 13 21.06.1991 – 15.10.1991 AR 14 15.10.1991 – 14.01.1992 AR 15 14.01.1992 – 10.04.1992 Ergebnisse an den nordrhein-westfälischen AR 16 10.04.1992 – 14.07.1992 Stationen Porta und Petershagen AR 17 14.07.1992 – 21.10.1992 Nachfolgend werden ausgewählte Monitoringer- AR 18 21.10.1992 – 21.01.1993 gebnisse für die Schwermetall-, Pestizid- und PCB- AR 19 21.01.1993 – 04.05.1993 Konzentrationen an den nordrhein-westfälischen AR 20 04.05.1993 – 08.09.1993 Stationen Porta und Petershagen vorgestellt. In den Abbildungen 6 – 9 ist jeweils der Betrag der Ände- rung der Schadstoffkonzentrationen (Endkonzen- Regionale Belastungsunterschiede tration – Anfangskonzentration) für die Schwerme- Das Ergebnis eines typischen Expositionslaufes talle Blei, Cadmium, Chrom und Zink dargestellt. (AR 18) für die ganze Weser ist in Abbildung 5 Fast immer kommt es unter Weserbedingungen dargestellt. Generell ergeben sich, verglichen mit im Weichkörper der niedrig vorbelasteten Muscheln der Nullprobe (NUL), signifikante Schwermetallan- zu deutlichen Konzentrationserhöhungen. Die im reicherungen in den exponierten Tieren. Gleichzeitig Weserabschnitt Porta – Minden – Petershagen in traten regelmäßig statistisch signifikante Bela- den Muscheln erreichten Schwermetallkonzentratio- stungsunterschiede beim Vergleich der Muscheln nen liegen für Weserverhältnisse in der Regel auf von verschiedenen Expositionsorten auf. Es sind mittlerem Niveau. Beide Stationen weisen ähnliche wesertypische Belastungsmuster zu erkennen. Belastungsmuster auf. Deutlich spiegelt sich in den in der Aller (VER) und Für Blei (Abb. 6) wurden Konzentrationserhöhungen bei Intschede (INT; uh. des Allerzuflusses in die bis zu 3 mg/kg (TG) festgestellt. Ein Belastungs- Weser) exponierten Muscheln der Einfluss der maximum fand sich in Petershagen (AR 19). Die hohen Bleikonzentrationen im Allerwasser wider. kausale Ursache der Erhöhungen konnte nicht Ebenso führt die höhere Cadmiumbelastung von ermittelt werden. Beide Stationen erreichen im Trend ein ähnliches Belastungslevel. Für Cadmium kommt es unter Weserbedingungen fast immer

7,0

6,0 3,5 5,0 3,0 4,0 2,5 3,0

mg/kg (TG) 2,0 2,0 1,5 1,0

mg/kg (TG) mg/kg 1,0 0,0 Blei 0,5

0,0 Cadmium -0,5 PTH 10 11 Stationen 12 13 Chrom 14 POR 15 16 17 18 Expositionslauf 19 20

Abb. 6:Blei – Konzentrationsänderungen in den Abb. 5: Typisches Ergebnis eines Expositionslau- Weichkörpern exponierter Muscheln (Dreis- fes (AR 18 vom 21.10.92-21.1.93) für die sena) an den Stationen Porta (POR) und Schwermetalle Blei, Cadmium und Chrom. Petershagen (PTH). (Dargestellt sind die Mittelwerte (n=20 Einzeltiere) der absoluten Anfangskonzentrationen und die Mittelwerte (Positive Balken: Konzentrationszunahme durch der Endkonzentrationen nach 12-wöchiger Expo- Schadstoffakkumulation; Negative Balken: Verminde- sitionszeit. Angaben zu den Stationen siehe Abb. 2.) rung der Konzentrationen)

44 zu einer deutlichen Erhöhung der Ausgangkon- 280 mg/kg (TG) in Porta beobachtet (Abb. 9). Im zentration (Abb. 7). Diese Differenz kann bis zu Frühjahr neigen die Muscheln unter den Weserbe- 1,5 mg/kg (TG) (AR 11, Petershagen) ausmachen. dingungen bei Minden dazu, nur geringe Zinkkon- Nur im Expositionslauf AR 12 (hohe Vorbelastung zentrationen aufzunehmen, teilweise fand sogar der Nullprobe; 0,96 mg/kg) war im Bereich Minden eine Konzentrationssenkung statt. Für Nickel (± 25 in den Muscheln eine Absenkung der Ausgangs- mg/kg (TG)) und Kupfer (±10 mg/kg (TG)) zeigten konzentrationen zu beobachten, während an den die exponierten Muscheln ebenfalls eine Tendenz höher belasteten Weserstandorten weiter akkumu- zu jahresrhythmischem Akkumulations- und Dekon- liert wurde. taminationsverhalten.

1,6 300 1,4 250 1,2 1,0 200

0,8 150 0,6 100 0,4 mg/kg (TG)mg/kg mg/kg (TG) mg/kg 0,2 50 0,0 0 -0,2 -0,4 -50 PTH 10 PTH 10 11 12 11 12 13 14 13 14 POR 15 POR 15 16 16 17 17 18 18 19 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Expositionslauf 19 20 Expositonslauf 20 Abb. 7: Cadmium – Konzentrationsänderungen in Abb. 9: Zink – Konzentrationsänderungen in den den Weichkörpern exponierter Muscheln Weichkörpern exponierter Muscheln (Dreis- (Dreissena) an den Stationen Porta (POR) sena) an den Stationen Porta (POR) und und Petershagen (PTH). Petershagen (PTH). (Positive Balken: Konzentrationszunahme durch (Positive Balken: Konzentrationszunahme durch Schadstoffakkumulation; Negative Balken: Verminde- Schadstoffakkumulation; Negative Balken: Verminde- rung der Konzentrationen) rung der Konzentrationen)

Auch für Chrom wurde fast immer eine deutliche Die Monitoringergebnisse für organische Schad- Schwermetallakkumulation in den Muscheln festge- stoffe sind für die Station Porta dargestellt. Die Kon- stellt (Abb. 8). Maximale Konzentrationserhöhungen zentrationsangaben (µg/kg) beziehen sich jeweils um 2,3 mg/kg (TG) erreichten die Dreissenen in auf das extrahierte Fett der Tiere. Unter Weserbe- Petershagen. Für Zink (essentielles Metall) wurde dingungen kommt es in der Regel zur Akkumulation eine Spitzenakkumulation beim Lauf AR 11 mit von HCB und Lindan, zeitweilig auch von DDT (gesamt) (Σ 2,4-DDT, 4,4-DDT, 4,4-DDE; 4,4-DDD) 2,5 und Dieldrin (Abb. 10). Die erreichten Akkumu-

2,0 lationsmaxima sind in Tab. 2 zusammengestellt. Vor allem bei den ersten Expositionsläufen (AR 10; 11) 1,5 konnten erhebliche bioverfügbare DDT-Mengen im 1,0 Wesersystem nachgewiesen werden. In den expo- mg/kg (TG) mg/kg 0,5 nierten Muscheln wurde eine Aufstockung der DDT- 0,0 Konzentrationen um bis zu 425 µg/kg (Porta) bzw. -0,5 CrPTH um 760 µg/kg (Petershagen) nachgewiesen. Für 10 11 12 13 POR 14 15 Cr 16 17 Dieldrin lag die maximale Konzentrationserhöhung 18 19 Expositionslauf 20 bei 125 µg/kg (Porta, AR 15). Abb. 8: Chrom – Konzentrationsänderungen in den Bei der Untersuchung der PCB-Konzentrationen in Weichkörpern exponierter Muscheln (Dreis- den exponierten Dreissenen wurde generell eine sena) an den Stationen Porta (POR) und niedrige Belastung mit den biologisch abbaubaren, Petershagen (PTH). niedrig chlorierten PCB-Congeneren (PCB 28, 52) (Positive Balken: Konzentrationszunahme durch Schadstoffakkumulation; Negative Balken: Verminde- nachgewiesen (Abb. 11). Dagegen kam es bei den rung der Konzentrationen) im Ökosystem persistenten, höher chlorierten PCB-

45 500 1000 400

300 800

200 600 100 400 0 µg/kg (extr. Fett)

-100 µg/kg /extr. Fett) 200 PCB Nr.180 -200 Dieldrin PCB Nr.153 Lindan 0 PCB Nr.138 -300 HCB PCB Nr.101 -200 10 11 PCB Nr.52 12 13 DDT ges. 10 14 11 12 15 16 13 14 PCB Nr.28 17 18 15 16 Expositionslauf 19 17 18 Expositionslauf 19

Abb. 10: Lindan, Dieldrin, HCB und DDT (gesamt) Abb. 11: PCBs – Konzentrationsänderungen in (S 2,4-DDT, 4,4-DDT, 4,4-DDE; 4,4-DDD)- den Weichkörpern exponierter Muscheln Konzentrationsänderungen in den Weich- (Dreissena) an der Station Porta körpern exponierter Muscheln (Dreis- sena) an der Station Porta lierungen wurde versucht, die im Wesersystem auf die Bioverfügbarkeit der Schwermetalle einwirken- Tab. 2: Maximale Konzentrationserhöhungen (µg/ den Faktoren zu beschreiben und ihren Einfluss zu kg bezogen auf extrahiertes Fett) in den quantifizieren. Hierbei wurde nachgewiesen, dass in Geweben der in Porta und Petershagen der Regel keine engen Korrelationen zwischen den exponierten Muscheln (AR 16 = aufgetreten Schwermetallkonzentrationen im Wasser und in den bei Expositionslauf Nr. 16). Organismen auftreten. Es stellte sich zudem her- aus, dass weitere, abiotische Faktoren wie z. B. die Substanz Expositionsort Salzbelastung, wesentliche Einflussgrößen für Angabe in µg/kg POR PTH die Schwermetallaufnahme bei Organismen sein HCB 30 (AR16) 80 (AR16) können. Zusätzlich ergaben sich regelmäßig für alle Lindan 70 (AR11) 91 (AR19) untersuchten Metalle an allen Stationen signifikante DDT ges. 425 (AR11) 760 (AR11) jahresrhythmische Konzentrationsschwankungen in Dieldrin 125 (AR15) 90 (AR16) den Weichkörpern der Muscheln, die nicht parallel zu beobachteten Konzentrationsrhythmen im PCB Nr.28 52 (AR12) 50 (AR19) Weserwasser verliefen (BUSCH & WOSNIOK 1997). PCB Nr.52 266 (AR13) 156 (AR13) Biologische Rhythmen sind neben dem jahres- PCB Nr.101 500 (AR13) 365 (AR13) zeitlich wechselnden Schadstoffangebot und jahres- PCB Nr.138 1000 (AR17) 625 (AR16) zeitlichen Schwankungen von Syn- und Antagonis- PCB Nr.153 946 (AR17) 490 (AR10) men als Ursache zu nennen. PCB Nr.180 458 (AR17) 300 (AR16) Von der LAWA (1997) wurden mittlerweile Qualitäts- ziele zum „Schutz oberirdischer Binnengewässer Congeneren (PCB 101, 138, 153, 180) an beiden vor gefährlichen Stoffen“ eingeführt. Hierbei wurden Stationen regelmäßig zu teilweise erheblichen auch für Schwermetalle Zielvorgaben definiert. Anreicherungen in den Muschelgeweben (Tab. 2). Neben anthropogenen Nutzungen stellen auch die Die Befunde deuten, da die biologisch abbaubaren „aquatischen Lebensgemeinschaften“ ein zu be- PCB-Congenere nur in sehr niedrigen Konzentra- wahrendes Schutzgut dar. Die Zielvorgaben sollen tionen in den Muscheln nachgewiesen werden für die jeweiligen Gewässer „eine möglichst natur- konnten, auf eine aus Altlasten stammende PCB- nahe, standorttypische, sich selbst reproduzierende Belastung des Wesersystems hin. und selbst regulierende Lebensgemeinschaft von Mit dem Pilotprojekt wurde eine wichtiger Beitrag Pflanzen und Tieren“ und die Erhaltung des ur- zur Verbesserung von Erfassung und Bewertung sprünglichen Arteninventars gewährleisten. Bezüg- der im Wesersystem vorliegenden Schadstoffbe- lich der Schadstoffbelastung stellt der Schutz der lastung geleistet. Anhand mathematischer Model- aquatischen Biozönosen die höchsten Anforderun-

46 gen an die Gewässerqualität (WACHS 1994). Eine Literatur wesentliche Grundlage für Qualitätsziele in Form BUSCH, D. & B. SCHUCHARDT (1989): The use of the fresh- von Konzentrationen im Wasser ist die Annahme, watermussel Dreissena polymorpha (Pallas) for biomoni- dass die Schadstoffaufnahme in Organismen über- toring heavy metals in limnic ecosystems. Verh. Internat. Ver- ein. Limnol. 24, 2261-2264. wiegend von den im Wasser vorliegenden Konzen- BUSCH, D., LUCKER, T., SCHIRMER, M. & W. WOSNOIK (1992): The trationshöhen gesteuert wird. Application of the Bivalve Dreissena polymorpha (Pallas) for Biomonitoring Routine of Heavy Metals in Rivers. In: NEU- Für einige Schwermetalle liegen die Wirkschwellen- MANN & JENNER (Eds.): The Zebra mussel Dreissena poly- werte (No-effect-level) der empfindlichsten Wasser- morpha. Limnologie aktuell Bd. 4, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 197-211. organismen schon in Konzentrationsbereichen, die BUSCH, D.; LUCKER, T.; SETINKAYA, M. & M. SCHIRMER (1995 a): Bio- der natürlichen, geogenen Hintergrundbelastung verfügbarkeit und Biomonitoring von Schwermetallen und der Fließgewässer entsprechen. Ein pragmatischer schwerflüchtigen Organochlorverbindungen in der Weser. Limnologie aktuell Bd. 6, „Die Weser“. Gustav Fischer Verlag, Ansatz für die Festlegung von Zielvorgaben ist nach Stuttgart, 93-107. SCHUDOMA et al. (1994) ein Orientierungswert in BUSCH, D.; LUCKER, T.; WOSNOIK, W. & M. CETINKAYA (1995 b): Höhe der zweifachen Obergrenze der Hintergrund- Schadstoffbiomonitoring (aktiv und passiv) mit der Süßwas- belastung, der 1997 von der LAWA bundesweit ein- sermuschel Dreissena polymorpha (PALLAS) und anderen Kompartimenten der Biozönose als Methode der Gewässer- geführt wurde. Gleichzeitig wurde eine chemisch- überwachung. Universität Bremen. Erstellt für die Arbeits- physikalische Güteklassifizierung entwickelt, wobei gemeinschaft der Länder zur Reinhaltung der Weser (ARGE Weser) Band 2, Datenband. die Zielvorgaben als anzustrebende Güteklasse II BUSCH, D.; LUCKER, T.; WOSNOIK, W. & M. CETINKAYA (1996): definiert wurden. Schadstoffbiomonitoring (aktiv und passiv) mit der Süß- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens wassermuschel Dreissena polymorpha (PALLAS) und Aus den Ergebnissen des Schadstoffakkumulations- anderen Kompartimenten der Biozönose als Methode der monitoring an der Weser lässt sich jedoch ableiten, Gewässerüberwachung. Universität Bremen. Erstellt für die Arbeitsgemeinschaft der Länder zur Reinhaltung der Weser das neben den Konzentrationen der Schadstoffe (ARGE Weser) Band 1, Textband. zusätzliche chemisch-physikalische bzw. biotische BUSCH , D. & W. WOSNOIK (1997): Erfassung der bioverfügbaren Faktoren bei der Einschätzung des ökotoxikolo- Schadstoffbelastung von Fließgewässern mittels biologi- schem Akkumulationsmonitoring. Ein Beitrag zur Problematik gischen Risikos betrachtet werden müssen. In Kom- der Bewertung von Gewässerbelastungen anhand von quali- bination mit einem chemisch-physikalischen Begleit- tätszielorientierten Maßstäben. DGL, Deutsche Gesellschaft für Limnologie e.V., Erweiterte Zusammenfassungen der programm können mit dem biologischen Schad- Jahrestagung 1996, Bd. II, 650-654. stoffakkumulationsmonitoring wichtige Datengrund- BUSCH, D.; LUCKER, T. & W. WOSNOIK (1998): Effects of changing lagen für eine Weiterentwicklung der derzeit gelten- salt concentrations and ther physical-chemical parameters on den Zielvorgaben erhoben werden. bioavailability and bioaccumulation of heavy metals in expo- sed Dreissena polymorpha (PALLAS, 1771). Limnologica 28 (3), 263-274. LAWA (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser) (1997): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnengewässer, Bd. I, Berlin.

SCHUDOMA, D.; IRMER, MARKARD, C. & E. STIX (1994): Ableitung von Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnengewässer für die Schwermetalle Blei, Cadmium, Chrom, Kupfer, Nickel, Quecksilber und Zink, UBA-Texte 52/94, Umweltbundesamt, Berlin.

WACHS, B. (1994): Limnotoxizität und Ökobewertung der Schwer- metalle sowie entsprechende Qualitätsziele zum Schutz aquatischer Ökosysteme, Münchener Beiträge zur Abwas- ser-, Fischerei- und Flußbiologie Band 48, 425-486, Olden- bourg Verlag, München.

47 48 Lachs 2000

3.1.4 Wiedereinbürgerung des Lachses in Nordrhein-Westfalen – Stand, wissenschaftliche und praktische Aspekte –

Dr. Gottfried W. Schmidt, LÖBF/LAfAO NRW, -Albaum

Einleitung wusst eingesetzt. Natürlich schließt „Lachs 2000“ auch Artenschutzanliegen ein. Um 1950 waren die einst berühmten Lachsbestände des Rheins restlos erloschen und die Art Salmo Nach der inzwischen deutlichen Verbesserung der salar L. im gesamten System dieses Stroms defini- Wasserqualität des Rheins und seiner Zuflüsse tiv ausgestorben (Abb. 1). Als Hauptursachen sind (LUA 1997, IRMER 1999 u. a.) werden dem Lachs die verschiedenartigen wasserbaulichen Eingriffe, neue Chancen eingeräumt. Wegen des weiträumi- insbesondere die Versperrung des Weges zu den gen Niedergangs wildlebender Bestände und der Laichgründen durch immer mehr und immer höhere relativ geringen Streuungsrate bei der Rückkehr der Wehre, und die Verschlechterung der Wasser- adulten Lachse zu ihren Laichgewässern ist die qualität im Zuge der immer dichteren Besiedlung Neubegründung einer Lachspopulation in unseren und Industrialisierung des Einzugsgebietes zu Flüssen allein durch natürliche Wiederaus- nennen. 1986 beschloss die Rheinminister-Kon- breitungsvorgänge in absehbaren Zeiträumen nicht ferenz in Rotterdam das „Aktionsprogramm Rhein“ wahrscheinlich. Eine künstliche Wiederansiedlung mit dem Ziel für das Jahr 2000 „das Ökosystem des ist deshalb sinnvoll. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Rheins soll in einen Zustand versetzt werden, bei Das Gegenmodell ist die dem Lachs nahe verwand- dem heute verschwundene, aber früher vorhandene te und in ihren Ansprüchen ähnliche Meerforelle. Sie höhere Arten (z. B. der Lachs) im Rhein als großem war in Mitteleuropa nie ganz verschwunden und hat europäischen Strom wieder heimisch werden ein anderes Wanderungsverhalten, das eine natür- können“ In der Folge wurde das Vorhaben als liche Wiedereinwanderung in verlassene Lebens- „Lachs 2000“ bekannt (IKSR 1987, SCHULTE- räume sehr erleichtert. Seit den 80er Jahren ist in WÜLWER-LEIDIG 1991) und in Nordrhein-Westfalen der Tat eine kräftige Wiederausbreitung dieses inzwischen in „Wanderfischprogramm NRW“ umbe- Fisches im nordrhein-westfälischen Rheinbereich zu nannt (s. u.) beobachten (SCHMIDT 1996). Maßnahmen zur künst-

250000 lichen Wiederansiedlung sind daher für die Meer- forelle nicht erforderlich (siehe auch LEHMANN 1998). 200000

150000 n Das Wiedereinbürgerungskonzept 100000 der LÖBF versteht sich als Beschleunigung der mit 50000 einer natürlichen Wiederansiedlung des Lachses 0 verbundenen Abläufe. Alle biologisch relevanten 1875 1885 1895 1905 1915 1925 1935 1945 1955 Maßnahmen orientieren sich möglichst eng an Abb. 1: Lachsfänge im niederländischen und dieser Leitlinie, z. B. Wiederherstellung der ökologi- deutschen Rheineinzugsbereich zwischen schen Durchgängigkeit der Flüsse, Auswahl der 1875 und 1955 (in: de GROOT 1989) Herkünfte für den Initialbesatz, Alter der Besatz- fische usw.

Ökologische Verbesserungen Ziel „Lachs 2000“ ist also zunächst eher Programm für in Nordrhein-Westfalen ist die Wiederentstehung ökologische Verbesserungen, die dem gesamten einer sich selbst erhaltenden Lachspopulation im aquatischen Ökosystem zu Gute kommen. Der Einzugsbereich der Sieg und eventuell anderer hohe Symbolwert dieses Fisches wird dabei be- Flüsse dieses Bundeslandes.

49 Wichtigste Maßnahmen und Ergebnisse dass ab 1994 jährlich mindestens 0,5 Mio. Jung- Die nachfolgenden Ausführungen werden beson- lachse als Initialbesatz in die Sieg und ihre Zu- ders die Aktivitäten im Bereich der Sieg berücksich- flüsse gelangen (Abb. 2). tigen. Auf Grund noch relativ naturnaher Gewässer-

1.200.0001 strukturen in beträchtlicher Ausdehnung sowie der Augenpunkteier, L0 / L0+ (Brut, kleine Parrs) L1+ (Jährlinge / größere Parrs) 987.500 Entwicklung der Wasserqualität und der Fischfauna 1.000.000 940.900 1 seit etwa 1975 bietet das Siegsystem für den Lachs 819.900 innerhalb des Landes derzeit die besten Voraus- 800.000800 627.400 CHMIDT setzungen (S 1991, 1996). 549.200 600.000600 Einer der wichtigsten Beiträge zur Verbesserung der allgemeinen ökologischen Verhältnisse ist die 400.000400 248.000 200.000 Wiederherstellung der Durchgängigkeit des 200 130.000 45.640 31.050 51.000 21.450 Flusses für alle ansässigen Fischarten. Bereits 1987 50.850 16.500 13.600 8.000 4.000 1.500 760 9.738 0 wurde am Siegwehr bei Windeck-Dattenfeld ein 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 0 0 0 1 2 6 neuartiger Fischaufstieg gebaut, der diese Anforde- 10 9 13 16 15 rungen erfüllt. Bis 1993 wurden alle vier Wehre im 10-10 Unterlauf der Sieg und das unterste Aggerwehr mit -20 Rückkehrer 20 42 entsprechenden Anlagen ausgestattet (STÄDTLER & SCHAA 1996). Damit ist die Sieg von ihrer Mündung 30-30 bis zur Landesgrenze wieder durchgängig. Über 40-40 den Neuen Wasserweg in Rotterdam gibt es noch -50 einen für Fische offenen Wanderweg zum Meer. 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1989 von der Landesanstalt zusammen mit dem Abb. 2: Lachsbesatz (Brut u. Parrs bzw. L0 u. L1) niederländischen Fischereiinstitut RIVO, Ijmuiden, sowie Anzahl der Nachweise adulter durchgeführte Versuche mit markierten Smolts Lachse im Sieg-System (Nordrhein-West- (abwandernder Jungfisch) von Lachsen und Meer- falen u. Rheinland-Pfalz) seit 1988 forellen erbrachten den Beweis, dass aus der Sieg Die Nachweismethoden für die adulten Lachse abwandernde Fische die Nordsee erreichen können (Rückkehrer) erlauben noch keine repräsentative Aussagen. Da die adulten Lachse überwiegend bei (STEINBERG & LUBIENIECKI 1991). Auch im rheinland- Bedingungen aufsteigen, bei denen die bisherigen pfälzischen Siegabschnitt wird intensiv an der Erfassungsmethoden nicht einsetzbar sind (Hoch- Wiederherstellung der Durchgängigkeit des Flusses wasser, Wassertrübung, nachts) dürften in Wirklichkeit deutlich mehr Lachse aufgestiegen sein (SCHMIDT & gearbeitet, so dass der Wanderweg für Fische bis in FELDHAUS 1999a). den oberen, den westfälischen Teilbereich des Gewässers „in wenigen Jahren" (JÖRGENSEN, mdl. 1998) wieder offen sein wird. Damit werden Mengen erreicht, die bei „normalen“ 1988 setzte die damalige Landesanstalt für Überlebensraten die für den Bestandserhalt minde- Fischerei in enger Zusammenarbeit mit der Sieg stens nötigen Zahlen von Rückkehrern aus dem Fischerei-Genossenschaft Hennef und engagierten Meer gewährleisten müssten. Insgesamt ist eine Anglern der im Landesfischereiverband Nordrhein, Risikoabschätzung für den weiteren Lebensweg des Bezirk Sieg, zusammengeschlossenen Vereine erst- aus dem Siegsystem abgewanderten Junglachses mals einjährige Junglachse in die Siegzuflüsse Bröl wegen der zahlreichen anthropogen bedingten und Agger ein. 1990 begann MARMULLA im Auftrag Gefahren im Rhein und auf hoher See jedoch noch der Landesanstalt mit systematischen Unter- sehr schwierig. Daher und zum möglichst raschen suchungen zur Eignung der Sieg als Lachsge- Aufbau einer neuen Population aus Nachkommen wässer, insbesondere zur Lokalisierung, räum- von Rückkehrern werden bis auf weiteres größere lichen Ausdehnung und Bewertung potentieller Besatzmengen für notwendig erachtet. Das bedeu- Laich- und Jungfischhabitate (MARMULLA 1992, tet, dass möglichst viele der für Lachsbrut geeigne- 1993). Seit 1991 beteiligt sich Rheinland-Pfalz in ten Habitate besetzt werden sollen. Zur systemati- seinem Teil des Siegsystems am Lachs-Wiederein- schen Erfassung der Lage und Kapazität der bürgerungs-Programm (SCHNEIDER 1996, 1999), so Habitate wurde 1998 im Auftrag der Landesanstalt

50 g ein spezielles Kartierungsverfahren entwickelt 10000

(NEMITZ & MOLLS 1999). Bis Ende 1998 wurden im 9000 Bereich der nordrhein-westfälischen Sieg insgesamt 8000 Milchner 3,37 Mio. Junglachse, vorwiegend Brütlinge, aus Rogner 7000 Eiern von zunächst norwegischen, dann irischen und schottischen Herkünften ausgesetzt. Seit 1998 6000 werden die kleineren Zuflüsse zur Sieg bevorzugt 5000 besetzt, da dort das Aufkommen meist besser ist 4000 (s. u.). Mit zunehmendem Umfang der natürlichen 3000

Vermehrung der Rückkehrer wird der künstliche 2000

Besatz nach und nach reduziert. 1000

0 1993 wurde mit der Überprüfung des Aufkom- 0 102030405060708090100 cm mens der eingesetzten Brut begonnen. Da seit 1995 rund 40 ha Jungfischhabitate in Sieg, Agger, Abb. 3: Durchschnittsgröße von 65 zwischen 1990 Bröl und einigen weiteren Zuflüssen besetzt wer- und Ende 1998 in das Siegsystem aufge- den, hatten die ersten Erfolgskontrollen zunächst stiegenen adulten Lachsen nur stichprobenartigen Charakter. Die Ergebnisse waren es 114 Stück, davon die meisten in der Bröl. zeigten jedoch bereits im ersten Jahr, dass in Die durchschnittliche Größe von 65 seit 1990 ver- der Sieg ausgesetzte Brütlinge gut abwachsen. Es messenen Sieg-Lachsen liegt bei 69 cm und 2,95 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens zeigte sich ferner, dass die Junglachse mit den kg. Das bisher schwerste Tier hatte eine Länge von sommerlichen Bedingungen in diesem Fluss grund- 97 cm und ein Gewicht von 9,5 kg (Abb. 3). Wegen sätzlich zurechtkommen, sogar mit denen der der Größe der Sieg und des vorzugsweise im Herbst heißen Sommer von 1994 und 1995. Beträchtliche bei Dunkelheit und Hochwasser stattfindenden Unterschiede in den Aufkommensraten zwischen Lachsaufstiegs sind die bislang zur Verfügung den einzelnen Besatzstellen deuteten sich jedoch stehenden technischen Möglichkeiten zur Erfassung an. der Rückkehrer, nämlich Elektrofischerei, kleinere Bei umfassenderen Überprüfungen der Effizienz Reusen und Direktbeobachtung, noch sehr unbe- friedigend. Deshalb ist eine feste Kontrollstation zur des Besatzes ermittelten FREYHOFF & STEINAMNN repräsentativen Erfassung aufsteigender Lachse (1997) und STEINMANN & FREYHOFF (1998) für 1997 und 1998 in die Sieg eingesetzte Lachsbrütlinge und Meerforellen an der unteren Sieg vorgesehen. Überlebensraten von durchschnittlich 13 bzw. 12 % Sie wurde im Dezember 1999 fertig gestellt. bis zum Ende des ersten Sommers. Für Bruthabi- In der Laichsaison 1993/94 wurden die ersten tate in Zuflüssen zur Sieg betrugen die Zahlen nach Laichgruben von Großsalmoniden im Bereich der MOLLS &NEMITZ (1998) und NEMITZ &MOLLS (1999) Sieg gefunden. Aus je einer in Sieg, Agger und Bröl in den gleichen Jahren durchschnittlich 14 bzw. wurden einige lebende Dottersacklarven entnom- 28 %. Sowohl in der Sieg als auch in den Zuflüssen men. Genetische Analysen ergaben, dass es sich gab es zwischen den untersuchten Besatzstrecken eindeutig um Lachse handelte. Damit war erstmals jedoch beträchtliche Unterschiede im Aufkommen, seit vielen Jahrzehnten für das gesamte Rhein- obwohl alle Habitate vorher als geeignet einge- gebiet wieder der Nachweis einer natürlichen schätzt worden waren. Dabei sind klare Jahres- Vermehrung des Lachses gelungen (vgl. SCHMIDT bezüge nicht zu erkennen. Die Ursachen dafür sind et al. 1994, LEHMANN et al. 1995). Seither hat es bislang noch nicht bekannt (vgl. auch SCHMIDT & weitere Hinweise gegeben, die zeigen, dass eine FELDHAUS 1999b). natürliche Fortpflanzung des Lachses im Sieg- Im Herbst 1990, also knapp 3 Jahre nach dem system prinzipiell wieder möglich ist (vgl. INGENDAHL ersten Besatz mit einjährigen Junglachsen, wurde in 1998 und SCHMIDT &FELDHAUS 1999b). der Bröl erstmals seit mehreren Jahrzehnten wieder Nach MARMULLA (1992) gibt es in Sieg und Agger ein adulter Lachs gefangen (STEINBERG et al. 1991). potentielle Laichhabitate für Lachse in beträcht- Seitdem werden jedes Jahr adulte Lachse im lichem Umfang. Zusätzliche Potentiale sind in den Siegsystem nachgewiesen (Abb. 2). Bis Ende 1998 Zuflüssen vorhanden, aber noch nicht quantifiziert.

51 Die Frage, ob die Qualität der Laichsubstrate aus- • Die eingesetzten allochthonen Junglachse reicht und ob eine bestandserhaltende natürliche haben in der Sieg relativ gute und besonders in Vermehrung des Lachses in unseren Gewässern Zuflüssen sehr gute bis befriedigende Über- wieder möglich ist, kann zur Zeit jedoch noch nicht lebensraten. Sie können gut abwachsen und beantwortet werden. MARMULLA (1992, 1993) wies sich zum Smolt entwickeln, bereits auf teilweise überhöhte Anteile von Feinsedimenten im Substrat potentieller Laich- • dieser findet den Weg ins offene Meer, gründe und auf damit eventuell verbundene • laichreife Rückkehrer sind in der Lage, wieder in Sauerstoffprobleme für Lachseier und -larven hin. den Rhein einzuwechseln und die Sieg zu er- Die Sauerstoffsituation im Interstitial des Sediments reichen, der Laichhabitate und die vielerorts immer noch hohen Frachten organischer und anorganischer • dort können sie die Fischaufstiege passie Schwebstoffe können trotz vorhandener Gewässer- und zu potentiellen Laichgründen gelangen, güteklasse II offensichtlich Engpässe für eine aus- wo eine erfolgreiche Fortpflanzung bis zum reichende natürliche Vermehrung des Lachses und • fressfähigen Brütling, bislang wenigstens in anderer kieslaichender Arten bilden (INGENDAHL & geringem Umfang, stattfinden kann. NEUMANN 1996, INGENDAHL 1998, 1999 und NEUMANN et al. 1998). Ausmaß und Verbreitung des Schweb- Das zeigt: Der Lachs kann im Bereich des stoffeintrags in die obersten Schichten des Gewäs- Rheins, speziell der Sieg, grundsätzlich wieder sersediments, damit verbundene Sauerstoffdefizite alle relevanten Lebensphasen erfolgreich durch- sowie eventuelle Anreicherungen toxischer Stoffe im laufen! Offen ist jedoch, ob die anthropogen be- Interstitial, aber auch die Möglichkeiten zur Re- dingten Verluste, insbesondere außerhalb des Sieg- duzierung dieser Belastungen, sind damit zu systems bzw. des Rheins, also im Küstenbereich Schlüsselfragen für das gesamte Wiedereinbürge- und auf hoher See, die für einen Bestandserhalt rungsvorhaben geworden. notwendige Zahl von Rückkehren zu den Laich- Außer im Sieg-System werden noch einige weitere gewässern und die dort vorhandenen Bedingungen, ehemalige Lachsgewässer Nordrhein-Westfalens vor allem die Qualität der Sedimente, in absehbarer mit Junglachsen besetzt. Es handelt sich um einige Zeit eine ausreichende natürliche Fortpflanzung kleinere Weserzuflüsse und um die Wupper mit der zulassen. Dhünn sowie um die Rur (BARTMANN 1996 u. JÄGER 1999). In der Dhünn wurden 1998 erstmals sieben adulte Lachse festgestellt, 1999 waren es 15 (BIENERT mdl.). Im gleichen Jahr gab es auch zwei Weiterer Programmverlauf Meldungen über je einen in der Weser bei Minden Umfang und Komplexität des nordrhein-westfäli- nachgewiesenen Lachs (BARTMANN mdl.). Die schen Lachsprogramms sind seit den ersten Programme an den genannten Besatzgewässern Anfängen ganz erheblich gewachsen. Zur Gewähr- haben jedoch noch einen relativ geringen Umfang. leistung einer möglichst effektiven Koordinierung Die Aktivitäten an der Sieg sollen weiterhin und Weiterentwicklung aller Einzelvorhaben wurde Schwerpunkt und Pilotprogramm der nordrhein- 1998 zwischen der Landesregierung von Nordrhein- westfälischen Bemühungen bilden. Wenn das Westfalen und dem Landesfischereiverband eine Vorhaben an dem aus guten Gründen als Pilot- neue Konzeption unter der Bezeichnung „Wander- gewässer ausgewählten Siegsystem gelingt, wird fischprogramm NRW“ unterzeichnet. Der Name das sicherlich entsprechende Anstrengungen an unterstreicht noch einmal den breiten ökologischen anderen Flüssen beleben. Charakter der Bemühungen und auch den Ein- schluss der anderen Fischarten. Besonderes Bewertung des Projektstandes Gewicht legt das Konzept auf weitere wasserbau- Auf Grund der bisherigen Zwischenergebnisse kann liche und abwassertechnische Verbesserungen. zusammenfassend gesagt werden, dass der Lachs Bis Ende 2002 stehen insgesamt 5,2 Mio. DM zur im Siegsystem bisher alle wichtigen Einzel- Verfügung (MURL 1998). prüfungen bestanden hat:

52 Fazit Resümee und Folgerungen aus den Untersuchungsergeb- nisen des Vertragsprojektes zwischen der LÖBF NRW und Die Wiederentstehung einer neuen Lachspopulation dem Zoologischen Institut I der Universität Heidelberg. LÖBF-Mitteil. Nr.1/98: 81-84. ist in Teilbereichen des Rheinsystems grundsätzlich LEHMANN, K., SCHENK, M. STÜRENBERG, F. & SCHREIBER, A. (1995): möglich und auf gutem Wege, aber noch nicht Natural reproduction of recolonizing Atlantic salmon, Salmo erreicht. Insgesamt sollte die zeitliche Perspektive salar, in the Rhenanian drainagesystem (Nordrhein-West- nicht zu kurz gefasst angesetzt werden. Der falen, Germany). Naturwissenschaften 82: 92-93. Niedergang des alten Rhein-Lachses hat bis zu LUA (1997): Rheingütebericht '95. Hrsg. Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen, Essen 99 S. seinem Aussterben immerhin fast 200 Jahre ge- MARMULLA, G. (1992): Die Überprüfung der Sieg als Lachsgewäs- dauert. Die eingeleitete Gegenentwicklung hat zwar ser. Landesanstalt f. Fischerei Nordrhein-Westfalen, Kirch- bereits beachtliche Erfolge erbracht, bis zu neuen, hunden-Albaum, 121 S. sich selbst erhaltenden Lachspopulationen in unse- MARMULLA, G. (1993): Überprüfung der Sieg als Lachsgewässer ren Flüssen sind jedoch weitere Anstrengungen, Phase II. Hrsg. Landesanstalt für Fischerei NRW in Zu- sammenarbeit m.d. Fischereiverband Nordrhein-Westfalen aber auch Mut und Geduld erforderlich. e.V., 48 S.

MOLLS, F. & NEMITZ, A:(1998): Räumliche Verteilung und Über- lebensraten von 0+Lachsen (Salmo salar L.) in Bächen des nordrhein-westfälischen Siegsystems 1997. Unpubl. Studie im Auftrag d. LÖBF, Fischereidezernate, Kirchhundem; 47 S. Literatur: MURL (1998): Wanderfischprogramm Nordrhein-Westfalen – Ein Landesprogramm zur Wiedereinbürgerung weit wandernder BARTMANN, L. , Bez.Reg. Detmold, OFiB. Fischarten und Neunaugen. Hrsg. Ministerium f. Umwelt,

BARTMANN , L. (1996): Maßnahmen zur Wiedereinbürgerung des Raumordnung u. Landwirtsch. NRW, Düsseldorf, 26 S. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Lachses in die Weser. In: G.W. Schmidt Wiedereinbürgerung des Lachses Salmo salar L. in Nordrhein-Westfalen. NEMITZ, A. & MOLLS, F. (1999): Überlebensraten von 0+Lachsen Schriftenreihe d. LÖBF, Recklinghausen, Bd. 11: 190-192. (Salmo salar L.) in den Gewässersystemen Sieg, Eifelrur und Wupper im Untersuchungsjahr 1998. Untersuch. im BIENERT, W., Angelsportverein der Bayer-Werke, Leverkusen. Auftrag d. LÖBF/LAfAO NRW, D-57399 Kirchhundem- Albaum, unpubl. Ergebnisbericht, 38. S. FREYHOFF, J. & STEINAMNN, I. (1997): Optimierung der Besatz- standorte für den Lachs Salmo salar L. im System der Sieg in NEUMANN, D., INGENDAHL, D., MOLLS, F. & NEMITZ, A. (1998): Nordrhein-Westfalen. Untersuchung im Auftrag d. LÖBF, Lachswiedereinbürgerung in NRW: Biologische Engpässe Fischereidezernate, Kirchhundem, Unpubl.Ergebnisbericht, und Vorschläge für zukünftige Maßnahmen. Mitteilungen der 20 S. Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten/ Landesamt für Agrarordnung Nordrhein-Westfalen, Nr. 2/ GROOT, S. J. de (1989): Literature survey into the possibi- 1998: 20-25. lity of restocking the river and its tributaries with Atlantic salmon (Salmo salar). RIVO report: MO SCHMIDT, G. W. (1991): Versuche zur Wiedereinbürgerung des 88-205/89.2, Ijmuiden, The Netherlands, 56 pp. Lachses Salmo salar L. in den Rhein-Nebenfluß Sieg. Fisch- ökologie 5: 35-42. IKSR (1987): Aktionsprogramm Rhein. Internationale Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen (Hrsg.), SCHMIDT , G.W.(1996 ): Wiedereinbürgerung des Lachses Salmo Koblenz, 18 S. salar L. in Nordrhein-Westfalen – Allgemeine Biologie des Lachses sowie Konzeption und Stand des Wiedereinbürge- INGENDAHL, D. & NEUMANN, D. (1996): Die Umweltbedingungen im rungsprogramms unter besonderer Berücksichtigung der Sedimentlückensystem von potentiellen Laichhabitaten des Sieg. In: Schriftenreihe der Landesanstalt für Ökologie, Lachses: ein möglicher Engpaß für die erfolgreiche Bodenordnung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung Wiedereinbürgerung? In: Schriftenreihe der Landesanstalt für NRW, Recklinghausen. Bd. 11: 5-151. Ökologie, Bodenordnung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung NRW, Bd.11: 178-180. SCHMIDT , G.W. (1996): Die Meerforelle Salmo trutta trutta L. im Rahmen von „Lachs 2000“. In: Fisch des Jahres 1996 – Die INGENDAHL, D. (1998): Der Reproduktionserfolg von Großsal- moniden in nordrhein-westfälischen Lachsgewässern. Unter- Meerforelle. Hrsg.: Verband Deutscher Sportfischer e.V., suchungsauftrag d. LÖBF NRW, Fischereidezernate, Siemensstr. 11-13, 63071 Offenbach, S. 105-116. D-57399 Kirchhundem-Albaum, 66 S. SCHMIDT , G. W., LEHMANN, J. & MARMULLA, G. (1994): Natürliche Fortpflanzung des Lachses (Salmo salar) wieder in INGENDAHL, D. (1999): Der Reproduktionserfolg von Meer- forelle (Salmo trutta L.) und Lachs (Salmo salar L.) in Deutschland. - Natur u. Landschaft 69: 213. Korrelation zu den Milieubedingungen des hyporheischen SCHMIDT , G.W. & FELDHAUS, G. (1999a): Erste Wiedereinbürge- Interstitials. Diss. Univ. Köln 1999, 172 S. rung des Lachses im Siegsystem. Tagungsband z. 2. Inter- nat. Rhein-Symposium „Lachs 2000“ d. IKSR, Koblenz; IRMER, H.(1999): Lachs 2000 und die Verbesserung des Öko- systems Rhein. Tagungsband zum 2. Internationalen Rhein- S. 96-102. Symposium „Lachs 2000“ d. IKSR, Koblenz; S. 33-37. SCHMIDT , G.W. & FELDHAUS, G. (1999b): Lachs-Wiedereinbürge- rung in Nordrhein-Westfalen – Stand Anfang 1999. Unpubl. JÄGER, S.(1999): Lachs- und Meerforellenprogramm in Wupper, Dhünn und Ruhr. Tagungsband zum 2. Internationalen Rhein- Bericht, Landesanstalt für Okologie, Bodenordnung und Symposium „Lachs 2000“ d. IKSR, Koblenz; S. 113-119. Forsten NRW, Dezernate für Fischerei, 57399 Kirchhundem- Albaum, 35 S. JÖRGENSEN, H., Bez.Reg. Koblenz, OFiB. SCHNEIDER, J. (1996): Die Wiedereinbürgerung des LEHMANN, J. (1998): „Meer- und Bachforelle des Rheinsystems“ Lachses im rheinland-pfälzischen Bereich des Sieg- – Eine populationsgenetische Studie für den Artenschutz – systems. AFZ-FISCHWAID 6:20-21.

53 SCHNEIDER, J. (1999): Wiedereinbürgerung des Lachses in Sayn- STEINBERG, L., MARMULLA, G., SCHMIDT, G.W. & LEHMANN, J. (1991): bach, mittlerer Sieg und Wisper. Tagungsband z. 2. Internat. Erster gesicherter Nachweis des Lachses (Salmo salar L.) im Rhein-Symposium „Lachs 2000“ d. IKSR, Koblenz; S. 121- Gewässersystem der Sieg seit über drei Jahrzehnten. 126. Fischökologie aktuell 5: 2-3.

SCHULTE-WÜLWER-LEIDIG, A. (1991): Ökologisches Gesamtkonzept STEINMANN, I. & FREYHOFF, J. (1998): Optimierung der Besatz- für den Rhein. - „Lachs 2000“. IKSR, Koblenz, 23 S. standorte für den Lachs Salmo salar L. im System der Sieg/ NRW. Untersuchung im Auftrag der LÖBF/NRW, Fischerei- STÄDTLER, E. & SCHAA, W. (1996): Entwicklung moderner dezernate, D-57399 Kirchhundem-Albaum, unpubl. Ergeb- Fischaufstiege in der Unteren Sieg. In: Schriftenreihe der nisbericht 21 S. Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten / Landesamt für Agrarordnung NRW, Bd. 11: 156-160.

STEINBERG, L. & LUBIENIECKI, B. (1991): Die Renaissance der Meerforelle (Salmo trutta trutta L.) und erste Versuche zur Wiedereinbürgerung des Lachses (Salmo salar L.) in Nordrhein-Westfalen. Fischökologie 5: 19-33.

54 Rhein

3.2 Rhein und Nebenflüsse

Prof. Dr. Günther Friedrich, Dr. Wolfgang Schiller, Marlies Pohlmann, Brigitte Schwenke (LUA) & Susanne Seuter (umweltbüro essen)

Auf seinem 1.250 km langen Weg von den Alpen bis genannten Nebenflüsse in Nordrhein-Westfalen zur Nordsee durchfließt der Rhein mehrere Staaten sind von großer Bedeutung für die Geschichte des und nimmt aus seinem 185.000 km2 umfassenden Landes, seine wirtschaftliche Entwicklung und damit Einzugsgebiet eine große Zahl von Zuflüssen auf. auch für die Wasserwirtschaft und den Gewässer- Dabei verändert er seinen Charakter mehrfach. Von schutz. Nachfolgend wird darüber in einigen den Quellflüssen bis zum Bodensee, Alpenrhein Kapiteln berichtet. genannt ist er ein alpiner Fluss. Vom Bodensee bis Der Rhein ist wasserwirtschaftlich gesehen Europas zum Dreiländereck bei Basel wird er Hochrhein wichtigster Strom mit vielfältigen z. T. miteinander genannt. Dann tritt er in die Oberrheinebene ein, konkurrierenden Nutzungsansprüchen. Diese viel- zugleich wird hier über den Grand Canal dÀlsace fältigen Nutzungen sind auch in Nordrhein-West- der überwiegende Teil des Wassers abgezweigt und falen alle mit mehr oder weniger schwerwiegenden gelangt erst unterhalb Straßburg wieder in das alte Eingriffen in das natürliche ökologische Gefüge der Bett zurück. Der Oberrhein tritt dann mit dem Flüsse im Einzugsgebiet des Rheins verbunden. Durchbruch durch Hunsrück und Taunus in die Die wasserbaulichen Maßnahmen zur Schiffbar- romantische Mittelrheinstrecke ein, die seinen Ruf 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens machung, zur Landgewinnung und zum Hoch- als romantischer Strom begründet hat. Am nörd- wasserschutz haben zum Wegfall amphibischer lichen Ende liegt das Siebengebirge, das zugleich in Lebensräume, Absenkung des Grundwasser- etwa die Eintrittspforte des Stroms in die Nieder- spiegels, erhöhter Sohlenerosion und Veränderun- rheinebene markiert. Der Niederrhein ist zugleich gen der Uferstruktur geführt. Punktuelle Ein- der nordrhein-westfälische Anteil am Strom, der leitungen der kommunalen und industriellen direkt hinter der deutsch-niederländischen Grenze Abwässer sowie die diffusen Einträge der Landwirt- bei Bimmen/Lobith durch die Verzweigung in meh- schaft, aber auch die thermische Belastung stellen rere Arme zum Deltarhein wird. bedeutende Einflusskomponenten auf die Ökos- Nordrhein Westfalen hat mit 220 km Strecke einen steme dar. Folgen dieser Veränderungen sind die beträchtlichen Anteil, allerdings auch in bezug auf Verarmung und Umstrukturierung der Lebens- die Nutzung und Belastung dieser Flussstrecke. gemeinschaft in den Flüssen in unserem Jahr- Duisburg als größter Binnenhafen markiert die über- hundert (TITTIZER et al. 1990). ragende Rolle des Rheins als Schifffahrtsweg. Von Bonn bis Kleve liegt eine lange Kette bedeutender Städte, die schon in der Römerzeit überregionale 3.2.1 Rheinstrom Bedeutung hatten. Der Rhein gehört zu den was- serreichsten Flüssen des europäischen Kontinents. "Wir sind vorüber dem stattlichen Kreise der herr- Deshalb kann er nicht nur eine gewaltige Ballung an lichen sieben Berge, dem schönsten Punkte des Industrie sondern auch insgesamt ca. 20 Millionen Rheins mit seinen weitausblickenden Höhen, seinen Menschen mit Trinkwasser versorgen. Nicht nur der heimlichen Thälern, und wenden uns nach Norden, schon fast sagenhafte Rheinsalm gehört zur der wo der breite Strom nicht mehr eingeengt, zwischen reichhaltigen Lebewelt des Flusses, der z. Zt. in flachen Ufern dahinzieht, ..." (STIELER et al. 1875). einer international konzertierten Aktion zu weiterer Qualitätsverbesserung gelangen soll. Die Vulkankegel des Siebengebirges bilden die In Nordrhein-Westfalen strömen ihm als rechte Eintrittspforte des Rheins bei Bonn in das Flachland Zuflüsse Sieg mit Agger, Wupper, Ruhr, Emscher der Niederrheinischen Bucht. Ihr hochgelegenes und Lippe zu. Linksrheinisch ist eigentlich nur die Hinterland wird westlich von der Eifel, östlich vom Erft als bedeutender Fluss zu nennen. Die übrigen Bergischen Land und vom Sauerland begrenzt. linksrheinischen Flüsse gehören dem Einzugsgebiet Nach Norden hin verbreitert sich das Rheintal in das der Maas an. Nicht nur der Rhein selbst, auch die Flachland. Die Stromlandschaft des Niederrheins

55 wurde ursprünglich durch eine junge Stromaue mit Chrysophyceen wie Dinobryon sertularia und ver- vielen Altarmen, Inselterrassen und Flugsanddünen einzelten Cryptomonaden (FRIEDRICH 1990). bestimmt. Bereits im Mittelalter begann die Ein- engung des Niederrheins durch Deiche, Ufer wurden befestigt, Seitenarme verbaut und Inseln an das Ufer angeschlossen. Seit dem letzten Jahrhundert erfolgte die Mittelwasserregulierung durch den Bau von Buhnen. Die ursprünglichen Auwälder sind heute als Folge der Eindeichungen und der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung der Überschwemmungsgebiete weitgehend verschwun- den. Für den Niederrhein charakteristisch sind heute auch die vielen, z. T. sehr großen an den Rhein angeschlossen Vorlandauskiesungen.

3.2.1.1 Leben im Rhein Die Lebensgemeinschaft des Rheins wird wesent- lich durch seine Wasserqualität und die Art und Abb. 1: Asterionella formosa Vielfalt der morphologischen Strukturen des Lebensraumes geprägt. Die Besiedlung mit Tieren Infolge des vermehrten Nährstoffeintrags und der und Pflanzen spiegelt entsprechend die Gewässer- längeren Verweilzeiten des Wassers in Seen und güte des Stroms wider und gibt Auskunft über Flussstauen hat die Trophie des Rheins in der seinen ökologischen Gesamtzustand. Zur Ermittlung Vergangenheit deutlich zugenommen. Heute ist der der Gewässergüte des nordrhein-westfälischen Niederrhein ein planktonreicher, eutropher Fluss, in Rheinabschnittes werden daher im Rahmen der dessen fließender Welle eine kräftige Gewässerüberwachung des Landes seit 30 Jahren Planktonvermehrung stattfindet, die oberhalb von biologische Untersuchungen durchgeführt. Nordrhein-Westfalen in den Stauhaltungen des Das Leben im Rhein spielt sich sowohl im strömen- Stroms und den gestauten, planktonreichen den Wasserkörper, der „Fließenden Welle“ als auch Zuflüssen Neckar, Main und Mosel beginnt. Auf der an der Sohle und am Ufer ab. Entsprechend den zwei- bis dreitägigen Fließzeit in Nordrhein- völlig unterschiedlichen Lebensbedingungen leben Westfalen vermehrt sich das Phytoplankton weiter dort ganz unterschiedliche Organismengruppen, die (Abb. 2). mit entsprechenden Methoden untersucht werden. 40

35 30 ] -1 Plankton 25 20 Phytoplankton 15 Die im Wasser schwebenden oder sogar frei beweg- 10 lichen, mikroskopisch kleinen Pflanzen und Tiere Chlorophyll a [µg l 5 werden als Plankton bezeichnet. 0

Anfang des Jahrhunderts war das Phytoplankton 06.01.98 03.02.98 03.03.98 31.03.98 28.04.98 individuenarm und bestand aus Algen, die vom 26.05.98 23.06.98 21.07.98 18.08.98

Bodensee, weiteren Zuflüssen und Altarmen in den 15.09.98 13.10.98 10.11.98 Niederrhein gelangten. Die mikroskopisch kleinen, 08.12.98 Honnef Düsseldorf Duisburg Bimmen im Wasser schwebenden Algen gehörten im wesentlichen zu den Kieselalgen (Diatomeen) wie Abb. 2: Jahresgang der Chlorophyll a-Gehalte an Cyclotella bodanica, Asterionella formosa, Fragilaria den nordrhein-westfälischen Rheinmess- crotonensis, Diatoma elongatum, Synedra acus und stellen (1998)

56 Als indirekte Messgröße für die Biomasse des lassen. Erheblichen Einfluss auf die Planktonkon- Phytoplanktons wird der grüne Farbstoff, das zentrationen und damit auf die Chlorophyll a-Ge- Chlorophyll a bestimmt. Die Entwicklung des halte hat vor allem das Abflussgeschehen (Abb. 4). Phytoplanktons ist wesentlich von Einstrahlung, Inwieweit die inzwischen massenhaft vorhandenen Abfluss und Trübung abhängig (Abb. 3). Die Muscheln durch ihr Abfiltrieren des Phytoplanktons Chlorophyll a-Gehalte steigen daher mit zunehmen- auf das Phytoplankton im Rhein wirken, kann z. Zt. der Globalstrahlung im Frühjahr an. Hochwasser noch nicht abgeschätzt werden. und schlechtes Wetter führen aufgrund von 0,6 70 Verdünnungseffekten und ungünstigen Strahlungs- Chlorophyll NH4-N 0,5 60 PO4-P ges. verhältnissen zur Verringerung der Planktonkon- Chlorophyll a [µg/l] 50 zentration. In Jahren mit hohem Abfluss während 0,4

-P [mg/l] 40 4 0,3 der Vegetationsperiode, wie beispielsweise 1994, 30 -N, PO

4 0,2 20 liegen die Planktonkonzentrationen und damit die NH 0,1 Chlorophyll a-Gehalte deutlich niedriger als in 10 0 0 Jahren mit geringerem Abfluss, z. B.1991, 1992 und 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 1993. 4000 3000 2000

Abfluss [m³/s] Abfluss 1000 8000 160 Chlorophyll 0 Abfluss 7000 Globalstr. 140 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98

6000 120 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens ] Chlorophyll [µg/l] 2 Abb. 4: Jahresmittelwerte der Chlorophyll a-Ge- ]

1 5000 100 halte und Nährstoffkonzentrationen (Am- 4000 80 monium-N, Gesamtphosphat-P) und Ab-

Abfluss [m³/s 3000 60 flussmittelwerte während der Vegetations- Globalstrahlung [J/cm [J/cm Globalstrahlung 2000 40 periode an der Wasserkontrollstation 1000 20 Kleve-Bimmen in den Jahren 1979 – 1998 0 0 1991 1992 1993 1994 Während der letzten zwanzig Jahre hat sich die Abb. 3: Globalstrahlung (Bocholt), Abfluss (Pegel quantitative Zusammensetzung des Phytoplank- Rees) und Chlorophyll a-Gehalte an der tons deutlich verändert. Der Vergleich der Jahre Wasserkontrollstation Kleve-Bimmen in 1979 und 1998 (Abb. 5) zeigt, dass die Zelldichte ausgewählten Jahren (1991 – 1994) 1998 deutlich niedriger war als 1979. Das Maximum lag 1979 bei 70.000 Zellen/ml, während 1998 nur Die in Abbildung 4 dargestellten Jahresmittelwerte noch Zelldichten von maximal 40.000 Zellen/ml der Chlorophyll a-Gehalte weisen in den letzten 20 erreicht wurden. Jahren beträchtliche Schwankungen auf. Im Verlauf der 80er Jahre nahmen die Chlorophyll a-Gehalte Den stärksten Rückgang zeigen die Grünalgen, zunächst deutlich ab. Diese Entwicklung verlief aber auch die Kieselalgen kommen heute nicht parallel zu den im Zuge der verbesserten Kläran- mehr in so hohen Dichten vor wie früher. Im Verlauf lagentechnik sinkenden Nährstoffgehalten. Trotz eines Jahres weist das Phytoplankton typische vergleichsweise geringer Nährstoffkonzentrationen Schwankungen auf. Im Niederrhein treten im Verlauf stiegen Ende der 80er Jahre die Chlorophyll a- der Vegetationsperiode zwei Maxima auf, ein Gehalte wieder erheblich an. Während der 90er Frühjahrsmaximum zwischen März und Mai und ein Jahre setzte sich der abnehmende Trend der Sommermaximum von Juni/Juli bis Oktober. Das Phytoplanktonkonzentrationen fort. früher vorhandene Sommermaximum ist in den letzten Jahren nicht mehr aufgetreten. Damit geht Die Schwankungen der Chlorophyll a-Gehalte, sind der starke Rückgang der Grünalgen insgesamt ein- nicht allein durch die sinkenden Gehalte des her, die vor allem das Sommermaximum bildeten. Pflanzennährstoffs Phosphat im Rhein zu erklären, denn auch während der Planktonmaxima bleiben Seit Mitte der 70er Jahre hat die Ermittlung der qua- noch genügend Phosphat und Stickstoff als litativen Zusammensetzung des Phytoplanktons Nährstoffe übrig, um weiteres Algenwachstum zuzu- kaum Veränderungen ergeben. Die heutige Phyto-

57 80000 Diatomeae 35000 70000 Chlorophyta Summe Centrales Sonstige 60000 Gesamtzellzahl 30000 Cyclostephanos spp. 50000 Cyclotella spp. 25000 Skeletonema spp. 40000 Stephanodiscus spp.

Zellen/ml 30000 20000 20000 10000 15000 0

2 4 6 8 101214161820222426283032343638404244464850 Phytoplankton [Zellen/ml] 10000 Woche 5000 80000 Diatomeae 0 70000 Chlorophyta Sonstige 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 60000 Gesamtzellzahl Woche 50000 40000 Abb. 6: Häufigkeit zentrischer Kieselalgen (1998)

Zellen/ml 30000 20000 10000 0 Grünalgen (Chlorophyta) waren 1998 – wie auch 2 4 6 8 101214161820222426283032343638404244464850 Woche schon in den letzten Jahren – recht individuenarm (maximal 5.000 Zellen/ml) im Niederrhein vertreten Abb. 5: Vergleich der Zusammensetzung des (Abb. 7). Zu den Chlorophyta gehören bewegliche Phytoplanktons der Jahre 1979 (oben) und Formen (Phytomonadinae) mit 1 bis 4 Geißeln und 1998 (unten) unbewegliche Zellen, deren Hauptanteil im Nieder- rhein die Chlorococcales stellen. Den weitaus größ- planktonzönose unterscheidet sich jedoch erheblich ten Anteil an der Gruppe der begeißelten Formen von der Artenzusammensetzung vor dem 2. Welt- stellt die Gattung Spermatozopsis. Die Chlorococ- krieg und auch gegenüber der von starken Verun- cales sind im Rhein sehr artenreich aber mit ver- reinigungen geprägten Zeit in den Jahren danach. gleichsweise geringen Zellzahlen (maximal 2.650 Beispielhaft wird die Entwicklung im Jahr 1998 dar- Zellen/ml) vertreten. Als dominante Formen wurden gestellt. im Zeitraum von April bis September die Taxa Zentrische Kieselalgen (Centrales, Arten mit zylin- Dictyosphaerium spp./Dactylosphaerium spp., drischen Zellen) machten den Großteil der Scenedesmus quadricauda, Coelastrum spp. und Biomasse aus, besonders die vorwiegend als Pediastrum boryanum festgestellt.

Einzelzellen lebenden Gattungen wie Cyclo- 5000 Phytomonadinae 4500 stephanos, Cyclotella und Stephanodiscus, aber Spermatozopsis spp. 4000 Chlorococcales auch die kettenbildenden Skeletonema-Arten. Die Chlorophyta ges. 3500 bereits im Februar beginnende Entwicklung des 3000 Phytoplanktons wurde durch das Hochwasser im 2500 März zunächst unterbrochen (Abb. 5). Ende Mai, 2000 1500 Phytoplankton [Zellen/ml] nach Rückgang des Hochwassers, setzte mit der 1000 Zunahme von Vertretern der Gattungen Cyclo- 500 0 stephanos, Cyclotella und Stephanodiscus die 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 Vegetationsperiode des Phytoplanktons ein. Anfang Woche Juni stieg auch die Zahl der kettenbildenden Arten Abb. 7: Häufigkeit von Grünalgen (1998) Skeletonema potamos und S. subsalsum sprunghaft an (Abb. 6). Nach dem Rückgang der Zellzahlen Ende Juni trat in den Monaten August und Septem- An Blaualgen (Cyanophyta) wurden 1998 vor allem ber ein zweites überwiegend von Cyclotella und in der kalten Jahreszeit Zellfäden der Gattungen Skeletonema gebildetes Maximum auf. Limnothrix und Planktothrix sowie vereinzelt Pseudanabaena beobachtet, während im Sommer Pennate Kieselalgen waren zahlenmäßig 1998 im vorwiegend kugelige oder elliptische Zellen auf- Niederrhein nur gering vertreten, zeigten jedoch traten. eine große Artenvielfalt. Im zeitigen Frühjahr waren Asterionella formosa und Zellen des Nitzschia aci- Cryptophyceae (sogenannte Schlundflagellaten) cularis-Typs vertreten, während ab August Diatoma waren während des gesamten Jahres überwiegend tenuis in hohen Dichten vorkam. durch verschiedene Arten der Gattung Cryptomonas

58 und durch kleinere Formen Rhodomonas minuta über die Fließzeit. Entsprechend musste sich das (mit var. nannoplanctica) vertreten. SPL erhöhen. Unter dem Einfluss unzureichend geklärter Abwässer trat im Raum Duisburg ein In der Tabelle 1 sind die Jahresmittelwerte der Einbruch in der Photosyntheseaktivität, dem SPL, Zellzahlen der wichtigsten Algenklassen für die auf. Diese toxische Hemmung ging auf der weiteren Jahre 1979, 1989, 1994 und 1998 zusammenge- Fließstrecke, offenbar durch Festlegung der stellt. Zusätzlich wurden zum Vergleich die entspre- Schwermetalle im Schwebstoff, der sedimentierte chenden Messwerte für den Chlorophyll a-Gehalt und damit nicht mehr algenverfügbar war zurück. und das Phytoplanktonvolumen aufgenommen. Nach Schließung der Hütte verschwand dieser toxi- Klassen, die nur in geringen Häufigkeiten auftraten, sche Effekt und die Kurven für Chlorophyll und SPL sind in der Tabelle nicht aufgeführt (Xanthophyceae, zeigen einen ungebrochen ansteigenden Verlauf. Dinophyceae, Ulotrichales, Conjugato- und Euglenophyceae). 35 5 Chlorophyll a SPL 30 Für die Beurteilung der Qualität des Rheinwassers 4 25 ist nicht nur die Kenntnis der Zusammensetzung [mg/l O SPL 3 20 und Menge der Phytoplanktons wichtig, es ist auch 15

2 2 ] nötig, die physiologische Aktivität zu kennen. Dazu a [µg/l] Chlorophyll 10 1 dient als Messgröße das Sauerstoffproduktions- 5

0 0 potenzial (SPL). Es wird unter Labor-Standardbe- 640 698 729 776 865 Strom - km dingungen bestimmt. Solche Messungen werden 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens seit vielen Jahren auf der NRW-Strecke des Rheins 16 5 Chlorophyll a SPL durchgeführt. Abbildung 8 zeigt den Vergleich von 14 4 zwei Messjahren an den vier bzw. fünf Probestellen. 12 SPL [mg/l O SPL 10 3 (Bad Honnef, Strom-km 640; Leverkusen, Strom-km 8 2 2 698; Raum Düsseldorf, Strom-km 729 bzw. 732; 6 ] Chlorophyll a [µg/l] Chlorophyll 4 Raum Duisburg, Strom-km 776 bzw. 792; Kleve- 1 2

Bimmen, Strom-km 865). 0 0 640 732 792 865 1982 liefen von Bad Honnef bis Düsseldorf die Strom - km Kurven für Chlorophyll und das von seiner Quantität Abb. 8: Jahresmittelwerte des Sauerstoffproduk- und Aktivität abhängige Sauerstoffproduktions- tionspotenzials (SPL) und der Chlorophyll potenzial leicht ansteigend. Der Anstieg ergab sich a-Gehalte im Rhein 1982 (oben) und 1999 aus dem allmählichen Wachstum des Planktons (unten)

Tab. 1: Jahresmittelwerte der Zellzahlen der wichtigsten im Rhein vorkommenden Algenklassen, Chlorophyll a-Gehalt und Phytoplanktonvolumen der Jahre 1979, 1989, 1994 und 1998

1979 1989 1994 1998 Zellzahl/ml % Zellzahl/ml % Zellzahl/ml % Zellzahl/ml % Cyanophyta 231 1,4 300 1,6 303 2,5 256 4,3 Chrysophyceae 100 0,6 286 1,5 242 2,0 57 1,0 Zentrische Diatomeae 8.871 53,3 11.630 61,1 6.868 57,6 3.956 66,6 Pennate Diatomeae 539 3,2 296 1,6 330 2,8 118 2,0 Phytomonadinae 218 1,3 206 1,1 255 2,1 450 7,6 Chlorococcales 6.497 39,0 6.000 31,5 3.614 30,3 824 13,9 Cryptophyta 167 1,0 303 1,6 249 2,1 261 4,4

Summe 16.647 19.026 11.933 5.937

Chlorophyll a (µg/l) 41,7 29,8 14,2 6,8 Volumen (mm³/l) 4,54 4,37 4,01 1,2

59 Zooplankton der Dreissena-Larven in Korrelation zum Chloro- phyll und Abfluss wieder. Neben dem Phytoplankton gehört auch das Zoo- plankton – mikroskopisch kleine Tiere, die frei im

1200 120 Dreissena-Larven [Tiere/l] Wasser schweben oder aktiv schwimmen – der Rotatoria ges. 1000 Dreissena-Larven 100 Planktonzönose des Rheins an. Im Rahmen des 800 80 Aktionsprogramms Rhein wird auch das Zooplank- 600 60 ton untersucht. 400 40

Im Rhein kommen nur wenige Arten vor. Im Nieder- Rotatoria [Tiere/l] 200 20 rhein handelt es sich überwiegend um die Räder- 0 0 tiere (Rotatoria) der Gattungen Keratella und

Brachionus. Da das Phytoplankton die Nahrungs- 07.01.92 04.02.92 03.03.92 30.03.92 28.04.92 25.05.92 23.06.92 21.07.92 18.08.92 15.09.92 13.10.92 10.11.92 08.12.92 5000 100 grundlage des Zooplanktons darstellt, tritt im Abfluss Chlorophyll a [µg/] Chlorophyll Frühjahr während des Phytoplanktonmaximums 4000 80 ebenfalls ein Maximum der Rädertiere auf (Abb. 9). 3000 60 Das langsamere Wachstum der Rädertierpopu- 2000 40 lationen sowie die Einflüsse von Abfluss und Abfluss [m³/s] 1000 20 Algenwachstum führen dazu, dass trotz steigender 0 0 Phytoplanktondichten nicht immer auch eine Abb. 10: Individuenzahlen der Rädertiere und der Zunahme des Zooplanktons auftritt. Dreissena-Larven in Korrelation zum

900 18 Chlorophyll a-Gehalt und Abfluss 800 Rotatoria 16 Volum en

700 14 Volumen [mm³/l] 600 12 500 10 400 8 Makrozoobenthos 300 6 Die im Rhein am Ufer und der Sohle lebenden und Rotatorien [Tiere/l] Rotatorien 200 4 100 2 mit dem bloßen Auge erkennbaren Tiere – das 0 0 Makrozoobenthos – werden seit 1969 jährlich untersucht. Es handelt sich dabei vor allem um 03.01. 31.01. 28.02. 28.03. 25.04. 22.05. 20.06. 18.07. 15.08. 12.09. 10.10. 07.11. 05.12. Schnecken, Muscheln, Krebstiere und Insekten- Abb. 9:Jahresgang des Phytoplanktonvolumens larven. Die Bestandsaufnahmen an über 40 Probe- und der Rotatorien im Rhein bei Kleve- stellen erfolgen bei Niedrig- bis Mittelwasser in den Bimmen 1995 Spätsommer- bzw. Herbstmonaten. Damit bei der Bewertung vergleichbare Substratverhältnisse zu- Kurzzeitig, vor allem im späten Frühjahr, können die grunde liegen, werden bevorzugt die zur Ufer- Larven der Dreikantmuschel (Dreissena polymor- sicherung ausgebrachten Steinschüttungen pha) ebenfalls im Rheinwasser schwebend ange- – soweit vorhanden die Buhnenköpfe – untersucht. troffen werden. Es ist eine Besonderheit, dass im Die im Uferbereich festgestellte Lebensgemein- Süßwasser die Larven von Muscheln eine plankti- schaft dient der Ermittlung der Gewässergüteklasse. sche Phase durchschreiten, bevor sie sich an geeig- Die Auswertung erfolgt auf der Grundlage des neten Unterlagen, z. B. den Ufersteinen mit Hilfe Saprobiensystems (vgl. Kap. 2.1). selbst produzierter Fäden festheften und heran- wachsen. Entwicklung der biologischen Gewässergüteklasse Im Gegensatz zu Seen und anderen stehende Die in den letzten 30 Jahren durchgeführten Gewässern kommen im Rhein und Flussstauen auf- Bestandsaufnahmen des Makrozoobenthos zeigen, grund der kurzen Verweilzeit des Wassers im dass sich die Gewässergüte des Rheins in diesem System und der starken Turbulenzen des strömen- Zeitraum aufgrund von Sanierungsmaßnahmen den Wassers praktisch keine Wasserflöhe oder stark verbessert und in den letzten Jahren die andere Kleinkrebse vor. Abbildung 10 gibt als Güteklasse II erreicht hat. Gleichzeitig unterlag die Beispiel die Individuenzahlen der Rädertiere und Lebensgemeinschaft einer starken Dynamik.

60 860 850 840 830 820 810 800 790 780 770 760 750 740 730 720 710 700 690 680 670 660 650 640 Strom- km Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1999 IV übermäßig verschmutzt Erft Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1995 III - IV verschmutzt sehr stark Erft Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1990 III verschmutzt stark 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Erft Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1984 II - III kritisch belastet Erft Ruhr Wupper Sieg Emscher Lippe 1980 II mäßig belastet Erft Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1975 I - II gering belastet Erft Lippe Emscher Ruhr Wupper Sieg 1969 I unbelastet bis sehr gering belastet Güteklassen: Erft 860 850 840 830 820 810 800 790 780 770 760 750 740 730 720 710 700 690 680 670 660 650 640 Strom- km

Abb. 11: Gütezustand des Rheins in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage biologischer Befunde im Uferbereich

61 1969 war der Rhein im gesamten nordrhein-west- Bau und Betrieb einer Vielzahl von Kläranlagen am fälischen Abschnitt als stark verschmutzt in Güte- Rhein und seinen Nebenflüssen seit Mitte der 70er klasse III einzustufen (Abb. 11). Analog zur höch- Jahre hat zur kontinuierlichen Verbesserung der sten Abwasserbelastung hatte die Besiedlung Ende Wasserqualität geführt, so dass 1980 kein Abschnitt der 60er und Anfang der 70er Jahre den absoluten des Rheins mehr in die Güteklasse IV eingeordnet Tiefpunkt erreicht. Die Ufer des Rheins waren werden musste. Seit 1984 taucht auch die starke damals biologisch so stark verarmt, dass auf den Verschmutzung symbolisierende Farbe Gelb Steinen der Uferbefestigung nur wenige wider- (Güteklasse III) nicht mehr in den Gewässergüte- standsfähige Arten gefunden werden konnten. karten auf. Der Rhein ist nun in die Güteklassen II Verödungsstrecken mit Uferbereichen an denen und II-III einzustufen. überhaupt keine Tiere anzutreffen waren, reichten 1994 konnte mit der Einstufung der gesamten nord- von Dormagen/Monheim bis Düsseldorf und von rhein-westfälischen Fließstrecke des Rheins in die Duisburg bis Emmerich. Güteklasse II erstmals das in den Allgemeinen In Abbildung 12 ist der Bestand der makroskopisch Güteanforderungen für Fließgewässer in Nordrhein- erkennbaren Organismen im Jahre 1969 dargestellt. Westfalen formulierte Ziel des Gewässerschutzes Neben diesen Tieren des Makrozoobenthos ist auch erfüllt werden und in den Gewässergütekarten das Vorkommen des fädigen Abwasserbakteriums durchgängig in Dunkelgrün (Güteklasse II) darge- Sphaerotilus natans und der Grünalge stellt werden. Aufgrund des starken Rückgangs an Stigeoclonium tenue erfasst, da diese stellenweise Schadstoffen und des stabilen Sauerstoffhaushaltes massenhaft auftraten und die einzig sichtbare, die bietet die Wasserqualität des Rheins heute wieder Verschmutzung tolerierende Besiedlung darstellten. die Grundlage für eine artenreiche Kleintierlebewelt Im südlichen Bereich des nordrhein-westfälischen aus Schwämmen, Strudelwürmern, Egeln, Moos- Rheins oberhalb von Dormagen/Monheim kam tierchen, Krebstieren, Insektenlarven, Schnecken damals noch ein Restbestand von sechs Arten vor, und Muscheln. Sie stellen allerdings nur den der sich aus unempfindlichen Schnecken, Egeln, Restbestand der ehemals, d. h. vor der Zeit starker Wasserasseln, Moostierchen und Schwämmen Verschmutzung im Rhein vorhandenen Fauna dar, zusammensetzte. Anspruchsvollere Arten, zu denen der den Veränderungen und heutigen Belastungen viele Insektenarten aber auch Strudelwürmer und des Ökosystems gewachsen ist. Dem steht ein Krebstiere gehören, waren nicht anzutreffen. Zugewinn von neuen eingewanderten Tieren

Abb. 12: Makroskopisch erkennbare Organismen im nordrhein-westfälischen Rheinabschnitt im Jahre 1969 (Landesanstalt für Gewässerkunde und Gewässerschutz NRW, 1970)

62 – Neozoen – gegenüber. Dabei handelt es sich um bereits 8 bis 13 Arten auf. Die Abschnitte unterhalb eingewanderte, eingeschleppte oder auch ausge- von Dormagen/Monheim, der Emschermündung setzte Arten, die freie ökologische Nischen beset- und bei Emmerich waren dagegen nach wie vor ver- zen, die früher von einheimischen Arten eingenom- ödet (Abb. 13). men wurden. Dazu gehören vor allem die Dreikant- Die Inbetriebnahme der Industriekläranlage von muschel (seit 1976), Körbchenmuscheln (seit 1991) Bayer Dormagen im Jahre 1978 hat auch in diesem und mehrere Krebse, die sich gegenseitig ablösen. Bereich schnell eine Wiederbesiedlung der zuvor Im Zuge der Wiederbesiedlung des Rheins nach der völlig verödeten Ufersubstrate zur Folge. 1980 Zeit stärkster Verarmung ist das nur wenige Jahre erfolgt die Erweiterung des Gemeinschaftsklär- währende Massenauftreten einzelner Arten, z. B. werkes Leverkusen, so dass sich auch der Bereich Augustfliege und Schlickkrebs, zu nennen.

Sanierungsmaßnahmen und ihre Erfolge Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen - vor allem die Inbetriebnahme zahlreicher Kläranlagen am Rhein und seinen Nebenflüssen in und außerhalb Nordrhein-Westfalens in den 70er Jahren (Tab. 2) – haben zu einer Reduzierung des Eintrags organi- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens scher, biologisch leicht abbaubarer Substanzen und dadurch zu einer Verbesserung der Sauerstoffver- hältnisse geführt. Die damit verbundene erhebliche Verbesserung der Wasserqualität hatte eine deut- liche Zunahme des Artenspektrums zur Folge.

Tab. 2: Inbetriebnahme von Kläranlagen an Rhein, Wupper und Emscher Jahr Kläranlage Fluss 1974 KA Düsseldorf-Süd Rhein 1976 Großkläranlage der BASF und Rhein der Städte Ludwigshafen und Frankenthal 1976 KA Buchenhofen des Wupper Wupperverbandes 1977 KA Rutenbeck Bayer Elberfeld Wupper 1977 Emscher-Flusskläranlage des Emscher Emscherverbandes 1978 KA Bayer Dormagen Rhein 1980 Erweiterung des Gemeinschafts- Rhein Klärwerkes Leverkusen

Insbesondere die Inbetriebnahmen der Kläranlage Düsseldorf-Süd, der Emscher-Flusskläranlage in NRW sowie der oberhalb am Strom liegenden Großkläranlagen der BASF sowie der Städte Ludwigshafen und Frankenthal führten in einigen Bereichen zu einer deutlichen Regeneration der Besiedlung. Seit 1976 traten in den Abschnitten bei Bad Honnef, Köln, Rodenkirchen, Düsseldorf, und am unteren Niederrhein bei Lüttingen und Rees Abb. 13: Entwicklung der Artenzahlen im Rhein

63 TAXON Nov 69 Mai 74 Okt 78 Sep 82 Aug 86 Aug 90 Aug 94 Aug 98 Tab. 3: PORIFERA Vorkommen und Ephydatia spp. NNN NNNN NNNNN NNN NNNN Häufigkeit des Spongilla spp. NN NNN N NN NN Makrozoo- HYDROZOA benthos im Cordylophora caspia Bereich von Bad TURBELLARIA Dendrocoelum lacteum N NNNNNNN Honnef bis Köln Dendrocoelum romanodanubiale Dugesia lugubris NNN NN NN N Dugesia tigrina NNNNN NNNNN NNNN NNNN BRYOZOA Fredericella sultana NNN Plumatella spp. NNN NNN NNN NN N N NN POLYCHAETA Hypania invalida HIRUDINEA Erpobdella octoculata NNN NNNN NNNNN NN N NN NNN N Glossiphonia complanata N NNNN NNN NN N N Glossiphonia heteroclita N GASTROPODA Acroloxus lacustris NNN NNN N Ancylus fluviatilis NNN NNNN NNN NNNN NN NNN NN NNN Bithynia tentaculata NN NN NNNN NNNNN NNNNN NNN NNNN N Physella acuta N Potamopyrgos antipodarum NNN Radix peregra NNNN NNNN NNN NNN NN N N LAMELLIBRANCHIATA Anodonta spp. NNNN N NNN NN Corbicula spp. NNNN NNN Dreissena polymorpha NNNN NNNNN NN N NNN NNN Sphaerium corneum NNN N NN Theodoxus spp. NNN Unio spp. NN N NN NNN NN EPHEMEROPTERA Ephoron virgo NNN Heptagenia sulphurea N CRUSTACEA Atyaephyra desmaresti Asellus aquaticus NNNN NNN NNN N N Chaetogammarus ischnus NNNN NN Corophium curvispinum NNNNN NNNNN NNN Dikerogammaus villosus Gammarus pulex NN NNN NNN NNN Gammarus tigrinus NNN N Jaera istri NNNN TRICHOPTERA Ceraclea dissimilis NNN NN N N Ecnomus tenellus NN Hydropsyche bulgaromanorum N Hydropsyche contubernalis N NNNNN NNNNN NNNNN NNN N N Psychomya pusilla NN NNNN Tinodes waeneri NN NN DIPTERA Rheotanytarsus NNNNN NNNNN NNNN NNN NN

Häufigkeiten von 1 N bis 5 NNNNN N Neozoen

64 Tab. 4: TAXON Nov 69 Mai 74 Okt 78 Sep 82 Aug 86 Aug 90 Aug 94 Aug 98 Vorkommen und PORIFERA Häufigkeit des Ephydatia spp. NNNN NNNNN NNNNN NN NNNN Makrozoo- Spongilla spp. NN NNNN NN NNNN HYDROZOA benthos im Cordylophora caspia NN Bereich von TURBELLARIA Wesel bis Dendrocoelum lacteum NN N Kleve-Bimmen Dendrocoelum romanodanubiale N Dugesia lugubris N NNN NN NN NN Dugesia tigrina NNNN NNNN NNN BRYOZOA NNN NNNN NNNN NN Fredericella sultana N Plumatella spp. NNN N NNN POLYCHAETA Hypania invalida NN HIRUDINEA Erpobdella octoculata NNN NNNN NNN NN NNN N N N Glossiphonia complanata NN NN NN Glossiphonia heteroclita NNNN GASTROPODA Acroloxus lacustris NN N N NN

Ancylus fluviatilis N NNNN NNN NN NNN NN NNNN 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Bithynia tentaculata NN NN NNNN NNNN NNN NNNN N Physella acuta NNNNNN Potamopyrgos antipodarum N Radix peregra NNNN NNN NNN NNNN NN N LAMELLIBRANCHIATA Anodonta spp. NNNN Corbicula spp. NNNN NN Dreissena polymorpha N NNNNN NNNNN NNN NNNN NNNNN Sphaerium corneum NN Unio spp. NNN NN EPHEMEROPTERA Ephoron virgo N Heptagenia sulphurea CRUSTACEA Atyephyra desmaresti NNNN Asellus aquaticus N NNN NNN N N Chaetogammarus ischnus N NNN NN Corophium curvispinum NNNNN NNNNN NNNN Dikerogammarus villosus N NNNN Gammarus pulex N NNNN N Gammarus tigrinus NNNNN NNN Jaera istri NNNNN TRICHOPTERA Ceraclea dissimilis NNNNN Ecnomus tenellus NN N Hydropsyche bulgaromanorum N Hydropsyche contubernalis NN NN NNNNN N NNN N Psychomya pusilla NNN Tinodes waeneri DIPTERA Rheotanytarsus spp. NNNNN NNNN NN NN NNNN

Häufigkeiten von 1 N bis 5 NNNNN N Neozoen

65 unterhalb von Leverkusen in den folgenden Jahren sert haben, folgen Insektenlarven, Strudelwürmer weiter erholen konnte. Der erste sprunghafte An- und Flohkrebse. Seit einigen Jahren kann der stieg der Artenzahlen war hier 1982 zu beobachten. Spaziergänger am Ufer auch wieder Muschel- schalen der Großmuscheln Unio sp. und Anodonta Auswirkungen auf die Besiedlung des Rheins haben sp. finden, die Sand- und Schlammbänke der auch die Inbetriebnahmen der Kläranlage Buchen- Buhnenfelder besiedeln. Im Zuge dieser Wieder- hofen des Wupperverbandes (1976) und der Klär- besiedlung des Rheins spielten neben einheimi- anlage Rutenbeck der Bayer AG (1977) an der schen Gewässerorganismen Neozoen eine wichtige Wupper. War der Bereich unterhalb der Wupper- Rolle (Tab. 3+4). mündung 1974 noch völlig unbesiedelt, so erfolgt seit 1976 allmählich, zunächst durch Schnecken und Egel, die Wiederbesiedlung dieses Abschnittes. Neozoen 1981 stieg die Anzahl der Arten sprunghaft an Neozoen sind Tierarten, die aus anderen Regionen und es kommen Insektenlarven, Strudelwürmer, der Erde zugewandert oder eingebracht worden Muscheln und Krebstiere hinzu. sind. Wanderbewegungen von Organismen gab es Nach der deutlichen Zunahme der Artenzahlen in der Erdgeschichte zwar schon immer, doch haben Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre schwankt sie sich jeweils immer über sehr lange Zeiträume die Zahl der vorgefundenen Arten in den folgenden erstreckt. Als Neozoen werden Arten bezeichnet, Jahren mehr oder weniger stark zwischen 10 und deren Verbreitung durch die Tätigkeit des Menschen 26. Ursache hierfür sind, neben Schwankungen in wesentlich gefördert oder erst ermöglicht wurde. Sie der Belastung des Rheins, natürliche Populations- erfolgt meist in kurzen Zeiträumen von wenigen schwankungen und teilweise sicher auch ständig Jahren oder Jahrzehnten. Die Zuwanderung erfolgt erhöhte Wasserstände, die die vollständige Be- vor allem über die von Menschen geschaffenen standaufnahme erschwerten. Stets gehören die Transportwege und Transportmöglichkeiten. In Egel und Schnecken, meist auch die Wasserasseln unseren Gewässern spielen die Schifffahrtskanäle zu den ersten Besiedlern der zuvor stark verarmten als Ausbreitungspfade eine entscheidende Rolle, da oder verödeten Bereiche. Oft erst einige Jahre sie Fließgewässersysteme, die bereits von Natur später, wenn sich die Bedingungen weiter verbes- aus ideale Wanderwege darstellen, verbinden.

Tab. 5: Vorkommen und Herkunft der häufigsten Neozoen im Rhein und in den Westdeutschen Schifffahrtskanälen

Art Rhein Schifffahrts- Heimat kanäle Cordylophora caspia – Keulenpolyp + + Schwarzmeergebiet Dendrocoelum romanodanubiale – Plattwurm + Schwarzmeergebiet Dugesia tigrina – Gefleckter Strudelwurm + + Nordamerika Hypania invalida – Ringelwurm + Schwarzmeergebiet Athyaephyra desmaresti – Süßwassergarnele + + Mittelmeerraum Eriocheir sinensis – Wollhandkrabbe + Ostasien Orconectes limosus – Amerikanischer Flusskrebs + + Nordamerika Corophium curvispinum – Schlickkrebs + + Schwarzmeergebiet Chaetogammarus ischnus – Kleinkrebs + + Schwarzmeergebiet Dikerogammarus villosus – Kleinkrebs + Schwarzmeergebiet Gammarus tigrinus – Getigerter Flohkrebs + + Nordamerika Jaera istri – Assel * + Schwarzmeergebiet Physella acuta – Spitze Blasenschnecke + + Mittelmeerraum Potamopyrgus antipodarum – + Australische Region Neuseeländische Turmdeckelschnecke– Corbicula fluminalis – Körbchenmuschel + + Ostasien Corbicula fluminea – Körbchenmuschel + + Ostasien Dreissena polymorpha – Wandermuschel + + Schwarzmeergebiet

66 Durch den Schiffsverkehr ist durch Anheften an den diese wichtige ökologische Funktion im Rhein über- Schiffskörper oder den Transport mit dem nommen haben, zumal die einheimischen Groß- Ballastwasser die Überwindung großer Distanzen muscheln lange Zeit fehlten oder unbedeutende möglich. Neozoen treten daher vor allem in schiff- Populationen bildeten. baren Gewässern auf. Der Mensch sorgt aber auch Die Einwanderung und Einschleppung neuer Arten durch das direkte Aussetzen von Tieren für die wird teilweise mit Besorgnis beobachtet, da die Verbreitung neuer Arten. Auswirkungen auf die komplexen Zusammenhänge Im Rhein kommen heute Arten aus vielen Regionen in einem Ökosystem kaum vorhersehbar sind. der Erde vor. Die Herkunftsgebiete reichen vom Mit- Positiv wird die Einwanderung von Arten gesehen, telmeerraum über den Schwarzmeerraum bis nach die freie ökologische Nischen besetzen oder als Ostasien, Nordamerika und Australien (Tab. 5). Bei Nahrung für heimische Arten dienen. Mögliche den Zuwanderern handelt es sich z. T. um Arten, die negative Auswirkungen werden gesehen, wenn die gegen Versalzung und Erwärmung unempfindlich neuen Arten in Konkurrenz zu einheimischen Arten sind. Andere ernähren sich als Filtrierer und finden treten, Massenentwicklungen zeigen, Krankheiten in unseren eutrophierten Gewässern ein reichhalti- einschleppen oder als Parasiten die heimischen ges Nahrungsangebot. Diese Eigenschaften bieten Arten schädigen. den Neulingen einen erheblichen Konkurrenzvorteil gegenüber empfindlicheren, einheimischen Arten, Im folgenden soll auf das Vorkommen und die Herkunft der häufigsten wirbellosen Kleintierarten

der es ihnen ermöglicht freie ökologische Nischen 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens zu besetzen oder andere Arten zurückzudrängen. unter den Neozoen des nordrhein-westfälischen Rheins eingegangen werden. Hier sind vor allem Wichtige Aussagen über den Zustand eines Ökosy- Vertreter aus der Gruppe der Muscheln, Schnecken stems liefert nicht nur die Zusammensetzung des und Krebstiere zu nennen. Artspektrums sondern auch der Aufbau der Lebens- gemeinschaft aus Organismen mit speziellen ökolo- Die erste fremdländische Art, die mit der Ver- gischen Ansprüchen oder Funktionen, wie z. B. die besserung der Wasserqualität seit 1976 wieder im Dominanz bestimmter Ernährungstypen. Die Aus- Rhein heimisch wurde, war die Wandermuschel wertung nach Ernährungstypen für das Makrozoo- Dreissena polymorpha. Wegen ihrer Streifung wird benthos im Rhein zeigt, dass heute die Filtrierer sie auch Zebramuschel oder aufgrund ihrer drei- (z. B. Muscheln), dem reichen Plankton- und eckigen Form Dreiecksmuschel genannt. Die schon Schwebstoffangebot entsprechend, die dominieren- vor den letzten Eiszeiten in Mitteleuropa heimische de Rolle spielen. Daneben finden auch Weide- Art, wurde durch die Eiszeiten verdrängt und wan- gänger im Algenaufwuchs ihr reichhaltiges derte erst im 19. und 20. Jahrhundert aus dem Nahrungsangebot (Abb. 14). Der hohe Anteil an Schwarzmeerraum über die Schifffahrtskanäle wie- Filtrierern wird großenteils von Neozoen gestellt, die der ein. Dreissena wird 3 bis 4 cm groß und heftet sich an Hartsubstrate wie z. B. die Steinblöcke der Buhnen oder der Uferbefestigung an und ernährt sich, indem sie organische Schwebstoffe z. B.

9 Planktonalgen aus dem Wasser filtriert. In Nord- 8 rhein-Westfalen kam es seit Mitte der 80er Jahre zu 7 einer starken Vermehrung der Dreikantmuschel. In 6 den folgenden Jahren gingen die Bestandsdichten 5 jedoch wieder zurück. In den trockenen Sommern

Taxazahl 4 Filtrierer Anfang der 90er Jahre starben auf den trockenge- 3 Weidegänger fallenen Ufern große Bestände der dort festsitzen- 2 Räuber den Muscheln ab. Etwa zur gleichen Zeit trat eine 1 Zerkleinerer weitere neue Art, der Kleinkrebs Corophium curvi- 0 Sedimentfresser 1969 1973 1978 1983 spinum, auf, der erfolgreich mit der Wandermuschel 1988 1993 1998 konkurrierte. Durch sein massenhaftes Auftreten Abb. 14: Ernährungstypenverteilung des Makro- schränkte er die Siedlungsflächen der Wander- zoobenthos im Rhein (Bad Honnef) muschel stark ein (Abb. 15).

67 7 1931 wurde er erstmalig in England entdeckt. Dreissena polymorpha Corophium curvispinum Wegen seiner hohen Salzverträglichkeit wurde er 6 1957 in der stark versalzten und daher biologisch

5 verödeten Werra ausgesetzt, um die verschwunde- nen einheimischen Arten zu ersetzen. Seither hat er 4 sich stark ausgebreitet und ist über die Weser

Häufigkeiten 3 weitergewandert. Im nordrhein-westfälischen Rhein- abschnitt wurde er 1982 erstmals nachgewiesen, 2 wo er zeitweise die dominierende Flohkrebsart war. Die Bestände sind inzwischen aber durch andere 1 Flohkrebsarten völlig verdrängt.

0 69 70 71 72 73 74 75 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 Jahre Abb. 15: Vorkommen von Dreissena polymorpha und Corophium curvispinum im Rhein im Bereich Wesel bis Kleve-Bimmen

Der Schlickkrebs Corophium curvispinum kommt seit 1988 im nordrhein-westfälischen Rhein vor. Aus dem Schwarzmeergebiet hat er sich über die Wolga, den Dnjepr, die Donau und die Schifffahrtskanäle bis in den Rhein verbreitet. Corophium, der sich von mikroskopisch kleinen Algen und Schwebstoff- partikeln ernährt, findet im Rhein günstige Er- Abb. 16: Gammarus tigrinus nährungsbedingungen. Aus diesem Grund und auf- grund fehlender Konkurrenz konnte er sich massen- In den letzten Jahren haben sich zwei weitere aus haft vermehren. Große Teile der Steine sind mit dem Schwarzmeerraum stammende Flohkrebsarten einem dichten Filz der zylindrischen Wohnröhren im Rhein ausgebreitet. Chaetogammarus ischnus von Corophium überzogen. Damit stellt er gegen- wurde zuerst in den Schifffahrtskanälen entdeckt über anderen Besiedlern steiniger Substrate – wie und wird seit 1988 auch im Rhein nachgewiesen. z. B. Dreissena polymorpha – einen erheblichen Dikerogammarus villosus ist aus der Donau über Konkurrenzfaktor dar. Nach dem Rückgang des den Main-Donau-Kanal in den Rhein gelangt und Schlickkrebses seit Anfang der 90er Jahre erholten trat 1994 erstmals im unteren Niederrhein auf. Beide sich die Dreissena-Bestände wieder. Arten gehören mittlerweile zu den dominierenden Zwei weitere zu den Muscheln gehörende Arten sind Flohkrebsarten im Niederrhein, Corophium ist stark die aus Ostasien stammenden Körbchenmuscheln zurückgedrängt. Corbicula fluminea und Corbicula fluminalis. Sie Anfang des Jahrhunderts wurde die aus Ostasien wurden zunächst nach Nordamerika eingeschleppt stammende Wollhandkrabbe Eriocheir sinensis in und von dort mit dem Ballastwasser der Schiffe die Elbe eingeschleppt, von wo aus sie sich weiter unwissentlich nach Europa transportiert. In verbreitet hat. Ihre leeren Panzer findet man regel- Nordrhein-Westfalen wurden sie erstmals 1990 mäßig im Uferbereich des Rheins. nachgewiesen und haben sich seither stark ver- Eine weitere Krebsart, die den gesamten Nieder- mehrt. Die 2,6 cm großen Muscheln leben vor allem rhein besiedelt, ist der Amerikanische Flusskrebs in feinem Kies und sind im Uferbereich des gesam- Orconectes limosus. 1890 wurde er in Europa aus- ten Niederrheins verbreitet. Inzwischen sind bei gesetzt, da er im Gegensatz zu der heimischen Niedrigwasser die Ufer des Rheins dicht mit leeren damals fast ausgerotteten Flusskrebsart Astacus Schalen der Muscheln bedeckt. astacus gegen die Krebspest immun ist. Vor allem Der von der amerikanischen Ostküste stammende im unteren Niederrheinabschnitt – ab Wesel – Getigerte Flohkrebs Gammarus tigrinus (Abb. 16) kommt die aus dem Mittelmeergebiet stammende hat seinen Namen von der tigerähnlichen Streifung. Garnelenart Atyaephyra desmaresti vor.

68 Eine eher untergeordnete Rolle spielen zwei einge- Entwicklungen jedoch im Lauf der Zeit, wie es bei- wanderte Schneckenarten, die Spitze Blasen- spielsweise bei der Wandermuschel Dreissena poly- schnecke Physella acuta und die Neuseeländische morpha und dem Schlickkrebs Corophium curvispi- Turmdeckelschnecke Potamopyrgus antipodarum. num bereits beobachtet werden konnte. Bisher ist Physella acuta stammt aus dem Mittelmeerraum noch keine einheimische Art durch Neozoen in und ist relativ unempfindlich gegen Verschmutzung, ihrem Bestand gefährdet. Die Fauna des Rheins weshalb sie auch schon 1972 in dem damals noch wird sich auch weiterhin verändern. Neue Arten wer- extrem belasteten Rhein existieren konnte. den hinzukommen, während andere Arten an Potamopyrgus antipodarum ist in der australischen Bedeutung verlieren werden. Region beheimatet, besiedelt aber inzwischen weite Der weiteren Entwicklung sind allerdings durch die Teile Europas. Im nordrhein-westfälischen Rhein mit der intensiven Nutzung des Rheins einherge- wird sie seit 1982 gefunden. henden Kanalisierung des Flusslaufes und die 1996 ist ein weiterer neuer Bewohner des Rheins durchgehende Uferbefestigung Grenzen gesetzt. hinzugekommen. Aus dem Donaugebiet ist die Der Ausbau des Flusses zur Schifffahrtsstraße hat Assel Jaera istri über den Main-Donau-Kanal zu einer starken Uniformität des Lebensrauman- zunächst in den Main und von dort in den Rhein gebotes geführt, wodurch die Artenvielfalt begrenzt gelangt. Kam Jaera istri 1996 nur an wenigen wird. Viele Arten sind auf das Vorhandensein Stellen des nordrhein-westfälischen Rheinab- bestimmter Uferstrukturen angewiesen oder benöti- schnittes vor, so gehörte sie bereits 1997 an vielen gen Auenbereiche mit Altgewässern, Röhrichten 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Stellen zu den dominanten Arten (Tab. 3 + 4). und Gehölzen. Die Entwicklung der Lebensgemein- schaft des Rheins ist daher in den kommenden Der Main-Donau-Kanal war auch Wanderweg für Jahren neben einer weiteren Verbesserung der den zu den Ringelwürmern gehörenden Poly- Wasserqualität ganz entscheidend von der Ent- chaeten Hypania invalida und den Strudelwurm wicklung der Strukturvielfalt im Ufer- und Auen- Dendrocoe-lum romanodanubiale in den Rhein. bereich abhängig, um Lebensräume für weitere Hypania invalida wurde 1996, Dendrocoelum roma- Arten zu schaffen. Hier beginnt die Gratwanderung nodanubiale 1998 erstmals im nordrhein-westfäli- zwischen den Ansprüchen des Ökosystems und den schen Rheinabschnitt nachgewiesen. Ansprüchen des Menschen, so dass die Möglich- keiten einer Verbesserung der Lebensraumstruk- Zusammenfassung und Ausblick turen begrenzt bleiben werden. Der Rhein hat sich von einem biologisch verödeten bzw. stark verarmten Gewässer Anfang der 70er Jahre durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen Literatur FRIEDRICH, G. (1990): Das Plankton des Rheins als Indikator. In: wieder zu einem lebendigen Fluss entwickelt und KINZELBACH, R. & G. FRIEDRICH (Hrsg.): Biologie des Rheins. entspricht heute der Gewässergüteklasse II. Im Limnologie aktuell, Bd. 1, S. 181-190, Gustav Fischer Verlag, Zuge der Wiederbesiedlung zeigte die Lebens- Stuttgart, New York. gemeinschaft der tierischen Kleinlebewesen eine NIPPES, K.-R. (1993): Einzugsgebiet und Abflußregime. in: BUCK, W. et al.: Der Rhein unter Einwirkung des Menschen - starke Dynamik. Dabei traten neben einheimischen Ausbau, Schifffahrt, Wasserwirtschaft. Bericht Nr. 11 der Arten auch Vertreter aus anderen Teilen der Erde, Internationalen Kommission für die Hydrologie des Rhein- gebietes (KHR). die Neozoen, auf. SCHILLER, W. (1990): Die Entwicklung der Makrozoobenthonbe- Die Neulinge im Rhein haben inzwischen einen siedlung des Rheins in Nordrhein-Westfalen im Zeitraum 1969-1987. In: KINZELBACH, R. & G. FRIEDRICH (Hrsg.): hohen Anteil an der Biozönose erreicht. Die Biologie des Rheins. Limnologie aktuell, Bd. 1, S. 259-275, Voraussetzungen für die hohe Zuwanderungsrate Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, New York. und die starke Vermehrung von Neozoen hat der STIELER, K., H. WACHENHUSEN & F. W. HACKLÄNDER (1875): Rhein- Mensch geschaffen, indem er die Ausbreitungsmög- fahrt - Von den Quellen des Rheins bis zum Meere. Reprint 1978, Curt R. Vincentz Verlag, Hannover, 428 S. lichkeiten schuf und die Lebensräume so veränder- TITTIZER, T., F. SCHÖLL & M. SCHLEUTER (1990): Beitrag zur te, dass sie für die neuen Arten Konkurrenzvorteile Struktur und Entwicklungsdynamik der Benthalfauna des boten. Ihr oft massenhaftes Vorkommen ließ be- Rheins von Basel bis Düsseldorf in den Jahren 1986 und 1987. In: KINZELBACH, R. & G. FRIEDRICH (Hrsg.): Biologie des fürchten, dass einheimische Arten durch sie ver- Rheins. Limnologie aktuell, Bd. 1, S. 181-190, Gustav drängt werden. In der Regel regulieren sich diese Fischer Verlag, Stuttgart, New York.

69 Altrhein

3.2.1.2 Sanierung und Restaurierung von Altgewässern am Unteren Niederrhein – Auswirkungen auf Gewässerbeschaffenheit und Trophie Martin Brühne (Naturschutzzentrum im Kreis Kleve) & Dr. Karl-Heinz Christmann (LUA)

Einleitung Altgewässer sind prägende Elemente der nieder- rheinischen Auen. Sie bereichern die vielerorts aus- geräumte Landschaft, bieten vielen bedrohten Pflanzen- und Tierarten Lebensraum und zeichnen sich durch eine hohe Artenvielfalt aus. Infolge des Gewässerausbaus können am Rhein heute keine neuen Altgewässer mehr entstehen. Die verbliebe- nen unterliegen einer raschen Verlandung, die durch anthropogene Einflüsse, insbesondere die landwirtschaftliche Nutzung des Einzugsgebietes, noch beschleunigt wird. Langfristig werden sie Abb. 1: Am Bienener Altrhein und der „Rosau“ hat daher aus unserer Landschaft verschwinden, wenn die Seekanne (Nymphoides peltata) nach nicht erhebliche Anstrengungen unternommen einer bestandskritischen Phase Ende der werden, diesen „aussterbenden Gewässertyp“ zu 80er Jahre nun wieder ihr größtes Vor- erhalten. kommen in Nordrhein-Westfalen und wohl eines der größten in Deutschland. Lage und Beschreibung Erstellung des Griether Kanals die Rheinschlinge Der Bienener Altrhein liegt am Unteren Niederrhein bei Grieth durchstochen wurde. Die Rheinaue im Kreis Kleve rechtsrheinisch in den Gemeinden zwischen den Banndeichen ist an dieser Stelle 4 km Rees und Emmerich. Er bildet mit der südlich breit. anschließenden „Rosau“, sowie dem im Deichhinter- land liegenden Millinger- und Hurler Meer gemein- Wie in Abbildung 2 ersichtlich liegen die Altwässer sam den Kern des NSG „Bienener Altrhein, Millinger gegenüber dem Rheinstrom terrassenartig über- Meer und Hurler Meer“ (Abb. 3). Das NSG umfasst höht. Da die Sohlenerosion des Rheins auch an eine Fläche von 650 ha. Innerhalb der rezenten Aue dieser Stelle immer weiter fortschreitet, muss in den zwischen den Banndeichen befindet sich neben nächsten Jahrzehnten mit eine zunehmenden dem Bienener Altrhein auch noch der Grietherorter Entkoppelung zwischen dem Rhein und seiner Aue Altrhein, der erst 1819 zum Altarm wurde, als mit der gerechnet werden.

Abb. 2: Querschnitt durch die rezente Rheinaue zwischen den Banndeichen bei Rees (ÖKOLOGISCHE STATION REES 1995). Die Höhenangaben orientieren sich am Pegel Emmerich, dessen Nullpunkt bei 8,03 m ü NN liegt.

70 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Abb. 3: Übersicht über das Projektgebiet mit Darstellung der Flächennutzung im NSG „Bienener Altrhein, Millinger Meer und Hurler Meer“ und der Lage der Probestellen. (Die gestrichelte Linie deutet die Lage des Querschnitts an, der in Abb. 2 dargestellt ist.)

Bei zunehmend niedrigeren Rheinwasserständen in Anbindung haben und von der Auendynamik weit- den Sommermonaten, wie langfristige Prognosen gehend abgekoppelt sind. Er besitzt einen Zufluss erwarten lassen, wird sich die Grundwassersituation vom Millinger Meer über den Bienener Schleusen- in den Rheinauen weiterhin verschlechtern. graben und einen Abfluss über die Dornicker Schleuse in den Grietherorter Altrhein und darüber Der Bienener Altrhein entstand aus einer Fluss- zum Rhein. Der Bienener Altrhein hat in der Regel schlinge, deren Abtrennung vom Rheinstrom bereits keinen Kontakt zum Grundwasser. Nur bei hohen vor 500 Jahren begann. Heute steht der Altrhein nur Grundwasserständen im Winter kann es an einer noch bei Hochwasser mit dem Hauptstrom in Stelle zu einem Grundwasserzustrom kommen. Verbindung. Er zählt daher typologisch zu den Wegen seiner überragenden Bedeutung als Re- Altwässern (DVWK 1991), die nur eine temporäre fugium für bedrohte Pflanzen- und Tierarten

Tab. 1: Grietherorter Ausgewählte morpho- Bienener Altrhein Millinger Meer Rosau Altrhein metrische Kenngrößen (südl. Bereich) der Gewässer max. Länge (m) 4.700 3.000 1.900 3.400 max. Breite (m) 180 220 90 90 Fläche (ha) 53,6 33,2 11,3 37,4 max. Tiefe bei MW (m) 2,7 4 – 2,5 mittl. Tiefe bei MW (m) 1 1,9 – – Volumen (m³) 540.000 643.000 – –

71 (z.B. Seekanne und Trauerseeschwalbe; Abb. 1 + 4) an den Hauptstrom angebunden ist. Er wird sehr wurde das Gewässer bereits 1969 unter Natur- stark von der Dynamik des Rheins beeinflusst und schutz gestellt und 1983 im Rahmen der Auswei- folgt dessen wechselnden Wasserständen. Ein sung des Unteren Niederrheins als Feuchtgebiet künstlicher Querdamm trennt den zu einem Militär- internationaler Bedeutung nach der RAMSAR- hafen ausgebauten nördlichen Teil mit der stromab- Konvention als Gebiet mit gesamtstaatlich repräsen- wärtigen Mündung (ca. 14,6 ha) vom südlichen Teil tativer Bedeutung ausgezeichnet. Anthropogene mit der stromaufwärtigen Mündung (22,8 ha). Nutzungen, wie z. B. die Landwirtschaft, und starke Das Millinger- und das Hurler Meer sind vermutlich Eutrophierung gefährden jedoch seine Existenz. Mit ebenfalls alte Mäanderwege oder Senken, die bei einem abgestimmten Maßnahmenpaket wird daher starken Hochwässern herausgespült wurden. Man seit einigen Jahren versucht, diese Einflüsse zu kann davon ausgehen, dass sie bereits seit mehr als minimieren und gravierende nutzungsbedingte 1000 Jahren vom Rheinstrom getrennt sind Störungen zu unterbinden. (NEUMANN 1991).

Maßnahmen zur Verbesserung der Gewässerbeschaffenheit Um der drohenden Verschlammung und späteren Verlandung der Altgewässer entgegen zu wirken, wurde ein umfangreicher Maßnahmenkatalog auf- gestellt und in einer breiten Kooperation zwischen Bundesamt für Naturschutz, Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Bezirk- regierung Düsseldorf, Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten/Landesamt für Agrar- ordnung, Landesumweltamt, Kreis Kleve, Univer- sität zu Köln, Naturschutzzentrum im Kreis Kleve, Abb. 4: Die Trauerseeschwalbe (Chlidonias niger) Landwirtschaftskammer und Vertretern der örtlichen ist der Charaktervogel des Bienener Alt- Landwirtschaft bereits überwiegend umgesetzt. rheins. Diese vom Aussterben bedrohte Art Dadurch sollen vor allem die starke Verlandung (RL-NRW 1) besitzt hier mit 28 Paaren und gestoppt, die Eutrophierung eingeschränkt und 39 flüggen Jungvögeln im Jahr 1999 ihr Störungen im und am Gewässer vermindert werden, einziges Brutvorkommen in Nordrhein- um es langfristig zu erhalten. Westfalen. â Entschlammung eines stark verlandeten Ab- schnittes des Bienener Altrheins Der südlich anschließende Altrhein an der Rosau ist entsprechend seiner Form und Lage ein Mäander- â Reduzierung der Einleitung von Abwässern in weg (HOPPE 1970 zit. n. KURECK 1991 ) der durch das Gewässersystem spätere Hochwässer des Rheins vertieft wurde â Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung (LANGE 1978 ). Im Gegensatz zum Bienener Altrhein, im Einzugsgebiet der durch Feinsedimente zum Grundwasser hin â abgedichtet ist, ist das Altwasser an der Rosau auf- Sicherung eines Mindestwasserstandes grund der etwas anderen Entstehungsgeschichte â Schutz der Verlandungszonen vor Viehtritt und dem eher sandigen Substrat an den Grund- â Einstellung der fischereilichen Nutzung wasserstand gekoppelt. Seine Wasserstandsampli- tude beträgt daher in hochwasserfreien Jahren bis zu 2 m (NATURSCHUTZZENTRUM IM KREIS KLEVE E.V. Entschlammung 1997). Der südliche Teil des Bienener Altrheins war Der benachbarte Grietherorter Altrhein ist dem besonders stark von der Verlandung betroffen. Bei Altgewässertyp „Altarm“ zuzuordnen, da er häufig Niedrigwasser fielen große Flachwasserbereiche

72 trocken, teilweise trat Faulschlamm zutage. Die im bis dahin als Vorfluter für die Kläranlage in Millingen Restwasserkörper verbliebene Limnofauna litt unter dienenden Millinger Landwehr kam es zu einem Sauerstoffmangel und die noch vorhandene Was- Rückfluss ins Millinger Meer hinein. Durch den serfläche drohte vollständig unter einer dichten Umbau der Kläranlage zu einer Mischwasser- Seerosendecke zu verschwinden. Um die weitere behandlungsanlage und Anschluss an die Verlandung zu verzögern und eine größere Gemeinschaftskläranlage Kalkar-Hönnepel durch Freiwasserzone zu schaffen, wurde ein Abschnitt eine Druckleitung unter dem Rhein hindurch wurde unweit des Hofes Köster im Herbst 1982 ent- der Zustand deutlich verbessert. Bei starken schlammt. Unter Schonung der Ufervegetation wur- Regenfällen bestand jedoch weiterhin die Gefahr, den über 170.000 m³ Schlamm mittels Saugspül- dass die Kapazität der Anlage nicht ausreichte. bagger (Abb. 5) aus der Mitte des Gewässerbettes Durch den Einbau eines neuen Wehres, das im entfernt. Durch diese Therapiemaßnahme konnte Februar 1996 in Betrieb genommen wurde, soll in der Wasserkörper auf eine Länge von 1.750 m, solchen Fällen der Abfluss in das Millinger Meer ver- 70 m Breite und 2,5 m Tiefe vergrößert werden. hindert werden. Diese Baumaßnahmen wurden mit Nach Entfernen des dichten Schwimmblattpflanzen- Mitteln des Bundes, des Landes und des Kreises gürtels war dieser Bereich wieder stärker Licht und gefördert. Wind ausgesetzt. Durch Umwälzung des Wassers und durch „biogene Belüftung“ infolge von verstärk- ter Phytoplanktonentwicklung erholte sich der Extensivierung der landwirtschaftlichen Sauerstoffhaushalt deutlich und die Sedimentation Nutzung im Einzugsgebiet 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens organischer Substanz ging zurück. Die kurz nach Im Rahmen eines Naturschutzgroßprojektes von der Entschlammung reduzierte Lebensgemein- Bund, Land und Kreis sind insgesamt rund 300 ha schaft des Makrozoobenthos (ESSER 1986) erholte Flächen (einschließlich der Wasserflächen des sich und war 11 Jahre nach dem Eingriff sogar Bienener Altrheins und des Millinger Meeres) inner- besser entwickelt als zuvor (SEREDSZUS 1994). halb des NSG aufgekauft worden. Dabei konzen- Die Ziele, den freien Wasserkörper zu vergrößern, trierte man sich besonders auf die landwirtschaft- den Sauerstoffhaushalt zu verbessern und die lichen Flächen am Bienener Altrhein (Abb. 3). Diese weitere Verlandung stark hinaus zu zögern, wurden wurden unter Extensivierungsauflagen für eine ge- mit dieser Maßnahme erreicht. ringe Pacht an Landwirte wieder verpachtet (Abb. 6). Die Vertragsbedingungen beinhalten vor allem Ein- schränkungen bei der Düngung, dem Viehbesatz und den Mahdterminen. Einige Flächen im Uferbe- reich des Bienener Altrheins, die nicht erworben

Abb. 5: Ein stark verschlammter Abschnitt des Bienener Altrheins wurde 1982 mit Hilfe eines Saugspülbaggers entschlammt.

Reduzierung der Einleitung von Abwässern in Abb. 6: Dank der großflächigen Extensivierung das Gewässersystem sind auch solche Bereiche, in denen die Bis 1994 wurde das Millinger Meer durch unzurei- Wachtel und der Wachtelkönig erfolgreich chend geklärte Abwässer zeitweise stark belastet. brüten, am Bienener Altrhein wieder vor- Besonders bei ungünstigen Wasserständen in der handen.

73 werden konnten, wurden zum Abschluss des Einstellung der fischereilichen Nutzung Flurbereinigungsverfahrens getauscht, so dass dort Durch den zuvor erwähnten Ankauf der Wasser- ein Streifen von ca. 100 m am Gewässer exten- flächen des Bienener Altrheins und des Millinger siviert werden konnte. Meeres konnte dort die fischereiliche Nutzung ein- gestellt werden. Lediglich in einem Teilbereich des Sicherung eines Mindestwasserstandes Millinger Meeres (Nordarm) ist neben dem Baden und Schlittschuhlaufen auch das Angeln noch Um eine Austrocknung des Bienener Altrheins in erlaubt. Mit dem Besitzer des Altwassers an der den Sommermonaten zu verhindern, wurde im Rosau konnte der Kreis Kleve einen langfristigen Abflussbauwerk des Bienener Altrheins, der Pachtvertrag abschließen, so dass dort die Dornicker Schleuse (Abb. 3) ein Bohlenstau einge- Fischerei seit 1992 nicht mehr durchgeführt wird. richtet. Dadurch konnte im Bienener Altrhein selbst in sehr trockenen Sommern, wie zum Beispiel 1996, eine Wassertiefe von bis zu zwei Metern gehalten Entwicklung der Wasserbeschaffenheit und somit eine ausreichende Sauerstoffversorgung Untersuchungsprogramm der Limnofauna erreicht werden. Im Zuge des Hydrochemische Untersuchungen an ausgewählten 1998/99 erfolgten Einbaus einer Fischaufstiegshilfe Standorten der vier Altgewässer werden seit 1994 in die Dornicker Schleuse kann nun der Wasser- regelmäßig in annähernd monatlichem Abstand stand in den Wintermonaten nochmals um weitere gemeinsam vom Landesumweltamt (LUA) und dem 60 cm höher aufgestaut werden, so dass bis in den Naturschutzzentrum im Kreis Kleve (NZ) durch- Frühsommer genügend Wasser für den Betrieb des geführt. Erste orientierende Messungen des LUA Fischwanderweges zur Verfügung steht. gehen bis zum Jahr 1983 zurück. Die Untersuchungen umfassen in-situ-Messungen Schutz der Verlandungszonen und Laborbestimmungen (Tab. 2). Bereits 1990 konnte in Einzelabsprachen mit den im Umfeld der Gewässer Bienener Altrhein und Rosau Wasserbeschaffenheit und Trophie wirtschaftenden Landwirten eine Einzäunung des An allen untersuchten Altgewässern unterliegen ver- Gewässers erreicht werden, um die Uferzonen vor schiedene Messgrößen erheblichen jahreszeitlichen Viehtritt zu schützen und den Eintrag von Schwankungen (Tab. 2). Diese dürften zum einen Nährstoffen in das Gewässer durch Schaffung von auf den Einfluss von Hochwässern und Zuflüssen Pufferzonen zu vermindern. 1992 konnte dies über sowie Stoffeinträgen aus dem landwirtschaftlich weite Strecken des Ufers am Grietherorter Altrhein genutzten Einzugsgebiet, zum anderen auf enge ebenfalls umgesetzt werden. Wechselwirkungen des Wasserkörpers mit dem schlammigen Sediment zurückzuführen sein. Alle Gewässer zeichnen sich durch hohe Gesamtphos- phorgehalte aus, deren Maxima stets > 200 µg/l be- tragen. Der hohe Nährstoffgehalt begünstigt eine starke Primärproduktion, die sich im Bienener Altrhein sowohl durch dichten Bewuchs von See- und Teichrosen als auch wie in den anderen Gewässern durch starke Phytoplanktonentwicklung äußert. Aufgrund der photosynthetischen Aktivität der Pflanzen treten Sauerstoffübersättigungen bis zu 280 % auf, infolge von Zehrungsvorgängen geht der Sauerstoffgehalt zeitweilig bis auf 6 – 7 mg/l Abb. 7: Der Bienener Altrhein – einer der letzten zurück und übertrifft dann nur knapp die für Fische naturnah erhaltenen Altgewässer am kritische Konzentration. Die pH-Maxima der gut Unteren Niederrhein – vor der Auszäunung gepufferten Gewässer liegen alle im schwach alkali- der Ufer 1990. schen Bereich.

74 noch keinedeutlichenResultate, wennauchim rückhalt dienendenMaßnahmenerzieltenbisher als polytropheingestuft werden.DiedemNährstoff- (Abb. 9). Auch diesesGewässermussnachwievor von JahrzuerheblichenSchwankungen Konzentrationen ab.BeideKenngrößenunterliegen wicklung derGesamtphosphat-undChlorophyll- net sichkeinedeutliche Tendenz beiderEnt- gische Messungenseit1985vor. Insgesamtzeich- Vom derzeit polytrophen(Gewässersniederschlagen. Maßnahmen ineinemniedrigeren Trophiegrad des bleibt abzuwarten,obundwannsichdiegetroffenen Meer Die Gesamtphosphat-P-Konzentrationim b.9 SommermittelwertederGesamtphosphat- Abb. 9: SommermittelwertederGesamtphosphat- Abb. 8: 100 150 200 250 300 350 400 450 500 100 150 200 250 300 350 400 450 500 µg/l µg/l 50 50 0 0 9518 9818 9019 9219 9419 9619 981999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1986 1985 Bienener Altrhein ist inzwischenrückläufig(Abb.8),jedoch 9519 9719 1999 1998 1997 1996 1995 Bienener Altrhein undChlorophylla-Konzentrationenim P Millinger Meer. P- undChlorophylla-Konzentrationenim liegen regelmäßigelimnolo- TP-S (µg/l) TP-S TP-S (µg/l) TP-S Chloro (µg/l) Chloro Chloro (µg/l) Chloro Millinger wasserzuflusses. sehr hohenWasserstandes undverstärktenGrund- den, wahrscheinlicheineFolgedesindiesemJahr konnte 1999erstmalsalspolytrophklassifiziertwer- vergangenen Jahrenstets hypertropheGewässer daher vomRheindeutlichbeeinflusst.Dasinden weitgehend andenHauptstrom angebundenund liche Abnahme der Trophie erreichtwerden. Rheinstrom durchlokaleMaßnahmen keinewesent- wegen derhäufigenBeeinflussung durchden Beim hypertrophenGrietherorter Altrhein kann werden. weiter verschlechterthat,kannalsErfolggewertet Gewässerzustand nichtwieinder Vergangenheit Aber alleinschondie Tatsache, dasssichder phen Altwässer nichtwesentlich vermindertwerden. der vomRheinstromabgekoppelten,derzeitpolytro- lichen Zustand hocheutrophsind,kann die Trophie wider. DadieGewässer selbstimpotenziellnatür- zögernd ineinertendenziellen Abnahme der Trophie spiegeln sichdieseMaßnahmenbishernursehr Einzugsgebiet zwarreduziertwerden,jedoch und dieExtensivierungvonNutzungenimengeren verminderte Abwassereinleitung (MillingerMeer) Der Nährstoffeintrag indieGewässerkonnte durch die Limnofaunadeutlich. Sommer verbessertendieLebensbedingungenfür hältnisse undeinhöhererMindestwasserstand im zögert werde.DiegünstigerenSauerstoffver- Altrheins konntedierascheVerlandung deutlichver- Durch diepartielle Entschlammung desBienener Meer undHurlerMeer“umzusetzen. Zustandes desNSG„Bienener Altrhein, Millinger ge MaßnahmenzurVerbesserung desökologischen In denvergangenenJahrenistesgelungen,wichti- Bewertung derMaßnahmen Der Gewässer wurde1999alseutropheingestuft. den konnten.Dasehemalseutrophebispolytrophe Maßnahmen zumNährstoffrückhalt umgesetztwer- Uferbereiche imEinzugsgebietnochkeineweiteren gigen Flächenextensivierungenund Auszäunen der Abnahme der Trophie, obwohlhieraußergeringfü- Am Werte aufwiesen. Chlorophyll adieniedrigstenbishergemessenen Jahr 1999dieSichttiefeundKonzentrationvon Grietherorter Altrhein Altarm Rosau zeigt sichtendenzielleine ist auchheutenoch 75

3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Tab. 2: Ergebnisse der hydrochemischen Untersuchungen von 1999

Millinger Meer Bienener Altrhein Rosau Grietherorther Altrhein Min. Max. Min. Max. Min. Max. Min. Max. Sauerstoff-Konz. (mg/l) 6,7 13,8 6,5 13,4 6,7 15 6 23,9 Sauerstoff-Sättigung (%) 74 173 73 122 75 136 64 277 Leitfähigkeit (mS/m) 49,0 67,5 56,4 68,2 63,6 73,1 48,4 69,2 pH 8,07 8,72 8,01 8,59 7,73 8,75 7,8 8,15 Stickstoff (N), ges. (mg/l) < 1 2,2 < 1 2,6 < 1 2,3 1,2 4,7 Ammonium-N (mg/l) < 0,1 0,55 < 0,1 0,5 < 0,1 0,44 < 0,1 0,38 Nitrit-N (mg/l) < 0,05 0,06 < 0,05 0,06 < 0,05 0,08 < 0,05 0,11 Nitrat-N (mg/l) < 0,03 2,3 < 0,03 2,02 < 0,03 1,75 0,27 3,06 Phosphat-P,ges. (mg/l) 0,048 0,286 0,1 0,34 0,063 0,243 0,094 0,219

SiO2 (mg/l) 0,25 13,8 0,16 11,7 0,04 17,4 1,33 10,9 Chlorid (mg/l) 21 41 39 45 33 45 36 52 Sulfat (mg/l) 54 98 29 61 40 102 29 67 Hydrogenkarbonat (mg/l) 172 246 162 304 245 309 143 298 Calcium (mg/l) 61 110 66 110 94 130 62 120 Magnesium (mg/l) 9,8 12 10 15 12 18 9,2 15 DOC (mg/l) 3,1 5,1 3,3 6,9 2,8 5,7 2,4 8,9 TOC (mg/l) 4,0 8,8 4,9 16 3,4 8,6 2,8 9,2 Chlorophyll a (µg/l) 2 97 6 127 7 81 2 65

Begleitende Maßnahmen wie die Einstellung der Literatur Fischerei und der Schutz der Uferzonen trugen zu DVWK (Deutscher Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau) einer Aufwertung des Naturschutzgebietes bei. (1991): Ökologische Aspekte zu Altgewässern. - Merkblatt 219. Ziel künftiger Bemühungen muss es sein, die ESSER, G. (1986): Die Auswirkung der Entschlammung des Bienener Altrheins auf das Makrozoobenthos. - Diplomarbeit Gewässer im NSG von weiteren nachteiligen Ein- Zool. Inst.Univ.Köln. flüssen zu entlasten. Dazu zählen vor allem HOPPE, C. (1970): Die großen Flußverlagerungen des Niederrheins in den letzten zweitausend Jahren und ihre â Verzicht der Bewirtschaftung bis an den Rand Auswirkungen auf Lage und Entwicklung der Siedlungen. - Forsch. dt. Landeskde. 189, 88 S., Bonn-Bad Godesberg. der wasserführenden Gräben im Einzugsgebiet KURECK, A. (1991): Die Limnologie des Bienener Altrheins. - Natur â Verzicht des Aufbringens von Gülle und minera- und Landschaft 66, H3, S. 137 - 141. LANGE, F.-G. (1978): Die Geschichte einer Stromschlinge des lischem Dünger auf private landwirtschaftliche Rheins zwischen Rees und Emmerich. - Fortschr. Geol. Flächen im NSG Rheinld. u. Westf. 28, 457-475. LAWA (LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER) (1998): Gewässer- â Umsetzung des Ackerrandstreifenprogramms bewertung – stehende Gewässer. – Vorläufige Richtlinie für eine Erstbewertung von natürlich entstandenen Seen nach entlang des gesamten Gewässersystems trophischen Kriterien. Kulturbuch-Verlag, Berlin, 74 S. â NATURSCHUTZZENTRUM IM KREIS KLEVE E.V. (1997): Projektbericht Extensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung zur Betreuung des NSG "Bienener Altrhein, Millinger Meer im Deichvorland, insbesondere Umwandlung und Hurler Meer". - Unveröffentlicht - 63 S. von Acker- in Grünland und Düngeverbot vor NEUMANN, D. (1991): 20 Jahre ökologische Forschungen in einer niederrheinischen Auenlandschaft. - Natur und Landschaft Hochwasserereignissen. 66, H3, S. 135-136. ÖKOLOGISCHE STATION REES (1995): Jahresbericht 1995. - Es ist zu hoffen, dass langfristig zumindest der „gute Unveröffentlicht - 133 S. ökologische Zustand“ gemäß der Europäischen SEREDSZUS, F. (1994): Die Limnologie des Bienener Altrheins Wasserrahmenrichtlinie erreicht werden kann. - Ein Jahrzehnt nach der Entschlammungsmaßnahme. - Diplomarbeit Zool.Inst. Univ. Köln.

76 Aktionsprogramm Rhein

3.2.1.3 Aktionsprogramm Rhein Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA)

Am 1. November 1986 ereignete sich ein folgen- einen langen Atem, aber das Projekt ist auf gutem schwerer Brand in einem Chemiewerk in Basel, das Wege und wird inzwischen auch als Lachspro- im Oberrhein zu erheblichem Fischsterben und der gramm NRW an weiteren Gewässern durchgeführt Vernichtung der niederen Tiere führte. Selbst in der (s. Kap. 3.1.4). Rheinmessstation Bad Honnef haben die Wasser- Die im Aktionsprogramm Rhein festgelegten Maß- flöhe im Daphnientest den Durchgang der Giftwelle nahmen zielen auf noch angezeigt. Dieses Ereignis war der Anlass, die bestehenden Aktivitäten zur Verbesserung der öko- • die beschleunigte Reduzierung der ständigen logischen Qualität des Rheins zu verstärken. Belastung aus direkten sowie diffusen Ein- leitungen, Die Minister der Rheinanliegerstaaten beauftragten daraufhin am 19. Dezember 1986 die Internationale • eine Verringerung der störfallbedingten Ge- Kommission zum Schutze des Rheins (IKSR) mit fährdung und der Ausarbeitung eines Programms zur ökologi- • eine Verbesserung der hydrologischen, biolo- schen Verbesserung des Stromes. Daraus resultier- gischen und morphologischen Verhältnisse. te das 1987 auf der 8. Rheinministerkonferenz

beschlossene Aktionsprogramm Rhein, auch Pro- Im Abstand von fünf Jahren wird in einem großen, 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens gramm „Lachs 2000“ genannt. internationalen Messprogramm der Rhein chemisch und biologisch intensiv untersucht. Nach 1995 läuft Hauptziele des bis zum Jahr 2000 ausgelegten z. Zt. das Messprogramm 2000, das durch seine ganzheitlichen Programmes sind: Internationalität auch ein Beitrag zur europaweiten • die Rückkehr und das Leben höherer Fischarten Harmonisierung des Gewässerschutzes ist. im Rhein zu ermöglichen, Schon 1990 wurde neben den allgemein eingeführ- • die Gewährleistung einer weiteren Nutzung des ten Untersuchungen der Makrozoen am Ufer und Rheins zur Trinkwasserversorgung und der Sohle auch die Untersuchung des Planktons, • die Verringerung der Schadstoffbelastung im der im Wasser schwebenden Algen und niederen Sediment, um dieses unbesorgt an Land auf- Tiere, in das biologische Messprogramm aufgenom- bringen zu können. men. Diese damals nicht unumstrittene Erweiterung des Messprogramms erweist sich jetzt als voraus- Eines der Hauptziele ist die Wiederbegründung schauend richtig im Hinblick auf die künftigen eines sich selbst erhaltenden Lachsbestandes im Anforderungen an die biologischen Untersuchungen Rhein. Damit wurde ein weit über die Verbesserung im Rahmen des Vollzugs der EU-Wasserrahmen- der Wasserbeschaffenheit hinausgehendes Pro- richtlinie. Hierdurch wurde nicht nur ein Beitrag gramm auf den Weg gebracht. Der Lachs legt seine geleistet zum besseren Verständnis des Öko- Eier in sauberen, kleinen Nebengewässern des systems Rhein, es war auch ein Baustein für die Stroms ab. Dort entwickelt sich die Brut zu kleinen künftig immer wichtigere internationale Zusammen- Fischen, die ins Meer wandern, von wo sie nach arbeit und Arbeitsteilung im grenzüberschreitenden 2 bis 3 Jahren an den Platz zurückkehren, von Gewässerschutz. Jetzt und künftig werden die Aus- dem sie ins Meer abgewandert sind. Programm wertungen der biologischen Befunde direkt inter- „Lachs 2000“ bedeutet also auch, das Stromgebiet national für den gesamten Rhein vorgenommen. bis in die keinen Zuflüsse hinein biologisch durch- gängig zu machen. Die Fischökologen der Landes- Aktuell wird darüber hinaus an der Erstellung eines anstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten/ Biotopverbundes vom Bodensee bis Rotterdam Landesamt für Agrarordnung NRW (LÖBF) haben gearbeitet, um auch in der amphibischen Zone und das Sieg-System als am besten geeignet befunden, in der Aue des Rheins zumindest über Trittsteine um dort eine Lachspopulation aufzubauen und den Verbund von Biotopen und Biozönosen zu er- dabei schon gute Erfolge erzielt. Natürlich braucht reichen. Das ist sicher der ehrgeizigste Teil des die Wiederansiedlung eines Langdistanzfisches Projektes, denn hier wird Ernst gemacht mit dem

77 Versuch, dem Fluss seine Aue so weit wie möglich Maßnahmen im Einzugsgebiet. Deshalb sind im wiederzugeben. Sicherer Hochwasserschutz sowie Programm zur nachhaltigen Entwicklung des die Verbesserung des ökologischen Zustands durch Rheins bis zum Jahre 2020 natürlich auch für die die Wiederherstellung sich naturnahe entwickelnder Nebengewässer des Rheins Aktivitäten erforderlich, Strukturen und Biozönosen nicht Wasser, in der zeit- die ihren Niederschlag in langfristigen Auenpro- weise überfluteten, amphibischen Zone und in der grammen finden müssen. Aue sind das Ziel. Dazu sollen die noch vorhande- Der nordrhein-westfälische Rheinabschnitt unter- nen naturnahen Biotope gesichert und im Zuge der liegt als Folge des Ausbaus als internationale weiteren Entwicklung miteinander verknüpft werden. Schifffahrtsstraße mit ihrem intensiven Verkehr und Interdisziplinäres Denken und Handeln sind bei der Einschnürung des Abflussbettes durch fluss- solchen Aktionen besonders notwendig und es wird nahe Deiche einer starken Tiefenerosion. Sie ist eine der vornehmsten Aufgaben der Biologen sein, natürlich auch ein Problem für die Ökologie der in diesem Prozess ihre Expertise einzubringen. Flusslandschaft, denn mit der niedrigeren Wasser- spiegellage im Hauptstrom werden die natürlichen Konkret wird zur Zeit die Strukturgüte des Rheins Altgewässer der Aue mehr und mehr vom Fluss federführend vom LUA bearbeitet, für die Erstellung abgeschnitten und verlanden in rasantem Tempo, der Biotoptypenkarte ist die LÖBF zuständig. Die zumal vielfach noch Nährstoffbelastungen aus dem Erstellung des Biotopverbundes wird dann wieder Einzugsgebiet hinzukommen, die mit der Förderung eine interdisziplinäre Aufgabe, weil dabei natürlich des Pflanzenwachstums diese Alterungser- maßgeblich auch noch Fragen des Hochwasser- scheinung noch verstärkt. Die Erosionsminderung schutzes zu integrieren sind. Hochwasserschutz am hat auch die IKSR in ihr Zukunftsprogramm aufge- Rhein bedeutet heutzutage schließlich, dass durch nommen. Es wird größter Anstrengungen von Bund das Wiederzulassen von Überschwemmung bisher und Land bedürfen, diese schwierige Aufgabe zu geschützter Flächen in der Rheinaue die Hoch- lösen und Aufgabe der Limnologen wird es sein, wasserspitzen bei extremen Abflüssen erniedrigt ihre Expertise in die Diskussion um den besten werden. So kann für die wirklich wichtigen Gebiete Lösungsweg einzubringen. höhere Sicherheit erreicht werden. Auch hierbei gilt in besonderem Maße die Erkenntnis, das Flüsse Fasst man die künftigen Aufgaben im Aktionsplan keine Grenzen kennen und der Schutz der Nordsee zusammen so ergibt sich, dass noch viele schwieri- in den Alpen beginnt. Die Notwendigkeit, entstehen- ge Aufgaben zu bewältigen sind, die nur im Verbund de Hochwässer teilweise im Einzugsgebiet zurück- aller fachlichen und administrativen Kompetenz halten zu müssen und die biologische Durchgängig- zu lösen sind. Das macht die Arbeit zugleich so keit zu gewährleisten erfordert natürlich auch interessant.

78 obere Sieg

3.2.2 Sieg

3.2.2.1 Erfolge der Gewässerüberwachung an der oberen Sieg

Joachim Reifenrath (StUA Siegen) & Ulrich Schmieds (StUA Hagen)

Die Sieg entspringt in 608 m ü. NN im Rothaarge- Für jede der sieben Gewässergüteklassen (vgl. birge als gefasste Quelle. Der Quellbereich ist weit- Kap. 2.1) gibt es sogenannte Indikatororganismen. gehend frei von anthropogener Beeinträchtigung Das Saprobiensystem beruht auf empirischen Frei- und liegt in einem Bereich ausschließlich forstwirt- landbeobachtungen über das bevorzugte Auftreten schaftlicher genutzter Waldflächen. Am Oberlauf dieser Indikatororganismen. Ihre art- und mengen- reduziert sich der Waldanteil auf ca. 60 %; die land- mäßige Zusammensetzung dokumentiert die ökolo- wirtschaftlich betriebenen Flächen dienen überwie- gischen Auswirkungen, insbesondere durch die gend der Grünlandnutzung im Nebenerwerb. Es Belastung mit organischen biologisch leicht abbau- herrscht ein von überwiegend westlichen Luftströ- baren Stoffen. mungen beeinflusstes Mittelgebirgsklima mit kalten Wie bereits in früheren Berichten ausgeführt, hat schneereichen Wintern mit einer Niederschlags- sich die Gewässergüte, dargestellt in Form von höhe von 1.090 mm/a vor. In den hochindustriali- Gewässergüteklassen (LAWA 1996), an der Sieg sierten und dichtbesiedelten Bereichen der Täler und auch an den Nebengewässern in den letzten sind die Gewässer aus Gründen des Hochwasser- Jahrzehnten erheblich verbessert. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens schutzes überwiegend technisch ausgebaut. Im Ein- zugsgebiet befinden sich 16 kommunale Kläranla- Der größte Teil der oberen Sieg kann in die Gewäs- gen, an die insgesamt 504.000 EW angeschlossen sergüteklasse II eingestuft werden und entspricht sind. Knapp 2/3 dieser Anlagen verfügen über eine damit den Vorgaben der Allgemeinen Güteanforde- 3. Reinigungsstufe. Die Indirekteinleiter sind den rung an Fließgewässer in NRW (AGA). Bereichen Metallverarbeitung und Brauerei zuzu- Die nachstehende Abbildung 1 soll die Entwicklung ordnen; die wenigen größeren Direkteinleiter kom- der biologischen Gewässergüte verdeutlichen: men aus dem Bereich der Metallverarbeitung. Im Bereich Netphen wird über eine Brunnengalerie S i e g Messstellen von li. nach re. in Fließrichtung Sieguferfiltrat zur Trinkwassergewinnung entnom- B i o l o g i s c h e G e w ä s s e r g ü t e k l a s s e n men. Mittels Überleitstollen speist die Sieg die Ober- 1975 I nautalsperre. I - II II Von den insgesamt über 100 Messstellen an Fließ- II - III III gewässern im Einzugsgebiet liegen 18 direkt an der III - IV IV Sieg. 1980 I I - II Die Messstellen „Siegquelle“ und „Sieg, an der Lan- II desgrenze“ sind 2 von insgesamt 4 sogenannten II - III III Trendmessstellen in Nordrhein-Westfalen (an der III - IV IV Sieg). Die Messstelle in Niederschelden ist ein Kon- 1998 I trollpunkt an der Landesgrenze zu Rheinland-Pfalz I - II und bzgl. des Bewirtschaftungsplans „Obere Sieg“. II II - III Die Siegquelle dient der Länderarbeitsgemeinschaft III III - IV Wasser der Bundesländer (LAWA) gleichzeitig als IV unbelastete Referenzmessstelle.

Die Darstellung der Gewässergüte verdeutlicht den SIEGQUELLE*) Zustand anhand des biologischen Besiedlungsbil- UH KA SIEGEN UH MDG ALCHE UH MDG NETPHE OH MDG NETPHE

des. Sie ist das Ergebnis biologisch-ökologischer UH NENKERSDORF OH WALPERSDORF UH MDG FERNDORF UH KA SI-WEIDENAU AM PEGEL NETPHEN AM PEGEL WEIDENAU UH MDG EISERNBACH OH MDG EISERNBACH UH DREISTIEFENBACH OH DREISTIEFENBACH UH MDG WERTHENBACH AN DER LANDESGRENZE Bestandsaufnahmen auf der Grundlage des Sapro- OH MDG WERTHENBACH *) Messstelle unterhalb der Quelle biensystems. Hierbei werden wirbellose Tiere (Makroinvertebraten) sowie die Mikrofauna erfasst. Abb. 1: Entwicklung der Gewässergüte an der Sieg

79 In der Abbildung 2 sind die Taxazahlen der Die grundlegenden Verbesserungen der Gewässer- Makroinvertebraten in der Sieg oberhalb von Dreis- güte spiegeln sich in den Artenspektren wider. Tiefenbach sowie an der Landesgrenze und der Während in der Sieg oberhalb von Dreistiefen- Ferndorf vor Mündung in die Sieg dargestellt. Hier- bach vor 1991 die sauerstoffbedürftige Mützen- bei unberücksichtigt blieben jedoch Einzelfunde schnecke (Ancylus fluviatilis) nur vereinzelt festzu- bestimmter Organismen Spongillidae (Süßwasser- stellen war, ist sie seitdem fester Bestandteil der schwämme), Hydrozoa (Nesseltiere), Megaloptera- Biozönose. Gleiches gilt für die Eintagsfliegenlarve Larven (Schlammfliegen), sowie systematisch nicht Ecdyonurus venosus und die Steinfliegenlarve näher bestimmbare Gruppen wie Oligochaeta Leuctra geniculata. Auffällig ist, dass bei den Unter- (Wenigborster) und Hydracarina (Süßwasser- suchungen in den Jahren 1990 und 1992 keine Ein- milben) sowie letztlich auch eher zufällig erfasste tagsfliegenlarven gefunden wurden. Insgesamt Fische (Cottus gobio, Mühlkoppe). gesehen bewegt sich ab 1993 die Taxazahl in der

Sieg oh Dreis-Tiefenbach 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Sieg an der Landesgrenze 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Ferndorf vor Mdg. in die Sieg 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

M OLLUSCA ( Weichtiere: Schnecken ) HIRUDINEA ( Egel ) CRUSTACEA ( Krebse ) EPHEM EROPTERA ( Eintagsfliegen )

PLECOPTERA ( Steinfliegen ) COLEOPTERA ( Käfer ) TRICHOPTERA (Köcherfliegen ) DIPTERA ( Zweiflügler: Schlammfliegen, M ücken )

Abb. 2: Taxazahlen der Makroinvertebraten an ausgesuchten Messstellen an Ferndorf und Sieg (1982 – 1998)

80 Sieg oberhalb von Dreistiefenbach auf gutem zu erreichende Güte wurde damals nach den Min- Niveau. destgüteanforderungen für Fließgewässer (MGA), aufbauend auf dem Saprobienindex, mit der Gewäs- 1998 wurde die Untersuchungsstelle Sieg an der sergüteklasse II – III definiert. Landesgrenze aufgrund der hydrobiologischen Befunde erstmalig in die Güteklasse II eingestuft. Die Hauptnutzungsarten (HNA) dieses Bewirtschaf- Die sich kontinuierlich verbessernde Belastungs- tungsplanes sind nach der Verfügung des Regie- situation des Flusses ist an den seit 1993 deutlich rungspräsidenten Arnsberg vom 21.05.84: erhöhten Taxazahlen ablesbar. Bereits 1997 war das Artenspektrum als gut zu bezeichnen, 1998 ý Indirekte Trinkwasserentnahme wurden einige zusätzliche Arten erstmalig nachge- ý Betriebswasserentnahme wiesen. Im einzelnen sind folgende Aspekte hervor- zuheben: Das Abwasserbakterium Sphaerotilus ý Ökologische Ausgleichsfunktion natans, allgemein als Abwasserpilz bezeichnet, war ý Abwasserableitung 1998 erstmalig nicht mehr festzustellen. Wie ober- halb von Dreistiefenbach ist auch hier seit 1991 Als Realisierungsphase wurde der Zeitraum bis ein- regelmäßig Ancylus fluviatilis (Mützenschnecke) schließlich 1999 festgelegt und ein detailierter Zeit- anzutreffen. Erstmalig 1997 und auch 1998 wurde plan vorgegeben. Fast 250 Millionen Mark wurden der Bachflohkrebs Gammarus roeseli beobachtet, im Bereich Kläranlagenbau bzw. -sanierung aufge- eine Krebsart, die ebenfalls mit erheblich höheren wendet. Bis auf einige wenige kleinere Anlagen ent- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Abundanzen im rheinland-pfälzischen Abschnitt der sprechen alle Kläranlagen heute dem Stand der Sieg festgestellt wurde. Technik. Der überwiegende Teil der Kläranlagen hält Die Abundanz der Wasserassel (Asellus aquaticus), darüber hinaus noch niedrigere Werte gegenüber ein Indikator für eine starke Verschmutzung, scheint Anhang 1 der Abwasserverordnung ein. Veraltete hingegen kontinuierlich zurückzugehen. In den Regenüberläufe wurden beseitigt und durch Regen- Jahren 1988 bis 1989 wurde ein massenhaftes Vor- überlaufbecken ersetzt. Der Ausbau des Kanalisa- kommen, ab 1993 lediglich eine „mittlere“ Häufigkeit tionsnetzes und der Niederschlagswasserbehand- festgestellt und 1998 war die Wasserassel nicht lung wurde vorangetrieben. nachzuweisen.

Weiterhin hervorzuheben sind die Funde der Ein- Tab. 1: Kläranlageninvestitionen tagsfliegenlarven Ecdyonurus torrentis (1998), Ecdyonurus venosus (1993, 1997, 1998), Epheme- Größen- Ausbau- Investitions- Landes- Umbau rella ignita (1994, 1998) sowie der Steinfliegenlarve Kläranlage klasse größe summe förderung [EW] [Mio. DM] [Mio. DM] Leuctra geniculata (1998). Freudenberg 4 26.500 17,90 0,00 92-95 Noch nicht zufriedenstellend ist die gering ausge- Freudenberg- prägte Benthosbiozönose in der Ferndorf vor der Lindenberg 2 3.000 2,20 0,00 92-94 Mündung in die Sieg. Das Artenspektrum, das Hilchenbach- Ferndorftal 4 40.000 24,00 6,20 91-94 lediglich aus wenigen Makroorganismen-Taxa besteht, lässt eine gesicherte saprobiologische Ein- Kreuztal 5 140.000 64,50 2,70 92-96 stufung noch nicht zu. Mit Hilfe der Untersuchung Kreuztal- Büschhütten 4 20.000 0,20 0,00 91 des Mikrobenthos ist dieser Gewässerabschnitt Siegen 5 175.000 70,00 15,84 90-94 noch als kritisch belastet zu klassifizieren. Siegen- Zu der allgemein positiven Entwicklung hat der im Weidenau 4 75.000 53,00 9,92 90-94 Jahre 1980 aufgestellte Bewirtschaftungsplan für Wilnsdorf- Weisstal 4 16.000 8,20 4,80 89-93 die obere Sieg und die Ferndorf beigetragen. Die Vorplanung und das Verwaltungsverfahren zur Auf- Wilnsdorf- Rinsdorf 3 8.500 9,50 0,00 94-96 stellung war im Jahre 1989 abgeschlossen. Summe 249,50 39,46 Die allgemeine Zielsetzung war eine Verbesserung der Gewässergüte der betreffenden Gewässer. Die Anm.: Die Landesförderung wurde 1992 eingestellt

81 Die Verbesserung der saprobiologischen Situation niumstickstoffgehalt (NH4-N), der Sauerstoffgehalt kann man auch anhand einiger wichtiger physika- der Gesamtkohlenstoffgehalt (TOC) und der lisch-chemischer Parameter wie z.B. den Stickstoff- Gesamtphosphorgehalt (Gesamt-P) grafisch darge- parametern, dem Chemischen Sauerstoffbedarf stellt (Abb. 3 – 6). Die Einzeldaten sind zu soge- (CSB), dem Gesamtkohlenstoffgehalt (TOC) und nannten Perzentilen zusammengefasst, damit auch dem Sauerstoffgehalt, verfolgen. Nachstehend sind überdurchschnittliche Belastungssituationen be- für die Trendmessstelle Niederschelden der Ammo- rücksichtigt werden.

11,2 8 10 AGA MGA AGA chem. Güteklasse(LAWA) 7 9 8 6 7 5 6 4 5

3 4 90-Perzentil (mg/l) 3 2 2 1 1 0 0 67-69 70-79 80-89 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Jahre Jahre Abb. 3: Ammoniumstickstoffgehalte Abb. 5: TOC-Gehalte Sieg an der Landesgrenze in Sieg an der Landesgrenze in Siegen-Niederschelden Siegen-Niederschelden

4,3 10 2 MGA AGA MGA AGA 9 1,8 8 1,6 7 1,4 6 1,2 5 1 4 0,8

10-Perzentil (mg/l) 3 0,6 2 0,4 1 0,2 0 0 67-69 70-79 80-89 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 79-89 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Jahre Jahre

Abb. 4: Sauerstoffgehalte Abb. 6: Gesamt-P-Gehalte Sieg an der Landesgrenze in Sieg an der Landesgrenze in Siegen-Niederschelden Siegen-Niederschelden

82 Abb. 7:Pegelhaus mit Gewässergütemessstation Abb. 8: Innenansicht der vom Labor in Hagen be- an der Sieg an der Landesgrenze zu Rhein- treuten Gütemessstation an der Landes- land-Pfalz in Siegen-Niederschelden grenze zu Rheinland-Pfalz in Siegen- Niederschelden

An der Trendmessstelle in Niederschelden befindet der Gewässergüteüberwachung erkannt und ent- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens sich, im Pegelhaus untergebracht, eine Messstation sprechende Maßnahmen bereits geplant oder ein- (Abb. 7 und 8) mit On-Line-Messungen für einige geleitet. Zur Zeit wird auch die Strukturgüte der chemisch-physikalische Parameter, die über Fern- Gewässer nach einem neuen Verfahren erfasst. abfrage ständig verfügbar sind. Dort sind die Mög- Hieraus sind Maßnahmen zur naturnahen Gestal- lichkeiten der kontinuierlichen Messung für pH-Wert, tung der Gewässer ableitbar. Leitfähigkeit, Sauerstoffgehalt, Trübung und Ammo- Erst die Kombination dieser Maßnahmen gewähr- niumstickstoff (Auswertung s. Kap. 3.1.1) gegeben. leistet eine dauerhafte gesamtökologische Ein- Noch bestehende Probleme bei der Abwasserreini- stufung der Fließgewässer der oberen Sieg in die gung und Regenwasserbeseitigung sind aufgrund Güteklasse II.

83 untere Sieg

3.2.2.2 Die Gewässergüteentwicklung der unteren Sieg Dr. Georg Gellert (StUA Köln)

Die Sieg entspringt 608 m über dem Meeresspiegel (bis zur Ortslage Siegburg) pendelte die Gewässer- im Rothaargebirge, durchfließt das Bergisch-Sauer- güte zwischen Güteklasse II-III und III. Ab Siegburg ländische Gebirge in westlicher Richtung und mün- bis zur Mündung in den Rhein herrschte durchge- det nach einer Strecke von ca. 146 km bei Bonn in hend Güteklasse III vor, verursacht durch Abwässer den Rhein, 48 m über dem Meeresspiegel. der ehemaligen Phrix-Werke und der Kläranlage Siegburg, die in noch weitgehend ungereinigtem In zahlreichen Mäandern hat sich die Sieg im Mittel- Zustand über den Siegburger Mühlengraben der lauf in das Rheinische Schiefergebirge eingegra- Sieg zuflossen. Die Abwässer wirkten sich so nach- ben. Während die Gleithänge eine sanfte Neigung haltig aus, dass es unterhalb der Einleitstellen zu aufweisen, ragen die Prallhänge steil aus dem einem üppigen Abwasserpilzbesatz (Sphaerotilus Flussufer hervor. Eine große Breitenausdehnung natans) gekommen war. In der Siegmündung erfährt die Sieg im Unterlauf in der Köln-Bonner wurden Gehalte an Ammonium-N von 6,4 mg/l und Rheinebene, nachdem sie das Schiefergebirge ver- an Gesamtphosphat-P von 4,8 mg/l festgestellt. lassen hat. Seit 1980 hatten sich die Güteverhältnisse sichtlich verbessert. Die Sieg befand sich nun überwiegend zwischen Güteklasse II und II-III. Weiterhin stark verschmutzt (Güteklasse III), wenn auch auf einer weit kleineren Fließstrecke als noch 1971, zeigte sich der Bereich der Sieg wiederum an der Landesgrenze in Windeck-Au. Die Gründe hierfür lagen in den Einleitungen von Abwässern der Spanplattenfabrik in Etzbach und von häuslichen Abwässern. Auch in Eitorf-Oberauel lag noch Güte- klasse III vor, die auf den Ablauf der Kläranlage Eitorf zurückzuführen war.

Im Jahr 1997 zeigten sich weitere Verbesserungen der Gewässergüte. Die Sieg befand sich nun über- Abb. 1: Die Sieg am Blankenberger Bogen wiegend in einem mäßig belasteten Zustand (Güteklasse II). Bedingt durch eine geringe tierische Besiedlung wurden zwei kleinere Abschnitte noch Die Gewässergüte der Sieg hat sich zwischen 1971 als kritisch belastet (Güteklasse II-III) eingestuft. und 1997 stark verbessert. Im Jahre 1971 erreichte Einige Abschnitte waren zum Untersuchungszeit- kein Gewässerabschnitt Gewässergüteklasse II punkt sogar gering belastet (Güteklasse I-II). (Abb. 2). An der Landesgrenze zwischen Nord- Besonders genannt werden müssen die Ergebnisse rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, in Windeck- der chemischen Untersuchungen bezüglich der Am- Au, war sie stark verschmutzt (Güteklasse III). Dort moniumkonzentration (eine Kenngröße, die organi- betrug der Ammonium-N-Wert 2,9 mg/l und die sche Belastungen anzeigt). An keiner Messstelle Gesamtphosphat-P-Konzentration 6,3 mg/l. Diese überstieg der Analysenwert 0,2 mg/l. Güteeinstufung änderte sich flussabwärts bis Windeck-Herchen nicht. Entscheidend beeinflusst Die Entwicklung der Güteverhältnisse war in erster wurde die Sieg in diesem Abschnitt durch Abwässer Linie durch den Ausbau von Kläranlagen möglich. einer in Etzbach (Rheinland-Pfalz) liegenden Span- Vor 1970 gab es nur mechanische Tropfkörperan- plattenfabrik, desweiteren durch die ehemaligen lagen wie in Windeck-Schladern, Windeck-Datten- Elmores Werke (eine Kupferkabelfabrik) in Wind- feld, Windeck-Herchen, Eitorf, Siegburg-Zange, eck-Schladern und durch ungenügend gereinigtes Troisdorf, St. Augustin-Menden und Hennef-Buis- kommunales Abwasser. Im weiteren Fließverlauf dorf. Zwischen 1971 und 1980 löste das Belebungs-

84 1971

1980

1997 km 5 km 50 km 40 km 10 km 15 km 25 km 30 km 65 km 45 km 70 km 55 km 60 km 20 km 35 Mündung Mündung Siegburg Hennef Eitorf Schladern Au Windeck - Landesgrenze Rheinland-Pfalz Sieg

Gewässergüteklassen

I I-II II II-III III III-IV IV 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Abb. 2: Entwicklung der Gewässergüte der Sieg von 1971 bis 1997

verfahren die Tropfkörpermethode ab. Dies bedeu- Zwischen 1991 und heute wurde eine weitere tete einen technologischen Fortschritt. Zum ersten Erhöhung des Anschlussgrades erreicht und der mal wurden die Konzentrationen bestimmter Ver- Ausbau von Kläranlagen ging weiter. Der Schwer- schmutzungsparameter wie der CSB (Chemischer punkt der Abwasserbehandlung lag nun auf dem Sauerstoffbedarf) und der BSB (Biologischer Ammoniumabbau und auf der Eliminierung der Sauerstoffbedarf) im Ablauf begrenzt. Dies betraf Pflanzennährstoffe Stickstoff und Phosphat. die Kläranlagen in Windeck-Rosbach, in Eitorf, in Von Kläranlagen, die für mindestens 5.000 Einwoh- St-Augustin-Menden und in Troisdorf. Auch der ner ausgelegt waren, wurde eine Denitrifikation Neubau der Kläranlage in Windeck-Rosbach und gefordert und bei Kläranlagen für mindestens der Wegfall der Kläranlage in Siegburg-Zange wirk- 10.000 Einwohnern zusätzlich noch eine Phosphat- te sich positiv aus. Damit verbunden war auch eine Elimination. Dadurch konnte die Stickstoff- und Erhöhung des Anschlussgrades von Haushalten an Phosphatfracht weiter begrenzt werden. Davon die Kanalisation und die Beseitigung von sogenann- betroffen waren die Kläranlagen in Windeck-Au, ten „Bürgermeisterkanälen“. Zwischen 1981 und Windeck-Rosbach, Windeck-Dattenfeld, Windeck- 1990 wurden durch die Einführung des Abwasser- Herchen, Eitorf, Hennef und in Troisdorf. Durch abgabengesetzes weitere Verbesserungen der Ge- diese Ausbaumaßnahmen ging beispielsweise bei wässergüte erreicht. Bei Kläranlagen, die für mehr Ammonium-N die Fracht um 35 % und bei Phos- als 5.000 Einwohner ausgelegt waren, wurde eine phat-P um 30 % zurück. weitere Reinigungsstufe, die sogenannte Nitrifi- kation eingeführt. Die Elimination von Phosphat war Neben der Verbesserung der Wasserqualität wurde bei Kläranlagen vorgesehen, die für 20.000 Ein- seit 1987 auch eine Erhöhung der ökologischen wohner und mehr dimensioniert waren. Dies betraf Funktionsfähigkeit der Sieg erreicht. Dazu gehörte die Kläranlagen in Windeck-Au, in Windeck- die Wiederherstellung der linearen Durchgängigkeit. Schladern (beide neu errichtet), in Eitorf, in Hennef, So wurden vier Fischaufstiegsanlagen (in Siegburg- in Troisdorf und in Sankt Augustin-Menden. Die Buisdorf, in Eitorf-Unkelmühle, in Windeck-Datten- Kläranlage in Hennef-Buisdorf wurde in diesem feld und in Windeck-Schladern) für insgesamt Zeitraum stillgelegt. 4,25 Mio. DM errichtet. Die gleichzeitig begonnenen

85 Funktionskontrollen an diesen Anlagen wiesen über Verbesserung der Gewässerstruktur heisst, das 40 verschiedene wandernde Fischarten nach, wozu Gewässerbett, die Uferregionen und das über- auch die bekanntesten, wie der Lachs, die Meer- schwemmbare Umland möglichst in einen naturna- forelle und das Meerneunauge gehören. hen Zustand zu versetzen. Dazu soll dem Gewäs- ser, dort wo es möglich ist, soviel Raum gegeben Auf der Grundlage des 1995 fertiggestellten Sieg- werden, dass eigendynamische Entwicklungen ein- auenkonzepts ist es ein wichtiges Ziel, die Gewäs- setzen können. Dies ist verbunden mit Grunder- serstruktur der Sieg zu verbessern. Aufgrund der werb, Zulassen von Seitenerosionen und Hoch- unterschiedlichen rechtlichen Voraussetzungen sind wasserschäden am Gewässer. die vorgesehenen Maßnahmen vorerst auf die 75 km Fließstrecke in Nordrhein-Westfalen be- Ein anderer Aspekt im Zusammenhang mit der schränkt. Renaturierung von Sieg und Aue ist die Rückgewin- nung von Rückhalteräumen (überschwemmbare Flächen). Zwischen 1850 und heute sind von ursprünglich 3.400 ha Siegauenfläche rund 50 % verloren gegangen. Davon sind 33 % durch bauliche Maßnahmen für immer verloren. Bis zum Jahre 2025 soll der Flächenanteil, der bei Hochwasser überschwemmt werden kann, von jetzt 50 % auf 67 % erhöht werden (STÄDTLER 1997).

Literatur

STÄDTLER, E. (1997): Das Gewässerauenkonzep Sieg. Wasser & Boden 49, 35-38.

Abb. 3: Siegaue in Hennef-Blankenberg

86 Agger

3.2.2.3 Gewässergüte und ökologischer Zustand der Agger Dr. Georg Gellert (StUA Köln)

Die Agger ist das bedeutendste Nebengewässer der terung der Güteverhältnisse ein (Güteklasse III-IV). Sieg. Sie mündet bei Troisdorf nach einer Lauflänge Die Ammoniumkonzentration lag um 3,5 mg/l von 74 km in die Sieg. Gewässergüte und -struktur und der Gesamtphosphat-P-Gehalt um 2,5 mg/l. Es der Agger sind von der Quelle bis zur Mündung kam zu Ablagerungen grauen noch gasenden durch intensive städtebauliche, industrielle und Schlammes. Der Wasserkörper war intensiv grau landwirtschaftliche Nutzung gekennzeichnet. gefärbt, sehr stark getrübt und auf der Oberfläche befanden sich fettartige Schlieren. Auch die tieri- Auch in der Agger konnte in den letzten 30 Jahren sche Besiedlung fügte sich in diesen Rahmen. Es ein Rückgang des Eintrages von gewässerschäd- kam in diesem Bereich zu einer Massenentwicklung lichen Stoffen gemessen werden. 1971 lag eine des Schlammröhrenwurmes. Ab Gummersbach- erhebliche organische Belastung (Güteklasse III) Niederseßmar trat eine Verbesserung der Gütever- bereits im Oberlauf bis zur Mündung in die hältnisse ein. Aber nur zwischen Gummersbach- Aggertalsperre vor (Abb. 1). Zwar war dort das Vollmerhausen und Engelskirchen-Wiehlmünden ganze Spektrum der für die verschiedenen lagen akzeptable Verhältnisse von Güteklasse II vor. Gütestufen bekannten Indikatorarten vertreten, das Weiter bachabwärts verschlechterten sich die Güte- Schwergewicht lag jedoch eindeutig bei den verhältnisse zunächst wieder auf Güteklasse III, 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Schmutzwasseranzeigern wie bei den Larven der in Engelskirchen-Loope, bedingt durch die Ein- roten Zuckmücke (Chironomus thummi) und bei den mündung des sehr stark verschmutzten Loope- Schlammröhrenwürmern (Tubificidae). Ab der Tal- baches, sogar auf Güteklasse IV. Der Unterlauf der sperre flussabwärts war die Agger zunächst gering Agger bot wieder ein gleichförmigeres Bild. Das belastet (Güteklasse I-II). Aber bis zur Einmündung Wasser war schwach graubraun gefärbt und mäßig der Dörspe gelangten ungereinigte Abwässer von getrübt. Die Ablagerungen bestanden im allge- den Anliegern in die Agger mit der Folge, dass sich meinen aus Steinen und Schotter. Der Bestand die Güteklasse auf II-III verschlechterte. Bedingt an Makroorganismen war meist kümmerlich. Die durch die Verringerung der Fließgeschwindigkeit trat Ammonium-N-Gehalte pendelten zwischen 1 bis ab Derschlag eine weitere erhebliche Verschlech- 2 mg/l (Güteklasse II-III).

1971

1980

1998 km 15 km 65 km 10 km 60 km 5 km 50 km 55 km 40 km 70 km 74 km 35 km 20 km 30 km 25 km 45 Talsperre Mündung Overath Engelskirchen Lohmar Talsperre Quelle Dieringhausen Agger

Gewässergüteklassen

I I-II II II-III III III-IV IV Abb. 1: Entwicklung der Gewässergüte der Agger von 1971 bis 1998

87 Im Jahre 1980 zeigte sich die Agger insgesamt in dene Organismen der gesamte Lebensraum im einem verbesserten Zustand. Von der Verbesserung Kies-Lücken-System der Gewässersohle ver- profitierte vor allem der Oberlauf. Lediglich zwei loren. kleinere Fließabschnitte (in Osberghausen und in • Die vornehmlich an die feineren Fraktionen der Overath) waren noch stark verschmutzt (Güteklasse Sedimente gebundenen Schadstoffe (Schwer- III). Ansonsten wechselte die Gewässergüte im metalle, Agrarchemikalien) können unter be- Fließverlauf zwischen Güteklasse II und II-III. stimmten anaeroben Verhältnissen, die sich bei Dies ist auch auf den Ausbau der Kläranlagen einer längeren Aufenthaltszeit des Wassers im (Belebungsverfahren statt Tropfkörpermethode) in Stauraum ergeben, rückgelöst werden. Overath, Engelskirchen, Gummersbach-Krummen- ohl, Wiehl-Weiershagen, Lohmar-Donrath und • Infolge der vergrößerten Aufenthaltszeit des Troisdorf zurückzuführen. Wassers steigt die Wassertemperatur in gering durchströmten Staubereichen an. Bei Er- Im Jahre 1998 zeigte sich die Wasserqualität bezüg- wärmung des Wassers sinkt das Bindungsver- lich der chemischen Zusammensetzung weiter ver- mögen für Sauerstoff und infolge fehlender bessert. Die Agger kann nun als überwiegend mäßig Turbulenzen ist der Eintrag atmosphärischen belastet (Güteklasse II) angesehen werden. Im Sauerstoffs verringert, so dass Sauerstoffdefizite Oberlauf, bis zur Mündung in die Talsperre, war sie im Stauraum entstehen, die Fischsterben aus- nun sogar gering belastet (Güteklasse I-II). Lediglich lösen können. in Gummersbach-Krummenohl und unterhalb des Ablaufes der Kläranlage Gummersbach-Brunohl • Niedrige Fließgeschwindigkeiten begünstigen liegt, aufgrund der dortigen Zusammensetzung der auch die Entwicklung von Algen und Wasser- tierischen Lebensgemeinschaft, noch eine kritische pflanzen, was nicht selten Algenblüten oder Belastung vor (Güteklasse II-III). Auf dem neuesten Verkrautungen zur Folge hat. Die Photosyn- Stand der Abwasserreinigungstechnik liegen die theseleistung einer erhöhten Pflanzenmasse Kläranlagen Gummersbach-Brunohl, Engelskirchen- kann insbesondere bei starker Sonnenein- Ründeroth, Overath und Lohmar. strahlung zu einem erheblichen Anstieg des pH- Wertes und zu Sauerstoffübersättigung führen Trotz der bisher erzielten Fortschritte in der und birgt damit ebenfalls die Gefahr von Abwasserreinigung bleibt die Agger ein problemati- Fischsterben in sich. sches Gewässer. Sie und viele ihrer Zuflüsse sind Durch die Bauart der Staustufen wird die Durch- naturfern ausgebaut worden mit der Folge, dass • gängigkeit der Agger unterbrochen. Vor allem sich das Substrat besiedlungsunfreundlich für tieri- die Langdistanzwanderfische wie Lachs und sche Organismen gestaltet. Über weite Strecken Meerforelle sind von diesen Eingriffen betroffen. werden die Uferstreifen als Viehweide oder als land- Da diese Fische jedoch im Zuge des Aktions- wirtschaftliche Kulturflächen genutzt. Bei stärkeren programms Rhein der IKSR (Internationale Regenfällen muss mit dem Eintrag von Ackerboden Kommission zum Schutz des Rheins) und im (besonders beim Maisanbau ein Problem), von Wiedereinbürgerungsprogramm des Landes organischen (Gülle) und anorganischen Dünge- Nordrhein-Westfalen (Wanderfischprogramm mitteln (Düngersalze) und von Pestiziden in das 2010) in der Sieg wieder angesiedelt werden, ist Gewässer gerechnet werden. es erforderlich, auch für die Agger den Fisch- Ein besonderes Problem stellen die 6 Stauhaltun- wechsel in beide Richtungen sicherzustellen, gen dar. Derartige Anlagen haben negative ökolo- denn die Agger ist ein ehemals klassisches gische Folgen für das Gewässer, wie nachfolgend Laichgewässer dieser Fischarten und als beschrieben wird: solches zur Sicherung der Fischbestände unent- behrlich. • Im Staubereich erfährt das Gewässer eine Quer- schnittsvergrößerung, mit einer damit verbun- Der ökologische Zustand der Agger einschließlich denden Reduzierung der Fließgeschwindig- ihrer Aue soll daher gemäß den Zielen des Gewäs- keit. Infolgedessen sedimentieren dort ver- serschutz- und des -auenprogramms des Landes stärkt Feinsubstrate, die das Grobsubstrat über- Nordrhein-Westfalen verbessert werden. Durch auf- decken. Dadurch geht für viele substratgebun- einander abgestimmte Maßnahmen der Wasser-

88 wirtschaft, des Landschafts- und Naturschutzes, der und Tosbeckensohle zu überwinden muss sie eine Landwirtschaft sowie des Städtebaus soll die Agger Länge von 121 m aufweisen. Um das Trockenfallen eine umfassende ökologische Aufwertung erfahren. der Agger zwischen dem Absperrbauwerk und Dazu soll das Aggerauenkonzept, das derzeit vom dem Auslauf des Krafthauses auf einer Strecke von Aggerverband in Zusammenarbeit mit den be- 200 m zu verhindern, muss an der Wehranlage ein troffenen Fachdienststellen erarbeitet wird, die pla- Mindestabfluss von 300 l/s abgegeben werden. Der nerischen Grundlagen schaffen und die erforder- Stauraum ist seit der Inbetriebnahme zu 2/3 mit lichen Maßnahmen vorschlagen. Sediment gefüllt. Um dem Gefährdungspotenzial, das von Verfrachtungen der Sedimente in das Bei der Erarbeitung des für die Agger ursprünglich Unterwasser ausgehen kann, wirksam zu begeg- vorgesehenen Bewirtschaftungsplans und bei der nen, sollten sie im Hauptgerinne durch Baggerung Aufstellung des Aggerauenkonzepts wurde deutlich, entnommen werden. Angrenzende Ablagerungen dass vordringlich Maßnahmen an den Aggerstau- sollten mit Verbaumaßnahmen stabilisiert werden. stufen erforderlich werden, um deren Umweltver- träglichkeit zu erhöhen. In einer Studie (Agger- studie, Bonn, 1997 unveröffentlicht) hat das Staat- liche Umweltamt Köln Möglichkeiten zur Wiederher- stellung der Durchgängigkeit, zur Sicherstellung einer Mindestwasserführung in den Ausleitungs-

strecken und zur Sedimentstabilisierung oder -ent- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens nahme vorgeschlagen. Im folgenden werden die erforderliche Maßnahmen zusammenfassend be- schrieben:

Da an keiner der Staustufen eine Überwindung der Wehre möglich ist, folgt die Forderung, diese bau- lich so umzugestalten, dass die Wanderung der Fische und der im Fließgewässer lebenden wirbel- losen Tierarten möglich wird. Dazu sind Fischauf- Abb. 2: Das Aggerstauwehr Osberghausen stiegsanlagen notwendig, über die der erforderliche Die Staustufe Wiehlmünden (Abb. 3), errichtet Mindestabfluss sinnvollerweise in die Ausleitungs- 1930, liegt am Zusammenfluss von Agger und strecken geleitet werden kann. Wiehl. Der Bau einer Fischaufstiegsanlage ist nur Ein nachträglicher Einbau von Fischaufstiegsan- auf dem linken Ufer möglich. Diese muss aber mit lagen in eine Staustufe ist mit bautechnischen und einer Wassermenge von 500 l/s beschickt werden, rechtlichen Problemen behaftet, handelt es sich bei um eine ausreichende Leitströmung erzeugen zu den Stauanlagen doch meist um ältere Bauwerke, können. Bezüglich der Sedimentproblematik verhält die einerseits unter Denkmalschutz stehen, ande- es sich wie an der Stauanlage Osberghausen. rerseits aber einer regelmäßigen Anpassung an die Anforderungen der technischen Regelwerke be- dürfen. Auch die alten Wasserrechte sind von den geplanten Maßnahmen betroffen und bedürfen zweifellos einer Änderung.

Im folgenden werden die einzelnen Staustufen (Reihenfolge in Fließrichtung) aufgeführt und indivi- duelle Maßnahmen zur Verbesserung der ökologi- schen Funktionsfähigkeit aufgezeigt.

Die quellnächste Staustufe Osberghausen (Abb. 2) wurde 1956 errichtet. An der Wehranlage bietet sich der Bau einer Fischrampe mit einer Steigung 1:20 an. Um die Höhendifferenz zwischen Stauspiegel Abb. 3: Das Aggerstauwehr Wiehlmünden

89 Das Wasserkraftwerk Haus Ley (Abb. 4) wurde Zur Vermeidung von Verfrachtungen sollte der Ab- 1955 in Betrieb genommen. Die Stauhaltung hat flussquerschnitt durch Längsbauwerke innerhalb eine Länge von 800 m. Trotz des Höhenunter- des Stauraums eingeengt werden. schiedes von 7,2 m ist der Bau eines Umgehungs- Die 1932 errichtete Staustufe Ehreshoven besteht gerinnes mit einem Gefälle von 1:20, bevorzugt am aus zwei Anlagen, Ehreshoven I und Ehreshoven II, rechten Ufer, möglich. Aufgrund dieser Gegeben- die durch einen 1,2 km langen Triebwerkskanal mit- heiten wird das Gerinne eine Länge von 145 m auf- einander verbunden sind. Die Agger verläuft von der weisen. Stauhaltung Ehreshoven I, neben dem Triebwerks- kanal in ihrem ursprünglichen Bett bis ca. 50 m unterhalb von Ehreshoven II. Dort mündet der Kanal wieder in die Agger. Die Durchgängigkeit kann durch den Bau von Fischaufstiegsanlagen am Wehr von Ehreshoven I und an den Krafthäusern von Ehreshoven I und II erreicht werden. Damit wird den Fischen eine Wanderung sowohl über die Triebwerkskanäle als auch über die ursprüngliche Agger ermöglicht. Dafür muss im ehemaligen Aggerbett eine Mindestwassertiefe von 20 cm vor- liegen, erreichbar durch die Einengung des Fluss- bettes und einer Mindestwassermenge von 600 l/s. Am Wehr Ehreshoven I bietet sich der Bau einer Abb. 4: Das Aggerstauwehr Haus Ley Fischrampe an. An den Krafthäusern können die Umlaufkanäle zum Umbau als Fischaufstiegsan- lagen genutzt werden. Die in den Stauhaltungen Ein Mindestabfluss muss für dieses Kraftwerk nicht Ehreshoven I und II lagernden Sedimente sollten festgesetzt werden, da es im Hauptstrom liegt, das wegen ihrer hohen Schwermetallgehalte und wegen Wasser von der Staustufe also ohne Verzögerung in der Erosionsgefahr bei extremen Abflüssen durch das Gewässerbett abgegeben wird. Die Sediment- Ausbaggerungen entfernt werden. ablagerungen könnten nach einem Gutachten des Instituts für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH Aachen im Stauraum verbleiben, da die Literatur Ablagerungen im Normalbetrieb nicht nennenswert erodieren. Um Beeinträchtigungen der aquatischen StUA Köln (1997): Aggerstudie, unveröff. Lebensgemeinschaft bei Sedimentabgängen zu ver- meiden, soll der Zufluss ohne zeitliche Verzögerung bis zum Absperrbauwerk über ein durch Leitwerke gestaltetes Hauptgerinne gelangen.

Die lang gestreckte 1928 gebaute Staustufe Ohl- Grünscheid wird auf der rechten Seite durch einen Bahndamm und auf der linken Seite durch einen Steilhang begrenzt. An dieser Anlage müssen zwei Fischaufstiegsanlagen, nämlich am Krafthaus und am Wehr, gebaut werden. Die Fische wandern den Leitströmen der Turbinenausläufe und des Wehr- überfalls entgegen. An der Wehranlage ist ein Mindestabfluss von 600 l/s ganzjährig über die zu errichtende Fischaufstiegsanlage abzuführen. Zur Beschickung der Fischaufstiegsanlage am Kraft- haus sind nochmals 300 l/s erforderlich. Das Sediment im Stauraum muss nicht entfernt werden.

90 Wupper

3.2.3 Die Wupper - Vom „Schwarzen Fluss“ zum Lachsgewässer?

Jochen Lacombe, Klaus Macke (StUA Düsseldorf) & Dr. Georg Gellert (StUA Köln)

Einführung leitungen und Kanalüberläufen vor allem im Bereich der Großstädte. Zwei Heizkraftwerke und mehrere Die Wupper (Abb. 1) entspringt unter dem Namen Industriebetriebe leiten in Wuppertal Kühlwasser in Wipper im Oberbergischen Land. Die sogenannte die Wupper ein. An mehreren Stellen wird die Was- Obere Wupper reicht bis zum Stausee Beyenburg serkraft der Unteren Wupper zur Stromerzeugung oberhalb der Stadt Wuppertal. Als Untere Wupper genutzt. bezeichnet man sie ab der Staumauer des Beyen- burger Stausees. Sie durchquert anschließend das nördliche Bergische Land, vorbei an den Städten Wuppertal, Remscheid und Solingen, bevor sie bei Leverkusen-Opladen das Mittelgebirge verlässt und in die Köln-Bonner Rheinebene eintritt. Nach insge- samt 114 km Fließstrecke durch ein 827 km2 großes Einzugsgebiet mündet sie bei Leverkusen in den Rhein. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Abb. 2: Die Wupper in Wuppertal-Elberfeld.

Die Untere Wupper ist ein Fischgewässer im Sinne der Fischgewässer-Richtlinie der Europäischen Union. Außerdem ist sie Teil des Programms „Lachs 2000“ der Internationalen Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR), das die Wiederansiedlung des Lachses wegen des zahlreichen Vorhandenseins Abb. 1: Übersicht über den Verlauf der Wupper geeigneter Laichgebiete in der Wupper vorsieht.

Im gesamten Einzugsgebiet der Wupper leben der- zeit ca. 900.000 Einwohner, davon ca. 835.000 im Entwicklung der Gütesituation der Oberen Bereich der Unteren Wupper. Städte über 20.000 Wupper in den vergangenen 30 Jahren Einwohner im Einzugsgebiet der Wupper sind: Der Oberlauf der Wupper, Wipper genannt, befand Wipperfürth, Radevormwald, Schwelm, Wuppertal, sich 1970 in einem befriedigenden Zustand (Güte- Remscheid, Solingen, Wermelskirchen, Leichlingen klasse II). Ab Wipperfürth bis Radevormwald- und Leverkusen. Krebsöge war sie stark verschmutzt (Güteklasse III). Drei größere Kläranlagen leiten ihre Abwässer in die Aus heutiger Sicht unvorstellbar hohe Konzentra- Obere Wupper: Wipperfürth, Hückeswagen, Rade- tionen von Ammonium-N (um 15 mg/l) und Gesamt- vormwald. Vier bedeutende Kläranlagen leiten ihre phosphat-P (um 16 mg/l) wurden in diesem Ab- Abwässer in die Untere Wupper. Es sind dies die schnitt gemessen. Im weiteren Verlauf ab Rade- kommunalen Kläranlagen Buchenhofen und Kohl- vormwald-Wilhelmsthal wurde durch den Zufluss furth (beide Wuppertal), Solingen-Burg sowie die des Lenneper Baches die Wupper bis zur Mündung Kläranlage Rutenbeck der Firma Bayer AG in der Uelfe sogar übermäßig verschmutzt (Güteklas- Wuppertal-Elberfeld. Weitere stoffliche Belastungen se IV). Das Flussbett der Wupper war in diesem ergeben sich aus einer Vielzahl von kleineren Ein- Bereich mit grauem, flockigem Schlamm bedeckt.

91 Wupper 1970 Uelfe Bever Hönnige Kerspe Stadtgeb. Stadtgeb.

Beyenburg Hückeswagen Wipperfürth KA Radevormwald Lenneper Bach KA Hückeswagen

Wupper 1985 Uelfe Bever Hönnige Kerspe Stadtgeb. Stadtgeb.

Beyenburg Hückeswagen Wipperfürth KA Radevormwald Lenneper Bach KA Hückeswagen

Wupper 1997 Uelfe Bever Hönnige Kerspe Stadtgeb. Stadtgeb.

Beyenburg Hückeswagen Wipperfürth KA Radevormwald Lenneper Bach KA Hückeswagen

Abb. 3: Gewässergüte der Oberen Wupper im Vergleich der Jahre 1970, 1985 und 1997 Dargestellt sind die einleitenden Kläranlagen, die Ausdehnung des bebauten Stadtgebietes der Städte sowie die wichtigsten einmündenden Seitengewässer.

Vorherrschender Organismus war der „Abwasser- mäßig belastet (Güteklasse II). Gegenüber der pilz“ Sphaerotilus natans (in Wirklichkeit ein quellnächsten Messstelle nimmt aber der Bewuchs Bakterium). Mit der Einmündung der Uelfe (Güte- mit Fadenalgen zu, während im Artenbestand der klasse II) verbesserte sich die Gewässergüte mög- Gewässertiere regelmäßig der Rollegel (Erpobdella licherweise durch Verdünnungseffekte bis zum octoculata) und gelegentlich auch die Wasserassel Beyenburger Stausee um eine Klasse auf Güte- (Asellus aquaticus) als Verschmutzungszeiger auf- klasse III (Abb. 3). treten. Unterhalb der Wuppervorsperre liegt eine kri- tische Belastung der Wupper vor (Güteklasse II-III), Im Jahre 1985 konnte eine messbare Verbesserung angezeigt durch die dortige Zusammensetzung der der Gewässergütesituation der Oberen Wupper tierischen Lebensgemeinschaft und durch einen festgestellt werden. Lediglich die Fließstrecke erhöhten Ammonium-N-Gehalt von 1,2 mg/l. zwischen der Einmündung der Hönnige und der Ortslage Hückeswagen war noch kritisch belastet Verantwortlich hierfür ist die Kläranlage Hückes- (Güteklasse II-III). Ansonsten lag Güteklasse II vor, wagen, die in die Wuppervorsperre einleitet. Diese zwischen den Mündungen von Kerspe und Hönnige Anlage unterliegt zwar verschärften Anforderungen sogar Güteklasse I-II. bei der Abwasserreinigung (Eliminierung der Nähr- stoffe Stickstoff und Phosphor), dennoch muss es Im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen von aus wasserwirtschaftlicher Sicht als ungünstig 1985 hat sich die Gewässergüte der Oberen bezeichnet werden, dass eine Kläranlage in ein Wupper im Jahre 1997 nur wenig verändert. An der stehendes Gewässer einleitet. Derartige Vorfluter quellnächsten Messstelle (uh. Marienheide-Holz- sind nur gering belastbar und unterliegen der stän- wipper) ist die Wipper nur noch gering belastet digen Gefahr der Eutrophierung, weil gereinigtes (Güteklasse I-II). Dort konnte sogar der Strudelwurm Abwasser unabhängig vom Reinigungsgrad immer Polycelis felina, eine der empfindlichsten Arten Pflanzennährstoffe enthält. gegenüber organischer Verunreinigung, gefunden werden. Im weiteren Verlauf ist die Obere Wupper Weiter flussabwärts verbessert sich die Wupper (Wipper) bis zur Wuppervorsperre durchgängig wieder auf Güteklasse II. Erst durch den Ablauf der

92 Kläranlage Radevormwald erfährt die Wupper lagen mit Mühlgräben waren hierzu notwendig. Sie wieder eine Güteverschlechterung um eine Stufe stellten jedoch nur einen vergleichsweise geringen auf Güteklasse II-III (kritisch belastet), angezeigt Eingriff dar, der das Gewässer nur wenig beein- durch einen Saprobienindex von 2,4. Allerdings trächtigte. Im Jahre 1527 jedoch wurde der eigent- steht der Ausbau dieser Kläranlage und damit eine liche Grundstein für die weitere Entwicklung der Verbesserung der Gütesituation unmittelbar bevor. Wupper als Industriefluss gelegt: Durch den Herzog von Berg erhielten die Gemeinden Barmen und Elberfeld das Exklusivrecht für die Garnbleichung. Die Untere Wupper – Geschichte eines Hierzu waren das klare, weiche Wasser der Wupper Industrieflusses und die ausgedehnten Wupperwiesen bestens ge- eignet. Bald folgten andere Produktionsbereiche der Vor 1900 Textilfabrikation wie z.B. Färbereien und Webereien. In der vorindustriellen Zeit war die Wupper ein vom Später siedelten sich Maschinenbaubetriebe an, die Menschen nur wenig beeinflusster, schnellfließen- die an der Wupper mit Macht stattfindende indu- der Mittelgebirgsfluss mit reichhaltigen Strukturen strielle Revolution mit den notwendigen Maschinen wie z. B. Stromschnellen, Kolken, Uferbuchten etc. versorgte. Metallverarbeitende Betriebe, deren Die Ufer waren größtenteils beschattet, in den Tal- Tradition auf wasserkraftbetriebene Hammerwerke auen wechselten sich Wiesen und Wälder ab. Das zurückgeht, entstanden auch in den Nachbarstädten Wasser war klar, kühl und sauerstoffreich. Der Remscheid und Solingen.

Fischbestand war reichhaltig, so dass die Fischerei 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens War die Garnbleiche, bei denen das angefeuchtete eine bedeutende Rolle spielte. Die häufigste Fisch- und mit Pottasche bestreute Garn auf den soge- art war sicherlich die Bachforelle, daneben kamen nannten Bleichwiesen der Sonne ausgesetzt wurde, eine Vielzahl von Fischarten aus der Forellen-, noch eine die Wupper vergleichsweise wenig be- Äschen- und Barbenregion vor. Von den Wander- lastende Methode, die sogar besonders sauberes fischen waren Aal und Lachs häufig. Die Bedeutung Wasser erforderte, so führten insbesondere die des Lachses für die Ernährung der Bevölkerung Färbereien und Tuchdruckereien schnell zu massi- spiegelt sich in alten Ortsbezeichnungen (z. B. ven Verschmutzungen der Wupper. Volkstümlich „Lachsfang“ in Solingen-Burg) und in seiner Dar- wurde die Wupper auch als „Schwarzer“ bzw. stellung im Leichlinger Stadtwappen aus dem „Bunter Fluss“ bezeichnet. Hinzu kamen die Haus- 14. Jahrhundert wieder (Abb. 4). abwässer der rasch zu industriellen Zentren wach- Abb. 4: Stadtwappen senden Städte Barmen und Elberfeld. Das u. a. von Leichlingen aus auch durch Fäkalien verunreinigte Wupperwasser, dem 14. Jahrhundert. das sich bei Hochwasser auch noch in die Talgründe ergoss, rief neben anderen epidemischen Erkran- kungen (z.B. Typhus) mehrere bedeutende Cholera- epidemien hervor, so 1849/50, 1859 und 1866/67. Sie forderten viele Opfer und verbreiteten unter der Bevölkerung Angst und Furcht, insbesondere da über ihre Ursachen noch nicht viel bekannt war.

So kam es, dass die Wupper bereits Anfang des 19. Die Wasserführung der Wupper war aufgrund der Jahrhunderts so massiv verschmutzt war, dass die hohen Niederschläge in Verbindung mit der hohen Fischerei unterhalb von Barmen vollends zum Reliefenergie des Einzugsgebietes geprägt durch Erliegen kam: Seit Anfang des 19. Jahrhunderts starke Abflussschwankungen: Häufigen Hochwäs- stiegen auch immer weniger Lachse zum Ablaichen sern mit weiträumigen Talüberschwemmungen folg- auf, bis im Jahre 1830 der letzte Wupperlachs ten ausgeprägte Niedrigwasserstände. gesichtet wurde. Es häuften sich Klagen über die Bis ins 16. Jahrhundert wurde der Fluss neben der Verschmutzung der Wupper. Neben den ungeklärt Fischerei vorwiegend für den Antrieb wasserge- eingeleiteten Fäkalien spielten sicherlich organische triebener Mühlen, Schleifkotten und Hammer- und saure Abwässer sowie salz- und schwermetall- schmieden genutzt. Zahlreiche kleinere Wehran- haltige Abwässer der Industrie die bedeutendste

93 Rolle. Es sei vermerkt, dass die anfallenden enor- geleitet. Obwohl bereits Ende des 19. Jahrhunderts men Schlammmassen der Wupper, die wahrschein- ein Teil der Chemieproduktion des bedeutendsten lich ebenfalls hochgradig belastet waren, zeitweise Betriebes, der Bayerschen Farbenfabriken, nach zum Bau von Deichen verwendet wurden. Die in Leverkusen an den Rhein verlegt wurde, wirkte sich späteren Jahren festgestellte und auf die häufigen der an der Wupper verbleibende Produktionsbetrieb Überschwemmungen zurückzuführende massive dennoch maßgeblich auf deren Wasserqualität aus. Schwermetallbelastung der Wupperauen wurde Der Bau einer Kanalisation in Wuppertal (Beginn: hierdurch sicher noch verstärkt. Ende des 19. Jahrhunderts) und der Kläranlage Buchenhofen (1906) brachte für die Wupper zeit- Zitate: weise sogar eine zusätzliche Verschlechterung der Wasserqualität, da nun plötzlich auch Abwässer, die " ... Der schmale Fluß ergießt bald rasch, bald vorher versickert oder als Dünger auf die Felder stockend seine purpurnen Wogen zwischen rauchigen gebracht worden waren, der Wupper – ungenügend Fabrikgebäuden und garnbedeckten Bleichen hin- geklärt – direkt zugeführt wurden. durch; aber seine hochrote Farbe ... rührt nicht von Scham über das Treiben der Menschen, obwohl dazu Neben der Wasserverschmutzung im engeren wahrlich Grund genug vorhanden ist, sondern einzig Sinne traten wiederkehrende extreme Hochwässer und allein von den vielen Türkischrot-Färbereien." und die vor allem bei Niedrigwasser unerträgliche (Friedrich Engels, Briefe aus dem Wuppertal, 1839) Geruchsbelästigung durch die stinkende Wupper immer wieder in Erscheinung. Man begann darüber " ... Die Wupper schleppt täglich etwa 150 Tonnen nachzudenken, den Abfluss der Wupper durch den Unrat jeglicher Art fort, der bei gewöhnlichem Bau von Talsperren im Einzugsgebiet zu regulieren, Wasserstande bis zur Hälfte sich im Wupperbette ein Prozess, der erst 1988 mit der Fertigstellung der ablagert und auf der Strecke zwischen Opladen und Wuppertalsperre seinen Abschluss fand. Für den Rittershausen zeitweise wahrhaft schauderhafte Gestank der Wupper machte man vor allem die Miasmen verbreitet. Jedes Hochwasser der Wupper enormen Schlammmengen verantwortlich, die sich führt dann Tausende Tonnen der stinkenden, faulen- oberhalb der zahlreichen Wehre ansammelten. den Wasser auf die niedrig gelegenen Seitengelände, Diese verschärften durch ihren Rückstau zudem die wo sie weiterfaulend die Luft verpesten und ihre Hochwasserproblematik. Die hohe Schlammfracht Rückstände dicke Anschwemmungen bilden, welche machte ihrerseits den Betrieb der den Wehren noch stinken, sobald sie ihrer obersten Narbe beraubt angeschlossenen Wasserkraftanlagen oft unmög- werden. Noch größer sind die Massen des Unrats, welche das Hochwasser in den Rhein bringt, sodaß lich, so dass viele Betriebe zunehmend auf Dampf- derselbe zuweilen tagelang bis weit unterhalb maschinen und Elektrizität umrüsteten. Der 1931 Düsseldorf schwarz-grau gefärbt erscheint...." gegründete Wupperverband nahm sich des Baus (Gutachten des Königlichen Gewerberates Dr. Wolff, und Betriebs der Kläranlagen sowie der Themen 1886) Hochwasserschutz und Rückbau von Wehren an.

Zitate: 1900 bis 2. Weltkrieg Im Prinzip setzte sich der bereits im 19. Jahrhundert " ... Berücksichtigt man weiter, daß die beiden Städte weit fortgeschrittene Prozess der Industrialisierung (Barmen und Elberfeld, Anm. d. Verf.) eine ganz eigenartige Industrie haben, welche neben Färber- mit den bereits geschilderten Folgen für die eien, Wäschereien, Bleichereien, Stoffveredelungsan- Wasserqualität der Wupper fort. Zwar führten die stalten auch Lederbearbeitungs- und Papierfabrika- Produktionsausfälle während des 1. Weltkriegs zu tion, Metallbeizereien und chemische Fabriken bis einer kurzen Erholungsphase für die Wupper, doch zur Größe der Bayerschen Farbenfabriken aufweisen, brachte andererseits die Einführung chemischer so wird man erkennen, daß die eigenartige Zusam- Färbestoffe (z.B. Indanthrenfarben) und anderer mensetzung dieser Abwässer weitere erhebliche chemischer Produkte (z. B. Pharmaka, Pflanzen- Schwierigkeiten für die Reinigung bieten muß. ..." schutzmittel) eine neue Qualität der Belastung. Der (Beigeordneter Stadtbaurat Lothar Schönfelder, 1907) Wechsel zur vielfältigen Chemieindustrie wurde ein-

94 rung und die veränderte Produktpalette der an der " ... Die Untersuchungen zeigen, daß sie (die Wupper, Wupper ansässigen Industrie wieder zunichte ge- Anm. d. Verf.) von da an immer schlechter wird und schließlich unterhalb der Bayerschen Fabriken in macht. An dem schlechten Grundzustand der Wup- Elberfeld nur noch eine Schmutzwasserflora aufweist, per unterhalb der Stadt Wuppertal änderte sich in der durch die ´desinfizierend´ wirkende Kraft der somit wenig. eingeleiteten Fabrikabwässer alle höheren Lebe- wesen abgetötet sind, und die Wupper durch ´Emporschnellen´ der Verunreinigung nur noch einem Zitate: Abwasserfluß gleicht..." " ... Die stärkste Änderung des Wupperwassers bringt (Gutachten der Königlichen Versuchs- und Prüfungs- nach wie vor der Auslauf der Kläranlage anstalt für Wasserversorgung und Abwasserbe- Buchenhofen mit sich. ... Gegenüber allen bisherigen seitigung Berlin, 1911). Probeentnahmestellen macht die Wupper dort den schlechtesten Eindruck. Die physikalische, chemi- " ... Fische, überhaupt jedes lebende Wesen, ist im sche, bakteriologische und biologische Belastung des Wupperwasser unmöglich, und man hat bei Wehr- Flusses ist so groß, daß die Wupper die zugeführten bauten in der Wupper vergebens nach irgendwelchen Schmutzmengen bis zur Mündung in den Rhein nicht Spuren von organischen Lebewesen gesucht, nicht das aus eigener Kraft verarbeiten kann. ... Wenn die kleinste Würmchen ist zu entdecken ..." Gesamtzahl der Keime mit 24.000 (pro ml, Anm. d. (Albert Schmidt, 1913) Verf.) auch gering erscheint, so muß man sie doch auf

die zerstörende und entwicklungshemmende Wirkung 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens der Wuppertaler chemischen Industrieabwässer Nachkriegs- und Wirtschaftswunderzeit und zurückführen. Praktisch ist das Wupperwasser in Kohlfurth als ein vorgereinigtes Abwasser anzuspre- 60er Jahre chen. ..." (Untersuchungsbericht über die Wupper,, Im Archiv des StUA Düsseldorf datieren die ältesten Wupperverband, 1947). vorhandenen, systematischen Güteuntersuchungen an der Wupper aus dem Jahre 1947, sie wurden vom Wupperverband durchgeführt. Die Methodik ist mit der heute üblichen Gütebestimmung nicht direkt Die 70er Jahre und die 80er Jahre vergleichbar, jedoch wurden bereits optische und organo-leptische, chemische und biologische Be- Der zeitweise schauderhafte Gestank der Wupper, funde herangezogen (s. Zitat unten). Spätere Unter- des „Schwarzen Flusses“, war schon im 19. Jahr- suchungen (ab 1959) wurden zunächst vom Bun- hundert allbekannt und viel beklagt. Daran änderte desgesundheitsamt, Institut für Wasser-, Boden- sich bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhunderts und Lufthygiene (Berlin), später von der Landesan- wenig. So gab es z. B. 1973 an den nahe der stalt für Gewässerkunde und Gewässerschutz NW Wupper gelegenen Schulen der Stadt Leichlingen und dem Landesamt für Wasser und Abfall NW im Sommer zeitweise „stinkefrei“, weil ein geordne- durchgeführt, bevor das Wasserwirtschaftsamt II, ter Unterricht wegen der Wupperausdünstungen das hieraus hervorgegangene Staatliche Amt für nicht möglich war. Auch dem Regierungspräsiden- Wasser- und Abfallwirtschaft (StAWA) bzw. das ten in Düsseldorf wurden immer wieder Klagen über heutige Staatliche Umweltamt (StUA) regelmäßige diesen Zustand vorgelegt. Trotz mehrfacher Son- eigene Untersuchungen durchführten. deruntersuchungen und umfangreicher Analysen des Staatlichen Amtes für Wasser- und Abfallwirt- Zu Beginn der 60er Jahre sind in Wuppertal nahezu schaft Düsseldorf, des Wupperverbandes und ande- alle Wupperanlieger einschließlich des Bayerwerkes rer Stellen konnte die eigentliche Ursache des an die städtische Kanalisation und somit an die Gestanks nicht eindeutig identifiziert werden. Man Kläranlage Buchenhofen angeschlossen. Weitere einigte sich schließlich darauf, dass der oft als Klärwerke unterhalb der Stadt Wuppertal (Kohlfurth, „esterartig“ bezeichnete Geruch, an Mercaptane Burg) sind in Planung. und Thioester erinnernd, vorwiegend auf flüchtige Diese abwassertechnischen Fortschritte wurden Schwefelverbindungen zurückzuführen war. Manch- jedoch weitgehend durch die wachsende Bevölke- mal traten auch phenolische Gerüche auf. Die

95 Wupper 1965 KA Sg-Burg KA Kohlfurth KA Buchenhofen Schwelme Stadtgebiet Wuppertal Rhein Beyenburg

Dhünn Eschbach Morsbach KA Bayer Elberfeld

Wupper 1978 KA Sg-Burg KA Kohlfurth KA Buchenhofen Schwelme Stadtgebiet Wuppertal Rhein Beyenburg

Dhünn Eschbach Morsbach KA Bayer Elberfeld

Wupper 1985 KA Sg-Burg KA Kohlfurth KA Buchenhofen Schwelme Stadtgebiet Wuppertal Rhein Beyenburg

Dhünn Eschbach Morsbach KA Bayer Elberfeld

Wupper 1991 KA Sg-Burg KA Kohlfurth KA Buchenhofen Schwelme Stadtgebiet Wuppertal Rhein Beyenburg

Dhünn Eschbach Morsbach KA Bayer Elberfeld

Wupper 1999 KA Sg-Burg KA Kohlfurth KA Buchenhofen Schwelme Stadtgebiet Wuppertal Rhein Beyenburg

Dhünn Eschbach Morsbach KA Bayer Elberfeld

Abb. 5: Gewässergüte der Unteren Wupper im Vergleich der Jahre 1965, 1978, 1985, 1991 und 1999 Dargestellt sind die einleitenden Kläranlagen, die Ausdehnung des bebauten Stadtgebietes der Stadt Wuppertal sowie die wichtigsten einmündenden Seitengewässer. Die Wupper gehört im gesamten betrachteten Bereich der Abflussgrößenklasse 10 – 50 m3/s MQ an. genaue Ursache blieb im Dunkeln, man vermutete Kohlfurther Brücke im Jahre 1983 ein Spitzenwert lediglich, dass es durch das Zusammenkommen von GD=32 gemessen (Abb. 6). Dies bedeutet, dass mehrerer Einzelfaktoren, zu denen unter anderem man das Wupperwasser mit reinem Wasser auf das auch die Abwässer der chemischen Industrie ge- 32fache Volumen verdünnen musste, um die hörten, zu einer chemischen Reaktion im Wasser Wasserflöhe im Test am Leben zu erhalten. der Wupper kam, die den Gestank verursachte. In späteren Jahren konnten durch weitere toxikolo- Eine Verbesserung ergab sich erst gegen Ende der gische Untersuchungsmethoden zusätzliche Gift- 80er Jahre, wohl infolge der Niedrigwasserauf- höhung durch die mittlerweile fertiggestellte Wup- Zitat aus KNIE (1983): "Während die mit Algen pertalsperre. Doch auch heute noch verbreitet die und Bakterien durchgeführten Tests keine nen- Wupper zeitweise einen zwar nur noch leichten, nenswerten Aussagen erlaubten und sich das aber typischen Eigengeruch. Wupperwasser als nicht akut fischtoxisch zeigte, konnte mit dem Daphnientest die nachhaltige Das schon aus dem 19. Jahrhundert bekannte Pro- Vergiftung der Wupper unterhalb der Kläranlage blem der Giftigkeit des Wupperwassers gegenüber Rutenbeck (der Bayer AG, Inbetriebnahme 1977, Wassertieren konnte in den 80er Jahren durch die Anm.d.Verf.) nachgewiesen werden. Von dieser Einführung neuer Untersuchungsmethoden genauer Vergiftung sind neben vielen anderen Organis- untersucht werden. Besonders der von KNIE an der men auch so wichtige Fischnährtiere wie Wupper angewendete sogenannte Daphnientest, Kleinkrebse und Insektenlarven betroffen, die ab bei dem lebende Wasserflöhe (Daphnien) dem zu dieser Stelle – wie es die ökologischen Erhebun- untersuchenden Wasser ausgesetzt werden, brach- gen belegen – in der Wupper nicht mehr vor- te erschreckende Ergebnisse. So wurde z. B. an der kommen."

96 GD 50 40

Max N=12 N=11 N=6 Mittel 30 N=7 N=9 N=4 N=2 20 N=3 N=1

10 N=7 N=9 N=2 N=1 N=0 N=0 N=0 N=0 N=3 0 1981 1982 1983 1981 1982 1983 1981 1982 1983 1981 1982 1983 1981 1982 1983 1981 1982 1983 Elberfeld Rutenbecker Kohlfurth Solingen- Leichlingen Mündung Brücke Burg

Abb. 6: Giftigkeit der Wupper gegenüber Wasserflöhen (Daphnientoxizität) in den Jahren 1981-1983 Dargestellt sind die Maxima und die Mittelwerte, N= Zahl der Messungen (Daten aus: KNIE 1983) wirkungen nachgewiesen werden (Algen-, Leucht- Die 90er Jahre 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens bakterien- und neuerdings Gentoxizität). Diese wissenschaftlichen Untersuchungen waren der Aus- 1990 legte das Staatliche Amt für Wasser- und löser umfangreicher innerbetrieblicher Maßnahmen Abfallwirtschaft Düsseldorf den Bewirtschaftungs- und Sanierungen, deren Ziel die Reduzierung der plan „Untere Wupper“ vor, der als Grundlage für alle giftigen Wirkung der eingeleiteten Abwässer war. behördlichen Entscheidungen bis heute Gültigkeit hat. Als allgemeine Ziele wurden der Schutz und die In den 80er Jahren hatte sich die Situation der Reinhaltung der Gewässer, die Verbesserung der Wupper soweit verbessert, dass sich wieder ein Lebens- und Umweltqualität sowie die Verminde- gewisser Fischbestand etablieren konnte. Allerdings rung des Nähr- und Schadstoffeintrags in Rhein und kam es immer wieder zu Fischsterben im Bereich Nordsee formuliert. der Stadt Wuppertal oder weiter flussabwärts. Ur- Die Überwachung der Einleiter und der Gewässer- sachen waren Betriebsstörungen bei verschiedenen güte der Wupper war seitens des Staatlichen Amtes Industriefirmen, bei denen fischtoxische Stoffe (z. B. für Wasser- und Abfallwirtschaft Düsseldorf und des Tenside, Ammoniaklauge, Natronlauge) in die Landesamtes für Wasser und Abfall NW schon Wupper gelangten oder Sauerstoffmangel infolge gegen Ende der 80er Jahre intensiviert worden. der regenbedingten Einleitung von Mischwasser Besonderes Augenmerk richtete man auf die giftig aus dem alten Trennkanalsystem der Stadt Wupper- wirkenden Substanzen, die vor allem durch die che- tal. Typische Schlagzeilen: mische Industrie eingeleitet wurden. Zu nennen sind vor allem (Thio-)Phosphorsäureester aus der Insek- „Fischsterben in der Wupper – tizidproduktion, Triazolfungizide und Anilin- und Woher kam die Giftwelle ?“ Pyridinderivate. So konnte nicht nur der Verursacher (WZ-GA, 9.11.1982) identifiziert werden, sondern es wurden auch Schwachpunkte bei der Abwasserreinigungstechnik „Fischesterben in der Wupper – aufgedeckt. In Leverkusen-Opladen richtete das Unglaubliche Schlamperei“ Landesamt für Wasser und Abfall NW eine Mess- (Wupper Nachrichten Nr. 3, 7.2.1987) station für die kontinuierliche Überwachung chemi- scher und toxikologischer Parameter ein. „Unfaßbare Katastrophe – Durch Produktionsumstellungen und andere inner- Weitere 27 Zentner Kadaver geborgen“ betriebliche Maßnahmen der Bayer AG konnte in (WZ-GA, 16.6.1988) den Jahren 90 bis 91 die Belastung der Wupper

97 20 12

18 Käferlarven 10 16 Muscheln Köcherfliegen-Larven 14 8 Eintagsfliegen-Larven 12 Krebstiere 10 6 Zweiflügler-Larven 8 Wenigborster 4 Strudelwürmer 6

Artenzahl/Tiergruppe Egel 4 Gesamtzahl Tiergruppen 2 Schnecken 2 Gesamtzahl Tiergruppen "Bakterienfluß" 0 0 1965 1974 1979 1982 1985 1988 1991 1995 1997 Abb. 7: Wiederbesiedlung der Unteren Wupper mit Kleinlebewesen an der Untersuchungsstelle Kohlfurther Brücke (1965 – 1997), exemplarisch für ausgewählte Tiergruppen. (Aus: STRÜDER & LACOMBE (1999) z.B. durch Phosphorsäureester rapide gesenkt der Ausbau der Kläranlage Buchenhofen oder der werden. Die Folgen für die Wupper waren im positi- Bau des Hauptsammlers in Wuppertal wurden zwar ven Sinne dramatisch: Plötzlich tauchten in der bereits begonnen, werden aber noch einige Jahre in Unteren Wupper wieder einige Tiere auf, die seit Anspruch nehmen. Jahrzehnten verschwunden waren, so z. B. ver- So weist die Untere Wupper weiterhin eine Be- schiedene Insektenlarven und Kleinkrebse (Abb. 7). lastung mit Ammonium auf (Abb. 8), die hauptsäch- Ein wichtiger Schritt in Richtung der Gesundung des lich aus der Kläranlage Buchenhofen stammt. Patienten Wupper war getan. Obwohl selbst nicht giftig, kann aus Ammonium Leider konnte sich diese positive Entwicklung bisher unter ungünstigen pH- und Temperaturbedingungen nicht kontinuierlich fortsetzen. Die Belastungs- Ammoniak entstehen, der für Fische und wirbellose situation der Unteren Wupper ist immer noch kom- Tiere sehr giftig ist. Vor allem aber wird Ammonium plex und verhindert eine weiter fortschreitende unter Sauerstoffverbrauch durch die Tätigkeit nitrifi- Wiederbesiedlung des Gewässers. Wichtige Tier- zierender Bakterien zu Nitrat oxidiert. Auf das hier- gruppen, vor allem solche, die an die Wasserqualität durch entstehende Sauerstoffdefizit reagieren viele und den Sauerstoffgehalt höhere Ansprüche stellen Bachbewohner sehr empfindlich; möglicherweise ist (z. B. Steinfliegenlarven), fehlen weiterhin in der dies der Grund für die nach wie vor deutlich ver- Wupper. Größere Sanierungsmaßnahmen wie z. B. armte Besiedlung der Wupper.

35 12

30 O 1999 2 10

NH4-N 1965 25 8 O2 1965

20

6 NH4 (mg/l) NH4 (mg/l) O2 15

NH -N 1999 4 4 10

2 5

0 0 Wupper, Wupper, Wupper, Wupper, Wupper, Pegel Wupper, Wupper, Opladen Wupper, Beyenburg Rutenbecker Kohlfurther Müngstener Glüder Leichlingen Mündung Brücke Brücke Brücke Messstellen Abb. 8: Vergleich der Sauerstoffgehalte (gestrichelte Linien) und der Ammoniumkonzentrationen (durchgezogene Linien) der Jahre 1965 und 1999 im Längsverlauf der Wupper (Daten 1965: Bericht des Wasserwirtschaftsamtes II Düsseldorf, Daten 1999: StUA Düsseldorf)

98 laichende Fischarten vorkommen, regelmäßig über- schritten. Es ist davon auszugehen, dass die Temperaturerhöhung in Verbindung mit dem Sauer- stoffdefizit Auswirkungen auf die Besiedlung zeigt. Durch die Einführung eines neuen Testverfahrens zur Erfassung genschädigender Wirkungen (umu- Test) kann seit 1996 eine gentoxische Belastung im Wupperwasser nachgewiesen werden, die auf die Einleitung von Abwässern aus der Antibioti- kaproduktion der Firma Bayer zurückzuführen ist (Abb. 11). Es konnte in einem zeitlich befristeten Abb. 9: Die Wupper in Solingen-Glüder. Nebelbil- Versuch bereits nachgewiesen werden, dass sich dung an einem Novembermorgen. die Belastung durch innerbetriebliche Maßnahmen drastisch reduzieren lässt. Eine dauerhafte Elimi- Wupperwasser wird von verschiedenen Betrieben nierung der gentoxischen Wirkung der Abwässer als Kühlwasser genutzt. Die bedeutendsten Wärme- konnte jedoch bisher noch nicht erreicht werden. einleiter sind die Heizkraftwerke Barmen und

Elberfeld der Wuppertaler Stadtwerke. Wie Unter- 800 suchungen des Staatlichen Umweltamtes Düssel- 700 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens dorf zeigen, bewirken sie eine Aufheizung des 600

Wupperwassers um etwa 6 Grad Celsius (Abb. 10). 500

Direkte Auswirkungen auf die Lebensgemeinschaft EU 400 G der Wupper sind nur schwer nachzuweisen, jedoch 300 wird im Winterhalbjahr der bei 10 Grad Celsius 200 liegende Grenzwert der EU-Fischgewässerrichtlinie 100 für Gewässer, in denen kälteliebende, winter- 0 3.3. 4.8. 4.5. 1.3. 1.6. 5.7. 2.9. 14.4. 23.6. 6.10. 5.11. 9.12. 17.2. 23.3. 15.6. 20.7. 17.8. 21.9. 2.11. 7.12. 26.4. 24.8. 4.10. 18.3. 29.4. 14.10. 18.11. 13.12. 20.01.97 19.01.98 18.01.99 05.02.96 20 Datum 18 16 Abb. 11: Erbgutschädigende Wirkung (Gentoxizi- 14 12 tät GEU) an der Untersuchungsstelle 10 Kläranlage Rutenbeck in den Jahren 8 6 1996 -– 1999 4 2 0 Zudem kommt es immer noch zu stoßartigen Be- 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10111213141516171819 lastungen aus Überläufen der Kanalisation, über die Me ssste lle bei Starkregen ein Gemisch aus Regenwasser von Messstellen: Straßen-, Dach- und Hofabläufen und ungeklärtem 1 uh. Stau Beyenburg 11 Staustufe 2 oh. Herbringhausener Bach 12 Teufelsbrücke Abwasser in die Wupper abschlägt. Über diesen 3 oh. Blombach 13 Kohlfurther Brücke Weg gelangen auch manchmal das bei der Brand- 4 oh. Schwelme 14 Müngstener Brücke 5 uh. Schwelme 15 oh. Eschbach bekämpfung anfallende Löschwasser oder bei 6 uh. HKW Barmen 16 Pegel Glüder Betriebsstörungen in Industriebetrieben wasserge- 7 Landgericht 17 oh. Schellberger Bach 8 uh. HKW Elberfeld 18 oh. Weinsberger Bach fährdende Stoffe in die Wupper. Die Auswirkungen 9 uh. Firma Bayer 19 uh. Nacker Bach derartiger Belastungen auf das Gewässer lassen 10 Rutenbecker Brücke sich meist nur schwer erfassen. Nur im Fall von Fischsterben, wie sie immer noch gelegentlich zu Abb. 10: Längsprofil der Wassertemperatur der beobachten sind, werden sie in drastischer Weise Wupper im November 1995 erkennbar. Eingetragen ist als schwarzer Balken der obere winterliche Temperaturgrenzwert der EU-Fisch- gewässerrichtlinie für Gewässer, in denen kälte- liebende winterlaichende Fischarten leben.

99 Ausblick werden durch amtliche und ehrenamtliche Stellen Junglachse und Meerforellen in Wupper und Dhünn Gemessen an ihrem Zustand im 19. und in der ausgewildert. Die ersten Heimkehrer dieser Lang- ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Untere distanz-Wanderfische sind nach mehrjährigem Wupper in neuerer Zeit eine hohe Wasserqualität Aufenthalt im Meer im Herbst 1998 in der Dhünn erreicht. Dies konnte nur durch die intensive Zu- beobachtet worden. Noch sind die dauerhafte sammenarbeit zwischen Ämtern, Wupperverband Wiederansiedlung und eine sich selbst erhaltende und Industrie verwirklicht werden. Gemessen an Population nicht gesichert, aber wenn es gelingen den heutigen Erkenntnissen über Gewässerökolo- würde, wäre dies ein Symbol für das Ende der Ära gie, den wasserwirtschaftlichen Zielen und dem der Wupper als „Schwarzem Fluss“. Stand der Technik weist die Wupper jedoch noch erhebliche Defizite auf. Allerdings sind einige größere Sanierungsmaß- nahmen bereits in der Planung bzw. im Bau, von Literatur denen eine weitere deutliche Verbesserung der ARNOLD, T. (1987): „Wir sind mit Wupperwasser getauft...“, Gütesituation der Unteren Wupper erwartet werden Ein Beitrag zur Umweltgeschichte des Wuppertals. – kann. So ist mit dem Abschluss der Sanierung der Mitteilungen des Stadtarchivs, des Historischen Zentrums und des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Wuppertal Kläranlage Buchenhofen voraussichtlich im Jahre e.V., 12. Jahrgang, Heft 1-3.

2004 zu rechnen, wodurch sich der Ammonium- GLADTKE, D., WERNER, P. & HEYER, P. (1994): Chemische gehalt und somit auch das Sauerstoffdefizit in der Analyse bei der Genehmigung und Überwachung von Wupper drastisch reduzieren werden. Der Bau des Abwassereinleitungen der chemischen Industrie. – Vom Wasser, 83, 213-225. 1994. Hauptsammlers in Wuppertal ist in vollem Gange, KNIE J. (1983): Die daphnientoxische Situation in der Unteren seine Fertigstellung wird die Stoßbelastung aus Wupper – Eine ergänzende Methode der Gewässergüte- den Kanalüberläufen weitgehend unterbinden. Viele überwachung. – Deutsche Gewässerkundliche Mitteilungen weitere, kleinere Maßnahmen (z. B. der Bau von 27 (1983) H. 5/6, 5 S. Regenrückhaltebecken) werden dazu beitragen, SCHARF, W. (1993): Die Gewässergütesituation an der Unteren Wupper gestern und heute. – gwf Wasser Abwasser, 134, dass die Wupper wieder zu einem vollwertigen Nr. 12, 699-707. 1993 Lebensraum für Pflanzen und Tiere wird und ihre STRÜDER, F. & LACOMBE, J. (1999): Verbesserung der Gewässer- ökologische Funktion im Naturhaushalt wieder er- güte in NRW: Beispiel „Untere Wupper“.- In: Landesumwelt- füllen kann. Erst dann wäre die Forderung des §1a amt Nordrhein-Westfalen (1999): Jahresbericht ´98. - LUA NRW. S. 35 - 48. des Wasserhaushaltsgesetzes erfüllt. ULLMANN, F.-P. (1970): Veränderungen der Fischfauna in der Neue Impulse für die Bewirtschaftung der Wupper Wupper unter Berücksichtigung industrieller Abwässer. – können darüber hinaus von der Einführung der Gekürzte Staatsarbeit aus dem Biologischen Seminar der PH Rheinland, Abtlg. Wuppertal. europäischen Wasserrahmenrichtlinie erwartet werden, mit der noch im Jahr 2000 zu rechnen ist. Die Federführung für die von dieser EU-Richtlinie geforderten Flussgebietsplanung liegt für das Ein- zugsgebiet der Wupper beim Staatlichen Umwelt- amt Düsseldorf. Die letzten Lachse wurden im Jahr 1830 in der Wupper gesichtet. Die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins hat die Wupper einschließ- lich ihres Seitengewässers Dhünn in ihr Programm „Lachs 2000“ aufgenommen mit dem Ziel, den Lachs hier wieder heimisch werden zu lassen. Der Lachs steht hierbei nicht nur stellvertretend für andere Wanderfische wie z. B. Meerforellen und Flussneunaugen. Er wird vielmehr als Leitart eines intakten Fließgewässerökosystems zum Indikator für die ökologische Qualität eines Flusses. Seit 1993

100 Erft

3.2.4 Erft

3.2.4.1 Die untere Erft – Ein subtropischer Fluss

Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA)

Die 105 km lange Erft entspringt südwestlich von dunkelblaugrünen Triebe, die von der Gestalt her an Münstereifel nahe der Wasserscheide von Rhein Pferdeschweife erinnern, daher auch der Name und Maas in einem der Kalkgebiete der nördlichen Compsopogon (= compositopogon – zusammen- Eifel. Nach der Mittelgebirgsstrecke erreicht der gesetzter Schweif), werden ab April/Mai meterlang. inzwischen kleine Fluss südlich von Euskirchen die Sie sitzen an festen Unterlagen oder an großen Börde, wo die Erft ihren wichtigsten Zufluss, die Wasserpflanzen wie z. B. den Stielen des Schwim- Swist aufnimmt (s. Kap. 3.2.4.2). Bis dahin ist die menden Laichkrauts (Potamogeton natans L.) ange- Erft ein Fluss mit den Problemen, die viele unsere heftet und treiben frei im Wasser. Später, kurz vor Flüsse haben. Zusätzlich war die Bleibelastung aus dem Absterben, treiben die bis zu 1 cm dicken den Bleierzgruben bei Mechernich ein Problem, Fäden an der Wasseroberfläche. Trotz ihrer Größe dass bis heute nicht endgültig gelöst ist. In früherer war die Alge neben den in der Wuchsform sehr ähn- Zeit gab es erhebliche Viehverluste, wenn bleihalti- lichen, einheimischen Blütenpflanzen Flutender ger Schlamm ausgespült worden war und sich auf Hahnenfuß (Ranunculus fluitans LAM). und dem dem Gras der Viehweiden abgesetzt hatte. Kamm-Laichkraut (Potamogeton pectinatus L.) nicht weiter aufgefallen. Besser bekannt war das vorkom- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Den Unterlauf kann man heutzutage ab Kerpen men zahlreicher Guppies im Gillbach, einem eben- ansetzen, denn hier wird der Charakter des Gewäs- falls aufgeheizten Zufluss zur unteren Erft. Guppies sers völlig verändert. Über den Kölner Randkanal werden gerne in Warmwasseraquarien gehalten. wird ein Teil des Abflusses der Erft direkt in den Rhein abgeleitet. Das auf eine Abflussleistung Guppies und Compsopogon können auch heutzu- von 30 km3 ausgebaute, mehrfach umgelegte und tage noch regelmäßig angetroffen werden. Hin und streckenweise mit Folien abgedichtete Bett nimmt wieder waren, wenn auch nicht so stetig weitere an zahlreichen Einleitungsstellen große Mengen Wasserpflanzen anzutreffen, die sonst in Deutsch- Sümpfungswasser aus den Braunkohlegruben auf, land nur in Aquarien überleben können. Bereits in die zur Aufrechterhaltung des Tagebaues abge- den 80er Jahren traten bei Niederaussem einzelne pumpt werden. Diese Sümpfungswässer kommen Individuen von Wassersalat (Pistia stratiotes) auf. aus Tiefen von bis zu 400 Meter unter Tage und 1995 veröffentlichten DIEKJOBST & WOLFF eine Liste sind entsprechend warm. Bei einem Anteil von der aktuell in der unteren Erft vorhandenen Warm- 20 – 30 % Erftwasser gegenüber 70 – 80 % wasser-Neophyten (Neophyten sind Pflanzen, die Sümpfungswasser beherrscht es den Wasser- erst in jüngster Zeit im Gebiet vorkommen). Weitere chemismus und ganz besonders den Temperatur- aktuelle Daten hat Herr Dr. Udo Rose, Erftverband haushalt. Bis zur Mündung in den Rhein bei Neuss Bergheim mitgeteilt. verbleiben ca. 25 km Lauf, auf dem sich der Wasserkörper im Winter nur wenig abkühlen kann. Insgesamt sind als Warmwasser-Neophyten in der Im Sommer liegen die Wassertemperaturen nur Erft und ihren warmen Zuflüssen zu nennen: wenig über 20°C, erst im Winter zeigt sich die thermische Anomalie des Flusses in voller Stärke. l Azolla filiculoides Lamk. Großer Algenfarn, eine Die Wasser-temperatur sinkt auch bei strengem Pflanze, die schon längere Zeit, z. T. unbe- Frost nicht unter 10°C. Das sind ideale Bedin- ständig in klimatisch begünstigten Regionen gungen für tropisch-subtropische Organismen Deutschlands anzutreffen ist. (FRIEDRICH 1973). Diese thermisch anomalen Ver- l hältnisse bestehen immer noch (ROSE pers. Mitt.) Compsopogon hookeri (MONTAGNE) Tropische Rotalge Als erste exotische Pflanze in der Erft wurde die in Indien beheimatete Rotalge Compsopogon hookeri l Egeria densa PLANCH, Dichte Wasserpest, eben- (MONTAGNE) bereits in den 60er Jahren als Erstfund falls eine Aquarienpflanze, die sich zunehmend für Europa beschrieben. (FRIEDRICH 1966). Ihre ausbreitet.

101 l Lemna aequinoctialis WELW. Wasserlinse, die Massenentwicklungen der Warmwasserschnecken bisher nur 1981 von DIEKJOBST & WOLFF in der Melanoides tuberculatus und Planorbella duryi. Mühlenerft bei Gustorf belegt ist. Nach Befunden von U. Rose können in der unteren l Lemna minuta H., B. & K Kleinste Wasserlinse, Erft auch Sonnenbarsche und Schmuck-/Rot- die wohl aus Aquarien stammt und inzwischen wangenschildkröten beobachtet werden. Das sind auch in anderen relativ warmen Gräben und vielfach Tiere, die hocherfreut erworben, dann aber Bächen vorkommt, vielfach gemeinsam mit als lästig „wieder in die Freiheit entlassen“ wurden. l Myriophyllum aquaticum (VELLOSO) VERDCOURT Vor einigen Jahren ging auch eine Meldung durch Wasser-Tausendblatt, eine der vielen Arten der die Presse, dass es in der Erft Piranhas gäbe. Gattung. Der synonyme Name Myriophyllum Obwohl die Abbildung in der Zeitung tatsächlich brasiliense weist auf ihre subtropische Herkunft einen solchen Fisch zeigt, ist man doch versucht, hin. Wo die Pflanze wie an der Eppinghover die Meldung mit großem Zweifel aufzunehmen, Mühle bei Neuss auf dem Uferschlamm wächst, auch wenn es nicht ausgeschlossen ist, dass sich ist sie auch für den Besucher auffällig (Abb. 1). ein Aquarianer der gefährlichen und gefräßigen Tiere entledigen wollte. l Pistia stratiotes L. Wassersalat, eine frostemp- findliche tropisch-subtropische Blütenpflanze, Jedenfalls ist diese Zeitungsnotiz zugleich ein die gern in warmen Teichen und unter Glas Hinweis auf die Herkunft der Exoten in der Unteren gehalten wird. Erft. Es kann davon ausgegangen werden, dass die tropische Rotalge, und fast alle Blütenpflanzen und l Shinnersia rivularis (GRAY) KING & ROBINSON, die meisten der genannten Tiere direkt aus Aquarien Kanadisches Eichenblatt, ebenfalls eine stammen. Die Kleinste Wasserlinse und der Große Aquarienpflanze, die von DIEKJOBST & WOLFF Algenfarn sind offenbar nicht so frostempfindlich, 1992 erstmalig für europäische Freilandgewäs- denn sie kommen auch in anderen Gewässern vor. ser von der Erft beschrieben wurde. Sie ist auch Sie können auch ohne direktes bzw. bewußtes eine „moderne“ Aquarienpflanze. Zutun von Menschen in die Erft gelangt sein.

Abgesehen von den hier vorgestellten tropisch-sub- tropischen Pflanzen und Tieren war die Frage der Auswirkung von Warmwassereinleitung in den 60er Jahren ein brisantes Thema, denn es war zu be- sorgen, dass durch die Warmwassereinleitungen aus den damals in sehr großer Zahl geplanten Kraftwerken ohne Kreislaufkühlung viele Flüsse und Seen durch die anthropogene Erwärmung geschä- digt würden. Vor allem die Verstärkung der Intensität biologischer Prozesse beim Abbau der damals noch sehr hohen organischen Belastung hätte zu erheb- Abb. 1: Myriophyllum aquaticum lich größerer Sauerstoffzehrung bei gleichzeitig ver- mindertem Sauerstoffeintrag aus der Luft geführt. Unter den Warmwasser bevorzugenden oder darauf Fischsterben und andere biologische Schäden angewiesenen Neozoen – im Gebiet neu eingewan- wären die Folge gewesen. derte oder verwilderte Tiere – sind, neben den oben Aufgrund zahlreicher Untersuchungen, auch in der bereits genannten Guppies, noch der Ringelwurm damaligen Landesanstalt für Gewässerkunde und Branchyura sowerbii und die Getigerte Planarie Gewässerschutz NRW, wurden die Wärmeein- (Dugesia tigrina) zu nennen, für die die untere Erft leitungen soweit begrenzt, dass keine signifikanten ebenfalls als einer der ersten Fundorte in Störungen in den Gewässern zu befürchten sind Deutschland gelten kann (HEUSS 1966). (LAWA 1977). Die Beschränkungen beziehen sich Vom bereits genannten thermisch anomalen Gill- auf die maximale Einleitungstemperatur des er- bach berichtet U. Rose (briefliche Mitteilung) z. T. wärmten Wassers aus Kraftwerken, die zulässige

102 maximale Temperatur des Flusswassers nach Literatur Durchmischung sowie die Begrenzung der Auf- EG (1978): Richtlinie des Rates der Europäischen Gemein- wärmspanne im Gewässer. Dabei wird zwischen schaften über die Qualität von Süßwasser, das schutz- oder sommerkalten (Salmoniden-) und sommerwarmen verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten. 78/659/EWG. (Cypriniden-) Gewässern unterschieden. Diese FRIEDRICH, G. (1966): Compsopogon hookeri MONTAGNE neu für Festlegungen fanden sich später auch in der Deutschland. -Nova Hedwigia 12, 3/4: 399-403, Lehre 1966. EG-Richtlinie zum Schutze der Fische (EG 1978) FRIEDRICH, G. (1973): Ökologische Untersuchungen an einem wieder. thermisch anomalen Fließgewässer (Erft/Niederrhein). - Schriftenreihe Landesanstalt für Gewässerkunde und Ge- Die anomal hohen Wintertemperaturen des Erft- wässerschutz NRW Heft 33, Kempen-Hüls. wassers hatten keine so dramatisch nachteiligen HEUSS, K. (1966): Zum Vorkommen von Branchiura sowerby Folgen, weil das Warmwasser organisch unbelastet BEDDARD (1892) in der Erft. -Gewässer und Abwässer 43, war. 87-89. Düsseldorf. LAWA (1977): Grundlagen für die Beurteilung der Wärme-be- Die genannten biologischen Besonderheiten, sind lastung von Gewässern. Teil 1 Binnengewässer, 2. Auflage. natürlich von wissenschaftlichem Interesse, denn DIEKJOBST,H. & P. WOLFF (1995): Das Mexikanische Eichenblatt sie zeigen, wie stark die Gewässerbiozönosen auf (Shinnersia rivularis) und andere aquatische Neophyten in anomale Situationen reagieren. Dennoch bleibt fest- der unteren Erft.- Natur am Niederrhein (N.F.10(2),41-48, Krefeld. zustellen, dass derartige ökologische Verhältnisse nicht zu den Typen mitteleuropäischer Fließge- wässer gehören und daher Indikatoren für anthropo- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens gene Störungen sind. Auf lange Sicht ist jedoch damit zu rechnen, dass die an Gewässer ohne Winter angepasste Pflanzen und Tiere wieder ver- schwinden werden, wenn in absehbarer Zeit die Einleitung von warmem Sümpfungswasser in die Erft eingestellt wird.

103 Swist

3.2.4.2 Entwicklung der Gewässergüte an der Swist Dr. Georg Gellert (StUA Köln)

Die Swist (Abb. 1) ist ein Zufluss der Erft. Sie ent- ser in ein Gewässer mit geringer natürlicher Was- springt im nördlichen Randgebiet der Eifel in Rhein- serführung zu nennen. land-Pfalz, fließt von Südosten nach Nordwesten Im Jahre 1971 bot die Swist ein außerordentlich über bewaldete Ausläufer der Osteifel, über die trauriges Bild. Bereits bei Eintritt nach Nordrhein- Ebene der Zülpicher Börde und mündet nach einer Westfalen war sie stark durch häusliche Abwässer Fließstrecke von 42 km bei Weilerswist in die Erft. aus landwirtschaftlichen Betrieben belastet (Güte- klasse III). Durch einen intensiv verschmutzten namenlosen Nebenbach in Höhe von Burg Münch- hausen verschlechterte sich die Gewässergüte der Swist im weiteren Verlauf sogar auf Güteklasse IV (Abb. 2). Die Ammonium-N-Gehalte lagen in diesem Bereich bei über 50 mg/l und die Gesamtphosphat- P-Konzentrationen um 13 mg/l. Weiter bachabwärts zwischen Meckenheim und dem Mündungsbereich des Morsbaches konnte eine streckenweise Verbes- serung zu Güteklasse III beobachtet werden. Der Unterlauf (ab der Ortslage Swisttal-Miel bis zur Mün- dung in die Erft) war wieder übermäßig verschmutzt (Güteklasse IV). Daran hatten die stark verunreinig- Abb. 1: Die Swist bei Weilerswist ten Zuläufe Rotterbach, Schießbach und die Klär- anlagen in Meckenheim und in Flerzheim großen Zwischen 1970 und 1980 gehörte die Swist zu den Anteil. stark belasteten Gewässern in Nordrhein-West- falen. Als Ursache sind vor allem die Einleitungen Bereits 1980 hatte sich die Gewässergüte der Swist von nicht bzw. nicht ausreichend geklärtem Abwas- erheblich verbessert. Am auffälligsten kann das am

1971

1980

1997 km 5 km 20 km 30 km 25 km 10 km 15 Meckenheim Morenhoven Heimerzheim Adendorf Mündung Mündung Landesgrenze Rheinland-Pfalz Swist

Gewässergüteklassen

I I-II II II-III III III-IV IV

Abb. 2: Entwicklung der Gewässergüte der Swist von 1971 bis 1997

104 Verschwinden der Farbe Rot in der Gütedarstellung einem 10 km langen kritisch belasteten Abschnitt deutlich gemacht werden (Abb. 2). Grund zur Ent- (Güteklasse II-III) zwischen Meckenheim und warnung gab es zu diesem Zeitpunkt aber noch Swisttal-Morenhoven befindet sich die Swist nun im nicht, da an keinem Fließabschnitt Güteklasse II mäßig belasteten Zustand (Güteklasse II). Darauf (Güteziel der AGA, LWA 1991) verwirklicht worden weisen besonders die gemessenen chemischen war. Der Oberlauf wies im Vergleich zu 1971 nur Kenngrößen hin. Beispielsweise lag zum Unter- noch eine kritische Belastung (Güteklasse II-III) suchungszeitraum an keiner Stelle im nordrhein- auf. Aber im weiteren Verlauf trug der bereits westfälischen Abschnitt die Ammonium-N- oder die oben erwähnte namenlose Nebenbach zu ab- Gesamtphosphat-P-Konzentration über 0,2 mg/l schnittsweise sehr starken Verschmutzung (Güte- bzw. 0,3 mg/l. Der oben genannte kritisch belastete klasse III-IV) der Swist bei. Durch Selbstreinigungs- Abschnitt wird von der Zusammensetzung der und Verdünnungseffekte stellte sich wieder Güte- tierischen Lebensgemeinschaft, die Indikatorfunk- klasse II-III ein. Aber ab Rheinbach-Flerzheim sorg- tion für organische Verunreinigungen hat, ange- te die dort gelegene Kläranlage, weiter bachabwärts zeigt. Großen Anteil an der heutigen Gewässerqua- die Kläranlage Heimerzheim und dazwischen diver- lität haben die Kläranlagen in Swisttal-Miel, Swisttal- se hochbelastete Zufüsse wie der Schießbach, der Heimerzeim und in Rheinbach-Flerzheim, bei denen Hochbach, der Rotterbach oder der Jungbach dafür, der Schwerpunkt der Abwasserbehandlung auf dem dass die Swist bis zur Mündung in die Erft Güte- Ammoniumabbau und der Eliminierung der Nähr- klasse III (stark verschmutzt) nicht mehr unter- stoffe Stickstoff und Phophor liegt. schreiten konnte. Wie unzureichend die Leistung 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Durch früher durchgeführte wasserbauliche Ein- einiger Abwasserreinigungsanlagen zu dieser Zeit griffe entstand streckenweise eine besiedlungs- war, kann am Beispiel der Kläranlage Heimerzheim feindliche Gewässersohle. Am trapezförmigen Ufer- gezeigt werden. Unterhalb ihres Ablaufes betrug die profil fehlt auch ein Gehölzsaum, der das Gewässer Ammonium-N-Konzentration in der Swist 50 mg/l. beschattet. Zwar wurden zwischenzeitlich Maßnah- Die Abwasserreinigung fand faktisch im Gewässer men zur ökologischen Verbesserung ergriffen, aber statt. es gibt auf diesem Gebiet noch einiges zu tun. Abhilfe bezüglich der Wasserqualität brachte ein 1987 aufgestellter Bewirtschaftungsplan. Er diente der Lenkung wasserrechtlicher Entscheidungen. Literatur Die Ergebnisse dieses wasserwirtschaftlichen Steu- LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1991): Allge- erungsinstruments lassen sich an den 1997 erhobe- meine Güteanforderungen für Fließgewässer (AGA). LWA- nen Gewässergütedaten veranschaulichen. Außer Merkblätter Nr. 7, Düsseldorf

105 Ruhr

3.2.5 Ruhr 3.2.5.1 Die untere Ruhr – Ein staureguliertes Fließgewässer auf dem Weg zur ökologischen Durchgängigkeit Andreas Thiel, Jürgen Buderus & Hans Gino Broggiato (StUA Duisburg)

Einleitung dichte führte zu Problemen bei der Trinkwasser- versorgung und Abwasserentsorgung. Das gesamte Die Ruhr (Abb. 1) durchfließt als eines der größten Gewässer wurde den anthropogenen Bedürfnissen Nebengewässer des Rheins die drei Dienstbezirke entsprechend ausgebaut. Ehemals naturnahe Ufer- der Staatlichen Umweltämter Lippstadt, Hagen und und Umfeldstrukturen wurden durch Uferbefestigun- Duisburg. Ihr Einzugsgebiet umfasst eine Fläche gen und Deichbau ersetzt. von rund 4.500 km² und bildet den landschafts- prägenden Bestandteil des Ruhrgebietes. Im Unterlauf (ab Stat.-km 41,4, Essen-Relling- hausen/Rotemühle) ist die Ruhr durchgehend für Die Ruhr ist nach Gefälle, Fließgeschwindigkeit und die Schifffahrt ausgebaut (Uferbefestigungen, Anle- Abflussschwankungen ein typischer Mittelgebirgs- gestellen, Stauwehre, Schleusen etc. mit zugehöri- fluss. Sie entspringt am Ruhrkopf bei Winterberg ger Infrastruktur). Nördlich des Mündungsbereiches (674 m üb. NN), hat eine Länge von 218 km und grenzt unmittelbar der Ruhrorter Hafen an, der mündet bei Duisburg-Ruhrort (17 m üb. NN) in den durch gewerbliche und industrielle Flächen über-

Rhein. Je nach Wasserstand des Rheines überwin- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens formt ist. Mit der Verkleinerung der Wasserfläche det die Ruhr dabei ein mittleres Gefälle von 3 ‰. des Hafens – Kaiserhafen, Innenhafen und Vincke- Die mit der industriellen Entwicklung des Ruhrge- kanal wurden ganz oder teilweise zugebaut – ist den bietes verbundene Zunahme der Bevölkerungs- Flüssen Rhein und Ruhr ein Teil des Retentions- Oberhausen

Essen Bochum Dortmund Mülheim Ru hr Witten Duisburg Baldeneysee Kemnade Stausee ein Kettwig Hengsteysee Rh Wetter Hattingen Werden Stausee L Harkortsee e n n Hagen e V o lme

Oberhausen Bochum Essen Langschede Ruhr Möhne Witten H B W A H ev ib a b ö e e n ba n G r neb E b ne ne le l . n nn se a e Wetter b W .

Mülheim Hattingen h Arnsberg

. c

b a Duisburg r r Giesmecke . b e h rb

r . e

h h e t pe ö it

R c a d k S b

c

in erb s R l b

d a a

s e e e G b f ie

l ss G r B

i b s

H l e

e a ll E

P e D Hagen e p H r e .

e b

o

m p l p

l

S

b

a p e

Le W s E

r o

n n V

e e

n K n i

e n e

Vo n N e H lm r e e

g e N

Lenne

Bigge- Talsp.

Abb. 1: Das Einzugsgebiet der Ruhr

107 raumes für die periodischen Hochwasserzeiten terien. Der Sauerstoffverbrauch kann durch die genommen worden, so dass es in extremen Hoch- Atmung von Rädertieren z. B. im Baldeneysee noch wassersituationen zur Überflutung der Stauwehran- erheblich verstärkt werden, so dass Fischsterben lage Duisburg-Kasslerfeld kommen kann. die Folge sein können. Daher sind für Situationen in denen die Sauerstoffkonzentrationen unter 5 mg/l Die heute vorrangige Funktion der Ruhr ist die Trink- sinken an mehreren Stellen in der Ruhr Belüftungs- wasserversorgung. Außerdem wird der Fluss zur einrichtungen installiert. Aufnahme von gereinigtem Abwasser und als Frei- zeit- und Erholungsraum genutzt. Von aktueller Bedeutung sind ebenfalls die Wasserkraftnutzung an der Mehrzahl der Wehranlagen, die Aufnahme Chemische Wasserqualität und faunistische und Ableitung von Mischwasserentlastungen, die Besiedlung Betriebswasserentnahme, die Speisung des west- Im Dienstbezirk des StUA Duisburg stellen im deutschen Kanalsystems und die ökologische Ge- wesentlichen die Einleitungen von sechs kommuna- wässerfunktion. len Kläranlagen, mehrere Mischwasserentlastungen und Schmutzfrachteinträge aus dem Rinderbach Ruhrstauseen (Güteklasse III) Belastungsquellen für die Ruhr dar. Ursprünglich hatte die Ruhr als Mittelgebirgsfluss Betrachtet man die Entwicklung der Gesamtphos- eine Gewässerstruktur und Wasserqualität, die bis phor-Konzentrationen seit Anfang der achtziger zum Jahr 1880 das Vorkommen von Wanderfischen, Jahre, so ist ein rückläufiger Trend festzustellen wie Lachse und Meerforellen, ermöglichten. (Abb. 2). Ursachen dafür sind: Die Reduzierung des Phosphatanteils in Wasch- und Reinigungsmitteln Bis Ende der sechziger Jahre wurde der Bau von seitens der Hersteller, sowie die erhöhte Phosphor- fünf Ruhrstauseen (Abb. 1) – Hengsteysee, Harkort- Rückhalteleistung der Kläranlagen. Die Konzentra- see, Kemnader Stausee, Baldeneysee und Kett- tionen liegen seit 1995 fast durchgehend unter der wiger Stausee – und anderer Wehranlagen verwirk- Zielvorgabe der AGA von ≤ 0,3 mg/l (LWA 1991). licht. Die Qualitätsziele für Phosphor in gestauten Fließ- Das Aufstauen von Fließgewässern ist ein weit- gewässern vom Typ Ruhr von 0,16 – 0,2 mg/l reichender Eingriff in die Ökologie dieser limnischen werden dagegen zeitweise noch überschritten Systeme. Dadurch erfahren verschiedene ökolo- (HAMM 1991). gisch wirksame Faktoren teilweise gravierende Ver- änderungen. Aus limnologischer Sicht, stellen stau- mg/l geregelte Fließgewässer Mischformen zwischen 2,5 fließenden und stehenden Gewässern dar. Für die 2,0 biologische Beurteilung der gestauten Bereiche können weder die Kriterien für Fließgewässer noch 1,5 die Kriterien für stehende Gewässer eindeutig ange- 1,0 wendet werden.

0,5 AGA- Die größere Verweilzeit des Wassers in den Stau- Zielvorgabe 0,3 seen führt zur Sedimentation partikulär gebundener 0,0 Nährstoffe und ermöglicht die Entwicklung von Jahr 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Plankton in hoher Dichte. Außerdem tritt im Sommer 80-85 86-88 Mendener Brücke oberhalb Baldeneysee eine starke Erwärmung des Flusswassers ein. Die Verstärkung der Planktonentwicklung im Stau ist Abb. 2: Entwicklung der Gesamtphosphat-Konzen- eine typische Erscheinungsform der Eutrophierung, trationen (90-Perzentile) an den Trendmess- die auch in der Ruhr zu Sekundärverschmutzungen stellen: führt. Am Tag treten während der Vegetationspe- Ruhr, oh. Baldeneysee (Stat.-km 37,62) riode erhebliche Sauerstoffübersättigungen durch und Mendener Brücke (Stat.-km 16,36) Photosynthese auf, in der Nacht hingegen Sauer- stoffdefizite durch die Atmung von Algen und Bak-

108 Die NH4-N-Konzentrationen zeigen ebenfalls einen dar. Nach den Untersuchungen der Wasserwerke, abnehmenden Trend. Sie liegen jedoch auch in den die zur Rohwasserüberwachung regelmäßig durch- 90er Jahren zum Teil noch über der Zielvorgabe der geführt werden, treten insbesondere Diuron, Isopro- AGA von ≤ 1 mg/l (Abb. 3). turon, Chlortoluron, Atrazin, Simazin und Mecoprop

mg/l in höheren Konzentrationen im Ruhrwasser auf. Die 3,0 Haupteintragspfade sind, nach Untersuchungen der Staatlichen Umweltämter und des LUA offensichtlich 2,5 die kommunalen Kläranlagen. 2,0 Von 1975 bis 1999 wurde die untere Ruhr auf 1,5 AGA- der Fließstrecke zwischen Wehr Spillenburg und Zielvorgabe 1,0 Mendener Brücke aufgrund der biologischen und 0,5 physikalisch-chemischen Untersuchungsergebnisse

0,0 unverändert in die Güteklasse II-III (kritisch belastet) Jahr eingestuft. Der Saprobienindex lag mit einer Aus- 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 80-85 86-88 nahme (Mendener Brücke 1999) stets im Bereich Mendener Brücke oberhalb Baldeneysee ≥ 2,3 (Abb. 5). Abb. 3:Entwicklung der NH -N-Konzentrationen 4 Saprobienindex

(90-Perzentile) an den Trendmessstellen: 2,7

Ruhr, oh. Baldeneysee und Mendener 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens 2,6 Brücke Gewässergüteklasse II-III 2,5

Die 90-Perzentilwerte der Sauerstoffkonzentra- 2,4 tionen werden hinsichtlich der AGA deutlich einge- 2,3 halten. Die Betrachtung der Minima zeigt, dass die 2,2 Anforderungen der AGA zeitweise nicht erfüllt 2,1 werden (Abb. 4). 2 Datum

Die organische Belastung der unteren Ruhr und die 12.07.84 04.09.85 15.07.86 30.09.87 01.09.88 23.05.89 24.08.90 05.09.91 29.09.92 12.08.93 18.08.94 20.07.95 12.09.96 31.07.97 26.08.98 02.12.99 Schwermetallkonzentrationen zeigen insgesamt Mendener Brücke oh. Baldeneysee eine abnehmende Tendenz. Abb. 5:Gewässergüteklasse und Saprobienindex Einen besonderen Problembereich in Hinblick auf an den Trendmessstellen die Trinkwasserversorgung stellt nach wie vor der Eintrag von Pflanzenbehandlungsmitteln in die Ruhr Die in den Güteuntersuchungen festgestellte Bio- zönose des Makrozoobenthos setzt sich vorwie- mg/l gend aus verschmutzungstoleranten Arten, wie z. B. 16 Erpobdella octoculata (Rollegel), Helobdella stagna- 14 lis (Plattegel), Asellus aquaticus (Wasserassel) und 12 Bithynia tentaculata (Langfühlerige Schnauzen- 10 schnecke) sowie mehreren Strudelwurm- und Mollu- 8 AGA- skenarten zusammen (Abb. 6). Daneben treten Zielvorgabe 6 auch empfindlichere Arten, wie z. B. Gammarus 4 pulex (Bachflohkrebs) und Ancylus fluviatilis 2 (Mützenschnecke) auf. 0 Jahr Es fehlen strömungsliebende Eintagsfliegen –, 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 80-85 86-88 Köcherfliegen- und Steinfliegenlarven. Anfang Mendener Brücke (90-Perz.) Mendener Brücke (min.) November 1999 wurde an der Trendmessstelle oberhalb Baldeneysee (90-Perz.) oberhalb Baldeneysee (min.) Ruhr-Mendener Brücke erstmals ein Saprobien-

Abb. 4: O2-Konzentrationen (90-Perzentile und index von 2,22 festgestellt. Es bleibt abzuwarten, ob Minima) an den Trendmessstellen: Ruhr, die Entwicklung zur Güteklasse II im Jahr 2000 oh. Baldeneysee und Mendener Brücke bestätigt werden kann.

109 oh. Baldeneysee Taxazahl

20

18

16

14

12

10

8

6

4

2

0

Jahr 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Mendener Brücke Taxazahl

20

18

16

14

12

10

8

6

4

2

0 Jahr 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999

Porifera ( Schw ämme) Turbellaria (Strudelw ürmer) Gastropoda (Schnecken) Lamellibranchiata (Muscheln) Oligochaeta (Wenigborster) Hirudinea (Egel) Crustacea (Krebse) Ephemeroptera (Eintagsfliegen) Odonata (Libellen) Megaloptera (Schlammfliegen) Coleoptera (Käfer) Trichoptera (Köcherfliegen) Diptera (Zw eiflügler)

Abb. 6: Taxazahlen und Zusammensetzung des Makrozoobenthos in der unteren Ruhr

Ökologische Durchgängigkeit an den Weh- dem 18. Jahrhundert, wurde die Ruhr zugunsten der ren der unteren Ruhr Schifffahrt ausgebaut. Für den Salz- und Kohlen- transport wurden Schleusen an den Wehranlagen Die Ruhr unterlag in ihrer Geschichte einer Vielzahl errichtet. Gleichzeitig sollten Buhnen und Grund- von Nutzungen, die ihre Form und ihren Charakter schwellen die Wassertiefe erhöhen. Im Rahmen der maßgeblich beeinflusste. Bereits ab dem 12. Jahr- Flussregulierung wurde zusätzlich ein Leinpfad von hundert wurden Wehre errichtet, um die Energie für 3,70 m Breite errichtet, auf dem Pferde die Schiffe, den Betrieb von Korn-, Lohe-, Öl-, Papier- oder sogenannte Aaken, zu Berg treidelten. Walkmühlen zu nutzen. Später, im wesentlichen ab

110 Zum heutigen Zeitpunkt befinden sich an der Im Rahmen der Erarbeitung des Ruhrauenkonzep- unteren Ruhr zwischen Unterwasser Harkortsee tes wurde festgestellt, dass die Wiederherstellung (~ km 80) und der Mündung in den Rhein noch der ökologischen Vernetzung des Flusses mit seiner 13 Wehranlagen. Ihr Zweck hat sich mittlerweile ver- Aue auf große Schwierigkeiten stößt. Ehemalige Alt- ändert. Neben der Notwendigkeit für die Schifffahrt gewässer in der Ruhraue können nur in bescheide- – die Ruhr ist zwischen Duisburg und Essen nem Maße zurückgewonnen werden, die Entfesse- „Zornige Ameise“ Landes- bzw. Bundeswasser- lung der Ufer ist ebenfalls nur begrenzt möglich. straße – liegt ihre Bedeutung in der Wasserhaltung für die Trinkwassergewinnung und der Wasserkraft- Die Wiederherstellung der ökologischen Durch- nutzung. Für die Naherholung und den Wassersport gängigkeit entlang der Gewässerachse hat dem- der Bevölkerung im Ruhrgebiet sind die Ruhrstau- gegenüber größere Chancen auf Realisierung. Zwar seen von herausragender Bedeutung. wird sich die Zahl der Wehranlagen wegen der unveränderten und für die Ansprüche der Ruhrge- Neben dem beschriebenen Eingriff am Gewässer bietsbewohner erforderlichen Nutzungen in näch- selbst wirkt sich ein weiterer Faktor auf die Entwick- ster Zeit nicht reduzieren lassen, dennoch ist das lungsmöglichkeit der Ruhr aus: Die Besiedelung Erreichen der Durchgängigkeit in absehbarer Zeit und Industrialisierung des Ruhrgebietes. Hierdurch möglich. entwickelten sich die Städte, die zugehörige Indu- strie und sonstige anthropogene Ansprüche z. B. Von den 13 o. g. Staustufen sind bereits 9 mit Fisch- aufstiegen ausgerüstet (Abb. 7). Die Bauart der vor-

(Wasserwerke) in Richtung des Gewässers. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens handenen Fischaufstiege reicht von herkömmlichen Heute gilt es, die Ansprüche des § 1a Wasserhaus- Betonbeckenpässen (Abb. 10), über moderne Verti- haltsgesetzes und des Gewässerauenprogramms cal-Slot-Pässe bis hin zu naturnahen Rauhgerinne- aber auch das Programm „Lachs 2000“ umzuset- Beckenpässen. zen. Allen ist das Ziel gemein, das Gewässer und seine Aue so weit wie möglich in einen naturnahen Bei den Anlagen älteren Datums sind zum Teil Zustand (zurück-)zuentwickeln. Anpassungen an heutige Bedingungen oder Er-

Nr. Stauanlage Aufstieg vorh. ? Anzahl Art Nr. Stauanlage Aufstieg vorh. ? Anzahl Art 1 Duisburg ja 1 Beton 7 Horst ja 1 Beton 2 Raffelberg ja 1 Beton 8 Dahlhausen ja 1 Beton 3a Broicher Schlag ja 1 Beton 9 Hattingen nein 0 / 3b Kahlenberg Wehr ja 1 Beton 10 Blankenstein nein 0 / 4 Kettwig nein 0 / 11 Kemnade ja 1 Beton 5 Baldeney nein 0 / 12 Herbede ja 1 Beton Rauhgerinne- 6 Spillenburg ja 1 13 Witten ja 2 Beton beckenpass

Abb. 7: Staustufen und Fischaufstiege an der unteren Ruhr

111 kenntnisse erforderlich. Die Veränderungen können Die Planungen für die Umsetzung des Programms dabei so gravierend sein, dass ein kompletter Neu- Lachs 2000 schreiten für alle Anlagen voran, so bau des jeweiligen Fischaufstiegs erforderlich wird. dass als realistische Perspektive die untere Ruhr bis Dabei und auch bei der Ergänzung der vier noch zum Jahr 2010 auch für den Lachs passierbar sein nicht ausgerüsteten Wehranlagen müssen zum Teil dürfte. neue, alternative Wege beschritten werden. So Durch die Umsetzung des Ruhrauenkonzeptes und wurde z. B. in den Freischuss der Wasserkraftan- den Bau von Fischaufstiegen sollen in den nächsten lage Kahlenberg eine Fischschleuse (Abb. 8) einge- Jahren ein Biotopverbund und die ökologische baut. Durchgängigkeit an der Ruhr wiederhergestellt und gesichert werden. In Anlehnung an neuere, natur- nahe Bauweisen von Fischaufstiegsanlagen hat das Staatliche Umweltamt Duisburg 1993 am Spillen- burger Wehr in Essen-Steele einen Rauhgerinne- Beckenpass errichtet (Abb. 11).

Im Mai 1994 wurden erfolgreiche Überprüfungen auf Fischdurchgängigkeit durch die LÖBF/LafAO, Dezernate für Fischerei und die Landesfischereian- Abb. 8: Prinzipskizze Fischschleuse stalt durchgeführt. Im Juli und Oktober 1995 unter- suchte das StUA Duisburg die Makrozoobenthosbe- An der Wehranlage Hattingen wird in Kürze eine siedlung der abgebildeten Anlagen. kombinierte Bootsrutsche mit integriertem Fisch- aufstieg in naturnaher Bauweise erstellt werden Die Ergebnisse der vergleichenden Untersuchung (Abb. 9a+b). Die Anlage ist hierbei so dimensio- zur Zusammensetzung des Makrozoobenthos sind niert, dass sie einen Niedrigwasserdurchfluss von in Abbildung 12 und Tabelle 1 dargestellt. In dem 10 m³/s (!) haben wird. Neigung und Bauart sind so Betonbauwerk zeigte sich eine deutliche Abnahme angelegt, dass der Auf- und Abstieg von Fischen der Artenvielfalt entlang der Aufstiegstrecke bis hin und Benthosfauna sowohl über die Fischtreppe als zur biologischen Verödung im oberen Bereich. In auch über die Bootsrutsche möglich ist. der naturnah gestalteten Anlage war dagegen ein

Abb. 9a: Kombinierte Bootsgasse/Fischaufstieg in der Aufsicht

Abb. 9b: Kombinierte Bootsgasse/Fischaufstieg im Querschnitt

112 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Abb. 10: Herkömmliche Fischtreppe, Abb. 11: Naturnaher Fischaufstieg, Essen-Horst Essen-Spillenburg breites Artenspektrum mit hoher Individuendichte einander verbunden. Die Art des Fischaufstieges und gleichmäßiger Verteilung über die gesamte Auf- am Spillenburger Wehr soll für die Neuerstellung stiegsstrecke zu beobachten. weiterer und den Umbau vorhandener Anlagen an der Ruhr richtungweisend sein. Im Vergleich zu den stauregulierten Ruhrabschnit- ten oberhalb und unterhalb des naturnahen Fisch- Wir danken allen Mitarbeitern, die beim Bau des aufstieges wurde im Rauhgerinne-Beckenpass ein naturnahen Fischaufstieges mitgearbeitet haben, breiteres Artenspektrum und eine höhere Indivi- Frau Kissing für die Bearbeitung der Proben und duendichte nachgewiesen. Insbesondere strö- Frau Mattner für die Erstellung der Grafiken. mungsliebende Arten sind hier häufiger anzutreffen als im staugeregelten Ober- und Unterwasser der Wehranlage. Es treten gewässertypische Eintags- fliegen- und Köcherfliegenlarven in höherer Taxazahl Literatur und -häufigkeit auf. LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1991): Allgemeine Güteanforderung für Fließgewässer (AGA). LWA-Merkblätter Aufgrund der günstigen Strömungsbedingungen Nr. 7, Düsseldorf. und der sich einstellenden Substratvielfalt ent- HAMM, A. (Hrsg.) (1991): Studie über die Wirkungen und Quali- wickelt sich der naturnahe Fischaufstieg zu einem tätsziele von Nährstoffen in Fließgewässern. Academia Ver- wichtigen Kleinbiotop innerhalb des Fließgewäs- lag, Sankt Augustin, 830 S. sers. Durch Querverbau voneinander getrennte Flussabschnitte werden so wieder ökologisch mit-

113 Spillenburger Wehr Horster Wehr Fischaufstieg Ober- Fischaufstieg Ober- oberer wasser oberer wasser unterer mittlerer unterer mittlerer Taxon Unter- Bereich Unter- Bereich Bereich Bereich Bereich Bereich wasser wasser Porifera Spongilidae 43 3 3333 2 03 (Schwämme) (nicht differenziert) Dendrocoelum lacteum 2 2 3 2220 0 00 Dugesia lugubris 4 4 5 4340 0 04 Turbellaria Dugesia tigrina 0 3 3 3000 0 00 ( Strudelwürmer) Polycelis tenuis 2 2 2 2030 0 03 Bdellocephala punctata 2 0 0 0000 0 00 Ancylus fluviatilis 2 3 4 3222 3 33 Gastropoda Bithynia tentaculata 4 4 5 5334 0 04 (Schnecken) Acroloxus lacustris 0 0 2 0000 0 04 Radix ovata 2 1 2 2222 0 02 Lamelli- Sphaerium corneum 26 6 6343 0 00 brachiata (Muscheln) Anodonta cygnea 23 3 3230 0 02 Erpobdella octoculata 4 3 3 3421 0 02 Hirudinea Helobdella stagnalis 3 2 2 1300 0 00 (Egel) Glossiphonia complanata 0 0 1 0200 0 00 Asellus aquaticus 5 3 3 3453 0 04 Crustacea Proasellus coxalis 0 1 0 0000 0 00 (Krebse) Atyaephyra desmaresti 0 1 0 0000 0 00 Gammarus pulex 3 4 5 5222 1 03 Baetis buceratus 0 2 3 3000 0 00 Baetis fuscatus 0 1 2 1000 0 00 Ephemer- Cloeon simile 1 0 0 0000 0 00 optera Cloeon dipterum 1 0 0 0000 0 00 (Eintagsfliegen) Ecdyonuridae 0 0 0 1000 0 00 Caenis sp. 2 2 2 2122 0 00 Megal- optera Sialis lutaria 20 0 0200 0 00 (Schlammfliegen) Coleoptera Agabus sp. 20 0 0000 0 00 (Käfer) Calopteryx splendens 0 2 1 2000 0 00 Odonata Coenagrionidae 0 0 0 0210 0 03 (Libellen) Platycnemis pennipes 2 0 0 0330 0 04 Hydropsyche angustipennis 0 2 3 2000 0 00 Hydropsyche exocellata 0 4 4 5024 4 00 Hydropsyche pellucidula 0 3 3 3010 0 00 Hydropsyche contubernalis 1 2 3 2304 3 00 Hydropsyche instabilis 0 0 0 0003 2 00 Trichoptera Rhyacophila sp. 0 0 0 0010 0 10 (Köcherfliegen) Cyrnus trimaculatus 3 2 3 3200 0 02 Ecnomus tenellus 1 3 4 4000 0 00 Ceraclea fulva 2 2 2 3004 2 00 Mystacides azurea 0 2 1 2000 0 00 Neureclipsis bimaculata 0 1 0 0000 0 10 Simuliidae 0 2 2 2024 4 40 Diptera Atherix ibis 0 0 0 2200 0 00 (Zweiflügler) Chironomidae ( rot ) 4 3 3 3344 4 53 Chironomidae ( weiß ) 2 0 0 0020 0 02

Tab. 1: Liste der nachgewiesenen Taxa Häufigkeiten: 1 = vereinzelt (präsent) 2 = wenig 3 = wenig bis mittel (abundant) 4 = mittel 5 = mittel bis viel (aspektbildend) 6 = viel 7 = massenhaft (dominant)

114 Herkömmlicher Fischaufstieg Naturnah gestalteter Fischaufstieg Horster Wehr Spillenburger Wehr Oberwasser

Häufigkeit Häufigkeit 7 7 Horster Wehr Spillenburger Wehr Oberwasser Oberwasser 6 6

5 5

4 4

3 3

2 2

1 1

0 0 Taxa Taxa Fischaufstieg

Häufigkeit Häufigkeit 7 7 Horster Wehr Spillenburger Wehr oberer Bereich oberer Bereich 6 6 oberer 5 5 Bereich 4 4

3 3

2 2

1 1 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

0 0 Taxa Taxa

Häufigkeit Häufigkeit 7 7 Horster Wehr Spillenburger Wehr mittlerer Bereich mittlerer Bereich 6 6 mittlerer 5 5 Bereich 4 4

3 3

2 2

1 1

0 0 Taxa Taxa

Häufigkeit Häufigkeit 7 7 Horster Wehr Spillenburger Wehr unterer Bereich unterer Bereich 6 6 unterer 5 5 Bereich 4 4

3 3

2 2

1 1

0 0 Taxa Taxa Unterwasser

Häufigkeit Häufigkeit 7 7 Horster Wehr Spillenburger Wehr Unterwasser Unterwasser 6 6

5 5

4 4

3 3

2 2

1 1

0 0 Taxa Taxa Abb. 12: Artenspektrum und Häufigkeitsverteilung in einer herkömmlichen Fischtreppe (Essen, Horster Wehr) und in einem naturnah gestalteten Fischaufstieg (Essen, Spillenburger Wehr) [Farbcodierung siehe Tab. 1]

115 Volme

3.2.5.2 Die Volme – Entwicklung der Gewässergüte im Zeitraum von 1969/70 bis 1998/99

Ulrich Schmieds (StUA Hagen)

Hydrologische und geomorphologische Aspekte

Der Ruhrzufluss Volme entspringt auf einer Höhe 460 m ü. NN in einem landwirtschaftlich genutzten Gebiet südöstlich von Meinerzhagen. Nach einer Fließstrecke von 49,3 km mündet die Volme auf etwa 90 m ü. NN bei Hagen in die Ruhr. Das Ein- zugsgebiet umfasst 427 km² (entspricht 9,5 % des Ruhreinzuggebietes). Es ist naturräumlich dem Nordteil des rechtsrheinischen Schiefergebirges und damit dem Sauerland zuzurechnen. Abb.1: Die Volme im Stadtgebiet von Hagen am Landschaftlich ist das Gebiet als typisches Mittelge- Pegel Eckesey, ca. 1,2 Kilometer vor Mün- birge mit zahlreichen tief eingeschnittenen Tälern dung in die Ruhr (Trendmessstelle, Mess- gekennzeichnet (PATTICHIS & LEDOUX 1996). Eine stelle Nr. 441 200) 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens ausgezeichnete Darstellung der Pflanzen- und Tier- welt im historisch bedingt stark anthropogen über- Untersuchungsprogramm und Messstellen- formten Volmeauenbereich im Raum Schalksmühle netz findet sich bei BUSSMANN (1996). Im Auftrag des damaligen Wasserwirtschaftsamtes Im direkten Einzugsgebiet der Volme liegen zwei Hagen wurden erste chemisch-physikalische Längs- kleine Talsperren (Jubach- und Glör-Talsperre), die untersuchungen der Volme in den Jahren 1965 und jedoch nur geringen Einfluss auf das Abflussregime 1971 durch das Hygiene-Institut des Ruhrgebietes der Volme haben. Gelsenkirchen durchgeführt. Die Untersuchungen gingen einher mit ersten mikrobiologischen Be- Weitere Zuflüsse sind u. a.: Elspe, Lösenbach, Lin- stimmungen (Koloniezahl, Colikeimzahl) und Ver- nepe, Großer Klage Bach, Sterbecke, Epscheider suchen, die Saprobie anhand dominanter Organis- Bach, Selbecke und schließlich Ennepe, die mit mengruppen (Bakterien, Ciliaten) zu bestimmen. einem Einzugsgebiet von 187 km² das wichtigste Alte Unterlagen belegen, dass fast im gesamten und größte Nebengewässer der Volme ist. Volmeverlauf die Organismendichte zu gering war, Den an der Volme eingerichteten Pegeln können die um einen Saprobienindex verlässlich ermitteln zu in Tabelle 1 aufgeführten hydrologischen Haupt- können. werte zugeordnet werden: Chemisch-physikalische Längsuntersuchungen des nunmehr eingerichteten Chemielabors des Wasser- wirtschaftsamtes ergänzten in den Jahren 1967 und 1970 den Datenpool über die Volme, so dass das

Tab.1: Langjährige hydrologische Daten ausgewählter Volmepegel

Pegel Fluss-km Jahresreihe MNQ MQ MHQ [m³/s] [m³/s] [m³/s] Kierspe/Volme 42,4 1975 – 1995 0,09 0,69 11 Stephansohl/Volme 39,4 1970 – 1993 0,34 2,5 33 Hagen-Ambrock/Volme 11,0 1951 – 1994 1,1 5,6 73 Hagen-Eckesey/Volme 1,2 1951 – 1995 1,3 9,2 114

117 Gewässer in der ersten Gütekarte des Landes NRW begrenzten Messprogramm einen vertieften dargestellt werden konnten (Gewässergütekarte Eindruck über die Situation in ausgewählten 1973). Einzugsgebieten zu erlangen.

Im Zuge der erheblich verbesserten apparativen l Trendmessstellen werden zur Erkennung län- und personellen Ausstattung der Labors in der Was- gerfristiger Trends an Orten ausgeprägter serwirtschaftsverwaltung – so war seit 1972 in wasserwirtschaftlicher Relevanz eingerichtet. An Hagen ein Biologe tätig – wurden die Gewässer- den Trendmessstellen werden sowohl im Hin- güteuntersuchungen allgemein und somit auch spe- blick auf die Häufigkeit (13 mal jährlich) als auch ziell die an der Volme verdichtet und systematisiert. auf die Zahl der Messgrößen die umfangreich- Grundsätzlich wurden in den Folgejahren hydrobio- sten Untersuchungen vorgenommen. logische Befunde zur Festlegung von Gewässer- güteklassen zugrunde gelegt. Basis hierfür war Die aktuellen Gewässergütemessstellen der Volme die durch die Länderarbeitsgemeinschaft Wasser und deren Zuordnung zu Überwachungsstufen sind (LAWA 1976) herausgegebene Schrift „Die Gewäs- der Tabelle 2 zu entnehmen. sergütekarte der Bundesrepublik Deutschland“, in Waren es in den ersten Untersuchungsjahren der einheitliche Kriterien für die Beurteilung der (1965 – 1975) 14 Messstellen, so erreichte infolge Gewässergüte von Fließgewässern festgelegt und zahlreicher Gewässerverunreinigungen und Fisch- Gewässergüteklassen hinsichtlich des Zustandes sterben die Messstellendichte im Zeitraum zwischen der dazugehörigen Biozönose, häufig anzutreffen- 1985 – 1990 mit 28 Messstellen, die zum Teil gezielt der Konzentrationen wesentlicher chemischer Ver- unterhalb von Einleitungen aus Kläranlagen und schmutzungsindikatoren und weiterer Beschaffen- Industriebetrieben gelegt wurden, ein Maximum. heitsdaten der Gewässer definiert wurden. Die „Richtlinie für die Ermittlung der Gewässergüte- Derzeit werden 9 Basismessstellen direkt an der klasse“ (LWA NW 1982) füllte den durch die LAWA- Volme beprobt. Aufgrund des Wegfalls alter Kläran- Schrift vorgegebenen Rahmen für das Land Nord- lagen bzw. des Neubaus sowie Erweiterung be- rhein-Westfalen mit den erforderlichen Festlegun- stehender Anlagen und der Sanierung von Kanal- gen im Detail aus, so dass ab diesem Zeitpunkt netzen war und ist eine erhebliche Verminderung detaillierte Unterlagen über die Entwicklung der der Abwasserbelastung der Volme zu erwarten. Um Benthosbiozönose der Volme vorliegen. Die u. a. für diese Sanierungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer die Ermittlung der Gewässergüteklasse erforder- Effektivität zu dokumentieren, wird seit 1996 ein liche Bestimmung des Saprobienindex ist durch Intensivmessprogramm durchgeführt, in dem rele- eine DIN-Norm (DIN 38 410, Teil 2, 1990) vorge- vante Gewässergütemessstellen intensiv (1996: geben. 8 mal pro Jahr, in den Folgejahren 13 mal pro Jahr) überwacht werden. Diese Intensivüberwachung Die Ermittlung der Gewässergüteklasse ist in erstreckt sich auch auf den übermäßig verschmutz- Nordrhein-Westfalen Bestandteil des 1989 einge- ten Volmezufluss Elspe (Tab. 2). führten und 1991 modifizierten Gewässergüteüber- wachungssystems GÜS (LUA 1997) (vgl. Kap. Da es sich bei den Sanierungsmaßnahmen der letz- 3.1.1). Kernstück des GÜS ist die Langzeitimmis- ten Jahre in erster Linie um Maßnahmen handelt, sionsüberwachung. Durch ein stark differenziertes die sich auf kommunales Abwasser beziehen, ist der Messprogramm, das drei unterschiedlich intensive Schwerpunkt der Intensivüberwachung von den Überwachungsstufen beinhaltet, werden lokale Messgrößen her auf folgende Parameter ausge- Besonderheiten der Belastung und Nutzung der richtet: Gewässer berücksichtigt: l Grundmessprogramm Biologie: Saprobienindex, Gewässergüteklasse. l Am flächendeckenden Messstellennetz der Basismessstellen werden die grundlegenden l Grundmessprogramm Chemie: biologischen und begleitenden chemisch-physi- Wassertemperatur, pH-Wert, Elektrische Leit- kalischen Messungen durchgeführt. fähigkeit, Sauerstoffgehalt, Ammonium-N, l In jährlich wechselnden Gebieten werden Inten- Nitrit-N, Nitrat-N, Sauerstoffzehrung in sivmessstellen eingerichtet, um in einem zeitlich 5 Tagen, TOC, Gesamtphosphor, Ortho-

118 Tab. 2: Aktuelle Gewässergütemessstellen an der Volme und deren Zuordnung zu Überwachungsstufen

Lfd. Messstellen- Gewässer- Messstellenname Entf. v d Rechtswert Hochwert Basis- Intensiv- Trend- Nr. Nr. name Mdg. [km] mess- mess- mess- stelle stelle stelle 1 439939 VOLME OH MEINERZHAGEN 48,49 340613 566425 X 2 439976 VOLME OH KA OH RUE 46,22 340456 566522 X 3 439988 VOLME OH EINL. KA MEINERZ- 46,03 340440 566530 X HAGEN A KA Meinerzhagen neu 46, seit August 1996 4 439990 VOLME UH EINL. KA MEINERZ- 45,95 340432 566535 X HAGEN B KA Meinerzhagen alt 45,9 Entfällt 5 440000 VOLME UH KA MEINERZHAGEN 45,65 340425 566560 X 6 440103 VOLME AM PEGEL KIERSPE 42,23 340317 566812 X C KA Kierspe 41,8 7 440152 VOLME UH KA KIERSPE 41,33 340334 566888 X 8 440206 VOLME BEI IN DER GRUENE 37,47 340100 567129 X 9 440309 VOLME OH EINMDG ELSPE 32,6 340092 567522 X 10 440401 VOLME UH EINMDG ELSPE 31,83 340056 567574 X 11 440449 VOLME OH EINMDG LOESEN- 30,67 339970 567625 X BACH 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens 12 440462 VOLME UH EINMDG LOESEN- 30,41 339966 567651 X BACH D/E KA Volmetal / vormals KA Lösenbachtal 29,3 seit 1999 / entfällt 13 440504 VOLME UH KA VOLMETAL 28,95 339962 567752 X 14 440607 VOLME OH SCHALKSMUEHLE 25,13 339822 567923 X 15 440656 VOLME OH KA SCHALKSMUEHLE 21,65 339665 568153 X F KA Schalksmühle 21,3 16 440700 VOLME UH KA SCHALKSMUEHLE 20,17 339672 568224 X 17 440802 VOLME OH RUMENOHL 18,67 339724 568356 X 18 440905 VOLME UH PRIOREI 15,98 339722 568541 X 19 441004 VOLME AM PEGEL AMBROCK 10,85 339666 568863 X 20 441107 VOLME OH EINMDG ENNEPE 4,33 260226 569310 X 21 441200 VOLME V MDG I D RUHR 1,21 260097 569548 X Volmezuflüsse 22 441405 ELSPE V MDG I D VOLME 0,16 340113 567546 X 23 441508 LOESEN- V MDG I D VOLME 0,1 339975 567638 X BACH 24 441703 HAELVER V MDG I D VOLME 0,02 339743 567956 X 25 441806 GLOER V MDG I D VOLME 0,15 339633 568060 X 26 441855 SELBECKE V MDG I D VOLME 0,17 260416 569129 X 27 443300 ENNEPE V MDG I D VOLME 0,32 260157 569313 X

Abkürzungen: OH oberhalb EINL. Einleitung UH unterhalb KA Kläranlage V MDG I D vor Mündung in die RUE Regenüberlauf EINMDG Einmündung

Phosphat-P, Chlorid, Sulfat sowie ein Schwer- (Fluss-km 26,39) die kontinuierliche Überwachung metall-Screening 1 x/Jahr. des Flusses durch eine Gewässergütekontroll- station. Zusätzlich werden an zwei Stellen der Volme (Trendmessstellen) langfristig wassergütewirtschaft- Ausgewählte Ergebnisaspekte werden nachfolgend liche Trends erfasst. Ergänzend zum dargestellten dargestellt. Untersuchungsumfang erfolgt in Schalksmühle

119 Die Entwicklung der Gewässergüte der verändert die Einleitung der Kläranlage Lüden- Volme scheid-Elspetal anzusehen. Die Kläranlage ent- sprach nicht den allgemein anerkannten Regeln Gewässergüteklassen der Technik. Unterhalb dieser Einleitung war die Elspe bei mehrfach festgestellten NH -N-Gehalten Schon die ersten Gewässergüteuntersuchungen 4 von über 10 mg/l übermäßig verschmutzt (Güte- (1965/71) zeigten drastisch, dass die Volme ein in klasse IV). Das Gewässer war hinsichtlich des erster Linie durch Abwassereinleitungen aus dem Makrozoobenthos verödet. kommunalen und industriellen Bereich geprägtes Gewässer war. Jahrzehntelang wurde der Oberlauf Aktuelle Untersuchungen (Oktober 1999) zeigen, des Gewässers durch die Kläranlage Meinerzhagen dass im Mündungsbereich der Elspe eine gewisse stark bis übermäßig verschmutzt (Abb. 2). Doch „Erholung“ der Makrozoobenthosbesiedlung einge- auch schon oberhalb der Kläranlage erfolgten setzt hat, das Artenspektrum jedoch aus bisher nicht bereits Belastungen durch den Zufluss Hahnen- bekannten Gründen sehr dürftig bleibt. In vergleich- becke mit dem Sickerwasser der gleichnamigen baren Fällen erfolgt eine Wiederbesiedlung von Deponie, dem aluminium- und nitritbelasteten Ab- Gewässerabschnitten, zumal im Oberlauf der Elspe wasser eines Industriebetriebes sowie durch einen eine ausgeprägte Makrozoobenthos-Lebensge- unzulänglichen Regenüberlauf. Über die von meinschaft anzutreffen ist (Güteklasse II), recht diesem Regenüberlauf ausgehenden gravierenden schnell. Es wird untersucht, ob eine Metallbelastung Gütebeeinträchtigungen (zeitweise sehr starke Ver- des Sedimentes (Altlast) als besiedlungsfeindlicher schmutzung und „Ausräumen“ des Baches an Mak- Faktor in Betracht kommt. rozoobenthos infolge des hydraulischen Stresses; im Zeitraum von 1980 – 1995) ist mehrfach, zuletzt Über mehrere Jahre wurde auch im Lösenbach im Gewässergütebericht 1993/94 (LUA 1996) be- infolge von Schadensfällen und zu vermutenden richtet worden. ungenehmigten Direkteinleitungen eine biologische Verarmung festgestellt (mehrfach Güteklasse III-IV). Die im weiteren Fließverlauf einleitende Kläranlage Die von den Zuflüssen Elspe und Lösenbach aus- Kierspe (Tab. 2), deren Reinigungsleistung auch gehende Verschmutzung schlug über lange Jahre heute noch nicht den allgemein anerkannten Regeln bis weit in den Fließverlauf der Volme durch und traf der Technik genügt und die im Jahre 2001 umge- auf die von den Kläranlagen Lösenbachtal und baut werden soll, bewirkte, dass bei einer 1995 Schalksmühle ausgehende Belastung. Die Folge durchgeführten Untersuchung noch ein kurzer Vol- war ein weitgehend kritisch belasteter, aus biolo- meabschnitt im Grenzbereich der Güteklasse II-III gischer Sicht sehr artenarmer Mittel- und Unterlauf und III einzustufen war, während oberhalb der Klär- des Flusses. anlage die Güteklasse II-III festgestellt wurde (SCHMIEDS 1996). Die Güteuntersuchungen des Jahres 1998 sowie die Vorauswertung der Untersuchungsbefunde des Aus dem Volmeabschnitt unterhalb von Kierspe Jahres 1999, belegen eine tiefgreifende Verbesse- wurden Ende der 70er Jahre bis über die Mitte der rung der Gewässergüte der Volme. Während der 80er Jahre mehrere schwere Gewässerverunreini- Fließbereich oberhalb des Stadtgebietes von gungen und Fischsterben bekannt, die durch Meinerzhagen nur gering und im Stadtgebiet mäßig Abwassereinleitungen eines Galvanik-Betriebes in belastet wird, ist unterhalb der Einleitung der um- Kierspe-Bollwerk verursacht wurden. Dieser Betrieb gestalteten Kläranlage Meinerzhagen ein kurzer wurde 1997 an das Kanalsystem angeschlossen. Abschnitt, der im Grenzbereich der Güteklassen II Weitere Hauptbelastungsschwerpunkte der Volme und II-III liegt. Der gesamte sich anschließende in den vergangenen Jahrzehnten waren die Zu- Volmeverlauf bis zur Mündung in die Ruhr weist eine flüsse Elspe und Lösenbach. Der Oberlauf der nur mäßige Belastung auf und wird in die Güte- Elspe war und ist mäßig belastet. Im weiteren Fließ- klasse II eingestuft. verlauf wurde das Gewässer durch Neutralisations- abwässer eines aluminiumverarbeitenden Betriebes biologisch stark geschädigt (Güteklasse III-IV (LUA 1996)). Als Hauptverschmutzungsursache war un-

120 KA Einleitungen (vgl.Tab.2) AbflussMQ m³/s

A B C < 0,2 0,2 - 1 1 - 5 5 - 10 D E F Einmündung in die Ruhr

Ennepe

Glör Selbecke Hälver

1969/70 Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Ennepe

Glör Selbecke Hälver 1975/76

Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Ennepe 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Glör Selbecke Hälver 1980

Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Ennepe

Glör Selbecke Hälver 1984

Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Ennepe

Glör Selbecke Hälver 1989/90

Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Ennepe

Glör Selbecke Hälver 1998/99

Jubach Einmündung in die Ruhr Elspe Lösenbach

Gewässergüteklassen

I I-II II II-III III III-IV IV

Abb. 2: Die Gewässergüteklassen der Volme zwischen 1969/70 und 1998/99

121 Wesentliche abwassertechnische Veränderun- tisch reduzierter Gewässerbelastung ist insbe- gen sondere über Konzentrationsbetrachtungen der Messgrößen Ammonium (NH -N), Gesamtphosphor Ursache der durchgreifenden Gewässergüteverbes- 4 (PO -P) und dem Chemischen Sauerstoffbedarf serungen der Volme sind abwassertechnische Ver- 4 (CSB) eindrucksvoll zu dokumentieren. änderungen, die insbesondere in den letzten fünf Jahren realisiert wurden (Tab. 3). Einige bedeu- In den Abbildungen 3 bis 5 sind die in der Volme an tende Maßnahmen, die zum jetzigen Gütezustand ausgewählten Gütemessstellen ermittelten Konzen- der Volme beigetragen haben, sind: trationen dieser Messgrößen dargestellt. Da das Datenkollektiv der letzten 25 Jahren sehr heterogen l Umbau und Sanierung der Kläranlage Meinerz- war, wurden in diesen Darstellungen Mittelwerte aus hagen (1994 – 1996); jeweils 5 Jahren gebildet (Fünfjahresmittelwerte). l Neubau der Kläranlage Volmetal, Anschluss der A Kläranlagen Elspetal und Lösenbachtal an die 8 Volme oberhalb Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 46,22] neue Kläranlage (1996 – 1999); 7 6 5 l Erweiterung der Kläranlage Schalksmühle 4 -N mg/l -N 4 3 (1997 – 1998); NH 2 1 l Anschluss zahlreicher Direkteinleiter an das 0 Kanalsystem (metallbe- und verarbeitende Be- 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 triebe; Klinikabwässer, u. a.); 13 , 9 6 B 8 Volme unterhalb Einleitung Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 45,65] 7 Parallel zu den Neubauten von Kläranlagen durch 6 den Ruhrverband wurden auch von den Städten und 5 4 -N mg/l -N Gemeinden erhebliche Investitionen im Bereich von 4 3 NH 2 Neuanschlüssen bisher noch nicht an eine öffentli- 1 0 che Kläranlage angeschlossener Siedlungsgebiete 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 sowie insbesondere durch Sanierung maroder oder C unterdimensionierter Abschnitte der Kanalnetze 8 Volme oberhalb Schalksmühle [Flusskilometer 25,13] 7 getätigt. Damit verbunden ist u. a. die Aufgabe alter, 6 nicht den allgemein anerkannten Regeln der Tech- 5 4 -N mg/l -N nik entsprechenden Entlastungsbauwerke (Regen- 4 3 NH 2 überläufe, Notabschläge), die durch neue, z. T. 1 sehr große Niederschlagswasserbehandlungsan- 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 lagen (Regenüberlaufbecken/Stauraumkanäle) er- D setzt wurden. Letztere Bauwerke wurden von den 8 Volme unterhalb Kläranlage Schalksmühle [Flusskilometer 20,17] Gemeinden teilweise in Vorleistung für den Ruhrver- 7 6 band errichtet. 5 4 -N mg/l -N 4 3 Entscheidende Bedeutung kommt neben den Be- NH 2 handlungsanlagen den großen Hauptsammlern der 1 0 Gemeinden zu, die zum Teil aufgrund von Kläran- 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 lagenaufgaben (Lösenbachtal/Elspetal/Dahl) zum E anderen wegen des erstmaligen Anschlusses er- 8 Volme vor Mündung in die Ruhr [Flusskilometer 1,21] 7 forderlich wurden. Die Aktivitäten der Städte Lüden- 6 5 scheid und Hagen sind in diesem Zusammenhang 4 -N mg/l -N 4 3 besonders hervorzuheben (Tab. 3). NH 2 1 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 Ergebnisdarstellung ausgewählter chemischer Messgrößen Abb. 3: NH4-Konzentrationen (mg/l) an ausgewähl- Das Ausmaß früherer und nunmehr infolge der ten Messstellen der Volme von 1975 – 1999 abwassertechnischen Sanierungsmaßnahmen dras- (Fünfjahresmittel), --- AGA 1 mg/l NH4-N

122 Tab. 3: Wesentliche abwassertechnische Veränderungen im direkten Einzugsgebiet der Volme.

Einzugsgebiet KA Meinerzhagen KA Kierspe-Bahnhof KA Lüdenscheid- KA Lösenbachtal / KA Schalksmühle KA Hagen-Dahl Elspetal KA Volmetal (=> KA Hagen-Vorhalle) Datum/Zeitraum (Volmezufluss: Elspe) 1953 1. Inbetriebnahme 1960 1. Inbetriebnahme 1961 1. Inbetriebnahme 1976 1. Inbetriebnahme 1979 Inbetriebnahme einer chem. Fällung 1981 1. Inbetriebnahme 1982 – 1984 Inbetriebnahme der Schönungsteiche; Hauptsammler Volmetal (Rummenohl, Priorei, Dahl) mit SK Rummen- ohl (V = 180 m³) u. SK Dahl (V = 650 m³), Anschluß der Sied- lungskläranlagen Rummenohl und Priorei an Hauptsammler 1987 Umbau der chem. Fällung zur Leistungssteigerung 1990 Ab 1990: Sanierung der Sanierung der Hauptsammler im Ein- Hauptsammler im zugsgebiet, Ausbau von Einzugsgebiet, Ausbau

RÜB u. SK mit Aufgabe von RÜB u. SK mit Aufgabe 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens von Notabschlägen (Bau- von Notabschlägen maßnahme noch nicht endgültig abgeschlossen) 1992 Außerbetriebnahme KA Dahl, Überleitung zur KA HA-Vorhalle 1993 Inbetriebnahme RÜB Inbetriebnahme SK (V = 1300 m³) „Wasserloses Tal“ KA Kierspe-Bahnhof (V = 500 m³) 1994 1. Teilinbetriebnahme der Inbetriebnahme RÜB/SK Inbetriebnahme Inbetriebnahme SK neuen KA, Anschluss der Brügge (V = 3700 m³), SK-Kläranlage Sedanstraße Abwässer eines aluminium- gleichzeitig Neubau (V = 900 m³) (V = 8100 m³), verarbeitenden Betriebes Hauptsammler Lösenbach SK Eilper Straße und der Deponie Hahnen- und Brügge (B 54) (V = 780 m³) Neu- becke an die KA bau/Sanierung Haupt- sammler Eilpe-Delstern Ende 1995 Inbetriebnahme des RÜB (V = 4400 m³) und somit Außerbetriebnahme des RÜ direkt vor der KA 1996 Inbetriebnahme der Aufgabe der KA Lösen- Sanierung Sammler neuen KA bachtal u. Anschluss/ Emst und Anschluss Weiterführung der Anlage Delstern unter dem Namen der am selben Standort im Neubau befindlichen KA Volmetal, Anschluss Ortslage Pöppelsheim 1997 Anschluss an die im Inbetriebnahme von Umbau u. Inbetrieb- Neubau befindliche Belebungsbecken, nahme der neu er- KA Volmetal, Nachklärung u. chem. richteten Inbetriebnahme RÜB/SK P-Fällung, Anschluss Anlagenteile Elspetal (V = 2600 m³) Ortslage Kierspe Bollwerk 1998 Inbetriebnahme einer Inbetriebnahme aller Endabnahme Bis 1998 Anschluss chem. P-Fällung Anlagenteile der Nebensammler im Volmetal 1999 Endabnahme

A k t u e l l e r S t a n d Größenklasse 4 4 3 (4) / 4 4 2 Ausbaugröße (EW) 18.000 14.000 8.280 (13.300) / 33.500 47.000 Reinigungs- N DN P N DN P N DN P N DN P stufen X X X X X X X X X X a. a. R. d. T. ja nein, Umbau 2001 außer Betrieb, 14.05.97 außer Betrieb 30.12.96/ja ja 08.07.92 Anschluss an KA HA-Vorhalle

(Abkürzungen: KA = Kläranlage; N = Nitrifikation; DN = Denitrifikation; P = Phosphat-Eliminierung; RÜB = Regenüberlaufbecken; SK = Kanalstauraum)

123 A A 1,5 50 Volme oberhalb Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 46,22] Volme oberhalb Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 46,22] 40 1,0 30 -P mg/l 4 0,5 20 CSB mg/l CSB PO 10 0,0 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99

3,80 Volme unterhalb Einleitung Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 45,65] B 1,5 50 B Volme unterhalb Einleitung Kläranlage Meinerzhagen [Flusskilometer 45,65] 40 1,0 30 -P mg/l 4 20

0,5 mg/l CSB PO 10 0,0 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99

C C 1,5 50 Volme oberhalb Schalksmühle [Flusskilometer 25,13] Volme oberhalb Schalksmühle [Flusskilometer 25,13] 40 1,0 30 -P mg/l 4 20

0,5 mg/l CSB PO 10 0,0 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99

D D 1,5 50 Volme unterhalb Kläranlage Schalksmühle [Flusskilometer 20,17] Volme unterhalb Kläranlage Schalksmühle [Flusskilometer 20,17] 40 1,0 30 -P mg/l 4 20

0,5 mg/l CSB PO 10 0,0 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99

E E 1,5 50 Volme vor Mündung in die Ruhr [Flusskilometer 1,21] Volme vor Mündung in die Ruhr [Flusskilometer 1,21] 40 1,0 30 -P mg/l 4 0,5 20 PO CSB mg/l CSB 10 0,0 0 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99 75-79 80-84 85-89 90-94 95-99

Abb. 4: PO4-P-Konzentrationen (mg/l) an ausge- Abb. 5: CSB-Konzentrationen (mg/l) an ausge wählten Messstellen der Volme von wählten Messstellen der Volme von 1975 – 1999 (Fünfjahresmittel), 1975 – 1999 (Fünfjahresmittel), ≤ ≤ --- AGA 0,3 mg/l PO4-P --- AGA 20 mg/l CSB

Die Diagramme A (Vorbelastung) und B der Ab- Fünfjahresmittelwert 95 – 99 von 0,55 mg/l, und der bildungen belegen jeweils die über Jahrzehnte ins- AGA-Grenzwert für den CSB (≤ 20 mg/l) bei dem besondere von der alten Kläranlage Meinerzhagen Fünfjahresmittelwert 95 – 99 von 16 mg/l deutlich ausgehende Verschmutzung der Volme, die an kei- unterschritten wurde. ner anderen Stelle des Flusses so gravierend war wie in Meinerzhagen (vgl. Diagramme C, D, E). Um- Auch der für die Volme als Salmonidengewässer bau und Sanierung der Kläranlage (1994 – 1996) gemäß Fischgewässerverordnung (1997) einzu- wirkten sich derart positiv aus, dass an der Mess- haltende Grenzwert (I = Imperativwert) von < 1 mg/l stelle 4 unterhalb der Kläranlage der durch die „All- NH4 (entspr. < 0,78 mg/l NH4-N) wird deutlich unter- gemeinen Güteanforderungen für Fließgewässer“ schritten. Lediglich die AGA für Gesamtphosphor (AGA) (MURL 1991) einzuhaltende Grenzwert mit ≤ 0,3 mg/l wird von dem Fünfjahresmittelwert für Ammonium ≤ 1,0 mg/l NH4-N) bereits bei dem 95 – 99 noch deutlich überschritten (Abb. 4).

124 Analysiert man die im Rahmen des Intensivmess- programms erhobenen Daten jedoch jahresbe- 8 zogen, ergeben sich für die letzten Jahre folgende 7 Werte (Tab. 4): 6 5 Tab.4: PO4-P-Mittelwerte und 90-Perzentile (mg/l) 4 3 in der Volme unterhalb der Kläranlage mg/l NH4-N Meinerzhagen in den Jahren 1995 – 1999 2 1

Anzahl der Mittelwert 90-Perzentile 0 Messwerte n (PO4-P mg/l) (PO4-P mg/l) 1994 1995 2 1,13 – 1996 1998 1996 9 0,48 – Entfernung v. d. Mündung (km) 1997 15 0,42 0,774 1998 14 0,23 0,288 bis Aug. 1999 7 0,19 n. n. b. 3

2,5

Die Mittelwerte von 1998 und 1999, wie auch die 2 90-Perzentile, liegen bereits deutlich unter dem 1,5 -Pmg/l AGA-Grenzwert bei weiter abnehmender Tendenz. 4 PO 1 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

In Abbildung 6 sind die Messgrößen NH4-N, PO4-P 0,5 und CSB im Längsverlauf der Volme während der 0 sommerlichen Niedrigwasserphasen der Jahre 1994 1994, 1996 und 1998 vergleichend dargestellt. 1996 Neben dem 1994 großen Einfluss durch die Klär- 1998 Entfernung v. d. Mündung (km) anlage Meinerzhagen (Entf. v. d. Mdg. 45,95 km,

Tab. 2) war hinsichtlich der NH4-N-Belastung auch der Einfluss des Zuflusses Elspe (km 31,83) mit der 36 mangelhaften Kläranlage Elspetal sowie der der 32 Kläranlage Lösenbachtal (km 29,3) erheblich. 28 24 Die Längsuntersuchung vom 29.09.98 wies lediglich 20 16 CSB mg/l unmittelbar unterhalb der Kläranlage Meinerzhagen 12 mit NH4-N = 1,2 und 0,9 mg/l, PO4-P = 0,27 mg/l 8 und einem CSB von 17 und 19 mg/l erhöhte Werte 4 0 auf, die nach einer Fließstrecke von rd. 3 km am Pegel Kierspe bereits auf NH -N = 0,2 mg/l, PO -P 1994 4 4 1996 = 0,11 mg/l und CSB = 11 mg/l reduziert waren. 1998 Entfernung v. d. Mündung (km) Im Unterlauf der Volme sind seit 1989 folgende zwei

Trendmessstellen eingerichtet „Volme am Pegel Abb. 6: Die Messgrößen NH4-N, PO4-P und CSB Ambrock“ und „Volme vor Mündung in die Ruhr (mg/l) im Fließverlauf der Volme in den (Pegel Eckesey)“. Beide Stellen werden 13 – 14 mal Jahren 1994, 1996 und 1998 im Jahr chemisch untersucht. Die Abbildungen 7 und 8 stellen die 50- und 90-Perzentile für die Mess- 90-Perzentil der Messgröße CSB den AGA-Grenz- größen Ammonium, Gesamtphosphor und CSB an wert von 20 mg/l seit 1993 nicht mehr überschritten diesen beiden Messstellen dar. hat. Am Pegel Ambrock lässt sich für die Messgrößen Stark schwankende Ergebnisse weist die Perzentil- Gesamtphosphor und CSB seit 1993 eine Verbes- auswertung für die Messgröße Ammonium der serung erkennen. Das 90-Perzentil schwankt bei letzten 4 Jahre am Pegel Ambrock auf. Das 90-Per- der Messgröße Gesamtphosphor minimal um den zentil liegt zwischen 0,6 und 1,7 mg/l NH4 -N, das AGA-Grenzwert von 0,3 mg/l Pges, während das 50-Perzentil beträgt im gleichen Zeitraum konstant

125 Ammonium Ammonium 3 3 50Perz 90Perz 50Perz 90Perz

2,5 2,5

2 2

1,5 1,5 -N mg/l -N mg/l 4 4 NH NH 1 1

0,5 0,5

0 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Gesamtphosphor Gesamtphosphor 0,9 0,9 50Perz 90Perz 50Perz 90Perz 0,8 0,8

0,7 0,7

0,6 0,6

0,5 0,5 -P mg/l 4 0,4 0,4 PO 0,3 0,3

0,2 0,2

0,1 0,1

0 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

CSB CSB 40 50Perz 90Perz 40 35 50Perz 90Perz 35 30 30 25 25 20 20 CSB mg/l 15 CSB mg/l 15 10 10 5 5 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 0 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Abb. 7:50- und 90-Perzentile der Messgrößen Abb. 8: 50- und 90-Perzentile der Messgrößen

NH4-N, PO4-P und CSB in der Volme am NH4-N, PO4-P und CSB in der Volme vor Pegel Ambrock Mündung in die Ruhr (Pegel Eckesey)

0,1 mg/l NH4-N. Diese Unterschiede sind darauf Kläranlage und Wegfall der Kläranlage Gevelsberg- zurückzuführen, dass es vereinzelt zu hohen Vogelsang entspannte sich 1998 die Gewässergüte- Ammoniumspitzen in der Volme kommt und das situation, was sich auch am Pegel Eckesey positiv 90-Perzentil bei nur 13 – 14 Messwerten sofort nach auswirkte (Abb. 8). Beim Gesamtphosphor konnte oben verschoben wird. beim 90-Perzentil eine deutliche Reduktion von sonst konstant 0,5 mg/l PO -P auf 0,35 mg/l PO -P Ein fast ähnliches Bild weisen auch die Darstellun- 4 4 infolge der P-Elimination an der Kläranlage Gevels- gen der 50- und 90-Perzentile der Messstelle berg verzeichnet werden. „Volme vor Mündung in die Ruhr (Pegel Eckesey)“ auf. Die Absolutwerte sind an dieser Stelle nur noch Reaktionen des Makrozoobenthos etwas höher als am Pegel Ambrock. Dieser Anstieg der Belastung wird durch die Ennepe verursacht, die Die Verringerung der Belastung hat weitreichenden in Hagen in die Volme fließt. Die Ennepe wurde bis Einfluss auf die Lebensgemeinschaft in der Volme. 1997 durch die Kläranlage Gevelsberg stark ver- Diese Entwicklung wird letztlich summarisch schmutzt. Erst mit Erweiterung bzw. Neubau dieser anhand der verbesserten Gewässergüteklassifizie-

126 rung dokumentiert. Nachfolgend werden einige Ver- In einem ersten Aspekt wird beispielhaft die Wieder- änderungen und Reaktionen der am Gewässer- besiedlung stark beeinträchtigter Volmeabschnitte grund lebenden, mit dem bloßen Auge erkennbaren anhand der Abbildung 9. tierischen Kleinlebewesen (Makrozoobenthos-Bio- zönose) im Detail aufgezeigt. Diesen Auswertungen Hierbei, wie auch in Abbildung 10, bleiben gelegent- liegen Probenahme- und Untersuchungstechniken liche Einzelfunde bestimmter Organismen wie (halbquantitatives Absammeln, Vor-Ort-Bestimmung Spongillidae (Süßwasserschwämme) und Hydrozoa und Erfassung des Benthos sowie systematisches (Nesseltiere) sowie systematisch schwer oder Nachbestimmen im Labor) zugrunde, wie sie ziel- nicht näher bestimmbare Gruppen wie Oligochaeta führend für die Berechnung von Saprobienindices (Wenigborster) und Hydracarina (Süßwassermil- und Ermittlung der Gewässergüteklassen erforder- ben) und letztlich auch eher zufällig erfasste Fische lich sind. Sie erheben nicht den Anspruch, wirklich (Cottus gobio, Mühlkoppe) unberücksichtigt. Aus jede, in Einzelexemplaren in der Volme wiederauf- Darstellungsgründen sind Arten, Gattungen und tauchende Art zu erfassen und somit zu absoluten weitere Gruppen aus zoologischer Sicht zu überge- Spitzenzahlen bei nachgewiesenen, systematischen ordneten systematischen Einheiten (z. B. bei Insek- Gruppen zu gelangen. Die Methodik ist jedoch tenlarven auf Ordnungsniveau) zusammengefasst. absolut geeignet, festzustellen, ob Besiedlungsdefi- Um jedoch auch einen differenzierten Einblick in die zite bestehen und eine ggf. erfolgte Wiederbesied- Zusammensetzung der Benthosbiozönose zu er- lung lediglich durch anspruchslose Ubiquisten oder möglichen, sind die der Abbildung 9 zugrunde lie- durch mittelgebirgsflusstypische Arten erfolgt ist. genden Organismen mit ihren Häufigkeitsstufen 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Volme oh. Meinerzhagen 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Volme uh. KA Meinerzhagen 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

Volme uh. Einmdg Elspe 22 20 18 16 14 12 10

Taxazahl 8 6 4 2 0 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998

TURBELLARIA (Strudelwürmer) MOLLUSCA (Weichtiere)

22 201618 HIRUDINEA12146810 (Egel) CRUSTACEA (Krebstiere) 024 EPHEMEROPTERA-Larven (Eintags fliegen) PLECOPTERA-Larven (Steinfliegen) COLEOPTERA (Käfer) MEGALOPTERA-Larven (Schlammfliegen) TRICHOPTERA-Larven (Köcherfliegen) DIPTERA-Larven (Zweiflügler) Abb. 9: Taxazahl des Makrozoobenthos ausgesuchter Messstellen der Volme in den Jahren 1982 – 1998

127 VOLME OH MEINERZHAGEN - Messstellen-Nr. 439939 Tab. 5: Teil 1 Jahr 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Taxon Makrozoobenthos-Taxa SCHIZOMYCETES ausgesuchter Messstellen Sphaerotilus natans 322 TURBELLARIA der Volme 1982 – 1998 Polycelis felina 7 6 4 23223 MO LLUS CA Ancylus fluviatilis 5 3 4 23422 Bythinella spp. 3 Radix ovata Pisidium spp. 3 Planorbidae 2 OLIGOCHAETA Oligochaeta T ubificidae HIRUDINEA Erpobdella octoculata 2 Glossiphonia complanata 122 Glossiphonia heteroclita CRUS TACEA Gammarus fossarum 322 Gammarus pulex 2 22434 Gammarus spp. Asellus aquaticus EPHEMERO PTERA Baetis rhodani 2 2 2 22223 Baetis spp. 2 2 2 2222 Ecdyonurus venosus 2 Ecdyonurus spp. 2 Epeorus sylvicola 22 Epeorus spp. Rhithrogena semicolorata-Gruppe 1 Ephemera danica Ephemerella ignita Ephemerella mucronata Habroleptoides modesta Habrophlebia lauta Leptophlebia vespertina 2 Leptophlebiidae PLECO PTERA Chloroperla torrenticum 6 Leuctra spp. 52 222 Amphinemura spp. 4 Nemoura spp. 6 2 222 Protonemura spp. 22 Perla marginata CO LEO PTERA Elmis maugetii 12 Elmis spp. 2 Hydraena spp. 22 Limnius volckmari 222 Platambus maculatus 2 Oreodytes sanmarki MEGALO PTERA Sialis fuliginosa 2 Sialis lutaria TRICHOPTERA Anabolia nervosa Anomalopterygella chauvinia. Potamophylax latipennis 2 Potamophylax rotundipennis 2 Potamophylax spp. Limnephilidae 226 Hydropsyche angustipennis 2 Hydropsyche pellucidula Hydropsyche siltalai Hydropsyche spp. 33222 Lepidostoma hirtum Plectrocnemia conspersa 4 22222 Polycentropus flavomaculatus Polycentropus spp. 1 Rhyacophila (Rhyacophila) 222 Rhyacophila nubila 2 Sericostoma personatum 22 Sericostomatinae 2 DIPTERA Diptera Larven Chironomidae 2 2 2222 Chironomus thummi-Gruppe Simuliidae 2 2 2 22222 Tipulidae HYDRACARINA Hydracarina 2 PIS CES Cottus gobio Anzahl der Taxa (ohne Schizomycetes) 0 0 0 200 0 0 100 0 160 1415121614

128 Tab. 5: Teil 2 VOLME UH KA MEINERZHAGEN - Messstellen-Nr. 440000 Jahr 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Makrozoobenthos-Taxa Taxon ausgesuchter Messstellen SCHIZOMYCETES Sphaerotilus natans 262643465444442 2 der Volme 1982 – 1998 TURBELLARIA Polycelis felina 1 MO LLUS CA Ancylus fluviatilis 222 Bythinella spp. 1 Radix ovata 2 Pisidium spp. Planorbidae OLIGOCHAETA Oligochaeta 62 3 2 2 T ubificidae 52 HIRUDINEA Erpobdella octoculata 422 Glossiphonia complanata 22 Glossiphonia heteroclita CRUS TACEA Gammarus fossarum 12 Gammarus pulex 2 223 Gammarus spp. Asellus aquaticus EPHEMERO PTERA Baetis rhodani 1 1 2222224 Baetis spp. 1 1 2222222 Ecdyonurus venosus 22 Ecdyonurus spp. 1 Epeorus sylvicola Epeorus spp. Rhithrogena semicolorata-Gruppe Ephemera danica 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ephemerella ignita 23 Ephemerella mucronata Habroleptoides modesta Habrophlebia lauta 2 Leptophlebia vespertina Leptophlebiidae PLECO PTERA Chloroperla torrenticum Leuctra spp. 2 Amphinemura spp. Nemoura spp. 1 Protonemura spp. Perla marginata CO LEO PTERA Elmis maugetii Elmis spp. Hydraena spp. 1 Limnius volckmari Platambus maculatus Oreodytes sanmarki MEGALO PTERA Sialis fuliginosa Sialis lutaria 2 TRICHOPTERA Anabolia nervosa Anomalopterygella chauvinia. Potamophylax latipennis Potamophylax rotundipennis Potamophylax spp. Limnephilidae Hydropsyche angustipennis Hydropsyche pellucidula Hydropsyche siltalai 2 Hydropsyche spp. 2 Lepidostoma hirtum Plectrocnemia conspersa 22 Polycentropus flavomaculatus Polycentropus spp. Rhyacophila (Rhyacophila) 222 Rhyacophila nubila Sericostoma personatum Sericostomatinae DIPTERA Diptera Larven Chironomidae 32 222222322222 Chironomus thummi-Gruppe 22 Simuliidae 2 27342 Tipulidae HYDRACARINA Hydracarina 2 PIS CES Cottus gobio Anzahl der Taxa (ohne Schizomycetes) 13033242614354121613

129 VOLME UH EINMDG. ELSPE - Messstellen-Nr. 440401 Tab. 5: Teil 3 Jahr 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 Taxon Makrozoobenthos-Taxa SCHIZOMYCETES ausgesuchter Messstellen Sphaerotilus natans 3222344433223222 TURBELLARIA der Volme 1982 – 1998 Polycelis felina MO LLUS CA Ancylus fluviatilis 112222222222 Bythinella spp. Radix ovata 22 Pisidium spp. Planorbidae OLIGOCHAETA Oligochaeta 3 222 2 T ubificidae 2 HIRUDINEA Erpobdella octoculata 234366476564332 Glossiphonia complanata 11 1 2 222 Glossiphonia heteroclita 2 CRUS TACEA Gammarus fossarum Gammarus pulex 22 Gammarus spp. 2 Asellus aquaticus 2 2222 EPHEMERO PTERA Baetis rhodani 22 3 2 33232243 Baetis spp. 2 3 22 22222223 Ecdyonurus venosus 12 22 Ecdyonurus spp. 22 Epeorus sylvicola 2 Epeorus spp. 12 Rhithrogena semicolorata-Gruppe 1 Ephemera danica 1 Ephemerella ignita 23 Ephemerella mucronata 1 Habroleptoides modesta 23 2 Habrophlebia lauta 3 Leptophlebia vespertina Leptophlebiidae 1 PLECO PTERA Chloroperla torrenticum Leuctra spp. 12 Amphinemura spp. Nemoura spp. 22 1 Protonemura spp. 11 Perla marginata 1 CO LEO PTERA Elmis maugetii 2 Elmis spp. 2 Hydraena spp. Limnius volckmari Platambus maculatus Oreodytes sanmarki 2 MEGALO PTERA Sialis fuliginosa 2 Sialis lutaria 112 TRICHOPTERA Anabolia nervosa 2 Anomalopterygella chauvinia. 2 Potamophylax latipennis Potamophylax rotundipennis 2 Potamophylax spp. 2 Limnephilidae 1 Hydropsyche angustipennis Hydropsyche pellucidula 2 Hydropsyche siltalai 2 Hydropsyche spp. 12 2 2 2 Lepidostoma hirtum 2 Plectrocnemia conspersa 12 Polycentropus flavomaculatus 1 222 23 Polycentropus spp. 2 Rhyacophila (Rhyacophila) 24 Rhyacophila nubila Sericostoma personatum Sericostomatinae 1 DIPTERA Diptera Larven 1 Chironomidae 4222 22 2 222222 Chironomus thummi-Gruppe 2 Simuliidae 2 232222222 Tipulidae 1 HYDRACARINA Hydracarina 2 PIS CES Cottus gobio 1 Anzahl der Taxa (ohne Schizomycetes) 383165111045891711991915

130 nach DIN 38 410 (1990) in der Tabelle 5 wiederge- Biozönose (z. B. 1985, 1987 und 1988) gab es geben. So wird es dem Interessierten möglich, z. B. Jahre mit drastischen Beeinträchtigungen (z. B. die 1997 unterhalb der Einmündung der Elspe nach- zuletzt 1989, 1990). Ab 1991, mit Beginn der ersten gewiesene Gruppe von 4 Ephemeropterenlarven Sanierungsmaßnahmen im Einzugsgebiet der Elspe, mit Baetis rhodani, Baetis spp., Ephemerella ignita schienen diese Auswirkungen geringer zu werden. und Habrophlebia lauta anzusprechen. Mit Anschluss des Industriebetriebes an das Kanal- system (1996) und Außerbetriebnahme der Klär- Das Artenspektrum in der Volme oberhalb von anlage Lüdenscheid-Elspetal (Mai 1997) nahm die Meinerzhagen ist nicht sonderlich vielfältig, jedoch Anzahl der Taxa in der Volme deutlich zu. Insbeson- auch nicht ungewöhnlich niedrig. Das Vorkommen dere bei den Trichopterenlarven – und wie anfangs des Abwasserbakteriums Sphaerotilus natans genannt, bei den Ephemeropterenlarven – sind nun („Abwasserpilz“) zeigt eine, wenn auch nur geringe mehrere Arten nachzuweisen. Belastung aus diffusen Quellen an. Die 1985 fest- gestellte Taxazahl scheint rückblickend mit 21 bei In einem zweiten Aspekt wird nachfolgend die Ent- durchschnittlichen Taxazahlen zwischen 12 und 17 wicklung der Benthosbiozönose im Fließverlauf der in den letzten Jahren eher eine hohe Ausnahme zu Volme vergleichend für die Jahre 1985 und 1998 sein. dargestellt (Abb. 10).

War das Artenspektrum im oberen Volmeabschnitt Das Ausmaß der Auswirkungen einzelner, punktuel- jahrzehntelang geprägt durch Abwasserbakterien ler Einleitungen auf die Benthosbiozönose tritt und Zuckmückenlarven (Chironomus thummi- anhand dieser Darstellung für das Jahr 1985 be- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Gruppe) sowie vereinzelten (eingedrifteten?) Ver- sonders klar hervor. tretern der relativ anspruchslosen Baetiden (Ein- Zunächst reduzierte sich die Anzahl der Taxa unter- tagsfliegen), änderte sich dieses 1996 schlagartig halb des Regenüberlaufes und der toxisch belaste- durch die Inbetriebnahme der neuen Kläranlage ten Hahnenbecke (Messstelle 4) von ursprünglich Meinerzhagen. Bei den Eintagsfliegenlarven traten 21 auf 8 Taxa. Erstmals traten Hirudineen (Egel) auf, zu den Baetiden nunmehr auch Vertreter der Ecdy- die auf eine starke Verschmutzung hinwiesen. Die onuriden und Ephemerelliden auf (Tab. 5). Neben nun erfolgende Auswirkung der alten Kläranlage vereinzelten Plectopterenlarven ist die Abundanz Meinerzhagen (Messstelle 5) wurde bereits ausführ- mehrerer Trichopteren-Larven auffällig. Bei den lich dargestellt. Flohkrebsen wurde neben Gammarus pulex 1998 Schon nach ca. 4 km Fließstrecke (Messstelle 6) erstmalig auch Gammarus fossarum bestimmt. war eine erhebliche Zunahme der Artenzahlen ins- Zusammenfassend ist für die Volme unterhalb der besondere an Ephemeropteren erkennbar. Plectop- Kläranlage Meinerzhagen nunmehr festzustellen, teren und Trichopteren kamen hinzu. Im Hinblick dass sich in diesem Gewässerabschnitt ent- auf die Taxazahl war in diesem Volmeabschnitt ein sprechend der vorhandenen Restbelastung eine sehr gutes Besiedlungsspektrum erreicht, wenn- ansprechende Benthosbiozönose eingestellt hat. gleich Organismen dominierten, die eine kritische Belastung indizierten. Die Lebensgemeinschaft der Volme unterhalb des Zuflusses der Elspe wurde viele Jahre durch diesen Durch Zufluss der 1985 biologisch verödeten Elspe Bach bzw. durch die Abwassereinleitungen in die- (Güteklasse IV) reduzierte sich die Anzahl der Taxa sen geprägt. Die Toxizität der Abwassereinleitung zunächst um 4, im weiteren Fließverlauf sogar um eines aluminiumverarbeitenden Betriebes, verbun- weitere 6 Taxa (Messstelle 11). Einige Arten der Ein- den mit der von der Kläranlage Elspetal ausgehen- tagsfliegen (Habrophlebia lauta, Habroleptoides den Verschmutzung, führten sowohl in der Elspe zu modesta, Ecdyonurus venosus), der Köcherfliegen einer biologischen Verödung (Güteklasse IV) als (Hydropsyche spp., Polycentropus flavomaculatus), auch in der Volme zu stark reduzierten Artenspek- der Steinfliegen (Nemoura spp.) sowie die Krebse tren. Je nach Randbedingungen, z. B. variierenden (Gammarus fossarum) verschwanden ganz oder Abflüssen im Gewässer und somit unterschied- waren in ihrer Abundanz stark reduziert. Im weiteren lichen Verdünnungen der Abwassereinleitungen, Fließverlauf bewegte sich das Arteninventar auf war diese Beeinträchtigung unterschiedlich stark „mittlerem Niveau“, wobei Ubiquisten und relativ ausgeprägt. Neben Jahren mit einer ansprechenden anspruchslose Arten vorherrschten, bis es sich nach

131 1985 28 26 24 22 20 18 16 14 Taxazahl 12 10 8 6 4 2 0

1998 28 26 24 22 20 18 16 14 Taxazahl 12 10 8 6 4 2 0

Fließrichtung

242628 TURBELLARIA20221618 (Strudelwürmer) M OLLUSCA (Weichtiere) 1012148 0246 HIRUDINEA (Egel) CRUSTACEA (Krebstiere) EPHEM EROPTERA-Larven (Eintagsfliegen) PLECOPTERA-Larven (Steinfliegen) COLEOPTERA (Käfer) MEGALOPTERA-Larven (Schlammfliegen) TRICHOPTERA-Larven (Köcherfliegen) DIPTERA-Larven (Zweiflügler)

Abb. 10: Anzahl der im Fließverlauf der Volme nachgewiesenen Makrozoobenthos-Taxa – Vergleich 1985 und 1998 einer Selbstreinigungsstrecke über Schalksmühle, den gesamten Fließverlauf befriedigend bis gut Rummenohl in Priorei erholt hatte und wiederum strukturiert, d. h., Hauptgruppen (Ephemeropteren eine erfreuliche Artenvielfalt aufwies. Nach Zufluss und Trichopteren) sind mit mehreren Taxa an fast der stark verschmutzen Ennepe (Güteklasse III) allen Stellen vertreten. „Toxische Auswirkungen“ waren die empfindlichen Steinfliegen-Larven nicht sind nicht mehr erkennbar. Die Anzahl der Taxa ist mehr nachzuweisen, und die Artenzahl der Ephe- für ein Mittelgebirgsgewässer mit fast durchgehend meropteren war deutlich verringert. mäßiger Belastung (Güteklasse II) als durchaus zufriedenstellend einzustufen. Im Vergleich zu den Taxazahlen des Jahres 1985 weist die Darstellung für das Jahr 1998 folgende Das Fehlen von Plecopterenlarven insbesondere im entscheidende Veränderungen im Sinne von Ver- Unterlauf der Volme kann derzeit nur spekulativ besserungen auf, die auch durch die aktuellen interpretiert werden. Möglicherweise liegen die Untersuchungsbefunde bestätigt werden: Die zunehmenden Temperaturamplituden im Unterlauf Lebensgemeinschaft der Volme ist nunmehr über des Flusses nicht mehr im tolerierbaren Bereich.

132 Denkbar ist auch, dass die Ursachen im strukturel- Besondere Auffälligkeiten lagen vor bei einer Leit- len Bereich (Staue, ungeeignetes Substrat u. a.) fähigkeit von 1467 µS/cm (1996), einem minimalen liegen. O2-Gehalt von 3,0 mg/l (1996) und pH-Werten, deren Maxima 1996 mit 9,3, 1998 mit ebenfalls 9,2 Auf einen besonderen Fund, dem 1998 erstmalig und 1999 mit 9,9 bedenklich hoch waren. am Pegel Ambrock (Messstelle 19) nachgewiese- nen Nordamerikanischen Signalkrebs (Pacifastacus Die erhebliche Leitfähigkeitserhöhung erfolgte am leniusculus, det. Dipl.-Biol. Brigitta Eiseler, Aachen) 16.02.1996 und hatte ihre Ursache in dem Ein- sei an dieser Stelle hingewiesen. schwemmen von Streusalzen am Ende einer Frost- periode. Zusammenfassend ist festzustellen, dass, nachdem der Fluss jahrzehntelang durch Abwassereinleitun- Sauerstoffdefizite in der Volme sind in erster Linie gen überfordert wurde und in den 80er Jahren kaum Folgen biogener Vorgänge: ein Jahr ohne großes Fischsterben verstrich, die für Insbesondere zu Beginn der Vegetationsperiode 1998 dargestellte Makrozoobenthosbesiedlung als (April, Mai) kommt es zu großflächigen, das Gewäs- Beleg für den Erfolg aller Bemühungen zur Verbes- sersubstrat besiedelnden Algenmassenentwicklun- serung der Gewässergüte zu sehen ist. gen durch Diatomeen (Kieselalgen). Bei (Sonnen-) Lichteinfall produzieren die Algen mittels Photo- Ausgewählte Aspekte der in der Messstation synthese Sauerstoff. Diese photosynthesebedingte Schalksmühle kontinuierlich erfassten Mess- Sauerstoffproduktion in planktondominierten oder 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens größen wie im Fall der Volme „aufwuchsdominierten“ Fließ- gewässern äußert sich in charakteristischen, sinus- Unerlaubte Abwassereinleitungen über den Lösen- förmig verlaufenden (Tages-)Ganglinien der Sauer- bach, Elspebach und im Oberlauf der Volme, die in stoffkonzentration mit einem jeweils tagsüber fest- früheren Jahren zum Teil massive Fischsterben aus- zustellenden Maximum. Dieses Maximum geht häu- gelöst hatten, veranlassten das Staatliche Umwelt- fig mit einer nicht unerheblichen O2-Übersättigung amt Hagen, in Schalksmühle (Fluss-km 26,39) eine einher. Nimmt das Tageslicht ab, stellt sich letztlich Gewässergütekontrollstation zu errichten. der Stoffwechsel der Algen um und der zuvor produ- Diese Station misst seit Anfang Mai 1994 kontinuier- zierte Sauerstoff wird verbraucht. Die Folgen sind lich u. a. den Sauerstoffgehalt, den pH-Wert, die nunmehr nächtliche O2-Minima, wie eines z. B. am elektrische Leitfähigkeit und die Wassertemperatur 26.04.1996 um 02.00 Uhr mit 3,0 mg/l festgestellt (Integralmessstation) (vgl. Kap. 3.1.1). In Tabelle 6 wurde. Besonders kritisch kann diese nächtliche sind orientierend die jährlichen Extremwerte dieser Situation dann werden, wenn sie sich in mit abbau- Messgrößen zusammengestellt. baren Substanzen belasteten Gewässern einstellt.

Tab. 6: Minimale und maximale Werte der kontinuierlich gemessenen Parameter Sauerstoff (O2) und Sauerstoffsättigung, pH-Wert, Leitfähigkeit (LF) und Wassertemperatur in der Messstation Schalks- mühle (1994 – 1999)

Jahr Min./Max. O2 O2-Sättigung pH-Wert LF Temperatur (mg/l) % (µS/cm) (°C) 1994 Minimum 6,6 68 (18,2 °C) 6,5 174 4,3 Maximum 14,6 129 ( 9,6 °C) 8,9 622 20,6 1995 Minimum 5,8 62 (17,4 °C) 7,3 184 1,4 Maximum 13,3 105 ( 6,0 °C) 8,8 652 20,6 1996 Minimum 3,0 26 ( 8,9 °C) 7,1 197 0,3 Maximum 13,2 102 ( 3,3 °C) 9,3 1467 20,9 1997 Minimum 5,5 61 (19,0 °C) 6,6 200 2,4 Maximum 15,0 116 ( 3,6 °C) 8,3 (zeitw. ausgef.) 689 20,1 1998 Minimum 6,1 65 (17,1 °C) 7,1 154 0,3 Maximum 15,0 116 ( 3,6 °C) 9,2 689 20,1 1999 Minimum 4,7 46 (13,5 °C) 6,8 177 0,5 Maximum 14,7 150 (15,0 °C) 9,9 652 20,2

133 Bedarf und Entnahme von Sauerstoff, der von bildung 11 zeigt die pH-Wert-Ganglinie, wie sie vom Mikroorganismen für den biologischen Abbau der 08.04.98 bis zum 24.05.98 in der Gewässergüte- Belastung benötigt wird, reduzieren die ohnehin kontrollstation Schalksmühle registriert wurde. Ein- schon geringen, nächtlichen Sauerstoffgehalte drucksvoll ist das „Hochschaukeln des pH-Wertes“ zusätzlich. Die Folge können derart geringe Sauer- in den Tagesspitzen bis zu den Extremwerten stoffkonzentrationen im Gewässer sein, dass es zu von 9,2 (09.05.-12.05.98) zu verfolgen, bis sich die Fischsterben kommt. Verhältnisse ca. am 19.05.98 wieder normalisiert haben. Im Frühjahr 1999 (1. Maiwoche) wurde gar In der Messstation Schalksmühle an der Volme ein pH-Wert von 9,9 registriert. werden im Frühjahr vereinzelt Unterschreitungen ≥ des AGA-Grenzwertes von O2 6,0 mg/l registriert. Derartige Eutrophierungserscheinungen werden Diese Unterschreitungen sind zum einen jedoch durch einen Faktorenkomplex initiiert oder auch limi- selten, zum anderen zeitlich kurz befristet und von tiert und beendet, in den z. B. die Abflussdynamik, der Intensität her gering. Insofern ist, wenn nicht Trübung, der Pflanzennährstoffgehalt des Gewäs- andere, biozönoseschädigende Faktoren syner- sers, das Pufferungsvermögen, Temperatur und ent- gistisch hinzukommen, zunächst nicht von einer scheidend die Licht-(Strahlungs-)Intensität einge- Gefährdung der Gewässerlebensgemeinschaft aus- hen. Dementsprechend sind Zeitpunkt, Ausprägung zugehen. und Dauer derartiger Ereignisse nur näherungs- weise zu prognostizieren. So wurde in der Volme im Die Photosynthese-Aktivität der im Frühjahr ihr Frühjahr 1995 z. B. eine erste Maximumphase vom Maximum erreichenden Massenentwicklung der 08.04. – 17.04. mit pH-Werten von 8,6, und eine Kieselalgen führt in der Volme jedoch noch zu einem zweite Maximumphase vom 23.04. – 07.05. mit weiteren, nicht unerheblichem Problemfeld: Die pH-Werten von 8,8 registriert. Voraus geht einer Algen entnehmen dem Wasser anorganischen solchen Entwicklung jedoch regelmäßig eine Kohlenstoff (Kohlendioxid CO2 oder/und Hydrogen- „Schönwetterphase“ im zeitigen Frühjahr bei relativ carbonat HCO3-), um aus diesem photosynthetisch niedrigen, klaren Abflüssen. organische Verbindungen aufzubauen. Die Ent- nahme des anorganischen Kohlenstoffs bewirkt Diese hohen pH-Werte stellen ein nicht unerheb- eine Verschiebung des pH-Wert-abhängigen Kalk-/ liches Gefährdungspotential für das Gewässer dar. Kohlensäuregleichgewichts mit der Folge, dass der Das gilt insbesondere dann, wenn zusätzlich eine pH-Wert des Wassers erheblich ins Alkalische Belastung mit Ammonium vorliegt. Das Gleich- ansteigen kann. In Abhängigkeit der Photosynthese- gewicht zwischen NH4+ und dem für Fische und Aktivität des Algenrasens sind, analog zu den andere Wasserorganismen stark toxischen Ammo-

Sauerstoffganglinien, ausgesprochen sinusförmig niak (NH3) hängt vor allem vom pH-Wert und da- verlaufende ph-Wert-Ganglinien festzustellen. Ab- neben auch von der Temperatur ab. Mit steigendem

pH - Wert

9,5

9

8,5

8

7,5

7 08.04.1998 13.04.1998 18.04.1998 23.04.1998 28.04.1998 03.05.1998 08.05.1998 13.05.1998 18.05.1998 23.05.1998 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 12:00 Abb. 11: pH-Wert-Ganglinie in der Volme (Gewässergütekontrollstation Schalksmühle) im Frühjahr 1998

134 pH-Wert nimmt der Anteil des giftigen Ammoniaks Gewässerstrukturgütekartierung an der Volme deutlich zu. Der Schwerpunkt der Gewässerschutzpolitik lag in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Abwasser- Auf die aus diesem Sachverhalt resultierende An- reinigung. Dieses führte zu entscheidenden Verbes- forderung, die Ammoniumemission entsprechender serungen der Wasserqualität, wie am Beispiel der Einleitungen in den Zeiten erhöhten Gefährdung Volme eindrucksvoll zu belegen ist. Nunmehr ist der Gewässerlebensgemeinschaft (April-Mai) sorg- unbestritten, dass in einem ganzheitlichen Ansatz fältigst zu kontrollieren, sei hiermit in aller Deutlich- zur Beschreibung der Gewässergüte neben der keit hingewiesen. Belastung mit organisch leicht abbaubaren Sub- Deshalb betreibt das Staatliche Umweltamt Hagen stanzen weitere Aspekte zu berücksichtigen sind. seit Anfang des Jahres 2000 ein Ammonium-Pro- So ist es erklärtes Ziel der LAWA, die einzelnen zessphotometer in der Gewässergütekontrollstation Aspekte der Gewässergüte wie z. B. Versauerung, Schalksmühle, um neben den bisherigen Messun- Versalzung sowie weitere chemische Beschaffen- heitsdaten und schließlich auch die mit der Was- gen zukünftig auch den Gehalt an NH4-N in der Volme kontinuierlich verfolgen zu können. serqualität untrennbar miteinander verflochtene Gewässerstruktur (Gewässerstrukturgüte) in Form Neben der Gefährdung, die bei einem Zusammen- thematischer Karten in einem regelmäßig fortzu- treffen hoher pH-Werte und einer entsprechenden schreibenden Gewässergüteatlas darzustellen Ammoniumbelastung gegeben ist, können auch (LAWA 1996). 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens sehr hohe pH-Werte allein biozönoseschädigend Eine besondere Bedeutung wird hierbei der häufig wirken. Eutrophierungsbedingte pH-Wert-Erhöhun- an Gewässern in Folge von Ausbau- und Unter- gen in Fließgewässern sind nicht selten und z. B. im haltungsmaßnahmen festzustellenden Verarmung Fließverlauf der Ruhr unterhalb des Harkortsees der Gewässerstruktur zukommen. und im Ober-und Mittellauf der festzustellen. Die Erfassung und Dokumentation des vorhande- Weiterhin scheint in abwassertechnisch sanierten, nen Strukturgütezustandes, der erzielten Verbesse- kleineren Fließgewässern (z. B. Heinsberger- und rungen (Erfolgs- und Effizienzkontrolle) sowie die Albaumer Bach, Hundembach, Hönne, Eder mit den des weiterhin bestehenden Handlungsbedarfs, er- Zuflüssen Odeborn und Elsoff) die Intensität derarti- folgen auf der Basis der Kartieranleitung „Gewäs- ger Ereignisse zuzunehmen. Insbesondere an der serstrukturgüte in NRW“ (LUA 1998). Angelehnt an Eder hat das Staatliche Umweltamt Hagen in der die Gewässergüteklassen gibt es sieben Struktur- vergangenen Jahren mehrfach Erfahrungen mit güteklassen (vgl. Kap. 2.6). Fischsterben infolge von Eutrophierungserschei- nungen gesammelt (LUA 1996). In dem nur gering In der kartographischen Darstellung der Bewer- belasteten Gewässer (Güteklasse I-II) ereignete tungsergebnisse wird ein fünfbändriges Band auf sich 1994 bei letztlich noch messbaren pH-Werten die Gewässerachse gelegt. Dabei stellt das innerste von 9,9 ein massives Fischsterben verbunden mit Band die Gewässersohle dar, es folgt nach außen einer gravierenden Schädigung der Benthosbio- das Ufer rechts und links. Die äußeren Bänder zönose. markieren das Gewässerumfeld rechts und links. Bezugspunkt ist die Betrachtung des Gewässers in Der 1999 in Schalksmühle festgestellte pH-Wert von Fließrichtung. 9,9 ist in diesem Zusammenhang als durchaus Über den Bearbeitungsstand der Strukturgütekartie- bedenklich einzustufen, da eine ähnliche Anfälligkeit rung an der Volme gibt Tabelle 7 Aufschluss. der Volme wie beispielsweise die der Eder nicht auszuschließen ist. Es wird abzuwarten und sorg- Bereits im Jahre 1997 wurde die Strukturgüte der fältig zu beobachten sein, ob nach einer Sanierung Volme im Stadtgebiet Hagen untersucht. Für das des Flusses unter saprobiellen Gesichtspunkten Stadtgebiet Kierspe liegen Kartierungen aus dem die trophisch bedingten Sekundärerscheinungen Jahre 1998 vor. Im Laufe des Jahres 1999 werden in Form hoher pH-Werte den „Neuen Lebensraum die noch fehlenden Abschnitte oberhalb der Stadt- Volme“ gefährden. grenze Hagen bis zur Stadtgrenze Kierspe und im Stadtgebiet von Meinerzhagen bis zur Quelle unter- sucht.

135 Tab. 7: Erfassung von Gewässerstrukturgüte- Die Stadt Kierspe hat 1998/99 ein „Konzept zur kartierungen naturnahen Entwicklung der Volme und ihrer

Gewässer- Gewässer- Gewässer- Kartierung Kartierung Nebengewässer im Stadtgebiet von Kierspe“ er- name abschnitt länge 1997 – 1998 1999 arbeiten lassen (BECK 1999). Im folgenden soll bei- (km) (km) (km) Volme 49,3 spielhaft ein Abschnitt der Volme unterhalb Haus Stadtgebiet Hagen 20,3 Rhade dargestellt werden (Abb. 12 und 13). Stadtgebiet Kierspe 11,6 Oberhalb Stadt Hagen Im Volmeabschnitt mit Ziffer 8 (Abb. 12) wurde für bis Stadtgrenze Kierspe die Sohle die Güteklasse 3 vergeben, für das Ufer und im Stadtgebiet Meinerzhagen ca. 17,4 links und rechts jeweils eine 4, für das Land links eine 4 und für das Land rechts eine 6. Die 3 für die Die Städte und Gemeinden sind nach der Novel- Sohle ergibt sich aus einer 5 bei der Laufentwick- lierung des Landeswassergesetzes von 1989 zur lung, einer 2 im Längsprofil und einer 3 für die Soh- naturnahen Unterhaltung ihrer Gewässer verpflich- lenstruktur durch arithmetische Mittelwertbildung. tet. Als Instrument dazu hat sich seit 1991 das Die Laufentwicklung musste deswegen so schlecht „Konzept zur naturnahen Entwicklung der Fließge- bewertet werden, da die Volme gestreckt verläuft wässer“ (MURL 1994) bewährt. Hierin wird neben (Abb. 13). Das Leitbild hätte einen mäßig bis stark der Darstellung der wasserbaulichen Maßnahmen geschwungenen Verlauf gefordert. In der Vergan- der Vergangenheit der heutige Zustand der Gewäs- genheit wurde die Volme in diesem Abschnitt zuerst ser auf Basis einer Gewässerstrukturgütekartierung durch die Anlage des Wassergrabens um das Adels- erfasst und bewertet. Im zweiten Teil wird ein Maß- haus Haus Rhade (vor 1393), der heute ein eutro- nahmenkatalog erarbeitet, aus welchem hervorgeht, phierter Ententeich ist, und später viel stärker durch mit welchem Aufwand (Belassen, Entwickeln und den Bau der Volmetalbahn (um 1873) mit dem Gestalten) und welcher Zeitlichkeit (kurz-, mittel- heutigen Brückenbauwerk zum Adelssitz mittels und langfristig) Maßnahmen zur Verbesserung des Steinschüttung in ein gestrecktes Bett gezwungen. Gewässerzustandes eingeleitet werden. Hierzu ist Wichtig war bis in die jüngste Zeit die intensive die Einarbeitung einer Kostenschätzung hilfreich. Grünlandnutzung in der Volmeaue bei Haus Rhade,

Abb. 12: Ausschnitt aus der Gewässerstrukturgütekarte der Volme im Stadtgebiet Kierspe Bereich Haus Rhade. Der Abschnitt, der mit der Ziffer 8 bezeichnet ist, wird im Text erläutert. Die roten Striche quer zur Volme markieren 100 m Abschnitte. (Ingenieurbüro R. Beck)

136 die wasserbauliche Maßnahmen erforderlich machte nahmen ist eine Stabilisierung des erreichten Zu- (Abb. 13). standes zu erwarten. Zum einen wird zukünftig das Hauptaugenmerk auf die trophische Entwicklung und im Zusammenhang damit auf eine genaue Beobachtung der Ammoni- umbelastung des Flusses zu richten sein, zum anderen gilt es, Verbesserungen im Bereich der Strukturgüte umzusetzen.

Danksagung: Für die Mitarbeit an diesem Bericht bedanke ich mich ganz herzlich bei meinen Kollegen/Innen Frau Siebeneich und Frau Knorr, Herrn Junge, Herrn Schliepkorte und Herrn Drewenskus.

Abb. 13: Erscheinungsbild des Abschnittes mit der Literatur Ziffer 8 aus der Gewässerstrukturgüte- BECK, R. (Ing.-Büro) (1999): Konzept zur naturnahen Entwick- karte (Abb. 12). Das Foto wurde von der lung der Volme und ihrer Nebengewässer im Stadtgebiet von Brücke gegen die Fließrichtung aufge- Kierspe; Auftraggeber: Stadt Kierspe; Wuppertal. nommen. Im Hintergrund links ist der BUSSMANN; M (1996): Zur Pflanzen- und Tierwelt des mittleren Volmetales im Raum Schalksmühle. In: Kreisheimatbuch 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Bahndamm der Volmetalbahn und da- Schalksmühle 1996; Heimatbund Märkischer Kreis e.V. hinter die B 54 erkennbar. (Hrsg.). DIN 38 410, TEIL 2 (1990): Biologisch-ökologische Gewässer- untersuchung (Gruppe M): Bestimmung des Saprobienindex Für die Gewässersohle wird die Aufweitung des (M2). In: Deutsche Einheitsverfahren zur Wasser-, Abwasser- Durchlasses (Brücke) empfohlen. Als Maßnahmen und Schlammuntersuchung, 24. Lief.,1991,Weinheim. für das Ufer rechts ist das „Verfallenlassen“ des LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA)(1976): Die Gewäs- sergütekarte der Bundesrepublik Deutschland, 16 S., Mainz. Uferbaus vorgesehen (Ufer links keine Maß- LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER (LAWA) (1996): Güteatlas nahmen). Für den Landbereich links wird das Ver- der Bundesrepublik Deutschl and. Biologische Gewässer- breitern des Uferschutzstreifens und die Aufgabe gütekarte 1995, 52 S., Berlin. LANDESAMT FÜR WASSER UND ABFALL NW (LWA) (1982): Fließge- von Nutzungen im Vorland (Fahrweg) vorge- wässer in Nordrhein-Westfalen. Richtlinie für die Ermittlung schlagen. Für den Landbereich rechts, derzeit eine der Gewässergüteklasse, Düsseldorf. intensiv genutzte Vielschnittwiese (Abb. 13, linke LANDESUMWELTAMT NRW (LUA) (1996): Gewässergütebericht '93/'94. Bildhälfte), ist die Extensivierung der landwirtschaft- LANDESUMWELTAMT NRW (LUA) (1997): Gewässerüberwachung in lichen Nutzung (z. B. nur einmalige Mahd) vorge- NRW - Oberirdische Gewässer -; Materialien Nr. 40, Essen, sehen. ISSN 0947 - 5206. LANDESUMWELTAMT NRW (LUA) (1998): Gewässerstrukturgüte in Nordrhein-Westfalen - Kartieranleitung, Merkblätter Nr. 14, Zusammenfassung Essen. MINISTERIUM FÜR UMWELT, RAUMORDNUNG UND LANDWIRTSCHAFT NW Die vorliegende Darstellung gibt einen Überblick (MURL) (1991): Allgemeine Güteanforderungen für Fließ- gewässer (AGA), RdErl. d. MURL v. 14.05.91 - IV B 7- über die vom (nunmehr) Staatlichen Umweltamt 1571/11-30707, geänd. d. RdErl. d. MURL v. 12.11.91 - IV B Hagen in den letzten 30 Jahren an der Volme durch- 7-1571/11-30707. geführte Gewässergüteüberwachung. Die Entwick- MINISTERIUM FÜR UMWELT, RAUMORDNUNG UND LANDWIRTSCHAFT NW (MURL) (1994): Konzept zur naturnahen Entwicklung der lung der Gewässergüte wird exemplarisch anhand Fließgewässer, Düsseldorf. der Verbesserungen bei den Gewässergüteklassen PATTICHIS, L. & H. LEDOUX (1996): Zur Geologie des Volmetales in Abhängigkeit der abwassertechnischen Sanie- und seiner Höhengebiete bei Schalksmühle. In: Kreisheimat- buch Schalksmühle 1996; Heimatbund Märkischer Kreis e.V. rungsmaßnahmen im Einzugsgebiet aufgezeigt. (Hrsg.) Detailanalysen ausgewählter chemischer Mess- SCHMIEDS, U.(1996): Biologie und Gewässergüte der Volme. In: größen sowie die Reaktion der Benthosbiozönose Kreisheimatbuch Schalksmühle 1996; Heimatbund Märki- scher Kreis e.V. (Hrsg.). auf die verringerte Belastung belegen, dass die Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie 78/659/EWG des Sanierung der Volme unter saprobiologischen Rates vom 18.07.78 über die Qualität von Süßwasser, das Gesichtspunkten erfolgreich verläuft. Nach Durch- schutz- oder verbesserungsbedürftig ist, um das Leben von Fischen zu erhalten (FischgewV), GV NW, Nr. 41 v. 8. Sept. führung bzw. Abschluss noch ausstehender Maß- 1997, S. 286 -295 (Fischereiverordnung).

137 Emscher

3.2.6 Emscher 3.2.6.1 Vom Abwasserkanal zum Fluss – Erfolgreiche Schritte bei der ökologischen Wiederbelebung des Emschersystems Dr. Dieter Busch, Dr. Horst Büther, Kerstin Ostermann & Dr. Harald Rahm (StUA Herten)

Die Emscher ist ein rechtsseitiger Nebenfluss einzugsgebiet erfolgte. Bis zu einem Abfluss von des Rheins und wird seit fast 100 Jahren als 30 m3/s wird hier der gesamte Emscherabfluss offenes Abwasserkanalisationssystem genutzt. Das behandelt. Unterhalb der Flusskläranlage wird die 865 km2 große Einzugsgebiet umfasst einen von Emscher mit der Güteklasse III-IV in den Rhein ent- Kohle, Stahl und Chemie geprägten Ballungsraum lassen. im Herzen des Ruhrgebietes mit ca. 2,5 Mio. Ein- wohnern. Von der Quelle südöstlich von Dortmund bis zur Einmündung in den Rhein (bei Dinslaken) hat die Emscher auf einer Fließstrecke von 85 km nur ein Gefälle von 122 m. Das ursprüngliche Gesicht der Emscher war das eines typischen, träge fließenden Flachlandflusses mit ausgeprägten Feuchtgebieten.

Durch den Steinkohlenbergbau kam es schon zum 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ende des 19. Jahrhunderts zu umfangreichen Ge- ländeabsenkungen im Emschereinzugsgebiet, die teilweise über 20 m erreichten. Aus dieser Entwick- lung resultierten bereits bei kleineren Hochwässern Abb. 1: Kanalisiert und mit Abwasser gefüllt. Die großflächige, langanhaltende Überschwemmungen Emscher unterhalb des Schwarzbaches bei mit ungereinigten Fäkalabwässern, gefolgt von Gelsenkirchen-Horst. Typhus- und Choleraepedemien. Seit 1900 wurde das Emschersystem nach rein hydraulischen Ge- Mit dem Ausklingen der Bergsenkungen wurde es sichtspunkten zum Schmutzwassergerinne für die möglich, das gesamte Emschergebiet abwasser- Ableitung der anfallenden Niederschlags-, Brauch- technisch zu sanieren. Zur ökologischen und ökono- und Abwassermengen ausgebaut (Abb. 1). Mehr als mischen Erneuerung der gesamten Industrieregion die Hälfte der Emschernebengewässer wurde dabei wurde die Internationale Bauausstellung Emscher- erfasst (Abb. 2). Der Verbau der Emscher selbst park (IBA) von der Landesregierung NRW ins Leben beginnt schon kurz unterhalb der Quelle mit Beton- gerufen (IBA 1989). Ein Leitprojekt der IBA ist der schalen; teilweise muss der Fluss auf einer er- ökologische Neubau des Emschersystems. Mit höhten Trasse durch die Senkungsgebiete geführt einem Investitionsaufwand von ca. acht Milliarden werden. Gegenwärtig besteht die Niedrigwasser- DM (Zeitrahmen: 25–30 Jahre) sollen ökologisch menge der Emscher zu 80 % aus Grubenwässern funktionstüchtige Fließgewässer entstehen. Träger und aus kommunalen bzw. industriellen Abwässern. der ökologischen Erneuerung des Gewässer- „Früher ein träges Flachlandflüsschen, entwickelte systems ist die Emschergenossenschaft. Das sie sich vor 100 Jahren zum offenen Abwasser- Vorhaben ist geprägt durch die Errichtung dezen- hauptsammler der industriellen Kernzone zwischen traler Kläranlagen, die Trennung von Mischwasser- Ruhr und Lippe“ (LONDONG 1993). systemen und die Vorreinigung hochbelasteter industrieller Abwässer am Ort ihres Entstehens (LENGERSDORF 1989). Mittlerweile sind bereits zwei Kläranlagen (KA) in Dortmund und in Bottrop in Sanierung des Schmutzwassersystems Betrieb gegangen. Diese werden zur Zeit, da die Zum Schutze des Rheines vor Abwässern aus der abwassertechnische Sanierung noch nicht abge- Emscherregion wurde im Jahr 1974 eine Mün- schlossen ist, teilweise als Flusskläranlagen ge- dungskläranlage bei Dinslaken in Dienst gestellt, in nutzt. Die Mündungskläranlage in Dinslaken wird zu der zentral die Abwasserreinigung für das Emscher- einer dezentralen Gebietskläranlage umgebaut.

139 Erste Sanierungserfolge Bereits die ersten Sanierungsmaßnahmen wirken sich positiv auf die Gewässerqualität aus. Zur Dokumentation dieser Veränderungen und zur weiteren Erfolgskontrolle wird im Rahmen der staatlichen Gewässerüberwachung seit 1990 unter Federführung des Staatlichen Umweltamtes Herten das Emscher-Projekt zur Langzeit-Untersuchung des Sanierungserfolges (Emscher-PLUS) durchge- führt. Ein umfangreicher Zwischenbericht des Messprogramms wird im Jahr 2000 erscheinen.

Untersuchungsschwerpunkte des Emscher-PLUS Abb. 2: Auf hydraulische Funktionalität getrimmt. waren in den Jahren 1991 bis 1994 intensivierte Ge- Einmündung eines Schmutzwasserlaufes wässeruntersuchungen zur Beschreibung des Aus- (Handbach) bei Oberhausen-Holten. gangszustandes (MÜNZINGER & THIEL 1993), Emis- sions-/Immissionsuntersuchungen an der Emscher ehemaliger Abwasserkanäle ein sich stabilisieren- und bedeutenden Nebengewässern (MÜNZINGER et der aquatischer Lebensraum zurückgewonnen al. 1995; MÜNZINGER & THIEL 1995) und gewässer- werden kann (s. Kap. 3.2.6.2) biologische Untersuchungen in Gewässerabschnit- ten ohne Abwasserbelastungen sowie in teilrenatu- Seit Januar 1995 wird im Rahmen des Emscher- rierten Fließstrecken mit Erfassung des Makrozoo- PLUS ein Monitoring-Programm an z. Zt. 19 was- benthos an insgesamt 37 Messpunkten (THIEL et al. serwirtschaftlich relevanten Messpunkten entlang 1995). Die biologischen Untersuchungen an ver- der Emscher-Fließstrecke betrieben (Abb. 3). Bei bliebenen naturähnlichen Abschnitten ohne Abwas- dem Messprogramm werden an den einzelnen serbelastung, belegten ein noch vorhandenes, Messstellen bis zu 116 unterschiedliche Mess- breites Artenspektrum und damit ein hohes Potential größen (Tab. 1) bestimmt. Zusätzlich können die für die Wiederbesiedlung teilrenaturierter Gewässer. Analysenergebnisse des LUA an der Mündungs- Die Untersuchungsergebnisse teilrenaturierter messstelle der Emscher einbezogen werden. Wasserläufe belegen, dass durch die Sanierung Zusammen mit der Beschreibung des Emscher-

Recklinghausen Kläranlage

Bottrop Meßstelle Dinslaken Gelsenkirchen Deiningh.Bach (bedingt) naturnah

LUA Schmutzwasserlauf 14 04 03 Boye 06 05 17 07 Emscher 10 08 16 18 Schwarzbach 11 Hüller Bach Rhein Emscher 09 15 13 Berne 12 Dortmund 01

Läppkes MB. 00 02 Duisburg

Bochum Essen

0 5 10 15 20

Maßstab 1: 250 000

Abb. 3: Schematische Übersicht über das Emschersystem und Lage der Messpunkte des Emscher-PLUS (LUA = Dauermesspunkt des LUA an der Emschermündung; 00-18 Messpunkte des Emscher-PLUS).

140 Tab. 1: Untersuchungsprogramm im Emschermonitoring

Feld-Messgrößen – Wassertemperatur – pH-Wert – elektrische Leitfähigkeit – Sauerstoffgehalt Nährstoffe – Ammonium – Phosphor – organischer Kohlenstoff (TOC, gesamt) Anionen – Sulfat – Chlorid – Nitrat – Cyanid, gesamt und leicht freisetzbar Metalle – Blei – Kupfer – Cadmium – Quecksilber – Chrom – Eisen – Nickel – Mangan – Zink – Aluminium – sowie Arsen und Bor organische – Phenole (P-I) „Industriechemikalien“ – Adsorbierbare organische Halogenverbindungen (AOX) – Kohlenwasserstoffe (KW) – Benzol und Homologe (BTXE) – leichtflüchtige Halogenkohlenwasserstoffe (LHKW) – polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) – polychlorierte Biphenyle (PCB) 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens – tetrachlorierte Benzyltoluole (TCBT)

Toxizitätstests – Daphnientoxizität (GD) – Leuchtbakterienttest (GL) systems aus den Jahren 1991 – 1994 kann mit dem oberhalb (EP 15) und unterhalb der KA (EP 17) gut laufenden Monitoringprogramm eine erste Be- erkennbar. Abbildung 4 zeigt eine Auswertung der wertung der Maßnahmen vorgenommen und eine Messergebnisse für TOC (Total Organic Carbon), Bilanz des Sanierungserfolges gezogen werden. Ammonium-Stickstoff und Phosphor (gesamt) als 90-Perzentilwert und als Mittelwert mit Standard- Die Effekte der beiden neuen Kläranlagen Dort- abweichung für mindestens 12 Messwerte seit mund-Nord (1994) und Bottrop (1996) sind derzeit Inbetriebnahme der Kläranlage im Jahr 1994. Die die Hauptfaktoren für die Verbesserung der Wasser- Belastung der Emscher mit organischem Kohlen- qualität im Emschersystem. Eine Dokumentation stoff wird durch die Kläranlage Dortmund-Nord um der an der Messstelle EP 14 – Emscher oberhalb ca. 70 % reduziert, die Ammoniumbelastung wird der Mündungskläranlage – gewonnenen Ergeb- um ca. 80 %, die Phosphorbelastung um ca. 60 % nisse fasst die Effekte aller bereits durchgeführten reduziert. Sanierungmaßnahmen im Emschersystem zusam- men. Zusätzlich wurde die Reinigungsleistung der Ähnliche Erfolge zeigen sich hinsichtlich der Mündungskläranlage durch Ausbaumaßnahmen Entfernung von Schwermetallen aus dem Oberlauf erhöht. der Emscher (Abb. 5). Blei, Kupfer und Zink werden zu 60 – 90 % in der Kläranlage zurückgehalten. Die große Standardabweichung der Messwerte für Zink Kläranlage Dortmund-Nord an der Messstelle oberhalb der Kläranlage ergibt Bereits in ihrem Oberlauf bei Dortmund ist die sich aus zwei Einzelwerten, die deutlich über dem Emscher stark mit Nährstoffen aus häuslichen und Mittelwert liegen. Die Konzentrationen von Queck- gewerblichen Abwässern belastet, die sich mit dem silber (< 0,2 µg/l), Cadmium (< 0,5 µg/l), Chrom Stand der Technik in Kläranlagen gut entfernen las- (< 5 µg/l) und Nickel (< 10 µg/l) liegen im Oberlauf sen. Da die Kläranlage Dortmund-Nord (KA-EP 17) der Emscher unterhalb der Bestimmungsgrenzen mit einem zunächst niedrigen Anschlussgrad von der angewendeten analytischen Nachweisver- Abwasseremittenten noch überwiegend die fließen- fahren. Organische Industriechemikalien werden in de Welle der Emscher behandelt, ist die Reini- Einzelfällen nachgewiesen, die Grundbelastung gungsleistung bei einem Vergleich der Messstellen liegt jedoch unterhalb der Bestimmungsgrenzen.

141 90-Perzentil 90-Perzentil Mittelwert und Standardabweichung Mittelwert und Standardabweichung 100 TOC Zink 1,0

50 0,5 Konzentration in mg/l Konzentration in mg/l 0 0,0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

40 80 + Kupfer NH4 -N

20 40 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

8 100 Blei Pges

4 50 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

Abb. 4: Verringerung der Gewässerbelastung Abb. 5: Verringerung der Schwermetallbelastung durch die Reinigungsleistung der Kläran- durch die Reinigungsleistung der Kläran- lage Dortmund-Nord. Gesamter organi- lage Dortmund-Nord. Zink, Blei und Kupfer scher Kohlenstoff (TOC), Ammonium-N oberhalb (EP 15) und unterhalb (EP17) der und Phosphor (gesamt) oberhalb (EP 15) KA (n ≥ 12 ). und unterhalb (EP17) der KA (n ≥ 12 ). auch oberhalb der Kläranlage die Belastung durch (Mittelwert und Standardabweichung können in diesem Zusammenhang nicht statistisch korrekt ver- die diskutierten Inhaltsstoffe reduzieren. Somit ent- wendet werden, da es sich nicht um normalverteilte wickelt sich die KA mit fortschreitender Sanierung Zahlenwerte handelt. Die Darstellung des Mittelwertes zur einer punktuellen Belastungsquelle. Auch unter- neben dem Perzentilwert wurde trotzdem gewählt, da so zusätzliche Informationen über die Verteilung der halb der Kläranlage Dortmund werden die Vorgaben Messergebnisse dargestellt werden können.) der AGA für TOC, Ammonium und Phosphor trotz der erzielten Verbesserungen noch deutlich über- Unterhalb der KA Dortmund werden in der Emscher schritten. Zukünftig sind weitere Maßnahmen not- die Allgemeinen Güteanforderungen für Fließge- wendig, um den Eintrag von Nährstoffen durch die wässer (AGA NRW 1991) hinsichtlich der Schwer- Kläranlage oder verbleibende Direkteinleiter weiter metalle mittlerweile deutlich unterschritten, was als zu reduzieren. wesentlicher Teilerfolg gewertet werden kann. Die neuen Zielvorgaben der LAWA (1997) werden Effekte der Kläranlage Bottrop jedoch noch nicht erreicht. Seit Herbst 1996 ist die Kläranlage Bottrop in Mit wachsendem Anschlussgrad der Einleiter im Betrieb, in der Abwasser aus dem Einzugsgebiet Einzugsgebiet der Kläranlage wird sich auf Dauer Bottrop/Gelsenkirchen und das Wasser der Boye

142 behandelt werden. Zur Vollauslastung der Kläran- stellen EP 09 und EP 11 nach Inbetriebnahme der lage wird zusätzlich ein Teil des Emscherwassers Kläranlage Bottrop. Trotz der noch kurzen Mess- aufbereitet. reihe ist deutlich zu erkennen, dass durch die Reduzierung der Nährstofffracht aus der Boye Früher belastete die zufließende Boye die Emscher und die Teilreinigung der Emscher die Belastung mit kommunalem Abwasser, salzhaltigem Gruben- unterhalb der Boye-Mündung nun geringer ist als wasser und einem besonders hohen Anteil an oberhalb. Für TOC und Ammonium beträgt die Ver- Abwasser aus der chemischen Industrie. Für einige besserung ca. 50 % bezogen auf die Konzentration, der im Emschermonitoring untersuchten Stoffe für Phosphor beträgt sie ca. 20 %. (RAHM et al. 1997) fand sich vor Inbetriebnahme der Kläranlage Bottrop in der Emscher unterhalb der In Abbildung 7 sind die Konzentrationen von Benzol, Einmündung der Boye (EP 11) eine höhere Kohlenwasserstoffen (nach DIN 38409 H18) und die Konzentration als oberhalb (EP 09). Abbildung 6 Summe der PAK nach EPA in der Emscher oberhalb zeigt dagegen die Nährstoffsituation an den Mess- und unterhalb der Boye-Mündung dargestellt. Auch

90-Perzentil 90-Perzentil Mittelwert und Standardabweichung Mittelwert und Standardabweichung 100 1,2 TOC Kohlenwasserstoffe

0,8 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens 50 0,4 Konzentration in mg/l Konzentration in mg/l 0 0,0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

20 + 30 Σ PAK EPA NH4 -N

20 10 10 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

4 10 Benzol Pges

2 5 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 oberhalb unterhalb oberhalb unterhalb

Abb. 6: Verringerung der Gewässerbelastung Abb. 7: Verringerung der Gewässerbelastung durch die Reinigungsleistung der Kläran- durch die Reinigungsleistung der Kläran- lage Bottrop in den Jahren 1996 bis 1998. lage Bottrop in den Jahren 1996 bis 1998. Gesamter organischer Kohlenstoff (TOC), Kohlenwasserstoffe, PAK (nach EPA) und Ammonium-N und Phosphor (gesamt) Benzol oberhalb (EP 09) und unterhalb oberhalb (EP 09) und unterhalb (EP11) der (EP11) der KA (n = 8). KA (n = 8).

143 schlussgrades an die Kläranlage sowie eine ge- zielte Vorbehandlung belasteter Industrieabwässer nötig ist, um die allgemein gute Aufbereitungs- leistung der Kläranlage hinsichtlich der Stossbe- lastungen zu verbessern.

Aktuelle Situation im Unterlauf der Emscher Neben der Inbetriebnahme der KA Dortmund-Nord und Bottrop sind in den letzten Jahren eine Reihe von Maßnahmen ergriffen worden, die sich eben- falls auf die Wasserqualität der Emscher ausgewirkt haben. Für die zusammenfassende Bewertung sind in den Abbildungen 9 – 11 die Messwerte wichtiger Wasserinhaltsstoffe von annähernd 100 Beprobun- gen der Emscher an der Messstelle oberhalb der Kläranlage Emscher-Mündung (EP 14) dargestellt. Die hier festgestellten Konzentrationsabnahmen fassen die Effekte aller Sanierungsmaßnahmen der Abb. 8: Ablauf der neuen Kläranlage Bottrop. Jahre 1990 bis 1997 zusammen. für die Industriechemikalien gilt, dass nach der Der Trend der Konzentrationsabnahme für alle Inbetriebnahme der Kläranlage Bottrop (Abb. 8) ein dargestellten Wasserinhaltsstoffe wird bei der Rückgang der Konzentrationen zwischen den Mess- Betrachtung der Einzelwerte von starken Konzen- punkten zu verzeichnen ist. Bei diesem Ergebnis ist trationsschwankungen überlagert. Deshalb sind in zu beachten, dass der Sanierungseffekt höher Abbildung 9 und 10 die Einzelwerte zu 90-Perzentil- als die hier dargestellte Konzentrationsabnahme Werten und Mittelwerten für Zeitintervalle zusam- (ca. 60 %) zu bewerten ist, da das Verhältnis an mengefasst worden. Die Zeiträume wurden so den Messpunkten zuvor teilweise umgekehrt war gewählt, dass sich die Inbetriebnahmen der neuen Kläranlagen in jeweils einem Säulenpaar nieder- (BÜTHER & IRMER 1998). schlagen. Im Zeitraum von 1990 bis 1993 bestand Die Konzentrationen der Schwermetalle Cadmium, das Wasser an der Messstelle EP 14 weitgehend Chrom, Kupfer, Quecksilber, Nickel und Blei lagen aus unbehandeltem Abwasser. Durch die 1994 bis im Bereich der Bestimmungsgrenzen der angewen- Mitte 1996 durchgeführten Maßnahmen, insbeson- deten analytischen Verfahren. Somit ist zu erwarten, dere die Inbetriebnahme der Kläranlage Dortmund- dass ihr Beitrag zur Belastung der Emscher an Nord, sank die Konzentration des TOC an der diesen Messpunkten eher von nachgeordneter Messstelle EP 14 um ca. 18 % (bezogen auf die Bedeutung ist. 90-Perzentil-Werte). Für Ammonium, Phosphor, Benzol und Arsen ergeben sich Konzentrationsab- Im Ablauf der KA Bottrop entsprechen die Nährstoff- nahmen zwischen 29 und 48 %. Der größte Effekt konzentrationen den Anforderungen an eine mo- wurde in diesem Zeitraum mit der Reduzierung der derne Kläranlage. Die Messwerte für Benzol und Bleikonzentration um 63 % erzielt. Das Zeitintervall Kohlenwasserstoffe lagen bei den bisher durchge- 1996 bis 1997 fasst alle Maßnahmen seit Inbetrieb- führten amtlichen Kontrollen jeweils unterhalb der nahme der Kläranlage Bottrop zusammen. Für die Bestimmungsgrenzen von 1 µg/l für Benzol und Nährstoffe und für Arsen ist nochmals eine ähnlich 0,2 mg/l für Kohlenwasserstoffe. Die Messwerte für große Konzentrationsabnahme zu verzeichnen wie PAK (Summe nach EPA) lagen dagegen bei einzel- zwischen den ersten beiden Abschnitten. Die nen Messungen noch deutlich über einer Grundbe- Abnahme der Bleikonzentration an der Messstelle lastung von 1–2 µg/l. EP 14 fällt dagegen deutlich geringer aus. Die ent- Für den Einflussbereich der Kläranlage Bottrop folgt, scheidende Verbesserung der Gewässerqualität in dass in diesem Bereich eine weitere Verbesserung diesem Zeitraum erfolgte in bezug auf die ermittel- der Wasserqualität durch eine Erhöhung des An- ten Benzolkonzentrationen mit einer Abnahme um

144 90-Perzentil 90-Perzentil Mittelwert und Standardabweichung Mittelwert und Standardabweichung 150 100 TOC Blei

100 50 50 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 1990-1993 1994-1996 1996-1997 1990-1993 1994-1996 1996-1997

50 + Benzol NH4 -N 50

25 25 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0

1990-1993 1994-1996 1996-1997 1990-1993 1994-1996 1996-1997 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

10 10 Arsen Pges

5 5 Konzentration in µg/l Konzentration in mg/l 0 0 1990-1993 1994-1996 1996-1997 1990-1993 1994-1996 1996-1997

Abb. 9: Abnahme der Konzentrationen des gesam- Abb. 10:Abnahme der Konzentrationen von Blei, ten organischen Kohlenstoffs (TOC), Benzol und Arsen im Unterlauf der Ammonium-N und Phosphor (gesamt) im Emscher oberhalb der Mündungskläran- Unterlauf der Emscher oberhalb der lage in Dinslaken (EP14) in den Jahren Mündungskläranlage in Dinslaken (EP14) 1990 – 1997 (n=90-100). in den Jahren 1990 - 1997 (n=90-100).

62 % gegenüber dem Zeitraum 1994 bis 1996 und lich aufeinander abgestimmt waren, ist eine Zuord- einer Abnahme von 91 % gegenüber dem Zeitraum nung von einzelnen Wertepaaren nicht möglich. Die 1990 bis 1993. Die Überlagerung des Trends der Gegenüberstellung der Werte lässt jedoch erken- Konzentrationsabnahme durch die Schwankung der nen, dass bis Mitte 1996 die Ammoniumkonzen- einzelnen Messwerte ist beispielhaft für Ammonium tration der Emscher in der Kläranlage nur leicht in Abbildung 11 dargestellt. reduziert werden konnte. Mit der Erweiterung der Mündungskläranlage um eine Nitrifikation und Denitrifikation ist seit 1996 eine nahezu vollständige Effekte der Mündungskläranlage Dinslaken Entfernung des Stickstoffes in den Sommermonaten In Abbildung 11 sind neben den Ammoniumkonzen- möglich. Der Umbau der Mündungskläranlage trationen der Messstelle EP 14 oberhalb der (Dinslaken) von einer Fluss- zur Gebietskläranlage Mündungskläranlage auch die vorhandenen Mess- (Abb. 12) wird mit der Erhöhung des Anschluss- werte in der Emscher unterhalb der Mündungsklär- grades eine weitere Entlastung an der Messstelle anlage eingetragen. Da die Probenahmen nicht zeit- EP 14 oberhalb der Kläranlage bewirken.

145 60 oberhalb Mündungskläranlage (EP 14) Emscher deutlich erkennen. Längsschnitte sollen in unterhalb Mündungskläranlage 50 Polynomisch (unterhalb Mündungskläranlage) Polynomisch (oberhalb Mündungskläranlage (EP 14)) diesem Beitrag am Beispiel von Wassertemperatur,

40 Sauerstoff-, Ammonium- und Nitratkonzentrationen

30 sowie von Biotoxizitäten vorgestellt werden. Analysenergebnisse aus der Emscher selbst 20

Konzentration in mg/l werden in den folgenden Diagrammen linienförmig 10 als Konzentrationsverläufe und die Resultate der 0 1995 1996 1997 1998 1999 wichtigsten Nebengewässer als Balkendiagramme Abb. 11: Verlauf von Ammonium-N-Konzentra- dargestellt. Die Reinigungsleistung der Kläranlagen tionen in der Emscher oberhalb und unter- ist jeweils an den oberhalb und unterhalb gelegenen halb der Mündungskläranlage in Dins- Messstellen (KA-Dortmund: EP15, EP17; KA laken (EP14) in den Jahren 1995 – 1999. Bottrop EP9, EP18) als Belastungssenkung in der Emscher zu erkennen. Durch die fortwährende Verbesserung der Wasser- Der Längsschnitt von Wassertemperatur und qualität sind die Anfänge einer Wiederbesiedelung Sauerstoffkonzentrationen im September 1997 ist in des Emscherabschnittes unterhalb der Kläranlage Abbildung 13 dargestellt. Ein Wärmeeintrag erfolgt Dinslaken zu beobachten. 1999 wurden dort neben mit Gruben-, Kühl- und Abwässern. Die Winter- schon länger nachgewiesenen Zuckmückenlarven temperaturen in der Emscher liegen deshalb über- zum ersten mal weitere, anspruchslose Organismen wiegend über 10° C. Dadurch wird der natürliche vorgefunden. Hierbei handelte es sich um Floh- Jahresgang der Temperatur vor allem im Winter- krebse und Schnecken, die in größerer Individuen- halbjahr deutlich verändert, die natürlicherweise in dichte vorkamen, sowie um Köcherfliegenlarven Flachlandflüssen zu beobachtende Temperaturab- und Wasserasseln. Selbst höhere Wasserpflanzen senkung unter 5° C erfolgt nicht. (BÜTHER et al. hatten sich entwickelt. Auch wenn dieser Befund, 1998). Auch der Längsschnitt vom 15.09.97 zeigt der eine Verbesserung der biologischen Gewässer- die Aufwärmung des Emscherwassers. Die natür- güteklasse von III-IV auf III anzeigte, bei der nach- licherweise zu erwartenden Wassertemperaturen folgenden Untersuchung nicht bestätigt werden (um 12 °C) können an den Messstellen EP00 und konnte, so ist er doch ein deutlicher Hinweis darauf, am Deininghauser Bach abgeschätzt werden. dass Tendenzen zu einer Wiederbesiedlung der Bereits an der Messstelle EP01 ist eine unnatürliche Emscher mit pflanzlichen und tierischen Organis- Aufwärmung des Wasser um ca. 5 °C festzustellen. men vorhanden sind. Auch die Schmutzwasserläufe wie z. B. Boye und Berne tragen zur Wärmefracht der Emscher bei. An der Mündungskläranlage Dinslaken (EP14) steigen die Temperaturen auf 19–20 °C.

25 12 KA KA

10 20 Sauerstoff in mg/l in Sauerstoff 8 15 6 10 4

Abb. 12: Ein Fluss wird geklärt. Ein- und Auslauf Wassertemp. in °C 5 der Mündungskläranlage in Dinslaken. Bis 2 zu einem Abfluss von 30 m³/s wird die 0 0 EP00 EP01 EP02 EP15 EP17 EP03 EP06 EP09 EP18 EP11 EP14 Boye gesamte Emscher gereinigt. Berne Hüller B. Schwarzb. Deiningh. B. Deiningh. Landwehrb. Emscherzuflüsse fließende Welle Läppkes Mb.

Sauerstoff Wassertemp. Wassertemp. Sauerstoff Güteparameter im Längsschnitt An aktuellen Längsschnitten einzelner Unter- Abb. 13: Wassertemperatur und Sauerstoffkonzen- suchungskampagnen lassen sich die positiven trationen im Emschersystem. Längsschnitt Effekte der Kläranlagen auf die Wasserqualität der vom 15.09.97 (KA=Kläranlage).

146 Einen Eindruck der natürlicherweise im Emscher- Eine Bewertung nach dem von der LAWA (1997) system zu erwartenden Sauerstoffkonzentrationen eingeführten chemischen Klassifizierungssystem geben die Messstellen EP00 und Deininghauser (Zielvorgaben) für 16 ausgewählte Belastungspara- Bach. Schon an der zweiten Messstelle im meter führt zu einer guten Übersicht der vorliegen- Emschersystem (EP01) führen die Abwasserbe- den Belastungssituation des Emschersystems Im lastungen zu einem drastischen Konzentrations- Rahmen dieses Beitrages erfolgt eine exemplari- abfall unter 1 mg/l. Nach der Passage der Fluss- sche Darstellung für die Parameter Sauerstoff und kläranlage in Dortmund-Nord (EP17) liegen die Ammonium-N für die Jahre 1995 bis 1999. Die Sauerstoffkonzentrationen in der Emscher wieder Sauerstoffsituation im Emschersystem ist nach wie bei 8 mg/l. Die Konzentrationen fallen aber im vor an den meisten Untersuchungspunkten kritisch weiteren Flussverlauf schnell wieder unter 2 mg/l (Abb. 14). Als gut kann sie nur an der mäßig be- (EP06). Unterhalb der KA Bottrop steigt der lasteten Emschermessstelle EP 00 und an der Sauerstoffgehalt auf fast 4 mg/l an (EP18). In den Messstelle unterhalb der Kläranlage Dortmund als Schmutzwasserläufe ausgebauten Nebenge- (EP 17) bezeichnet werden. Unterhalb der KA wässern (Landwehrbach, Hüller Bach, Boye, Berne) Bottrop und an der Einmündung in den Rhein kann liegen die Sauerstoffkonzentrationen regelmäßig die Sauerstoffsituation bisher nur in die Güteklasse unter 2 mg/l. III-IV eingestuft werden. Die renaturierten Neben- gewässer Deininghauser Bach und Läppkes Generell muss die Sauerstoffsituation im Emscher- Mühlenbach erreichen für ihren Sauerstoffhaushalt system nach wie vor als übermäßig belastet charak- die Klassen II bzw. II-III. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens terisiert werden. Eine gute Sauerstoffsituation zeich- net sich an der unbelasteten Messstelle EP00, und Die Konzentrationsverläufe für NO3-N und NH4-N an den renaturierten Nebengewässern Deining- sind in Abbildung 15 zusammengestellt. In nicht hauser Bach und Läppkes Mühlenbach ab. Die übermäßig belasteten Gewässern liegt der anorga- Emscher selbst weist in ihrem Verlauf nur unmittel- nisch gebundene Stickstoff überwiegend als Nitrat bar unterhalb der KA Dortmund (EP16, EP17) eine vor. Die Ammonium-N Konzentrationen liegen unter gute Sauerstoffversorgung auf, die aber sehr 1 mg/l und entsprechen den Verhältnissen am schnell schon nach kurzer Fließstrecke aufgezehrt Deininghauser Bach und an der Messstelle EP00 ist. (NH4-N Konzentrationen unter 0,2 mg/l; NO3-N um

Recklinghausen Kläranlage

Bottrop Meßstelle Dinslaken Gelsenkirchen Deiningh.Bach (bedingt) naturnah

LUA Schmutzwasserlauf 14 04 03 Boye 06 05 17 07 Emscher 10 08 16 18 Schwarzbach 11 H Rhein Emscher ü 15 09 ller Bach 13 Berne 12 Dortmund 01

L

ä ppkes MB. 00 02 Duisburg

Bochum Essen

IV < 2,0 mg/l Chemische Güteklassifizierung III-IV > 2,0 - 4,0 III > 4,0 - 5,0 der LAWA von 1997 II-III > 5,0 - 6,0 Güteklassen fürgelösten Sauerstoff II > 6,0 - 8,0 95 96 97 98 99 I-II > 8,0 - 8,5 I >= 8,5 0 5 10 15 20 immer unter NWG Jahr 00 - 18 Meßstellen des Emscher-PLUS keine Analytik Maßstab 1: 250 000 LUA Mündungsmeßstelle des LUA

Abb. 14: Chemische Klassifizierung (LAWA 1997) der Sauerstoffkonzentrationen an ausgewählten Mess- punkten im Emschersystem.

147 16 70 KA KA wasserbehandlung in der Kläranlage wird das 14 60 Ammonium zu Nitrat aufoxidiert, das im weiteren 12 50 NH4-N in mg/l Emscherverlauf als Oxidationsreserve für leichtab- 10 40 baubare organische Substanzen dient. Mit der 8 30 6 weitergehenden abwassertechnischen Sanierung NO3-N in mg/l in NO3-N 20 4 wird später die Denitrifikation der KA Dortmund 2 10 optimiert. Auch unterhalb der KA Bottrop (EP18) ist 0 0 ein Abfall der Ammonium- und ein Anstieg der EP00 EP01 EP02 EP15 EP17 EP03 EP06 EP14 EP09 EP18 EP11 Boye Berne

Hüller B. Nitratkonzentrationen deutlich erkennbar. Schwarzb. Deiningh. B. Deiningh. Landwehrb. Läppkes Mb. Emscherzuflüsse fließende Welle NH4-N NO3-N NO3-N NH4-N Die Bewertung nach der LAWA-Klassifizierung ergibt für Ammonium-N (Abb. 16) an fast allen Abb. 15:Konzentrationen von NO3-N und NH4-N Messpunkten eine übermäßig hohe Belastung. In im Emschersystem. Längsschnitt vom der Emscher selbst kann nur die erste Messstelle 15.09.97 (KA=Kläranlage). EP 00 als kritisch bis mäßig belastet eingestuft werden. Alle anderen Emscher-Messstellen weisen 3-5 mg/l). Mit den Abwassereinleitungen kommt es trotz der enormen Reduktion der NH4-N Konzen- zu einem sprunghaften Anstieg der Ammoniumkon- trationen durch die Kläranlagen fast immer die zentrationen (EP01), die an den zwei folgenden Güteklasse IV auf, nur der Ablauf der KA Dortmund Messstellen durch Verdünnungsprozesse langsam kann häufig in die Güteklasse III eingestuft werden. absinken. Unterhalb der KA steigen die gefundenen Konzen- Der Effekt der KA Dortmund ist deutlich erkennbar. trationen wieder schnell in den Bereich der Güte- Unterhalb der KA (EP17) gehen die Ammonium- klasse IV an. Von den renaturierten Gewässern liegt werte auf Konzentrationen unter 0,2 mg/l zurück, der Deininghauser Bach regelmäßig in der Güte- gleichzeitig steigen die Nitratkonzentrationen klasse II, während der Läppkes Mühlenbach mit im sprunghaft auf über 15 mg/l an (Eliminations- Jahresverlauf stark schwankenden Belastungen leistung der KA ca. 80 %). Durch die aerobe Ab- zwischen Güteklasse I-II und IV liegt.

Recklinghausen Kläranlage

Bottrop Meßstelle Dinslaken Gelsenkirchen Deiningh.Bach (bedingt) naturnah

LUA Schmutzwasserlauf 14 04 03 Boye 06 05 17 07 Emscher 10 08 16 18 Schwarzbach 11 H Rhein Emscher ü 15 09 ller Bach 13 Berne 12 Dortmund 01

L

ä ppkes MB. 00 02 Duisburg

Bochum Essen

IV > 2,4 mg/l Chemische Güteklassifizierung III-IV > 1,2 - 2,4 III > 0,6 - 1,2 der LAWA von 1997

II-III > 0,3 - 0,6 Güteklassen für Ammonium (NH4 -N) II > 0,1 - 0,3 95 96 97 98 99 I-II > 0,04 - 0,1 I <= 0,04 0 5 10 15 20 immer unter NWG Jahr 00 - 18 Meßstellen des Emscher-PLUS keine Analytik Maßstab 1: 250 000 LUA Mündungsmeßstelle des LUA

Abb. 16:Chemische Klassifizierung (LAWA 1997) der Ammonium-N Konzentrationen an ausgewählten Messpunkten im Emschersystem.

148 Biotestverfahren mit Daphnien (GD) und Leucht- bakterien (GL) sind methodisch geeignet, die Toxizität von vorliegenden Gewässerbelastungen für die aquatische Biozönose abzuschätzen. Die in Abbildung 17 aufgetragenen G-Werte geben jeweils die Verdünnungsstufe (GL 16 = 1:16) des getesteten Emscherwassers an, bei der die erforderliche Über- lebensrate (9 von 10 Tieren) der Daphnien erreicht wurde bzw. die Leuchtwirkung der Bakterien nicht mehr signifikant gehemmt wird. Die Befunde (keine Toxizität) an der Messstelle EP00 sind typisch für toxisch gering belastete Gewässer. Oberhalb der Abb. 18:Ein Beispiel für die wasserbauliche Ge- KA Dortmund sind hohe Leuchtbakterientoxizitäten staltung der Emschernebengewässer und an der Messstelle EP01 auch Daphnientoxi- (Einmündung des Sellmannsbaches in die zitäten feststellbar. Nach der Abwasserbehandlung Emscher). (EP17) sind die Toxizitäten deutlich reduziert. Unterhalb der KA steigt die Leuchtbakterientoxizität der Kläranlagen Dortmund-Nord und Bottrop unter- wieder an und fällt unterhalb der KA Bottrop (EP18) stützt (BUSCH et al. 1998). deutlich ab. In den abwasserbelasteten Nebenge- Durch die Weiterentwicklung der Schadstoff-Ver- wässern der Emscher sind erhebliche Toxizitäten 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens meidungstechnologie am Entstehungsort, die weite- feststellbar. re Verbesserung der Reinigungstechnologie am Ort

35 3,5 des Anfalls gefährlicher Wasserinhaltsstoffe, den KA KA 30 3 weiteren Anschluss von Indirekteinleitern an die 25 2,5 Kläranlagen und die klärtechnische Ertüchtigung

20 2 GD GL 15 1,5 der Direkteinleiter können mittelfristig die Allge- 10 1 meinen Güteanforderungen für Fließgewässer 5 0,5 (AGA 1991) in der Emscher erreicht werden. Da- 0 0 EP14 EP00 EP01 EP02 EP15 EP17 EP03 EP06 EP09 EP18 EP11 nach könnten die Zielvorgaben zum Schutz oberirdi- Berne Hüller B. EP10-Bo Schwarzb. Deiningh. B. Deiningh. Landwehrb. Läppkes Mb. scher Binnengewässer (LAWA 1997) realisierbare Emscherzuflüsse fließende Welle GD GL GL GD Ziele werden. Bereits jetzt ist eine spürbare Ent- lastung des Rheins, besonders hinsichtlich der Abb. 17: Biotoxizitäten im Emschersystem. Längs- Nährstofffrachten, eingetreten (BÜTHER & IRMER schnitt vom 17.11.97. Testergebnisse von 1998). Daphnien (GD) und Leuchtbakterientests

(GL) (KA=Kläranlage). Neben den bisher erzielten abwassertechnischen Erfolgen müssen noch einige Probleme bis zum Abschluss der Emschersanierung gelöst werden. Dazu gehört die anhaltend hohe Chloridbelastung Bewertung und Ausblick der Emscher aus den Grubenwassereinleitungen Mit der Inbetriebnahme der neuen Kläranlagen des Bergbaus (s. Kap. 8.2). Auch bei einer ver- Dortmund-Nord und Bottrop sind die Erfolge der gleichmäßigten Einleitung dieser Grubenwässer Emschersanierung messbar geworden. Die Be- werden in Zukunft Chloridkonzentrationen bis zu lastung des Gewässersystems mit Industriechemi- 2.500 mg/l in der Emscher erwartet (EMSCHER- kalien, Schwermetallen und Nährstoffen konnte GENOSSENSCHAFT 1991 Nr. 4). Daraus folgt, dass die schrittweise erheblich reduziert werden, hat aller- ökologische Entwicklung des Emschersystems mit dings bisher noch kein akzeptables Maß erreicht. der fortschreitenden Reinigung der eingeleiteten Das Zwischenergebnis der abwassertechnischen Abwässer durch den Chloridgehalt und die weiteren Sanierung ist gut und weist deutlich in die richtige Inhaltsstoffe des Grubenwassers bestimmt werden Richtung. Diese Einschätzung wird zusätzlich durch wird. Bei den erwarteten Salzkonzentrationen kann neue Erkenntnisse über die Verminderung der toxi- sich jedoch nur eine sehr artenarme, instabile und schen Wirkungen der Wasserinhaltsstoffe unterhalb gegen weitere Umweltbelastungen empfindliche

149 Biozönose entwickeln, die zudem nur aus salz- Für eine verlässliche Beschreibung des Sanierungs- toleranten Arten bestehen wird. Die Entwicklung verlaufes basiert das Emscher-PLUS auf einer ge- einer für mitteleuropäische Fließgewässer typischen sicherten Datengrundlage über den Gewässerzu- Lebensgemeinschaft und die Sicherstellung der stand vor der Sanierung und ist in der Lage, wäh- damit verbundenen gewässerökologischen Funk- rend der laufenden Maßnahme sowohl die ganz- tionen kann bei den prognostizierten Bedingungen heitliche Entwicklung über Zeit und Raum aufzeigen nicht erreicht werden. als auch flexibel auf die Veränderung der Gesamt- situation zu reagieren und einzelne Schwerpunkte des Sanierungsprogramms zu berücksichtigen. Die Bedeutung eines Monitorings und der an ein Monitoring zu stellende Anspruch steigt mit dem Umfang des Sanierungsvorhabens.

Das derzeit laufende Monitoring ist ein flexibles Instrument zur Beobachtung und Bewertung aktuel- ler Entwicklungen. So konnten bereits eindeutige Effekte der Kläranlagen Dortmund-Nord und Bottrop analytisch nachgewiesen werden. Neben der Verbesserung der Nährstoffsituation und des Sauerstoffhaushaltes der Emscher wird das Moni- toring auch die Erfolge der zahlreichen Sanierungs- Abb. 19: Einmündung der Berne in die Emscher. maßnahmen bei einzelnen Einleitern dokumentie- ren, die im Zuge der Neukonzeption des Boye- Bereiches vorgenommen werden. Auftretende Problematisch bei der Gewässerrenaturierung im Defizite können so zeitnah aufgezeigt werden. Emschergebiet sind die geringen Reinwasserab- flüsse, die in den Gewässern nach der Entflechtung Mit Blick auf das Fortschreiten der Emschersanie- verbleiben. Durch Bergbauaktivitäten und Flächen- rung ergibt sich hieraus, dass die Direkteinleiter in versiegelungen ist die natürliche Wasserspende aus die Emscher in Zukunft Auflagen erhalten, die dem den Einzugsgebieten der Gewässer stark vermin- Sanierungsziel entsprechen. Dies betrifft neben den dert. Die nach dem Umbau verbleibenden Notaus- Kläranlagen der Emschergenossenschaft auch alle lässe der Mischwasserkanalisationssysteme bilden jetzt noch vorhandenen Einleiter, die nicht zu für die Gewässerökologie ein weiteres Problem. Indirekteinleitern werden. Art und Umfang der mög- Durch diese Überläufe können bei Starkregen- lichen Einleitung von Grubenwasser in die sanierte ereignissen mehrere m³/s Mischwasser in Gewäs- Emscher müssen mit den Sanierungszielen der serabschnitte mit relativ geringer Mittelwasserab- Emscher abgeglichen werden (BUSCH et al. 1997). flussmenge (z. B. am Mittellauf des Deininghauser Für das laufende Messprogramm bedeutet der Bach 80 l/s) abgeschlagen werden. Neben akut Fortschritt der Gewässersanierung, dass die Be- toxischen Wirkungen von Wasserhinhaltsstoffen, schreibung des IST-Zustandes kontinuierlich fortge- Sauerstoffmangel und Schwebstoffeintrag kommt setzt werden muss, wobei das Monitoring flexibel an es zusätzlich zu einer starken hydraulischen die sich ändernden Rahmenbedingungen anzu- Belastung des Gewässers. passen ist. Zu den Aufgaben des Monitoring zählen Die dargestellten Ergebnisse zeigen, dass ein l eine Optimierung des Untersuchungsumfanges begleitendes Monitoring bei der Sanierung des anhand aktueller Messwerte, Emschersystems unbedingt erforderlich ist. Nur so ist eine direkte Rückkopplung und eine Bewertung l eine zeitlich begrenzte Erweiterung des Mess- der Erfolge von Einzelmaßnahmen möglich, welche stellennetzes im Bereich regional begrenzter für die weiteren Schritte entscheidende Hinweise Sanierungsmaßnahmen, liefern. Das Monitoring spiegelt den aktuellen Stand der Gewässersituation wider und zeigt gegebenen- l die Erweiterung des Datenpools auf der Basis falls zusätzlichen Handlungsbedarf auf. eines Grundprogramms,

150 l die Durchführung biologischer Untersuchungen EMSCHERGENOSSENSCHAFT (1990): Umgestaltung der Wasserläufe - Kurzgutachten und Bewertung. - Internationale Bauaus- in renaturierten Teilbereichen, stellung Emscherpark GmbH in Zusammenarbeit mit der Emschergenossenschaft, Essen 1990, 100 pp. l eine Betrachtung der Schadstofffrachten sowie EMSCHERGENOSSENSCHAFT (1991): Materialien zum Umbau des l eine enge Zusammenarbeit mit der Emscher- Emscher-Systems, Nr. 1: Rahmenkonzept zum ökologischen genossenschaft als Träger der Sanierungs- Umbau des Emscher-Systems. - Emschergenossenschaft, Essen 1991, 20 pp. maßnahmen. EMSCHERGENOSSENSCHAFT (1991): Materialien zum Umbau des Die Sanierung der Emscher ist ein bisher ein- Emscher-Systems, Nr. 4: Konzept zur Grubenwasserab- maliges Großprojekt der Umweltgestaltung durch leitung im Emschergebiet. - Emschergenossenschaft, Essen, 56 pp. den Menschen mit Blick auf vorwiegend ökologische EMSCHERGENOSSENSCHAFT (1997): Fünfjahresübersicht 1997 - Aspekte. Dabei greifen eine Vielzahl von Einzel- 2001.- Emschergenossenschaft, Essen 1997, 34 pp. maßnahmen ineinander, deren ökologische Folgen IBA (1989): Internationale Bauausstellung Emscher-Park - Werk- in ihrer Komplexität für das Emschersystem nicht statt für die Zukunft alter Industriegebiete. - Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes NRW, vorhersagbar sind. Emscher-PLUS kann als be- Düsseldorf, 66 pp. gleitendes Messprogramm den Erfolg einzelner LAWA (1997): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnen- Sanierungsmaßnahmen im Emschersystem be- gewässer, Band 1.- Hrsg.: Länderarbeitsgemeinschaft Was- schreiben und wichtige Hinweise für ihre Bewertung ser, Kulturbuchverlag Berlin 1997, 59 pp. im Gesamtkonzept liefern. LENGERSDORF, D. (1989): Die Emscher wird saniert. - UMWELT 19 (11/12), 573-575.

LONDONG, D. (1993): Der große Umbau im Emschergebiet. Was- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Literatur ser und Boden 45 (3), 144-147. MÜNZINGER, A. & A. THIEL (1993): Beschreibung des Zustandes AGA (1991) Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer; von Fließgewässern im Emschergebiet. - Wasser und Boden Entscheidungshilfe für die Wasserbehörden im wasserrecht- 45 (12), 935 - 939. lichen Erlaubnisverfahren. - Runderlaß des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Ministerial- MÜNZINGER, A. & A. THIEL (1994): Beschreibung des Zustandes blatt NRW 42, 863-874 (1991) und LWA-Merkblatt Nr. 7, jetzt von Fließgewässern im Emschergebiet. - Wasser und Boden Landesumweltamt NRW, Essen 1991, 38 pp. 46 (1), 59.

BÜTHER, H. & D. BUSCH (1997): Einfluß von Grubenwasser auf die MÜNZINGER, A., BÜTHER, H., WILL, R., HÄDICKE, A. & A. THIEL Gewässerqualität im Emschersystem. - in: COLDEWEY, W. G. & (1995): Emissions-/Immissionsbetrachtungen als Grundlage E. P. LÖHNERT (Hrsg) GeoCongress 3: Grundwasser im für die Gewässersanierung am Beispiel der Emscher.- Forum Ruhrgebiet - Probleme, Aufgaben, Lösungen. Verlag Sven Städte Hygiene 46 (5), 330 - 336. von Loga, Köln, 39 - 43. MÜNZINGER, A. & A. THIEL (1995): Kombinierte Gewässer- und BÜTHER, H.; RAHM, H. & D. BUSCH (1998): Messbare Erfolge der Abwasseruntersuchungenan der Boye, einem stark belaste- Emschersanierung. Vom Wasser 91, 157-173. ten Gewässer im Einzugsgebiet der Emscher.- DGM 39, H. 3, 103 - 108. BÜTHER, H. & H. IRMER (1998): Wasserwirtschaftliche Aus- wirkungen auf die Emscher und den Rhein. in: Wasserwirt- MURL (1991): Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer; schaft in Ballungsgebieten. Hrsg.: Emschergenossenschaft, Entscheidungshilfe für die Wasserbehörden im wasserrecht- Essen, 91-101. lichen Erlaubnisverfahren.- Runderlaß des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Ministerial- BUSCH, D.; BÜTHER, H.; JASPERNEITE, G. & K. OSTERMANN (1997): blatt NRW 42, 863-874 und LWA-Merkblatt Nr. 7, Essen. Ökologische Entwicklungsperspektiven von Emscher und Lippe, Handlungsbedarf für ein einheitliches Grubenwasser- RAHM, H., MÜNZINGER, A., BÜTHER, H. & K. OSTERMANN (1997): konzept. - Staatliches Umweltamt Herten Eigenverlag 1997, Projekt zur Langzeit-Untersuchung des Sanierungserfolges 26 pp. der Emscher. - Vom Wasser 88, 149 - 160.

BUSCH, D., BÜTHER, H. & H. RAHM (1998): Die Wasserqualität der THIEL, A., MÜNZINGER, A., BRÜGGEMANN, I. & M. BARTKOWIAK (1995): Emscher: Räumliche und zeitliche Trends der Genesung. - Wiederbesiedlungsperspektiven im Emschersystem - Makro- in: HERGET, J. & HELD, T. (Hrsg.): Forum angewandte Geo- zoobenthos an ausgewählten Wasserläufen. - Deutsche Ge- graphie „Fließgewässerrenaturierung“, Materialien zur Raum- sellschaft für Limnologie, erweiterte Zusammenfassung der ordnung, Schriftenreihe des geographischen Instituts Ruhr- Jahrestagung 1994, Band II, 582 - 586. universität Bochum, 57-69.

BUSCH, D. & H. BÜTHER (1998): Salzbelastete Grubenwässer des Steinkohlebergbaus als Belastungsfaktor für Fließgewässer. Deutsche Gesellschaft für Limnologie, Jahrestagung 1997, 956-960.

151 Deininghauser Bach/Läppkes Mühlenbach

3.2.6.2 Auferstanden aus dem Schmutzwasserbett – Erfolge von Renaturierungsmaßnahmen im Emschersystem – Dr. Dieter Busch (StUA Herten) und Andreas Thiel (StUA Duisburg)

Von den insgesamt ca. 650 km Fließgewässern und Planungen gingen von den ehemaligen Staat- im Emschersystem sind derzeit etwa 350 km zu lichen Ämtern für Wasser- und Abfallwirtschaft Lipp- einem Netz offener Abwasserkanäle mit Trapez- stadt und Herten aus (StÄWA Lippstadt und Herten profil und Sohlverbau, meist mit Betonhalbschalen 1988, LENGERSDORF 1989). Mit einem Aufwand von (z. T. Spundwände) ausgebaut worden. Kleinere ca. acht Milliarden DM sollen in einem Zeitraum von Emschernebengewässer erhielten eine V-förmige 25 bis 30 Jahren im Emschergebiet wieder ökolo- Sohlgestaltung (Abb. 1). Weitere 208 km sind stark gisch funktionstüchtige Fließgewässer entstehen. begradigt bzw. aufgestaut und abschnittsweise mit 70 % der Kosten entfallen auf abwassertechnische massivem Sohl- und Uferverbau versehen. Heutzu- Maßnahmen. Konzeption und Realisierung dieses tage weisen nur 46 km Gewässerlänge, meist die Großprojektes wurden der Emschergenossenschaft Oberläufe kleinerer Bäche, ein landwirtschaftlich übertragen. Beim Rückbau der Schmutzwasser- überprägtes, jedoch annähernd naturähnliches Er- läufe in den städtisch geprägten und durch den scheinungsbild ohne Sohl- und Uferverbau auf. Bergbau vollständig veränderten Ballungszonen des Ruhrgebietes werden jedoch nicht die Maßstäbe Mit den ausklingenden Bergsenkungen ist es mög- einer vollständigen Renaturierung angelegt, son- lich, das gesamte Emschergebiet abwassertech- dern es soll eine „ökologische Verbesserung“ er- nisch zu sanieren (LONDONG 1993). Erste Initiativen reicht werden.

Beim Rückbau der Schmutzwasserläufe im Em- schergebiet müssen eine Reihe von Problemen gelöst werden, die typisch für dicht besiedelte Ballungsräume mit hohem Versiegelungsgrad sind. Hierzu zählen stark reduzierte Niedrigwasserab- flüsse, häufige, steilansteigende Hochwasserwellen und stoffliche Belastungen durch Notauslässe der Mischwasserkanalisationen, hohe Belastungen durch Nährstoffe und, bedingt durch die räumlichen Ver- hältnisse, oft nur sehr eingeschränkter Raum für eine naturnahe Gewässerentwicklung. Im Ruhrge- biet kommen oft großflächige Beeinträchtigungen durch toxische Einflüsse aus industriellen Altlasten und hohe Salzbelastungen aus bergbaulichen Aktivitäten hinzu.

Auch die noch erhaltenen naturähnlichen Gewäs- serabschnitte sind stark beeinträchtigt. Zerstücke- lung der Bachläufe durch verrohrte Abschnitte und Isolation der Oberläufe und deren Quellgebiete, Teichanlagen im Hauptschluss, Mischwasserab- schläge und Verbauung tragen zum Rückgang der Artenvielfalt auch in naturnahen Bachabschnitten bei (THIESMEIER et al. 1988). Eine wichtige Voraus- setzung zur Abschätzung des Wiederbesiedelungs- Abb. 1: Typisches Emschernebengewässer, nach potenzials der wiederherzustellenden Gewässer- rein hydraulischen Gesichtspunkten tech- abschnitte ist eine Aufnahme der noch in den nisch zur Schmutzwasserableitung umge- Systemen vorhandenen, oft isolierten Reste der baut. ursprünglichen Gewässerbiozönosen.

152 Im Vorfeld der Sanierungsmaßnahmen wurden im Der Umbau der ersten 2,5 km des Unterlaufes zum Rahmen des Emscher-Projekt zur Langzeit-Unter- Schmutzwasserlauf erfolgte bereits 1913, 1920 suchung des Sanierungserfolges (Emscher-PLUS) wurden weitere 1,5 km erfasst. Der restliche Bach von 1993 bis 1994 Untersuchungen der noch vor- von km 4,07 bis 9,12 wurde erst 1935 zum Schmutz- handenen Makrozoobenthosbesiedlung in Ober- wasserlauf umgestaltet, obwohl er bereits vorher zur und Mittelläufen von naturnahen Emschernebenge- Abwasserableitung benutzt wurde. Zeitgleich wur- wässern durchgeführt. Hierbei zeigte sich insge- den die ehemaligen Quellbereiche des Oberlaufes samt ein relativ breites Artenspektrum (THIEL et al. von einer Abraumhalde des Kohlebergbaues über- 1994). Überwiegend bestanden die noch vorhande- deckt. Seitdem entsprang der Bach als offenes nen Biozönosen aus ubiquistischen Arten mit relativ Abwassergerinne direkt aus der Kanalisation des niedrigen ökologischen Ansprüchen. Allerdings Ortsteiles Schwerin, wo bis in die 70er Jahre eine konnten, entsprechend der unterschiedlichen natur- grobe mechanische Klärung des Abwassers vorge- räumlichen Bedingungen auch typische Grund- und schaltet war. Der Bach erhielt Sohlschalen aus Begleitarten der Bergbäche (z. B. im Olpkebach/ Beton und ein V-förmiges Profil mit steilen Böschun- Schondelle) und typische Bewohner der Flachland- gen. Der ursprüngliche Oberlauf wurde zum Neben- bäche nachgewiesen werden (z. B. in der Boye). lauf degradiert und führte überwiegend die salz- Neben bergbachtypischen, rheophilen Arten (z. B. belasteten Sickerwässer der Bergehalde ab. Ancylus fluviatilis, Sericostoma personatum) treten auch typische Bewohner strömungsarmer Gewäs- serbereiche auf (z. B. Planorbidae). 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Projektbegleitend wurden neben einer allgemeinen Bestandsaufnahme auch gewässerökologische Un- tersuchungen zur Entwicklung der Wasserqualität und zur Dokumentation der Wiederbesiedlung der neugestalteten ehemaligen Abwasserläufe durchge- führt. Die Ergebnisse belegen, dass die runder- neuerten Gewässer ihre ursprüngliche Funktion als aquatischem Lebensraum wieder zurückgewinnen können. Voraussetzungen dafür sind eine gleich- Abb. 2: Deininghauser Bach im Jahre 1925. bleibende Wasserqualität auf ökologisch verträg- Morphologisch noch im naturnahen Zustand, leitete lichem Niveau, eine kontinuierliche Wasserführung, der Bach bereits einen hohen Abwasseranteil zur ein konsequenter naturnaher Gewässerausbau und Emscher und unterlag bei Starkregenereignissen starken hydraulischen Belastungen. die Wiedervernetzung isolierter Gewässerabschnitte. (Foto: Archiv der Emschergenossenschaft) Die bei der Sanierung von Schmutzwasserläufen auftretenden Probleme sollen an zwei Beispielen Nach dem Ausklingen der Bergsenkungen sollte der – dem Deininghauser Bach und dem Läppkes Bach wieder naturnah umgebaut werden. Der obere Mühlenbach – dargestellt werden. Abschnitt wurde in den Jahren 1992 – 94 auf einer Länge von 3,2 km saniert. Parallel zum Bach wurde ein großer Abwassersammler gebaut. Die oberen Deininghauser Bach 1.600 m des Gewässers verlaufen in einem relativ ursprünglichen Waldtal mit altem Baumbestand. Für Der Deininghauser Bach im Bereich der Stadt Cas- Renaturierung und Kanalbau stand die nur geringe trop-Rauxel, Kreis Recklinghausen war ursprünglich Weite der Talsohle zur Verfügung. Der Bach konnte ein natürlicher Wasserlauf mit einer Lauflänge von daher in seinem Verlauf hier nur sehr gradlinig ca. 9,5 km und einem 17,2 km² großen Einzugsge- geführt werden. biet. Das ursprüngliche Gewässer wäre auf Grund der Fließgewässertypologie dem Bach der Löß- Im folgenden, ebenfalls ca. 1.600 m langen Ab- Lehmgebiete zuzuordnen. Gegenwärtig leben in schnitt wird der Bach in der Parzelle der Emscher- seinem Einzugsgebiet ca. 27.000 Einwohner, 20 % genossenschaft, die zu einem Muldental mit einer des Einzugsgebietes sind versiegelt. lichten Breite von ca. 30 m umgestaltet wurde, durch

153 landwirtschaftlich geprägte Flächen geführt. In der Stadtteil Schwerin und eine Bergehalde nachhaltig Bachaue entwickeln sich teilweise auenuntypische beeinflusst. Die Wasserführung stabilisiert sich erst Gras- und Hochstaudenfluren. Im Sommer wird der nach dem Zufluss des ehemaligen Oberlaufs mit Bach durch diese Vegetation abschnittsweise fast dem Ablaufwasser der Halde. Am Zusammenfluss vollständig überdeckt. Bachbegleitende Gehölze von Landwehrbach und Deininghauser Bach liegt wurden nur sehr spärlich gepflanzt, ein natürliches der MNQ bei ca. 35 l/s. Gehölzaufkommen fehlt bisher. Für die weitere Renaturierung des Gewässers stand unterhalb der Nierholzstraße eine größere, ehema- lig landwirtschaftlich genutzte Freifläche für die Bachsanierung zur Verfügung. In diesem 1997 – 98 ausgeführtem Bauabschnitt sollte dem Bach die Möglichkeit gegeben werden, sich frei in seiner Ersatzaue zu bewegen. Das Bachbett wurde mit schwingendem Verlauf völlig neu gebaut. Diese gestalteten Abschnitte haben sich mittlerweile mit einer Vegetation bedeckt, die teilweise aus der natürlichen Sukzession resultiert, teilweise auch künstlich angepflanzt bzw. angesät wurde (Abb. 3).

Abb. 4: Morphologisch naturnahes Reststück des ehemaligen Oberlaufes beeinträchtigt durch hohe Salzbelastung.

Abschläge aus der Mischwasserkanalisation bei Starkregenereignissen

Ein weiterer, wichtiger Störfaktor ist die stoffliche und hydraulische Belastung der Gewässer mit unbehandeltem Mischwasser über Notauslässe der Kanalisation. Im Emschergebiet müssen im ersten Sanierungsschritt neue Kanalnetze gebaut werden, die in der Regel als Mischwassersysteme ausgelegt sind. Die Kanäle entsprechen in der Regel dem Abb. 3: Neu gebauter Bachabschnitt in der Aue, ein Stand der Technik (ATV 128), der teilweise sogar Jahr nach Fertigstellung. übertroffen wird. Bei der Sanierung des Deininghauser Baches treten Hierbei zeigt sich eine Diskrepanz zwischen dem viele der typischen Probleme beim Rückbau der kanalseitig orientierten technischen Regelwerk Emschernebengewässer auf. (Mindestanforderungen) und der ökologischen Realität in den beaufschlagten Gewässern. Nach Geringe Abflussmengen nach der Entflechtung starken Regenereignissen führen die ökologisch von Reinwasser und Abwasser umgestalteten Gewässer überwiegend Mischwas- Die Gewässereinzugsgebiete sind in der Regel ser. Dabei werden die sich entwickelnden aquati- durch Bergbauaktivitäten hydrogeologisch gestört schen Biozönosen einem starken hydraulischen und zudem zu einem hohen Prozentsatz versiegelt. Stress ausgesetzt, verbunden mit einer z. T. erheb- Den Emschergewässern verbleiben meist nur lichen stofflichen Belastung aus der Kanalisation. Abflussspenden aus ihren Einzugsgebieten um Leicht abbaubare Substanzen mit einem hohen 1 – 2 l/s · km². Auch der Deininghauser Bach Sauerstoffzehrungspotenzial, toxische Abwasser- führt daher in seinem oberen Abschnitt auf mehre- inhaltsstoffe und der allgemeine Nährstoffaustrag ren 100 m Länge nur sehr sporadisch Wasser. in die Gewässer führen zu teilweise erheblichen Zudem ist der ehemalige Quellbereich durch den Belastungen.

154 Aus den auftretenden Problemen lässt sich leicht Flächen über das Kanalsystem (Abb. 5) dem Bach die Notwendigkeit einer gewässerseitigen Betrach- zugeleiteten Wassermengen zu regelmäßig wieder- tung der durch die Mischwasserabschläge verur- kehrenden Hochwasserereignissen. sachten Belastungen ableiten. Sowohl der hydrauli- sche Stress (Sohlschubspannung, Abflussmenge und Abflussdynamik) als auch die stoffliche Be- lastung aus dem Mischwasser müssen für die Gewässer immissionsseitig begrenzt werden. Ein erster Schritt in diese Richtung ist das BWK-Merk- blatt 3: „Ableitung von Anforderungen an Nieder- schlagswassereinleitungen unter Berücksichtigung örtlicher Verhältnisse“ (BWK 1999). Hiernach darf das jährliche Hochwasser (HQ1) in geschlossenen Siedlungsgebieten durch Niederschlagswasserein- leitungen um maximal 10 % erhöht werden. Gleich- zeitig werden Ammoniakkonzentrationen (Fisch- toxizität) begrenzt und Mindestkonzentrationen für Abb. 5: Auslass eines Mischwasserabschlages in Sauerstoff (5 mg/l) festgelegt. Der Austrag von die renaturierte Bachaue (Nierholzstr.). Schwebstoffen muss zusätzlich durch die bauliche Ausführung der Kanalsysteme minimiert werden. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Bereits im November 1998 führte ein – im wesent- lichen aus Mischwasserabschlägen bestehendes – Tab. 1: Abschläge von Mischwasser (M) und Nie- Hochwasser (> HQ 5) zu starken Schädigungen der derschlagswasser der Autobahn (AB) in Sohlgleiten (Abb. 6). den Deininghauser Bach (MNQ: 35 l/s, natürliches HQ 1: ca. 1.030 l/s)

Maximale Bauwerk Typ Lage Abschlag- mengen RRB 1 M Dorlohstr. 450 l/s RRB 2 M oh. BAB 42 300 l/s RRB 2.1/ 2.2 AB BAB A 42 96 l/s RÜB M Nierholzstr. 2.000 l/s RRB 05 M Tiefengraben 800 l/s RRB 06 M Stadtbereich 1.000 l/s RRB 07 M u.h. Stadtbereich 2.000 l/s

Gesamtmenge 6.646 l/s Abb. 6: Hochwasserschäden (Winter 1998/99) an RRB – Regenrückhaltebecken RÜB – Regenüberlaufbecken den Sohlgleiten des neugebauten Abschnitt Am Deininghauser Bach liegt eine Vielzahl von des Deininghauser Baches – Indiz für Regenrückhalte- bzw. Überlaufbecken der Misch- fehlende Mischwasserrückhaltekapazität. wasserkanalisation (Tab. 1), aus denen nach star- ken Regenereignissen insgesamt bis zu 2.800 l/s Nährstoffeintrag, mangelnde Beschattung und Mischwasser in den renaturierten Bachabschnitt Algenblüten geleitet werden können. Unterhalb des umgestalte- ten Oberlaufes dürfen noch einmal bis zu 3.800 l/s Vor allem an den im Bereich der Ersatzaue liegen- hinzukommen. Langanhaltende oder starke Regen- den Messpunkten (Abb. 7) waren erhöhte Konzen- fälle führen daher regelmäßig zu erheblichem trationen an Gesamt-P, Nitrat und Ammonium fest- Mischwassereintrag, der um ein Vielfaches über der stellbar (Abb. 8). Die Quellen der Nährstoffeinträge natürlichen Wasserführung liegt. Nach größeren dürften in den ehemaligen Ackerflächen und in den Regenfällen führen die von den versiegelten Abschlägen aus der Kanalisation liegen.

155 6

5

4

3 mg/l 2

1

0 NO3-N EP0 NH4-N EP1 EP2 P-Gesamt EP3 EP4 EP5 EP6

Abb. 8: Nährstoffkonzentrationen im renaturierten Abschnitt des Deininghauser Baches am 27.10.1998.

Im unbeschatteten, 1997/98 renaturierten Abschnitt kam es im Sommer 1999 zu massivem Wachstum fädiger Algen. Im August 1999 wurde, dadurch bedingt (Abb. 9), eine Sauerstoffübersättigung von bis zu 160 % gemessen (Abb. 10). In den fädigen Algenmassen setzten sich feine schwarze, faul- schlammartig riechende, Schwebstoffe fest, die kanalbürtig gewesen sein dürften. Im gesamten unbeschatteten Gewässerabschnitt von 1.600 m wurde zudem eine deutliche Aufwärmung des Was- sers um ca. 5° C zwischen den Messpunkten EP 03 und EP 05 festgestellt (Abb. 10). Ein besonders großer Wärmeeintrag erfolgte an den im Bereich der Sohlgleiten angelegten bzw. entstandenen großen Pools.

RRB – Regenrückhaltebecken RÜB – Regenüberlaufbecken EP – Probenahmestellen

Abb. 7: Renaturierter Abschnitt des Deininghauser Baches. Lage der Mischwasserabschläge und der Untersuchungspunkte des Emscher-PLUS.

Abb. 9: Nährstoffbelastung: Massenentwicklung fä- diger Grünalgen im neugebauten Deining- hauser Bach im Sommer 1999.

156 Fläche passiert der Bach weitere Altlasten. Vom Gelände einer ehemaligen Düngemittelfabrik und 20 von einem ehemaligen Kokereigelände werden 18 16 vor allem Nitrat, Ammonium, PAK, Schwermetalle, 14 Cyanide und kokereitypische organische Verbindun- 12 10 gen in das Gewässer eingetragen. 8 6 Wassertemp. (°C) 4 O2-Sättigung/10 2 Entwicklung der aquatischen Biozönose O2 mg/l 0 EP0 pH-Wert Bei Untersuchungen 1994 – 1999 wurden in den EP1 EP2 EP3 EP4 EP5 EP6 ökologisch rückgebauten Gewässerabschnitten ins- gesamt mehr als 70 Taxa (Tab. 2) nachgewiesen. An Abb. 10: Wassertemperatur und Sauerstoffhaushalt den oberen drei Standorten traten in der Regel etwa im renaturierten Abschnitt des Deining- jeweils 20 Arten auf, an den beiden Probenahme- hauser Baches am 08.06.1999. stellen im Bereich der breiten Ersatzaue wurden ca. 30 Arten gefunden. Neben einigen Arten wie Altlastenproblematik Gammarus fossarum, Dugesia gonocephala, zwei Ein weiteres Problem für die renaturierten Emscher- Steinfliegenarten (Amphinemoura sp.; Nemoura sp.) gewässer sind die Altlasten. Die Wasserläufe berüh- und dem Feuersalamander, die die Schmutzwasser- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens ren in der Regel alte Bergbau- und Industriege- ära in kleinen, teilweise temporären Nebenge- lände, aus denen toxische Stoffe mit unterschied- wässern überdauert haben, handelt es sich über- lichster Problematik über Oberflächenabfluss oder wiegend um flugfähige Ubiquisten oder um Arten, Grundwassereinspeisung in die Gewässer gelan- die leicht mit Wasservögeln verschleppt werden gen. Am Deininghauser Bach ist bereits der ehe- können. Unter der Berücksichtigung der Gewässer- malige Oberlauf betroffen (Abb. 4), der praktisch in größe und seiner isolierten Lage ist das bisher fest- einem künstlichen Quelltopf unterhalb einer Ab- gestellte Artenspektrum als recht umfangreich ein- raumhalde entspringt. Auswaschungen der Halde, zustufen. Allerdings fehlen die Leitarten des Löß- vor allem hohe Salzfrachten (überwiegend Sulfat), Lehmbaches, von den Begleitarten konnte nur gelangen in das Gewässer (Abb. 11). Die vorliegen- Dugesia gonocephala nachgewiesen werden. den Salzbelastungen stammen aus einer Berge- halde des Steinkohlebergbaus. Mit zunehmendem Abfluss werden die Sulfat- und Chloridkonzentratio- nen verdünnt. Unterhalb der 1997/98 renaturierten

3000

2500

2000

1500

1000

500 SO4 mg/l

Leitf mS/m 0

EP0 EP1 Cl mg/l EP2 EP3 EP4 EP5 EP6

Abb. 11: Leitfähigkeit, Sulfat- und Chloridkonzen- trationen im renaturierten Abschnitt des Deininghauser Baches am 08.06.1999.

157 Tab. 2: Besiedlung des Deininghauser Baches im ökologisch umgestalteten Abschnitt Untersuchungen des StUA Herten 1994 – 1999 Turbellaria Dugesia gonocephala Coleoptera Haliplus confinis Haliplus fluviatilis Oligochaeta Tubifex sp. Heliodidae Larven Helodes sp. Hirudinea Glossiphonia complanata Helochares sp. Helobdella stagnalis Hydraena sp. Hydrophilidae sp. Mollusca Gyraulus albus Hydroporus sp. Lymnea stagnalis Ilybius fuliginosus Physa fontinalis Laccobius sp. Physella acuta Laccobius biguttatus Potamopyrgus antipodarum Laccophilus sp. Radix ovata Platambus maculatus Stagnicola glaber Potamonectes depressus Stagnicola palustris Odonata Calopteryx splendens Amphipoda Gammarus pulex Ischnura elegans Gammarus tigrinus Platycnemis pennipes Gammarus fossarum Phyrrhosoma nymphula

Isopoda Asellus aquaticus Heteroptera Nepa cinerea

Diptera Chironomidae spp. Ephemeroptera Baetis rhodani Chir. thummi-Gruppe Cloeon dipterum Chir. plumosus-Gruppe Simuliidae sp. Trichoptera Hydropsyche sp. Odagmia ornata Hydropsyche angustipennis Tipulidae sp. Limnephilidae spp. Limnephilus spp. Plecoptera Amphinemura sp. Limnephilus auricula Nemoura sp. Limnephilus lunatus Limnephilus nigriceps Coleoptera Agabus spp. Limnephilus rhombicus Agabus biguttatus Limnephilinae sp. Agabus guttatus Micropterna sp. Agabus undulatus Plectrocnemia sp. Berosus luridus Sericostomatinae sp. Colymbetinae sp. Sericostoma personatum Dytiscidae sp. Dytiscus marginalis Pisces Gasterosteus aculeatus Elmis sp. Haliplus sp. Amphibia Salamandra salamandra

Resümee zur ökologischen Umgestaltung des Aufnahme der hydraulischen Belastung wurde der Deininghauser Baches untere Bachabschnitt untypisch breit ausgelegt. Der Rückbau des ehemaligen Schmutzwasser- Für die Zukunft müssen die Probleme, die sich aus laufes führt naturgemäß zu einer erheblichen Ver- den hydraulischen und stofflichen Belastungen besserung von Gewässergüte und Gewässermor- durch die Mischwasserabschläge ergeben und für phologie, wenngleich sich auch die charakteristi- die noch zu renaturierenden Abschnitte, die toxi- schen Formelemente eines Löß-Lehmbaches nicht schen Belastungen durch Altstandorte gelöst wer- eingestellt haben. In den renaturierten Abschnitten den. Zudem sollten längere Strecken mit bachbe- muss der Bachverlauf mehrfach an die Niveauunter- gleitenden Gehölzen zur Erhöhung der Beschattung schiede des Geländes angepasst werden. Somit und Verminderung der Gewässererwärmung be- folgen auf lange Fließstrecken mit relativ geringem pflanzt werden. Nach Lösung der Probleme ist damit Gefälle immer steile Gewässerabschnitte, die, vor zu rechnen, dass sich im Deininghauser Bach eine allem unterhalb der Mischwasserabschläge, als stabile aquatische Biozönose, wenn auch aus mehr lange raue Sohlgleiten mit sehr grobkörnigem, nicht oder weniger anspruchslosen Arten, einstellen wird. standorttypischem Material ausgeführt wurden. Zur

158 Läppkes Mühlenbach lauf wird der Hexbach derzeit von sieben Mischwas- sereinleitungen aus der städtischen Mischwasser- Das ca. 7,5 km² große Einzugsgebiet des Läppkes kanalisation belastet, die nach einer geplanten Mühlenbaches verläuft an der Grenze zwischen Sanierung auf zwei Mischwasserabschläge mit Mülheim, Essen und Oberhausen, ca. 30 % des Ein- Regenrückhaltung auf ca. 300 l/s reduziert werden zugsgebietes sind versiegelt. Der Bachlauf kann in sollen. Die nach Planungsstand zukünftig für den drei Abschnitte gegliedert werden. Die gesamte gesamten Bach genehmigten Einleitungen liegen Fließstrecke des Gewässersystems (Hexbach und bei ca. 2.300 l/s (Tab. 3). Läppkes Mühlenbach) beträgt ca. 5,5 km. Der unte- re Abschnitt des Gewässers wurde von 1919 bis Tab. 3: Abschläge von Mischwasser in Hexbach 1928 in mehreren Schritten zum Schmutzwasserge- und Läppkes Mühlenbach, geplanter Zu- rinne (Abb. 12) umgebaut. stand der Sanierung des Mischwasser- systems (MNQ: 23 l/s)

Maximale Bauwerk Typ Lage Abschlag- mengen

RÜ/RRB M Im Fatloh (QD) 135 l/s

RÜ/RRB M Hexberg (QD) 165 l/s 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens RÜ M Oberhauser Str. (Qe) 940 l/s

RÜ M Frintroper Str. (Qe) 1.098 l/s Gesamtmenge 2.338 l/s

Von 1988 bis 1991 wurde der Läppkes Mühlenbach von km 1,1 bis 2,9 naturnah umgestaltet (Abb. 13). Das Vorhaben galt als ein Pilotprojekt für zukünftige Renaturierungsmaßnahmen im Emschersystem, das vom Land Nordrhein-Westfalen mit ca. fünf Millionen DM gefördert wurde. Die letzten 1,1 km bis zur Emscher blieben nach wie vor als teilweise verrohrter Schmutzwasserlauf ausgestaltet. Genaue Planungen zur Umgestaltung dieses Abschnitts existieren zur Zeit noch nicht. Abb. 12:Läppkes Mühlen„bach“: Morphologischer Zustand vor 1988. Für die Nachwelt er- haltener Abschnitt der ehemaligen Schmutzwasserrinne.

Der Oberlauf des Baches wird als Hexbach bezeich- net. Der Hexbach hat die Industrialisierung der Region als mehr oder weniger naturnahes Fließge- wässer in einem von Siedlungen und landwirtschaft- licher Nutzung geprägtem Einzugsgebiet überstan- den. In den seitlichen Quellzuflüssen des Hexba- ches haben sogar typische Arten der Quellgebiete und Bergbäche überdauert (Crenobia alpina, Crunoecia irrorata, Agapetus fuscipes). Diese Quell- zuflüsse sind derzeit jedoch durch naturfernen Aus- Abb. 13:Läppkes Mühlenbach: Ökologisch umge- bau vom übrigen Hexbach isoliert. Im weiteren Ver- stalteter mittlerer Bereich

159 Für die ökologische Neugestaltung wurden die Fadenalgenbewuchs zu erkennen. Außerdem kam Betonsohlschalen entfernt und Ufer- und Gewässer- es zur Massenentwicklung von Kriebelmücken- bett landschaftsplanerisch umgestaltet. Auf diese larven. Im Ufer- und Auenbereich sowie im Ge- Weise wurden strukturreiche Landschaftsbestand- wässerbett wurden zahlreiche aus dem Kanalnetz teile geschaffen, die für die Öffentlichkeit zugänglich stammende Feststoffe gefunden, die auf vorange- sind und einen hohen Freizeit- und Erholungswert gangene Mischwasserentlastungen zurückzuführen haben. Das gewässermorphologische Entwick- waren. Durch die Entlastungsereignisse wurde der lungspotenzial ist allerdings begrenzt, da der Bachlauf zeitweise hydraulisch überlastet, was an Gewässerverlauf durch Steinschüttungen festgelegt der Lage der Feststoffe und an dem beeinträchtig- ist. Mangels möglicher Seiten- bzw. Krümmungs- ten Uferbewuchs zu erkennen war. Diese Situation erosion ist somit keine Entfaltungsmöglichkeit für wurde auch in den darauffolgenden Jahren festge- eine natürliche Gewässerdynamik gegeben. Nach stellt. wie vor erfolgen Mischwasserabschläge in den Seit 1991 wird der Läppkes Mühlenbach einmal Bach (Abb. 14), der für derartige Belastungen eine jährlich physikalisch-chemisch und biologisch unter- relativ geringe Wasserführung (MNQ: ca. 23 l/s) sucht, um die Wasserqualität und die Entwicklung aufweist. der aquatischen Lebensgemeinschaft und somit den Auch am Läppkes Mühlenbach traten typische Pro- Erfolg der durchgeführten Umgestaltungsmaßnah- bleme der umgestalteten Emschergewässer auf. men zu dokumentieren. Die Allgemeinen Gütean- Bereits wenige Wochen nach den abgeschlossenen forderungen (AGA 1991) werden hinsichtlich der Bauarbeiten war im Gewässer ein großflächiger Sauerstoffkonzentration, der Phosphor(gesamt)- und

1 2 2 3

M

Läpp ü

h lenbach RÜ mit RRB Emscher kes

Hexbach “Im Fatloh” EP 13 Rhein-Herne-Kanal Mülheim-Dümpten RÜ

RÜ “Frintroper Str.” Backshöfe lenbach RÜ “Frintroper Str.” h ü M RÜ

Essen-Frintrop kes Borbeck

Läpp (zu Oberhausen)

Oberhausen RÜ “Oberhausener Str.” RÜ “Oberhausener Str.” RÜ

1 RÜ Anschluss oben rechts 2 RÜ

Hexbach RÜ Einleitungen IST-Zustand RÜ mit RRB “Hexberg” gemäß Planung verbleibende Einleitungen

EP – Probestelle RÜ – Regenüberlauf RRB – Regenrückhaltebecken 2 Anschluss oben rechts 3 Abb. 14: Hexbach/Läppkes Mühlenbach mit Lage der Mischwassereinleitungen und der Messstelle EP 13

160 der NH4-N-Konzentrationen bei mittlerem Niedrig- wurden sowohl strömungsliebende als auch für wasserabfluss eingehalten. Die NO3-N-Konzentra- Stillwasserbereiche charakteristische Arten (z. B. tionen erfüllten dagegen mit bis zu 11,6 mg/l oftmals Schnecken, Planorbidae) nachgewiesen. nicht die Zielvorgabe der AGA von ≤ 8 mg/l. In niederschlagsreichen Zeiten werden die AGA in Folge von Mischwasserentlastungen erheblich über- Ausblick schritten, was zur temporären organischen Be- Die projektbegleitenden gewässerökologischen Un- lastung mit den vorgenannten Folgeerscheinungen tersuchungen erlauben eine zeitnahe Erfolgskon- führt. Weitere bekannte Auswirkungen sind z. B. trolle der Maßnahmen durch laufende Beschreibung die Schädigung des Interstitials (Zwischenlücken- des Ist-Zustandes. In den umgestalteten Gewässer- system des Gewässerbodens) durch Feststoffe und abschnitten haben sich im Beobachtungszeitraum die hydraulische Stresswirkung auf Organismen. relativ viele aquatische Arten eingestellt, allerdings Für Wasserorganismen in derart belasteten Gewäs- meist mit niedrigen ökologischen Ansprüchen an die sern sind akut toxische Situationen (NH -Stöße von 3 Wasserqualität. Im Deininghauser Bach wurden ≥ 0,1 mg/l) zu erwarten (ATV 1997). bereits wieder 70, im Läppkes Mühlenbach 46 Taxa Der Läppkes Mühlenbach ist ebenfalls dem Gewäs- nachgewiesen. Die Ergebnisse und Erkenntnisse sertyp des Löß-Lehmbaches zuzuordnen. Von 1991 der Untersuchungen bilden eine wichtige Grundlage bis 1998 wurden im ökologisch umgestalteten für den weiteren ökologischen Umbau des Fließge- Gewässerabschnitt insgesamt 46 Taxa nachge-

wässersystems der Emscher. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens wiesen (Tab. 4). Die Biozönose setzt sich sowohl aus verschmutzungstoleranten Arten (verschiedene Die Erfahrungen aus den dargestellten Projekten Egelarten) als auch aus anspruchsvolleren Organis- am Deininghauser Bach und Läppkes Mühlenbach men (z. B. Gammarus fossarum) zusammen. Es sind für die Planung weiterer Sanierungsmaß-

Tab. 4: Besiedlung des Läppkes Mühlenbaches im ökologisch umgestalteten Abschnitt (Messstelle des Emscher PLUS 13) Untersuchungen des StUA Herten 1991 – 1998

Turbellaria Dugesia lugubris Coleoptera Heliodidae sp. Polycelis tenuis Hydrophilidae sp. Stictotarsus duodecimpustulatus Hirudinea Erpobdella octoculata Glossiphonia complanata Odonata Calopteryx splendens Helobdella stagnalis Coenagrionidae

Mollusca Bithynia tentaculata Heteroptera Nepa cinera Gyraulus albus Lymnea stagnalis Ephemeroptera Baetis rhodani Physa fontinalis Baetis vernus Physella acuta Baetis sp. Planorbidae sp. Caenis sp. Planorbis planorbis Radix ovata Megaloptera Sialis lutaria Stagnicola corvus Trichoptera Annitella obscurata Pisidium sp. Hydropsyche angustipennis Sphaerium corneum Hydropsyche sp. Hydropsyche siltalai Amphipoda Gammarus pulex Hydroptilidae sp. Gammarus fossarum Holocentropus sp. Limnephilidae spp. Diptera Chironomidae spp. Metalype fragilis Simuliidae sp. Tinodes waeneri Tipulidae sp. Bryozoa non det. Coleoptera Agabus spp. Haliplus sp. Pisces Gasterosteus aculeatus

161 nahmen von großer Bedeutung. Sie müssen bei Literatur der Umsetzung zukünftiger Renaturierungsprojekte AGA (1991): Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer; berücksichtigt werden, um die Effizienz der ökologi- Entscheidungshilfe für die Wasserbehörden im wasserrecht- lichen Erlaubnisverfahren.- Runderlaß des Ministeriums für schen Erneuerung der Gewässer weiter zu erhöhen. Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Ministerial- In Teileinzugsgebieten mit toxischem Gefährdungs- blatt NRW 42, 863-874 (1991) und LWA-Merkblatt Nr. 7, jetzt potenzial durch Altlasten sind zusätzliche Sanie- Landesumweltamt NRW, Essen 1991, 38 pp. rungsmaßnahmen dringend erforderlich. ATV (1992): ATV-Arbeitsblatt A 128: Richtlinie für die Bemessung und Gestaltung von Regenwasserentlastungsanlagen in Insbesondere für die Entlastungen aus den Misch- Mischkanälen, GFA-Verlag, St. Augustin. wasserkanalisationen lässt sich ein weiterer Hand- ATV (1993): Weitergehende Anforderungen an Mischwasserent- lastungen, - Grundlagen und Vorprüfung,Korrespondenz lungsbedarf ableiten. Es reicht aus gewässerökolo- Abwasser 40 (5), S. 802-806. gischer Sicht bei kleineren Gewässern nicht aus, die ATV (1997): Weitergehende Anforderungen an Mischwasserent- bautechnische Ausführung der Kanalsysteme am lastungen, - Grundlagen und Vorprüfung (2.Teil) sowie Hin- weise zur biologischen Beurteilung mischwasserbelasteter Stand der Emissionstechnik nach ATV 128 zu orien- Gewässer, Korrespondenz Abwasser 44 (5), S. 922-927. tieren, sondern es muss zusätzlich eine gewässer- BORCHARDT, D. (1997): Auswirkungen von Niederschlagswasser- seitige Bewertung der zu erwartenden Belastungen einleitungen auf die Fließgewässerökologie, Gewässer- erfolgen. Die Umsetzung von weitergehenden An- schutz - Wasser - Abwasser (170), 32. Essener Tagung für Wasser- und Abfallwirtschaft 1997 in Aachen, S. 12/1-12/16. forderungen an die zu bauenden Kanalisations- BWK (2000): Merkblatt 3: Ableitung von Anforderungen an systeme liegt nach den vorliegenden Unter- Niederschlagswassereinleitungen unter Berücksichtigung suchungsergebnissen auf der Hand. örtlicher Verhältnisse, Gelbdruck, Entwurf 1999. IBA (1990): Internationale Bauausstellung Emscherpark Umge- staltung der Wasserläufe im Emschergebiet - Kurzgutachten und Bewertung, IBA GmbH in Zusammenarbeit mit der Emschergenossenschaft Essen, Emscherpark Planungs- grundlagen, Bd. 2/1, Gelsenkirchen.

LENGERSDORF, D. (1989): Die Emscher wird saniert, Umwelt 19 (11/12), S. 573-575.

LONDONG, D. (1993). Der große Umbau im Emschergebiet, Was- ser und Boden, 45 (3), S. 144-147.

STÄWA LIPPSTADT &HERTEN (1988): Studie zur Sanierung der Ab- wasserbeseitigung im Einzugsgebiet der Emscher. Interne Studie 52 S. unveröffentlicht.

THIEL, A., MÜNZINGER, A., BRÜGGEMANN, I. UND BARTKOWIAK, M. (1994): Wiederbesiedlungsperspektiven im Emschersystem - Makrozoobenthos an ausgewählten Wasserläufen, Deutsche Gesellschaft für Limnologie, Erweiterte Zusammenfassung der Jahrestagung 1994, Bd. II, S. 582-586.

Abb. 15: Ökologisch umgestalteter Läppkes Müh- THIESMEIER, B., RENNERICH, J. UND DARSCHNIK, S. (1988): Fließge- lenbach oberhalb der Messstelle EP 13 wässer im Ballungsraum Ruhrgebiet, Ökologische Grund- lagenerhebung in der Stadt Bochum, Decheniana (Bonn) des Emscher-PLUS. 141, S. 296-311.

162 Lippe

3.2.7 Die Lippe im Rückblick der Güteüberwachung

Dr. Ulrich Buitkamp, StUA Lippstadt

Von der Wildnis zur Kulturlandschaft entsprechend intensive Nutzung des Flusses 3 – die Lippe in ihrer Aue geprägt. Bei einer Wasserführung von über 10 m /s wird in Hamm das Wasser der Lippe in den Datteln- Die Lippe, der letzte große Nebenfluss im rechten Hamm-Kanal übergeleitet, um das westdeutsche Einzugsgebiet des Rheins, ist ein rund 214 km Kanalnetz mit Wasser anzureichern. Diese Maß- langes Flachlandgewässer (mittleres Gefälle ca. nahme ist für den Betrieb der Schleusen und zum 0,5 ‰) mit einem Gesamthöhenunterschied von Ausgleich von Versickerungs- und Verdunstungs- 123 m. Das Einzugsgebiet hat an der Mündung bei verlusten erforderlich. Umgekehrt wird die Lippe aus Wesel eine Größe von ungefähr 4882 km2. dem Kanalsystem mit Wasser versorgt, wenn in Trockenzeiten ein Abfluss von 10 m3/s unterschrit- Ursprünglich war die Lippe durch Mäander und Alt- ten wird. wässer sowie durch Sand- und Kiesbänke gekenn- zeichnet. Umgestürzte Bäume und Anlandungen In die untere Lippe entwässern die Städte Hamm, von Getreibsel bereicherten das Auenrelief. Es Lünen, Dortmund-Scharnhorst (über die Seseke), herrschte ein häufiger Wechsel von Abtrag und Kamen, Haltern, Marl und Dorsten. Durch Abwärme-

Anlandungen. Die Naturlandschaft der Aue bestand einleitungen einiger Kraftwerke erhöht sich die 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens aus Au- und Bruchwäldern, Röhrichten, Hochstau- Wassertemperatur über das natürliche Maß hinaus. denfluren, sumpfigen und grasigen Bereichen. Ferner erfährt der Fluss ab Hamm eine deutliche Steigerung der Salzbelastung aus dem Bergbau. Schon zur Römerzeit wurde der Fluss als Trans- Daneben spielen an der Lippe auch andere portweg genutzt. Später entstanden Mühlenstaue Nutzungsformen, wie Freizeit und Erholung, eine durch die Wasserkraftnutzung. Bis ins Mittelalter große Rolle. entwickelte sich die Naturlandschaft durch die menschliche Bewirtschaftung zu einer Kulturland- schaft mit Wäldern, Hecken, Wiesen, Weiden, Die Entwicklung der Wasserqualität der Brachen und Feldern. Durch Flussregulierungen wurde der Verlauf der Lippe seit dem 19. Jahr- Lippe seit 1970 hundert stark verkürzt und durch Wehre und Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg Stauhaltungen zerstückelt. Aus dem landschaftsge- führte zunehmend zu Problemen für den Umwelt- staltenden Fluss entstand ein von seiner Aue isolier- und Naturschutz. Zwar wurden Flüsse schon seit ter Flussschlauch, der seiner formenden Kraft weit- Ende der 50er Jahre auf ihren Grad an Verschmut- gehend beraubt ist. zung mit organischen, leichtabbaubaren Stoffen Der zunehmende Bevölkerungsdruck und die untersucht. Doch einerseits waren sowohl Unter- Technisierung der Landwirtschaft im 20. Jahr- suchungsintensität und -umfang als auch Methoden hundert führte zu einem starken Wandel in der und Bewertungsgrundlagen nicht bundesweit ein- Landschaft an der Lippe. Aufgrund unterschiedlicher heitlich und andererseits zog die Feststellung von Besiedlungsdichte und Gewässernutzungen wird Missständen nicht zwangsläufig Verbesserungs- das Einzugsgebiet in einen oberen und einen maßnahmen nach sich. Es fanden also wassermen- unteren Abschnitt unterteilt. Das obere Lippegebiet genwirtschaftliche Aspekte weitaus mehr Interesse erstreckt sich bis Hamm. Dieses Teileinzugsgebiet als wassergütewirtschaftliche. Die Diskussionen um wird zu zwei Dritteln landwirtschaftlich genutzt und den Ausgleich von Ökonomie und Ökologie führten ist vergleichsweise dünn besiedelt. Als wirtschaft- erst Anfang der 70er Jahre zu Umweltberichten und liche Schwerpunkte sind hier die Räume Paderborn Umweltprogrammen der Bundesregierung, begleitet und Lippstadt anzusprechen. von nationalen Wassergesetzen und internationalen Abkommen. Die Anstrengungen wirkten sich in ihrer Das untere Lippegebiet (ab Hamm) ist durch die Gesamtheit bundesweit positiv auf den Gütezustand hohe Einwohnerdichte des Ruhrgebiets und eine der Gewässer aus.

163 Tab. 1: Makrozoobenthos der Lippe im Bereich des VEW-Kraftwerks Schmehausen (1996 – 1999) (Angegeben sind rel. Häufigkeitsstufen von 1 – 7 gem. DIN 38 410 Teil 2)

Grün: Funde nur oder überwiegend oberhalb der Einleitung, mindestens aspektbildend (= Häufigkeitsstufe 3) Blau: Funde nur oder überwiegend unterhalb der Einleitung, mindestens aspektbildend (= Häufigkeitsstufe 3) oberhalb Kraftwerk Schmehausen unterhalb Kraftwerk Schmehausen

uh. oh. uh. Wehr KA KA Brücke uh. Haus Haaren Bad Hamm Messstellen Kesseler Lippe- Lippe Lippborg Wehr Uentrop tal tal

Taxon 24.07.96 08.07.97 23.08.99 24.07.96 30.04.97 24.07.96 30.04.97 24.07.06 30.04.97 12.05.98 26.11.98 23.08.99 30.07.96 08.04.97 08.07.97 04.11.97 12.05.98 30.07.96 05.05.97 12.05.98 26.11.98 26.08.99 30.07.96 05.05.97 14.05.98 26.11.98 Bryozoa (Moostierchen) Bryozoa non det. 3 Fredericella sultana 4 Plumatella spp. 3 5 3 3 3 3 Turbellaria (Strudelwürmer) Dugesia goncephala 3 3 3 Dugesia lugubris 4 3 2 4 3 2 2 Dugesia polychroa 2 2 Dugesia tigrina 4 2 5 2 2 4 2 4 3 2 Polycelis tenuis 4 5 2 5 4 2 2 Oligochaeta (Wenigborster) Branchiura sowerbyi 2 3 1 2 Limnodrilus spec. 2 1 1 2 3 3 Lumbriculus variegatus 2 2 Stylaria lacustris 2 2 3 3 3 3322 2 Tubificidae 2 2 2 2 2 4 2 2 1 Hirudinea (Egel) Erpobdella octoculata 2 2 3 2 1 2 1 2 1 2 Glossiphonia complanata 2 2 2 Gastropoda (Schnecken) Acroloxus lacustris 2 2 2 1 Ancylus fluviatilis 4 2 Anisus vortex 3 4 Bithynia tentaculata 4 4 3 4 2 2 3 2 Gyraulus albus 2 4 1 Physa fontinalis 3 2 Physella acuta 4 4 4 2 3 2 3 3 2 3 2 3 2 Radix peregra 2 2 4 3 Theodoxus fluviatilis 4 5 4 4 4 4 2 2 3 5 5 5 2 Valvata piscinalis 3 4 2 3 4 4 2 Bivalvia (Muscheln) Corbicula fluminea 2 2 3 3 4 3 3 3 Pisidium sp. 3 2 4 3 4 2 4 3 2 2 2 2 Sphaerium corneum 3 4 3 4 3 3 2 2 2 2 Crustacea (Krebse) Asellus aquaticus 4 3 5 4 4 3 3 22322 3 5643 Corophium curvispinum 5332 Echinogammarus berilloni 5 4 6 5 5 5 4 3 42433322 2 3 Gammarus pulex 3 3 2 Gammarus roeseli 3 2433 Gammarus tigrinus 3 3 4 Orconectes limosus 43

164 Tab. 1: Makrozoobenthos der Lippe im Bereich des VEW-Kraftwerks Schmehausen (1996 – 1999) (Angegeben sind rel. Häufigkeitsstufen von 1 – 7 gem. DIN 38 410 Teil 2) — Fortsetzung —

Grün: Funde nur oder überwiegend oberhalb der Einleitung, mindestens aspektbildend (= Häufigkeitsstufe 3) Blau: Funde nur oder überwiegend unterhalb der Einleitung, mindestens aspektbildend (= Häufigkeitsstufe 3) oberhalb Kraftwerk Schmehausen unterhalb Kraftwerk Schmehausen

uh. oh. uh. Wehr KA KA Brücke uh. Haus Haaren Bad Hamm Messstellen Kesseler Lippe- Lippe Lippborg Wehr Uentrop tal tal

Taxon 24.07.96 08.07.97 23.08.99 24.07.96 30.04.97 24.07.96 30.04.97 24.07.06 30.04.97 12.05.98 26.11.98 23.08.99 30.07.96 08.04.97 08.07.97 04.11.97 12.05.98 30.07.96 05.05.97 12.05.98 26.11.98 26.08.99 30.07.96 05.05.97 14.05.98 26.11.98 Ephemeroptera (Eintagsfliegen) Baetis rhodani 4 Baetis scambus 3 3 3 4 2 3 3 2 5 2 3 Baetis vernus 3 4 3 2 4 4 4 3 3 2 4 2 2 2 Caenis sp. 3 2 3 4 3 4 2 2 3 2 2 5422 4422 Centroptilum luteolum 3 3 3 3 5 2 5 4 3 2 4 3 5 2 3 Cloeon dipterum 4 2 2 2 2 Ephemera danica 2 2 Ephemerella ignita 4 5 3 3 2 2 3 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Habrophlebia sp. 2 Heptagenia sulphurea 2 5 2 2 2 3 3 2 Odonata (Libellen) Calopteryx splendens 3 4 3 2 2 2 2 2 2 2 2 Coenagrionidae 2 2 2 4 Ischnura elegans 2 2 3 2 3 2 Platycnemis pennipes 2 2 3 3 2 3 2 1 22424 33 Megaloptera (Schlammfliegen) Sialis lutaria 1 1 3 2 Trichoptera (Köcherfliegen) Ecnomus tenellus 3 3 Ceraclea sp. 2 Cyrnus trimaculatus 3 Holocentropus sp. 2 2 4 2 2 3 2 Hydropsyche sp. 4 Hydroptilidae 3 4 2 2 4 3 3 2 2 3 33222 Lepidostoma hirtum 2 2 Leptoceridae 2 5 2 2 3 2 3 2 Limnephilidae 2 1 2 Polycentropus flavomac. 2 Diptera (Zweiflügler) Atherix ibis 3 Ceratopogonidae 2 3 2 2 Chironomidae 2 2 2 2 3 2 3 3 3 4 3 3 3 3 2 2 4 236332 54 Simuliidae 4 3 2 4 2 3 Rheotanytarsus sp. 4 Coleoptera (Käfer) Brychius elevatus 2 1 3 3 Elmis sp. 2 4 1 3 2 2 1 2 Haliplus sp. 1 4 Oulimnius tuberculatus 2 2 2 Orectochilus villosus 2 2 1 1 Summe der Taxa 24 24 25 22 19 25 26 23 21 16 16 17 18 7 13 11 17 17 15 11 15 8 12 10 17 14 Durchschnittl. Taxa 22 13

165 Dieser geschichtliche Hintergrund lässt sich einer- Schmutzwasserkanalisation (1974), umfang- seits anhand der Art der amtlichen Gewässerunter- reiche Abwasservorbehandlungsmaßnahmen suchung und andererseits anhand der Qualitätsent- verschiedener Industriebetriebe an der unteren wicklung der Lippe beispielhaft nachvollziehen: So Lippe. wurden in den 60er Jahren und der ersten Hälfte der 70er Jahren nichtbehördliche Laboratorien und • 1976 – 1980: Institutionen mit jährlichen Gewässergüteunter- Anschluss der Benteler Werke, Paderborn-Talle, suchungen beauftragt. Bewertungen erfolgten an Schmutzwasserkanal (1980), Behandlung der seinerzeit noch in erster Linie anhand chemischer Betriebsabwässer der Hella-Werke Lippstadt Stichproben. Biologische Befunde wurden nur am (1978), Kläranlage Dorsten (1977), Kläranlage Rand berücksichtigt und dienten eher zur Plausi- Waltrop (1980). bilitätskontrolle. Die in der Abbildung 6 wiedergege- 1981 – 1985: benen farblichen Gütedarstellungen der Jahre 1970 • Kläranlage Herten-Westerholt (1981), Gruppen- und 1974 geben also die ungefähre Situationen klärwerk in Paderborn-Sande (1981), Abwasser- wieder, da die damaligen Ergebnisse rekonstruiert reinigung der Hefefabrik Moormann, Lünen werden mussten. (1982),Verbesserung der Kläranlage der Fa. Biologische Güteuntersuchungen des gesamten Dupont de Nemours in Hamm (1983), Stilllegung Verlaufs der Lippe durch ein behördliches Labor des Stahlwerks Benteler Werke in Schloss wurden ab 1977 vom damaligen Staatlichen Amt für Neuhaus (1985). Wasser- und Abfallwirtschaft Lippstadt regelmäßig durchgeführt. • 1986 – 1990: neue Kläranlage Lippstadt (1986), Schon die frühen Erhebungen zeigten, dass der Anschluss der Hefefabrik Moormann, Lünen, an Fluss hinsichtlich seiner Wasserqualität grob in zwei die Schmutzwasserkanalisation (1986), Kläran- Abschnitte zu unterteilen ist. Belastungsschwer- lage Hamm-Mattenbecke (1986), punkte der oberen Lippe (Quelle bis Hamm) waren diverse Regenrückhaltemaßnahmen in Hamm bis 1981 die Kläranlagen von Paderborn (damals (1986), Erweiterung der Kläranlage Dattelner noch an der Pader gelegen) und Lippstadt. Die Mühlenbach (1986), Schließung der Kokerei relativ raschen Sanierungserfolge führten hier bald Ruhrgas in Dorsten (1986), Erweiterung der zu einer stabilen Güteklasse II (mäßig belastet). Seit Kläranlage Werne (1988). Anfang der 80er Jahre fließt die Lippe bei Pader- born-Sande durch einen durch Auskiesung entstan- • 1991 – 1995: denen Baggersee, so dass der für Fließgewässer Kläranlagen Haltern-West und Marl-Ost (1992), typische Faktor „gerichtete Strömung" entfällt. Die Reduzierung der Regenentlastung der Fa. damit verknüpften Konsequenzen werden weiter Rethmann (1994), Erweiterung der Kläranlage unten dargestellt. Marl-West (1994), die Belastung durch die War bis etwa 1975 die untere Lippe, beginnend ab Abwässer der Chemischen Werke Hüls (heute Hamm bis zur Mündung in den Rhein, von starker Hüls AG), Marl, wird von 1978 bis 1994 konti- und stärkster Verschmutzung durch kommunale und nuierlich reduziert. industrielle Abwässer geprägt, so setzte etwa ab 1996 – 1999: 1976 ein langsamer Prozess schrittweiser • Im Seseke-Einzugsgebiet neue Kläranlage Verbesserungen ein, der bis in die heutige Zeit Dortmund-Scharnhorst sowie Hochwasserrück- anhält. haltemaßnahmen (1996), Erweiterung der Einige der wichtigsten Maßnahmen, die seit 1970 Kläranlage Lippstadt (1997), seit 1999 Außer- zum jetzigen Qualitätszustand der Lippe beige- betriebnahme der Kläranlage Herringer Bach tragen haben, sind: (Mündungskläranlage) und Inbetriebnahme der Kläranlage Hamm-West. • 1970 – 1975: Kläranlage Dattelner Mühlenbach (1973), An- schluss der Hella-Werke in Lippstadt an die

166 Die erste Beeinträchtigung erfährt die Lippe nach typische Gütesituation widerspiegeln. Diese Mess- wie vor durch das vom Kraftwerk Schmehausen bei stellen liegen Hamm zu Kühlzwecken entnommene Wasser, das • oberhalb der Stadt Lippstadt, unterhalb der dem Fluss stark erwärmt wieder zugeführt wird. Die Mündung des Brandenbäumer Bachs (Abb. 1): unnatürliche Wärmebelastung führt zu einer spür- Hier ist der Übergang von der Salmoniden – in baren Veränderung der Organismenbesiedlung. Die die Cyprinidenregion zu lokalisieren. Die auffälligsten Besiedlungsunterschiede sind in Abwasserlast ist gering, die organismische Tabelle 1 dargestellt, aus der ein deutlicher Besiedlung ist reichhaltig. „Faunenschnitt" in der Lippe erkennbar wird: Es ändert sich nicht nur die Zusammensetzung der Arten, sondern unterhalb der Einleitung verschwin- den zunächst ganze Organismengruppen (Käfer, Egel). Die Taxazahlen bleiben bis Hamm reduziert. Diese Änderungen gehen in die Saprobienindex- Ermittlung nicht ein und Defizite werden aus der her- kömmliche Gütekarte deshalb nicht erkennbar, weil eine Belastung mit leicht abbaubaren organischen Stoffen nicht vorliegt.

Als empfindlich gegenüber der Temperaturerhöhung 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens zeigen sich die Strudelwürmer Dugesia gonocepha- la, Dugesia lugubris sowie Polycelis tenuis. Unter den Schnecken finden sich nur Ancylus fluviatilis, Abb.1: Lippe unterhalb Mündung des Bithynia tentaculata und Valvata piscinalis in größe- Brandenbäumer Bachs ren Individuenzahlen oberhalb des Kraftwerks. Ferner lassen sich die Bachflohkrebse Gammarus pulex und Gammarus roeseli unmittelbar unterhalb • an der Brücke bei Lippetal-Lippborg (Abb. 2): Der der Einleitung nicht nachweisen, ebenso wenig Fluss hat hier die Abwässer von Lippstadt und die verschmutzungstolerante Wasserassel Asellus Lippetal aufgenommen, befindet sich aber in der aquaticus, die erst im weiteren Verlauf zu größeren Regel noch in der Güteklasse II. Die Messstelle Bestandsdichten gelangt. Desgleichen fehlen die kennzeichnet den Abschnitt, der von den Eintagsfliegen Ephemera danica und E. ignita. Beeinträchtigungen durch den Ballungsraum Ruhrgebiet noch unbeeinflusst ist. Andere Gruppen scheinen das erwärmte Wasser zu bevorzugen: Das Moostierchen Plumatella sp., der Borstenwurm Stylaria sp., die Schnecken Physella acuta und Radix peregra.

Ferner sind hier Neozoen nachzuweisen: die Körb- chenmuschel Corbicula fluminea sowie die Floh- krebse Gammarus tigrinus und Corophium curvispi- num Die Schnecke Theodoxus fluviatilis reagiert ebenso wie der Flohkrebs Echinogammarus berilloni wenig empfindlich gegenüber der erhöhten Temperatur. Vielmehr dürfte das Verschwinden der Arten ab Hamm der hier einsetzenden Salz- und Abwasserbelastung zuzuordnen sein.

Die im Laufe der Jahre veränderte Zusammen- Abb. 2: Blick von der Lippe – setzung der aquatischen Lebensgemeinschaft lässt Brücke bei Lippetal-Lippborg sich an bestimmten Gewässerabschnitten nach- weisen. Für eine tabellarische Übersicht (Tab. 2) wurden vier Messstellen gewählt, die die dort jeweils

167 Tab. 2: Makrozoobenthos ausgewählter Messstellen der Lippe 1963 – 1999 (Angaben in Häufigkeitsstufen von 1 – 7 (DIN 38410 T2); Daten von 1963/64 nach Ant (1966); einmalige Einzelfunde sind unberücksichtigt)

uh. Brandenb. Bach Brücke Lippborg uh. Schmehausen uh. Seseke-Mdg.

TAXA 1963/64 1986 1993 1999 1963/64 1986 1993 1999 1963/64 19896 1993 1999 1963/64 1986 1993 1999 Bryozoa (Moostierchen) Bryozoa non det. 4 3 Porifera (Schwämme) Spongillidae 2 2 3 2 3 3 2 Turbellaria (Strudelwürmer) Dendrocoelum lacteum 2 2 1 3 1 2 Dugesia gonocephala 3 3 4 2 Dugesia lugubris 22221 1 Dugesia tigrina 4 5 5 Planaria torva 3 2 Oligochaeta (Wenigborster) Tubifex spp. 4 3 5 Limnodrilus spp. 2 3 Lumbriculidae 2 1 2 Naididae 2 5 Hirudinea (Egel) Erpobdella octoculata 3321 2 1 Erpobdella testacea Glossiphonia complanata 2 2 2 2 1 1 1 Glossiphonia heteroclita 1 1 Helobdella stagnalis 1 1 3 5 3 Piscicola geometra 2 Theromyzon tessulatum 1 Gastropoda (Schnecken) Acroloxus lacustris 2 3 Ancylus fluviatilis 4 3 3 2 1 Bithynia tentaculata 1333 6 Dreissena polymorpha 2 Physa fontinalis 2 3 2 Physella acuta 3123 Potamopyrgus antipodarum 3 3 Radix ovata 2 Theodoxus fluviatilis 4 4 1 3 3 6 2 Bivalvia (Muscheln) Pisidium spp. 2 2 2 2 Sphaerium corneum 3 3 2 4 2 Crustacea (Krebse) Asellus aquaticus 32132221 47 76 Corophium spp. 2 Echinogammarus berilloni 356634 3 3 Gammarus pulex 6 4 4 4 Gammarus roeseli 3 3 2 Gammarus tigrinus 25

168 Tab. 2: Makrozoobenthos ausgewählter Messstellen der Lippe 1963 – 1999 (Angaben in Häufigkeitsstufen von 1 – 7 (DIN 38410 T2); Daten von 1963/64 nach Ant (1966); einmalige Einzelfunde sind unberücksichtigt) – Fortsetzung –

uh. Brandenb. Bach Brücke Lippborg uh. Schmehausen uh. Seseke-Mdg.

TAXA 1963/64 1986 1993 1999 1963/64 1986 1993 1999 1963/64 19896 1993 1999 1963/64 1986 1993 1999 Ephemeroptera (Eintagsfliegen) Baetis rhodani 1 4 Baetis vernus 16413 3 2 Baetis scambus 2 2 4 3 Caenis spp. 2 5 2 3 Centroptilum luteolum 2 3 2 2 Cloeon dipterum 2 1 Ephemera danica 4 Ephemerella ignita 4 Heptagenia sulphurea 3 1 3 1 Odonata (Libellen) Calopteryx splendens 2 2 Calopteryx virgo 4 Ischnura elegans Platycnemis pennipes 1 2 4 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Heteroptera (Wanzen) Plea minutissima 3 Megaloptera (Schlammfliegen) Sialis fuliginosa 2 Sialis lutaria 3 Trichoptera (Köcherfliegen) Anabolia nervosa Cyrnus trimaculatus 2 Hydropsyche spp. 2 2 2 2 Limnephilidae 2 Plectrocnemia sp. 2 Polycentropus flavomaculatus 3 2 2 Diptera (Zweiflügler) Chironomidae 2 2 2 3 4 3 7 6 Chironomus thummi/plumosus 4 3 4 2 Rheotanytarsus spp. 2 3 2 Simuliidae 3 2 Coleoptera (Käfer) Brychius elevatus 2 Elmis spp. 2 2 2 2 Laccophilus spp. 2 Limnius volckmari 2 Oulimnius tuberculatus 2 2 Anzahl der Taxa 3 13 20 20 17 17 12 20 12 10 12 10 6 9 10 14

169 • unterhalb des Wehres Uentrop (Abb. 3:): Die Interessant ist hier besonders die positive Ver- erste durchgreifende Änderung der Benthosbio- änderung des Artenspektrums der Lippe unterhalb zönose erfolgt hier durch die künstliche Ge- der Seseke-Mündung: Die stetige Zunahme der wässererwärmung durch das VEW-Kraftwerk Taxazahlen ist mit dem Rückgang der Individuen- Schmehausen oberhalb von Hamm. Die organi- zahlen verschmutzungstoleranter Formen ver- sche Belastung ist aber noch mäßig. knüpft. In den 70er Jahren war dagegen der gesam- te Unterlauf der Lippe ab der Seseke-Mündung bis zur Mündung in den Rhein von teils meterlangen Zotten fädiger Algen (Cladophora sp.) gekennzeich- net, die fast ausschließlich von großen Mengen von Wasserasseln (Asellus aquaticus) und roten Zuckmückenlarven (Chironomidae) besiedelt waren. Lange Zeit schien der Zustand der Seseke als Schmutzwasserlauf, dessen mitgeführte unge- reinigte kommunale und industrielle Abwässer noch in einer Mündungskläranlage eher unzureichend behandelt werden, unabänderlich zu sein. Doch seitdem ein großer Teil des in den 80er Jahren begonnen „Seseke-Programms" umgesetzt wurde, entspannt sich die Situation auch in der Lippe. Abb. 3: Lippe unterhalb des Wehres Uentrop Die Qualitätsverbesserung zeigt sich hier auch in der tendenziellen Abnahme des Gehaltes an unterhalb der Mündung der Seseke (Abb. 4:): • Ammonium, einem Abbauprodukt von Eiweißver- Die Seseke entwässert als Schmutzwasserlauf bindungen (Abb. 5): Sowohl die 90-Perzentil- als den Nordwesten von Dortmund sowie die Ein- auch die 50-Perzentilwerte haben sich in den letzten zugsgebiete der Städte Unna und Kamen und fünf Jahren verringert. Vereinfacht besagen diese mündet über eine Flusskläranlage bei Lünen in Kenndaten, dass 50 % bzw. 90 % aller gemessenen die Lippe. Die Lippe hat hier – neben der Salzbe- Einzelwerte den angegebenen Zahlenwert nicht lastung aus dem Bergbau – auch die stärkste überschreiten. Abwasserbelastung zu verkraften. Zur Zeit

werden aufwändige Abwasserreinigungs- und NH4-N mg/l 6 Hochwasserrückhaltemaßnahmen durchgeführt, 5,43 deren Auswirkungen bereits spürbar sind. 5 4,00 4

3 2,94

2 1,60 1,22 1,25 1,00 1 0,78 0,48 0,37 0 1995 (N=13) 1996 (N=14) 1997 (N=15) 1998 (N=14) 1999 (N=10)

50-Perzentil 90-Perzentil Abb. 5: Entwicklung der Ammonium-Konzentration in der Lippe bei Lünen unterhalb der Seseke-Mündung (1995 – 1999)

Einen guten Eindruck von den Erfolgen von Abb. 4: Lippe in Lünen, Abwasserreinigungsmaßnahmen in ihrer Gesamt- unterhalb der Mündung der Seseke heit gibt die Abbildung 6, in der die Gewässer- güteentwicklung zwischen 1970 und heute farblich dargestellt ist.

170 Abb. 6:EntwicklungderGewässergüte derLippezwischen1970und1999 171

3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Das Lippeauenprogramm und das Pilotpro- zum Ziel, von Bad Lippspringe bis zum Rhein die jekt „Klostermersch“ Durchgängigkeit der Lippe für Organismen durch Rück- oder Umbau der Wanderbarrieren und die Erst in den letzten Jahren hat sich die Erkenntnis Entwicklung breiter, naturbelassener Uferstreifen durchgesetzt, dass naturnahe Flussauen nicht nur wiederherzustellen. Dabei werden Elemente der ökologisch, sondern durch ihren effektiven Naturlandschaft und der historischen Kulturland- Hochwasserschutz auch ökonomisch sehr wertvoll schaft verbunden, da diese Kombination einem sind. Seit 1990 versucht daher das Land NRW, im Höchstmaß an ökologischer Vielfalt entspricht und Rahmen des Gewässerauenprogramms Flussauen eine Einbeziehung der vor Ort wirtschaftenden und Gewässernetze als die natürlichen Lebens- Menschen ermöglicht. adern der Landschaft zu erhalten und zu reaktivie- ren. Das Land beauftragte das Staatliche Umwelt- Im Rahmen des Lippeauenprogramms wurde 1996 amt Lippstadt (oberer Gewässerabschnitt) sowie – 1997 die Lippe unterhalb von Lippstadt auf ca. den Lippeverband (unterer Gewässerabschnitt) mit 2 km naturnah umgestaltet. Bei Baumaßnahmen der Umsetzung des Lippeauenprogramms. Es hat dieses Pilotprojekts wurden Uferbefestigungen ent-

71,50

71,00

70,50

70,00

69,50

69,00

68,50

68,00

67,50

67,00 vor Umgestaltung 66,50

66,00

65,00

71,80 71,40 71,20 71,00 70,80 70,60 70,40 70,20 70,00 69,80 69,60 69,40 69,20 69,00 68,80 68,60 nach Umgestaltung 68,40 68,20 68,00 67,80 Abb. 7: Das Profil der Lippe westlich von Lippstadt (Klostermersch) 67,60

172 fernt und der Fluss erhielt wieder ein natürliches, Charakter einer Talsperre entstand. Heute hat der breites und flaches Flussbett (Abb. 7). Jetzt kann See eine Wasserfläche von etwa 70 ha bei einer der Fluss sein Gerinne wieder selbst gestalten. Länge von etwa 2 km und einer Breite von 600 m. Durch die Anhebung der Flusssohle und des Er hat sich zu einem überregionalen Freizeitsee ent- Wasserspiegels wird die Aue zukünftig wieder durch wickelt. Über die Zahnschwelle eines Auslaufbau- ein Mosaik von Auwäldern und offenen Bereichen werks fällt die Lippe heute mehrere Meter tief, um geprägt sein. Für diese Naturentwicklung werden ihren Lauf fortzusetzen. als kostengünstige „Landschaftspfleger“ die Heck- Bald bestätigten sich jedoch die von Kritikern vor- rinder eingesetzt. Sie sind eine Rückzüchtung der ausgesehenen negative Auswirkungen der Durch- Auerochsen, die vor Beginn der menschlichen leitung des Flusses durch den See: Besiedlung in den mitteleuropäischen Auen lebten. Das Naturschutzgebiet „Klostermersch“ ist Lebens- • Alle aus dem Oberlauf mitgeführten Kiese und raum vieler bedrohter Tiere wie Flussregenpfeifer Sande sedimentieren und verbleiben im See. und Quappe. An Steilufern können Eisvögel und Der früher typische Geschiebetransport des Uferschwalben brüten. Weitere Informationen be- Flachlandflusses fehlt dadurch im weiteren finden sich bei DETERING et. al. (1989). Verlauf, so dass dort die Tiefenerosion der Lippe verstärkt wird. Für den unteren Lippe-Bereich hat der Lippever- band ein Auenprogramm vorgelegt und setzt die • Die Umwandlung des Flusses in ein stehendes Maßnahmen an zehn Flussabschnitten um. Dies Gewässer fördert die Entfaltung von Plankton- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens erfolgt im Wesentlichen im Rahmen der Gewässer- organismen, die das Wasser trüben und ver- unterhaltung. Jedoch sind auch flussbauliche färben (Eutrophierung). Durch die Sonnenein- Umgestaltungen erforderlich, die zuerst in dem etwa strahlung wird ferner das Wasser erwärmt und 13 km langen Abschnitt zwischen dem Wehr Werne- der pH-Wert kann sich durch biogene Prozesse Stockum und dem Wehr Lünen-Beckinghausen im See stark erhöhen. Im sich anschließenden realisiert werden. Hier sind bereits etwa 50 % der für Flussabschnitt, der der Salmonidenregion zuzu- die Umgestaltung erforderlichen Auenflächen im ordnen ist, führt die Gesamtheit der Erscheinun- Besitz der öffentlichen Hand. Als erste Maßnahmen gen zu einer Veränderung der gewässertypi- sollen Wehre und Staustufen so umgebaut werden, schen Merkmale, zu einer Sekundärbelastung dass die naturnahe Flussdynamik wiederhergestellt und damit zu einer Verschlechterung der wird. Die Maßnahmen zur Durchgängigkeit des Wasserqualität. Wehrs Lünen-Beckinghausen sind bereits abge- • Der See stellt für Fische eine unüberwindliche schlossen. Die Arbeiten am Wehr in Hamm-Uentrop Barriere im Längsverlauf der Lippe dar. So stehen vor dem Abschluss und die Umgehung des wurde im Rahmen einer Fischbestandsauf- Wehres Hamm ist in Planung. Es wird angenom- nahme vor dem Absperrbauwerk eine große men, dass der Umfang der Umbaumaßnahmen an Menge von Aalen festgestellt, denen die der Lippe bis zur Vollendung einen Zeitraum von Wanderung flussaufwärts verwehrt war. Aus einer Generation erforderlich machen wird. einer 1993 durchgeführten Studie des damaligen StAWA Lippstadt wurde deutlich, dass auch andere Fließgewässerorganismen dieses Hindernis kaum oder nicht überwinden können. Der Lippe-See bei Paderborn (Abb. 8a + 8b) – ein Problem für die Lippe –

Im Zuge der Sand- und Kiesgewinnung sind in den 60er Jahren bei Paderborn-Sande in unmittelbarer Nähe zur Lippe mehrere Baggerseen entstanden, die schließlich zu einem großen See zusammenge- fasst wurden, dem Lippe-See. Es lag nahe, die Lippe durch den neuen See hindurchzuleiten, so dass in den 80er Jahren ein Flussstau mit dem

173 Ephemeroptera (Eintagsfliegen) der oberen Lippe 1993 rel. Häufigkeit 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Baetis rhodani Baetis vernus Baetis scambus Ephemerella ignita Ephemerella major

Trichoptera (Köcherfliegen) der oberen Lippe 1993 rel. Häufigkeit 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Goeridae Hydropsyche sp. Limnephilidae Polycentropus sp. Rhyacophila sp. Silo nigricornis

Abb. 8a : Der Lippe-See als Barriere für die Wanderung von Gewässerorganismen, dargestellt am Beispiel für Eintagsfliegenlarven und Köcherfliegenlarven aus dem Jahr 1993.

174 Crustacea (Krebse) der oberen Lippe 1993 rel. Häufigkeit 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Asellus aquaticus Echinogammarus berilloni Gammarus fossarum Gammarus pulex 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Mollusca (Muscheln u. Schnecken) der oberen Lippe 1993 rel. Häufigkeit 16 14 12 10 8 6 4 2 0

Acroloxus lacustris Ancylus fluviatilis Potamopyrgus antipodarum Radix peregra Pisidium sp.

Abb. 8b: Der Lippe-See als Barriere für die Wanderung von Gewässerorganismen, dargestellt am Beispiel für Kleinkrebse, Muscheln und Schnecken aus dem Jahr 1993

175 Abb. 9: Lippe und Lippe-See im angestrebten Zustand nach Beendigung des Kiesabbaus

Zwar durchfließt die Lippe zur Zeit noch den Lippe- Die zur Zeit noch existierende Wärmebelastung See; jedoch hat das Staatliche Umweltamt Lippstadt durch Kraftwerke wird in absehbarer Zeit aufgrund im Rahmen des Lippe-Auenprogramms bereits von europaweit gültigen Grenzwerten für die Maßnahmen zur Abtrennung des Flusses vom See Maximaltemperatur reduziert. Unterstützend für ergriffen: Er wird zukünftig den See südlich um- diese Tendenz wird auch hier die geplante Umge- fließen (Abb. 9). Die Planungen sind abgeschlossen staltung des Gewässerbettes und der Aue wirken. und befinden sich im Stadium des Planfeststellungs- Die Grubenwassereinleitung in die Lippe bleibt lang- verfahrens, so dass damit gerechnet werden kann, fristig ein schwer lösbares Problem (vgl. Kap. 8.2) dass die Durchgängigkeit etwa ab 2005 wiederher- und es existieren allenfalls grobe Vorstellungen zur gestellt ist. (sehr kostspieligen) Reduzierung der Salzbe- lastung. Die zukünftigen Salzkonzentrationen so- Perspektiven wohl in der Lippe als auch in der Emscher müssen im Rahmen eines Gesamtkonzepts auf ein mög- Der obere Abschnitt der Lippe ist seit längerem nur lichst niedriges Niveau abgesenkt werden. Alle mäßig belastet, oberhalb von Hamm eher kritisch denkbaren Lösungsvarianten müssen überprüft und belastet. Eine Tendenz zu einer weitergehenden sowohl einer Kosten-Nutzen-Analyse als auch einer Verbesserung – etwa durch verstärkte Abwasser- Ökobilanz unterzogen werden. reinigung – ist nicht abzusehen. Jedoch wird sich hier langfristig durch das Lippe-Auenprogramm des Landes Nordrhein-Westfalen eine Verbesserung Literatur nicht nur des Wassers, sondern auch des Gewäs- ANT, H. (1966): Die Benthos-Biozönosen der Lippe. Ministerium sers in seiner Aue einstellen: Das Selbstreinigungs- für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten NRW, Düsseldorf, 75 S. vermögen einerseits wird durch die verbesserte Strukturgüte erhöht und damit einhergehend ande- DETERING, U., LEISMANN, M. & A. VOLLMER (1999): Die Umsetzung des Gewässerauenprogramms Nordrhein-Westfalen am rerseits die biologische Artenvielfalt vergrößert. Dies Beispiel des Oberlaufs der Lippe. Wasser und Abfall 6, lässt sich durch das Pilotprojekt „Klostermersch“ S. 48-52. belegen. Mittelfristig wird in der unteren Lippe die Ver- schmutzung mit organischen Stoffen deutlich ab- nehmen, wenn der Belastungsschwerpunkt Seseke saniert sein wird (Behandlung des anfallenden kommunalen und industriellen Abwassers vor Ort, Regenwasserrückhaltung, Revitalisierung der Seseke).

176 Ems

3.3 Ems und Einzugsgebiet

Dr. Hannes Schimmer & Anna Schindler (StUA Münster) 3.3.1 Die Güteentwicklung der Ems von 1969 bis 1999

Darstellung des Einzugsgebietes liefert, nach dem die Anlieger bei Strafandrohung zum Entfernen jeglicher Bäume und Sträucher aus Die Ems ist nach der Weser das zweite größere dem Fluss und einer 2 m breiten Uferzone verpflich- Flusssystem, das vollständig auf dem Gebiet der tet wurden (AMTSBLATT DER KÖNIGLICHEN REGIERUNG Bundesrepublik Deutschland verläuft. Sie entspringt ZU MINDEN v. 21.Mai 1856). Zur Bündelung all dieser in der Westfälischen Bucht im Osten des Kreises Maßnahmen, die immer nur Stückwerk blieben, Gütersloh bei 134 m.ü.M. und mündet nach 371 km wurde 1928 vom Preußischen Kulturbauamt Minden Fließstrecke in den Dollart (Nordsee). Die Quelle ein „Allgemeiner Plan zum einheitlichen Ausbau der der Ems befindet sich in der Senne, einem ausge- Ems von der Quelle bis zum Wehr Schöneflieth bei dehnten Sandgebiet am Fuße des Teutoburger Greven“ aufgestellt. Im Erläuterungsbericht hieß es Waldes. „Das allgemeine Ziel des Entwurfes ist die Schaf- Das gesamte Einzugsgebiet der Ems umfasst fung eines einheitlich gestalteten Flusslaufes, um 13.160 km², davon 4.127 km² in NRW. Verglichen Gleichmäßigkeit des Wasserabflusses, insbeson- mit anderen Flüssen Deutschlands entwässert die dere bei Hochwasser zu bekommen, der jetzt durch 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ems ein niederschlagsreiches Gebiet. Die Schwan- die unregelmäßigen Querschnitte, die vielen Win- kungsbreite zwischen Niedrigwasser (NNQ) und dungen, die Uferabbrüche, die Sandablagerungen, Hochwasser (HHQ) ist mit 1:800 außerordentlich den Baum- und Strauchwuchs an den Böschungen hoch. Das bedingt im Sommer mitunter extrem und die sonstigen Verwilderungen des Flusses geringe Wasserführungen, dagegen treten vor allem beeinträchtigt wird“. Ziel war die Sommerhoch- in den Wintermonaten weit ausufernde Hochwässer wässer ausuferungsfrei in einem durchgehend ein- auf. Das zwischen Meppen und Papenburg (Nieder- heitlichen Trapezprofil abzuleiten. Die Arbeiten sachsen) bis zu 7 km breite Überschwemmungs- wurden 1933 vom nationalsozialistischen Reichs- gebiet der Ems signalisiert die Hochwasserpro- arbeitsdienst aufgenommen, kamen kriegsbedingt blematik (LOZAN & KAUSCH 1996). nach 1941 zum Erliegen und liefen mit Unter- brechungen bis in die 70er Jahre (KAISER 1993). Im Bereich des Truppenübungsplatzes in Handorf- Die Geschichte eines regulierten Flachland- Dorbaum bei Münster unterblieb der Ausbau auf flusses etwa 4,5 km Fließstrecke weitestgehend, so dass dieser Bereich heute zur Definition eines Leitbildes Im Quellbereich hat die Ems noch ein Gefälle von für den großen Fluss im Flachland große Bedeutung 3,23 ‰ das sich bereits nach wenigen Kilometern erlangt hat. Im Oberlauf der Ems (Gemeinde Hövel- auf Werte deutlich unter 1‰ erniedrigt. Die Ems war hof) ist in einem ca. 7,5 km langen Abschnitt noch ursprünglich ein ausgeprägter Mäanderfluss, der eine gewisse Eigendynamik möglich. In Folge der sich in zahlreichen Kurven zu Tal schlängelte. Ufer Ausbaumaßnahme verlor die Ems im Kreis Güters- und Flusslauf stellten keine statischen Gebilde dar, loh ca. 50 % (BOSSE mdl. Mittlg.), auf der Strecke sondern durch Anlandung und Abspülung wander- von Greffen bis Greven ca. 65 % ihrer ursprüng- ten die Flussschlingen langsam zu Tal. Wenn ganze lichen Lauflänge. Seither hat sich die Ems bis zum Flussschlingen abgetrennt wurden, blieben sichel- heutigen Tage aufgrund der erhöhten Fließge- förmige Altarme in der Aue zurück. Diese Eigen- schwindigkeit und des künstlich festgelegten dynamik und die beschriebenen Hochwässer führ- Böschungsfußes immer tiefer in die leicht erodier- ten bereits im 18. Jh. zu Ausbauplänen, die im bare Sohle eingegraben. Die „Nachlieferung“ von wesentlichen aus dem Abschneiden von Fluss- Sand aus dem Oberlauf unterbleibt zum einen durch schlingen bestanden, um den Hochwasserabfluss Aufgabe extrem erosionsfördernder landwirtschaft- zu beschleunigen und den Flusslauf zu verkürzen. licher Nutzungsformen (Plaggenwirtschaft, Wiesen- Aus dem letzten Jahrhundert ist ein Gesetz über- brechen) und durch den Betrieb von Sandfängen in

177 den Sennebächen im Kreis Gütersloh. Rein rechne- + Verlängerung des Gewässerlaufs risch müssten aus dem Kreisgebiet Gütersloh etwa + 6.000 m³ Sand jährlich an die Ems im benachbarten Herstellung der Durchgängigkeit von Querbau- werken Regierungsbezirk Münster geliefert werden. Für + diese Zahlen gibt es keine Belege, sie sind nur Anlage von naturnahen Uferstreifen lückenhaft rekonstruierbar (BOSSE mdl. Mittlg.). Der + Extensivierung der Auennutzung größte Teil dieser theoretischen Sandmenge, ver- + Sicherung vorhandener intakter Lebensräume bleibt jedoch durch Rückhaltung und Entnahme im + Wiederherstellung, Entwicklung und Ergänzung Kreisgebiet Gütersloh (KREIS GÜTERSLOH 1999). In geschädigter Lebensräume der Folge der Eintiefung mit Profiltiefen von bis zu + 10 Metern im Emsabschnitt im Regierungsbezirk Wiedergewinnung und Schaffung von Retentions- räumen. Münster fiel auch der Grundwasserstand in der landwirtschaftlich genutzten Aue. Hierauf mussten an verschiedenen Stellen Kulturstaue zur Anhebung des Grundwasserspiegels eingebaut werden, um die landwirtschaftliche Nutzung der Emsaue auf- Gewässergüte der Ems – Probleme eines recht erhalten zu können. Stromes im Flachland Neben der Einleitung geklärter Abwässer aus kom- munalen Kläranlagen und anderen Anlagen zur Sanierung eines Lebensraums Abwasserbehandlung wird der Stoffhaushalt der In ihrem heutigen Zustand sind sowohl die Ems als Ems heute vor allem durch die intensive landwirt- auch ihre Aue wegen der bereits erwähnten schaftliche Nutzung der Aue beeinträchtigt. Tiefenerosion und wegen des Verlustes zahlreicher In der ersten landesweiten Gewässergütekarte Strukturelemente und Lebensräume sanierungsbe- musste der Ems 1970 nach dem Saprobiensystem dürftig. Eine wichtige Grundlage wurde mit der noch über weite Strecken die Güteklasse III bzw. Unterschutzstellung der Emsaue als Naturschutz- III-IV zugewiesen werden. Der damalige Unter- gebiet auf der Strecke von Greffen bis Rheine sucher beschreibt seinen Gesamteindruck der Ems geschaffen. Diese Maßnahme trägt auch der im Jahre 1968 als enttäuschend und fährt wie folgt Erkenntnis Rechnung, dass Gewässer und Aue als fort „Es muss angesichts der erheblichen Anstren- Einheit betrachtet werden müssen. Mit ca. 5.000 ha gungen und Aufwendungen der letzten Jahre zur ist die Emsaue das größte Naturschutzgebiet in biologischen Reinigung der Abwässer doch die NRW und soll sich zu einer Hauptachse in einem Frage gestellt werden, ob dieser Weg zu einem landesweiten Biotopverbundsystem entwickeln. Im wirklich durchgreifenden Erfolg für die Reinhaltung Regierungsbezirk Münster umfasst das gesamte unserer Wasserläufe führen kann“. Die Abbildung 1 Emsauenschutzkonzept etwa 5.700 ha, die Gewäs- zeigt die schrittweise Verbesserung der Wasser- serlänge beträgt hier 94 km. Im Kreisgebiet von qualität im Verlauf der letzten 30 Jahre und widerlegt Gütersloh gibt es darüber hinaus 7 Naturschutzge- die zitierten skeptischen Anmerkungen aus den biete mit einer Ausdehnung von insgesamt 688 ha Anfängen der biologischen Gewässergüteerhebun- und 4 Naturdenkmäler, die allesamt mit der Ems im gen. Heute kann der überwiegende Teil des nord- Zusammenhang stehen. Für das Kreisgebiet von rhein-westfälischen Emsabschnittes in die Gewäs- Gütersloh wurde 1999 ein Konzept zur naturnahen sergüteklasse II eingestuft werden. Die übrigen Entwicklung der Ems aufgestellt. Abschnitte weisen mit Güteklasse II-III eine kritische Wichtige Maßnahmen zur ökologischen Verbes- Belastung auf. Diese Sanierung der Wasserqualität, serung des derzeitigen Zustandes und zur Vernet- die im wesentlichen durch den Ausbau der Abwas- zung der noch vorhanden wertvollen Lebensge- serbehandlungsanlagen bewirkt wurde, ist eine meinschaften sind: wesentliche Voraussetzung für die bereits erwähn- ten Maßnahmen zur Strukturverbesserung.

178 Gesamtlänge 156km

Rheine Warendorf Rheda-Wiedenbrück

Hemelter B. Glane Hessel

10 - 50 0,2 - 1 50 - 200 m³/s 5 - 10 m³/s 1 - 5 m³/s m³/s m³/s

Landesgrenze Axtbach Münster Werse Rietberg

1970

1975 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

1980

1985

1990

1995

1999

Legende: Gewässergüte 20 km

IV III-IV III II-III II I-II I

Abb. 1: Die Entwicklung der Gewässergüte des nordrh ein-westfälischen Emsabschnittes von 1970 – 1999

179 Diese positive Bilanz kann für viele kleinere zung der Phosphatmengen in Wasch- und Reini- Seitenbäche im Oberlauf nicht gezogen werden, gungsmitteln ein effektiver Beitrag zur Verringerung hier finden sich bis heute zahlreiche stark bis über- der Einträge. Die einwohnerspezifische Phosphor- mäßig (Güteklassen III bis IV) verschmutzte Abgabe ist so von 4 mg/l (1985) auf 1,8 mg/l zurück- Gewässerabschnitte. Ursache hierfür sind vor allem gegangen (SCHMOLL et al. 1999). Überregional ist die Einleitungen aus Kläranlagen und sonstigen mit einer weiteren Abnahme der Phosphatmengen Punktquellen. in den Fließgewässern durch den Kläranlagenbau Die Zahl der größeren Fischsterben in der Ems ist nicht mehr zu rechnen. Eine weitere Reduktion der im erwähnten Zeitraum kontinuierlich zurückgegan- unveränderten Einträge aus diffusen Quellen gen, etwa seit Mitte der 90er Jahre wurden keine (SCHOLZ 1999) ist vor allem durch Maßnahmen in derartigen Ereignisse mehr registriert. Dies ist zum der Landwirtschaft zu erreichen. Die überwiegend einen ein Indiz für einen sensibleren Umgang mit partikulär gebundenen Phosphate können durch die dem Gewässer, aber auch auf die Erfolge in der Anlage von Uferstreifen zurückgehalten werden. Abwasserreinigung zurückzuführen. Für den zweiten wichtigen Nährstoffparameter, das Der Ausbau der Kläranlagen mit einer Phosphat- Nitrat, kann von einer Entschärfung der Situation elemination, als dritte Reinigungsstufe für Kläran- nicht gesprochen werden. Eine chemische Gewäs- lagen der Größenklasse über 20.000 EGW (Ein- sergütekartierung aufgrund des Nitratgehaltes zeigt wohnergleichwerte) vorgeschrieben, ist bereits weit- für die Ems überwiegend die Güteklasse III und gehend abgeschlossen. Daneben war die Begren- schlechter an (Abb. 2).

Ems

Vechte

Weser Ems

93 Ibbenbürener Aa 73 92 90 Hemelter Bach 72 83 Weser Ems Frischhofsbach 79 91 Glane Aa Werre

Vechte

89 Johannesbach Ems Lutter 82Werre 77 Ems Reiherbach 81 Lutter Wiembecke 87 Werse Ölbach Kettbach Stever 88 78 Ölbach 74 Ems 75 Halterner Mühlenb. 80 76 85 3 Rhein 67 Pader 86 Glenne Lippe Niers 54 Lippe 68 84 Lippe 69 55 65 Lippe 64 Ahse 66 39 63 61 60 Niers 9 Emscher 62 Diemel 8 59 Emscher Möhne

Ruhr 45 Hönne 70 Ruhr Diemel Ruhr 71 Ruhr 49 43 42 7 56 Niers Rhein 57 58 47 50 44 41 Wupper 48 Wenne Schwalm 38 33 Ennepe 46 37 Lenne Lenne

Volme Niers 2 35 Erft 34

12 40 36 6 Große Dhünn Rur 18 Erft 32 Eder 5 Agger 22

Wurm Wiehl Sülz 53 Rhein Bröl 51

Wahnbach 25 24 Rur Waldbrölbach 14 11 52

Inde 29 21 Sieg 17 23 Bröl Sieg 28 Sieg 31 26 16 4 13 27 15 20 Swist Inde Vichtbach 1 Entwurf LAWA-AK "ZV" für NO3-N Chemische Güteklasse für Erft 30 1990 1991 1992 1993 1994 1995 Jahr Rur IV > 20 mg/l NO3-N III-IV > 10 - 20 10 III > 5 - 10 19 80 Nr. der Meßstelle II-III > 2,5 - 5 Rhein II > 1,5 - 2,5 I-II > 1 - 1,5 I < = 1 ohne Angabe

Abb. 2: Güteeinstufung der Trendmessstellen für den Parameter Nitrat (aus: LUA 1996)

180 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

unter 30 kg N/ha LF 30 bis 60 kg N/ha LF 60 bis 90 kg N/ha LF 90 bis 120 kg N/ha LF 120 bis 150 kg N/ha LF Abb. 3: Nitratüberschuss aus landwirtschaftlich 150 bis 180 kg N/ha LF genutzten Flächen 180 kg N/ha LF und mehr (aus: WENDLAND et al. 1993, verändert) Abbauflächen

Der Hauptbelastungsschwerpunkt ist im überwie- von den Pflanzen in der Vegetationsperiode nicht gend landwirtschaftlich genutzten Teil Westfalens verbrauchte Stickstoff wird fast vollständig aus den nördlich der Lippe zu finden. Der Vergleich der Böden ausgewaschen. Die Emission von Stickstoff Abbildungen 2 und 3 gibt Hinweise auf den ursäch- über das Grund- und Dränwasser wird für das lichen Zusammenhang zwischen den Nitratüber- Weser-Emsgebiet auf etwa 2.000 kg N pro km² und schüssen der Landwirtschaft und den hohen Nitrat- Jahr geschätzt. Wegen der Aufenthaltszeit des gehalten in den Oberflächengewässern auf. Stickstoffs im Grundwasser von über 10 Jahren sind die Effekte von Umstellungen in der Bewirtschaf- Nitrat als Hauptquelle der Stickstoffbelastung liegt in tungsweise nur mittel- und langfristig zu erwarten der Bodenlösung in relativ hohen Konzentrationen (SCHOLZ 1999). vor (10 – 40 mg/l) und gelangt so leicht ins Grund- wasser. Die sogenannte Nitratauswaschung ist in Als Folge des technischen Fortschrittes, der die unserem Klima ein natürlicher Vorgang, der aller- Denitrifikation in Kläranlagen ermöglicht, gewinnen dings durch die intensive Landwirtschaft und durch die Einflüsse der landwirtschaftlichen Nutzung auf die Drainierung nasser Standorte verstärkt wird. Der den Nitrataustrag zunehmend an Bedeutung.

181 Ist das Nitrat erst einmal im Fließgewässer, ist es Schwebstoffe der Ems an der Landesgrenze unter- auf dem Weg zur Nordsee nicht aufzuhalten. halb von Rheine. Zum Vergleich sind die Grenz- Während Phosphor seine eutrophierende Wirkung werte der Zielvorgaben für das Schutzgut aquati- vor allem in limnischen (Süßwasser) Systemen ent- sche Lebensgemeinschaft aufgeführt (LUA 1995). faltet, wirkt Nitrat erst im marinen System der Für die Elemente Cadmium und Zink finden sich Nordsee. allerdings geringfügige Überschreitungen der Zielvorgaben. Eine ausführliche Diskussion des Die nachfolgend dargelegte Bedeutung der Ems für Systems der Zielvorgaben findet sich im LUA die öffentliche Trinkwasserversorgung unterstreicht Materialien Band 19 (1995). den Güteanspruch an dieses Gewässer. Geo- graphisch deckt sich der Verlauf der Ems weitest- gehend mit dem Verlauf der Uremsrinne. Aus diesem für das Münsterland bedeutenden Grund- 90 Perzentil 140 wasserleiter entnehmen in den Kreisen Warendorf ZV AL 120 und Steinfurt sowie in der Stadt Münster mehrere 100 Wasserwerke das Grundwasser zur Trinkwasser- 80 gewinnung. Infolge dieses Grundwasserentzuges [mg/l] werden bei emsnahen Brunnenstandorten in einigen 60 Gewinnungsgebieten diffuse Übertritte von Ober- 40 flächenwasser aus der Ems in den Grundwasser- 20 leiter erzeugt (Infiltration), so dass das nunmehr zu 0 Blei Grundwasser gewordene Emswasser ebenfalls der Zink Nickel Kupfer Chrom

Trinkwassergewinnung dient. In einem Fall wird Cadmium Quecksilber Oberflächenwasser aus der Ems über Versicke- Abb. 4: Die Schwermetallgehalte im Schwebstoff rungsbecken zur Grundwasseranreicherung im der Ems bei Rheine Einzugsgebiet der Entnahmebrunnen infiltriert und damit gezielt für die Trinkwassergewinnung nutzbar gemacht. Neue Ansätze zur Gewässerbeurteilung

Im Regierungsbezirk Detmold werden ca. Mit dem weit fortgeschrittenen Ausbau der Ab- 1,35 Mio. m³/a Grundwasser mit Anteilen von Ufer- wasserbehandlungsanlagen hat die Saprobie, d. h. filtrat der Ems gefördert. Damit wird die Wasserver- die Belastung der Gewässer mit fäulnisfähiger sorgung von etwa 28.000 Einwohnern sicherge- Substanz viel ihrer früheren Bedeutung für die stellt. Für den Regierungsbezirk Münster wird der Gewässerbeurteilung verloren. Heute tritt immer gesamte Anteil des indirekt zur Trinkwasserge- mehr die Trophie d. h. das Produktionsvermögen winnung genutzten Oberflächenwassers aus der der photoautotrophen Organismen in den Vorder- Ems auf rd. 4 Mio. m³/a geschätzt. Diese Menge grund. Diese Organismen, überwiegend Algen und entspricht dem durchschnittlichen jährlichen Was- höhere Pflanzen, sind neben dem Sonnenlicht auf serbedarf von etwa 85.000 Einwohnern. die im Wasser gelösten Nährstoffe angewiesen. Das Maß ihrer Produktion kann über den Chloro- Ein Lösungsansatz ist die intensive Zusammen- phyll a-Gehalt gemessen werden. Der Gewinnung arbeit von Landwirtschaft und Wasserwirtschaft und von Basisdaten für die Trophieklassifizierung plank- die Ausschöpfung aller Mittel zu Extensivierung der tondominierter, gestauter Fließgewässer dient die Auennutzung des gesamten Einzugsgebietes. Messung des Chlorophyllgehaltes. Gerade in Im Gegensatz zur Belastung mit Pflanzenbehand- gestauten Gewässerabschnitten entstehen im lungsmitteln bei denen teilweise erhebliche Über- Sommer bei guter Nährstoffversorgung und geringer schreitungen des Trinkwassergrenzwertes gemes- Beschattung starke Algenblüten. Durch die sen werden, ist die Belastung des Schwebstoffes Photosynthese der Algen kommt es zu starken mit Schwermetallen in diesem Fluss mit seinem Schwankungen des Sauerstoffgehaltes und des pH- schwach industrialisierten Einzugsgebiet er- Wertes im Tagesgang. Zusätzlich belastet der wartungsgemäß gering. Die folgende Abbildung Abbau der gebildeten organischen Masse nach dem (Abb. 4) zeigt die Schwermetallbefrachtung der Absterben der Algen den Sauerstoffhaushalt der

182 Gewässer. Hier versagt die Güteeinstufung auf- Ausblick grund des Saprobiensystems in vielen Fällen. Die erreichten Erfolge in der Wasserreinhaltung, die Algenblüten sind die Folge starker Nährstoffbe- sich vor allem als Verbesserung der Gewässergüte lastungen eines Gewässers und werden durch manifestiert haben (Abb. 1), können nicht darüber Mängel der Gewässerstruktur (Ausbau, Aufstau) hinwegtäuschen, dass im Einzugsgebiet der Ems begünstigt. Die folgende Abbildung (Abb. 5) zeigt noch große Probleme hinsichtlich der Gewässer- am Beispiel der Ems im Regierungsbezirk Münster, struktur und der Nährstoffbelastung vor allem aus wie der Chlorophyll a-Gehalt im Fließverlauf zu- der Landwirtschaft bestehen. Hier werden in der nimmt. Zukunft die Hauptanstrengungen gemacht werden

h/d müssen, um Verbesserungen zu erzielen. Der erste 14 1997 Schritt wird die Definition eines Referenzzustandes 1998 1999

12 (Leitbild) sein, mit dessen Hilfe die Strukturgüte- kartierung den künftigen Handlungsbedarf auf- 10 zeigen wird.

8

6 Literatur 4 KAISER A., (1993): Zur Geschichte der Ems – Natur und Ausbau. Veröffentlichungen aus dem Kreisarchiv Gütersloh, 177 S.. 2 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens KREIS GÜTERSLOH (1999): Konzept zur naturnahen Entwicklung 0 der Ems in Gütersloh. Juli Juli Juli Juli Mai Mai Mai Juni Juni Juni April April April April März März März März März August August August August Oktober Oktober Oktober LOZAN, J. L. & KAUSCH, H. (Hrsg.) (1996): Warnsignale aus September September September September Flüssen und Ästuaren. Berlin: Parey, 389 S.. Abb. 5: Chlorophyll a-Gehalte (µg/l) der Ems LUA (1997): Gewässergütebericht 1996 – Auswertung des Trend- (1997 – 1999) an der Kreisgrenze Waren- messprogramms 1990 – 1995. Essen: Eigenverlag Landes- umweltamt NRW, 92 S.. dorf-Gütersloh (blau) und der Landes- LUA (1995): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnenge- grenze NRW-Niedersachsen (grün), sowie wässer vor gefährlichen Stoffen. Materialien Nr. 19, Eigen- die mittlere Tagessonnenscheindauer verlag Landesumweltamt NRW, 150 S.. (h/d) (rot) MAUCH, E. (1998): Kartierung der Trophie von Fließgewässern in Bayern. Münchner Beiträge zur Abwasser-, Fischerei- und Flussbiologie 51; S. 412-434.

SCHMOLL; O.; BEHRENDT, H.; HUBER, P.; LEY, M.; OPITZ, D.; SCHOLZ, Als ein wichtiger, das Pflanzenwachstum bestim- G.; & UEBE, R. (1999): Nährstoffbilanzierung der Flussgebiete Deutschlands – Einträge aus Kläranlagen und von urbanen mender Faktor wurde die Tagessonnenscheindauer Flächen. Vortrag Jahrestagung 1999 der deutschen Gesell- mit aufgetragen. An der Messstelle Ems „Neue schaft f. Limnologie 27.9. – 1.10.1999, Rostock.

Mühle“ (E 20) zwischen Warendorf und Harsewinkel SCHMOLL; O.; BEHRENDT, H.; HUBER, P.; LEY, M.; OPITZ, D.; SCHOLZ, wurden 1997 Chlorophyllgehalte unter 20 µg/l G.; & UEBE, R. (1999): Nährstoffbilanzierung der Flussgebiete Deutschlands - Diffuse Einträge über die unterirdischen festgestellt, in Rheine (E1a) wurden Gehalte bis Pfade Dränage und Grundwasser. Vortrag Jahrestagung 230 µg/l gemessen. Wenn man diese Unter- 1999 der deutschen Gesellschaft f. Limnologie 27.9.- 1.10.1999, Rostock. suchungsergebnisse in das vorläufige Klassifi- WENDLAND, F. (HRSG.) (1993): Atlas zum Nitratstrom der kationssystem der Gewässertrophie (MAUCH 1998) Bundesrepublik Deutschland. Berlin, Heidelberg, New York, einordnet, wurde aus einer geringen bis mäßigen London, Paris, Tokyo, Hong Kong, Barcelona, Budapest: Springer. 96 S.. Belastung beim Eintritt der Ems in den Dienstbezirk des StUA Münster eine starke Belastung an der nordrhein-westfälisch niedersächsischen Landes- grenze bei Rheine. In den Jahren 1998 und 1999 wurden geringere Chlorophyll a-Gehalte festgestellt. Trotzdem ist die Ems als eutrophes Gewässer anzusehen. Als Ursachen der hohen Trophie sind neben der Belastung mit Pflanzennährstoffen die beschriebenen Mängel der Gewässermorphologie anzusehen.

183 Werse

3.3.2 Die Werse

Wechselwirkungen zwischen Abwasserreinigung und Gewässergüteentwicklung in den letzten 30 Jahren

Einführung In der Pressemitteilung zur Vorstellung des Güte- berichts 1978/79 des damaligen StAWA Münster hieß es: „Die Werse, das derzeit am stärksten be- lastete Gewässer im Münsterland, zeigt wie in den vorangegangenen Jahren an den Kontrollstellen (Probestellen Anm. d. Verf.) starke bis stärkste Be- lastungsverhältnisse. An keiner der untersuchten Entnahmestellen kam es zu einer Erholung des Gewässers.“ Einleitungen ungeklärten Abwassers, überlastete Kläranlagen und eine teilweise unter- dimensionierte Kanalisation führten zu dieser, vor allem für die Wasserwirtschaft, vernichtenden Ein- schätzung. Waren in anderen nordrhein-west- fälischen Einzugsgebieten in den 70er Jahren auf- grund der Anstrengungen bei der Abwasserbe- seitigung bereits deutliche Verbesserungen der Gewässergüte erkennbar, musste im hier betrach- ten Einzugsgebiet die Talsohle Anfang der 80er Abb. 2: Unterlauf der Werse in Bei Münster Jahre erst noch durchschritten werden. Innerhalb der Münsterländischen Tieflandbucht fließt die Werse von Beckum aus zunächst in west- Das Einzugsgebiet licher, dann in nördlicher Richtung durch Ahlen, Drensteinfurt und Albersloh in das Stadtgebiet von Ihren Ursprung nimmt die Werse in mehreren Münster, bevor sie nordöstlich von Münster in die Quellbächen der Beckumer Mulde, die sich im Ems mündet. Stadtgebiet von Beckum zur Werse vereinigen. Ihre Gesamtfließstrecke beträgt rd. 66 km. Das oberirdische Einzugsgebiet der Werse hat eine Größe von 762 km². Ab Beckum wurde die Werse auf ca. 42 km Länge in den 70er Jahren ausgebaut (Abb. 1). Diese Maßnahme sollte, neben dem Hochwasserschutz, auf den zur Staunässe neigen- den Böden der Werse-Aue eine intensive Landwirt- schaft ermöglichen. Im Unterlauf der Werse, auf Münsteraner Stadtgebiet, sind Profil und Ufer als weitgehend natürlich anzusehen (Abb. 2), allerdings wird der Abfluss durch mehrere Mühlenstaue unterbrochen. Der Rückstau, den die Wehre der Pleister-, Sud- und Havichhorster Mühle verursachen, gibt dem Fluss das Gepräge eines träge fließenden Wasserlaufs. Mit Teileinzugsgebieten von 138 km² und 195 km² sind der Emmerbach (linksseitig) und die Angel Abb. 1: Oberlauf der Werse in Beckum (rechtsseitig) die wichtigsten Nebengewässer.

184 Gesamtlänge 66 km

Angel

Ahlen <0,2 5 - 10 m³/s 1 - 5 m³/s 1 - 0,2 m³/s m³/s Ems Drensteinfurt Beckum Münster Emmerbach

1969 / 1970 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

1979 / 1980

1989 / 1990

1999

Gewässergüteklassen Legende:

5 km

IV III-IV III II-III II I-II I

Abb. 3: Gewässergüteentwicklung der Werse von 1969 bis 1999

185 Etwa 70 % des Einzugsgebietes (ca. 530 km²) Auch im Oberlauf des Emmerbaches fanden sich werden landwirtschaftlich genutzt, wobei sich die Belastungsschwerpunkte (Güteklasse III) unterhalb Anteile der ackerbaulichen Flächen und Gründland- der Kläranlagen Ascheberg und Davensberg. Der flächen etwa wie 2 zu 1 (ca. 352 km² zu 176 km²) Oberlauf der Angel ist genauso wie ihre Neben- verteilen. Mit knapp 10 %, zumeist kleinparzelligen gewässer im Bereich der Gemeinden Neubeckum, Waldflächen ist das Einzugsgebiet der Werse wald- Enniger und Ennigerloh sehr stark verschmutzt arm. (III-IV). Aber im Verlauf von Werse, Angel und Emmerbach fanden sich immerhin noch ausge- Die Wasserführung der Werse und ihrer Nebenläufe dehnte Fließgewässerabschnitte, die Güteklasse II ist durch erhebliche Schwankungen zwischen bzw. II-III aufwiesen. Die Selbstreinigungsfähigkeit Niedrigwasser und Hochwasser gekennzeichnet. In der Gewässer war also noch in der Lage, zumindest der Sommerzeit ist die Wasserführung sehr gering, nach längeren Fließstrecken, die Abwasserbe- sie stammt weitgehend aus den Kläranlagenab- lastungen der Siedlungen und Industrien abzu- läufen. So „entspringt“ die Werse im Sommer in der bauen. Kläranlage Beckum. Ähnliche Verhältnisse finden sich am Emmerbach. Lediglich der Emmerbach konnte sich durch Einleitungen aus Hiltrup und Münsters Süden vor Darstellung der Gewässergüteverhältnisse Einmündung in die Werse nicht mehr über die Güteklasse III hinaus erholen. 1969 – 1999 Im Stadtgebiet Münsters, vor der Einmündung in die In den 60er und 70er Jahren zeigten die Unter- Ems, verschlechterte sich der Gütezustand der suchungen der Werse überwiegend schlechte Ge- Werse wieder in die Güteklasse III (stark ver- wässergüteverhältnisse auf und sie wurde auf schmutzt). Ende der 60er Jahre wurde ein Abwas- weiten Strecken mit „stark verschmutzt“ bis hin zu sersammler entlang von Werse und Emmerbach bis „übermäßig verschmutzt“ beurteilt (Gewässergüte- zur Ems geplant, da die Gewässerverschmutzung klassen III, III-IV, IV) (Abb. 3). scheinbar nicht anders in den Griff zu bekommen Heute hat sich der Gütezustand der Werse im ge- war. Angesichts der Funktion der Werse für die samten Lauf in die Gewässergüteklasse II-III Naherholung war der politische Wille zu dieser (kritisch belastet) – streckenweise Güteklasse II – Lösung vorhanden, die Umsetzung scheiterte verbessert. Die Folgen hoher Nährstoffbelastungen jedoch an den hohen Kosten. sind aber unübersehbar. Verkrautung, Massenent- wicklung von Algen, geringe Artenvielfalt wasserbe- Neben Abwassereinleitungen waren die bereits wohnender Lebewesen, Schlammablagerungen oben erwähnten Mühlenstaue an dieser Entwicklung und in der Vergangenheit häufig auch Fischsterben beteiligt. Durch die Verringerung der Fließge- kennzeichnen diesen nach wie vor beeinträchtigten schwindigkeit tritt hier eine erhebliche Sekundär- Fluss. Die Entwicklung der Gewässergüte soll im verschmutzung durch die Algenproduktion ein, folgenden nachgezeichnet werden. daneben setzen sich hier große Mengen an Feststoffen ab. Die damaligen Zustände lassen sich am Beispiel eines Untersuchungsprotokolls der 60er/70er Jahre biologischen Gewässeruntersuchungen aus dem Jahre 1969 erahnen: Hier wurde die Farbe des Auf den Gütekarten, die Ende der 60er Jahre Wersewassers bei der Pleistermühle in Münster als (Abb. 4) gezeichnet wurden, dominiert die Farbe grau-braun, der Geruch als dumpfig und nach gelb (Güteklasse III) den Ober- und Mittellauf der Schwefelwasserstoff bei starker Trübung beschrie- Werse. Lediglich im Stadtgebiet Beckum wurden ben. Im Bemerkungsfeld desselben Protokolls sind noch schlechtere Güteverhältnisse bis hin zu Algenfäden, Detergentienschaum und etwa 100 tote Güteklasse IV angezeigt. Im Gewässergütebericht Weissfische vermerkt. von 1966 hieß es zur Begründung: „Bei Beckum und Ahlen sind hierfür weniger die zufriedenstellend 10 Jahre später, bei der Vorstellung des Gewässer- funktionierenden Kläranlagen als vielmehr nicht güteberichtes 79/80 durch das damalige Staatliche angeschlossene Abwassereinleitungen verantwort- Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft (StAWA) lich“. Münster, waren gegenüber den oben beschriebe-

186 km > 200 5 - 10 1 - 5 0,2 - 1 10 - 50 50 - 200 < 0,2 N Kollenbach Sichenbach Merschbach Abfluss in qm / s 01 23 Hellbach Beckum Ennigerloh Geißlerbach Rattbach Namenloses Gewässer Neubeckum Angel Stand 1968 Stand Biesterbach unbelastet bis sehr gering belastet gering belastet mäßig belastet belastet kritisch stark verschmutzt sehr stark verschmutzt übermäßig verschmutzt TROCKEN IV II III I Hellbach - - II - IV III I Wieninger Bach II III Güteklassen: Enniger Sudbach Elkerbach Schlingenbach Angel Vossbach Olfe I Olfe Vorhelm Landwehrgraben Hoetmar Ohrbach Trendmessstelle Basismessstelle Ahlen Legende: Werse, Emmerbach, Angel und Nebengewässer Emmerbach, Werse, Tönnishäuschen Olfe II Olfe Wieninger Bach 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Angel Vossbach Everswinkel Nienholtbach Werse Kälberbach Piepenbach Sendenhorst Angel Alverskirchen Walstedde alte Angel alte Erlebach Alsterbach (Helmbach) Albersloh Ahrenhorster Bach Ahrenhorster Bach Piepenbach Westerbach Kreuzbach Werse Wolbeck Handorf Umlaufbach Angel Drensteinfurt Namenl. Gewässer Namenl. Rinkerode Werseb. Gelmer Herberner Dorfbach Sudmühle St. Mauritz St. Angelmodde Edelbach Honebach Emmagraben Erdelbach Pleistermühlenb. Flaggenbach Herbern Coerde Hiltrup Loddenbach Münster Kleibach Emmerbach Ascheberg Amelsbüren Bakenfelder Bach Bakenfelder Kinderhaus Getterbach Davensberg Gievenbeck Namenl. Gewässer Namenl. Mecklenbeck Bönnewegbach

Abb. 4: Gewässergüte des Werseeinzugsgebietes (1968)

187 nen Zuständen weitere Verschlechterungen einge- Güteklasse II-III mit Tendenzen zur Güteklasse II. treten (s. Zitat in der Einleitung). Die Werse musste Hier wie auch im Einzugsgebiet der Angel wurden mittlerweile im gesamten Fließverlauf in die von Seiten der Kläranlagenbetreiber starke Anstren- Güteklasse III und schlechter eingestuft werden. gungen unternommen, den Zustand der Gewässer Unterhalb der Städte Ahlen und Beckum wurde gar zu sanieren. Trotzdem musste die Angel im Oberlauf Güteklasse IV festgestellt. Die 1979 erweiterte 1985 noch als sehr stark bis stark verschmutzt Kläranlage Ahlen funktionierte noch nicht zufrieden- (III, III-IV) eingestuft werden. Als eine Ursache wurde stellend. Im Unterlauf gab es keine Abschnitte mehr, neben der nach wie vor unzureichenden Behand- in denen sich das Gewässer wieder erholte. Ursache lung von Schmutz- und Regenwasser der, vor allem war aus damaliger Sicht die Einleitung ungeklärten in den Sommermonaten, sehr geringe Abfluss ange- Abwassers durch Anlieger. Aus heutiger Sicht hat sehen. Im weiteren Verlauf erholte sich die Angel in auch der in den 70er Jahren forcierte Gewässeraus- Güteklasse II-III, um unmittelbar vor Einmündung in bau zu dieser Entwicklung beigetragen. Die Selbst- die Werse mit einer artenreichen Lebensgemein- reinigungskraft des Gewässers wurde durch die schaft wieder Güteklasse II zu erreichen. Laufverkürzung, das Normprofil und die mangelnde Beschattung eingeschränkt. Lediglich oberhalb von Beckum waren die Quellbäche von diesen Ver- 90er Jahre schlechterungen der Gewässerstruktur weitgehend verschont geblieben. Effekte durch die zwischenzeitlich erweiterten bzw. neu gebauten Abwasserbehandlungsanlagen zeig- Ähnlich wie die Werse selbst wurde auch die Angel ten sich in der Gütekarte 1990. Nur die Oberläufe bereits im Oberlauf als sehr stark verschmutzter der Angel und einiger Seitengewässer waren noch Wasserlauf (III) beschrieben, in dem nur Abwasser- in Güteklasse III-IV oder III eingestuft, ansonsten organismen gedeihen konnten. Im Gegensatz zur präsentierte sich das Werseeinzugsgebiet zum Werse konnte sie sich aber bis zur Einmündung ins ersten Mal seit Beginn der amtlichen Gewässer- Hauptgewässer noch in die Güteklasse II-III ver- güteüberwachung in den 60er Jahren in Güteklasse bessern. II-III bzw. II. Die Besiedlung mit Fließgewässer- Im Unterlauf wurde der Emmerbach durch ver- organismen weist seit Mitte der 90er Jahre deutliche schiedene Einleitungen erheblich beeinträchtigt. Der Tendenzen zu Güteklasse II auf, allerdings kann Emmerbach mündete als stark belastetes (IV) eine verbesserte Einstufung aufgrund der (zu) Gewässer in die Werse. hohen Nährstoffbelastungen und der resultierenden Eutrophierungserscheinungen 1999 nicht durch- gehend vorgenommen werden. Insbesondere im 80er Jahre Abschnitt zwischen Ahlen und Drensteinfurt treten zeitweise Massenentwicklungen fädiger Grünalgen Vor allem die großen Anstrengungen für den Bau auf, die mit regelrechten Algenfangzäunen am von Kläranlagen führten in den 80er Jahren im Erreichen der Stauhaltung Drensteinfurt gehindert Oberlauf der Werse (oberhalb Ahlen) zu einer Ver- werden, so dass hier die Güteklasse II-III bestehen besserung in die Güteklasse III-IV. Zwischen Ahlen bleibt. und Drensteinfurt wurde Güteklasse III ermittelt. Zum ersten Mal seit 15 Jahren erlaubten es die 1999 können Abschnitte des Emmerbaches Untersuchungsergebnisse, die Werse etwa ab erstmalig in die Güteklasse II eingestuft werden Drensteinfurt im Mittellauf in die Güteklasse II-III ein- (Abb. 5), auch in der Angel sind weitere Verbes- zustufen. Lediglich im Stadtgebiet Münsters waren serungen der Gewässergüte hin zu Güteklasse II noch kurze Abschnitte in Güteklasse III eingestuft, festzustellen. Im Stadtgebiet von Beckum, oberhalb diese waren aber auf die Stauhaltungen der Mühlen der Kläranlage, muss 1999 wieder Güteklasse III beschränkt. Übermäßig verschmutzte Abschnitte vergeben werden. Diese Verschlechterung resultiert (IV) kommen etwa seit 1985 in der Werse nicht mehr aus einem schleichenden Verlust an Indikatorarten, vor. dessen Ursache bisher unklar ist. Auch am Emmerbach konstatierten die Güte- berichte aus dieser Zeit Verbesserungen zur

188 3 km > 200 5 - 10 1 - 5 0,2 - 1 10 - 50 50 - 200 < 0,2 N Kollenbach Sichenbach A9b Merschbach Abfluss in qm / s WS1 A9a 01 2 Hellbach AH5 Beckum W18 W17 A8 Ennigerloh AMe1 Geißlerbach AH4a A7 WRa1 AHG2 KA Fa. Eternit Fa. KA Rattbach KA Ennigerloh KA AB2 Namenloses Gewässer AH3 Neubeckum AV4 W14 KA Beckum KA AH2 ABNG1 Stand 1999 Stand AHG1 Angel AB1 AHNG0 Biesterbach W13 KA Neubeckum KA AHGNG1b WNG1 AHGNG1a unbelastet bis sehr gering belastet gering belastet mäßig belastet belastet kritisch stark verschmutzt sehr stark verschmutzt übermäßig verschmutzt TROCKEN IV Hellbach III II I - II - - III IV A7a I II III AH1b AV3a Wieninger Bach Güteklassen: AHNG2 Enniger AHNG1 Sudbach AH1a AV3 Elkerbach Schlingenbach Angel AWS1 Vossbach Olfe I Olfe AH1c Vorhelm Landwehrgraben AV2 A6b AH1 AW4 WEk1 Hoetmar KA Hoetmar KA Ohrbach W12 Übersichtskarte mit Gewässergüte, Kläranlagen und Messstellen mit Gewässergüte, Übersichtskarte Basismessstelle Trendmessstelle Ahlen A6 Kläranlage: Tönnishäuschen Legende: AW3 WLa1 Werse, Emmerbach, Angel und Nebengewässer Emmerbach, Werse, AVO1 AW2 WOI1 KA Ahlen KA Olfe II Olfe Wieninger Bach AV1 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Angel AN1 Vossbach WOII1 WKae1 W11a Everswinkel AWNG1 W10 Nienholtbach AV0 A5 AW1 Werse A4 Kälberbach Piepenbach Sendenhorst WAA2 Angel AP2 Alverskirchen KA Sendenhorst KA Walstedde A4a alte Angel alte WAA1 W9 A3 Westerbach Erlebach WEl2 Alsterbach (Helmbach) Albersloh Ahrenhorster Bach Ahrenhorster Bach WA1 WKr2 Piepenbach WEl1 WA2 W8b W7b W6 AP1 WW1 W8 Kreuzbach Werse Wolbeck W7 Handorf KA Drensteinfurt W3a Umlaufbach WKr1 W5 WFE1 Angel W2b W5a W3 WF1 A1 Drensteinfurt W4a KAMS Handorf - Mariendorf KAMS WLo1 W2 WU1 KA Albersloh KA WE1 WPl1 WEr1 W1 Namenl. Gewässer Namenl. WWe1 KA Herbern KA WF2 WNG2 W4 WLo2 KA Drensteinfurt - KA Rinkerode WEd1a Rinkerode WEH2 WH1 WE1b WF3 Edelbach Werseb. Gelmer Herberner Dorfbach Sudmühle Angelmodde Honebach St. Mauritz St. WEH1a KA Fa. BASF Fa. KA KA MS Loddenbach KA Emmagraben Erdelbach WE1a Pleistermühlenb. WEBa1 Flaggenbach WEHNG1 Herbern WE8 WE6b Coerde Hiltrup KA Ascheberg KA WE10 Loddenbach WE2 WE9 KA MS Hiltrup KA WE6a WE3a Kleibach Münster WEGK1 Emmerbach Ascheberg WENG1 WE5 Amelsbüren WEG2 WEG1 WE4 KA MS Geist KA Bakenfelder Bach Bakenfelder WEGNG1 WEG3 Kinderhaus Getterbach Davensberg Gievenbeck WEBö1 WE3 WEBö2 Namenl. Gewässer Namenl. Mecklenbeck Bönnewegbach

Abb. 5: Gewässergüte des Werseeinzugsgebietes (1999)

189 Geschichte der Abwasserreinigung Die Angel, das größte Nebengewässer der Werse, 1969 – 1999 befand sich durch die Abläufe der Kläranlagen Neubeckum, Ennigerloh, Tönnishäuschen sowie 1969 existierten im Einzugsgebiet der Werse 34 über die in Nebengewässer einmündenden Klär- kommunale und 3 Industriekläranlagen, an die von anlagen von Hoetmar und Alverskirchen bereits im den ca. 200.000 Einwohnern des Plangebiets Oberlauf im Zustand sehr starker Verschmutzung 157.425 angeschlossen waren. Die Kläranlagen (III-IV). waren zum größten Teil in den 60er Jahren errichtet worden, stellten also den damaligen Stand der Technik dar. Der verhältnismäßig hohe Anschluss- 80er Jahre grad von etwa 70 % erscheint aus heutiger Sicht als möglicherweise zu optimistisch gerechnet. Im Bereits oberhalb der Kläranlage Beckum musste in Landkreis Münster, einem Teil des Werseeinzug- der Werse 1980 Güteklasse III festgestellt werden. gebietes, waren 1962 98.169 Einwohner gemeldet. Die Einleitung der Kläranlage Beckum verschlech- An Kläranlagen angeschlossen waren aber nur gut tert sie nach Gewässergüteklasse IV. Auch die ein Fünftel, nämlich 20.509 Menschen. inzwischen erweiterte Kläranlage Ahlen bringt zu dieser Zeit noch keine spürbare Entlastung. Eine Auch eine Bemerkung aus dem Gütebericht 1966 Ursache für die unzureichend funktionierenden weist in diese Richtung: „Es wurde festgestellt, dass Kläranlagen im Einzugsgebiet der Werse war die trotz gut wirkender Kläranlagen unterhalb von nicht vorhandene Vorbehandlung industrieller Ortschaften unverständlich hohe Abwasserbe- Abwässer. Biologisch nicht abbaubare und toxische lastungen auftreten, die offensichtlich durch Abwas- Substanzen schädigten die biologische Reinigungs- sereinleitungen unter Umgehung der Kläranlage stufe der Kläranlagen mehr oder weniger regel- verursacht werden.“ Die Entwicklung der Abwasser- mäßig, so dass kein ordnungsgemäßer Betrieb der reinigung im Einzugsgebiet der Werse soll im Kläranlagen möglich war. Vorbehandlungsanlagen folgenden nachgezeichnet werden. für diese Inhaltsstoffe von Gewerbeabwässern wurden auf Betreiben der zuständigen Behörden StAWA Münster und Kreis Warendorf in einen 60er/70er Jahre betriebstüchtigen Zustand versetzt bzw. überhaupt erst geschaffen. Endgültig Abhilfe brachte die Die oben zitierte gute Wirkung der Kläranlagen Indirekteinleiterverordnung 1989, in der die Vorbe- muss nach heutigen Maßstäben zumindest mit handlung derartiger Abwässer zur verbindlichen einem Fragezeichen versehen werden, wenn man Auflage gemacht wurde. den Gütebericht 69/70 liest. Unterhalb der Klär- Mit Verbesserungen für die Werse wurde erst für die anlage Beckum wurden in der Werse damals Mitte der 80er Jahre gerechnet, es waren Neu- Ammoniumgehalte bis 20 mg/l gemessen. Im bauten/Erweiterungen der Kläranlagen in Beckum, Stadtgebiet von Ahlen trat bereits eine Gütever- Ahlen, Drensteinfurt, Sendenhorst und Münster- schlechterung um eine Stufe ein. Gelegentlich im Mariendorf geplant. Jetzt erreichte auch die Stadtgebiet zu beobachtende Schaumberge, ver- Kläranlage Ahlen ihre volle Leistungsfähigkeit und ursacht durch Detergentien aus Waschmitteln, zusammen mit der Inbetriebnahme der KA Beckum machten die Beeinträchtigungen im Stadtgebiet II im Jahre 1985 konnte bis Ahlen eine Verbesse- unübersehbar. Unterhalb der Kläranlage trat eine rung (Güteklasse III-IV) festgestellt werden. Die weitere erhebliche Verschlechterung der Wasser- Erweiterung der Kläranlage Drensteinfurt ging 1984 qualität ein, die sich schon äußerlich durch einen in Betrieb, als direkte Folge der resultierenden „jauchig-muffigen Geruch“ feststellen ließ. Verbesserung konnte ab hier flussabwärts die Durch die Einleitungen der Kläranlagen in Asche- Güteklasse II-III vergeben werden. Darüber hinaus berg, Amelsbüren und Hiltrup (West) sowie durch haben die Sanierungsmaßnahmen an der Misch- die in den Getterbach einleitende Kläranlage wasserkanalisation (einschl. Bau v. Regenbecken) Münster-Geist wurde der Emmerbach derartig stark in Beckum zu Verbesserungen geführt, die sich bis belastet, dass er die Werse im Zustand übermäßi- 1990 als Verbesserung hin zu Güteklasse II-III für ger Verschmutzung erreichte (IV). den gesamten Verlauf der Werse manifestiert

190 haben. Neben oben bereits beschriebenen Effekten Ausbau der Kläranlage Neubeckum im Einzugs- der Stauhaltungen in Münster leiteten damals zwei gebiet der Angel, der zu einer wesentlichen kleinere Kläranlagen unmittelbar in den Rückstau Entlastung dieses Gewässers (Güteklasse II-III) der Wehre ein und verschärften so die ohnehin geführt hat. Die Nitratbelastung in der Angel unter- kritische Belastungssituation. halb der Kläranlage hat sich in etwa halbiert, die Phosphorbelastung ging auf etwa 1/5 des Wertes Die Angel war oberhalb der Kläranlage Neubeckum zurück, der in den 80er Jahren gemessen wurde. chemisch und biologisch in gutem Zustand. Im Angeleinzugsgebiet wurden darüber hinaus in Unterhalb dieser hydraulisch in der Regel überlaste- den 90er Jahren vier Tropfkörperanlagen (Hoetmar, ten Kläranlage, musste eine Verschlechterung hin Enniger, Alverskirchen, Tönnishäuschen) ge- zu alpha-meso/polysaproben Verhältnissen (III-IV) schlossen sowie eine Einleitung ungeklärten Ab- festgestellt werden. Im Angeleinzugsgebiet waren wassers über einen sogenannten Bürgermeister- Ende der 70er Jahre die Erweiterungen der kanal saniert. Kläranlagen Ennigerloh, Neubeckum und Enniger geplant. Neben dem Bau von Kläranlagen und Die folgende Tabelle 1 stellt einige wichtige Daten Regenbecken wurden im Gütebericht 1980 für der Kläranlagen im Einzugsgebiet der Werse dieses Einzugsgebiet auch flankierende Maß- gegenüber. nahmen zur Verbesserung der Kanalisation ge- fordert. Tab. 1: Wichtige Kennzahlen der Kläranlagen im Einzugsgebiet der Werse Auch für den Getterbach, ein stark belastetes 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Seitengewässer des Emmerbaches, sollte durch die 1969 1999 Verdoppelung der Leistungsfähigkeit der KA Kommunale Kläranlagen 34 19 Münster-Geist von 10.000 EGW auf 21.000 EGW, Industriekläranlagen 3 2 die in den 80er Jahren geplant wurde, eine nach- haltige Verbesserung des Gewässerzustandes Ausbaugröße gesamt [EGW] 182.416 455.750 erreicht werden. angeschl. Einwohner [EW] 157.425 195.214 Zum Ende der 80er Jahre wurde versucht, die angeschl. Einwohner Mittelwert 4.630 10.276 Konflikte zwischen Gewässerschutz und zunehmen- Trockenwetterzufluss den Nutzungsansprüchen durch einen Bewirt- Mittelwert [m³/h] 1.779 5.804 schaftungsplan zu verringern. Die Bewirtschaftungs- planung musste letztendlich wegen der Schwierig- keiten bei der Durchsetzung der Maßnahmen auf- Augenfällig ist die erhebliche Erweiterung der gegeben werden. Insbesondere die Kläranlagen im Kläranlagenkapazität im Einzugsgebiet ausge- Plangebiet standen aber nach wie vor im Verdacht, drückt in Einwohnergleichwerten. Bei um 20 % ge- je nach Standort und Größe verschieden starken stiegen Einwohnerzahlen ist die Kapazität der Einfluss auf die Belastungssituation der Werse zu Kläranlagen auf das 2,5-fache gestiegen. Der ver- nehmen. dreifachte Trockenwetterzufluss ist ein Zeichen für unzulässige Fremdwasserzutritte in die Kanalnetze. Diese, das Schmutzwasser verdünnenden Grund- 90er Jahre und Oberflächenwasseranteile werden künftig durch Auch in den 90er Jahren wurden erhebliche die Anwendung der Selbstüberwachungsverord- Anstrengungen unternommen, die 19 verbliebenen nung für die Kanalnetze (SüwVKan) sukzessive kommunalen und 2 Industriekläranlagen (Tab. 1) reduziert. Im Einzugsgebiet der Werse erfolgten an des Einzugsgebietes weiter auszubauen, um die fast allen Kläranlagen Maßnahmen zu einer weiter- Wasserqualität der Werse und ihrer Nebenge- gehenden Verbesserung der Qualität der Abläufe. wässer zu verbessern. Aus Mitteln der Abwasser- Sechs der zwölf Kläranlagen, die unmittelbar in die abgabe wurden seit 1989 12,6 Mio. DM an Werse einleiten, wurden in den 90er Jahren mit Zuschüssen zu Baumaßnahmen an Kläranlagen im Phosphor-Fällungen ausgestattet. Darüber hinaus Einzugsgebiet der Werse vom Land NRW gewährt. erfolgten weitere Verbesserungen der Betriebs- Größter Einzelposten war mit 11,7 Millionen der führung, insbesondere Maßnahmen zur Verbes-

191 serung der Denitrifikation. In Sendenhorst und bauliche Maßnahmen nur noch unter großen Beckum wurden außerdem umfangreiche Arbeiten Anstrengungen möglich zu sein. Die amtliche Über- zur Sanierung und Verbesserung des (Regen- wachung bewirkt, dass die Betreiber der Abwasser- wasser-) Kanalnetzes ausgeführt. Diesen baulichen behandlungsanlagen Vorsorge gegen Abweichun- Verbesserungen bei der Abwasserbeseitigung ist es gen vom Normalbetrieb mit den damit einhergehen- zuzurechnen, dass sich die Werse zum Ende der den Spitzenemissionen treffen. 90er Jahre wieder in die Güteklasse II und II-III ver- Weitere Verbesserungen der Gewässergüte werden bessern konnte. davon abhängig sein, dass der enge Zusammen- hang zwischen Fließgewässer und dem angrenzen- den Landschaftsraum künftig mehr Beachtung Ausblick findet. Wo immer dies möglich ist, sollte die Aue in die Entwicklung der Gewässer mit einbezogen Eine weitere Güteverbesserung bedarf zunächst werden. Dies wird beispielsweise bei aktuellen einer Herabsetzung der Nährstoffbelastung ins- Planungen auf dem Stadtgebiet von Beckum besondere der Kenngrößen Stickstoff (Nitrat, berücksichtigt. Auch die Durchgängigkeit der Ammonium) und Phosphor. Hier sind heutzutage Gewässer für wandernde Organismen ist zu beach- vor allem Fortschritte bei Minderungsmaßnahmen ten. Die an der Werse gelegenen Städte und auf der Seite der diffusen Einträge gefragt. Gemeinden Beckum, Ahlen, Sendenhorst und Verschiedene Auswertungen des StUA Münster Drensteinfurt planen derzeit Maßnahmen um die haben gezeigt, dass die Nitratfracht des Werse- Wanderung der Organismen über Stauanlagen einzuggebietes in erheblichem Maße aus den hinweg sicherzustellen. diffusen, flächenhaften Einträgen stammt. Es ist bekannt, dass überhöhte Nitratgehalte in Gewäs- Die Erhebung der Gewässerstrukturgüte zeigt die sern vor allem dort zu finden sind, wo die Nitrat- aktuellen Defizite der Gewässer im Bereich der überschüsse der Landwirtschaft am höchsten Morphologie und des Gewässerumlandes auf. ausfallen. Allein die mit ergiebigen Regenfällen Durch die Veröffentlichung der landesweiten verbundenen Hochwässer im Winter 1998/99 haben Gewässerstrukturgütekarte, für die derzeit die rechnerisch im Einzugsgebiet der Werse zu Datenerhebung läuft, wird hier konkreter Hand- Nitratausträgen von ca. 50 kg/ha geführt. lungsbedarf noch offensichtlicher werden. Dagegen scheinen bei den sogenannten Punkt- quellen weitere Verringerungen der Einträge durch

192 Ibbenbürener Aa

3.3.3 Ibbenbürener Aa

Darstellung des Einzugsgebietes bau durch die Übernahme der damaligen Preussag im Jahre 1924 eine bis heute anhaltende Moder- Die im Oberlauf Ledder Mühlenbach, im Unterlauf nisierung und Mechanisierung. Die Steinkohle- Hörsteler und Speller Aa genannte Ibbenbürener Aa förderung in Ibbenbüren ist, verglichen mit anderen entspringt am Nordrand des Teutoburger Waldes in deutschen Steinkohlenrevieren durch die höchsten ca. 110 m über N.N.. Nur im Oberlauf befinden sich Grubenwasserzuflüsse gekennzeichnet (BÄSSLER noch naturnahe Fließstrecken, der Mittel- und 1970, zit. n. KASCHEK & ASCHEMEYER 1992). Die teils Unterlauf ist fast durchgehend technisch ausgebaut. sauren, eisen- und sulfathaltigen, teils stark chlorid- Das mit geringem Gefälle fließende Gewässer wird haltigen Grubenwässer werden nach der Neutrali- in der Stadt Ibbenbüren zum Aasee aufgestaut. sation und chemischen Fällung des enthaltenen Staustufen und Sohlabstürze, insbesondere der Eisens in die Ibbenbürener Aa eingeleitet. Durch 1,5 m hohe Überlauf des Aasees stellen für Gewäs- den Zufluss von etwa 0,4 m³/s Grubenwasser serorganismen unüberwindliche Wanderungshinder- wird der Abfluss der Ibbenbürener Aa (Jahresmittel nisse dar (Abb. 1). Nach 40 km Fließstrecke erreicht 1,78 m³/s) stark erhöht. die Aa die Landesgrenze nach Niedersachsen, wo sie nach einer Gesamtfließstrecke von 61 km bei Das Grubenwasser des im Abbau befindlichen Ost- Hanekenfähr in die Ems mündet. feldes weist Chloridkonzentrationen von durch- schnittlich 16.000 mg/l auf, wobei es sich um reines 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Kochsalz handelt. Ebenfalls stark chloridhaltig sind die an gleicher Stelle befindlichen Einleitungen zweier chemischer Betriebe, des Kraftwerks Ibben- büren und des nicht mehr im Abbau befindlichen, vollgelaufenen Westfeldes. Im Vergleich zum Ost- feld sind die Frachten mit ca. 2 % der Tagesfracht von etwa 600 t aber zu vernachlässigen.

Gütezustand der Ibbenbürener Aa Der Chloridgehalt (Cl-) der Ibbenbürener Aa Abb. 1: Auslauf des Aasees wurde an der Trendmessstelle beim Pegel Hörstel (nordrhein-westfälische Landesgrenze) 1999 mit 7.611 mg/l (90 Perzentil) gemessen. Die Ibbenbüre- Spezielle Belastungen des Gewässer- ner Aa ist also als übermäßig chloridbelastet einzu- systems der Ibbenbürener Aa stufen (NWUA 1980). Bereits in der Gewässergüte- Neben den auch in der Ibbenbürener Aa vorhande- karte aus dem Jahr 1968 wurde der Ibbenbürener nen Nährstoffeinträgen vor allem aus Kläranlagen Aa unterhalb der Einleitung des Grubenwassers die und Landwirtschaft, gibt es im hier betrachteten Ein- Stufe stärkster Verschmutzung zugewiesen. Dies zugsgebiet weitere, für das Münsterland eher un- hat sich, wie die aktuelle Gewässergütekarte 1999 typische Belastungsquellen. (Abb. 2) mit Güteklasse III-IV zeigt, bis heute nicht geändert. Der horstartig ausgebildete Schafberg, auf dem die Stadt Ibbenbüren liegt, wurde tektonisch aus einer Die Flora und Fauna im Gewässer ist stark verän- Tiefe von ca. 2.000 m emporgedrückt. So gelangten dert. Lediglich einige salztolerante Arten finden sich Schichten aus dem Karbon bis unmittelbar unter die hier bei einem Salzgehalt der dem der mittleren Oberfläche, was seit dem 16. Jahrhundert zu einer Ostsee (Friedrich 1965) entspricht. Zu nennen sind bergbaulichen Nutzung der Erz- und Kohlelager- brackwassertolerante Pflanzenarten wie Meersalat stätten führte. Der Erzbergbau auf Raseneisenstein, (Ulva) der Darmtang (Enteromorpha intestinalis) Spateneisenstein, Zinkblende und Bleiglanz wurde oder das kammförmige Laichkraut (Potamogeton 1921 eingestellt, dagegen erfuhr der Steinkohleab- pectinatus). Auch Spirulina major, eine in salzhalti-

193 Spelle Ibbenbürener, Dreierwalder, Hörsteler Aa und Nebengewässer

Dreierwalder Aa Übersichtskarte mit Gewässergüte, Kläranlagen und Messstellen IB1b Stand 1999 I1 Legende: Güteklassen:

unbelastet bis sehr gering belastet Altenrheiner Basismessstelle Bruchgraben Trendmessstelle gering belastet < 0,2 0,2 - 1 Dreierwalde mäßig belastet 1 - 5 IB1a I2 KA Kläranlage: kritisch belastet 5 - 10 Dreierwalde IBo1 stark verschmutzt 10 - 50 Reekerbach I2a Bodelschwingh-Stollen 50 - 200 sehr stark verschmutzt > 200 Hörsteler Aa übermäßig verschmutzt Abfluss in qm / s

I3 IBä1 TROCKEN Poggenortgraben KA Bärenortsgraben Hörstel

Püsselbüren Ibbenbüren Ibbenbürener Aa Stollenbach (Westfeld) Jordanbach

Hörstel I4a KA Ibbenbüren-Püsselbüren I5 Preussag-Ostfeld I5a I6 Klosterbach

Fisbecker Forst Ibbenbürener Aa Alstedde I7 Aasee Laggenbecker Bevergern Mühlenbach I8 IL1 Laggenbeck Riesenbeck I9 Schulte-Brochterbeck N

Ibbenbürener Aa KA Ledde 0 1 2 3 km Schlichter- Birgte mann Wieck I11 Ledder Wellmeyer Schulte-I10 Mühlenbach Uebbing Harte Ledde Hüsing

Abb. 2: Gewässergüte der Ibbenbürener Aa (1999) Brochterbeck Tecklenburg gen Gewässern häufige Blaualge wurde hier gefun- den. Als salztolerante Vertreter der Fauna werden der getigerte Flohkrebs (Gammarus tigrinus) die Salzwasserzuckmücke (Chironomus sp., cf. halo- philus), die Salzwassergnitze (Bezzia sp., cf. bico- lor) und die Salzseefliege Ephydra sp. nachge- wiesen. Daneben finden sich auch noch weitere Arten wie der dreistachlige Stichling (Gasterosteus aculeatus) die durch ihre hocheffektive Osmore- gulation derartige Brackwasserbedingungen ver- kraften (HERHAUS 1983, zit. n. KASCHEK & ASCHE- MEYER 1992). Neben den extremen Salzgehalten sind in der Ibbenbürener Aa und ihren Zuflüssen auch erheb- liche, besiedlungsfeindliche Eisenhydroxidaus- fällungen (Abb. 3) zu beobachten. Diese sind zum überwiegenden Anteil geogenen Ursprungs. Aus den Raseneisenerzen wird unter reduzierenden Verhältnissen vom Grundwasser Eisen gelöst, sobald atmosphärischer Sauerstoff hinzutritt fällt Eisenhydroxid wieder aus. Diesen Zusammenhang Abb. 3: Eisenhydroxidausfällungen am Bärenorts- zeigt der mit den Eisengehalten der Ibbenbürener graben im Einzugsgebiet der Ibbenbürener Aa hochsignifikant korrelierte Grundwasserstand im Aa Einzugsgebiet. der quecksilberbelastete Abwässer aus der Chlor- Darüber hinaus ist das Sediment der Ibbenbürener alkali-Elektrolyse eingeleitet hat. In einem Wehr- Aa stark mit Schwermetallen belastet. Hauptverur- rückstau bei Dreierwalde wurde die durchschnitt- sacher war ein Betrieb der chemischen Industrie, liche Quecksilberbelastung des Sedimentes mit

194 35 mg/kg TS bestimmt. Dieser hoch belastete Literatur

Bereich wurde durch den Kreis Steinfurt inzwischen BÄSSLER, R. (1970): Hydrogeologische, chemische und Isotopen- erfolgreich saniert, indem das belastete Gewässer- Untersuchungen der Grubenwässer des Ibbenbürener Stein- kohlenreviers. Zeitschrift der dt. geol. Ges., Sonderheft sediment entnommen wurde. Hydrogeologie und Hydrochemie: 209-286.

FRIEDRICH, H. (1965): Meeresbiologie. Berlin: Gebr. Bornträger, 436 S..

Ausblick HERHAUS, K.F. (1983): Ökologische Untersuchungen an einem versalzten Fließgewässer (Ibbenbürener Aa - Dreierwalder Die Gewässergütesituation der Ibbenbürener Aa Aa - Speller Aa - Unterlauf der großen Aa) im Frühsommer wird vor allem durch die vom Bergbau verursachte 1982. Osnabrücker naturwissenschaftliche Mitteilungen 10: 71-95. extreme Belastung mit Salz geprägt. Technische KASCHEK, N. & ASCHEMEYER C. (1992): Gewässergütebericht der Lösungen zur Entsalzung der anfallenden Gruben- Stadt Ibbenbüren 1992/1993. Untersuchungsbericht im Auf- wässer sind zwar denkbar, erscheinen aber wegen trag der Stadt Ibbenbüren Bd. 2: 94 S.. des hohen Kosten- und Energieaufwandes weder NWUA (1980): Belastung der niedersächsischen Fließgewässer ökonomisch noch ökologisch sinnvoll. Eine denk- mit Chlorid. Niedersächsisches Wasseruntersuchungsamt Hildesheim. bare Alternative wäre die direkte Einleitung der Grubenwässer in die Ems, die die Salzfracht ohnehin aufnimmt. Wenn hier ein Salzgehalt von 400 mg/l ganzjährig eingehalten würde, was auf- grund der Abflussmengen durchaus realistisch 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens wäre, hielten sich die ökologischen Folgen der Salz- belastung in Grenzen.

195 196 Weser

3.4 Einzugsgebiet Weser

Dr. Norbert Kirchhoff (StUA Minden) 3.4.1 Die Weser, der Mensch und das Salz: Entwicklungsmöglichkeiten eines großen Fließgewässers in Deutschlands Mitte

Der Name Weser stammt vom lateinischen Die Weser entsteht heute bei Hannoversch-Münden Visurgis und dem altdeutschen Wisuracha und durch den Zusammenfluss der 292 km langen stand für Weser und Werra, die ursprünglich als ein Werra mit der 212 km langen Fulda. Sie wird unter- Fluss von etwa 760 km Länge angesehen wurden. teilt in die 198 km lange Oberweser (bis zum Durch- Neben der Ems ist die Weser der einzige Strom, der bruch durch das Weser/Wiehengebirge bei Porta nur auf deutschem Gebiet Westfalica), die 166 km lange Mittelweser (bis verläuft, was bedeutet, dass Bremen), die 65 km lange Unterweser (bis ins niemand anderes für den Wattenmeer) und die 35 km lange Außenweser Zustand dieses Flusses (bis ins offene Meer) (Abb. 1). verantwortlich gemacht Das Einzugsgebiet der Weser umfasst 46.306 km² werden kann. (davon 6.945 km² Fulda und 5.491 km² Werra) und ist damit größer als Dänemark (ca. 44.400 km²) oder die Schweiz (ca. 41.300 km²) und entspricht in 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens etwa einem Achtel der Fläche Deutschlands (356.904 km²). Der mittlere Abfluss (MQ) der Weser liegt im 10-jährigen Vergleich (1985-94) am Ende der Oberweser beim Pegel Porta bei 193 m³/s und am Ende der Mittelweser beim Pegel Intschede bei 334 m³/s. Die Weser ist eine Bundeswasser- straße mit ständigen Arbeiten zur Erhaltung und zum weiteren Ausbau der Schiffbarkeit. Während die Unter- und Mittel- weser bis zur Anbindung an den Mittellandkanal bei Minden für die Frachtschifffahrt genutzt wird und in den letzten Jahren verstärkt für den Verkehr mit dem sogenannten Europa- schiff und dem Groß- motorgüterschiff ausge- baut wurde, wird die Ober- weser im wesentlichen nur von den Touristik- schiffen der „Weißen Flotte“ befahren und dies auch nur auf einzelnen Teilstrecken während der Sommermonate. Abb. 1: Wesereinzugsgebiet mit Teileinzugsgebieten (aus: Arge Weser 1996)

197 Die Flusslandschaft der Weser unterlag seit dem Rückzug des Meeres aus diesem Gebiet vor etwa 30 Millionen Jahren einem ständigen natürlichen Wandel. Erst in den letzten 6000 Jahren befand sich das vom Menschen unbeeinflusste Längsprofil des Flusses ohne nennenswerte Tiefenerosion im Gleichgewicht. Im Gegensatz zu vielen Abschnitten des Oberweserlaufs, der schon frühzeitig zwischen den widerstandsfähigeren Gesteinen des mittleren Buntsandsteins und Muschelkalks weitgehend fest- gelegt worden war, pendelte der Fluss im mittleren und unteren Abschnitt infolge der Seitenerosion leb- haft in seiner Aue. Während somit das enge Tal der Oberweser vor allem durch Stromspaltungen, Kiesbänke und Hochflutrinnen gekennzeichnet war, wurde die Mittelweser in der breiten Talaue durch eine reiche Mäander- und Altarmbildung charakteri- siert. Seit jener Zeit erfolgten großräumige Veränderungen der Lebensgemeinschaften der Aue nicht in erster Linie durch die Ablagerungs- und Ausräumungsarbeit des Flusses, sondern als Reaktion auf Klimaschwankungen und natürliche Arealverschiebungen. Mit der Einwanderung der Buche nach Mitteleuropa in der jüngeren Stein- bis Bronzezeit um 2000 v. Chr. erhielt die Landschaft ihre charakteristische Prägung, die sich in wesent- lichen Zügen bis heute erhalten hätte, wenn nicht Abb. 2: Das Weser-Jade-Ästuar: Eintragspfad für der Mensch zwischenzeitlich zum bestimmenden die Nähr- und Schadstofffracht der Weser Landschaftsgestalter geworden wäre. in die Nordsee (BfG Koblenz, 1993)

Abb. 3: Oberweser oberhalb Schiffsanleger Fürstenberg

198 Homo sapiens als Leitart der Auenlandschaft tiefen Einschnitten in das Ökosystemgefüge des Flusses. Es verschwanden viele ursprünglich heimi- Die zunehmende Umwandlung der Naturlandschaft sche Tier- und Pflanzenarten aus dem Wesergebiet, in eine Kulturlandschaft durch den Menschen, die wie z. B. die Flussperlmuschel, das Flussneunauge, mit dem 5. Jahrhundert n. Chr. intensiv begann, der Lachs, die Meerforelle und weitere Fischarten. führte zunächst zu einer großflächigen Entwaldung Statt dessen wird die Lebensgemeinschaft der und einer damit verbundenen starken Auelehm- Weser durch anspruchslose Ubiquisten, Neozoen bildung. Aufgrund dieser einschneidenden Lebens- (z. B. der Schlickkrebs Gammarus tigrinus) und raumveränderungen und infolge einer verstärkten einige wenige Speisefischarten, insbesondere den Bejagung von Säugetieren (Ur, Wisent, Braunbär, Aal, repräsentiert. Letzterer muss wegen fehlender Biber, Fischotter) und Vogelarten (Fischadler, Wanderungsmöglichkeiten infolge der Barriere- Seeadler, Uhu) gingen viele der ursprünglichen Tier- wirkung der 8 Staustufen in der Weser regelmäßig und Pflanzenarten drastisch zurück oder starben künstlich eingebracht werden. aus. Später erfolgten weitere massive Eingriffe in den Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist die Flusslauf durch die Schifffahrt, die ab dem 12. Jahr- Weser, die durch den Zusammenfluss ihrer Quell- hundert zunächst als Flößerei begann und sich flüsse Werra und Fulda in Hannoversch-Münden dann als Treidelschifffahrt, bis zur heutigen entsteht, in einem traurigen strukturellen Zustand. Großschifffahrt entwickelte. Dies führte u. a. zu Das ehemals reich gegliederte Flusssystem, das einem Ausbau der Fahrrinne, zu einer über weite wie alle Ströme der europäischen Urlandschaft viel- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Strecken naturfernen Uferbefestigung, zu einem fach mit der umgebenden Flusslandschaft verknüpft erheblichen Wasserverlust von bis zu 17 m³/s durch war, ist weitgehend von seiner Aue abgeschnitten, in Einspeisung von Weserwasser in den Mittelland- ein künstliches Bett gepresst und zu einem kanal, zum Bau der Eder- und Diemeltalsperre degradierten Fließgerinne verkommen. Durch die mit dem Ziel der Sicherung des Schiffsverkehrs fortgesetzten Ausbau- und Unterhaltungsmaß- in Niedrigwasserperioden, zur Errichtung von nahmen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, 8 Weser-Staustufen, zum Bau von Schleusen- einer Bundesbehörde, wird dieser unbefriedigende kanälen und zu einer künstlichen Vertiefung und Zustand nicht nur beibehalten, sondern ständig wei- Gestaltung des Flusses zur Anpassung an immer ter verschlechtert. Die im Auftrag der ARGE-Weser größere Schiffseinheiten. 1998 erstellte Gewässerstrukturgütekarte weist die Weser als merklich bis stark geschädigt aus und stellt sie von Münden bis unterhalb von Bremen durchgehend als gelb und orange markiertes Band dar.

Auch die stofflichen Belastungen sind trotz aller Bemühungen der vergangenen Jahre noch hoch. Während jedoch die Verschmutzung mit leicht abbaubaren organischen Schadstoffen infolge des intensiven Ausbaus der meisten Kläranlagen im Wesereinzugsgebiet deutlich abgenommen hat und so der Sauerstoffhaushalt der Weser auf hohem Niveau stabilisiert werden konnte, treten andere gefährliche Schadstoffe (z. B. Pestizide, Arznei- Abb. 4: Mittellandkanal vor der Überquerung der mittel, endokrin wirkende Substanzen und weitere Weser in Minden, Blick nach Osten auf das Problemstoffe wie z. B. EDTA und Schwermetalle) in Wasserstraßenkreuz den Vordergrund.

Auch durch die zunehmende Einleitung von kom- Der Zufluss der Werre in Bad Oeynhausen stellt munalen und industriellen Abwässern, die intensive nach wie vor eine große Belastung für den Landwirtschaft und den Bau von Siedlungen und Stoffhaushalt der Weser dar. Die Werre nimmt einen Gewerbebetrieben in der Aue kam es zu weiteren Großteil der Abwässer aus den Haushalten sowie

199 aus den Gewerbe- und Industriebetrieben Ostwest- Weser mit bis zu 544 mg/l CSB, 7,5 mg/l Phosphat- falens auf. So leiten u.a. die Städte Horn-Bad P und 70 mg/l Ammonium-N belastete. Die KA Meinberg, Detmold, Lage, Bad Salzufflen, Bielefeld, Wehrden ist seit 1997 stillgelegt. Herford, Bünde, Kirchlengern, Löhne und Bad Oeynhausen ihre behandelten Abwässer über die Weitere Verschmutzungen erfolgten durch die KA Werre und die Weser in die Nordsee. Höxter, die bis zu 15 mg/l Ammonium-N in die

Abb. 5: Einmündung der Werre (am unteren Bildrand) in die Weser bei Bad Oeynhausen. Die rechte Weseraue wird nach erfolgter Auskiesung als Freizeitzentrum genutzt. Im Hintergrund das Wiehen- und Wesergebirge mit der Porta Westfalica.

Darüber hinaus leiten verschiedene kommunale und Weser einleitete, durch die KA Albaxen (seit Ende gewerbliche Kläranlagen (KA) ihre Abwässer direkt 97 stillgelegt), mit Ablaufwerten von bis zu 33 mg/l in die Weser ein. Hierdurch wird der Fluss teilweise Ammonium-N, 109 mg/l CSB und 62 mg/l anorg. N, erheblich belastet. Die folgenden Angaben beziehen durch die KA Möllbergen mit Ablaufwerten von bis sich nur auf nordrhein-westfälische Abwasserein- zu 16 mg/l Ammonium-N und die KA Varenholz, die leitungen im Überwachungszeitraum 1995 – 97. Die die Weser mit bis zu 33 mg/l anorg. N, 763 mg/l Belastungen aus den anderen Bundesländern Chlorid, 9 mg/l Ammonium-N und 2 mg/l Phosphat- sowie aus dem Harzbergbau werden hier nicht P belastete. berücksichtigt. Am Beginn der Mittelweser wurde der Fluss durch die Abwassereinleitung (bis zu 140 m³/h und bis zu So wurden 1995 an der Oberweser im Ablauf der 28,5°C warm) des Gemeinschaftskraftwerks Velt- Kläranlage des mittlerweile abgeschalteten KKW heim belastet, das die Weser mit Abwärme, Chlorid, Würgassen der Preussen Elektra 17,5 mg/l Ammo- Fluorid, Sulfat, AOX, CSB und mit verschiedenen nium gemessen. Der Ablauf der KA der Textilvered- Schwermetallen anreicherte. Die Temperatur- lungs-GmbH in Beverungen wies bis zu 152 mg/l differenz in der Weser oberhalb und unterhalb der CSB und bis zu 1,2 mg/l Kohlenwasserstoffe auf. Abwärmeeinleitung des Kraftwerkes Veltheim Weiter flussabwärts belastete die KA Beverungen betrug am 18.06.1996 mit 2,8 K zwar weniger als die Weser mit bis zu 102 mg/l CSB, 48 mg/l die maximal erlaubten 3 K, jedoch kann hieraus Ammonium-N, 67 mg/l anorg. N und 1,9 mg/l nicht unbedingt geschlossen werden, dass die Phosphat-P, gefolgt von der KA Wehrden, die die Temperaturvorgaben der EG-Fischgewässer-Richt-

200 linie (Differenz TW max. 3 K) eingehalten waren, da 3,3 mg/l in 1997) unterschritten hatte. Auch die nach der Richtlinie hierfür Messungen an der Gehalte von bis zu 32 mg/l CSB und 15 mg/l anorg. Grenze der Mischungszonen erforderlich sind. Die N waren nur gering. Mit einem Abwasservolumen bisherige GÜS-Messstelle in der Weser unterhalb von bis zu 5.000 m³/h ist die Reinigungsleistung der des Kraftwerks wie auch die Messfrequenz und der KA Minden für die Gewässergüte der Weser von Parameterumfang sind für eine Überprüfung nach großer Bedeutung. der EG-Fischgewässer-Richtlinie nicht geeignet. Im Bereich der Stadt Petershagen wurde die Weser Vor Einmündung der Werre erfuhr die Weser durch die Abwässer der Deponie Heisterholz, die bis weitere Abwassereinleitungen aus der KA Vlotho zu 115 mg/l CSB, 348 mg/l anorg. N, 160 µg/l AOX, (bis zu 6 mg/l Phosphat-P, 37 mg/l Ammonium-N 40 µg/l Nickel, 12 mg/l Ammonium-N und 1.900 mg/l und 52 mg/l anorg. N) und der KA Feenweg der Chlorid aufwiesen, belastet. Stadt Porta-Westfalica (bis zu 6 mg/l Phosphat-P, Auch die Abwässer der Tonindustrie Heisterholz 49 mg/l Ammonium-N und 30 µg/l Kupfer). trugen mit bis zu 2,3 mg/l Phosphat-P, 24 mg/l In Minden wurde die Weser durch 2 industrielle Ammonium-N, 124 mg/l CSB und 145 mg/l Kohlen- Kläranlagen, KA Knoll (bis zu 350 m³/h ) und KA wasserstoffen zur Verschmutzung der Weser bei. Deutsche Gelatine (bis zu 50 m³/h) und die Nördlich von Petershagen belastete das Kühlwas- Kläranlage der Stadt Minden (bis zu 4900 m³/h) ser (bis zu 27.000 m³/h ) aus dem Kraftwerk Heyden belastet. die Weser mit Abwärme (bis zu 27 °C), Salzen, AOX 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Im Ablauf der KA Knoll, wurden bis zu 217 mg/l und Schwermetallen. Auch in diesem Bereich kann CSB, 73 mg/l Ammonium-N (ab 1998 bleiben die wegen fehlender geeigneter Untersuchungen die Ammoniumkonzentrationen allerdings deutlich unter Einhaltung der EG-Fischgewässer-Richtlinie in der 2 mg/l !), 73 mg/l anorg. N, 440 µg/l AOX und Weser im Rahmen des GÜS nicht überprüft werden. 3760 mg/l Chlorid sowie eine Abwassertemperatur von bis zu 31°C gemessen.

Die Fa. Deutsche Gelatine leitete bis zu 1,8 mg/l Kali & Salz ...und kein Ende? Phosphat-P, 1,46 mg/l Nitrit-N, 15 mg/l Ammonium- Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Weser N und 85 mg/l CSB in die Weser ein. zusätzlich zu den anderen Beeinträchtigungen sehr stark durch die Ablaugen der Kaliindustrie in Hessen und Thüringen belastet. Bereits 1911 wurden in der Werra bis zu 2.300 und in der Weser bei Münden bis zu 1.740 mg/l Chlorid gemessen.

Während sich Hessen und Thüringen bis 1951 an die seit 1942 gültigen Begrenzungen der Ablaugen- einleitungen in die Werra von 2.500 mg/l Chlorid und 50°dH in der Werra bei Gerstungen gehalten hatten, wurden diese Begrenzungen durch die Regierung der DDR ab spätestens 1968 völlig ignoriert. Seitdem wurden von der thüringischen Kaliindustrie unabhängig vom Abfluss jährlich über 30 Millionen Abb. 6: Winter an der Mittelweser. Im Hintergrund Kubikmeter Salzabwasser mit einer Chloridfracht rechts die Kläranlage Minden und links ein von etwa 180 kg/s in die Werra eingeleitet. Kieswerk Die bundesdeutsche Kaliindustrie in Hessen wieder- Sehr gute Ablaufwerte erzielte die KA Minden, die um hat die vereinbarten Grenzwerte nur dadurch von 1995 bis heute bei über 40 Kontrollunter- eingehalten, dass sie neben einer Einleitung von suchungen den Konzentrationsbereich von 0,5 mg/l Salzabwasser in die Werra einen großen Anteil ihrer für Phosphat-P immer und für Ammonium-N fast Abwässer in den Untergrund des porösen Platten- immer (außer je einmal mit 1,3 mg/l in 1996 und dolomits verpresst hat. Außerdem wurden in

201 Hessen parallel auch abwasserarme Produktions- Nordrhein-Westfalen, Hessen und Thüringen ein verfahren entwickelt. Sanierungsprogramm, das in den Folgejahren eine wesentliche Verbesserung bringen sollte. Hinzu Die gewaltigen Salzfrachten von ca. 300 kg/s, die kam, dass aufgrund der wirtschaftlichen Rezession direkt über Abwassereinleitungen oder indirekt über einige der einleitenden Betriebe stillgelegt wurden. Abschwemmungen von oberirdischen Salzhalden Bereits dies führte zu einer erheblichen Senkung und über wieder zutage tretende, ehemals ver- der Chloridbelastung in Werra und Weser. presste Ablaugen in die Werra gelangten, führten und führen bis heute zu erheblichen Schäden in den Das Ziel der von Bund und Ländern mit erheblichen betroffenen Gewässern Werra und Weser. Mitteln geförderten Sanierungsmaßnahme, die 1996 abgeschlossen sein sollte, war neben der Ver- Neben den sehr hohen Chloridkonzentrationen, der gleichmäßigung in erster Linie eine so weitgehende höchste noch an der Station Porta gemessene Wert Verringerung der Salzbelastung, dass in der lag bei über 8.000 mg/l, sind die teilweise extremen Mittelweser ein Wert von etwa 400 mg/l Chlorid nicht Schwankungen für die Organismen im Gewässer mehr überschritten werden sollte. Eine Belastung besonders schädlich. Dies führte dazu, dass fast mit bis zu 400 mg/l Chlorid wird innerhalb der alle Süßwasserbewohner ausstarben bzw. nur ver- Wasserwirtschaft je nach Autor von mäßig belastet einzelt in den Süßwasserfahnen der Nebenflüsse (DVWK 98, NLÖ 95 und BONESS 95) über kritisch überlebten. belastet (ZIEMANN 97) bis erhöht belastet (LAWA- Die Weser wurde für viele höherwertige Nutzungen AK"ZV" 96) bewertet. Einig ist man sich jedoch, (z. B. zur Trinkwassergewinnung) unbrauchbar und dass die ständige Einhaltung einer Obergrenze von der Fischertrag ging von 200 kg/ha in den zwanziger 400 mg/l Chlorid zu einer weitgehenden Regene- Jahren über 80 kg/ha in den sechziger Jahren auf ration der limnischen Lebensgemeinschaften in der heute 4-5 kg/ha zurück. Die Berufsfischerei an der Weser führen würde. Die so erhofften Veränderun- Weser ist nahezu erloschen. gen in der Organismenbesiedlung sollten in einem Langzeit-Forschungsprojekt beobachtet werden.

Der deutliche Rückgang der Salzbelastung zwi- schen 1992 und Mitte 1995 (Abb. 8) war erwar- tungsgemäß nicht ohne Einfluss auf die Lebens- gemeinschaft des Flusssystems Weser geblieben. Es waren merkliche Unterschiede zu verzeichnen. Die differenziertesten Reaktionen zeigten aufgrund der kurzen Generationszeiten die Algen des Plankton und des Benthos. In den wegen der erheb- lichen Schwankungen des Salzgehaltes immer wie- der einsetzenden „Süßwasserperioden“ wurden deutlich niedrigere Chlorophyll-a-Gehalte als Folge verringerten Algenwachstums in der Weser gemes- Abb. 7: Im Unterwasser der Staustufe Schlüssel- sen. Diese Umstrukturierung der Algengesellschaft burg: Der letzte Berufsfischer an der bedeutete für die nachfolgenden Glieder der nordrhein-westfälischen Mittelweser. Den Nahrungskette eine wesentliche Veränderung des meisten der hier abwandernden Aale bleibt Nahrungsangebotes. Betroffen waren hiervon für ihre Wanderung nur der verlustreiche zunächst die Filtrierer und Strudler (z. B. Muscheln, Weg durch die Turbine der Wasserkraft- Schwämme, Moos- und Rädertierchen) später auch anlage. Wer es dennoch schafft, läuft alle sich anschließenden Konsumenten des Makro- Gefahr im Netz der Aalfänger zu landen zoobenthos. Sowohl in der Oberweser als auch in der Mittelweser gingen die halophilen Zoobenthos- arten zugunsten der halotoleranten Arten zurück. Nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Auffällig war das Überwiegen filtrierender und Staaten 1990 beschlossen der Bund und die Feindetritus fressender Arten. Ein ausgewogenes 5 Weser-Anliegerländer Bremen, Niedersachsen, Nahrungsnetz in der trophischen Pyramide hatte

202 Abb. 8: Entwicklung der Salzbe- lastung der Weser an der Meßstation Porta von 1990 – 1999

sich jedoch noch nicht eingestellt. Dies macht Ende 1995 zunächst nicht weiter fortgesetzt. Mit deutlich, wie stark das Ökosystem Weser einerseits dem erneuten Wiederanstieg der Salzkonzentration durch die planktische Primärprokuktion gesteuert in den Jahren 1996 und 1997 fanden die positiven wird, andererseits aber die Entwicklung einer voll- Entwicklungen innerhalb der aquatischen Lebens- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens ständigen Lebensgemeinschaft durch hohe und gemeinschaft der Weser zunächst ein jähes Ende. stark schwankende Salzgehalte noch immer ver- Auch waren die Konzentrationsschwankungen noch hindert wird. immer sehr ausgeprägt (Abb. 8). 1996 wurden in der Ober- und Mittelweser erneut Chloridgehalte von Auch bezüglich der Fischfauna waren seit 1994 über 1000 mg/l, 1997 in der Oberweser von über erste Lichtblicke zu verzeichnen. So konnte durch 1.300 mg/l gemessen. Im Mündungsbereich der fischereibiologische Untersuchungen gezeigt wer- Werra in die Weser bei Hannoversch-Münden kam den, dass in der Oberweser eine Reproduktion fast es im Sommer 1997 nach dem Ende der Betriebs- aller vorkommenden Arten stattfand, die Jungfische ferien bei Kali & Salz infolge von drastisch gestiege- gut abwuchsen und dass auch bei den geschlechts- nen Chloridbelastungen (mehr als 9.000 mg/l!) reifen Fischen, trotz der teilweise noch zu hohen sogar wieder zu einem Fischsterben. Das groß Krankheitsrate, merkliche Verbesserungen in der angelegte Bund-Länder-Sanierungskonzept zur Artenzusammensetzung und Kondition der Tiere Verringerung der Salzbelastung von Werra und festzustellen waren. Weser hatte sein Ziel nicht erreicht, zumindest nicht Die das Sanierungsprogramm begleitenden Unter- fristgerecht. Die Firma Kali & Salz hatte entgegen suchungen wurden im Fachausschuß 4.10 des der Vereinbarung nur einen Teil der zugesagten DVWK „Salzbelastung der Fließgewässer: Folgen technischen Maßnahmen umgesetzt. der Reduktion der Salzbelastung in Werra und Weser für das Fließgewässer als Ökosystem“, der Die Hoffnungen und Erwartungen ruhten somit im Auftrag der ARGE-Weser tätig war, seit 1993 weiterhin auf der möglicherweise zu optimistischen durchgeführt. Sie sollten bis zum Abschluß der Annahme, dass die vollmundig angekündigten Sanierung, der für 1996 vorgesehen war, weiterge- geplanten technischen Maßnahmen zur Reduzie- führt werden, um praktisch in einem Großversuch rung der Salzbelastung durch die Inbetriebnahme die Veränderungen des Flusssystems Werra/Weser der Ausgleichsbecken mit abflussabhängiger Ab- beobachten zu können. Der vorläufige Abschluß- gabesteuerung und durch Nutzung weiterer und bericht wurde 1998 durch den Fachausschuß vor- anderer Speichermöglichkeiten auch konsequent gelegt. umgesetzt werden würden.

Mittlerweile ist die Zeit vorangeschritten und die Jetzt, seit Ende 1999, scheint sich tatsächlich in Realität hat allzu hohe Erwartungen eingeholt. Der Folge verschiedener Maßnahmen endlich eine seit 1992 festgestellte deutliche Rückgang der dauerhafte Entlastung für die Weser zu ergeben. Salzbelastung von Werra und Weser hatte sich ab So stiegen 1999 die gemessenen Werte der elektri-

203 schen Leitfähigkeit als Maß für die Salzbelastung logische Gesamtplanung an Weser, Werra und (Abb. 8) in der Mittelweser an der Meßstation Porta Fulda erarbeitet. Die Arbeiten sind abgeschlossen, nicht mehr wesentlich über 200 mS/m an, was in der Abschlußbericht wurde 1996 veröffentlicht. etwa einem mittleren Chloridgehalt von 400 mg/l Ziel der ökologischen Gesamtplanung Weser war entspricht. Ursächlich hierfür sind zum einen das es, Grundlagen zu liefern für eine Verbesserung, seit 1998 durchgeführte Einbringen des festen Entwicklung und Wiederherstellung der natürlichen Rückstandssalzes in leere Grubenbaue und zum Lebensbedingungen, um so über Bewirtschaftungs- anderen die Vergleichmäßigung der Salzwasserein- pläne und entsprechende Maßnahmenprogramme leitungen zu Niedrig- und Hochwasserzeiten durch die von der EU-Wasserrahmenrichtlinie geforderte den Betrieb eines unterirdischen Pufferspeichers, „gute ökologische Qualität“ im Einzugsgebiet der für den im Juni 1999 vom Landesverwaltungsamt Weser zu erreichen. Weimar die Genehmigung erteilt worden war. Ab diesem Termin darf die Firma Kali & Salz befristet Als Ergebnis wurden neben der Erfassung, Darstel- für 5 Jahre Salzsole in der Gerstunger Mulde ver- lung und Bewertung des ökologischen Ist-Zustands senken und im 5. Jahr wieder zurückfördern. Es wird von Weser, Werra und Fulda Grundaussagen zur sich zeigen, ob die getroffenen Maßnahmen aus- künftigen ökologischen Entwicklung der Fluss- reichen und vor allem dauerhaft zu Verbesserungen gebietslandschaft und im Hinblick auf spezielle für die Gewässergüte der Weser führen werden. Themen auch konkrete Vorschläge in Form von

Abb. 9: Die Weser beim Durchbruch durch das Wiehen-/Wesergebirge bei Porta Westfalica kurz oberhalb der Weser-Messstation Porta. Die Bauarbeiten an der neuen Weserbrücke mußten während des Hoch- wassers im Januar 1994 unterbrochen werden. Der Wasserstand am Pegel Porta lag bei 6,04 m.

Ökologische Gesamtplanung Weser: Modellvorhaben als Beispiele für weiterreichende Zukunftsprogramm oder Mogelpackung? Planungsansätze vorgelegt. Parallel zu den Bemühungen um eine Reduktion der Hierbei werden die Gewässer im Einzugsgebiet der Salzbelastung der Weser wurden ebenfalls im Weser ganzheitlich als vernetzte Elemente der Auftrag der ARGE-Weser im DVWK-Fachausschuß Landschaft gesehen, die mit ihren Gewässerbetten 4.12 „Ökologie der Gewässerlandschaft“ Grund- und ihren Ufern und Auen eine funktionelle Einheit lagen, Leitbilder und Entwicklungsziele für eine öko- bilden. Bei allen Entwicklungsvorschlägen werden

204 Menschen mit einbezogen, denn auch in Zukunft soll die Weserniederung eine Landschaft sein, in der der Mensch siedelt, Handel treibt, sich erholt und auf deren Wegen und Straßen er unterwegs ist. Es ist kein Widerspruch, eine solche Zukunftsperspek- tive mit einem Landschaftsbild zu vereinen, dessen Charakteristikum eine Vielfalt von Landschafts- strukturen und pflanzlichen und tierischen Lebens- formen ist und das insgesamt einen funktions- fähigen Naturhaushalt darstellt.

Auf der Basis der so entwickelten Leitbilder für Werra, Fulda und Weser werden hier beispielhaft für Abb. 11: Staustufe Petershagen, vom Unterwasser den Problembereich Wasserwirtschaft und Schiff- aus gesehen. Die Hauptströmung aus fahrt folgende Maßnahmen für den ökologischen dem Ablauf der Turbine verläuft rechts im Umbau der Weserlandschaft ausgewählt und aufge- Bild. Der ungünstig gestaltete und wenig führt: frequentierte vorhandene Fischpaß liegt auf der anderen Seite der Weser und Ü kein Neubau von Wehren. somit im Hinblick auf die für die Wander- fische entscheidende Lockwirkung der Ü bei bestehenden Wehren ist deren Notwendig- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Hauptströmung falsch keit zu überprüfen; vorzugsweise Rückbau bzw. Ersatz durch Sohlgleiten o. ä. Ü neben der aquatischen ist auch die linienhafte Ü bei absolut notwendigen Wehren ist das Vernetzung im amphibischen und terrestrischen Vorhandensein von geeigneten und funktions- Bereich der Ufer und Auen zu gewährleisten. tüchtigen Wanderungshilfen für alle Gewässer- Hierzu gehört auch eine standorttypische uferbe- organismen, vorzugsweise als Umgehungs- gleitende Vegetation in naturnaher Breite, die bäche, sicherzustellen. möglichst kontinuierlich und unter Ausnutzung aller Möglichkeiten auch innerhalb geschlosse- ner Ortschaften fortzuführen ist.

Abb. 10: Beginn der Mittelweser oberhalb von Minden, im Hintergrund erstreckt sich die Norddeutsche Tiefebene

205 Ü Hochwasserschutz im herkömmlichen Sinn ist zu hinterfragen. Flächenhafte Maßnahmen zum

Hochwasserschutz sind zu Gunsten von objekt- bezogenen Schutzmaßnahmen zurück zu neh- men. Bestehende Dammbauten und Deiche sind auf ihre tatsächliche Notwendigkeit zu über- prüfen und ggf. zu beseitigen oder zurück zu nehmen. Ehemalige Retentionsflächen und Hochwasserumfluter in der Aue sind zu reakti- vieren. Der Bau von Hochwasserrückhalte- becken soll nur noch als letzte Möglichkeit Abb. 12: Oberweser bei Wehrden: Abschnittsweise (und auch dann nicht als Dauerstau) zur sind naturnah entwickelte Uferabschnitte Anwendung kommen, wenn alle naturgemäßen in den Buchten zwischen den Buhnen zu Möglichkeiten ausgeschöpft sind. finden Ü Der Ackerbau im Überschwemmungsbereich der Aue ist zurückzudrängen. Im Anschluß an die Ü Ufer und Auen sind naturnah zu gestalten. Die uferbegleitende Vegetation sind in den Fluss- natürliche Überflutungsdynamik (periodische auen bevorzugt standorttypische Auen- oder Überflutung und Trockenfallen) ist zu gewähr- Bruchwälder zu erhalten oder einer natürlichen leisten.

Abb. 13: Bei Hochwasserereignissen wird sehr deutlich, welche Bereiche der Weseraue von Bebauung und ackerbaulicher Nutzung freigehalten werden müßten, um einerseits eine naturnahe Flussent- wicklung zu ermöglichen und andererseits volkswirtschaftliche Schäden durch Hochwässer zu vermeiden

206 Sukzession zu überlassen. In Teilbereichen kön- nen auch extensive Grünlandnutzung sowie Feuchtwiesen eine akzeptable Alternative zum ursprünglich standorttypischen Auwald sein.

Ü Altwässer, Altarme und Tümpel sind wichtige Lebensräume für die Organismengemein- schaften der Flussaue. Eine Verfüllung dieser Gewässer ist zu unterlassen, bereits verfüllte Gewässer sind wieder herzustellen. In Einzel- fällen kann eine Ausbaggerung bestehender Altwässer zur Verminderung der Verlandung und in den meisten Fällen ein zeitweiser Anschluß an das Fließgewässer sinnvoll sein. Auch Möglich- keiten zur Neuanlage auentypischer Stillgewäs- ser als Folgenutzung von z. B. Baggerseen sind zu nutzen.

Ü Gewässerausbau- und Unterhaltungsmaß- nahmen im herkömmlichen Sinn sind zu unter- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens lassen. Statt dessen sind nachhaltige Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen durchzuführen, mit dem mittelfristigen Ziel einer Stärkung der gewässertypischen Morphodynamik und Struk- Abb. 14: Hochwässer auf Ackerfluren führen zu turvielfalt und einer allmählichen, weitgehend unerwünschten Erosionsschäden selbständigen Wiederherstellung charakteristi- scher Habitatstrukturen in der Weserlandschaft.

Abb. 16: Weser südlich des Wiehengebirges bei Hochwasser

Ü Beidseitig der Gewässer sind Uferstreifen aus jeder Nutzung heraus zu nehmen. Die Ufer- streifen sind naturnah zu gestalten oder der natürlichen Entwicklung zu überlassen und müssen auf jeder Seite wenigstens so breit sein, Abb. 15: Hochwässer auf Grünland fließen meist wie die obere Gewässerbreite, mindestens aber schadlos wieder ab 30 m.

207 Ü Vorhandene Deckwerke sind bis auf ein unbe- dingt notwendiges Maß an wenigen kurzen Uferabschnitten, an denen Erosion nicht gedul- det werden kann, schrittweise zurück zu bauen. Deckwerke dürfen nicht mit Zement, Bitumen oder ähnlichen Materialien befestigt oder ver- siegelt werden. Beton- und Spundwände sind nur zur Sicherung von kleinräumigen Bauwerken (z. B. Brückenpfeilern) akzeptabel und an- sonsten zu entfernen.

Weitere erforderliche Maßnahmen auch zu den Problembereichen „Landwirtschaft“, „Rohstoffge- Abb. 17: Mittelweser oberhalb von Schloß Peters- winnung“, „Erholung und Freizeit“, „Verkehr“ und hagen, dem Zufluchtsort der Mindener „Siedlung und Gewerbe“ sind im Abschlußbericht Bischöfe während des 800-jährigen Be- der „Ökologischen Gesamtplanung Weser“ ent- stehens des Bistums Minden halten.

Ü Im Bereich von Wasserstraßen kann durch eine Die Ergebnisse der ökologischen Gesamtplanung naturschonende Gestaltung und Unterhaltung wurden am 21. August 1996 in Minden anläßlich der Buhnen (z. B. Trennung der Buhnen vom einer Weserfahrt der interessierten Öffentlichkeit Ufer, Verbindung einzelner Buhnenteiche zu durch die 3 Umweltministerinnen aus Nieder- Nebenarmen, Förderung von Röhricht- und sachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie Gehölzbeständen) eine erhebliche ökologische durch Regierungsvertreter aus Bremen und Aufwertung von Buhnenfeldern erreicht werden. Thüringen vorgestellt. Wie die damalige Vorsitzende der ARGE-Weser NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn betonte, werden im Rahmen dieses ökologi- schen Fünf-Länder-Bündnisses 3 Milliarden Mark von den Weser-Anrainerländern bereitgestellt, um das Handlungskonzept zur ökologischen Erneue- rung der Weserregion umzusetzen. Die konkreten Inhalte der ökologischen Gesamtplanung wurden dem Fachpublikum auf dem Wesersymposium im November 1996 in Bremen vorgestellt.

Als Einstieg in die Umsetzung der ökologischen Gesamtplanung Weser und im Vorgriff auf die Um- setzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die vor- aussichtlich im Laufe des Jahres 2000 vom Abb. 18: Buhnenteiche wie hier an der Oberweser Europäischen Parlament verabschiedet wird, hat bei Albaxen stellen ökologisch hoch- Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland an der wertige Uferstrukturen dar und können Weser mit dem dringend erforderlichen Umbau der wenigstens ansatzweise die Lebensraum- Fischtreppen in Petershagen und Schlüsselburg funktion von Altwässern übernehmen und dem Neubau von Umgehungsbächen an diesen beiden Staustufen der Weser den Anfang gemacht. Seit März 1998 liegen die Ausführungsplanungen Ü Deckwerke aus Schüttsteinen sind zu unter- vor, mit den Baumaßnahmen kann begonnen lassen. Sie sind meist naturfremd und führen zu werden. einer dauerhaften Monotonisierung der Ufer- bereiche; naturraumtypische Strukturen, wie Mit der Übernahme dieser Umbaumaßnahmen Sand- und Kiesbänke können sich nicht ent- durch das Land NRW mit einem Finanzvolumen von wickeln. ca. 2 Mio. DM wurde im Zusammenhang mit dem

208 Projekt Weserlachs 2010 zur Wiederansiedlung von Literatur

Wanderfischen im Wesereinzugsgebiet ein wichti- BACHMANN, J. & HARTMANN, H. (Hrsg.) (1987): Schifffahrt, ges Signal für die ökologische Erneuerung und Handel, Häfen. Beiträge zur Geschichte der Schifffahrt auf Weser und Mittellandkanal; J.C.C. Bruns Verlag, Durchgängigkeit der Weser für Wasserorganismen Minden 1987. gesetzt, in der Hoffnung, dass auch die anderen DASENBROCK, D. (Hrsg.) (1987): Stadt, Land, Weser-Fluss; Weseranrainerländer diesem Beispiel folgen. Schiffahrt, Handel, Industrie von Münden bis zur Mündung; Bremen, Steintor 1987. Mittlerweile wird auch in den anderen Anlieger- BÖTTCHER, H. & GERKEN, B. & LEUSHACKE, CH. & SIELAFF, ländern intensiv an einer Verbesserung der U. (1991): Schutz- und Pflegekonzept für die Nord- Durchgängigkeit an den Weserstaustufen (z. B. rhein-westfälische Weseraue, Abschlußbericht, Uni- versität – Gesamthochschule Paderborn, Abteilung in Hameln) und an anderen Wehren im Einzugsge- Höxter, 1991. biet von Weser, Werra und Fulda gearbeitet. Das ARGE Weser (Hrsg.) (1996): Ökologische Gesamt- gerade von der ARGE Weser neu aufgelegte planung Weser; Grundlagen, Leitbilder und Entwick- lungsziele für Weser, Werra und Fulda, Abschluß- „Aktionsprogramm Flussgebiet Weser 2000 – 2010“ bericht und Grundlagenbände I + II, Wassergütestelle berücksichtigt ebenfalls die Ziele der EU-Wasser- Weser, Hildesheim, 1996. rahmenrichtlinie im Hinblick auf die Herstellung der DVWK (Hrsg.) (1998): Folgen der Reduktion der Salz- belastung in Werra und Weser für das Fließgewässer „guten ökologischen Qualität“ an den Gewässern als Ökosystem, Moser Druck und Verlag GmbH, mit ihren Ufern und Auen. Rheinbach, 1998. ARGE Weser (im Druck): Aktionsprogramm Flussgebiet Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob Weser 2000 – 2010; Mit der Weser ins 21. Jahr- es der Politik, der Umweltverwaltung und der hundert. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Wirtschaft tatsächlich gelingt, die Weser wieder zu einem funktionierenden limnischen Ökosystem wer- den zu lassen oder ob das ehrgeizige ökologische Sanierungsprogramm scheitert. Neben dem Schick- sal der Weserregion steht auch die Glaubwürdigkeit von Politik und Verwaltung auf dem Spiel.

209 210 Emmerstausee

3.4.2 Der Emmerstausee: Ein Eingriff mit Folgen

Die Emmer entspringt im Südosten der Mittel- waren neben dem Landesverband Lippe der da- gebirgslandschaften Teutoburger Wald und malige Kreis Detmold und die Stadt Schieder- Eggegebirge in 250 m über NN nördlich von Bad Schwalenberg. Als Kernstück der geplanten Driburg in Nordrhein-Westfalen, fließt bei Bad Wochenend- und Ferienerholungsanlage sollte die Pyrmont über die Landesgrenze nach Nieder- Emmer in ihrem Auenbereich bei Schieder zu einem sachsen und mündet nach 67 km Fließstrecke bei See mit einer Wasserfläche von 90 ha bei einer Emmerthal in die Weser. Obwohl das Einzugsgebiet Länge von ca. 3,5 km und einer Breite zwischen der Emmer nur gering besiedelt ist, wird die Aue 150 – 500 m angestaut werden. Die wesentlichen intensiv genutzt. Die Aueböden (vorwiegend Gleye) Funktionen des Emmerstausees, im Volksmund werden von feinsandigen Lehmen bis lehmigen auch „Lippisches Meer“ genannt, sollten im Bereich Tonen gebildet, die stark erosionsgefährdet sind. von Freizeit und Erholung liegen. Darüber hinaus Schon bei geringeren Niederschlägen werden in sollte der Emmerstausee auch den Hochwasser- großem Umfang sandig-lehmige Feinpartikel in die schutz für die unterhalb an der Emmer liegenden Emmer eingetragen, die diese stark trüben. Die Ortschaften verbessern. Emmer zeichnet sich auf weiten Strecken durch einen überwiegend natürlich mäandrierenden Fließ- verlauf aus. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens

Abb. 1: Der Emmerstausee

Der Aufstau der Emmer Dass der Aufstau eines Fließgewässers, insbeson- dere wenn dieses im Oberlauf zahlreichen Belastun- 1972 wurde zum Bau und Betrieb der geplanten gen durch kommunale Abwässer und durch land- Emmertalsperre die „Erholungszentrum Schieder wirtschaftliche Nutzungen ausgesetzt ist, problema- GmbH“ gegründet. Mitglieder der Gesellschaft tisch ist, war den Entscheidungsträgern vor dem

211 Baubeginn bekannt. Die Umgestaltung eines Die ökologischen Folgen des Eingriffs Fließgewässers zu einem Stillgewässer führt immer zu einschneidenden Veränderungen in morphologi- Bedingt durch den Aufstau wird das Wasser der scher, physikalischer, chemischer und biologischer Emmer für längere Zeit im See zurückgehalten. Hinsicht. Das Fließgewässer verliert u. a. das Durch diese sogenannte Verweilzeit (je nach natürliche Transportregime für Schwebstoffe und Wasserführung zwischen wenigen Tagen und Sedimente und seine Längsdurchgängigkeit. Im mehreren Wochen) kommt es im Emmerstausee neugeschaffenen Stillgewässer führt der Verlust des entsprechend dem vorherrschenden Nährstoff- Faktors Strömung zu einer völligen Veränderung angebot zu starker Planktonentwicklung. Diese des Sauerstoff-, Temperatur- und Nährstoffhaus- führte bisher regelmäßig, insbesondere während halts. Mit den Lebensbedingungen ändern sich der Sommermonate, begünstigt durch geringen naturgemäß auch die Lebensgemeinschaften, so Abfluss, hohe Wassertemperaturen und intensive dass die ursprünglichen Fließgewässerarten durch Sonneneinstrahlung, zu Algenmassenentwick- typische Stillgewässerorganismen, z. B. das Plank- lungen. Dadurch ergaben sich geringe Sichttiefen, ton ersetzt werden. Diese tiefgreifenden Verände- hohe Sauerstoffübersättigungen und intensive rungen bleiben jedoch in der Regel nicht auf den Braun- oder Grünfärbungen des Wassers mit deut- Staubereich beschränkt, sondern beeinflussen auch lich alkalischer Reaktion. Auch die Besiedlung mit die sich unterhalb des Sees anschließende Fließ- Fischen hat sich entsprechend verändert. In der gewässerstrecke. Talsperre haben sich hohe Bestände an Weiß- fischen, insbesondere Plötzen und Döbel entwickelt Trotz dieser Erkenntnisse hofften die Betreiber und Zeitweise erreichen auch die Hecht- und Barsch- Planer, die Probleme in den Griff zu bekommen. bestände ein hohes Niveau. Durch Beschluss des Regierungspräsidenten Detmold vom 22.11.1977 wurde die Emmertalsperre Auch in der Emmer unterhalb des Stausees können planfestgestellt. Mit der Verwirklichung der Bau- die Folgen dieses als Eutrophierung bezeichneten maßnahme konnte begonnen werden. Nach Prozesses beobachtet werden. Beim Abfluss des Abschluss der Bauarbeiten wurde im November Seewassers werden die Planktonorganismen 1982 mit dem Anstau des Sees begonnen. Am mechanisch zerstört und sterben ab. Infolge der 23.03.1983 war das Stauziel erreicht. hiermit verbundenen starken Verwirbelungen ent- Heute sind auf dem See alle Arten des Wasser- stehen aus den freigewordenen organischen sports (z. B. Segeln, Surfen, Bootfahren) möglich; Substanzen Schaumflocken (Abb 3), die sich in nicht zugelassen ist das Baden (da die Badewasser- mehr oder weniger großem Umfang zusammen- qualität nach der EG-Richtlinie nicht dauerhaft schließen und zeitweise als geschlossener Schaum- erreicht wird) und der Betrieb von Freizeitbooten mit teppich die Emmer heruntertreiben. Desweiteren Verbrennungsmotoren. Rund um den See bestehen sind unterhalb des Stausees sämtliche Substrate im im Uferbereich zahlreiche Einrichtungen für Gewässerbett der Emmer durch die ständige Familienfreizeiten und Sportaktivitäten einschließ- Sedimentation von Schwebstoffen flächendeckend lich der erforderlichen Parkplätze und Restaura- mit einer dünnen Schlammschicht überzogen, die tionsbetriebe. Desweiteren gibt es auch beruhigte besiedlungsfeindlich wirkt. Die Lebensgemeinschaft Bereiche zur natürlichen Entwicklung und Wander-, ist verarmt und besteht überwiegend aus Arten, die Rad- und Kutschwege rund um den See (Abb. 1). sich entsprechend dem Nahrungsangebot filtrierend Eine Personenschifffahrtslinie mit Bedarfshalte- oder als Weidegänger ernähren, wie z. B. Muscheln, stellen im gesamten Seebereich ist eingerichtet. Zur Schwämme und Schnecken. Typische Fließge- Nutzung der Wasserkraft wurde 1997 eine Turbine wässerarten, wie z. B. Eintagsfliegenlarven sind nur zur Stromgewinnung eingebaut, die im Bereich der als Einzelfunde vertreten. Rentabilitätsgrenze arbeitet. Beim Vergleich der Wassertemperaturen an den Auf eine Wanderhilfe zum Auf- und Abstieg für die Messpunkten oberhalb und unterhalb des Wasserorganismen in der Emmer zur Überwindung Emmerstausees fällt im Sommer nach der See- der ökologischen Barriere „Emmerstausee“ und zur passage eine Temperaturerhöhung um bis zu 3 °C Wiederherstellung der linienhaften Durchgängigkeit auf. Damit wird die EG-Fischgewässerrichtlinie an der Emmer wurde jedoch verzichtet. der Emmer, die der EG-Kommission als Salmoni-

212 dengewässer benannt worden ist, bezüglich des Im einzelnen sind folgende Kenngrößen verändert: Grenzwertes von 1,5 °C für die Aufwärmspanne eines Salmonidengewässers nicht immer einge- ï das qualitative und quantitative Artenspek- halten. trum der Fischfauna, Die Fischereiausübungsberechtigten in Nordrhein- ï die mit den Fischen z. B. über das Nah- Westfalen und Niedersachsen haben bezüglich der rungsnetz verbundenen weiteren Mitglieder Emmer unterhalb des Stausees in den letzten der Lebensgemeinschaft (z. B. Periphyton, Jahren wiederholt über Wassertrübungen, Ver- Plankton, Makrozoobenthos und Makro- driftungen von Barschen und Hechten aus dem See phyten) und der damit einhergehenden Dezimierung der ï die Gewässergüte Salmonidenbestände geklagt. In dem 1998 erstell- ï die Wassertemperatur ten hydrobiologischen Gutachten zur Auswirkung ï der pH-Wert der Emmertalsperre auf den Fischbestand der Emmer kommt der Gutachter zusammenfassend zu ï der Sauerstoffgehalt dem Ergebnis, dass es durch den Stausee zu ï der Nährstoffgehalt gravierenden negativen Veränderungen des natür- ï die Schaumentwicklung unterhalb der Stau- lichen Fischbestands der Emmer gekommen ist. mauer ï die natürliche Gewässerentwicklung (Hoch- wasserdynamik, Sedimentfracht, etc.) 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens ï das Fließgewässerkontinuum durch die voll- ständige Verhinderung der Wanderung von Fischen und anderen Organismen

Insbesondere die Faktoren „Schaumentwicklung“, „Sedimententzug“, „Verfälschung der Fischfauna der Emmer durch den Einfluss des Stausees“ und die „dauerhafte Verhinderung von natürlichen Abb. 2: Äsche Organismenwanderungen aufgrund der fehlenden Durchgängigkeit der Emmer“ sprechen für eine län- gere Schadensstrecke, die im Fall der fehlenden Nach den Kriterien der fischereilichen Zonierung Durchgängigkeit für Wanderfische sogar weit über gehört die Emmer natürlicherweise zur Äschen- die Betrachtung der Emmer allein hinausgeht. region, in der neben der Leitart Äsche (Abb. 2) auch die Bachforelle und weitere standorttypische Fischarten auftreten. Durch den Bau der Talsperre hat sich die ursprüngliche Fischbesiedlung der Emmer im Bereich der Talsperre und oberhalb von den früher dominierenden Arten der Salmoniden- region eindeutig zu den Arten der Cyprinidenregion verschoben und sich somit erheblich vom natür- lichen Zustand entfernt. Auch die Fischbestände der Emmer unterhalb der Talsperre wurden durch den Stausee eindeutig negativ verändert. Dabei sind die ersten Flusskilometer unterhalb der Staumauer so gravierend beeinträchtigt, dass sie nicht mehr als Salmonidengewässer bewirtschaftet werden können. Auch die weiter flussabwärts liegenden Abb. 3: Schaumentwicklung Gewässerabschnitte sind in Mitleidenschaft ge- zogen.

213 Zukünftige Sanierungsmaßnahmen Der geringen Siedlungsdichte und der im Emmertal auch heute noch verbreiteten Grünlandnutzung in Auf der Basis der vorliegenden Erkenntnisse der Talaue ist es zu verdanken, dass hier ein größe- erscheint es sinnvoll, die Schadensstrecke sowohl res Fließgewässer vorgefunden wird, welches bis oberhalb als auch unterhalb der Talsperre in mehre- zum Bau des Emmerstausees durch Ausbau re Schadensbereiche unterschiedlichen Grades zu vergleichsweise wenig in Mitleidenschaft gezogen differenzieren. Entsprechend der graduellen Ein- worden war. Kennzeichnend hierfür war und ist noch stufung in Schadensbereiche könnten auch die das Vorkommen zahlreicher gefährdeter Tier- und Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen abgestuft Pflanzenarten. festgelegt, bzw. im günstigeren Fall differenziert dar- über nachgedacht werden, durch welche Im Bereich unterhalb des Emmerstausees ist die Möglichkeiten die Schäden beseitigt oder wenig- Emmer mit ihren Auen als länderübergreifendes stens vermindert werden können. Naturschutzgebiet ausgewiesen. Bei entsprechen- den weiteren Anstrengungen auf dem Gebiet der Zur Verminderung der festgestellten Beeinträchti- Abwasserbehandlung, der Verminderung der gungen werden folgende Maßnahmen- und Belastungen aus der Landwirtschaft und der drin- Handlungsempfehlungen gegeben: gend erforderlichen Maßnahmen zur Herstellung der linienhaften Durchgängigkeit durch den Bau von 1. die Durchführung einer intensiven fischerei- geeigneten Organismenpässen an den Stauwehren lichen Bewirtschaftung des Emmerstausees in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen besteht zur Verminderung der Verfälschung der an der Emmer die gute Chance, in näherer Zukunft Fischbesiedlung in der oberen und unteren die Gewässergüteklasse II zu erreichen und die Emmer, Emmer als wichtiges Laichgewässer für den Weser- 2. die Durchführung geeigneter Besatzmaß- lachs zurückzugewinnen. Aufgrund dieser Tat- nahmen in der Emmer, sachen und dem hohen Entwicklungspotenzial verdient die zukünftige Entwicklung der Emmer 3. die Wiederherstellung der Durchgängigkeit besondere Aufmerksamkeit. der Emmer durch den Bau eines Um- gehungsbaches (Emmertalsperre im Neben- schluss). Literatur ARGE Weser (Hrsg.) (1996): Ökologische Gesamtplanung Weser; Grundlagen, Leitbilder und Entwicklungsziele für Insbesondere die letztere grundlegende Maßnahme Weser, Werra und Fulda. Abschlußbericht, Wassergütestelle ist auch zur ökologischen Sanierung der Emmer und Weser, Hildesheim. des Wesereinzugsgebietes im Hinblick auf die „Öko- ARGE Weser (1996): Merkblatt zur Wiederansiedlung von Wanderfischen im Wesereinzugsgebiet, Wassergütestelle logische Gesamtplanung Weser“ (ARGE Weser, Weser, Hildesheim. 1996), die Bestrebungen der Arge Weser zur SPÄH, H. (1998): Hydrobiologische Gutachten zur Auswirkung der Wiederansiedlung von Wanderfischen im Weser- Emmertalsperre auf die Emmer. Auftraggeber: Bezirks- einzugsgebietes (ARGE Weser 1996) und die regierung Detmold. Flussgebietspläne und Maßnahmenprogramme zur Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie er- Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik. Entwurfsstand forderlich. der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) vom Oktober 1999

214 Wurm

3.5 Einzugsgebiet Maas 3.5.1 Entwicklung der Gewässergüte in der Wurm Renate Fischer (StUA Aachen)

Einzugsgebiet und naturräumliche Die Wurmniederung ist durch wechselnd mächti- Gliederung gen, sandigen oder tonigen Auelehm, der über den Flusssanden, -kiesen und -schottern liegt, Die Wurm ist ein Nebengewässer der Rur (Eifelrur), charakterisiert. Es handelt sich um vom Grund- deren Flussgebiet nördlich des Eifelraumes und wasser und teilweise von Überflutungen mehr westlich der Rur liegt. Der Quellbereich der Wurm oder weniger stark geprägte, geologisch junge liegt im Süden der Stadt Aachen auf einer Höhe von Böden. ca. 280 m ü. NN im Aachener Wald. Nach etwa Die landwirtschaftliche Nutzung im Bereich des 53 km Fließstrecke mündet die Wurm nördlich von Oberlaufes der Wurm erfolgt überwiegend durch Aachen bei Heinsberg-Kempen in die Rur. Diese Weidewirtschaft. Von diesem sich von Aachen mündet wiederum bei Roermond in den Nieder- weiter in den Norden, bis in den Kreis Heinsberg, landen in die Maas. Auf der gesamten Länge der erstreckenden Bereich geht es anschließend in den Wurm beträgt der Höhenunterschied etwa 120 m, großen bis zur Mündung reichenden, weitgehend was einem mittleren Gefälle von 2,3‰ entspricht. ackerbaulich und weidewirtschaftlich geprägten

Die Wassermenge in Aachen oberhalb der Einmün- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Abschnitt über. dung des Haarbaches beträgt bei Mittelwasser- führung etwa 0,3 m³/s, an der Mündung kommen dann fast 3,5 bis 4 m³/s zum Abfluss. Die Größe des Strukturentwicklung 1970 bis 1999 Einzugsgebietes beträgt etwa 354 km2, auf dieser Fläche leben mehr als 460.000 Einwohner, davon Biologische Untersuchungen zeigen immer wieder, ca. 240.000 in Aachen. Die Wurm hat mit dem Wild- dass die Güte eines Gewässers auch von seiner bach und dem Haarbach sowie in ihrem weiteren Struktur und seinem Umfeld abhängig ist. Unter Verlauf mit dem Broicherbach, Amstelbach, Übach naturnahen Gegebenheiten ist beispielsweise die und dem Beeckfließ einige nennenswerte Neben- Selbstreinigungskraft eines Fließgewässers höher gewässer. und in weitaus größerem Maße in der Lage, organi- sche Belastungen abzubauen, als es in einem grad- Im Einzugsgebiet der Wurm lassen sich unter geo- linig gestreckten Gewässerband mit zügigem Ab- logischen und morphologischen Gesichtspunkten transport von Wasser wie auch seiner Inhaltsstoffe vier große Bereiche differenzieren: möglich ist. Bezüglich der Wurm lässt sich über ver- schiedenartige Strukturen sowie über Veränderun- ♦ die sandigen Schichten der Limburger Kreide- gen während der vergangenen 30 Jahren berichten. tafel im Quellgebiet der Wurm südlich der Stadt Aachen gelegen; Das Ursprungsgebiet der Wurm liegt im Aachener ♦ die Festgesteinsschichten, mit oberflächlich an- Hügelland, an den südlich gelegenen Anhöhen und stehendem steinkohleführendem Oberkarbon Waldhängen, die den sogenannten Aachener Tal- zwischen Ende des Aachener Talkessels und kessel begrenzen. Das Gewässer wird aus ver- Herzogenrath, in die die Wurm relativ tief einge- schiedenen Quellbächen gespeist, die bereits nach schnitten ist. Dort vorhandene Talterrassen sind wenigen hundert Metern zuerst dem Staubecken durch Gesteinshebungen entstanden; Diepenbenden und unterhalb dann direkt den Bach- verrohrungen der in dem Talkessel liegenden Stadt ♦ der Lockergesteinsbereich mit der tief in tertiäre zufließen. Auf etwa vier Kilometern Strecke unter und quartäre Sande, Kiese und schluffige Tal- Aachen geführt, erreicht das Wasser der Wurm füllungen eingeschnittenen Wurmaue, die sich mitsamt einer Vielzahl ihm bis dahin zugeflos- von Herzogenrath bis Randerath in den Bereich sener, ebenfalls im Stadtgebiet weitgehend verrohr- des Niederrheinischen Tieflandes erstreckt; ter Nebengewässer (Beverbach, Gillesbach, Pau, ♦ das Auesystem der Rur, dem die Wurm ab Goldbach, Kupferbach, Johannisbach etc.) im Nord- Randerath als Niederungsgewässer zufließt. Osten der Stadt wieder das Tageslicht.

215 Nachdem die Wurm am Europaplatz zutage tritt, Der Talraum, mit einer sich von über einem Kilo- verläuft sie zuerst in einem ziegelsteingemauerten meter bis auf wenige hundert Meter verändernden Vollprofil ohne Sohlstruktur. Auf dem folgendem Teil- Talbreite, wird von zum Teil sehr steilen und über- stück (ca. 5 km) begradigt, in vielfältig oftmals sehr wiegend bewaldeten Talhängen eingerahmt. Ein technischem Ausbauzustand, mit Uferbefestigungen Naturraum wie dieser, mit der ihn begleitenden Flora und Steinschüttungen versehen, tritt sie aus dem und Fauna, ist landesweit kaum mehr ein zweites Talkessel von Aachen heraus. In diesem Abschnitt Mal anzutreffen und im Besonderen erhaltens- und fließen ihr der Haarbach sowie der Wildbach zu. schützenswert. Dieser bemerkenswerte Abschnitt (Abb. 2) von ca. 8 km erstreckt sich bis Herzogen- Unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers geht die rath oberhalb der Einmündung des Broicherbaches. Wurm in einen strukturreichen, naturnahen Ab- Seiner herausragenden Bedeutung entsprechend schnitt einer offenen Talaue über, in dem sich eine wurde dieser Bereich als Naturschutzgebiet (NSG) eindrucksvolle Flusslandschaft mit einer ausgepräg- ausgewiesen sowie als Flora-Fauna-Habitat (FFH) ten Fließgewässerdynamik zeigt. Die Wurm durch- gemäß der Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutz- fließt mäandrierend die teilweise mehrere hundert Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft der Kom- Meter breite Grünlandaue und prägt die Landschaft mission gemeldet. durch ihren frei schwingenden, weitgehend unbe- rührten Verlauf und mit dem sich dadurch ausbil- denden Strukturreichtum. Diese Vielseitigkeit zeigt sich an bis zu mehreren Metern hohen Steilufern und deren Abbruchkanten im Wechsel mit Anlan- dungen an weit ausladenden Gleitufern der in unter- schiedlich weiten Windungen verlaufenden Wurm (Abb. 1).

Abb. 2: Wurm nördlich von Herzogenrath, Silber- weiden-Auwald in Wildnis-Worm

Unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers hat die Wurm nach Zuführung großer Abwassermengen einen deutlich höheren Abfluss. Bei Trockenwetter besteht hier ihre Wasserführung zu mehr als 90 % aus gereinigten Abwässern der Kläranlagen Soers Abb. 1:Wurm bei Würselen-Pumpermühle im und Eilendorf. Auf einem kurzen Abschnitt von etwa Naturschutzgebiet Wurmtal nördlich von 1,8 km in der Stadt Herzogenrath unterhalb der Ein- Aachen mündung des Broicherbaches bis zur niederländi- schen Grenze oberhalb der Kläranlage Worm be- Die Beschreibungen von Kies- und Sandbänken, findet sich die Wurm seit Anfang der 70er Jahre in Stromschnellen in flachen Abschnitten und Ausbil- ausgebautem Zustand, begradigt und technisch, dung von Kolken in Bereichen starker Eintiefungen teilweise mit Spundwänden befestigt. In der Innen- mit niedrigen Fließgeschwindigkeiten geben nur ein stadt von Herzogenrath behindert ein Sohlabsturz annäherndes Bild des Formenreichtums wieder. Zu die Durchgängigkeit des Fließgewässers von unten diesem Bild gehören auch die wechselnden Breiten nach oben. des Gewässers mit 5 bis 10 Meter und Tiefen mit 0,3 bis 1 Meter, sowie die unterschiedlich starke Anschließend hat die Wurm unterhalb der Kläran- Beschattung durch abwechslungsreichen Bewuchs lage Worm bis zum Amstelbach nochmals eine der Uferbereiche mit sporadischem Bestand bach- naturbelassene Fließstrecke von ca. 3 km freien, begleitender Silberweide und Schwarzerle. ungeregelten Verlaufes in einer typischen Wildfluss-

216 landschaft auf niederländischem und deutschem festlegungen durch Steinstickung bzw. Steinschüt- Hoheitsgebiet. Diese Bereiche wurden wegen ihres tung und weitgehend, ohne begleitendes Uferge- hohen ökologischen Wertes als Rest eines Silber- hölz, unbeschattet (Abb. 3). weiden-Aubruchwaldes als NSG ausgewiesen. Hier ist die Wurm sich selbst überlassen, wild den eigenen Weg frei fließend und nach Umfeld und Struktur in einer weitgehend naturnahen Situation. Als Grenzgewässer hat sie in diesem Bereich einen Abschnitt grenzidentischen Verlaufes. Die Abschnit- te unterschiedlicher Flussdynamik wechseln, da die Wurm von einer oder beiden Talseiten erheblich durch z.B. Bebauung, Aufschüttungen, Bergehalden sowie einen Bahndamm eingeengt wird oder aber der Raum zum freien Fließen und Pendeln vor- handen ist. Durch die Fließgewässerdynamik und die durch erhöhte Wasserführung zudem verstärkte Abb. 3:Wurm bei Geilenkirchen-Süggerath im Kraft des Wassers sind Erosionen bedingt, die Kreis Heinsberg sowohl an der Sohle Eintiefungen, auch aufgrund rückschreitender Erosion, als auch im Uferbereich Der Bau des Regelprofils ging mit der Tieferlegung Abbrüche verursachen können. 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens der Flusssohle einher. Zudem kam es zum Rück- Einige Maßnahmen zur Ufersicherung sind in den gang der Retentionsräume und Versickerungs- Jahren 1980 bis 1991 durchgeführt worden, u. a.: flächen, da Auenbereiche im Rahmen dieser Maß- nahmen zum Teil aufgeschüttet und überbaut wor- ♦ Im Bereich der Kläranlage Worm wurden in den den sind. Zu diesen Ausbaumaßnahmen gehörten 80er Jahren Ufer mit Hilfe von Weidenfaschinen bei der Wurm auch die insgesamt 11 Sohlgleiten. und Gabionen gesichert, da eine den Abwasser- Dabei handelt es sich um 20 bis 30 m lange, als kanal gefährdende Situation vorhanden war. Rauhbettgerinne bezeichnete Strecken mit einem ♦ Die Uferbefestigungsarbeiten in dem Abschnitt Gefälle 1 : 10 bis 1 : 20, in denen größere Steine mit oberhalb der Einmündung des Amstelbaches dem Fuß in betonierten Untergrund fest eingesetzt wurde Mitte der 80er Jahre durchgeführt. Dabei sind. Ein Fischaufstieg von Unterwasser zu Ober- wurden Böschungen mit Weidengeflecht und wasser kann hierüber stattfinden. Sie dienen dem Faschinen befestigt und der Böschungsfuß Wirkungsausgleich des, durch den Ausbau verur- durch Schüttungen gesichert. sachten, vergrößerten Gefälles. Die Begradigung – zur zeitnahen Ableitung großer Wassermassen – ♦ Starke Abbrüche am rechten Ufer der Wurm hat Fließstrecken verkürzt und Überstauungen ver- unterhalb Amstelbach wurden durch ein Hoch- hindert. Ohne Maßnahme hätte dies die Fließ- wasser 1987 verursacht und führten zu einer geschwindigkeiten übermäßig erhöht und auch die Gefährdung des Bahndammes. Die notwendigen in Verbindung damit auftretenden Schleppspannun- Sicherungsmaßnahmen wurden 1991 fertigge- gen, durch welche Geschiebe-Verfrachtungen und stellt. Austiefungen des Gewässerbettes verursacht Eine zweite Verlegung der Wurm im Bereich einer werden, sehr groß werden lassen. Die Sohlgleiten großen Aufschüttung unterhalb der Einmündung sollen also dem Wasser die Kraft nehmen. Bei dem des Amstelbaches auf niederländischem Hoheits- angestrebten Gefälle von etwa 1 – 1,25 ‰ findet in gebiet (Bau eines Natodepots) wurde ebenfalls in der Regel kein Materialtransport statt. diesen Jahren durchgeführt. An der Mündung treffen bei Mittelwasserführung Noch vor Rimburg beginnend, sind der Mittel- und etwa 3,5 bis 4 m³/s der Wurm auf ungefähr 13 m³/s Unterlauf der Wurm – mit 29 km mehr als die halbe in der Rur, die im Einmündungsbereich der Wurm Gesamtlänge – bis hin zur Mündung in die Rur ebenfalls technisch ausgebaut ist. Das Verhältnis durch den streng technischen Ausbau der 50er bis der Wasserführungen von Wurm zu Rur beträgt 70er Jahre geprägt, gleichförmig begradigt mit Ufer- somit bei Trockenwetter etwa 1 zu 4.

217 Von der gesamten Fließstrecke der Wurm haben len-Teut wesentlich durch die Einwirkung von Indu- nur noch 11 Kilometer naturnahen Charakter. Die strieabwässern aus Steinkohle-Zechen geprägt. restlichen 42 Kilometer, das entspricht ca. 80 % Der Steinkohlebergbau hat die Wasserqualität der ihrer Länge, sind technisch ausgebaut. Wurm stark und nachhaltig beeinflusst. Das Gewäs- ser war in seinem gesamtem Verlauf schwarz durch Entwicklung der Abwasserreinigung Kohlepartikel der eingeleiteten Kohlewaschwässer und der Kokereiabwässer. Schaumberge trieben Etwa seit 1970 hat ein intensiver Ausbau aller kom- flussabwärts. Die Salzbelastung durch die im Sümp- munalen Kläranlagen und ab 1988 ein Ausbau mit fungswasser enthaltenen Chloride war hoch. weitergehender Abwasserreinigung stattgefunden, der Ende 1999 seinen vorläufigen Abschluss fand. Die aus Sicherheitsgründen Untertage eingesetzten schwerentflammbaren Hydraulikflüssigkeiten, nach Die Maßnahmen der Abwasserreinigung sind, neben 1940 waren es PCBs, ab Anfang der 80er Jahre der Stillegung verschiedener Betriebe, in großem wurde der PCB-Ersatzstoff Ugilec verwendet, Maße verantwortlich für die Güteverbesserung der wurden über die Sümpfungswässer in die Wurm ein- Wurm. Anlass und Arbeitsgrundlage für die Weiter- geleitet und fanden sich im Sediment wieder. Seit entwicklung und Verbesserung der Abwasserreini- Anfang der 90er Jahre gehen die Belastungen durch gung sind in diesen Jahren immer die Ergebnisse PCBs und PCB-Ersatzstoffe, die unter Verdacht der regelmäßig durchgeführten biologischen Ge- stehen von krebsverursachenden Stoffen begleitet wässeruntersuchungen gewesen, die durch ihren zu werden, stark zurück (vgl. Kap. 8.2). Untersuchungsrhythmus auch automatisch zur Erfolgskontrolle wurden und dann gegebenenfalls In Herzogenrath siedelte sich schon früh die Glas- zu weiteren Maßnahmen führten. herstellung an, deren Produktionsabwässer eben- falls der Wurm zugeleitet wurden. Auch kamen An der Wurm bestand bereits viele Jahre vor 1970 Abwässer anderer Betriebssparten, wie beispiels- (Gütebericht 1965) eine desolate Situation mit voll- weise nur unzureichend vorgeklärte Abwässer aus kommen überforderten Abwasseranlagen bei über- Lederfabriken und am Unterlauf aus einem großen wiegend vorhandenem Mischsystem. Auch bei Chemiebetrieb in Heinsberg-Oberbruch, zur Ein- Trockenwetter gab es viele Einleitungen ungereinig- leitung. In Heinsberg-Oberbruch wurde Mitte der ten Schmutzwassers und zusätzliche Einleitungen 70er Jahre die einzige in die Wurm ableitende Indu- bei auch nur geringem Niederschlag. Regenab- striekläranlage als chemisch-biologische Kläranlage schläge, über die große Mengen ungereinigte gebaut. Abwässer direkt in die Wurm gelangten, waren die Regel. Die Wasserführung der Wurm aus der Stadt Viele Tuchhersteller und Färbereien in Aachen Aachen betrug oberhalb der Kläranlage Aachen- haben in den vergangenen Jahren die Direktein- Soers mitsamt aller Nebengewässer der Stadt ca. leitungen eingestellt bzw. es erfolgte die Schließung 0,5 m³/s und war bereits stark verschmutzt. Dazu von Betrieben. Der Steinkohlebergbau ist seit den kamen ungereinigte Abwässer aus den letzten frühen 90er Jahren vollständig geschlossen. Die Regenabschlägen oberhalb der Kläranlage und aus Lederfabrikation an der mittleren Wurm, gekenn- anderen Kanälen der Stadt. Lediglich 600 l/s Abwas- zeichnet durch ausgesprochen hohe CSB-Belastun- ser wurden der sanierungsbedürftigen Kläranlage gen und weitere, durch Behandlungsstoffe bedingte Soers der Stadt Aachen zur Reinigung zugeführt. Belastungen für die Wurm, ist Anfang der 80er Jahre 70 % des damaligen Abflusses der Wurm bestand eingestellt worden. aus gänzlich ungereinigten Abwässern. Die zufließenden Bäche Broicherbach, Amstelbach, Im Aachener Raum waren die erzeugende und ver- Übach und Beeckfliess waren ebenfalls durch arbeitende Metallindustrie und die Tuchindustrie, mit Zechenabwässer des Steinkohlebergbaus beein- Färberei und Appretur, die frühest angesiedelten flusst. Trotz einer Verringerung der Verschlammung Gewerbe. Aus Aachen also bereits durch kommuna- nach Schließung von Zechen bzw. durchgeführter les wie auch gewerbliches Abwasser, z. B. unge- Haldenverrieselung von kohlepartikelhaltigem Ab- reinigte Abwässer der o. g. Färbereibetriebe, beein- wasser, befanden sie sich in schlechtem Zustand. trächtigt, war der weitere Verlauf der Wurm bald Auch alle anderen Nebengewässer waren ebenfalls unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers ab Würse- stark verschmutzt. Für die Beschreibung des Haar-

218 baches wurden Formulierungen gewählt, wie z. B. stark graubraun gefärbt, kräftig muddiger Geruch, ziemlich trüb, schäumendes Wasser, Ablagerung von Ortsabfällen und vor allem schwarzer Faul- schlamm. Keine Kläranlage, deren Abwässer der Wurm zu- flossen, genügte zur damaligen Zeit angemessenen Anforderungen einer Reinigung. Abwasser wurde entweder nicht gereinigt, zumeist nur mechanisch oder im Einzelfall auch biologisch. Die mechani- schen Kläranlagen dieser Zeit waren überlastet oder veraltet. Andere arbeiteten nicht zufriedenstellend. Wenige Kläranlagen befanden sich im Bau.

So sah die Situation der Wurm bis zu ihrer Mündung in die Rur im Hinblick auf die Wasserqualität bis Mitte der 70er Jahre sehr schlecht aus.

Aber in dieser Zeit erfolgte, wie anderorts auch, ein Nachrüsten auf dem Abwassersektor und der Aus- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens bau von biologischen Kläranlagen an der Wurm. Dieser Nachholbedarf der biologischen Abwasser- reinigung fand sein vorläufiges Ende zu Beginn der 80er Jahre. Bei den beiden Aachener Kläranlagen erfolgte ein größerer Ausbau nach seinerzeit techni- schem Standard mittels „biologischer Reinigungs- stufe“. Diese Maßnahme wurde bei der Kläranlage Eilendorf von 1976 bis 1980, bei der Kläranlage Aachen-Soers in den Jahren 1977 bis 1982 durch- geführt. Erste Besserungen der Gewässergüte waren zeitversetzt bereits in den darauf folgenden Jahren feststellbar.

Auf der Grundlage des durch das ehemalige StAWA im Jahr 1985 erarbeitete „Wurmgutachten“ wurde ein Gesamtkonzept erstellt, das einen umfang- Abb. 4: Verlauf der Wurm und ihrer Nebengewäs- reichen Katalog von weitreichenden Sanierungsvor- ser mit Kläranlagen-Einleitungen ( þ), schlägen an die Einleitungen zur Verbesserung der Stand 2000 Gewässergüte der Wurm enthielt. Durch Umsetzung von erhöhten Anforderungen an die Einleitungen Herzogenrath-Steinbusch und Herzogenrath-Worm, durch die Wasserbehörden kam es zu umfang- Übach-Palenberg-Frelenberg, Geilenkirchen-Flah- reichen Ausbaumaßnahmen an vielen Kläranlagen straß, Heinsberg-Dremmen und an den Nebenge- und Anlagen der Niederschlagswasserbehandlung wässern der Wurm die Kläranlagen Würselen- an der Wurm (Abb. 4). Die Kläranlagenerweiterun- Euchen, Alsdorf-Broichtal und Baesweiler-Setterich. gen mittels weitergehender Reinigungsverfahren (insbesondere Reduzierung von Stickstoff und Darüber hinaus wurden mehrere sanierungsbedürf- Phosphor) erfolgten von 1988 bis Ende 1999. tige Kläranlagen aufgegeben und das Abwasser Herausragend war hierbei der Abschluss der Sanie- anderen Anlagen zur Reinigung zugeleitet. Der rung der Kläranlagen Aachen-Soers und Eilendorf Ausbau der kommunalen Abwasserbehandlung bis Anfang 1994. Weitere Ausbaumaßnahmen mit wirkte sich durch erhebliche Verbesserung der weitergehenden Reinigungsverfahren betrafen aber Reinigungsleistung unmittelbar positiv auf die auch die an der Wurm gelegenen Kläranlagen Gewässergüte aus.

219 Entwicklung der Wasserqualität Wurm unterhalb Kläranlage Aachen-Soers 20 150 O2 mg/l Sätt. % Trend Sätt.% Trend O2 mg/l Noch bis 1978 optisch schwarz durch den Einfluss 16 des Kohlebergbaus, später dann weiterhin sehr trüb % in Sauerstoffsättigung 100 durch hohe Schwebstoffgehalte erscheint die Wurm 12 seit 1994 augenfällig fast klar und durchsichtig. 8 Nicht nur in den weitgehend unbeschatteten Ab- 50 Sauerstoffgehalt in mg/l schnitten des Mittel- und Unterlaufes kommt es 4 inzwischen zu Pflanzenwachstum, was in den 0 0

Jahren vorher nicht feststellbar war. Parallel zu den 1970 1973 1975 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Jahr fortschreitenden Maßnahmen der Abwasserreini- gung, Erweiterungen oder Neubauten von Abwas- Wurm vor Mündung in die Rur seranlagen, die zur Verringerung der organischen 20 150 O2 mg/l Sätt. % Trend Sätt. % Trend O2 mg/l Belastung führten, haben sich langsam und allmäh- 16 lich insgesamt Verbesserungen im Gewässer einge- % in Sauerstoffsättigung 100 stellt. 12

8 Diese Verbesserungen sind bei Betrachtung ver- 50 Sauerstoffgehalt in mg/l schiedener Parameter, wie u. a. Sauerstoffsätti- 4 gung, Sauerstoffgehalt, Biochemischer Sauerstoff- 0 0 bedarf (BSB5), der Nährstoffe Stickstoff- und 1970 1973 1975 1977 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Phosphorverbindungen (N und P) im besonderen Jahr Ammonium-Stickstoff (NH -N), gesamt-organischer 4 Abb. 6: Einzelmesswerte der Sauerstoffgehalte Kohlenstoff (TOC) bzw. dem Chemischen Sauer- und Sauerstoffsättigungen von 1970 bis stoffbedarf (CSB), über die Jahre gut zu verfolgen. 1999 an zwei Wurm-Messstellen Als Beispiel hierzu die Darstellung von Sauerstoff- sättigungen sowie Ammonium-N-Gehalten, die die – Wurm unterhalb Einleitung der Kläranlage sich verändernde Situation, an vier aussagekräfti- Aachen-Soers gen Untersuchungsstellen widerspiegeln: – Wurm vor Mündung in die Rur – Wurm unterhalb Aachen oberhalb der Einmün- In früheren Jahren wurden in der Wurm häufig dung des Haarbaches Sauerstoffmangelsituationen aufgrund hoher Zeh- – Wurm unterhalb der Einmündung des Haar- rungsverluste festgestellt (Abb. 5). Noch 1989 sind baches im Mittel- und Unterlauf der Wurm, am Tag gemes- sen, bis zu 61 % und 1991 bis 78 % Sauerstoffdefi- zite festgestellt worden. Die Verringerung der orga- nischen Belastung verbesserte die Situation (Abb. 6).

1994 wurden nun an den Trendmessstellen im Mittel

O2-Sättigungen von 93 % gemessen, also nur noch 7 % Defizit. Im Jahr 1999 lagen die Sättigungswerte an sonnigen Tagen in der Wachstumsphase in- zwischen deutlich über 100 %.

Die Reinigungsleistung der Kläranlagen bezüglich Nitrifikation und Denitrifikation verringerte die Ammonium-Belastungen beispielhaft (Abb. 7). Be- reits 1993 ist eine direkte und ausgesprochen deut- liche Reduzierung der Ammonium-N-Gehalte fest- stellbar (Abb. 8). Die seit 1989 durchgeführten, jähr- Abb. 5: Tendenz der Sauerstoff-Sättigung an vier lich 13 Beprobungen der Trendmessstellen – Wurm Wurm-Messstellen unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers und Wurm

220 keinen verbessernden Einfluss. Die Wurm nimmt in ihrem Verlauf die Abwässer von 15 Kläranlagen (kommunal und gewerblich), einschließlich der niederländischen Kläranlagen, auf, so dass ihre Wasserführung bei Trockenwetter vor Mündung in die Rur zu ca. 90 % aus gereinigtem Abwasser dieser Anlagen besteht. Die nach wie vor große Diskrepanz zwischen natürlicher Wasserführung und dem Volumen der Abwassereinleitungen wird hierdurch deutlich. Bei der Wurm handelt es sich um ein sehr empfindliches System, das am „Seidenen Faden“ der Funktionstüchtigkeit der Kläranlagen hängt.

Abb. 7: Tendenz der Ammonium-N-Gehalte, Einzel messwerte an vier Wurm-Messstellen Entwicklung der Biologischen Gewässer- güte vor Mündung in die Rur – ermöglichen eine ge- Mit der sich verbessernden Wasserqualität der

nauere statistische Betrachtung mittels der Perzen- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Wurm haben sich günstigere Bedingungen für die tile. Die im Gewässer Wurm vorhandenen Gehalte Besiedlung des Fließgewässers eingestellt. Damit bewegen sich seit 1993 sowohl unterhalb der Ein- war die entsprechende Weiterentwicklung bzw. die leitung der großen Kläranlage Aachen-Soers als Wiederbesiedlung durch das Makrozoobenthos auch vor Mündung in die Rur in der Regel im Be- (z. B. Eintagsfliegenlarven, Köcherfliegenlarven, reich unterhalb von 1 mg/l NH -N. 4 Würmer, Schnecken, Muscheln, Egel) möglich.

NH4-N (mg/l) Die verringerten organischen Belastungen des Ge- 25,4 25 wässers verbesserten den Sauerstoffhaushalt und 20 ließen im Laufe der Zeit das Leben von Organismen 15 mit höherem Anspruch an ihren Lebensraum zu,

10 während andere Arten, die die Verschmutzung tole- 5 rieren, in ihrer Zahl und Häufigkeit zurückgingen. Nach wie vor werden biologische Gewässerunter- 0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 suchungen durchgeführt und nach dem Artenvor- kommen sowie der Zusammensetzung der Lebens- uh. KA Aachen-Soers vor Mündung in die Rur 90-Perzentil 90-Perzentil gemeinschaft Aussagen über die Qualität des je- 50-Perzentil 50-Perzentil weiligen Lebensraumes bzw. Gewässerabschnittes gemacht. Entsprechend erfolgt die Zuordnung in Abb. 8: Ammonium-N-Gehalte (50 %- bzw. 90 %- Gewässergüteklassen der 7-stufigen Skala. Perzentile) von 1991 bis 1999 an zwei Trendmessstellen der Wurm Alle Darstellungen basieren auf der Grundlage einer, aus über 30 Jahren stammenden, reichhalti- Auch heute noch gibt es Belastungen aus dem gen Datenbasis biologischer Gewässergüte- und Stadtgebiet Aachen durch Einleitungen aus sanie- Wasseruntersuchungen. Im Rahmen dieser lang- rungsbedürftigen Entlastungsbauwerken des Kanal- jährigen Überwachung wurden auch an der Wurm netzes, die mit dem Regenwasser in das Gewässer besonders ausgewählte Messstellen übergeord- gelangen. neter Wichtigkeit häufiger biologisch untersucht. Im 5-Jahresrhythmus aufgezeichnet, zeigt Abbildung 9 Als Nebengewässer der Wurm hatten und haben die unterschiedlichen Gewässergüteeinstufungen die z. T. bergbaulich, aber vor allem auch organisch der Wurm und ihrer Nebengewässer seit 1970. belasteten Bäche Broicherbach, Amstelbach, Übach, Beeckfliess bezüglich der Wurm bisher

221 1970

1975

1980

1985

1990

1995

1998

1999

Verrohrung Amstelbach Wildbach

oh. Aachen Stadt Aachen uh. KA AC-Soers oh. Rur Übach Broicherbach Haarbach Beeckfließ

Wurm

Gewässergüteklassen

I I-II II II-III III III-IV IV

Abb. 9: Entwicklung der Gewässergüte der Wurm 1970 bis 1999

222 Seit 1970 ist eine schrittweise Verbesserung der Wurm unterhalb Einleitung der Kläranlage Aachen-Soers Gütesituation zu beobachten. Von 1970 bis 1975 entsprach die Wurm in dem Abschnitt unterhalb von Aachen in ihrem gesamten weiteren Fließverlauf mit übermäßig starker Verschmutzung der Güteklasse IV. In den nächsten Jahren bis Anfang der 80er Jahre war das Gewässer noch sehr stark ver- schmutzt (Güteklasse III-IV) bzw. zuletzt stark ver- schmutzt (Güteklasse III). Die 1980 beginnende Güteverbesserung im Jahr 1985 streckenweise auf Güteklasse II-III wurde von einer kurzzeitigen Verschlechterung unterbrochen. 1990 wies die Wurm unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers Güteklasse III auf. Der Rückgang der Wurm vor Mündung in die Rur Gewässergüte kann mit industrieller Entwicklung im Rahmen auflebender Konjunktur gesehen werden, die über die Kläranlageneinleitungen erhöhte Be- lastungen mit sich brachte. Im Jahr 1995 noch durchgängig von Aachen bis zur Mündung in die 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Rur, der kritischen Belastung entsprechend in Güte- klasse II-III eingestuft, kann die Wurm seit 1999 bereits ab Geilenkirchen-Müllendorf im Kreis Heins- berg bis zur Mündung in die Rur (mäßig belastet) der Güteklasse II zugeordnet werden, wenn auch mit einer Tendenz zur Güteklasse II-III. Alle Nebengewässer waren bis 1970 stark ver- schmutzt (polysaprob). Keines der Nebengewässer Abb. 11: Entwicklung der Artenzahlen der ben- gab günstige Impulse oder nahm verbessernden thisch lebenden Kleinlebewesen in der Einfluss auf die Wasserqualität bzw. die Gewässer- Wurm von 1973 bis 1999 – nach Ernäh- güte der Wurm. Die Zuflüsse waren 1999 alle kri- rungstypen unterteilt. tisch belastet (Güteklasse II-III), der Übach ist stark verschmutzt und somit in Güteklasse III eingestuft. Die unterschiedliche Entwicklung der Artenzahlen differenziert nach den Gruppen der Ernährungs- Im folgenden werden die Untersuchungsstellen typen gibt ein sehr anschauliches Bild wieder Wurm unterhalb der Kläranlage Aachen-Soers und (Abb. 11). Die Veränderungen, Zunahme bzw. Wurm vor Mündung in die Rur betrachtet, die seit Abnahme der einzelnen Ernährungstypen lassen 1989 als Trendmessstellen jährlich biologisch unter- einen Rückschluss auf die sich verändernde Situa- sucht wurden. Bemerkenswert ist die Zunahme der tion im Gewässer zu. Zu Beginn der 70er Jahre Artenzahl im Verlauf der Jahre (Abb. 10). waren in der Wurm unterhalb der Kläranlage 25 Aachen-Soers bis zur Mündung in die Rur keine

20 Makroorganismen vorhanden. Nach den Detritus- fressern waren erst seit 1982 die ersten weiteren 15 Organismen, wie Räuber, Weidegänger, Filtrierer

Artenzahl 10 und Zerkleinerer, in der Wurm auch vor Mündung in 5 die Rur zu finden.

0 1977 1979 1982 1984 1987 1990 1993 1996 1999 2000 Der Zusammenhang der Artenzunahme mit einer Jahr Lebensraumverbesserung aufgrund der zu Beginn Wurm unterhalb Einleitung der Kläranlage Aachen-Soers Wurm vor Mündung in die Rur (Eifel) der 80er Jahre intensivierten Entwicklung der Abb. 10: Zunahme der Artenzahlen an zwei Unter- Abwasserreinigung ist offensichtlich. Zum Ende der suchungsstellen der Wurm Jahre 1980 bzw. 1982 war der Ausbau der beiden

223 großen Aachener Kläranlagen, mit den Erweiterun- Resümee gen der „biologischen Reinigungsstufe“, beendet. Auch heute noch ist die Kopfbelastung der Wurm Auch der Güteknick Anfang bis Mitte der 90er Jahre, nicht allein am hohen Abfluss von Oberflächenwas- der in der verschlechterten Güteeinstufung (Abb. 9) ser bei entsprechenden Niederschlagsereignissen dokumentiert ist, ist anhand der rückläufigen Arten- zu erkennen, sondern ebenfalls an den aus Ab- entwicklung in der Wurm unterhalb der Kläranlage wassereinleitungen stammenden Belastungen. Ver- Aachen-Soers gut nachvollziehbar. Der Einbruch ist schiedene, dem Abwasser eigene Inhaltsstoffe, wie an der Verringerung der Artenzahlen (Abb. 10) so- Toilettenartikel, Papier- und andere Reste waren wie an einem durchgängigen Einschnitt für die auch 1999 in dem ersten Teilstück unterhalb von Artenzahlen der jeweiligen Ernährungstypen gut Aachen in den Uferbereichen der Wurm an Sträu- erkennbar. (Abb. 11). An der Mündung in die Rur hat chern und Ästen noch sichtbar. sich dieser Einfluss auf die Wurm nicht so deutlich ausgewirkt, ein Rückgang der Artenzahlen ist für Insgesamt ist die Belastung heute jedoch sehr viel diesen Zeitraum dennoch zu erkennen. geringer als vor 30 Jahren, was sich in der weit verbesserten Güteeinstufung widerspiegelt. Eine Eine weitere, nochmals deutliche Verbesserung der weitere Verbesserung der Gewässergüte wird vor- Gewässersituation lässt sich anhand der Ergeb- aussichtlich nur noch langsam vorangehen. nisse der seit 1993 an diesen beiden Messstellen durchgeführten Untersuchungen feststellen. Seit In Bezug auf Umfeld und Struktur ist die Wurm 1993 war die organische Belastung der Wurm auf- streckenweise als positiv zu beurteilen. Die Besied- grund verbesserter Reinigungsleistungen der wie- lung in der Wurm hat sich deutlich verbessert, die der erweiterten Kläranlagen Aachen-Soers und Entwicklung stagniert aber zur Zeit. Aachen-Eilendorf mittels weitergehender Abwasser- Die Sanierung von Abwassereinleitungen und -an- reinigungsverfahren stark verringert. Die Ammo- lagen im Einzugsgebiet der Wurm ist noch nicht nium-N-Gehalte in der Wurm waren bereits 1993 gänzlich abgeschlossen. Dies betrifft schwerpunkt- (Abb. 8) so stark vermindert, dass die Werte in 90 % mäßig die Einleitungen aus den Kanalnetzen der der Fälle weit unter 1 mg/l lagen, was zugleich auch Kommunen. Zukünftig werden durch diese Maßnah- eine Entlastung des Sauerstoffhaushaltes bedeute- men Voraussetzungen für eine weitere positive te (Abb. 6). Die Ergebnisse der biologischen Unter- Güteentwicklung der Wurm geschaffen. Dies setzt suchungen korrelieren mit den seit 1993 im Gewäs- jedoch einen konsequent ordnungsgemäßen Be- ser festgestellten niedrigeren Belastungen. Die Ent- trieb der vorhandenen Abwasseranlagen voraus. wicklung der Makroorganismen nimmt von dem Zeitpunkt der geringeren Belastungen an erneut in positivem Maße zu.

224 Niers

3.5.2 Die Niers – Der Wandel von der „Landeskloake“ zum Fischgewässer Wolfgang Müller (StUA Krefeld) & Dr. Wolfgang Schiller (LUA)

Historisches zur Gewässergüte und zum Auch der inzwischen in NRW vom Aussterben Fischbestand bedrohte Edelkrebs (Astacus astacus) lebte in sehr großer Anzahl in der Niers und ihren Nebenge- Die am linken Niederrhein südlich von Mönchen- wässern. gladbach entspringende und nach 116 km südwest- lich von Kleve auf niederländischem Gebiet in die Der Fischreichtum der Niers und die damit von jeher Maas mündende Niers (Abb. 1) ist ein Fluss mit verbundenen wirtschaftlichen Interessen waren am einer sehr wechselhaften Geschichte. Ihr Name 13. Mai 1641 sogar Anlass zu einer bewaffneten kann über Neers und Nersa bis zum keltischen Auseinandersetzung zwischen dem Abt zu Glad- Wortstamm für Fluss, der nir bzw. ner lautet, zurück- bach und dem in Neersen gelegenen Haus Vir- verfolgt werden (KRICKER 1959). mond. Der Neersener Freiherr beschuldigte den am Oberlauf wirtschaftenden Abt, er habe die Fischerei durch Überfischung zu Grunde gerichtet. Als selbst Klagen beim Schirmherr der Abtei, dem Herzog von Jülich nichts bewirkten, entschloss sich der im Drei- ßigjährigen Krieg geschulte Freiherr, selbst zur Tat 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens zu schreiten. Am 13. Mai beschoss er die Glad- bacher Sebastianusbruderschaft bei ihrem traditio- nellen Niers-Fischen; es gab mehrere Schwerver- letzte (LENTZEN & VERRES 1878). Es ist zu vermuten, dass im Ober- und Mittellauf der Niers etwa um 1850 der Beginn des großräumigen Rückgangs der Fischbestände einsetzte. Noch 1820 ist für den Korschenbroicher Raum ein ertrag- Abb. 1: Die Niers bei Mülhausen reicher Fischfang belegt (BREMER 1939). Aber bereits 1863 schrieb SCHUBARTH in einer Statistik Sucht man in älteren heimatkundlichen Büchern des ehemaligen Kreises Mönchengladbach: „Die oder Zeitungsartikeln nach Angaben über die ehe- Fischerei ist im hiesigen Kreise in Folge der an den mals vorhandene Gewässerausprägung, so ergibt fließenden Gewässern vielfach bewirkten Anlegung sich das Bild eines ökologisch wertvollen und hoch- von gewerblichen Etablissements, namentlich von interessanten Flusses. Aber leider existieren hier- Färbereien, Druckereien und Bleichereien wegen über keine von Fachleuten hinterlassenen wissen- der die Fische tödtenden Abgängen dieser Etablis- schaftlich exakten Arbeiten, so dass heute Hinweise sements so unbedeutend, dass sie gar nicht in zu den in der Niers früher lebenden tierischen Betracht kommen kann“. LENTZEN & VERRES (1878) Kleinlebewesen (Makrozoobenthos) völlig fehlen. Im weisen darauf hin, dass nicht nur die Einleitung von Gegensatz dazu finden sich jedoch häufiger An- Abwasser sondern auch die radikale Räumung des gaben zur ehemals fischereibiologisch und wirt- Gewässerbetts von Schlamm Ursache des Rück- gangs der Fischbestände gewesen seien. schaftlich interessanten Fischfauna (z. B. SCHMITZ 1871, BREMER 1939, JANSSEN 1979 und besonders Zwischen 1880 und 1890 wurde vielerorts mit dem STEVENS 1988). Die aus mehreren Literaturquellen Bau der allgemeinen Kanalisation begonnen, die rekonstruierte Artenliste beinhaltet: Aal, Barbe, von nun an einen schnellen Transport des anfallen- Barsch, Brachsen, Hecht, Karausche, Karpfen, Rot- den Abwassers zur Niers ermöglichte. Um die Jahr- auge, Schleihe, Steinbeisser, Wels sowie Gründ- hundertwende leiteten so die Städte, Gemeinden linge, auch Köfger genannt. Die Liste ist nicht voll- und Betriebe bedingt durch das rasche Anwachsen ständig, denn wirtschaftlich nicht interessante Arten der Bevölkerung und der Industrie ihre meist unge- wie beispielsweise der vermutlich massenhaft vor- klärten Abwässer ohne Rücksicht auf die Unterlieger handen gewesene Neunstachlige Stichling fehlen. in den zu diesem Zeitpunkt bereits „biologisch toten“

225 Vorfluter. Es waren schon damals etwa 18 Mio. m³ Wesentliche Erweiterungen dieser Anlage erfolgten Abwasser jährlich, die der Fluss abtransportieren 1939, 1951, 1955 und 1972. Schließlich wurde musste und mit denen er nicht fertig wurde. Bei zwischen 1976 und 1978 der sogenannte Nierssee Hochwasser verpestete die schwarze Brühe das als nachgeschalteter Schönungsteich fertiggestellt. Umland. So war es kein Wunder, dass die Niers im Dabei handelt es sich um einen ehemaligen Bag- Königlich-Preussischen Landtag die „Landeskloake“ gersee mit einer Größe von ca. 2 Mio. m³ Volumen, genannt wurde (NIERSVERBAND 1978). Im Jahr 1902 22 ha Oberfläche und ca. 20 Tagen Aufenthaltszeit. legte die Königliche Versuchs- und Prüfungsanstalt 1992 und 1999 erfolgten dann wesentliche Erweite- für Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung rungen der biologischen Hauptstufe. Bis heute dem Landtag ein „Gutachten über die Untersuchung bestimmt diese mit 610.000 Einwohnergleichwerten des Niersflusses“ vor. Dem Inhalt ist zu entnehmen, größte und sich derzeit wieder in einer Erweite- dass das Gewässer unterhalb von Viersen unerträg- rungsbauphase befindende Kläranlage die Gewäs- liche Geruchsbelästigungen erzeugte sowie Un- sergüte im gesamten unterhalb liegenden Niersver- massen eines schwarzen, nach Teer riechenden lauf (NIERSVERBAND 1978, 1993, 1999). Schlamms transportiere, der im Volksmund als „Chinesische Tinte“ bezeichnet wurde (KÖNIGLICHE Veränderungen der physikalisch- VERSUCHS- UND PRÜFUNGSANSALT 1902). chemischen Wasserbeschaffenheit Als Folge des Gutachtens wurde unmittelbar mit zwischen 1962 und heute dem Bau erster Kläranlagen begonnen, die im wesentlichen aus Erdbecken zur Rückhaltung der Die physikalisch-chemische Beschaffenheit der Schlämme bestanden. Zwischen 1905 und 1927 Niers beeinflusst wesentlich die qualitative und führten die Einleiter unterschiedlichste wasserwirt- quantitative Zusammensetzung der Fischfauna. Im schaftliche Maßnahmen durch, die jedoch aus folgenden sollen daher die für den Fischbestand heutiger Sicht keine wesentliche Verbesserung der bedeutenden physikalisch-chemischen Messgrößen Gesamtsituation brachten. Der in Abbildung 2 dar- Ammonium (NH4-N), Sauerstoffgehalt (O2-Gehalt) und Biochemischer Sauerstoffbedarf (BSB ) in gestellte Sauerstofflängsschnitt (NIERSVERBAND 1929) 5 zeigt die Situation im August 1929. Ganglinien von 1962 bis heute und jeweils oberhalb und unterhalb der Kläranlage MG-Neuwerk betrach- 14 M'gladbach Viersen Geldern Goch NL tet werden. Desweiteren wird ein typischer Be- 12 Standort der 1938 in Betrieb lastungslängsschnitt vorgestellt, mit dem die bis zur genommenen KA MG-Neuwerk 10 Landesgrenze erfassbaren Auswirkungen des ein- geleiteten behandelten Abwassers verdeutlicht 8 werden. Schließlich wird für den Niersabschnitt an mg/l 6 der Landesgrenze die von 1978 bis 1998 erfolgte 4 und im wesentlichen durch Sanierungsmaßnahmen

2 auf den Kläranlagen bedingte Wandlung der Makro- zoobenthos-Lebensgemeinschaft beschrieben. 0 110 105 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Quelle km Mündung Die Bestimmung der drei Messgrößen NH4-N, Abb. 2: Sauerstofflängsschnitt der Niers aus dem BSB5 und O2-Gehalt wurde zusammen mit der des August 1929 Phosphat-Ions (PO4-P) in der Niers vom Beginn der Fließgewässeruntersuchung an durchgeführt. Erste Schließlich wurde 1928 der Niersverband gegrün- Ergebnisse der sich an den oberhalb und unterhalb det, der trotz Wirtschaftskrise bis 1936 in Zusam- der Kläranlage befindenden Probenahmestellen (im menarbeit mit den umliegenden Städten den Aus- folgenden ob. KA MG-Neuwerk und un. KA MG- bau der Niers und die Erweiterung bzw. den Neubau Neuwerk genannt) liegen aus dem Jahr 1962 vor. von Kläranlagen durchführte. Bis 1979 erfolgte die Untersuchung im jährlichen Im Frühjahr 1938 wurde bei km 88 die Kläranlage Abstand jeweils einmal im Sommer, danach im Mönchengladbach-Neuwerk in Betrieb genommen, monatlichen Abstand. Für die Jahre 2000 bis 2003 in dem die Abwässer des Ballungsraums Mön- wurden die voraussichtlich zu erwartenden Konzen- chengladbach-Viersen bis heute behandelt werden. trationswerte durch eine Simulationsrechnung mit

226 dem ATV-Gewässergütemodell prognostiziert. Alle entwässerung mittels Zentrifugieren erforderte und Ergebnisse sind in den Abbildungen 3 bis 7 darge- damit zu einer immer stärkeren Rückführung des stellt, für die sowohl landeseigenes Datenmaterial extrem stark ammoniumhaltigen Zentrats in die als auch freundlicherweise vom Niersverband zur biologische Behandlungsstufe zwang. Die daraus Verfügung gestellte Daten verwendet wurden. resultierende Ammoniumfracht betrug schließlich über 50 % bezogen auf die Ammoniumfracht im Die Ganglinien erlauben einen Vergleich zwischen Kläranlagenzulauf; sie wurde in der Kläranlage nicht der ober- und unterhalb der Kläranlage vorhande- abgebaut und gelangte vollständig in die Niers. nen Belastung in der Niers; sie zeigen anhand der Weitere Gründe für die Zunahme der Ammonium- vier dargestellten Messgrößen den seit Jahrzehnten konzentrationen waren das Bevölkerungswachstum vorhandenen bedeutenden Einfluss des aus dieser und die Wassersparmaßnahmen in der Industrie bei Anlage eingeleiteten behandelten Abwassers auf gleichzeitiger Frachterhöhung. die Gewässergüte. Der Fluss hat noch am ca. 15 km unterhalb der Abwassereinleitung gelegenen Pegel Mit im Mittel 30 mg/l traten die höchsten jemals Oedt (SoMQ = 1,73 m³/s) in Jahren mit mittleren unterhalb der Kläranlage gemessenen Ammonium- Niederschlagsmengen einen aus der Kläranlage konzentrationen von 1990 bis zum Juni 1993 auf. Im stammenden Abwasseranteil um die 80 %. August 1993 kam es dann bedingt durch die In- betriebnahme einer Erweiterung der biologischen 45 IV III-IV III II-III / III Inbetriebnahme Ausbau der biol. Hauptstufe Stufe der Kläranlage von 16.000 m³ auf 24.000 m³ des Nierssees von 16.000 auf 24.000 m³ 40

und der dann einsetzenden Nitrifikation zu einer 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens 35 signifikanten Verminderung der Ammoniumkonzen- 30 Ausbau der tration auf zunächst ca. 7 mg/l. Ein weiterer Ausbau biologischen 25 Hauptstufe auf 51.000 m³ der biologischen Hauptstufe von 24.000 m³ auf 20

[mg NH4-N/l] 51.000 m³ wurde 1999 abgeschlossen. Als Folge 15 ging die Belastung in der Niers auf im Mittel 1,9 mg/l 10 AGA NRW <= 1 mg/l ZV LAWA <= 0,3 mg/l NH -N zurück. Die beiden nach 1994 unterhalb der 5 4 Kläranlage aufgetretenen höheren Ammonium-Kon- 0 zentrationswerte können einerseits auf sehr niedrige Jun 62 Jun 64 Jun 66 Jun 68 Jun 70 Jun 72 Jun 74 Jun 76 Jun 78 Jun 80 Jun 82 Jun 84 Jun 86 Jun 88 Jun 90 Jun 92 Jun 94 Jun 96 Jun 98 Jun 00 Jun 02

un. KA MG-Neuwerk ob. KA MG-Neuwerk Abwassertemperaturen im Winter 1995/96 und Abb. 3:Ammoniumbelastung der Niers oberhalb andererseits auf eine Betriebsstörung auf dem Klär- und unterhalb der KA MG Neuwerk werk im Jahr 1998 zurückgeführt werden. Der der- zeit erfolgende Ausbau ist voraussichtlich Ende 2002 abgeschlossen. Ammonium wirkt einerseits als Nährstoff im Gewäs- ser, andererseits kann es durch eine pH-Wert- und Eine Simulationsrechnung mit dem ATV-Gütemodell temperaturabhängige chemischen Reaktion in das deutet bei Voraussetzung einer Nitrifikation/Denitrifi- stark fischgiftige Ammoniak umgewandelt werden. kation und unter Verwendung der ab 2002 progno- Die Ganglinie des Ammonium-Stickstoffs (Abb. 3) stizierten Betriebsablaufwerte an, dass die in der zeigt in der Niers unterhalb der Kläranlage von 1962 Niers unterhalb der Kläranlage zu erwartenden bis 1978 eine mittlere Belastung von rund 18 mg/l. Ammoniumkonzentrationen in der Regel deutlich Eine weitergehende Interpretation dieser Werte ist unter 1 mg/l NH4-N liegen werden. Damit könnten in aufgrund der nur einmal pro Jahr erfolgten Probe- der Geschichte der Niers erstmals seit über 150 nahme nicht möglich. Im Verlauf des Jahres 1981 Jahren unterhalb des Belastungsschwerpunktes sanken die Werte auf im Mittel 12 mg/l; dies lief Mönchengladbach die Allgemeinen Güteanforde- ≤ parallel mit der zwischenzeitlich erfolgten Inbetrieb- rungen (AGA 1 mg NH4-N/l) und vielleicht auch die nahme des Nierssees als Schönungsteich. Zielvorgaben der LAWA für NH4-N (ZV ≤ 0,3 mg/l) wieder eingehalten werden. In den Jahren danach, etwa von 1982 bis 1989, nahm die Konzentration in der Niers wieder stetig Der Biochemische Sauerstoffbedarf (BSB5) gibt zu. Dies war im wesentlichen eine Folge der 1983 die Belastung der Niers mit biologisch abbaubaren erlassenen Klärschlammverordnung, die beim Be- Substanzen wieder. Da bei den Abbauprozessen trieb der Kläranlage eine weitergehende Schlamm- Sauerstoff verbraucht wird, können bei hohen

227 2,0 40 40 3232 34 34 Inbetriebnahme des 2525 Nierssees 1,8 Ausbau der biol. Hauptstufe Inbetriebnahme Ausbau der biol. von 16.000 auf 24.000 m³ des Nierssees Hauptstufe 1,6 20 Inkrafttreten der 20 Phosphathöchst- 1,4 mengenverordnung 1,2 15 Ausbau der 15 biologischen 1,0 Hauptstufe auf 51.000 m³

10 PO4-P/l] [mg 0,8 10 [mg Sauerstoff/Liter]

[mg Sauerstoff/Liter] 0,6

5 AGA NRW 0,4 5 AGA NRW 0,2 ZV LAWA 0 0,0 0 Jun 62 Jun 64 Jun 66 Jun 68 Jun 70 Jun 72 Jun 74 Jun 76 Jun 78 Jun 80 Jun 82 Jun 84 Jun 86 Jun 88 Jun 90 Jun 92 Jun 94 Jun 96 Jun 98 Jun 00 Jun 02 Jun 62 Jun 64 Jun 66 Jun 68 Jun 70 Jun 72 Jun 74 Jun 76 Jun 78 Jun 80 Jun 82 Jun 84 Jun 86 Jun 88 Jun 90 Jun 92 Jun 94 Jun 96 Jun 98 Jun 00 Jun 02 Jun 62 Jun 64 Jun 66 Jun 68 Jun 70 Jun 72 Jun 74 Jun 76 Jun 78 Jun 80 Jun 82 Jun 84 Jun 86 Jun 88 Jun 90 Jun 92 Jun 94 Jun 96 Jun 98 Jun 00 Jun 02 un. KA MG-Neuwerk ob. KA MG-Neuwerk un. KA MG-Neuwerk ob. KA MG-Neuwerk un. KA MG-Neuwerk ob. KA MG-Neuwerk

Abb. 4: BSB5-Belastung der Niers oberhalb und Abb. 5: Phosphatbelastung der Niers oberhalb und unterhalb der KA MG-Neuwerk unterhalb der KA MG-Neuwerk

BSB5-Werten starke Belastungen des Sauerstoff- auf. Im Verlauf des Jahres 1981 kam es dann zu haushalts auftreten. Die in Abbildung 4 dargestellte einer weiteren drastischen Reduzierung, die im

BSB5-Ganglinie verläuft ähnlich wie die des Ammo- wesentlichen auf die Auswirkungen der am nium-Stickstoffs. Eine erste spürbare Reduzierung 14.6.1980 in Kraft getretenen Phosphathöchst- der BSB5-Belastung in der Niers wurde 1978/79 mengenverordnung zurückgeführt werden kann, die durch die Inbetriebnahme des Nierssees als Schö- Höchstmengen für den Phosphatgehalt in Wasch- nungsteich erreicht. Erwartungsgemäß trat im Ge- und Reinigungsmitteln festlegte. Weitere Verminde- gensatz zum Ammonium-Stickstoff zwischen 1982 rungen der Phosphatfracht ergaben sich jeweils und 1989 jedoch keine stete Konzentrations- nach den baulichen Erweiterungen der biologschen zunahme auf, da die bereits beschriebene Klär- Hauptstufe. Ob die von der LAWA angestrebte Ziel- schlammentwässerung in der Kläranlage nicht zu vorgabe von 0,15 mg/l Pges in der Niers unterhalb spürbar höheren BSB5-Ablaufwerten führte. Die der Kläranlage zukünftig eingehalten werden kann, 1993 in Betrieb genommene vergrößerte biologi- lässt sich derzeit nicht beantworten. sche Hauptstufe führte zu einer weiteren Stabilisie- Durch Mangel an Sauerstoff wird die Lebensge- rung der ohnehin schon niedrigen BSB5-Belastung meinschaft im Fließgewässer schwer geschädigt. im Gewässer. Nach 2002 sind aufgrund einer Pro- Mangelerscheinungen können bei steigender Was- gnose mit dem ATV-Gütemodell in der Niers unter- sertemperatur auftreten, weil die Löslichkeit von halb der Kläranlage Konzentrationswerte von im Sauerstoff im Wasser abnimmt und gleichzeitig die Mittel 1,5 mg/l BSB5 zu erwarten. Folglich wird die durch die Bioaktivität von Organismen verursachten Belastung der Niers deutlich unterhalb der in den sauerstoffzehrenden mikrobiellen Oxidationspro- ≤ AGA geforderten 5 mg/l liegen. zesse zum Abbau von organischen Substanzen be- schleunigt werden. Makrophyten wie der in der Phosphorhaltige Verbindungen sind neben Stick- Niers massenhaft wachsende Flutende Igelkolben stoffverbindungen eine wichtige Nährstoffquelle. Bei produzieren zwar tagsüber erhebliche Mengen Überangebot ermöglichen sie in Fließgewässern Sauerstoff, verbrauchen aber nachts, da sie dann deshalb eine übermäßige Entwicklung der pflanz- nur noch atmen, auch große Mengen. Sie dienen lichen Organismen. Demgemäß ist in der Niers das außerdem als Aufwuchsfläche für Algen und Mikro- Massenwachstum von Flutendem Igelkolben (Spar- organismen und steigern so den bakteriellen Abbau ganium emersum) weit verbreitet. Die Pflanze, die von organischen Substanzen und damit den Sauer- auch die Röhrichtzone besiedelt, wächst hier sub- stoffverbrauch. mers. Sie wird während der Vegetationsperiode zur Aufrechterhaltung der Vorflut mit speziellen Mäh- Die wenigen aus dem Zeitraum 1962 –1978 vor- booten ständig geschnitten. Die Phosphat-Ganglinie liegenden Daten dokumentieren die damals äußerst (Abb. 5) zeigt von 1962 bis 1981 einen ähnlichen unbefriedigenden Sauerstoffgehalte in der Niers Verlauf wie die des Ammonium-Stickstoffs. Eine unterhalb der Kläranlage (Abb. 6). Ab 1978 ver- erste Belastungsverringerung der Niers trat nach besserten sich dort die Verhältnisse aufgrund der Inbetriebnahme des Nierssees als Schönungsteich Inbetriebnahme des Nierssees. Nach Anlaufschwie-

228 rigkeiten wurden auf der Seeoberfläche Belüfter zur des Niersverbands positiv auf die gesamte unter- künstlichen Sauerstoffanreicherung installiert. Der halb liegende Niers ausgewirkt haben. so eingetragene und im See nicht vollständig auf- 35 gezehrte Sauerstoff wurde mit dem behandelten M'gladbach Viersen Geldern Goch NL 30 Abwasser in die Niers eingeleitet und führte dort bis KA MG-Neuwerk etwa 1984 zu einem langsamen Anstieg der Sauer- 25 stoffgehalte und anschließend zu einer Stabilisie- 20 mg/l rung der Situation. Diese damals eingestellten und 15 aus heutiger Sicht auf einem zu niedrigen Niveau 10 liegenden Sauerstoffverhältnisse haben sich nicht 5 mehr wesentlich verbessert. Der Kurvenverlauf in 0 Abbildung 6 zeigt den typischen Sauerstoffjahres- 110 105 100 95 90 85 80 75 70 65 60 55 50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 gang, der durch Minima im Sommer und Maxima im km Winter charakterisiert ist. Dabei liegen die in den Abb. 7: Ammonium-Stickstoff/Längsschnitt Sommermonaten gemessenen Werte ständig unter- halb der Allgemeinen Güteanforderung und der Gegenüber 1990 ist für den Mittellauf und den LAWA-Zielvorgabe von 6 mg/l. Unterlauf bis zur Landesgrenze bei Zelderheide Desweiteren ist zu beachten, dass es in eutrophier- eine wesentliche Minderung der Belastung mit ten Fließgewässern insbesondere in den frühen Ammonium festzustellen. Ähnlich verhält es sich 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Morgenstunden zu einem erheblichen Sauerstoff- mit den meisten anderen physikalisch-chemischen defizit kommen kann, da dann der tagsüber durch Messgrößen. Die Wirkung der deutlich verbesser- Pflanzen produzierte Sauerstoff durch die Atmung ten physikalisch-chemischen Bedingungen auf die der pflanzlichen und tierischen Organismen weitge- Wandlung der Zusammensetzung des Makrozoo- hend aufgezehrt sein kann. Diese Sauerstoffminima benthos wird im folgenden dargestellt. wurden durch die tagsüber erfolgten Messungen nicht erfasst. Es muss daher damit gerechnet werden, dass zumindest kurzzeitig noch wesentlich niedrige Sauerstoffgehalte als die in der Abbildung 6 Die Wandlung der Makrozoobenthos-Ge- gezeigten in der Niers auftreten. meinschaft von 1978 bis 1998

Die Niers überschreitet bei Zelderheide (km 8) 16 IV III-IV III II-III / III Inbetriebnahme des Nierssees die deutsch-niederländische Grenze und wird als 14 Grenzgewässer seit vielen Jahren auf der Grund- 12 lage eines gegenseitig abgestimmten Messpro- 10 gramms biologisch und chemisch untersucht. Die 8

[mg O2/l] biologischen Untersuchungen dienen der Ermittlung 6 AGA NRW u. ZV LAWA >= 6 mg/l der Gewässergüteklasse der Niers. Sie werden seit 4 1978 jährlich durchgeführt. Ein Rückblick über den 2 gesamten Untersuchungszeitraum ergibt, dass die 0 Niers Ende der 70er Jahre noch in stark ver- Jun 62 Jun 64 Jun 66 Jun 68 Jun 70 Jun 72 Jun 74 Jun 76 Jun 78 Jun 80 Jun 82 Jun 84 Jun 86 Jun 88 Jun 90 Jun 92 Jun 94 Jun 96 Jun 98 Jun 00 Jun 02 schmutztem Zustand (Güteklasse III) in die Nieder- un. KA MG-Neuwerk ob. KA MG-Neuwerk lande floss. Der Grund war die extrem hohe Abwas- Abb. 6: Sauerstoffgehalt der Niers oberhalb und serbelastung im Nierseinzugsgebiet. Die oben unterhalb der KA MG-Neuwerk beschriebenen Sanierungsmaßnahmen führten seit 1980 zu einer Verbesserung der biologischen Ge- Die Abbildung 7 zeigt am Beispiel des Ammonium- wässergüte auf Güteklasse II-III (kritisch belastet). Stickstoffs einen typischen Belastungslängsschnitt Die umfangreichen Maßnahmen in den vergange- für die Niers. Die Daten aus den Jahren 1990, nen Jahren haben zu einer weiteren Erholung der 1994 und 1999 zeigen, dass sich die Sanierung der Lebensgemeinschaft der Niers geführt, so dass sich Kläranlage Mönchengladbach-Neuwerk und die der Saprobienindex mittlerweile im Grenzbereich zu zahlreichen Maßnahmen der anderen Kläranlagen Güteklasse II bewegt.

229 Neben der Beurteilung der Lebensgemeinschaft Gruppen der Filtrierer, Räuber und Parasiten sind eines Gewässers auf der Grundlage des Saprobien- vorhanden, treten aber gegenüber den anderen systems liefert eine Auswertung des Anteils an Gruppen zurück. Der Rückgang der Belastung hat Organismen innerhalb der Gesamtlebensgemein- also in der Niers zu einer Veränderung der Er- schaft, die bestimmte ökologische Funktionen nährungstypenzusammensetzung geführt. innehaben – wie z. B. die Ernährungstypenzusam- Es ist zu erwarten, dass die bereits durchgeführten mensetzung – wertvolle ökologische Bewertungs- und noch geplanten Sanierungsmaßnahmen im kriterien. Eine solche Auswertung für die Niers bei Einzugsgebiet der Niers zu einer weiteren Verbes- Zelderheide (Abb. 8) zeigt, dass 1978 die Er- serung der Lebensbedingungen führen, die gewäs- nährungstypen Zerkleinerer und Sedimentfresser sertypischen Arten eine Rückkehr in die Niers er- dominierten. Dabei waren die Zerkleinerer in der möglichen. extrem artenarmen Lebensgemeinschaft nur durch die verschmutzungstolerante Wasserassel (Asellus aquaticus) vertreten. Eine Eintagsfliegenart stellte Der Fischbestand im Jahr 1995 den einzigen Vertreter der Weidegänger dar. Filtrie- Das Makrozoobenthos ist ein Hauptbestandteil der rer (z. B. Muscheln) und parasitär lebende Organis- Nahrungskette im Gewässer. So besteht die Nah- men (z. B. Fischegel) fehlten. rung vieler Fischarten u. a. aus Würmern, Klein- krebsen, Insektenlarven und Schnecken. Es ist also %-Ante i l zu erwarten, das eine Verbesserung der Lebensbe- 50 dingungen für das Makrozoobenthos zu einer deut- 45 lichen Erholung des Fischbestandes führt. Im einlei- 40 tenden Abschnitt dieses Beitrags wurde anhand 35 30 historischer Angaben der Niedergang der Niers bis 25 hin zur fischfreien „Landeskloake“ geschildert. 20 1998 15 Was hat sich zwischenzeitlich geändert? 10 1993 5 1987 Ausführliche Informationen zur aktuellen Situa- 1982 0 Jahr tion der Fischfauna wurden bei einer im Jahr 1978 1995 durchgeführten Probebefischung gesammelt Räuber (SCHNITTSTELLE ÖKOLOGIE 1995). Dabei wurden in Filtrierer Zerkleinerer

Parasiten Sonstige der Niers insgesamt 21 Fischarten nachgewiesen. Zellstecher Weidegänger

Sedimentfresser Davon sind neun Arten im Gewässer weit verbreitet: Ernährungstypen Dreistachliger Stichling, Neunstachliger Stichling, Rotauge, Aal, Schmerle, Flussbarsch, Gründling, Abb. 8 Ernährungstypenverteilung in der Niers Hecht und Schleie. Im unterhalb der Kläranlage liegenden ehemals Von Anfang der 80er Jahre bis Anfang der 90er stark belasteten Gewässerabschnitt, auf den sich Jahre überwogen in der Lebensgemeinschaft der auch die historischen Angaben des einleitenden Niers die Gruppen der Räuber und Sedimentfresser. Kapitels beziehen, wurden immerhin mit Gründling, Die Räuber waren dabei durch die verschmutzungs- Rotauge, Karausche, Schleihe, Schmerle, Aal, Drei- unempfindlichen Egel repräsentiert. Der hohe Anteil stachligem und Neunstachligem Stichling sowie an Sedimentfressern bringt die organische Bela- dem Flussbarsch wieder 10 Fischarten festgestellt. stung der Niers zum Ausdruck. Zerkleinerer (Asseln So zeigt sich, verglichen mit den in den letzten und Flohkrebse), Weidegänger (Schnecken, Ein- 150 Jahren vorhanden gewesenen Verhältnissen, tagsfliegenlarven) und Parasiten (Fischegel) waren eine durchaus positive Tendenz. Allerdings führt das ebenfalls vertreten. Kriterium „Artenreichtum“ für sich allein genommen Die Erholung der Lebensgemeinschaft in den zu Fehleinschätzungen, denn auch die Bestands- letzten Jahren ist mit einer Zunahme an Weide- dichte und der Altersaufbau der Populationen sind gängern und Zerkleinerern verbunden, während die von großer Bedeutung. Ein Vergleich der Ergeb- Sedimentfresser zurückgehen. Vertreter aus den nisse der Befischung mit der potenziell natürlichen

230 Fischbiozönose ergibt, dass der Fischbestand Niers mit Pflanzenschutzmitteln (MANHELLER et al. unterhalb der Kläranlage MG-Neuwerk insgesamt 1999) und das Überangebot an Nährstoffen redu- nach Arten und Individuen gering ist und ein ge- ziert werden. Es ist gegenwärtig aufgrund noch störter Altersaufbau vorliegt. Darüber hinaus ist von fehlender physikalisch-chemischer Vorgaben im Bedeutung, dass nur wenige Arten des gewässer- Rahmen eines Leitbildes für die Niers jedoch nicht typischen Fischbestandes vorhanden sind. möglich, Qualitätsziele für Phosphor- und Stickstoff- verbindungen zu formulieren. Diese dürften jedoch An der Landesgrenze bei Zelderheide ergibt sich ein deutlich niedriger liegen als die in den Allgemeinen wesentlich positiveres Bild. Hier finden sich Ele- Güteanforderungen des Landes NRW formulierten. mente, die in Artenzusammensetzung und Indivi- Das vorläufig allgemeine Ziel ist, die Nährstoff- duenhäufigkeit dem potenziell natürlichen Fischbe- belastung der Niers aus allen punktförmigen und stand weitgehend entsprechen. Zur Vermeidung von diffusen Quellen weiter zu reduzieren. Somit deutet Irrtümern sei allerdings darauf hingewiesen, dass sich bereits jetzt an, dass mittelfristig weitergehende mit dieser Bewertung keineswegs das Vorliegen Maßnahmen zur Phosphorreduzierung bei der vollständig naturnaher Verhältnisse attestiert, son- Abwasserbehandlung und im Zusammenhang mit dern vielmehr das Vorhandensein eines naturnahen den landwirtschaftlichen Nutzungen notwendig sein Grundpotenzials mit guten Entwicklungsmöglichkei- werden. ten aufgezeigt wird (SCHNITTSTELLE ÖKOLOGIE 1995). Neben der Verbesserung der physikalisch-chemi-

schen Wasserbeschaffenheit hat die Wiederher- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ausblick stellung einer gewässertypischen Morphologie eine Trotz der vielen im Nierseinzugsgebiet vorhandenen große Bedeutung. Nur so wird in der Niers eine positiven Tendenzen werden dort im Rahmen des möglichst naturnahe Gewässerdynamik als Voraus- ökologisch orientierten Gewässerschutzes in den setzung für die Wiederansiedlung von typspezifi- nächsten Jahrzehnten noch gewaltige Probleme zu schen Biozönosen geschaffen werden können. Zu- bewältigen sein. künftig wird es besonders von der Ausbildung dieser Im Bereich der physikalisch-chemischen Gewässer- Lebensgemeinschaften abhängen, ob die Niers wie- güte ist die Verbesserung der Sauerstoffverhältnisse der als ein Fließgewässer mit guter ökologischer das wichtigste Ziel. Derzeit werden noch hohe AOX- Qualität bewertet werden kann. Dementsprechend Werte gemessen, die u. a. durch schwerabbaubare wichtig ist zukünftig die konsequente Umsetzung organische Verbindungen unterschiedlichster Her- des bereits aufgestellten Gewässerauenkonzepts, kunft bedingt sind. Einen Schwerpunkt bilden dabei welches zum Ziel hat, die Niers und ihre Aue wieder die vielen aus der Textilindustrie stammenden Sub- als natürliche, den linken Niederrhein durchziehende stanzen, deren möglicherweise vorhandenes toxi- Lebensader herzustellen. Erste Maßnahmen sind sches Potenzial noch nicht abgeschätzt werden bereits abgeschlossen, und mit weiteren Groß- kann. Desweiteren muss die hohe Belastung der projekten wird im Jahr 2000 begonnen.

Abb 9a+b: Die Niers vor und nach der in den 20er Jahren durchgeführten Melioration (aus: LINSSEN 1940)

231 Die Geschichte der Niers zeigt, wie sich im letzten In den nächsten 20 Jahren wird die Umsetzung der Jahrhundert das Verhältnis der Menschen zu dem Wasserrahmenrichtlinie der Europäischen Union die Fließgewässer gewandelt hat. Nach dem Abschluss zentrale Rolle im Gewässerschutz einnehmen. Sie der überwiegend in den zwanziger Jahren durchge- ermöglicht es, im Rahmen eines Fließgewässer- führten Meliorationsarbeiten wurde das Gewässer managements das oben beschriebene Maßnah- lange Zeit völlig getrennt von seiner umgebenden menpaket zu schnüren. Bereits jetzt arbeiten das Aue betrachtet und dem entsprechend zweckmäßig Staatliche Umweltamt Krefeld, der Niersverband genutzt. Mit der Entkopplung der ohnehin bereits und viele andere Verantwortliche gemeinsam daran, physikalisch-chemisch stark geschädigten Niers von zukünftig einen „Guten Zustand der Niers“ gemäß ihrer Aue ging der weitestgehende Verlust der noch dieser bald europaweit gültigen Vorschrift zu er- verbliebenen gewässerökologischen Qualität einher reichen. Der Grundgedanke, der sich hinter dem (Abb. 9a+b). Erst seit den achziger Jahren begann Begriff des „guten Zustandes“ verbirgt, lässt dann man wieder, das Wasser der Niers, ihr Gewässer- eine Nutzung der Niers zu, wenn gleichzeitig ihre bett und die umgebende Aue ganzheitlich zu be- ökologischen Funktionen nicht wesentlich beein- trachten. In dieser ganzheitlichen Betrachtungweise trächtigt werden. liegt der Schlüssel für die erfolgreiche Entwicklung desökologischen Zustands des Gewässers. Dementsprechend kann nur die Umsetzung eines Literatur gemeinsamen Maßnahmenpakets, in dem die ab- BREMER, J. (1939): Das kurkölnische Amt Liedberg; S. 888; wassertechnischen Maßnahmen, die Regelungen Mönchengladbach. im Bereich der Landwirtschaft und die gewässer- BUNDESGESETZBLATT I (1980): Phosphathöchstmengenverord- nung. S.664. strukturellen Maßnahmen enthalten sind, dazu HAMM, A. (1991): Studie über die Wirkung und Qualitätsziele von führen, dass sich in den verschiedenen Niersab- Nährstoffen in Fließgewässern. S. 15; Academia Verlag St. schnitten wieder die gewässertypischen Lebensge- Augustin. meinschaften in ihrer natürlichen Vielfalt entwickeln JANSSEN, E. (1979): Die Niers und der Fischfang. in: An Niers und Kendel I, S. 17-19; Goch. können. KÖNIGLICHE VERSUCHS- U. PRÜFUNGSANSTALT (1902): Gutachten über die Untersuchung des Niersflusses; I-Nr. 2033; Berlin.

KRICKER, G. (1959): Geschichte der Gemeinde Anrath. in: Schrif- tenreihe des Landkreises Kempen-Krefeld 7, S. 497; Kempen/Ndr.

LAWA (1997): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnen- gewässer, Band 1.- Hrsg.: Länderarbeitsgemeinschaft Was- ser, Kulturbuchverlag Berlin 1997, 59 pp.

LENTZEN, J. P. & VERRES, F. (1878): Geschichte der Herrlichkeit Neersen und Anrath. S. 42; Krefeld-Fischeln.

LINSSEN, H. (Hrsg.) (1940): Die Niers. Ein erwandertes Heimat- buch in Wort und Bild. Die Heimat/Sonderdruck, Krefeld. LWA (Landesamt für Wasser und Abfall NRW) (1991): Allgemeine Güteanforderung für Fließgewässer (AGA). LWA-Merkblätter Nr. 7, Düsseldorf.

MANHELLER, MÜLLER, SCHÄFER, SCHUMACHER (1999): Die Belastung der Niers mit Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämp- fungsmitteln – Ursachen und Minimierungsstrategien. Natur am Niederrhein 14,2 (S. 8-18).

NIERSVERBAND (1929): Niersuntersuchung am 21. und 22. August 1929; Erläuterungsbericht - unveröffentlicht.

NIERSVERBAND (1978): 50 Jahre Niersverband.

SCHMITZ (1878): Der Niersfluss am Niederrhein. in: An heimischen Wasser; S.16; Viersen - Kreisarchiv.

SCHNITTSTELLE ÖKOLOGIE: Die Fischfauna der Niers einschl. der Nebengewässer im Auenbereich. Erläuterungsbericht Stand August 1995, unveröffentlicht, erstellt im Auftrag des Niers verbands.

SCHUBAARTH (1863): Statistik des Kreises Mönchengladbach. S. 366; Mönchengladbach. STEVENS, M. (1988): Die Fische der Niers. Natur am Niederrhein Abb. 10: Die Niersaue bei Wachtendonk 3,2 S. 59-65, Krefeld.

232 Issel

3.6 Einzugsgebiet Ijsselmeerzuflüsse 3.6.1 Die Issel – Ein landwirtschaftlich geprägter Flachlandfluss

Andreas Thiel & Hans Gino Broggiato (StUA Duisburg)

„Lau weht der Hauch des Westwindes (Favonius) zu 80 m mächtigen Kies-/Sandaufschüttungen der das Murmeln der Issel – Issalae murmura – der Niederrheinterrasse. Für die Bodenstruktur und so- Schatten der Eichen mildert die sengende Glut....“. mit die Vegetation ist der Flurabstand des Grund- wassers entscheidend, der im Süden ca. 2 m und im (Johann Heinrich Cohausen 1730, persönliche Überlieferung von Herrn Johann Böckenhoff-Budde) Norden (Bereich der Staatsgrenze) nur noch wenige Dezimeter beträgt.

Einzugsgebiet und naturräumliche Gliede- rung Anthropogene Einflüsse

Der durch Nordrhein-Westfalen verlaufende Fließ- Vor Beginn des 20. Jahrhunderts befand sich die gewässerabschnitt der Issel umfasst ein Einzugsge- Issel in einem hochwertigen ökologischen Zustand. biet von ca. 360 km². Die nordrhein-westfälische Das mäandrierende Flussbett war gut strukturiert Issel stellt den Oberlauf der niederländischen Oude und mit einer artenreichen Flora und Fauna be- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ijssel und des weiteren Ijsselsystems dar, das über siedelt. Die Fließgeschwindigkeit war durch Mäan- das Ijsselmeer in die Nordsee fließt. drierung, vorhandene Retentionsräume und durch Wurzeln der Ufergehölze gering. Die begleitende Die Issel entspringt ca. 2,5 km nordwestlich von Flussaue ermöglichte einen ganzjährigen Wasser- Raesfeld (ca. 60 m ü. NN) und hat bis zur deutsch- austausch und bildete die Voraussetzung für niederländischen Grenze bei Gendringen eine Alt- und Nebengewässer. Das Fließgewässer war Fließlänge von 54,2 km. Mit der Oude Ijssel (27 km) durchgängig für Fische und ermöglichte damit unge- und der Ijssel (129 km) zusammen erreicht sie eine störte Wanderungsbewegungen (BUSCH &KREY- Gesamtläge von rund 210 km bis zum Ijsselmeer. MANN 1992). Die Issel durchfließt die naturräumlichen Gebiete der Niederrheinischen Sandplatten und der westlich Aufgrund des langsamen Wasserabflusses und der gelegenen gefällearmen Issel-Ebene. Beide Ge- damit verbundenen Überschwemmungsgefahr in biete zählen zur naturräumlichen Einheit des Nie- niederschlagsreichen Zeiten war die damalige na- derrheinischen Tieflandes. türliche Gewässerbeschaffenheit in der Kulturland- schaft unerwünscht. Deshalb wurden in den folgen- Die Hauptterrasse im Bereich der Niederrheinischen den Jahrzehnten umfangreiche Eingriffe durchge- Sandplatten besteht aus Schottern und Sanden führt. Das „Issel-Reglement“ wurde 1845 von den sowie Geschiebelehm auf einem Untergrund was- preußischen Regierungen Düsseldorf und Münster serstauender Tone. als umfassendes Konzept für den technischen Die Issel zählt zum Fließgewässertypus der Niede- Aufbau der Issel aufgestellt. Es gab aber auch rungen und ist vom hydrologischen Typ als grund- schon vorher Eingriffe in die Gewässerstruktur des wasserarm einzustufen. Der mittlere Niedrigwasser- Isselsystems. Dieses Konzept legte jedoch die abfluss (MNQ) und der Mittelwasserabfluss (MQ) Grundlage für massive Ausbaumaßnahmen, die in betragen für das Sommerhalbjahr im 25-jährigen mehreren Stufen bis Ende der sechziger Jahre des Mittel (1971 – 1995) am Pegel Dämmerwald (Stat.- 20. Jahrhunderts durchgeführt wurden. Bis Anfang km: 69,7) 26 l/s und 241 l/s. Am Pegel Isselburg der neunziger Jahre erfolgten noch Teilumsetzun- (Stat.-km: 34,6) liegen der MNQ und der MQ für gen des Gewässerausbaus nach dem „Wasserwirt- den gleichen Jahreszeitraum im 11-jährigen Mittel schaftlichen Generalplan für den Isselausbau aus (1985 – 1995) bei 129 l/s und 1,02 m³/s. dem Jahre 1969“ (BUSCH &KREYMANN 1992).

Bei Eintritt in die Issel-Ebene besitzt der Fluss eine Somit haben anthropogene Einflüsse den Verlauf Höhe von 25 m ü. NN. Die Böden liegen hier auf bis und den Gewässerzustand der Issel maßgeblich

233 Abb. 1:Issel vor dem technischem Ausbau am Abb. 2: Issel technisch ausgebaut bei Werth 1999 Schulte Wellmannshof 1950 (bei Loikum) geprägt. Abbildung 1 zeigt den Verlauf der Issel im mer werden kritische Niedrigwasserstände erreicht, Jahr 1950 vor dem technischen Ausbau, aber die bis zum streckenweisen Trockenfallen führen bereits mit landwirtschaftlicher Überprägung. Ab- können. Die Gefahr von lokalem Fischsterben wird bildung 2 zeigt den Ist-Zustand der Issel bei Werth dadurch, im Zusammenwirken mit der stofflichen mit der Überformung im technischen Regelprofil. Belastung und bei Sauerstoffmangelsituationen in der Issel, erhöht. Schon der Oberlauf bis zur Einmündung des Fau- lerbaches ist stark begradigt und technisch über- formt worden. Ab diesem Zufluss ist die Issel fast Stoffliche Belastung durchgängig im Regelprofil ausgebaut. Bei Marien- thal und zwischen Loikum und Isselburg fließt die Die Nährstoffbelastung der Issel ist vorwiegend auf Issel nur durch einen niedrigen Deich eingefasst. Einträge aus der Landwirtschaft und die Einleitun- Hier sind stellenweise noch kleinräumige naturnahe gen aus 4 Kläranlagen, die in ihrer Reinigungs- Strukturen zu finden. Außerdem ist der Flusslauf leistung bereits verbessert wurden, sowie zahlreiche durch 21 Querverbauungen in Form von Wehran- Mischwasserentlastungen zurückzuführen. Die Ge- lagen (Kulturstaus) und Sohlabstürzen staureguliert. samtphosphor-, die Ammonium-N- und die Nitrat-N- Nach (BUSCH &KREYMANN 1992) wirken davon Konzentrationen weisen erhebliche, auch jahres- 10 Querbauwerke als Fischaufstiegssperren. zeitlich bedingte Schwankungen auf und lassen keinen Trend erkennen. Verschiedene kulturelle Einflüsse, wie z. B. Drai- nage von Heideflächen, Anlage von Meliorations- Die Zielvorgaben der AGA (Allgemeine Gütean- gräben und Oberflächenversiegelung führten zur forderungen) wurden für die Gesamtphosphor- und Herabsetzung des Retentionsvermögens. Die da- die Ammonium-N-Konzentrationen an den 12 unter- durch hervorgerufene Erhöhung der Fließgeschwin- suchten Basismessstellen bei den meisten Messun- digkeit bei längeren Regenzeiten verstärkt somit die gen eingehalten. Die Messungen zeigen allerdings bekannten Probleme der Hochwasserabführung in auch hohe Überschreitungen von bis zu 1,55 mg/l der gefällearmen Ebene (0,2 – 0,4 ‰). Die Issel- Gesamtphosphor und 8,4 mg/l Ammonium-N, be- deiche müssen hier Hochwasserspitzen bis zu 1 m sonders unterhalb der Kläranlageneinleitungen. über Geländeniveau eindämmen und rückhalten, Die hohe Streubreite der Nährstoffkonzentrationen was durch naturferne Gewässerunterhaltungsmaß- zeigt Abbildung 3 am Beispiel der Nitrat-N-Konzen- nahmen wie z. B. Grundräumungen und Mahd von trationen. Wegen der intensiven landwirtschaftlichen Flussbett und Ufer nicht verhindert werden kann. Nutzung des Umfeldes und der schwankenden Im Zusammenspiel mit der geringen Wasserführung Abflussverhältnisse ist kein einheitlicher Trend fest- bei MNQ und der Grundwasserarmut der Auen stellbar. Andere Untersuchungen, die im Winterhalb- überwiegt dagegen in niederschlagsärmeren Zeiten jahr durchgeführt wurden, zeigen Nitratbelastungen an vielen Stellen ein Stillwassercharakter. Im Som- von bis zu 99 mg/l, die durch Ausspülungen aus den

234 mg/l vorgabenüberschreitungen an der deutsch-nieder- 18 ländischen Grenzmessstelle. Es gab keine erkenn- 16 bare Tendenz der Zu- oder Abnahme. Außerdem 14 wurden regelmäßige Überschreitungen der Zielvor- 12 gaben für Metolachor, Trifluralin, α- und β-Endosul- 10 AGA- Zielvorgabe fan festgestellt (LUA 1999b). Das StUA Herten wies 8

6 1998/99 zusätzlich auch Atrazin, Cyanazin, Isopro-

Chem. Güteklasse II 4 turon und weitere Pflanzenbehandlungsmittel in nach LAWA

2 höheren Konzentrationen nach (OSTERMANN 1999).

0 In den Schwebstoffen der Issel wurde vom StUA Messstelle 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1

Fließrichtung 1990-1997 1983-1989 Herten PCB-Belastung festgestellt. Auf niederländi- scher Seite konnte PCB-Belastung der Sedimente Abb. 3: NO -N-Konzentrationen in der Issel von 3 in der „Oude Ijssel“ nachgewiesen werden. 1983 – 1997

Tab. 1: Lage der 12 Basismessstellen an der Issel angrenzenden Ackerflächen zustande kommen (LUA 1999a). Mess- Lage stelle Vom Oberlauf der Issel bis zur deutsch-niederländi- 1 oberhalb Mündung Raesfelder Mühlenbach

schen Grenze ist eine deutliche, durchgehende 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens 2 oberhalb Kläranlage Marienthal organische Belastung festzustellen. Die Zielvorgabe der AGA für den TOC von ≤ 7 mg/l wurde bei den 3 unterhalb Kläranlage Marienthal meisten Messungen überschritten. Die Höchstwerte 4 oberhalb Bärenschleuse im Untersuchungszeitraum lagen bei 15 mg/l. 5 oberhalb Mündung Brüner Mühlenbach Bis auf Sauerstoffdefizite unterhalb der Kläranlagen 6 unterhalb Mündung Brüner Mühlenbach Hamminkeln und Isselburg entsprechen die Sauer- 7 oberhalb Kläranlage Hamminkeln stoffkonzentrationen weitgehend den Zielvorgaben 8 unterhalb Kläranlage Hamminkeln der AGA (Abb. 4). In den staugeregelten Bereichen 9 Issel oberhalb Mündung Kleine Issel entstehen im Sommer zeitweise Sauerstoffüber- 10 oberhalb Kläranlage Isselburg sättigungen, die für Eutrophierungsvorgänge im An- fangszustand typisch sind. Die Höchstwerte lagen 11 unterhalb Kläranlage Isselburg bei 20,1 mg/l O2 und 187 % Sättigung. 12 Issel vor Landesgrenze

mg/l 22

20

18 Gewässergüteklasse und Fauna

16

14 Die Gewässergüte der Issel hat sich in den letzten 12 30 Jahren kaum verändert. Es sind lediglich 10 Schwankungen in den Bereichen der Güteklassen 8 AGA- Zielvorgabe 6 II-III und II an einzelnen Messstellen festzustellen. 4 Im Oberlauf ist die Issel mäßig belastet. Unterhalb 2

0 der Kläranlagen Marienthal, Hamminkeln und Issel- Messstelle 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 burg wurde die Issel größtenteils in die Güteklasse

1983 - 1989 1990 - 1997 Fließrichtung II-III eingestuft. Auf einer kurzen Fließstrecke im Mittellauf und vor der Landesgrenze zu den Nieder- Abb. 4: O -Konzentrationen in der Issel von 2 landen erfolgte meistens eine Einordnung in die 1983 – 1997 Güteklasse II.

Als weitere Belastungsfaktoren sind in der Issel In der relativ artenreichen Lebensgemeinschaft der zahlreiche Pflanzenbehandlungsmittel nachgewie- Wirbellosenfauna dominieren, wie bei der überwie- sen worden. Unter den gemessenen Substanzen genden Zahl der Fließgewässer in der Kulturland- war Diuron der Wirkstoff mit den häufigsten Ziel- schaft, anpassungsfähige Arten, die keine speziel-

235 len Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Zahl- l Trophie (Effekte der Belastung mit Phosphat reich und stetig sind der Flohkrebs Gammarus roe- und Stickstoff) seli, Eintagsfliegen wie Caenis spec. und Baetis ver- l Ernährungsstrategie (Indikation von Güte und nus, die Libelle Calopteryx splendens und einige Vollständigkeit von Systemprozessen) Köcherfliegenarten, wie z. B. Hydropsyche angusti- pennis, Anabolia nervosa und Goera pilosa. Hinzu l Substrat (Morphologie und Boden des Gewäs- kommen einige Käferarten wie Orectochilus villosus sers, Gewässerunterhaltung u. a.) und Potamonectes depressus. Ein großer Anteil der l Strömung (Anordnung und Hydrologie der Biozönose besteht aus verschmutzungstoleranten Gewässer). Egelarten wie Erpobdella octoculata und Glossi- phonia complanata sowie mehr oder weniger strö- Jedes Charakteristikum wird auf der Grundlage ei- mungsindifferenten Schnecken z. B. Bithynia tenta- nes fünfklassigen Bewertungssystems von Klasse 1 culata und Gyraulus albus. (sehr schlecht) bis Klasse 5 (sehr gut) eingestuft.

Reste der ehemaligen Besiedlungsvielfalt sind Das ökologische Profil der Messstelle „Oude Ijssel kaum noch zu erkennen, da das Gewässer durch an der Grenze“ liegt nach den Untersuchungen von Begradigung, Aufstau, Uferbefestigung, intensive 1993 und 1995 auf gutem ökologischen Niveau. Gewässerunterhaltung (Gewährung von Abfluss Besonders die Charakteristika Strömung, Saprobie und Drainage) in seiner Strömungs-, Substrat- und und Ernährungsstrategie ließen eine gute Beur- Strukturvielfalt geschädigt ist. teilung zu.

BUSCH &KREYMANN (1992) konnten in einer 3-jähri- Die Messstelle „Oude Ijssel vor Doetinchem“ wurde gen Untersuchung von 1989 – 1992 25 Fischarten in insgesamt in ein mäßig ökologisches Niveau der Issel und ihren Zuflüssen nachweisen. Zu den (Klasse III) eingestuft. seltenen Funden zählten Steinbeißer, Schlamm- peitzger und das Rundmaul Bachneunauge. Den Im weiteren Verlauf wird die biologische Qualität der größten Anteil stellten, wie beim Makrozoobenthos, Ijssel vom „Rijksinstituut voor Integraal Zoetwater- die indifferenten Arten, z. B. Flussbarsch oder Rot- beheer en Afvalwaterbehandeling“ (RIZA) über- auge vor den strömungsliebenden und den stillwas- wacht. Die Biozönose des Makrozoobenthos wird sertypischen Arten. Früher heimische Arten wie z. B. an fünf Messstellen in Velp, De Steeg, Olst, Wijhe Maifisch, Finte, Quappe, oder auch Wanderfische und Kampen untersucht. An zusätzlichen Messstel- wie z. B. die Meerforelle, sind dagegen verschollen. len werden Erhebungen zur Bestandsentwicklung von Wasserpflanzen, des Phyto- und Zooplanktons Die Ergebnisse dieser Untersuchung konnten im und der Fischpopulationen durchgeführt. Rahmen der Erstellung eines Fischartenkatasters durch die LÖBF/LafAo-Dezernate für Fischerei im Wir danken Frau Weenink von der „Watershap Rijn Wesentlichen bestätigt werden (LUA 1996). en Ijssel“ fuer die Informationen zur ökologischen Bewertung der Oude Ijssel und Herrn Baars vom RIZA für die Auskünfte zur Überwachung der weite- ren Fliessstrecke der Ijssel. Biologische Bewertung des weiteren Ver- laufes der niederländischen Oude Ijssel und Messstellen an der Ijssel bis zum Ijsselmeer Problembereiche An der Oude Ijssel werden 2 Messstellen von der Die Konfliktfelder entstehen aus der Zieldivergenz „Waterschap Rijn en Ijssel“ regelmäßig untersucht. zwischen anthropogenen Ansprüchen und natur- Die biologische Beurteilung erfolgt in erster Linie naher Entwicklung des Gewässers und seiner durch die niederländische STOWA-Methode (EBE- Umfeldstruktur. So lassen sich für die Issel und OSWA 1992) für fließende Gewässer. Durch Auswahl andere landwirtschaftlich überformte Fließgewässer von geeigneten Artengruppen werden Klassifizie- folgende Problembereiche aufzeigen: rungen für die folgenden „ökologischen Charakteri- Ø Die Drainage der Ackerflächen bringt einen stika“ ermöglicht: erhöhten Nährstoffeintrag (Düngemittel) mit l Saprobie (Effekte organischer Belastung) sich. Diffuse Einträge aus der Landwirtschaft –

236 vorwiegend Gülle, Silage und Pflanzenbehand- Ausblick lungsmittel – verursachen eine durchgehende Die beschriebenen Konfliktfelder zeigen einige Pro- Gewässerbelastung, die zu Fischsterben und bleme auf, die aus den unterschiedlichen Nutzungs- zur Schädigung der Fischnährtiere führen kann. ansprüchen resultieren. Hinzu kommen die gewach- Ø Zusätzlich tragen die Einleitungen von Kläran- sene Struktur der Flurteilung unter den Kommunen lagen, die erst zum Teil modernisiert sind, sowie und zwischen den Gehöften im Umfeld des Gewäs- Mischwasserentlastungen und kleinere Ein- sers, die Nutzungsintensität, der Versiegelungsgrad leitungen zur Belastung bei. und die hydraulischen Verhältnisse.

Ø Dadurch kann es in den stillwassertypischen Zu dem sind die rechtlichen Voraussetzungen zu Gewässerabschnitten zur Eutrophierung kom- einer Verbesserung des gewässerökologischen Zu- men, die in den Sommermonaten für die auf- standes derzeit nicht gegeben. Zur Zeit werden Pla- tretende Sauerstoffarmut mitverantwortlich ist nungen zu einem „naturnahen Hochwasserschutz“ (Sekundärverschmutzung). für das Isselsystem geprüft.

Ø Durch die geringe Wasserführung und den Aus- In Nordrhein-Westfalen und in den anderen Teilen bauzustand zwischen Quelltopf und der Ein- Deutschlands und Europas gibt es inzwischen gute mündung des Raesfelder Mühlenbaches hat Beispiele für erfolgreiche Projekte zur naturnahen z. B. die Issel in diesem Bereich den Charakter Entwicklung von Fließgewässern. Besonders her- eines Dränagesystems (Meliorationsgraben). vorzuheben ist z. B. die Renaturierung der Lippeaue 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens Ø Die im gesamten Isselsystem bei Normal- und in der Klostermersch (vgl. Kap. 3.2.7) oder – um ein Niedrigwasserabflüssen zu beobachtende ge- der Issel vergleichbares Gewässer zu nennen – die ringe Fließgeschwindigkeit, die u. a. auf Anstau- Revitalisierung der Ise-Niederung in Niedersachsen ungen, Schwellen und Wehre zurückzuführen (LUCKER et al. 1998). Dabei stellt sich immer wieder ist, stellt eine Hauptursache für die Verarmung heraus, dass vielfach tradierte Anforderungen er- der Substratvielfalt dar. Teilweise sind anaerobe, folgreich hinterfragt und geändert werden können, eisenockerdurchsetzte Schlammablagerungen um den Gewässern Gelegenheit zu geben, sich festzustellen, die besiedlungsfeindlich wirken. naturnah entwickeln zu können. Auch die kom- Wasserentnahmen für die Beregnung von mende EU Wasserrahmenrichtlinie wird neben den Ackerflächen tragen zusätzlich zur geringen Bestrebungen in Nordrhein-Westfalen neue Impulse Wasserführung in den Sommermonaten bei. setzen.

Ø Für Wanderfische, wie die Meerforelle, stellen Hoffentlich bieten sich aus den daraus gewonnenen die Wehre nahezu unüberwindbare Hindernisse Erkenntnissen auch Anregungen und Ideen für die dar. Issel.

Ø In der Makrozoobenthosfauna dominieren stel- lenweise stillwasserliebende Taxa (z. B. die Köcherfliege Molanna angustata). Naturnahe Literaturverzeichnis Zuflüsse wie der Waldbach oder der Siegewin- BAYERISCHES LANDESAMT FÜR WASSERWIRTSCHAFT (1995): Neue kelbach können nur wenig zur Verbesserung der Wege in der Gewässerpflege, München.

Artenvielfalt und Individuendichte beitragen. BUSCH, W. & H. KREYMANN (1992): Die Issel und ihre Fischfauna, Boss-Verlag, Kleve. Ø Die heute noch praktizierte naturferne Ge- EBEOSWA (1992): STOWA-Methode (Stichting Toegepast Onder- wässerunterhaltung (Grundräumung, Entfer- zoek Waterbeheer). STOWA-Bericht 92-07. nung des Uferbewuchses) führt zu einer Ver- LUA NRW (Landesumweltamt NRW) (1996): Gewässergüte- ringerung der Artenvielfalt, die insbesondere bericht 1993/94. S.101, 152-154, Eigenverlag Landesum- die Schädigung bedrohter Grundfischarten weltamt NRW, Essen. (z. B. Schlammpeitzger) nach sich zieht (WRIED LUA NRW (Landesumweltamt NRW) (1997): Gewässergüte- bericht 1996. Eigenverlag Landesumweltamt NRW, Essen. et al. 1996). LUA NRW (Landesumweltamt NRW) (1999): Referenzgewässer der Fließgewässertypen Nordrhein-Westfalens. Merkblatt Nr.16, S. 111-117, Eigenverlag Landesumweltamt NRW, Essen.

237 LUA NRW (Landesumweltamt NRW) (1999): Gewässerschutz- WRIED, B., K. SCHRIDDE, H. WENDT, & R. SCHULZ (1996): Einfache bezogene Zielvorgaben für Pflanzenschutzmittel. Materialien Kriterien zur Optimierung der Gewässerunterhaltung - Bei- Nr.55, Eigenverlag Landesumweltamt NRW, Essen. spiele von Kleinfließgewässern der Uckerniederung bei Prenzlau. Zoologisches Institut der TH Braunschweig, LUCKER, T., K. BORGGRÄFE, & O. KÖLSCH (1998): Revitalisierung Arbeitsgruppe Limnologie, Deutsche Gesellschaft für Limno- in der Ise-Niederung - Sichtbare Fortschritte der ökologi- logie (DGL), Tagungsbericht 1996 (Schwedt), Krefeld 1997 schen Entwicklung einer Flußlandschaft. Angewandte Land- schaftsökologie H.23, S. 73-97.

OSTERMANN, K. (1999): Pflanzenbehandlungs- und Schädlings- bekämpfungsmittel (PBSM) in den Gewässern von NRW, PBSM - Gewässergütebericht 1997. Jahresbericht des StUA Herten, unveröffentlicht.

238 Berkel

3.6.2 Die Berkel – Ein sandgeprägtes Gewässer im Münsterland

Kerstin Ostermann & Dr. Dieter Busch (StUA Herten)

Einleitung steins der Baumberge ist der pH-Wert des Berkel- wassers in der Regel leicht basisch. Die Berkel (Abb. 1) die - beispielhaft für die Ge- wässer des westlichen Münsterlandes – in den ver- gangenen Jahren besonders intensiv untersucht wurde, ist ein Fließgewässer II. Ordnung. Sie ent- springt am westlichen Rand der Baumberge bei der Stadt Billerbeck im Kreis Coesfeld. In ihrem weiteren Verlauf passiert sie die Städte Coesfeld, sowie Gescher, Stadtlohn und Vreden im Kreis Borken, um zwischen den Örtchen Ammeloe (D) und Rekken (NL) bei Flusskilometer 64,5 in die Niederlande (Provinz Gelderland) zu fließen. Bei Zutphen mündet sie nach 110 Fließkilometern in die Issel. Die Berkel hat ein Einzugsgebiet von insgesamt 2 2 780 km . Davon liegen ca. 400 km auf nordrhein- 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens westfälischer Seite, im Münsterland. In diesem Bereich entwässern Varlarer Mühlenbach, Honig- Abb. 2: Berkel oberhalb Geschers – Struktur relativ bach, Felsbach, Ölbach, Hunningbach und Emrich- naturnah bach als größte Zuflüsse in die Berkel. Auf nieder- ländischem Gebiet münden Ramsbach und Groen- Das Einzugsgebiet der Berkel war schon sehr früh lose Slinge als größere natürliche Zuflüsse. Außer- besiedelt. Die vielfältigen anthropogenen Eingriffe, dem wird an mehreren Stellen Wasser in das nieder- wie z. B. Begradigung, Eindeichung, Stauhaltung ländische Kanalsystem abgeleitet. und die intensive Nutzung vieler Auenabschnitte, Typologisch ist der obere Teil des Einzugsgebietes prägen das Bild der Berkel besonders unterhalb von der Berkel etwa bis Stadtlohn der Fließgewässer- Vreden bis heute maßgeblich. Belastungsschwer- landschaft der Verwitterungsgebiete zuzuordnen punkte stellen besonders die Siedlungsbereiche, die (Abb. 2). Danach verläuft die Berkel in der von ihr intensive landwirtschaftliche Nutzung des Bodens, selbst gestalteten Niederung. Das Substrat der die häufig direkt an den Uferrand grenzt (Abb. 3), Berkel ist von der Quelle an fast ausschließlich sowie diffuse Einleitungen von z. B. Wochenend- sandgeprägt. Durch den Einfluss des Kalksand- häuschen, Schrebergärten usw. dar.

Niederlande NRW Berkel

Vreden

Stadtlohn Billerbeck

Gescher Coesfeld Berkel

Abb. 1: Die Berkel

239 Gewässergüte. Der Abschnitt unterhalb von Biller- beck erreichte die Güteklasse III-IV. Diese Güte- klasse trat nur noch unterhalb der Kläranlage Coes- feld bis zur Mündung des Felsbachs (ca. 6,5 km) auf. Weiter unterhalb wechselten sich Fließstrecke mit den Güteklassen II-III und III ab. In den Jahren 1979 bis 1982 verbesserte sich die Qualität der Berkel so, dass mit Ausnahme der Abschnitte unterhalb von Billerbeck und unterhalb von Coesfeld (jeweils GK III) durchgehend bis zur Grenze die Güteklasse II-III vorlag. Oberhalb von Coesfeld konnten 1985 erste Abschnitte mit Güte- Abb. 3: Berkel unterhalb Vredens – Ackerbau bis an klasse II bewertet werden. Zwischen 1982 und 1987 den Uferrand waren im Kreis Borken nur noch wenige Gewässer- abschnitte in die Güteklasse III eingestuft. Allgemein herrschte aber die Güteklasse II-III vor. 1988 wurde Entwicklung der Gewässergüte für die Messstellen unterhalb der Kläranlage Coes- Erste Aufzeichnungen über die Gewässergüte der feld und unterhalb Gescher noch einmal die Güte- Berkel liegen von 1969 vor. Damals waren lange klasse III-IV vergeben. Seit 1991 sind schlechtere Abschnitte der Berkel bereits kurz unterhalb der Güteklassen als II-III an der gesamten Berkel Berkelquelle von massiven Sauerstoffdefiziten ge- verschwunden. Abschnitte mit Güteklasse II traten prägt. Schwerpunkte der Belastung befanden sich immer häufiger auf. Die Berkelabschitte oberhalb unterhalb der größeren Ortschaften. Coesfeld und vor der niederländischen Grenze liegen seitdem konstant in Güteklasse II. Die Abbildung 5 liefert an Hand der zusammen- fassenden alle fünf Jahre erscheinenden Gewässer- Seit 1996 ist die Berkel unterhalb der sanierten und gütekarten einen Überblick über die Entwicklung der erweiterten Kläranlage Gescher und seit 1999 eben- Gewässergüte der Berkel bis zur Niederländischen falls unterhalb der neu gebauten Kläranlage Vreden Grenze von 1969 bis 1999. in die Güteklasse II eingestuft. So konnte 1999 der überwiegende Teil der Berkel mit der Güteklasse II Seit 1971 wurde die Gewässergüte mit Hilfe des bewertet werden. Güteklasse II-III tritt dauerhaft Saprobiensystems festgelegt, so dass die Daten noch an der Berkelquelle, an einem Abschnitt von diesem Zeitpunkt an mit den heutigen Unter- zwischen Billerbeck und Coesfeld sowie einem wei- suchungen der biologischen Gewässergüte ver- teren Bereich direkt oberhalb von Vreden (Abb. 4) gleichbar sind. 1971 und 1973 war der Quellbereich auf. Im Quellbereich der Berkel beeinträchtigen der Berkel noch weitgehend unbeeinflusst und strukturelle Probleme die Gewässergüte. Unterhalb wurde mit Güteklasse I-II bewertet. Danach ver- von Billerbeck wirkt sich die Einleitung der Kläran- schlechterte sein Zustand sich und musste häufig der Güteklasse II-III zugeordnet werden. Schon an der Stadtgrenze von Billerbeck zeigten sich 1971 erste Belastungen. 1975 erhielt diese Stelle mit der Güteklasse III-IV ihre schlechteste Bewertung. 1973 war der Flussabschnitt unterhalb Billerbeck auf einer Länge von etwa 4,5 km in die Güteklasse IV eingestuft. Im weiteren Verlauf wechselte die Ge- wässergüte mehrfach zwischen den Klassen III und III-IV. Nur zwei kurze Abschnitte oberhalb von Coes- feld und vor der niederländischen Grenze hatten schon die Güteklasse II-III erreicht.

Die nächsten Untersuchungen 1976/77 und 1978 zeigten schon eine deutliche Verbesserung der Abb. 4: Berkel oberhalb Vredens, beim Berkel-See

240 lage der Fa. Suwelack (Nahrungsmittel-Produktion) negativ auf die Berkel aus. Oberhalb von Vreden macht sich der Einfluss des im Nebenschluss liegenden Berkelsees bemerkbar. An den übrigen Vreden Messstellen schwankt die Gewässergüte über die Jahre bis heute zwischen den Klassen II und II-III. Billerbeck Stadtlohn Dies mag an den Unterschieden in der landwirt- 1970 schaftlichen Nutzung des Umlandes liegen. Zusätz- Gescher Coesfeld lich kann das bei Hochwässern sehr leicht verlager- bare sandige Substrat der Berkel stellenweise Artendefizite verursachen. Insgesamt ist die Ten- denz zur Verbesserung aber deutlich erkennbar.

Um den Belastungszustand der Berkel zu dokumen- 1975 tieren und die Eintragspfade der Schadstoffe nach- zuvollziehen, wurde von 1992 bis 1995 ein dreijähri- ges intensives Untersuchungsprogramm in nieder- ländisch-deutscher Zusammenarbeit durchgeführt (BUSCH & OSTERMANN 1998). 1980

Die Auswertung der Untersuchungsergebnisse 3 Fließgewässer Nordrhein-Westfalens zeigte, dass die Berkel in erster Linie durch land- wirtschaftliche und kommunale, weniger durch indu- strielle Belastung geprägt ist. Schwermetalle, AOX, Chlorid und Sulfat weisen in der Berkel und ihren 1985 Zuflüsse relativ niedrige Konzentrationen auf. Ammonium-N-, Nitrat-N-, Phosphor- und TOC-Kon- zentrationen überschritten dagegen sehr häufig die Allgemeinen Güteanforderungen für Fließgewässer NRW (AGA 1991). 1990 Der Versuch, die Eintragspfade nachzuvollziehen, ergab, dass Ammonium-N zu einem erheblichen Anteil aus den Kläranlagen stammte. Inzwischen wurden allerdings die meisten Kleinkläranlagen still- gelegt. Das Abwasser wird nun zu den größeren 1995 Anlagen mit besserer Reinigungsleistung überge- leitet, so dass von einem Rückgang der Ammonium- Konzentrationen auszugehen ist. Das gleiche gilt in abgeschwächter Form für die Phosphorbelastung, da diese nur zu einem Teil aus den Kläranlagen stammt. Hier sind zu einem erheblichen Teil diffuse, 2000 nicht vollständig zurückzuverfolgende Eintrags- quellen beteiligt. So können Bodenabtrag, Sedi- mentaufwirbelungen oder diffuse häusliche Ein- Gewässergüteklassen leitungen Ursache für erhöhte Phosphorkonzen- trationen im Gewässer sein. I I-II II

Die hohen Nitrat-N und TOC-Gehalte der Berkel II-III III III-IV IV spiegeln die intensive landwirtschaftliche Nutzung des Einzugsgebietes wider. Während der Haupt- Abb. 5: Geschichte der Berkel – Gewässergüte Vegetationsperiode im späten Frühjahr und im Früh- sommer sind besonders die Nitrat-Konzentrationen

241 deutlich niedriger als im übrigen Jahr, da die Pflan- Fazit zen viel Stickstoff aufnehmen und die Felder nicht Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Gewässer- mehr gedüngt werden können. Dieser Jahres- güte der Berkel sich in den letzten 30 Jahren Rhythmus lässt sich bis heute an den routinemäßi- drastisch verbessert hat. Vom guten ökologischen gen Gewässeruntersuchungen ablesen. Zustand, wie er in der EU-Wasserrahmenrichtlinie An der Berkel wird derzeit unter Federführung der gefordert wird, ist die Berkel aber auf langen Fluss- Bezirksregierung Münster und fachlicher Begleitung abschnitten noch weit entfernt. Das Berkel-Auen- der StUÄ Herten und Münster ein Auenprogramm programm ist auf dem Weg zu diesem Ziel ein wich- zur Verbesserung der Gewässerstruktur durchge- tiger Schritt. führt. Die Umsetzung dieses Programms kann auch für die Nitrat- und die TOC-Belastung mit der Zeit erhebliche Verbesserungen bringen (z. B. durch die Extensivierung der Landwirtschaft in der Aue, ge- Literatur ringere Abschwemmung durch Uferrandstreifen). AGA (1991): Allgemeine Güteanforderungen für Fließgewässer; Entscheidungshilfe für die Wasserbehörden im wasserrecht- Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungs- lichen Erlaubnisverfahren.- Runderlaß des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Ministerial- mittel (PBSM) stellen eine weitere Stoffgruppe dar, blatt NRW 42, 863-874 (1991) und LWA-Merkblatt Nr. 7, jetzt die in der Berkel in zu hohen Konzentrationen vor- Landesumweltamt NRW, Essen 1991, 38 pp. liegt. Neben den üblichen landwirtschaftlich verwen- BUSCH, D. & K. OSTERMANN (1998): Gewässeruntersuchung im deten PBSM (hier vor allem Isoproturon) wurde bei deutsch-niederländischen Stromgebiet der Berkel (Oktober 1998), Staatliches Umweltamt Herten, unveröffentlicht. dem Untersuchungsprogramm besonders das Total- LAWA (1997): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnen- herbizid Diuron nachgewiesen. Diuron wird (ver- gewässer, Band 1.- Hrsg.: Länderarbeitsgemeinschaft botenerweise) auch von Privatanwendern auf Gara- Wasser, Kulturbuchverlag Berlin 1997, 59 pp. geneinfahrten, Wegen und Plätzen verwendet. LUA (1999): Gewässergütebericht '97 - Pflanzenbehandlungs-- und Schädlingsbekämpfungsmittel in Oberflächengewäs- Während der Vegetationsperiode traten in der sern, Berichtszeitraum 1987 - 1997. Essen: Eigenverlag Berkel häufig Konzentrationen bis zu 1µg/l, in einem Landesumweltamt NRW, 147 S.. Extremfall sogar 25,0 µg/l (1996), auf. In den letzten Jahren nahmen die Konzentrationen an Diuron im Berkelwasser ab (LUA 1999). Es bleibt aber ab- zuwarten, ob dies hauptsächlich an den größeren Abflüssen der Berkel lag, oder ob tatsächlich die Aufklärungskampagne der StUÄ Münster und Herten von 1996 ihre Wirkung zeigt.

242 4 Stehende Gewässer

Stehende Gewässer

4 Stehende Gewässer

Dr. Karl-Heinz Christmann (LUA)

Nordrhein-Westfalen hat über 2.000 stehende Altgewässer, die es insbesondere noch an Rhein, Gewässer. Fast alle sind durch die Tätigkeit des Weser und Ems gibt, können wegen des Gewässer- Menschen entstanden, die meisten durch den ausbaus heute nicht mehr neu entstehen. Die vor- Abbau von Kies, Braunkohle, Ton, Torf oder handenen sind durch Verlandung, die Altarme am Basalt. Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken Rhein zusätzlich durch die zunehmende Tiefen- wurden aus wasserwirtschaftlichen Gründen, eine erosion des Rheinstroms, die eine Grundwasserab- Vielzahl von Kleingewässern als Fisch-, Lösch- und senkung bewirkt, gefährdet. Zierteiche oder aus Artenschutzgründen angelegt. Die wenigen natürlichen Standgewässer sind Heideweiher sind vor allem im Rheinland und im Erdfallseen, Altgewässer und Heideweiher. Münsterland anzutreffen. Viele sind als Lebensraum für gefährdete Pflanzen- und Tierarten schutz- Erdfallseen entstehen dadurch, dass im Untergrund würdig. wasserlösliche Salze vom Grundwasser ausge- waschen werden und die entstandenen Hohlräume Die Mehrzahl der künstlichen Gewässer sind einstürzen. Die an der Erdoberfläche gebildeten Nassabgrabungen. Vor allem entlang der großen Senken füllen sich mit Grund- und Regenwasser. Flüsse, wo Kiese und Sande ergiebige Lagerstätten Die größten Erdfallseen in NRW – das Große bilden, findet man sie in große Zahl. Die Aus- Heilige Meer und der Große Erdfallsee – liegen im dehnung der Abgrabungstätigkeit beeinträchtigt das nördlichen Münsterland und stehen unter Landschaftsbild der Auen und kann wegen der Lage Naturschutz. vieler Seen in Wasserschutzgebieten Nutzungs- Gewässer 4 Stehende 4 Stehende

Abb. 1: Das Große Heilige Meer gehört zu den wenigen natürlich entstandenen Seen unseres Bundeslandes

245 Abb 2: Künstliche Gewässer (Baggersee in Duis- Abb 3: ... können sich unter günstigen Voraus- burg) unterliegen häufig vielen Freizeit- setzungen aber auch zu wertvollen nutzungen ... Lebensräumen aus zweiter Hand ent- wickeln (Fischteich im Münsterland) konflikte hervorrufen. Bei naturnaher Gestaltung Erholungszwecke genutzt. Etwa 80 Rückhalte- können sich Abgrabungen zu wertvollen Lebens- becken wurden ebenfalls zum Schutz vor Hoch- räumen entwickeln. wasser angelegt. Die etwa 50 durch den Abbau von Braunkohle ge- Von den zahlreichen Zier-, Fisch- und Löschteichen bildeten Tagebauseen liegen im Raum Köln- sowie Artenschutzgewässern sind bisher nur Aachen. Die meisten sind relativ klein und flach, nur wenige limnologisch untersucht worden. Erste die größten haben für den Wassersport Bedeutung. Ergebnisse zeigen, dass vor allem die Eutro- Die beiden geplanten Restseen der Tagebaue phierung häufig die gewünschte Entwicklung dieser Hambach und Garzweiler dagegen werden nach Kleingewässer beeinträchtigt. ihrer Fertigstellung die Größenordnung voralpiner Über 700 stehende Gewässer wurden in das bayerischer Seen erreichen. Gewässerüberwachungssystem (GÜS) des Landes Die über 70 Talsperren des Landes dienen haupt- aufgenommen und sollen künftig vor allem auf ihren sächlich der Trinkwassergewinnung, dem Hoch- trophischen Zustand untersucht werden. Die wasserschutz, der Niedrigwasseraufhöhung und der Ergebnisse fließen in das Seenkataster NRW ein, Energiegewinnung. Daneben werden viele für das sich im Aufbau befindet.

246 Ville-Seen

4.1 Entwicklung der Gewässerbeschaffenheit ausgewählter Tagebauseen der Ville Dr. Karl-Heinz Christmann (LUA) & Dr. Gabriele Eckartz-Nolden (StUA Köln)

Einleitung nologische Bestandsaufnahme der Tagebaugewäs- ser im ehemaligen Abbaugebiet durch. Diese Unter- Als Folge der Braunkohlengewinnung sind im ehe- suchungen hatten zum Ziel, einen Überblick über maligen Tagebaugebiet Ville über 40 Restseen ent- die Gewässerbeschaffenheit aller Ville-Seen zu standen. Viele dieser Gewässer haben große Be- erhalten (CHRISTMANN 1995, 1998, LUA 1993). Aus- deutung für die Erholung der Menschen im Bal- gewählte Tagebauseen wurden in ein Monitoring- lungsraum Köln. Bei schönem Wetter suchen bis zu programm aufgenommen und auch in den Folgejah- 40.000 Menschen die Ville zum Wandern, Schwim- ren vom Staatlichen Umweltamt (StUA) Köln und men, Surfen, Segeln und Angeln auf. Durch die dem Landesumweltamt (LUA) untersucht, um lang- regelmäßige Überwachung der Wasserbeschaffen- fristig die Kenntnisse über die Langzeitentwicklung heit der größeren Freizeitseen sowie einiger älterer dieses Gewässertyps zu vertiefen. Dabei interes- Kleinseen konnten in den letzten Jahrzehnten zahl- siert einerseits die Veränderung physikalisch-chemi- reiche Mess- und Beobachtungsdaten gewonnen scher Kenngrößen über die Jahre, zum anderen die werden, die es erlauben, die Entwicklung dieser Entwicklung der Trophie sowie der Flora und Fauna Gewässer zu dokumentieren. im Gewässer.

Im folgenden werden die Untersuchungsergebnisse Lage und Entstehung einiger ausgewählter Seen vorgestellt. Das ehemalige Braunkohlenabbaugebiet liegt im Otto-Maigler See, Bleibtreusee, Liblarer See und südlichen Teil der Ville; das eigentliche Wald-Seen- Heider Bergsee gehören zu den größten Tage- Gewässer 4 Stehende 4 Stehende Gebiet befindet sich im Südrevier im Raum Hürth- bauseen und werden als Freizeitseen genutzt. Liblar-Brühl (Abb. 1). Bedingt durch die von Süd Schluchtsee und Villenhofer Maarsee sind Land- nach Nordwest fortschreitende Abbautätigkeit liegen schaftsseen, die bereits 1964 untersucht wurden die ältesten, schon in den 30er Jahren entstande- und sich, ebenso wie der bergbaubedingt ver- nen Seen bei Brühl, die jüngsten, in den 80er Jah- sauerte Zieselsmaarsee, zur Beurteilung der Lang- ren fertiggestellten im Raum Hürth. Inzwischen zeitentwicklung anbieten. wurde der Abbau der Braunkohle in der Ville einge- stellt. Topographie und Morphometrie der See- Die nach der Kohlegewinnung zurückgelassenen Gruben wurden teilweise verfüllt, die durch Massen- becken defizit übriggebliebenen Hohlräume füllten sich Die Gesamtfläche aller 40 Ville-Seen beträgt über mit Grund- und Oberflächenwasser und bilden die 400 ha. Über die Hälfte dieser Gewässer ist kleiner heutige Seenplatte. als 5 ha, die einzelnen Seen haben Flächen zwischen 0,4 und 74 ha. Da die ehemalige Braun- kohlenlagerstätte nur eine geringe Mächtigkeit hatte Untersuchungsprogramme und oberflächennah lag, sind die Seebecken sehr flach: ihre mittlere Tiefe liegt zwischen 0,2 und In den 60er Jahren untersuchte die damalige Lan- 6,9 m, die maximale Tiefe bei 15 m. desanstalt für Gewässerkunde und Gewässerschutz erstmals einige Ville-Seen (FRIEDRICH 1975 a, b, Die meisten Tagebauseen werden ganzjährig vom HERBST 1966). Nach weiteren orientierenden Mes- Wind durchmischt, nur einige wenige wie der Libla- sungen Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre rer See sind im Sommer stabil geschichtet. Der Zie- führten verschiedene Behörden und Verbände unter selsmaarsee hat aufgrund besonderer chemischer der Federführung des Landesamtes für Wasser und Verhältnisse eine ganzjährig anhaltende Schich- Abfall NRW Ende der 80er Jahre im Auftrag des tung. Tabelle 1 enthält charakteristische Kenndaten Umweltministeriums (MURL) eine umfangreiche lim- der hier vorgestellten Seen.

247 Stand: September 1993

Abb. 1: Das Untersuchungsgebiet im Südrevier des Rheinischen Braunkohlengebietes (Ville) (Quelle: Rheinbraun)

248 Tab. 1: Kenndaten ausgewählter Tagebauseen

Otto- Liblarer Heider Bleibtreu- Schlucht- Zieselsmaar- Villenhofer Maigler-See See Bergsee See see See Maarsee Fläche (ha) 50,5 52,8 35,4 74,2 2,3 5,8 4,5 mittl. Tiefe (m) ca. 4 5,1 4,0 6,9 0,9 4,8 1,0 max. Tiefe (m) 7,0 13,8 8,6 12,8 4,1 10,1 3,2 Volumen (106 m3) 2,1 2,7 1,4 5,1 0,021 0,28 0,047 Entstehungsjahr 1977 1958 1965 1953 1960 1966 1936 Stabile Sommer- schichtung – + (+) (+) – + –

Wasserbeschaffenheit Bereich und der Sulfatgehalt betrug noch unter 500 mg/l. Nachdem nach Tagebauende verstärkt Die Wasserbeschaffenheit der Seen wird im versauertes Grundwasser in den See einströmte, Wesentlichen von dem Material beeinflusst, mit dem ging der pH-Wert im oberflächennahen Wasser in das Seewasser und die zufließenden Grund- und den folgenden Jahren bis auf Werte unter 3 zurück. Oberflächenwässer in Kontakt kommen. Dies sind Die Sulfatkonzentration im Tiefenwasser des Sees vor allem anstehende Tone und Braunkohle, die stieg währenddessen zeitweise auf über 3000 mg/l üblicherweise den Grund der Seebecken bilden. Als an (Abb. 2). Seit Ende der 90er Jahre ist ein leichter Fremdmaterial wurde bei der Verfüllung der Gruben Rückgang der Sulfatkonzentration zu erkennen – und Herrichtung der Seen Abraum, Asche aus ein Hinweis darauf, dass wahrscheinlich der Stoff- Braunkohlenkraftwerken und Brikettfabriken, Rück-

transport aus der nahegelegenen Kippe allmählich Gewässer stände der Wasserenthärtung sowie Abfälle ver- nachlässt. 4 Stehende schiedener Herkunft, die früher größtenteils un- geordnet entsorgt worden sind, eingebracht. Die 3500 8 Wasserqualität ist in den einzelnen Seen sehr unter- Sulfat pH-Wert 3000 7 schiedlich, je nachdem wie stark die einzelnen Be- 6 2500 lastungsfaktoren des sehr heterogen aufgebauten 5 2000 Einzugsgebietes am Wasserkreislauf beteiligt sind. 4 1500 3 Für die Tagebauseen charakteristisch ist der hohe 1000 2 Salzgehalt. Er wird vor allem durch geochemische 500 1 Prozesse, die im Zusammenhang mit der Pyritver- 0 0 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 witterung ablaufen, hervorgerufen. Pyrit (FeS2) ist Jahr im Nebengestein der Braunkohle enthalten und bei Abb. 2: pH-Wert und Sulfatgehalt im Zieselsmaar- der Kohlebildung unter reduzierenden Bedingungen see von 1980 bis 1999 entstanden. Bei der in Kippen durch Sauerstoffzu- tritt einsetzenden Verwitterung werden aus dieser Verbindung Sulfat, Säure und Eisen freigesetzt. Infolge der hohen Stoffkonzentration im Wasser, die Niedrige pH-Werte und Pufferungsreaktionen be- eine hohe Dichte bewirkt, sowie begünstigt durch günstigen die Freisetzung von weiteren Stoffen, die die windgeschützte Lage und die trichterartige See- mit dem Grundwasserstrom bis in die Tagebauseen beckenform ist der Zieselsmaarsee inzwischen gelangen können. meromiktisch geworden: nur noch das oberflächen- nahe Wasser kann vom Wind umgewälzt und mit Eine bergbaubedingte Versauerung, von der in Sauerstoff angereichert werden. Das Tiefenwasser Mittel- und Ostdeutschland viele Restseen betroffen nimmt an der Zirkulation nicht teil und ist ständig sind, konnte in der Ville nur am Zieselsmaarsee und anaerob. in abgeschwächter Form an einem weiteren See festgestellt werden. Zu Untersuchungsbeginn 1980 Auch die Wasserbeschaffenheit der übrigen Tage- lag der pH-Wert im Zieselsmaarsee im neutralen bauseen ist zeitlichen Veränderungen unterworfen.

249 Kurz nach der Entstehung der Seen, wenn geoche- Sedimentbeschaffenheit mische Prozesse und Elutionen in der Umgebung Die Sedimente der Tagebauseen zeichnen sich am intensivsten ablaufen, findet man den höchsten durch hohe Gehalte an Metallen und Arsen aus Salzgehalt. Im Laufe der Jahre nimmt dieser all- (LUA 1993). Diese gehen vor allem auf die Verwitte- mählich ab. Das belegen Messungen an mehreren rung von Feldspäten und Tonmineralien, auf die Oxi- „alten“ Tagebauseen am Beispiel der Sulfatkonzen- dation von Eisendisulfiden und den Austrag aus tration (Abb. 3). Abraumkippen zurück. In pflanzenreichen und von Ufergehölz umgebenen Seen hat sich im Laufe der mg/l Jahre eine mehrere Zentimeter mächtige Schicht 300 aus Detritus und Falllaub gebildet, die teilweise Faulschlamm enthält. 250

200 Trophie 150 Zur Einschätzung der Trophie von Seen werden

100 hauptsächlich die Kenngrößen Phosphor, Sichttiefe und Chlorophyll a herangezogen. Die Gesamt-P- 50 Schluchtsee Konzentration gibt Hinweise auf das Nährstoff- Liblarer See angebot für die Primärproduzenten. Sichttiefe und 0 Chlorophyll a beschreiben die Intensität der Phyto- 1963 Villenhofer Maar see 1988 1999 planktonproduktion.

Die Beurteilung des trophischen Zustandes stößt Abb. 3: Zeitliche Entwicklung der Sulfatkonzen- bei Seen, die von Makrophyten dominiert werden, tration im Schluchtsee, Liblarer See und auf Schwierigkeiten, da mit der Chlorophyllbestim- Villenhofer Maarsee mung nur die Biomasse des Phytoplanktons erfasst wird. Auch die Sichttiefe ist als Kriterium ungeeignet, Von diesen Gewässern liegen Daten von 1963, aus weil Makrophyten durch Konkurrenz und Allelo- den 80er Jahren und von 1999 vor. Von 1963 bis pathie die Phytoplanktonentwicklung unterdrücken 1985/86 bzw. 1988/89 gingen Leitfähigkeit sowie können. Sulfat-, Calcium- und Magnesiumkonzentrationen deutlich zurück. Im Laufe der Jahre wurden die Vergleicht man unter diesem Vorbehalt den trophi- Wässer ionenärmer und näherten sich „normalen“ schen Zustand einzelner Jahre miteinander ergeben Verhältnissen. sich für die verschiedenen Seen folgende Befunde (Tab. 2). Von den weiteren hier vorgestellten Seen liegen Messdaten aus der Zeit Ende der 70er/Anfang der Die deutliche Verminderung der Trophie im Bleib- 80er Jahre bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt vor. treusee geht auf eine umfangreiche Seetherapie Auch hier fällt vor allem die Abnahme der Calcium- zurück (s. u.). Seitdem befindet sich das Gewässer und Sulfatkonzentration auf, die jedoch noch nicht im mesotrophen Zustand, Wasserblüten oder Ver- so deutlich ist, wie bei den zuvor genannten Ge- krautungen werden nicht mehr beobachtet. wässern.

Tab. 2: Zeitliche Veränderung der Trophie

1978 1981 1983 1986 1989 1997

Bleibtreusee stark eutroph mesotroph mesotroph mesotroph mesotroph mesotroph

Heider Bergsee eutroph eutroph eutroph (meso-/eutroph) (meso-/eutroph) (meso-/eutroph)

Otto Maigler See – – meso-/eutroph meso-/eutroph mesotroph mesotroph

Liblarer See – oligo-/mesotroph mesotroph oligotroph oligotroph oligo-/mesotroph

250 Der Heider Bergsee wird unter Verwendung der häufig bis unmittelbar an das Wasser (Abb. 4). In oben genannten Beurteilungskriterien als meso- einigen Flachseen jedoch, insbesondere im Fasa- troph klassifiziert. Unter Berücksichtigung der star- nenweiher, ist die Verlandung bereits so weit fortge- ken Entwicklung submerser Makrophyten, durch die schritten, dass Schilf fast den gesamten Gewässer- regelmäßig Flachwasserzonen verkrauten, dürfte er grund einnimmt. zutreffender als eutroph bezeichnet werden. Auch im Otto-Maigler See dominieren meist Makro- phyten. Kurz nach der Entstehung des Gewässers besiedelten Armleuchteralgen fast flächendeckend den Gewässergrund. In den Folgejahren konnte sich Phytoplankton stärker entwickeln. Durch die abnehmende Wassertransparenz gingen die Be- stände submerser Makrophyten vorübergehend zurück. In den letzten Jahren konnte mehrfach ein Wechsel zwischen Plankton- und Makrophyten- dominanz beobachtet werden, derzeit herrschen wieder Characeen vor. Der See ist als mesotroph einzustufen. Abb. 4: Bei steiler Uferneigung entwickelt sich nur Der Liblarer See zeichnet sich durch ein nur schwa- ein lückenhafter schmaler Röhrichtsaum, ches Nährstoffangebot und eine entsprechend nie- hier tritt das Ufergehölz häufig bis unmittel- drige Trophie aus. Der Trophiegrad schwankt in den bar an das Wasser einzelnen Jahren zwischen oligo- und mesotroph. Schluchtsee und Villenhofer Maarsee lassen keine Die submerse Vegetation des Otto-Maigler-Sees Gewässer

vergleichende Trophiebetrachtung zu, da in frühe- wurde in den ersten Jahren nach Entstehung des 4 Stehende ren Jahren die zur Trophiebeurteilung erforderlichen Gewässers von Massenvorkommen von Armleuch- Kenngrößen nicht bestimmt worden sind. Nach teralgen (Chara vulgaris, C. contraria) geprägt. heutiger Einschätzung sind diese anfangs vermut- Nachdem diese Bestände durch vorübergehende lich mesotrophen Tagebauseen inzwischen in den Wassertrübung zurückgedrängt worden sind, breitet eutrophen Zustand übergegangen, wobei im Villen- sich derzeit eine andere Characeen-Art, Nitellopsis hofer Maarsee Makrophyten dominieren. obtusa, im See aus. Die sich besonders am Westteil entwickelte Ufervegetation wurde inzwischen teil- Der ehemals eutrophe Zieselsmaarsee lässt auf- weise durch vom Menschen eingebrachte, standort- grund seiner Versauerung keine Einordnung in das fremde Arten (z. B. Zungenhahnenfuss Ranunculus Trophiesystem zu. lingua, Tannenwedel Hippuris vulgaris) verfälscht. Insgesamt betrachtet weisen die hier beschriebenen Tagebauseen relativ stabile trophische Verhältnisse Im Heider Bergsee dominiert ein aus Nordamerika auf. stammender Neophyt: das Verschiedenblättrige Tausendblatt (Myriophyllum heterophyllum). Es bildet weitgehend Reinbestände im Tauchblatt- Flora und Fauna Pflanzengürtel und bietet Fischen und vielen Klein- lebewesen Lebensraum. Diese Pflanze wurde im Makrophyten Heider Bergsee erstmals Ende der 70er Jahre fest- Nach Herrichtung der Seebecken waren die Seeufer gestellt, inzwischen gelangen auch Nachweise aus zunächst vegetationsfrei. Je nach Neigung, Sub- benachbarten Tagebauseen. stratbeschaffenheit und Exposition der Litoralzone haben sich im Laufe der Jahre Verlandungsgürtel in Die Makrophytenvegetation des Schluchtsees und unterschiedlicher Ausprägung entwickelt. Bei der des Villenhofer Maaresees ist 1963/64 untersucht Mehrzahl der Tagebauseen fallen die Ufer relativ worden (FRIEDRICH 1975 b, HERBST 1966). Eine steil ab, so dass sich nur ein schmaler Röhricht- erneute orientierende Bestandsaufnahme erfolgte gürtel ausbilden konnte. Hier treten Ufergehölze Ende der 80er Jahre (LUA 1993).

251 Viele der Makrophytenarten wurden in beiden Polyartha vulgaris u. a.) geprägt. Im Schluchtsee Jahren nachgewiesen. Im Villenhofer Maarsee be- und Villenhofer Maasee sind kleinere Arten aus der deckte die Armleuchteralge Chara contraria 1974 Gruppe der Blattfußkrebse (Cladoceren) in geringer noch große Bereiche des Seengrundes. In den fol- Zahl vertreten (Bosmina longirostris, Ceriodaphnia genden Jahren wurde der Bestand durch submerse pulchella u. a.). Die Ruderfußkrebse (Copepoden) Laichkräuter (Potamogeton crispus und P. pectina- zeigen insgesamt nur niedrige Bestandsdichten, tus), Myriophyllum spicatum sowie den bundesweit wobei die Nauplien und Copepodit-Stadien vorherr- gefährdeten Wasserschlauch (Utricularia sp.) er- schen. Im Bleibtreusee, der über ein großes Was- setzt. Bis 1988 hat sich ein Schwimmblattpflanzen- servolumen verfügt, kommen auch große Cladoce- gürtel mit Seerosen entwickelt, der 1963 nur in ren (Daphnia longispina) zur Dominanz. Nauplien Ansätzen vorhanden war. Einige Arten wie Carex und Copepoditen sowie einige adulte Copepoden rostrata, Isolepis setacea und Triglochin palustre, erreichen hier zeitweise hohe Individuendichten. die heute alle auf der Roten Liste der gefährdeten Im versauerten Zieselsmaarsee treten im Pelagial Pflanzenarten stehen, sind inzwischen aus dem nur ein bis zwei Algentaxa und eine Zooplanktonart Gebiet verschwunden. Dies trifft auch für den Breit- in sehr geringer Zahl auf. blättrigen Rohrkolben (Typha latifolia) am Schlucht- see zu, der in früheren Jahren im Röhrichtgürtel vor- herrschte. Neu hinzugekommen sind Neophyten wie Elodea canadensis, Myriophyllum heterophyl- Vögel lum sowie verschiedene Röhricht- und Schwimm- Die Seen-Platte der Ville hat für den Vogelschutz blattpflanzen. regionale Bedeutung. Aufgrund des Fischbesatzes und des Auftretens beachtlicher Bestände von Tauch- blattpflanzen und der Wandermuschel (Dreissena Plankton polymorpha) bieten die großen Seen durchziehen- den und überwinternden Wasservögeln wie Tau- Die Planktonzönosen sind 1963/64 und 1988/89 am chern, Kormoranen, Entenvögeln (vor allem Stock-, Schluchtsee, Villenhofer Maarsee und Bleibtreusee Reiher-,Tafel- und Schellenten) sowie Blessrallen untersucht worden (HERBST 1966, KAUMANNS 1990, reiche Nahrung. Die kleineren Gewässer werden TRAHMS 1972, LUA 1993). Allen Gewässern gemein- wegen ihres hohen Baumbestandes meist ge- sam sind damals wie heute geringe bis mittlere mieden. Verbreitete Brutvögel sind Stockente, Individuendichten des Phytoplanktons. Blessralle und Höckerschwan. Auf einer Insel im Im Schluchtsee haben sich in Bezug auf das Franziskussee besteht seit Jahrzehnten eine Kolo- Gruppenspektrum von 1963/64 bis 1988/89 keine nie der Sturmmöwe. Auf dem Bleibtreusee, in Nähe wesentlichen Änderungen ergeben. Lediglich die der Kölner Mülldeponie, halten sich häufig Tausende Cryptophyceen, die damals nur in geringer Indivi- von Lach- und Silbermöwen auf. In den schmalen duenzahl vorkamen, treten heute in höheren Be- Schilfstreifen der Uferzone einiger Seen brütet der ständen auf. Auch im Villenhofer Maarsee sind Teichrohrsänger. keine auffälligen Veränderungen eingetreten. Es dominieren Vertreter der Goldalgen. Insgesamt ver- Aufgrund des hohen Erholungsdruckes werden viele Vogelarten durch Bootsverkehr, wildes Baden größerte sich die Artenzahl von 73 (HERBST 1966) auf mehr als hundert. Im ehemals stark eutrophier- und Betreten sensibler Uferzonen gestört. ten Bleibtreusee kam es mehrfach zu Massenent- wicklungen der „Blaualgen“ Oscillatoria rubescens, Anabaena und Aphanizomenon. Nach Neufüllung Nutzungen des Sees (s. u.) nahm die Planktondichte stark ab. Das Wald-Seen-Gebiet der Ville wird als Erholungs- Oscillatoria kommt heute nur noch vereinzelt vor, und Freizeitschwerpunkt stark beansprucht. In den Goldalgen und Cryptophyceen sind in mittlerer Jahren der Entstehung der ersten Seen existierte Häufigkeit zu finden. kein Plan über die Nutzungen der einzelnen Gewäs- Das Rotatorienplankton wird damals wie heute von ser („ungeordnete Nutzungen“), Nutzungskonflikte Ubiquisten (z. B. Keratella cochlearis, K. quadrata, (z. B. zwischen Anglern, Wassersportlern und dem

252 Naturschutz), Schäden (an der Vegetation durch schaft. Die größeren Seen (Liblarer, Heider Berg-, Tritt, wilde Abfallentsorgung), Störungen (z. B. des Bleibtreu-, Otto-Maigler-, Zieselsmaarsee) wurden Brutgeschäftes empfindlicher Wasservogelarten) als Landschafts- und Freizeitseen entwickelt (Tab. 3). waren die Folgen. Einige der kleineren Seen oder Seebereiche stehen unter Naturschutz, um die Pflanzen- und Tierwelt 1965 wurde der Verein „Erholungspark Kottenforst- vor Störungen zu schützen. Ville e.V.“ gegründet, ab 1978 – nach Umorganisa- tionen – „Zweckverband Naturpark Kottenforst-Ville“. Der Wassersport wurde auf bestimmte Seen bzw. Dadurch entstand eine geordnete Nutzungsstruktur Seeteile beschränkt und es wurden nur bestimmte in einer überregional bedeutsamen Erholungsland- Sportvereine zugelassen. Da diese größeren Seen

Tab. 3: Nutzungen an den Ville-Seen

Gewässer/Nutzung Biotop- und Artenschutz Stille Erholung Fischerei Baden Wassersport Camping Albertsee – + + – – – Berggeistweiher – + + – – – Bleibtreusee – + + + + – Concordiasee – + + – – – Donatussee – + + – – – Ententeich – – + – – – Entenweiher + – – – – – Fasanenweiher – – – – – – Forellenteich – + + – – – Forsthausweiher – + + – – – Franziskussee + + – – – – Gallbergweiher – + + – – – Gewässer

Gotteshülfeteich – + + – – – 4 Stehende Gruhlwerksee – + + – – – Heider Bergsee – + + + + + Karauschenweiher – + + – – – Karpfenteich – + + – – – Knapsacker See – + + – – – Köttinger See – + + – – – Liblarer See – + + + + + Lucretiasee – + + – – – Margarethenweiher – + + – – – Mittelsee – + + – – – Nordfeldweiher – – – – – – Obersee – + + – – – Otto–Maigler–See – + + + + – Phantasialandsee – – – – – – Pingsdorfer See – + + – – – Roddersee – + + – – – Schluchtsee + + – – – – Silbersee – + + – – – Stiefelweiher – + + – – – Theresiasee + + – – – – Tongraben – – – – – – Untersee – + + – – – Villenhofer Maarsee – + + – – – Werkstattweiher – + + – – – Zieselsmaarsee – – – + – – Zwillingssee + (+) (+) – – –

253 als Wasservogelrastplätze bedeutsam sind, ist anzustreben, zu diesen Zeiten den Wassersport einzuschränken. Die meisten Ville-Seen werden fischereilich genutzt; dies ist durch Pachtverträge mit verschiedenen Vereinen geregelt. Badenutzung ist auf die Seen beschränkt, wo die erforderliche Infrastruktur geschaffen worden ist (Parkplätze, Toiletten, Badestrand etc.). Wildes Baden gibt es jedoch nach wie vor. Die Campingplätze (meist Dauercamper) am Heider Bergsee und am Liblarer See werden in Verbindung mit den Freibädern betrieben (Abb. 5). Abb. 6: Wasserpflanzen aus bestimmten verkraute- ten Seebereichen werden, soweit sie die Erholungsnutzung beeinträchtigen, mittels einer „Seekuh“ entfernt.

Eine umfangreiche Therapie wurde Ende der 70er Jahre am Bleibtreusee durchgeführt. Nach Spei- sung des schon 1953 entstandenen Sees mit sehr nährstoffreichem Wasser aus einem Klärteich Mitte der 70er Jahre traten in den Folgejahren Massen- entwicklungen von fädigen „Blaualgen“ (Cyanobak- terien) auf, die den Badebetrieb stark behinderten. 1979/80 wurde der See bis auf ein geringes Rest- Abb. 5: Das Freibad am Heider Bergsee wird in volumen leergepumpt, das verbliebene Wasser zur Verbindung mit einem Campingplatz be- Fällung der Nährstoffe mit Aluminiumverbindungen trieben. behandelt, das Seebecken komplett mit nährstoff- ärmeren Grundwässern neu befüllt und außerdem nährstoffreiche Zuflüsse aus dem kleinen Einzugs- Therapiemaßnahmen gebiet abgeleitet. Seitdem befindet sich der damals stark eutrophierte See im mesotrophen Zustand. Um die bestehenden Freizeitnutzungen an den größeren intensiv genutzten Tagebauseen zu er- halten, sind einige Therapiemaßnahmen erforder- Ausblick lich geworden. Vor allem die Verkrautung von Flach- wasserzonen beeinträchtigt verschiedene Freizeit- Durch die zunehmende Freizeit der Bevölkerung nutzungen. So werden stark betroffene Bereiche wächst der Erholungsdruck auf die Seenlandschaf- des Heider Berg- und Otto-Maigler Sees regelmäßig ten heute noch. Konflikte, insbesondere zwischen maschinell entkrautet (Abb. 6), das Mähgut aus dem Freizeitnutzungen und Naturschutz sind vorpro- Gewässer entfernt und im umliegenden Forst kom- grammiert. Wildes Lagern mit dem Zurücklassen postiert. Eine "radikale" Pflanzenentnahme verbietet des Abfalls ist in den Sommermonaten häufig zu sich aus Gründen des Biotop- und Artenschutzes beobachten, ebenso wie die Beschädigung der Ufer- und würde außerdem die ebenfalls unerwünschte zonen. Letzteres wurde durch gezielte Wegelen- Massenentwicklung von Phytoplankton fördern. kung zu den Gewässern reduziert, doch werden zu „Stoßbesuchszeiten“ häufig Ge- und Verbote miss- Wie bereits ausgeführt, ist der Zieselsmaarsee achtet, und Trampelpfade mit Vegetationsschädi- bergbaubedingt versauert. Um dieses Gewässer als gungen sind die Folge. Ein weiteres Problem ist das Badesee zu erhalten, darf nach behördlicher Auf- Füttern „zahmer“ Wasservögel mit alten Brotwaren. lage der pH-Wert den Wert von 3 nicht unterschrei- Diese „Nährstoffe“ düngen die Gewässer zusätzlich ten. Während der Badesaison erreicht man dies und fördern zehrende Prozesse. Dort ist ständige durch mehrfaches Einbringen von Kalkmilch. Aufklärungsarbeit zu leisten.

254 Das Ville-Seen-Gebiet verträgt keine weitere FRIEDRICH, , G. (1975 b): Studien zur Entwicklung der spontanen Vegetation anthropogener Gewässer im Rekultivierungsge- Zunahme der wassergebundenen Freizeitnutzun- biet des rheinischen Braunkohletagebaues. - Bot. Jahrb.Syst. gen, um auch in Zukunft die an den meisten Er- 96, 71-83. holungsseen bestehende zufriedenstellende Was- HERBST, H.V. (1966): Limnologische Untersuchungen von Tage- serqualität zu erhalten und Bereiche für die stille baugewässern in den Rekultivierungsgebieten der Braun- kohle-Industrie im Kölner Raum. - Min. f. Ernährung, Land- Erholung sowie Refugien für Pflanzen und Tiere zu wirtschaft und Forsten NRW, 120 S. sichern. KAUMANNS, J. (1990): Untersuchungen zur Zusammensetzung, Biomasse und Aktivität des Phytoplanktons anthropogener Flachgewässer im rheinischen Braunkohlegebiet. - Diplom- arbeit Univ. Düsseldorf. Literatur LUA - Landesumweltamt Nordrhein-Westfalen (1993): Gutachten CHRISTMANN, K.-H. (1995): Die Seen im rekultivierten Tagebau über die Gewässerbeschaffenheit von 39 Tagebauseen „Ville“ (Nordrhein-Westfalen) - ein limnologischer Überblick. - im Rheinischen Braunkohlen-Rekultivierungsgebiet „Ville“, Limnologie aktuell, Bd. 7, S. 67 - 76. 6 Bände.

CHRISTMANN , K.-H. (1998): Die Tagebauseen im Rekultivierungs- TRAHMS, K.-J. (1972): Die Entwicklung von Plankton-Biocönosen gebiet „Ville“ bei Köln, In: Pflug, W. (Hrsg.): Braunkohlen- in Restgewässern des rheinischen Braunkohlengebietes. - tagebau und Rekultivierung, S. 358 - 368. Int. Revue ges. Hydrobiol. 57 (5), S. 695-758.

FRIEDRICH, G. (1975 a): Entwicklung der Makrophytenvegetation in einem neu entstandenen Gewässer. - Bericht der Intern. Symposien d. Intern. Ver. f. Vegetationskunde, Sukzessions- forschung, S. 227 - 236. Gewässer 4 Stehende 4 Stehende

255 256 Baggerseen

4.2 Baggerseen und ihre Folgenutzungen

Dr. Gabriele Eckartz-Nolden (StUA Köln)

Einleitung standen, nehmen unter den stehenden Gewässern eine Sonderstellung ein. Sie sind per definitionem Auf der Grundlage des Gewässergüteüberwachungs- ein durch Menschenhand geschaffener Gewässer- systems NRW (GÜS) unterliegen stehende Gewäs- typ, der sich durch seine Anbindung an das Grund- ser der landesweiten Überwachung. Im Dienstbezirk wasser in besonderem Maße in Wechselwirkung mit des StUA Köln befinden sich etwa 200 größere diesem befindet. stehende Gewässer, die sich ihrer Entstehung nach verschiedenen Typen zuordnen lassen. Der über- Die Baggerseen unterliegen verschiedensten Nut- wiegende Teil der stehenden Gewässer ist anthro- zungen. Abbildung 1 zeigt mögliche Nutzungen im pogener Herkunft (Tab. 1). Umfeld und im Gewässer selbst. Die Baggerseen, durch Gewinnung von Kies und Sand, Ton und Stein, sowie von Braunkohle ent- Untersuchungen

Tab. 1: Stehende Gewässer im Dienstbezirk des Seit 1994 sind 45 stehende Gewässer regelmäßig StUA Köln nach den Vorgaben der LAWA (Länderarbeitsge- meinschaft Wasser) und des Arbeitskreises Bag- natürliche stehende Gewässer gerseen der DGL (Deutsche Gesellschaft für Limno- (Altwässer) 4 logie) limnologisch untersucht worden. Das Unter- Talsperren, Flussstaue 23 suchungsprogramm umfasst neben der Aufnahme von Tiefenprofilen (Sauerstoff, Temperatur, pH-Wert, Hochwasserrückhaltebecken 1 Leitfähigkeit), der Messung der Sichttiefe und der Gewässer Seen des Braunkohletagebaus 36 Bestimmung des Chlorophyll a-Gehaltes die 4 Stehende Probenahme für die Bestimmung der Nährstoffe Baggerseen (geschätzt) 120 – 140 (Stickstoff und Phosphor) und anderen chemischen Steinbruchgewässer 7 Parametern aus definierten Tiefenstufen sowie die

Abb. 1: Nutzungen eines Baggersees (aus: DGL-AK Baggerseen)

257 Entnahme von Phyto- und Zooplanktonproben. Die ten. Es werden eine Messserie zur Zeit der Früh- Proben werden in der Regel an der tiefsten Stelle jahrszirkulation und mindestens drei während der des Gewässers von einem Boot aus entnommen. Sommerstagnationsphase durchgeführt. Einmal Die Messung der Tiefenprofile erfolgt in 1 m-Schrit- jährlich wird eine Sedimentprobenahme angesetzt.

Tab. 2: Untersuchte Abgrabungsgewässer im Dienstbezirk des StUA Köln: Lage der Gewässer (Kreis, Stadt), Trophie (o = oligotroph, m = mesotroph, eu = eutroph, p = polytroph) und Nutzungen

Seen Kreis Trophie Nutzung

Dornhecken See Bonn o (-m) Naturschutz, Angeln Heiderhof Bonn eu Angeln, Naturschutz Tongrube Röttgen Bonn eu Erholung, Angeln, wildes Baden Berggeistweiher Erftkreis o Angeln, Erholung, wildes Baden Bleibtreusee Erftkreis m Baden, Surfen, Segeln, Angeln, Erholung Heider Bergsee Erftkreis m Camping, Baden, Segeln, Bootfahren, Erholung, Angeln Liblarer See Erftkreis o-m Camping, Baden, Segeln, Bootfahren, Erholung, Angeln Otto-Maigler-See Erftkreis m Baden, Bootfahren, Angeln, Erholung Entenfang bei Wesseling Erftkreis eu-p Naturschutz Auweiler See Köln m Abgrabung Escher See Nord Köln o-m Angeln, Baden Escher See Süd Köln o Angeln Badesee Vingst Köln eu Angeln, Baden Höhenfelder See Köln o Erholung, Angeln Immendorf Ost Köln m Angeln, Abgrabung Immendorf West Köln m Angeln, Abgrabung Pescher See Köln m Abgrabung Pulheimer See Köln m-eu Angeln, Surfen, Abgrabung Spicher See Nord Köln o-m Angeln, Abgrabung Hitdorf-Nord Leverkusen o-m Baden, Angeln Hitdorf "Kalsiton" Leverkusen m Angeln, Abgrabung Großer Silbersee Leverkusen m Angeln, Baden Kleiner Silbersee Leverkusen m Private Nutzungen See Haus Laach Leverkusen o-m Angeln, Surfen Altenhof Leverkusen m Abgrabung Spicher See West Rhein-Sieg-Kreis m Angeln Spicher See Süd Rhein-Sieg-Kreis m-eu Angeln Allner See Rhein-Sieg-Kreis m-eu Baden, Erholung, Angeln Dondorfer See Rhein-Sieg-Kreis m-eu Naturschutz, Angeln, Erholung, eingeschränkte Jagd Baggersee Horn Rhein-Sieg-Kreis o Abgrabung Dächelsberg See Rhein-Sieg-Kreis m-eu Naturschutz Dachsbergsee Rhein-Sieg-Kreis m Tontaubenschießstand, Angeln, wildes Baden Eschmarer See Rhein-Sieg-Kreis o Abgrabung Himberger See Rhein-Sieg-Kreis m Angeln Mondorfer See Rhein-Sieg-Kreis o Abgrabung Quarzwerke Witterschlick Rhein-Sieg-Kreis o Abgrabung Rotter See Rhein-Sieg-Kreis m Angeln, Baden Sieglarer See Rhein-Sieg-Kreis eu Naturschutz Stockemer See Rhein-Sieg-Kreis o Angeln, Naturschutz Weilerhofer See Rhein-Sieg-Kreis m / o Naturschutz Bensberger See Oberbergischer Kreis eu-p Angeln, Erholung

258 Stehende Gewässer werden nach ihrer trophischen Tab. 3: Morphometrische Kenndaten des Situation beurteilt (vgl. Kap. 2.2). Der Trophiegrad Weilerhofer Sees ändert sich in der Regel nicht kurzfristig, so dass Lage TK 25 5108 eine Untersuchungsreihe alle 5 Jahre eingeplant -R: 257417 - H: 563415 wird. Bei Nutzungsänderungen oder sonstigen Be- Seefläche 10,9 ha lastungen werden auch 2 oder mehrere Unter- Maximale Tiefe 25 m suchungsjahre hintereinander einkalkuliert. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die untersuchten Ge- Durchmischungsverhalten holomiktisch – dimiktisch wässer, ihren trophischen Zustand und die dortigen Trophie 1994: mesotroph, Nutzungen. Die im folgenden Text vorgestellten 1999: oligotroph Gewässer sind durch Fettdruck hervorgehoben. im Sommer metalimnische Sauerstoffmaxima cha- Ergebnisse rakteristisch, während 1994 metalimnische Sauer- stoffminima kennzeichnend waren (Abb. 2). Vier Gewässer mit unterschiedlichem Trophiezu- stand und verschiedenen Nutzungen werden im Sättigung % folgenden Text vorgestellt: Der Weilerhofer See, der 0 50 100 150 200 250 0 seit Abgrabungsende dem Naturschutz ohne fische- 5 05.01.94 reiliche Nutzung unterliegt, der Dondorfer See, der 15.03.94 18.05.94 10 08.06.94 anfangs als Freizeitsee genutzt wurde und in den 15.08.94

Tiefe m 15 21.09.94 90er Jahren dem Naturschutz mit fischereilicher 10.10.94 07.11.94 Nutzung (Angeln), stiller Erholung und einge- 20 schränkter Jagd unterliegt, der Badesee Vingst, ein 25 kleines Gewässer mit Bade- und Angelnutzung und Sättigung % 0 50 100 150 200 250 die Escher Seen, die dicht beieinanderliegend, ver- 0 Gewässer 4 Stehende 4 Stehende schiedene Nutzungen haben. 5 31.03.99 05.05.99 28.06.99 10 Der Weilerhofer See ist 1994, 1998 und 1999, der 28.07.99 25.08.99

Badesee Vingst 1995, 1996 und 1999, der Don- Tiefe m 15 08.09.99 22.09.99 dorfer See 1994 und 1999 und die Escher Seen sind 20

1994 untersucht worden. 25

Abb. 2:Weilerhofer See: Profile der Sauerstoff- Weilerhofer See sättigung 1994 und 1999 Der Weilerhofer See befand sich 1994 am Ende der Das Klassifizierungssystem nach OECD (1982) Abgrabungsphase, d. h. es wurden noch Restbe- charakterisiert den Weilerhofer See für 1994 stände oberhalb des Grundwasserspiegels abge- als mesotrophes und für 1999 als oligotrophes baut und vor Ort aufbereitet; anfallendes Wasser Gewässer. aus der Kieswäsche wurde in den See zurückge- leitet. Seit abgeschlossener Abgrabung Mitte der – Die Sichttiefewerte für 1994 lagen zwischen 90er Jahre unterliegt der Weilerhofer See der 60 cm und 3 m und sind, da das Gewässer sich Nutzung Naturschutz ohne fischereiliche Nutzung. noch in Abgrabung befand, aufgrund der dadurch Das Gelände ist eingezäunt, um Unbefugte am hervorgerufenen Trübung nicht zur trophischen Betreten zu hindern. Im Zaunbereich befinden sich Einstufung geeignet. 1999 lagen die Sicht- zwei Kanzeln zur Vogelbeobachtung. tiefen deutlich höher, zwischen 4,50 m und 11,20 m, der Durchschnittswert betrug 7,85 m. Der Weilerhofer See, Größe 10,9 ha, maximale Tiefe 25 m, ist während der Stagnationszeiten ther- – Die Chlorophyll a-Werte lagen niedriger als 1994 misch stabil geschichtet und wird zu Zirkulations- und charakterisieren den Weilerhofer See als zeiten vollständig durchmischt (holomiktisch - dimik- oligotrophes Gewässer (1994: Chlorophyll a - tisch) (Tab. 3). Sauerstoff ist selbst zu Stagnations- Sommermittelwert: 5,3 µg/l; 1999: Chlorophyll a - zeiten im Hypolimnion nachzuweisen. 1999 waren Sommermittelwert: 1,1 µg/l) (Abb. 3)

259 – wie auch schon die Phosphorkonzentrationen 1999 wurden im Sommer unterseeische Rasen der (1994: Gesamt-P zur Frühjahrszirkulation: 7 µg/l, Armleuchteralge Chara festgestellt. epilimnisches Sommermittel: 15 µg/l; 1999: Der Weilerhofer See mit der Nutzung Naturschutz Gesamt-P zur Frühjahrszirkulation: < 5 µg/l, epi- ohne fischereiliche Nutzung dient dem StUA Köln limnisches Sommermittel < 5 µg/l). als Vergleichsgewässer für die Gewässer mit fische-

J F M A M J J A S O N D reilicher Nutzung und mit Mehrfachnutzungen. 0 20

18 200 16

14 400 12 Dondorfer See 600 10

8 Sichttiefe cm

800 Chlorophyll a µg/l Der Dondorfer See ist im Rahmen des Kiesabbaus 6

4 1000 in den Jahren 1975 – 1990 entstanden. Ende der 2

1200 0 70er bis Ende der 80er Jahre wurde der See als Sichttiefe: Chlorophyll a Freizeitgewässer genutzt: Surfen, Segeln, Baden

J F M A M J J A S O N D trotz Badeverbotes, Erholung, Angeln. In den 90er 0 20 18 Jahren wurde der See als Naturschutz-/Land- 200 16

14 schaftssee mit Angelnutzung, stiller Erholung und 400 12 eingeschränkter Jagd entwickelt. 600 10

8 Sichttiefe cm

800 Chlorophyll a µg/l Der Dondorfer See liegt im Auenbereich der Sieg, 6

4 1000 bei Hochwasserereignissen besteht über einen 2

1200 0 Kanal Kontakt zur Sieg sowie zu einem Sieg-Alt-

Sichttiefe Chlorophyll a wasser. Dadurch gelangt nährstoffreiches Wasser in den See. Abb. 3:Weilerhofer See: Sichttiefe und Chloro- phyll a 1994 (oben) und 1999 (unten) Aufgrund seiner geografischen Lage und den mor- phologischen Gegebenheiten ist der Dondorfer See Das Erreichen des niedrigeren Trophiezustandes ist ein nährstoffreicheres Gewässer als der Weilerhofer zum einen auf das Ende der Abgrabungstätigkeit See. und sich einstellende Gleichgewichtsprozesse zu- Tab. 4: Morphometrische Kenndaten des rückzuführen sowie zum anderen auf die Regulation Dondorfer Sees des Fischbestandes über die Raubfische (Einsatz Lage TK 25 5209 von Zandern) und auf den Faktor, dass keine fische- - R: 259350 - H: 562694 reiliche Nutzung stattfindet. 1994 wies ein fischerei- biologisches Gutachten einen hohen Weißfisch- Seefläche 13,5 ha bestand im Weilerhofer See nach, wobei die Plötzen Maximale Tiefe 8 m sich hauptsächlich von großen Cladoceren (Daph- Durchmischungsverhalten holomiktisch - dimiktisch nien) ernährt hatten. Planktonuntersuchungen haben gezeigt, dass 1999 die Cladoceren höhere Trophie 1994: mesotroph Zahlen als 1994 erreichten und dass der Anteil der 1999: mesotroph fressbaren Algenarten abnahm. Die 1997 eingesetz- ten Zander kontrollieren als Raubfische den Weiß- Das ca. 7 - 8 m tiefe (abhängig vom Grundwasser- fischbestand, der in geringerer Anzahl nur einen ver- stand), 13,5 ha große Gewässer (Tab. 4) ist im minderten Fraßdruck auf die Cladoceren ausüben Sommer geschichtet, wie die Untersuchungsergeb- kann, was wiederum einen geringeren fressbaren nisse aus 1994 und die in 1999 ermittelten Daten Phytoplankton-Anteil bewirkt („top-down-Kontrolle“). gezeigt haben. Ein Hypolimnion wird jedoch nur zu Beginn der Schichtung ausgebildet, mit der weiteren Eine im September 1999 durchgeführte fischereibio- Erwärmung sinkt die Sprungschicht bis kurz über logische Untersuchung, Elektrobefischung und den Gewässergrund ab. Für den Abbau der organi- Stellnetzfang, wies einen Bestand an Barschen, schen Substanz steht somit kein Sauerstoffreservoir Plötzen und Karpfen nach. Zander wurden keine zur Verfügung; dadurch wird die bodennahe Was- gefangen. serschicht schon im Mai sauerstofffrei (Abb. 4). Für

260 Sättigung % Im Hypolimnion wurden im Juli in den Unter- 0 50 100 150 200 0 suchungsjahren Chlorophyll a - Spitzenwerte von 1 17.01.94 47 und 54 µg/l erreicht. 2 15.03.94 3 16.05.94 11.07.94 4 Der Dondorfer See wird seit 1984 von einem 25.10.94 5

Tiefe m Angelverein bewirtschaftet; über „kontrollierte“, d. h. 6 7 festgeschriebene Besatzmaßnahmen kamen 8 Karpfen, Schleien, Hechte, Zander, Aale, Moder- 9 Sättigung % lieschen und Regenbogenforellen in den See neben 0 50 100 150 200 0 den nicht kontrollierbaren Zu- und Abwanderungen 1 02.02.99 bei Hochwasserereignissen. 2 17.02.99 3 24.03.99 25.05.99 Die Struktur des 1994 untersuchten Zooplanktons 4 21.06.99 5 14.07.99

Tiefe m (Fehlen von Großfiltrierern, Vorhandensein von 13.09.99 6 06.10.99 7 kleineren Cladocerenarten wie Bosmina longirostris, 8 Ceriodaphnia pulchella und Diaphanosoma brachy- 9 urum; Daphnia cucullata nur mit geringeren Abb. 4: Dondorfer See: Profile der Sauerstoff- Individuengrößen) weist auf einen deutlichen Fraß- sättigung 1994 (oben) und 1999 (unten) druck durch die Fische hin (u. a. Jungfische, kleine meso- bis eutrophe Gewässer mit der genannten Cypriniden). Im Januar und März 1994 waren die Tiefe ist das ein typisches Charakteristikum. hohen Rotatoriendichten (insbesondere von Kera- tella cochlearis, Polyarthra spec., Asplanchna spec. Der Trophiezustand des Dondorfer Sees wird beschrieben durch und Kellicottia longispina) auffallend. Die Verschie- bung von größeren Zooplanktonarten zu kleineren – den Gesamtphosphat-P-Gehalt von 20 µg/l zur bei starkem Fraßdruck durch zooplanktivore Fische

Frühjahrsvollzirkulation, das epilimnische Som- Gewässer RBACEK wurde schon 1962 von H beschrieben. Die 4 Stehende mermittel von 11 µg/l Gesamtphosphat-P, Folge einer solchen Verschiebung im Nahrungsnetz – Sichttiefen zwischen 2,10 m und 3,60 m und ist eine Erhöhung der Phytoplanktonbiomasse, da die kleineren Zooplankter die Algenpopulationen – epilimnische Chlorophyll a-Sommerwerte von weniger dezimieren können. 4 µg/l 1994 und 7 µg/l 1999 sowie Spitzen- werten von größer 11 µg/l Chlorophyll a zu Im Februar 1999 wurde eine Blaufärbung des Zirkulationszeiten (Abb. 5). Dondorfer Sees – zum Teil unter Eisbedeckung –

J F M A M J J A S O N D festgestellt. Als Ursache wurden wasserblütenbil- 0 25 dende Cyanobakterien der Art Aphanizomenon cf. 50 20 flos-aquae determiniert. Da einige Stämme dieser 100

150 15 Art als Toxinproduzenten bekannt geworden sind, 200 wurde das Gewässer 1999 erneut in den Unter- 250 10 Sichttiefe cm

Chlorophyll a µg/l suchungsplan des StUA Köln aufgenommen. Eine 300 5 350 Untersuchung der Cyanobakterien durch das Labor

400 0 Sichttiefe Chlorophyll a des Umweltbundesamtes in Berlin ergab keinen Hinweise auf Microcystine oder Saxitoxine. J F M A M J J A S O N D 0 30

50 25 100 20 Escher Seen 150 200 15 Der Escher See Nord und der Escher See Süd 250 Sichttiefe cm 10 300 Chlorophyll a µg/l liegen im Nordwesten von Köln zwischen den 5 350 Stadtteilen Pesch, Auweiler und Esch. Die Seen 400 0 Sichttiefe Chlorophyll a sind durch Auskiesung entstanden (50er Jahre bis Mitte der 70er Jahre Escher See Nord und bis ca. Abb. 5: Dondorfer See: Sichttiefe und Chlorophyll a 1988 Escher See Süd). Der nördliche See wird seit 1994 (oben) und 1999 (unten) 1986 als Freibad genutzt. Im Norden reicht die

261 Tab. 5: Morphometrische Daten der Escher Seen

Escher See Nord Escher See Süd

Lage TK 25 4907 - R: 256044 - H 565290 TK 25 4907 R: 256065 - H: 565246 Seefläche 16,2 ha 12,0 ha Maximale Tiefe 16 m 18 m Durchmischungsverhalten holomiktisch - monomiktisch holomiktisch - monomiktisch Trophie 1994: oligo-mesotroph 1994: oligotroph

Bebauung bis fast an das Gewässer. Der Zutritt zum kein Sauerstoff mehr vorhanden. Die Vollzirkulation Gewässer ist der Öffentlichkeit möglich. Der südli- im Oktober führte zu Sauerstoffsättigungen von che See ist eingezäunt und wird von einem 91 % in der gesamten Wassersäule, im Dezember Angelverein genutzt. Der Abgrabungsbereich wurde waren nahezu 100 % erreicht. Im Bereich des der Sukzession überlassen. Metalimnions waren zu Stagnationszeiten Sauer- stoffübersättigungen nachzuweisen (Abb. 7). Diese Der Escher See Nord ist 16,2 ha groß und maximal deuten auf eine höhere Primärproduktion hin. Durch 16 m tief. Er wurde 1994 in monatlichen Abständen Absterben der Algen aus diesem Bereich kommt es untersucht. Parallel dazu erfolgte die Untersuchung zu zehrenden Abbauprozessen, was zu Sauerstoff- des Escher See Süd, der maximal 18 m tief und mangel in den tieferen Wasserschichten führen 12 ha groß ist. Beide Seen waren 1994 im Winter kann (s. o.). Hierdurch werden Rücklösungsvor- nicht zugefroren (monomiktisch) und wurden voll- gänge von Eisen, Mangan und Phosphor aus dem ständig umgewälzt (holomiktisch) (Tab. 5). Sediment ausgelöst. Der Gesamtphosphat-P- Gehalt über Grund stieg von 10 µg/l auf 35 µg/l an Escher See Nord (interne Düngung).

Von Januar bis März 1994 zeigte sich eine gleich- Die Parameter Sichttiefe, Chlorophyll a-Gehalt und mäßige Temperatur- und Sauerstoffverteilung im Gesamt-P stufen den Escher See Nord als oligo- bis gesamten Wasserkörper. Ab Mai erfolgte eine mesotrophes Gewässer ein Schichtung des Wasserkörpers in wärmeres Ober- flächenwasser und kühleres Tiefenwasser, wobei – durchschnittliche Sichttiefe: 4,3 m; die Temperaturen des tieferen Wasserkörpers 8 °C – Chlorophyll a-Mittelwert: 3,5 µg/l mit einem Maxi- nicht unterschritten (Abb. 6). Diese wärmeren malwert von 8,9 µg/l (Abb. 8); Tiefenwassertemperaturen lassen sich u. a. mit zuströmendem Grundwasser und dessen Ein- – Gesamt-P zur Frühjahrszirkulation: 8,5 µg/l und schichtung erklären. Dafür sprechen weiterhin die epilimnischer Gesamt-P: 6,2 µg/l zu Stagnations- niedrigeren Sauerstoffwerte in den Schichten über zeiten. Grund (s. u.). Im Oktober 1994 war ab 13 m Tiefe

Temperatur °C 0 5 10 15 20 25 30 0 10.01.94 Frühjahrsvollzirkulation Abb. 6: 16.02.94 2 03.03.94 Temperaturprofile 11.04.94 4 im Escher See Nord 02.05.94 Sommerstagnation 13.06.94 1994 6 04.07.94 02.08.94 8 22.08.94

Tiefe m 17.10.94

10 02.11.94 Herbstvollzirkulation 05.12.94 12

14

16

262 Sättigung % Sättigung % 0 50 100 150 200 0 50 100 150 200 0 0 10.01.94 10.01.94 16.02.94 2 16.02.94 2 03.03.94 03.03.94 4 11.04.94 4 11.04.94 02.05.94 02.05.94 6 6 13.06.94 13.06.94 8 04.07.94 8 04.07.94 10 02.08.94

02.08.94 Tiefe m Tiefe m 22.08.94 10 22.08.94 12 17.10.94 17.10.94 14 02.11.94 12 02.11.94 05.12.94 14 05.12.94 16 18 16 Abb. 7: Escher See Nord: Profile der Sauerstoff- Abb. 10: Escher See Süd: Profile der Sauerstoff- sättigung 1994 sättigung 1994

J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D 0 9 0 2,5

100 8 100 2,0 200 7 200 6 300 300 1,5 5 400 400 4 500 500 1,0 Sichttiefe cm 3 Sichttiefe cm 600 Chlorophyll a µg/l 600 Chlorophyll a µg/l 2 700 0,5 700 1 800 800 0 900 0,0 Sichttiefe: Chlorophyll a Sichttiefe: Chlorophyll a

Abb. 8: Escher See Nord: Sichttiefe und Chloro- Abb. 11: Escher See Süd: Sichttiefe und Chloro- phyll a 1994 phyll a 1994

Escher See Süd In den sauerstoffärmeren und sauerstofffreien Gewässer Zonen waren deutlich erhöhte Leitfähigkeiten 4 Stehende Von Januar bis März 1994 zeigten die Wasser- nachzuweisen (> 1000 µS/cm im Vergleich zu schichten niedrige Temperaturen (Abb. 9), wobei 700-800 µS/cm). eine inverse Schichtung auffällig war: Unterhalb von 12 m lagen die Wassertemperaturen um ein bis drei Die trophischen Parameter beschreiben den Escher Grad über denen des übrigen Wasserkörpers. Eine See Süd für 1994 als oligotrophes Gewässer: Erklärung ist hier wie beim Escher See Nord im – Der höchste gemessene Chlorophyll a-Gehalt im zuströmenden Grundwasser in diese Schichten zu Epilimnion betrug 2 µg/l, im Durchschnitt lagen suchen. Der Escher See Süd zeigt zu Stagnations- die Werte bei 1,2 µg/l. zeiten metalimnische Sauerstoffmaxima. Unterhalb von 12 m nimmt der Sauerstoff ab Mai ab. Ab – Der Gesamtphosphat-P-Gehalt zur Frühjahrs- August 1994 hatten die unteren 3 – 4 m keinen vollzirkulation lag bei 6 bis 8 µg/l, das epilimni- Sauerstoff mehr (Abb. 10). Rücklösungsvorgänge sche Sommermittel des Gesamt-P-Gehaltes lag von Eisen, Mangan und Phosphor waren die Folge. bei < 5 µg/l.

Temperatur °C 0 5 10 15 20 25 30 0 Abb. 9: 10.01.94 Frühjahrsvollzirkulation 2 16.02.94 Temperaturprofile im 03.03.94 4 11.04.94 Escher See Süd 02.05.94 Sommerstagnation 6 1994 13.06.94 8 04.07.94 02.08.94 10 22.08.94

Tiefe m 17.10.94 12 02.11.94 Herbstvollzirkulation 14 05.12.94

16

18

20

263 – Die durchschnittliche Sichttiefe betrug im Tab. 6: Morphometrische Kenndaten des Untersuchungszeitraum 5,5 m, maximale Werte Badesee Vingst wurden von Mai bis August mit bis zu 9 m fest- Lage: TK 25 5008 gestellt (Abb. 11). - R: 257214 - H: 564393 Der See zeigte während der Probenahmen oft eine Seefläche 2,0 ha milchige Farbe (Trübstoffe ?), insofern ist der Maximale Tiefe 9,5 m Parameter Sichttiefe zur Trophieeinstufung nur ein- Durchmischungsverhalten holomiktisch geschränkt zu verwenden. Trophie 1995: eutroph Der Vergleich der beiden Escher Seen zeigt 1999: eutroph Unterschiede, obwohl beide Gewässer etwa die gleiche Größe aufweisen, im gleichen Grundwas- während der Stagnationszeiten vom Seegrund bis in serstrom liegen und den gleichen klimatischen 5 m Tiefe aus (Abb. 12) und Schwefelwasserstoff Bedingungen ausgesetzt sind. Für den etwas höhe- war nachzuweisen. Die anaeroben Bedingungen ren Nährstoffgehalt im Escher See Nord kann die am Seegrund führen zu Rücklösungsvorgängen von Badenutzung mit eine Ursache sein. Besonders auf- Eisen, Mangan und Phosphor aus dem Sediment fällig war dort im Untersuchungszeitraum die (interne Düngung). Erst mit Beginn der Herbst- Anwesenheit von Möwen, die die Schwimmkörper zirkulation 1995 gelangte wieder Sauerstoff in die der Badebereichsabgrenzung als Ruheplätze nutz- tieferen Wasserschichten. Durch die Vermischung ten. Die Schwimmkörper waren zeitweise fast ganz und die weiter ablaufenden Zehrungsvorgänge sank mit Vogelkot überzogen. Durch den Vogelkot der Sauerstoffgehalt in der gesamten Wassersäule werden dem See weitere Nährstoffe zugeführt, nach zu Beginn der Zirkulation ab (Sättigung 56 %). 1996 verschiedenen Untersuchungen können durch und 1999 zeigten die Profilmessungen die gleichen Wasservögel etwa 0,09 bis 0,18 kg P/Wasser- Tendenzen zur Entwicklung eines sauerstofffreien vogel . Jahr eingetragen werden (DGL-AK Bagger- Wasserkörpers über dem Sediment (Abb. 12). seen 1995).

Eine Folgeuntersuchung der Escher Seen ist für das Sättigung % 0 50 100 150 200 Jahr 2000 vorgesehen. 0 1 06.03.95 2 10.04.95 10.05.95 3 06.06.95 4 03.08.95 Badesee Vingst 5 04.09.95 04.10.95 Tiefe m 6 13.11.95 7 10.04.96 Der Badesee Vingst befindet sich in Köln Vingst, 8 08.05.96 9 unmittelbar nördlich der gleichnamigen Autobahn- 10 abfahrt (Tab. 6). Durch Kiesabbau entstanden wird Sättigung % der See seit 1961/62 als Badesee genutzt. Der See 0 50 100 150 200 0 ist nicht frei zugänglich. Während das Nordwestufer 1 03.03.99 als Liegewiese der Badeanstalt gestaltet und abge- 2 14.04.99 3 26.05.99 23.06.99 flacht ist, steigt das Südufer verhältnismäßig steil an 4 21.07.99 19.08.99 und ist von Bäumen bestanden. Der östliche Tiefe m 5 Bereich des Sees wird durch einen Angelverein 6 7 genutzt und ist vom Badebereich aus nicht zugäng- 8 lich. Abb. 12: Badesee Vingst: Profile der Sauerstoff- Der Badesee Vingst ist ab Mai geschichtet. Auf- sättigung 1995 und 1999 grund des hohen Nährstoffgehaltes (Gesamtphos- phat-Phosphor-Werte) weist der See eine hohe Produktion auf (Chlorophyll a-Werte, Sichttiefen) mit Sauerstoffübersättigungen im Epilimnion und zeh- renden Prozessen im Hypolimnion. Die sauerstoff- freie Zone dehnt sich in den Untersuchungsjahren

264 Der Badesee Vingst ist aufgrund der die Trophie mutet, womit sich die Nährstoff- und Chlorophyll a- beschreibenden Parameter als eutrophes Gewässer Gehalte des Weilerhofer Sees erklären lassen. einzustufen: Die Lage eines Gewässers und seine Nähe zu – Mittlere Sichttiefe: 1,7 m (1995/96) und 1,67 m einem Flusssystem spielen eine Rolle bei dem sich (1999); einstellenden Trophiezustand. Das Beispiel des Dondorfer Sees – mit seiner „Anbindung“ an die – Chlorophyll a-Gehalt, Mittelwert: 10,7 µg/l und Sieg bei Hochwasserereignissen – zeigt, dass in 26 µg/l; Chlorophyll a-Spitzenwert: 20 µg/l und einem solchen Fall meso- bis eutrophe Zustände zu 50,6 µg/l; erwarten sind. – Gesamt-P-Gehalt zur Frühjahrsvollzirkulation: Mehrfachnutzungen an eutrophen Seen beeinflus- 26 µg/l und 35 µg/l; Gesamt-P als epilimnisches sen in der Regel die Trophie weniger als an oligo- Sommermittel: 26 µg/l und 23 µg/l. trophen Gewässern, diese sind gegenüber Nähr-

1995 1996 stoffzuführungen wesentlich empfindlicher. J F M A M J J A S O N D J F M A M J J A S O N D 0 25 Die Escher Seen unterschieden sich 1994 nur 50 20 100 geringfügig im Trophiezustand. Nährstoffeinträge 150 15 durch Badende und durch Wassergeflügel werden 200 250 10 als Ursache für den unterschiedlichen Trophie- Sichttiefe cm

300 Chlorophyll a µg/l 5 zustand vermutet. 350 400 0 Sichttiefe Chlorophyll a Flächenmäßig kleine Gewässer mit Nutzungen mit Nährstoffeintrag (Bsp. Badesee Vingst) werden in J F M A M J J A S O N D 0 60 der Regel einen noch höheren Trophiezustand er-

50 50 reichen. Badenutzung an einem (hoch-)eutrophen 100 40 Gewässer ist als kritisch anzusehen, zumal einige Gewässer

150 4 Stehende 30 Algenarten Reaktionen der Haut auslösen können. 200

Sichttiefe cm 20

250 Chlorophyll a µg/l

300 10

350 0 Literatur Sichttiefe Chlorophyll a DGL – AK Baggerseen (1995): Untersuchung, Überwachung und Abb. 13: Badesee Vingst: Sichttiefe und Chloro- Bewertung von Baggerseen. Empfehlungen und Entschei- dungshilfen der Deutschen Gesellschaft für Limnologie e. v. phyll a 1995 und 1999 für Planung, Naturschutz und Gewässergüte.

HRBACEK (1962): Species composition and the amount of zooplankton in relation to the fish stock. Rozpravy Diskussion und Ausblick Ceskoslovenske Akademie VED Rocnik 72 - Sesit 10 (Praha), 1-116. Die vier vorgestellten Gewässer zeigen die LAWA (1998): LAWA-Arbeitskreis „Gewässerbewertung Spannbreite der Trophiezustände bei Seen unter- – stehende Gewässer“: Vorläufige Richtlinie für eine schiedlicher Lage, Größe und Nutzung. Erstbewertung von natürlich entstandenen Seen nach trophischen Kriterien. Januar 1998. Noch in Abgrabung befindliche Gewässer sind mit OECD (1982): Eutrophication of waters – monitoring, den die Trophie beschreibenden Kenngrößen nicht assessment and control. - OECD, Paris. sicher einzustufen, z. B. wird die Sichttiefe durch die Trübstoffe (beispielsweise aus dem Greifer, Wasch- und Spülwasser) beeinflusst. Durch eine solche abbaubedingte Trübung werden die Lichtver- hältnisse im Wasserkörper verändert und es kommt zu geringeren Algenentwicklungen ausgedrückt als Chlorophyll a-Gehalt, als sie z. B. aufgrund der Nährstoffkonzentrationen zu erwarten wären. Die Trübungspartikel – meist Tonpartikel – haben Nährstoffpartikel – z. B. ortho-Phosphat – adsorptiv gebunden; ähnliches wird für kleinere Algen ver-

265 266 Kleingewässer

4.3 Ökologische Entwicklung von Kleingewässern der Westfälischen Tieflandsbucht

Dr. Karl-Heinz Christmann (LUA) & Dr. Andreas Pardey (LÖBF/LAfAO NRW)

Einleitung Auswirkungen von Pflege- und Entwicklungsmaß- nahmen an den Gewässern verfolgen. Auf den zunehmenden Verlust kleinflächiger Still- gewässer, die – abgesehen von ihren früheren Die Ziele der Untersuchungen innerhalb der 1. Phase natürlichen Vorkommen v. a. in den Flussauen – sind die Ermittlung der: noch zu Beginn des 20. Jh. in großer Zahl z. B. als l wesentlichen standörtlichen Bedingungen Weidetümpel, Mergel- und Sandgruben oder Hof- (Substrat, Hydrochemie, Hydrologie), und Dorfteiche die bäuerlichen Kulturlandschaften prägten, reagierte der amtliche wie ehrenamtliche l Pflanzenwelt (Höhere Pflanzen, Moose, Groß- Naturschutz spätestens seit Mitte der 70er Jahre mit algen, typische Pflanzengesellschaften), umfangreichen Maßnahmen zur Renaturierung l Tierwelt (v. a. ausgewählte kleingewässerrele- bestehender Kleingewässerbiotope oder zur Neu- vante Artengruppen mit Indikatorcharakter), anlage. Diese Bemühungen wurden seitens des l Entwicklung dieser abiotischen und biotischen Landes Nordrhein-Westfalen u. a. durch das soge- Aspekte und damit des Gesamtsystems im Zuge nannte „Kleingewässerprogramm NRW“ finanziell der natürlichen, mehr oder weniger stark anthro- gefördert. Allein bis 1992 wurden damit über 2.400 pogen beeinflussten Sukzession. Einzelmaßnahmen mit 7,1 Mio. DM unterstützt (MURL 1993). Im Auftrag der Bezirksregierung Auf der Basis dieser Daten werden Leitbilder für den Münster erfolgte zwischen 1982 und 1984 eine erste Biotoptyp „Kleingewässer in der Kulturlandschaft“ vereinfachte Effizienzkontrolle dieses Programms und allgemeingültige Maßnahmenpakete für die Gewässer 4 Stehende 4 Stehende anhand ca. 80 ausgewählter Gewässeranlagen Kleingewässerpflege und -anlage formuliert. Werden (FELDMANN 1984 a, b). Die gleichen Gewässer diese Maßnahmen an den Modellgewässern umge- wurden in den Jahren 1989 bis 1990 sowie 1994 setzt, bietet sich aufgrund des umfassenden standörtlich und floristisch-pflanzensoziologisch Wissens zum Status quo die Möglichkeit, in der untersucht, um Aussagen zur Vegetationsent- 2. Projektphase die Auswirkungen der Maßnahmen wicklung solcher Anlagen und zur Naturschutz- auf das Gesamtsystem zu verfolgen und damit effizienz dieser Maßnahmen ableiten zu können deren Erfolg zu bewerten. (PARDEY 1992, 1993a, b, 1994, 1996). Eine erneute floristische Überprüfung wird in den Jahren 1999 und 2000 durchgeführt. Untersuchungsprogramm

Die Untersuchungen umfassen folgende Komparti- Ziele des Kleingewässer-Projektes mente:

Seit 1995 werden von den zuvor angesprochenen n Standortverhältnisse: Feuchtbiotopen 15 ausgewählte Kleingewässer (Untersuchungen 1995 bis 1999) detailliert im Hinblick auf ihre Standortverhältnisse Gewässerboden: und ihre Tier- und Pflanzenwelt untersucht (Projekt Ansprache der Bodenarten, Beschreibung des „EUMÖK-(Eutrophe-Modellgewässer-Ökologie-) Gewässerbodenprofils anhand von Handboh- Westfalen“). Sie sollen möglichst als Modellgewäs- rungen ser verschiedene häufig vertretene Kleingewässer- typen der Großlandschaft „Westfälische Bucht“ Hydrochemie: repräsentieren. Das Projekt gliedert sich in zwei drei- bis siebenmalige Messung/Jahr von Phasen: Die bis Ende 1999 abgeschlossene Wassertemperatur, Sauerstoffkonzentration und 1. Phase umfasst notwendige Untersuchungen zur -sättigung, Leitfähigkeit, pH, Gesamt-Stickstoff, Modellgewässercharakterisierung und Leitbildent- Ammonium-N, Nitrit-N, Nitrat-N, Gesamt- wicklung, die anschließende 2. Phase soll die Phosphat-P, Hydrogenkarbonat, Chlorid, Sulfat,

267 Calcium, Magnesium und TOC. Die Messungen Makrozoobenthos (Wasser-/Uferkäfer, Was- erfolgten stets zur gleichen Tageszeit. serwanzen, Muscheln, Schnecken): Kescherfang an jeweils 3 unterschiedlich struktu- Hydrologie: rierten Probestellen im Rahmen einer Begehung, Speisung des Gewässers, jährliche Wasser- Reusenfang; ferner Köcherfliegen und Eintags- standsentwicklung fliegen an einem Gewässer (Nr. 5) Sonstige Aspekte: Rädertiere und Kleinkrebse: z. B. Beschattungsgrad des Ufers und der Was- stichprobenartige halbquantitative Erfassung an serfläche, Beschreibung des Gewässerumfeldes einigen Gewässern im Rahmen der hydroche- und seiner Nutzung misch-limnologischen Untersuchungen n Flora und Vegetation: (Untersuchungen der Höheren Pflanzen, Groß- Beschreibung der Untersuchungsgewässer algen und Phytoplanktonbiomasse 1995 bis In der nachfolgenden Tabelle 1 sind die wesent- 1999; der Moose stichprobenartig 1995 bis 1998, lichen Charakteristika der in dieser Ausarbeitung detailliert 1999) behandelten sechs Untersuchungsgewässer aufge- Höhere Pflanzen und Armleuchteralgen: listet. qualitative Erfassung aller Arten im Gewässer und bis ca. 10 cm oberhalb der höchsten erkenn- Ergebnisse und Diskussion baren Wasserlinie in ein- oder zweijährigem Abstand Hydrochemisch-limnologische Untersuchungen

Moose: Der Wärme- und Stoffhaushalt von Kleingewässern i. d. R. einmalige, halbquantitative Erfassung weicht deutlich von dem größerer Standgewässer aller Arten im Gewässer und an seinen Ufern ab. Aufgrund des geringen Wasservolumens dieser Flachgewässer besteht ein intensiver Wärme- Phytoplankton: austausch mit der Atmosphäre. Infolge dessen Bestimmung des Chlorophyll-a-Gehaltes von schwankt die Wassertemperatur im Tages- und Wasserproben (Maß für die Biomasse des Jahresgang erheblich und die Temperaturamplitude Phytoplanktons). ist sehr groß. Im stark erwärmten Wasser laufen Stoffwechselprozesse schneller ab als z. B. in Seen. n Fauna: (ein- bzw. zweimalige Erfassung pro Gewässer Wegen ihrer geringen Tiefe sind Kleingewässer aller Arten ausgewählter Artengruppen im Ge- ungeschichtet und werden häufig vom Wind durch- samtzeitraum 1997 bis 1999): mischt. Wasserinhaltsstoffe sind daher meist gleich- mäßig verteilt. Der Wasserkörper steht auch mit Vögel: dem Untergrund in enger Wechselbeziehung und Brutvögel der Gewässer und der unmittelbaren wird von ihm mit geprägt. Uferzonen Sofern nicht übermäßig starkes Pflanzenwachstum Amphibien: (Phytoplankton, Fadenalgen, Makrophyten) oder Molche: einmaliger Einsatz von Molchreusen so- mineralische Trübung den Zutritt von Sonnenlicht wie Bekescherung, Frösche und Kröten: Zählung behindern, wird ein Kleingewässer bis zum Grund der Laichschnüre und -ballen (Grasfrosch, Erd- durchlichtet. Im Gegensatz zu tieferen, geschichte- kröte), Verhören, optische Erfassung und Deter- ten Standgewässern findet Aufbau und Abbau von mination (Grünfrosch-Komplex, Laubfrosch) Biomasse im gleichen Wasserkörper statt. Gegen- über Einflüssen aus dem Umfeld, insbesondere Libellen: gegenüber Stoffeinträgen, reagieren Kleingewässer optische Ansprache bei i. d. R. 3 bis 5-maligem sehr empfindlich. Begehen bei günstiger Wetterlage sowie durch Bestimmung von Exuvien, Bewertung der Bo- Aus den erst 1995 begonnenen Untersuchungen denständigkeit aufgrund von Exuvien, Revierver- lassen sich noch nicht für alle Gewässer gesicherte halten und Eiablage Trends ihrer hydrochemischen Entwicklung ab-

268 Tab. 1: Lage und Beschreibung der Untersuchungsgewässer

Nr. TK 25, Geologie/ Wasser- Kreis Ausgangssubstrat führung Beschreibung 1 4108 holozäne Hochmoor-Torfe permanent abgezäuntes, im Grünland des NSG „Schwarzes Venn“ Kreis gelegenes, ca. 150 m2 großes, rundliches Gewässer; Borken anfangs gehölzfrei, inzwischen zu 2/3 von uferständigen Gehölzen umfasst; Speisung durch Grund- und Oberflächenwasser aus dem umliegenden, z. T. gedüngten Grünland 5 4014; holo- bis pleistozäne permanent von Laubwald und Kleingehölzen umgebenes, ca. 8.000 m2 Kreis Fein- und Mittelsande der großes, weitgehend unbeschattetes Flachgewässer; Speisung Warendorf emsbegleitenden Flussdünen vermutlich aus dem Grundwasser sowie über Oberflächen- wässer aus den umliegenden Gehölzen (Abb. 4) 6 4014; pleistozäne fluviatile Ab- permanent in einer Brache am Waldrand angelegtes, ca.150 m2 großes, Kreis lagerungen (Sand, Kies, unbeschattetes Flachgewässer; Speisung über Grund- und Warendorf Schluff) über Ton-, Kalk- Oberflächenwässer aus der Brachefläche mergelstein bzw. Mergel- und Kalkstein der Oberkreide 8 4013; Kalkmergel- bis Tonmergel- permanent in einer Brache unterhalb größerer Ackerflächen angelegtes Kreis stein, teilweise schluffig, mittleres Gewässer (ca. 150 m2) einer 3 Teiche umfassenden Warendorf mit Kalksteinbänken der Kette, unbeschattet; Speisung des 1. Gewässers aus einem Oberkreide Drainagesystem der Äcker, ferner über Regenwasser (Abb. 5) 9 4013; pleistozäne Grundmoräne periodisch in einem Eichen-Hainbuchen-Feldgehölz gelegenes und voll- Kreis (Mergel, Ton, Schluff) über kommen beschattetes, ca. 80 m2 großes Gewässer mit Warendorf Kalkmergel-, Mergelkalk-, periodischer Wasserführung; Speisung durch Oberflächen- Mergelstein der Oberkreide wasser aus den östlichen anschließenden Ackerflächen 15 4114; Ton-, Kalkmergelstein, permanent bis am Rande einer Feuchtbrache gelegenes und von zwei Seiten Kreis Mergel-, Kalkstein, Kalk- periodisch von Laubgehölzen umschlossenes, ca. 50 m2 großes Gewäs- Warendorf sandstein der Oberkreide ser; Speisung über Oberflächenwässer aus der Brache und über Regenwasser Gewässer leiten. Viele Messwerte sind – in Abhängigkeit von Vergleichbarkeit nur die Mittelwerte von 1997/98 4 Stehende Witterung, Wasserstand, Intensität der Bioproduk- berücksichtigt worden. In Bezug auf Ionengehalt tion u. a. – starken Schwankungen unterworfen. und Konzentration an Pflanzennährstoffen lassen Tabelle 2 informiert über Mittelwerte und Schwan- sich deutlich zwei Gruppen von Kleingewässern kungsbreite der von 1995 bis 1999 erhobenen unterscheiden: Messdaten. Die Proben wurden stets zur gleichen Die Gewässer der ersten Gruppe (Nr. 1, 5 und 6) Tageszeit dicht unter der Wasseroberfläche ent- sind relativ elektrolytarm und haben eine dement- nommen. sprechend geringe Leitfähigkeit. Insbesondere der Da einzelne Messstellen nicht in jedem Jahr und Calcium-Gehalt ist niedrig (im Mittel < 60 mg/l) und nicht immer mit gleicher Häufigkeit untersucht charakterisiert das Gewässer als relativ kalkarm. werden konnten, sind bei den in den Abbildungen 1 mg/l und 2 dargestellten Kenngrößen zur besseren 20

18

500 16 450 14 400 12 350 300 10

250 8 200 6

mg/l bzw. mS/m bzw. mg/l 150 4 100 50 2 NO3-N HCO3 0 0 NH4-N 1 Ca N ges 5 1 6 LF 5 8 6 P ges. 9 8 Gewässernummer 15 9 Gew ässernummer 15 Abb. 1: Leitfähigkeit, Calcium- und Hydrogenkar- Abb. 2: Phosphor- und Stickstoffkonzentrationen bonatgehalte (Mittelwerte 1997/98) (Mittelwerte aus 1997)

269 Tab. 2: Mittelwerte (MW), Minima und Maxima der hydrochemischen Messungen (März bis Dez.)

Gewässer-Nr. 1 5 6 (1995-99, n=24) (1995-99, n=24) (1995-96, 1998-99, n=16) Min. Max. MW Min. Max. MW Min. Max. MW Temperatur °C 8,1 31,7 – 2,3 26,4 – 3,1 27,0 – pH 6,3 8,0 7,1 6,8 9,7 8,3 6,6 8,4 7,7 el. Leitfähigkeit mS/m 17,5 32,0 24,1 20,8 44 32,2 14,4 36,3 27,4 Sauerstoffgehalt mg/l 1,3 14,6 – 7,1 14,7 – 3,8 18,4 – Sauerstoffsättigung % 12 158 – 59 141 – 27 198 – Calcium mg/l 15 36 26,4 25 77 48,0 39 65 53,9 Magnesium mg/l 2,6 4,5 3,7 2,8 4,7 3,6 1,1 1,8 1,45 Hydrogenkarbonat mg/l 26 86 53,1 46 162 90,4 112 208 167,9 Gesamt-Stickstoff mg/l 1,1 6,5 2,7 < 1 < 1 < 1 < 1 1,2 < 1 Ammonium-N mg/l 0,05 0,87 0,23 < 0,1 0,25 < 0,1 < 0,1 0,13 < 0,1 Nitrit-N mg/l < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 < 0,05 Nitrat-N mg/l < 0,02 0,72 0,06 0,01 0,11 0,02 < 0,03 0,09 < 0,03 Gesamt-Phosphat-P mg/l 0,131 2,04 0,688 0,002 0,1 0,125 0,01 0,12 0,051 Sulfat mg/l 4,6 27 13,3 18 69 46,0 < 2 3,2 < 2 Chlorid mg/l 15 42 30,3 15 27 22,1 1,1 4,4 2,8 TOC mg/l 2 86 40,9 6,7 14 9,5 5,2 16 10,2 Chlorophyll a µg/l 3 319 91 1 80 16,5 < 1 75 16,3

Gewässer-Nr. 8 9 15 (1995-97, n=13) (1995-97, n=7) (1996-97, n=10) Min. Max. MW Min. Max. MW Min. Max. MW Temperatur °C 6,7 24,7 – 7,6 17,1 – 5,0 19,3 – pH 7,0 8,7 7,6 7,1 8,3 7,5 7,3 8,3 7,7 el. Leitfähigkeit mS/m 50,5 116,1 90,2 65,4 77,6 73,5 48 73,8 63,3 Sauerstoffgehalt mg/l 0,1 16,4 – 2,8 6,3 – 2,1 11,0 – Sauerstoffsättigung % 1 198 – 24 55 – 23 97 – Calcium mg/l 55 190 120,1 140 160 147,1 76 190 127,4 Magnesium mg/l 5,2 12 7,7 2,1 2,5 2,3 2,5 3,6 3,05 Hydrogenkarbonat mg/l 146 601 379,6 302 339 319,9 222 355 287,8 Gesamt-Stickstoff mg/l 3,2 33 14,7 8,6 19 14,7 1,4 95,5 2,68 Ammonium-N mg/l 0,75 28,5 8,2 0,06 0,25 0,18 < 0,02 3,05 0,32 Nitrit-N mg/l < 0,02 0,31 0,115 0,05 0,43 0,16 < 0,02 0,23 0,04 Nitrat-N mg/l < 0,03 7,93 2,25 8,13 17,4 14,0 0,02 1,5 0,75 Gesamt-Phosphat-P mg/l 0,14 3,59 1,268 0,02 0,29 0,094 0,01 0,91 0,224 Sulfat mg/l 3,3 112 65,4 43 63 51,6 20 141 74,2 Chlorid mg/l 31 118 59,1 22 27 24,6 13 29 20,2 TOC mg/l 6,7 53 23,0 3,3 9,6 5,3 6,7 30 15,7 Chlorophyll a µg/l 4 522 83,8 1 27 7,8 6 441 112,0

Die pH-Werte liegen im Mittel im schwach alkali- Diese Unterschiede dürften zum einen auf das schen Bereich. Aufgrund der geringen Pufferungs- andersartige Bodensubstrat, vor allem aber auf den kapazität schwanken die Extremwerte stark: die pH- Einfluss der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung Minima sind < 7, die Höchstwerte steigen bei des Umfeldes zurückzuführen sein. Wie aus stärkerer Algenentwicklung auf Werte > 8 an. Abbildung 2 hervorgeht, sind die Nährstoffkonzen- Die Stickstoff- und Phosphorgehalte sind niedrig. trationen, insbesondere in den Gewässern 8 und 9, Lediglich Gewässer 1, das von Hochmoortorfen be- die aus Drainagen der benachbarten Ackerflächen einflusst wird, ist nährstoffreicher. gespeist werden, auffällig hoch. Der Anteil der ein- zelnen N-Fraktionen ist jedoch unterschiedlich: Zur zweiten Gruppe gehören die Gewässer 8, 9 und während im Gewässer 8 Ammonium-N den Haupt- 15. Diese sind elektrolyt- und kalkreicher als in anteil bildet (Gülleeintrag), liegt bei Nr. 9 das Gruppe 1 und dementsprechend besser gepuffert. Maximum als Nitrat-N vor.

270 Betrachtet man die jahreszeitliche Veränderung der Die in Tabelle 3 aufgeführten Trophiegrade geben Nährstoffgehalte in Abbildung 3 am Beispiel der den „Mindestumfang“ der Primärproduktion an. Gewässer 5 (relativ unbeeinflusst) und 8 (Einwir- Unter Berücksichtigung der in einigen Gewässern kung der Landwirtschaft) im Jahr 1997, so fällt bei auftretenden starken Entwicklung von Makrophyten letzterem die starke Konzentrationszunahme ab muss dort eine Korrektur in Richtung höherer Jahresmitte auf. Sie geht nach eigenen Beobach- Trophie auf der von oligotroph bis hypertroph tungen vor allem auf den Eintrag von Gülle, mögli- reichenden Trophieskala vorgenommen werden. cherweise zusätzlich auf Stoffeinträge durch Erosion von Ackerflächen (Starkregen) und, bei Phosphor, Tab. 3: Trophiebeurteilung der untersuchten Klein- auch auf eine Remobilisierung aus dem Sediment gewässer (anaerobe Bedingungen) zurück. Trophieeinschätzung Gewässer- gemäß LAWA (1998) mit Berücksichtigung der Nr. Makrophytenbiomasse mg/l 1 poly-/hypertroph hypertroph 35 5 mesotroph eutroph (1999 polytroph) 30 6 eutroph eutroph

25 8 poly-/hypertroph hypertroph 9 eutroph eutroph 20 15 polytroph polytroph 15

10 Wie aus Tab. 3 hervorgeht, sind die meisten Klein- 5 gewässer stark eutrophiert. Die Eutrophierung ist Gew .8 N ges. 0 Gew .8 P ges. ein natürlicher Vorgang, der sich ohne anthropoge- 17.3. Gew .5 N ges. 14.4. 12.5. 28.7. Gew .5 P ges. ne Einwirkungen in sehr großen Zeitspannen voll- 13.8. 23.9. Messdatum 10.11. zieht. In flachen Gewässern wie den hier untersuch-

ten Kleingewässern läuft dieser Prozess jedoch Gewässer

Abb. 3: Jahreszeitliche Veränderung der Nährstoff- 4 Stehende konzentrationen im wenig beeinflussten schneller ab und wird unter dem Einfluss externer (Nr. 5) und im landwirtschaftlich geprägten Nährstoffeinträge (Landwirtschaft u. a.) rasant Kleingewässer (Nr. 8) im Jahr 1997 beschleunigt. Die Eutrophierung äußert sich in Kleingewässern u. a. in: Die trophische Einschätzung der Kleingewässer basiert auf den in der vorläufigen Richtlinie für die – starker Makrophyten- oder Phytoplanktonent- Erstbewertung natürlich entstandener Seen nach wicklung trophischen Kriterien (LAWA 1998) gegebenen – Sauerstoffminima infolge starker Zehrung Empfehlungen. Obwohl in dieser Schrift ausdrück- lich darauf hingewiesen wird, dass sich das dort – zeitweiliger Sauerstoff-Übersättigung am Tag, beschriebene Verfahren nicht für die Klassifikation verbunden mit einem kräftigen pH-Anstieg von Kleingewässern < 1 ha eignet, weil die Phyto- – starker Schlammbildung. planktonproduktion in diesem Gewässertyp für den Letztere führt in Verbindung mit einer weiteren Stoffhaushalt und Gewässerzustand von unterge- Ausdehnung von Makrophyten rasch zur Ver- ordneter Bedeutung ist, wird hier mangels anderer landung des Gewässers. bewährter Methoden versucht, das Verfahren zu adaptieren und anhand der trophischen Kenn- größen Chlorophyll a und Gesamt-Phosphat-Phos- Flora und Vegetation phor (jeweils Sommermittelwerte) den Trophiegrad Überblick über Flora, Vegetation und Fauna der näherungsweise abzuschätzen. Nach eigenen Be- Untersuchungsgewässer obachtungen treten in einigen nährstoffreicheren Kleingewässern (besonders in Nr. 1, 8 und 15) zeit- Die nachfolgende Tabelle 4 gibt einen Überblick weise starke Phytoplanktonentwicklungen auf, die über typische Tier- und Pflanzenarten sowie sich in sehr hohen Chlorophyllkonzentrationen Pflanzengemeinschaften der Untersuchungsge- widerspiegeln (Tab. 2). wässer.

271 Tab. 4: Wichtige Vertreter verschiedener Pflanzenartengruppen und typischer Vegetationseinheiten der Untersuchungsgewässer sowie Tierarten (Stand Dez. 1999; mit Pflanzenarten/Vegetationseinheiten: W: Wasservegetation, R: Röhrichte und Seggenriede, S: Strandlingsrasen, F: Flutrasen, E: Einjährigen-/Annuellenfluren, H: Hochstaudenfluren, G: Gehölzbestände; Quellen: eigene Erhebungen sowie SOLGA 1999; Tierartengruppen: V: Brutvögel, A: Amphibien, L: Libellen, K: Wasser-/Uferkäfer, W: Wasserwanzen, M: Muscheln, R: Rädertiere, S: Schnecken, C: Krebse; Quellen: BÖCKER 1998, CONZE et al. 1999, LANAPLAN 1999, 2000, SCHWARTZE 1998 sowie eigene Erhebungen)

Nr. Pflanzenartengruppen Vegetationseinheiten bemerkenswerte Vertreter verschiedener Tierartengruppen 1 W: Teichlinse (Spirodela polyrhiza), W: Lemno-Spirodeletum V: Stockente (Anas platyrhynchos), Dreifurch. Wasserlinse (Lemna trisulca) H: Juncus effusus-Bestände A: Teichfrosch (Rana esculenta) R: Schilf (Phragmites australis), G: Frangulo-Salicetum cinereae L: Vierfleck (Libellula quadrimaculata) Teich-Schachtelhalm (Equisetum fluviatile), M: Gemeine Kugelmuschel) Fieberklee (Menyanthes trifoliata)(Sphaerium corneum) S: Grau-Segge (Carex canescens) S: Weißes Posthörnchen (Gyraulus albus) F: Wassernabel (Hydrocotyle vulgaris) C: Gammarus pulex, Eucyclops serrulatus 5 W: Armleuchteralgen (Chara delicatula, W: Chara delicatula-Basalgesellschaft, V: Bläßhuhn (Fulica atra) Chara vulgaris), Gras-Laichkraut Potamogetonetum graminei, A: Kammolch (Triturus cristatus), (Potamogeton gramineus), Ähriges Potamogeton pusillus-Basalgesellschaft, Teichfrosch (R. esculenta), Tausenblatt (Myriophyllum spicatum), Myriophyllum spicatum-Basalgesellschaft, Laubfrosch (Hyla arborea) Schild-Wasser-Hahnenfuß (Ranunculus Ranunculetum peltati L: Kl. Granatauge (Erythromma peltatus), Zwiebel-Binse R: Scirpo-Phragmitetum – Typha viridulum), Federlibelle (Platycnemis (Juncus bulbosus) angustifolia-Fazies, Eleocharis pennipes), Westliche Keiljungfer R: Kalmus (Acorus calamus), palustre-Gesellschaft (Gomphus pulchellus) Graue Seebinse S: Samolo-Littorelletum, Juncus W: Gerris paludum, Mesovelia furcata (Schoenoplectus tabernaemontani) articulatus-Ranunculus flammula- S: Spitzhorn-Schlammschnecke S: Oeders Segge (Carex serotina) Bestand, Juncus bulbosus-Ges. (Lymnaea stagnalis) F: Salz-Bunge (Samolus valerandi), G: Frangulo-Salicetum cinereae R: Lecane quadridentata Alpen-Binse (Juncus alpinoarticulatus) C: Asellus aquaticus, Chydorus sphaericus 6 W: Schwimmendes Laichkraut W: Chara delicatula-Basalgesellschaft, A: Laubfrosch (H. arborea, s.Bild 1), (Potamogeton natans), Armleuchteralge Potamogeton natans-Basalgesellschaft Teichfrosch (R. esculenta), (Chara delicatula), Flutendes R: Scirpo-Phragmitetum – Typha Kammolch (T. cristatus) Sternlebermoos (Riccia fluitans s.l.) latifolia-Fazies, Eleocharis palustris- C: Ceriodaphnia rotunda, R: Breitbl. Rohrkolben (Typha latifolia), Gesellschaft, Sparganietum erectum Paracyclops poppei Aufrechter Igelkolben S: Juncus articulatus-Ranunculus L: Glänzende Binsenjungfer (Sparganium erectum) flammula-Bestand (Lestes dryas) H: Spitzblütige Binse (Juncus acutiflorus), H: Convolvulo-Epilobium hirsuti, K: Haliplus obliquus Behaartes Weideröschen Juncus spp.-Bestand R: Scaridium longicaudum, (Epilobium hirsutum) Squatinella rostrum S: Linsenförmige Tellerschnecke (Hippeutis complanatus) W: Notonecta obliqua 8 W: Kleine Wasserlinse (Lemna minor), W: Lemnetum gibbae A: Grasfrosch (Rana temporaria), Bucklige Wasserlinse (Lemna gibba) R: Phalaris arundinacea-Bestand Erdkröte (Bufo bufo) A: Gift-Hahnenfuß H: Convolvulo-Epilobietum hirsuti C: Eucyclops serrulatus, (Ranunculus sceleratus) Simocephalus exspinosus R: Rohr-Glanzgras R: Mytilina mucronata (Phalaris arundinacea) S: Glattes Posthörnchen H: Große Brennessel (Urtica dioica), (Gryaulus laevis) Behaartes Weidenröschen (Epilobium hirsutum) 9 W: Calliergon cordifolium, Amblystegium W: Amblystegium riparium-Calliergon A: Teichmolch (Triturus vulgaris) riparium (bestandsbildende Laubmoose) cordifolium-Bestand K: Hydroporus memnonius, Suphrodytes R: Sumpf-Schwertlilie (Iris pseudacorus) R: Iris pseudacorus-Ges. dorsalis (kaltstenotherm, Wald- Falllaubgewässer) S: Längliche Sumpfschnecke (Stagnicola glabra) 15 W: Schwimmendes Laichkraut W: Potamogeton natans-Basalgesellschaft L: Braune Mosaikjungfer (Aeshna grandis) (Potamogeton natans) R: Sparganietum erecti, Glyceria M: Gemeine Kugelmuschel R: Aufrechter Igelkolben fluitans-Gesellschaft (Sphaerium corneum) (Sparganium erectum) H: Convolvulo-Epilobietum hirsuti S: Gelippte Tellerschnecke (Anisus H: Behaartes Weideröschen spirorbis), Glattes Posthörnchen (Gyraulus (Epilobium hirsutum) laevis), Spitzhorn-Schlammschnecke (Lymnaea stagnalis) C: Chydorus sphaericus

272 Grundlagen der Vegetationsentwicklung Im Idealfall ergibt sich hieraus eine dem Gradienten entlang abnehmender Wassertiefe folgende typi- Das floristische Arteninventar der Untersuchungs- sche Aneinanderreihung verschiedener Vegeta- gewässer und die nachgewiesenen Vegetationsein- tionstypen. Diese den Charakter und die Lebens- heiten (Pflanzengesellschaften) repräsentieren die raumqualität gerade kleinflächiger Stillgewässer jeweils herrschenden hydro- und bodenchemischen, maßgeblich bestimmende sogenannte „Verlan- hydrologischen und kleinklimatischen Verhältnisse. dungsreihe“ setzt sich zusammen aus: Sie waren deshalb wie die Standortverhältnisse im Laufe der Jahre seit der Anlage der Teiche bzw. seit l frei flotierenden oder verwurzelten, nur unter ihrer Renaturierung verschiedenen Veränderungen Wasser wachsenden oder mit auf der Wasser- unterworfen. Die wesentlichen Standortvarianten oberfläche liegenden Schwimmblättern ver- sind in Tabelle 5 aufgeführt. sehenen Wasserpflanzen (pflanzensoziologi- sche Einheiten: Charetea, Lemnetea, Potamo- Die meisten Pflanzenarten der nährstoffreicheren getonetea, Utricularietea), Kleingewässer rekrutieren sich aus dem Inventar der überall vorhandenen Bäche und Gräben, feuch- l höher- und niedrigerwüchsigen Röhricht- und ten Grünlandflächen, Wälder und Kleingehölze Riedpflanzen (Phragmitetea, z. T. im Übergang sowie ihrer Säume. Hinzu kommen je nach hydrolo- zur Moorvegetation der Scheuchzerio-Caricetea), gischen und Beschattungsverhältnissen die den l Hochstaudenfluren (v. a. Convolvuletalia) und Stillgewässercharakter prägenden Wasserpflanzen. schließlich Bei niedrigeren Nährstoffgehalten und pH-Werten können eine Reihe von Pflanzen der Feuchtheiden, l Feuchtgehölzen (Alnetea, Salicetea) inkl. Hoch- und Zwischenmoore sowie einige Wasser- Zwergstrauchheiden (Ericetum tetralicis). pflanzen hinzutreten, die ihren Schwerpunkt in den sogenannten „Heideweihern“, d. h. nährstoffarmen Im Bereich ständig wechselnder Wasserstände sind ferner: Gewässer

bis mäßig nährstoffreichen Stillgewässern, haben. 4 Stehende

l Hinsichtlich der Korrelation der Pflanzenartenvorkommen einjährige Pionierarten (sog. „Einjährigen- oder mit der jeweiligen Nährstoffsituation ist allerdings zu Annuellenfluren“, Bidentetea, Isoëto-Juncetea) berücksichtigen, dass nur die Wasserpflanzen und hier und v. a. die frei flotierenden allein von der Nährstoffsituation l Flutrasen (Agrostietea) bzw. des Wassers abhängen. Die im Boden verwurzelten und damit fast alle Gewässerpflanzen hingegen beziehen ihre l Strandlingsrasen (Littorelletea) eingestreut. Nährstoffe mehr oder weniger ausschließlich aus den Diese einzelnen Elemente der Verlandungsreihen, oberen Bodenschichten. Auch wenn nährstoffärmere deren prägender Standortfaktor der Wasserstand Kleingewässer i. d. R. innerhalb einer ebenso nährstoff- und seine Entwicklung über das Jahr hinweg ist, set- ärmeren Umgebung gelegen sind und oft Korrelationen zwischen gewässerboden- und hydrochemischen Daten zen sich dementsprechend jeweils aus Pflanzen bestehen, stellt die hier vorgenommene Ableitung der bestimmter Lebens- und Wuchsformen zusammen Nährstoffsituation des Gesamtsystems aus den hydro- und zählen vegetationskundlich zu ein oder mehre- chemischen Kennwerten eine Vereinfachung der tatsäch- ren übergeordneten Einheiten auf Klassen- bis lichen Verhältnisse dar. Verbandsebene (s. vorherige Auflistung).

Tab. 5: Ausprägung wichtiger Standortfaktoren der Kleingewässer

Nährstoffverhältnisse mäßig nährstoffreich nährstoffreich sehr nährstoffreich während der Vegetationsperiode: Wasserführung zumindest größere Teilbereiche i. d. R. i. d. R. im Sommer (fast) vollständig trockenfallend während der Vegetationsperiode: dauerhaft mit Wasser bedeckt (Typ: (Typ: periodisch wasserführend, „Tümpel“) permanent wasserführend, „Weiher") Beschattung größere Uferabschnitte und Wasserfläche Uferbereiche und Wasserfläche überwiegend bis während der Vegetationsperiode: völlig bis weitgehend unbeschattet vollständig beschattet (Typ: „Offenlandgewässer“) (Typ: „Waldgewässer“)

273 Bei jungen wie bei bereits stark verlandeten Es können je nach Nährstoffsituation meso-, eu- Gewässern ist diese Reihung entwicklungsbedingt und poly-/hypertraphente Pflanzenarten (Tab. 6) unvollständig. Gleiches gilt, wenn das gesamte und -gesellschaften zumeist aller verschiedenen Gewässer regelmäßig trocken fällt oder stark Verlandungsreihenabschnitte unterschieden wer- beschattet wird, also extreme Ausprägungen den. Zunehmende Beschattung filtert hieraus eine - bestimmter Standortfaktoren die Lebensbedingun- im Extremfall des kleinflächigen Waldgewässers gen gewässertypischer Pflanzenarten einer oder geringe - Zahl beschattungstoleranter Pflanzen her- mehrerer Artengruppen beschränken. aus. Je extremer schließlich die Frequenz oder Dauer von Wasserstandsschwankungen ausfällt, Somit lassen sich den zuvor dargestellten standört- um so mehr gewinnen kurzlebige Pflanzenarten der lich definierten Gewässertypen bestimmte Kenn- Uferregionen auf Kosten v. a. der eigentlichen oder Leitartengruppen der Pflanzenwelt zuordnen. Wasserpflanzen- und Röhrichtarten an Bedeutung.

Tab. 6: Beispiele für Zeigerpflanzen der Untersuchungsgewässer für die in Tabelle 5 dargestellten unter- schiedlichen Standortbedingungen (mit Arten der: W = Wasser-, R = Röhricht-/Großseggenried-, H = Hochstauden-, F = Flutrasen-, S = Strandlingsrasen-, E = Einjährigenfluren-, G = Gehölz-, M = Feuchtheiden- und Hoch-/Zwischenmoorvegetation) Nährstoffsituation: mittlere Nährstoffgehalte hohe Nährstoffgehalte sehr hohe Nährstoffgehalte Beschattungsgrad: überwiegend unbeschattet Wasserführung: i. d. R. permanent W: Juncus bulbosus W: Lemna trisulca W: Algenwattern z. B. aus Enteromorpha Sphagnum auriculatum u. a. Myriophyllum spicatum Ceratophyllum demersum Spirodela polyrhiza Lemna gibba R/M: Carex panicea Carex rostrata R: Carex acutiformis R: Glyceria maxima Erica tetralix Carex pseudocyperus Eriophorum angustifolium Iris pseudacorus H: Urtica dioica (Dominanz) Sphagnum div. spec. Sparganium erectum G: s. bei hohe Nährstoffgehalte H: Molinia caerulea H: Epilobium hirsutum Eupatorium cannabium G: Betula pubescens Lysimachia vulgaris Myrica gale Lythrum salicaria Mentha aquatica G: Alnus glutinosa Beschattungsgrad: überwiegend beschattet W: Sphagnum auriculatum u. a. W: Hottonia palustris W: Algenwatten Lemna minor R/M: Agrostis canina Lemna trisulca Carex rostrata Sphagnum div. spec. R: Carex acutiformis Iris pseudacorus H: s.o. G: s.o. H: vorw. Waldkräuter wie z. B.: Stellaria holostea G: s.o.

Wasserführung: periodisch (auch Flachuferzonen) W: Juncus bulbosus E: Bidens div. spec s. unter hohe Nährstoffgehalte (Sphagnum fallax) Juncus bufonius Peplis portula R/M: Carex serotina Polygonum hydropiper Drosera intermedia Lycopodiella inundata F: Agrostis stolonifera Alopecurus geniculatus S: Hydrocotyle vulgaris Pilularia globulifera H: Cirsium arvense Samolus valerandi Juncus inflexus

H: Molinia caerulea G: s.o. G: s.o.

274 Anmerkungen zu den Ergebnissen der Auf die Libellen soll an dieser Stelle etwas detail- faunistischen Untersuchungen lierter eingegangen werden, da sich an dieser Artengruppe der Zusammenhang zwischen Flora/ Wie die Untersuchungen ausgewählter Artengrup- Vegetation und Fauna besonders anschaulich dar- pen zeigen (BÖCKER 1998, CONZE et al. 1999, stellen lässt. Libellen legen ihre Eier je nach Art ent- LANAPLAN 1999, 2000, SCHWARTZE 1998), setzt sich weder ins Freiwasser, in Unterwasserpflanzen, die Tierwelt der kleinflächigen Stillgewässer in der Schwimmblattpflanzen, Röhricht-/Binsenstengel oder Kulturlandschaft der Westfälischen Bucht v. a. aus über das Wasser ragende Gehölzäste ab. Somit ist weit verbreiteten, hinsichtlich ihrer Standortan- die Artenzahl der Libellenfauna an einem Gewässer sprüche verhältnismäßig genügsamen Arten zusam- v. a. abhängig von der (Vegetations-)Strukturvielfalt. men. Brutvögel können meist nur an etwas größe- Je ausgeprägter und vollständiger die Verlandungs- ren Gewässern nachgewiesen werden; es handelt reihe vom (unbeschatteten) Freiwasser bis zu den sich dabei i. d. R. um Stockente und Blässhuhn. uferständigen Gehölzen ausgebildet ist, um so mehr Libellenarten können grundsätzlich vorhanden sein. Unter den Amphibien dominieren die gleichfalls ubi- Mit fortschreitender Verlandung eines Kleinge- quitären Erdkröte, Grasfrosch und Teichmolch. Auch wässers und der damit einhergehenden Struktur- der Kammmolch als weniger häufige Art ist in eini- verarmung verringert sich die Artenzahl; bei völliger gen Gewässern vertreten. Mit dem Laubfrosch Beschattung dient es manchmal nur noch als ge- findet sich allerdings auch eine inzwischen aus- legentlich zur Nahrungsaufnahme besuchtes Gast- gesprochen selten gewordene Art, von der in einzel- gewässer. nen Räumen in der Westfälischen Bucht z. T. noch größere Populationen erhalten sind bzw. durch So können für verschiedene Standortvariationen in Naturschutzmaßnahmen gefördert wurden. Unter Kleingewässern jeweils typische Libellenarten bzw. den Wasserkäfern, Wasserwanzen sowie den -gemeinschaften) definiert werden (s. Tabelle 7)

Schnecken und Muscheln sind i. d. R. ebenfalls v. a. Für das Überleben bzw. die Überwinterung der Eier Gewässer Ubiquisten zu finden; auffällig ist hier die relativ und Larven sind ferner die Wasserstandsent- 4 Stehende geringe Übereinstimmung zwischen dem Arten- wicklung im Jahresverlauf und das Umfeld der inventar der einzelnen Untersuchungsgewässer. Gewässer wichtig. Periodisch trockenfallende Ge- Anzumerken ist, dass gerade die periodisch was- wässer sind verarmt, da diejenigen Arten mit mehr- serführenden, beschatteten Gewässer eine zwar jähriger Larvalentwicklung ausfallen; darüber hinaus artenarme, aber den speziellen Standortbedingun- wirkt sich das Wasserregime indirekt über die gen angepasste Fauna aufweisen. Verringerung der Vegetationsstrukturvielfalt auf die Artendiversität aus.

Tab. 7: Charakteristische Libellenarten verschiedener standörtlich-struktureller Bedingungen an den Unter- suchungsgewässern

[nach verschiedenen Autoren wie z. B. SCHMEDTJE & COLLING (1996) zusammen gefasst in MEIER 1998]:

Standörtlich-strukturelle Anforderungen typische Arten keine (Ubiquisten) Gemeine Pechlibelle (Ischnura elegans), Blaugrüne Mosaikjungfer (Aechna cyanea) vegetationsarme Flachwasser-Bereiche Plattbauch (Libellula depressa) Flachgewässer mit niedriger Verlandungsvegetation Heidelibelle (Sympetrum spp.) ausgeprägte Tauchblattvegetation Frühlings-Adonislibelle (Phyrrhosoma nymphula) gut entwickelte Schwimmblattzone Große Königslibelle (Anax imperator), Hufeisen-Azurjungfer (Coenagrion puella) Gewässer mit (randlichen) Gehölzen Weidenjungfer (Lestes viridis) nährstoffärmere, moorige Gewässer (Schwerpunkt) Gemeine Smaragdlibelle (Cordulia aenea), Vierfleck (Libellula quadrimaculata), Schwarze Heidelibelle (Sympetrum danae)

275 Charakterisierung, Typisierung und blättrigen Rohrkolbens (Typha latifolia) konnten Bewertung der Untersuchungsgewässer sich wegen des Bisams nicht halten. Ebenfalls nicht dauerhaft etablieren konnten sich die in den Die bereits in Tabelle 1 aufgeführten Unter- Folgejahren aufkommende Schnabel-Segge (Carex suchungsgewässer lassen sich aufgrund der bis- rostrata) und der Fieberklee (Menyanthes trifoliata) herigen Erkenntnisse über ihre hydrochemischen als Riedpflanzen mesotroph bis schwach eutropher Verhältnisse sowie ihre Flora und Fauna wie im Gewässertypen. Weitere inzwischen nicht mehr vor- Folgenden beschrieben charakterisieren und typi- handene Indikatoren nährstoffärmerer Verhältnisse sieren. Tabelle 8 gibt einen Überblick. sind die Glockenheide (Erica tetralix) und das Sumpf-Weidenröschen (Epilobium palustre), hinzu- Kleingewässer Nr. 1 gekommene Eutrophierungszeiger der Bittersüße Das Kleingewässer Nr. 1 im NSG „Schwarzes Venn“ Nachtschatten (Solanum dulcamara), die Große bei Reken (Kreis Borken) hat dystrophen Charakter. Brennessel (Urtica dioica) und die bereits erwähnte Das Wasser ist durch Huminstoffe stets braun Teichlinse (Spirodela polyrhiza) (Tab. 6). Die gefärbt, der pH-Wert liegt meist im schwach sauren Moosflora ist in den Jahren zunehmend verarmt Bereich, kann aber bei stärkerer Phytoplanktonent- und wenig interessant. Unter den untersuchten wicklung, da nur schwach gepuffert, bis 8 ansteigen. Faunengruppen dominieren jeweils Ubiquisten. Die Die nach Ende der 80er Jahre niedrige Leitfähigkeit Amphibienfauna ist auffällig artenarm, zu den Libellen zählen Vertreter mit Bevorzugung niedriger (PARDEY 1992) ist inzwischen infolge von Stoffein- trägen um den Faktor 2 angestiegen. Der Sauer- Verlandungsvegetation sowie angrenzender Wei- stoffgehalt ist jahreszeitlichen Schwankungen unter- densäume; mit dem Vierfleck (Libellula quadrimacu- worfen: infolge von Zehrungsvorgängen geht er zeit- lata) tritt eine Art mit Schwerpunkt in eher moorigen Gewässern oder Heideweihern auf (Tab. 7). Sie ist weise bis auf 1,3 mg/l O2 zurück, kann aber bei starker Algenentwicklung auch hohe Werte er- als Relikt zu bewerten. reichen (O2-Übersättigung bis 158 %). Aufgrund des hohen P-Gehaltes, der meist hohen Chlorophyll- Fazit: Konzentrationen und der zeitweiligen Massenent- Das hohe Entwicklungspotential des primär wicklung von Phytoplankton muss das Anfang der dystroph und mesotroph eingestuften und in einem 90er Jahre noch meso- bis eutrophe Gewässer NSG gelegenen Gewässers wurde nicht ausge- heute als hypertroph klassifiziert werden. schöpft; die externe Zuführung von Nährstoffen hat die Entwicklung wertvollerer Pflanzenformationen Die Wasservegetation ist artenarm, die Ufervege- verhindert. Die zunehmende Beschattung durch tation artenreich. Größere flach einfallende offene aufkommende Gehölze bedroht die noch arten- Uferbereiche waren Anfang der 90er Jahre mit reichen Uferhochstaudenfluren. Das Gewässer ist Flutrasen und Strandlingsrasenvegetation sowie derzeit als dystroph-hypertroph-kalkarmes, per- Flatter-Binsen-(Juncus effusus-)Beständen be- manent wasserführendes Offenlandgewässer im wachsen. Die fortgeschrittene Sukzession führte Übergang zum Waldgewässer einzustufen. zum weitgehenden Verlust dieser Ufervegetation, deren Bereich inzwischen mit einem dichten Gewässer Nr. 5 Weiden-Faulbaum-Gehölz (Frangulo-Salicetum cinereae, Salix aurita-Gesellschaft) bewachsen ist. Der „Landratsbüscher Weiher“ bei Warendorf ist Die Wasservegetation veränderte sich von anfangs schwach sauer, aber bei zeitweilig hoher Primär- einer mesotraphenten Zwiebel-Binsen-(Juncus bul- produktion steigt der pH-Wert des nur schwach bosus-)Gesellschaft über Einart-Bestände des gepufferten Gewässers bis 9,7 an. Der Sauerstoff- Kleinen Laichkrautes (Potamogeton pusillus agg.) haushalt ist ausgeglichen, es treten zu keiner Zeit und der Kleinen Wasserlinse (Lemna minor) zur sauerstoffarme Bedingungen auf, gelegentlich aber Gesellschaft der Dreifurchigen Wasserlinse (Lemne- Übersättigungen bis 141 %. Das Gewässer ist stick- tum trisulcae) und der inzwischen dominierenden stoffarm, zeigte aber in 1999 erhöhte P-Konzen- Teichlinsen-Gesellschaft (Lemno-Spirodeletum). trationen, deren Ursache noch unbekannt ist. Bis Letztere gilt als Zeigergesellschaft eu- bis hyper- 1998 bewegte sie sich im Mittel um 20 µg/l, 1999 um tropher Kleingewässer. Initialbestände des Breit- 45 µg/l im Mittel bei einem Maximum von 100 µg/l

276 Ende August. Dem erhöhten Nährstoffangebot ent- sprechend stieg die Primärproduktion an: der Chlorophyll-Gehalt lag mit 44 µg/l im Jahresmittel deutlich höher als in den Vorjahren, darüber hinaus bestand ein wesentlicher Teil der Pflanzenbiomasse aus Makrophyten.

Ende der 80er Jahre handelte es sich bei dieser relativ großflächigen Gewässeranlage um ein typi- sches flaches Sandgewässer mit hoher Arten- und Strukturvielfalt. Im Laufe der Untersuchungsjahre haben sich die Vegetationsverhältnisse deutlich verändert (PARDEY 1994). Anfangs waren am west- Abb. 4: Landratsbüscher Weiher (Gewässer Nr. 5), lichen Abschnitt des Nordufers kleinere Heide- Beispiel für ein Gewässer mit hoher Struk- weihertypische Vegetationsbestände mit Mittlerem tur- und Artenvielfalt Sonnentau (Drosera intermedia), Glocken-Heide (Erica tetralix) und Sumpf-Bärlapp (Lycopodiella gibt es nicht. Kalmus (Acorus calamus) und Schein- inundata) vorhanden. Diese sind inzwischen bis auf zypern-Segge (Carex pseudocyperus) breiten sich einzelne Glocken-Heide-Pflanzen durch die Be- langsam, aber stetig aus. Dies gilt gleichermaßen schattungskonkurrenz von Hochstaudenfluren und für eingesetzte Nymphaea-Pflanzen, die zwei sich aufkommenden Gehölzen (Pinus, Salix spp.) ver- ausdehnende „Inseln“ gebildet haben. Die anfangs drängt worden. Gleichzeitig nehmen die eutraphen- große Flächen bedeckenden Strandlingsrasen und ten Hochstaudenfluren auch auf dem nördlichen Kleinseggenriede sind mit den Jahren durch sandigen Flachufer zunehmend Raum ein. Zum Gehölze, Hochstaudenfluren und das Sumpfbinsen- Untersuchungsbeginn waren große Bereiche der (Eleocharis-)Kleinröhricht verdrängt worden bzw. Gewässer

Wasserfläche und des Wasserkörpers vegetations- hinsichtlich der Artenzusammensetzung verarmt. 4 Stehende frei; der Gewässerboden weißsandig. Die für Stellenweise haben Weiden und Erlen die Ufer solche Standorte typische, aber inzwischen sehr besetzt. Die Moosflora ist relativ artenreich; zum seltene Strandlings-Pioniergesellschaft des Pillen- Inventar zählen einige bestandsgefährdete Arten farns (Pilularia globulifera) wurde aber mit den feuchter bis nasser Uferstandorte, wobei aber auch Jahren durch das Aufkommen dichter Röhrichte hier eine Verarmung festzustellen ist (SCHMIDT und der damit verbundenen Bildung organischer 1999). Sedimente verdrängt. Inzwischen haben sich im Die Fauna ist ebenfalls ausgesprochen artenreich. Wasser die Bestände des Ährigen Tausendblattes Dies betrifft neben den Wasserwanzen und (Myriophyllum spicatum) und der Schild-Wasser- Schnecken insbesondere die Amphibien (8 Arten, hahnenfuß-Gesellschaft (Ranunculetum peltatae) darunter auch der Laubfrosch (Hyla arborea) mit erheblich ausgebreitet. Eine eindeutig positive wenigen Individuen) wie auch die Libellen (bis zu Tendenz erfährt auch das in NRW als bestandsge- 20 Arten), die vom Strukturreichtum, dem vorhande- fährdet eingestufte Gras-Laichkraut (Potamogeton nen Umfeld (Gehölze als Landlebensraum) und gramineus), welches sich insbesondere seit 1997 natürlich der Gewässergröße profitieren. Aufgrund stark ausbreitet. der Gewässerfläche und der Vielzahl von Versteck- Die Röhrichtflächen nehmen gegenüber den ersten möglichkeiten sind als Brutvögel regelmäßig Bläss- Beobachtungsjahren deutlich mehr Platz ein. Die huhn (Fulica atrata) und gelegentlich Stockente Eleocharis palustris-Gesellschaft hat sich von (Anas platyrhynchos) zu finden. anfangs kleinen Flecken als ein durchgehender uferständiger Streifen etabliert. Die Rohrkolben- Fazit: (Typha-)Röhrichte nehmen wieder zu, nachdem der Der „Landratsbüscher Weiher“ stellt ein floristisch- Bisam zunächst eine „Depression“ herbeigeführt vegetationskundlich wie auch faunistisch außer- hatte. Dabei findet ein Artenwechsel vom zu Beginn ordentlich wertvolles Gewässer mit für den Raum dominierenden Typha latifolia zum derzeit häufige- hervorragenden hydrochemischen Bedingungen ren Typha angustifolia statt. Durchmischte Bestände dar. Trotz der langsamen, v. a. natürlicherweise suk-

277 zessionsbedingten Veränderung des Arteninventars sicheren Winterquartiere z. B. im Wald bzw. am hin zu eutraphenteren Pflanzen besticht das Waldrand angewiesen. Stehgewässer durch seine Strukturvielfalt, die sich z. B. in einer vollständigen Verlandungsreihe vom offenen Wasser bis hin zu Feuchtgehölzen zeigt. Fazit: Das Gewässer ist als relativ großflächiges, kalk- Dieses Gewässer zeichnet sich durch seine armes, permanent wasserführendes Offenland- Strukturvielfalt, relativ gute hydrochemische Ver- gewässer mit größeren im Sommer trocken- hältnisse und ein positives Umfeld aus, weshalb es fallenden Flachuferzonen einzustufen. Das bis sich als hervorragendes Laubfrosch-Gewässer ent- 1998 als schwach eutroph geltende Gewässer wickelt hat. Die geringe Größe und Wassertiefe muss im Folgejahr als polytroph eingestuft werden. fördert allerdings die Verlandungsdynamik, was bei Weitere Untersuchungen müssen klären, ob dieser fehlenden menschlichen Eingriffen in einigen Jahren Zustand anhält und welches die Ursachen für die zum Zuwachsen der derzeitigen Wasserfläche mit rasante Eutrophierung sind. Röhricht und dem weitgehenden Verlust seiner Lebensraumqualitäten führen wird. Das Gewässer Kleingewässer Nr. 6 ist als eutrophes, eher kalkarmes, permanent Bei einem schwach sauren bis alkalischen pH-Wert wasserführendes Offenlandgewässer einzu- hat das südlich von Warendorf gelegene Gewässer stufen. eine relativ niedrige Leitfähigkeit. Diese ist u. a. auf niedrige Stickstoff-, Sulfat- und Chloridgehalte zurückzuführen. Es tritt kein Sauerstoffmangel auf, Kleingewässer Nr. 8 aber zeitweise Übersättigungen bis knapp 200 %. Das Kleingewässer Nr. 8 westlich von Westkirchen Die Primärproduktion äußert sich in teils hohen ist das mittlere von drei hintereinander geschalteten Chlorophyll-Konzentrationen, neben starken Algen- Gewässern, die aus einer Drainage der angrenzen- entwicklungen treten aber auch Makrophyten in den ackerbaulich intensiv genutzte Fläche gespeist dichten Beständen auf. Das Gewässer ist als werden. Der pH-Wert des gut gepufferten Gewäs- eutroph einzustufen. Die Lage in einer Feucht- sers liegt im neutralen bis alkalischen Bereich. Das brache auf zwei Seiten von Laubwald begrenzt Wasser ist infolge starker Algenentwicklung häufig bedingt diese derzeit noch günstigen hydrochemi- sauerstoffübersättigt (max. 200 %), vom Hoch- schen Werte. sommer bis Herbst können aber auch ausgedehnte Das relativ kleine Gewässer weist – bisher mit Perioden mit Sauerstoffmangel auftreten. Die

Ausnahme von Gehölzen – alle wichtigen Vege- O2-Konzentrationen bewegen sich dann zwischen tationsstrukturen auf. Die Wasservegetation wird 0,5 und 0,1 mg/l. Um die gleiche Jahreszeit kommt durch Bestände des Schwimmenden Laichkrautes auch Ammonium in erhöhten Konzentrationen vor, (Potamogeton natans) und der Armleuchteralge max. 28,5 mg/l im Oktober 1995. Bedingt durch das

Chara delicatula bestimmt. Soweit erkennbar – hat NH4-NH3-Gleichgewicht tritt toxisches Ammoniak das Typha latifolia-Röhricht deutliche Ausbreitungs- bei den gemessenen pH-Werten in Konzentrationen tendenzen; gleiches gilt auch für die weiteren auf, die für Fische und Wirbellose bereits als kritisch Röhrichtarten wie Sumpfbinse (Eleocharis palustris) zu werten sind. Der zeitweilig erhöhte Nitritgehalt und Aufrechter Igelkolben (Sparganium erectum). kann ebenfalls empfindliche Wasserorganismen Unter den ansonsten weit verbreiteten Moosarten schädigen. Der landwirtschaftliche Einfluss zeigt findet sich auch das seltenere Sternlebermoos sich auch in den hohen P- Konzentrationen, die wie Riccia fluitans s.l.. Diese guten Voraussetzungen bei Stickstoff vor allem auf den Eintrag von Gülle, führen zu einer artenreichen Fauna. Neben einer möglicherweise auch auf die Erosion der landwirt- Vielzahl von Libellenarten (bis zu 15 Taxa) ist schaftlichen Flächen bei Starkniederschlägen besonders die Amphibienfauna mit der Leitart zurückgehen dürfte. Dem Nährstoffangebot entspre- Laubfrosch (Hyla arborea) anzuführen. Diese ist auf chend sind auch die Messwerte von Chlorophyll a die sonnenexponierte Lage ohne beschattenden sehr hoch. Das hypertrophe Gewässer ist häufig randlichen Gehölzaufwuchs, aber mit Sitzwarten in durch Massenentwicklungen von Phytoplankton und naher Entfernung, sowie die angrenzenden frost- Fadenalgen intensiv grün gefärbt.

278 Kleingewässer Nr. 9 Bei dem östlich von Sendenhorst gelegenen Kleingewässer Nr. 9 handelt es sich um einen Waldtümpel, der im Sommer regelmäßig trocken fällt. Aufgrund der starken Beschattung bleibt die Wassertemperatur stets unter 20° C. Da das Was- ser gut gepuffert ist, ist der pH-Wert nur geringen Schwankungen unterworfen. Auch die Sauerstoff- konzentrationen schwanken nur schwach, das Wasser ist stark sauerstoffuntersättigt, zeitweise treten für Organismen kritische Mangelzustände ein. Der Tümpel ist kalkreich und hat eine relativ Abb. 5: Gewässer Nr. 8 wurde durch landwirt- hohe Leitfähigkeit. Der Gesamtstickstoffgehalt ist schaftliche Einflüsse sehr stark eutrophiert ähnlich hoch wie im Gewässer Nr. 8, jedoch entfällt und weist eine dichte Buckel-Wasser- der größte Teil auf Nitrat, die oxidierte anorganische linsendecke auf. Form. Auffallend hohe Nitrit-Konzentrationen lassen auf zeitweilig lebensfeindliche Bedingungen für Die artenarme und von vielen Ruderalarten be- Wasserorganismen schließen. Aufgrund der relativ stimmte Flora ist symptomatisch für das junge Alter hohen Phosphor- und Chlorophyll-Gehalte wird des Gewässers. Klare Verlandungsstrukturen haben Gewässer Nr. 9 als eutroph eingestuft. sich noch nicht ausgebildet. Einzig die die Eine gerichtete Entwicklung des periodisch wasser- Wasserfläche vollständig deckende Buckel-Wasser- führenden Waldgewässers ist kaum erkennbar. Seit linsen-Decke (Lemna gibba) prägt das Bild, ist aber Beginn der Beobachtungen Ende der 80er Jahre auch Indikator für die zuvor beschriebenen erheb-

dominiert im Wasserkörper bzw. auf dem Gewäs- Gewässer lichen Nährstoffgehalte des Wassers. Die Moos- serboden eine dichte Vegetationsdecke aus Was- 4 Stehende flora ist wenig bemerkenswert. Dies gilt auch für die sermoosen (Amblystegium riparium, Calliergon zumeist artenarme Fauna, unter der nur die cordifolium), an den Ufern finden sich zerstreut die Schnecken mit 10 Arten (bezogen auf die gesamte, feuchtetoleranteren Kräuter des umgebenden 3 Teiche umfassende Gewässergruppe) herauszu- Eichen-Hainbuchenwaldes. Einzige Tendenz ist die stellen sind. zunehmende Artenverarmung der kleinflächigen Röhrichtinitiale am dem Waldrand zugewandten und am besten belichteten Gewässerbereich. Oenanthe Fazit: aquatica und Glyceria fluitans scheinen ver- Eine klare Entwicklungstendenz dieses relativ jun- schwunden zu sein. Die Fauna ist ausgesprochen gen Gewässers bzw. der gesamten Teichkette ist artenarm. So scheinen Libellen (zumindest boden- derzeit nicht abzuleiten. Deutlich wird allerdings ständige) und – bis auf den relativ genügsamen anhand der Vegetation, dass innerhalb der Teichmolch als einzige Art – Amphibien zu fehlen. Teichkette eine Abnahme des erheblichen Nähr- Die Käfer- und Wanzenfauna ist gleichfalls sehr stoffgehaltes stattfindet. Während im obersten arm; die Schwimmkäferart Hydroporus memnonius Gewässer das Lemnetum gibbae alleine dominiert, ist aber ebenso ein typischer Vertreter falllaub- sind am zuunterst liegenden Teich Röhrichtinitialen reicher, kalter Waldtümpel wie die Art Suphrodytes mit Aufrechtem Merk (Sium erectum) ebenso vor- dorsalis. handen wie andere Wasserpflanzenarten (Potamo- geton pusillus agg.). Eine aus gesamtökologischer Fazit: Sicht positive Entwicklung ist aber aufgrund der Problematisch ist sicherlich die Speisung aus Nährstoffsituation nicht zu erwarten. Das mittlere Oberflächenabflüssen des angrenzenden Ackers; Gewässer wie die gesamte Gruppe ist als (sekun- offensichtlich führt dies zu einer beschleunigten där) hypertrophes, kalkreiches, permanent was- Eutrophierung. Die relative Artenarmut der Flora serführendes Offenlandgewässer im Pionier- und Fauna hängt aber v. a. mit den stark beschatte- stadium der Besiedlung einzustufen. ten Verhältnissen und der periodischen Wasser-

279 führung zusammen und darf in diesem Fall als Phosphor ist hoch, wobei die Konzentrationen standortbedingtes Charakteristikum nicht zu einer starken Schwankungen unterworfen sind und die negativen Bewertung führen. Das Gewässer ist als Maxima meist im Winterhalbjahr auftreten. eutrophes, kalkreiches, periodisch wasserfüh- rendes Waldgewässer einzustufen. Das Gewässer hat sich damit im Untersuchungs- zeitraum von einem an Vegetationsstrukturen reichen, eutrophen zu einem biotisch stark verarm- Gewässer Nr. 15 ten, polytrophen Weiher entwickelt. Die das Das Gewässer Nr. 15 in Neubeckum ist vermutlich Vegetationsbild anfangs dominierenden Pota- ganzjährig mit Wasser bespannt; nur für extrem mogeton natans-Bestände sind fast verschwunden. regenarme, warme Sommer ist ein Austrocknen zu Das Sparganietum erecti ist vollständig verdrängt vermuten. Bei pH-Werten im neutralen bis leicht worden, die Schwaden-(Glyceria fluitans-) und alkalischen Bereich schwanken die Werte der elek- Eleocharis palustris-Röhrichte gehen flächenmäßig trischen Leitfähigkeit zwischen 48 und 74 mS/m, im zurück. Als weitere Röhricht-Arten sind Brunnen- Sommer erreichen sie infolge biogener Entkalkung kresse (Nasturtium officinalis) und Schmalblättriger ihr Minimum. Der Sauerstoffgehalt unterliegt deut- Merk (Berula erecta) sowie Froschlöffel (Alisma lichen jahreszeitlichen Veränderungen; nach Mas- plantago-aquatica) verschwunden sowie die eutra- senentwicklungen von Phytoplankton, die sich in phente Wasserpflanzen-Art Krauses Laichkraut sehr hohen Chlorophyll-Konzentrationen wider- (Potamogeton crispus). Auch die Hochstauden- spiegeln, geht die Konzentration infolge Zehrung Gesellschaften sind entweder verarmt oder wie die der Biomasse bis auf 2,1 mg/l O2 zurück. Das Binsen-(Juncus effusus/Juncus acutiflorus-)Be- Angebot der Pflanzennährstoffe Stickstoff und stände völlig verschwunden. Unter den wenigen

Tab. 8: Zusammenfassende Typisierung der Untersuchungsgewässer

Nr. Gewässertypisierung Verlandungsreihe Bewertung Flora und Fauna 1 dystrophes, (sekundär) hypertroph- W: stark deckender Wasserlinsen-Bestand (noch) relativ artenreiche Flora unter- kalkarmes, permanent wasser- R: kaum vorhanden (etwas Schilf) schiedlicher Ansprüche; Fauna durch- führendes Offenlandgewässer im H: stellenweise noch Binsen-Bestände schnittlich bis verarmt Übergang zum Waldgewässer G: zunehmend uferbeschattendes Weidengebüsch 5 relativ großflächiges, mesotrophes bis W: verschiedene Unterwasser- und sehr artenreiche Flora unterschiedlicher schwach eutrophes, kalkarmes, Schwimmblattgesellschaften in mosaik- Ansprüche, zahlreiche gefährdete permanent wasserführendes hafter Verteilung und Durchdringung (Rote-Liste-)Arten; Fauna bezogen auf Offenlandgewässer mit größeren im R: größere Großröhrichtbestände, fast alle Gruppen artenreich Sommer trockenfallenden vollständig umlaufendes Kleinröhricht Flachuferzonen S: Strandlingsrasen in unterschiedlicher Artenzusammensetzung 1999 infolge deutlicher Nährstoff- H: stellenweise artenreiche Hoch- anreicherung polytroph staudenfluren G: durchgehende Weiden- und Erlenge- büsche, stellenweise uferbeschattend 6 eutrophes, kalkarmes, permanent W: Unterwasser- und Schwimmblatt- relativ artenreiche Flora v.a. eutraphenter wasserführendes Offenlandgewässer gesellschaften Ansprüche; Fauna durchschnittlich R: umfangreiche Groß- und Kleinröhrichte bis artenreich S: stellenweise Strandlingsrasen H: umlaufend artenreiche Hochstaudenfluren 8 (sekundär) hypertrophes, kalkreiches, W: vollständig deckende Wasserlinsen- relativ artenarme Gewässerflora, v. a. permanent wasserführendes Decke Ruderal- und eutraphente Arten; Fauna Offenlandgewässer im Pionierstadium R: kleinflächig Röhricht meist stark verarmt der Besiedlung H: weitgehend umlaufende Hochstaudenfluren 9 eutrophes, kalkreiches, periodisch W: vollständig deckende Wassermoos- artenarme Gewässerflora; Fauna stand- wasserführendes Waldgewässer Bestände orttypisch artenarm R: kleinflächiges Röhricht 15 polytrophes, kalkreiches, permanent W: rückläufiger Schwimmblatt-Bestand relativ artenarme Gewässerflora aus wasserführendes Offenlandgewässer R: stellenweise Kleinröhricht (zurückgehend) eutraphenten Arten; Fauna durchschnitt- im Übergang zum Waldgewässer H: stellenweise Hochstaudenfluren lich bis verarmt G: zunehmend beschattende Ufergehölze

280 vorkommenden Gewässermoosen ist Aphanor- – dystroph-hypertropher Offenlandweiher hegma patens als bestands-gefährdete Art sommer- (kalkarm) (Nr. 1) lich trockener Uferbänke hervorzuheben. Die Fauna – hypertropher Offenlandweiher (kalkreich) ist – wie an der anfangs reicheren Libellenfauna (Nr. 8) erkennbar – inzwischen ebenfalls auf wenige Ubiquisten reduziert. – polytropher Offenlandweiher (kalkreich) (Nr. 15) Fazit: – eutropher Waldtümpel (kalkreich) (Nr. 9)

Trotz seines grundsätzlich positiven Umfeldes l Die hydrochemischen Verhältnisse von Klein- (Feuchtbrache, Feuchtwald) ist dieses im Laufe der gewässern korrespondieren in den frühen Ent- letzten Jahre in standörtlicher wie biotischer Sicht wicklungsjahren zunächst mit dem Bodensub- stark verarmte Gewässer ein Negativbeispiel für strat und damit mit dem lokalen naturräumlichen eine Gewässeranlageaktion. Zurückzuführen ist Potenzial. Gewässer in Sandlandschaften sind diese Degradation auf eine zunehmende Be- nährstoffarm bis mäßig nährstoffreich, i. d. R. schattung durch benachbarte Gehölze, v. a. aber kalkarm und z. T. dystroph, solche in Land- auf starke Eutrophierung, Müllablagerung und schaften mit schwereren, schluffig-tonigen Betreten der Ufer durch Erholungssuchende und Böden eher nährstoffreicher sowie – bei ent- spielende Kinder. Das Gewässer ist aktuell als poly- sprechenden geologischen Voraussetzungen – trophes, kalkreiches, permanent (evtl. perio- z. T. kalkreich. In Gewässern, die in landwirt- disch) wasserführendes Offenlandgewässer im schaftlich intensiv genutzten Räumen gelegen Übergang zum Waldgewässer einzustufen. sind, findet aber durch externe anthropogene Nährstoffzuführung eine beschleunigte Eutro- phierung teilweise sogar auf ein unnatürlich

Schlussfolgerungen hohes Trophieniveau statt. Dies ist gleichbedeu- Gewässer 4 Stehende 4 Stehende Aus den langjährigen Untersuchungen ausgewähl- tend mit einer Nivellierung der Kleingewässer ter Kleingewässer in der Westfälischen Bucht liegt auch unterschiedlichster naturräumlicher Aus- eine Fülle von Daten vor, die einen tiefen Einblick in gangsbedingungen auf den einheitlichen Typus die typischen standörtlichen wie biotischen des eu- bis hypertrophen Gewässers, d. h. mit Verhältnisse dieses Biotoptyps geben. Die Aus- einer Abkoppelung der hydrochemischen und wertung dieser Informationen ist noch nicht abge- v. a. der trophischen Situation vom natürlichen schlossen; dennoch lassen sich als Zwischenbilanz Potenzial des Raumes. folgende grundsätzliche Aussagen bestätigen bzw. l Gleichzeitig bedeutet dies, dass aufgrund der ableiten: beschleunigten Entwicklung der Gewässer in l Trophieeinstufungen bei Kleingewässern sind den Sandlandschaften zu nährstoffreichen anders vorzunehmen als bei Seen, da bei erste- Typen eine längerfristige Lebensraumfunktion ren der Anteil der Makrophyten an der wasser- für oligo- bis mesotraphente Organismen aus- gebundenen Biomasse meist wesentlich höher fällt und das Ziel einer Unterstützung dieser ist als bei Seen, deren Trophie häufig allein über stark bestandsgefährdeten Lebensgemeinschaft das Plankton (Chlorophyll a), die Sichttiefe und oft nicht erfüllt werden kann. den produktivitätslimitierenden Nährstoff Phos- l Flora und Vegetation folgen den Veränderungen phor bestimmt werden kann (LAWA 1998). des hydrochemischen Milieus mit einer ge- wissen zeitlichen Verzögerung; die genaue l Die hier vorgestellten untersuchten Kleinge- Beobachtung der Populationsentwicklung aus- wässer lassen sich als Modellgewässer folgen- gewählter Indikatorartengruppen kann aber den Typen zuordnen: bereits frühe Hinweise auf solche standörtlichen – eutropher Offenlandweiher (kalkarm) Änderungen geben. (Nr. 5 bis 1998) l Zur Beurteilung des biotischen Wertes eines – eutropher Offenlandweiher (kalkarm) Kleingewässers, d. h. seiner Bedeutung als Le- (Nr. 6) bensraum für Pflanzen und Tiere, muss gerade

281 bei Typen extremerer Standortbedingungen LANAPLAN (2000): Faunistische Kleingewässeruntersuchung neben der Flora und Vegetation auch die Fauna Westfälische Bucht. – Unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Nettetal/Recklinghausen. hinzugezogen werden. Bei Waldgewässern oder LAWA [LÄNDERARBEITSGEMEINSCHAFT WASSER] (1998): Gewässer- nur periodisch wasserführenden Tümpeln er- bewertung – stehende Gewässer. Vorläufige Richtlinie für weist sich eher das Vorhandensein speziell eine Erstbewertung von natürlich entstandenen Seen nach trophischen Kriterien. – LAWA-Empfehlungen Ober- angepasster Tierarten als wertbestimmend. irdische Gewässer. 74 S. Schwerin.

Hieran müssen sich auch Pflege- und Ent- LUA [LANDESUMWELTAMT NRW] (1995 bis 1999): Ergebnisberichte wicklungsmaßnahmen des Arten- und Biotop- limnologischer Untersuchungen an ausgewählten Klein- schutzes orientieren. gewässern im Münsterland im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Unveröff. Manuskript. Düsseldorf.

MEIER, M. (1998): Das Ökosystem „Kleinflächiges Stillgewässer“: Auswirkungen von Pflegemaßnahmen und Vorschläge für Zusammenfassung eine naturverträgliche Durchführung unter Berücksichti- Das vorgestellte Kleingewässer-Untersuchungs- gung der Tierwelt. Literaturstudie. - Unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖFB/LAfAO. 169 S. Recklinghausen. programm („EUMÖK-Westfalen“ = Eutrophe- MURL [MINISTERIUM FÜR UMWELT, RAUMORDNUNG UND LANDWIRT- Modellgewässer-Ökologie) versucht einen Über- SCHAFT NRW] (1993): Pressemitteilung vom 26.03.1993. blick über Standortbedingungen und Lebensge- Düsseldorf. meinschaften charakteristischer kleinflächiger Still- PARDEY, A. (1992): Vegetationsentwicklung kleinflächiger Sekundärgewässer. Untersuchungen zur Flora, Vegetation gewässertypen der Westfälischen Bucht zu er- und Sukzession von Kleingewässerneuanlagen unter arbeiten. Zu diesem Zweck werden seit einigen Berücksichtigung der Standortsverhältnisse in Nord- Jahren ausgewählte Artenschutzgewässer im Hin- deutschland. – Dissertationes Botanicae 195: 1-178. Berlin, Stuttgart. blick auf ihre Hydrochemie und andere Standort- PARDEY, A. (1993a): Ergebnisse hydrochemischer Unter- bedingungen, Flora und Vegetation sowie Fauna suchungen an Kleingewässern in Niedersachsen und intensiv untersucht. Typologisch ließen sich Nordrhein-Westfalen. In: GLANDT, D.: Mitteleuropäische Kleingewässer. Ökologie, Schutz. Management. – Mete- Gewässer mit mittlerem, mäßig hohem und sehr lener Schriftenreihe für Naturschutz 4: 139-144. Metelen. hohem Nährstoffniveau, permanenter oder periodi- PARDEY, A. (1993b): Die Berücksichtigung der langfristigen scher Wasserführung sowie überwiegend unbe- Vegetationsentwicklung in neu geschaffenen Kleinge- schatteter bis stark beschatteter Situation unter- wässern für ein Gewässerschutzkonzept.. In: GLANDT, D.: Mitteleuropäische Kleingewässer. Ökologie, Schutz. scheiden. Diese differierenden standörtlichen Ver- Management. - Metelener Schriftenreihe für Naturschutz 4: hältnisse werden durch eine unterschiedliche Flora 129-137. Metelen. und Fauna indiziert. Die Ergebnisse machen in eini- PARDEY, A. (1994): Entwicklung der Flora, Vegetation und Stand- ortverhältnisse eines Artenschutzgewässers südöstlich gen Fällen den negativen Einfluss intensiv betriebe- von Warendorf. - Decheniana 147: 63-79. Bonn. ner Landwirtschaft auf angrenzenden Flächen auf PARDEY, A. (1996): Artenschutzgewässer in der Westfälischen die Hydrochemie und die Vielfalt wie die Zusam- Bucht. Darstellung ihrer Vegetationsentwicklung und mensetzung der Gewässer-Lebensgemeinschaften Schutzeffizienz als Ergebnis einer nach fünf Jahren durchgeführten Wiederholungskartierung (1989-1994). deutlich. – Decheniana 149: 21-33. Bonn.

SCHMEDTJE, U. & M. COLLING (1996): Ökologische Typisierung der aquatischen Makrofauna. – Informationsberichte Bayer. Literatur Landesamt f. Wasserwirtschaft. 4/96: 1-543. München.

BÖCKER, L. (1998): Detailuntersuchungen Tiere an 7 Klein- SCHMIDT, C. (1999): Die Bryophyten von 11 Artenschutzgewäs- gewässern im Kreis Warendorf und Borken. – Unveröff. sern in den Kreisen Warendorf und Gütersloh. Übersicht Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Mskr. 60 S. zzgl. und Vergleich der Kartierungsresultate der Jahre 1996 und Anhang. Recklinghausen/Norderney. 1999. – Unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. CONZE, K.-J., FRONEK, A., HÄUSLER, M., MENKE, N., SCHICK, H. & S. 45 S. Recklinghausen.

WINTERS (1999): Libellenerfassung an Kleingewässern und SCHWARTZE, M. (1998): Faunistisches Gutachten für das Gebiet Heideweihern in der Westfälischen Bucht 1999. – Unveröff. „Vohrener Mark/Römerweg“ unter besonderer Berück- Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Essen. sichtigung der Vögel (Aves), Lurche (Amphibia), Libellen FELDMANN, R. (1984a): Kleingewässeraktion NRW: Wissen- (Odonata), Heuschrecken (Saltatoria). – Unveröff. Gut- schaftliche Untersuchung der Ergebnisse im Bereich des achten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Recklinghausen, RP Münster 1982 bis 1984. – Unveröff. Gutachten im Münster.

Auftrag der Bezirksregierung Münster. Menden/Münster. SOLGA, A. (1999): Detailerhebungen der Moose in 6 Heide- FELDMANN, R. (1984b): Kleingewässeraktion NRW: Positive weihern und 14 Kleingewässern in den Kreisen Warendorf, Zwischenbilanz. – LÖLF-Mitteilungen 9(1): 22-24. Borken, Münster, Coesfeld und Steinfurt. – Unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. 57 S. und Anhang. LANAPLAN (1999): Faunistische Kleingewässeruntersuchung Bonn/Recklinghausen. Westfälische Bucht. - Unveröff. Gutachten im Auftrag der LÖBF/LAfAO. Nettetal/Recklinghausen.

282 Schlossgraben Münster

4.4 Die Sanierung des Schlossgrabens in Münster

Dr. Hannes Schimmer (StUA Münster)

Problemstellung Seine Eutrophierung und regelmäßige Fischsterben rücken den Schlossgraben nicht erst heute ins Der Schlossgraben wurde um 1760 als ein Teil der öffentliche Interesse. Auch schon 1926 wurde ehemaligen Stadtgräben in die Parkanlage des beklagt: „Der Schlossgraben, so wertvoll er auch Schlosses in Münster integriert. Seine Innenstadt- durch die geschichtlichen Erinnerungen geworden lage und der optische Einfluss auf die Schloss- sein mag, so hässlich zeigt er sich mit seiner trüben kulisse verleihen ihm Bedeutung für das Stadtbild Wasserfläche, die im Frühjahr über und über mit Münsters. Seine Morphologie ist durch die nahezu Algen sich bezieht, um im Herbst das faule Laub symmetrische, einem Fünfeck ähnelnde Form aufzunehmen und einen recht üblen Gestank in den bestimmt (Abb. 1). Bei einer Länge von ca. 1,7 km Himmel hinaufzusenden“ (STADT MÜNSTER 1993). beträgt die mittlere Breite etwa 25 m. Dies ergibt eine Wasserfläche von ungefähr 4,3 ha. Die maxi- In unserer Zeit kamen zu diesen Belastungen die male Wassertiefe liegt bei 1,8 m, es gibt aber auch Einleitungen verschmutzten Oberflächenwassers ausgedehnte Verlandungszonen mit wenigen cm aus der Trennkanalisation hinzu, das über den Wasserbedeckung. Die Faulschlammschicht weist Schlossgraben zur Münsterschen Aa abfließt. Der Mächtigkeiten zwischen 50 und 90 cm auf (SCHMIDT Schlossgraben hat, im Gegensatz zu seiner ur- 1995). sprünglichen Bedeutung, in heutiger Zeit zwei Gewässer 4 Stehende 4 Stehende

Abb. 1: Der Schlossgraben in Münster mit den drei wichtigsten Einleitungsstellen der Regenwasserkanalisation

283 Hauptnutzungsarten zu erfüllen, die sich unverein- Neben der beschriebenen Belastung spielt der auf bar gegenüberstehen. Dies sind zum einen ein vielen innerstädtischen Gewässern zu beobachten- intakter Natur- und Erholungsraum im innerstädti- de hohe Wasservogelbestand und der Eintrag von schen Bereich und zum anderen die Verwendung Falllaub eine wesentliche, aber kaum zu quantifizie- als Regenrückhalte- und Klärbecken zur Verringe- rende Rolle bei den Einträgen. Als flankierende rung der Abflussspitzen bei Starkregen (SCHMIDT Maßnahme wurde auf eine Aufklärung der Bevölke- 1995). Im Folgenden soll über laufende und ge- rung hinsichtlich der Fütterung von Wasservögeln scheiterte Maßnahmen berichtet werden, die diesen und eine Verringerung des Eintrags von Pflanzen- Nutzungskonflikt entschärfen sollen. material aus dem Parkgelände hingewirkt.

Belastungsquellen Sanierungsziele Der Schlossgraben verfügt über ein oberirdisches Ziele der angestrebten Sanierung sind: Einzugsgebiet mit einer Gesamtfläche von 76 ha, aus dem sich ein rechnerischer Regenwasser- ï den Wasserkörper wieder zu vergrößern abfluss von 4,5 m³/s aus den insgesamt 6 Ein- ï den Faulschlamm und die dadurch ent- leitungsstellen der Regenwasserkanalisation in den stehenden Probleme wie Sauerstoff- Schlossgraben ergibt. Über einen Überlauf zur schwund und Schwefelwasserstoffbildung Münsterschen Aa kann das Wasser zeitlich stark zu beseitigen verzögert ablaufen. ï die Eintragspfade auf Minderungsmöglich- Das Einzugsgebiet umfasst neben Schloss und keiten zu untersuchen. Schlossgarten dichte innerstädtische Bebauung im Bereich stark befahrener Einfallstraßen. Im Bereich der Schlosses (Hindenburgplatz) ist mit einem Nach einer Abschätzung des Sanierungsumfangs Verkehrsaufkommen von etwa 35.000 Fahrzeugen war vor allem eine Wertung der in Frage kommen- pro Tag zu rechnen. Die Straßenabwässer aus dem den Sanierungsmethoden durchzuführen. Die Einzugsgebiet werden unbehandelt in den Schloss- bekannten Methoden der mechanischen Beseiti- graben abgeleitet. Neben nicht unerheblichen gung der akkumulierten Schlammmenge warfen Mengen an absetzbaren Stoffen gelangen über die erhebliche Probleme bei der Durchführung und der Straßenabwässer Schwermetalle in das Gewässer. anschließenden Deponierung des anfallenden Diese Schwermetalle stammen vor allem aus dem Materials auf, obwohl keine Kontamination Abrieb von Reifen, Bremsen und Kupplungsbe- (Schwermetalle, Kohlenwasserstoffe) gefunden lägen. Setzt man die von ROTT und SCHLICHTIG wurde, die eine Verwendung nach den Maßgaben (1994) ermittelten Zahlen für die Belastung der der Klärschlammverordnung unmöglich gemacht Abflüsse befestigter Flächen ein, so werden auf der hätte. Trotzdem fanden sich bei den Schwermetall- befestigten Fläche des Schlossgrabeneinzugs- gehalten durch jahrzehntelange Akkumulation gebietes 247 kg/min an abfiltrierbaren Stoffen Werte, die um ein Vielfaches über den zu erwarten- mobilisiert, von denen 43 kg/min zum Abfluss im den Hintergrundwerten liegen (SCHMIDT 1995). Ab- Trennsystem kämen. bildung 2 zeigt die zunehmende Schwermetall-bela- Eine zentrale Behandlung des anfallenden Wassers stung der jüngeren, weiter oben liegenden ist im vorliegenden Fall kaum zu verwirklichen, da Sedimente deutlich. Die Klassifizierung nach dem der hohe Platzbedarf kaum mit den Rahmenbe- System von MÜLLER (1979) setzt die Schwermetall- dingungen der engen innerstädtischen Bebauung in belastung eines unbelasteten Tongesteins aus dem Übereinstimmung zu bringen ist. Dezentrale geogenen Einzugsgebiet der Probe gleich 0. Die Maßnahmen wie Versickerung oder Nutzung des Anreicherung gegenüber diesem natürlichen Regenwassers von Dachflächen sind unter den Zustand wird durch die Igeo-Klassen 1-6 beschrie- genannten Rahmenbedingungen ebenfalls kaum ben. Für das Element Blei konnte, gegenüber der denkbar. Die intensivierte Reinigung von Straßen geogenen Hintergrundbelastung, eine Anreicherung und Gullys ist zwar in jedem Fall sinnvoll, die um den Faktor 26 auf bis zu 678 mg/kg festgestellt Effizienz ist bei hohen Kosten jedoch unklar. werden.

284 0 cm sollte das Sanierungsergebnis dokumentiert Æ -Igeo-Klassen (0 - 20cm) 5 werden. Gleichzeitig wurden Schwermetallgehalte, 4 3 Glühverlust und Wassergehalt aus je einer 2

Mittelwert Mischprobe über das gesamte Profil ermittelt. 1 0 Nachdem sich der Einsatz der Lüfter durch techni- Pb Cd Cu Zn 20 cm sche Probleme bis in den Spätsommer 1995 ver- Æ -Igeo-Klassen (20 - 40cm) 5 zögert hatte, wurde in Absprache mit dem Auftrag- 4 nehmer auf das Ausbringen der Bakterien in 1995 3 2 verzichtet. Diese Bakterien wurden vom Auftrag- Mittelwert 1 nehmer aber nach wie vor als integraler Bestandteil 0 Pb Cd Cu Zn 40 cm des Verfahrens angesehen. Der Winter 1995/1996 Æ -Igeo-Klassen (40 - 60cm) 5 wurde für eine technische Verbesserung der Lüfter 4 genutzt, worauf die Sanierung im Frühjahr 1996 3 2 erneut anlief. Nachdem die vereinbarte Betriebs- Mittelwert 1 sicherheit auch 1996 nicht erreicht werden konnte, 0 Pb Cd Cu Zn 60 cm wurde die Sanierung Ende Juni 1996 abgebrochen Æ -Igeo-Klassen (60 - 80cm) 5 ohne dass am Zustand des Schlossgrabens eine 4 mess- oder sichtbare Änderung eingetreten wäre. 3 2

Mittelwert 1 0 Pb Cd Cu Zn 80 cm 2. Versuch

d:\...\43\ígeo.ai, rek 23.1 Zum Jahreswechsel 1998 wurde ein erneuter, Abb. 2: Schwermetallanreicherung in einem durch- schnittlichen Schlossgraben-Sedimentkern erfolgsversprechenderer Sanierungsversuch in

(Tiefe 0 – 80 cm) einem Teilbereich des Schlossgrabens vorgenom- Gewässer 4 Stehende 4 Stehende (SCHMIDT 1995 verändert) men. Hierbei wurde die klassische Saugbagger- methode zur Entnahme von Feststoffen aus Gewässern mit der Stoffklassierung durch einen Die Sanierung mobilen Hydrozyklon gekoppelt. Im Hydrozykolon wird das zu trennende Gut (hier die Schlamm- Durch die Liegenschaftsverwaltung der Bezirks- suspension) durch Ausnutzung der Zentrifugalkräfte regierung Münster als Grundeigentümer wurde eine rein mechanisch klassiert. Im Hydrozyklon wurde in neue Methode zur biologischen Sanierung von eine grobe Müllfraktion, eine Sandfraktion und eine stehenden Gewässern favorisiert. Hierbei sollte organische Fraktion getrennt. Bis zu 15 m³ Feststoff unter Zugabe einer speziellen Bakterienmischung können so pro Stunde aus dem Pumpengut heraus- der Wasser- und Sedimentkörper stark belüftetet getrennt werden. Das anfallende Wasser wurde werden, um den biologischen Abbau fäulnissfähigen wegen der organischen und anorganischen Rest- Schlammes zu fördern. belastung über die Abwasserkanalisation in die Zentralkläranlage geleitet. Probleme gab es im wesentlichen mit Müll, der Schneidwerk und Pumpe 1. Versuch des Saugbaggers mehrfach beschädigte. Entsorgt werden musste lediglich die Müllfraktion in der In Absprache mit der ausführenden Firma wurde mit sich grobe Holzreste, Steine und Siedlungsmüll Hilfe von „Teichfolie“ eine Dreiteilung des zu sanie- (Flaschen, Dosen) befanden, die Sand- und die renden ersten Abschnittes durchgeführt (Abb. 1). organische Fraktion konnten, nachdem Unter- Hier sollte die Effektivität der Sanierung in den suchungen die Unbedenklichkeit bestätigt hatten, Varianten Belüftung mit und ohne Bakterieneinsatz weiterverwendet werden. Mit dieser Methode wur- mit einer Nullvariante, bei der keinerlei Eingriff den 932 m³ Feststoff entnommen, wodurch sich der erfolgt, verglichen werden. Diese Vorgehensweise Zustand des Schlossgrabens im sanierten Abschnitt wurde erforderlich, da die bisherigen Sanierungen deutlich verbessert hat. mit diesem Verfahren in keinem Fall ausreichend dokumentiert wurden. An der Veränderung der Sedi- mentdicke und der Beschaffenheit des Sedimentes

285 Ausblick Literatur DVWK (1988): Nr. 213, Sanierung und Restaurierung von Seen. Mit Beginn der Sanierungsversuche begannen DVWK, Bonn 30 S.. intensive Gespräche mit der Stadt Münster als MÜLLER, G. (1979): Schwermetalle in Sedimenten des Rheins – Betreiber der Regenwasserkanalisation. Im Zuge Veränderungen seit 1971. Umschau H. 24. S. 778. der Verlängerung der Einleitungsgenehmigungen ROTT, U. & SCHLICHTIG, B. (1994): Regenwassernutzung – Ein Beitrag zum Gewässerschutz oder eine Gefährdung unserer sollten Maßnahmen ergriffen werden, um auch von Wasserversorgung. Wasser und Boden 11 S. 11-14. dieser Seite die Einträge in den Schlossgraben zu SCHMIDT, A. (1995): Anthropogene Schwermetallbelastung in vermindern. Die Überlegungen mündeten in- aquatischen Systemen am Beispiel eines Still- und eines Fließgewässers des Münsterlandes. FH Münster 134 S.. zwischen in konkrete Planungen die im Folgenden STADT MÜNSTER (1993): Historischer Umweltatlas der Stadt kurz vorgestellt werden sollen. Münster. Der Umbau der Einleitungsstelle 01 steht unmittel- bar bevor, hier wird über ein Trennbauwerk der kri- tisch verschmutzte erste Abflussstoß (Qkrit) in einen Nebenarm des Schlossgrabens eingeleitet. Dieser Nebenarm wird als Sedimentationsbecken mit einer ins Landschaftsbild passenden Überlaufschwelle und einer Möglichkeit zur (regelmäßigen) techni- schen Entschlammung ausgerüstet werden. Für den zweiten größeren Abschlag (03) wird die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die Wassermenge Qkrit in einer Rohrleitung durch den Schlossgraben hin- durch direkt in die Münstersche Aa einzuleiten. Die räumlichen Bedingungen lassen den Bau eines Ab- setzbeckens nicht zu. Die Belüftung des Wasserkörpers wird bis zum heutigen Tage in Eigenregie fortgesetzt, wodurch bisher das Auftreten erneuter Fischsterben ver- hindert werden konnte. Nach Möglichkeit soll die Sanierung nach dem vor- gestellten Verfahren fortgesetzt werden. Die Kosten liegen etwa bei rund 1000 DM pro Tonne Trocken- substanz. Unter Randbedingungen, die wie im vor- liegenden Fall den Transport der Wasser-Schlamm Suspension und/oder die Einrichtung eines Polders nur unter größten Schwierigkeiten zulassen, stellt das Verfahren eine echte Alternative zu den her- kömmlichen Baggerverfahren mit Kosten von 6 – 60 DM/m³ (DVWK 1988) Nassschlamm dar. Beim Vergleich der Kosten ist zu berücksichtigen, dass hier Wasser/Schlamm im Verhältnis von etwa 9/1 gepumpt werden und ein Schlammpolder längere Zeit bis zum Abtrocknen des Schlamms auf- rechterhalten werden muss und der angefallene, unklassierte Schlamm auf geeignete Weise ver- wertet werden muss. Die biologische Sanierung mit eigens gezüchteten Bakterien hat weder die Dicke noch die Beschaffen- heit der Faulschlammschicht beeinflusst und ist somit als gescheitert anzusehen.

286 5 Gewässerversauerung

Gewässerversauerung

5.1 Untersuchungen zur Gewässerversauerung in Nordrhein-Westfalen

Heike Kielbassa, Prof. Dr. Günther Friedrich LUA & Massimo Morpurgo, Bozen/Italien

Einleitung im Frühjahr treten Säureschübe auf, denn diese Abflüsse bestehen zu einem viel größeren Teil aus Seit Beginn der 60er Jahre wurden Versauerungs- reinem Niederschlagswasser, das natürlicherweise erscheinungen an Seen und Fließgewässern in leicht sauer ist. Daher kann ein Bach auch episo- Nordamerika und Nordeuropa ökologisch und disch sauer sein. fischereilich so relevant, dass in manchen Gewäs- sern nicht mehr geangelt werden konnte. Zugleich Die beiden Bäche im Sauerland, Zinse und wurden die sogenannten Neuartigen Waldschäden, Elberndorfer Bach wurden 1986 als Beitrag von auch Waldsterben genannt, in Deutschland zu NRW in das internationale Messprogramm Gewäs- einem umweltpolitisch und wirtschaftlich relevanten serversauerung der Wirtschaftskommission der Thema, das sie bis heute geblieben sind. Die Vereinten Nationen für Europa (ECE) übernommen. Gewässerversauerung hat diesen Stellenwert in Ziel dieses internationalen Messprogramms ist die Deutschland nicht erhalten, obwohl es in manchen „Langzeitdokumentation von Auswirkungen der Regionen erhebliche ökologische Probleme gab. Gewässerversauerung in Europa“. Insgesamt wird Sie betrafen insbesondere Gebiete mit kalkarmen innerhalb eines Jahres dreimal das Makrozooben- Gesteinen und den dazugehörigen schwach gepuf- thos und die Diatomeen untersucht. Die chemischen ferten Gewässern ohne Abwassereinleitungen. Parameter werden monatlich gemessen, zusätzlich Abwassereinleitungen führen in der Regel zur wird noch der Abfluss ermittelt. Die Ergebnisse der Erhöhung des Neutralisationsvermögens. Damit Untersuchungen werden jährlich über die deutsche verschwinden die Versauerungserscheinungen. In Koordinationsstelle, das bayerische Landesamt für Nordrhein-Westfalen waren daher vor allem die Wasserwirtschaft (SCHNELLBÖGEL et al. 1995), an die kleinen, sauberen Oberläufe in der Eifel, im rechts- Zentrale in Norwegen weitergeleitet, wo dann die rheinischen Schiefergebirge und in den Sandge- internationale Auswertung vorgenommen wird. bieten der Senne am Teutoburger Wald und einige Die Auswirkung der Versauerung ist eine starke Talsperren als versauerungsgefährdet einzustufen. Verarmung der biologischen Lebensgemeinschaften In Zusammenarbeit mit der damaligen Landesan- der Bäche. So wirken sich z. B. niedrige pH-Werte stalt für Ökologie (LÖLF) wurde in einer Arbeits- negativ auf das Schlüpfen der Regenbogenforellen gruppe ein Messprogramm gestartet. Es läuft bis und Bachforellen aus dem Ei aus. Viele Tier- und versauerung heute an zwei Bächen im Sauerland, der Zinse und Pflanzenarten können in sauren Gewässern nicht 5 Gewässer- dem Elberndorfer Bach im Raum Hilchenbach. Dort leben. Die am Gewässergrund lebenden wirbello- gibt es erhebliche Baumschäden und die LÖBF sen Tiere (Makrozoobenthos) sind unterschiedlich betreibt dort eine Immissionsmessstelle. empfindlich gegenüber den pH-Werten. Manche Erste Untersuchungen ergaben, dass tatsächlich Arten besitzen eine breite pH-Toleranz, andere sind nur in einigen sehr sauberen Oberläufen rezente dagegen sehr säureempfindlich. Diese Schädigung Versauerung festzustellen ist. Indiziert wird der der Gewässer kann, im Gegensatz zur organischen Säurestatus vorwiegend durch jährlich mehrfache Belastung, mit dem Saprobienindex nicht erfasst biologische Untersuchungen und zwar des Makro- und bewertet werden. Die Gewässerversauerung zoobenthos und der ebenfalls benthischen Kiesel- wird auch auf den ersten Blick nicht erkannt, weil die algen. Natürlich gehören zum Messprogramm auch versauerten Gewässer klar und sauber wirken. Mit chemische Analysen des Wassers und Abflusser- chemisch-physikalischen Methoden können versau- hebungen. Insbesondere das bei niedrigen pH- erte Gewässer nur durch zahlreiche, wiederholte Werten toxische Aluminium wird sorgfältig unter- Messungen identifiziert werden. sucht. Die Kenntnis der Abflussverhältnisse ist des- Entsprechend ihrer unterschiedlichen Toleranz halb von besonderer Bedeutung, weil der pH-Wert gegenüber Säuren wurde den wichtigsten Berg- bei Basisabfluss vielfach etwas höher liegt als bei bach-Organismen (ca. 160 Taxa) einen Zeigerwert erhöhten Abflüssen. Besonders nach Starknieder- von 1 bis 4 (säureempfindlich bis säureresistent) schlägen im Sommer und bei der Schneeschmelze zugeordnet. Die nachfolgend verwandte Klassi-

289 fikation des Säurestatus für Fließgewässer beruht REINHARDT (1986) und biologisch von ROMMEL- auf den Arbeiten von BRAUKMANN und Anderen MANN (1987) untersucht worden. Sie sind 1996 (BRAUKMANN 1992). von MORPURGO erneut untersucht worden, sowie nachfolgend vom StUA Minden. Klassen der Säureempfindlichkeit der Indikator- 2. Naturraum Rothaargebirge: Die Untersuchungs- arten: gewässer Elberndorfer Bach und Zinse liegen 1. säureempfindlich: nur in permanent nicht ca. 2 – 6 km nordwestlich der Stadt Erndtebrück sauren Gewässern vorkommend und münden in die Eder. Der geogene Hinter- 2. mäßig säureempfindlich: auch in leicht grund wird durch relativ basenarme unter- sauren Gewässern vorhanden devonische Grauwacken, Schiefer, Quarzite und Sandsteine gebildet. 3. säuretolerant: vertragen stärkere periodische Säureschübe 3. Gebiet der Eifel; Einzugsgebiet Rur: Die Eifel besteht als Teil des rheinischen Schiefergebirges 4. säureresistent: auch in permanent sauren vorwiegend aus silikatischen Gesteinen. Es han- Gewässern noch lebensfähig, oft wegen delt sich um einen schwach besiedelten, wald- fehlender Konkurrenten häufiger als in weni- reichen Mittelgebirgsbereich. Ein großer Teil der ger sauren Bächen Wälder besteht aus Fichtenmonokulturen. Die Rur entspringt zudem noch in einem vermoorten Auch die Kieselalgen (Diatomeen) werden zur Einzugsgebiet. Klassifikation des Säurestatus herangezogen (CORING 1999). In Nordrhein-Westfalen wurden kleine Fließgewäs- Ausgewählte Ergebnisse der Untersuchun- ser seit 1982 biologischen und chemischen gen in Nordrhein-Westfalen Untersuchungen unterzogen und zwar in der Senne, Rothaargebirge dem Sieger- und Sauerland (Rothaargebirge) (SCHIMMER, HEITKAMP & FRIEDRICH (1991), FRIEDRICH Säureschübe bei Schneeschmelze und Starkregen & HESSE 1991) sowie in der Eifel durchgeführt führen zu schwankenden Säuregraden. Während worden (StUA Aachen, MORPURGO 1996). der Elberndorfer Bach im Mai und September 1998 der Kategorie 2 „episodisch schwach sauer“ zuge- ordnet werden konnte, fällt er im Dezember 1998 in Untersuchungsgebiete die Kategorie 3 „periodisch kritisch sauer“ zurück Drei verschiedene Untersuchungsgebiete sind auf (Tab. 1). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass im der Grundlage einer Ermittlung der gewässer- Spätherbst 1998 heftige, zum Teil lang anhaltende versauerungsgefährdeten Gebiete in Nordrhein- Hochwässer auftraten und die Zoozönose insge- Westfalen ausgewählt worden. samt ungewöhnlich individuen- und artenarm zu- sammengesetzt war. Eine vergleichbare Entwick- 1. Gebiet der Senne; Einzugsgebiet Ems: Es han- lung wurde auch in der Zinse beobachtet. delt sich um ein kalkarmes Sandergebiet süd- westlich des Teutoburger Waldes. Einige saure Beide Bäche sind im Vergleich zu anderen Bächen und nicht saure Quellbäche der Senne sind in artenarm, wobei die Artenarmut in der Zinse den Jahren 1985 und 1986 chemisch von besonders deutlich hervor tritt. Säuresensible

Gewässer 1995 – 1996 1998 1999 Tab. 1: Fließgewässer im Elberndorfer Bach Episodisch Episodisch Episodisch Rothaargebirge (ECE-Probestelle) schwach sauer schwach sauer schwach sauer

Herbstzustand: Permanent sauer

Zinse (ECE-Probestelle) Permanent sauer Permanent sauer Permanent sauer

290 Indikatoren des Makrozoobenthos wie Schnecken und Muscheln (Mollusken) oder Bachflohkrebse (Gammariden) wurden in beiden Bächen nicht nach- gewiesen. Eine Ausnahme bildet der säuretolerante Grundwasserkrebs Niphargus spp. in der Zinse. Die Eintagsfliegenlarven (Ephemeropteren) fielen in der Zinse ebenfalls vollständig aus. Die Zusammensetzung der Kieselalgenflora wurde an den Probestellen der Zinse und des Elberndorfer Baches ebenfalls an drei Terminen pro Jahr unter- sucht. Analog zur Makrofauna sind auch die Diatomeengesellschaften der Probenstellen stark verarmt und wenig divers (CORING 1999). Im Längsverlauf der Zinse ist ein ausgeprägte Gradient zu beobachten. Vor allem im Quellbereich werden die Gesellschaften nahezu ausschließlich von säuretoleranten bzw. säureresistenten Formen gebildet. Das Vorkommen von Eunotia exigua und weiteren Eunotien weist auf huminsaure Einflüsse im Umfeld hin. Die Zusammensetzung der Kiesel- algengesellschaft im weiteren Fließverlauf zeigt Abb. 1: Aluminiumausflockung am Ölbach einen sukzessiven Rückgang der Säurebelastung an, ohne dass auch nur annähernd dauerhaft neu- Starkregen im Sommer und Herbst in den sauren trale Verhältnisse erreicht werden. Bereich absinkend.). Auch ROMMELMANN (1987), der diese Fließgewässer 10 Jahre vorher untersucht Die Kieselalgengesellschaften des Elberndorfer hat, konnte die gleichen Arten nachweisen. Zur Baches weisen im Vergleich zur Zinse weniger Ölbachquelle sei auch auf den nachstehenden säuretolerante Arten auf. Lediglich im Frühjahr Aufsatz von KIRCHHOFF verwiesen (Kap. 5.2). dominiert im Oberlauf Eunotia exigua. Im weiteren Verlauf des Jahres nimmt der Anteil dieser Art ab. Die Untersuchungen 1995/1996 wurden von Diese Tatsache weist auf die große Bedeutung der MORPURGO durchgeführt. versauerung

Schneeschmelze für das Versauerungsgeschehen Die gemessenen pH-Werte von 5,6 – 6,9 lagen im 5 Gewässer- im Elberndorfer Bach hin. Gegensatz zur biologischen Besiedlung relativ Die Untersuchungen wurden von CORING (fort- hoch. Die Messungen konnten allerdings nur im laufend) und MORPURGO (1995/1996) durchgeführt. Winter 1995 – 1996 bei Niedrigwasser durchgeführt werden. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass in dieser Jahreszeit bei Basisabfluss der Senne pH-Wert ungefähr im neutralen Bereich bleibt und erst im Frühling mit der Schneeschmelze absinkt. Die untersuchten Quellbäche der Senne (Kramps- bach, Ölbach (Abb. 1) und Bärenbach) sind 1995 – 1996 auf der Grundlage des Makrozooben- Tab. 2: Fließgewässer in der Senne thos als permanent sauer (Säurezustandsklasse 4) bewertet worden (Tab. 2). Die Makrozoobenthos- Gewässer 1995 – 1996 1999 Gemeinschaften dieser Quellbäche sind stark Sprungbach Episodisch sauer Episodisch sauer verarmt und bestehen nur aus wenigen säuer- Krampsbach Permanent sauer Permanent sauer resistenten Arten: Den Steinfliegenlarven Leuctra nigra, Nemoura spp., Nemurella pictetii, der Schnakenbach Episodisch sauer Episodisch sauer

Schlammfliegenlarve Sialis fuliginosa und der Ölbach Permanent sauer Permanent sauer Köcherfliegenlarve Plectrocnemia conspersa (alle mit Zeigerwert 4, permanent sauer und nach Bärenbach Permanent sauer Permanent sauer

291 Eifel dorfer Bach, wobei in beiden Gewässern ein mit Aufgrund der Untersuchungsbefunde von 1999 zunehmender Quellentfernung abnehmender durch das StUA Aachen hat sich seit den Gradient der Säurebelastung besteht. Zusätzlich sind im Quellbereich der Zinse huminsaure Ein- Untersuchungen von MORPURGO 1995/96 keine Veränderung ergeben. Weiterhin sind 4 der 17 flüsse wirksam, was anhand der nur dort vorgenom- untersuchten, besonders versauerungsgefährdeten menen Analyse der Kieselalgen belegt wird (CORING Gewässer in der Eifel al sauer einzustufen: 1998). Beide Bäche werden weiterhin regelmäßig Dreilägerbach, Roter Wehebach und Saarcherbach im Rahmen des internationalen ECE-Messpro- (= Säurezustandsklasse 3 = periodisch sauer). gramms überwacht, denn Gewässerversauerung ist Abweichend von den Ergebnissen der Unter- ein Prozess, der sich über lange Zeit hinzieht. Er suchungen 1995/96 kann die Rur an der Staats- lässt sich prinzipiell nicht allein durch aktuelle grenze Kalterherberg jetzt in die Säurezustands- Messungen des Ist-Säurezustandes erfassen, klasse 2, d. h. episodisch schwach sauer eingestuft sondern nur durch den Vergleich heutiger biolo- werden (Tab. 3). gischer und chemischer Daten mit solchen aus der Vergangenheit. Tab. 3: Fließgewässer in der Eifel Es ist also erforderlich, die sauren oder versaue- Gewässer 1995 – 1996 1999 rungsgefährdeten Fließgewässer in Nordrhein- Westfalen auch in Zukunft weiter zu untersuchen, Roter Wehebach Periodisch Periodisch sauer sauer um die Entwicklung erkennen zu können. Dreilägerbach Periodisch Periodisch Literatur sauer sauer BRAUKMANN, U. (1992): Gewässerversauerung - Biologische Indikation Saarcher Bach Periodisch Periodisch des Säurezustandes kleiner Fließgewässer. - in Ministerium für sauer sauer Umwelt Baden-Württemberg: Gütezustand der Gewässer in Baden-Württemberg Nr. 7; Zustandsuntersuchungen auf biolo- Rur (Staatsgrenze Periodisch Episodisch gisch-ökologischer Grundlage, Karlsruhe. Kalterherberg) sauer schwach CORING, E. (1999): Säuregrad - Indikation mit Diatomeen.- In: sauer V. TÜMPLING & FRIEDRICH (Hrsg.): Biologische Gewässerunter- suchung, Gustav Fischer Jena S.298-305. CORING , E. (1999): Untersuchungen von Kieselalgen und benthi- Die Makrozoobenthos Gemeinschaften der übrigen schen Makroinvertebraten im Sauerland zur ökologischen Bewertung von Fließgewässern - hier: Elberndorfer Bach und Bäche sind verarmt und bestehen vorwiegend aus Zinse im Untersuchungsjahr 1999. unveröff. Bericht im Landes- säuertoleranten und säuerresistenten Arten von umweltamt. Steinfliegenlarven (Plecoptera), Köcherfliegenlarven FRIEDRICH , G. & K.-J. HESSE (1991): Gewässerversauerung in Nord- rhein-Westfalen. In: Landesumweltamt NRW, Jahresbericht `90, (Trichoptera) und Strudelwürmern (Turbellaria). S. 37-43. Die in diesen Bächen gemessenen pH-Werte von MORPURGO, M. (1996): Säurezustand von kleinen Fließgewässern in Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des Makrozoobenthos. 4,7 bis zu 6,2 stimmen mit den biologischen Untersuchungen 1995-1996 in der Eifel und Senne, unveröff. Befunden überein. Im Saarscher Bach wurden die Bericht im Landesumweltamt REHINHARDT, H.D. (1986): Untersuchungen zur Aciditätsbelastung der niedrigsten pH-Werte 4,7 und 4,9 gemessen, auch Quelle und des Grundwassers in der Senne; Interner Unter- dort konnten keine Eintagsfliegenlarven nachge- suchungsbericht Staatliches Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft Minden. wiesen werden. ROMMELMANN, J. (1987): Vergleichende ökologische Untersuchungen Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das der Makroinvertebraten-Fauna versauerter und nicht versauerter Quellbäche der Senne (Ostwestfalen); Diplomarbeit Universität Einzugsgebiet der Eifelbäche z. T. in Moorgebieten Göttingen. mit natürlicherweise niedrigen pH-Werten liegen. SCHIMMER, H. & G. FRIEDRICH (1990): Die Auswirkungen der Gewäs- serversauerung auf die Makrozoobenthosfauna ausgewählter Mittelgebirgsbäche im Sauer- und Siegerland. Lauterbornia 5, 49-66, Dinkelscherben. Zusammenfassung SCHIMMER , H.; U. HEITKAMP & G. FRIEDRICH (1990): The effects of acidification on the macroinvertebrate fauna in selected mountain Aufgrund der Untersuchungen ist festzustellen, brooks in Sauer- and Siegerland. Verh. Internat. Verein. Limnol. dass die drei Quellbäche in der Senne, die vor 24, S. 1835-1838. SCHNELBÖGL, G.; G. BURKL & J. WIETING (1995): Versauerung von ober- 10 Jahren als sauer bewertet wurden, nach wie vor irdischen Gewässern in der Bundesrepublik Deutschland. Beitrag permanent sauer sind. zum internationalen Überwachungsprogramm im Rahmen der Luftreinhalte-Konvention der Wirtschaftskommission der Ver- Im Rothaargebirge ist die Zinse stärker von der einten Nationen Europa (ECE). Gefördert durch das Umwelt- bundesamt, Berlin. Koordination: Bayerisches Landesamt für Gewässerversauerung betroffen als der Elbern- Wasserwirtschaft, München.

292 Die Ölbachquelle

5.2 Die Ölbachquelle: sauber, sauer und seltsam schön

Dr. Norbert Kirchhoff (StUA Minden)

Der Ölbach entspringt nordwestlich von Augustdorf Bielefeld und das damalige Staatliche Amt für in einer Höhe von 165 m über NN in der Senne in Wasser- und Abfallwirtschaft in Minden, die Beläge einem stark eingetieften Kastental im Naturschutz- und Ausflockungen in den Gewässern und Förder- gebiet „Ölbachtal“ (Abb. 1). Der Ölbach gehört zum brunnen als Aluminiumverbindungen identifiziert. Einzugsgebiet der Ems. Die Bedeutung der Senne als Trinkwassereinzugs- gebiet ließ das öffentliche Interesse an diesen Beobachtungen wach werden und gab 1986 den Anstoß zu umfangreichen und grundlegenden Untersuchungen zur Aciditätsbelastung der Quellen und des Grundwassers in diesem Landschaftsraum durch das damalige Staatliche Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft Minden. Seit dem Abschluß der Untersuchungen im Jahr 1990 wird die Ölbach- quelle stellvertretend für andere versauerte Quellen der Senne als Trendmessstelle im Rahmen des landesweiten Gewässerüberwachungssystems (GÜS) beprobt, um die weitere Entwicklung der Gewässerversauerung beispielhaft beobachten und Abb. 1: Das Naturschutzgebiet „Ölbachtal" ggf. geeignete Maßnahmen ergreifen zu können. Im nordwestlichen Teil der Senne gehören die Die Senne ist eine überwiegend von Sanden Bäche, wie hier der Ölbach, zum Einzugsgebiet der geprägte Landschaft am Südwesthang des Ems, im südöstlichen Teil zu dem der Lippe. Mit Teutoburger Waldes. Wegen ihrer ungünstigen annähernd parallelem Verlauf folgen die Gewässer Immissionslage wird sie durch luftbürtige Schad- der südwestlichen Abflachung des Teutoburger stoffe aus den Industrieregionen an Rhein und Ruhr Waldes. Nach der allgemeinen Fließgewässer- stark belastet. Auf die nur schwach gepufferten zonierung werden die Sennebäche dem Epirithral

Böden des Gebietes gehen vor allem an Staub und fischereibiologisch der oberen Forellenregion versauerung gebundene Schadstoffe und die mit den zugeordnet. Als Niederungsforellenbäche unter- 5 Gewässer- Steigungsregen aus Stickstoff- und Schwefeloxiden scheiden sie sich von den Berglandforellenbächen sich bildenden Säuren nieder. Gleichzeitig ist die durch eine geringere Fließgeschwindigkeit, ein vor- Senne eines der wichtigsten Trinkwassergewin- herrschend sandiges Substrat und höhere sommer- nungsgebiete Nordrhein-Westfalens. liche Wassertemperaturen. Schon in den siebziger Jahren traten Probleme mit hinderlichen Ablagerungen auf den Filterrohren in den Förderbrunnen der Stadtwerke Bielefeld auf, die jedoch zunächst nicht als Aluminiumablagerungen (Alunit-Ausfällungen) erkannt bzw. mit den Versauerungen des Grundwassers in Zusammen- hang gebracht wurden. Auch kam es in den Quellbereichen verschiedener Oberflächengewäs- ser in der Senne zu weißlich-gelben Ausflockungen, die die Gewässersubstrate und Wasserpflanzen mit einer Schicht überzogen und u. a. zu Schwierig- keiten bei der Forellenzucht in Teichanlagen führten. Erst Anfang der achtziger Jahre wurden, aufgrund näherer Untersuchungen durch die Stadtwerke Abb. 2: Der Ölbach bei Stukenbrock

293 Der Ölbach stellt den klassischen Typ eines Sandbaches dar (Abb. 2). Oberhalb des eigent- lichen Quellbereichs des Ölbaches, der aus mehre- ren Quellen gespeist wird, schließt sich ein Trockental an, daß in den letzten Jahren zuneh- mend weniger durch Quellwasser beeinflußt wurde, d. h. dass sich die Quelle immer weiter bachabwärts verlagert hat (Abb. 3). Die Umgebungsvegetation besteht aus Kiefernforst mit Traubenkirsche, Faulbaum und Adlerfarn.

Abb. 4: Eine der nur gering versauerten Ölbach- quellen

Abb. 3: Der trockengefallene Ölbach oberhalb des heutigen Quellbereichs

Der Ölbach beginnt mit einer stark versauerten Sumpfquelle (Helokrene), die durch vermutlich ober- Abb. 5: Alunitausfällungen auf der Rasenbinse flächennahes Grundwasser mit einem pH-Wert um (Juncus bulbosus) (aus: ROMMELMANN, 4,5 und einem Gehalt an gelöstem Aluminium von 1987) bis zu 6,9 mg/l gespeist wird. Der obere Quell- bereich ist vollständig und der sich unmittelbar Wert ≤ 4,5) durch Zufluß aus der mittleren Quelle anschließende Abschnitt großflächig mit Torfmoos (pH-Wert ≤ 6,5) bis zum artesischen Quellkolk (Sphagnum) bewachsen. Bereits nach wenigen (pH-Wert ≥ 7,0) um etwa 2,5 Einheiten (Abb. 6). Metern kommt es durch Zutritt mindestens einer Parallel dazu nimmt der Aluminiumgehalt im Wasser weiteren, weniger versauerten Quelle (Abb. 4) mit infolge der Ausfällung von mehreren mg/l bis unter- einem pH-Wert um 6,5 zu immer stärker werdenden halb der Bestimmungsgrenze ab. Die Alunitaus- Ausfällungen von Alunit, welche Pflanzen und fällung beginnt – wie in Laborversuchen ermittelt andere Strukturen im Gewässerbett mit einem wurde – ab einem pH-Wert von > 4,7. dichten Belag (Abb. 5) überziehen. Neben den niedrigen pH-Werten wirken die Nach ca. 100 m tritt in einem Quellkolk im Ölbach Ausfällungen von Aluminium-Verbindungen besied- eine dritte stark schüttende Quelle (Limnokrene) lungsfeindlich. Während die Vegetation im stark zutage, die nach einer Modellvorstellung von sauren Bereich durch Torfmoose dominiert wird, LÜCKEWILLE,SPÄH und THESING (1984) artesisch zeigt das flächige Vorkommen des Brunnenkresse- gespanntes, karbonatreiches Tiefenwasser zutage Röhrichts an den nachfolgenden Abschnitten den fördert. Ab hier sinkt die Wassertemperatur im pH-Anstieg des Wassers an. Neben der Brunnen- Ölbach um etwa 1°C, Alunitablagerungen im Ölbach kresse sind hier auch Bachbunge und Flutschwaden treten nicht mehr auf. häufig. Der pH-Wert im Ölbach erhöht sich somit auf der Aufwuchsuntersuchungen mit künstlichem Substrat Fließstrecke von der obersten Sumpfquelle (pH- erbrachten im versauerten Bereich nur minimale

294 Abb. 6: Anstieg des pH-Wertes auf den ersten 200 m des Ölbaches Die Einzelpunkte außerhalb des Liniendiagramms repräsentieren pH-Werte von Quelltümpeln außerhalb des eigentlichen Bachbetts. Der linke Pfeil markiert den Beginn, der rechte das Ende der Alunitausfällungen (aus: REINHARDT, 1987).

Bewuchsergebnisse. Unter den wenigen Algenarten Literatur: dominierten Eunotia trinacria, Pinnularia microstau- LÜCKEWILLE, A. & SPÄH, H. & THESING, U. (1984): Aluminium- ron, Microthamnion sp., Cylindrocystis sp. und hydroxidausflockungen in Quellbächen der Senne (Teuto- burger Wald) als Folge saurer Niederschläge. In: Gewässer- Sphaerobotrys fluviatilis. Im Ausfällungsbereich des versauerung in der Bundesrepublik Deutschland. Materialien Alunits überwiegen dagegen bei schwach sauren Umweltbundesamt 1/84, S. 106-120. bis neutralen pH-Werten Blaualgen der Gattungen REINHARDT, H. -D. (1987): Untersuchungen zur Aciditätsbelastung der Quellen und des Grundwassers in der Senne. Staatliches Oscillatoria und Pseudanabaena sowie Bakterien Amt für Wasser- und Abfallwirtschaft Minden, 1987. und Pilze. ROMMELMANN, J. (1987): Vergleichende ökologische Unter- versauerung suchungen der Makroinvertebratenfauna versauerter und 5 Gewässer- Die Makroinvertebratenfauna im versauerten nicht versauerter Quellbäche der Senne (Ostwestfalen). Abschnitt des Ölbaches und im Alunit-Ausfällungs- Diplomarbeit am Fachbereich Biologie der Universität bereich ist verarmt. Es wurden hier im wesentlichen Göttingen, 1987. nur die Köcherfliegenlarve Plectrocnemia consper- LANDESUMWELTAMT NRW (1997): Gewässerüberwachung in NRW – Oberirdische Gewässer, LUA-Materialien Nr. 40, Essen sa, die zwei säuretoleranten Steinfliegenarten Nemurella picteti und Leuctra nigra und einige Zuckmückenarten gefunden. Als Ursache für die festgestellte Gewässerver- sauerung wird der atmosphärische Eintrag von anorganischen Säuren in Zusammenhang mit der nur geringen Pufferkapazität der karbonatarmen Senneböden gesehen. Neben den trockenen und nassen Depositionen tragen auch standörtliche Besonderheiten zur Versauerung bei. So sind aus- gedehnte Bereiche der Senne von Kiefernforsten bedeckt, die durch den ganzjährigen „Auskämm- effekt", den gerade Nadelbäume auf in der Luft befindliche Schadstoffe haben, zu einer An- reicherung von Schadstoffen im Boden beitragen.

295 296 6 Einfluss von hormonell aktiven Schadstoffen auf Fische in Nordrhein-Westfalen

Hormone

6. Einfluss von hormonell aktiven Schadstoffen auf Fische in NRW

Prof. Dr. Jens Lehmann, Franz-Josef Stürenberg (LÖBF/LafAo NRW, Kirchhundem-Albaum), Dr. Friedrich J. Otto (Schmallenberg), Prof. Dr. Volker Blüm & Dr. Frank Paris (Ruhr-Universität Bochum)

Einleitung Unter den bekannten Xenoöstrogenen bzw. ver- dächtigen Substanzen sind zahlreiche Pestizide/ Eine immer weiter ansteigende Zahl anthropogener Insektizide, aber auch PCB´s, bestimmte Detergen- Substanzen aus Industrie, Landwirtschaft und tien (waschaktive Substanzen), Antioxidantien und Privathaushalten gelangt über Abwässer in die Dioxine. Besonders in der Kunststoffproduktion aquatischen Ökosysteme. Viele dieser chemischen werden verschiedene Stoffe verwendet, die als Verbindungen können, selbst wenn sie keine akuten Xenoöstrogene wirken, wie Alkylphenole (z. B. Wirkungen auf die Organismen haben, über längere Nonylphenol), Phtalate (PVC-Weichmacher) oder Zeiträume chronische Schäden verursachen. Dies Bisphenol-A. Auch wenn die Wirksamkeit dieser gilt besonders für eine Gruppe von Umweltschad- Substanzen oft tausendfach geringer ist als die des stoffen, die seit dem Ende der 60er Jahre zuneh- natürlichen Hormons, darf die Gesamtgefährdung, mende Beachtung findet, die sogenannten Xenobio- die von den bekannten und noch unbekannten tika. Diese Bezeichnung wird auf Umweltschadstof- Xenoöstrogenen ausgeht, nicht unterschätzt fe angewendet, die in das Hormonsystem des Orga- werden. Ein Kernproblem der ökotoxikologischen nismus eingreifen und dessen normale Funktion Untersuchung und Gefahrenabschätzung von Xeno- stören (eine zusammenfassende Darstellung des östrogenen besteht darin, dass potenziell eine Themas geben GÜLDEN et al. 1997, BÄTSCHER et al. Unzahl chemischer Verbindungen als Xenoöstro- 1999 und DGPT 1999). Ein bekanntes Beispiel stellt gene in Frage kommen. Chemische Analysever- das als „anti-fouling-Mittel“ in Schiffsanstrichen fahren allein können daher das Problem nicht lösen, verwendete Tributylzinn dar. Es bewirkt eine Ver- zumal viele Verbindungen ein hohes Potenzial zur männlichung von weiblichen Tieren, indem es deren Bioakkumulation entwickeln können, oder erst durch Hormonproduktion von der Bildung weiblicher Sexu- Metabolisierung im tierischen Organismus in ein alhormone (Östrogene) auf die Bildung männlicher wirksames Xenoöstrogen umgewandelt werden. Sexualhormone (Androgene) umlenkt. Andere Toxische Wirkungen lassen sich aber, unabhängig Xenobiotika sind dagegen für den entgegengesetz- von der chemischen Identität der Verursacher, auf ten Effekt, einer Verweiblichung männlicher Tiere, der biologischen Ebene durch Heranziehung von bekannt geworden. Als in den 80er Jahren die Bioindikatoren aufdecken. In aquatischen Öko- männlichen Alligatoren im Lake Apopka (Florida) systemen sind Fische besonders geeignete Zeiger- schwere Penismissbildungen aufwiesen und die arten, die gegebenenfalls Rückschlüsse auf poten- Nachkommenzahl drastisch zurückging, wurde eine zielle Gefahren für den Menschen erlauben. Kontamination des Wassers mit DDT als Hauptur- sache ermittelt. Insbesondere bestimmte Abbaupro- 6 Hormone dukte des DDT sind inzwischen dafür bekannt, dass Untersuchungen an Brassen im Niederrhein ihre Wirkung Ähnlichkeiten mit der Wirkung natür- licher Östrogene aufweist und so eine Verweib- und in der Wahnbachtalsperre lichung verursachen kann. Derartige östrogenähn- In den hier vorgestellten Untersuchungen wurde als liche Schadstoffe werden als Xenoöstrogene Zeigerart der Brassen (Brachse, Blei, Abramis bezeichnet. Sie haben in den letzten Jahrzehnten brama) gewählt, um exemplarisch die Situation der die Aufmerksamkeit der Wissenschaft und Öffent- Fischbestände des Niederrheins auf dem Gebiet lichkeit erlangt. Dies nicht zuletzt deshalb, weil der Nordrhein-Westfalens beurteilen zu können. Auch Verdacht besteht, sie könnten mit einer weltweit das Umweltbundesamt hat diese Fischart im Rah- beobachteten Zunahme von Missbildungen der men des Biomonitorings „Umweltprobenbank des Fortpflanzungsorgane und den tendenziell sinken- Bundes“ als Akkumulationsindikator ausgewählt. In den Spermienzahlen von Männern im Zusammen- einem hoch industrialisierten Land wie Nordrhein- hang stehen. Westfalen sind solche Untersuchungen an Fisch-

299 populationen als besonders relevant einzuschätzen • Zellschäden durch gen- bzw. zelltoxische Sub- (LEHMANN & STÜRENBERG 1998). Der Brassen ist im stanzen wurden nicht festgestellt. Niederrhein und in vielen Talsperren in NRW ein • Das Geschlechterverhältnis war in den Fängen häufiger Fisch. Die Wahnbachtalsperre, eine Trink- weitgehend ausgewogen. wassertalsperre im Gewässersystem Wahnbach- Sieg-Rhein, dient bei den hier dargestellten Unter- suchungen als unbelastetes „Referenzgewässer“. Vergleich der Hodengewichte Der Niederrhein in Höhe von Mehrum (Flusskilo- Hormonelle Störungen des männlichen Fortpflan- meter 798 – 804) wurde als potenziell belastetes zungssystems können sich in einer Verminderung Gewässer untersucht. Insgesamt wurden über 500 des Hodengewichts niederschlagen. Auch bei Fische in den Monaten März, April, Mai und Juni Laboruntersuchungen mit Xenoöstrogenen sind 1998 gefangen, deren durchschnittliches Alter reduzierte Hodengewichte bzw. Hodengrößen bei zwischen 6 und 8 Jahren lag. Bei ausgewählten Fischen beschrieben worden (WEBSTER et al. 1985, Fischen wurden Blutproben, Lebergewebe und Ge- GIMENO et al. 1998). Wenn man im Rahmen einer schlechtsorgane für spezielle Untersuchungen ent- Feldstudie die Fortpflanzungsorgane von Fischen nommen. Als wichtige Biomarker für östrogen wirk- aus unterschiedlichen Gewässern vergleichen will, same Umweltschadstoffe wurde der Zustand der muss man allerdings berücksichtigen, dass sich Hoden auf Funktionsstörungen untersucht und die deren Gewicht und Aufbau sehr stark im Verlauf des Produktion des Dotterproteins Vitellogenin bei Fortpflanzungszyklus ändern kann. So ist das männlichen Brassen gemessen. Die Produktion von Hodengewicht in der Ruhephase gering, da lediglich Dotter, die normalerweise nur bei weiblichen wenige Stammzellen (Spermatogonien) im Hoden Fischen erfolgt, gilt als ein etablierter Biomarker für zu finden sind. Die Spermatogonien vermehren sich Verweiblichungstendenzen bei männlichen Fischen. mit dem Beginn der Fortpflanzungsphase und ihre Bei der Interpretation von vergleichenden ökotoxiko- Teilungsprodukte (sekundäre Spermatogonien, logischen Untersuchungen an Wildfischbeständen Spermatozyten und Spermatiden) reifen schließlich aus verschiedenen Gewässern ist es grundsätzlich zu Spermien heran. Das Hodengewicht ist in dieser notwendig, die Vergleichbarkeit der untersuchten Phase am höchsten. Die Fortpflanzungszyklen Populationen zu überprüfen. Deshalb wurden ver- können bei Fischen aus verschiedenen Gewässern gleichende populationsgenetische, parasitologische in gewissem Maße zeitlich verschoben sein, so dass und krankheitsbezogene Untersuchungen durchge- daraus Unterschiede im Hodengewicht resultieren führt. Um eine Abschätzung der allgemeinen Schad- würden. Auch daher ist es wichtig, Tiere von mehre- stoffbelastung zu erhalten, wurden Rückstandsana- ren Fangterminen zu untersuchen. lysen in der Rumpfmuskulatur sowie spezielle Untersuchungen auf gen- bzw. zelltoxische Schädi- gungen an beiden Fischbeständen durchgeführt. Als Ergebnis dieser Teilaspekte lässt sich folgendes zusammenfassen:

• Die Rückstandsanalysen der Schadstoffgehalte in der Rumpfmuskulatur haben erwartungs- gemäß bestätigt, dass die Belastung der Rhein- brassen im Vergleich zu den Tieren aus der Tal- sperre hoch ist, obwohl kein Schadstoffwert über der gesetzlich festgelegten Höchstmenge lag.

• Die genetischen Untersuchungen ergaben, dass beide Populationen eng beieinander liegen, so Abb. 1: Mittelwerte des Gonadosomatischen Index dass ein Vergleich dieser Fische zulässig (GSI: Hodengewicht in % des Körperge- erscheint. wichts) für die verschiedenen Fangtermine in der Talsperre und im Rhein. • Die fischkrankheitsbezogenen Daten zeigten (Fehlerbalken: Standardabweichung für den jeweili- auch bei den Rheinfischen keine Auffälligkeiten. gen Fangtermin)

300 Um die Veränderungen des Hodengewichts auch genauer analysiert und in verschiedene Reifestufen bei Fischen mit unterschiedlichem Alter und Körper- eingeteilt werden. Der Hoden der Brassen besteht gewicht vergleichen zu können, bildet man gewöhn- aus Hodenkanälen (Tubuli seminiferi) und dem lich den gonadosomatischen Index (GSI), dessen interstitiellen Gewebe. Das interstitielle Gewebe Wert dem Hodengewicht in Prozent des Körperge- liegt zwischen den Tubuli und enthält die sogenann- wichts entspricht. Abbildung 1 zeigt, dass die Hoden ten Leydig-Zellen, die das männliche Sexualhormon der Brassen aus beiden Vergleichsgewässern im Testosteron produzieren. Ausgehend von einem Zeitraum März/April ansteigende GSI-Werte aufwei- großen Hodenausführgang verzweigen sich die sen. Im Zeitraum Mai/Juni laichen die Tiere ab und Tubuli, die in der Peripherie des Hodens blind die GSI-Werte sinken dementsprechend. Die GSI- enden. Die reifenden Keimzellen bilden ein Keim- Werte der Talsperrenpopulation zeigen dabei einen epithel, das das Innere der Tubuli auskleidet. Bei der wesentlich deutlicheren Phasenverlauf mit höherem für Fische typischen „zystischen Spermatogenese“ Anstieg und steilerem Abfall als die der Rheinpopu- liegen dabei Gruppen von Keimzellen mit gleichem lation. Eine plausible Erklärung für diesen Unter- Entwicklungsstand zusammen innerhalb einer schied kann darin bestehen, dass die Brassenpopu- Zyste, deren Wandung von sogenannten Sertoli- lation im Rhein größer und daher weniger synchron Zellen gebildet wird. Abbildung 2A zeigt einen in ihrem Fortpflanzungsgeschehen ist. Wenn der Hoden in der mittleren Spermiationsphase. In dieser Fortpflanzungszyklus in der Talsperrenpopulation Phase enthält der Hoden alle Zwischenstadien der stärker synchron verläuft, sind hier auch die extre- Keimzellbildung von den Stammzellen (Spermato- meren GSI-Maximal- und Minimalwerte zu erklären, gonien) über Spermatozyten und frühe Spermatiden da dann viele Tiere zeitgleich den Höhe- bzw. Tief- bis hin zu reifen Spermatozoen. Die reifen Sperma- punkt der Spermienproduktion erreichen. Berück- tozoen werden aus den Zysten des Keimepithels sichtigt man diese Verlaufsunterschiede, so lässt entlassen (Spermiation) und liegen dann frei im sich aus den GSI-Werten kein Hinweis auf eine Hodenkanal. Die Abbildung 2B zeigt einen Hoden generelle Verminderung des Hodengewichts in vor der Spermiationsphase, in der noch keine Sper- einem der Gewässer ziehen. mien frei im Hodenkanal zu finden sind. In dieser Phase ist der Hoden noch relativ klein und der GSI- Histologische und durchflusszytometrische Wert entsprechend niedrig. Untersuchungen Die zyklischen Veränderungen im Hoden können Der histologische Vergleich der Brassen aus Rhein durch die mikroskopische Untersuchung der Hoden und Talsperre ermöglichte es zunächst, in beiden 6 Hormone

Abb. 2: Beispiele für unterschiedliche Reifestufen von Brassenhoden innerhalb des Fortpflanzungszyklus. Bild A: Querschnitt durch einen Hodentubulus während der Spermiationsphase. In dieser Phase werden reife Spermien (sp) gebildet und freigesetzt, sie sammeln sich massenhaft im Tubuluslumen an. In den Zysten an der Tubuluswand werden weitere Spermien gebildet (Pfeile). Bild B: Zeitlich früheres Stadium, in dem noch keine reifen Spermien vorkommen. Die Vorläuferzellen der Spermien befinden sich innerhalb der Zysten an der Tubuluswand, das Tubuluslumen ist leer.

301 Populationen diejenigen Tiere zu ermitteln, die die Dementsprechend liefert eine durchflusszytometri- gleiche Reifestufen erreicht haben und sich daher sche Messung von Hodengewebe ein Histogramm für einen genaueren, quantitativen Vergleich heran- mit 3 Peaks, wie sie in Abbildung 3 gezeigt werden. ziehen lassen. Die Lage der Peaks auf der X-Achse markiert dabei den gemessenen DNA Gehalt der Zellen, die Höhe Die quantitative Analyse der Zellpopulationen im der Peaks gibt die Anzahl der Zellen wieder, die im Hodengewebe wurde mit Hilfe der Durchflusszyto- jeweiligen Bereich gezählt wurden. Aus derartigen metrie vorgenommen. Bei dieser Methode werden Histogrammen kann nun z. B. der prozentuale Anteil die Hodenzellen aus dem Gewebeverband gelöst, der haploiden Zellen als Kennwert errechnet und mit einem DNA-Farbstoff markiert und beim Durch- zum Vergleich der Tiere aus verschiedenen Gewäs- fluss durch eine Zählkammer gemessen. Auf diese sern herangezogen werden. Ein solcher Vergleich Weise ist es z. B. möglich, das Zahlenverhältnis von ist nur dann aussagekräftig, wenn er Tiere umfasst, haploiden Zellen und diploiden Zellen zu bestim- die sich in der gleichen Phase des Fortpflanzungs- men. Spermatiden und reife Spermien weisen einen zyklus befinden. Abbildung 4 zeigt einen solchen einfachen Chromosomensatz auf, sind also haploid. Vergleich für Brassen in der Spermiationsphase. Ihre Vorläuferzellen besitzen dagegen noch den Diese Phase entspricht dem in Abbildung 2A darge- doppelten Chromosomensatz, sind also diploid. Im stellten Zustand, in dem der gesamte Hoden aktiv Verlauf der Teilungsschritte und Reifungsprozesse Spermien bildet. Die Effektivität der Spermato- geht dabei stets ein bestimmter Prozentsatz der genese kann durch den Anteil haploider Zellen am Zellen zugrunde. Das Zahlenverhältnis von haploi- Hodengewebe ermittelt werden. Bei den Brassen- den zu diploiden Zellen im Hoden drückt daher die männchen aus der Talsperre liegt der prozentuale Effektivität der Spermatogenese aus. Je höher der Anteil der haploiden Keimzellen bei 53 %, während Anteil der haploiden, also reiferen Zellen ist, desto die Männchen aus dem Rhein mit 47 % einen etwas geringer ist der Verlust an Zellen während der Sper- geringeren Mittelwert erreichen. Dieser geringe mienbildung. Anhand des unterschiedlichen DNA- Unterschied zwischen beiden Gruppen ist statistisch Gehaltes können nicht nur haploide und diploide aber nicht signifikant, kann also nicht als Indiz für Zellen unterschieden werden. Die diploiden Zellen eine Störung der Spermatogenese bei den Tieren können darüber hinaus in Zellen der G1-Phase und aus dem Rhein angesehen werden. Die Effektivität G2-Phase differenziert werden. In Zellen der G2- der Spermienbildung kann daher in beiden Gewäs- Phase ist bereits die Verdoppelung der DNA erfolgt, sern als gleichwertig beurteilt werden. die auf eine Zellteilung vorbereitet.

1c peak (haploide)

2c peak (diploide, G1-Phase)

4c peak (diploide, G2-Phase)

Abb. 3: Histogramm einer durchflusszytometrischen Abb. 4: Anteil haploider Zellen während der mittle- Messung von Hodengewebe. ren Spermiationsphase in Brassenhoden Der haploide 1c Peak gibt die Anzahl der Spermatiden von Tieren aus der Talsperre und dem und Spermien im Hoden wieder. Spermatogonien und Rhein. Spermatozyten sind entsprechend ihrer jeweiligen Zell- zyklusphase im 2c oder 4c Peak gezählt. (Fehlerbalken: Standardabweichung)

302 Eizellen in Brassenhoden aus dem Rhein Hodengewebe eingestreut waren, wie es in Ab- bildung 5 zu erkennen ist. Bei unseren Unter- Ein interessanter Befund, der durchaus im Zusam- suchungen haben wir bisher 42 Brassenmännchen menhang mit Xenoöstrogenen gesehen werden aus der Talsperre und 59 Männchen aus dem Rhein kann, ist das Auftreten von weiblichen Eizellen in makro- und mikroskopisch untersucht. Wir fanden drei Hoden von Brassenmännchen aus dem Rhein. 3 Fälle von Intersex bei Tieren aus dem Rhein und Abbildung 5 zeigt das histologische Bild eines keinen einzigen Fall in der Talsperre. Für die Rhein- solchen Hodens, der große Eizellen enthält. Die Ei- brassen würde dies immerhin einem Prozentsatz zellen entsprechen der Entwicklungsstufe von von 5,1 entsprechen. Bei der insgesamt geringen prävitellogenetischen Oozyten, die noch keinen Anzahl der untersuchten Tiere ist der Unterschied Dotter einlagern und noch nicht befruchtungsfähig zwischen Rhein und Talsperre allerdings nicht sind. Ein derartiger Hoden wird auch als Ovotestis statistisch signifikant. Es werden daher noch mehr (Ovum = Ei, Testis = Hoden) bezeichnet. In der- Tiere untersucht, um den hier angedeuteten Trend artigen Fällen wird häufig der Begriff Intersex ge- weiter zu überprüfen. braucht, da es sich hier nicht um natürliche Herm- aphroditen (Zwitter) handelt. Ein vermehrtes Auftreten von Ovotestes im Rhein könnte durchaus ein Indikator für das Einwirken von Xenoöstrogenen in der Embryonalentwicklung sein und damit eine langfristige Belastung des betreffen- den Gewässers widerspiegeln. Im Prinzip können auch bei adulten Fischen noch Intersex-Phänomene hervorgerufen werden, hierfür sind aber vergleichs- weise höhere Konzentrationen von Östrogenen oder Xenoöstrogenen erforderlich (SHIBATA & HAMA- GUCHI 1988, GIMENO et al. 1998). Xenoöstrogene können dabei entweder direkt auf die Hodenfunktion einwirken, oder aber indirekt, über die hormonelle Gehirn-Hypophysen-Gonaden-Achse. Der indirekte Weg muss wahrscheinlich als der gravierendere angesehen werden. Wie in der Abbildung 7 sche- matisch dargestellt ist, können Xenoöstrogene Abb. 5: Eizellen im Hoden eines Brassen aus dem dabei im Gehirn eine Verminderung der Produktion Rhein. von Gondotropin-Releasing-Hormon (GnRH) bewir- Die Eizellen sind an ihren großen, runden Zellkernen ken. GnRH stimuliert die Synthese und Freisetzung zu erkennen. Sie befinden sich in den Hodentubuli, die zugleich männliche Keimzellen enthalten. In eini- von gonadotropen Hormonen (GTH) der Hirnan- gen der Hodentubuli sind deutlich die dunkel gefärb- hangsdrüse (Hypophyse), die ihrerseits über das ten Spermien (sp) zu sehen, die trotz der Anwesenheit von Eizellen freigesetzt wurden. Blut in den Hoden gelangen und die Hodenfunk- tionen stimulieren. Die GTH-Konzentration kann also durch Xenoöstrogene herabgesetzt werden, 6 Hormone der positive Effekt von GTH auf die Hodenfunk- In einer Untersuchung von SLOOFF und KLOOTWIJK- tionen wird dadurch verringert. Insbesondere VANDIJK (1982) waren 5533 Brassen makroskopisch auf Erscheinungen von Hermaphroditismus unter- während der embryonalen Entwicklungsphase sucht worden. Nur fünf der untersuchten Tiere, also können derartige Störungen zu irreversiblen Ver- 0,09 % waren makroskopisch als Hermaphroditen änderungen der Geschlechtsorgane führen. erkennbar. Bei diesen waren Hoden- und Ovarialge- Zusammenfassend lassen die histologischen und webe in scharf abgegrenzten Teilen der Gonade zu durchflusszytometrischen Untersuchungen zwar finden und es gab keine Vermischung von beiden keine massiven oder umfassenden Störungen der Keimzelltypen. Im Gegensatz zu diesen Befunden Hodenfunktion von Brassen aus dem Rhein erken- lagen Eizellen und Spermien bei den von uns gefun- nen. Dennoch deuten einzelne Fälle von Ovotestis denen Tieren in unmittelbarer Nachbarschaft zuein- auf Veränderungen hin, die möglicherweise mit ander, wobei die Eizellen unregelmäßig in das Xenoöstrogenen im Rhein zusammenhängen.

303 Östrogene, Östrogenrezeptoren und Zelle. Die Östrogene gelangen im Normalfall über Vitellogeninbildung das Blut an die entsprechenden Zellen und diffun- dieren in deren Zellkerne. Dort bindet jeweils ein Östrogene sind weibliche Sexualhormone, deren Östrogenmolekül an einen Östrogenrezeptor, der molekulare Struktur und Wirkung bei allen Wirbel- dadurch in seine aktive Form transformiert wird. In tieren, einschließlich des Menschen, große Überein- der Regel verbinden sich daraufhin zwei besetzte stimmungen aufweisen. Das wichtigste Östrogen ist Rezeptoren zu einem Hormon-Rezeptor-Dimer, das 17β-Östradiol (Abb. 6). Dieses Hormon aus der anschließend an bestimmte Stellen im Genom der Stoffklasse der Steroide wird in identischer Form in Zelle bindet. Durch Bindung an die DNA wird die den Ovarien weiblicher Wirbeltiere vom Fisch bis hin Transkription bestimmter Gene ausgelöst und mes- zum Menschen produziert. senger RNA synthetisiert. Das Endprodukt dieser Signalkaskade ist schließlich ein Protein, das an den Ribosomen im Cytoplasma der Zelle syntheti- siert wird.

Eine der wichtigsten Funktion des Östradiols bei weiblichen Fischen ist die Regulation der Synthese des Proteins Vitellogenin, die in Abbildung 7 verein- Abb. 6: Das weibliche Sexualhormon 17β-Östradiol facht dargestellt ist. Vitellogenin ist die Rohform der – ein Steroidhormon. Dottersubstanz, die während der Reifung in die Eizellen eingelagert wird. Es ist ein Produkt der Entscheidend für die Wirkung eines Hormons ist das Leber, wo es unter Einfluss von Östradiol produziert Vorhandensein eines spezifischen Hormonrezep- wird. In der Phase der Einlagerung von Vitellogenin tors. Hormonrezeptoren sind Proteine, die eine bildet das Ovar verstärkt Östradiol, das über den Bindungsstelle für das Hormon aufweisen und die Blutkreislauf an die Leberzellen gelangt und dort Reaktion einer Körperzelle auf das Hormon vermit- über einen Östrogenrezeptor das Vitellogenin-Gen teln. Daher reagieren stets nur solche Zellen auf aktiviert. Das fertige Vitellogenin wird ins Blut ab- Östrogene, die Östrogenrezeptoren aufweisen. In gegeben, im Ovar aktiv aufgenommen und in die Abbildung 8 ist die Wirkungsweise der Steroid- Eizellen transportiert. hormone schematisch dargestellt. Der Östrogen- rezeptor gehört zu den nukleären Rezeptoren, d. h. Männliche Fische weisen im Normalfall keine er befindet sich im Zellkern einer östrogensensitiven nennenswerten Konzentrationen an Östradiol im

Abb. 7: Zusammenhänge von Östrogenen, Östrogenrezeptoren und Vitellogenin. Bei weiblichen Fischen gelangt Östradiol, das im Ovar produziert wird, über das Blut in die Leber. Es bindet dort an einen Östrogenrezeptor (ER) und induziert so die Bildung von Vitellogenin. Dieses wird über den Blutkreislauf ins Ovar transportiert und dort in den reifenden Eizellen eingelagert. Bei normalen männlichen Fischen treten weder nennenswerte Östrogenmen- gen noch Östrogenrezeptoren oder Vitellogenin auf. Gelangen aber Xenoöstrogene in den männlichen Organismus, so indu- zieren sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit zum natürlichen Östrogen eine Vermehrung der Östrogenrezeptoren in der Leber und die Synthese von Vitellogenin. Letzteres gelangt ins Blut und kann als Indikator für Xenoöstrogene gemessen werden. Darüber hinaus können Xenoöstrogene direkt oder indirekt negativ auf die Hodenfunktion einwirken. Der indirekte Weg führt über das Gehirn und die Hirnanhangsdrüse, wo letztlich die Ausschüttung von gonadotropen Hormonen vermindert wird.

304 feststellen, dass die Konzentration des Östrogen- rezeptors in der Leber sehr schnell ansteigt, wenn Östrogene einwirken. Aus diesem Grund haben wir zusätzlich zum Vitellogenin-Assay im Rahmen dieser Feldstudie auch Untersuchungen zum Östro- genrezeptor im Lebergewebe von Brassen durchge- führt. Abbildung 9 zeigt zunächst die Ergebnisse der Vitel- logenin-Messung. Auffallend ist der Unterschied zwischen der Vitellogeninkonzentration der Männ- chen aus der Talsperre, die einen Mittelwert von 225 µg/l erreichen, während der Mittelwert im Rhein Abb. 8: Wirkungsweise der Östrogene. bei 960 µg/l liegt. Bei den Brassenmännchen aus Östrogene wirken nur auf Zellen, die Östrogenrezep- dem Rhein liegt die Konzentration von Vitellogenin toren (ER) im Zellkern aufweisen. Im Zellkern bindet jeweils ein Östrogenmolekül an einen Östrogenrezep- demnach mehr als vierfach über dem Wert der Tal- tor. Durch diese Bindung wird der Rezeptor in seine sperrentiere. Dieser Unterschied ist statistisch hoch aktive Form transformiert. Zwei transformierte Rezep- signifikant (p<0,01) und damit ein Indiz für eine toren binden anschließend gemeinsam an sogenann- te „estrogen responsive elements“ (ERE) in der DNA Wirkung von Xenoöstrogenen im Rhein. Bei den der Zelle. Dadurch werden bestimmte Gene aktiviert, Weibchen ist der gegenteilige Effekt zu beobachten. d. h. deren spezifische messenger RNA synthetisiert. Im Cytoplasma der Zelle wird diese mRNA schließlich Die Vitellogeninkonzentrationen im Blut der Weib- in ein Protein – zum Beispiel Vitellogenin – übersetzt. chen sind in der Talsperre mit 1737 µg/l etwas höher als bei den Weibchen aus dem Rhein, wo sie im Blut auf und ihre Leber synthetisiert demzufolge Mittel nur 1354 µg/l erreichen. Der Unterschied kein Vitellogenin. Es ist aber seit langem bekannt, zwischen den beiden weiblichen Populationen ist dass auch in der Leber männlicher Fische experi- statistisch nicht signifikant. Im Rhein ergibt sich ins- mentell, durch Östradiol-Injektionen eine Synthese gesamt eine Situation, in der sich die Vitellogenin- von Vitellogenin stimuliert werden kann. Wie Unter- konzentrationen männlicher und weiblichen Tiere suchungen an Forellen zeigten (FLOURIOT 1995), annähern, wobei die Streubreite der Werte sehr werden die männlichen Leberzellen dabei in gewis- groß ist und einzelne Männchen Spitzenwerte er- sem Sinne „umprogrammiert“. Die normale Leber- reichen, die über denen der Weibchen liegen. Dies zelle männlicher Fische enthält nur sehr geringe führt dazu, dass der Unterschied zwischen Männ- Mengen des Östrogenrezeptormoleküls. Die „männ- chen und Weibchen im Rhein nicht mehr statistisch liche“ Leber ist dadurch nur in geringem Maße östro- signifikant ist. gensensitiv. Die Einwirkung von Östrogenen kann aber die Transkription des Östrogenrezeptor-Gens stimulieren und so eine Erhöhung der Östrogen- rezeptor-Konzentration bewirken. Der Östrogen- rezeptor in der Fischleber ist also selbst ein östro- 6 Hormone genabhängiges Protein. Das Hormon induziert auf diese Weise selbst eine Verstärkung seiner Wirkung durch Erhöhung der Rezeptorzahlen.

Welche Effekte sind demnach zu erwarten, wenn Xenoöstrogene auf männliche Fische einwirken?

Durch zahlreiche Untersuchungen ist mittlerweile gezeigt worden, dass die Vitellogeninkonzentratio- nen im Blut männlicher Fische bei einer Belastung Abb. 9: Ergebnisse der Vitellogenin-Messung im des Wassers mit Xenoöstrogenen erhöht sind (siehe Serum z. B. KIME et al. 1999). In Experimenten, die an (Fehlerbalken: Streuung der Maximal- und Minimal- Forellen gemacht wurden, ließ sich darüber hinaus werte; * = p < 0,01)

305 Zu bemerken ist noch, dass die 3 männlichen Tiere aus dem Rhein, die Oozyten im Hoden aufweisen, auch individuell relativ hohe Vitellogeninwerte haben (912, 1523 und 2338 µg/L), die in zwei Fällen noch über dem Durchschnitt der Rheinbrassen lie- gen. In einer englischen Studie an Flundern wurden Ovotestis nur in den männlichen Testpopulationen gefunden, deren Vitellogeninspiegel oberhalb von 100.000 µg/L, also sehr hoch lagen (MATTHIESSEN et al. 1998). Hier waren aber die individuellen Vitello- geninwerte der Intersex-Tiere eher niedrig oder unterdurchschnittlich erhöht. Da die Ausbildung von Ovotestes wahrscheinlich eher auf eine hormonelle Schädigung während der Larvalphase zurückzu- führen ist, muss dieses Symptom durchaus nicht zwingend mit den individuellen Vitellogeninspiegeln der adulten Tiere korrelieren.

Die Ergebnisse der Östrogenrezeptor-Messungen an Lebergewebe männlicher und weiblicher Bras- sen aus Rhein und Talsperre sind in Abbildung 10 zusammengefasst. Wenn man zunächst die Werte Abb. 10: Östrogenrezeptor-Konzentration im Leber- der männlichen und weiblichen Tiere vergleicht, wird gewebe, die bei einer Inkubation mit der oben beschriebene physiologische Unterschied 20 nmol Östradiol gemessen wird zwischen den Geschlechtern deutlich. Während Weibchen im Mittel eine Östrogenrezeptor-Konzen- Möglicherweise weichen die hormonellen Regelpro- tration von 82,4 fmol/mg Protein in den Leberzellen zesse bei Brassen aber auch von den bei Forellen aufweisen, liegen die Mittelwerte der Männchen erhobenen Daten ab. Denkbar wäre, dass eine signifikant niedriger bei 14,5 (Talsperre [n = 20]) bestimmte Östrogenmenge zunächst nur die Trans- bzw. 11,2 (Rhein [n = 20]) fmol/mg Protein. Über- kription des Vitellogenin-Gens bewirkt, während die raschend ist aber, dass der Unterschied in den Reaktionsschwelle des Östrogenrezeptor-Gens bei Vitellogeninwerten der Männchen keine Ent- höheren Östrogenkonzentrationen liegt. In diesem sprechung in den Östrogenrezeptorwerten findet. Fall würden erhöhte Rezeptor-Werte erst bei einer Trotz der erhöhten Vitellogeninwerte ist die Konzen- stärkeren Belastung mit Xenoöstrogenen auftreten. tration der Östrogenrezeptoren bei den Rheintieren nicht erhöht. Zahlenmäßig liegt der Mittelwert sogar unter dem der Talsperre, eine Abweichung, die aber Zur Bedeutung der erhöhten Vitellogenin- nicht statistisch signifikant ist, da die individuellen Werte bei Rheinfischen Werte stark streuen. Offenbar ist die erhöhte Für die hier durchgeführten Untersuchungen kann in Vitellogeninproduktion bei den Tieren im Rhein auf jedem Fall festgehalten werden, dass die Messung der Basis von Östrogenrezeptormengen möglich, von Vitellogenin im Blut männlicher Brassen eine die sich von denen der Talsperrentiere nicht unter- ausgesprochen sensitive und zuverlässige Methode scheiden. zur Indikation von hormonellen Störungen bei männ- Eine mögliche Interpretation dieses Befundes wäre, lichen Fischen darstellt. Allerdings lässt sich das dass die Östrogenrezeptor-Konzentrationen in bei- Ausmaß der Gefährdung anhand der heute vor- den Fischpopulationen bereits über das normale liegenden Daten noch nicht genau abschätzen. Ver- physiologische Maß hinaus erhöht sind, also beide gleiche mit Literaturdaten zeigen, dass eine Vervier- Gewässer gewisse Mengen an Xenoöstrogenen fachung von Vitellogeninkonzentrationen nicht un- aufweisen. Auch in diesem Fall müsste man eine bedingt als gravierend angesehen werden muss. höhere Belastung im Rhein annehmen, die dann zu Bei Untersuchungen an männlichen Forellen einer verstärken Synthese von Vitellogenin führt. wurden in abwasserbelasteten Bereichen durchaus

306 Werte gemessen, die um das 100.000fache und Literatur mehr über den Werten von Kontrolltieren lagen BÄTSCHER, R.; C. STUDER & K. FENT (1999): Stoffe mit endo- kriner Wirkung in der Umwelt. Schriftenreihe Umwelt Nr. 308. (KIME et al. 1999). Es wäre aber verfrüht, daraufhin Hrsg.: Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Ab- eine Entwarnung für den Rhein auszusprechen. wässerreinigung und Gewässerschutz (EAWAG) und Immerhin erreichen die Werte der Männchen dort Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Bern. 71 % des weiblichen Mittelwerts. Auch die Ab- DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR KLINISCHE UND EXPERIMENTELLE weichung der Östrogenrezeptor-Daten von den bei PHARMAKOLOGIE UND TOXIKOLOGIE (DGPT) (1999): Hormonell Forellen gefundenen Verhältnissen macht deutlich, aktive Substanzen in der Umwelt: Xenoöstrogene. DGPT- Forum, Heft 24 dass eine Übertragung der Ergebnisse von einer FLOURIOT, G. (1995): Influence of xenobiotics on rainbow trout Fischart auf die andere nicht ohne weiteres möglich liver estrogen receptor and vitellogenin gene expression. ist. Zieht man weiter das Auftreten von Eizellen in J.Mol.Endocrinol. 15:143-151. FLOURIOT, G.; F. PAKDEL, B. DUCOURET, Y. LEDREAN, & Y. drei Hoden von Rheinbrassen in Betracht, dann VALOTAIRE (1997): Differential regulation of two genes spricht auch dies für eine nicht unerhebliche Ge- implicated in fish reproduction: Vitellogenin and estro- fährdung. In dieser Situation sind weitere Unter- gen receptor genes. Mol.Reprod.Dev. 48:317-323. GIMENO, S.; H. KOMEN, S. JOBLING, J. SUMPTER & T. BOWMER suchungen über die Dosis-Wirkungs-Beziehung von (1998): Demasculinisation of sexually mature male common Östrogenen und Vitellogenin bei Brassen erforder- carp, Cyprinus carpio, exposed to 4-tert-pentylphenol during spermatogenesis. Aquatic Toxicology (Amsterdam) 43: lich. Das Ziel derartiger Untersuchungen ist es, eine 93-109. bestimmte Vitellogenin- und Östrogenrezeptor- Gülden, M.; A. Turan & H. Seibert (1997): Substanzen mit Messung einer Konzentration von Östradiol zu- endokriner Wirkung in Oberflächengewässern. Forschungs- bericht 10 204 279, Umweltbundesamt (UBA) - FB 97-068. zuordnen, die im kontrollierten Experiment die KIME, D.E.; J.P. NASH & A. P. SCOTT (1999): Vitellogenesis as a gleichen Wirkungen hervorruft. Messungen an frei- biomarker of reproductive disruption by xenobiotics. Aquacul- lebenden Brassen könnten dann genutzt werden, ture 177:345-352. um eine noch unbekannte Belastung mit Xenoöstro- LEHMANN, J. & F.-J. STÜRENBERG (1998): Mögliche Beeinträchti- gung der Fortpflanzungspotenz von Fischen durch endokrin- genen gewissermaßen in „Östrogeneinheiten“ zu wirksame Pestizide und Industriechemikalien, LÖBF-Jahres- quantifizieren. Angesichts der potenziellen Gefahr, bericht 1998, S. 157-162. MATTHIESSEN, P.; Y. T. ALLEN, C. R. ALLCHIN, S. W. FEIST, die von hormonell aktiven Schadstoffen auch für M. F. KIRBY, R. J. LAW, A. P. SCOTT, J. E. THAIN & den Menschen ausgeht, halten wir weitergehende K. V. THOMAS (1998): Oestrogenic endocrine disruption Untersuchungen dieser Phänomene für dringend in flounder (Platichthys flesus L.) from United Kingdom estuarine and marine waters. Science Series Techni- geboten. cal Report 107. Lowestoft: Centre for Environment, Fisheries and Aquaculture Science (CEFAS). SHIBATA N. & S. HAMAGUCHI (1988): Evidence for the sexual bipotentiality of spermatogonia in the fish, Oryzias latipes. J.Exp.Zool. 245:71-77. SLOOFF, W. & E. KLOOTIJK-VANDIJK (1982): Hermaphroditism in the bream, Abramis brama (L.). Journal of Fish Diseases 5: 79-81. WEBSTER, P.W.; J. H. CANTON & A. BISSCHOP (1985): Histopa- thological study of Poecilia reticulata (Guppy) after longterm b-hexachlorocyclohexane exposure. Aquatic Toxicology 6: 271-296. 6 Hormone

307 308 7 Gewässerstrukturgüte der Fließgewässer

Gewässerstrukturgüte

7. Gewässerstrukturgüte der Fließgewässer

Prof. Dr. Günther Friedrich & Stefan Meyer-Höltzl (LUA)

Zur Erfassung des vorhandenen Gütezustandes, ausgelegt für die Erfassung von kleinen und mittel- zur Formulierung von Gütezielen und zur Kontrolle großen Gewässern mit Bettbreiten bis ca. 10 m der erzielten Güteverbesserungen ist es erforder- sowie sichtbarer Sohle. lich, die „Gewässerstrukturgüte“ in ähnlicher Weise Unter dem Begriff der Gewässerstruktur werden hier messen, bewerten und kartenmäßig dokumentieren alle räumlichen und materiellen Differenzierungen zu können wie die „biologische Gewässergüte“. Die des Gewässerbettes und seines Umfeldes verstan- Gewässerstrukturgüte soll als allgemein verbind- den, soweit sie hydraulisch, gewässermorpholo- liche Bewertungsgrundlage bei der Gewässer- gisch und hydrobiologisch wirksam und für die öko- renaturierung und der Gewässerentwicklungs- logischen Funktionen des Gewässers und der Aue planung dienen. Sie ist geeignet strukturelle Defizite von Bedeutung sind. Die einzelnen Strukturkompo- aufzuzeigen und Verbesserungen zu dokumentie- nenten können natürlicherweise entstanden, vom ren. Seit Ende 1998 wird in Nordrhein-Westfalen Menschen geschaffen oder in ihrer Entstehung von landesweit die Gewässerstrukturgüte nach dem Menschen hervorgerufen worden sein. LUA-Merkblatt Nr. 14 „Gewässerstrukturgüte in Nordrhein-Westfalen – Kartieranleitung“ erfasst. Es Die Gewässerstrukturgüte ist ein Maß für die ökolo- beruht auf dem landesweit von der LAWA unter gische Qualität der Gewässerstrukturen und der maßgeblicher Beteiligung von NRW erarbeiteten durch diese Strukturen angezeigten dynamischen und erprobten Verfahren (LAWA 1998). Prozesse. Die Gewässerstrukturgüte bewertet die durch diese Strukturen angezeigte ökologische Das Verfahren der Gewässerstrukturgütekartie- Funktionsfähigkeit der Gewässer. rung ist als Planungs- und Entscheidungsgrund- Die Ermittlung der Gewässerstrukturgüte ist ein lage für unterschiedliche Anwendungsbereiche Bewertungsvorgang. Er basiert zunächst auf der aufgebaut. Es soll insbesondere folgenden objektiven und jederzeit nachvollziehbaren Er- Zwecken dienen: hebung von Strukturelementen des Gewässers und ä Erfassung und kartenmäßige Dokumentation seines Umfeldes anhand eines vorgegebenen des vorhandenen Gewässerstrukturgütezu- Parametersystems. Diese Strukturelemente werden standes, der erzielten Verbesserungen (Er- als Einzelparameter bezeichnet. Es handelt sich folgskontrolle) sowie des weiterhin bestehen- dabei um besonders bewertungsrelevante Indika- den Handlungsbedarfs. toren der ökologischen Funktionsfähigkeit von ä Formulierung von Strukturgütezielen, die Fließgewässern. Beispiel: „Laufkrümmung“ und generell oder im Einzelfall zu erzielen oder zu „Breitenvarianz“ sind unterschiedliche Einzelpara- sichern sind. meter. ä Bewertung von geplanten Wasserbaumaß- Je nach Naturraum bzw. menschlichem Einfluss nahmen, Gewässerunterhaltungsmaßnah- sind diese Einzelparameter unterschiedlich ausge- men und Ausgleichsmaßnahmen. prägt. Die Ausprägung wird in definierten Merkmals- reihen abgefragt und als Zustandsmerkmal bezeich- ä Effizienznachweis von ausgeführten Gewäs- net. Beispiel: „gering“ und „sehr hoch“ sind unter- serentwicklungs- und Gewässerrückbau- schiedliche Zustandsmerkmale des Einzelpara- maßnahmen.

meters „Strömungsdiversität“. strukturgüte 7 Gewässer- Die 25 bewertungsrelevanten Einzelparameter sind nach ihren Indikatoreigenschaften gruppiert und den Methode 6 Hauptparametern Laufentwicklung, Längsprofil, Das vorliegende Verfahren ist auf natürliche Sohlenstruktur, Querprofil, Uferstruktur und Gewäs- Fließgewässer anzuwenden. Es ist sowohl in der serumfeld zugeordnet. Landschaft als auch in Siedlungen anwendbar und

311 Die Einzelparameter und ihre Zustandsmerkmale Stand der Gewässerstrukturgütekartierung liefern ein differenziertes Bild der Gewässerstruktur. in Nordrhein-Westfalen Für die Bewertung werden sie in systematischen Im Rahmen der Gewässerstrukturgütekartierung Einheiten zusammengefasst. Es erfolgt eine schritt- erfolgt die mobile elektronische Datenerfassung mit weise Aggregation der Bewertungen von der Hand-Computern (Palm Pilots) durch das Pro- Einzelparameterbewertung über sogenannte funk- grammpaket „Beach GSG“. In erster Priorität sind tionale Einheiten zu einer Bewertung der sechs dazu 142 kleine bis mittelgroße Fließgewässer (bis Hauptparameter und einer Gesamtbewertung. Die ca. 10 m Wasserspiegelbreite) mit einer Fließlänge Bewertungen der sechs Hauptparameter können größer 20 km in NRW ausgewählt worden. Diese auch zu einer Bewertung der Bereiche Sohle, Ufer werden zur Zeit kartiert (Kartierungsmaßstab und Land aggregiert werden. 1 : 25.000). Die Ergebnisse der Kartierung werden Die Bewertung setzt sich zusammen aus einer als thematische Karte im Maßstab 1 : 300.000 als indexgestützten Haupt- und Einzelparameterbe- Landeskarte für Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. wertung und einer Bewertung anhand funktionaler Gleichzeitig ist eine automatisierte Kartenerstellung Einheiten. Beide Bewertungskomponenten werden der Strukturgüte in folgenden Maßstäben möglich im Sinne einer Plausibilitätskontrolle auf Hauptpara- (DV-System Arc View): meterebene vergleichend zusammengefasst. Maßstab 1 : 5.000 – Planungen, Umsetzung von Maßstab der Bewertung ist der heutige potenzielle Maßnahmen z. B. durch Staatliche Umweltämter natürliche Gewässerzustand (hpnG). Das ist der Zustand, der sich nach Auflassung vorhandener Maßstab 1 : 25.000 – Kartierungsmaßstab auf Nutzungen in und am Gewässer und seiner Aue Grundlage der Gewässer- stationierungskarte NRW sowie nach Entnahme aller Verbauungen einstellen würde. Die beste Bewertung (Güteklasse 1) ist an Maßstab 1 : 100.000 – Karte für staatliche Ver- diesem Leitbild ausgerichtet. Da dieser Zustand je waltungsgremien, z. B. Bezirksregierungen, nach Naturraum und Gewässergröße verschieden Staatliche Umweltämter – sein kann, werden für die im wesentlichen zu unter- Aggregation der Strukturgüte scheidenden Gewässertypen verschiedene Be- auf 1000 m wertungsreferenzen, die naturraumspezifischen Maßstab 1 : 300.000 – Landeskarte – Aggregation Leitbilder zugrundegelegt, die in den LUA-Merk- der Strukturgüte auf 1000 m blättern Nr. 16 und 17 (1999) publiziert sind. Maßstab 1 : 1.000.000 – Bundeskarte – Aggregation Die Ermittlung der Gewässerstrukturgüte erfolgt in der Strukturgüte auf 1000 m. Anlehnung an die biologische Gewässergütebe- Zusätzlich wird ein frei variierender Maßstab zur wertung in sieben Stufen, in denen der Grad der Darstellung der Strukturgüte angeboten. Maximal Abweichung von der Klasse 1 „naturnah“ ermittelt können 5 Bänder der Strukturgüte in 100 m Ab- wird (Abb.). Die Bewertungsergebnisse werden in schnitten abgebildet werden und zwar in den Gewässerstrukturgütekarten dargestellt. Bereichen Sohle, Ufer links und rechts, Land links Mit der systematischen Erfassung der Gewässer- und rechts. Die Darstellung von Strukturgütedaten in strukturgüte der Fließgewässer wurde in Nordrhein- kleinmaßstäblichen Karten (< 1 : 100.000) kann Westfalen 1998 begonnen, nachdem im Zuge der dagegen nicht in 100 m Abschnitten erfolgen. Für Methodenentwicklung und Erprobung bereits Kar- die Erstellung von Gewässerstrukturgütekarten in tierungen erfolgt sind. kleineren Maßstäben sind die 100 m Abschnitte nach einer im o. g. Merkblatt vorgegebenen Aggre- gationsvorschrift zu aggregieren und die abzu- bildenden Bänder entsprechend zu reduzieren.

Im Rahmen des Projektes „Nachhaltige Wasser- kraftnutzung in NRW“ des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes Nordrhein-Westfalen sind darüber hinaus für alle

312 Gewässerstrukturgüte

Laufkrümmung Güteklasse 1: naturnah Quersteinbauwerke

Güteklasse 2: Verrohrung

bedingt naturnah

Sohlensubstrat Güteklasse 3:

mäßig beeinträchtigt

Sohlenverbau Güteklasse 4:

deutlich beeinträchtigt Profiltiefe

Güteklasse 5:

Uferbewuchs merklich geschädigt

Güteklasse 6: Uferverbau stark geschädigt strukturgüte 7 Gewässer- Güteklasse 7:

Flächennutzung übermäßig geschädigt

Gewässerrandstreifen

Landesumweltamt NRW 1 Querbauwerke mit einer Absturzhöhe von minde- Für die Erfassung der Querbauwerke sind in zweiter stens 20 cm wesentlich umfangreichere Daten zu Priorität über 230 kleine bis mittelgroße Fließge- erheben. Diese Erhebung dient als Grundlage für wässer mit einem Einzugsgebiet größer 20 km² und eine umfassende ökologische und ökonomische einer Flusslänge größer 10 km durch das LUA in Bewertung und die Erarbeitung von Entscheidungs- Nordrhein-Westfalen ausgewählt worden, die nun hilfen bezüglich Wiederinbetriebnahme ehemaliger gleichzeitig mit der Gewässerstrukturgüte kartiert Wasserkraftnutzungen oder Abriss der betreffenden werden. Querbauwerke. Unter der Federführung des LUA ist von einer Aus verfahrensökonomischen Gründen soll die Arbeitsgruppe für die mittelgroßen bis großen Fließ- detaillierte Erhebung der Querbauwerke in der gewässer (über 10 m Wasserspiegelbreite) eine Regel im Rahmen der landesweiten Gewässer- Kartieranleitung auf der Grundlage der Kartieran- strukturgütekartierung durch die damit beauftragten leitung gemäß dem LUA-Merkblatt Nr. 14 erarbeitet Büros erfolgen. Daher wurde im Auftrag des worden. Die Strukturgütekartierung und Bewertung Landesumweltamtes mit „Beach WKN (Wasserkraft- der mittelgroßen bis großen Fließgewässer wird nutzung)“ ein weiteres Programm für Palm OS- noch in diesem Jahr angestrebt. Organizer entwickelt, mit dem diese Daten erhoben und auf PC gespeichert werden können.

314 8 Ausblick

Rohstoffgewinnung in Flussauen

8.1 Rohstoffgewinnung in Flussauen: Über die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und die Wieder- herstellung auentypischer Lebensräume am Beispiel der Weser

Dr. Norbert Kirchhoff (StUA Minden)

Die ökologischen Folgen des Eingriffs Was im Einzelfall zu tun ist, wird im folgenden am Beispiel der Rohstoffgewinnung an der Weser dar- Die Rohstoffgewinnung in nordrhein-westfälischen gestellt. Flussauen im bisherigen Umfang und in der derzeit praktizierten Art und Weise ist aus ökologischen Neben der intensiven Landwirtschaft und den Gründen nicht verantwortbar, da der Grundsatz Maßnahmen zum Ausbau und zur Unterhaltung der jeder ökonomisch und ökologisch vertretbaren Weser zur Förderung der Schifffahrt mit immer Rohstoffnutzung – das Prinzip der Nachhaltigkeit – größeren Schiffseinheiten stellt auch die Rohstoff- krass verletzt wird. gewinnung eine erhebliche Belastung für die Eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen Flussauen von Weser, Werra und Fulda dar. bedeutet, dass man einer Flusslandschaft nur so Durch den Abbau entstehen tiefe mit Grundwasser viel Sand und Kies entnehmen kann, wie der Fluss gefüllte Löcher in der Aue, die nach Beendigung der selbst durch Ablagerungen infolge von dynamischen Sand- und Kiesausbeute als „offene Wunden“ in der Prozessen wieder neu bilden kann. Landschaft zurückbleiben. Von einer nennenswerten Neubildung von Sand und Kies an den Ufern und Auen nordrhein-westfälischer Die oft postulierte Funktion der Baggerseen als Flüsse kann jedoch beim derzeitigen Zustand der auentypische Ersatzlebensräume ist in der Praxis Gewässer keine Rede sein. Das bedeutet auch, aufgrund von strukturellen Mängeln (Größe, Form, dass die Sand- und Kiesindustrie, die derzeit die Tiefe) und der praktizierten Folgenutzung (Baden, Flussauen unter Verletzung von ökologischen und Angeln, Surfen, Segeln u. a.) in der Regel nicht ökonomischen Grundsätzen im wahrsten Sinne des gegeben. Wortes ausbeutet, sich selbst den Ast absägt, auf Durch die Abgrabung in der Flussaue werden die dem sie sitzt. Schutzgüter Landschaftsbild, Klima, Gewässer, Die grundlegenden Voraussetzungen für eine Boden, Arten und Lebensgemeinschaften erheblich umweltverträgliche Rohstoffnutzung in Flussauen betroffen. sind: Insbesondere die Schutzgüter Gewässer und 1. Die Wiederherstellung einer Gewässerdynamik, Boden werden bei der bisher üblichen Genehmi- die eine Erneuerung von Sand- und Kiesab- gungspraxis meist vernachlässigt. Im Bereich der lagerungen ermöglicht. Abgrabung kommt es durch die Schaffung eines Oberflächengewässers zu einem Verlust der 2. Eine nachhaltige Rohstoffnutzung, d.h. ein so- Regelungsfunktion (z.B. Filterung, Pufferung, fortiger Stop der rasanten Verschleuderung der Speicherung und Regeneration) natürlich gewach- Sand- und Kiesvorkommen. Die z. Zt. nicht sener Aueböden und zu dem Verlust der Lebens- erneuerbaren Bodenschätze sind schonend und raumfunktion für terrestrische Pflanzen und Tiere. verantwortlich zu nutzen. Sie dürfen nur noch für Die Abgrabung zerstört die anstehende geologische spezielle Bauvorhaben verwendet werden, Schichtenfolge und bedeutet sowohl den Verlust wenn andere Baustoffe (z. B. Holz oder Re- des Bodens als nachhaltiges Naturgut, als auch den cyclingprodukte) aus technischen Gründen nicht Verlust eines natur- und landschaftsgeschichtlichen verwendet werden können. Elements und Archivs. Insgesamt führen Abgrabun- 3. Die vorrangige Berücksichtigung ökologischer gen zu einem irreversiblen Totalausfall des vorhan- Erfordernisse, wenn in Flussauen zukünftig denen Bodenpotentials.

noch Rohstoffe gewonnen werden sollen. 8 Ausblick

317 Der Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit Die Bemühungen um den Schutz von Flussauen Diesen Konflikt aufgreifend hat die ARGE Weser sind nicht neu. Auenschutzprogramme oder ähn- 1996 im Rahmen der „Ökologischen Gesamt- liche Aktivitäten der Umweltverwaltungen gibt es planung Weser“ u. a. Vorschläge erarbeitet, um in in vielen Bundesländern, so z. B. auch in NRW Zukunft ein länderübergreifendes einheitliches (Abb. 1). Vorgehen zum Schutz der Weseraue vor einer weiteren unkontrollierten Inanspruchnahme durch Obwohl die politischen Zielvorgaben eindeutig sind, die Sand- und Kiesindustrie sicherzustellen. werden sie bei der Abgrabungspraxis vor Ort nicht beachtet, denn die Abgrabungswirklichkeit an der Weser sieht anders aus (Abb. 2).

Natur 2000 (MURL 1994)

Leitlinien und Leitbilder der Landesregierung NRW für Natur und Landschaft im Jahr 2000

Das Schutzprogramm fordert für die Weser:

Absicherung des derzeitigen ökologischen Zustands der Gewässer, einschl. ihrer Auen

Erhalt und Wiederherstellung naturnaher Gewässerabschnitte und auentypischer Biotope

Erhalt und Wiederherstellung des ursprünglichen Auenreliefs Abgrabungsflächen einschl. der Flutmulden in NRW und Niedersachsen

Naturnahe Rückgestaltung von Gewässern und Auen durch Biotopgestaltung Abb. 1 Abb. 2

318 Die Chance für die Zukunft Zur Ermöglichung einer künftigen umweltverträg- lichen Rohstoffnutzung in Flussauen ist auf der Basis der genannten grundsätzlichen Voraus- setzungen eine Kombination von 3 Einzelschritten erforderlich: 1. Ein länderübergreifender Abgrabungsrahmen- 3. Ein Ausgleich und Ersatz für den nicht ver- plan für die gesamte Flussregion (Abb. 3) meidbaren Eingriff (Abb. 5)

Abgrabungsrahmenplan für Ausgleich und Ersatz die gesamte Weserregion für den Eingriff - von den beteiligten Ländern untereinander abgestimmt - keine isolierte Betrachtung von Einzelvorhaben, sondern falls die Rohstoffgewinnung in - Beurteilung im Gesamtzusammenhang der Weserregion der Aue nicht vermeidbar ist: und ihrer Entwicklungsziele Abgrabungsrahmenpläne sind unverzichtbar zur: A verbindliche Festlegungen zur Biotopgestaltung + Folgenutzung Sicherung und Entwicklung einer naturnahen Flußaue standortgerecht, naturnah, Schaffung eines Ausgleichs zwischen konkurrierenden auentypisch Interessen

Feststellung des tatsächlichen volkswirtschaftlichen B 1 : 1 Ausgleich Bedarfs von Sand und Kies als Ersatz für den irreversiblen Festlegung der naturraumtypischen ökologischen Erfordernisse Verlust einer Auenfläche, insbesondere des Bodenpotentials Lenkung einer umweltverträglichen Rohstoffgewinnung Kauf einer gleichgroßen Auenfläche Erstellung einer auentypischen Herrichtungs- und Entwicklungsplanung durch Unternehmer Herausnahme aus jeder Nutzung nachträglichen Einbindung von ökologisch unzu- Zulassung einer natürlichen Entwicklung Sicherstellung auf unbegrenzte Zeit reichend gestalteten bereits vorhandenen Baggerseen Abb. 3 Abb. 5

2. Eine umfassende Umweltverträglichkeits- prüfung (Abb. 4) Ziel dieses Vorgehens ist die Erhaltung, Wieder- Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) herstellung und Entwicklung einer auentypischen, für Neuabgrabungen und Erweiterungen naturnahen Flusslandschaft bei gleichzeitiger Er- möglichung einer nachhaltigen, umweltverträg- - wichtige Grundlage der Umweltvorsorge - schutzgutbezogene Prüfung einschl. Wechselwirkungen lichen Rohstoffnutzung. - auch Prüfung der Eingriffsvermeidung

Die umfassende Durchführung des UVP-Verfahrens ist unverzichtbar zur:

Darstellung und Bewertung der Auswirkungen

Klärung der Bedarfsfrage

Prüfung von räumlichen Alternativen

Festlegung von Beschränkungen

Prüfung von Vermeidungs- und Substitutions- strategien Ohne eine sachgerechte Berücksichtigung aller Punkte ist die OhneUVP wertloseine sachgerechte und verkommt Berücksichtigung zu einer bloßen Anpassungs-aller Punkte ist die UVPplanung wertlos mit geringem und verkommt und oft zunur einer kosmetischem bloßen Anpassungs- Einfluß. planung mit geringem und oft nur kosmetischem Einfluß.Abb. 4 8 Ausblick

319 Bremen Bremen

Nienburg Nienburg

Minden Minden Abb. 6

Der Vergleich der historischen Flussaue mit der erkennbar, wie neu geschaffene Gewässer in die heutigen zeigt eindrücklich das ganze Ausmaß der Aue integriert werden müssen, um als naturraum- ökologischen Verarmung der derzeitigen Weser- typisch gelten zu können. Sie müssen sich in Größe, landschaft (Abb. 6). Am Beispiel des verschlunge- Form und Tiefe an Altarmschlingen orientieren nen historischen Weserverlaufs, der für den heuti- (Abb. 7 und 8). gen Kiesreichtum in der Aue verantwortlich ist, wird r )

e g e r i n s t d e n s - e

Entwicklungsreihe von Altgewässern i s r n s ä n e s ä s ü a s l ä t r w o k d e a e l e ( i w s n h g e G e s (

c

b m m g a s m s h r r g l ) ß e e c h a w a a n i n e t t h t c g i i a l l e u c l o u n e i H l A A a a s Mäander F D Q T

HHW MW MW A A' Altarm beidseitig angeschlossen

Altarm einseitig geschlossen

Altwasser Schematischer Grundriss und Querschnitt einer Flussaue Schematischer Grundriß und Querschnitt Abb. 7 (aus DVWK-Merkblatt Nr. 219/1991) einerAbb. 8 Flußaue (aus DVWK-Merkblatt Nr. 219/1991)

320 Beim Vollzug der derzeitigen Abgrabungspraxis im Eine Vision von einer zukünftigen naturnahen Wesereinzugsgebiet ist der Baggersee (Abb. 9) Umgestaltung von Flussauen, die so oder ähnlich immer sehr viel größer und tiefer als der benachbar- Wirklichkeit werden könnte, zeigen die Abbildungen te Fluss und kann wegen seiner naturraumfremden 11 und 12. Das Bild aus dem Nationalpark „Unteres Gestalt nicht ökologisch sinnvoll in die Aue integriert Odertal“ bei Schwedt in Brandenburg stellt einen werden. Aspekt des noch weitgehend naturnahen Zustandes der Oderaue dar und dient als Beweis dafür, dass eine von Menschen intensiv bewohnte und gestalte- te Landschaft kein Hindernis für eine ökologisch hochwertige Flusslandschaft sein muss. Altwasser Weser

Tiefe : < 3 m - Baggersee Breite: <- 20-50 m Ökologische Entwicklungs - Szenarien verfüllter Baggersee vorher Tiefe: < 20 m Breite: 200-500 m Abb. 9

Baggersee Dass es auch anders geht, zeigt Abbildung 10. Hier wurde durch die Verfüllung des viel zu großen und tiefen Baggersees mit qualifiziertem Abraum aus der Weser Sand- und Kiesgewinnung, dessen Verwendung eingeengter und kanalisierter Strom mit vielerorts in der Weseraue ein Problem darstellt, ein naturfremden Baggerseen in der Aue, die isoliert sind auentypischer und ökologisch hochwertiger nachher Lebensraum geschaffen. Jetzt kann dieses ehema- lige Abgrabungsgelände bei Fehlen konkurrierender Folgenutzungen und bei der Zulassung entspre- chender Entwicklungsmöglichkeiten tatsächlich zu einem Altarmersatz und somit zu einem integrierten Baggersee Baggersee Bestandteil der Flusslandschaft werden. als Altarm Weser als Altwasser

Flußlandschaft mit dynamischen Aspekten und integrierten Ufern und Auen, Altarmen, Flutmulden, Stromspaltungen etc.

Abb. 11 (aus: Rhine-Econet, 1996; verändert)

Altwasser Weser qualifizierter Abraum

Tiefe : < 3 m - Baggersee Breite: <- 20-50 m verfüllter Baggersee Tiefe: < -20 m Abb. 10 Breite: 200-500 m

Wesentlichstes Kriterium für künftige Ab- grabungsgenehmigungen muss neben dem 1:1- Ausgleich für die Inanspruchnahme der Fläche die verbindliche Festlegung einer auentypi- schen Gestaltung des Abgrabungsgeländes und die naturraumtypische Einbindung in die Fluss- landschaft sein. 8 Ausblick

321 Nationalpark „Unteres Odertal“ Abb. 12 (Foto: Nationalparkverwaltung „Unteres Odertal“)

Der derzeitige ökologische Zustand der Oder kann Literatur: und soll als Beispiel dienen für die künftig geplanten ALBRECHT. J. & KIRCHHOFF, N. (1987): Ökologie der Weser ökologischen Verbesserungen in den Weserauen – Der Fluß als Lebensraum im Wandel der Zeit. aus: und an anderen Flüssen in NRW. Die von manchen Schifffahrt, Handel, Häfen. J. BACHMANN & H. HART- MANN (Hrsg.), J.C.C. BRUNS, Minden 1987. Kreisen geäußerte Befürchtung einer hierdurch bevorstehenden Entvölkerung Mitteleuropas oder DVWK-Merkblätter (1991): Ökologische Aspekte zu Alt- gewässern, Merkblatt Nr. 219/1991. die utopische Beschwörung von Germaniens MURL (1994): Natur 2000 in Nordrhein-Westfalen; Wäldern sowie der bei geplanten Maßnahmen zum Leitlinien und Leitbilder für Natur und Landschaft, Gewässerschutz stets übliche Hinweis auf fehlende überarbeitete Fassung März 1994. Finanzmittel ist sicher überzogen. Bei den für die DGL (1995): Untersuchung, Überwachung und Be- erforderliche ökologische Verbesserung der wertung von Baggerseen; Empfehlungen und Ent- Flusslandschaften erforderlichen Flächen handelt scheidungshilfen der Deutschen Gesellschaft für es sich überwiegend um Überschwemmungsgebie- Limnologie e.V., 1995. te, die ohnehin als Retentionsräume von Bebauung RHINE-ECONET (1996): Ecological networks in river reha- und intensiver landwirtschaftlicher Nutzung frei bilitation scenarios; summary report; Ministry of Agri- gehalten werden sollten, wie die Fotos von kulture, Nature Management and Fisheries; Lelystad, 1996. Hochwasserereignissen der letzten Jahre an Deutschlands Flüssen eindrucksvoll belegen.

322 Grubenwasserkonzept

8.2 Zuviel Salz in der Suppe - Notwendigkeit eines einheitlichen Gruben- wasserkonzeptes für Emscher und Lippe

Dr. Dieter Busch & Dr. Horst Büther (StUA Herten)

Rhein, mittlere Chloridkonzentrationen zwischen „Die Gruben-Wasser, welche bey Erweite- 1.500 – 2.500 mg/l gefunden. Oberhalb der Kläran- rung eines Gebäudes sich mehr und mehr lage Emscher-Mündung lagen die Konzentrations- häufen, sind eine der größten Beschwerlich- schwankungen im Zeitraum 1991 – 1999 im Bereich keiten, die bey dem Bergbau aus dem Weg von 500 – 3.500 mg/l Chlorid. In den Nebengewäs- zu räumen sind. Weswegen ein jeder Berg- sern traten z. T. erheblich höhere Konzentrationen man dahin zu sehen hat, wie er selbige mit auf. In die Lippe wurde 1996 eine Grubenwasser- Stölln abzapfe, oder wie er sie sonst über menge von 20,1 Mio. m³ mit einer Chloridfracht von und unter denen Stölln am füglichsten los ca. 508.000 t abgeleitet. Bei der amtlichen Gewäs- werden kann“. Johann Gottlieb Kern (1772), serüberwachung wurden Chloridkonzentrationen Churfürstlich Sächsischer Edelgestein-Inspektor. zwischen 100 und 1.200 mg/l gemessen, einzelne Konzentrationsspitzen lagen sogar bei 1.400 mg/l.

Durch die Nordwanderung des Bergbaus wird Gemäß dem Konzept der Emschergenossenschaft die Grubenwassereinleitung in die Lippe zu einem (1991) zur Grubenwasserableitung im Emscher- kontinuierlich an Bedeutung zunehmenden ökolo- gebiet werden für die Zukunft bei vergleichmäßigter gischen Problem. Zeitgleich entwickeln sich mit Einleitung der Grubenwässer in der Emscher der voranschreitenden Sanierung des ehemaligen Chloridkonzentrationen um 2.000 – 3.000 mg/l er- Schmutzwassersystems die Grubenwassereinlei- wartet. Die Nebengewässer sollen danach weit- tungen auch in der Emscher und ihren Neben- gehend grubenwasserfrei gehalten werden. Aus- gewässern zu einer entwicklungshemmenden Ein- nahmen sind der Roßbach, der Hüller Bach, der flussgröße. Für das Emschersystem ist zu erwarten, Lanferbach, der Schwarzbach und die Berne, in die dass mit der fortschreitenden Reinigung der einge- zur Erhöhung der Mindestwasserführung weiterhin leiteten Abwässer seitens der Wasserqualität die Grubenwasser eingeleitet werden soll. Hier sind zukünftige Ausbildung einer Fließgewässerbio- Konzentrationen bis zu 8.500 mg/l Chlorid zu erwar- zönose nicht nur durch den Einfluss kommunaler ten. Die Planung der Emschergenossenschaft geht und industrieller Abwässer, sondern durch den Salz- davon aus, dass aus der Nordwanderung des Berg- gehalt und weitere Inhaltsstoffe der Grubenwässer baus keine zusätzlichen Grubenwassereinleitungen limitiert wird. in das Emschersystem stattfinden. Ein aktuelles Konzept des Landes NRW zur Grubenwasserein- Wegen der aktuellen Anträge auf Grubenwasserab- leitung ins Emschersystem besteht bisher nicht. Die leitung in das Emschersystem müssen schon jetzt Lippe und der Wesel-Datteln-Kanal sind für die die Weichen für die künftige ökologische Entwick- zusätzliche Einleitung von Grubenwässern aus der lung der betroffenen Fließgewässer gestellt werden. Nordwanderung des Bergbaus nicht geeignet. Daher muss geklärt werden, welche ökologischen Anforderungen an die zukünftige Grubenwasserein- leitung zu stellen sind, um für das Emschersystem Bergbau und Grubenwässer langfristig eine erfolgreiche biologische Wiederbe- Im Zuge seiner ständigen Nordwanderung verließ siedelung zu ermöglichen. Parallel dazu muss die der Bergbau bereits um 1840 die Ruhrzone im Biozönose der Lippe auf einem niedrigen Salzbe- Süden des Reviers und nahm zwischen 1860 und lastungsniveau stabilisiert werden. 1870 den Grubenbetrieb in der Emscherzone, d. h. Im Jahr 1996 wurden ca. 31,8 Mio. m³ Grubenwas- in der Region Oberhausen, Altenessen, Gelsen- ser mit einer Chloridfracht von ca. 584.000 t in die kirchen, Herne und Castrop auf. Um 1900 erfolgte Emscher abgeleitet. Derzeit werden im Rahmen des eine erste bergwirtschaftliche Erschließung der Untersuchungsprogramms Emscher-PLUS in der Lippezone um Dorsten, Marl und Datteln. Frühe

Emscher, etwa ab Herne bis zur Einmündung in den Steinkohlebergwerke nördlich der Lippe waren die 8 Ausblick

323 Schächte Rabod und Sachsen bei Hamm und Fürst Mit der wachsenden Mächtigkeit des Deckgebirges Leopold und Baldur bei Dorsten, die bereits in der nehmen die Zuflüsse aus den Niederschlägen ab Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden. Die oberen und waren in der Emscher-Lippezone unterhalb der kohleführenden Gesteinsschichten liegen an der wasserabweisenden Mergelschichten des Emscher- Lippe bereits 600 bis 800 m tief und fallen nordwärts horizontes ursprünglich am geringsten. „Diese Ab- bis Münster auf Tiefen um 1.400 m ab (SLOTTA 1991). nahme muss mit der Nordwanderung des Bergbaus Die derzeitig stattfindende, weitere Nordwanderung im Süden des Münsterlandes nicht Bestand haben, geschieht in Form von sogenannten „Anschluss- hier können größere Grubenwasserzuflüsse nicht bergwerken“. Dabei werden von den bestehenden ausgeschlossen werden, die zum Teil aus dem Förderstandorten aus neue Lagerstätten im Norden Süden des Reviers stammen.“ (SLOTTA 1991). In den von Untertage her erschlossen, die bereits be- nördlichen Abbaugebieten stammen die Gruben- stehende Infrastruktur kann weiter genutzt werden. wässer überwiegend aus dem Bereich tektonischer Neu in der Abbauplanung ist derzeit z. B. der Störungen. Die gehobenen Sümpfungswässer wei- Bereich Olfen. sen hier keine engen Korrelationen mit den Nieder- schlagsmengen auf. Der Bergbau muss das ihm untertage zufließende Um die nach Norden einfallenden Flöze für den Wasser ständig abpumpen, um die Kohleförderung Abbau trocken zu halten, ist die Weiterführung der aufrechterhalten zu können. Das zufließende Gru- Wasserhaltung in den alten Abbaubereichen im benwasser ist mehr oder weniger salzhaltig und Süden des Ruhrgebietes erforderlich. Zu diesem ist daher als Brauchwasser nicht geeignet. Die Zweck wurden in den 70er Jahren zentrale Wasser- mechanische Wasserhaltung durch Dampfmaschi- haltungen in der Emscher- und Hellwegzone ein- nen wurde im Jahr 1808 auf der Bochumer Zeche gerichtet, die die Wasserhebung der stillgelegten „Vollmond“ eingeführt. Bereits 1899 mussten für Zechen übernahmen. Diese zentralen Wasserhal- eine Kohleförderung von 55 Millionen Tonnen tungen bilden quasi einen „Puffer“ für die nördlich ca. 170 Mio. m³ Grubenwasser gehoben werden. liegenden, noch in Förderung stehenden Schacht- Derzeit fällt in den nördlichen Abbaugebieten pro anlagen. Tonne geförderter Kohle eine Grubenwassermenge von ca. 1 m³ an (LWA 1986). Chemisch-physikalische Beschaffenheit Die Wasserzuflüsse zu den Kohleschächten im süd- des Grubenwassers lichen Ruhrgebiet stammten überwiegend aus den Mit zunehmender Tiefe weisen die Sümpfungswäs- Niederschlagswässern, die über die zutage treten- ser immer höhere Salzkonzentrationen auf. Die Her- den Schichten und durch das Deckgebirge in die kunft des Salzes wird einerseits aus den Salzlager- Grubenräume eindrangen. Die anfallenden Gruben- stätten des Zechsteines, Röts und Muschelkalks in wassermengen im südlichen Ruhrgebiet sind eng Nord- und Nordwestdeutschland erklärt, in denen mit den Niederschlagsmengen korreliert, die an- das Wasser auf größeren Störungen und Klüften fallende Menge ist vom Rückgang der Steinkohle- zirkuliert und wandert. Anderseits wird das Gruben- förderung unabhängig. Zusätzlich fließen dem wasser als „connate water“, d. h. als fossiles Meer- Kohlebergbau salzhaltige Tiefenwässer und auf- wasser aus dem Porenraum der Sedimente ange- steigende Thermalwasser zu. Das Wasser bewegt sehen. Im deckgebirgsfreien südlichen Ruhrgebiet sich im Gebirge in wasserführenden Horizonten an (Mühlheim-Essen-Dortmund) bestehen die Gruben- tektonischen Störungen entlang und durch das wässer überwiegend aus Hydrogen-Karbonatwäs- Hohlraumsystem, das der Bergbau geschaffen hat. sern, die durch die Niederschläge stark beeinflusst Die im Zuge des Kohleabbaus erfolgte Absenkung werden. In den Schichten darunter, bis ca. 500 m und Beeinträchtigung der hangenden Schichten hat Tiefe, kommen Sulfat-Wässer mit teilweise mehre- weitere Klüfte und Verbindungswege entstehen las- ren g/l Sulfat vor. Diese Sulfate entstehen durch die sen. Mittlerweile sind die einzelnen Grubenbauten Oxidation des im Nebengestein der Flöze häufig durch den flächigen Abbau miteinander verbunden, vorkommenden Pyrit (FeS ). so dass sich das Wasser über zahlreiche Verbin- 2 dungen im Grubengebäude des Ruhrbergbaus über Die eigentlichen, tiefen Grubenwässer im Ruhr- viele Kilometer bewegen kann. revier und damit die wesentlichen Grubenwässer im

324 heutigen Bergbaubereich sind Chloridwässer, deren Bergbau zwischen 700 und 1.000 t. Auf Grund ihrer Belastung überwiegend aus Kochsalz (NaCl) be- geringen Wasserlöslichkeit neigen PCB und Ugilec steht und Konzentrationen über 50 g/l erreichen stark zur Adsorption an feine Feststoffe und damit kann. Zusätzlich liegen in diesen Tiefenwässern zur Akkumulation in den Sedimenten der Gewässer. auch geringere Anteile von Calcium-, Magnesium-, Da die Umweltproblematik durch den Ersatzstoff Barium-, Strontium-, Jod-, Lithium- und Brom- Ugilec nicht behoben werden konnte, wird seit Ende chloriden vor. Der Chloridgehalt der Tiefenwässer der 80er Jahre im Bergbau auf den Einsatz dieser nimmt deutlich von Südost nach Nordwest zu, die Stoffe durch Umstellung auf flüssigkeitsfreie Tech- höchsten Salzkonzentrationen wurden bisher im nologien weitgehend verzichtet. Raum Bottrop-Oberhausen festgestellt (LV 1988). In der wässrigen Phase sind PCBs und Ugilec in Die Grubenwässer weisen entsprechend ihrer der Regel nicht nachweisbar. Beide Stoffgruppen Tiefenlage erhöhte Temperaturen auf. In Einzel- werden aber deutlich in den Fettgeweben von fällen wurden bis zu 60 °C gemessen. Die Sole des Lippefischen angereichert. Beim Vergleich der PCB- Blumenthaler Sprungs in der Zeche Auguste Victoria Konzentrationen in den Schwebstoffen (1997-99) hat eine Temperatur von 55,5 °C. Nach den An- von Lippe, Ruhr und Bocholter Aa (Abb. 1) fallen die gaben der Ruhrkohle AG lagen im Jahr 1987 die hohen Konzentrationen der niedrig chlorierten PCB- Temperaturen der Grubenwässer (über Tage) im Congenere 28 und 52 in der Lippe auf. Die niedrig Lippegebiet zwischen 17,5 und 34 °C (im Mittel bei chlorierten PCB-Congenere sind biologisch relativ 26,5 °C) und trugen so zu einer thermischen leicht abbaubar, daher lassen die festgestellten Gewässerbelastung bei (LV 1988). Konzentrationen auf einen laufenden Neueintrag in das Lippesystem schließen. Auch bei den höher Weitere problematische Grubenwasserin- chlorierten PCBs sind im Vergleich mit der von Sümpfungswässern nicht belasteten Bocholter Aa haltstoffe deutlich höhere Konzentrationen in der Lippe zu Neben den enormen Salzfrachten weisen die Gru- erkennen. Dieser Befund weist ebenfalls auf einen benwässer zusätzlich Kontaminationen mit weiteren weiteren Eintrag von PCBs aus dem Steinkohle- Problemstoffen auf. Hierzu zählen z. B. die früher bergbau hin, andere Quellen sind jedoch nicht aus- als Hydraulikflüssigkeit untertage in großen Mengen zuschließen. Die ebenfalls hohe Belastung der Ruhr eingesetzten Polychlorierten Biphenyle (PCBs). ist auf Grund der Zusammensetzung der Con- Diese sind chemisch äußerst stabil und in der Natur genere auf ältere Belastungseinträge zurückzu- schwer abbaubar. Sie sind toxisch und reichern führen. Die 1988 vom LWA prognostizierte deutliche sich vor allem im Fettgewebe von Organismen an.

Wegen ihrer gesundheitsschädigenden Wirkung mg/kg wurde der Einsatz von PCB-haltigen Produkten 45 weltweit eingeschränkt. Seit 1986 dürfen im Stein- 40 kohlebergbau keine PCBs mehr eingesetzt werden, 35 30 PCB-haltige Geräte oder Einrichtungen durften aber 25 bis zum Ende ihrer technischen Einsatzfähigkeit 20 weiter verwendet werden. Durch Leckagen freige- 15 setzte Hydrauliköle werden über das Grubenwasser 10 oder mit dem übertage anfallenden Kohlenwasch- 5 0 wasser in die Flüsse eingetragen. PCB-28 PCB-52 PCB-101 PCB-138 PCB-153 PCB-180 Seit 1985 wurden im Bergbau Ersatzstoffe für die Bocholter Aa Lippe Ruhr PCBs eingesetzt. Es handelte sich hierbei um tech- nische Gemische aus isomeren Tetrachlorbenzyl- Abb. 1: Mittlere PCB-Konzentrationen in den Ge- toluolen mit dem Handelsnahmen Ugilec 141. Struk- wässerschwebstoffen. Messungen an Trend- turen und chemische Eigenschaften, aber leider messstellen 1997 – 1999. Lippe (unterhalb auch das ökologische Gefährdungspotential, ähneln Sicking-Mühlenbach): n = 9, Ruhr (oberhalb denen der PCBs. Das LWA (1988) nennt für den Baldeneysee): n = 6 und Bocholter Aa (an

Zeitraum 1985 bis 1987 jährliche Verlustmengen im der Landesgrenze: n = 2. 8 Ausblick

325 Reduzierung der Umweltbelastung ist demnach mg/kg (TG) noch nicht eingetreten. 1600 Ba Sr 1400 Der Eintrag von Radionukliden ist ein weiteres Pro- 1200 blem der Grubenwassereinleitungen. Bei der Über- 1000 wachung des Rheines fällt auf, dass im Mündungs- 800 bereich von Emscher und Lippe im Rhein deutlich 600 erhöhte α- und β-Radioaktivitäten vorhanden sind 400 (LWA 1993). Eine detaillierte Analyse auf Einzel- 200 α 0 nuklide ergab, dass die festgestellte -Radioaktivität Bocholter Aa Issel Lippe Ruhr ausschließlich aus den natürlichen Zerfallsreihen Abb. 2: Mittlere Konzentrationen von Strontium und von Uran und Thorium sowie deren Folgeprodukten Barium in Gewässerschwebstoffen. Mes- stammt, die mit den Grubenwässern in die Emscher sungen an Trendmessstellen 1997 – 1999. und Lippe eingetragen werden (LUA 1997). Ein (n = 6-12). Anteil von 90 % der β-Radioaktivität stammt aus dem Zerfall des Isotops Kalium 40 (natürliche Radioaktivität), der Anteil β-Aktivität aus den Gru- Grubenwasserableitungen benwässern wird mit etwa 10 % angegeben. in Emscher und Lippe

Die radioaktiven Isotope neigen dazu, sich im Ge- Emschersystem wässer an Feinpartikel anzulagern und akkumulie- Im Jahr 1988 wurde im Verbandsgebiet der ren sich in den feinen Fraktionen der Sedimente. Bei Emschergenossenschaft an 24 Stellen Grubenwas- Überschwemmungen werden diese Substanzen in ser gehoben (LV 1988). Die Grubenfelder Haltern der Gewässeraue abgelagert und gelangen so in und künftig auch Olfen leiten ihr Grubenwasser landwirtschaftlich genutzte Böden wie z. B. Weide- untertage, die Schachtanlage Ewald Fortsetzung flächen. Für die in die Emscher eingetragenen Be- 1/3 und Westerholt 3 mittels Druckrohrleitung in das lastungen gilt, dass ein erheblicher Anteil der berg- Emschergebiet über (LV 1988). Für das Jahr 1989 baulich bedingten Radioaktivität in der Mündungs- kann nach den Daten der Emschergenossenschaft kläranlage in Dinslaken im Klärschlamm eingelagert davon ausgegangen werden, dass mit den ca. wird. Die Ergebnisse der Schwebstoffuntersuchun- 43,4 Mio. m³ Sümpfungswässern eine Chlorid- gen auf Strontium und Barium in Lippeschweb- menge von ca. 756.200 t in das Emschersystem stoffen im Vergleich mit unbelasteten Gewässern eingeleitet wurde. sind in Abbildung 2 dargestellt. Im wesentlichen wer- Mit der fortschreitenden Reduzierung des Stein- den stabile, nicht zerfallende Isotope von Strontium kohlebergbaus im Emschereinzugsgebiet hat sich und Barium gefunden. Nur ein sehr geringer Anteil sowohl die eingeleitete Grubenwassermenge als der festgestellten Barium- und Strontiumkonzen- auch die Salzfracht verändert. Berechnungen an- trationen besteht aus radioaktiven Isotopen, jedoch hand von Daten der Ruhrkohle-AG für das Jahr kann anhand des Vergleiches der absoluten Kon- 1996 ergeben eine Grubenwassermenge von ca. zentrationen ein Eindruck von der bergbaubeding- 31,8 Mio. m³ mit einer Salzfracht von ca. 584.000 ten radioaktiven Belastungserhöhung gewonnen t/a. Trotz dieser Frachtreduzierung um ca. 20 % lie- werden. In den Schwebstoffen der Lippe liegen gen nach wie vor Salzkonzentrationen im Emscher- deutlich höhere Barium- und Strontiumkonzentratio- system vor, die eine erfolgreiche Entwicklung des nen vor, als in Bocholter Aa und Issel (beide Kreis Flussbiotops zu einem limnischen Lebensraum ver- Borken) oder in der Ruhr. In ihrer Studie schätzen hindern. Die Lage der jeweiligen Einleitungsstellen GANS et al. (1982) die zusätzliche Strahlenbelastung ist in der Abbildung 3 dargestellt. von Personen im Lippegebiet etwa auf 0,5-0,7 mSv, ein Wert, der in etwa 1/10 der natürlichen Strahlen- belastung entspricht. Das Emschergebiet wurde leider nicht untersucht.

326 Wulfen Westfalen 7 Westfalen 1/2 Auguste Fürst Leopold Victoria Lippe Heinrich Werne Robert Schlägel Haard & Eisen Haus Aden Westerholt Prosper Ewald Königsborn Emscher Hugo Blumen- Seseke thal Gneisenau

Franz Consolidation Rhein Haniel Concordia Mathias Zollverein Stinnes Amalie Carolinen- glück < 25.000 t Cl/a > 25.000 < 50.000 t Cl/a > 50.000 t Cl/a Abb. 3: Grubenwassereinleitungen in Emscher- und Lippesystem. Lage der Einleitungsstellen und Größen- ordnung der jeweiligen Einleitungsmengen (1996). (Farbig dargestellt: Einstufung der Gewässergüte nach Kriterien des Saprobiensystems)

Lippesystem Klassifizierung der Salzbelastungen von Für die Lippe liegt derzeit kein aktuelles, detailliertes Fließgewässern und mengenbezogenes Grubenwasserkonzept vor. Die Salzgehalte der Fließgewässer werden sowohl Im Jahr 1988 wurde im Verbandsgebiet des Lippe- durch natürlich vorkommende Salze (geogene verbandes an 18 Stellen Grubenwasser gehoben Herkunft) als auch durch anthropogene Quellen (LV 1988), das teilweise zur Emscher übergeleitet (industrielle und bergbaubedingte Salzableitungen, wird. Andererseits wurden Grubenwässer aus Salzverbrauch in Haushalt und Gewerbe, Streusalz dem Emsgebiet (Zeche Westfalen) bei Hamm zur im Winter) bestimmt. Natürlicherweise liegen in Lippe übergeleitet. Aus der Zusammenstellung der unseren Fließgewässern nur geringfügige Salz- Emschergenossenschaft über die im Jahr 1989 konzentrationen vor, die je nach geologischer durchgeführten Grubenwassereinleitungen in das Formation des Einzugsgebietes schwanken, aber in Lippesystem ergibt sich eine damalige Sümpfungs- der Regel unter 20 mg/l (Chlorid) liegen. Nur in wassermenge von ca. 26 Mio. m³ mit einer Jahres- Regionen, in denen z. B. Salzstöcke oder andere fracht von ca. 528.000 t Chlorid. Über 90 % der Salzvorkommen nahe an der Oberfläche liegen, Chloridfracht in der Lippe stammt aus dem Bergbau. kommt es regional zu höheren Konzentrationen in Für das Jahr 1996 wurden die eingeleiteten Gru- den Gewässern. Normal belastete Gewässer wie benwassermengen anhand von Daten der Ruhr- z. B. Berkel, Dinkel und Stever weisen Chloridkon- kohle-AG ermittelt. Hierbei ergab sich eine Wasser- zentrationen um 50 – 100 mg/l auf. menge von 20,1 Mio. m³ mit einer Jahresfracht von Ziel der physikalisch-chemischen Gewässerüber- ca. 508.000 t Chlorid. Für die Lippe gilt, dass trotz wachung ist, neben der Beschreibung des Ist- der Reduzierung der Sümpfungswassermengen um Zustandes, die Dokumentation der bestehenden ca. 20 %, die Salzfracht auf dem gleichen Niveau Defizite, um daraus rechtliche und technische Maß- verblieben ist. Die Biozönose der Lippe ist durch die nahmen zur Verbesserung der Gewässergüte ab- Salzableitungen stark beeinträchtigt und besteht leiten zu können. Als Maßstab zur Beurteilung der überwiegend aus salztoleranten Arten. Auch die gewonnenen Daten müssen fachlich abgeleitete Lage der Einleitungsstellen in die Lippe ist in Ab- Immissions-Zielvorgaben festgelegt werden, bei bildung 3 dargestellt. deren Einhaltung keine nachteiligen Gewässerbe- einträchtigungen zu erwarten sind. Die Zielvorgaben werden von den verschiedenen Nutzungsaspekten oder Schutzgütern abgeleitet. Die wichtigsten

Schutzgüter sind die aquatischen Lebensgemein- 8 Ausblick

327 schaften, Trinkwasserversorgung, Fischerei sowie 4000

Schwebstoffe und Sedimente. 3500

Im Jahr 1996 wurde durch die Länderarbeitsge- 3000 meinschaft Wasser (LAWA 1997) für eine Reihe von 2500 chemisch-physikalischen Messgrößen eine Gewäs- 2000 sergüteklassifizierung erarbeitet. Analog zur biologi- 1500 schen Gewässergütekarte ist eine siebenstufige Klassifizierung mit vier Hauptklassen und identi- 1000 scher Farbskalierung vorgesehen (Tab. 1). Zielvor- 500 gabe für das Schutzgut „Aquatische Lebensgemein- 0

schaften“ ist jeweils die Güteklasse II („gering be- 02.90 06.90 08.91 12.91 06.92 09.92 03.93 07.93 12.93 05.94 09.94 01.95 05.95 07.95 10.95 03.96 07.96 11.96 10.96 04.97 lastet“), die nach den Vorgaben der LAWA bundes- Lf (mS/m) Cl (mg/l) SO4 (mg/l) weit als Qualitätsziel angestrebt werden soll. Für Chlorid- und Sulfatkonzentrationen wurden jeweils Abb. 4: Verlauf von Salzkonzentrationen und Leit- 50-100 mg/l als Zielvorgabe definiert. Diese Be- fähigkeit vor der Mündungskläranlage in wertungskriterien wurden bereits im Gewässergüte- Dinslaken (Messstelle 14 des Emscher- bericht NRW '96 angewandt. Für die Emscher kann Plus) eine Klassifizierung der Chlorid- und Sulfatbe- lastungen anhand der Daten des Emscher-Projekt Die chemische Klassifizierung der LAWA wurde auf zur Langzeit-Untersuchung des Sanierungserfolges die Chlorid- und Sulfatbelastungen im Emscher- (Emscher-PLUS) erfolgen. system umgesetzt. In Abbildung 5 wird die stromab ansteigende Chloridbelastung des Emschersystems, vor allem durch Grubenwässer, deutlich. An der relativ unbelasteten Emschermessstelle 00 liegt Tab. 1: Chemisches Klassifizierungssystem der eine als natürlich zu bewertende Belastung der LAWA (1997) für Chlorid und Sulfatkonzen- Güteklasse I-II vor. Im Oberlauf der Emscher steigt trationen die Belastung langsam über die Güteklasse II Güteklasse Chlorid/Sulfat (mg/l) (01, 02) auf Güteklasse II-III (uh. KA Dortmund) an. Bis zur Messstelle 06 kommt es durch Grubenwas- I unbelastet < 25 sereinleitungen sehr schnell zu Belastungssituatio- I-II gering belastet < 50 nen der Güteklasse III-IV oder sogar IV, die bis zur II mäßig belastet < 100 Einmündung in den Rhein durchgetragen werden. II-III kritisch versalzen < 200 Von den renaturierten Nebengewässern muss der III stark versalzen < 400 Deininghauser Bach in die GK III (Infiltration aus alter Bergehalde) eingestuft werden. Der Läppkes III-IV sehr starke Versalzung < 800 Mühlenbach kann regelmäßig als mäßig belastet IV übermäßige Versalzung > 800 (GK II oder besser) bewertet werden.

Die Belastungssituation mit Sulfat ist in Abbildung 6 Aktuelle Salzbelastungen zusammengefasst. Für den Oberlauf der Emscher in Emscher und Lippe ergibt sich für die Jahre 1995-99 bis unterhalb der KA Dortmund-Nord regelmäßig eine Einstufung in Emscher die Güteklasse II-III. Am Messpunkt 03 kommt es zu Zwischen 1990 und 1999 lagen die jeweils vor der wechselnden Einstufungen in die Güteklasse II-III Mündungskläranlage in Dinslaken gemessenen oder III. Erst unterhalb der ersten Grubenwasserein- Chloridkonzentrationen im Konzentrationsbereich leitungen (Messpunkt 06) kommt es zu einer regel- zwischen 500 und 3.500 mg/l, wobei sehr starke, mäßigen Belastung der Güteklasse III, die bis zum unregelmäßige Schwankungen feststellbar waren Rhein durchgetragen wird. Auch die Nebengewäs- (Abb. 4). Unter der derzeitigen Belastungssituation ser der Emscher weisen eine deutliche Sulfatbela- ist die Emscher ab dem Mittellauf für Chlorid in die stung auf. Der Oberlauf des Deininghauser Baches chemische Güteklasse IV einzustufen. wird durch die Auswaschungen aus einer alten

328 Recklinghausen Kläranlage

Bottrop Meßstelle Dinslaken Gelsenkirchen Deiningh.Bach (bedingt) naturnah

LUA Schmutzwasserlauf 14 04 03 Boye 06 05 17 07 Emscher 10 08 16 18 Schwarzbach 11 Hüller Bach Rhein Emscher 09 15 13 Berne 12 Dortmund 01

Läppkes MB. 00 02 Duisburg

Bochum Essen

IV > 800 mg/l Chemische Güteklassifizierung III-IV > 400 - 800 III > 200 - 400 der LAWA von 1997 II-III > 100 - 200 Güteklassen für Chlorid II > 50 - 100 95 96 97 98 99 I-II > 25 - 50 I <= 25 0 5 10 15 20 immer unter NWG Jahr 00 - 18 Meßstellen des Emscher-PLUS keine Analytik Maßstab 1: 250 000 LUA Mündungsmeßstelle des LUA

Abb. 5: Chemische Klassifizierung der Chloridbelastung des Emschersystems (1995 – 1999). Daten des Emscher-PLUS und des LUA (Emscher-Mündung).

Recklinghausen Kläranlage

Bottrop Meßstelle Dinslaken Gelsenkirchen Deiningh.Bach (bedingt) naturnah

LUA Schmutzwasserlauf 14 04 03 Boye 06 05 17 07 Emscher 10 08 16 18 Schwarzbach 11 H Rhein Emscher ü 15 09 ller Bach 13 Berne 12 Dortmund 01

L

ä ppkes MB. 00 02 Duisburg

Bochum Essen

IV > 800 mg/l Chemische Güteklassifizierung III-IV > 400 - 800 III > 200 - 400 der LAWA von 1997 II-III > 100 - 200 Güteklassen für Sulfat II > 50 - 100 95 96 97 98 99 I-II > 25 - 50 I <= 25 0 5 10 15 20 immer unter NWG Jahr 00 - 18 Meßstellen des Emscher-PLUS keine Analytik Maßstab 1: 250 000 LUA Mündungsmeßstelle des LUA

Abb. 6: Chemische Klassifizierung der Sulfatbelastung des Emschersystems (1995 – 1999). Daten des Emscher-PLUS und des LUA (Emschermündung).

Bergehalde massiv belastet und liegt regelmäßig in klasse III, in einzelnen Jahren auch III-IV auf. Die Güteklasse IV. Diese hohe Belastung wird bis zur Boye ist überwiegend in die Güteklasse III-IV einzu- Einmündung in die Emscher auf Konzentrationsbe- stufen. Nur die Berne und der ökologisch erneuerte reiche der GK III herabverdünnt. Auch Hüller Bach Läppkes Mühlenbach werden regelmäßig mit Güte-

und Schwarzbach weisen in der Regel die Güte- klasse II-III bewertet. 8 Ausblick

329 Lippe Auswirkungen der Salzbelastungen auf die Eine gewässerseitige Bewertung der Salzbelastung Biozönosen der Lippe erfolgte an den Trendmessstellen Lippe Die Biozönosen unserer Binnengewässer sind bei Hamm-Uentrop, unterhalb des Dattelner Müh- an „Süßwasser“ angepasst. Für viele Arten be- lenbaches bei Datteln und bei Schermbeck (unter- deutet eine zusätzliche Salzbelastung einen erhöh- halb der Grubenwassereinleitungen). In den Jahren ten physiologischen Stress. Organismen, deren 1995 und 1997 schwankten die Chloridkonzentratio- Lebenszyklus Wanderungen zwischen Meer und nen in Uentrop zwischen 35 und 135 mg/l, lagen Binnengewässer umfasst (z. B. Aal und Meer- also in der Regel im Bereich der chemischen Güte- forelle), können diesen Stress recht gut bewältigen. klasse II, im Jahr 1995 erfolgte eine Einstufung in Die meisten reinen Süßwasserorganismen jedoch die GK II-III. Das Ausmaß der Aufsalzung der Lippe geraten mit steigender Salzbelastung schnell an die durch den Steinkohlebergbau ist aus dem Vergleich Grenzen ihrer Überlebensfähigkeit. Mit steigenden der Chloridkonzentrationen bei Uentrop und bei Salzkonzentrationen sterben immer mehr Tier- und Schermbeck zu entnehmen (Abb. 7). Die Messun- Pflanzenarten ab, bis zum Schluss nur noch wenige, gen erfolgten nicht genau zeitgleich, zeigen aber sehr robuste Arten übrigbleiben und kein stabiles trotzdem sehr gut das Ausmaß der Aufsalzung der Ökosystem mehr vorliegt. Aus den limnologischen Lippe durch den Steinbkohlebergbau. Untersuchungen salzbelasteter Fließgewässer 1800 (z. B. Werra und Weser), lassen sich die mit den Schermbeck Uentrop 1600 unterschiedlichen Salzbelastungen zu erwartenden 1400 Besiedlungsbilder ableiten. 1200

1000 l Bei Chloridkonzentrationen von 200 - 400 mg/l

800 sind bereits Änderungen der Besiedlung festzu- 600 stellen. Empfindlichere Arten des Makrozoo- 400 benthos fehlen bereits. Fische sind in der Regel 200 noch nicht betroffen und höherwertige wasser- 0 01.95 04.95 07.95 10.95 01.96 05.96 07.96 09.96 01.97 03.97 06.97 wirtschaftliche Nutzungen sind nur geringfügig beeinträchtigt. Abb. 7: Vergleich der natürlichen Salzbelastung der Lippe bei Uentrop (vor der ersten Gruben- l Unter dem Einfluss von Chloridkonzentrationen wassereinleitung) und bei Schermbeck um 400 – 1.000 mg/l kann sich nur noch eine (unterhalb der letzten Grubenwasserein- Biozönose entwickeln, die hinsichtlich der Arten- leitung). zusammensetzung und Artenzahl merklich redu- ziert ist. Die Fischpopulation ist beeinträchtigt, Zwischen 1990 und 1997 wurden bei Datteln und besonders die Eientwicklung empfindlicher For- bei Schermbeck zwischen 200 und 1.600 mg/l men ist gestört. Chlorid gemessen; wobei bei Schermbeck regel- l Bei Chloridgehalten um 1.000 – 2.500 mg/l be- mäßig die höheren Konzentrationen festgestellt stehen die aquatischen Lebensgemeinschaften wurden. Diese Konzentrationssteigerungen wurden in erster Linie aus salztoleranten Arten mit der durch mehrere Grubenwassereinleitungen verur- Tendenz zu Massenentwicklungen. Im Makro- sacht. Gleichzeitig traten sehr starke, kurzfristige zoobenthos finden sich nur noch wenige Arten Schwankungen der Chloridkonzentrationen auf. Die häufig (z. B. Asellus aquaticus, Dendrocoelum Differenzen zwischen den aufeinander folgenden lacteum). Dominant sind verschiedene halotole- Messungen können durchaus mehr als 1.000 mg/l rante Neozoen (gebietsfremde, überwiegend betragen. Die Auswertung der Chloridkonzentratio- durch menschliche Aktivitäten eingeschleppte nen (90-Perzentil) ergibt für die Lippe bei Scherm- Neubesiedler) wie Gammarus tigrinus, Coro- beck regelmäßig eine Einstufung in die Güteklasse phium multisetosum, Potamopyrgus antipoda- IV. Bei Datteln wird im Wechsel die Güteklasse IV rum, Congeria cochleata oder Corbicula flumi- bzw. III-IV erreicht, wobei dann i. d. R. die Chlorid- nalis. Die Funktionen im Nahrungsnetz werden konzentrationen im oberen Grenzbereich zur Güte- nur unvollständig erfüllt. Die Fischfauna be- klasse IV liegen. schränkt sich auf adulte Individuen besonders

330 toleranter Arten. Eine natürliche Reproduktion der aquatischen Biozönosen bei gleicher Konzen- vieler Arten, insbesondere der Fischfauna, ist trationshöhe deutlich geringer sind, als bei Chlorid. unter einer kritischen Salzbelastung nicht ge- währleistet und die Erkrankungsrate bei den noch vorkommenden Fischarten ist deutlich Voraussetzungen für die Stabilisierung der erhöht. Sämtliche höherwertigen Nutzungen, Lebensgemeinschaften in den grubenwas- auch für landwirtschaftliche Zwecke, sind weit- serbelasteten Gewässern des Emscher- gehend eingeschränkt. Lipperaumes l Gewässerbelastungen mit Chloridkonzentratio- nen über 3.500 mg/l bieten nur noch Brackwas- Aus der „Wasserwirtschaftlichen Konzeption“ des serarten geeignete Lebensbedingungen. Die LWA (1986) und dem „Lippekonzept“ des Lippever- Fischfauna besteht im wesentlichen aus Stich- bandes (1988) lassen sich keine an ökologischen ling und Aal. Die mikrobielle Nitrifikation wird be- Kriterien orientierten Zielvorgaben für zukünftig ein- hindert. Lebensgemeinschaften, die sich unter zuhaltende Salzkonzentrationen ableiten. Aktuelle solchen Bedingungen in den ehemals limni- wissenschaftliche Untersuchungen, z. B. am Weser- schen Flussabschnitten bilden, bestehen in system belegen jedoch, dass die derzeit in Lippe der Regel aus sehr wenigen Arten und sind, vor und Emscher vorliegenden Salzbelastungen zu allem beim Vorliegen anderer Belastungen, empfindlichen Störungen der vorhandenen bzw. sehr instabil. In einigen Nebengewässern der sich zukünftig entwickelnden aquatischen Lebens- Emscher (z. B. Lanferbach) werden diese Kon- gemeinschaften führen. zentrationen auch nach der Umsetzung des Unter der gegenwärtigen Salzbelastung kann in Konzeptes der Emschergenossenschaft weiter der Emscher nicht mit der Ausbildung einer stabi- vorliegen. Auch in einigen salzbelasteten len Süßwasserbiozönose gerechnet werden. Das Nebengewässern der Lippe (z. B. Sickingmüh- Makrozoobenthos der unteren Lippe besteht aus lenbach) werden Chloridkonzentrationen von einer in der Artenzahl deutlich eingeschränkten 3.500 mg/l regelmäßig überschritten. Lebensgemeinschaft aus überwiegend salztole- ranten Arten (BUSCH & BÜTHER 1998). Die starken Salzschwankungen beeinträchtigen zusätzlich die Lebensbedingungen der vorhandenen Organismen. „Im Bereich der Grubenwasserableitungen ist bereits häufig eine Verdrängung der ursprünglichen Lebewelt durch salztolerante Tiere und Pflanzen eingetreten. Durch erhöhte Salzkonzentrationen kommt es vor allem in den Nebengewässern, ...aber auch in der Lippe, zu einer wesentlichen Belastung des ökologischen Systems der Fließgewässer. Kurzfristige starke Schwankungen der Salzkonzen- trationen, hervorgerufen durch diskontinuierliche Einleitungen der Grubenwässer, verstärken die Aus- wirkungen auf die Lebewelt, da sie die Anpassung Abb. 8: Grubenwassereinleitung der Zeche „AU- der Wasserorganismen an die Umweltbedingungen GUSTE VICTORIA“ in den zum hydrauli- erschweren.“ (LWA 1986). schen Gerinne umgestalteten Sicking- Die gegenwärtige Salzbelastung von Emscher und Mühlenbach, einem linksseitigen Neben- Lippe muss deshalb deutlich abgesenkt werden. gewässer der Lippe. Aus ökologischer Sicht vertretbare Chloridkon- zentrationen liegen bei 400 mg/l. Auch unter einer Die ökologischen Auswirkungen von Sulfatbelastun- deutlich reduzierten Salzbelastung können sich in gen sind in der Regel nicht so gravierend. Aus öko- Emscher und Lippe stabile, artenreiche Biozönosen toxikologischer Sicht kann gesagt werden, dass die nur dann ausbilden, wenn verschiedene Randbe-

Effekte von Sulfatbelastungen auf die meisten Arten dingungen eingehalten werden. Diese müssen auch 8 Ausblick

331 in den wasserrechtlichen Anforderungen an die Gru- Maßnahmen zur Senkung der Salzbelastung benwassereinleitungen festgeschrieben werden. von Emscher und Lippe Unter dem Einfluss erhöhter Chloridkonzentrationen Im weiteren Verlauf der Sanierung des Emscher- können sich stabile Süßwasser- bzw. gemischte systems muss grundsätzlich eine möglichst natur- Süßwasser-/Brackwasserbiozönosen nur dann aus- nahe Gewässermorphologie geschaffen werden, bilden, wenn bestimmte Randbedingungen einge- um eine schnelle Wiederbesiedlung des Gewässer- halten sind: systems mit höheren Organismen zu induzieren. l Die Salzkonzentrationen müssen auf einem Hinsichtlich der Sümpfungswässer des Bergbaus stabilen Niveau, mit nur geringen, langzeitigen bieten sich verschiedene Lösungsmöglichkeiten Schwankungen stabilisiert werden; an, für die gegenwärtig aber noch keine genauen l das Gewässer muss hohe Sauerstoffgehalte Kosten-Nutzen-Analysen vorliegen. aufweisen und darf nicht übermäßig erwärmt Die aus ökologischer Sicht beste Möglichkeit zur (Kühlwasser, Grubenwasser) werden; Beseitigung der anfallenden Sümpfungswässer l es darf im Gewässerverlauf keine Ausfällung wäre eine direkte Verbringung (z. B. per Rohr- von Eisenocker bzw. Bariumsulfat stattfinden; leitung) in die Nordsee. Unter dem Gesichtspunkt l es dürfen keine fischtoxischen Stoffe wie Ammo- der Wiederherstellung einer stabilen Süßwasser- nium und Nitrit in erhöhten Konzentrationen vor- biozönose im Emschersystem erscheint die direk- handen sein und te Einleitung der Grubenwässer in den Rhein, z. B. durch eine Grubenwasser-Pipeline oder durch l das Gewässerbett muss morphologisch gut einen Grubenwasserkanal, als zweitbeste Lösungs- strukturiert sein. variante.

Sollte eine direkte Einleitung der gesamten Gruben- wässer in den Rhein (nach erfolgter Kosten-Nutzen- Analyse) aus wirtschaftlichen Gründen nicht möglich sein, müssen die folgenden Maßnahmen bei Direkt- einleitung in die Emscher zur Entwicklung und Auf- rechterhaltung einer stabilen Gewässerbiozönose berücksichtigt werden:

l Die Salzkonzentrationen in der Emscher müs- sen auf ein möglichst niedriges Niveau abge- senkt werden, um den Erfolg der geplanten Sanierung zügig herbeiführen zu können. Daher wäre es notwendig, über geeignete Maßnah- men, z. B. die Separierung einzelner Gruben- wasserströme, nachzudenken. Es wäre z. B. denkbar, die westlich anfallenden Grubenwäs- ser direkt in den Rhein und nur die östlichen in die Emscher zu leiten bzw. stark und schwach belastete Grubenwässer zu entkoppeln. Eine Direkteinleitung der Grubenwässer in den Rhein würde dessen gegenwärtige Salzbelastung nicht verändern.

l Ein sehr wichtiger Punkt, der bereits im Konzept der Emschergenossenschaft berücksichtigt Abb. 9: Einleitungsstelle des Grubenwassers der wurde, ist die vergleichmäßigte Einleitung der Zeche „ZOLLVEREIN“ in die Emscher. Grubenwässer, mit dem Ziel, die Salzkonzen- Deutlich sind Ablagerungen von Eisenocker trationen sowohl in der Emscher als auch in neben der Einleitungsstelle zu erkennen. ihren Nebengewässern stabil zu halten. Es

332 muss jedoch zusätzlich geklärt werden, welchen Zusammenfassung und Ausblick Einfluss der schwankende natürliche Abfluss Sowohl Emscher- als auch Lippesystem weisen der- auf die Schwankungsbreite der Chloridkonzen- zeit eine sehr hohe Salzbelastung auf, die durch die trationen haben wird. eingeleiteten Sümpfungswässer des Steinkohle- l Ebenso wichtig ist die Belüftung des Gruben- bergbaus verursacht wird. Die vorliegenden Be- wassers vor der Einleitung ins Gewässer, die lastungen beeinträchtigen die aquatischen Biozöno- bereits mit technisch geringem Aufwand erreicht sen in der Lippe. In der Emscher wird es unter der werden kann. von der Emschergenossenschaft in ihrem Gruben- wasserkonzept geplanten Salzbelastung auch nach l Für die erhöhten Temperaturen der Grubenwas- der Abwassersanierung nicht zur Ausbildung der für sereinleitungen müssen die gleichen Kriterien einen Flachlandfluss typischen Biozönose kommen. gelten wie für Kühlwassereinleitungen, d. h., es sind ggf. Maßnahmen zur Temperaturabsen- Es besteht dringender Handlungsbedarf, Zielvor- kung anzugleichen. gaben für die zukünftige, auch ökologischen Anfor- derungen entsprechende Entwicklung der Salzbela- l Die Ammonium- und die CSB-Werte dürfen nicht stung beider Fließgewässersysteme zu erarbeiten. höher als bei gereinigtem Kläranlagenabwasser Gerade unter dem Gesichtspunkt der Nordwande- sein. Es muss außerdem verhindert werden, rung des Kohlebergbaus wird auch das Lippe- dass eine Ausfällung von Eisenocker oder system zunehmenden Salzbelastungen ausgesetzt Bariumsulfat im Gewässerverlauf stattfindet. sein. Die vom ehemaligen Landesamt für Wasser- l Die Grubenwasserförderung muss so optimiert und Abfall (jetzt LUA) vorgelegte wasserwirtschaft- werden, dass in den neuen Schachtanlagen mit liche Konzeption zur Nordwanderung des Steinkoh- höher mineralisiertem Grundwasser nur noch lebergbaus enthält hinsichtlich der Ableitung der wenig Grubensole anfällt. Grubenwässer nur allgemein gehaltenen Angaben, die sich nicht in konkrete Zielvorgaben für die einzu- l Kohlewaschwässer und Betriebsabwässer aus haltenden Konzentrationen in Lippe und Neben- der Kohleaufbereitung und Kohleveredelung gewässer umsetzen lassen. Zudem muss vor dem dürfen nur in unschädlicher Form (d. h. mit Hintergrund der ökologischen Umgestaltung des entsprechender Vorbehandlung) in die ober- Emschersystems die Maßgabe der Überleitung der irdischen Gewässer eingeleitet werden. Grubenwässer zur Emscher neu überdacht werden. l Die Lippe ist wegen der bereits bestehenden Auch dem vom Lippeverband (LV 1988) vorgelegten und noch zu erwartenden Wärme- und Salzbe- „Lippekonzept für die Nordwanderung des Ruhr- lastung zu schonen kohlebergbaus“ sind keine Zielvorgaben für die l Das Einzugsgebiet der Ems, des Ijsselmeeres zukünftige Ableitung der Grubenwässer zu entneh- und der Stever sind von Grubenwassereinleitun- men. gen, wegen der Nutzung für die Trinkwasserver- Für eine befriedigende, an den ökologischen For- sorgung, freizuhalten. derungen und Zielvorgaben orientierte Lösung der Grubenwasserproblematik wird deshalb vom Der Vorschlag des LWA (1986), die Grubenwässer Land NRW ein zukunftsorientiertes, übergreifendes wegen ihrer Wärme- und Salzbelastung vor allem Grubenwasserkonzept für Emscher und Lippe er- in die Emscher zu leiteten, muss unter den heute arbeitet. Der Rahmen für dieses Konzept wurde geltenden Bedingungen des ökologischen Rück- vom Landesumweltamt und den Staatlichen Um- baus des Emschersystems neu diskutiert und durch weltämtern Duisburg, Hagen, Lippstadt und Herten Alternativen ersetzt werden. vorgeschlagen. Das Ministerium für Umwelt, Raum- ordnung und Landwirtschaft erteilt auf dieser Grund- lage einen Auftrag zur Erarbeitung verschiedener Grubenwasserableitungsszenarien. Daraus soll dann das am besten an die Anforderungen der Gewässerökologie, der Emscher-Lippe-Region und der Wasserrahmenrichtlinie der EU angepasste

Konzept ausgewählt werden. 8 Ausblick

333 Literatur

BÜTHER, H.; BUSCH, D. (1997): Einfluß von Grubenwasser auf die KERN, J. (1772): Bericht vom Bergbau, Leipzig. Gewässerqualität im Emschersystem. - In: COLDEWEY, W. & LAWA (1997): Zielvorgaben zum Schutz oberirdischer Binnen- LÖHNERT, E. (Hrsg.): Grundwasser im Ruhrgebiet, Probleme, gewässer. Band 1.- Hrsg.: Länderarbeitsgemeinschaft Was- Aufgaben, Lösungen. GeoCongress 3 , Verlag Sven von der ser, Kulturbuchverlag Berlin 1997, 59 pp. Loga. LUA (1997): Rheingütebericht 1995. Landesumweltamt NRW, BUSCH, D.; BÜTHER, H. (1998): Salzbelastete Grubenwässer in Essen, Eigenverlag. den Fließgewässern der Emscher-Lippe-region. DGL, Deut- sche Gesellschaft für Limnologie e.V., Erweiterte Zusammen- LV (1988): Lippekonzept für die Nordwanderung des Ruhrkohle- fassungen der Jahrestagung 1997, Band II, 956-960. bergbaus. Eigendruck des Lippeverbandes, Dortmund.

EMSCHERGENOSSENSCHAFT (1991): Materialien zum Umbau des LWA (1986): Wasserwirschaftliche Konzeption zur Nordwande- Emschersystems Nr. 4, Konzept zur Grubenwasserableitung rung des Steinkohlebergbaus. LWA-Materialien, Landesamt im Emschergebiet, Emschergenossenschaft, Essen, Eigen- für Wasser und Abfall Nordrhein-Westfalen. Eigenverlag, verlag. Düsseldorf.

GANS, I.; FUHRMANN, D.; WELLER, E.; WOLLENHAUPT, H. (1982): LWA (1988): Gewässergütebericht 1987. Eigenverlag, Düssel- Radium in waste water from coal mines and other sources in dorf. the Federal Republic of Germany. In: Vohra et al. (Eds.): Natural radiation environment (Proc. 2nd special Symp. Bom- LWA (1993): Rheingütebericht 1992. Eigenverlag, Düsseldorf. bay 1981, Wiley Eastern Ltd, New Dehli 444-451. SLOTTA, R. (1991): Die Wasserwirtschaft im Bergbau - eine IBA (1989): Internationale Bauausstellung Emscher-Park - Werk- Grundvoraussetzung für die industrielle Entwicklung des statt für die Zukunft alter Industriegebiete. Ministerium für Ruhrreviers. in: Schriftenreihe der Frontinus-Gesellschaft, Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr des Landes Nord- Heft 15, 93-112, Wirtschafts- und Verlagsgesellschaft Gas rhein-Westfalen. und Wasser mbH, Bonn. IBA (1990): Umgestaltung der Wasserläufe - Kurzgutachten und Bewertung. Internationale Bauausstellung Emscherpark GmbH in Zusammenarbeit mit der Emschergenossenschaft Essen, Gelsenkirchen.

334 Endokrine Stoffe

8.3 Endokrin wirksame Stoffe in Oberflächengewässern

Dr. Klaus Vogt (LUA)

Seit Anfang der 90er Jahre häufen sich Presse- zu weiteren Industriechemikalien und Pestiziden meldungen über anomale Effekte der genetischen veröffentlicht (UBA 1999). Entwicklung bei Menschen und Tieren. Als verur- Aufgrund der bundesweit in den Landesum- sachende Substanzen werden Stoffe mit endokriner weltverwaltungen vorliegenden Gewässerüber- Wirksamkeit vermutet, d. h. Substanzen, die in die wachungsergebnissen wurden die Expositionsdaten hormonellen Steuerungsmechanismen von Mensch mit den Wirkdaten verglichen. Auch wenn für eine und Tier eingreifen oder genauer, wie anlässlich Vielzahl von Stoffen keine Monitoringergebnisse eines europäischen Arbeitstreffens im Dezember vorliegen, konnte für drei Stoffe/Stoffgruppen 1996 definiert: Eine Substanz mit Wirkung auf das (Bisphenol A, Nonyl- und Octylphenol und deren Hormonsystem (endocrine disruptor) ist eine endo- Ethoxylate sowie Tributylzinn) eine erhöhte Signi- gene Substanz, die schädliche Gesundheitseffekte fikanz festgestellt werden. Diese Stoffe wurden des- in einem intakten Organismus oder seinen Nach- halb 1999 in das Untersuchungsprogramm des LUA kommen auslöst als Folge von Veränderungen der am Rhein fest integriert; es konnten bisher aber endokrinen Funktionen. keine auffälligen oder erhöhten Konzentrationen Die beobachteten Effekte zeigen im Gegensatz zu nachgewiesen werden. akut toxischen Effekten einige Besonderheiten in Neben den chemischen Untersuchungen zum der Wirkweise. Dies sind insbesondere die extrem Vorkommen dieser als endokrin wirksame Stoffe niedrigen Wirkkonzentrationen am Bestimmungs- eingestuften Stoffgruppe sind auch weitere biolo- ort, das Auftreten zeitlicher Sensibilitätsfenster gische Feldstudien erforderlich. Hierzu zählen z. B. (z. B. während altersabhängiger Reifeprozesse), die Untersuchung von Geschlechterverteilungen verzögerte Wirkungen z. T. über Generationen und aquatischer Lebewesen oder auch die Produktion die Irreversibilität der Wirkung. Neben den haupt- des „weiblichen“ Eidotterproteins Vitellogenin in sächlich verfolgten Effekten mit östrogener („ver- männlichen Fischen. Entsprechende vergleichende weiblichender“) Wirkung lassen sich stoffspezifisch Untersuchungen von Brassen aus der als unbe- auch antiöstrogene, androgene („vermännlichende“) lastet eingestuften Wahnbachtalsperre und aus dem und antiandrogene Wirkungen nachweisen. Niederrhein wurden durch die Fischereidezernate Zur Klärung der Frage, welche synthetischen der LÖBF in Auftrag gegeben (vgl. Kap. 6). Als vor- Substanzen für endokrine Wirkungen in Frage läufiges Endergebnis ist festzuhalten, dass die frei- kommen, wurde vom Umweltbundesamt eine lebenden Brassen aus beiden Gewässern in den Literaturrecherche in Auftrag gegeben, deren Er- meisten untersuchten Punkten vergleichbar waren; gebnisse 1997 vorgestellt wurden (UBA 1997). insbesondere aber die Vitellogenin-Konzentration Danach konnten anhand der wissenschaftlichen war in den männlichen Brassen aus dem Rhein Literatur ca. 200 Chemikalien mit endokriner viermal höher als die der männlichen Brassen aus Wirkung und die für den Wirknachweis verwendeten der Wahnbachtalsperre. Auch wenn die bisher vor- Untersuchungsmethoden beschrieben werden. liegenden Untersuchungen noch keine endgültige Insgesamt kann für diese 200 Substanzen keine Aussage zulassen, ist das erhöhte Auftreten des erkennbare, gemeinsame Struktur-Wirkungsbe- „weiblichen“ Eiweißes in männlichen Rheinbrassen ziehung erkannt werden und es ist überschlägig als Alarmsignal zu sehen und muss weiter verfolgt davon auszugehen, dass die Wirksamkeit dieser werden. Dies bestätigen auch jüngst publizierte Xenobiotika etwa drei bis vier Zehnerpotenzen unter Ergebnisse des hessischen Landesamts für Umwelt der von natürlichen Hormonen liegt. Einschränkend und Geologie aus Häfen und Altarmen an Rhein und ist auch anzumerken, dass pflanzliche Hormone Main, in denen über deutliche Zusammenhänge (Phytohormone) und künstliche Hormone (z. B. Anti- zwischen der Tributylkonzentration im Gewässer- Baby-Pille und Menopausenhormone) nicht Gegen- sediment und dem Vorkommen von geschlechtlich stand der Literaturrecherche waren. Zwischenzeit- extrem frühreifen Barschen (Gonadenhypertrophie)

lich wurde eine weitere aktualisierte Literaturstudie berichtet wurde. 8 Ausblick

335 Insgesamt lässt sich der Sachstand zum diesem Literatur: Thema wie folgt zusammenfassen: UBA (1997): Substanzen mit endokriner Wirkung in Ober- flächengewässern, Texte 46/97, Umweltbundesamt, Berlin l Das Vorkommen von endokrin wirksamen Sub- 1997. stanzen in der Umwelt ist nachgewiesen und UBA (1999): Einstufung von Schadstoffen als endokrin wirksame das Auftreten schädigender Effekte konnte ein- Substanzen, Texte 65/99, Umweltbundesamt, Berlin 1999. deutig beobachtet werden. l Die spezifischen Wirkmechanismen und Ur- sache-Wirkungsbeziehungen sind oft nicht hin- reichend bekannt, die Indizienbeweise nehmen aber ständig zu. l Weitere, möglichst international koordinierte Untersuchungen im Rahmen der Gewässer- überwachung sind erforderlich, insbesondere zum biologischen Effektmonitoring und zu chemischen Expositionsdaten. l Derartig erzielte Ergebnisse sind zur Vorbe- reitung von Vorsorgemaßnahmen und Grenz- werten zu verwenden.

Unabhängig von der fachlichen Bedeutung sollte dieses Kapitel auch aufzeigen, wie ein vor 10 Jahren noch nicht bekanntes Thema zu einem wichtigen Bestandteil der heutigen Gewässerüber- wachungsstrategie werden kann. Bewähren kann sich somit auch künftig nur ein Gewässerüber- wachungssystem, dass sich flexibel auf neue Anforderungen einstellen kann und für das die er- forderlichen Ressourcen bereitgestellt werden können.

336 Arzneimittel

8.4 Arzneimittel in Gewässern

Margret Bonny-Wefers (LUA)

Einführung Gewässer für den insgesamt bedeutendsten Ein- tragspfad. Untersuchungen deuten darauf hin, dass Arzneimittelrückstände aus der Humanmedizin und einige Arzneimittel weder bei den Reinigungsstufen deren Metabolite gelangen zum weitaus größten Teil der Klärwerke noch bei der Trinkwasseraufbereitung über kommunale Kläranlagen in das aquatische eliminiert werden. Daten aus der Literatur und stich- System. Über den Eintragspfad „Boden“ können probenartige Untersuchungen in NRW lassen ver- Arzneimittelrückstände aus Klärschlamm und Gülle, muten, dass einige Wirkstoffe, wie Lipidsenker, die aus der Veterinärmedizin und Futtermittelzu- deren Metabolite und Antiphlogistika ubiquitäre satzstoffen stammen, bis ins Grundwasser und Verbreitung finden. damit ins Trinkwasser gelangen. Daraus resultie- rende mögliche Gefährdungen der Gewässer und Schon die ersten Untersuchungen in NRW be- des Trinkwassers rücken immer mehr in den Blick- stätigen einen offensichtlichen Zusammenhang punkt des öffentlichen Interesses. zwischen der Höhe der Belastung und dem Abwas- seranteil des Gewässers, womit sich der Eintrags- Der Umfang und die Konsequenz des Arzneimittel- pfad „häusliche Abwässer“ bestätigt. eintrags lassen sich nicht abschätzen, bevor nicht die Datenlage sowohl hinsichtlich der analytischen Der Nachweis von Pharmaka lässt vermuten, dass Befunde als auch der Umwelteigenschaften und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch deren zum Teil Umweltwirkungen bekannt sind. hochaktive Metabolite im Gewässer enthalten sind. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Clofibrinsäure, der Metabolit des Lipidsenkers Clofibrat. An diesem Exposition in Gewässern Beispiel zeigt sich, dass ein mikrobiell persistenter Arzneimittel werden in Deutschland in großen Stoff mit einer geringen Sorptionsfähigkeit leicht ins Mengen in der Human- und Veterinärmedizin, aber Grundwasser und somit ins Trinkwasser gelangen auch als Futtermittelzusatzstoff eingesetzt. kann. Im Berliner Trinkwasser wurden bereits 1993 deutliche Konzentrationen von Clofibrinsäure detek- Da in der BRD die pharmazeutische Industrie die tiert. Produktionszahlen nicht veröffentlicht und keine konkreten Zahlen zum Verbrauch publiziert sind, Über den Eintragpfad „Boden“ gelangen auch Vete- bleibt nur die Möglichkeit, die Größenordnung des rinärpharmaka und Futterzusatzstoffe ins Gewäs- Eintrags zu schätzen. Mithilfe des Arzneiverord- ser. Die tierischen Ausscheidungen gelangen als nungsreports der AOK, der „Rote(n) Liste“ und ähn- Gülle oder Mist auf die Felder und belastet Boden lichen Veröffentlichungen lassen sich für eine Viel- und Grundwasser bzw. werden mit dem Boden in zahl der Humanpharmaka Verordnungsmengen von Oberflächengewässer gespült. ca. 1 t/a bis zu Spitzenwerten von über 100 t/a über- schlagsmäßig berechnen. Im Bereich der Veterinär- pharmazie und der Futtermittelzusatzstoffe sind die Wirkung und Bewertung Verbrauchsmengen schwer einschätzbar. Aufgrund der zu erwartenden rechnerischen Höchst- Erste Stichproben in NRW und Messungen in konzentrationen von Arzneimitteln im Gewässer und anderen Bundesländern bestätigen, dass tatsäch- auch beim möglichen Übergang ins Trinkwasser, lich eine Vielzahl von Arzneimitteln und einige ihrer ist eine direkte gesundheitliche Auswirkung auf Metabolite in Kläranlagenabläufen, sowie in Fließ- den Menschen nicht auszuschließen. Die Konzen- gewässern nachweisbar sind. trationen der bislang im Trinkwasser gefundenen Wirkstoffe liegen weit unterhalb der humanthera- Das Umweltbundesamt hält in seinem „Sachstands- peutischen Wirkungsschwelle, sind aber aus trink- bericht zu Auswirkungen der Anwendung von Clofi- wasserhygienischer Sicht nicht akzeptabel. brinsäure und anderen Arzneimitteln auf die Umwelt und die Trinkwasserversorgung“ den Eintrag von Generell besteht die Notwendigkeit, alle chemi-

Humanpharmaka über häusliche Abwässer in die schen Stoffe, deren Anwendungsmuster einen Ein- 8 Ausblick

337 tritt in die Umwelt wahrscheinlich macht, einer Oberflächengewässern, Grundwasser und Trink- Prüfung auf mögliche Umweltrisiken zu unterziehen. wasser vorliegen. Es zeigte sich bereits jetzt, dass Zentrale Kriterien dafür sind die Persistenz der in NRW – wie auch in anderen Bundesländern – ein Wirkstoffe, ihre Bioakkumulierbarkeit und ihre funk- breites Spektrum an Arzneimitteln in Kläranlagen- tionelle Wirkung (z. B. hormonell, reproduktions- abläufen und Oberflächengewässern im µg/l bis toxisch). ng/l-Bereich zu finden ist. Auch im Grundwasser in NRW wird vereinzelt die polare Clofibrinsäure Folgenden Wirkstoffgruppen ist dabei besondere (Metabolit des Lipidsenkers Clofibrat) gefunden. Aufmerksamkeit zu schenken: l Zytostatika, aufgrund der vorhandenen kanzero- Untersuchungen in Sedimenten und Schwebstoffen genen, mutagenen und fötotoxischen Eigen- fanden laut Datenerhebung noch nicht statt. schaften, Einschätzungen zur Ökotoxikologie und Human- toxikologie sind zur Zeit nicht möglich, da man mit l Antibiotika, aufgrund der Möglichkeit zur Resis- ersten orientierenden Versuchen noch am Anfang tenzbildung (Störung von Kläranlagen), steht. Aktivitäten speziell zur Veterinärarzneimittel- l Hormone und Stoffe mit endokriner Wirkung, problematik sind in NRW nicht bekannt. aufgrund funktioneller Wirkung z. B. auf aquati- Im LUA, wie auch in vielen anderen Institutionen in sche Lebensgemeinschaften. NRW, erfolgen intensive Arbeiten im Bereich der Versuche zur Ökotoxizität und Abbauversuche Methodenentwicklung zur Analytik. Das LUA leitet stehen noch am Anfang. Wirkanalysen, d. h. die außerdem zwei Projekte mit externen Instituten mit Ermittlung der Konzentration, bei der keine Wirkung den Schwerpunkten Zytostatika (IUTA – Institut für in der Umwelt zu erwarten ist, sind bisher kaum Energie und Umwelttechnik e.V. Duisburg) und bekannt bzw. veröffentlicht. Antibiotika (Hygiene-Institut der Universität Bonn). Der Umfang und die Konsequenzen des Arznei- mitteleintrags in die Umwelt lassen sich nicht ab- schätzen, solange nicht die Datenlage hinsichtlich Bund-Länder-Ausschuss der Umwelteigenschaften und Umweltwirkungen Ausgelöst durch Anregung der Umweltministerkon- deutlich verbessert wird. ferenz (UMK) fanden bereits einige Aktivitäten zur Erstellung eines bundesweiten Messprogramms Erhebung in NRW statt. Auf der 51. Umweltministerkonferenz im November 1998 wurde der Bund-Länder-Ausschuss Anlässlich der Fachtagung „Arzneimittel in Gewäs- für Chemikaliensicherheit (BLAC) gebeten, „die bis- sern – Risiko für Mensch, Tier und Umwelt?“ her durchgeführten und geplanten Untersuchungs- des Hessischen Umweltministeriums im Juni 1998 programme der Länder zu koordinieren, hieraus wurden von der Umweltbehörde Hamburg in einer konzeptionelle Rahmenbedingungen zu entwickeln „Stellungnahme aus Sicht einer Landesbehörde“ und der 53. Umweltministerkonferenz ein bundes- Forderungen bezüglich der weiteren Vorgehens- weit abgestimmtes Untersuchungsprogramm vorzu- weise gestellt. legen. ....“ Die mehrfach aufgetretenen Forderungen, auf Das Landesumweltamt ist in diesem Bund-Länder- Kenntnisse und Erfahrungen der Länder aufbauend Arbeitskreis vertreten. Er hat inzwischen ein Kon- ein arbeitsteiliges Monitoring und ein angemesse- zept erarbeitet und übernimmt die programmbeglei- nes Risikomanagement durchzuführen, wurde vom tende Koordination unter Federführung des LUA: LUA unterstützt. l Das MURL veranlasste durch das LUA im Frühjahr Konkretisierung der Messstellen 1999 eine erste Datenerhebung in NRW. Eine l Ermittlung der analytischen Möglichkeiten und landesweite Abfrage bei etwa 30 Behörden, Was- Kapazitäten serverbänden, Wasserwerken und Arbeitskreisen l Konkretisierung der Parameter bezüglich des Kenntnisstandes zu „Arzneimitteln im l Konkretisierung der Bestimmungsgrenzen Gewässer“ zeigte, dass bereits erste stichproben- artige Untersuchungen von Kläranlagenabläufen, l Organisation des Ringversuchs

338 l Organisation, Durchführung, Auswertung der grenzen im ng/l-Bereich entwickelt werden. Zur Probenahme und Analytik simultanen Bestimmung mehrerer Verbindungen sind verschiedene Verfahren in Arbeit. Der bundesweite Ringtest wird im März 2000 durch- geführt. Das Messprogramm beginnt im August Als erster Schritt findet immer eine Festphasen- 2000 und erstreckt sich über ein Jahr. anreicherung bei jeweils verschiedenen pH-Werten statt. Über unterschiedliche Derivatisierungsverfah- ren, entsprechend der Verbindungsklasse, werden Analytik sie bei den Analysen mit GC/MS, GC/MS/MS, HPLC/MS oder HPLC-MS-MS detektiert und quanti- Bei der Wahl der zu analysierenden Wirkstoffe fiziert. werden neben Pharmaka mit hohen Verordnungs- mengen auch solche berücksichtigt, die bereits in Metabolite oder Konjugate bereiten in der Wasser- niedrigen Konzentrationen pharmakologisch wirk- analytik besondere Probleme, da sie häufig nicht sam oder toxisch sind. bekannt oder im Chemikalienhandel nicht erhältlich sind, so dass keine Vergleichssubstanz für die Für erste analytische Aktivitäten wurden gezielt Analytik zur Verfügung steht. Darüber hinaus be- Wirkstoffe ausgewählt, die den oben genannten reitet die Eliminierung der häufig polaren Metabolite Auswahlkriterien entsprechen. Diese Stoffe gehören aus dem Wasser Schwierigkeiten. folgenden Indikationsgruppen an:

* Lipidsenker Fazit * Betablocker Durch das gemeinsame Messprogramm des Bund- * Bronchospasmolytika Länder-Ausschusses und durch die Projekte des * Antirheumatika LUA wird bis Mitte des Jahres 2001 die Datenlage bezüglich der Immissionssituation und der Eintrags- * Analgetika pfade deutlich verbessert. * Sexualhormone Die parallel dazu laufenden verschiedenen Aktivi- * Zytostatika täten zur Bewertung der Wirkstoffkonzentrationen in der Umwelt werden weitere Aufschlüsse bringen. Zur quantitativen Erfassung der Wirkstoffe in Ober- flächengewässern, Grundwasser und Trinkwasser Entscheidungen über weitere Vorgehensweisen mussten analytische Methoden mit Bestimmungs- werden auf Grund dieser Erkenntnisse fallen. 8 Ausblick

339

Europäische Wasserrahmenrichtlinie

8.5 Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie

Dr. Klaus Vogt & Prof. Dr. Günther Friedrich (LUA)

Im Bereich des Gewässerschutzes wurde von der in den Anhängen II und V der künftigen Richtlinie Europäischen Union bereits seit 1996 betont, dass festgelegt. für einen nachhaltigen Gewässerschutz der Die größte Bedeutung bei der Einstufung des ökolo- Flickenteppich der seit den siebziger Jahren ein- gischen Zustands kommt dabei den biologischen geführten Richtlinien, Aktionsprogramme und Qualitätskomponenten zu (Tab. 1). Entscheidungen zu inkonsistent sei. Folgerichtig wurde begonnen, einen Gewässerschutzansatz zu Damit enthält der künftige Untersuchungsumfang entwickeln, der die bereits begonnenen Maß- gegenüber der bisherigen biologisch orientierten nahmen integriert und ganzheitlich konsequent fort- Untersuchungspraxis deutlich höhere Anforderun- setzt. Ergebnis dieser international diskutierten gen. Anstrengungen war der Entwurf einer Europäischen Zusätzlich werden bei der Beurteilung des ökolo- Wasserrahmenrichtlinie, der 1997 erstmalig aus- gischen Zustands chemisch-physikalische und formuliert wurde und nach zahlreichen Überarbei- hydromorphologische Qualitätskomponenten hinzu- tungen derzeit Gegenstand intensiver Abschluss- gezogen. beratungen ist. Die chemisch-physikalische Überwachung be- Ziel der Richtlinie ist es, mittelfristig einen zumin- zieht sich – wiederum auf das Beispiel der dest guten ökologischen Zustand aller Gewässer Fließgewässer bezogen – einerseits auf allgemeine (alle Oberflächengewässertypen und Grundwasser) Kenngrößen wie Wassertemperatur, Sauerstoff- im europäischen Bereich zu erreichen. Damit soll haushalt, Salzgehalt, Versauerungszustand und eine ungefährdete Versorgung mit einwandfreiem Nährstoffbedingungen, andererseits auf syntheti- Trinkwasser und Brauchwasser gewährleistet sche und nicht-synthetische spezifische Schad- werden, ohne die notwendige Begrenzung der stoffe. Auswirkungen von Dürren und Überschwemmun- gen zu vernachlässigen. Erstmals auf Ebene der Bei den Letztgenannten wird eine Gruppe von etwa Umweltschutzrichtlinien der EU wird dem Umwelt- 30 Substanzen als EU-weit prioritär festgelegt, die in schutz dabei eine Priorität im Falle konkurrierender der gesamten EU zwingend zu überwachen sind Nutzungen zugewiesen. und deren Konzentrationen auf Werte unterhalb der jeweiligen (europaweiten) Qualitätsziele zu redu- Grundsätzliche Elemente der Richtlinie sind zieren sind. Darüber hinaus sollen auf Ebene der â die integrierte Behandlung von Grund- und Mitgliedsstaaten weitere national bedeutsame Oberflächengewässern, Schadstoffe analog überwacht und reglementiert â das koordinierte Management in Gewässerein- werden. zugsgebieten, Ebenfalls im Anhang V der künftigen Wasser- â die kombinierte Anwendung von Emissions- und rahmenrichtlinie werden die Anforderungen an die Immissionsansatz (combined approach), Überwachungsprogramme und die zugehörigen Untersuchungsmindesthäufigkeiten definiert. Dabei â die Forderung nach preisdeckender Gestaltung ist auffällig, dass die Mindesthäufigkeiten weit unter der Wasserversorgungskosten, den z. B. von der LAWA empfohlenen Unter- â eine weitgehende Konsultation der Öffentlichkeit suchungsfrequenzen liegen und es fragwürdig in Maßnahmeplänen und erscheint, ob damit der in der Wasserrahmenricht- â eine transparente Berichterstattung, linie geforderte „annehmbare Grad der Zuverlässig- keit und Genauigkeit“ erreicht werden kann. um den Ansatz einer nachhaltigen Wasserwirtschaft Insgesamt ist zu erwarten, dass gegenüber der zu konkretisieren und umzusetzen. bisherigen Untersuchungspraxis nur geringe Die Erfordernisse der künftigen europaweiten Veränderungen eintreten werden, sofern nicht

Gewässerüberwachung werden im Wesentlichen nur die Mindestfrequenzen eingehalten werden, 8 Ausblick

341 Tab. 1: Qualitätskomponenten für die Einstufung des ökologischen Zustandes von Flüssen und Seen

Flüsse Seen Biologische Komponenten Zusammensetzung, Abundanz und Biomasse des Zusammensetzung, Abundanz und Biomasse des Phytoplanktons Phytoplanktons Zusammensetzung und Abundanz der sonstigen Zusammensetzung und Abundanz der sonstigen Gewässerflora Gewässerflora Zusammensetzung und Abundanz der benthischen Zusammensetzung und Abundanz der benthischen wirbellosen Fauna wirbellosen Fauna Zusammensetzung, Abundanz und Alterstruktur der Zusammensetzung, Abundanz und Alterstruktur der Fischfauna Fischfauna Hydromorphologische Komponenten in Ergänzung der biologischen Komponenten Wasserhaushalt Wasserhaushalt Menge und Dynamik der Strömung Menge und Dynamik der Strömung Verweildauer Verbindung zu Grundwasserkörpern Verbindung zu Grundwasserkörpern Kontinuität des Flusses Morphologische Bedingungen Morphologische Bedingungen Tiefen- und Breitenvariation Tiefenvariation Struktur und Substrat des Flussbetts Menge, Struktur und Substrat des Bodens Struktur der Uferzone Struktur der Uferzone Chemische und physikalisch-chemische Komponenten in Ergänzung der biologischen Komponenten Allgemein Allgemein Sichttiefe Thermische Bedingungen Thermische Bedingungen Bedingungen für die Sauerstoffanreicherung Bedingungen für die Sauerstoffanreicherung Salzgehalt Salzgehalt Versauerungszustand Versauerungszustand Nährstoffbedingungen Nährstoffbedingungen Spezifische Schadstoffe Spezifische Schadstoffe Verschmutzung durch alle prioritären Stoffe, bei denen Verschmutzung durch alle prioritären Stoffe, bei denen festgestellt wurde, dass sie in den Wasserkörper festgestellt wurde, dass sie in den Wasserkörper eingeleitet werden eingeleitet werden Verschmutzung durch sonstige Stoffe, bei den Verschmutzung durch sonstige Stoffe, bei den festgestellt festgestellt wurde, dass sie in signifikanten Mengen wurde, dass sie in signifikanten Mengen in den Wasser- in den Wasserkörper eingeleitet werden körper eingeleitet werden sondern im Rahmen der landesweiten Gewässer- Darüber hinaus ist die Standardisierung der Metho- überwachung weiterhin qualitätsmäßig annehmbare dik bereits europaweit bei CEN in Bearbeitung. Ergebnisse erzielt werden sollen. Für den ökologischen Zustand gibt die Wasser- Neben den „klassischen“ Komponenten Biologie rahmenrichtlinie ein fünfstufiges Bewertungsver- und Chemie werden bei der Wasserrahmenrichtlinie fahren vor (Tab. 2). Dazu müssen die Gewässer vor- auch hydromorphologische Qualitätskriterien fest- her typisiert werden und für jeden Typ sind die ent- gelegt und bei der Beurteilung der ökologischen sprechenden Referenzzustände (Zustand ohne Qualität berücksichtigt. Auch wenn die Wechsel- anthropogene Einflüsse) für die biologischen, physi- wirkung des Gewässers mit der Aue in der kalisch-chemischen und hydrologischen Parameter Wasserrahmenrichtlinie nicht berücksichtigt wird, festzulegen. Die dazu notwendigen wissenschaft- entspricht das Konzept und die vorgesehene lichen Vorarbeiten sind für die kleinen Flüsse in Überwachung in etwa dem Umfang, der auch in der NRW weitgehend erfolgt, vgl. dazu die LUA- deutschen Gewässerüberwachung vorgesehen ist. Materialien Nr. 17 „Leitbilder für kleine bis mittel-

342 Tab. 2: Normative Begriffsbestimmung zur Einstufung des ökologischen Zustands Allgemeine Begriffsbestimmung für den Zustand von Flüssen, Seen, Übergangsgewässern und Küstengewässern (gemäß Entwurf WRR vom November 1999)

Sehr guter Zustand Guter Zustand Mäßiger Zustand Es sind bei dem jeweiligen Oberflächen- Die Werte für die biologischen Die Werte für die biologischen Qualitäts- gewässertyp keine oder nur geringfügige Qualitätskomponenten des Ober- komponenten des Oberflächengewässertyps anthropogene Änderungen der Werte für flächengewässertyps zeigen geringe, weichen mäßig von den Werten ab, die die physikalisch-chemischen und hydro- anthropogen bedingte Verzerrungen normalerweise bei Abwesenheit störender morphologischen Qualitätskomponenten an, weichen aber nur geringfügig Einflüsse mit dem betreffenden Oberflächen- gegenüber den Werten zu verzeichnen, von den Werten ab, die normaler- gewässertyp einhergehen. Die Werte die normalerweise bei Abwesenheit stören- weise bei Abwesenheit störender geben Hinweise auf mäßige, anthropogen der Einflüsse mit diesem Typ einhergehen. Einflüsse mit dem betreffenden Ober-. bedingte Verzerrungen und weisen signifikant flächengewässertyp einhergehen. stärkere Störungen auf, als dies unter den Die Werte für die biologischen Qualitäts- Bedingungen des guten Zustands der Fall ist. komponenten des Oberflächengewässers entsprechend denen, die normalerweise bei Abwesenheit störender Einflüsse bestehen,und zeigen keine oder nur geringfügige Verzerrungen an. Die typspezifischen Bedingungen und Gemeinschaften sind damit gegeben.

unbefriedigender oder schlechter Zustand Gewässer, deren Zustand schlechter als mäßig ist, werden als unbefriedigend oder schlecht eingestuft Gewässer bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps stärkere Veränderungen aufweisen und die Biozönosen erheblich von denen abweichen, die normalerweise bei Fehlen störender Einflüsse bestehen, werden als unbefriedigend eingestuft. Gewässer bei denen die Werte für die biologischen Qualitätskomponenten des betreffenden Oberflächengewässertyps erhebliche Veränderungen aufweisen und große Teile der Biozönosen fehlen, die normalerweise bei Fehlen störender Einflüsse bestehen, werden als schlecht eingestuft. große Fließgewässer“ und LUA-Materialien Nr. 16 oder ob gegebenenfalls sehr kostenintensive Maß- „Referenzgewässer der Fließgewässertypen NRW“ nahmen erfolgen müssen. Besonders große Sorgfalt ist auch erforderlich, die Während die Grundsätze der künftigen Wasser- einzelnen ökologischen Qualitätsstufen von sehr gut rahmenrichtlinie generell befürwortet werden, sind bis schlecht zu definieren. Diese inhaltlich ausge- eine Reihe fachlicher und politisch-rechtlicher Detail- füllten Definitionen müssen von vornherein bundes- fragen, die in den technischen Anhängen festgelegt weit erarbeitet werden, denn die Gewässertypen werden müssen, noch nicht abschließend geklärt. Nordrhein-Westfalens gibt es natürlich auch in Insbesondere für Deutschland mit seiner föderalen anderen Bundesländern. Zu einem späteren Zeit- Struktur der staatlichen Umweltverwaltung sind für punkt muss über eine Interkalibrierung der europa- die geforderte flusseinzugsgebietsorientierte Was- weite Vergleich der Bewertungsergebnisse gewähr- serwirtschaft noch vielfältige administrative und leistet werden. Es darf nicht passieren, dass ein organisationsrechtliche Fragen, – z. B. zur Bildung Gewässer nach den nationalen Bewertungssystem und Kompetenz der geforderten Flussgebiets- des Staates A anders eingestuft wird als mit dem kommissionen – zu klären. Diese übergeordneten Verfahren des Staates B. Hier stehen nicht nur die Fragestellungen werden länderübergreifend, koordi- Biologen sondern auch die Chemiker und die niert und koordinierend in einer eigens in der LAWA Hydrologen in der Pflicht, durch saubere Konventio- dafür eingerichteten Arbeitsgruppe bearbeitet. nen die Vergleichbarkeit der Bewertungen zunächst innerhalb Deutschlands sicherzustellen. Das wird Als fachlich noch nicht hinreichend geklärt stehen nach aller Erfahrung eine sehr schwierige aber auch Fragen einer europaweit vergleichbaren Aus- sehr reizvolle und verantwortliche Aufgabe. Denn wertungsmethodik sowie zu Ausweisungskriterien letztendlich wird über die Einstufung eine Ent- für und die Bewertung von anthropogen weitgehend scheidung darüber getroffen, ob das Gewässer den veränderten Gewässern (heavily modified water

erstrebten guten ökologischen Zustand erreicht hat bodies) im Vordergrund. Schließlich fehlen auch 8 Ausblick

343 noch standardisierte Methoden für die Auswertung zur künftigen Implementierung der Wasserrahmen- und Beurteilung biologischer und ökologischer richtline sind derzeit Gegenstand zahlreicher Gütemerkmale, z. B. für die Bewertung der Fisch- Veranstaltungen. Nach heutigem Stand (05/2000) ist fauna und ihrer Altersstruktur, der Makrophyten und mit einer Verabschiedung der Richtlinie noch im dem morphologischen Zustand der Oberflächen- Jahr 2000 zu rechnen. gewässer. Die hier nur angeschnittenen Fragen und Dis- kussionspunkte zur fachlichen Konkretisierung und

344 Fotonachweis

Fotonachweis

Kap. 2: B. Eiseler: Abb. 2 Kap. 3.2.6.2: D. Busch: Abb. 1, 3, 4, 5, 6, 9, 12 Kap. 3.1.2: H. Walter: Abb. 1 A. Thiel: Abb. 13 + 15 Kap. 3.1.3: D. Busch: Abb. 1 – 3 Kap. 3.2.7: StUA Lippstadt: Abb. 1-4 Kap. 3.2.1.1: M. Pohlmann: Abb. 1 Kap. 3.3.2: StUA Münster: Abb. 1+2 B. Schwenke: Abb. 16 Kap. 3.3.3: StUA Münster: Abb. 1+3 Kap. 3.2.1.2: M. Brühne, W. Ahrendt: Abb. 1 Kap. 3.4.1: K. Wehking: Abb. 4, 6, 7+11 D. Möller: Abb. 4 StUA Minden: Abb. 3, 5, 9, 10, 12-18 K.-H. Christmann: Abb. 5 Kap.3.4.2: B. Stemmer: Abb. 2 M. Brühne: Abb. 6 H. Späh: Abb. 3 W. Wißen: Abb. 7 Kap. 3.5.1: G. Kalinka: Abb. 1-3 Kap. 3.2.2.1: J. Reifenrath: Abb. 7+8 Kap. 3.5.2: W. Müller: Abb. 1+10 Kap. 3.2.2.2: E. Städtler: Abb. 1+3 Kap. 3.6.1: BR Düsseldorf Lichtbildstelle: Abb. 1 Kap. 3.2.2.3: D. Paulus: Abb. 2-4 G. Barth: Abb. 2 Kap. 3.2.3: B. Jacobs: Abb. 2 Kap. 3.6.2: K. Ostermann: Abb. 2-4 J. Lacombe: Abb. 9 Kap. 4: K.-H. Christmann: Abb. 1-3 Kap. 3.2.4.1: G. Friedrich: Abb. 1 Kap. 4.1: K.-H. Christmann: Abb. 4-6 Kap. 3.2.4.2: D. Paulus: Abb. 1 Kap. 4.3: A. Pardey: Abb. 4+5 Kap. 3.2.5.1: StUA Duisburg: Abb. 10+11 Kap. 5.1: G. Friedrich: Abb. 1 Kap. 3.2.5.2: U. Schmieds: Abb. 1 Kap. 5.2: StUA Minden: Abb. 1-4 R. Beck: Abb. 13 Kap. 7: LUA: Abb. 1 Kap. 3.2.6.1: A. Lorenz: Abb. 1+19 Kap. 8.2: D. Busch: Abb. 8 P. Klausmeier: Abb. 2, 12+18 K. Ostermann: Abb. 9 D. Busch: Abb. 8

345 Gewässergüteberichte und Vorläufer, Sonderberichte

Erscheinungsjahre: 1972 – 1974: Mitteilungen der Landesanstalt für Gewässerkunde und Gewässerschutz: Ergebnisse der Gewässerüberwachung durch Wasserkontrollstationen und das Laborschiff „MAX PRÜSS“. Krefeld, 1/72 (1972) – 2/74 (1974) 15 Ausgaben

1974 – 1979: Mitteilungen der Landesanstalt für Wasser und Abfall Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: LWA, 3/74 (1974) – Oktober 1978 (1979) 11 Ausgaben

1979 – 1981: Mitteilungen des Landesamtes für Wasser und Abfall Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: LWA, November 1978 /1979 – Dezember 1980 (1981) 3 Ausgaben ab 1982: Gewässergütebericht '81. Düsseldorf: LWA 1982 Gewässergütebericht '82. Düsseldorf: LWA 1983 Gewässergütebericht '83. Düsseldorf: LWA 1984 Gewässergütebericht '84. Düsseldorf: LWA 1985 Sedimentuntersuchungen in Fließgewässern, LWA-Schriftenreihe „Wasser und Abfall“ Heft 41. Düsseldorf: LWA 1986 LWA-Sonderbericht: Auswirkungen des Reaktorunfalls in Tschernobyl auf die Gewässer und die Trinkwasserversorgung in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: LWA 1986. 10 S. Gewässergütebericht '85. Düsseldorf: LWA 1986 LWA-Sonderbericht: Brand bei Sandoz und Folgen für den Rhein in NRW. Düsseldorf: LWA 1986. 13 S. Gewässergütebericht '86. Düsseldorf: LWA 1987 Gewässergütebericht '87. Düsseldorf: LWA 1988 Rheingütebericht NRW '88. Düsseldorf: LWA 1989 Gewässergütebericht '89. Düsseldorf: LWA 1990 Rheingütebericht NRW '90. Düsseldorf: LWA 1991 Gewässergütebericht '91. Düsseldorf: LWA 1992 Rheingütebericht NRW '92. Düsseldorf: LWA 1993 Gewässergütebericht NRW '93/'94. Essen: LUA 1996 Rheingütebericht NRW '95. Essen: LUA 1997 Gewässergütebericht NRW '96. Auswertung des Trendmeßprogramms 1990 – 1995. Essen: LUA 1997 Gewässergütebericht NRW '97. Pflanzenbehandlungs- und Schädlingsbekämpfungsmittel in Oberflächen- gewässern – Berichtszeitraum 1987 – 1997. Essen: LUA 1999 30 Jahre Biologische Gewässeruntersuchung in Nordrhein-Westfalen – Ergebnisse und Perspektiven – Sonderbericht. Essen: LUA 2000

346