David Hasenauer

„VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG“ IN ÖSTERREICHISCHEN SCHULGESCHICHTSBÜCHERN SEIT 1955

Die Darstellung von „“, NS-Verbrechen, österreichischem Widerstand und (Nach-)Kriegserinnerungen bis heute

DIPLOMARBEIT

eingereicht an der LEOPOLD-FRANZENS-UNIVERSITÄT INNSBRUCK

zur Erlangung des akademischen Grades MAGISTER DER PHILOSOPHIE

Beurteiler: Univ.-Doz. Mag. Dr. Horst Schreiber

Institut für Zeitgeschichte

Innsbruck, Jänner 2015

Danksagung

Ich möchte mich an dieser Stelle bei all jenen bedanken, die mich während des vergangenen Jahres bei der Erstellung meiner Diplomarbeit begleitet haben. Ohne die tatkräftige Unterstützung, die vielen Motivationshilfen und nicht zuletzt die zahlreichen Tipps wäre meine Arbeit in dieser Form nicht möglich gewesen. Auch wenn hier bei weitem nicht alle Personen genannt werden können, denen ich die Fertigstellung dieser Arbeit verdanke, ist es mir doch ein Anliegen, zumindest einige davon zu nennen:

Besonderer Dank gilt zuerst meinem Betreuer, Herrn Horst Schreiber, für die unkomplizierten Gespräche und Emails sowie die hilfreichen Anmerkungen und wahnsinnig schnellen Korrekturen! Weiters bedanke ich mich bei Frau Claudia Rauchegger-Fischer und Herrn Franz Melichar für die vielen Schulbücher, die sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Ich bedanke mich speziell auch bei meinen Eltern für die Unterstützung während des gesamten Studiums!

Den größten Anteil daran, dass ich die Arbeit während der obligatorischen Motivationskrisen nicht einfach hingeworfen habe, haben aber „meine Mädels“: Ich bedanke mich bei meinen Mitbewohnerinnen Eva Maria, Katharina und Susanne für die Geduld, die Krisengespräche, Süßigkeiten und die Motivationskünste. Außerdem beim „Bibliotheks-Team“ Isabel und Ulrike für die unendlich lustigen Kaffee- und Mittagspausen, den fachlichen Austausch und die moralische Unterstützung. Für die gewinnbringenden Diskussionen bei Kaffee und Schokoladenkuchen sowie die Ablenkungen bedanke ich mich besonders bei Claudia. Meine Schwester Sophia zeichnet sich letztlich für die Layout-Gestaltung verantwortlich – Danke, dass ich mich in der Hinsicht immer auf dich verlassen kann!

Mein größter Dank gilt aber meiner Freundin Anna Lena: Du hast mir nicht nur beim Korrigieren geholfen, sondern mich immer unterstützt und daran geglaubt, dass ich die Arbeit irgendwann auch zu einem Ende bringe. Vielen Dank!

Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG ...... 1

2 THEORIETEIL ...... 5

2.1 Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik ...... 5 2.1.1 Entnazifizierung: Demokratisierung durch Umerziehung ...... 5 2.1.2 Die Opferthese als Gründungsnarrativ ...... 10 2.1.3 Antisemitismus als Bestandteil unbewältigter Vergangenheit am Beispiel der Borodajkewiycz-Affäre 13 2.1.4 Nationalsozialisten in der Regierung: Die politische Reintegration der „Ehemaligen“ und die Debatte rund um die „Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre“ ...... 16 2.1.5 Die Korrosion der Opferthese: Österreichische Vergangenheitsbewältigung von Frischenschlager über Waldheim bis zu Vranitzky ...... 20 2.1.6 Gegenwärtige Vergangenheit? – Vergangenheitsbewältigung heute ...... 31

2.2 Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand ...... 33 2.2.1 Grundlagen der Schulbuchforschung...... 33 2.2.2 Analysekriterien für die Untersuchung österreichischer Vergangenheitsbewältigung ...... 35 2.2.3 Auswahl der Schulbücher und Analysevorgang ...... 41 2.2.4 Überblick über den Forschungsstand zu österreichischen Schulbüchern ...... 43

3 SCHULBUCHANALYSE...... 47

3.1 Der „Anschluss“ ...... 47 3.1.1 Die 50er- und 60er-Jahre ...... 47 3.1.2 Die 70er-Jahre ...... 50 3.1.3 Die 80er-Jahre ...... 53 3.1.3.1 Inhalt ...... 53 3.1.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 55 3.1.4 Die 90er Jahre ...... 57 3.1.4.1 Inhalt ...... 57 3.1.4.2 Bilder und Bildunterschriften...... 60 3.1.4.3 Quellen und Zitate ...... 62 3.1.4.4 Arbeitsanregungen und Fragen ...... 63 3.1.5 Seit 2000 ...... 64 3.1.5.1 Inhalt ...... 64 3.1.5.2 Bilder und Bildunterschriften...... 70 3.1.5.3 Quellen ...... 71 3.1.5.4 Arbeitsanregungen und Fragen ...... 72

3.2 Österreichische NS-Täter und Holocaust ...... 75 3.2.1 50er- bis 80er-Jahre ...... 75 3.2.2 90er-Jahre ...... 79 3.2.2.1 Inhalt ...... 79 3.2.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 82 3.2.3 Seit 2000 ...... 85 3.2.3.1 Inhalt ...... 85 3.2.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 94

3.3 Der österreichische Widerstand ...... 100 3.3.1 Die 50er- und 60er-Jahre ...... 101 3.3.2 Die 70er-Jahre ...... 102 3.3.2.1 Inhalt ...... 102 3.3.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 108 3.3.3 Die 80er-Jahre ...... 110 3.3.3.1 Inhalt ...... 110 3.3.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 115 3.3.4 Die 90er-Jahre ...... 117 3.3.4.1 Inhalt ...... 117 3.3.5 Seit 2000 ...... 127 3.3.5.1 Inhalt ...... 127 3.3.5.2 Bilder und Bildunterschriften...... 133 3.3.5.3 Quellen ...... 134 3.3.5.4 Arbeitsaufträge ...... 136

3.4 Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen ...... 140 3.4.1 Die 50er- und 60er-Jahre ...... 140 3.4.1.1 Inhalt ...... 140 3.4.2 Die 70er-Jahre ...... 141 3.4.2.1 Inhalt ...... 141 3.4.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 144 3.4.3 Die 80er-Jahre ...... 145 3.4.3.1 Inhalt ...... 145 3.4.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge ...... 148 3.4.4 Die 90er-Jahre ...... 148 3.4.4.1 Inhalt ...... 148 3.4.4.2 Bilder und Bildunterschriften...... 154 3.4.4.3 Quellen ...... 155 3.4.4.4 Arbeitsaufträge ...... 158 3.4.5 Seit 2000 ...... 159 3.4.5.1 Inhalt ...... 159 3.4.5.2 Bilder und Bildunterschriften...... 166

3.4.5.3 Quellen ...... 168 3.4.5.4 Arbeitsaufträge ...... 172

4 FAZIT UND AUSBLICK ...... 179

5 LITERATURVERZEICHNIS ...... 193

Einleitung

1 Einleitung

Die Ansicht, dass Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Aggression gewesen sei, wird seit der „Waldheim-Affäre“ (1986) oder spätestens seit Franz Vranitzkys Rede vor dem Nationalrat 1991 kritisch gesehen bzw. gilt sie nun als überholt. Erst 2001 wurden unter der Regierung Schüssel die Verhandlungen zur Restitution im Hinblick auf die Entschädigung jüdischer NS-Opfer abgeschlossen und die Republik Österreich übernahm mehr als 55 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs Mitverantwortung für die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes. Der „Opfermythos“ hat Österreich vor allem während der ersten Nachkriegsjahre/-jahrzehnte geprägt, hat dem Land 1955 auch zum Staatsvertrag sowie zu wirtschaftlichem Aufschwung verholfen und war der vom offiziellen Österreich vertretene, gültige Geschichtsnarrativ. Die Weitergabe dieses Narrativs geschah in Österreich auf vielfältige Art und Weise, hätte jedoch nicht funktioniert, wenn nicht auch die Schule und das Schulbuch als zentrales Medium der Geschichtskultur1 daran mitgewirkt hätten. Doch wie genau wurde dieser Narrativ über österreichische Schulbücher transportiert und wie hat sich die Darstellung der österreichischen NS-Vergangenheit im Laufe der Zeit in den Geschichtsschulbüchern der Republik verändert? Dieser Frage soll in der vorliegenden Diplomarbeit nachgegangen werden. Ich möchte untersuchen, wie mit Hilfe der Schulbücher für das Fach Geschichte in Österreich die konstitutive Geschichte des Opfermythos weitergegeben wurde und wie sich dieses Bild auch in den Schulbüchern im Laufe der Zeit ändert. Für die Beantwortung der Forschungsfragen (s.u.) wird eine Schulbuchanalyse von insgesamt 40 Lehrwerken (erschienen von 1956 bis 2014) durchgeführt, die nach eigens aufgestellten Kriterien bearbeitet werden. Die Beschäftigung mit Schulgeschichtsbüchern ermöglicht es mir als Lehramtskandidat gleichzeitig, die im Studienplan vorgesehene Miteinbeziehung eines „deutliche[n], aktuelle[n] Schul- oder Unterrichtsbezug“2 zu berücksichtigen, ohne die ansonsten dafür notwendigen Stundenbilder anzufertigen, die an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mittlerweile als konstituierendes Element einer fachwissenschaftlichen Abschlussarbeit im Lehramtsstudium betrachtet werden. Folgende Fragen sollen im Zuge der Schulbuchanalyse beantwortet werden:

1 Vgl. Saskia Handro: Der lange Abschied von vertrauen Opfermythen, in: Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, hrsg. v. Saskia Handro, Bernd Schönemann (= Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Band 16), 2006, S. 199-216, hier S. 200f. Anm.: Dass „Erinnern“ per se auch ein Politikum ist, geht unter anderem auf die deutsche Kultur- und Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann zurück, vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2014, S. 36ff. 2 Studienplan für das Lehramtsstudium an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Leopold-Franzens- Universität Innsbruck (Gesamtfassung ab 01.10.2014): § A 16 Allgemeine Prüfungsordnung. (4) Diplomarbeit: (b) In jedem Fall ist sicherzustellen, dass in der Themenstellung und der Arbeit ein deutlicher, aktueller Schul- oder Unterrichtsbezug zum Ausdruck kommt.

1 Einleitung

• Inwieweit wird das Bild Österreichs als „Opfer“ auch im Medium Schulbuch transportiert? Welche Transformationen der „Opferthese“ lassen sich im Laufe der Zeit nachweisen? Orientieren sich diese Änderungen im Schulbuch jeweils an politischen Neuinterpretationen der Rolle Österreichs nach dem „Anschluß“? Welche Ereignisse in der Zweiten Republik verändern die Sichtweise auf die österreichische NS-Vergangenheit? • Ab wann wird im Schulbuch die eigene Rolle während des Zweiten Weltkriegs kritisch reflektiert, bzw. ab wann wird die „Mitverantwortungsthese“ sichtbar? Wird die „Opferthese“ als Gründungsmythos der Zweiten Republik explizit erwähnt? • Welche Rolle nimmt der österreichische Widerstand im Schulbuch ein, bzw. inwieweit wird er verwendet, um die „Opferrolle“ Österreichs zu stützen? • Wie werden die Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung im Laufe der Zeit dargestellt, welche Rolle nimmt Österreich dabei ein? • Wie werden Verbrechen der Deutschen und die Beteiligung österreichischer Soldaten verarbeitet?

Diese Fragen werden für die Analyse selbst noch konkretisiert und verfeinert, um im Sinne möglichst objektiver Methoden der Schulbuchforschung ein valides Ergebnis zu erhalten. Insgesamt gliedert sich die vorliegende Arbeit in zwei Theoriekapitel und einen Analyseteil: Der dieser Einleitung nachgestellte Theorieteil soll einerseits den österreichischen Umgang mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit nachzeichnen und andererseits eine theoretische Grundlage für eine Schulbuchanalyse darlegen. Dabei wird im ersten Teil besonders auf Entnazifizierung, den Opfermythos sowie dessen Revision während der 80er-Jahre, Antisemitismus in Österreich, die Einbeziehung ehemaliger Nationalsozialisten in österreichische Bundesregierungen und zuletzt auf den gegenwärtigen Umgang mit NS-Vergangenheit eingegangen. All diese Inhalte finden sich (möglicherweise in abgeänderter Form) auch in der Schulbuchanalyse wieder. Behandelt werden sollen vor allem jene Ereignisse oder Faktoren, die eine Veränderung (oder eine Verfestigung!) des österreichischen Nachkriegsnarrativs begünstigt oder herbeigeführt haben: Dazu zählen in erster Linie verschiedene politische Skandale wie die Borodajkewycz-Affäre oder die schon angesprochene Causa Waldheim. Anhand dieser Beispiele soll der Umgang mit Vergangenheit in Österreich ersichtlich gemacht werden. In einem zweiten Teil soll genauer auf die theoretische Ebene der Schulbuchforschung eingegangen werden: Auf welchen Grundlagen basiert die Beschäftigung mit Schulbüchern und welche Probleme treten auf wissenschaftlicher Ebene auf? Zusätzlich gilt es in diesem Teil der Arbeit, die Analysekriterien vorzustellen und genauer zu erläutern: Warum werden welche Fragen an das einzelne Schulbuch gestellt? Letztlich soll auch die Auswahl der von mir untersuchten Schulbücher begründet und ein Überblick über den bisherigen Forschungsstand zum Thema „Nationalsozialismus im österreichischen Schulbuch“ gegeben werden.

2 Einleitung

Im dritten Abschnitt soll die Analyse der ausgewählten Schulbücher durchgeführt werden: Diese werden systematisch und chronologisch in Hinblick auf die oben angeführten Forschungsfragen bearbeitet, wobei die Beschreibung der jeweiligen Darstellungen der Rolle Österreichs im Mittelpunkt stehen soll. Es soll auch untersucht werden, ob Schulbücher in Österreich in Hinblick auf die „Opfer- These“ ein geschlossenes Geschichtsbild vermitteln oder ob durch das Schulbuch eine kritische Reflexion derselben im Unterricht ermöglicht wird. Am Ende soll ein Fazit die Entwicklung und Transformation der „Opferthese“ die Bedeutung einzelner Aspekte für eine österreichische Vergangenheitsbewältigung aufzeigen können. Im Vorhinein der Untersuchung wurde angenommen, dass sich die Schulbücher in ihren Darstellungen österreichischer NS-Vergangenheit sehr eng an den zum Veröffentlichungszeitpunkt des Buches gerade aktuellen Narrativ halten. Anders formuliert, bin ich davon ausgegangen, dass eine widerspruchsfreie und wertfreie Behandlung österreichischer Mitverantwortung frühestens ab den 90er-Jahren im Schulbuch auftaucht. Dabei ist zu beachten, dass neueste wissenschaftliche Erkenntnisse erst mit einiger Verspätung im Schulbuch auftauchen können bzw. laut Hypothese erst dann im Schulbuch bearbeitet werden, wenn ein gesellschaftspolitischer Grundkonsens darüber besteht. Inwieweit diese Hypothesen auf die Vergangenheitsbewältigung in Österreich zutreffen, wird im Fazit zu zeigen sein. Zuletzt wird darauf hingewiesen, dass die Rechtschreibung älterer Schulbuch- und Quellentexte größtenteils unverändert übernommen wurde. Etwaige Hervorhebungen in Zitaten (Kursiv- oder Fettsetzung usw.) stammen – wenn nicht gesondert gekennzeichnet – von den jeweiligen Autoren und/oder Autorinnen. Grundsätzlich wurde in vorliegender Arbeit durch Sichtbarmachung beider Geschlechter mittels Paarform oder „Splitting“ (z.B. Schülerinnen und Schüler) gegendert.

3

4 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

2 Theorieteil

In diesem ersten Kapitel geht es vorrangig darum, eine theoretische Grundlage für die Analyse der einzelnen Schulbücher zu schaffen. Das bedeutet, dass an dieser Stelle die wichtigsten Punkte einer österreichischen Vergangenheitsbewältigung nachgezeichnet werden, um die Textpassagen der Schulbücher zeitgerecht bewerten zu können. Der theoretische Einstieg ist prinzipiell in zwei Teile unterteilt: Der erste beschäftigt sich mit den Ereignissen der Zweiten Republik, von denen auf eine Veränderungen (oder eben auf keine Veränderung) der Bewertung eigener Vergangenheit geschlossen werden kann. Der zweite Teil widmet sich den Besonderheiten des Schulbuchs und soll die wichtigsten Aspekte der Schulbuchforschung kurz skizzieren sowie bereits vorhandene Forschungsliteratur zur Frage nach unbewältigter Vergangenheit in Schulbüchern beleuchten.

2.1 Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

2.1.1 Entnazifizierung: Demokratisierung durch Umerziehung Der erste wichtige Aspekt, mit dem sich die österreichische Gesellschaft kurz nach Ende des Weltkrieges auseinandersetzen musste, war die Frage, wie in einem demokratischen Österreich mit den Nationalsozialisten umgegangen werden sollte. Eine Demokratisierung der Gesellschaft sollte auf Initiative der Alliierten durch „Erziehung und Entnazifizierung“ eingeleitet werden. Darunter wird der Versuch verstanden, die österreichische (und analog auch die deutsche) Gesellschaft in allen Bereichen dem Einfluss des Nationalsozialismus zu entziehen.3 Insgesamt erwies sich die für die gesamtösterreichische Gesellschaf rein rechtlich von einem Tag auf den anderen erfolgte Umstellung vom nationalsozialistischen Führerstaat zu einer demokratischen Republik als sehr schwierig, weil sich Österreich bei Kriegsende „die bequeme ‚Wahrheit‘ des Opfers zurechtgelegt“4 hatte und somit die folgenden Sanktionen gegen Parteiangehörige der NSDAP und der Wehrverbände als ungemein hart empfunden wurde. Ernst Hanisch äußert sich zur Problematik der Entnazifizierung wie folgt:

„War dieses Problem überhaupt lösbar? Kann ein Volk von oben her, gleichsam über Nacht, zu Demokraten erzogen werden? Im Grunde gab es nur drei Möglichkeiten. Erstens, der revolutionäre Volkszorn fegt die Nationalsozialisten hinweg, einschließlich der blinden Massaker (wie in Italien), die dabei auftreten; zweitens die bürokratisch- summarische Lösung; drittens die rechtsstaatlich-individuelle Regelung. In der konkreten Situation schieden die erste und dritte Möglichkeit wohl aus. Es gab diesen Volkszorn nicht, und die Revolution von unten entsprach auch nicht der

3 Vgl. Walter Schuster/Wolfgang Weber: Entnazifizierung im regionalen Vergleich: Der Versuch einer Bilanz, in: Entnazifizierung im regionalen Vergleich, hrsg. v. Walter Schuster/Wolfgang Weber, Linz 2004, S. 16f. 4 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (= Österreichische Geschichte 1890-1990, hrsg. v. Herwig Wolfram), Wien 2005, S. 421.

5 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

österreichischen Tradition. Die individuelle Lösung hätte für zehn bis 15 Jahre die Gerichte beschäftigt (woher nichtnationalsozialistische Richter nehmen?), und diese Lösung hätte auch eine gewisse Schuldeinsicht der Nationalsozialisten vorausgesetzt; daran fehlte es vollkommen. Historisch gesprochen traf die abgestufte Verantwortung für den Nationalsozialismus alle Österreicher, aber die Parteigenossen ganz besonders. Es war das Kennzeichen der österreichischen ‚Aufarbeitung‘, daß aus dem nationalsozialistischen Lager selbst keine einzige Stimme ein Schuldbewußtsein artikulierte. […] So blieb nur die bürokratische Variante.“5

Diese bürokratische Variante umfasste ein nacheinander beschlossenes gesetzliches Maßnahmenpaket, das schon in der „Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs“ vom 27. April (am 1. Mai 1945 als Staatsgesetzesblatt ausgegeben) angedeutet wird. In der Regierungserklärung wird deutlich, dass überzeugte Nationalsozialisten in weiterer Folge gerichtlich belangt werden:

„Nur jene, welche aus Verachtung der Demokratie und der demokratischen Freiheiten ein Regime der Gewalttätigkeit, des Spitzeltums, der Verfolgung und Unterdrückung über unserem Volke aufgerichtet und erhalten, welche das Land in diesen abenteuerlichen Krieg gestürzt und es der Verwüstung preisgegeben haben und noch weiter preisgeben wollen, sollen auf keine Milde rechnen können. Sie werden nach demselben Ausnahmsrecht behandelt werden, das sie selbst den anderen aufgezwungen haben und jetzt auch für sich selbst für gut befinden sollen. Jene freilich, die nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind, sollen in die Gemeinschaft des Volkes zurückkehren und haben somit nichts zu befürchten.“6

In der Erklärung wird auch schon die später vorherrschende Einteilung in sogenannte Belastete und Minderbelastete vorweggenommen, auch wenn die Begriffe noch nicht verwendet werden. Gesetzlich wurde von der provisorischen Regierung unter Karl Renner schon am 8. Mai 1945 mit dem sogenannten „Verbotsgesetz“ als Verfassungsgesetz eine rechtliche Entsprechung der Erklärung erlassen, in der die NSDAP verboten wird:

„Artikel I: Verbot der NSDAP § 1. Die NSDAP, ihre Wehrverbände (SS, SA, NSKK, NSFK), ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie alle nationalsozialistischen Organisationen und Einrichtungen überhaupt sind aufgelöst; ihre Neubildung ist verboten. Ihr Vermögen ist der Republik verfallen.“7

Auch die Wiederbetätigung im Sinne einer Weiterführung der NSDAP oder ein Einsetzen für deren Ziele wurde untersagt und unter schwere Strafe gestellt („Wer weiterhin dieser Partei angehört oder sich für sie oder ihre Ziele betätigt, macht sich eines Verbrechens schuldig und wird hiefür mit dem

5 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 422. 6 Regierungserklärung vom 1. Mai 1945, BGBl. Nr. 1/1945; Anm.: Eine Benennung der Opfer erfolgt in dieser Deklaration allerdings nicht! 7 Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), BGBl. Nr. 13/1945.

6 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Tode und dem Verfalle des gesamten Vermögens bestraft.“8). Artikel 2 des Verbotsgesetzes besagt, dass sich Parteiangehörige oder Angehörige der Wehrverbände zu registrieren hatten und entsprechend zu „Zwangsarbeiten“ herangezogen werden konnten oder berufliche Konsequenzen (Entlassungen) tragen mussten. Außerdem waren sie von der Nationalratswahl 1945 ausgeschlossen.9 Im Juni desselben Jahres wurde das sogenannte „Kriegsverbrechergesetz“ (Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten) beschlossen, wobei hier die verschiedenen Abstufungen von Schuld rechtlich fassbar werden:

„Wer Handlungen der in den Abs. (1) und (2) angeführten Art anbefohlen hat, ist strenger zu bestrafen als die Ausführenden. Wer derartige Befehle wiederholt erteilt hat, ist, soweit nicht nach Abs. (4) die Todesstrafe zu verhängen ist, mit lebenslangem schwerem Kerker, wenn dadurch aber Handlungen der in den Abs. (1) und (2) angeführten Art in großem Umfang veranlaßt wurden, mit dem Tode zu bestrafen.“10

In den weiteren Artikeln werden unterschiedliche Arten der Kriegsverbrechen genauer definiert (von Kriegshetzerei bis zu Denunziationen) und es wird erstmals auch von „Verletzung der Menschlichkeit und der Menschenwürde“ (§4.) gesprochen. Diese Abschnitte alleine lösten allerdings noch nicht die Frage, wer für die Aburteilung nationalsozialistischer Kriegsverbrechen verantwortlich war, schließlich ist Hanischs Einwurf – „Woher nichtnationalsozialistische Richter nehmen?“ – durchaus gerechtfertigt. Österreich behalf sich dabei (ebenso wie Deutschland) mit der Einsetzung von sogenannten „Volksgerichten“, deren rechtliche Grundlage auf dem Verbotsgesetz basiert:

„§ 24. Mit der Aburteilung wegen der nach diesem Gesetze [= dem Verbotsgesetz] für strafbar erklärten Handlungen und mit der Entscheidung über weitere Fragen, die im Zuge des Strafverfahrens den Gerichten obliegt, werden Volksgerichte betraut. Diese üben ihre Tätigkeit in Versammlungen von zwei Berufsrichtern, von denen einer den Vorsitz führt, und drei Schöffen mit Beiziehung eines Protokollführers aus. Die Senate der Volksgerichte werden bei den Landesgerichten am Sitze der Oberlandesgerichte gebildet.“11

Insgesamt wurden mithilfe der Registrierungslisten über 500 000 Nationalsozialisten in Österreich erfasst und bis 1955 in „136.829 Fällen gerichtliche Voruntersuchungen wegen des Verdachts nationalsozialistischer Verbrechen oder ‚Illegalität‘ (Mitgliedschaft bei der NSDAP zur Zeit ihres Verbots 1933-1938) eingeleitet.“12 Die Anzahl der Urteile ist naturgemäß niedriger als jene der Verfahren, das quantitative Ausmaß der von den Volksgerichten verfassten Schuldsprüche ist aber dennoch beachtlich, in immerhin 17% der Fälle wurde ein Urteil gefällt:

8 BGBl. Nr. 13/1945. 9 Ebenda. 10 Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), BGBl. Nr. 32/1945. 11 BGBl. Nr. 13/1945. 12 Forschungsstelle Nachkriegsjustiz: Prozesse. Volksgerichte, [http://nachkriegsjustiz.at/prozesse/volksg/index.php], eingesehen 15.10.2014.

7 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

„23.477 Urteile wurden gefällt, davon 13.607 Schuldsprüche. Die Anzahl der wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen verurteilten Personen liegt vermutlich bei rund 2.000 Personen, von denen 341 zu Strafen im oberen Bereich verurteilt wurden: 43 Angeklagte wurden zum Tode, 29 Angeklagte zu lebenslänglichem Kerker und 269 Angeklagte zu Kerkerstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren verurteilt, 30 Todesurteile vollstreckt, 2 Verurteilte begingen vor der Vollstreckung Selbstmord.“13

Problematisch war aber, dass die bis 1947 durchaus hart gehandhabten Bestrafungen für Nationalsozialisten nicht zu einem Umdenken in der Bevölkerung führten. Grund dafür war, dass keine Entnazifizierung im Sinne von Umerziehung sondern vorrangig durch Bestrafung durchgeführt wurde. Es war im Gegenteil sogar so, dass es in den weiteren Jahren der Zweiten Republik gewissermaßen zu einer „Täter-Opfer-Umkehr“ kam:

„Die Härte des Gefangenenlager [in Glasenbach (Salzburg), wo verurteilte Kriegsverbrecher interniert waren, Anm. D.H.] schweißte die Häftlinge zusammen und verstärkte das Gefühl, selbst ‚Unrecht‘ zu leiden. Als man in Wien für kurze Zeit daran ging, Nationalsozialisten mit einem Hakenkreuz (wie mit einem Judenstern) äußerlich zu stigmatisieren, führte das zu einer weiteren Verwischung der klaren Kategorien von Tätern und Opfern.“14

In diesem Zusammenhang ist auch erklärbar, warum die Haltung den Nationalsozialisten gegenüber in den Jahren nach 1947 immer nachgiebiger wird, obwohl noch im Februar desselben Jahres mit dem „Nationalsozialistengesetz“ (Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten) die „sühnepflichtigen Personen“ in belastete und minderbelastete Personen eingeteilt werden.15 Vor allem die drei Parteien – ÖVP, SPÖ und KPÖ – kämpften in weiterer Folge intensiv um die Gunst der Nationalsozialisten, von denen die meisten bei der Nationalratswahl 1949 wieder wahlberechtigt waren. Hier werden vor allem der ÖVP die größten Erfolge zugeschrieben, „jene[r] Partei, die die größte Toleranz (häufig mit katholischen Codes der Verzeihung transportiert) gegenüber NSDAP-Mitgliedern […] signalisierte.“16 Nach diesen ersten beiden Phasen der Entnazifizierung (von Kriegsende bis Februar 1946 und vom „Nationalsozialistengesetz“ bis 194817) folgt mit der dritten Phase (bis 1957) eine „Zeit der Amnestien“ (Dieter Stiefel), weil die Bestrafung der Nationalsozialisten beginnend mit der sogenannten „Minderbelastetenamnestie“ (Anfang 1948) nun immer laxer gehandhabt wurde:

„Etwa 90 Prozent aller registrierten ehemaligen Nationalsozialisten waren von dieser Amnestie betroffen. Damit war die Entnazifizierung in Österreich als Massenerscheinung

13 Prozesse. Volksgerichte; vgl. auch: Ernst Hanisch: Der Lange Schatten des Staates, S. 423. 14 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 423. 15 Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten, BGBl. Nr. 25/1947. 16 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010, Innsbruck/Wien 2011, S. 289. 17 Vgl. Dieter Stiefel: Zur Problematik der Entnazifizierung in Österreich, in: Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945-1955. Symposium des Instituts für Wissenschaft und Kunst Wien, März 1985, hrsg. v. Sebastian Meissl/Klaus-Dieter Mulley/Oliver Rathkolb, Wien 1986, S. 31ff.

8 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

beendet. Was blieb, war der harte Kern der ehemaligen Nationalsozialisten, die etwa 40.000 Belasteten […].“18

Doch auch dieser „harte Kern“ erhielt spätestens 1957 mit der „NS-Amnestie“ alle Rechte der österreichischen Staatsbürger zurück, die Registrierungspflicht und die Sühnefolgen wurden beendet.19 Damit wurden zwei Jahre nach dem Staatsvertrag auch de jure, bis auf wenige Ausnahmen, die Sanktionen gegenüber den Nationalsozialisten aufgehoben und der Umgang mit der NS-Zeit in der „bürokratischen Variante“ (Ernst Hanisch) aus der Sicht des damaligen Österreichs und seiner Bewohner zur Genüge erfüllt. Eine Einschätzung zum Erfolg oder Misserfolg der österreichischen Entnazifizierung ist aus diesem Blickwinkel dementsprechend einfach. Dieter Stiefel schickt voraus, „daß unter den Rahmenbedingungen der späten vierziger Jahre die Entnazifizierung in Österreich durchaus ‚erfolgreich‘ war und ihre damaligen Ziele erreicht hat“ 20, und auch Ernst Hanisch bewertet die Tatsache als Erfolg, „daß sich keine offen faschistische Partei wie in Italien bilden konnte.“21 Trotzdem ist eine Beurteilung, was die Vergangenheitsbewältigung betrifft, unter diesen Aspekten nicht weitreichend genug, Vergangenheitsaufarbeitung wurde nämlich durch die Entnazifizierung nicht betrieben. Eine moralische Aufarbeitung im Sinne eines Schuldeingeständnisses fand im Nachkriegsösterreich nicht statt, weshalb die bürokratischen und politischen Bemühungen der Alliierten und Österreich in dieser Hinsicht als gescheitert zu betrachten sind. Festzuhalten ist aber auch, dass es zur Reintegration der Nationalsozialisten auf lange Sicht gesehen höchstwahrscheinlich keine Alternative gab, vor allem auch deshalb, weil es „auf Dauer unerträglich [war], daß es in einer Demokratie Bürger zweiten Ranges [gab]“22, und das waren die „Ehemaligen“ durch die gezeigten Verfassungsgesetze letztendlich geworden. Auch wenn im Zuge des Wiederaufbaus der Wunsch der Bevölkerung und der Regierung, „einen Schlussstrich zu ziehen“, verständlich erscheint, verhinderte das Fehlen eines Eingeständnisses zur Mittäterschaft auch ein Abrücken von der Opfer-These, was letztlich die ambivalente Haltung Österreichs in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Staatsvertrag zeigt:

„Neben der offiziell antinazistischen Position der österreichischen Regierung bildete sich eine graue Zone des heimlichen Einverständnisses mit dem Nationalsozialismus heraus […], von Traditionsverbänden gestützt, die jede ehrliche Diskussion der NS-Problematik blockierte. In Österreich konnte man in den ‚langen 1950er Jahren‘ auf eine so zweideutige Art und Weise über den Nationalsozialismus reden, die in der BRD längst zum Skandal geführt hätte. Hierin enthüllte sich die Kehrseite der offiziellen Opfertheorie und der forcierten Österreichideologie.“23

18 Dieter Stiefel: Zur Problematik der Entnazifizierung in Österreich, S. 33. 19 Bundesverfassungsgesetz: NS-Amnestie 1957, BGBl. Nr. 82/1957. 20 Dieter Stiefel: Zur Problematik der Entnazifizierung in Österreich, S. 29. 21 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 425. 22 Dieter Stiefel: Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981, S. 307. 23 Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 425.

9 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

2.1.2 Die Opferthese als Gründungsnarrativ Wenn die fehlende Auseinandersetzung mit der „braunen Vergangenheit“ Österreichs die „Kehrseite der offiziellen Opfertheorie“ ausmacht, dann ist das damit verbundene Bekenntnis zu Österreich und zum demokratischen Wiederaufbau zumindest ein zweischneidiges Schwert: Die Betonung darauf, dass Österreich ein Opfer des Krieges sowie befreites und nicht besiegtes Land war, wird heute oft als notwendige Geschichtsklitterung betrachtet, nach der sich das zerstörte und ökonomisch sich am Boden befindliche Land fast gänzlich ohne Schuld belastet der Reorganisation des Staates und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau widmen konnte. Grundsätzlich basiert die Opferthese auf einer Interpretation der von den Alliierten unterzeichneten Moskauer Deklaration aus dem Jahr 1943:

„Die Regierungen des Vereinigten Königreiches, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika sind darin einer Meinung, daß Österreich, das erste freie Land, das der typischen Angriffspolitik Hitlers zum Opfer fallen sollte, von deutscher Herrschaft befreit werden soll. Sie betrachten die Besetzung Österreichs durch Deutschland am 15. März 193824 als null und nichtig. Sie betrachten sich durch keinerlei Änderungen, die in Österreich seit diesem Zeitpunkt durchgeführt wurden, als irgendwie gebunden. Sie erklären, daß sie wünschen, ein freies unabhängiges Österreich wiederhergestellt zu sehen und dadurch ebensosehr den Österreichern selbst wie den Nachbarstaaten, die sich ähnlichen Problemen gegenübergestellt sehen werden, die Bahn zu ebnen, auf der sie die politische und wirtschaftliche Sicherheit finden können, die die einzige Grundlage für einen dauernden Frieden ist. Österreich wird aber auch daran erinnert, dass es für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt, der es nicht entrinnen kann, und dass anlässlich der endgültigen Abrechnung Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird, unvermeidlich sein wird.“25

Auch im englischen Originaltext findet sich wörtlich der Hinweis auf das Opfer Österreich („[…] , the first free country to fall a victim to Hitlerite aggression, shall be liberated from German domination.“26) und auf die Intention der Alliierten, das Land nach dem Krieg wiederherzustellen („[…] they wish to see re-established a free and independent Austria […]“27). Die letzte Passage der Deklaration bezieht sich auf die Bemühungen und Versuche der Österreicher, selbst zu ihrer „Befreiung“ beizutragen, wobei hier speziell auf den österreichischen Widerstand abgezielt wird (s.u.). Der Opferthese nach war also der Staat Österreich seit dem „Anschluss“ nicht vorhanden, weshalb er nicht für etwaige Entschädigungen oder Reparationen welcher Art auch immer zu haften oder aufzukommen hätte. Problematisch für eine solche Deutung ist aber die Erwähnung, dass Österreich „für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands eine Verantwortung trägt“; diese

24 An dieser Stelle wurde ein falsches Datum genannt, richtig ist der 13. März. 25 Moskauer Deklaration, Version nach Stephan Verosta: Die internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947, Wien 1947, S. 52f. 26 Zit. nach Clemens Jabloner: Die Historikerkommission der Republik Österreich, in: Gedächtnis und Gegenwart. Historikerkommissionen, Politik und Gesellschaft, hrsg. v. Forum Politische Bildung (= Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 20), Innsbruck/Wien/München/Bozen 2003/2004, S. 15-21, hier S. 15. 27 Ebenda, S. 15.

10 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik sogenannte „Mitschuldklausel“ wird vom offiziellen Österreich aber lange Zeit hinter den gültigen Geschichtsnarrativ des Opfers zurückgestellt, weil „die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers […] das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war […]“28, wie schon in der Proklamation der Unabhängigkeit Österreichs von der provisorischen Regierung ausgeführt wurde.29 Die Schwierigkeit bei der Einschätzung der Opferthese ist nicht, dass sie grundfalsch in ihrer Grundannahme war – sie wurde im Gegenteil sogar international weitestgehend anerkannt. Ihr Problem ist dasselbe wie bei der Entnazifizierung (deren Ergebnis am Ende auch auf das Geschichtsbild des Opfers zurückzuführen ist): Das Einigeln auf der Position des Opfers verhinderte bis in die 80er-Jahre eine kritische Auseinandersetzung Österreichs mit seiner Vergangenheit in der NS-Zeit:

„Nun war die Einnahme dieses Standpunktes sowohl völkerrechtlich korrekt als auch außenpolitisch sinnvoll, weil er Angriffe auf das deutsche Eigentum und Gebietsansprüche abwehrte und auf einer ideellen Ebene zur Festigung der österreichischen Identität beitrug. Die „Opferthese“ wurde jedoch nicht nur außenpolitisch ins Treffen geführt, sondern auch gegen die tatsächlichen Opfer des Nationalsozialismus angewendet. Darin lag ein bedenklicher Fehlschluss. So zweckmäßig die juristisch-außenpolitische Konstruktion war, so unzulässig war sie innenpolitisch und moralisch.“30

Die hier von Clemens Jabloner angeführte Anwendung der Opferthese gegen die tatsächlichen Opfer des Nationalsozialismus ermöglicht erst die schon bei der Entnazifizierung erwähnte „Täter-Opfer- Umkehr“, nach der sich registrierte Nationalsozialisten und große Teile der österreichischen Bevölkerung selbst als Opfer fühlten und die Last der Sühnefolgen beklagten, während die allermeisten Juden und andere Minderheiten sowie Verfolgte und Geschädigte rein von Österreich kurzfristig keine Entschädigungen erwarten durften. Diese doppeldeutige Rolle des Nachkriegsösterreich lässt sich auch an den teilweise hochgradig antisemitischen Aussagen österreichischer Politiker nachweisen; an erster Stelle zu erwähnen ist der sozialdemokratische Innenminister Oskar Helmer, dem der britische Historiker Robert Knight folgende Aussage in einer Ministerratssitzung 1948 nachweisen konnte:

„Was den Juden weggenommen wurde, kann man nicht auf die Plattform „Großdeutsches Reich“ bringen. Ein Großteil fällt schon auf einen Teil unserer lieben Mitbürger zurück. […] Auch den Nazis ist im Jahre 1945 alles weggenommen worden […] Ich wäre dafür, dass man die Sache [= die Rückerstattung jüdischen Eigentums usw., Anm. D.H.] in die

28 Regierungserklärung vom 1. Mai 1945, BGBl. Nr. 1/1945. 29 Vgl. Heidemarie Uhl: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses, in: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 2, hrsg. v. Monika Flacke, Berlin 2004, S. 481-508, hier S. 482. 30 Clemens Jabloner: Die Historikerkommission der Republik Österreich, S. 15.

11 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Länge zieht. […] Die Juden werden das selbst verstehen, da sie im klaren [sic!] darüber sind, dass viele gegen sie Stellung nehmen.“31

Die an diesem Ausschnitt sichtbare Gegenüberstellung der Enteignungen auf jüdischer Seite und nach dem Krieg gegenüber den Nationalsozialisten ist typisch für den Diskurs nach 1945, dem sich gemäß der Opferthese noch andere Verdrehungen zuordnen lassen: So wurden beispielsweise nicht von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppen, sondern primär Angehörige der deutschen Volksgruppe (vor allem aus dem heutigen Tschechien) als „Vertriebene“ bezeichnet. Im Zusammenhang mit der österreichischen Selbstdarstellung als erstes Opfer Hitlers wird immer wieder Leopold Figl als tragende Säule genannt, der seine eigene Opferrolle im Konzentrationslager auf die Republik übertragen hätte.32 Dabei sind die Aussagen Figls, die beispielsweise von der österreichischen Historikerin Heidemarie Uhl sowie von Robert Knight gezeigt werden, typisch für den gesamtösterreichischen Umgang mit der Vergangenheit im Nationalsozialismus. Anlässlich der Enthüllung des Befreiungsdenkmals in Wien stellte Figl im August 1945 klar:

„Sieben Jahre schmachtete das österreichische Volk unter dem Hitlerbarbarismus. Sieben Jahre wurde das österreichische Volk unterjocht und unterdrückt, kein freies Wort der Meinung, kein Bekenntnis zu einer Idee war möglich, brutaler Terror und Gewalt zwangen die Menschen zu blindem Untertanentum.“33

Keine Erwähnung finden an dieser Stelle die durch Fotografien belegten Menschenmassen beim Einzug Hitlers in Wien im Zuge des „Anschluss“ von 1938 und die damit von vielen ausgedrückte Zustimmung zum Kurs der Nationalsozialisten. Auch bei der Rede in der israelitischen Kultusgemeinde von Wien legte Figl 1948 im Rahmen des zehnten Jahrestages vom Novemberpogrom Zeugnis davon ab, dass er sich selbst als Repräsentant des österreichischen Staates keiner Mitverantwortung bewusst war:

„Ich stehe hier für dieses (österreichische) Volk und ganz Österreich beugt mit mir in dieser Stunde das Haupt in Trauer, aber auch in Scham bei dem Gedanken an das, was sich hier vor zehn Jahren zugetragen hat, wenn man auch zu Ehren dieses Landes nicht oft genug daran erinnern kann, daß alle diese Verbrechen und Scheußlichkeiten jenseits unserer Grenzen erdacht und organisiert worden sind […].“34

Eine österreichische Verantwortung am Pogrom von 1938 wird hier komplett ausgeklammert, während dagegen die deutsche Verantwortung betont wird. Diese für die Nachkriegszeit typische

31 Robert Knight: „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen“. Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945-1952 über die Entschädigung der Juden, Frankfurt am Main 1988, S. 197. 32 Vgl. Heidemarie Uhl: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese, S. 481; Robert Knight: Einige vergleichende Betrachtungen zur „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich und Grossbritannien, in: Zeitgeschichte 15/1987, S. 63-71, S. 68ff; Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 415ff. 33 Zit. nach: Heidemarie Uhl: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese, S. 481. 34 Zit. nach: Robert Knight: Einige vergleichende Betrachtungen zur „Vergangenheitsbewältigung“, S. 69. Anm.: Diese Passage findet sich mit der Erwähnung in Thema: Geschichte 8 auch in einem Schulbuch!

12 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Vorgangsweise zur Verdrängung österreichischer Mitschuld und Verantwortung findet sich auch in den Jahrzehnten nach dem Staatsvertrag. Resümierend lässt sich feststellen, dass die Opferthese ihren Ruf als „Gründungsnarrativ“ der Zweiten Republik nicht zu Unrecht besitzt: Etwaige Entschädigungsforderungen abwehrend und gleichzeitig einen „Schlussstrich“ ziehend, steht der Opfermythos im Zusammenhang mit dem moralischen Scheitern der Entnazifizierung, das aber gleichzeitig die Reintegration ehemaliger, nun juristisch geläuterter Nationalsozialisten in die demokratische Gesellschaft ermöglicht und somit auch den (weitestgehend ungestörten) Wiederaufbau begünstigt. Man war – kurz gesagt – der Meinung, es wäre am besten, die Vergangenheit ruhen zu lassen und wollte dementsprechend nichts über Verwicklungen in den Krieg, den dort begangenen Verbrechen oder einer Beteiligung am Holocaust wissen. Dass sich neben der Opferthese auch noch der latente Antisemitismus größerer Teile der österreichischen Bevölkerung auf das Hinauszögern von Entschädigungszahlen auswirkte, besitzt in Verbindung mit dem Verdrängen der Vergangenheit zumindest eine gewisse Nachvollziehbarkeit.35 Allerdings war selbst die festgefahrene Doktrin vom österreichischen Staat als erstes Opfer nicht dauerhaft aufrechtzuerhalten, weshalb spätestens seit den 80er-Jahren von einer Erosion der Opferthese gesprochen wird. Mit welchen Faktoren dies zusammenhängt, soll in weiterer Folge noch dargelegt werden. Das nachfolgende Kapitel soll noch einen weiteren Aspekt in Zusammenhang mit österreichischer Vergangenheitsbewältigung genauer vorstellen, auf den schon mehrmals eingegangen wurde: den Antisemitismus.

2.1.3 Antisemitismus als Bestandteil unbewältigter Vergangenheit am Beispiel der Borodajkewiycz-Affäre In Zusammenhang mit Antisemitismus wurde schon die bekannte Aussage von Oskar Helmer genannt, wobei aber zu erwähnen ist, dass das Thema Antisemitismus grundsätzlich hinter verschlossenen Türen, fast schon klandestin abgehandelt wurde. Heinz Wasserman spricht in Anlehnung an Werner Bergmann und Rainer Erb von „Kommunikationslatenz“, die zwar gewissermaßen regeln würde, was in bestimmten Situationen gesagt werden dürfe und was nicht. Allerdings führe sie nicht zu einem Bewusstseinswandel des Themas an sich, sondern „zur Umleitung des Antisemitismus auf die – konsensfähigen – Themen Antikommunismus (in der Version als kommunistisch-‚jüdische Erfindung‘) und Antizionismus.“36 Dieses hier beschriebene Muster des heimlichen bzw. umgeleiteten Antisemitismus wurde zu Beginn der 60er-Jahre durch den an der Universität für Welthandel (heute WU Wien) lehrenden Professor Taras Borodajkewycz durchbrochen, der in seinen Lehrveranstaltungen immer wieder durch offene antisemitische Äußerungen auffiel. Borodajkewycz,

35 Vgl. zum Antisemitismus: Heinz P. Wassermann: Naziland Österreich? Studien zu Antisemitismus, Nation und Nationalsozialismus im öffentlichen Meinungsbild (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 2), Innsbruck 2002, S. 11ff. 36 Ebenda, S. 16.

13 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik er war seit Jänner 1934 Mitglied der NSDAP, ist auch ein gutes Beispiel für die missglückten Entnazifizierungsmaßnahmen der österreichischen Behörden, da er, als Minderbelasteter eingestuft und von der ÖVP protegiert, seit 1955 „als unersetzlich für die demokratische Erziehung der akademischen Jugend“ galt.37 Einer größeren Öffentlichkeit wurden die Äußerungen Borodajkewycz‘ durch die Vorlesungsmitschriften des Studenten Ferdinand Lacina bekannt, späterer Verkehrs- sowie Finanzminister (SPÖ). Dieser stellte jene Mitschriften seinem Parteikollegen , seit 2004 österreichischer Bundespräsident, zur Verfügung, der zu Beginn der 60er Jahre die Situation an österreichischen Hochschulen kommentierte, dabei auf Borodajkewycz zu sprechen kam und die vermeintliche Vorbildwirkung eines Professoren kritisierte, „der unter Schuschnigg Katholikentage organisierte, aber 1938 sofort zum Naziregime überging und der jetzt – akademischer Lehrer und Vorbild sein soll.“ In der Folge veröffentlichte Fischer die von Lacina festgehaltenen Aussagen Borodajkewycz‘ und spaltete dadurch die zu dieser Zeit eher rechtsorientierte Studentenschaft. Dabei war das Echo der publizierten Aussagen (unter anderem „Die zwei größten Tage in meinem Leben: Hitlers Rede auf dem Heldenplatz […] und die Krönung Pius des XII.“ oder „Heydrichs Großmutter war Jüdin […], obwohl er persönlich ein ausgezeichnet aussehender blonder, intelligenter und sympathischer Mann war.“38) so groß, dass sich auch die Justiz damit beschäftigten musste: Mit den Beiträgen von Fischer konfrontiert (der Name Lacinas wurde nicht veröffentlicht, weil er sein Studium noch nicht beendet hatte), klagte Borodajkewycz wegen Ehrenbeleidigung und Fischer wurde verurteilt.39 Gerard Kasemir führt in seinem Aufsatz zur Affäre Borodajkewycz an, dass dieser nach seinem juristischen Sieg „noch einmal […] von der spätestens seit 1949 praktizierten Verdrängung der NS- Zeit und des Antisemitismus aus dem öffentlichen Diskurs profitiert“ habe; trotzdem fiel der Professor weiterhin durch mehrdeutige Aussagen auf („Es ist nur ein Teil der gesamtdeutschen Katastrophe, daß wir deutschen Österreicher zum zweiten Male innerhalb einer Generation das größere Vaterland verloren haben“ 40 in einem Band zum 25-Jahr Gedenken des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs). Während sich die Aussagen Borodajkewycz‘ vor Gericht nicht beweisen ließen, sorgte jener Aufsatz zum Beginn des Weltkrieges zumindest für politische Anfragen seitens der Politik an den damaligen Unterrichtsminister Theodor Piffl-Perčević, der jedoch ausweichend reagierte.41 Laut Kasemir war in erster Linie das Fernsehen dafür verantwortlich, dass die Affäre dermaßen ausuferte, denn eine Stellungnahme des Professors zu den Vorwürfen wurde im März 1965 öffentlich ausgestrahlt: Diese wurde regelregt zu einer „Pressekonferenz“, bei der mehrere hundert Studenten Borodajkewycz

37 Gerard Kasemir: Spätes Ende für „wissenschaftlich“ vorgetragenen Rassismus. Die Borodajkewycz-Affäre 1965, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler/Hubert Sickinger, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 486-501, S. 490. 38 Heinz Fischer (Hrsg.): Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Eine Dokumentation, Wien 1966, S. 43. 39 Zit. nach: Gerard Kasemir: Die Borodajkewycz-Affäre 1965, S. 491. 40 Zit. nach: ebenda, S. 493. 41 Vgl. Heinz Fischer: Einer im Vordergrund, S. 226ff.

14 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik unterstützten.42 In der Folge kam es zu mehreren kleineren Demonstrationen sowohl für als auch gegen Borodajkewycz, die schließlich am 31. März 1965 eskalierten: Die „Österreichische Widerstandsbewegung“, eine aktive Widerstandsgruppe gegen die Nationalsozialisten seit 1938, sowie das Antifaschistische Studentenkomitee organisierten einen großen Protestmarsch gegen Borodajkewycz, denen Studenten der Universität für Welthandel sowie diverse rechtsradikale Gruppen in einer Gegendemonstration gegenüberstanden. Bei dem Zusammenstoß der durch die Parolen der Borodajkewycz-Anhänger aufgeheizten Stimmung („Heil Borodajkewycz“, „Hoch Auschwitz“) eskalierte die Situation: Ein 67-jähriger ehemaliger Widerstandskämpfer wurde von einem der Pro- Borodajkewycz-Demonstranten niedergestreckt und starb zwei Tage später an den Folgen des Angriffs. ist bis dato das einzige politische Todesopfer der Zweiten Republik.43 Kasemir konstatiert in Folge des gewaltsamen Todes des Widerstandskämpfers einen allgemeinen Schock; dem Begräbnis Kirchwegers wohnten bis auf Bundeskanzler Klaus und den Unterrichtsminister – stets Gönner Borodajkewycz‘ – die gesamte Bundesregierung und 25.000 Menschen bei. Als Konsequenz der Eskalation wird von Kasemir zusätzlich die „tiefempfundene Absage an die ‚ewiggestrigen‘ Täter“ und die Emotionalisierung der Bevölkerung genannt44, wobei auch durch den Fall Borodajkewycz keine Abkehr von der Opferthese erfolgte oder die NS-Zeit dadurch besonders enttabuisiert worden wäre. Die besondere Bedeutung der Borodajkewycz-Affäre in Hinblick auf die Vergangenheitsbewältigung in Österreich wird treffend von Heinz Fischer beschrieben, der in seinem 1966 publizierten Buch sowohl die Vorlesungsmitschriften Lacinas sowie Pressestimmen als auch die parlamentarischen Anfragen zusammenstellte:

„Wieso aber – so könnte man fragen – konnte gerade Taras Borodajkewycz zu einem Testfall mit so weitreichenden Konsequenzen werden, der weit über Österreichs Grenzen hinaus Beachtung fand?45 Wohl deshalb, weil seine Person immer mehr zurücktrat hinter dem Problem an sich, nämlich dem Antisemitismus und dem Neonazismus, die sich hier in einer sehr subtilen, fast möchte man sagen: österreichischen Art, gemischt mit Opportunismus und trotziger Feigheit (die uns vom Herrn Karl46 so wohlvertraut sind) manifestieren. Taras Borodajkewycz ist kein begeisterter Anhänger des Faschismus, kein glühender Antisemit und kein kompromißloser Gegner der Demokratie […]. Wäre er nämlich ein glühender Neonazi und ein haßerfüllter Antisemit, dann hätte es – so paradox dies klingen

42 Vgl. Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 198f; Gerard Kasemir: Die Borodajkewycz-Affäre 1965, S. 493ff. 43 Vgl. Ernst Hanisch: Der lange Schatten des Staates, S. 480f; Gerard Kasemir: Die Borodajkewycz-Affäre 1965, S. 496. 44 Vgl. Gerard Kasemir: Die Borodajkewycz-Affäre, S. 497f. 45 Vgl. dazu: Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 283. 46 Damit ist das gleichnamige Theaterstück von Helmut Qualtinger und Carl Merz von 1961 gemeint, in dem sich die Hauptfigur des Stücks – Herr Karl – als klassischer Mitläufer entpuppt. Die zahlreichen Aufführungen führten zu teilweise heftigen Protesten gegen die Darstellung eines „typischen Österreichers“. Für die Darstellung von österreichischer Identität und „Mitverantwortung“ wird das Stück seit den 1990ern auch im Schulbuch rezipiert (siehe unten). Vgl. Carl Merz/Helmut Qualtinger: Der Herr Karl, Wien 2007.

15 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

mag – keinen Fall Taras Borodajkewycz gegeben. So weit haben nämlich die Österreicher aller politischen Lager (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) ihre Lehren aus der Geschichte schon gezogen, daß für einen offen und ungeschminkt auftretenden Neofaschmismus in unserem Land kein Platz mehr ist. Was dagegen manchen Schichten unseres Landes […] noch zu schaffen macht […], das ist jener subtile Antisemitismus, das sind die nuancierten Konzessionen an die NS-Ideologie und die unterschwelligen Ressentiments gegen ein selbstständiges Österreich.“47

Wichtige Erkenntnis aus der Affäre ist also, dass vor allem das Problem des versteckten Antisemitismus an sich diskutiert wurde und immer weniger um Borodajkewycz selbst, je länger die Debatte dauerte. Für die Waldheim-Affäre, die an späterer Stelle noch genauer ausgeführt werden soll, gilt dies weniger, weil sich die Auseinandersetzung sehr stark auf die Person Waldheim konzentrierte. Borodajkewycz selbst ersuchte nach dem Tod Kirchwegers von sich aus um Beurlaubung an und wurde pensioniert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich am Verschweigen der NS-Vergangenheit grundsätzlich nichts ändert, die Empörung über die verstörenden Aussagen Borodajkewycz‘ aber nicht nur aufgrund der vorherrschenden Opferthese logisch erscheint. Der von Kasemir festgestellte „Meilenstein in der Bekämpfung jener unheilvollen Tradition [= falsche Lehren aus der Geschichte zu ziehen, Anm. D.H.]“48 ist deshalb in erster Linie für den verkappten Antisemitismus zu sehen, aber weniger in Hinblick auf das Aufarbeiten der nationalsozialistischen Vergangenheit an sich.

2.1.4 Nationalsozialisten in der Regierung: Die politische Reintegration der „Ehemaligen“ und die Debatte rund um die „Kreisky-Peter- Wiesenthal-Affäre“ Dass ein Professor wie Taras Borodajkewycz seit 1955 an einer österreichischen Hochschule lehren konnte, war Ergebnis der Entnazifizierungsmaßnahmen Österreichs und keine Seltenheit, weil Fachpersonal schneller integriert werden konnte. Dies gilt auch für die Politiker des Landes, die nicht alle den gleichen Werdegang wie Leopold Figl hatten. So befürwortete Karl Renner beispielsweise 1938 den „Anschluss“ und wurde deshalb auch anfänglich von den Alliierten misstrauisch beäugt. Dass Angehörige der NSDAP und ihrer Wehrverbände ins öffentliche Leben zurückkehrten und dabei durchaus wieder prominente Positionen einnahmen, sorgte dabei für etliche Diskussionen innerhalb der Zweiten Republik. Für den Umgang mit den Nationalsozialisten nach 1945 ist schon gezeigt worden, dass sie aufgrund der verschiedenen Gesetzespakete von der Nationalratswahl im Oktober 1945 ausgeschlossen, 1949 größtenteils aber wieder zugelassen waren. Wie schon angedeutet, versuchten sowohl ÖVP als auch SPÖ sich bei den Heimkehrern und neu zugelassenen ehemaligen Nationalsozialisten anzubiedern, die mit rund 500.000 Neuwählern ein beachtliches Wählerpotential boten. Zudem gründete sich mit dem

47 Heinz Fischer: Einer im Vordergrund, S. 7f. 48 Gerard Kasemir: Die Borodajkewycz-Affäre 1965, S. 501.

16 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

„Verband der Unabhängigen“ (VdU49) eine Partei, die als Vorläuferpartei der FPÖ ebenfalls um die große Neuwählerschaft buhlte. Das wahltaktische Vorgeplänkel um die Stimmen der „Ehemaligen“ ist im Zuge der Frage nach bewältigter und unbewältigter Vergangenheit sicherlich der auffälligste Aspekt der zweiten Nationalratswahl nach dem Weltkrieg.50 Warum der VdU letztlich mit 11,7 % der Stimmen den Einzug in den Nationalrat schaffte (16 Mandate) und dabei auch deutlich vor der KPÖ (fünf Mandate) lag, hatte mehrere Ursachen, liegt aber sicherlich aber auch in dem schon für die Entnazifizierung behandelten „Wir-Gefühl“ ehemaliger Nationalsozialisten zu begründet:

„Die (Anhalte-)Lager der Jahre nach 1945 hatten die Betroffenen auch wieder in ein politisches Lager zusammengepreßt. Der Spruch, in Glasenbach und Wolfsberg [= Internierungslager für belastete Nationalsozialisten, Anm. D.H.] sei die NSDAP neu gegründet worden, beschreibt […] einen gewissen soziologischen Sachverhalt durchaus zutreffend – durch die schikanöse, aber nicht mehr lebensgefährliche Sonderbehandlung entstand ein Wir-Bewußtsein, das von den politisch-ideologischen Prioritäten dieser heterogenen Schicksalsgemeinschaft her nicht mehr unbedingt gegeben war.“51

Zusätzlich war die neue Partei angetreten, um „die alten Lager zu sprengen“ – namentlich ÖVP und SPÖ – was laut Lothar Höbelt „die Mentalität vieler diskriminierter Minderbelasteter viel besser als die restaurativen Absichten der Vorkriegspolitiker“ traf.52 Vonseiten der SPÖ wurde die Gründung des VdU durchaus forciert, weil man hoffte, dadurch der ÖVP Stimmen abzugraben. Grundsätzlich muss aber festgestellt werden, dass die neue Partei von beiden Großparteien Wähler ködern konnte und jene dadurch Verluste von über fünf Prozentpunkten erlitten. Auch wenn die Mandatsverteilung im Vergleich zu den Konkurrenten überschaubar blieb – ÖVP 77 Mandate, SPÖ 67 –, so war es dem VdU doch gelungen sich als liberale Alternative anzubieten und dabei in erster Linie enttäuschte Wählergruppen und eben die Neuwähler anzusprechen. Von einer Gefährdung der Demokratie, laut Kritikern vor allem von den Altnazis ausgehend, konnte trotz des Achtungserfolgs keine Rede sein. Politisch waren die meisten Wähler des „nationalen Lagers“ seit 1949 wieder in die Politik integriert, lediglich eine Regierungsbeteiligung fehlte noch. Dem VdU gelang mit 11,7% von 1949 zugleich sein bestes Ergebnis, 1953 verlor er zwei Mandate. Nur zwei Jahre später erfolgte die Auflösung des Verbands, weil man sich intern nicht über die zukünftige Ausrichtung einigen konnte; der VdU ging in der neu gegründeten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) auf. Erster Bundesparteiobmann wurde mit Anton Reinthaller ein ehemaliger SS- Brigadeführer, der während der NS-Zeit Reichstagsabgeordneter in Berlin war.53 Auch der nach

49 Als Partei selbst trat der Verband unter dem Namen „Wahlpartei der Unabhängigen“ (WdU) an. Diese Verwechslungsmöglichkeit kostete der Liste bei der Wahl von 1949, bei der jeder Wähler seinen eigenen Wahlzettel mitzubringen hatte, bis zu zwei Mandate. Vgl. dazu: Lothar Höbelt: Von der Vierten Partei zu Dritten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz 1999, S. 63. 50 Vgl. Hannes Piffrader: Emotionen als Werkzeug im Wahlkampf der österreichischen Parteien bei den Kampagnen zu den Nationalratswahlen 1949-2008 [Dissertation], Innsbruck 2010, S. 69f. 51 Lothar Höbelt: Von der Vierten Partei zur Dritten Kraft, S. 67f. 52 Ebenda, S. 67. 53 Vgl. Knut Lehmann-Horn: Die Kärntner FPÖ 1955-1983. Vom Verband der Unabhängigen (VdU) bis zum

17 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Reinthallers Tod 1958 nachfolgende Friedrich Peter war NSDAP- und SS-Mitglied, was besonders in den 70er-Jahren für Diskussionen sorgte (s.u.). Nachdem die Wahlen zum Nationalrat von 1970 keine absolute Mehrheit für eine der Großparteien brachte, regierte die stimmenstärkste SPÖ nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP in einer von der FPÖ unterstützten Minderheitsregierung. Bundeskanzler Bruno Kreisky forcierte für die Unterstützung seitens der FPÖ unter Peter wiederum eine Wahlrechtsreform, die der Kleinpartei (1970: sechs Mandate) bessere Chancen bei zukünftigen Wahlen ermöglichte. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der Holocaust-Überlebende und „Nazijäger“ Simon Wiesenthal die Ernennung von vier SPÖ-Ministern – namentlich Otto Rösch (Innenminister bis 1977), Josef Moser (Bauten und Technik bis 1980), Johann Öllinger (Land- und Forstwirtschaft, Rücktritt nach zwei Wochen) sowie Erwin Frühbauer (Verkehr und verstaatlichte Unternehmen bis 1973) – öffentlich missbilligt, da er deren NS-Vergangenheit kritisierte. Landwirtschaftsminister Öllinger, der mit einem freiwilligen Rücktritt aus der Regierung ausschied, wurde von Oskar Weihs, „nur“ bei der NSDAP und nicht bei der SS, ersetzt, womit die Zahl ehemaliger Nationalsozialisten in der Regierung Kreiskys gleich blieb. Dass vor allem in der SPÖ verstärkt „Ehemalige“ anzutreffen waren, hat damit zu tun, dass sich die Partei selbst und insbesondere der „Bund Sozialdemokratischer Akademikerinnen und Akademiker, Intellektueller, Künstlerinnen und Künstler“ (BSA) in der Wiedereingliederung einstiger Nationalsozialisten hervorgetan hatten.54 Nun entzündete sich weniger eine Debatte über die Vergangenheit der Minister, sondern eine über die Recherchemethoden Simon Wiesenthals, der in Eigenregie sein „Dokumentationszentrum des Bundes Jüdischer Verfolgter des Naziregimes“ in Wien leitete. Die Auseinandersetzung wurde insbesondere vom SPÖ-Abgeordneten und späteren Wiener Bürgermeister Leopold Gratz befeuert, der das Dokumentationszentrum beim SPÖ-Parteitag 1970 als „Spitzel- und Staatspolizei“ sowie „private Femeorganisation“ bezeichnete, die sich illegaler Methoden bedienen würde.55 Nach Bekanntwerden dieser Aussagen richtete sich Wiesenthal per offenen Brief an Gratz, in dem er die Untätigkeit österreichischer Behörden, was die Verfolgung von NS-Tätern betrifft, anprangerte. Weiters führte Wiesenthal an, dass „sozialistische Quellen“ für die Enthüllungen verantwortlich seien und nicht das vermutete „Geheimdienstmaterial“.56 Politisch hatten diese Auseinandersetzungen bis auf den Ausstieg Johann Öllingers keine Konsequenzen (Rösch blieb beispielsweise nach 1977 noch bis 1983 Verteidigungsminister), doch schon bei der nächsten Nationalratswahl 1975 stand erneut die NS-Vergangenheit von

Aufstieg von Jörg Haider zum Landesparteiobmann, Klagenfurt 1992, S. 78. 54 Vgl. Wolfgang Neugebauer/Peter Schwarz: Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, hrsg. v. Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und Künstlerinnen (BSA), Wien 2005, S. 160ff. 55 Vgl. Simon Wiesenthal Archiv: Stimmen zu Simon Wiesenthal, [http://www.simon-wiesenthal- archiv.at/01_wiesenthal/06_stimmen/01_wechsberg.html], eingesehen 08.10.2014. 56 Vgl. O.A.: Simon Wiesenthal: Ex-Nazis, ihr Jäger – und ein Parteitag, in: Die Presse, 12.06.2010, [http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/573060/Wiesenthal_ExNazis-ihr-Jaeger-und-ein- Parteitag?from=suche.intern.portal], eingesehen 08.10.2014.

18 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Regierungsmitgliedern zur Debatte. Bei dieser plante Kreisky, der nicht von einem Zugewinn für eine absolute Mehrheit ausging, eine Koalition mit der FPÖ unter Friedrich Peter. Über diesen fand erneut Simon Wiesenthal, laut eigenen Aussagen zufällig, nur Wochen vor dem Urnengang heraus, dass er nicht nur Mitglied der Waffen-SS gewesen war (dies war bekannt), sondern auch in der 1. SS-Infanteriebrigade Dienst tat, der Kriegsverbrechen an der Ostfront vorgeworfen wurden. Wiesenthal übermittelte Bundespräsident Rudolf Kirchschläger das gefundene Material, um der Angelobung einer vermeintlichen SPÖ-FPÖ- Regierung zuvorzukommen. Dabei blieb dies am Ende nur ein vermeintliches Szenario: Die SPÖ erhielt die absolute Mehrheit und brauchte nicht mehr auf den vorgesehenen Juniorpartner FPÖ zurückzugreifen, die Vorstellung von Friedrich Peter als Minister war somit hinfällig. Dennoch stürzte sich die Presse begierig auf die von Wiesenthal veröffentlichten Materialien und fügte diesem weitere Aspekte hinzu; insbesondere das Nachrichtenmagazin profil förderte hier bemerkenswert viel Material zu Tage: Fünf Tage nach den Enthüllungen Wiesenthals, in der Ausgabe vom 14.10.1975 erschien der Artikel „Peter und die Mordbrigade“, in dem Bundeskanzler Kreisky eine gegen sich gerichtete Kampagne von Wiesenthal losgetreten sieht und eine neue antisemitische Welle voraussagt. Im selben Artikel wurde auch bekannt, dass Peter in der Brigade das „Eiserne Kreuz II. Klasse“ erhalten hatte.57 Die noch Wochen andauernden Diskussionen werden heute als „Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre“ bezeichnet, bei der sich insbesondere Kreisky selbst durch persönliche Angriffe gegen Wiesenthal (dieser sei selbst Nazi-Kollaborateur gewesen) oder seine Wutausbrüche („Wenn die Juden ein Volk sind, so ist es ein mieses Volk.“58) hervortat. Im Hintergrund der persönlichen Auseinandersetzung zwischen Kreisky und Wiesenthal (Peter blieb während der Diskussion passiv59) stand nun abermals die Vergangenheitsbewältigung Österreichs auf dem Prüfstand, sodass sich sogar überparteiliche Unterstützungskomitees von Kreisky Unterschriften gegen dessen Standpunkt gegenüber Ehemaligen sammelten.60 Peter selbst konnte sich trotz öffentlicher, vor allem durch die Medien (profil) lancierten, Kritik noch bis 1978 als Bundesparteiobmann der FPÖ halten, wobei Ingrid Böhler betont, dass „[d]ie Affäre rund um seine Kriegsvergangenheit […] Peter keinen ernstlichen Schaden zugefügt [hatte].“61 Die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der SPÖ unter Kreisky gegenüber ehemaligen Nationalsozialisten fand im Anschluss weniger im öffentlichen als vielmehr im parteiinternen Rahmen

57Peter Michael Lingens: Der Fall Peter. Peter und die Mordbrigade, in: profil 42, 14.10.1975, S. 12-16. Anm.: Seit Ausgabe 44 (28.10.1975) erschien zudem die mehrteilige profil-Serie „Wer ist Simon Wiesenthal“, in der sich das Magazin in Ausgabe 47 (18.11.1975) mit der Beschuldigung Kreiskys, Wiesenthal sei Kollaborateur gewesen, auseinandersetzt. 58 Zeev Barth: Kreisky: Die Juden – ein mieses Volk, in: Der Spiegel 47/1975, 17.10.1975, [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41376698.html], eingesehen 14.10.2014. 59 „Es ist ein Spezifikum des hier untersuchten Skandals, daß Friedrich Peter, um den sich die Affäre entzündet hatte, im Grunde nur eine Nebenrolle spielte.“, nach Ingrid Böhler: Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler / Hubert Sickinger, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, S. 502-531, hier S. 518. 60 Vgl. ebenda, S. 510. 61 Ebenda, S. 525.

19 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik statt62, wobei Böhler feststellt, dass die Partei (namentlich Justizminister Christian Broda) „bei der 1945 geborenen, bequemeren ‚Stunde-Null‘-Doktrin“ blieb, also dem Opfermythos.63 Zusammenfassend muss aber im Gegensatz zur Borodajkewycz Affäre festgehalten werden, dass eine umfassende Diskussion über Österreichs Vergangenheit auch nach Wiesenthals Enthüllungen nicht zustande kam, weil sich die Affäre Peter zu sehr zu einer Affäre Kreisky-Wiesenthal transformierte. Auch wenn Böhler dem jüdischen „Nazijäger“ durchaus attestiert, mit der Veröffentlichung des Materials eine Diskussion über die (österreichische) Verantwortung am Holocaust auslösen zu wollen64, wird dies durch die persönlichen Diskussionen Wiesenthals und Kreiskys vollends in den Hintergrund gedrängt. Deutlich ersichtlich wird an dem politischen Skandal aber auch, dass sich offizielle Repräsentanten von Österreich auch 30 Jahre nach Kriegsende schwer damit taten, mit einer Mitverantwortung während der Zeit des Weltkrieges umzugehen, eine Abkehr vom Opfermythos erschien in diesem Zusammenhang noch nicht opportun: Innenpolitisch hatte die SPÖ vier Ex- Nationalsozialisten in ihrem Kabinett sitzen und außenpolitisch sorgten in erster Linie die Aussagen Kreiskys über das „miese Volk der Juden“ für Empörung, ohne dass dabei die Rolle Österreichs im Krieg thematisiert worden wäre. Es sollten noch mehr als 10 Jahre vergehen, bis die Opferthese durch die Waldheim-Affäre endgültig in Auflösung begriffen war.

2.1.5 Die Korrosion der Opferthese: Österreichische Vergangenheitsbewältigung von Frischenschlager über Waldheim bis zu Vranitzky 1983 trat Kreisky nach dem Verlust der absoluten Mehrheit, welche die SPÖ über ein Jahrzehnt innegehabt hatte, zurück und wurde als Kanzler von Fred Sinowatz ersetzt, der eine kleine Koalition mit der FPÖ unter Norbert Steger einging. Die ÖVP blieb als einzige noch vertretene Partei im Nationalrat in Opposition. Diese kleine Koalition aus SPÖ und FPÖ wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt,65 spielt jedoch in Zusammenhang mit österreichischer Vergangenheitsbewältigung eine wichtige Rolle. Erstmals wird Anfang 1985 wieder über das Verdrängen der österreichischen Vergangenheit gesprochen, als der FPÖ-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager den in Italien festgehaltenen SS-Kriegsverbrecher Walter Reder bei dessen Auslieferung und Freilassung per

62 Vgl. Paul Blau: In der falschen Partei? Die SPÖ und der Faschismus, in: Die Zukunft. Sozialistische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Heft 3, S. 27-29. 63 Vgl. Ingrid Böhler: Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, S. 527. 64 Vgl. ebenda, S. 530; Zu den Gründen, warum Wiesenthal sein Material erst direkt nach der Wahl veröffentlichte, kann nur gemutmaßt werden. Vgl. Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 298. Im profil- Artikel „Peter und die Mordbrigade“ wird auch die Möglichkeit angesprochen, nicht nur Kirchschläger, sondern auch Kreisky zu informieren, worauf Wiesenthal meint: „Da hätte der Kreisky dann dem Peter gesagt, du, ich kann dich nicht treffen, weil da gibt’s was gegen dich – und dann wär‘ der Peter womöglich herausgekommen mit einer bombastischen Verteidigung.“, Peter Michael Lingens: Der Fall Peter, S. 16. 65 Vgl. Anton Pelinka: Die kleine Koalition. SPÖ-FPÖ 1983-1986, Wien 1993, S. 39; Anm.: Pelinka benennt das Kapitel, in dem die Koalition auseinanderbricht, fast schon pathetisch mit „Das Ende“.

20 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Handschlag begrüßte. Dies löste einen medienpolitischen Skandal aus, wobei aus heutiger Sicht die Betonung auf den Handschlag des Ministers übertrieben wirkt. Heidi Trettler führt in ihrem Aufsatz zur „Affäre Frischenschlager-Reder“ zudem an, es bestehe die Möglichkeit, dass die Begrüßung ohne Handschlag abgelaufen sei, weil sich Reder bei der Ankunft laut Medienberichten auf seinen Anwalt stützen musste.66 Auch Frischenschlager selbst gibt an, sich an den Handschlag mit Reder selbst nicht erinnern zu können: „‚Der Handschlag‘ war eine Mediengeschichte, die mein staatsoffizielles Handeln unterstreichen sollte. In der konkreten Situation war von Förmlichkeit nicht viel zu merken.“67 Auch wenn die strittige ministeriale Begrüßung per Hand in der Folge insbesondere medial ausgeschlachtet wurde und sich dadurch auf dieses Moment reduzieren ließ, ist sie für die Beurteilung und Bewertung der „Affäre“ wohl nur zweitrangig: „Im übrigen ging es ja hier nicht einzig um die Frage, ob der berüchtigte Handschlag nun stattgefunden hat oder nicht, sondern um die Begrüßung Reders durch einen Minister schlechthin.“68 Von der Begrüßung durch einen hohen Minister abgesehen, darf nicht unerwähnt bleiben, dass Reder während seiner Gefangenschaft auf der italienischen Festung Gaeta vom nationalen Lager regelrecht hofiert wurde; sowohl FPÖ- Bundesparteiobmann Steger als auch ÖVP-Abgeordneter Wilhelm Gorton hatten Reder während seiner Haftzeit besucht.69 Trotz dieser Tatsache schlug die Begrüßung ungemein hohe Wellen, was sich sowohl an den politischen als auch an den medialen Reaktionen ersehen lassen kann.70 Betont wird auch für das Beispiel um die Diskussion Frischenschlager-Reder die unbewältigte Vergangenheit Österreichs:

„Denn während man in Italien beinahe ebenso entsetzt über die Freilassung Reders reagierte wie in Österreich über dessen Empfang, kam in vielen anderen Ländern wieder ein altes Bild von Österreich zum Vorschein. Es habe seine Vergangenheit schlecht verarbeitet, hieß es vielfach. Eine Schweizer Tageszeitung wagte sogar das Wortspiel, die österreichische Regierung sei von einer ‚sozialliberalen‘ zu einer ‚nationalsozialistischen‘ geworden.“71

Allerdings entzündete sich auch in diesem Fall eher eine Diskussion um die Person Frischenschlagers, von dem die ÖVP und einzelne SPÖ-Abgeordnete – immerhin Koalitionspartner – seinen Rücktritt verlangten, als um die Vergangenheit in Österreich, denn Politiker aller Parteien und auch die Medien

66 Vgl. Heidi Trettler: Der umstrittene Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler/Hubert Sickinger, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 592-613, hier S. 599. 67 Verein Gedenkdienst: „Von meinem politischen Leben bleibt die Affäre Reder“. Gespräch mit Verteidigungsminister a. D. Friedhelm Frischenschlager über die FPÖ, den Krieg und das Händeschütteln. [http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=530], eingesehen 14.10.2014. Andererseits führt Frischenschlager in einem profil-Interview nach der Ankunft Reders sehr wohl an, in mit Händeschütteln begrüßt zu haben! Vgl. O.A.: „Ganz Österreich für Reder“, in: profil 5/1985, 28.01.1985, S. 44. 68 Heidi Trettler: Der umstrittene Handschlag, S. 599. 69 Vgl. ebenda, S. 597; Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 144f. 70 Vgl. Heidi Trettler: Der umstrittene Handschlag, S. 601ff. 71 Ebenda, S. 605.

21 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik hatten die Rückkehr Reders, des „letzten österreichischen Kriegsgefangenen“, prinzipiell begrüßt.72 Abschließend muss man für die Kontroverse aber feststellen, dass sie – obwohl kurzfristig Gegenstand heftigster Debatten – nichts an der politischen Situation in Österreich und nichts an dem Umgang mit seiner Vergangenheit änderte, auch wenn Oliver Rathkolb betont, dass insbesondere Altkanzler Kreisky erkannte, dass die Frage der Vergangenheitsbewältigung eine wichtige Rolle in der Koalition zwischen FPÖ und ÖVP spielen sollte:

„Fred Sinowatz wiederum erkannte sehr wohl, daß sich die österreichische Gesellschaft vor einer neuerlichen und intensiven Auseinandersetzung über die Rolle von Österreicher/innen in der NS-Zeit, im Zweiten Weltkrieg und im Holocaust befand; im Unterschied zu Kreisky unterschätzte er aber den Prozentsatz jener, die mit der Opferdoktrin brechen wollten. Die Sache eskalierte in der Auseinandersetzung um den Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim.“73

Mediale Rückblicke bescheinigen der Affäre zumindest, „Todeskeim“ der Koalition gewesen zu sein,74 die mit der Causa Waldheim letztendlich zerbricht. Heidi Trettler hebt zudem hervor, der Fall um Reder hätte die Verschiebung der FPÖ in Richtung Liberalisierung zugunsten einer Stärkung des nationalen Flügels um Jörg Haider wieder rückgängig gemacht.75 Der österreichische Historiker Michael Gehler sieht die Handschlag-Affäre rund um Frischenschlager gar als Ausgangspunkt76 für die nur ein Jahr später folgende Causa Waldheim, die im Folgenden dargelegt werden soll.

Unter dem Begriff „Waldheim-Affäre“ lassen sich die Diskussionen rund um die weitestgehend verschwiegene Wehrmachtsvergangenheit des Bundespräsidentschaftskandidaten und ehemaligen UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim zusammenfassen. Dieser wurde Anfang März 1985 als ÖVP- Kandidat (er selbst war parteilos) für die Bundespräsidentenwahl im darauffolgenden Jahr nominiert, während für die SPÖ der damalige Gesundheitsminister Kurt Steyrer ins Rennen ging.77 Problematisch war nun, dass die SPÖ – wohl unter dem Kalkül, die Chancen Waldheims zu schmälern – seit Anfang

72 Vgl. dazu das Interview mit SPÖ-Außenminister Leopold Gratz: O.A.: „Ich finde nichts dabei“, in: profil 5/1985, 28.01.1985, S. 41; Auch profil-Chefredakteur Peter Michael Lingens spricht sich im Leitartikel derselben Ausgabe für die Freilassung Reders aus humanitären Gründen aus: Peter Michael Lingens: Grenzen der Humanität, in: ebd, S. 7-10. 73 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 145. 74 Vgl. Hans Werner Scheidl: 1985: Ein Handschlag mit fatalen Folgen. Die Affäre Frischenschlager-Reder als Todeskeim der SP/FP-Koalition, in: Die Presse, 23.01.2010, [http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/534850/1985_Ein-Handschlag-mit-fatalen-Folgen], eingesehen 14.10.2014. 75 Vgl. Heidi Trettler: Der umstrittene Handschlag, S. 613. 76 Vgl. Michael Gehler: „…eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes…“ Die Waldheim-Affäre 1986 – 1992, in: Politische Affären und in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler/Hubert Sickinger, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 614-665, hier S. 615f. bzw. Michael Gehler: Die Affäre Waldheim. Eine Fallstudie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den späten Achtziger Jahren, in: Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Bd. 2, hrsg. v. Rolf Steiniger/Michael Gehler, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 355-414, hier S. 355f. 77 Gehler führt an, dass SPÖ-Bundeskanzler Sinowatz etwas an einer gemeinsamen Nominierung ÖVP und SPÖ gelegen sei. Durch die alleinige ÖVP-Nennung sei die SPÖ deshalb unter Zugzwang geraten. Vgl. Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 618.

22 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

1986 bewusst die NS-Vergangenheit des 67-jährigen öffentlich machte und damit ein gewaltiges Medienecho (auch im Ausland) auslöste. Auch in dieser Kontroverse spielte das Nachrichtenmagazin profil eine wichtige Rolle, da es seit März 1986 in wöchentlichem Abstand über die neuesten Erkenntnisse zu Waldheims Vergangenheit im Krieg berichtete.78 Diese Vergangenheit hatte Waldheim selbst in der Biographie Im Glaspalast der Weltpolitik, seinen Ausführungen zur Tätigkeit als UNO- Generalsekretär, weitestgehend im Dunklen gelassen,79 weshalb er nun im Frühjahr 1986 verstärkt zu diesen Lücken im Lebenslauf Stellung nehmen musste.80 Zweifelhafte Geltung bei der Aufdeckung Waldheims Kriegsvergangenheit kam auch dem World Jewish Congress (WJC) zu, der insbesondere die New York Times mit immer neuen Details über den Österreicher versorgte: Generalsekretär Israel Singer und Elan Steinberg, geschäftsführender Direktor, führten in ihrer Rolle als „Aufdecker“ ein vielbeachtetes Interview, in dem sie die Geschichtsaufarbeitung der Österreicher bemängeln und Österreich davor warnen, Waldheim zu wählen: „Wer, glauben Sie, möchte mit diesem Land [= Österreich] noch zu tun haben, dessen höchster Vertreter in der ganzen Welt als Lügner entlarvt wurde?“81 In Zusammenhang mit diesem Interview wird immer wieder von einer „Drohung“ des WJC gegen jene Österreicher gesprochen, die Waldheim zu wählen gedenken.82 Auffällig ist auch, dass die Informationen, die dem WJC zur Verfügung standen nicht vollends nachgeprüft worden waren; die Interviewten heben auch hervor, dass durch einen Historiker neues Material gefunden worden sei, das aber erst auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben werden sollte. Diese groß angekündigte Pressekonferenz lieferte aber für die Gesamtdebatte lediglich neue Vermutungen, angedeutete Kriegsverbrecher konnten Waldheim weder durch die vermeintlichen Aufdecker des WJC noch durch die weiteren Recherchen österreichischer Journalisten nachgewiesen werden.83 Trotzdem wird auch in den zahlreichen Artikeln der österreichischen Presse stets Waldheims mangelnde Glaubwürdigkeit hervorgehoben, da er im Laufe der Debatte bereits zurückgewiesene

78 Der Redaktion waren seit Ende 1985 Fotos bekannt, auf denen angeblich Waldheim zu sehen war. Zudem legte der damalige ORF-Mitarbeiter Georg Tidl ein Dossier über Waldheim an, mit dem er dessen Kandidatur zu verhindern suchte. Es wird davon ausgegangen, dass die Informationen, die den World Jewish Congress zu ihren Stellungnahmen gegen Waldheim bewegten, ebenfalls von Tidl stammten. Vgl. dazu: Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 618; Robert Kriechbaumer: 1986 – Eine Bundespräsidentenwahl, nicht wie jede andere, in: Zeitenwende: Die SPÖ-FPÖ-Koalition 1983–1987 in der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in Karikaturen von Ironimus, hrsg. v. Robert Kriechbaumer/Gustav Peichl (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Bd. 33), Wien/Köln/Weimar 2008, S. 489. 79 Vgl. Kurt Waldheim: Im Glaspalast der Weltpolitik, Düsseldorf/Wien 1985, S. 40ff. 80 Unter anderem auch in einem profil-Interview mit Peter Michael Lingens, vgl. Peter Michael Lingens: „Ich weiß, dass es unwahrscheinlich klingt“, in: profil 11/1986, 10.03.1986, S. 13-15. 81 Peter Sichrovsky: „Soll ein ehemaliger Nazi und Lügner Vertreter Österreichs sein?“, in: profil 13/1986, 24.03.1986, S. 24-26, hier S. 26. 82 Michael Gehler spricht explizit davon, während im Sammelband von Ruth Wodak nur in Anführungszeichen von einer „Drohung“ die Rede ist. Gehler weist darauf hin, dass für die Autoren „lediglich die Reaktionen in Österreich auf das Interview ‚eklatant‘ [sind], nicht aber die Aussagen Steinbergs und Singers“. Vgl. Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 621; vgl. Ruth Wodak/Peter Nowak/Johanna Pelikan/Helmut Gruber/Rudolf de Cilia/Richard Mitten (Hg.): „Wir sind alle unschuldige Täter!“: diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemitismus, Frankfurt am Main 1990, S. 111. 83 Vgl. dazu: Peter Michael Lingens: Ein Präsident, dem die Welt misstraut, in: profil 14/1986, 01.04.1986, S. 16- 18. Lingens spricht im Zusammenhang von der WJC-Pressekonferenz von „schwache[m] Material, übertriebene[n] Schlüsse[n] und ein[em] inakzeptable[n] Ton.“

23 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Vorwürfe doch revidieren muss. Anfang März 1986 hatte der Präsidentschaftskandidat alle Behauptungen als unwahr zurückgewiesen und von einer Verleumdungskampagne gegen seine Person gesprochen. In der ORF-Sendung „Die Pressestunde“ fiel zudem der oft zitierte Satz, der Waldheim in den Folgemonaten negativ angelastet wurde: Er sei in die Wehrmacht eingerückt, „wie hunderttausende Österreicher auch, die ihre Pflicht erfüllt haben.“84 Für die Diskussion rund um eine Vergangenheitsbewältigung Österreichs ist die politische und gesellschaftliche Reaktion auf die Vorwürfe interessant: Eine seriöse Reflexion und Aufarbeitung über die ständig neu erscheinenden (und teilweise grotesken) Vorwürfe fand weniger statt als der Versuch, politisches Kapitel aus der Affäre zu schlagen. Die ÖVP konterte die Kampagne beispielsweise mit Aufklebern auf ihren Wahlplakaten („Jetzt erst recht!“ / „Wir Österreicher wählen, wen wir wollen“), doch der Slogan „Der Mann, dem die Welt vertraut“ (in Anspielung an Waldheims Funktion als UNO- Generalsekretär) hatte schon den Großteil seiner Anziehungskraft verloren.85 Mit dem Ergebnis der Wahl war klar, dass die SPÖ in ihrer Strategie, aus der NS-Vergangenheit Waldheims politisch Kapital zu schlagen, vollends missglückt war: Während im ersten Wahlgang am 4. Mai 1986 keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreichen konnte, erhielt Waldheim im zweiten Wahlgang (8. Juni 1986) 53,9 Prozent der Stimmen und somit das beste bisherige Ergebnis eines nicht amtierenden Bundespräsidenten.86 Fred Sinowatz zog am darauffolgenden Tag die Konsequenzen seiner verfehlten Wahlkampfstrategie und trat zurück. Eine weitere Episode aus den Diskussionen rund um Kurt Waldheim war, dass er von den USA auf die sogenannte Watchlist gesetzt wurde, was einem Einreiseverbot in die Vereinigten Staaten gleichkam, und Waldheims in den Jahren seiner Präsidentschaft vorherrschende außenpolitische Isolation vorwegnahm. In Bezug auf die österreichische Opferthese sorgte die Waldheim-Affäre aber erstmals für einen Bruch, der nun auch gesellschaftlich sichtbar wurde:

„Waldheims verhängnisvolle und wenig überzeugende Rechtfertigung, er habe damals nur seine ‚Pflicht‘ getan, ließ die weitverbreitete Auffassung an Glaubwürdigkeit verlieren, wonach Österreich erstes Opfer Hitlers gewesen sei, und stempelte diese Doktrin zur opportunen Teilwahrheit einer Politikergeneration, die um den Abschluß des Staatsvertrages gerungen hatte. […] Vor diesem Hintergrund wirkte das Diktum von der ‚Pflichterfüllung‘ für die Deutsche Wehrmacht problematisch und lenkte gleichzeitig (in Form einer unbeabsichtigten Nebenfolge) die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Frage der Mitwirkung von Österreichern an den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs. Die als Schlüsselaussage Waldheims bewertete Äußerung war zwar authentischer als viele andere von ihm abgegebenen Erklärungen, zumal dies von ihm wie von vielen

84 Zit. nach: Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 624. 85 Ein weiterer Eklat, der Österreich in Zusammenhang mit der Waldheim-Affäre erschüttert, war die Aussage von ÖVP-Generalsekretär Michael Graff, der 1987 angesprochen auf die Kritik an Waldheim meinte, dieser sei unschuldig, „solange nicht bewiesen sei, daß Waldheim eigenhändig sechs Juden erwürgt habe.“ Graff musste anschließend zurücktreten. Vgl. Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 628. 86 Am 4. Mai traten neben Waldheim und Steyrer noch Otto Scrinzi und Freda Meissner-Blau an, die es jedoch nicht in die Stichwahl schafften; vgl. Bundespräsident.at: Bundespräsidentenwahl 1986, [http://www.bundespraesident.at/historisches/wahlergebnisse-seit-1951/bundespraesidentenwahl-1986/], eingesehen 20.10.2014.

24 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Österreichern, die in der Wehrmacht Dienst versahen, subjektiv so empfunden wurde, stand aber in krassem Widerspruch zu jener Gründungsdoktrin der Zweiten Republik.“87

Auch wenn die Waldheim-Affäre noch für die Zeit nach der Wahl präsent war, soll abschließend noch das Allerwichtigste erwähnt werden: Der schon angedeutete (Rechts-)Ruck der FPÖ hin zu einer weniger liberalen, dafür mehr (national-)populistischen Partei und der nachfolgende Aufstieg jener unter Jörg Haider können ebenso als Folgen der Causa Waldheim betrachtet werden88 wie die Entsendung einer Expertengruppe zur Feststellung einer „Schuld“ des Bundespräsidenten. Diese musste sich aber den Vorwürfen aussetzen, dass es sich bei ihrer Aufgabe „primär um eine staatstragende und offizielle Mission“ gehandelt habe, als um eine wissenschaftliche Arbeit; schließlich legte die Kommission ihren Bericht nach nur eineinhalb Tagen (!) im Archiv Belgrad vor.89 Weil Waldheim bereit war, sich einem Historikerteam zu stellen, wurde im Mai 1987 erneut eine Historikerkommission eingesetzt, deren Aufgabe sein sollte, zu untersuchen, „ob ein persönlich schuldhaftes Verhalten von Dr. Kurt Waldheim während seiner Kriegszeit vorliegt.“90 Welche Art von Schuld dies sein soll, wurde nicht genauer definiert, wobei Gehler betont, es sei der Bundesregierung in erster Linie um „juristisch-kriminell faßbare“ Schuld und den Historikern um „moralische Schuld“ gegangen, der Schuldbegriff sei insgesamt in der historischen Forschung an sich aber problematisch.91 Der Schluss der Historikerkommission lautete wie folgt:

„Waldheims Darstellung seiner militärischen Vergangenheit steht in vielen Punkten nicht im Einklang mit den Ergebnissen der Kommissionsarbeit. Er war bemüht, seine militärische Vergangenheit in Vergessenheit geraten zu lassen, und sobald das nicht mehr möglich war, zu verharmlosen. Dieses Vergessen ist nach Auffassung der Kommission so grundsätzlich, daß sie keine klärenden Hinweise für ihre Arbeit von Waldheim erhalten konnte.“92

Waldheim empfand dies laut eigenen Aussagen als „Entlastung“, weil ihm keine Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden konnten, auch wenn er „wiederholt im Zusammenhang rechtswidriger Vorgänge mitgewirkt und damit den Vollzug“ erleichtert hat. Ein Rücktritt Waldheims, wie ihn sich viele Intellektuelle und Kritiker wünschten, erfolgte auch nach diesem Bericht nicht, Waldheim blieb bis zum Ende seiner Amtszeit österreichischer Bundespräsident, der aber außenpolitisch weitestgehend isoliert blieb und bei Staatsbesuchen gemieden wurde (ausländische Staatsgäste wurden beispielsweise in den Bundesländern von den Landeshauptleuten

87 Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 626. 88 Vgl. ebenda, S. 630. 89 Vgl. ebenda, S. 635. Laut Gehler sprach Kommissionsmitglied und Völkerrechtler Felix Ermacora wörtlich von „eine[r] Art patriotische[n] Pflicht“, Mitglied der Expertengruppe sein zu dürfen. Ebd., S. 636. 90 James L. Collins et al.: Bericht der internationalen Historikerkommission, in: profil 7/1988, 15.02.1988, S. 1- 48, hier S. 1. 91 Vgl. Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 648f. 92 James L. Collins et al.: Bericht der Historikerkommission, S. 43.

25 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik empfangen!),93 trat allerdings nicht mehr für eine Wiederwahl an. Somit blieb am Ende lediglich das Bild eines Landes, das „seine NS-Vergangenheit verdrängt hatte und leugne“ in der Öffentlichkeit, weil unter anderem Gehler bemerkt, dass „[d]ie Vorstellung nicht weniger Intellektueller von einem positiven Effekt bezüglich eines Umdenk- und Lernprozesses in der österreichischen Bevölkerung im Hinblick auf eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit […] sich als trügerisch erweisen [sollte].“94 Insbesondere die Bundesregierung soll sich darum bemüht haben, die Affäre im Sand verlaufen zu lassen. Oliver Rathkolb geht sogar so weit zu behaupten, dass

„die Waldheim-Debatte keine breitere Auseinandersetzung über die österreichischen Nachkriegseliten und deren Vergangenheit nach sich zog; sie blieb eher in allgemeinen Analysen stecken, die zahlreiche Diskussionen über Nationalsozialismus über Nationalsozialismus und Antisemitismus im Gefolge hatten, aber zu sehr auf Waldheim als Person abzielten.“95

Immerhin konstatiert Rathkolb aber dennoch, dass keine „geopolitische Notwendigkeit [mehr bestand], die politische Auseinandersetzung über das Ausmaß der gesellschaftlichen Kollaboration im Zweiten Weltkrieg und Holocaust zu vermeiden.“96 Dass über NS-Vergangenheit zu sprechen als Tabu betrachtet wurde, änderte sich nach Waldheim aber sehr wohl, dieses wurde nun endgültig durchbrochen, weil die Opferthese mit der Debatte um die Kandidatur Waldheims nun endgültig in Auflösung begriffen und nicht mehr haltbar war. Wichtig zu erwähnen ist auch, dass nach Beginn der Kontroversen (und im Zuge des fünfzigjährigen Gedenkjahres zum „Anschluss“) auch wissenschaftlich eine wesentlich differenziertere Geschichtsschreibung erfolgte, die wesentliche Aspekte der österreichischen Kriegsvergangenheit kritisch unter die Lupe nahm. Insbesondere der Sammelband von Emmerich Talos, Ernst Hanisch und Wolfgang Neugebauer, „NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945“97, sei hier erwähnt: Darin finden sich unter anderem vielbeachtete Beiträge zum „Anschluss“ (Hanns Haas) oder zum Themenkomplex „Österreicher in der Wehrmacht“ (Walter Manoschek und Hans Safrian); auch Schulbücher werden in diesem Sammelband auf den Nationalsozialismus hin untersucht (Peter Malina und Gustav Spann, s.u.). An dieser Stelle soll auch die Bedeutung des österreichischen Widerstands noch kurz erläutert werden, der im Zuge der Waldheim-Affäre ebenfalls eine kritische Reflexion erfährt.98 Wolfgang Neugebauer, 1988 Leiter des DÖW, hält zu Beginn seines Aufsatzes im angesprochenen Sammelband fest, „[d]ass der österreichische Widerstand seitens des offiziellen Österreich stärker als je zuvor in außenpolitische

93 Vgl. Michael Gehler: Die Waldheim-Affäre, S. 631. 94 Vgl. ebenda, S. 658f. 95 Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik, S. 304. 96 Ebenda, S. 303. 97 Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 36), Wien 1988. 98 Vgl. Wolfgang Neugebauer: Widerstand und Opposition, in: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 36), Wien 1988, S. 537-552, hier S. 537.

26 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Argumentationen und Aktivitäten (zur Abwehr von Vorwürfen hinsichtlich der NS-Vergangenheit oder zur Imagepflege) eingebracht wird […].“99 Vor allem nach Ende des Krieges war der österreichische Widerstand eng mit dem Opfermythos verknüpft, da sich das offizielle Österreich in Bezug auf die Moskauer Deklaration (unter „Bedachtnahme darauf, wie viel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird“) stets auf den Widerstand berufen konnte und damit durchaus im Einklang mit der Deklaration argumentierte. Die Frage, inwieweit man tatsächlich von einem rein österreichischen Widerstand sprechen kann, sorgte insbesondere in Zusammenhang mit den Zielsetzungen der Widerstandsgruppen in Österreich – jene waren durchaus unterschiedlich – immer wieder für Diskussionen.100 Auch die tatsächliche Bedeutung des Widerstands wurde im Zuge der Opferthese als moralisch sehr wichtig erachtet und dementsprechend dargestellt (wie zu zeigen sein wird, auch im Schulbuch). In seinem Beitrag zur Parlaments-Enquete zum Thema Widerstand im Jahr 2005 konstatiert Neugebauer beispielsweise:

„Gemessen an der großen Zahl der Opfer waren die praktischen Ergebnisse des Widerstandskampfes – etwa in Richtung einer Gefährdung des NS-Regimes, einer ernstlichen Schädigung der NS-Kriegsmaschinerie oder der Erringung der Hegemonie in der Bevölkerung – eher bescheiden. Die Befreiung Österreichs von der NS-Herrschaft war nicht das Werk einer Revolution von unten oder eines nationalen Freiheitskampfes, sondern das ausschließliche Verdienst der alliierten Streitkräfte, von denen mehr als 30.000 1945 auf österreichischem Boden gefallen sind.“101

Dieses Eingeständnis zu einem „bescheidenen Beitrag“ zur eigenen Befreiung hat sich in der Forschung allerdings erst seit der Waldheim-Affäre ergeben, nach Kriegsende bis in die 70er-Jahre war das Bild des österreichischen Widerstandskämpfers noch vom heroisch-patriotischen Österreicher geprägt, der für die Wiedererlangung seiner eigenen nationalen Souveränität kämpft.102 In der österreichischen Bevölkerung selbst begegnete man den Widerstandskämpfern und -kämpferinnen bis in die 50er-Jahre allerdings skeptisch, was Neugebauer mit der Dominanz von Weltkriegsteilnehmern und ehemaligen NS-Angehörigen begründet.103 Die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Widerstand im österreichischen Schulbuch ist aufgrund des über die Jahre unterschiedlichen Zugangs

99 Wolfgang Neugebauer: Widerstand und Opposition, S. 537. 100 Vgl. Ernst Hanisch: Gab es einen spezifisch Österreichischen Widerstand?, in: Zeitgeschichte 12/1985, S. 339-350, hier S. 348f; Karl Vocelka: Österreichische Geschichte. Kultur – Gesellschaft – Politik, München 2002, S. 298f. 101 Wolfgang Neugebauer: Widerstand in Österreich – ein Überblick, in: Widerstand in Österreich. 1938-1945. Die Beiträge der Parlaments-Enquete 2005, hrsg. v. Stefan Karner/Karl Duffek (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 7), Graz/Wien 2007, S. 27-35, hier S. 35. 102 Vgl. Peter Dusek: Der vergessene Widerstand, hrsg. v. Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien 1978; O.A.: Rot-Weiss-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs (Nach amtlichen Quellen). Erster Teil, hrsg. v. Bundesministerium für Äußeres, Wien 1946, S. 134ff. Anm.: Die Wiederherstellung eines freien, unabhängigen Österreichs war beispielsweise nicht automatisch Ziel aller Widerstandsgruppen! 103 Vgl. Wolfgang Neugebauer: Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938-1945, in: Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, hrsg. v. Gerd R. Ueberschär, Berlin/New York 2011, S. 31-42, hier S. 38.

27 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik auch für die Vergangenheitsbewältigung interessant: Inwieweit werden Widerstandskämpfer im Vergleich zu NS-Tätern in den Vordergrund gerückt und welche Gründe könnten dafür ausschlaggebend (gewesen) sein? Diese Frage wird ebenfalls im Analyseteil behandelt. Zusammenfassend ist aber wichtig festzuhalten, dass die Diskussionen rund um Kurt Waldheim auch die Zeitgeschichtsforschung in Österreich beeinflusst und praktisch eine neue Generation von Historikern mit einem zeitlichen Abstand von knapp 50 Jahren zum „Anschluss“ auch auf wissenschaftlicher Ebene eine neue Perspektive einnahmen. Die österreichische Historikerin Heidemarie Uhl ist insgesamt aber der Meinung, dass die Waldheim- Affäre die Bevölkerung nicht so sehr sensibilisiert hätte, dass sie in der Lage gewesen wäre, die von der Geschichtswissenschaft in dieser Zeit aufgestellten Thesen hin zu einer österreichischen Mitverantwortung während der NS-Zeit, für sich anzunehmen.104 Dies ist und bleibt auch heute noch in verschiedenen Situationen problematisch (s.u.).

Ein wirkliches Eingeständnis zu Schuld und Mitverantwortung seitens des offiziellen Österreich erfolgt auch erst im Zuge des „Anschluß“-Gedenkjahres. Eine Rede Waldheims selbst sorgte im März 1988 zumindest für ein offenes Eingeständnis, seine Reputation konnte er selbst dadurch allerdings nicht mehr zurückgewinnen:

„[…] Der Blick in den Spiegel unserer Geschichte zeigt uns nicht nur ein einziges Antlitz, denn das Bild eines Volkes ist vielgesichtig. Wir dürfen nicht vergessen, daß viele der ärgsten Schergen des Nationalsozialismus Österreicher waren. Es gab Österreicher, die Opfer, und andere, die Täter waren. Erwecken wir nicht den Eindruck, als hätten wir damit nichts zu tun. Selbstverständlich gibt es keine Kollektivschuld, trotzdem möchte ich mich als Staatsoberhaupt der Republik Österreich für jene Verbrechen entschuldigen, die von Österreichern im Zeichen des Nationalsozialismus begangen wurden.“105

Im Gegensatz zur Rede Figls 40 Jahre vorher ist bei Waldheim ein völlig anderer Ton auszumachen. Nicht die Idee, dass die Verbrechen jenseits der Grenzen Österreichs erdacht worden seien, steht im Vordergrund, sondern die Betonung, dass „viele der ärgsten Schergen des Nationalsozialismus Österreicher waren.“ Weitreichende Reaktionen gab es zu dieser Rede – wenn auch mit Spannung erwartet – letztlich nicht; zu sehr schien die lange im Vorhinein geplante Gedenkveranstaltung inszeniert. Man muss auch anführen, dass in dieser Rede keine Abkehr von der Opferthese erfolgt, schließlich streicht sie Waldheim im Anschluss an die oben gezeigte Passage extra heraus, wenn er sagt:

„Als Staat war Österreich das erste Opfer Hitlers. Daran ist nicht zu rütteln. Obwohl es

104 Vgl. Heidemarie Uhl: Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs Identität fünfzig Jahre nach dem „Anschluß“ (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek, Bd. 17), Wien/Köln/Weimar 1992. 105 Michael Gehler: Die Affäre Waldheim: Eine Fallstudie. Rede des Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim am Vorabend des 50. Jahrestages des „Anschlusses“ Österreichs an Hitlerdeutschland im Österreichischen Fernsehen [Dokument 3 im Anhang], S. 408.

28 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

sich wie kein zweites Land durch Jahre hindurch dem politischen und wirtschaftlichen Druck des Dritten Reiches widersetzt hatte, ist es untergegangen. Allerdings hatte uns die internationale Staatengemeinschaft keine Hilfe gegen die Aggression gewährt.“106

Mehr Beachtung erfuhr die Erklärung von Bundeskanzler Franz Vranitzky vor dem österreichischen Nationalrat am 8. Juni 1991, die den Krieg in Jugoslawien zum Anlass nimmt, um sich mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Auch wenn Vranitzky Österreich als Opfer einer militärischen Aggression bezeichnet, geht er in der Folge deutlicher auf eine Mitschuld der Österreicher am Schreckensregime der Nationalsozialisten ein:

„Gerade wir in Österreich müssen wissen, was es geheißen hat, Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit zu verlieren. Auch und gerade, weil es nicht wenige Österreicher gab, die vom größeren Reich und seinen größeren wirtschaftlichen Möglichkeiten viel erwartet hatten. Doch im Namen dieses Reiches wurden hunderttausende Österreicher eingekerkert, vertrieben oder ermordet und mehr als 250.000 sind im Krieg umgekommen. Das war das Unheil, das die NS-Diktatur über unser Land gebracht hat. Viele haben Widerstand geleistet und dabei ihr Leben für Österreich gegeben. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, daß es nicht wenige Österreicher gab, die im Namen dieses Regimes großes Leid über andere gebracht haben, die Teil hatten an den Verfolgungen und Verbrechen dieses Reiches. Und gerade, weil wir unsere eigene leidvolle Erfahrung in dieses neue Europa einbringen wollen, gerade weil wir in den letzten Tagen so ausdrücklich daran erinnert werden, was Unabhängigkeit und Eigenstaatlichkeit, Freiheit und Menschenrecht für kleine Völker bedeuten, gerade deshalb müssen wir uns auch zu der anderen Seite unserer Geschichte bekennen: zur Mitverantwortung für das Leid, das zwar nicht Österreich als Staat, wohl aber Bürger dieses Landes über andere Menschen und Völker gebracht haben. Es ist unbestritten, daß Österreich im März 1938 Opfer einer militärischen Aggression mit furchtbaren Konsequenzen geworden war: die unmittelbar einsetzende Verfolgung brachte Hunderttausende Menschen unseres Landes in Gefängnisse und Konzentrationslager, lieferte sie der Tötungsmaschinerie des Nazi-Regimes aus […]. Dennoch haben auch viele Österreicher den Anschluß begrüßt, haben das nationalsozialistische Regime gestützt, haben es auf vielen Ebenen der Hierarchie mitgetragen. Viele Österreicher waren an den Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen des dritten Reiches beteiligt, zum Teil an prominenter Stelle. Über eine moralische Mitverantwortung für Taten unserer Bürger können wir uns auch heute nicht hinwegsetzen […]. Wir bekennen uns zu allen Daten unserer Geschichte und zu den Taten aller Teile unseres Volkes, zu den guten wie zu den bösen; und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten. Dieses Bekenntnis haben österreichische Politiker immer wieder abgelegt. Ich möchte das heute ausdrücklich auch im Namen der österreichischen Bundesregierung tun; als Maßstab für das Verhältnis, das wir heute zu unserer Geschichte haben müssen, also als Maßstab für die politische Kultur in unserem Land, aber auch als unseren Beitrag zur neuen politischen Kultur in Europa.107

106 Michael Gehler: Die Affäre Waldheim. Rede des Bundespräsidenten Dr. Kurt Waldheim, S. 408. 107 O.A.: Aus der Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky vor dem Nationalrat am 8. Juni 1991, in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, hrsg. v. Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (= Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaften: Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, Bd. 13), Frankfurt am Main/New York 1994, S. 574-576, hier S. 575f.

29 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

Vranitzky spricht hier erstmals öffentlich von einer moralischen Mitverantwortung, außerdem legt er das Bekenntnis im Namen der Bundesregierung, also als offizielles Statement ab, was für die Rede Waldheims nicht gilt. Das während der Waldheim Affäre entstandene Bild eines Landes, das seine Vergangenheit nicht genug aufgearbeitet hat, wird nun durch das Bekenntnis zur „dunklen“ Vergangenheit bzw. zu den „bösen Taten“ erstmals revidiert. Ein großes Medienecho war auch Vranitzkys Rede an der Hebrew Universität in Jerusalem beschieden, in der er sich zwei Jahre nach seiner Erklärung vor dem Nationalrat zur österreichischen Beziehung zu Israel äußert und erneut ein Schuldeingeständnis ausspricht:

„We have always felt, and still feel that the connotation of ‚collective guilt‘ does not apply to Austria. But we do acknowledge collective responsibility, the responsibility of each and every one of us to remember and to seek justice. We share moral responsibility because many Austrians welcomed the ‚Anschluss“, supported the Nazi regime and helped it to function. We must not forget those who suffered unspeakable fates, we must not foret those who caused these pains and we must not forget those who offered resistance. I have stated in the Austrian Parliament, and I want to repeat this avowel firmly again today: we admit to all that has happend in our history and to the deeds of all Austrians, be they good or bad. Just as we claim credit for our good deeds we must beg forgiveness for the evil ones – the forgiveness of those who survived and of the descendants of those who persished. […] I am here to represent a new, a modern and a self-confident country, as independent and and a democratic state that has been established as the antithesis to , and indeed, most of the founding fathers of the Second Republic were survivors of the concentration camps and prisons of the Third Reich. This is one of the reasons why the Moscow Declaration of 1943 which declared Austria the first victim of Nazi aggression, was accepted as the only truth, and for a long time could block the recognition, the acknowledgement of the other, darker side of our history.“108

Auffällig ist, dass Vranitzky sich in dieser Rede eindeutig auf die Moskauer Deklaration und deren Interpretation bezieht und auch gesteht, sie hätte eine ehrliche Aufarbeitung in Österreich verhindert. Vranitzky war als erster österreichischer Bundeskanzler auf Staatsbesuch in Israel, ihm tat es Thomas Klestil als erster Bundespräsident ein Jahr später gleich; auch dieser bekannte sich zum „schweren Erbe der Geschichte“, das die Österreicher tragen müssten.109 Die Opferthese ist somit spätestens Mitte der 90er-Jahre aus der Sicht des offiziellen Österreich passé, was nicht heißt, dass sich einzelne Gruppen oder Parteien noch darauf beziehen können oder eine Geschichtsaufarbeitung nach wie vor ablehnen. Davon soll in einem Fazit noch die Rede sein.

108 O.A.: Aus der Ansprache von Bundeskanzler Vranitzky anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats an der Hebrew University in Jerusalem am 9. Juni 1993, in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, hrsg. v. Gerhard Botz/Gerald Sprengnagel (= Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaften: Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, Bd. 13), Frankfurt am Main/New York 1994,, S. 577-580, hier S. 578f. 109 Vgl. Cornelius Lehnguth: Waldheim und die Folgen. Der parteipolitische Umgang mit dem Nationalsozialismus in Österreich (= Studien zur historischen Sozialwissenschaft, Bd. 35), Frankfurt am Main 2013, S. 235.

30 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik

2.1.6 Gegenwärtige Vergangenheit? – Vergangenheitsbewältigung heute Der wichtigste Schritt zu einer vorurteilsfreien Vergangenheitsbewältigung wurde durch die offizielle Aufgabe der Opferdoktrin gesetzt; was nach Vranitzkys Rede im Nationalrat noch fehlte, war die von ihm angesprochene „Wiedergutmachung“.110 Dieser neuerliche Meilenstein, sich ehrlich mit Restitution auseinanderzusetzen, wurde erst durch ein Geschichtsbild, in dem Österreich nicht nur Opfer, sondern auch Täter ist, ermöglicht, da die Opferthese durch den Hinweis, als Staat nicht existiert zu haben, eine bequeme Geschichtsklitterung bot. Um etwaige Rückstellungen oder Entschädigungen seitens der Republik zu überprüfen, wurde von der Bundesregierung eine Historikerkommission zum Thema „Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich“ eingesetzt, die unter der Leitung des Juristen Clemens Jabloner von 1998 bis 2003 die gesamte Materie erarbeitete.111 Auf der Grundlage des Abschlussberichts sollte dann eine finanzielle Wiedergutmachung seitens der Republik Österreich (insbesondere für Zwangsarbeiter und für „arisiertes“ Eigentum) in Aussicht gestellt werden. Einen Abschluss erfuhr die Beschäftigung Österreichs mit seiner Vergangenheit dadurch allerdings nicht, die Bewältigung der NS-Zeit ist nach wie vor nicht vollständig abgeschlossen. Aus diesem Grund wehrt sich Jabloner auch dagegen, die 2003 beendete Arbeit der Historikerkommission als „Schlussstrich“ zu sehen:

„In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder von einem ‚Schlussstrich‘ gesprochen, die Verwendung dieses Begriffs kann nur irreführend sein. Schon aus wissenschaftlichen Gründen kann es keinen ‚Schlussstrich‘ geben, weil sämtliche Forschungsergebnisse unter dem Vorbehalt späterer besserer Funde oder Deutungen stehen. Aber auch in ‚sozialpsychologischer Hinsicht‘ sehe ich ein klassisches Dilemma: Solange nämlich die Forderung nach einem ‚Schlussstrich‘ im Raum steht, gerade so lange kann es ihn nicht geben. Erst dann, wenn die Ergebnisse derartiger Forschungen nicht mehr den Ruf nach einem ‚Schlussstrich‘ auslösen, wird er gezogen sein, aber dann von niemandem mehr so genannt werden.“112

Erneut wurde Österreich durch die FPÖ-ÖVP-Koalition (seit Anfang 2000) mit seiner Vergangenheit konfrontiert, weil insbesondere die Regierungsbeteiligung der Freiheitlichen Partei – sie war unter Jörg Haider zunehmend an den rechten Rand des politischen Spektrums geraten – für Kontroversen sorgte. Schon Bruno Kreisky hatte Haider Ende der 80er-Jahre als „lebensgefährlichen Nazi“ bezeichnet und wurde dafür wegen Ehrenbeleidigung zu einer Zahlung von 21.000 Schilling

110 „Vieles ist in den vergangenen Jahren geschehen, um so gut dies möglich war, angerichteten Schaden wieder gut zu machen, angetanes Leid zu mildern. Vieles bleibt nach wie vor zu tun, und die Bundesregierung wird auch weiterhin alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um jenen zu helfen, die von den bisherigen Maßnahmen nicht oder nicht ausreichend erfaßt oder bisher in ihren moralischen oder materiellen Ansprüchen nicht berücksichtig wurden.“ Aus der Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky vor dem Nationalrat am 8. Juni 1991, in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte, S. 575f. 111 Vgl. Clemens Jabloner/ Brigitte Bailer-Galanda/Eva Blimlinger/Georg Graf/Robert Knight/Lorenz Mikoletzky/Bertrand Perz/Roman Sandgruber/Karl Stuhlpfarrer/Alice Teichova (Hg.): Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen, Wien/München 2003. 112 Clemens Jabloner: Die Historikerkommission der Republik Österreich, S. 21.

31 Theorieteil | Umgang mit NS-Vergangenheit in der Zweiten Republik verurteilt.113 In den anderen EU-Staaten sah man dies zu Beginn des Jahres 2000 ähnlich und wollte eine Regierung mit Haider verhindern, weshalb es Ende Jänner zu „EU-Sanktionen“ gegen Österreich kam, die erst im Sommer desselben Jahres infolge eines „Weisenberichts“ dreier EU-Gesandten wieder zurückgenommen wurden.114 Noch heute, 2014, ist man von einem solchen „Schlussstrich“ weit entfernt und die Auseinandersetzung mit österreichischer NS-Vergangenheit polarisiert immer noch sehr stark. Das lässt sich beispielsweise an der Diskussion um die Enthüllung des „Deserteursdenkmals“ ablesen, die Ende Oktober 2014 am Wiener Ballhausplatz stattfand: Aus der medialen Berichterstattung geht hervor, dass es „vor allem den Faktor Zeit [braucht], um historische Klarstellungen in Österreich zu erreichen.“115 Dass es in Österreich mitunter sehr lange dauert, sich mittels einer öffentlichen Geste zu einem Aspekt der Geschichte zu bekennen, hat auch damit zu tun, dass insbesondere Denkmäler Zeichen eines vorherrschenden Geschichtsbildes sind und dieses Bild von unterschiedlichen (politischen) Gruppierungen different beurteilt und interpretiert wird. Nur so ist es zu erklären, dass sich beispielsweise die Wiener akademische Burschenschaft Teutonia mit einer Flugblattaktion und dem Hinweis auf die „alte Pflicht“ gegen das Deserteursdenkmal wendet und dabei von Nationalratsabgeordneten der Freiheitlichen Partei unterstützt wird.116 Auch die teils heftigen Reaktionen rund um die NS-Vergangenheit des österreichischen Reiseschriftstellers und Bergsteigers Herbert Tichy zeigen, wie schwierig der Umgang mit Nationalsozialismus in Österreich nach wie vor ist.117 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass seit längerer Zeit begonnen wird, über wissenschaftliche Erschließung vermeintliche „dunkle Flecken“ der Vergangenheit sukzessive aufzuarbeiten. Dafür ist nicht nur das erwähnte Deserteursdenkmal ein Beispiel, sondern auch die von der Stadt und Universität Wien ausgehende Initiative zur Erforschung umstrittener Straßennamen.118 Vergangenheitsbewältigung in Österreich ist noch nicht vollständig abgeschlossen, der von Jabloner erwähnte „Schlussstrich“ wird sowohl wissenschaftlich als auch auf gesellschaftspolitischer Ebene länger nicht erreicht sein. Zukünftig bleibt aber zu hoffen, dass es nicht wie beim Deserteursdenkmal heißt: „Wie so oft hat es sehr lange gedauert.“119

113 Vgl. Franz Kotteder: Staatsmann mit vielen Gesichtern, in: Süddeutsche Zeitung, 22.11.2000, S. 19. 114 Vgl. dazu: Rosa Winkler-Hermaden: Als Österreich der Buhmann der EU war, in: Der Standard, 21.01.2010, [http://derstandard.at/1263705581215/EU-Sanktionen-Als-Oesterreich-der-Buhmann-der-EU-war], eingesehen 23.10.2014; Werner A. Perger: Erfolgreich gescheitert, in: Die ZEIT 05/2010, [http://www.zeit.de/2010/05/EU- Sanktionen-Haider], eingesehen am 23.10.2014. 115 Peter Mayer: Anfang, nicht Ende. Denkmal für Wehrmachtsdeserteure, in: Der Standard, 25/26. 10.2014, S. 40. 116 Vgl. Colette M. Schmidt: FPÖ-Abgeordneter verteidigt Flugblatt gegen Deserteursdenkmal, in: Der Standard, 4.11.2014, [http://derstandard.at/2000007663209/Die-Teutonia-und-die-alte-Pflicht], eingesehen 08.11.2014; Colette M. Schmidt: Gute Gründe. Polemik gegen Deserteursdenkmal, in: Der Standard, 5.11.2015, S. 38. 117 Vgl. O.A.: Tichy und die Nazis: Gegen die Lobhudler, in: Der Standard, 6.11.2014, S. 35. 118 Vgl. O.A.: Wiener Straßennamen: Historiker sehen viele Umbenennungskandidaten, in: Der Standard, 24.09.2014, [http://derstandard.at/2000005967777/Wiener-Strassennamen-Historiker-sehen-viele- Umbenennungskandidaten], eingesehen 08.11.2014. 119 Peter Mayer: Anfang, nicht Ende, S. 40.

32 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

2.2 Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

Nachdem im vorherigen Teil der österreichische Umgang mit NS-Vergangenheit thematisiert wurde, sollen an dieser Stelle einige Überlegungen zum Schulbuch als Forschungsgegenstand eingenommen werden. Dabei soll in erster Linie auf die Schwierigkeiten in der Methodik eingegangen werden und versucht werden zu klären, warum Schulbücher für eine Fragestellung hinsichtlich österreichischer Vergangenheitsbewältigung überhaupt relevant sind. In einem letzten Schritt soll ein Überblick über den bisherigen Forschungsstand zum Thema gegeben werden.

2.2.1 Grundlagen der Schulbuchforschung Einleitend ist zu sagen, dass es nicht die eine Methode gibt, um Schulbücher zu analysieren, insbesondere, wenn es sich dabei um vergleichende Analysen handelt. Auch wenn es mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher Ansätze zur Analyse von Schulbüchern gibt, ist die wissenschaftliche Erforschung ein relativ junges Wissenschaftsfeld, das insbesondere mit der Gründung des Georg Eckert Institut für Internationale Schulbuchforschung 1975 in Bielefeld im deutschsprachigen Raum gewissermaßen ein Zentrum besitzt. Das Institut zeichnet sich auch verantwortlich für das seit 1978 herausgegebene Wissenschaftsmagazin „Internationale Schulbuchforschung. Zeitschrift des Georg- Eckert-Instituts für Internationale Schulbuchforschung“, in dem länderübergreifende Schulbuchanalysen analysiert werden. Eine Schulbuchanalyse hieß lange Zeit vor allem „Inhaltsanalyse“, wobei Didaktiker Peter Weinbrenner „sehr viel mehr“ unter dem Forschungsbegriff „Schulbuchforschung“ verstehen will und deshalb zumindest drei Typen der Schulbuchforschung unterscheidet: prozessorientierte, wirkungsorientierte und produktorientierte Schulbuchforschung. Während die prozessorientierte Schulbuchforschung mehrere Forschungsfelder umfasst und sich des „Lebenszyklus‘“ eines Schulbuchs annimmt,120 ist die wirkungsorientierte Schulbuchforschung „ein Teil der Schul- und Unterrichtsforschung, d.h. das Schulbuch wird als Sozialisationsfaktor des Unterrichts in Hinblick auf seine Wirkungen auf Schüler und Lehrer untersucht.“121 Für die vorliegende Arbeit ist die produktorientierte Schulbuchforschung von Bedeutung: „Hier interessiert das Schulbuch als Unterrichtsmedium und als Mittel der Visuellen Kommunikation. Schulbuchanalysen werden hier vornehmlich mittels inhaltsanalytischer Verfahren durchgeführt […].“122 Weinbrenner betont, das Forschungsinteresse habe sich bis dato (also bis 1995) vor allem auf die produktorientierte

120 Gemeint ist damit die Entstehung eines Schulbuchs über die Zulassung, Vermarktung, Einführung in Schulen, Verwendung sowie am Ende die Aussonderung und Vernichtung. 121 Peter Weinbrenner: Grundlagen und Methodenprobleme sozialwissenschaftlicher Schulbuchforschung, in: Schulbuchforschung, hrsg. v. Richard Olechowski (= Schule – Wissenschaft – Politik. Reihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Schulentwicklung und international-vergleichende Schulforschung, Bd. 10), Frankfurt am Main/Berlin/Bern/New York/Paris/Wien 1995, S. 21-45, hier S. 23. 122 ebenda, S. 22.

33 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

Schulbuchforschung konzentriert und bezeichnet dies als „eigentlich sehr bedauerlich.“123 Nichtsdestoweniger bietet die produktorientierte Schulbuchforschung durch die Möglichkeit einer historischen und vergleichenden Schulbuchforschung den für das hier durchzuführende Forschungsvorhaben besten Ansatz: Eine Untersuchung des „Sozialisationsfaktors“ Schulbuch ist für eine Fragestellung die österreichische Vergangenheitsbewältigung betreffend ohne entsprechende Unterrichtsbeobachtungen, die in beachtlichem Umfang durchgeführt werden müssten, wenig zielführend. Ebenso wenig ist der „Lebenszyklus“ eines Schulbuches für die Darstellung österreichischer NS-Vergangenheit von Interesse, womit die anderen beiden von Weinbrenner genannten Forschungsansätze von vornherein wegfallen. In seinem Aufsatz zu den Grundlagen und Methodenproblemen einer Schulbuchanalyse stellt Weinbrenner insgesamt fünf Dimensionen vor, die für eine Analyse von Schulbüchern von Interesse sind (Wissenschaftstheorie, Design, Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Erziehungswissenschaft).124 Weil der Autor aber selbst betont, dass durch die „Vielfalt und Komplexität“ der möglichen Untersuchungsperspektiven ein geschlossenes Bezugssystem unmöglich zu etablieren ist,125 wird damit eine Grundproblematik der Schulbuchforschung offenbar: Wie können die Ergebnisse einer Analyse wissenschaftlich gesichert werden? Knapp zwanzig Jahre nach Erscheinen des Aufsatzes scheint dieses Problem immer noch nicht gelöst, weshalb ich für die vorliegende Arbeit einen deskriptiven Zugang gewählt habe, der ob seiner Einfachheit naturgemäß wissenschaftlicher Kritik unterworfen ist, da ich mit der reinen Inhaltsanalyse, die im Analyseteil vorgestellt werden soll, das Medium Schulbuch nicht in seiner Ganzheit erfasse. Gestützt werde ich in dieser Entscheidung wieder von Weinbrenner, der folgendes festgestellt hat:

„Schulbuchforschung hat immer noch große Defizite im Hinblick auf die Bestimmung ihrer Forschungsfelder, auf ihre Dimensionierung und Kategoriebildung sowie ihr methodisches Instrumentarium. Schulbuchforschung sollte sich hüten, die rigiden Standards empirisch analytischer Inhaltsanalysen, die heute oft nur noch mittels computerunterstützter Analyse- und Auswertungsverfahren durchgeführt werden können, ungeprüft zu übertragen, und sich auf eine pragmatische Vorgehensweise verständigen, durch die hinreichende Reliabilität und Validität gesichert werden können und bei der Aufwand und Ertrag in einem vertretbaren Verhältnis stehen.“126

Die Kriterien, nach denen die einzelnen Schulbücher in der Arbeit untersucht werden, sind von mir selbst in Verbindung mit meiner Forschungsfrage auf Basis schon bestehender Schulbuchanalysen erstellt worden und sollen im nächsten Kapitel vorgestellt werden.

123 Peter Weinbrenner: Grundlagen und Methodenprobleme, S. 23. 124 Vgl. ebenda, S. 24 bzw. S. 28ff. 125 „Der Versuch, ein geschlossenes und damit vollständiges wissenschaftliches Bezugssystem der Schulbuchforschung zu bestimmen, erscheint mir angesichts der Vielfalt und Komplexität möglicher Erkenntnisinteressen und Forschungsfragen als aussichtslos. Eines steht jedoch fest: Schulbuchforschung muß – zumindest solange sie das Schulbuch als Ganzes zu erfassen trachtet – mehrdimensional und multiperspektivisch sein.“, Peter Weinbrenner: Grundlagen und Methodenprobleme, S. 28. 126 Ebenda, S. 42.

34 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

2.2.2 Analysekriterien für die Untersuchung österreichischer Vergangenheitsbewältigung Jeder Variante der Schulbuchforschung ist gemein, dass der Forscher/die Forscherin Analysekriterien aufstellen muss, nach denen das Schulbuch – oder wie im Falle der vorliegenden Arbeit mehrere Schulbücher – untersucht werden kann. Unter anderem wurde Ende der 1990er-Jahre vom österreichischen Pädagogen Josef Thonhauser mit dem sogenannten „Salzburger Raster“ zur Analyse von Schulbüchern bzw. Lehrwerken ein „Werkzeugkasten“ entwickelt, mit dessen Hilfe eine Analyse objektiver und vor allem nachvollziehbarer werden sollte.127 Allerdings enthält das Salzburger Raster insgesamt 78 Kategorien, die jeweils ein „Rating“ erhalten. Diese Kategorien können in elf Hauptkategorien128 zusammengefasst werden, von denen aber wiederum nicht alle für die vorliegende Untersuchung in Frage kommen: „Inhaltliche Qualität“129, „Sprachliche Gestaltung“, „Methodische Gestaltung“, „Bilder / Graphiken / Tabellen“ sowie „Umgang mit dem Politischen Gehalt“130 werden letztlich implizit auch für meine Analyse verwendet. Die einfachsten Analysekriterien sind aber die bibliographischen Daten, die Zielgruppenanalyse sowie eine erste Layoutbeschreibung. Diese Kriterien sind insbesondere für eine Erstsichtung erforderlich und ermöglichen eine grobe Einschätzung des Schulbuches. Folgende Aufzählung ist Ina Markovas Analyse „Wie Vergangenheit erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in österreichischen Schulbüchern“ (s.u.) entnommen und stammt von Falk Pingel, ehemaliger geschäftsführender Direktor des Georg Eckert Instituts für internationale Schulbuchforschung:

• Beschreibung des Mediums im Entstehungskontext: Wie alt ist das Schulbuch, wann wurde es nach welchem Lehrplan approbiert? Existieren bereits neue Auflagen, wenn ja, wurden Teile verändert? Welche und Warum? • Zielgruppenanalyse: An welche Klasse richtet sich das Schulbuch? • Layout: Welchen Strategien folgt die Einteilung nach Kapiteln? Welche Themen und Inhalte werden grafisch besonders (etwa durch eine spezielle Farbe) herausgehoben?131

127 Vgl. Jörg Sams/Josef Thonhauser: Schulbuchforschung – Ein Beitrag zur Schulentwicklung?, in: Salzburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft 2/1, [https://www.sbg.ac.at/erz/salzburger_beitraege/fruehling98/sams_thon.html], eingesehen 28.10.2014. 128 Die elf Hauptkategorien lauten: Allgemeines zum Schulbuch bzw. Lehrwerk (nur beschreibend), Ausstattung, Handhabbarkeit, Ziele, Inhaltliche Qualität, Sprachliche Gestaltung, Methodische Gestaltung, Funktion für die Planung und Durchführung des Unterrichts, Bilder / Graphiken / Tabellen,Umgang mit dem Politischen Gehalt, Informationen über AutorInnen sowie Entstehungsbedingungen des Lehrwerks (Motivenbericht) (nur beschreibend). 129 Damit meinen Thonhauser und Sams in erster Linie, dass Fakten weitestgehend richtig dargestellt werden. Weil für jede Kategorie ein „Rating“ erhält, gibt es „Abzüge“ für Fehler. Für die Beurteilung sachlicher Richtigkeit fehle Erziehungswissenschaftlern laut Thonhauser/Sams allerdings die Kompetenz. In der vorliegenden Arbeit wird sehr wohl die Korrektheit der im Schulbuch getätigten Aussagen aus wissenschaftlicher Sicht überprüft. 130 Schulbücher sind laut Thonhauser/Sams „ein Medium ‚symbolischer Politik‘, auch wenn es den Autorinnen und Autoren nicht bewußt sein mag.“, vgl. [https://www.sbg.ac.at/erz/salzburger_beitraege/fruehling98/sams_thon.html], eingesehen 28.10.2014. 131 Zitiert nach Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in österreichischen Schulbüchern, Marburg 2013, S. 112.

35 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

Vor allem die Veränderung einzelner Abschnitte in neueren Auflagen wird in der Analyse thematisiert werden, weil besonders jene Textstellen, die für die zu untersuchende Fragestellung dieser Arbeit interessant sind, einige Veränderungen erfahren. Welche und in welchem Umfang wird im Analyseteil zu zeigen sein. Vorausgeschickt werden muss, dass für die Gründe von etwaigen Änderungen nur Mutmaßungen angestellt werden können, da gesicherte Aussagen lediglich über die Verlage selbst zu beziehen wären. Zur Zielgruppenanalyse sei gesagt, dass sich die von mir ausgewählten Schulbücher an OberstufenschülerInnen der elften und zwölften Schulstufe richten, da in diesen Klassen die Themenbereiche Nationalsozialismus, Holocaust und Zweite Republik (bzw. österreichische Zeitgeschichte) behandelt werden. Allerdings ändert sich der Themenfokus der Schulbücher während der Untersuchungszeitraums, worauf bei Bedarf hingewiesen wird. Entscheidend ist aber die Analyse ausgewählter Passagen in Schulbüchern, besonders der Textstellen, für die ebenfalls Falk Pingel eine Anleitung liefert. Er unterscheidet dabei mehrere Ebenen, die für das vorliegende Forschungsvorhaben in ähnlicher Art und Weise benannt werden, nämlich eine sprachliche Ebene, eine visuelle Ebene, eine Ebene des Wechselverhältnisses von Text und Bild sowie eine wissenschaftlich-didaktische Ebene. Dies ergänzt Markova noch um die Frage nach der Verwendung von Quellen, womit sich folgende Einteilung der Analyseebenen ergibt:

1. Auf einer sprachlichen Ebene: Was darf geschrieben werden? Welche Wörter und welche sprachlichen Konstruktionen werden verwendet? Sind es Aktiv- oder Passivkonstruktionen, d.h. werden die Handelnden offen genannt oder verschwindet das Dargestellte in anonymen Strukturen. Welche Adverbien und welche Adjektive werden verwendet und warum? Welche sprachlichen Bilder und Metaphern werden verwendet? 2. Auf einer visuellen Ebene: Welche Diagramme, Statistiken und sonstige Mischformen von Text und Bildern werden verwendet, um dem Abgedruckten Autorität zu verleihen? Was für Bilder werden in welchem Zusammenhang verwendet, bzw. wurden in früheren Ausgaben verwendet und in rezenten nicht mehr? Gibt es Arbeitsaufträge, welche die eigenständige Behandlung der Bilder durch die SchülerInnen vorhersehen? 3. Auf der Ebene des Wechselverhältnisses von Text und Bild: Welche Emotionen, Informationen und Wissensbestände sollen durch Bilder oder durch das Wechselverhältnis von Bild und Bild und Bild und Text vermittelt werden? Werden die Bilder zur Illustration verwendet oder werden sie mit einem kritischen Kommentar versehen, der ihre Historizität unterstreicht? In welchem Wechselverhältnis stehen sie zum Text? Kontrastieren sie diesen oder stimmen sie ihm zu? Welche Bedeutungsverschiebungen entstehen durch Bildlegenden und sonstige textliche Kommentierungen? Falls bekannt, handelt es sich um nachträglich manipulierte Bilder, d.h. ist das Bild etwa aus layouttechnischen Gründen beschnitten worden? Wird eine bevorzugte Lesart des Bildes nahegelegt, indem das Bild durch Worte verankert wird? Wird die Intention eines Textes durch Bilder verankert?132 4. Auf einer wissenschaftlichen bzw. didaktischen Ebene: Sind die historischen Ereignisse adäquat, d.h. richtig dargestellt? Werden auch neuere Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft miteinbezogen? Wie ausführlich wird ein Thema behandelt? Wird versucht, einen Bezug zur Gegenwart und zur Lebenswelt der SchülerInnen herzustellen?

132 In diesem Zusammenhang besonders wichtig: Bildunterschriften.

36 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

5. (Welche Quellen werden wie verwendet? Welche Aufgabenstellungen werden dadurch an die Schüler herangetragen?)133

Ich unterscheide in meinen Analysen grundsätzlich ähnlich, fasse die Begrifflichkeiten allerdings anders und unterscheide grundsätzlich zwischen vier verschiedenen Analyseebenen. Statt einer sprachlichen Ebene gehe ich von einer „Inhaltsebene“ aus, in der in erster Linie der Fließtext des Schulbuchs, von den Autoren und Autorinnen selbst verfasst, analysiert wird (von mir auch als „Schulbuchnarrativ“ bezeichnet). Die Fragen, die dabei an die Textausschnitte gestellt werden, werden aber von Pingel übernommen. Als nächste Ebene wird von mir die „Bildebene“ besprochen, in der jedoch nicht allein die Abbildungen, sondern auch die Bildunterschriften untersucht werden sollen. In der dritten Ebene erfolgt eine genauere Auseinandersetzung mit „Quellen“, also jenen Textabschnitten, die aus der Sekundärliteratur („Historikerzitate“) oder Quellendarstellungen entnommen sind; kurz: alle Texte, die nicht von den Autoren und Autorinnen selbst stammen und deshalb zitiert werden (sollten). Die vierte und letzte Ebene bilden die Arbeitsanregungen und Arbeitsaufträge: Hier gilt es besonderes Augenmerk darauf zu richten, ob es sich um reine Stoffwiederholungsfragen oder um weiterführende Fragen (Diskussionen usw.) handelt und welche Themenbereiche dabei angesprochen werden (und ob grundsätzlich Fragen zur österreichischen NS-Vergangenheit gestellt werden). Kurz zusammengefasst sieht die inhaltliche Teilung in meiner Analyse also folgendermaßen aus:

• inhaltliche Ebene • Bildebene • Quellen • Arbeitsaufträge

Weil es vor allem in den älteren von mir untersuchten Schulbüchern wenig bis gar keine Abbildungen, Arbeitsaufträge oder Quellen gibt, können einzelne Bereiche auch zusammengefasst werden. In einem nächsten Schritt geht es um die konkrete Fragestellung „österreichische NS-Vergangenheit“: Welche Fragen werden ans Schulbuch gestellt, um österreichische Vergangenheitsbewältigung in Schulbüchern nachweisen zu können? Auch hierzu wurde bereits Ende der 80er-Jahre ein Analyseraster von Josef Thonhauser aufgestellt, der in einem Aufsatz in Zeitgeschichte (s.u.) „Kategorien zur Analyse von Lehrbuchtexten mit potentieller Wirkung auf die (Bereitschaft zu) Bewältigung belastender Vergangenheit“ aufstellt, die wie folgt aussehen:

• „Verschweigen der belastenden Vergangenheit

• Historisch fragwürdige Darstellung der Vergangenheit

133 Vgl. Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird, S. 113.

37 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

• Kritische Darstellung der belastenden Vergangenheit: die handelnden und betroffenen Menschen, ihr Bewusstsein und die strukturellen Bedingungen ihres Handelns

• Anstöße zur Rekonstruktion gegebener, von vielen Menschen jedoch nicht ausgeschöpfter Handlungsmöglichkeiten in Situationen der belastenden Vergangenheit

• Anregungen, der belastenden Vergangenheit strukturähnliche Situationen in der Gegenwart aufzusuchen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten sowie die Bereitschaft zu handeln zu prüfen.“134

Während das Verschweigen der belastenden Vergangenheit und die drei letzten Punkte für sich stehen, differenziert Thonhauser bei Punkt 2 sehr stark. Neben „Rechtfertigung der belastenden Vergangenheit“, „Verharmlosung“ und „Gegenseitige Schuldzuschreibung und Aufrechnung“ findet sich auch „Ableugnung der Mitverantwortlichkeit“ (durch unzulässige Personalisierung / Inanspruchnahme des Notstandes / Fatalisierung) sowie „Vergrößerte Darstellung des Guten (z.B. des Widerstandes) in der belastenden Vergangenheit“. Mit „kritischer Darstellung der belastenden Vergangenheit“ ist gemeint, dass im Schulbuch der schonungslose „Ist-Zustand“ (bzw. „War- Zustand“) als Realität geschildert wird, ohne Aspekte, welche die Vergangenheit weniger belastend erscheinen lassen, auszublenden. Die „Anstöße zur Rekonstruktion gegebener Handlungsmöglichkeiten“ versteht Thonhauser gewissermaßen als kritische Reflexion einzelner Individuen, Gruppen oder Institutionen, immer im Zusammenhang mit den möglichen Konsequenzen eines Handlungsszenarios. So könnten im Rahmen dieses Rasters meiner Meinung nach bei der Frage, warum es im März 1938 keinen bewaffneten Widerstand gegen den Einmarsch der Nationalsozialisten in Österreich gegeben hat, mögliche Folgen eines solchen Widerstands erörtert werden. In diesem vierten Punkt bleibt Thonhauser aber keine andere Möglichkeit, als seine Ausführungen im Konjunktiv zu formulieren. Der fünfte und letzte Punkt – „Anregungen, der belastenden Vergangenheit strukturähnliche Situationen in der Gegenwart aufzusuchen […]“ meint kurz gesagt nur, ob das Schulbuch Möglichkeiten bietet, aus der belastenden Vergangenheit bzw. aus der Beschäftigung damit zu lernen. Rein auf die Einteilung bezogen, eignet sich Thonhausers Modell eigentlich sehr gut, um die Frage nach Vergangenheitsbewältigung in österreichischen Schulbüchern beantworten zu können. Insgesamt scheinen die Kategorien zu wenig konkret zu sein, um wirklich 1:1 für eine aufwändige Analyse übernommen werden zu können. Das hat auch damit zu tun, dass Thonhauser in der Formulierung der Kriterien auf didaktische Besonderheiten des Schulbuches verzichtet: Quellen und/oder Bilder werden in die Fragestellung nicht miteinbezogen, was bedeutet, dass man über Thonhausers Schablone eine

134 Josef Thonhauser: Österreichbewusstsein und Vergangenheitsbewältigung im Spiegel der Lehrbücher, in: Zeitgeschichte 15/1, 1987, S. 37-53, hier S. 42f. Anm.: Aleida Assmann nennt insgesamt fünf Strategien der Verdrängung (Aufrechnen, Externalisieren, Ausblenden, Schweigen, Umfälschen), die man ähnlich verstehen kann wie Thonhausers Modell zur Aufarbeitung von Vergangenheit, vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 169ff.

38 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand weitere darüberlegen muss, um in der Analyse den Eigenheiten des Schulbuches auch methodisch gerecht zu werden. Einzelfragen lassen sich aus diesen Kriterien also nur bedingt ableiten, weshalb auch Thonhausers Modell lediglich implizit eine Rolle für die Analyse spielen wird. Konkrete (thematische) Fragen an das Schulbuch müssen selbst erarbeitet werden, um der spezifischen Forschungsfrage gerecht zu werden. Aus diesem Grund ist in Anlehnung an Markova, die anhand von sechs Stichworten konkrete Fragen anbietet, eine eigene Kriterien- oder Frageliste entstanden, wobei allerdings nur der „Anschluss“ und in gewisser Weise der Holocaust sowohl von mir und Markova behandelt wird. Das Stichwort „Zweite Republik“ wird in meiner Arbeit unter „Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen“ ausgeführt. Die ausgewählten Schulbücher werden also unter folgenden Gesichtspunkten analysiert:

A. Stichwort „Anschluss“

1. Wie wird der „Anschluss“ Österreichs 1938 geschildert? Beschränkt man sich auf die militärischen Aspekte der Inkorporation in das Dritte Reich oder wird auch die befürwortende Haltung von Teilen der Österreichischen Bevölkerung erwähnt?

a) Wenn ja, wie wird diese Haltung erwähnt, wird sie mittels Quellen und/oder Bildern gestützt/kontrastiert?

2. Welche Auswirkungen hat der „Anschluss“ für die Darstellung der österreichischen Geschichte? Ist die bildliche Ikone des Gedächtnisorts Heldenplatz absent oder präsent? (Inwieweit werden die jubelnden Menschenmassen erwähnt?)

3. Wird in aktuellen Schulbüchern die Ambivalenz der Erinnerungen an den „Anschluss“ sichtbar gemacht? Wenn ja, wie?

B. Stichwort Österreichische NS-Täter und Holocaust

1. Welche rein österreichischen Aspekte werden in der Kriegszeit sichtbar gemacht und wie geschieht dies?

2. Wird die Rolle von Österreichern in der Wehrmacht angesprochen? Werden konkret Verbrechen der Wehrmacht erwähnt oder nur die SS?

3. Wird gesondert auf die Täterschaft von Österreichern in der NS-Vernichtungsmaschinerie eingegangen, bzw. wird deren Überrepräsentation erwähnt?

4. Wird Holocaust als genuin „deutsches“ Problem behandelt oder finden sich Hinweise auf Antisemitismus in Österreich (vor dem Krieg/nach dem Krieg?)

39 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

C. Stichwort Widerstand

1. Wird rein österreichischer Widerstand gesondert behandelt? Welchen Raum nimmt er rein quantitativ im Vergleich zu anderen Thematiken (vgl. Österreich während der NS- Herrschaft) ein?

2. Welche Gruppen/Widerstandskämpfer werden genannt, mit welchen Bildern/Quellen werden sie hinterlegt?

3. Wie wird der Erfolg des Widerstands bewertet und eingeschätzt?

4. Wird die Moskauer Deklaration im Zusammenhang mit Widerstand erwähnt, wenn ja, auf welche Art und Weise?

D. Stichwort Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

1. Wie wird der Weg zum Staatsvertrag gezeichnet? Welche Bedeutung wird der Moskauer Deklaration im Zusammenhang mit dem Österreichischen Staatsvertrag zugemessen?

2. Ist vom Österreichischen Nationalbewusstsein die Rede? Welche Faktoren werden hier aufgezählt, wie werden sie dargestellt?

3. Ist von der Problematik der Entnazifizierung die Rede, wenn ja: Auf welche Art und Weise?

4. Wie wird die Gründung des VdU beurteilt, bzw. welche Schlüsse werden daraus gezogen?

5. Inwieweit wird die Entschädigung von (jüdischen) Kriegsopfern/Holocaust-Überlebenden angesprochen?

6. Wird die Waldheim-Affäre angesprochen, wenn ja, wie? Werden dazu Quellen oder Bilder benutzt?

7. Spielen die Aussagen Franz Vranitzkys im Kontext der österreichischen Vergangenheitsbewältigung eine Rolle? Wenn ja, welche?

8. Spielt die „schwarz-blaue“ Koalition ab 1999/2000 eine Rolle im Kontext der Vergangenheitsbewältigung Österreichs? Wenn ja, welche?135

All diese Fragestellungen werden in vier Analysekapiteln (ein Kapitel pro Stichwort) untersucht, wobei die Ausführungen dazu in ihrer Länge variieren können. So werden beispielsweise im vierten Kapitel („Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen“) Ereignisse angesprochen, die logischerweise erst in aktuelleren Schulbuchausgaben zu finden sind (z.B. die Waldheim-Affäre).

135 Vgl. Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Zeit in österreichischen Schulbüchern, Marburg 2013, S. 114f.

40 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

2.2.3 Auswahl der Schulbücher und Analysevorgang An dieser Stelle soll kurz auf die Auswahl der Schulbücher für das Fach Geschichte und die konkrete Vorgehensweise der Analyse selbst eingegangen werden, während im Folgekapitel noch ein Blick auf die bisherige Forschungsliteratur zur Frage nach Nationalsozialismus im Schulbuch geworfen wird. Grundsätzlich werden für den Umgang Österreichs mit dem Nationalsozialismus Schulbücher für das Fach Geschichte untersucht, weil

„Schulgeschichtsbücher zentrale Medien der Geschichtskultur [sind]. Mit ihrer Hilfe reicht eine Nation die für sie konstitutiven ‚Geschichten’ an die nachfolgenden Generationen weiter. Im diachronen Vergleich geben Schulbuchdarstellungen Einblicke in die Transformation des kulturellen Gedächtnisses. Dass dies insbesondere für den politischen und kulturellen Umgang mit Nationalsozialismus zutrifft, dürfte nicht überraschen [...]. Das Schulbuch ist Politikum, Information und Pädagogikum zugleich.“136

Diese „konstitutiven Geschichten“ werden in den einzelnen Schulbuchnarrativen sichtbar, wobei klar ist, dass die Bewertung dieser Narrative einem ständigen Wandel unterworfen ist. Aus diesem Grund wird eine deskriptive Längsschnittstudie österreichischer Schulbücher seit 1955 durchgeführt.137 Die einzelnen Veränderungen in den Büchern sollen jeweils in Zehnjahresschritten ersichtlich gemacht werden, wobei unter Umständen einzelne Jahrzehnte zusammengefasst werden, sofern keine Veränderungen ersichtlich werden. So macht es beispielsweise Sinn, die 50er- und 60er-Jahre in der Analyse gemeinsam zu analysieren, da dafür insgesamt nur zwei Schulbücher ausgewählt wurden. Der Zeitabschnitt seit 2000 – hier gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Schulbuchpublikationen – wird hingegen bis 2014 erweitert, da im Jahr 2010 aus heutiger Sicht kein Schnitt oder Bruch auszumachen ist.138 Die Einteilung in die einzelnen Jahrzehnte erfolgt insgesamt aus pragmatischer Sicht und ist gewissermaßen willkürlich gewählt, erleichtert jedoch die Analyse in der Praxis erheblich. Dass für den Zeitraum zwischen 1955 und 1970 insgesamt nur zwei Bücher ausgewählt worden sind, ist ebenfalls eine rein pragmatische Entscheidung: Die beiden unterschiedlichen Auflagen des Lehrwerks Lehrbuch der Geschichte 4 (jeweils von 1956 und von 1965) wurden gewählt, um eine Veränderung zwischen den Auflagen zu untersuchen.139 Erst in den 70er-Jahren erweitert sich die Schulbuchlandschaft durch neue Publikationen, was sich bis heute kontinuierlich fortsetzt. Aus diesem Grund wurden die Schulbücher für die Untersuchung in erster Linie aus Gründen der Zugänglichkeit ausgewählt und in einem weiteren Schritt mit den Listen anderer Forschungsbeiträge abgeglichen. Insgesamt wurden 40 Schulbücher in den in Frage kommenden Bereichen einer kompletten Analyse

136 Saskia Handro: Der lange Abschied von vertrauen Opfermythen, S. 200f. 137 1955 deshalb, weil erst mit dem Abschluss des Staatsvertrags vom Unterrichtsministerium Schulbücher ohne alliierten Einfluss in Auftrag gegeben werden konnten. 138 Einzig die Umstellung der Schulbücher in Hinblick auf die neue Zentralmatura ändert einzelne Teilbereiche im Schulbuch. Allerdings lässt sich diese Umstellung nicht erst seit 2010/11 beobachten, sondern schon vorher. 139 Zwischen 1948 und 1971 war das „Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe“ überhaupt das einzige Werk, das im Unterricht offiziell verwendet wurde. Vgl. dazu: Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird, S. 273.

41 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand nach dem oben beschriebenen Raster unterzogen. Einzelne Schulbuchreihen, insbesondere Zeitbilder, sind dabei in mehreren verschiedenen Ausgaben vorhanden, weil auch hier mitunter Veränderungen innerhalb weniger Jahre ersichtlich gemacht werden können. Auf der anderen Seite wurden einzelne Schulbücher nicht mehr angeführt und in die Untersuchung miteinbezogen, da in Neuauflagen keine Veränderungen ersichtlich waren oder andere Werke neue Ansätze geboten hatten und die Analyse somit ausgeufert wäre. Es wäre allerdings falsch, durch die Hervorhebung einzelner Werke automatisch auf eine verstärkte Verbreitung an Schulen und im Unterricht zu schließen. Dies ist zwar für die angesprochene Zeitbilder-Reihe zutreffend – auch ersichtlich an den kurzen Zeiträumen zwischen einzelnen Neuauflagen –, gilt aber nicht für alle untersuchten Schulbücher. Die Verwendungshäufigkeit älterer Schulbuchreihen ist aus heutiger Sicht ohnehin nicht ohne weiteres zu eruieren, würde aber auch an der Fragestellung vorbeigehen. Untersucht werden aus unterschiedlichen Gründen ausschließlich Schulbücher für die AHS-Oberstufe: Erstens bietet die Arbeit von Ina Markova einen guten Überblick für Lehrwerke der Unterstufe an und zweitens hätte der Analyse-Corpus noch einmal beträchtlich erweitert werden müssen. Am wichtigsten erscheint allerdings der dritte Punkt: In der Oberstufe gibt es grundsätzlich keine „Ausreden“ für das Verschweigen belastender Vergangenheit im Hinblick auf zu viel Komplexität. Dass die Bewältigung österreichischer NS-Vergangenheit ein teilweise schwer zugängliches Themengebiet darstellt, das im Schulunterricht einiges an Wissen über die Zweite Republik voraussetzt, könnte für die Unterstufe möglicherweise zu ausweichenden Formulierungen führen, insbesondere in jenem Bereich, in dem es explizit um Vergangenheitsbewältigung geht.140 Durch die Beschränkung auf Oberstufenschulbücher erfolgt keine Durchmischung im Corpus wie in anderen Analysen, was unter Umständen auch das Gesamtergebnis verfälschen kann; zumindest müsste konsequenterweise immer differenziert werden, da man Ober- und Unterstufenschulbücher nicht direkt miteinander auf den einzelnen Ebenen vergleichen kann – schon allein aufgrund der „Maturavorbereitung neu“ nicht. Das heißt, die analysierten Lehrwerke werden in der Regel stets in der elften und zwölften Schulstufe eingesetzt, wobei die meisten Inhalte („Anschluss“, Weltkrieg, Holocaust) im den Schulbüchern der 7. Klasse zu finden sind. Lediglich die Abschnitte über die Zweite Republik (allgemeine Vergangenheitsbewältigung) und teilweise Widerstand werden auch im Buch der Maturaklasse behandelt.

Die einzelnen untersuchten Schulbücher finden sich alphabetisch geordnet am Ende dieser Arbeit in einem eigenen Verzeichnis und werden in der Analyse mittels Fußnoten zitiert. Auf eine etwaige andere Zitation wird beim Erstzitat in der Fußnote hingewiesen.

140 Es darf vorausgeschickt werden, dass dies analog für die Oberstufe ebenso im Vorhinein angenommen wurde.

42 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

2.2.4 Überblick über den Forschungsstand zu österreichischen Schulbüchern Zuletzt soll noch ein Überblick über die bereits vorhandenen Beiträge zur Schulbuchforschung in Österreich gegeben werden, in denen ähnliche oder gleiche Themenbereiche untersucht wurden. Dabei muss festgestellt werden, dass bereits einige Untersuchungen durchgeführt wurden, vor allem was die Darstellung des Nationalsozialismus betrifft. Allerdings wurden hierbei Daten meist nur exemplarisch erhoben, um einzelne Kritikpunkte bezüglich des Umgangs mit der österreichischen Zeitgeschichte im Schulbuch anschaulich darstellen zu können. Das hat meiner Meinung nach einerseits mit dem Umfang des zu erforschenden Materials, andererseits mit den methodischen Schwierigkeiten der Schulbuchforschung allgemein (s.o.) zu tun. Hier sollen kurz die wichtigsten Arbeiten, die zumindest im weitesten Sinne mit meiner Fragestellung hinsichtlich der Schulbuchanalyse zu tun haben, vorgestellt und in den Kontext der Schulbuchforschung der Zweiten Republik eingeordnet werden. Die aktuell umfangreichste Studie, die sich mit Vergangenheitsbewältigung in Schulbüchern auseinandersetzt, stammt von der österreichischen Historikerin Ina Markova und datiert aus dem Jahr 2011. Ursprünglich als Diplomarbeit verfasst und unter anderem Titel – „Wie Vergangenheit neu erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Zeit in österreichischen Schulbüchern“141 – neu aufgelegt, untersucht Markova anhand von sechs Stichworten,142 wie in Schulbüchern der AHS-Unterstufe mit dem Nationalsozialismus umgegangen wird. Dabei wird hier Schulbuch für Schulbuch gesondert behandelt und nach den Themenstichpunkten abgearbeitet, wobei man feststellen kann, dass sich Markova vorwiegend mit der bildlichen Darstellung und Gesamtheit der Schulbücher befasst, als sich mit inhaltlich-didaktischen Fragestellungen zu beschäftigen. Nichtsdestoweniger bietet ihre Arbeit einen für die Unterstufe vollständigen und vor allem aktuellen Beitrag zur Schulbuchforschung rund um das Thema Nationalsozialismus. Die zweite größere Arbeit zum Thema Vergangenheitsbewältigung aus dem Jahr 2004 trägt den programmatischen Namen „Verfälschte Geschichte im Unterricht. Nationalsozialismus und Österreich nach 1945“.143 Auf der Grundlage der Lehrpläne der zweiten Republik untersucht der Medienwissenschaftler Heinz Peter Wassermann hier neben den institutionellen Veränderungen im Schulbereich unter anderem auch Schulbücher. Während sich Markova wie erwähnt besonders auf Bildmaterial und dessen Einsatz im Kontext von Schulbüchern konzentriert, liegt der Fokus bei Wassermann sehr stark auf den Veränderungen, denen die Institution Schule seit 1945/55 ausgesetzt war. Die Bedeutung seiner Untersuchungen liegt aber in besonderem Maße in den quantitativen Analysen zu verschiedenen Schulbüchern: Wassermann gibt beispielsweise an, wie viel Prozent des Schulbuchtexts auf das Thema Nationalsozialismus entfallen, und bietet dadurch eine umfassende,

141 Ina Markova: Wie Vergangenheit neu erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Zeit in österreichischen Schulbüchern, Marburg 2013. 142 Nationalsozialismus, Austrofaschismus, „Anschluss“, Zweiter Weltkrieg, Holocaust und Zweite Republik. 143 Heinz P. Wassermann: Verfälsche Geschichte im Unterricht. Nationalsozialismus und Österreich nach 1945, Innsbruck 2004.

43 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand durch Zahlen belegbare Untersuchung der österreichischen Nachkriegsnarrative im Schulgeschichtsbuch an. Wenn auch eine Analyse nach qualitativen Methoden bei Wassermann durchaus gegeben ist, bleibt diese weitestgehend beschreibend und weniger analytisch. In der vorliegenden Arbeit unterbleibt eine quantitative Analyse der Geschichtslehrwerke weitestgehend, weshalb Wassermann als Basis für quantitative Methoden auch für das Jahr 2014 die aktuellsten Zahlen bieten kann, auch wenn die neuen Schulbuchreihen logischerweise nicht mehr berücksichtigt werden. Als Aufsatz erschien 2003 Sabine Loitfellners Beitrag zur Behandlung der Wehrmacht in österreichischen Schulbüchern seit 1945.144 Loitfellner arbeitet Schulbücher anhand von vier verschiedenen Kategorien ab: Die Wehrmacht im Österreich-Kontext, der „Untergang“ der 6. Armee in Stalingrad, die Involvierung von Wehrmachtsangehörigen in Kriegsverbrechen sowie den militärischen Widerstand gegen das NS-Regime. Neben der Erkenntnis, dass die von ihr untersuchten Schulbücher „das Ergebnis eines Konsenses über die als tradierenswert erachteten Geschichtsbilder unserer Gesellschaft“145 seien, konstatiert Loitfellner auch, dass sich Schulbücher (bzw. deren AutorInnen) wenig bis gar nicht am aktuellen Stand der Forschung orientieren. Ein Ziel meiner Arbeit wird es auch sein, zu überprüfen, ob die Ergebnisse (die Wehrmacht in Schulbüchern betreffend) heute, zehn Jahre nach Loitfellners Studie, noch dieselben sind. Ebenfalls aus dem Jahr 2003 stammt Peter Utgaards Monographie „Remembering and Forgetting Nazism. Education, National Identity, and the Victim Myth in Postwar Austria.“146 Der US- amerikanische Historiker behandelt hier quasi als Außenstehender die Transformation der Opferthese seit Kriegsende. Für die Schulbuchanalyse relevant ist sein Abschnitt darüber, wie österreichische Schulbücher mit dem Zweiten Weltkrieg, seinen Folgen und Nachwirkungen umgehen. Auch hier bezieht sich Utgaard sehr stark auf die Opferrolle Österreichs, die in Schulbüchern seit 1945 durchgehend auftaucht: Beginnend beim „Anschluss“ zieht sich das Bild Österreichs als Opfer bis hin zum Staatsvertrag, der als endgültiger Punkt der Befreiung gilt. Utgaard arbeitet dabei vor allem auf inhaltlicher Ebene, bildliche Darstellungen oder Quellenausschnitte sind praktisch gar nicht von Bedeutung. Erwähnenswert ist auch, dass sich der Amerikaner vier Jahre zuvor mit einer ähnlichen Fragestellung, diesmal unter besonderer Berücksichtigung des Holocaust, beschäftigt hat.147 Auf dieselbe Art und Weise wie in seiner Monographie wird hier der Holocaust und seine über die Jahre sich verändernde Darstellung untersucht.

144 Sabine Loitfellner: „Furchtbar war der Blutzoll, den Österreich entrichten musste…“ Die Wehrmacht und ihre Soldaten in österreichischen Schulbüchern, in: Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Hannes Heer/Walter Manoschek/Alexander Pollak/Ruth Wodak, Wien 2003, S. 171-191. 145 Ebenda, S. 189. 146 Peter Utgaard: Remembering and Forgetting Nazism. Education, National Identity, and the Victim Myth in Postwar Austria, New York/Oxford 2003. 147 Peter Utgaard: Remembering and Forgetting the Holocaust in Austrian Schools, 1955-1996, in: The Vranitky Era in Austria, hrsg. v. Günther Bischof (= Contemporary Austrian Studies, Bd. 7), New Brunswick 1999, S. 201-215.

44 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand

Ebenfalls noch zu erwähnen sind die schon älteren Untersuchungen von Peter Malina und Gustav Spann sowie der Aufsatz von Josef Thonhauser, der sich explizit mit Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt. Malinas und Spanns Aufsatz148 erschien 1988 in Emmerich Tálos‘ Standardwerk „NS-Herrschaft in Österreich“ und setzte sich sehr kritisch mit den bis dahin veröffentlichten Geschichtsschulbüchern auseinander. Der Aufsatz behandelt neben der NS-Zeit zusätzlich auch den Themenblock Austrofaschismus und zeichnet in diesem Zusammenhang vor allem die Entwicklung in Richtung „Anschluss“ nach. Die Analyse Malinas/Spanns arbeitet chronologisch die wichtigsten Schritte der Themenfelder in Schulbüchern bis zur Entnazifizierung ab, wobei sie in der Behandlung der österreichischen Geschichte nach 1945 besonders die Darstellung des Leidens der österreichischen Bevölkerung hervorheben. Insgesamt ist auch dieser Beitrag zur österreichischen Vergangenheitsbewältigung in Schulbüchern vor allem ein beschreibender: Die beiden Autoren geben zu jedem Themenbereich verschiedene Beispiele, die – diplomatisch formuliert – als zumindest „verunglückt“ angesehen werden können. Kritisiert werden die festgestellten Anonymisierungen der Täter, die plötzliche Wiedererstehung Österreichs 1945 oder die als sehr konsequent dargestellte Entnazifizierung in der Zweiten Republik. Während sich Malina/Spann primär auf die Darstellung des Nationalsozialismus vor 1945 konzentrieren, behandelt Josef Thonhauser Österreichbewusstsein in Verbindung mit Vergangenheitsbewältigung in den Schulbüchern für Geschichte und Sozialkunde.149 Auch er arbeitet dabei vor allem beschreibend: Verschiedene Beispiele und Auszüge aus Geschichtslehrbüchern sollen zeigen, wie gut bzw. wie schlecht österreichische Schulbücher Vergangenheitsbewältigung darstellen. Von besonderem Interesse für die vorliegende Arbeit sind die von Thonhauser verwendeten Kriterien zur Analyse, auf die schon eingegangen wurde.

Mit dem Wissen, in dieser Aufzählung sicherlich nicht alle relevanten Beiträge zum Thema Vergangenheitsbewältigung in Schulbüchern beleuchtet zu haben,150 soll an dieser Stelle ein Versuch einer Zusammenfassung gemacht werden: Nach den Erklärungen zu den meiner Meinung nach wichtigsten Arbeiten sollte deutlich geworden sein, dass in der vorliegenden Arbeit zwar in weiten Teilen auf bereits analysiertes Material zurückgegriffen werden kann, eine Neusichtung bzw. -analyse

148 Peter Malina/Gustav Spann: Der Nationalsozialismus im Österreichischen Geschichtslehrbuch, in: NS- Herrschaft in Österreich 1938-1945, hrsg. v. Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer, Wien 1988, S. 577-599. 149 Josef Thonhauser: Österreichbewusstsein und Vergangenheitsbewältigung im Spiegel der Lehrbücher, in: Zeitgeschichte 15/1987, S. 37-53. 150 Zu erwähnen sind hier die Untersuchungen von Christa Markom/Heidi Weinhäupl sowie die Schulbuchgespräche in Strobl am Wolfgangssee: Christa Markom/Heidi Weinhäupl: Die Anderen im Schulbuch. Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern (= Sociologica, Bd. 11), Wien 2007; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.): Zur Darstellung der jüdischen Geschichte sowie der Geschichte des Staates Israel in österreichischen Schulbüchern. Dokumentation der Tagung von FachwissenschaftlerInnen und Schulbuchverantwortlichen. Strobl a. Wolfgangssee, 6.-9. Dezember 1999, Wien 2000, [http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/miscellen/492_Darstell_jud_Geschichte_pit200d pi.pdf], eingesehen 15.11.2014.

45 Theorieteil | Schulbuchforschung – Lehr- und Lernmittel als Forschungsgegenstand der Schulbücher aus verschiedenen Punkte nichtsdestoweniger als ratsam erscheint: Zum einen bieten die wenigsten Analysen – ich nehme hierbei die Monographien Wassermanns und Markovas aus – Erklärungen zu ihren Corpora an. Zum anderen werden Schulbücher der Unter- und Oberstufe miteinander in einem Untersuchungscorpus vereint und dabei in den seltensten Fällen wirklich differenziert. Einzig Ina Markova untersucht bewusst nur Unterstufenschulbücher, die – so legen die älteren Untersuchungen nahe – in ihrem Versuch, komplexe Themen vereinfacht darstellen zu wollen, am ehesten, oder besser gesagt am offensichtlichsten, holprige oder falsch interpretierbare Formulierungen anbieten. Dies berücksichtigend stellt man fest, dass die letzte größere Untersuchung, nämlich jene von Wassermann, gegenwärtig (2014) in Bezug auf die neuesten Schulbücher logischerweise nicht mehr aktuell sein kann, Oberstufenschulbücher also in den letzten Jahren in punkto Vergangenheitsbewältigung keiner Analyse mehr ausgesetzt waren. Weit schwieriger ist die Problematik der fehlenden Quantifizierung zu lösen: Mit konkreten Zahlen oder Verhältnissen operiert nur Heinz Wassermann bzw. ansatzweise Ina Markova, wenn sie ungefähre Angaben („ca.“) dazu macht, wie viele Seiten auf einzelne Themenbereiche entfallen. Dieses Problem der Schulbuchforschung und -analyse muss auch in meiner Arbeit gelöst werden, wobei es mir sinnvoller erscheint, durch eine Zweitsichtung und etwaige Neuinterpretation der Schulbücher meine Themenfelder zu behandeln und anhand dieser kompletten qualitativen Analyse meine Schlüsse zu ziehen, als rein quantitativ zu arbeiten. Beides, das muss auch gesagt werden, wäre für den Rahmen der vorliegenden Untersuchung wohl zu aufwändig.

46 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

3 Schulbuchanalyse

3.1 Der „Anschluss“

Prinzipiell muss für den „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich festgehalten werden, dass sich nicht nur die Diktion, mit der das Thema im Laufe der Jahre im Schulbuch behandelt worden ist, geändert hat. Auch bezogen auf die Aufbereitung, die Arbeitsanregungen oder die verwendeten Bildern wird die „Okkupation Österreichs“151 heute im Vergleich zu vergangenen Jahrzehnten anders behandelt. Interessant ist zudem, in welches Über- bzw. Unterkapitel die Behandlung des „Anschlusses“ jeweils fällt. Im folgenden Teil sollen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Schulbüchern in ihren Formulierungen, ihrer Bildauswahl und ihren Aufgabenstellungen aufgezeigt werden. Es wird in der Analyse besonders darauf geachtet, welche Rolle Österreich bzw. der österreichischen Bevölkerung beim „Anschluss“ zugedacht wird.

3.1.1 Die 50er- und 60er-Jahre In den 50er- und 60er-Jahren nimmt die „Anschluss“-Thematik einen sehr begrenzten Raum im Schulbuch ein. In diesem Zeitraum gilt dies letztlich zwar – so viel sei vorweggenommen – für alle von mir untersuchten Themen, allerdings fällt im Vergleich zum Holocaust auf, dass die politische Entwicklung Österreichs hin zum Faschismus bei den von mir untersuchten Ausgaben von Heilsbergs und Korgers Lehrbuch der Geschichte 4152 immerhin auf knapp einer Seite, geht man nach den Überschriften auf knapp zwei Seiten, abgehandelt wurde. Beide Ausgaben sind sich darin einig, dass die Nationalsozialisten seit 1933 „auf Österreich einen starken Druck aus[übten]“153 und dies zur Anlehnung Österreichs an das bereits faschistische Italien führte. Gleichzeitig wird der Österreichische Bürgerkrieg gestreift, der damit endete, dass „[e]in großer Teil der Bevölkerung […] von da ab dem österreichischen Staat und seiner Regierung teilnahmslos, ja feindlich gegenüber[stand].“154 In der Ausgabe von 1956 wird nun neuerlich der stärker werdende Druck der Nationalsozialisten erwähnt, ohne dass allerdings konkrete Angaben gemacht werden:

151 Franz Heilsberg/Friedrich Korger: Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der Mittelschulen, Bd. 4. Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien 1956, S. 148. (im Folgenden zitiert als: Lehrbuch der Geschichte 4 (1956)) 152 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956); Franz Heilsberg/Friedrich Korger/Ferdinand Hübner: Lehrbuch der Geschichte, Bd. 4. Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Wien 1965. (im Folgenden zitiert als: Lehrbuch der Geschichte 4 (1965)) 153 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 148; Lehrbuch der Geschichte 4 (1965), S. 148. 154 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 149; eine ähnliche Formulierung findet man 40 bzw. 50 Jahre (!) später in gestern | heute | morgen (2005), S. 68: „Österreich war damals allerdings ein Staat, in dem es keine Demokratie mehr gab, sondern der durch ein autoritäres Regime geführt wurde, dem große Teile der Bevölkerung distanziert, ja feindlich gegenüberstanden.“ sowie in Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 148: „[…] eines Staates allerdings, der keine Demokratie mehr war, sondern ein autoritäres Regime, dem große Teile der Bevölkerung distanziert, ja feindlich gegenüberstanden.“

47 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

„Die Regierung hatte aber nicht mehr die Mehrheit des Volkes hinter sich, immer wieder mußten Gewaltmittel angewendet werden. Der Druck der Nationalsozialisten wurde immer stärker (Aufstandsversuch Juli 1934; Ermordung von Dollfuß). Der neue Bundeskanzler Kurt Schuschnigg setzte die bisherige Politik fort.“155

Auf das Juliabkommen von 1936 bzw. die Unterredung in Berchtesgaden im Februar 1938 gehen die Autoren 1956 gar nicht ein, es folgt sogleich der Sprung ins Jahr 1938.

„Als sich aber die außenpolitische Situation änderte156 und sich das faschistische Italien zum Zusammengehen mit dem nationalsozialistischen Deutschland entschloß, glaubte Hitler den Zeitpunkt für die Besetzung Österreichs gekommen. Er rechnete richtig, daß Frankreich, Großbritannien und auch der Völkerbund nicht rasch und energisch genug eingreifen würden. Er zwang zuerst den österreichischen Bundeskanzler Schuschnigg, Nationalsozialisten in sein Ministerium aufzunehmen. Als Schuschnigg für den 13. März 1938 eine Volksabstimmung ausschrieb, um vor der Welt den Beweis zu führen, daß die Mehrheit des österreichischen Volkes die Unabhängigkeit des eigenen Staates behaupten wolle, erzwangen die Nationalsozialisten durch die Drohung mit dem deutschen Einmarsch die Abdankung Schuschniggs. Ein nationalsozialistischer Bundeskanzler wurde eingesetzt. Hitler ließ Truppen zur ‚Aufrechterhaltung der Ordnung‘ einmarschieren. Ein Reichsgesetz vom 13. März erklärte Österreich zu einem Teil des Deutschen Reiches. Eine mit den Methoden der nationalsozialistischen Propaganda und der Einschüchterung durchgeführte Volksabstimmung ergab die für das ‚Dritte Reich‘ und alle Diktaturen so charakteristische ‚überwältigende Mehrheit‘. Frankreich und England begnügten sich mit einem formalen Protests, auch Mussolini erhob keinen Widerspruch. Österreich wurde als erobertes Land behandelt. Der beträchtliche Goldschatz der Österreichischen Nationalbank wanderte in die Deutsche Reichsbank. Wichtige wirtschaftliche Unternehmungen wurden, vielfach unter Druck und Zwang, zu deutschem Eigentum gemacht.“157

Mehrere Dinge fallen hier auf und sind gleichsam charakteristisch für viele der (älteren) Schulbuchtexte: Als „Akteure“ begegnen dem Leser durchwegs nur Hitler, Schuschnigg oder Mussolini. Diese pars-pro-toto-Akzentuierung – Hitler steht für das Deutsche Reich – suggeriert, einzig Hitler alleine sei schuld am „Anschluss“. Zudem fällt eine gewisse Vagheit auf, wenn es darum geht, Sachverhalte logisch zu erklären bzw. zu verknüpfen: Die außenpolitische Isolation Italiens durch den Krieg in Abessinien und die darauf folgende Annäherung an Nazi-Deutschland wird lediglich mit einer Änderung der außenpolitischen Situation erklärt. Außerdem fehlen genaue Zahlen zur Abstimmung im April 1938 (das Datum fehlt) oder zur konkreten Ausbeute durch die Einverleibung der österreichischen Nationalbank. Die zwangsweise Überleitung von Vermögenswerten kommt an dieser Stelle nicht vor, die Rede ist lediglich von „wirtschaftlichen Unternehmungen“; der Begriff „Arisierung“ taucht noch nicht auf. Nicht zuletzt fällt auch die Darstellung Österreichs bzw. der „Freiheitswille“ der Österreicher, die der Schulbuchtext evoziert, auf: Die von Schuschnigg anberaumte Volksabstimmung, „[…] um vor der Welt den Beweis zu führen, daß die Mehrheit des österreichischen Volkes die Unabhängigkeit des

155 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 149. 156 Gemeint ist hier offenbar die Isolation Italiens nach dem Abessinien-Feldzug. 157 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 149.

48 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ eigenen Staates behaupten wolle“ wird so letztlich zum tragischen Schlusskapitel des „Opfers“ Österreich. Dass der „Anschluss“ von einigen in der österreichischen Bevölkerung bejubelt, herbeigesehnt oder sehr wohl gewünscht war, wird nicht erwähnt. Auch scheint es gewissermaßen paradox, den Willen der Österreicher zur Selbstständigkeit des eigenen Staates hervorzuheben, wenn nur wenige Zeilen vorher erklärt wurde, dass „ein großer Teil der Bevölkerung […] dem österreichischen Staat und seiner Regierung teilnahmslos, ja feindlich gegenüber[stand]“ oder dass „die Regierung […] nicht mehr die Mehrheit des Volkes hinter sich [hatte]“.158 Was an diesem Beispiel aus den 50er Jahren ebenfalls sehr deutlich ersichtlich wird, ist die Vermischung der verschiedensten Themen: Es wurde versucht, Ständestaat mit eigener Verfassung, Bürgerkrieg, Außenpolitik und Wege hin zum „Anschluss“ in einem Unterkapitel („Die Okkupation Österreichs“) zu behandeln. Diese Bemühungen, die schon allein aufgrund der Themenfülle von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, werden am Ende durch unglückliche Formulierungen bzw. durch Widersprüche zunichte gemacht. Mit der Art und Weise, wie das Thema „Anschluss“ 1956 behandelt wird, gehen die Autoren allerdings konform mit dem in dieser Zeit gültigen offiziellen Geschichtsnarrativ der Zweiten Republik: Das Bekenntnis zu Österreich als eigenem Staat soll gestärkt werden, negative Aspekte werden so gut wie möglich ausgeklammert.

In der vierten Auflage von Lehrbuch der Geschichte 4 (1965) sind bereits einige der oben angesprochenen Punkte geändert worden. So wird beispielsweise mithilfe des Krieges in Äthiopien erklärt, warum sich Italien und Deutschland einander annäherten. Auch auf Österreich wird in diesem Zusammenhang Bezug genommen: „Die Voraussetzung für ein solches Zusammengehen war, daß Italien Österreich vorher fallen ließ. Sofort setzte in Österreich eine neue Welle nationalsozialistischer Betätigung ein, die von Deutschland gelenkt wurde.“159 Auch das „Juliabkommen“ von 1936 wird nun als Schritt in einer Kette von Einzelereignissen, die zwangsläufig zum „Anschluss“ führen mussten, erwähnt:

„Es [das ‚Juliabkommen‘, Anm. D.H.] war ein ungleicher Pakt, der ein machtloses Österreich der nationalsozialistischen Propaganda auslieferte und eigentlich bereits das Ende der Unabhängigkeit bedeutete. Von nun an war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der äußere Druck so stark würde, daß Österreich erliegen müßte.“160

Die Ereignisse vom Februar und März 1938 werden in einem eigenen Unterkapitel – Das Ende der Ersten Republik: die Besetzung Österreichs. – behandelt. Darin wird von der Unterredung in Berchtesgaden, „in der der deutsche Reichskanzler ultimative Forderungen stellte, die auf eine völlige

158 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 149. 159 Lehrbuch der Geschichte 4 (1965), S. 149. 160 Ebenda, S. 149.

49 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Auslieferung Österreichs an die Nationalsozialisten hinausliefen“,161 und von den Bemühungen Schuschniggs, durch eine Volksabstimmung und einer Annäherung an die „Linksparteien“ zu einem „Bekenntnis zu Österreich“ aufzurufen, berichtet.162 Ein wenig genauer als in der Ausgabe von 1956 wird auch auf die „zwangsweise Überleitung von Vermögenswerten“163 eingegangen, immerhin ist in diesem Zusammenhang auch erstmals vom Begriff der „Arisierung“ die Rede. Als problematisch wird dieses „Deutsche Eigentum“ allerdings nur deshalb dargestellt, weil es für Österreich „bei den Staatsvertragsverhandlungen […] nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang ein fast unlösbares Problem“164 blieb. Die sofort nach dem „Anschluss“ einsetzende Verhaftungswelle wird zwar erwähnt, allerdings nicht in Verbindung mit antisemitischen Aktionen. Auch 1965 war es augenscheinlich noch nicht möglich, jubelnde Menschenmassen beim Einmarsch der deutschen Truppen zu zeigen (Bilder gibt es in diesem Zusammenhang noch keine) bzw. im Text zu erwähnen.

3.1.2 Die 70er-Jahre Bilder, Quellenausschnitte oder Arbeitsaufträge finden sich erstmals in den 70er-Jahren durchgehend, und dies bei allen untersuchten Schulbüchern. Auffällig ist hierbei auch, dass der „Anschluss“- Thematik nun deutlich mehr Raum gegeben wird. In Walter Göhrings und Herbert Hasenmayers Zeitgeschichte fällt das Thema beispielsweise unter das Kapitel „Deutschlands Weg in den Zweiten Weltkrieg“ und wird gemeinsam mit dem Münchner Abkommen sowie der „Zerschlagung der Rest- Tschechoslowakei“ behandelt (wobei der Teil mit Österreichbezug deutlich größer ausfällt). Es wird dargelegt, dass die Einverleibung Österreichs schon von Anfang an Ziel der Nationalsozialisten war,165 was sich mit anderen Beispielen aus den 70er-Jahren deckt, wobei in Zeiten, Völker und Kulturen immerhin von den Nationalsozialisten und nicht nur von Hitler als alleinigem Akteur gesprochen wird.166

161 Lehrbuch der Geschichte 4 (1965), S. 149. 162 Vgl. ebenda, S. 149. 163 Ebenda, S. 150. 164 Ebenda, S. 150. Die Problematik des „Deutschen Eigentums“ wird unter dem Aspekt der österreichischen Vergangenheitsbewältigung noch einmal aufgegriffen. 165 „Das erste Ziel seiner [Hitlers, Anm. D.H.] Aggressionspolitik sollte Österreich werden. Hier ging die von Deutschland begonnene Politik der Einmischung schon auf das Jahr 1933 zurück.“ Walter Göhring/Herbert Hasenmayer: Zeitgeschichte. ein approbiertes Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde, Wien 1972, S. 86. (im Folgenden zitiert als: Zeitgeschichte (1972)) 166 „[…] Österreich [befand sich] doch seit 1933 in einer äußerst bedrohten Lage, da Hitler von Anfang an nie ein Hehl daraus gemacht hatte, daß er der Selbstständigkeit Österreichs ein Ende bereiten wolle.“ Franz Göbhart/Erwin Chvojka: Geschichte und Sozialkunde. Lern- und Arbeitsbuch. 8. Klasse AHS. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Wien 1975, S. 116. (im Folgenden zitiert als: Geschichte und Sozialkunde 8 (1975)) bzw. „Die Nationalsozialisten jedoch wünschten die Auflösung des unabhängigen Staates und seine Vereinigung mit dem Deutschland Hitlers (‚Heim ins Reich‘-Parole).“ Franz Berger/Norbert Schausberger: Zeiten, Völker und Kulturen. Lehrbuch der Geschichte und Sozialkunde für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 8. Klasse. Geschichte des 20. Jahrhunderts, Wien 1977, S. 94. (im Folgenden zitiert als: Zeiten, Völker und Kulturen (1977))

50 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Anschließend folgt durchgehend die Aufzählung der einzelnen Schritte bis „zur Vernichtung Österreichs“,167 bei Göhring und Hasenmayer allerdings ohne das deutsch-österreichische Abkommen von 1936: So ist sowohl bei Göbhart/Chvojka als auch bei Berger/Schausberger die Rede von der „1000-Mark-Sperre“, der „Achse Berlin – Rom“ und dem Gespräch Hitlers mit Schuschnigg in Berchtesgaden. Dass die Angliederung Österreichs an das Deutsche Reich nicht schon früher erfolgte, lag laut Autoren am „entschiedenen Widerstand der Regierung Dollfuss und am mißlungenen Putschversuch der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934.“168 Hervorgehoben wird mit Bezug auf Österreich auch die Unzuverlässigkeit Hitlers und seiner „Versprechungen“.169 Auch die Arbeitsaufträge, die im Anschluss an das Kapitel „Deutschlands Weg in den Zweiten Weltkrieg“ gegeben werden, beziehen sich sehr stark auf die Person Hitlers: „1. Vergleiche die verschiedenen Textstellen aus Reden Hitlers und interpretiere seine [!] Außenpolitik! – 2. Wodurch konnte Hitler den italienischen Diktator auf seine Seite ziehen? […]“170 Einen Arbeitsauftrag explizit zum „Anschluss“ gibt es nicht, dafür wird das „Reichsgesetzblatt über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ bildlich dargestellt und mit der Bildunterschrift „Das Gesetz über den Anschluß Österreichs“171 versehen. Weiterführende Aufgabenstellungen oder ähnliches fehlen aber. Bei Roderich Geyer, Karl Fink und Franz Luger wird der „Anschluss“ doppelt erwähnt, einmal in Kapitel 4, „Der europäische Faschismus“, sowie in Kapitel 5, „Die Republik Österreich 1918-1938“. In Kapitel 4 werden die verschiedenen Ausprägungen europäischer Faschismus-Varianten erklärt, Unterkapitel 4.5.3.4. widmet sich dem nationalsozialistischen Imperialismus, durch den es Hitler (!) gelang, „die Fesseln des Versailler Vertrages [abzuwerfen].“172 Dazu gehört auch die Besetzung Österreichs: „Unter der Devise ‚Ein Volk, ein Reich, ein Führer‘ besetzte Hitler [!] im März 1938 Österreich und dann die Tschechoslowakei.“173 In Unterkapitel 5.5., „Das Ende der Selbstständigkeit Österreichs“, findet man eine ähnliche Formulierung wie in Lehrbuch der Geschichte 4 von 1956, wenn von der geplanten Volksabstimmung im März 1938 die Rede ist: „Um der Welt aber den österreichischen Selbständigkeitswillen vor Augen zu führen, setzte er [Schuschnigg, Anm. D.H.] in aller Eile eine Volksabstimmung an.“174 Weil „Hitler [!] wußte, daß er sich eine Niederlage holen würde, […] griff [er] daher zur Gewalt.“175 Dass die Schulbücher sicher davon ausgehen, dass die Volksabstimmung zu Österreichs Gunsten ausgegangen wäre (immerhin ein Was-Wäre-Wenn-

167 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 124. 168 Zeitgeschichte (1972), S. 87. 169 Vgl. ebenda, S. 87. 170 Ebenda, S. 89. 171 Ebenda, S. 88. 172 Roderich Geyer/Karl Fink/Franz Luger: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse der allgemeinbildenden höheren Schulen. Bd. 4 für die 8. Klasse, Wien 1974, S. 50. (im Folgenden zitiert als: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974)) 173 Ebenda, S. 50. 174 Ebenda, S. 73. 175 Ebenda, S. 73.

51 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Szenario), lässt sich auch noch an anderen Beispielen belegen: „Da selbst die emigrierten Sozialdemokratischen Politiker ihren Anhängern in Österreich rieten, mit ‚Ja‘ zu stimmen, wäre eine große Mehrheit für die Selbstständigkeit Österreichs gesichert gewesen.“176 Ein wenig kritischer geht Zeiten, Völker und Kulturen mit der geplanten Volksabstimmung um:

„In einem unerwarteten Appell rief er [Schuschnigg, Anm. D.H.] am 9. März die österreichische Bevölkerung zu einer Volksabstimmung für ein freies und unabhängiges Österreich auf, die 4 Tage später stattfinden sollte. Allerdings hafteten diesem Unternehmen alle Mängel einer Improvisation an. Die Zeit zur Vorbereitung des Votums war zu kurz, es fehlten kontrollierte Wählerlisten, und die Freiheit und die Geheimhaltung der Stimmabgabe waren nicht gewährleistet. Dennoch fürchtete Hitler den Ausgang dieses Volksentscheids. Es bestand kein Zweifel, daß sich die meisten Sozialdemokraten trotz der jahrelangen Unterdrückung und Verfolgung weit eher für die Regierung und für die Unabhängigkeit des Landes als für seine Auslieferung an den Nationalsozialismus entscheiden würden.“177

Eine Zementierung der Opferrolle Österreichs findet bei der Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8-Ausgabe von 1974 noch eine Steigerung, wenn der Fließtextteil über die Okkupation berichtet:

„Gegen alles Recht proklamierte Hitler am 13. März 1938 das Gesetz über den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich. Die Regierung trat zurück. Österreich hörte zu bestehen auf. Die Westmächte nahmen die Tatsache mit einem leeren, völlig wirkungslosen Protest zur Kenntnis. Am 10. April 1938 bestätigte eine gesteuerte ‚Volksabstimmung‘ das Ergebnis des Gewaltaktes. Nun begann die Geheime Staatspolizei ihr Werk: Alle aufrechten Österreicher, die ihr Vaterland verteidigt hatten, wurden schweren Demütigungen [!] ausgesetzt (Boykott, Verfemung, Verhaftung). Sogar der Name Österreich mußte verschwinden. Als ‚Ostmark‘ (später ‚Donau- und Alpengaue‘) wurde unser Vaterland gezwungen, an der Seite des Diktators einen grausamen Krieg mitzumachen.“178

Neben der Betonung der Unrechtmäßigkeit des „Anschlusses“ fällt auch die durchscheinende Kritik an den „Westmächten“ auf. Ebenfalls hervorgehoben werden die Opfer, die allesamt als Patrioten dargestellt werden. Antisemitische Tendenzen bzw. die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung werden in diesem Abschnitt nicht erwähnt, die Opferrolle wird nur jenen „aufrechten Österreichern, die ihr Vaterland verteidigt hatten“ zugedacht. Etwas seltsam mutet das Possessivpronomen „unser“ in Verbindung mit Vaterland an (vorher nur indirekt „ihr“), das letztlich nur der Identifizierung der Leser mit „ihrem“ Österreich dienen soll. Als Quelle dient in diesem Abschnitt die „Abschiedsrede Schuschniggs vom 11. März 1938“ („Gott schütze Österreich“), ein Arbeitsauftrag, der mit der Quelle nicht in Zusammenhang steht, findet sich aber erst am Ende des Unterkapitels: „Warum halfen die westlichen Großmächte nicht, die

176 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 124f. Anm.: Dass sich auch die Bischöfe für den „Anschluss“ aussprechen, wird an dieser Stelle nicht erwähnt. 177 Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 96. 178 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 74.

52 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Selbstständigkeit Österreichs zu erhalten?“179 Gründe für den Einmarsch in Österreich gerade 1938 glauben Göbhart/Chvojka unter anderem darin zu erkennen, dass „[…] Hitler zu Beginn des Jahres 1938 sah, daß die allmähliche wirtschaftliche Gesundung Österreichs die Anfälligkeit der Bevölkerung für seine Propaganda zu verringern drohte. […] die Stunde Österreichs [hatte] endgültig geschlagen.“180 Österreich war nach dem Gespräch in Berchtesgaden „hilflos geworden.“181 Dafür richten die beiden Autoren erstmals einen Blick auf die „Anschluss“-Euphorie, die in anderen Schulbüchern bisher nicht zu finden war: „Die Anhänger der NSDAP bereiteten den einmarschierenden Verbänden und dem bald nachfolgenden Hitler einen ‚jubelnden Empfang‘.“182 Dass auch Menschen, die nicht der (in Österreich illegalen) NSDAP angehörten, die Straßen beim Einmarsch der deutschen Truppen säumten, geht hier allerdings nicht hervor, die Zustimmung zum „Anschluss“ erfolgte – nach diesem Buch – nur vonseiten der Nationalsozialisten.

3.1.3 Die 80er-Jahre

3.1.3.1 Inhalt In den 80er-Jahren gab es neben neu etablierten Schulbuchreihen – Zeitbilder183, bei der wiederum das Autorenpaar Göbhart/Chvojka als Autoren aufscheint, oder Weg durch die Zeiten184 – auch Neuauflagen schon zitierter Werke wie beispielsweise von Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse185 oder von Zeitgeschichte186, wobei zum Thema „Anschluss“ bei den schon vorher gezeigten Textbeispielen keinerlei Verbesserungen ersichtlich sind. So wird in der Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart-Ausgabe von 1987 auch über ein Jahrzehnt nach der Erstauflage noch derselbe Abschnitt über den 11./12. März verwendet, wie oben zitiert: Die „aufrechten Österreicher“ sind immer noch jene Patrioten, die Widerstand leisteten, und „unser Vaterland“ wurde „gezwungen“ am Krieg teilzunehmen.187 Auch Göhrings/Hasenmayers Neuauflage von Zeitgeschichte verwendet exakt dieselben Formulierungen erneut, wenn es darum geht, den

179 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 74. Die Tendenz, die Nichteinmischung der Westmächte, ja deren Unwillen, Österreich zu helfen, herauszustellen, lässt sich nicht nur an diesem Beispiel erkennen, auch die Besatzungszeit bis 1955 wird durchgehend negativ dargestellt. 180 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 124. 181 Ebenda, S. 124. 182 Ebenda, S. 125. 183 Franz Göbhart/Erwin Chvojka: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 8. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Wien 1984. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 8 (1984)) 184 Werner Tscherne/Erich Scheithauer/Manfred Gartler: Weg durch die Zeiten. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse der Oberstufe, 4. Das 20. Jahrhundert, Graz 1983. (im Folgenden zitiert als: Weg durch die Zeiten (1983)) 185 Roderich Geyer/Karl Fink/Franz Luger: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde. Für die 8. Klasse der allgemeinbildenden höheren Schulen. Band 4 für die 8. Klasse, Wien 1987. (im Folgenden zitiert als: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1987)) 186 Walter Göhring/Herbert Hasenmeyer: Zeitgeschichte. Ein approbiertes Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde, Wien 1986. (im Folgenden zitiert als: Zeitgeschichte (1986)) 187 Vgl. Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1987), S. 67.

53 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

„Anschluss“ darzustellen.188 Die Reihe Zeitbilder ähnelt wohl wegen seiner Autoren ebenfalls der von Göbhart/Chvojka verfassten Version von Geschichte und Sozialkunde von 1975, es findet sich bezüglich der jubelnden Menschen am Tag des „Anschlusses“ sogar genau dieselbe Formulierung, nach der nur die Anhänger der NSDAP für den Jubelempfang verantwortlich sind.189 Anders ging das Autorenteam Ebner/Majdan/Soukop in Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4190 mit der Zustimmung in Teilen der Bevölkerung um, wo Hitler „vom unerwarteten Erfolg berauscht“191 den Eintritt Österreichs ins Deutsche Reich verkündet:

„Viele Österreicher jubelten in jenen Tagen den einmarschierenden Truppen zu – sei es, daß sie sich eine bedeutende Verbesserung der wirtschaftlichen Lage erhofften, sei es, daß sie im Rahmen eines großen, militärisch mächtigen Reiches ihre Zukunft gesichert glaubten. Doch viele andere Österreicher standen in tiefer Trauer über den Untergang der Republik still abseits und dachten mit Besorgnis an die Zukunft.“192

In diesem Beispiel werden auch erstmals Gründe für eine Zustimmung aufgezeigt, während aber trotzdem noch ein Unterschied zu jenen, die dem Nationalsozialismus bzw. dem Einmarsch in Österreich kritisch gegenüberstanden, gemacht wird. Dass die Schritte bis zur Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich äußerst verkürzt dargestellt werden können, zeigt ein Blick Weg durch die Zeit: Unter dem Kapitel „Die politischen Spannungen nehmen zu“ werden auf zwei Doppelseiten die außenpolitischen Veränderungen der 1930er-Jahre beleuchtet, wobei auch auf Deutschland eingegangen wird:

„1937 erklärte Hitler vor Ministern und Generälen, sein Ziel sei die ‚Erweiterung des deutschen Lebensraumes mit der Eingliederung Österreichs und des Sudentenlandes als erster Etappe‘. In Österreich nahm Schuschnigg an, sich weiterhin auf Italien stützen zu können, obwohl sich dieses Deutschland annäherte. Der Bundeskanzler änderte auch nicht den autoritären Kurs, der den politischen Weg zu den Westmächten erschwerte und von vielen Österreichern, die kein Ende der wirtschaftlichen Schwierigkeiten sahen, abgelehnt wurde. Im Februar 1938 traf sich Schuschnigg mit Hitler in Berchtesgaden. An Stelle von Verhandlungen, die Schuschnigg erwartet hatte, kam es zu einem Diktat Hitlers, dem sich der Bundeskanzler beugte. Der Nationalsozialist Seyss-Inquart wurde als Innenminister in die österreichische Regierung aufgenommen. Zu spät suche Schuschnigg die Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten; dann wandte er sich an das österreichische Volk, das in einer überstürzt angesetzten, unkontrollierten Abstimmung befragt werden sollte, ob es ‚ein freies und deutsches, unabhängiges und soziales, christliches und einiges Österreich‘ wolle. Diese geplante Abstimmung veranlaßte Deutschland, durch ein Ultimatum den Rücktritt Schuschniggs zu erzwingen. Der Innenminister Seyss-Inquart übernahm die Regierung und ersuchte um den Einmarsch deutscher Truppen. Am 13. März 1938 wurde Österreich an Deutschland

188 Vgl. Zeitgeschichte (1986), S. 76ff. 189 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 101. 190 Anton Ebner/Harald Majdan/Kurt Soukop: Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4, Wien 1984. (im Folgenden zitiert als: Geschichte für die Oberstufe (1984)) 191 Ebenda, S. 152. 192 Ebenda, S. 152.

54 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

angeschlossen.“193

Deutlich wird hier, dass einzelne Schritte zum „Anschluss“ gar nicht erwähnt werden, der Text bleibt insgesamt sehr detailarm und beschreibt im Grunde nur das Ergebnis („Am 13. März 1938 wurde Österreich an Deutschland angeschlossen.“), aber nicht, wie die Bevölkerung damit umging. Bezogen auf die geplante Volksabstimmung ist von einer „überstürzten“ und „unkontrollierten“ Aktion die Rede, die nichts von der Sicherheit, die Abstimmung zu gewinnen, beinhaltet, wie sie oben in älteren Beispielen gezeigt wurde.

3.1.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Es finden sich in den 80er-Jahren verstärkt Bildquellen, die nun auch quantitativ mehr Platz einnehmen. So zeigt beispielsweise im Weg durch die Zeiten-Schulbuch auf derselben Seite wie das Textbeispiel zum „Anschluss“ ein Bild, auf dem „Hitler […] in Wien den ‚Anschluß‘ Österreichs [verkündet]“194, das mehr als die Hälfte der Schulbuchseite einnimmt. Die „bildliche Ikone des Gedächtnisorts Heldenplatz“ (Markova) taucht seit den 80er-Jahren verstärkt auf, wenn auch nicht im gleichen Größenverhältnis wie in Weg durch die Zeit. Jubelnde Menschenmassen werden unter anderem noch in Zeitbilder 8195 gezeigt, wobei hier der Bildeinsatz in widersprüchlichem Verhältnis zur schon in Geschichte und Sozialkunde von 1975 verwendeten Textpassage darüber steht, dass nur „Anhänger der NSDAP […] den einmarschierenden Verbänden und dem bald nachfolgenden Hitler einen ‚jubelnden Empfang‘ [bereiteten].“196 Was sich in den Neuauflagen ändert, sind das Layout bzw. dazugehörige Arbeitsaufträge: Während sich die Geschichte und Sozialkunde-Ausgabe aus den 70er-Jahren lediglich die Frage zu den Westmächten stellte,197 bietet die Ausgabe von 1987 deutlich mehr „Wiederholungsaufgaben“. Dabei wird allerdings das ganze Kapitel abgefragt, was bedeutet, dass neben Fragen zur Donaumonarchie bzw. zum Ende des Ersten Weltkriegs auch welche zu den innenpolitischen Entwicklungen in den 20er-Jahren gestellt werden. So ist auch die Frage „Welche Hilfen hätte Österreich zur Sicherung seiner Existenz erwarten können? Vergleiche die Ausgangssituation Österreichs 1918 und 1945“198 nicht im Kontext des „Anschlusses“ zu sehen, sondern zielt auf die Schwierigkeiten des Staates nach den Weltkriegen ab. So bleibt die Frage nach der Nichterhaltung der österreichischen Souveränität seitens der Westmächte, die hier erneut gestellt wird, die einzige mit Bezug zum März 1938.199 Was Zeitbilder noch vom Vorgängerbuch Göbharts/Chvojkas unterscheidet, sind die Arbeitsfragen, die am Ende jedes Abschnitts gestellt werden. Während sich die Arbeitsaufträge bisher auf eine Wiederholung der dargestellten Inhalte beschränkten bzw. auf Kritik an den Westmächten übten,

193 Weg durch die Zeiten (1983), S. 71. 194 Ebenda, S. 71. 195 Zeitbilder 8 (1984), S. 101. 196 Ebenda, S. 101. 197 „Warum halfen die westlichen Großmächte nicht, die Selbstständigkeit Österreichs zu erhalten?“ (s.o.) 198 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1987), S. 67. 199 Vgl. Ebenda, S. 67.

55 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ finden sich in Zeitbilder auch weiterführende Fragen:

„a) Welche Hoffnungen und Enttäuschungen kamen 1938 der Verbreitung des Anschlußgedankens innerhalb der österreichischen Bevölkerung entgegen? b) Warum hätte Schuschnigg bei der von ihm angesetzten Volksabstimmung – hätte sie stattgefunden – ebenso gesiegt wie später Hitler bei der von ihm durchgeführten? c) Wurden die deutschen Truppen von Österreich aus zum Einmarsch aufgefordert? d) Was gab Roosevelt Anlaß zur Besorgnis?“200

Frage a) versucht, ein differenziertes Bild – ähnlich dem aus Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4 – über Zustimmung und/oder Ablehnung dem „Anschluss“ gegenüber zu zeichnen, passt insofern aber wieder nicht einwandfrei zum Fließtextteil, der genau so schon 13 Jahre vorher im Schulbuch steht. Frage b) stellt den schon gezeigten Gedanken in den Vordergrund, dass Schuschnigg bzw. die österreichische Regierung als Sieger aus der Volksabstimmung hervorgegangen wäre. Hier suggeriert die Frage aber noch etwas anderes, nämlich dass Volksabstimmungen in autoritären/totalitären Regimen per se für die jeweilige Diktatur ausfallen, weil durch Gewaltandrohungen o.ä. keine geheime und/oder freie Wahl möglich ist. Somit erscheint diese Frage auch in einem anderen Licht und sie unterstützt weniger die Behauptung von einem schon sicheren Bekenntnis zu Österreich, als sie vielmehr auf die Problematik bei Abstimmungen in totalitären Gesellschaften hinauswill. Frage c) und d) wiederum sind reine Wiederholungs- und Vertiefungsfragen, die mithilfe der Quellenausschnitte – der „Quarantäne-Rede“ Roosevelts und Aufzeichnungen eines Telefongesprächs von Göring zum Thema der Entsendung deutscher Truppen201 – beantwortet werden können. Weg durch die Zeiten bietet einen vom Schulbuchnarrativ abgegrenzten „Quellen- und Literaturteil“, dem sich ein Teil mit Arbeitsaufgaben anschließt.202 Als Quelle mit Österreichbezug wird die „Berchtesgadener Unterredung“ (diesmal korrekt zitiert aus Schuschniggs Memoiren) verwendet, Arbeitsfragen dazu finden sich aber nicht, der Aufgabenbereich steht nicht in Verbindung mit den Quellen. Auch die schon erwähnte Bildquelle auf der Doppelseite vorher findet sich nicht in den Arbeitsaufträgen wieder, obwohl sie so viel Platz einnimmt. Vergleicht man das Bild der jubelnden Menschenmasse am Heldenplatz mit anderen Bildern im selben Buch, stellt man fest, dass die Bilder zur Gänze lediglich als gestalterisches Mittel und nicht als Interpretationsvorlage oder für

200 Zeitbilder 8 (1984), S. 101. 201 „Aus dem Telefongespräch Görings mit seinem Abgesandten Keppler am 11. März 1938, 20:48 Uhr: Keppler: Ich möchte Ihnen kurz berichten: also Bundespräsident Miklas hat sich geweigert, etwas zu machen. Die Regierung ist trotzdem außer Funktion getreten. Göring: Na ja, die Hauptsache ist, daß sich jetzt Seyß-Inquart der ganzen Regierung bemächtigt, Rundfunk usw. besetzt hält. Nun passen Sie auf: folgendes Telegramm soll der Seyß-Inquart hersenden: Schreiben Sie auf: ‚Die provisorische österreichische Regierung, die nach der Demission der Regierung Schuschnigg ihre Aufgabe darin sieht, Ruhe und Ordnung in Österreich wiederherzustellen, richtet an die deutsche Regierung die dringende Bitte, sie in ihrer Aufgabe zu unterstützen und ihr zu helfen, Blutvergießen zu verhindern. Zu diesem Zweck bittet sie die deutsche Regierung um baldmöglichste Entsendung deutscher Truppen.‘ Und sagen Sie ihm bitte, er braucht das Telegramm ja gar nicht schicken; er braucht nur zu sagen: einverstanden.“ Zeitbilder 8 (1984), S. 101. 202 Vgl. Weg durch die Zeiten (1983), S. 72f.

56 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ weiterführende Arbeitsfragen verwendet werden (sollen).

3.1.4 Die 90er Jahre

3.1.4.1 Inhalt Von der Aufteilung der Themenbehandlung bis hin zum „Anschluss“ bleibt in den 90er-Jahren alles beim Alten, der Schulbuchnarrativ erfolgt entlang der unterschiedlichen Etappen, an deren Ende die Eingliederung Österreichs ins Deutsche Reich steht. Unter dem Kapitel „Der österreichische Ständestaat von 1933 bis zum ‚Anschluß‘“ wird in Spuren der Zeit 7 anhand einzelner Überschriften der Weg zum „Anschluss“ nachgezeichnet, der durch „keinerlei Zugeständnisse“203 verhindert werden konnte. Im Vergleich zu schon gezeigten Schulbuchtexten wird hier allerdings auf Formulierungen verzichtet, die beispielsweise der geplanten Volksabstimmung eine fixes Bekenntnis zu Österreich vorhersagten: „Schuschnigg entschloß sich zu einer Volksbefragung, in der die Österreicher entscheiden sollten, ob sie für oder gegen ein unabhängiges Österreich seien. Der Kanzler rechnete mit einer soliden Mehrheit.“204 Es ist in diesem Fall nicht so, dass der Schulbuchtext den Votumsentscheid pro Österreich als gesichert ansieht. Vielmehr wird Schuschnigg zugeschrieben, dass er von einem Ergebnis für Österreich ausgehe. Die Ereignisse im März 1938 werden von Spuren der Zeit 7 anschließend als gelungene Propaganda-Aktion der Nationalsozialisten dargestellt:

„Einer geschickten Propaganda gelang es, den deutschen Einmarsch als ‚Blumenfeldzug‘ darzustellen. Die Welt sah zu, nur wenige Staaten protestierten. Die Großmächte anerkannten den Vorgang als Realität. So konnte Adolf Hitler in Wien den Anschluß […]. Die nun angesetzte Volksabstimmung erbrachte ein eindrucksvolles Ergebnis. Trotz Propaganda und einschüchternden Aktionen wird man annehmen dürfen, daß die Aufrufe führender Politiker wie Karl Renner oder der katholischen Kirche […] wesentlich dazu beitrugen, daß überwiegend die junge Generation und auch viele Menschen, die nicht dem ‚nationalen Lager‘ zuzuzählen waren, voll Hoffnung mit einem Ja stimmten.“205

Spuren der Zeit versucht auch, zwischen Anhängern/Profiteuren und Gegnern/Verfolgten des „Anschlusses“ zu differenzieren. Der Versuch fällt mit einem Satz allerdings eher bescheiden aus: „Es gab auch Kreise, die vom ‚Anschluß‘ profitierten. Doch österreichbewußte Reichsbürger sahen die Annexion als eine Okkupation, die zum politischen Widerstand aufforderte.“206 Dazu kommt, dass weder klar ist, wer die Teile der Bevölkerung sind, die vom Einmarsch der deutschen Truppen profitieren, noch erklärt wird, was unter „österreichbewussten Reichsbürgern“ zu verstehen ist. Dass Teile der Bevölkerung im März 1938 den deutschen Truppen zujubeln, wird auch in Spuren der Zeit 8 erwähnt. Dort werden gleichzeitig nicht nur jene genannt, die den „Anschluss“ nicht begrüßen,

203 Hans Krawarik/Erlefried Schröckenfuchs/Brigitte Weiser: Spuren der Zeit 7, Wien 1991, S. 133. (im Folgenden zitiert als: Spuren der Zeit 7 (1991)) 204 Ebenda, S. 133. 205 Ebenda, S. 134. 206 Ebenda, S. 134.

57 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ sondern es wird auch versucht, Gründe für eine Zustimmung aufzuzeigen:

„Am 15. März jubelten ca. 200.000 Menschen Hitler auf dem Heldenplatz in Wien stürmisch zu. Auch die Berichterstattung, gelenkt und einseitig, stellte den deutschen Einmarsch als freudig begrüßtes Ereignis dar. Daß aber mögliche Gegner schon vorher von der Gestapo verhaftet worden waren oder die Flucht ergriffen hatten, blieb weitgehend unerwähnt. Für viele schien nun der Anschlußgedanke von 1918 verwirklicht, andere, die unter der Wirtschaftskrise gelitten hatten, erhofften sich eine schnelle Verbesserung der wirtschaftlichen Lage.“207

In Spuren der Zeit 8 sowie in Stationen 4 wird auf die Bedeutung der Aussagen österreichischer Bischöfe sowie der Karl Renners verwiesen, wenn es um die Volksabstimmung zur nachträglichen Legitimation des „Anschlusses“ geht. Es werden in Spuren der Zeit 8 aber auch Zahlen derer genannt, die an der Abstimmung gar nicht teilnehmen durften.208 An ältere Formulierungen, was den Abschnitt zur Volksabstimmung betrifft, orientiert sich Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft 3, das wieder eine pathetischere Erklärung als oben gezeigt gibt und den Opferstatus des Landes stärker betont:

„Da Österreich auf ausländische Hilfe zur Aufrechterhaltung seiner Eigenstaatlichkeit nicht mehr zählen konnte, beraumte Schuschnigg kurzfristig eine Volksabstimmung an. Vor der ganzen Welt sollte der österreichische Wille zur Selbständigkeit durch ein ‚Ja‘ dokumentiert werden. […] Hitler war jetzt klargeworden, daß bei der geplanten Volksabstimmung eine große Mehrheit für die Selbstständigkeit Österreichs stimmen würde.“209

Hier ist es auch nicht Schuschnigg, der von einem sicheren Sieg ausgehen kann, sondern Hitler, der eine Abstimmungsniederlage fürchten muss. Darum erfolgte der erzwungene Rücktritt des Bundeskanzlers und der Einmarsch in Österreich am 13. März („Obwohl Schuschnigg Hitlers Forderungen erfüllte […]“210). Während also die Formulierungen zur Abstimmung den Opferstatus Österreichs stützen, wird die erwähnte „Anschluss“-Begeisterung doch gewissermaßen differenziert („Weite Bevölkerungskreise empfingen die deutschen Truppen mit Jubel.“211), auch wenn diese Differenzierung nicht über einen Satz hinausgeht. Genauer wird herausgearbeitet, warum die Zustimmung bei der Volksabstimmung vom April 1938 so überwältigend war:

„Mit ein Grund für die zahlreichen Ja-Stimmen bei der Volksabstimmung war auch die

207 Erlefried Schröckenfuchs/Georg Lobner: Spuren der Zeit 8, Wien 1992, S. 92. (im Folgenden zitiert als: Spuren der Zeit 8 (1992)) 208 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92 Michael Floiger/Ulrike Ebenhoch/Manfred Tuschel: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 8. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 4 für die 8. Klasse, Wien 1992, S. 71. (im Folgenden zitiert als: Stationen 4 (1992)) 209 Michael Floiger/Ulrike Ebenhoch/Kurt Tschegg/Manfred Tuschel: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 7. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 3 für die 7. Klassen, Wien 1991, S. 135. (im Folgenden zitiert als: Stationen 3 (1991)) 210 Ebenda, S. 135. 211 Ebenda, S. 136.

58 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Tatsache, daß die österreichischen Bischöfe und der frühere sozialdemokratische Staatskanzler Renner öffentlich erklärten, sie würden am 10. April mit Ja stimmen. Unumstritten ist auch, daß Hunderttausende arbeitslos waren und durch die Bejahung des ‚Anschlusses‘ eine Besserung ihrer wirtschaftlichen Notlage erhofften. Die Nationalsozialisten entfalteten zudem für die Abstimmung eine ungeheure Propaganda. Die Entsendung von Hilfsgütern, aber auch offener und geheimer Terror der Nationalsozialisten brachten das Ergebnis von 99,73% Ja-Stimmen.“212

Interessanterweise wird hier nicht als erstes die Propaganda und der ausgeübte Druck seitens der Nationalsozialisten erwähnt, sondern das Bekenntnis der Bischöfe und Karl Renners zum „Anschluss“, sowie die hohe Arbeitslosigkeit und die mit der Eingliederung in das Deutsche Reich verbundene Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung. Mit dem „Anschluss“ endet auch das Kapitel der österreichischen Geschichte, wobei sogleich ein Verweis auf das Wiederentstehen der Republik nach dem Krieg gegeben wird:

„Durch eine Flut von nationalsozialistischen Verordnungen wurden die letzten Reste der österreichischen Eigenständigkeit beseitigt, das Land in Gaue eingeteilt. Im Laufe der folgenden Jahre, die von Krieg, Verfolgung und Holocaust bestimmt waren, erwachte das österreichische Staats- und Nationalbewußtsein und legte das Fundament für die Zweite Republik nach 1945.“213

In der Ausgabe von Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft 4 für die 8. Klasse wird rückblickend auf die positive Grundstimmung im März 1938 verwiesen, allerdings verbunden mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und nicht so sehr mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus.214 Viel Raum nimmt der „Anschluss“ in der Zeitbilder 7-Ausgabe von 1996 ein, die ebenfalls die Entwicklung bis zum „Ende Österreichs“ (Kapitelüberschrift) darstellt. Schuschnigg, der bis zur „Vernichtung Österreichs“215 Bundeskanzler blieb und dessen Amtszeit „vor allem vom Ringen um die Unabhängigkeit geprägt“216 war, wird den Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit Hitler als zentraler Akteur vorgestellt. Dass die von ihm proklamierte Volksabstimmung für Österreich ausgehen sollte, wird so geschildert: „Da selbst die emigrierten sozialdemokratischen Politiker ihren Anhängern in Österreich rieten, mit ‚Ja‘ zu stimmen, schien eine große Mehrheit für die Selbstständigkeit Österreichs gesichert.“217 Das modifizierende Verb scheinen drückt in diesem Fall die nicht gesicherte Annahme aus, dass die Volksabstimmung im Sinne Schuschniggs und der Regierung ausgeht. Der Entscheid steht auch hier in direktem Zusammenhang mit dem Einmarsch deutscher Truppen, „denn er

212 Stationen 3 (1991), S. 136. 213 Ebenda, S. 136. 214 Stationen 4 (1992), S. 71. 215 Alois Scheucher/Anton Wald/Hermann Lein/Eduard Staudinger: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 7, Wien 1996, S. 114. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 7 (1996)) 216 Ebenda, S. 114. 217 Ebenda, S. 116.

59 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ hätte ihn [Hitler, Anm. D.H.] jeder Legitimation für einen Anschluß Österreichs beraubt.“218 Auch konkrete Zahlen zur Übernahme der Nationalbank-Reserven werden in Zeitbilder 7 erstmals gegeben.219 Eine Änderung erfährt der schon zwei Mal erwähnte Textausschnitt zum Einmarsch der Truppen und dem euphorischen Empfang: Während in der Geschichte und Sozialkunde-Ausgabe von 1975 und in Zeitbilder 8 von 1984 nur von den Anhängern der NSDAP gesprochen wird, wird nun noch einmal deutlicher unterschieden: „Die Anhänger der NSDAP und weite Bevölkerungskreise bereiteten den einmarschierenden Soldaten und dem bald nachfolgenden Hitler einen ‚jubelnden Empfang‘.“220 Die jubelnde Masse wird nun um die NSDAP-Mitglieder erweitert und ergänzt auf „weite Bevölkerungskreise“, wobei durch diese Formulierung nicht klar wird, warum diese Hitler einen jubelnden Empfang bereiteten. Dem weiten Bevölkerungskreis in Zeitgeschichte 7, der wenn nicht zur Zustimmung aber zumindest zum Jubel bereit ist, steht in Aus Geschichte lernen 7 ein großer Bevölkerungskreis entgegen, der eben gegen die nationalsozialistische Diktatur auftritt:

„Der Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich am 12. März 1938 bedeutete das Ende des unabhängigen und selbstständigen Staates, eines Staates allerdings, der keine Demokratie mehr war, sondern ein autoritäres Regime, dem große Teile der Bevölkerung distanziert, ja feindlich gegenüberstanden.“221

Interessant ist, dass Aus Geschichte lernen 7 vermeintliche Schilderungen der „Anschluss“- Begeisterung sofort damit entkräftet, dass sie nicht von allen Österreichern ausging: „Die ‚Anschluß‘- Begeisterung großer Menschenmassen ist nicht zu leugnen, dennoch wurde sie nicht von allen Österreichern geteilt.“222 Herauszuheben ist auch, dass das Nichteingreifen anderer Staaten zugunsten einer österreichischen Souveränität erstmals auf eben jene Jubelbilder zurückgeführt wird, die den „Anschluss“ Österreichs prägten. 223 Geradezu typisch wiederum ist die Erwähnung der Äußerungen von Renner und Innitzer, die einen „Anschluss“ befürworteten.224 Zusätzlich erwähnt wird auch die Namensänderung Nieder- und Oberösterreichs in Nieder- und Oberdonau, „um jede Erinnerung an Österreich zu tilgen.“225

3.1.4.2 Bilder und Bildunterschriften Am häufigsten, insgesamt je vier Mal, wird in den von mir untersuchen Schulbüchern durch Bilder auf die geplante Volksabstimmung im März sowie auf den durchgeführten Volksentscheid vom April 1938 hingewiesen. Zwei Mal wird das Propagandaplakat „Das ganze Volk sagt am 10. April ja!“ angeführt,

218 Zeitbilder 7 (1996), S. 116. 219 Vgl. Ebenda, S. 116. 220 Ebenda, S. 117. 221 Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: Aus Geschichte lernen. 7. Klasse. Von der Industriellen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Wien 1993, S. 148. (im Folgenden zitiert als: Aus Geschichte lernen 7 (1993)) 222 Ebenda, S. 148. 223 Vgl. ebenda, S. 148. 224 Vgl. ebenda, S. 148. 225 Ebenda, S. 148.

60 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ das Menschen aus allen Bevölkerungsteilen mit Hitlergruß unter dem gleichnamigen Schriftzug in Rot und Schwarz zeigt.226 Allerdings werden dazu unterschiedliche Bildunterschriften geliefert: Während in Zeitbilder 8 lediglich eine Beschreibung gegeben wird, worum es sich bei der Bildquelle handelt – nämlich ein „Nationalsozialistisches Propagandaplakat zur Volksabstimmung vom 10. April über den bereits vollzogenen Anschluss.“227 –, erfolgt in Stationen 4 eine weitergehende Bildunterschrift:

„Die Betonung des ‚Völkischen‘ war ein Grundwert nationalsozialistischer Weltanschauung. Der Sieg des Nationalsozialismus galt bei seinen Anhängern als ‚völkische Wiedergeburt‘, die dem deutschen Volk eine bessere Zukunft sichern sollte – auch in Österreich.“228

Dass es sich bei dem Bild um ein Propagandaplakat handelt, wird im erklärenden Bildtext nicht erwähnt; die Schülerinnen und Schüler müssen sich diese Tatsache aus dem Kontext des Schulbuchnarratives entweder selbst erschließen oder von der Lehrperson darauf aufmerksam gemacht werden. Andere Bilder im Zusammenhang mit der April-Abstimmung zeigen ein „NS- Propagandaplakat vor dem Wiener Stephansdom für die ‚Anschluß‘-Volksabstimmung.“229 sowie eine „Wahlzelle“, die den Charakter einer „geheimen Abstimmung“ suggerieren sollte. Die Bildunterschrift dazu erklärt hier sogar noch, dass „[d]ie Volksabstimmung über den bereits vollzogenen ‚Anschluß‘ […] mit einem offiziellen Ergebnis von 99,73 Prozent Ja-Stimmen [endete].“230, was mit dem Bild selbst allerdings in keiner Verbindung steht. Die Bilder zur geplanten Märzabstimmung sind alle unterschiedlich: Während Fotografien von Soldaten der Vaterländischen Front, die eine „eindrucksvolle Propaganda entfalteten“231 und Schuschnigg bei einem Besuch in Innsbruck zeigen, „wo er die Österreicher ein letztes Mal aufrief, durch eine Volksbefragung den Einmarsch deutscher Truppen zu verhindern.“232, werden auch noch Plakate oder Flugblätter, die für ein souveränes Österreich Stimmung machen sollten, abgebildet.233 Insgesamt sechs Bilder haben den Einmarsch der deutschen Truppen bzw. die Massenkundgebungen am Heldenplatz zum Inhalt: Drei Bilder zeigen dabei den Grenzüberschritt bzw. den Einmarsch der Truppen in Wien, wobei hier stets die euphorische Grundstimmung des Einmarsches zu sehen ist und dieser auch nicht von den Bildunterschriften widersprochen wird.234 Bei den Jubelszenen auf dem Heldenplatz, die ebenfalls drei Mal abgebildet sind,235 kommen die Schulbuchautoren und -autorinnen allerdings nicht darum herum, dazu auch Stellung zu nehmen: „Die Menschen auf dem Wiener

226 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 72; Anton Wald/Eduard Staudinger/Alois Scheucher/Josef Scheipl: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 8. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute, Wien 1997, S. 6. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 8 (1997)) 227 Ebenda, S. 6. 228 Stationen 4 (1992), S. 72. 229 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92. 230 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 149. 231 Stationen 3 (1991), S. 135. 232 Spuren der Zeit 7 (1991), S. 133. 233 Vgl. Ebenda, S. 133; Zeitbilder 7 (1996), S. 116. 234 Spuren der Zeit 7 (1991), S. 134; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92; Stationen 3 (1991), S. 136. 235 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92; Stationen 3 (1991), S. 136; Zeitbilder 7 (1996), S. 116.

61 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Heldenplatz jubeln Hitler zu. Jene, die keinen Anlaß zum Jubeln hatten, zogen es vor, zuhause zu bleiben.“236 Durch diese Bildunterschrift soll zumindest versucht werden, zu erklären, dass nicht alle Menschen Hitler zugejubelt hatten, obwohl die Bilder einen falschen Eindruck der flächendeckenden Zustimmung vermitteln. Auf diesen Aspekt kann – geht es nach folgendem Beispiel – aber auch verzichtet werden, wenn in den Texten zum Bild nur erklärt wird, was darauf zu sehen ist: „Höhepunkt von Hitlers Aufenthalt in Wien war die Massenkundgebung auf dem Heldenplatz am 15. März, an der etwa 250.000 Menschen teilnahmen.“237 Insgesamt muss für diese Art von Bildern festgehalten werden, dass sie einem Opfernarrativ Österreichs prinzipiell widersprechen und aus diesem Grund auch erst sehr spät so prominent im Schulbuch zu finden sind. Durch die Bildunterschriften wird allerdings die Herausforderung ersichtlich, diesen vermeintlichen Widerspruch – Österreich ist ein Opfer der deutschen Aggression, tausende Menschen jubeln trotzdem – mit der offiziellen Haltung zu vereinbaren. Insofern hat Markova also recht, wenn sie von der „bildlichen Ikone des Gedächtnisorts Heldenplatz“238 spricht, der Ort aber gewissermaßen ambivalent ist.

3.1.4.3 Quellen und Zitate Die am häufigsten verwendeten Quellenauszüge in den 90er-Jahren entstammen der letzten Rundfunkansprache Schuschniggs („Gott schütze Österreich“), die insgesamt drei Mal, allerdings immer in unterschiedlicher Länge, wiedergegeben wird.239 Das Gesamtzitat wird dabei nur in Stationen 3 verwendet, während in Aus Geschichte lernen 7, lediglich das Ende – „So verabschiede ich mich in dieser Stunde von dem österreichischen Volk mit einem deutschen Wort und einem Herzenswunsch: Gott schütze Österreich.“240 – auf der „Materialien“-Doppelseite abgebildet ist. Insgesamt je zwei Mal ist in Quellenausschnitten vom Gespräch Schuschniggs mit Hitler in Berchtesgaden sowie der nachträglichen Volksabstimmung im April 1938 die Rede, wobei die beiden Gesprächsauszüge aus Berchtesgaden jeweils Schuschniggs Memoiren entnommen sind und die Drohungen Hitlers gegenüber dem österreichischen Bundeskanzler zum Ausdruck bringen sollen.241 Die Quellen zur nachträglichen Legitimierung des „Anschlusses“ sollen insbesondere die teilweise offenen und teilweise versteckten Repressionen des NS-Regimes gegen die Wähler verdeutlichen. So wird in Stationen 4 ein langer Quellenausschnitt dem Fließtext angehängt, der einen Augenzeugenbericht eines dem nationalsozialistischen Druck während der Abstimmung ausgesetzten unentschlossenen Wählers wiedergibt.242 Nur kurz geht Stationen 3 auf die Abstimmung ein. Es geht in dieser Einschätzung der Zeithistorikerin Erika Weinzierl um die Gründe für die fast 100-prozentige Zustimmung beim Volksentscheid:

236 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92. 237 Stationen 3 (1991), S. 136. 238 Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird, S. 75ff. 239 Vgl. Stationen 3 (1991), S. 135; Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 131; Zeitbilder 7 (1996), S. 116. 240 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 131. 241 Vgl. Stationen 3 (1991), S. 134; Spuren der Zeit 7 (1991), S. 133. 242 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 71.

62 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

„Mit dieser Abstimmung wollte sich Hitler vor der Weltöffentlichkeit legitimieren. Die österreichische Historikerin Erika Weinzierl schreibt: ‚1. Der Nationalsozialismus konnte vor 1938 nie mehr als höchstens 25 Prozent der Österreicher zu seinen Anhängern zählen … 2. Seine Gegner, von kleinen Jugend- und Arbeitergruppen abgesehen, sind in jenen Märztagen nicht auf die Straße gegangen. Sie wurden daher ebensowenig Fotografiert wie die Tausenden von Österreichern, die schon unmittelbar nach dem Einmarsch der deutschen Truppen von der Gestapo verhaftet worden sind …‘“243

Im Zusammenhang mit der Frage nach dem Opferstatus Österreichs ist auch noch eine Quelle erwähnenswert, welche die „Anschluss“-Euphorie im März 1938 beschreibt und dem Fließtext über den „Anschluss“ in einem Kasten vorangestellt ist. Es handelt sich dabei um einen Auszug aus Fritz Kolbs „Es kam ganz anders. Betrachtungen eines alt gewordenen Sozialisten“ von 1981 und erzählt vom „Massenrausch“, dem so viele Menschen beim Einzug der Wehrmacht und Hitlers erlagen.244

3.1.4.4 Arbeitsanregungen und Fragen Während die gezeigten Quellenausschnitte durchaus auch bewusst Widersprüche aufzeigen, gehen die damit verbundenen Arbeitsaufträge nur äußerst selten über ihre Rolle als reine Wiederholungsfragen für Prüfungen hinaus. Im Fall des Zitats von Fritz Kolb wird beispielsweise versucht, aus dem Zitat allgemeine Aussagen abzuleiten: „1. Lesen Sie nebenstehenden Bericht und überlegen Sie, warum es in Österreich zu keinen Demonstrationen gegen den Einmarsch Hitlers kam.“245 Ganz anders werden die Arbeitsaufgaben in Stationen 3 gestellt, wo sich reine Wiederholungsfragen am Seitenrand einfach auf die entsprechende Textstelle im Fließtext daneben beziehen und die Antwort damit indirekt schon gegeben wird.246 Auch die Abschlussfrage zum Thema „Anschluss“ in Stationen 3 ist im Grunde nur eine große Wiederholungsfrage und dient in erster Linie der Prüfungsvorbereitung: „Versuchen Sie, zusammenfassend zu wiederholen, weshalb die Erste Republik keinen Bestand hatte.“247 Außergewöhnlicher ist hier ein Arbeitsauftrag in Zeitbilder 7, in dem nach der Quelle die Bedeutung der Gold- und Devisenvorräte der österreichischen Nationalbank behandelt wird. Die Schüler sollen dabei anhand des Goldkurses den heutigen Wert (bzw. den von 1996) der „Beute“ berechnen.248 Wie gehabt werden auch Fragen zur Rolle der Alliierten gestellt (s.o.). Fragen, die bei Stationen 3 („Weshalb stützten England und Frankreich Österreich nicht stärker?“249) wieder problemlos mit dem Fließtext beantwortet werden können, in Zeitbilder 7 immerhin mit einer Hugo Portisch-Quelle verknüpft sind: „Worauf gründet sich die Ansicht von Portisch, daß ein Eintreten anderer Staaten für

243 Stationen 3 (1991), S. 136. 244 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 92. 245 Ebenda, S. 92. 246 Frage: „Warum marschierte Hitler nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß nicht in Österreich ein?“; Antwort im Fließtext: „Als Mussolini Truppen an die Brennergrenze schickte, mußte Hitler auf einen Einmarsch verzichten.“ Stationen 3 (1991), S. 132. 247 Stationen 3 (1991), S. 136. 248 Vgl. Zeitbilder 7 (1996), S. 117. 249 Stationen 3 (1991), S. 134.

63 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Österreichs Unabhängigkeit ab 1936 nur mehr bedingt zu erwarten war?“250 Der Unterschied der beiden Aufgaben besteht darin, dass den Schülerinnen und Schülern mit Portisch eine Einzelmeinung präsentiert wird, die sie rekonstruieren sollen, während der Schulbuchfließtext per se als „Fakt“ hingestellt wird. Weiterführende Fragen bietet Aus Geschichte lernen 7 auf der im Buch verwendeten „Materialien“- Doppelseite, wobei nicht ganz klar ist, worauf sich die Fragen letztendlich beziehen: „1. Welche Erfahrungen machten die Zeitzeugen in der nationalsozialistischen Zeit? 2. Wie verhielten sich die Menschen in Österreich nach dem ‚Anschluß‘?“251 Das Problem: Die Quellen, die ebenfalls hier präsentiert werden, weisen nur auf den Holocaust hin; das sich auf der Seite befindende Bild zeigt „antisemitische Schmieraktionen“. Die Reaktion der Menschen nach dem „Anschluss“ wird also auf den Holocaust fokussiert und gar nicht so sehr auf den „Anschluss“ selbst. Eine weiterführende Frage, die sich explizit mit meiner Fragestellung rund um Vergangenheitsbewältigung auseinandersetzt, wird in Spuren der Zeit 7 gestellt. Hier wird nicht nach einem mithilfe des Schulbuchs lernbaren (und abprüfbaren!) Stoff gefragt, sondern nach Einschätzungen der Schülerinnen und Schüler:

„Die Annexion Österreichs brachte ein wesentliches Problem: Widerstand war in die Nähe der Illegalität gerückt. Innerhalb des Landes verurteilte die Masse solche Aktionen als ‚Hoch-‘ oder ‚Landesverrat‘. Deshalb sprachen viele Österreicher 1945 nicht von ‚Befreiung‘ sondern ‚Besetzung‘. Welches Geschichtsverständnis ist wohl notwendig, um Vergangenheit sinnvoll zu bewältigen? Warum sprechen heute Historiker von ‚vielen Wahrheiten erlebter Geschichte‘?“252

Das Besondere an dieser Fragestellung ist die Thematisierung der „vielen Wahrheiten erlebter Geschichte“. So ist es unter Umständen aus Schülersicht nur schwer verständlich, dass so viele Menschen einem Schreckensregime zujubeln und nach dem Weltkrieg sich mehr oder weniger sichtbar davon distanzieren. Ein Begreifbarmachen eines „Traumas des Vergessens“ wird mit dieser Fragestellung zumindest angedeutet.253

3.1.5 Seit 2000

3.1.5.1 Inhalt Was sich am Aufbau der Schulbücher (bis auf einzelne Ausnahmen, s.u.) auch seit 2000 nicht geändert hat, ist die Darstellung der österreichischen Geschichte bis hin zum März 1938 mittels einzelner Etappen (jeweils dargestellt durch die Unterüberschriften) – Unterschiede gibt es allerdings darin, wie detailliert diese Etappen dargestellt werden. In Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 wird die Abhängigkeit Österreichs vom Deutschen Reich hervorgehoben, das Druck auf den „kleinen Bruder“

250 Zeitbilder 7 (1996), S. 115. 251 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 150. 252 Spuren der Zeit 7 (1991), S. 134. 253 Vgl. dazu Aleida Assmann: Vier Formen des Gedächtnisses, in: Erwägen, Wissen, Ethik 13/2002, S. 183-190, vgl. Aleida Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit, S. 93ff.

64 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ ausübte:

„Die Hinweise auf gemeinsame Sprache und Geschichte, die politische und wirtschaftliche Hetzpropaganda ‚gegen den bolschewistischen und jüdischen Weltfeind‘, der sich gegen das ‚edle deutsche Herrentum‘ verschworen hatte, fiel bei großen Teilen der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden.“254

Dieser außenpolitische Druck wird auch in GO! 7 erwähnt, womit „Schuschnigg, dessen Machtbasis in Österreich schwach war, dem Willen Hitlers ausgeliefert“255 war. Weitgehend einig sind sich die Schulbuchautoren und -autorinnen darüber, dass Österreich von der Wirtschaftskrise stark betroffen war, was laut Wege durch die Zeiten 3, einem Nachdruck aus dem Jahr 2000, auch der Grund dafür war, dass „illegale Organisationen, vor allem jene der Nationalsozialisten, […] rasch weiteren Anhang“256 gewannen. Wesentlich genauer wird der nationalsozialistische Putschversuch vom Juli 1934 geschildert, wobei vor allem der Tod von Bundeskanzler Dollfuß unterschiedlich dargestellt wird. Der Überfall auf das Kanzleramt wird sehr häufig erwähnt, aber dass neben dem Sitz des Bundeskanzlers auch Gebäude der Radio Verkehrs AG besetzt wurden, findet sich nur selten in den Schulbuchfließtexten wieder:

„Das – vielfach verratene, überdies dilettantisch geplante und durchgeführte – Unternehmen des 25. Und 26. Juli bestand aus einer Kommandoaktion gegen das Bundeskanzleramt und das Rundfunkgebäude der RAVAG sowie aus Aufstandsversuchen in den Bundesländern, insbesondere in Kärnten, Oberösterreich und der Steiermark.“257

Unter welchen Umständen Dollfuß bei dem Putschversuch wirklich ums Leben gekommen ist, ist umstritten, auch wenn Kurt Bauer in seinem 2014 erschienenen Buch zum Juliputsch den Tod des Bundeskanzlers als Unfall darstellt.258 Im Schulbuch wird von „Attentätern“259 und von der „Ermordung“260 gesprochen. Dollfuß‘ Tod ist gewissermaßen der Auftakt für eine andere Opferthese: „Um den ermordeten Kanzler Dollfuß entstand bald ein Kult, er wurde zum ‚ersten Opfer des Nationalsozialismus‘ erklärt.“261 Den Autoren von Zeitbilder 7 ist zudem wichtig zu erwähnen, dass Hitler während und nach dem Putsch nicht eingreift und dass Mussolini am Brenner zur Unterstützung

254 Alexander Pokorny/Georg Lobner/Michael Lemberger: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7. Geschichte und Sozialkunde für die 7. Klasse, Linz/Wien 2002, S. 158. (im Folgenden zitiert als: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002)) 255 Franz Melichar/Irmgard Plattner/Claudia Rauchegger-Fischer: GO! Geschichte Oberstufe 7, Wien 2013, S. 106. (im Folgenden zitiert als: GO! 7 (2013)) 256 Werner Tscherne/Manfred Gartler: Wege durch die Zeiten 3. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde, Graz 2000, S. 110. (im Folgenden zitiert als: Wege durch die Zeiten 3 (2000)) 257 Manfred Schindlbauer: Thema: Geschichte. 7. Klasse. Vom 20. Bis zum 21. Jahrhundert, Salzburg 2007, S. 116f. (im Folgenden zitiert als: Thema: Geschichte 7 (2007)) 258 Vgl. Kurt Bauer: Hitlers Zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und 25. Juli 1934, Wien 2014. 259 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 116. 260 Johannes Brzobohaty/Andreas Kowarz/Robert Salmayer/Christa Zellhofer: Zeitfenster 7, Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung für die 7. Klasse AHS, Wien 2012, S. 70. (im Folgenden zitiert als: Zeitfenster 7 (2012)) 261 Ebenda, S. 70.

65 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ des Ständestaates militärische Präsenz zeigt,262 in der älteren Ausgabe von 2006 noch mit dem dramatischen Nachsatz: „Noch hatte Österreich die Unterstützung Mussolinis…“263 Das „Juliabkommen“ von 1936 wird explizit als „erster Schritt zum Anschluss“264 bezeichnet, in einst und heute 7 sowie in Streifzüge durch die Geschichte 7 – die beiden Bücher verwenden stets exakt denselben Wortlaut – wird davon gesprochen, dass mit dem Abkommen „praktisch der wirtschaftliche Anschluss an Deutschland eingeleitet“265 wurde. Durch das Abkommen, das neben der Freilassung von verhafteten NSDAP-Mitgliedern auch die Ernennung von Nationalsozialisten in die Regierung beinhaltete, „kam es zu einer noch stärkeren Unterwanderung Österreichs durch die Nationalsozialisten“.266 Auch hier fällt wieder der Unterschied zwischen den Zeitbilder-Ausgaben von 2014 und 2006 auf, denn 2014 wurde die Phrase von 2006 („Damit war der Unterwanderung Österreichs durch den Nationalsozialismus Tür und Tor geöffnet.“267) durch obige Formulierung, die ohne Redewendungen auskommt, ersetzt. Die Rolle der anderen europäischen Länder wird im Schulbuch in diesem Zusammenhang ebenfalls genannt, größtes Problem aus österreichischer Sicht ist allerdings, dass Mussolini infolge der Annäherung an Deutschland seine Stellung als Schutzherr Österreichs aufgibt.268 Neben Hitler tritt bei Thema: Geschichte 7 auch Göring als „treibende Kraft“ hervor, um „das österreichische Problem“ zu lösen.269 Als nächster Schritt hin zum „Anschluss“ wird auch in den 2000ern die Unterredung in Berchtesgaden genannt, wobei hier insbesondere die Rolle Schuschniggs unterschiedlich beurteilt wird, vor allem was seine Verantwortung für die immer mehr eskalierende Situation betrifft. Eher negativ erscheint er in Wege durch die Zeit 3, wo er sich „einem Diktat […] zu beugen hatte“ und „damit […] einen wesentlichen Teil der Macht aus der Hand“270 gab. Ebenfalls in schlechtem Licht erscheint Schuschnigg in gestern | heute | morgen 7, wo die österreichischen Reaktionen auf das Berchtesgadener Abkommen dargelegt werden: „Schuschniggs Nachgiebigkeit stieß bei vielen in der Vaterländischen Front, bei den Monarchisten (die die Übertragung der Regierungsgewalt an Otto Habsburg forderten), aber auch bei der Arbeiterschaft auf Unverständnis.“271 Für Manfred

262 Vgl. Anton Wald/Eduard Staudinger/Alois Scheucher/Josef Scheipl/Ulrike Ebenhoch: Zeitbilder 7 & 8. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart, Wien 2006, S. 55. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 7/8 (2006)); Eduard Staudinger/Ulrike Ebenhoch/Alois Scheucher/Josef Scheipl: Zeitbilder 7. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart, Wien 2014, S. 58. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 7 (2014)) 263 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 55. 264 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 111. 265 Erlefried Schröckenfuchs/Gerhard Huber: Streifzüge durch die Geschichte 7 mit Politischer Bildung, Wien 2005, S. 62; (im Folgenden zitiert als: Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005)) Gerhard Huber/Erlefried Schröckenfuchs: einst und heute 7, Wien 2001, S. 121. (im Folgenden zitiert als: einst und heute 7 (2001)) 266 Zeitbilder 7 (2014), S. 58. 267 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 55. 268 Vgl. Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: gestern | heute | morgen. 7. Klasse. Aus Geschichte lernen, Wien 2005, S. 49. (im Folgenden zitiert als: gestern | heute | morgen 7 (2005)) 269 Thema: Geschichte (2007), S. 118. 270 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 111. 271 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 49.

66 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Schindlbauer in Thema: Geschichte 7 leitet Berchtesgaden auf alle Fälle „den letzten Akt der Tragödie Österreichs ein“.272 In der Zeitbilder-Ausgabe von 2006 wird bemerkt: „Nun hatte die Stunde Österreichs endgültig geschlagen.“,273 weil mit der Einsetzung Seyß-Inquarts als Minister „Österreich hilflos geworden [war], […] ab nun unternahm die Polizei fast nichts mehr gegen die nationalsozialistischen Demonstrationen und Übergriffe.“274 Als nächster Punkt wird die geplante Volksabstimmung behandelt, durch die Schuschnigg versuchte, „seine Position gegenüber Hitler […] zu stärken“275, „dem nationalsozialistischen Druck […] zu begegnen.“276 und „die Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs mit allen Mitteln zu verteidigen.“277 Sehr dramatisch wird die Entscheidung zur Volksabstimmung bei Zeitfenster 7 behandelt:

„Ein in die Enge getriebener Schuschnigg startete nun das verzweifelte Unternehmen, die Unterstützung der Sozialdemokraten im Kampf gegen die Annexion Österreichs durch Deutschland zu gewinnen. Doch zu groß war das gegenseitige Misstrauen, das sich seit dem Bürgerkrieg im Februar 1934 gegenüber der Regierung aufgebaut hatte.“278

Auffällig ist auch die erneut wiederkehrende Formulierung, dass Schuschnigg die Volksabstimmung ansetzte, um „der Welt den österreichischen Lebenswillen zu demonstrieren“, die in allen untersuchten Schulbüchern seit 2000 aber nur einmal zu finden ist.279 Häufiger vertreten sind dafür die Textausschnitte, die bei der Volksabstimmung von einem mehr oder weniger sicheren Sieg für Schuschnigg ausgehen: „Schuschnigg rechnete mit 65 bis 75 Prozent Ja-Stimmen für ein unabhängiges Österreich – und das schätzte auch Deutschland so ein; es versuchte daher mit allen Mitteln einzugreifen und die Abstimmung zu verhindern.“280 Allerdings wird die Mehrheit einer Zustimmung für ein selbstständiges Österreich nicht als Fakt angeführt (s.o.), sondern lediglich vermutet: „Die Nationalsozialisten, die damit rechnen mussten, dass Schuschnigg die Mehrheit bekommen würde (weil ihm auch die illegalen Sozialdemokraten ihre Zustimmung zusicherten), empörten sich. Hitler drohte mit einer militärischen Intervention.“281 Eine Beschreibung der Ereignisse vom 11./12. März 1938 findet sich ausnahmslos in jedem von mir untersuchten Schulbuch in den 2000ern. Mittlerweile scheint es sich auch durchgesetzt zu haben, die Hitler zujubelnden Menschen nicht mehr zu verleugnen, sondern vielfach Gründe für deren Zustimmung für den Nationalsozialismus zu geben und sie gezielt für Anregungen oder Quellen zu verwenden.

272 Thema: Geschichte (2007), S. 118. 273 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56. 274 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56. 275 GO! 7 (2013), S. 107. 276 Zeitbilder 7 (2014), S. 59. 277 einst und heute 7 (2001), S. 122; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 63. 278 Zeitfenster 7 (2012), S. 71; Als „verzweifelt“ wird der Versuch der Volksabstimmung auch in Zeitbilder 7 & 8 bezeichnet, S. 56. 279 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 118. 280 einst und heute 7 (2001), S. 122; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 63. 281 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 49; ähnlich bei Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56 und Zeitbilder 7 (2014), S. 59.

67 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Überraschend lapidar und in aller Kürze behandelt Wege durch die Zeiten 3 das Thema „Anschluss“ und die vorherrschende Begeisterung: „Am 12. März marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Sie wurden von einem Großteil der Bevölkerung begeistert empfangen, da diese hoffte, es werde wirtschaftlich endlich wieder aufwärtsgehen.“282 Auf der anderen Seite sehr detailreich und ausführlich wird der „Anschluss“ in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 geschildert, wobei im folgenden Beispiel durch den parataktischen Stil und die direkten Reden mitunter dramatisiert wird:

„Für HITLER wurde es [der Einmarsch, Anm. D.H.] eine Triumphfahrt. Glocken läuteten, Menschen jubelten. Die Begeisterung der Massen schien grenzenlos. Die lang aufgestauten Frustrationen durch die Wirtschaftskrise und den Ständestaat schlugen in einen Hoffnungsausbruch um. ‚Der Kuart is fuart – nun geht’s uns guat!‘, schrien sie.“283

Der „Anschluss“ wird in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 zudem als Prozess mit drei Ebenen beschrieben, so wie dies auch erstmals Ende der 80er-Jahre in der Zeitgeschichte-Forschung versucht und seitdem state of the art ist:284 Von einem „Anschluss von unten“, „Anschluss von außen“ und „Anschluss von oben“ ist neben Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 auch noch in Streifzüge durch die Geschichte 5285 und in Thema: Geschichte 7286 die Rede, wobei auf diesen Aspekt im erstgenannten Schulbuch am ausführlichsten eingegangen wird. Herauszuheben ist der schon erwähnte Jubel während des Einmarsches: Während Wege durch die Zeiten 3 von einem „Großteil der Bevölkerung“ (s.o.) die Rede ist, wird in einst und heute 7 / Streifzüge durch die Geschichte 5 generell nur vom „Jubel der Bevölkerung“ gesprochen.287 gestern | heute | morgen 7 beschreibt den Jubel, „der ihm [Hitler, Anm. D.H.] seitens eines Teils der Bevölkerung bereitet wurde“,288 wobei das Buch aber noch weitergeht und versucht, zu differenzieren:

„Die ‚Anschluss‘-Begeisterung großer Menschenmassen ist nicht zu leugnen, dennoch wurde sich nicht von allen Österreichern geteilt, sondern war teilweise Propaganda der Nationalsozialisten. Die Jubelbilder über den deutschen Einmarsch in Österreich verminderten auch das Engagement westlicher Regierungen zugunsten einer österreichischen Selbstständigkeit. [...]“289

Die „großen Menschenmassen“ werden in Thema: Geschichte 7 zu einem „großen Teil der Bevölkerung“290, in GO! 7 ist es sogar „eine Mehrheit der österreichischen Bevölkerung“291, die den

282 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 130. Von der Begeisterung der Massen ist allerdings erst im Kapitel „Die Expansionspolitik Hitlers“ die Rede. 283 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159. 284 Vgl. Hanns Haas: Der Anschluss, in: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, hrsg. v. Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 36), Wien 1988, S. 1-24. 285 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65. 286 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 119. 287 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 123; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 64. 288 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 49. 289 Ebenda, S. 68. 290 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 118f. 291 GO! 7 (2013), S. 107.

68 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Einmarsch der Deutschen begrüßt. Die Ausgaben der Zeitbilder-Bücher verbleiben in ihren schon gezeigten Formulierungen von den „bis dahin illegalen Anhänger[n] der NSDAP und weite[n] Bevölkerungskreise[n]“.292 Für die meisten Schulbücher gilt allerdings, dass die den „Anschluss“ bejubelnde Menge stets gesichtslos und anonym bleibt – um welche Bevölkerungsteile es sich jeweils handelt, wer vom Einmarsch und vom Anschluss aus welchen Gründen profitiert, bleibt unbehandelt. Lediglich Thema: Geschichte 7 bietet mittels einer Aufschlüsselung von prozentuellen Anteilen an NSDAP-Mitgliedern nach Berufs- bzw. Gesellschaftsgruppen hier eine differenzierte Herangehensweise.293 Erwähnenswert ist abschließend eine Textstelle aus Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7, in der von einem hypothetischen militärischen Widerstand gegen den Einmarsch die Rede ist:

„Umstritten ist die Frage nach dem militärischen Widerstand Österreichs. SCHUSCHNIGG wollte ‚kein deutsches Blut vergießen‘, der ebenfalls katholische Ernst Karl WINTER hingegen argumentierte, nur ‚ein Widerstand leistendes Österreich [könne] seine Zukunft retten und nach der Katastrophe wieder auferstehen‘. Es hätte aber bestenfalls ein symbolischer Widerstand sein können und man hätte auch gleichzeitig gegen die österreichischen Nationalsozialisten vorgehen müssen. Blut wäre geflossen. Hätte man für einen symbolischen Widerstand Menschenleben opfern sollen? Die Frage ist, wie gesagt, umstritten.“294

Interessant ist dabei nicht nur, dass die Möglichkeit eines Widerstands überhaupt behandelt wird, sondern auch die Art und Weise, wie dies versucht wird: Der Schulbuchtext bietet in diesem Fall nicht nur reine (Sach-)Information, sondern wendet sich nach einigen Konjunktiv-Formen mittels rhetorischer Frage direkt an die Leserinnen und Leser, um im Anschluss noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Frage nach dem Widerstand umstritten sei. Gleichzeitig räumt das Schulbuch mit dem Hinweis auf einen rein symbolischen Widerstand ein, dass eine bewaffnete Opposition militärisch gesehen zum Scheitern verurteilt gewesen wäre und den „Anschluss“ nicht verhindern hätte können. Der Beschreibung des eigentlichen „Anschlusses“ folgen seit 2000 in der Regel die Bemerkungen zur Volksabstimmung vom 10. April 1938, in der die Annexion im Nachhinein legitimiert werden sollte. „Die keineswegs geheime, alle demokratischen Grundsätze missachtende Abstimmung endete mit einem ‚überwältigenden‘ Sieg der NSDAP […]“295, wobei als Gründe dafür insbesondere die „offene Stimmabgabe und Repressionsmaßnahmen“296 sowie die Bekenntnisse der katholischen Bischöfe inklusive Kardinal Innitzers sowie Karl Renners genannt werden.297 Einzig Zeitbilder 7 & 8 bietet als

292 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 57; Zeitbilder 7 (2014), S. 59. 293 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 121. 294 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159. 295 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65. 296 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 68; außerdem bei: Zeitfenster 7 (2012), S. 71; 297 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 68; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65; Zeitbilder 7 (2014), S. 59; Auf die Rolle der Kirche während des „Anschlusses“ geht besonders ein: Thema: Geschichte 7 (2007), S. 120f.

69 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Erklärung lediglich den Hinweis auf die Zustände einer Diktatur – etwas, das in anderen Schulbüchern mitunter fehlt, hier jedoch als Pauschalerklärung herhalten und das Fehlen anderer genauerer Erklärungen kaschieren muss: „Das Ergebnis – 99,6 Prozent Ja-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 99,7 Prozent – bedarf keines weiteren Kommentars; es ist das in Diktaturen übliche Ergebnis. Für sieben Jahre gab es nun kein Österreich mehr…“298 Als sofort sichtbare Folgen des „Anschlusses“ werden die Repressionsmaßnahmen gegen österreichische Juden genannt,299 was aber im Kapitel zum Holocaust eigens behandelt wird, zudem wird die Verhaftungen österreichischer Politiker u.a. erwähnt.300 Daneben nimmt ebenfalls die Namensänderung Österreichs viel Raum ein, nicht nur im Fließtext, sondern auch unter den Bildquellen (s.u.).301 Allein in Wege durch die Zeiten 3 findet sich eine Formulierung, die eher einem Mythos der „positiven“ Seiten des Nationalsozialismus Vorschub leistet, wenn es dort heißt:

„In der Tat wurde die Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer Zeit beseitigt. Die Bauern wurden entschuldet, der Wohnbau wiederaufgenommen und soziale Maßnahmen getroffen. Vorerst kam nur wenigen zum Bewußtsein, daß die Wirtschaft auf den Krieg ausgerichtet war.“302

Danach werden die Folgen der „Arisierungen“ genannt, ohne allerdings in einem Gegensatz zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit zu stehen. Einziger Negativpunkt an dieser hier aufgezählten „Wirtschafts-“ und „Beschäftigungspolitik“ der Nationalsozialisten ist die Ausrichtung auf Krieg, wobei das Schulbuch nicht in der Lage zu sein scheint, die „positiven“ Seiten des Nationalsozialismus ausreichend als Propaganda zu entlarven oder mit den Gründen, warum die Arbeitslosigkeit gesenkt werden konnte, zu versehen.

3.1.5.2 Bilder und Bildunterschriften Als erste Bildquellen in Richtung „Anschluss“ dienen Fotografien oder Propagandaplakate der frühen 30er-Jahre bis hin zum Juliputsch der Nationalsozialisten, inklusive verstorbenem Dollfuß in einst und heute 7 bzw. Streifzüge durch die Geschichte 7.303 Während sich die Bildquellen für diesen Zeitraum mitunter sehr stark unterscheiden, was ihre inhaltliche und gestalterische Funktion betrifft, werden sie für die geplante Volksabstimmung im März 1938 einheitlicher. Wie schon in den Jahrzehnten zuvor werden seit 2000 sehr häufig Bilder vom Einmarsch und in weiterer Folge Bilder von Hitlers Ansprache am Wiener Heldenplatz verwendet: Neben typischen Beschreibungs-Bildunterschriften verbunden mit Fakten („In der Nacht vom 11. auf den 12. März

298 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 57. 299 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 130; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 119. 300 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 68; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 119. 301 Vgl. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 66; GO! 7 (2013), S. 107. 302 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 130. 303 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 110; einst und heute 7 (2001), S. 119f. bzw. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 60f.; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 117f; Zeitfenster 7 (2012), S. 70; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56.

70 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

1938 überschritten deutsche Truppen die deutsch-österreichische Grenze.“304) gibt es Bildunterschriften, die sich auf den begeisterten Empfang der Truppen beziehen: „Freudig und stürmisch begrüßen Einheimische die deutschen Truppen bei ihrem Einmarsch in Österreich 1938.“305 Zudem wird der Einzug Hitlers geschildert („Triumphal zieht Hitler in Wien ein.“306). Insgesamt sechs Bilder habe ich in den von mir untersuchten Büchern zur Massenkundgebung am Heldenplatz entdeckt, bei fünf davon wird in der Bildunterschrift inhaltlich darauf eingegangen, dass Hitler hier den „Anschluss“ verkündet,307 einzige Ausnahme ist Streifzüge durch die Geschichte 7, das nur eine Beschreibung bietet: „Tausende Menschen auf dem Heldenplatz in Wien jubeln Hitler zu – ein ‚Massenrausch‘.“308

3.1.5.3 Quellen Die Quellen zu den Ereignissen vor 1938 lassen sich im Grunde verschiedentlich einteilen: Es werden Ausschnitte aus Flugblättern, Zeitungen und Briefen309, der Hoßbach-Niederschrift310 oder dem Besuch Schuschniggs in Berchtesgaden311 in den Fließtext eingebaut oder am Seitenrand abgedruckt. Sehr häufig wird in den letzten Jahren wieder auf die letzte Radioansprache von Schuschnigg zurückgegriffen, in insgesamt sechs Schulbüchern wird aus der Rücktrittsrede des Bundeskanzlers zitiert.312 Dafür ist der „Anschluss“ selbst nur durch Zitate aus der Sekundärliteratur vom Fließtext abgegrenzt im Schulbuch enthalten. Neben Ernst Hanisch (insgesamt fünf Mal)313, kommen die (Zeit- )Historiker Rolf Steininger314, Oliver Rathkolb315, Ernst Bruckmüller316 sowie der Journalist Hellmut Andics317 mit einem Auszug aus einem Otto Bauer-Aufsatz zu Wort. In Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 wird mithilfe eines Textauszugs von Ernst Hanisch noch einmal auf die drei Ebenen der Machtergreifung hingewiesen.318 Was hierbei erneut auffällt, ist, dass sich die Schulbücher besonders bei kontroversen Themen wie der „Anschluss“-Euphorie auf Zitate namhafter Historiker stützen können, ohne selbst in Formulierungen zu verfallen, die unter Umständen nicht sachlich genug erscheinen (z.B.: „aufschäumender Volksjubel“ (Hanisch)). Auf der anderen Seite werden die Zitate

304 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 111. 305 einst und heute 7 (2001), S. 127; auch bei: Thema: Geschichte 7 (2007), S. 119 306 einst und heute 7 (2001), S. 123; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 64. 307 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 131; Zeitfenster 7 (2012), S. 81; Zeitbilder 7 (2014), S. 59; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 57 bzw. 82. 308 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65. 309 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 51; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 60. 310 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 122; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 63. 311 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 122; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 63; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56; Zeitbilder 7 (2014), S. 58. 312 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 123; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 64 und erneut S. 65; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 51; Zeitfenster 7 (2012), S. 70; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 56. Zeitbilder 7 (2014), S. 59. 313 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 120; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159. 314 Vgl. Zeitbilder 7 (2014), S. 62f. 315 Vgl. Ebenda, S. 59. 316 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 51. 317 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159. 318 Vgl. Ebenda, S. 159.

71 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ der Historiker dazu verwendet, um Differenzierungen vorzunehmen, welche die Schulbuchautorinnen und -autoren offensichtlich nicht selbst eigenhändig durchführen können oder wollen. So wird beispielsweise in Streifzüge durch die Geschichte 7 zwischen „Anschluss“-Begeisterung und Zustimmung zum Nationalsozialismus unterschieden und zwar in Form eines Textauszugs von Hanisch:

„(Man) wird um die Feststellung nicht herumkommen, dass im Frühjahr 1938 eine überragende Mehrheit der Bevölkerung ihre Hoffnung auf ein besseres Leben an den ‚Anschluss‘ knüpfte. Sehr alte Sehnsüchte wurden dabei wach. Man sollte sich aber hüten, die Zustimmung zum ‚Anschluss‘ mit der Zustimmung zum Nationalsozialismus zu verwechseln.“319

Eine Form der Quellenaufbereitung (auch in Verbindung mit den dazugehörigen Arbeitsfragen, s.u.), die sonst kein anderes Schulbuch auf diese Art und Weise handhabt, ist bei Thema: Geschichte 7 zu finden: Dort werden unter dem Stichwort „Der Anschluss im Spiegel der internationalen Presse“ fünf Auszüge aus verschiedenen Zeitungen – The New York Times (11. und 12. März 1938), Prager Presse (15. März 1938), Neue Züricher Zeitung (16. März 1938), Völkischer Beobachter (15. März 1938) – vorgelegt, deren Unterschiede herausgearbeitet werden sollen.320

3.1.5.4 Arbeitsanregungen und Fragen In puncto Arbeitsfragen gibt es vor allem in den letzten Jahren einige Neuerungen, was insbesondere mit der Ausrichtung der Schulbücher hin auf einen Kompetenzlehrplan zu tun hat; die schon gezeigten reinen Wiederholungs- und Stofffragen bleiben aber zentraler Bestandteil der Arbeitsaufträge im Schulbuch. In Thema: Geschichte 7 müssen die oben erwähnten Auszüge der Zeitungsartikel rund um das Datum des „Anschlusses“ miteinander verglichen werden, was über eine reine Stofffrage hinausgeht:

„1. Beurteile die Argumentationen der deutschen Presse im Vergleich zu den Beispielen aus den USA, der Tschechoslowakei und der Schweiz nach ihrem Informations- bzw. Propagandagehalt! 2. Informiere dich über den Zusammenhang zwischen politischer Berichterstattung in den Medien und den Zielen der offiziellen Politik, etwa am Beispiel der Invasion des Irak durch alliierte Truppen!“321

Schülerinnen und Schüler sollen nicht nur versuchen, einen Unterschied zwischen Information und Propaganda zu unterscheiden, sie sollen mehr oder weniger aktuelle Medienberichterstattung in Überlegungen miteinfließen lassen. Hier findet zudem die Verbindung zwischen Quellen- und Aufgabenteil sinnvoll statt, was sich bisher nur an wenigen Beispielen zeigen ließ: Die Quelle wird nicht als „Auflockerung“ oder als Mittel des Layouts eingesetzt, um den Fließtext zu ersetzen, sondern

319 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65. 320 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 122f. 321 Ebenda, S. 122.

72 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“ steht konkret in einem logischen Zusammenhang mit weiterführenden Fragen. Ohne die Aufgabenstellung im Anschluss – so meine Behauptung – würden auch diese Quellen selbst gewissermaßen ihre Daseinsberechtigung in diesem Schulbuch verlieren. Eine ähnliche Arbeit mit Quellen gibt es beispielsweise in Zeitbilder 7 sowie in GO! 7, also in Büchern allerneuesten Datums.322 Während allerdings in Thema: Geschichte 7 mit schriftlichen Textquellen gearbeitet wird, behandelt GO! 7 den „Anschluss“ mithilfe von Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass der „Anschluss“ in GO! 7 im Vergleich zu anderen Schulbüchern nur sehr kurz behandelt, beinahe gestreift wird, vor allem was die einzelnen Etappen hin zum „Anschluss“ anbelangt.323 Dabei unterscheidet sich GO! 7 insofern sehr stark von beispielsweise Zeitbilder 7 oder Zeitfenster 7, als es vergleichsweise wenig Fließtext bietet. Der Beschreibung des Chaplin-Films wird viel Raum und Text zugesprochen (insgesamt eine ganze Seite).324 Die Arbeitsfrage zum Film selbst will in erster Linie auf eine Einschätzung und Bewertung filmischer Mittel hinaus, weniger auf die Wiedergabe historischer Fakten und liegt somit voll im Trend, was Arbeitsfragen mit Kompetenzbezug betrifft: „1. Erläutern Sie, wie Chaplin die Auseinandersetzungen um Österreich zwischen Hitler und Mussolini (1934-1938) darstellt. Wie und mit welchen Mitteln kommentiert er das politische Geschehen? Linktipp: http://ckuik.com [The great dictator]“325 Die Zeitbilder-Reihe wählt wiederum einen anderen Weg, um mit Arbeitsfragen umzugehen: In der neuesten Ausgabe gibt es sogenannte „Workshop“-Seiten, auf denen „Wissens-Check-“ und „Experten-Task“-Fragen gestellt werden, wobei es sich beim Wissens-Check um reine Wiederholungsfragen („Was forderte Hitler von Schuschnigg anlässlich der Ansprache im Februar 1938?“326), bei den Experten-Tasks meist um Recherche-Aufgaben handelt („Skizziere die Entwicklung des österreichischen Rundfunks von RAVAG über ORF bis zu den Privatsendern der Gegenwart an Hand eines Zeitstreifens.“327). Zeitbilder 7 arbeitet also mit einer Vielzahl verschiedener Arbeitsanregungen, die entweder als Wiederholung, Quellenübung oder Vertiefung angesehen werden können. Dass Schülerinnen und Schüler dazu angewiesen werden, sich selbst eine Meinung zu einem Thema zu bilden, wird in Zeitbilder 7 & 8 in Zusammenhang mit Dollfuß versucht. Hier wird ebenfalls im Frageteil darauf hingewiesen, dass „[d]ie Einschätzung der Rolle von Bundeskanzler Dollfuß […] heute noch kontroversiell [ist]. Sie schwankt zwischen ‚Zerstörer der Demokratie‘ und ‚heldenhafter

322 Vgl. Zeitbilder 7 (2014), S. 59 bzw. 63; GO! 7 (2013), S. 61. 323 Dies hat auch sehr stark damit zu tun, dass sich Go! 7 nicht an die so weit verbreitete, chronologische Abfolge von Themengebieten hält, sondern diese sehr stark miteinander in Beziehung setzt. So ist vom „Anschluss“ in mehreren Kapiteln die Rede, u.a. in „Erste Republik, autoritäres Österreich und NS-Herrschaft“, „Politik 1918 und 1945 im Vergleich“ sowie „Österreichbewusstsein und österreichische Identität“. 324 Vgl. GO! 7 (2013), S. 61. 325 Ebenda, S. 61. 326 Zeitbilder 7 (2014), S. 73. 327 Ebenda, S. 73.

73 Schulbuchanalyse | Der „Anschluss“

Kämpfer gegen den Nationalsozialismus‘.“328 Der entsprechende Arbeitsauftrag dazu lautet: „Versuche dich – z.B. im Internet – über die hier vorgelegten Informationen hinaus zu informieren und dir eine Meinung zu bilden. Wer trägt maßgeblich zur Auswahl der Inhalte für die Bewertung einer Person oder eines Ereignisses in der Öffentlichkeit bei?“329 Neben der Meinungsbildung will der Arbeitsauftrag auch darauf hinaus, Anregungen zu einer Auseinandersetzung mit (medien-)öffentlicher Bewertung zu bieten. Positiv zu bewerten ist die Änderung einiger Arbeitsanregungen in aktualisierten Ausgaben bzw. in Neuerscheinungen von Schulbüchern: Während in einst und heute 7 im Wiederholungs- und Vertiefungsteil meist nur reine Stoffwiederholungsfragen gestellt werden („Wie verliefen die ‚Berchtesgadener Gespräche‘?“330), gelingt es dem Nachfolgerbuch Streifzüge durch die Geschichte 7 diese zu adaptieren: „Fassen Sie Hitlers Argumente für einen Anschluss Österreichs zusammen. Vergleichen Sie den Inhalt des Protokolls [der Hoßbach-Niederschrift, Anm. D.H.] mit dem Inhalt des Juli-Vertrages von 1936 […].“331 Am bedeutendsten sind jene Arbeitsaufträge, die sich explizit mit der Rolle Österreichs während des „Anschlusses“ bzw. seiner Erinnerungspolitik (Opfer-These) auseinandersetzen. Dazu gehört neben der Frage nach der Sinnhaftigkeit militärischen Widerstands beim „Anschluss“ bzw. kurz danach332 auch die „Anschluss“-Euphorie: „Wie erklären Sie sich die begeisterte Begrüßung der Deutschen Wehrmacht durch Teile der Österreichischen Bevölkerung?“333 oder „Wieso kann der (falsche) Eindruck entstehen, ‚alle Österreicher‘ hätten beim Einmarsch der Deutschen gejubelt? […].“334 In Zeitbilder 7 geht es darum, Gründe für die Zustimmung zum „Anschluss“ aus einem Zitat von Oliver Rathkolb herauszuarbeiten.335 Zur Auseinandersetzung mit der österreichischen Vergangenheit bieten sowohl Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 als auch Streifzüge durch die Geschichte 7 eigene Arbeitsaufträge an, was mich ob der relativ frühen Erscheinungsjahre (2002 und 2005) insofern überrascht hat, als dass sich die meisten der übrigen dort gestellten Arbeitsfragen doch recht deutlich von jenen zur Vergangenheitsbewältigung unterscheiden, die sich in ihrer Art und Weise eher an die Form jener von Zeitbilder 7, GO! 7 oder Thema: Geschichte 7 anlehnen:

„Setzen Sie sich kritisch mit der Auffassung auseinander, Österreich sei das ‚erste Opfer‘ Hitlerdeutschlands gewesen. Welche Hoffnungen verbanden viele Österreicher mit dem Anschluss? […] Diskutieren Sie auch das folgende Urteil des französischen Militärattachés über die Begeisterung vieler Österreicher bezüglich des Einmarsches Hitlers: ‚Der Österreicher (…) ist ein rückgratloses Wesen (…) All dies lässt den Schluss

328 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 54. 329 Ebenda, S. 54. 330 einst und heute 7 (2001), S. 127. 331 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 63. 332 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 123; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 64; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159; Zeitbilder 7 (2014), S. 61. 333 einst und heute 7 (2001), S. 127. 334 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 159. 335 Vgl. Zeitbilder 7 (2014), S. 59.

74 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

zu, dass dieses Volk von Dienstboten nur das bekommen hat, was es verdient, und dass es nicht würdig war, unabhängig zu bleiben.‘ (Hanisch a.a.O., S. 341)“336

Wenn auch in Durch die Gegenwart zur Vergangenheit 7 nicht die Opferthese direkt erwähnt wird, so ist die angeführte Frage selbst durchaus erwähnenswert, weil sie sich damit auseinandersetzt, warum Österreich erst so spät mit der NS-Aufarbeitung begonnen hat: „Zähle einige Punkte auf, die die Eigenständigkeit Österreichs schwächten! Warum wurde erst in den letzten Jahren begonnen, die Rolle der Österreicher im NS-Staat zu erforschen?“337

3.2 Österreichische NS-Täter und Holocaust

Während sich für den „Anschluss“, wie gezeigt, genügend Textausschnitte finden lassen, die das Thema behandeln, wird man beim Thema „Österreicher im Weltkrieg“ nur sehr oberflächlich fündig, wenn überhaupt. Es scheint, als würde der Österreichbezug im Schulbuch im Jahr 1938 enden und 1945 wieder aus dem Nichts erscheinen, die Kriegsjahre und die Zeit der NS-Herrschaft werden bis auf folgende Punkte ausgespart: Das Leid der Zivilbevölkerung, Widerstand und Holocaust. Abgesehen von diesen Themenschwerpunkten, die – wie noch gezeigt wird – durchwegs in aller Deutlichkeit angesprochen werden, finden sich bis auf die folgend dargelegten Beispiele keine Österreichbezüge. Weil in diesem Abschnitt österreichische NS-Täterschaft und Österreichbezüge in Zusammenhang mit dem Holocaust gemeinsam behandelt werden, wird weitestgehend darauf verzichtet, allgemeine Darstellungen des Holocaust einzuarbeiten. Es werden nur jene angeführt, die einen Bezug zu Österreich aufweisen. Für die allgemeine Behandlung von Holocaust im Schulbuch kann vorausgeschickt werden, dass das Thema insbesondere in den letzten 20 Jahren erschöpfend dargelegt wurde und immer noch wird.

3.2.1 50er- bis 80er-Jahre Bis in die 1990er-Jahre lassen sich kaum Textstellen ausmachen, die sich näher mit der Bedeutung von ÖsterreicherInnen in der nationalsozialistischen Gesellschaft auseinandersetzen – zu sehr prägt das Bild von Österreich als Opfer der Nationalsozialisten die Schulbuchgeschichtsschreibung. Dabei könnte man mit der aus Lehrbuch der Geschichte von 1956 entnommenen Textstelle eigentlich meinen, dass sich in den Folgejahren der Österreichbezug im Weltkrieg vergrößern könnte:

„Wir stehen noch unter den Nachwirkungen des Weltkrieges. Durch die nationalsozialistische Besetzung hatte Österreich seine Selbstständigkeit und Freiheit verloren. Auch der Name Österreich mußte verschwinden. Man sprach von der ‚Ostmark‘, dann sogar von den ‚Donau- und Alpengauen‘. Österreicher hatten als Soldaten der deutschen Wehrmacht für die maßlosen Eroberungsziele Hitlers kämpfen

336 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 65. 337 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 158.

75 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

müssen.“338

Auffällig ist neben der direkten Vereinnahmung des Lesers („wir“), die vermutlich eine bessere Identifikation mit dem Staatskonstrukt Österreich ermöglichen soll, insbesondere der letzte Teil: Explizit wird erwähnt, dass österreichische Soldaten überhaupt im Weltkrieg kämpfen. Die heute mitunter seltsam wirkende Dramatisierung („maßlose Eroberungsziele Hitlers“) ist wie oben schon an mehreren Beispielen gezeigt eine dem Zeitgeist geschuldete Formulierung. Die Erwartung, in den folgenden Jahren und Jahrzehnten genaueres über die Rolle von Österreichern im Weltkrieg zu erfahren, wird allerdings nicht erfüllt. Einen Österreichbezug findet man konsequent bis Mitte der 80er-Jahre nur insofern, als dass eine Opferbilanz Österreichs am Ende des Krieges gegeben wird oder die letzten Kriegswochen, in denen auch auf österreichischem Gebiet gekämpft wurde, geschildert werden. 1965 wird Österreich beispielsweise explizit als Kriegsgebiet genannt: „Ende März 1945 wurden das Burgenland und der östliche Teil Niederösterreichs zum Kampfgebiet, Anfang April entbrannte die Schlacht um Wien.“339 Was hier nur kurz angesprochen wird, lässt sich in späteren Jahren verstärkt für die Schulbücher nachweisen: Kämpfe insbesondere mit der Roten Armee prägen die letzten Kriegstage, die „Schlacht um Wien“ wird teilweise sehr ausführlich geschildert und in weiterer Folge auch immer in Zusammenhang mit der Widerstandsbewegung erwähnt (s.u.). Beim Thema Holocaust ist es so, dass es allgemein zwar schon seit 1956 genannt wird, sich ein impliziter Österreichbezug allerdings erst später, 1965, finden lässt:

„Durch die zwangsweise Überleitung von Vermögenswerten (Beschlagnahmung ausländischen Besitzes, ‚Arisierungen‘) entstand jenes ‚Deutsche Eigentum‘ in Österreich, das bei den Staatsvertragsverhandlungen […] nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang ein fast unlösbares Problem bildete.“340

Hierbei wird zwar der Hinweis auf die „Arisierungen“ wörtlich angesprochen, in Verbindung mit der Diskriminierung jüdischer Bevölkerung oder Holocaust wird der Begriff aber nicht gesetzt. Selbiges kann man auch für eine ähnliche Textstelle aus Zeitgeschichte von 1972 feststellen, bei der zwar auf die Beschlagnahmung von Eigentum durch die Nationalsozialisten, aber nicht auf Juden hingewiesen wird.341 In Bezug auf den Krieg selbst werden seit den 70er-Jahren immer wieder Opferbilanzen gegeben, um den Schülerinnen und Schülern ein Bild von der Zerstörung Österreichs zu bieten. Auch hierbei kommt es zu sehr dramatisch wirkenden Formulierungen, beispielsweise aus Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 von 1974:

„Furchtbar war der Blutzoll, den Österreich entrichten mußte: Von den 800.000 zur

338 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 157. 339 Lehrbuch der Geschichte 4 (1965), S. 187. 340 Ebenda, S. 150. 341 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 107.

76 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

deutschen Wehrmacht eingezogenen Österreichern ließen 300.000 ihr Leben; der Bombenkrieg forderte 25.000 Menschenleben. Von den weit über 100.000 politischen Häftlingen wurden 35.000 ermordet. 50.000 österreichische Juden kamen in den Vernichtungslagern ums Leben. Das bedeutet, daß 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Österreichs in den Tod gejagt wurden.“342

Auch Zeiten, Völker und Kulturen bemüht sich redlich, die österreichischen Opfer des Krieges herauszustreichen, von österreichischen Soldaten im Krieg oder gar deren Kriegsverbrechen erfährt man in diesem Zusammenhang allerdings nichts:

„380 000 Österreicher, das sind mehr als 10% der männlichen Gesamtbevölkerung, sind an den Fronten gefallen. Der Luftkrieg forderte unter der österreichischen Zivilbevölkerung rund 15 000 Tote, die Bodenkämpfe am Schluß des Krieges weitere 5000 Opfer. Dazu kamen Zehntausende von Kriegsgefangenen, die oft erst nach Jahren nach Hause zurückkehren konnten.“343

Diese Darstellung der österreichischen Opfer wird auch in den 80er-Jahren noch weitergeführt, nun geht es allerdings in erster Linie darum, Österreich in Hinblick auf die Nachkriegssituation – die häufig mit jener von 1918 verglichen wird – in ein besseres Licht zu rücken:

„Österreich [Hervorhebung durch die Autoren, D.H.] befand sich am Ende des Zweiten Weltkriegs in einer verzweifelten Lage. Große Teile des Landes hatten unter Luftangriffen und Kämpfen schwer gelitten. Über 400.000 Österreich waren getötet und vermißt. Die wirtschaftliche Produktion war auf ein Drittes des Vorkriegsstandes gesunken. Es mangelte an Lebensmittel, Heizmaterial und allen Gebrauchsgegenständen, die noch jahrelang nur auf Karten ausgegeben wurden. Dennoch zweifelte niemand an der Lebensfähigkeit des Staates.“344

Sehr drastisch und vor allem ausführlich wird in Geschichte für die Oberstufe von 1984 die Zerstörung der österreichischen Städte beschrieben. In einem großen Absatz mit beinahe 230 Wörtern werden genaue Zahlenangaben in Hinblick auf zerstörte Wohnungen in verschiedenen Städten Österreichs, den in den Straßen liegenden Bauschutt, die wichtigsten Kriegsziele (Industrieanlagen) oder die zu beseitigenden Tierkadaver gegeben.345 Auch hier geht es der Kapitelüberschrift zufolge um „Die Bilanz des Zweiten Weltkrieges für Österreich“, eine Beschäftigung mit Österreich während des Krieges erfolgt nicht. Erkennbar ist auch ein deutliches Ost-West-Gefälle, was die Beschreibung der Städte betrifft. Dies fällt neben der Konzentration auf Niederösterreich, Wien und das Burgenland auch auf, wenn es um den Einmarsch der sowjetischen Truppen geht. Einerseits ist diese Fokussierung

342 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 87. Dieser Abschnitt findet sich so ähnlich auch in Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1987), S. 77. Allerdings wird die Formulierung „Furchtbar war der Blutzoll […]“ ersetzt durch „Hoch war die Zahl der Opfer unter den Österreichern.“ Der übrige Textabschnitt, inklusive „Das bedeutet, daß 10 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Österreichs in den Tod gejagt wurden.“, bleibt gleich. 343 Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 124. 344 Weg durch die Zeiten (1983), S. 109. 345 Vgl. Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 246.

77 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust aufgrund des Kriegsverlaufes und der Wichtigkeit Wiens für die Alliierten verständlich, auf der anderen Seite muss festgestellt werden, dass über die Einnahme der anderen Bundesländer nur sehr wenig geschrieben wird. Als westliche Landeshauptstadt wird in diesem Zusammenhang mit besonderer Häufigkeit Innsbruck erwähnt, was meiner Meinung nach daran liegt, dass durch die Erwähnung Innsbrucks eine Brücke zum (für das Beispiel Innsbruck erfolgreichen) österreichischen Widerstand geschlagen werden kann (s.u.). Der Fokus auf das östliche Österreich lässt sich sehr deutlich an einer weiteren Formulierung aus Geschichte für die Oberstufe nachweisen. Im Kapitel „Österreichs Befreiung und das Wiedererstehen der Republik“ wird in einem langen Absatz (~480 Wörter!) beinahe minutiös das Geschehen seit dem Februar 1945 bis zur endgültigen Befreiung rekonstruiert. Hier wird durch das Schulbuch allerdings eher Komplexität erzeugt als verringert, wenn beispielsweise von der „3. Ukrainischen Front unter Marschall Tolbuchin“ oder „Sepp Dietrich, de[m] Oberbefehlshaber der 6. SS-Panzerarmee“ die Rede ist. Zudem gibt es viele genaue Datumsangaben, die – sofern das Schulbuch als Grundlage für Stoffüberprüfungen dienen soll – konsequenterweise abgeprüft werden müssten, was aber aufgrund der Fülle an Daten wenig zielführend erscheint. Dafür muss man dem Buch zugutehalten, dass es sich erstmals in längerer Form mit der nationalsozialistischen Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung in Österreich auseinandersetzt. Unter dem Kapitel „Österreich wird gleichgeschaltet / Judenverfolgung“ gehen die AutorInnen auf das Schicksal der Juden seit dem „Anschluss“ ein:

„Besonders hart und unmenschlich war das Vorgehen der nationalsozialistischen Machthaber gegen die jüdische Bevölkerungsgruppe in Österreich. Es erregte bald das Entsetzen aller jener, denen Menschlichkeit und Gerechtigkeit unverrückbare Begriffe geblieben waren. Schon von allem Anfang an waren die Juden Schikanen ausgesetzt. Diese steigerten sich besonders seit der ‚Reichskristallnacht‘ ins Unerträgliche. Nun durften die Juden nicht mehr am öffentlichen Wirtschaftsleben teilnehmen, sie verloren ihre Stellungen als Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, der Besuch von Theatern, Kinos, Konzerten und die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurden ihnen verboten, ja selbst öffentliche Parkanlagen und Bäder durften sie nicht mehr betreten. Sie hatten als äußeres Zeichen ihrer Abstammung jüdische Vornahmen anzunehmen und den Judenstern zu tragen. Ihr Vermögen wurde ihnen unter den verschiedensten Rechtstiteln entzogen – die Auswanderung wurde erschwert. Der Großteil der österreichischen Juden befand sich noch im Land, als am 31. Juli 1941 in Nürnberg der ‚Führerbefehl‘ zur ‚Endlösung der Judenfrage‘ erlassen wurde. Sie wurden nun in die Vernichtungslager Auschwitz, Maidanek und Belsen gebracht. Von den insgesamt 203 000 österreichischen Juden konnte sich nur ein Drittel durch Auswanderung dem Zugriff der Schergen des Nationalsozialismus entziehen – 104 120 österreichische Bürger jüdischer Konfession wurden in die Vernichtungslager deportiert und fanden dort den schrecklichen Tod in den Gaskammern. Nur 5000 Juden überlebten auf österreichischem Boden das Ende des Krieges.“346

An dem Auszug wird ersichtlich, dass Details, die mitunter im eigenen Kapitel zum Thema Holocaust

346 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 155.

78 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust besprochen werden, auch in den Passagen mit Österreichbezug wieder auftauchen: Berufsverbot, Ausgrenzung sowie das Tragen des Davidsterns sind allgemeine Aspekte zum Holocaust, die sich nicht auf Österreich oder Deutschland beschränken und somit durchaus zweifach angesprochen werden können. Für die Fragestellung betreffend die österreichische Vergangenheitsbewältigung noch weitaus interessanter als die reinen Opferbilanzen der Österreicher sind jene Textstellen, die sich mit österreichischen Soldaten im Krieg auseinandersetzen. Wie bereits eingangs erwähnt, finden sich solche Passagen erstmals in den 1980er-Jahren, erneut in Geschichte für die Oberstufe:

„Während die Sachschäden nach fünfzehn Jahren Wiederaufbau zum allergrößten Teil behoben waren, sind die ungeheuren Menschenverluste bis zum heutigen Tag am österreichischen Volkskörper zu erkennen. Vom ersten Tag des Krieges an waren Österreicher an den Brennpunkten des Kampfes eingesetzt. In Polen, in Norwegen und in Frankreich, auf dem Balken, in Rußland, in Nordafrika und in Italien hatten sie hohen Blutzoll für Hitlers Angriffskriege zu entrichten. Die Verluste stiegen besonders im letzten Kriegsjahr an. 194 100 Österreicher sind im Zweiten Weltkrieg gefallen, 70 000 werden bis heute vermißt, noch weit mehr wurden zu Krüppeln geschossen oder siechten lange Jahre an Kriegsleiden dahin. 104 000 Österreicher fanden im Bombenkrieg in der Heimat den Tod. – Noch im Jahre 1960 waren 385 158 Personen Empfänger von Kriegsopferrenten. Besonders die letzten Kriegstage forderten zahlreiche Opfer.“347

Bemerkenswert sind neben der schon gezeigten Formulierung vom „hohen Blutzoll“ zugleich die vielen Zahlen. Wenn es aber darum geht, Klarheit über die Rolle der österreichischen Soldaten im Weltkrieg zu erhalten, wird man auch mit diesem Zitat enttäuscht: Die einzelnen Länder, in denen Österreicher gekämpft haben, werden nur aufgezählt, um zu verdeutlichen, wo Österreich überall Opfer zu beklagen hat. Es geht in dem Textausschnitt nicht darum, sich (kritisch) mit der Rolle von Österreichern im Nationalsozialismus und Krieg auseinanderzusetzen, sondern darum, die öffentlich transportierte und offiziell erwünschte These von Österreich als Opfer zu stützen. Zwei Jahre später wird in Zeitgeschichte ebenfalls auf österreichische Soldaten im Krieg eingegangen, allerdings nur, um zu erwähnen, dass es bewusst keine rein-österreichischen Einheiten in der Wehrmacht gab und die Kontaktaufnahme für die Widerstandsgruppen dadurch erschwert wurde.348 Hier geht es also nicht um die Rolle oder Bedeutung von Österreichern in der Wehrmacht, sondern um die Möglichkeiten des österreichischen Widerstands (s.u.).

3.2.2 90er-Jahre

3.2.2.1 Inhalt In den 90er-Jahren setzt wie beim Thema „Anschluss“ eine gewisse Differenzierung ein, was die Darstellung der Soldaten bzw. der Bevölkerung im Weltkrieg oder während der NS-Herrschaft betrifft.

347 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 246f. 348 Vgl. Zeitgeschichte (1986), S. 93.

79 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Auch die Verbindungen von Holocaust und Österreich tauchen nun häufiger auf. Schon zu Anfang der 90er, in Stationen 4, wird darauf hingewiesen, dass das Leben in Österreich seit dem „Anschluss“ vom Nationalsozialismus bestimmt war. Die Bedeutung der Österreicher für die NS-Herrschaft wird dabei mit der Situation im Deutschen Reich verglichen:

„Das Leben der Österreicher wurde im Dritten Reich ebenso vom nationalsozialistischen System bestimmt wie in Deutschland. In ihrer Gesamtheit waren die Österreicher – ob Parteigänger der Nationalsozialisten, opportunistische Mitläufer, oppositionelle Christen oder bürgerliche und linke Widerstandskämpfer – weder besser noch schlechter als die Deutschen im Reich.“349

Interessant dabei ist der letzte Teil, in dem darauf hingewiesen wird, dass die Österreicher weder besser noch schlechter als reichsdeutsche Bürger/Soldaten gewesen seien. Betrachtet man nur diese Textstelle, ist das noch kein Beweis dafür, dass gewissermaßen Verantwortung für die verschiedenen Verbrechen, die auch von Österreichern begangen wurden, übernommen wird. Dies wird umso mehr ersichtlich, wenn man bedenkt, dass noch 1999 dieselbe Textstelle in einer neuen Auflage von Stationen 4 verwendet wird. Auf der anderen Seite wird aufgrund der vorher gezeigten Textbeispiele deutlich, dass der Sprung, der allein in der expliziten Erwähnung der Haltung der Österreicher im Nationalsozialismus liegt, im Vergleich zu älteren Formulierungen doch ein großer ist. Die Rolle der Österreicher in der NS-Hierarchie ist im Schulbuchnarrativ nun ebenfalls ein Thema. Am deutlichsten geht hier abermals Stationen 4 im Kapitel „Österreicher im Dritten Reich“ auf eine österreichische Beteiligung am Weltkrieg ein:

„Österreichische Nationalsozialisten bekleideten hohe Positionen in der NS-Hierarchie – etwa Ernst Kaltenbrunner als Chef des Reichssicherheitshauptamtes und damit Herr über den und die Gestapo, oder Adolf Eichmann, der Hauptverantwortliche für die Deportation und Vernichtung der Juden –, Österreicher mordeten als Angehörige der SS hinter der Front im Rußlandfeldzug und als Kommandanten und als Aufseher in Konzentrationslagern. Österreicher trugen als Soldaten der deutschen Wehrmacht Hitlers Angriffskrieg über ganz Europa. Sie erfüllten damit keineswegs eine moralische Pflicht oder verteidigten ihre Heimat. Sie nahmen vielmehr unter Bedrohung ihres eigenen Lebens an einem rücksichtslosen und grausamen Eroberungskrieg teil.“350

Dieser Textausschnitt ist aus mehreren Gründen bedeutsam: Erstmals wird im Schulbuch deutlich, dass es Österreicher gab, die keine Opfer, sondern Täter waren. Es wird erwähnt, welche hohen Positionen etwa Kaltenbrunner oder Eichmann innehatten – Positionen, die man nicht als Gegner oder Opfer des Nationalsozialismus erlangt. Noch expliziter wird der Text, wenn von den Taten der Österreicher im Krieg berichtet wird, wobei hier sogar die verschiedenen Funktionen erwähnt werden,

349 Stationen 4 (1992), S. 72. Genau der gleiche Textabschnitt findet sich auch in: Michael Floiger/Ulrike Ebenhoch/Manfred Tuschel: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 8. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 4 für die 8. Klasse, Wien 1999, S. 72. (im Folgenden zitiert als: Stationen 4 (1999)). Anm.: Die Neuauflage von Stationen 4 unterscheidet sich praktisch überhaupt nicht von der ersten Auflage! 350 Stationen 4 (1992), S. 72; Stationen 4 (1999), S. 72.

80 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust in denen Österreicher tätig sein konnten. Durch die verschiedenen Anaphern (Österreicher…; Sie…) wird dieses Eingeständnis noch zusätzlich verstärkt, nicht zuletzt dadurch, dass der Krieg als „Angriffskrieg“ und „grausamer Eroberungskrieg“ bezeichnet wird. Auf die verschiedenen Haltungen der Österreicher zum Nationalsozialismus geht zudem Aus Geschichte lernen 7 ein. Hierbei geht es weniger um Einzelpersonen, die während der NS-Herrschaft Karriere gemacht hatten, sondern um grundsätzliche Positionen innerhalb der österreichischen Gesellschaft:

„In Bezug auf den Nationalsozialismus kann man in Österreich drei Gruppen unterscheiden: Auf der einen Seite standen die Anhänger des Nationalsozialismus; der NSDAP gehörten in Österreich etwa 600 000 Mitglieder an, also fast 15 Prozent der Bevölkerung. Auf der anderen Seite standen die Kernschichten der beiden großen politischen Lager (politisch bewußte Arbeiter, kirchentreue Bauern und andere österreichorientierte Katholiken), die zu den Gegnern des nationalsozialistischen Regimes zählten. Die Mehrheit der Bevölkerung bildete die Gruppe der Mitläufer oder stand abseits.“351

Dass es österreichische Täter gibt, wird nur bei der Holocaustthematik nicht ersichtlich, in Spuren der Zeit 8 werden im Kapitel „Judenverfolgung in Österreich“ keine Täter genannt, es gibt nur Passivkonstruktionen:

„Mit dem Anschluß begann auch die Verfolgung der rund 200 000 österreichischen Juden. Auf dem Nährboden des österreichischen Antisemitismus, religiös und ökonomisch begründet, konnte der rassistisch orientierte nationalsozialistische Judenhaß gut gedeihen. So mußten Juden – teilweise mit Zahnbürsten – das Straßenpflaster säubern, auf dem noch Parolen für die von Schuschnigg geplante Volksabstimmung gepinselt waren. Die Bevölkerung wurde angehalten, nicht mehr bei jüdischen Mitbürgern einzukaufen. Tausende Juden und Jüdinnen wurden entlassen und durften ihre Berufe nicht mehr ausüben, jüdische Schüler und Studenten wurden von Schulen und Universitäten gewiesen. […] Den vorläufigen Höhepunkt der Verfolgung stellte die sogenannte ‚Reichskristallnacht‘ dar. Rache für die Ermordung eines deutschen Botschaftsangehörigen in Paris durch den Juden Herschel Grynszpan am 7. November 1938, wurde für die Nacht vom 9. Auf den 10. November der ‚Volkszorn‘ organisiert. Unter dem Deckmantel ‚spontaner Kundgebungen‘ zerstörten auf Initiative Goebbels nationalsozialistische Trupps jüdische Friedhöfe und Synagogen, raubten Wohn- und Geschäftshäuser aus und verfolgten oder töteten viele Menschen. […] Das Pogrom vom 10. November 1938 hatte eine weitere Auswanderungswelle von Juden zur Folge. Ab Ende Oktober 1941 war aber jede Auswanderung untersagt. Die Separierung (Juden mußten deutlich sichtbar einen Davidstern tragen), mündete in einer totalen Isolierung der Juden. Die Rationierung von Konsumgütern, Ausgehverbote und schließlich Deportationen gipfelten in der so genannten ‚Endlösung der Judenfrage‘, einem Massenmord. Ende 1942 war Wien ‚judenfrei‘.“352

Auch hier ist erkennbar, dass weitestgehend allgemein über das Thema Judenverfolgung berichtet

351 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 149. 352 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 93.

81 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust wird: Wäre nicht von „österreichischen Juden“ die Rede oder würde der Name Schuschnigg nicht im Text auftauchen, wäre lediglich durch die Überschrift klar, dass das Kapitel von Judenverfolgung in Österreich handelt. Die Beschreibung des Novemberpogroms geht in keinster Weise auf nur irgendeine österreichische Stadt oder ähnliches ein. Nur am Schluss weist die Anmerkung, Ende 1942 sei Wien „judenfrei“ gewesen, auf einen weiteren Bezug zu Österreich hin. Als Akteure werden generell nur die Juden selbst genannt, als Täter stehen „die Nationalsozialisten“ anonym im Hintergrund, aber im Text tauchen sie nicht auf. Auf dieselbe Art und Weise wird das Thema „Arisierung“ auf der gleichen Seite behandelt.353 Hier kann sich Spuren der Zeit 8 auch nur schwer von den NS-Begriffen lösen, die aber immerhin in Klammer erklärt sind („die ‚Alten Kämpfer‘ (NS-Anhänger der Frühzeit)“). Zeitbilder 8 von 1997 behandelt unter dem Kapitel „Die sogenannten ‚positiven Seiten‘“ ebenfalls „Arisierung“ und Deutsches Eigentum und bemerkt, dass in Bezug auf die Wohnungsnot in Wien „zunächst Ausgrenzung und Vertreibung, später Vernichtung der Juden“ Wohnungen frei werden ließ.354 Rein inhaltlich muss für die Darstellung des Holocaust darauf aufmerksam gemacht werden, dass sehr häufig die Behandlung allgemeiner jüdischer Geschichte fehlt bzw. dass ein durchgängiger jüdischer Geschichtsnarrativ häufig zur Darstellung einer reinen „Opfergeschichte“ verkommt.355 Ebenfalls neu in den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ist die Beschäftigung mit der NS- Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in Österreich seit dem „Anschluss“. Sowohl in Spuren der Zeit 8 als auch in Aus Geschichte lernen 7 wird die Industrialisierung Österreichs sowie die Beschäftigungspolitik (inklusive Zwangsarbeiter) behandelt.356 Was sich nicht ändert, aber wenigstens von den gerade gezeigten Aspekten begleitet wird, sind die Hinweise darauf, dass Österreich in den letzten Kriegswochen selbst zum Kriegsgebiet wird. War dieses Thema bis in die 80er-Jahre in den Schulbuchnarrativen mitunter öfter vertreten, ist es in den untersuchten Schulbüchern während der 90er-Jahre nur noch in Aus Geschichte lernen 8 auffindbar. Auch hier wird das Kriegsende wieder unter dem Aspekt der Zweiten Republik behandelt.357

3.2.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Was bis jetzt gar nicht behandelt wurde, waren Bilder und Bildunterschriften – einzig deshalb, weil es dies bis in die 90er-Jahre für das zu Untersuchende schlicht nicht gab. Was jetzt in den 90er-Jahren als

353 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 93f. 354 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 6. 355 Vgl. Zeitbilder 7 (1996), S. 137ff; Anm.: Nicht berücksichtigt sind (vor allem neuere) Schulbücher der fünften und sechsten Klasse AHS, in den beispielsweise im Mittelalter (Stadtentwicklung) oder in der Neuzeit (Aufgeklärter Absolutismus / Französische Revolution) ebenfalls jüdische Geschichte behandelt wird. Wenn ein Abriss jüdischer Geschichte im Kontext von Holocaust und rassischem Antisemitismus erfolgt, so wird besonders häufig ein Bild der jüdischen Glaubensgemeinschaft gezeichnet, bei dem die Vernichtung des europäischen Judentums auf krude Art und Weise als eine logische Konsequenz erscheint. vgl. auch den von Thomas Lange herausgegebenen Band zur jüdischen Geschichte in Schulbüchern: Thomas Lange (Hg.): Judentum und jüdische Geschichte im Schulunterricht nach 1945. Bestandsaufnahmen, Erfahrungen und Analysen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Israel (= Aschkenas, Beiheft 1), Wien/Köln/Weimar 1994. 356 Vgl. Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 148f; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 94f. 357 Vgl. Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: Aus Geschichte lernen. 8. Klasse. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart, Wien 1994, S. 40. (im Folgenden zitiert als: Aus Geschichte lernen 8 (1994))

82 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Bildquelle für den Österreichbezug während der NS-Herrschaft herhalten muss, ist rein inhaltlich bekannt: Die Zerstörung Österreichs während des Krieges. Bei drei von den vier entdeckten Abbildungen handelt es sich um Tabellen, die jeweils Kriegsschäden in österreichischen Städten bzw. in Wien mittels Zahlen verdeutlichen sollen. Unterschriften oder weitere Erläuterungen finden sich zu den Tabellen allerdings nicht.358 Die vierte Bildquelle stellt ein Aquarell von Karl Klement dar und „zeigt das Inferno um den St. Pöltner Bahnhof“ – also wiederum eine Illustration der Bombenangriffe auf Österreich.359 Ein weiteres Bild, das die Auswirkungen der Zwangsarbeit in Österreich verbildlichen soll, zeigt einen von KZ-Häftlingen gebauten Tunnel, auf dem man nur einen langen Stollen erkennen kann, der teilweise beleuchtet ist.360 Hier stellt sich allerdings die Frage, was man im Unterricht als Lehrer mit einem solchen Bild anfangen kann und ob es nicht nur zur „Auflockerung“ oder „Behübschung“ eingesetzt worden ist. Letztlich ist noch auffällig, dass sich Bilder zu diesem Aspekt des Themas lediglich in zwei Schulbüchern befinden. Für Bildquellen zur Judenverfolgung und dem Holocaust gibt es seit den 90ern mehrere Beispiele: So wird ein Bild Sigmund Freuds verwendet, um Österreich als „Wissenschaftsgroßmacht“ darzustellen. In der Bildunterschrift erfolgt dann der Hinweis, dass Freud 1938 auswanderte, weil er Jude war.361 Weiters dienen eine Fotografie eines Bergstollens, der von KZ-Häftlingen aus Ebensee gegraben wurde, oder eine Abbildung der „Todesstiege“ im KZ Mauthausen zur Dokumentation der Shoah in Österreich.362 Auch die bildliche Darstellung der sogenannten „Reibpartien“, manifestiert vor allem durch das bekannte Bild von Albert Hilscher, auf dem ein (jüdischer) Bub das Wort „Jud“ an eine Hauswand pinseln muss, wird in Spuren der Zeit 8 und Aus Geschichte lernen 7 eingesetzt und deutlich mit den Verfolgungen in Österreich – in diesem Fall Wien – in Verbindung gebracht. Zur Reichspogromnacht finden sich neben den vielen Textverweisen einige Bilder: Mit Österreich direkt verbunden ist eine Fotografie, die eine brennende Synagoge in Graz (Hinweis in der Bildunterschrift) zeigt.363 In den 90ern wird zum Thema Kriegsschäden in Österreich eine schriftliche Quelle gegeben, womit nun zumindest geklärt scheint, warum dieser Aspekt im Schulbuchfließtext nicht mehr so gehäuft auftritt, wo er doch so prominent anderweitig abgedruckt wird: Aus Geschichte lernen 8 druckt auf seiner Materialienseite einen Auszug aus Erika Weinzierls „Die Zweite Republik“ ab, in dem eine Opferbilanz sowie eine finanzielle Bilanz (Besatzungsschäden im Ausmaß von 240 Milliarden Schilling nach dem Schillingwert von 1960) gegeben wird.364 Für den Holocaust werden Zeugenaussagen jüdischer Vertriebener bzw. Opfer verwendet, um das Thema zu behandeln. Hier zeigt

358 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 78; Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 42. 359 Vgl. Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 42. 360 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 95. 361 Vgl. Zeitbilder 7 (1996), S. 118. 362 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 149; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 95. 363 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 93. 364 Vgl. Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 42.

83 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust sich, dass sehr wohl gehäuft Quellen österreichischer Juden auftreten, während im Fließtextteil die Österreichbezüge nicht gerade häufig vorhanden sind: Insgesamt je zwei Auszüge aus Hugo Portischs „Österreich II“ sowie aus dem DÖW-Werk „Erzählte Geschichte Bd. 3“ finden sich in Spuren der Zeit 8 sowie in Aus Geschichte lernen 7.365 Für Arbeitsaufträge würden sich die aufgezeigten Textstellen in Bezug auf NS-Täterschaft eigentlich sehr gut eignen, da dadurch Widersprüche der Zweiten Republik aufgearbeitet werden könnten (und unter diesem Kapitel wird immerhin noch das Kriegsende behandelt). Wenn es um österreichische Nationalsozialisten im Dritten Reich geht, ist allerdings Stationen 4 das einzige Buch, das diesen Aspekt mittels Arbeitsfragen näher behandelt: „Erörtern Sie das Problem der Verantwortlichkeit des einzelnen.“366 Problematisch an der Frage ist meiner Meinung nach, dass man als Schüler unter Umständen nicht genau weiß, unter welchen Gesichtspunkten man die Frage nun zu beantworten hat. Zumindest handelt es sich aber um eine weiterführende Frage, die für eine Diskussion geeignet wäre. Die zweite gefundene Arbeitsfrage hat mit der NS-Beschäftigungspolitik zu tun und lautet: „Auf wessen Kosten ging der NS-Wirtschaftsaufschwung, die sogenannte ‚ordentliche Beschäftigungspolitik‘?“367 Diese reine Wiederholungsfrage bezieht sich auf den im Kapitel „Österreich unter dem Hakenkreuz“ vorgestellten Missbrauch von Zwangsarbeitern und Juden bzw. anderen KZ-Häftlingen. Dabei sind die Arbeitsfragen zum Thema Holocaust meistens Prüfungsfragen („3. Auf wessen Kosten ging der NS-Wirtschaftsaufschwung, die sogenannte ‚ordentliche Beschäftigungspolitik‘?“368). Demgegenüber stehen allerdings auch Arbeitsanregungen, die eine weitgehendere Beschäftigung im Unterricht erfordern: „Diskutieren Sie unter dem Aspekt des NSDAP-Parteiprogramms […] die in letzter Zeit immer häufiger festgestellte Ausländerfeindlichkeit der Österreicher anhand von Pressemeldungen, Politikeraussagen und gesetzlichen Maßnahmen.“369 Diese Frage ist insofern interessant, weil sie eigentlich unter dem Kapitel „Verfolgung und Massenvernichtung im Dritten Reich / Die nationalsozialistische Rassenpolitik“ gestellt wird und ihren Österreichbezug nur durch die Frage selbst herstellt. Dabei trifft die Frage durch den rasanten Aufstieg der Haider-FPÖ Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre370 durchaus den Zeitgeist. Stationen 3 widmet sich aber direkt den antisemitischen Tendenzen im Österreich der Gegenwart, wenn es die Frage stellt: „Wie ist es heute um den Antisemitismus in Österreich und im übrigen Europa bestellt? Welche Gründe werden von Antisemiten ins Treffen geführt? Wie beurteilen Sie solche Argumente?“371 Die anderen Fragen zum Holocaust, die spätestens seit den 90er-Jahren zuhauf vorhanden sind, weisen keine Verbindung mit Österreich auf und werden deshalb hier nicht vorgestellt.

365 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 93; Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 150; 366 Stationen 4 (1992), S. 72; Stationen 4 (1999), S. 72. 367 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 94. 368 Ebenda, S. 94. 369 Stationen 3 (1991), S. 182. 370 Haider hatte den gemäßigteren Parteiobmann Norbert Steger 1986 beim Parteitag in Innsbruck abgelöst und betrieb von da an einen stärker auf Ausländerthemen ausgerichteten Kurs. 371 Stationen 3 (1991), S. 185.

84 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

3.2.3 Seit 2000

3.2.3.1 Inhalt Die Trends, die sich für die 90er-Jahre ausmachen lassen, können auch seit 2000 weitestgehend belegt werden. Stärker als in den Jahrzehnten davor wird in jedem Fall auf die Einstellung der österreichischen Bevölkerung zum Nationalsozialismus Stellung genommen. Auch wenn hierbei die Unterteilung in Kapitel – gehört dieser Aspekt der österreichischen Geschichte noch zu den unmittelbaren Folgen des „Anschlusses“ oder in den Kontext des Zweiten Weltkrieges? – mitunter schwierig ist, finden sich abseits der schon behandelten „Anschluss“-Thematik verschiedene Textstellen, die sich insbesondere mit der Gleichschaltung der Gesellschaft, der Mittäterschaft von Österreichern oder mit den neuerdings auftauchenden Begriffen („Zustimmungsdiktatur“) beschäftigen. Voranzustellen ist an dieser Stelle aber, dass es Überschneidungen mit der Holocaust- und/oder Widerstands-Thematik geben kann, vor allem deshalb, weil den Verbrechen von Österreichern auch immer wieder positive Aspekte (Widerstand gegen das NS-Regime, Hilfeleistungen für Juden etc.) entgegengestellt werden. Die Darstellung von Holocaust in Österreich selbst findet sich nun in mehreren Schulbüchern und ist seit 2000 kein Einzelfall mehr. einst und heute 8 legt sich bezüglich der anfangs positiven Einstellung der Österreicher zum Nationalsozialismus durchaus sehr klar fest, spricht auf der anderen Seite aber von der geschickten Täuschung der Bevölkerung durch die Nationalsozialisten:

„Für die erste Zeit der NS-Herrschaft darf man von einer breiten Zufriedenheit in der Bevölkerung ausgehen: Vermeintliche soziale Sicherheit und die nationalen Erfolge der so genannten Blitzkriege schürten die Kriegsbegeisterung auch in Österreich. Viele ließen sich von der nationalsozialistischen Führung täuschen, die aus ihrer Sicht geschickt die Vernichtungskriege mit der Hoffnung auf sozialen und materiellen Aufstieg des einzelnen ‚Deutschen‘ verstrickte und dabei traditionelle Klischees der Männlichkeit, Ritterlichkeit und Tapferkeit verwendete. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr Menschen aber sehnten den Untergang des Nationalsozialismus herbei. Ende April / Anfang Mai 1945 feierte daher die Mehrheit der Österreicher die Alliierten als Befreier.“372

Dass in der Textstelle so deutlich von einer breiten Zufriedenheit (und in weiterer Folge Zustimmung) gesprochen wird, ist für die Schulbucherscheinungen neueren Datums zwar nicht außergewöhnlich, aber im Vergleich zu älteren Publikationen durchaus erwähnenswert. Explizit wird davon gesprochen, dass sich auch Österreicher von der Kriegsbegeisterung anstecken lassen, sei es durch Opportunismus, durch die Hoffnung auf einen weiteren Karriereschub oder sei es durch Propaganda. In diesem Zusammenhang findet sich fast ident die oben gezeigte Passage aus Aus Geschichte lernen 7 von 1993, in der bezüglich der Einstellung zum Nationalsozialisten drei Gruppen – Anhänger der NSDAP,

372 Gerhard Huber/Erlefried Schröckenfuchs: einst und heute 8, Wien 2002, S. 77. (im Folgenden zitiert als: einst und heute 8 (2002))

85 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Regimegegner und die „abseits Stehenden“ – unterschieden werden.373 Streifzüge durch die Geschichte 7 geht noch einen Schritt weiter, wenn es darum geht, der österreichischen Bevölkerung eine gewisse Mitverantwortung nicht absprechen zu wollen. Während im obigen Zitat zumindest die Rede davon ist, dass der Kurs der Nationalsozialisten von Österreichern mitgetragen wurden, wird in Streifzüge durch die Geschichte 7 direkt angesprochen, dass es österreichische SS-Männer gab und vor allem, dass das Terrornetzwerk der Gestapo unter anderem nur deshalb funktionieren konnte, weil die Bevölkerung aktiv daran mitwirkte:

„1943 gab es fast 700 000 Parteimitglieder in Österreich. Innerhalb der NSDAP dehnte die SS ihre Macht immer weiter aus. Rund 20 000 Österreicher traten der ‚‘ bei. Die SS-Angehörigen um Adolf Eichmann, der die Deportation der Juden zunächst aus Wien, dann aus ganz Europa organisierte, waren erstaunlich jung, beruflich zumeist gescheitert und konnten nun ebenso brutal wie effizient ihr ‚Herrenmenschentum‘ beweisen. Im Zentrum der SS-Macht stand die Gestapo. Ihr Apparat war in Österreich relativ klein – 1942 waren es 2000 Mann. Folter und willkürliche Verhaftung, beides außerhalb des Gesetzes, waren die wichtigsten Instrumente ihres Terrors. Doch dieses System konnte nur funktionieren, weil die Bevölkerung eifrig mithalf. Die meisten Aktionen der Gestapo wurden durch Denunziation ausgelöst.“374

Bemerkenswert ist auch ein anderer Textabschnitt in Streifzüge durch die Geschichte 7, in dem es eigentlich um Widerstandskämpfer geht:

„Die latente Widerstandsgesinnung gegen die NS-Herrschaft ergriff immer größere Kreise. Vor allem fühlte man sich von den ‚Reichsdeutschen‘ übervorteilt und in den Hintergrund gedrängt. Tatsächlich war aber der Anteil von Funktionären aus dem ‚Altreich‘ äußerst gering, vor allem auf den Ebenen der Gemeinden, Kreise und Gaue. Es handelte sich vielmehr um eine ‚Herrschaft von Österreichern über Österreicher‘.“375

In diesem Auszug werden die Auswirkungen der Gleichschaltung angesprochen und gleichzeitig wird mit der Meinung gebrochen, Österreich sei nur von „Reichsdeutschen“ regiert worden. Deutlich wird erwähnt, dass insbesondere auf der unteren Ebene, auf welcher der Nationalsozialismus greifbar wird, Österreicher aktiv am Machterhalt der Nazis mitarbeiten und diesen konsolidieren. Gleiches behauptet auch gestern | heute | morgen 8: „Die NS-Diktatur in Österreich wies sowohl Elemente einer Fremdherrschaft auf als auch Elemente einer Herrschaft von Österreichern über Österreicher.“376 Auch wenn sich für dieses Thema eindeutig Belege für eine Mitverantwortung von Österreicherinnen und Österreichern finden lassen, so merkt man den Schulbüchern deutlich die Probleme an, diese Mitverantwortung und Zustimmung zum Terrorregime ausreichend zu begründen. Oben erwähnt wurde, dass die nationalsozialistische Propaganda mit ein Grund für die Zustimmung gewesen sei,

373 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 69. 374 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69 375 Ebenda, S. 70. 376 Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: gestern | heute | morgen. 8. Klasse. Aus Geschichte lernen, Wien 2006, S. 109. (im Folgenden zitiert als: gestern | heute | morgen 8 (2006)) Ähnlich auch bei Thema: Geschichte 7 (2007), S. 208.

86 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust auch persönliche Ziele und Opportunismus wurden genannt, eine weitergehende Analyse wird hierzu allerdings nicht geboten. Auch Thema: Geschichte 7 schafft es nicht, mehr als die schon bekannten Rechtfertigungen für das Verhalten der Österreicher anzuführen:

„Entscheidend für das Einverständnis und die Zustimmung einer übergroßen Mehrheit der Bevölkerung zum Nationalsozialismus – dies gilt für Deutschland und Österreich – war, dass es Hitler und seinen Helfern gelang, herrschende Mentalitäten, Sehnsüchte, Erwartungen, Hoffnungen der Menschen für sich nutzbar zu machen.“377

Anhand dieses Beispiels lässt sich aber deutlich zeigen, dass eine Beschwerde über ein etwaiges Zu- Wenig-Erklären von Gründen eine auf hohem Niveau darstellt: Erwähnt wird neben einer „übergroßen Mehrheit“ für den Nationalsozialismus, dass dies auch für Österreich der Fall war. Manfred Schindlbauer geht in Thema: Geschichte 7 zusätzlich darauf ein, dass die nach dem Krieg vorherrschende Ansicht, der Nationalsozialismus hätte nicht größte Teile der Bevölkerung hinter sich gehabt, heute noch präsent ist und bietet dadurch eine eigene Form der Aufarbeitung der österreichischen Vergangenheit an:

„Bis heute gibt es in der Geschichtswissenschaft und vor allem in der Öffentlichkeit ein Interpretationsmuster für das Verhalten des deutschen und österreichischen Volkes, das unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus entstand und etwa wie folgt aussieht: ‚Die Nationalsozialisten haben es verstanden, die Not und Orientierungslosigkeit der Massen am Ende der Weimarer Demokratie auszunutzen, die Macht an sich zu reißen und das deutsche Volk durch eine Mischung von Propaganda und Terror, von Einschüchterung und Manipulation in einen zweiten Weltkrieg zu ziehen. Das deutsche Volk, das in dieser Zeit schlimmen Anfechtungen und blutigem Terror ausgesetzt war, bewegte sich ‚zwischen Anpassung und Widerstand‘. Es gab zwar überzeugte Nationalsozialisten, aber die waren gegenüber den Gegnern, den bloßen Anpassern, Opportunisten und ‚Märzgefallenen‘ deutlich in der Minderheit – Nationalsozialismus ohne Nationalsozialisten.‘“378

Generell lässt sich sagen, dass sich Thema: Geschichte damit hervortut, möglichst umfassend unter dem Kapitel „Die ‚Volksdiktatur‘“ über die Zustimmung zum Nationalsozialismus zu berichten. Auch wenn der didaktische Nutzen von (langen) Schulbuchtexten durchaus umstritten ist, lässt sich nicht leugnen, dass die Narrative durch ihre Formulierungen (oder durch Inhalte, die nicht angesprochen werden!) eine gewisse Richtung vorgeben. Die Aufgabe, Inhalte zu differenzieren, ohne etwas wegzulassen, löst Thema: Geschichte 7 in weiterer Folge durchaus geschickt, wenn von der „Volksdiktatur“ die Rede ist:

„Gewiss gab es Frauen und Männer, die ‚abseits standen‘, wie das in der Sprache der Nationalsozialisten hieß, und gewiss gab es viele Deutsche und Österreicher, die Vorbehalte hatten, sich angesichts von Willkür und Gewalt ängstigten, auch solche, die unter Lebensgefahr Widerstand zu leisten versuchten. Insgesamt aber war das

377 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 198. 378 Ebenda, S. 198.

87 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Einverständnis zwischen ‚Führer‘ und ‚Volk‘ so groß, dass manche Historiker von einer ‚konsensuellen Diktatur‘ bzw. einer ‚Volksdiktatur‘ sprechen.“379

Es wird auch versucht, Gründe für die Motive der Zustimmung zu geben, wobei wieder differenziert wird. Weitaus interessanter ist allerdings wiederum der Hinweis darauf, dass der Völkermord an den Juden ohne Mittäterschaft und Mitwisserschaft in der Bevölkerung – sowohl im „Altreich“ als auch in Österreich – nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre:

„[A]uch die moderne Geschichtswissenschaft kommt zu dem Ergebnis, dass die Motive für Anfälligkeit und Zustimmung abgestuft waren. Es gab, nicht nur bei den ‚alten Kämpfern‘, den Nationalsozialisten der ersten Stunde, Begeisterung, Überzeugung, eine fast religiöse Gläubigkeit. Es gab Opportunisten, die sich aus ‚realpolitischer‘ Einstellung, aus Angst vor beruflichen Nachteilen, aus scheinbarer Alternativlosigkeit anpassten, es gab Anbiederer und Mitläufer und es gab die politisch Apathischen, die Bequemen, die Resignierenden, die gleichwohl das Regime stabilisierten… Zu Zustimmung und Duldung kam bei vielen Deutschen und Österreichern aber auch die Bereitschaft, an den Verbrechen des Regimes teilzunehmen; ohne die Mittäterschaft [Hervorhebungen im Original, D.H.] Hunderttausender und die Mitwisserschaft vieler Millionen wäre der massenhafte Völkermord nicht durchzuführen gewesen. Auch das weitverbreitete Denunziantentum, dem Tausende von jüdische [sic!] Mitbürgern, Kommunisten, Widerstandskämpfern, aber auch viele Unbeteiligte zum Opfer fielen, weist auf die system-loyale Einstellung großer Teile der Bevölkerung hin.“380

Die Analyse, die Schindlbauer hier für die Zustimmung der Bevölkerung zum Nationalsozialismus und ihren Folgen vorlegt, schafft es nicht nur, ein differenziertes Bild der österreichisch/deutschen Bevölkerung zu liefern, ihr gelingt es auch, einen Mittelweg zwischen Verharmlosung und Anklage zu finden oder die Widerstandsbemühungen der Bevölkerung den Verbrechen gegenüber aufzurechnen. Ähnlich gelingt dies GO! 7, wenn auch nicht in so umfassender Art und Weise, wobei schon erwähnt worden ist, dass in der GO!-Reihe generell weniger Fließtext vorhanden ist. Auffällig ist neben der Verwendung des Gender-Mainstreaming die Kürze der relevanten Textpassage, in der eine Mitverantwortung von Österreichern (und Österreicherinnen!) an den Verbrechen der Nationalsozialisten eingeräumt wird:

„Es waren jedoch auch viele Österreicher und Österreicherinnen bereit, die verbrecherische NS-Politik innerhalb und außerhalb Österreichs mitzutragen. Beinahe 700.000 Personen waren NSDAP-Parteiangehörige und Österreicherinnen und Österreicher waren in hohem Ausmaß an der jüdischen Massenvernichtung und an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs beteiligt.“381

Andere schon vorgestellte Themenschwerpunkte zu Österreich im Zweiten Weltkrieg bzw. unter NS- Herrschaft sind seit 2000 ebenso zu finden. Die Umstrukturierung der österreichischen Wirtschaft

379 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 199. 380 Ebenda, S. 199. 381 GO! 7 (2013), S. 107.

88 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

(„Durch den Zweiten Weltkrieg wurde Österreich zu einem Industriestaat […]“382) findet sich ähnlich wie in gestern | heute | morgen noch in einst und heute 8 oder Streifzüge durch die Geschichte 7, wird aber jeweils in unterschiedliche Zusammenhängen gesetzt.383 Auch von Zwangsarbeit384 in Österreich und von den österreichischen Kriegsschäden ist die Rede. Die Bilanz des Krieges in Österreich inklusive der Beschreibung Österreichs als Kriegsgebiet nimmt im Vergleich zu anderen Punkten sogar einen überdimensional großen Raum ein und findet sich in neun verschiedenen Schulbüchern seit 2000.385 Dabei erwähnenswert ist, dass vor allem Thema: Geschichte 8 einen sehr detaillierten, dem zuvor erwähnten Abschnitt von 1984 ähnelnden Einblick in das Geschehen rund um die letzten Kriegswochen in Österreich bietet, weshalb in diesem Textteil sehr viel Information vorhanden ist. Was in dieser Art und Weise aber noch nicht so detailliert herausgearbeitet wurde, ist die Beteiligung von Österreichern am Kampfgeschehen im Zweiten Weltkrieg. Unter dem Kapitel „Österreicher im Zweiten Weltkrieg“ geht einst und heute 8 sehr genau auf die einzelnen Kriegsschauplätze ein, an denen Österreicher kämpften, ohne allerdings nur darauf hinzuweisen, dass Österreich dadurch „einen hohen Blutzoll“ zahlen musste:

„Bereits am 14. März 1938 wurde das österreichische Bundesheer in die Wehrmacht eingegliedert. Dabei legten die österreichischen Soldaten wie die deutschen einen Eid auf Hitler persönlich, und nicht etwa auf den Staat, ab. Dieser Eid wurde von keiner maßgeblichen Persönlichkeit des vormals österreichischen Heeres abgelehnt. Als Deutschland 1939 Polen überfiel, kamen auch Österreicher zum Einsatz, in der Folge auch in Holland, Belgien und Frankreich. Am ‚Balkanfeldzug‘, also am Überfall auf Jugoslawien und Griechenland, nahmen österreichische Offiziere vermehrt hohe Positionen ein. Der ‚Ostfeldzug‘ gegen die Sowjetunion sollte für die österreichischen Soldaten die größten Verluste bringen. In diesem Krieg wurden, auch von Österreichern, die schlimmsten Verbrechen begangen und das Kriegsrecht bewusst verletzt.“386

Nur einmal – bei der Erwähnung des Russlandfeldzugs – kommt im Text vor, dass Österreich Verluste erleidet, ansonsten ist der Ausschnitt durchaus kritisch. Vor allem die Offiziere in hohen Positionen am Balkan werden in weiterer Folge für die Analyse der Waldheim-Affäre noch interessant. Auf der gleichen Seite versucht das Schullehrbuch die Verbrechen der Wehrmacht aufzuarbeiten, wobei dieser Teil – im Gegensatz zum gerade gezeigten – teilweise wieder dramatisierend wirkt. Es lässt sich außerdem zeigen, wie Verbrechen im Krieg geradezu mit Widerstandsaktionen gegengerechnet

382 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 69. 383 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 73; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 66. 384 Vgl. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 66f. 385 Vgl. Werner Tscherne / Manfred Gartler: Wege durch die Zeiten 4. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde, Graz 2000, S. 82; (im Folgenden zitiert als: Wege durch die Zeiten 4 (2000)) einst und heute 8 (2002), S. 77; Aus Geschichte lernen 8 (2002), S. 40; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 40 und S. 134; Anton Wald / Eduard Staudinger / Alois Scheucher / Josef Scheipl: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde. 8. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute. mit „Aktuellem Journal“, Wien 2004, S. 8; (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 8 (2004)) Manfred Schindlbauer: Thema: Geschichte. 8. Klasse. Die grundlegenden Strukturen der Politik, Salzburg 2008, S. 9ff; (im Folgenden zitiert als: Thema: Geschichte 8 (2008)) Zeitfenster 7 (2012), S. 91; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 200; Alois Scheucher/Eduard Staudinger/Josef Scheipl/Ulrike Ebenhoch: Zeitbilder 8. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung, Wien 2014, S. 8. (im Folgenden zitiert als: Zeitbilder 8 (2014)). 386 einst und heute 8 (2002), S. 76.

89 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust werden, wobei im folgenden Beispiel am Ende doch wieder ein besonders grausames Beispiel für österreichische (Mit-)Täterschaft gegeben wird:

Ab Herbst 1941 mehrten sich auch die Fälle, in denen Wehrmachtseinheiten Erschießungen von Juden und ‚Zigeunern‘ durchführten. Angesichts dieser Tatsache lässt sich heute keine strikte Trennung mehr ziehen zwischen einer ‚sauberen Wehrmacht‘, die ‚nur ihre Pflicht erfüllte‘, und der SS, in der Freiwillige einen Völkermord begingen. Historiker und Juristen konnten auch Einheiten der Wehrmacht wahllose Massenerschießungen, Ausrottung männlicher Zivilisten und ähnliche Grausamkeiten nachweisen. Dies sollte und darf aber zu keiner generellen Verurteilung führen. Immerhin fanden sich in der Wehrmacht auch unzählige Soldaten, die man zwang, in den Krieg zu ziehen, den sie persönlich ablehnten und die wussten, dass jede Befehlsverweigerung den sicheren Tod bedeutet hätte. Nur außergewöhnliche starke Persönlichkeiten konnten sich in einer solchen Situation zum Widerstand entschließen; unter ihnen sei der österreichische Wehrmachtsangehörige Anton Schmid genannt, zu dessen Andenken eine Kaserne in Randsburg (D) seit 2000 ‚Feldwebel-Schmid-Kaserne‘ heißt: Schmid hat mehr als 3000 Juden zur Flucht verholfen, ehe er 1942 hingerichtet wurde. Diesem Beispiel heldenhafter Menschlichkeit steht wiederum ein besonders verabscheuungswürdiges Ereignis in Oberösterreich gegenüber: Anfang 1945 beteiligten sich hunderte Oberösterreicher an der so genannten ‚Mühlviertler Hasenjagd‘: Russische Gefangene glaubten dem KZ Mauthausen entkommen zu sein; ihre Flucht scheiterte aber am ‚Eifer‘ vieler Einheimischer. Gnadenlos jagten sie die entkräfteten und halb verhungerten Häftlinge und schlachteten sie regelrecht ab.“387

Insgesamt ist der Textauszug sehr schwierig zu bewerten: Einerseits wird versucht, Wehrmachtsangehörige nicht pauschal zu verurteilen, andererseits bleibt der Text in der Nazi-Diktion („Zigeuner“) verhaftet. Zudem wird pauschal davon gesprochen, dass Befehlsverweigerung den sicheren Tod bedeutet hätte, was vom US-amerikanischen Historiker Christopher Browning in seinem aufsehenerregenden Werk „Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen“ für eine Polizeieinheit widerlegt worden ist und zwar schon 1992/93.388 Gleichzeitig wird suggeriert, jene Soldaten, die Befehle ausführten, seien im Gegensatz zum angeführten Anton Schmid schwache Persönlichkeiten gewesen. Seinen positiven Taten wird auf der anderen Seite die „besonders verabscheuungswürdige“ „Hasenjagd“ gegenübergestellt, die wiederum als Negativbeispiel für das österreichische Mitläufertum herhalten muss. Keinen eindeutigen Hinweis auf eine Beteiligung von Österreichern, dafür aber den expliziten Verweis auf Verbrechen der Wehrmacht und insbesondere auf die öffentliche Diskussion in Deutschland und Österreich liefern Zeitbilder 7/8 sowie die neueste Ausgabe von Zeitbilder 7. In dem Textausschnitt wird die sogenannte „Wehrmachtsausstellung“ näher behandelt, die den „Mythos von der ‚sauberen Wehrmacht‘ [beendete]“. Zitate aus dem Ausstellungskatalog, dass eine Pauschalverurteilung aller Wehrmachtsangehörigen abgelehnt wird, runden den Textabschnitt ab.389 Für das Thema Holocaust wurde eingangs erwähnt, dass es seit 2000 vermehrt Passagen gibt, die einen

387 einst und heute 8 (2002), S. 76. 388 Vgl. Christopher R. Browning: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Hamburg 2011, S. 22 bzw. 98ff. 389 Vgl. Zeitbilder 7/8 (2006), S. 87; Zeitbilder 7 (2014), S. 91.

90 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Österreichbezug aufweisen. Einst und heute 8 geht in dem Kapitel „Österreich wird gleichgeschaltet“ auf den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem „Anschluss“ ein, der auch durch die Enteignung der Juden in dieser Form überhaupt möglich war:

„Zu einem wesentlichen Wirtschaftsfaktor Österreichs wurde auch die so genannte ‚Arisierung‘, womit das NS-Regime die Beraubung der Juden legalisierte. Die in Wien übliche Vorgangsweise wurde zum Vorbild für die ‚reichsdeutsche‘ Enteignungspolitik. Das Eigentum geflüchteter bzw. ‚auswanderungswilliger‘ Juden ging anfangs günstig in den Besitz von Österreichern über. Ab November 1938 wurden jüdische Eigentümer systematisch gezwungen, ihren Besitz zu einem lächerlichen Preis an den Staat abzugeben. Zusätzlich hatten die Juden eine ‚Reichsfluchtsteuer‘ und eine ‚Judenvermögensabgabe‘ zu zahlen. Neben dem Staat waren vor allem NS-Anhänger aus der frühen Zeit Nutznießer dieser Beraubung und Vertreibung unter dem Deckmantel von NS-Gesetzen.“390

Auf der nächsten Seite äußert sich das Buch noch ausführlicher zu den Judenverfolgungen (Kapitel „Judenverfolgung, Zwangsarbeit und KZ in Österreich“), wobei die gesamte Ereignisgeschichte des Holocausts noch einmal für Österreich skizziert wird:

„Mit dem Anschluss an Deutschland brach in Österreich der Antisemitismus in brutalster Weise aus. Die Demütigungen und die Verfolgung jüdischer Mitbewohner (ca. 200 000 in Österreich) setzten mit dem ersten Tag ein: Die ‚Reibpartien‘, wofür Juden auf die Straße geholt wurden, um dort die Parolen für die von Schuschnigg anberaumte – und von den neuen Machthabern verbotene – ‚Für-Österreich-Volksbefragung‘ abzuwaschen, wurden mancherorts zur Volksbelustigung. Ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung nahm dies offensichtlich ohne Aufbegehren zur Kenntnis. Der Terror der ersten Tage trieb zahlreiche Gegner des Hitler-Regimes in den Selbstmord; wer es sich leisten konnte, versuchte auszuwandern, so auch viele Künstler und Wissenschaftler. […] Damit verlor Österreich einen Teil seiner geistigen Elite. Nach dem Krieg gab es kaum Bemühungen, die ‚Emigranten‘ in die Heimat zurückzuholen. Die Situation jener, die flüchten wollten, verschlimmerte sich, als das Ausland nicht mehr bereit war, Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich aufzunehmen; viele Länder führten eine Visumspflicht ein. Eine zweite große Flüchtlingswelle hatte das Pogrom vom 10. November 1938 zur Folge. In dieser Nacht wurden auf Initiative des Propagandaministers Goebbel [sic!] gezielt jüdische Einrichtungen zerstört, Wohnungen und Geschäfte ausgeraubt, Juden verfolgt und getötet. Aufgrund der glänzenden, funkelnden Glassplitter der zerstörten Geschäfte sprachen die Nazis bösartig von der ‚Reichskristallnacht‘. Ab Oktober 1941 war jede Auswanderung untersagt. Die Juden mussten deutlich sichtbar den Davidstern tragen, ihre Konsumgüter wurden rationiert, zudem galt Ausgehverbot. Immer häufiger brachte man Gruppen von Juden in das KZ Theresienstadt oder ‚siedelte‘ sie in polnische Ghettos ‚um‘. Zahlreiche Juden wurden in Vernichtungslager gebracht und grausam ermordet. Ende 1942 gab es in Wien keine Juden mehr.“391

Der Textausschnitt lehnt sich offensichtlich an die ebenfalls vorgestellte Passage aus Spuren der Zeit 8 an. Dort wurde am Ende formuliert, Wien sei Ende 1942 „judenfrei“ gewesen, was inhaltlich auch dem Schlusssatz dieses Zitats entspricht, aber in der Formulierung entschärft wurde. Diese

390 einst und heute 8 (2002), S. 73. 391 Ebenda, S. 74.

91 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Behandlung des Holocaust für Österreich ist an sich eine gute Idee, man muss sich aber im Klaren darüber sein, dass praktisch dasselbe doppelt im Schulbuch aufscheint: Für die siebte Klasse wird Holocaust allgemein im Kontext des Weltkriegs behandelt und dann noch einmal auf die gleiche Art und Weise für das achte-Klasse-Buch. Erwähnenswert ist in einst und heute 8 auch noch, dass der Beschreibung Mauthausens viel Raum gegeben wird und sich diese durch viele Details auszeichnet.392 Insgesamt gilt für Mauthausen, dass es in vielen Lehrwerken als DER österreichische Erinnerungsort auftaucht und für Österreich praktisch dieselbe Funktion erfüllt wie Auschwitz im Allgemeinen, nämlich sichtbares Mahnmal des Holocaust.393 Ähnlich wie gerade gezeigt behandelt auch gestern | heute | morgen 7 die Abfolge der Gräueltaten gegen österreichische Juden, hier taucht auch erstmals der Begriff „Anschlusspogrom“ auf. Zweifelhaft erscheint allerdings die im Zuge einer Bilanz auftauchende Formulierung, dass „[d]er Leidensweg der österreichischen Jüdinnen und Juden, die nicht rechtzeitig entkommen konnten, […] während des Krieges in den Gaskammern der nationalsozialistischen Konzentrationslager [endete].“394 Interessant ist der erstmals genauer auf die Reichspogromnacht eingehende Abschnitt in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7, der ähnlich wie die anderen gezeigten Zitate die Geschichte der österreichischen Juden von 1938 bis 1945 nachzuzeichnen versucht. Hier wird erstmals auf Opferzahlen österreichischer Juden während der Pogromnacht eingegangen:

„Einen traurigen Höhepunkt [der Judenverfolgung, D.H.] bildete das Novemberpogrom 1938. 42 Synagogen und Bethäuser wurden zerstört, 6547 Wiener Juden kamen in die KZ, in Innsbruck tötete der Mob drei Menschen, vier ältere Juden wurden einfach in die eiskalte Sill geworfen.“395

Bemerkenswert ist der Hinweis auf die im Verhältnis zur Einwohnerzahl äußerst blutig verlaufene Nacht in der Tiroler Landeshauptstadt, was im Text unglücklicherweise allerdings nicht erwähnt wird. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 führt in weiterer Folge noch Adolf Eichmann als zentrale Figur der Judenverfolgung ein und behandelt kurz die ambivalente Rolle der „Judenräte“. Allerdings zieht das Buch mit „Manche Juden erkannten sehr bald, dass sie von den Nationalsozialisten als Werkzeug missbraucht wurden und zogen die Konsequenzen: Flucht, Widerstand, Aufstand, Kampf.“396 eine Schlussfolgerung, die suggeriert, es hätte vermehrt „Widerstand, Aufstand und Kampf“ von jüdischer Seite gegeben. Zeitbilder 8 von 2004 weist ebenfalls auf die prekäre Wohnungssituation in Wien hin, die durch die Enteignungen „einigermaßen beseitigt werden“ konnte, und geht dann auf die Schwierigkeiten ein, die jene „Arisierungen“ nach 1945 mit sich brachten:

392 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 74. 393 Vgl. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69. 394 Gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 68. Vgl. zu den Ausschreitungen während und kurz nach dem „Anschluss“: Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 67. 395 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 177. 396 Ebenda, S. 180.

92 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

„Nach 1945 kam es wegen der Rückgabe der ‚arisierten‘ Vermögenswerte zu schweren Differenzen zwischen den früheren Eigentümern – sofern sie das NS-Inferno überlebt hatten und Anspruch auf Rückerstattung ihres Eigentums erhoben –, den Neubesitzern und den Parteien. Die ersten sprachen von Raub, die zweiten verwiesen auf eventuelle – meist lächerlich geringe – Ablösen und die dritten fürchteten um Wählerstimmen. Insgesamt wurde diese Frage sehr restriktiv behandelt. Erst im Jahr 2000 wurde ein neuer Anlauf genommen, um die Entschädigungsfrage zu lösen.“397

Genauer wird an dieser Stelle aber nicht auf die Judenverfolgung in Österreich eingegangen, nur in der allgemeinen Kriegsbilanz werden am Ende noch einmal jüdische Opfer erwähnt, um ihnen aber gleichzeitig die gefallenen oder vermissten österreichischen Soldaten in der Wehrmacht gegenüberzustellen:

„65 459 österreichische Juden wurden im Zuge der ‚Endlösung‘ ermordet. Dazu kommen noch die Opfer unter den Sinti und Roma und der slowenischen Minderheit; dem gegenüber stehen aber die 247 000 zum deutschen Militär eingezogenen Österreicher, die nicht mehr zurückkehrten.“398

Thema: Geschichte 7 wählt den für das Schulbuch typischen Ansatz der langen Schulbuchfließtexte mit vielen Erklärungen, um sich dem Thema Holocaust in Österreich zu nähern. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass Manfred Schindlbauer genau differenziert, wenn es um tatsächliche Zahlen der jüdischen Bevölkerung in Österreich geht: „Nach der Volkszählung 1934 lebten hier 191.481 Personen jüdischen Glaubens, nach der Definition der ‚Nürnberger Gesetze‘ dürfte die Gesamtzahl jüdischer Österreicher etwa 206.000 betragen haben.“399 Es wird in diesem Beispiel bewusst zwischen der nationalsozialistischen Definition nach „Rasse“ und der gängigen Definition nach Glauben unterschieden, weshalb auch zwei verschiedene Zahlen genannt werden. In anderen Schulbüchern findet diese Differenzierung nicht statt, womit letztendlich oft unklar bleibt, wie die Zahlen zustande kommen. Während für Thema: Geschichte die durchwegs ausgereiften Schulbuchfließtexte bezeichnend sind, lässt sich die GO!-Reihe primär durch den Versuch der Individualisierung beschreiben: Das Thema Holocaust wird von vornherein unter der Überschrift „Holocaust, Shoah und Gedenkkultur“ bearbeitet, für Österreich dient die Lebensgeschichte einer österreichischen Jüdin der Aufarbeitung aus einer persönlichen Perspektive. Dazu passend runden mehrere Arbeitsfragen und eine Fotografie diese Art der Aufarbeitung ab.400 GO! 7 ist in Zusammenhang mit der jüdischen Geschichte (für Österreich) zugutezuhalten, dass eine Abkehr von einer reinen Opfergeschichte erfolgt: Auf insgesamt sieben (!) Seiten wird auch die Geschichte der österreichischen Juden nach 1945 aufgearbeitet, was in ähnlicher

397 Zeitbilder 8 (2004), S. 6; vgl. Zeitbilder 7/8 (2006), S. 58f; Zeitbilder 7 (2014), S. 60. Anm.: Die Abschnitte zu diesem Thema unterscheiden sich mitunter durch einige Sätze von einander. vgl. zu „Arisierungen“ auch: Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 67f. Anm.: Im Zusammenhang mit den Enteignungen geben die AutorInnen von Streifzüge durch die Geschichte 7 eine Wertung ab und bezeichnen sie als „beschämend“. 398 Zeitbilder 8 (2004), S. 9. 399 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 189. 400 Vgl. GO! 7 (2013), S. 38.

93 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Form nur für Thema: Geschichte 7 nachzuweisen ist.401

3.2.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Insgesamt ist es sehr schwierig, für diesen Themenbereich NS-Täterschaft von Österreichern Bildquellen in den Schulbüchern zu finden, während eine Darstellung des Holocaust ohne die einzelnen Fotografien, die das unvorstellbare Grauen der Vernichtung bezeugen, nicht mehr möglich wäre – für Österreich bieten sich diese Bilder aber nur zum Teil an. Neben den schon gezeigten Tabellen oder anderen Bildern zu den Kriegsschäden in Österreicher402 findet sich in gestern | heute | morgen 7 auch eine Karte zum Frontverlauf in Österreich am Ende des Krieges oder in Thema: Geschichte 7 eine Tabelle über die „‚Arisierungen‘ und Geschäftsauflösungen in Österreich 1938 – 1940“.403 Herauszuheben ist ein Bild über die Kämpfe in Stalingrad, bei dem in der längeren Bildunterschrift erwähnt wird, dass auch Österreicher an den Kämpfen beteiligt waren: „Stalingrad im Februar 1943. Hier musste die Deutsche Armee – in ihr zahlreiche österreichische Soldaten und Befehlshaber – kapitulieren. […]“404 Explizit auf Österreich weisen für die Judenverfolgung und den Holocaust ebenfalls einige Abbildungen hin: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 zeigt beispielsweise eine „Razzia der SS in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien“405 oder die Fotografie einer „Reibpartie“.406 Zusätzlich dokumentieren Bilder der Deportationen einen Zusammenhang mit Österreich, wenn einst und heute 8 die „Gepäcksverladung im so genannten Judensammellager Wien“ oder Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 den „Abtransport von Sinti und Roma aus Wien-Simmering“ als Bildquelle verwendet.407 Ebenfalls sehr häufig verwendet werden schematische Karten, auf denen europaweit die verschiedenen Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten eingezeichnet sind. Darauf lassen sich in bestimmten Fällen neben Mauthausen auch dessen Nebenlager identifizieren.408 Dazu kommen noch die Fotografien Mauthausen selbst betreffend, in Streifzüge durch die Geschichte 7 wiederum die „Todesstiege“, die auch in Zeitbilder 7 mittels Fotografie dargestellt wird.409 Auch wenn an dieser Stelle im Vergleich zu früheren Jahrzehnten um einiges mehr Bildmaterial vorhanden ist, darf nicht übersehen werden, dass die Darstellungen von Mauthausen usw. zahlenmäßig weit hinter jenen von Auschwitz zurückstehen. Das ergibt sich einerseits aus der Relevanz von Auschwitz als

401 Vgl. GO! 7 (2013), S. 123ff; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 212ff; Demgegenüber stehen die kürzeren Abrisse jüdischer Geschichte und des Antisemitismus ohne Gegenwartsbezug, u.a. in: Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 136f; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 172; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 72. 402 Erneut werden das Karl Klement-Bild oder verschiedene Tabellen mit den Luftangriffen eingesetzt: Aus Geschichte lernen 8 (2002), S. 42. 403 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 134; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 210. 404 einst und heute 8 (2002), S. 76. 405 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 180. 406 Vgl. Ebenda, S. 179. 407 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 74; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 67; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 176. 408 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 175; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 190; Zeitfenster 7 (2012), S. 93. 409 Vgl. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69; Zeitfenster 7 (2012), S. 94.

94 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust eines der Symbole (wenn nicht das Symbol!) für den Holocaust, andererseits aber daraus, dass es schwieriger ist, den Holocaust in Österreich darzustellen, weil er sich praktisch nur durch Mauthausen bildlich manifestiert.410 Eine weitere Möglichkeit, Holocaust darzustellen, erfolgt über die ausdrucksvollen Bilder der Opfer, für die man ebenfalls Österreichbezüge feststellen kann: So findet sich in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 im Kapitel „Die Opfer des Holocaust“ beispielsweise eine ermordete slowenische Familie in Kärnten, die Partisanen unterstützte, oder eine Fotografie von Sidonie Adlersburg, die aufgrund ihrer Abstammung den Pflegeeltern in Steyr weggenommen und in Auschwitz ermordet wurde. Hier werden im Zusammenhang mit dem Holocaust also nicht nur Juden und Jüdinnen, sondern auch die Angehörigen anderer Opfergruppen.411 Ebenfalls in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 findet sich eine Fotografie des Riesenrads im Wiener Prater, durch das mit der Bildunterschrift ein Zusammenhang mit „Arisierungen“ entstehen soll: „1938 wurde das Riesenrad ‚arisiert‘. Insgesamt wurde österreichischen Juden Vermögen im Wert von heute 10,39 Milliarden Euro geraubt.“412 Über ein konkretes Objekt wird in diesem Fall auf die abstrakte Problematik der „Arisierungen“ aufmerksam gemacht und in der Bildunterschrift noch zusätzlich Informationen dazu gegeben. Im Gegensatz dazu ist es wiederum sehr einfach, Akteure des Massenmords wie beispielsweise Adolf Eichmann bildlich darzustellen, weil eine konkrete Person abgebildet werden muss. Die Darstellung Eichmanns in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart als Leiter der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Wien“ ist aber zu hinterfragen, da er auf einem Bild zusammen mit anderen NSDAP-Mitgliedern zu sehen ist und ein Pfeil auf ihn hinweisen muss.413

Als schriftliche Quellen fungieren im Zusammenhang mit österreichischer NS-Täterschaft Zitate von Historikern, beispielsweise der schon behandelte Ausschnitt aus Erika Weinzierls „Die zweite Republik“, in dem eine Opferbilanz gegeben wird.414 Neu ist ein Werkauszug Ernst Hanischs, der sich unter dem Kapitel „Mittäter, Mitläufer, Zuschauer“ mit dem Anteil von Österreichern im „NS- Terrorapparat“ auseinandersetzt:

„Eine österreichische Geschichte muss der schmerzhaften Tatsache ins Auge blicken, dass unsere Landsleute im NS-Terrorapparat überproportional vertreten waren. Ernst Kaltenbrunner, Rechtsanwalt aus Linz, stieg 1943 zum zweiten Mann nach Himmler auf, Adolf Eichmann, in Deutschland geboren, aber in Österreich aufgewachsen, wurde zum Organisator der ‚Endlösung‘, dann seine Mitarbeiter: Anton und Alois Brunner, Franz Stangl und andere mehr. (…) Neben den Gauleiter und neben den Wehrkreiskommandaten trat zunehmend selbstbewusster der ‚Höhere SS- und

410 Natürlich gäbe es die Möglichkeit, verschiedene Nebenlager oder vermehrt Deportationen usw. als Bildquellen zu verwenden, allerdings ist die Entscheidung der Schulbücher, bei einer Darstellung mit Österreichbezug vornehmlich auf Mauthausen zurückzugreifen, aufgrund der Stellung des Konzentrationslagers als österreichischer Gedächtnisort durchaus verständlich und nachvollziehbar. 411 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 176f. 412 Ebenda, S. 174. 413 Vgl. Ebenda, S. 177. 414 Aus Geschichte lernen 8 (2002), S. 42.

95 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Polizeiführer (HSSPF)‘ als eigenständiger Machtträger. Ihm unterstanden Polizei, Gestapo, Sicherheitsdienst, zivile SS und Waffen-SS. (…) In dieser Position wirkten überproportional viele Österreicher. Von 47 HSSPF im deutschen Machtbereich stammten 9 (= 20 %) aus Österreich.“415

Hanisch wird auch in Thema: Geschichte 7 im Arbeitsteil „Österreich: Opfer oder Täter?“ zitiert, wie für Schindlbauers Schulbuch typisch in einem sehr langen Zitat, das unter anderem auch das gerade gezeigte miteinschließt.416 Ebenfalls im Quellenteil wird in der aktuellsten Zeitbilder 7-Ausgabe auf die vielen an Verbrechen beteiligten Österreicher eingegangen, in diesem Fall wird Thomas Albrich zitiert:

„Österreicher waren prominent und in großer Zahl an den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt und trugen entscheidend zur Durchführung des Massenmordes an den Juden bei. Neben Adolf Hitler und Adolf Eichmann, dem in Linz aufgewachsenen Organisator der ‚Endlösung‘, waren mit Ernst Kaltenbrunner, seit 1943 (…) zweiter Mann hinter Heinrich Himmler, oder mit Odilo Globocnik, (…) dem die Vernichtungslager Treblinka, Sobibor und Belzec unterstanden, weitere Österreicher Hauptverantwortliche der ‚Endlösung‘ (…) Laut Simon Wiesenthal [der viele Nazi-Verbrecher in der Nachkriegszeit aufspürte, Anm. D.H.] stammten 40 Prozent des Personals und drei Viertel der Kommandanten der Vernichtungslager aus Österreich. Auch die drei Kommandanten des Ghettos Theresienstadt (…) stammten aus Österreich. Österreicher organisierten auch aus ganz Europa die Deportationen der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager: 80 Prozent der ‚Eichmann-Männer‘ waren Österreicher (…) Auffallend viele Österreicher waren als Mitglieder der ‚SS Einsatzgruppen‘ an Massenerschießungen von Juden und nichtjüdischen Zivilisten im Rückraum der Ostfront beteiligt (…) Nach Simon Wiesenthals Schätzung sind Österreicher für die Ermordung von mindestens 3 Millionen Juden direkt verantwortlich (…).“417

Hier erkennt man sehr deutlich, dass sich die Themengebiete „Österreich und Österreicher im Zweiten Weltkrieg“ bzw. „Österreichische Beteiligungen an Kriegsverbrechen und am Holocaust“ nicht eindeutig trennen lassen. Entscheidend ist aber grundsätzlich die Behandlung österreichischer Täter in diesem Kontext. Für den Holocaust selbst gibt es ausgesprochen viele und umfangreiche Quellen – Augenzeugenberichte von Opfern und anderen Beteiligten, Berichte, Protokolle, Reden oder Briefe –, die aber nur in den seltensten Fällen einen Zusammenhang mit Österreich erkennen lassen: So legt das Schulbuch Durch die Vergangenheit zur Gegenwart, für das schon vermehrt Bildquellen mit Österreichbezug nachgewiesen wurden, unter anderem einen Zeitungsbericht aus dem Amstettner Anzeiger von 1941 vor, in dem die Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht wird, dass sich ein Jude in der Gemeinde befinde („Der am 30. Oktober 1918 getaufte […] war vor seiner Taufe mosaischer Religion, woraus sich zwingend ergibt, dass er Jude ist, denn die Taufe ändert ja nichts an seiner Rasse.“418). Im selben Buch findet sich ein Brief einer Frau aus dem Bezirk Mistelbach (Niederösterreich) an Gauleiter Bürckel, in dem diese als „Nichtarierin“ um eine

415 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69. 416 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 209. 417 Zeitbilder 7 (2014), S. 106. 418 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 178.

96 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

Aufenthaltsgenehmigung ansucht.419 Neben diesen Primärquellen finden sich im Zusammenhang mit Holocaust in Österreich auch Zitate aus Sekundärliteratur, die in unterschiedlicher Form eingesetzt werden können. So gibt es beispielsweise – erneut in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 – einen Auszug aus einem nicht näher genannten Werk des österreichischen Historikers Jonny Moser, in der eine Bilanz der Judenvernichtung in Bezug auf Österreich gezogen wird. Daneben wird ein Zitat Gerhard Milchrams verwendet, um im Zuge des „Anschluss“-Pogroms auf die Mittäterschaft der Österreicher und Österreicherinnen einzugehen:

„Der ‚Anschluss‘-Pogrom: Die Juden Österreichs waren während der ersten Wochen nach dem ‚Anschluss‘ gleichsam vogelfrei. Hass, Herrenmenschendünkel, Neid und jahrzehntelanger ‚salonfähiger‘ Antisemitismus brachen in Form von Sadismus, Brutalität und einer mittelalterlich anmutenden ‚Judenhatz‘ aus. Mangelnde Zivilcourage, Feigheit sowie weitgehendes Einverständnis mit den zügellosen antisemitischen Ausschreitungen ließen auch viele Österreicher, die keine Nazis waren, zu passiven Komplizen des NS-Regimes werden, die vielleicht mit den Misshandlungen ihrer jüdischen Mitbürger angewidert wegschauten, aber keinen Protest dagegen erhoben. Besonders entmutigend war es für die Opfer, wenn selbst langjährige Nachbarn und Bekannte Initiatoren oder Zuschauer dieser Exzesse waren.“420

Hier wird auch deutlich, dass die Grenzen der Unterscheidung zwischen NS-Täterschaft und Holocaust in Österreich teilweise verschwimmen. Das lässt sich auch für ein Zitat von Ernst Hanisch in Streifzüge durch die Geschichte 7 nachweisen, in dem vom KZ Mauthausen und in weiterer Folge von der sogenannten „Hasenjagd“ die Rede ist:

„Das alles [= die Verfolgung und Vernichtung der Juden] geschah nicht irgendwo im Osten, sondern hierzulande [= in Österreich] (…) Und in den letzten Monaten des Regimes machte man sich nicht einmal mehr die Mühe der Geheimhaltung. Jene Todesmärsche gemarterter, verhungernder Juden von Ostösterreich ins Landesinnere, wo die Leichen der Erschöpften und Erschossenen die Straßenränder übersäten, fanden offen vor aller Augen statt. (…) Die Bevölkerung sah nicht nur zu, sie wirkte teilweise bei der Verfolgung mit. Als am 3. Februar 1945 an die 500 Sowjetoffiziere aus Mauthausen ausbrachen, erfasste die Mühlviertler Bevölkerung ein kollektiver Blutrausch. Angst, Aggression und Mordlust mischten sich, und es begann jene ‚Hasenjagd‘, in welcher der Mensch zum Tier erklärt und unerbittlich gejagt wurde.“421

Auch an dieser Stelle werden die Auszüge aus den Werken verschiedener Historiker verwendet, um Sachverhalte möglichst pointiert und teilweise mit Wertungen darlegen zu können. Im Kontext von Holocaust ist allgemein zu bemerken, dass die Sprache des Schulbuches Schwierigkeiten damit hat, die Grausamkeiten des NS-Regimes darzustellen – was adäquat ohnehin nicht möglich ist. Dennoch verweisen die Lehrbücher in solchen Fällen besonders häufig auf historische Publikationen, die

419 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 180. 420 Ebenda, S. 179. 421 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69.

97 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust teilweise sehr ausdrucksstarke Formulierungen zur Beschreibung der Verbrechen verwenden.422

Klar festzustellen ist, dass die Arbeitsaufträge zum Thema nicht mit den teilweise doch sehr kritischen Schulbuchfließtexten oder Quellenausschnitten mithalten können. Während sich diese sehr deutlich und intensiv mit österreichischer Täterschaft und Mitverantwortung auseinandersetzen, handelt es sich bei den Fragen häufig nur um reine Wiederholungsfragen („1. Welche Folgen hatte die NS-Herrschaft für Österreich? 2. Wie verlief die Staatsgründung 1945, wie 1918? Welche Unterschiede gab es? 3. Projekt: Das Jahr 1945 im Heimatbundesland.“).423 Einst und heute 8 bietet zum Thema Zwangsarbeit eine Anregung, die zwar einigen Zündstoff bieten würde, allerdings mit erheblicher Sachkenntnis verbunden sein müsste: „Diskutieren Sie folgende Aussage: ‚Österreich verdankt seinen Reichtum und den wirtschaftlichen Aufschwung den Zwangsarbeitern aus der NS-Zeit.‘“424 Leichter zu diskutieren ist meiner Meinung nach die Arbeitsanregung in Streifzüge durch die Geschichte 7, weil sie nicht ganz so spezifisch ist: „‚Moralisch gesprochen waren die meisten Zeitgenossen weder Täter noch Opfer, sondern Zuschauer und als solche mit der Schuld der Gleichgültigkeit behaftet.‘ Setzen Sie sich mit diesem Ausspruch Hermann Brochs kritisch auseinander.“425 Was hierbei allerdings fehlt, sind zusätzliche Informationen darüber, wer Hermann Broch ist und so sollen die Schüler die Aussage eines anonymen Menschen analysieren. Diese beiden Diskussionsanregungen sind die einzigen Arbeitsfragen, die sich mit der Täterrolle Österreichs im Kontext des Krieges auseinandersetzen und es fällt auf, dass sich die Schulbücher hier mit eigens formulierten Thesen zurückhalten: Im ersten gezeigten Beispiel soll „folgende Aussage“ analysiert werden (woher sie entnommen ist bzw. ob sie in dieser Form überhaupt getätigt worden ist, ist nicht ersichtlich), im zweiten Beispiel hält sich das Schulbuch an Hermann Broch. Von den Schwierigkeiten einer Opfer-Täter-Rollenzuschreibung bzw. den Schwierigkeiten, diese zu konstruieren, ist keine Rede, auch wenn hier durchaus Potential für gewinnbringende Diskussionsanregungen mit kontroversen Anknüpfungspunkten durchaus vorhanden wäre. Dass dies so ist wie gezeigt, hat meiner Meinung nach zumindest zwei Gründe: Zum einen finden sich weiterführende Fragen zum Thema noch in mehreren Kapiteln (wie auch für den Anschluss gezeigt) und zum anderen handelt es sich bei den Überlegungen zur österreichischen NS- Täterschaft nur schwerlich um punktuell abprüfbaren Prüfungsstoff, weshalb sich viele Schulbücher lediglich auf Stoffsicherungsfragen beschränken. Dafür bietet einst und heute 7 in Zusammenhang mit dem Holocaust „Zur Wiederholung und Vertiefung“ das Thema „Judenverfolgungen in meiner näheren Heimat“426 an, das aber nicht als Prüfungsfrage dienen soll. Im Folgeband findet sich sich diesbezüglich unter „Zur Wiederholung und Vertiefung“ wieder eine Prüfungsfrage: „3. Was wissen Sie über die Judenverfolgung in Österreich

422 Erwähnt sei ein Beispiel ohne Österreichbezug aus Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 38.: Hier wird aus Wolfang Benz‘ Werk „Holocaust“ zitiert, das mitunter drastische Worte findet. 423 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 134. 424 einst und heute 8 (2002), S. 73. 425 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 69. 426 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 145.

98 Schulbuchanalyse | Österreichische NS-Täter und Holocaust

(Diskriminierung, Pogrome, Vertreibungen, Enteignungen, Vernichtungslager)?“427 Wesentlich mehr Diskussionsbedarf benötigen die Fragen aus Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7, die sich mit verschiedenen Aspekten auseinandersetzen:

„Was sagt der Ausdruck ‚Schreibtischtäter‘ aus? Warum haben einfache Soldaten in den eroberten Gebieten nicht so menschlich reagiert, wie sie es zu Hause getan hätten? Forsche nach Opfern in deinem Ort, deiner Umgebung! Kennst du Denkmäler, Aufschriften etc., wo an Vertriebene, Opfer erinnert wird?“428

Was bei der letzten Frage erneut auffällt, ist das Fehlen der Information, wie die Schülerinnen und Schüler „forschen“ sollen – sollen sie ins Archiv, eine Befragung durchführen oder anderweitig Informationen beschaffen? Aufgaben dieser Art sind schnell gestellt, allerdings fehlen häufig grundlegende Hilfsangebote an die Schülerinnen und Schüler, auf welche Weise jene zu erledigen sind. Ohne Österreichbezug, dafür für eine Fragestellung rund um den Umgang mit Vergangenheit interessant, ist eine weitere Arbeitsfrage aus Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7:

„Wodurch versuchten manche der Opfer der Verfolgung zu entkommen? Was versuchen Zeitzeugen den Zuhörern zu vermitteln? Wie sollen wir mit dem Unrecht in der jüngsten Vergangenheit umgehen?“429

Hier wird einerseits auf die Funktion von Zeitzeugen eingegangen, andererseits werden die Schülerinnen und Schüler im Kollektiv mit den AutorInnen („wir“) angesprochen, wie mit begangenem Unrecht umgegangen werden soll. Thema: Geschichte 7 bietet die Anregung zu einer genaueren Beschäftigung mit der NS- Euthanasieanstalt Hartheim bei Linz und stellt auf diese Art und Weise einen Bezug zu Österreich her. Die Ergebnisse sollen dabei per Gruppenreferat oder einer „Wandzeitung“ dargestellt werden. Obwohl von Euthanasie im Fließtext die Rede ist, wird mit dieser Arbeitsfrage kein prüfbares Stoffkapitel herausgehoben, sondern zusätzliche Information auf der Inhaltsebene praktisch ausgelagert, weil es von den Schülerinnen und Schülern selbst erarbeitet werden muss.430 Einen völlig anderen Weg, wie mit dem Thema Holocaust insgesamt umgegangen werden kann, bietet einst und heute 7, das im Kapitel „Sieg der Unmenschlichkeit“ insgesamt fünf (!) Quellen lediglich mit einer kurzen Einleitung bestückt, um am Ende folgende Arbeitsfrage zu stellen: „In diesem Abschnitt wurde bewusst darauf verzichtet, Arbeitsfragen zu stellen. Welche Fragen drängen sich Ihnen in diesem Zusammenhang auf?“431 Es gibt also außer der Anmerkung, ob sich Fragen

427 einst und heute 8 (2002), S. 106. 428 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 177. 429 Ebenda, S. 180. 430 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 191. 431 einst und heute 7 (2001), S. 141; auch bei: Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 38.

99 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand aufdrängen, nichts, was die Quellen gewissermaßen abschließt. Das lässt für den Unterricht zwar entsprechend viel Freiraum, um individuell auf einzelne Schülerfragen einzugehen, erweckt aber auch den Anschein, man hätte nicht genau gewusst, wie sonst mit den Quellen umgegangen werden soll. GO! 7 dagegen setzt sich mit der Erinnerung an die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 in Bezug auf die Ausgrenzung und spätere Vernichtung der jüdischen Bevölkerung auseinander und fragt explizit, warum diese auch für die österreichische Gesellschaft bedeutend ist:

„Weswegen ist es notwendig, sich immer an die in den Zeittafeln genannten Fakten [= chronologische Ereigniskette von 1933-1945 in Bezug auf Holocaust, Anm. D.H.] zu erinnern? Finden sie zwei für Sie überzeugende Gründe. Diskutieren Sie im Plenum, ob bzw. weshalb auch für die österreichische Gesellschaft die Erinnerung an die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 wichtig ist.“432

Durch dieses Beispiel wird verständlich, warum das Kapitel nicht nur den Holocaust selbst, sondern „Holocaust, Shoah und Gedenkkultur“ vereint: Nicht nur die einzelnen Schritte zur Vernichtung in den Gaskammern werden behandelt, sondern auch der Umgang mit der Erinnerung daran selbst. Dieser wird bewusst durch das Zitat Jan Philipp Reemtsmas („Erinnern per se für etwas Gutes zu halten ist Unsinn.“) hinterfragt. Den Abschluss bildet noch der Hinweis auf die von GO! 7 versuchte Individualisierung im Kontext des Holocaust in Österreich: Für den Fließtextteil wurde schon angesprochen, dass das Schulbuch mittels der Lebensgeschichte einer jüdischen Frau, die vertrieben wurde, eine persönliche Sichtweise einbringt. Diese setzt sich auch in der folgenden Arbeitsfrage fort, wo es heißt: „Betrachten Sie das Foto und lesen sie nochmals die Aussagen der Zeitzeugin Jehudith Hübner/Jessy Winkler über die geplante Ausreise. Erklären Sie, warum es Hübner schwerfällt, über den Abschied von ihrer Schwester zu sprechen.“433 Eine solche Individualisierung ist aber einzigartig für GO!, sie findet sich in dieser Form in keinem anderen Schulbuch wieder. GO! durchbricht auf diese Art und Weise die oftmals sehr distanziert gehaltene Beschäftigung mit dem Holocaust, versucht aber auch, dies nicht über reine „Betroffenheitspädagogik“ zu tun, indem es bewusst nach Erklärungsmustern (wie in der Arbeitsanregung ersichtlich) fragt.

3.3 Der österreichische Widerstand

Schon sehr früh taucht im Schulbuch die Behandlung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus auf und bleibt dabei bis heute ein durchgängig behandeltes Thema. Gesamt gesehen muss vorangestellt werden, dass österreichischer Widerstand häufig eigens behandelt bzw. vom gesamteuropäischen Widerstand abgegrenzt wurde und wird. Das hat zur Folge, dass es in diesen Fällen eigene Kapitel oder Unterkapitel gibt, die sich ausschließlich mit einem genuin österreichischen

432 GO! 7 (2013), S. 39. 433 Ebenda, S. 38.

100 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Widerstand auseinandersetzen. Im Folgenden soll die Darstellung österreichischen Widerstands analysiert werden, wobei aus Platzgründen, nur wenn es angebracht erscheint, auf deutschen oder europäischen Widerstand eingegangen wird. Ein Aspekt, der für die Gesamtbewertung des Forschungsvorhabens relevant erscheint, ist, wie viel Raum Widerstand im Vergleich zur Täterschaft von Österreicherinnen und Österreichern im Schulbuch einnimmt. Der Hauptaspekt in der Betrachtung liegt in diesem Kapitel sowohl auf der Text- sowie auf der Bildebene, wobei gezeigt werden soll, welche bildlichen Ikonen des österreichischen Widerstands im Schulbuch über die Jahre gesehen auftauchen. Eine weitere Vorbemerkung ergibt sich aus der Fülle des gefundenen Materials: Wenn im Laufe der Zeit dieselben Quellenzitate oder Bilder verwendet werden (insbesondere in den einzelnen Schulbuchreihen), gibt es im Vergleich zu den anderen Untersuchungsaspekten deutlich mehr Themen, auf die eingegangen werden kann.

3.3.1 Die 50er- und 60er-Jahre Wie erwähnt lassen sich Widerstandsaktionen gegen das Dritte Reich schon seit den ersten untersuchten Schulbüchern nachweisen und das typischerweise in der ebenfalls schon in der Einführung vorausgeschickten Ordnung: Widerstand der Deutschen und Widerstand der Österreicher wird klar getrennt, in Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der Mittelschulen von 1956 in verschiedenen Kapiteln:

„Die Reihe von Niederlagen, die Deutschland erlitten hatte, die ununterbrochene Kette von Gewalttaten, durch die sich die nationalsozialistische Partei zu behaupten suchte, erweckte auch in Deutschland Widerstand. Ein Kreis von Männern, unter denen sich auch hohe Offiziere befanden, faßten den Plan, Hitler zu beseitigen und die nationalsozialistische Regierung zu stürzen, um dann zum Frieden zu gelangen. Das Attentat vom 20. Juli 1944 mißlang, und zahlreiche Hinrichtungen vernichteten jeden Widerstand. […].“434

An diesem Ausschnitt, der den deutschen Widerstand behandelt (Kapitel: „Das Ende des Krieges in Europa“), lässt sich mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 ein Element nachweisen, das durchgängig (!) in den Schulbüchern, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus inhaltlich ausführen, enthalten ist. Dass mit dem „Stauffenberg-Attentat“ auch eine Querverbindung zwischen österreichischem und deutschem Widerstand hergestellt wird, kommt dagegen nur in wenigen Schulbüchern vor. Für Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der Mittelschulen gilt zudem, dass neben dem deutschen „internationaler“ Widerstand in Form von Partisanenkrieg in den besetzten Gebieten erläutert wird.435 Österreichischer Widerstand wird im genannten Schulbuch aber nicht an zentraler Stelle erwähnt, wenn von der „Lage nach dem Krieg“ (Kapitelüberschrift) die Rede ist:

„[…] Österreicher hatten als Soldaten der deutschen Wehrmacht für die maßlosen

434 Lehrbuch der Geschichte (1956), S. 155. 435 Vgl. Ebenda, S. 154.

101 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Eroberungsziele Hitlers kämpfen müssen. Aber die immer häufiger in den Straßen Wiens affichierten Plakate mit den Namen der wegen ‚Hochverrats‘ Hingerichteten und die Transporte, die in die Konzentrationslager gingen, zeigten den wachsenden Widerstand gegen die Gewaltherrschaft.“436

Widerstand unter dem Kapitel der Beschreibung der Nachkriegslage zu behandeln erscheint auf den ersten Blick befremdlich, allerdings muss berücksichtigt werden, dass Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der Mittelschulen auf den letzten Buchseiten – und auf diesen werden aus chronologischen Gründen Weltkrieg und Nachkriegsjahre in aller Kürze behandelt – sehr gestrafft und insgesamt gesehen nur wenig systematisch Inhalte vermittelt. Auch wenn dies unter Umständen die Kapiteleinteilung für den behandelten Zeitraum ad absurdum führt, wird deutlich, dass die Behandlung des österreichischen Widerstands (zumindest in den 50er-Jahren) einen anderen Daseinszweck im Schulbuch erfüllt als jene des deutschen oder internationalen Widerstands. Denn während das Attentat vom 20. Juli 1944 thematisch im Kontext des Krieges selbst behandelt wird, erfolgt die Erwähnung eines österreichischen Widerstands erst im Rahmen des wiedererstandenen Österreichs. Interessanterweise wird das Widerstandsthema im Folgebuch aus dem Jahre 1965 allerdings nicht mehr aufgegriffen.

3.3.2 Die 70er-Jahre

3.3.2.1 Inhalt Während ich für mein verwendetes Buch aus den 1960ern keine Textstellen zum Widerstand nachweisen konnte, finden sich in den 70ern dafür außerordentlich viele unterschiedliche – was sich auch in den nächsten Jahrzehnten fortsetzt. Umstritten bleibt ebenfalls kontinuierlich für alle Untersuchungszeiträume die Einschätzung des Widerstandes bzw. darüber, welchen Beitrag Widerstand letztlich zur Verkürzung des Krieges leisten konnte. Zeitgeschichte aus dem Jahr 1972 äußert sich dazu in Zusammenhang mit allgemeinem europäischem Widerstand folgendermaßen: „Die Ausschaltung der Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und in den besetzten Gebieten führte in ganz Europa zur Bildung von Widerstandsbewegungen, die zweifellos einen wesentlichen Beitrag zur Kriegsverkürzung geleistet haben.“437 Gleichzeitig ist dieser Ausschnitt ein gutes Beispiel dafür, wie sehr Schulbücher verallgemeinern und verkürzen, um Sachverhalte in einem für die in sich kohärenten Lehrbuchtexte logischen Zusammenhang darzustellen. Das Ergebnis ist – wie in diesem Fall – häufig eine klare und unmissverständliche Folgerung, die den Schülerinnen und Schülern als unfehlbare Tatsache („zweifellos“) präsentiert wird. Ansprechender als diese allgemein gehaltenen Aussagen sind allerdings die Passagen, in denen ein Österreichbezug vorherrscht. So gibt Zeitgeschichte unter dem Kapitel „Der österreichische Widerstand gegen den Hitlerstaat“ einen Überblick über die Entstehung des Widerstands in Österreich

436 Lehrbuch der Geschichte (1956), S. 157. 437 Zeitgeschichte (1972), S. 101.

102 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand und einzelne Aktionen:

„Unter dem Druck der scheinbar hoffnungslosen Lage ihrer Heimat resignierten viele Österreicher und versuchten, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Gleichzeitig kam es jedoch bereits zur Bildung der ersten Widerstandsgruppen. Diese wurden von Anhängern verschiedener Anschauungen gebildet. Die schon lange illegal arbeitenden Sozialdemokraten und Kommunisten waren dabei besonders erfahren, während die Katholiken oder die Anhänger des Ständestaates ebenso wie die Monarchisten ungeübt in den Widerstand gingen. Selbst enttäuschte Nationale schlossen sich zu verbotenen Gruppen zusammen. In Flugblatt- und Schmieraktionen protestierten sie alle gegen die widerrechtliche Eingliederung Österreichs ins Dritte Reich.“438

Der Fließtextauszug stellt den resignierenden Österreichern die Gruppe der Widerstandskämpfer entgegen, wobei weder die eine noch die andere Gruppe zahlenmäßig genauer definiert wird. Die Widerstandskämpfer sind dafür sprachlich ausdifferenziert und in verschiedene Gruppen unterteilt. Allerdings suggeriert der Ausschnitt mitunter, die Gruppen hätten gemeinsam an einem Strang gezogen, weil sie „alle gegen die widerrechtliche Eingliederung Österreichs ins Dritte Reich“ protestierten, was so nicht der Fall war. Auf der nächsten Seite geht Zeitgeschichte darauf ein, warum die Widerstandsgruppen unter sehr hohen Verhaftungszahlen litten und wie jene darauf reagierten. Auf die Verhaftungswellen reagierend „begann seit dem Herbst 1944, wie in den anderen politischen Lagern des ‚verbotenen Österreich‘, ein allmähliches Sammeln neuer Kräfte.“439 Die Beschreibungen der ersten Erfahrungen verschiedener NS-Gegner sowie die Bildung einzelner Gruppen werden nicht selten in Verbindung mit der verebbenden „Anschluss“-Euphorie gestellt.440 Ähnliche Gründe werden bei Zeiten, Völker und Kulturen genannt, hier ist es besonders die Wiederherstellung der Unabhängigkeit, die Widerstandskämpfer antreibt:

„In Österreich gab es seit der Okkupation Widerstandskämpfer aus allen politischen Lagern und gesellschaftlichen Schichten. Sie strebten vor allem nach der Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Landes, dessen historischer Name durch die Bezeichnung ‚Ostmark‘ ersetzt worden war. Später hatte Hitler den Namen ‚Alpen- und Donaureichsgaue‘ für das ehemalige Österreich bestimmt, um jede Erinnerung an die Einheit des Landes auszulöschen. Aber das Gegenteil von seiner Absicht trat ein: Hatten sich auch vor dem ‚Anschluß‘ viele Menschen verbittert vom politischen Leben zurückgezogen und wenig Interesse an dem Staat gezeigt, ‚den keiner wollte‘, so opferten nun Unzählige ihr Leben und ihre Gesundheit für die Wiederherstellung dieses Staates.“441

Auffällig hierbei wiederum die Vagheit in den Zahl- und Mengenangaben („viele“, „Unzählige“) und der Hinweis darauf, dass Widerstandkämpfer sich keinem einzelnen politischen Lager bzw. keinen

438 Zeitgeschichte (1972), S. 103. 439 Ebenda, S. 104. 440 Vgl. Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83. 441 Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 121.

103 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand bestimmten gesellschaftlichen Schichten zuordnen lassen.442 Generell lassen vor allem ältere Schulbuchtexte die Anzahl der Widerstandskämpfer (und somit die Bedeutung des Widerstandskampfes in Österreich) mitunter höher wirken, indem vermieden wird, von ihnen als eine Minderheit zu sprechen. Im obigen Textausschnitt sind die desinteressierten Menschen, die sich aus dem politischen Leben zurückziehen (und potenzielle Mitläufer sind), „viele“, weit mehr – nämlich „unzählige“ – sind aber die Widerstandskämpfer. Durch diese indefiniten Zahlwörter hebt das Schulbuch Widerstandkämpfer quantitativ im Vergleich zu den indifferent gebliebenen Menschen (was es nun wirklich bedeutet, „sich aus dem politischen Leben zurückzuziehen“, erscheint ebenfalls sehr vage) eindeutig hervor. Andere Gründe, die in den 70er-Jahren für die Gründung österreichischer Widerstandsgruppen genannt werden, sind beispielsweise die „Erkenntnis der Notwendigkeit des persönlichen Einsatzes im Kampf gegen das bestehende Unrecht“ bzw. das „Engagement im Widerstand gegen einen sie alle gleichermaßen bedrohenden Gegner“.443 Zentral in der Argumentation des Schulbuchs bleibt auch in weiterer Folge noch der Erhalt oder die Wiedererrichtung von Österreich: „Gerade das Streben nach der Einheit und nach der Selbstständigkeit Österreichs blieb das einigende Leitmotiv für die Widerstandsaktionen.“444 Probleme in der Gründung solcher Gruppen sowie der Durchführung einzelner Aktionen bleibt durchgängig der faschistische Überwachungsstaat in all seinen Ausführungen: Genannt werden hier Überwachung, Spitzelwesen, das „Heimtückegesetz“ oder generell die GESTAPO. Dazu kommt durch die Geheimhaltung der Prozesse gegen Regimegegner auch eine erhöhte Unsicherheit in der Bevölkerung, die sich positiv für den Machterhalt des nationalsozialistischen Systems auswirkt.445 Herauszuheben sind in diesem Zusammenhang noch einmal die Probleme des Widerstands in der deutschen Wehrmacht, die aufgrund der Tatsache, dass österreichische Soldaten auf verschiedene Einheiten aufgeteilt wurden, dafür sorgen, dass Aktionen innerhalb der Wehrmacht schon im Vorhinein unterbunden werden.446 Genauer wird dann auf einzelne Aktionen des Widerstands und seine Methoden eingegangen. Zeitgeschichte, das sich besonders ausführlich mit rein österreichischem Widerstand auseinandersetzt, nennt beispielsweise das Free Austria Movement (FAM) im Ausland oder die Versuche Otto Habsburgs, „in Amerika für Österreich Stimmung zu machen und Einfluß auf maßgebliche Personen,

442 Selbiges gilt im Übrigen auf für die Mitglieder der NSDAP, worauf – zumindest in diesem Schulbuch – nicht verwiesen wird. Nationalsozialisten bleiben sehr oft eine gesichtslose anonyme Menschenmenge, die nicht näher definiert ist – vor allem deshalb, weil es in der Schulbuchdiktion lange keine österreichischen Nationalsozialisten gibt, die man näher beleuchten müsste (Vergleiche dazu das Analysekapitel über den „Anschluss“). 443 Zeitgeschichte (1972), S. 103. 444 Zeitgeschichte (1972), S: 104; ähnlich auch bei: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83. 445 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 103; Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83. 446 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 103.

104 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

447 wie z. B. ROOSEVELT, zu gewinnen.“ Detailliert wird auch über Organisationsstrukturen, Mitglieder bzw. die Verortung einzelner Gruppen gesprochen, wobei in diesem Zusammenhang auf Zahlen erstmals eingegangen wird:

„Auch in den Bundesländern hatten sich bewaffnete Widerstandsgruppen entwickelt. So trat im Herbst 1944 im Salzkammergut eine ‚gemischte politische‘ Gruppe um den KZ- Flüchtling PLISEIS [eigentlich Plieseis, Anm. D.H.] auf. Durch den Zusammenschluß mit anderen Gruppen im Spätherbst 1944 verfügte das Salzkammergut über eine geschlossene ‚Talnetzorganisation‘ mit vielen Stützpunkten. Hier errichteten die Widerstandskämpfer Schlupfwinkel für geflüchtete Kriegsgefangene, politisch Verfolgte und KZ-Flüchtlinge. Die ‚Partisanengruppe‘ Salzkammergut umfaßte gegen Kriegsende rund 500 Personen. Diese Organisation verhinderte die Vernichtung wertvollster Kunstgegenstände, die im Altausseer Bergwerk und im Gosauer Erbstollen deponiert worden waren und durch die NS-Machthaber in die Luft gesprengt werden sollten. Anfang Mai 1945 gliederte sich die ‚Partisanengruppe Salzkammergut‘ in die ‚Österreichische Freiheitsbewegung‘ ein, welche die Aufgabe übernommen hatte, bis zur endgültigen Befreiung dieses Gebietes durch die amerikanischen Truppen die Ordnung aufrecht zu erhalten. Auch in Tirol waren verschiedene Widerstandsgruppen tätig, zu denen im September 1944 eine Gruppe der O5 um MOLDEN stieß. Allmählich konnten sie ihre Stellung ausbauen und die Widerstandskämpfer um den späteren Außenminister der Zweiten Republik, GRUBER, in ihren Reihen aufnehmen. In der Steiermark und in Kärnten kam es gegen Kriegsende im Raum der Koralpe zu größeren Kämpfen mit Truppenteilen der Wehrmacht. Verbindungen dieser Widerstandsgruppen gingen auch zu den illegalen Sozialisten um 448 SCHÄRF und SL AV I K .“

Die am häufigsten erwähnte Widerstandsgruppe ist O5, deren Wirken auch als am bedeutendsten eingeschätzt wird.449 Das geht so weit, dass andere Gruppen – außer in Zeitgeschichte, das auch aktuelle Schulbücher, was den Umgang mit Widerstand betrifft, rein quantitativ teilweise bei weitem übertrifft – nicht selten unerwähnt bleiben und sich die Fließtexte dafür sehr stark auf die Widerstandsbewegung in Ostösterreich beziehen. Dies ist insofern verständlich, als dass einerseits besonders die in älteren Schulbüchern salbungsvoll dargestellte „Schlacht um Wien“ in Zusammenhang mit O5 steht und andererseits die Schilderung der letzten Kriegsmonate und der Nachkriegsperiode bis auf wenige Ausnahmen insgesamt sehr Wien-zentriert erfolgt. In ihrer Bedeutung für das Nachkriegsösterreich werden die Widerstandsgruppen – auch hier allen voran O5 – in manchen Schulbüchern aber überschätzt, wenn es beispielsweise heißt, O5 hätte die Bildung politischer Gruppen beschleunigt, aus denen die heutigen Parteien hervorgingen.450 Im Gegensatz dazu konstatieren andere Lehrbücher, die Mitglieder der Widerstandsorganisationen seien von der politischen Mitbestimmung oder der Regierungsbildung weitestgehend ausgeschlossen gewesen – was viel eher der Realität entspricht. Westösterreich kommt in Zusammenhang mit Widerstand weniger häufig vor – obiger Textausschnitt aus Zeitgeschichte ist vielmehr Ausnahme als Regel und der starken

447 Zeitgeschichte (1972), S. 104. 448 Ebenda, S. 104f. 449 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 104; Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83; Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 186; Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 121. 450 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 104/105.

105 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Konzentration auf Widerstand in diesem Buch geschuldet. Wenn andere Bundesländer erwähnt werden, dann in erster Linie Tirol (und die Befreiung Innsbrucks) oder Kärnten bzw. seltener Salzburg und Oberösterreich. Die von mir anfangs erwähnte Fokussierung auf das „Stauffenberg-Attentat“ kann im Schulbuch auch mit einem Österreichbezug erfolgen, genauer wird darauf aber noch nicht eingegangen.451 Erwähnenswert ist in Zusammenhang mit der Bedeutung des Widerstands auch, dass während der 70er-Jahre noch nicht alle Quellen aufgearbeitet worden waren, um wirklich genaue Zahlen zu Opfern unter den Widerstandskämpfern geben zu können. Während dies Zeitgeschichte mit dem Verweis auf das „nur unzureichend vorhandene Aktenmaterial“ erwähnt (geschätzt werden hier „einige Tausend“ Todesopfer),452 gibt Zeiten, Völker und Kulturen eine Schätzung von insgesamt 100.000 Österreichern, die in KZs und Gefängnissen gestorben sind, ab.453 Von 100.000 toten österreichischen Widerstandskämpfern kann aber nicht die Rede sein. Geschichte und Sozialkunde von 1975 gibt keine Gesamtzahl, sondern erwähnt lediglich die „mehr als 1.200 Todesurteile“ im Wiener Landesgericht, womit zwar wieder eine Fokussierung auf Wien erfolgt, aber keine Schlüsse auf weitere Opfer gezogen werden können.454 Für die moralische Aufbauarbeit nach 1945 enorm wichtig war die Moskauer Deklaration, die auch im Zusammenhang mit Widerstand eine Rolle spielt. In ihr wird schließlich erwähnt, dass die Bestrebungen des Landes, „wieviel es selbst zu seiner Befreiung beigetragen haben wird“, von den Alliierten genau beobachtet werden. Während die Moskauer Deklaration insbesondere für den Opfermythos relevant ist, werden in den Schulbuchnarrativen die Zusammenhänge mit dem Widerstand ebenfalls deutlich:

„Gegen Kriegsende gingen einige von ihnen [= einige der Widerstandsgruppen, Anm. D.H.] in der Steiermark und in Kärnten, in Wien wie in Innsbruck zu offenem Kampf über. Auf sie konnte später die österreichische Regierung verweisen, wenn die Alliierten nach dem Beitrag fragten, den Österreich selbst zu seiner Befreiung geleistet habe. Eine solche Bedingung war von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien schon 1943 gestellt worden, als diese drei Mächte in der ‚Moskauer Deklaration‘ den Anschluß für nichtig erklärten und sich für die Wiederherstellung Österreichs nach dem Kriege verbürgten.“455

An dieser Stelle wird deutlich, aus welchem Grund der österreichische Widerstand gegen die NS- Gewaltherrschaft dermaßen ausführlich geschildert wird: Er dient der Rechtfertigung einer Interpretation der Moskauer Deklaration; demnach hätte es in Österreich eine breite Opposition gegen Hitler-Deutschland gegeben. Richtigerweise betont der Ausschnitt, dass sich besonders die österreichischen Regierungen nach 1945 stark auf die Verdienste des Widerstands berufen, um den

451 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 105; Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 121. 452 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 104. 453 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 123. 454 Vgl. Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 186. 455 Ebenda, S. 186.

106 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Nachkriegsnarrativ „Österreich als Opfer“ zu legitimieren und bei den Verhandlungen um den Staatsvertrag eine bessere Position zu erreichen. Oft wird unter diesem Aspekt auch ausgeführt, dass der österreichische Widerstand durch die Moskauer Deklaration einen weiteren Schub erreicht hätte:

„Auf der Konferenz der alliierten Außenminister, die im Oktober 1943 in Moskau stattfand, setzte sich schließlich die Auffassung durch, daß Österreich als freier, unabhängiger Staat wiederhergestellt werden solle, jedoch wurde hinzugefügt, daß das Land einen Beitrag zu seiner Befreiung leisten müsse. Dieser unbestimmte Passus gab zwar dem österreichischen Widerstandskampf einen weiteren Ansporn, bildete aber auch die Grundlage für spätere sowjetische Ansprüche an Österreich.“456

Diese Einschätzung und die Argumentation, die Alliierten hätten die Moskauer Deklaration unter anderem zur Unterstützung eines Aufstandes gegen den Nationalsozialismus formuliert, wird immer wieder in die Diskussion mit eingebracht. Robert H. Keyserlingk ist zudem der Meinung, die Moskauer Deklaration sei in erster Linie ein Element psychologischer Kriegsführung gewesen.457 Dazu ist noch anzuführen, dass der Plan, mit der Unterstützung des Widerstandes einen Umsturz herbeizuführen, gescheitert ist, betrachtet man das Ergebnis. Auch wenn die Bedeutung des Widerstandes gegen das Regime nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, so findet im Schulbuch im Verhältnis zu seinem letztendlich bescheiden gebliebenen Gesamtergebnis eine Überhöhung statt. Neben den Opfern der Widerstands-„Helden“ werden deshalb die Erfolge des Widerstandes in Österreich herausgehoben; schon erwähnt wurden die Kämpfe um Wien, bei denen es den Mitgliedern von O5 gelang, die Stadt vor der vollständigen Zerstörung zu bewahren (auch wenn durch Verrat prominente Mitglieder der Organisation öffentlich erhängt wurden). Zusätzlich wird herausgehoben, dass Innsbruck beispielsweise schon vor Ende des Krieges den Alliierten übergeben werden konnte.458 Ohne Österreich-Bezug, aber insgesamt für die Einschätzung des Widerstands interessant, ist ein Auszug aus Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 von 1974, der die inhaltliche Ebene an dieser Stelle abschließen soll:

„Eine bedeutsame Erkenntnis läßt sich aber aus diesem heldenhaften Kampf [der Widerstandskämpfer, Anm. D.H.] ziehen: Ein tyrannisches Machtsystem kann trotz allem Wagemut nicht von innen her aufgerollt werden, weil es durch Technik und Organisation nahezu unangreifbar ist. Nur durch militärischen Widerstand war die Vernichtung des Nationalsozialismus möglich. Großbritannien, die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion haben durch ihr Opfer Europa von der Gewaltherrschaft befreit.“459

Dieser Ausschnitt relativiert letztendlich die Bedeutung, die der Widerstand in Bezug auf die Befreiung der besetzten Gebiete (und Deutschlands) hatte, ja haben konnte. Problematisch wird die

456 Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 223. 457 Vgl. Robert H. Keyserlingk: 1. November 1943: Die Moskauer Deklaration – Die Alliierten, Österreich und der Zweite Weltkrieg, in: Österreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, hrsg. v. Rolf Steininger/Michael Gehler, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 9-37, hier S. 10. 458 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 123. 459 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83.

107 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Aussage allerdings, wenn man bedenkt, dass die Widerstandskämpfer der Formulierung nach einen ohnehin aussichtslosen Kampf bestreiten und ihre Bedeutung letztlich nur in ihrem Märtyrertod, der moralisch so wichtig für die Zeit nach dem Krieg ist, nicht aber in den Ergebnissen ihrer Aktionen selbst gegeben ist.

3.3.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Auf Bildebene findet österreichischer Widerstand vor allem in Fotografien seine Entsprechung. Zusätzlich werden hin und wieder Originaldokumente abgebildet, beispielsweise in Zeitgeschichte ein amtliches Todesurteil sowie dessen Vollzugsbestätigung.460 Sie dienen wie so oft aber nur der optischen Auflockerung der Seite und stehen oft vom Kontext isoliert und werden nicht in Arbeitsfragen einbezogen. Drastischer als die Abbildung der Amtsdokumente über die Hinrichtung einzelner Widerstandskämpfer sind die Fotografien zum O5-Verrat in Wien, welche die aufständischen Verschwörer an Laternenmasten aufgehängt zeigen. Diese bekanntesten Opfer der gescheiterten Geheimoperation „Operation Radetzky“, Biedermann, Hauptmann Huth und Oberleutnant Raschke, tauchen in der Folgezeit durchgängig als „Blutzeugen des österreichischen Widerstandes“ auf und werden fixer Bestandteil der Erinnerung an die Opposition gegen die NS-Herrschaft.461 Als Fotografie findet sich in Zeiten, Völker und Kulturen auch die Erinnerungstafel am Tiroler Landhaus, die Franz Mair gedenkt: „Nach siebenjähriger Unfreiheit wurde an diesem Hause die Fahne Österreichs gehisst. Anfang Mai 1945 kämpften hier Männer des österreichischen Widerstandes für die Freiheit Tirols. Im Kampf um das Landhaus fiel Professor Dr. Franz Mair“462 Das Bild enthält keine Bildunterschrift, allerdings ist die Inschrift sichtbar. Die Kontroversen, die im Laufe der ersten Nachkriegsjahrzehnte um die Tafel entbrannten, werden hier also nicht zum Anlass genommen, um sich genauer mit der Rezeption des Widerstands zu beschäftigen, obwohl gerade die Beschäftigung mit Denkmälern dieser Art prädestiniert dafür wäre.

Bevorzugte Quellentexte, die für das Thema Widerstand verwendet werden, sind verschiedene Berichte oder Protokolle von Oppositionellen, die Einblicke in einzelne Bereiche des Widerstandskampfes vermitteln sollen: Sowohl Ziel, Zweck oder Motivation einzelner Mitglieder, deren Verfolgung und andere Probleme werden dabei häufig thematisiert. In den 70er-Jahren erstmals und später wiederholt verwendet, ist ein Ausschnitt aus den Erinnerungen Adolf Schärfs, der 1943 gegenüber dem deutschen, sozialdemokratischen Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner erklärt, der „Anschluss“ sei tot. Leuschner hatte Schärf unter Mitwirkung der österreichischen Sozialdemokratie, die im Verborgenen operieren musste, das Verbleiben Österreichs bei Deutschland nach dem Krieg in Aussicht gestellt.463 Diese Quelle (behandelt im Kapitel „Das Wiedererstehen Österreichs“) steht

460 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 105. 461 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 122. 462 Ebenda, S. 123. 463 Vgl. Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 187. Eine ähnliche Quelle mit demselben Inhalt wird in Zeitgeschichte (1972), S. 105 gegeben, allerdings wird nicht zitiert und die handelnden Personen werden nicht

108 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand exemplarisch für alle jene Schulbuchtexte, welche die Wiedererlangung der österreichischen Eigenständigkeit ins Zentrum rücken und auch die Widerstandsbewegung in diesem Zusammenhang betrachten. Als Quelle ebenfalls vorhanden ist die Moskauer Deklaration, wobei für die 70er-Jahre gilt, dass die Verbindung zum Widerstand nicht über die Quellen stattfindet.464 Dem nächsten Kapitel zur Vergangenheitsbewältigung vorgreifend, soll an dieser Stelle aber erwähnt werden, dass die Deklaration auch erst sehr spät mit dem Aspekt der Aufarbeitung von Vergangenheit und dem Opfermythos in Beziehung gesetzt wird. Als Ausdruck des erstarkenden Widerstands in Österreich wird ein Bericht des österreichischen Chefs der Sicherheitspolizei und des SD, Ernst Kaltenbrunner, zitiert, der die Situation in Österreich im September 1944 zum Ausdruck bringen soll:

„Die Stimmung, die ich in Wien vorfand, ist so schlecht und die Haltung fast aller Schichten der Bevölkerung eines sofortigen Eingreifen bedürftig, daß ich Ihnen meine Eindrücke nicht vorenthalten möchte. Die defaitistische Grundstimmung ist daher für alle Nachrichten aus dem Südosten, für jede Greuelpropaganda, für gewisse ‚Österreich- Tendenzen‘ und natürlich für jede kommunistische Propaganda sehr empfänglich. Persönliche Eindrücke in den Arbeiter- und Vorstadtbezirken, namentlich vor Arbeitsbeginn und bei Schichtwechsel, sind ausgesprochen unerfreulich.“465

Dieses Zitat wird unter das Kapitel „Das Wiedererstehen Österreichs“ gestellt, ein Kontext fehlt allerdings bis auf die Erwähnung, dass es um die Lage in Österreich im September 1944 geht. Somit fällt hier eine Bewertung oder eine Einschätzung der Autoren weg und die Schülerinnen und Schüler erhalten diesen Bericht als einzigen Hinweis auf die Stimmungslage. Mit der Interpretation werden sie allerdings alleine gelassen, da sich auch keine Fragen o.ä. dazu finden lassen. Wie bedeutsam der Bericht letztendlich ist, bleibt unklar. Als Quellengattung, die in der Untersuchung ausschließlich für die Analyse der Abschnitte zum Widerstand auftauchen, sind Abschiedsbriefe zu nennen. So bietet beispielsweise Zeiten, Völker und Kulturen im Fließtext zwei Quellen an, die unter folgende Beschreibung gestellt werden: „Über die Ziele und Opferbereitschaft österreichischer Patrioten liegen viele Zeugnisse vor.“ Danach folgen persönliche Briefe zum Tode verurteilter Widerstandskämpfer, einmal an die Eltern, einmal an die Braut eines Verurteilten.466 Beide Quellen sind aus Werken des ehemaligen DÖW-Leiters Herbert Steiners467 entnommen und können als außerordentlich berührend beschrieben werden. Ziel der Einbindung solcher Quellen dürfte allein die Darstellung der österreichischen Opferbereitschaft sein, genannt. Außerdem unterscheidet sich die Quelle auch in den Formulierungen von der Originalaussage Schärfs. Intention bleibt aber die Hervorhebung, dass der Kampf ein selbstständiges Österreich zum Ziel hat. Die Quelle in Zeitgeschichte muss für einen Arbeitsauftrag auch interpretiert werden! 464 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 107; Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 187. 465 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 187. 466 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 121f. 467 Vgl. Herbert Steiner: Gestorben für Österreich, Wien 1968; Herbert Steiner: Zum Tode verurteilt. Österreicher gegen Hitler, Wien 1964.

109 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand da auch hier Arbeitsfragen fehlen. Verstärkt wird durch solche Quellen natürlich der Eindruck erweckt, in Österreich hätte es keine Zustimmung für das Hitler-Regime gegeben – die österreichische Täterrolle findet bis dato keinen Platz neben den Widerstandskämpfer; diese beiden Aspekte stehen sich auch später weitestgehend voneinander isoliert gegenüber.

Arbeitsaufträge, die sich spezifisch auf einen österreichischen Widerstand beziehen, finden sich in den 70er-Jahren nur selten. So ist in Zeitgeschichte beispielsweise die Moskauer Deklaration zu interpretieren, auf Widerstand geht die Frage allerdings nicht ein. Stattdessen wird im nächsten Arbeitsauftrag gefragt, welche Bedeutung die Konferenz von Casablanca gehabt hätte und welche Folgen sich daraus für die Widerstandstätigkeit in Deutschland ergeben hätten.468 Die Widerstandstätigkeit in Österreich ist kein Thema, auch nicht für die Moskauer Deklaration. Sehr vage wiederum ist der Arbeitsauftrag aus Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse formuliert, der zum Kapitel „Widerstand in Österreich“ lediglich lautet: „Informiere dich über österreichische Opfer des Widerstandes.“469 Wo bzw. bei wem, lässt die Frage offen.

Insgesamt muss für die 70er-Jahre konstatiert werden, dass die Behandlung von Widerstand mitunter schon großen Raum einnimmt. Dies zeigen insbesondere die Beispiele aus Zeitgeschichte mit ihrem Detailreichtum. Um kritische Betrachtung bemühen sich die Schulbücher allerdings weniger, man hat oft den Eindruck, es findet vielmehr eine Verklärung und Mythisierung der Widerstandskämpfer zu patriotischen Helden statt. Über die tatsächliche Stärke und Bedeutung des Widerstands wird ebenfalls nichts Konkretes berichtet.

3.3.3 Die 80er-Jahre

3.3.3.1 Inhalt In den 80er-Jahren wird die Teilung von österreichischem und internationalem bzw. allgemeinem Widerstand weitestgehend beibehalten. Dabei wird hin und wieder auch noch genauer zwischen einem militärischen Widerstand und einer „inneren Front des Widerstandes“ gegen den Nationalsozialismus unterschieden.470 Anhänger der oppositionellen Kräfte waren laut Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart „die besten Köpfe aus Adel, Kirche, Heer, Wirtschaft und den alten Parteien“,471 wobei auch hier beschrieben wird, wie gefährlich der Aufbau einer Widerstandsgruppe angesichts der GESTAPO war. Österreichbezüge tauchen häufig in Verbindung mit dem Verebben der „Anschluss“-Euphorie auf, weil sich „[v]iele Österreicher […] den ‚Anschluss‘ an Deutschland anders vorgestellt [hatten]“:

468 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 108. 469 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 83. 470 Vgl. Weg durch die Zeiten (1983), S. 81. 471 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 73.

110 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

„Zwar bekamen die Arbeitslosen sofort Arbeit, weil sie in die Rüstungsindustrie eingestellt wurden, aber der Aufbau der deutschen Armee, die Ausbeutung der Wirtschaft Österreichs und die Zwangsmaßnahmen ließen nicht auf sich warten. Alle Gegner der Nationalsozialisten, egal ob Sozialisten oder Christlichsoziale, Heimwehr, Schutzbündler oder Funktionäre der Vaterländischen Front, verloren ihre Posten oder wanderten ins Gefängnis. 70.000 Österreicher wurden in den Märztagen 1938 von SA, SS oder der Geheimen Staatspolizei verhaftet. Angst und Terror schüchterten auch hier den Widerstand ein.“472

Aus dieser Einschüchterung ergibt sich auch die Folgerung des Schulbuches, dass ein „Widerstand auf breiter Basis“ unmöglich war. Betont wird aber vor allem die Enttäuschung der Österreicher nach dem „Anschluss“, weil sich durch die Gleichschaltung im System des Nationalsozialismus die kulturellen und gesellschaftlichen Gegebenheiten drastisch änderten:

„Die gewaltsame und totale ‚Ausrichtung‘ des Volkslebens, der Kultur und der Wirtschaft im nationalsozialistischen Geist erregte in weiten Kreisen der österreichischen Bevölkerung Haß und Widerwillen. Selbst der Großteil jener Österreicher, die anfänglich mit der Idee eines ‚Großdeutschen Reiches‘ sympathisiert hatten, besannen sich nun auf den Wert der Eigenständigkeit ihres Vaterlandes und fanden ihren Patriotismus zu einer Zeit wieder, da Österreich gar nicht mehr bestand. Wenn sich trotz dieser Einstellung des österreichischen Volkes der offene Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime nur langsam entwickelte und wenn er im Vergleich mit anderen vom Hitler-Deutschland besetzten Ländern nur wenig wirkungsvoll war, so hat dies mehrere Gründe.“473

Zumindest räumt der Ausschnitt aus Geschichte für die Oberstufe ein, dass der österreichische Widerstand im Vergleich „nur wenig wirkungsvoll“ war, bringt in der Folge aber mehrere Gründe dafür an: Zum einen die Gestapo, die „durch die Mithilfe österreichischer Nationalsozialisten die politische Führung Österreichs mit einem Schlag ausschaltete“, zum anderen auch die Zwistigkeiten österreichischer Exilpolitiker, die sich nicht zur Bildung einer Exilregierung zusammenraufen konnten. Auch dass die „österreichische Jugend in die Reihen der deutschen Wehrmacht gepreßt“ wurde, wird zusammen mit der Tatsache, dass sich Österreich „bis zum Kriegsende im Zentrum des von Hitler beherrschten Machtblocks“ befand, als Argument für den vergleichsweisen schwachen Widerstand angeführt. Dadurch konnte Österreich auch nicht „auf eine entsprechende Unterstützung durch die Alliierten“ zählen.474 Weitere Probleme für den Widerstand werden auch in der Folgeausgabe von Zeitgeschichte von 1986 gegeben, die allerdings in ihren Formulierungen dem 14 Jahre älteren Original nichts Neues hinzufügt.475 Während sich die gezeigten Ausschnitte in den 70er-Jahren besonders auf militärischen Widerstand beschränkten, werden in den 80er-Jahren auch allgemeine Beschreibungen des Widerstandskampfes ausgeführt. Zudem wird immer wieder hervorgehoben, dass es ihn in ganz Österreich gegeben hat („Widerstandsgruppen gab es in allen Bundesländern, in vielen Betrieben, ja sogar in

472 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 74. 473 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 193. 474 Vgl. Ebenda, S. 193. 475 Vgl. Zeitgeschichte (1986), S. 103.

111 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Konzentrationslagern, aber sie wußten wenig voneinander“476). Neben den tausenden Opfern werden auch Zahlen erwähnt, die nach und nach präziser werden:

„Die Opfer gingen auch in Österreich in die Tausende. Es kam zu Sabotageakten in Industrie und Verkehr, und es gab großartige Beispiele der Hilfe für Verfolgte. Die deutsche Propaganda verschwieg Existenz, Erfolge und Mißerfolge des Widerstandes, auch Prozesse wurden geheim durchgeführt. 2700 Österreicher wurden als aktive Widerstandskämpfer zum Tode verurteilt und hingerichtet, von den über 100.000 politischen Häftlingen in den KZ wurden über 35.000 ermordet. Auch im Ausland fangen sich österreichische Emigranten aus allen Schichten und Lagern zusammen. Ihr Einfluß bei den Alliierten blieb allerdings gering.“477

Interessant für den durchgängigen Schulbuchnarrativ im österreichischen Lehrbuch ist auch, ab wann ein rein österreichischer Widerstand überhaupt zum Tragen kommt bzw. ab wann Schulbücher sein Auftauchen ansetzen. Typischerweise wird der Beginn des Widerstands bereits mit dem Einmarsch der deutschen Truppen im März 1938 datiert, um die Ablehnung des Nationalsozialismus in Österreich seit jeher deutlich zu machen. Auf großen Detailreichtum setzt in diesem Zusammenhang wiederum Geschichte für die Oberstufe, das auf mehreren Seiten den Weg des österreichischen Widerstandes bis zur „Operation Radetzky“ nachzeichnet:

„Dennoch läßt sich von der Zeit, da Schuschnigg seine Abschiedsrede an das österreichische Volk hielt, bis zur Stunde der Befreiung durch die Alliierten der aktive Widerstand mutiger Österreicher gegen das nationalsozialistische Regime deutlich verfolgen. In den ersten Jahren nach dem Anschluß waren es vor allem junge Idealisten, die in opferbereiter Hingabe für ein freies Österreich eintraten – zu einer Zeit, da das Hitler-Deutschland auf dem Höhepunkt seiner Macht stand und jede Widerstandsbewegung sinnlos erschien. Dr. Roman Scholz, ein Ordensgeistlicher des Chorherrenstifts Klosterneuburgs, Dr. Karl Lederer, ein aufrechter katholischer Laie, und Dr. Jakob Kastelic, ein von monarchistischen Ideen erfüllter Wiener Rechtsanwalt, zählten zu den aktivsten Männern österreichischer Freiheitsbewegungen jener Zeit. In ihren Gruppen hielten sie den Glauben an die Eigenstaatlichkeit Österreichs wach, unternahmen Propagandaaktionen gegen den Nationalsozialismus und knüpften Fäden mit dem Ausland. […]“478

Was an diesem Beispiel auffällt, sind die angeführten Namen dreier Widerstandskämpfer, weil bisher nur vereinzelt Personen genannt wurden. Diese Liste wird in der Folge noch erweitert und jeder Name mit Informationen versehen. So lesen die Schülerinnen und Schüler unter anderem von Hans Becker, Josef Hofer, Richard Bernaschek, Alfred Migsch, Ludwig Kostroun, Felix Hurdes, Eduard Chaloupka und Hans Pernter (im Buch nur als „Dr. Chaloupka“ und „Dr. Pernter“ bezeichnet), Leopold Kunschak, Lois Weinberger, Franz Mair sowie von der „Schlüsselfigur dieses organisierten Widerstandes“, Karl Szokoll.479 Dazu muss angemerkt werden, dass es sich hier insbesondere um

476 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 74. 477 Ebenda, S. 74. 478 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 193f. 479 Vgl. Ebenda, S. 193ff.

112 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Personen aus dem aktiven bzw. militärischen Widerstand handelt, der Sabotageaktionen usw. durchführte und gegen Ende des Krieges wie erwähnt in Tirol beispielsweise offen zum Kampf gegen die NS-Herrschaft überging.480 Insgesamt wird diese Anzahl von genannten Personen aber in keinen späteren Schulbüchern erreicht, wobei zu beachten ist, dass in Schulbüchern neueren Datums vorrangig andere Namen genannt werden (s.u.). Herauszuheben ist zudem auch noch, dass Geschichte für die Oberstufe „die österreichische Resistance“ in insgesamt vier Phasen einteilt: Die erste Zeit nach dem „Anschluss“, 1940-1944, den Winter 1944/45 und die letzten Kriegswochen und -monate. Wie schon in den 70er-Jahren wird auch sehr stark auf die Opferbereitschaft der österreichischen Widerstandkämpfer hingewiesen, wobei sich daraus mitunter verschnörkelte Beschreibungen des österreichischen Heldenmutes wiederfinden lassen:

„So wie in Wien versuchten in den letzten Wochen vor Kriegsende auch im übrigen Österreich Freiheitskämpfer aller Richtungen unter Einsatz ihres Lebens die Leiden der von Kriegsgräueln heimgesuchten Bevölkerung abzukürzen, sinnlose Zerstörungen zu unterbinden und wertvolle Kunstgüter zu retten. Die genaue Zahl der österreichischen Widerstandskämpfer, die für ihre Heimat das Leben lassen mußten, wird sich nie genau ermitteln lassen. Nur Bruchstücke vom Leiden und Sterben dieser aufrechten Österreicher sind erhalten geblieben. […]“481

Die aktualisierte Zeitgeschichte-Ausgabe von 1986 unterscheidet sich von ihrem Vorgängerwerk aus den 70ern unter anderem durch die Erwähnung von Wehrdienstverweigerern. Namentlich wird somit erstmals Franz Jägerstätter genannt, der vor allem in neueren Schulbüchern zu einer Ikone des Widerstandes geworden ist. In einem Atemzug mit Jägerstätter werden mit Franz Reinisch und Roman Scholz sowie „Anhänger[n] der Sekte der Bibelforscher“ auch religiös-geistliche Vertreter der Widerstandsbewegung genannt. Kritisch zu betrachten ist allerdings die Praxis von Zeitgeschichte, einzelne Begriffe aus der Nazi-Diktion zu übernehmen. Neben der „Sekte der Bibelforscher“ ist in Hinblick auf dieses Thema auch noch der Begriff „Wehrkraftzersetzung“ zu nennen; die Begriffe werden unreflektiert dem Jargon des Nationalsozialismus entnommen, womit keine Sensibilität für den Umgang mit solchen Phrasen aufkommen kann. Den Abschluss des Widerstandskapitels bilden meist die „Operation Radetzky“ bzw. die Erfolge der O5, die in unterschiedlicher Detailfülle behandelt wird.482 Im Normalfall folgt anschließend der Narrativ über den österreichischen Wiederaufbau. An einer Bedeutungseinschätzung oder an einem

480 In Bezug auf die Bundesländer wird Tirol auch in Geschichte für die Oberstufe als bedeutsam eingeschätzt: „So wie in Wien und in Oberösterreich schlossen sich auch in anderen Gebieten Österreichs, vor allem in Tirol, österreichische Patrioten zum Kampf gegen das nationalsozialistische Regime zusammen. Im Ötztal, um Landeck und in Innsbruck gab es gut organisierte und geführte Widerstandsgruppen, darunter die des Professors Dr. Franz Mair, die überwiegend aus Mittelschülern bestand.“ (S. 196) 481 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 197; Weitere Passagen zu den Opfern des österreichischen Widerstands: Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 195; Zeitgeschichte (1986), S. 93f. 482 Vgl. Weg durch die Zeiten (1983), S. 81; Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 74f; Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 195ff.

113 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Fazit versucht sich während der 80er-Jahre lediglich Geschichte für die Oberstufe:

„Zusammenfassend kann festgestellt werden: Für die Zukunft Österreichs entscheidend waren nicht die militärischen Erfolge der Widerstandsbewegung – diese konnten auf Grund der Lage Österreichs ohnedies nur bescheiden sein –, sondern das Erstehen eines neuen Vaterlandsbewußtsein über alle Parteienhader hinweg. Die Politiker aller demokratischen Parteirichtungen aber fanden im gemeinsam durchlebten Schrecken der Gefängnisse und Konzentrationslager und im gemeinsamen Kampf in der Widerstandsbewegung jenes Vertrauen zueinander, das ihnen in der Zeit der ersten Republik so oft gefehlt hatte. In der Not dieser schrecklichen Kriegszeit wurden die Grundlagen für die friedliche Zusammenarbeit aller Österreicher in den schweren Nachkriegsjahren gelegt.“483

Auch hier ist erkennbar, dass sehr viel Wert darauf gelegt wurde, das harmonische Miteinander des Nachkriegsösterreichs stärker in den Fokus zu rücken als die Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten, die der Zusammenbruch des Dritten Reiches mit sich brachte. Richtigerweise wird die Bedeutung des militärischen Widerstandes als relativ gering eingestuft, gleichzeitig wird aber abgeschwächt, dass dieser aufgrund der Lage des Landes ohnehin nur „bescheiden“ sein konnte. Während eine explizite Einschätzung des Widerstandes weitestgehend fehlt, ist sie in den meisten Formulierungen dahingehend gegeben, als dass laut Schulbuch ein gemeinsames Miteinander aus der Bekämpfung des Nationalsozialismus resultiert:

„Vor den Schrecken des Nationalsozialismus verblaßten die ideologischen Feindschaften der demokratischen Politiker, die die Erste Republik in den Bürgerkrieg getrieben hatten. Gegenseitige Achtung und Toleranz, gewonnen unter der Todesdrohung der Konzentrationslager, schufen ein neues politisches Klima, das den Wiederaufbau in demokratischer Zusammenarbeit ermöglichte.“484

Den inhaltlichen Analyseteil für die 80er-Jahre abschließend, sei noch erwähnt, dass die Behandlung der Moskauer Deklaration für den Widerstand keine Rolle spielt. Auch wenn die Grundsatzerklärung prinzipiell durchgehend behandelt wird, findet sich lediglich in Geschichte für die Oberstufe ein Hinweis darauf, welchen Einfluss sie auf die Widerstandsbewegung in Österreich hatte:

„Wie Österreichs Beitrag zu seiner Befreiung angesichts seiner Lage inmitten des nationalsozialistischen Machtblocks geartet sein sollte, darüber enthielt die Moskauer Deklaration keine Hinweise. Durch die schweren Strafen, die auf das Abhören ausländischer Sender standen, war sie dem Großteil der Österreicher lange Zeit gar nicht bekannt.“485

Der letzte Teil, dass die Deklaration den Österreichern über „lange Zeit“ gar nicht bekannt war, lässt den Schluss zu, sie hätte auch auf den Widerstand nur geringen Einfluss besessen bzw. ihn nicht

483 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 197. 484 Zeitbilder 8 (1984), S. 149. 485 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 213.

114 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand soweit verstärkt, als dass allein durch sie davon gesprochen werden könnte, Österreich hätte einen besonders großen Beitrag zu seiner Befreiung geleistet.

3.3.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Auf bildlicher Ebene gibt es in den 80er-Jahren wenig Erwähnenswertes mit Österreichbezug. So werden zwar Bilder von Hans und Sophie Scholl486 bzw. der Verschwörer vom 20. Juli 1944487 gezeigt und allgemeine Abbildungen zum Thema Widerstand,488 Österreich steht damit aber in keinem Zusammenhang. Lediglich mittels einer Kundmachung, laut der Bürger ihre Ehrenrechte verlieren, wird in der Bildunterschrift ein Bezug hergestellt: „Österreichische Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime wurden von den Nazis zum Tode verurteilt und durch den Strang hingerichtet. Diskutieren Sie, welche Folgen der ‚Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte‘ für die Angehörigen der Opfer wohl gehabt hat!“489 Interessanterweise wurde hier ein Arbeitsauftrag in die Bildunterschrift eingebaut, was, betrachtet man das gesamte Untersuchungsmaterial, einmalig ist. Behandelt wird dieses Bild unter dem Unterkapitel „Ein neues Österreichbewußtsein entsteht“, womit wieder auf das konstituierende Element des österreichischen Widerstands, was eine österreichische (Nachkriegs-)Mentalität betrifft, hingewiesen wäre. Als letzte nachweislich dem Thema Widerstand zugeordnete Abbildung sei noch ein Faksimile eines Plakats jugoslawischer Partisanen angeführt, die in Kärnten einrücken und die Bevölkerung auffordern, den Anweisungen der Kommandos Folge zu leisten. Die Bildunterschrift weist lediglich darauf hin, dass es sich dabei um ein Plakat handelt, das 1945 (eine genaue Datumsangabe fehlt) unter anderem in Klagenfurt angebracht wurde. Arbeitsaufträge werden zu diesem inhaltlich eigentlich ansprechenden Plakat nicht gegeben, womit zumindest über die Größe des Plakats – es nimmt die ganze Seite ein, dient letztendlich aber nur als Füllmaterial – diskutiert werden darf.490

Als Quellengattung tauchen wie in den 70er-Jahren Abschiedsbriefe auf, genannt sei hier jener des Geistlichen Roman Karl Scholz.491 Neu sind dafür Beschreibungen einzelner Widerstandskämpfer oder –gruppen, die aus Dokumenten oder Autobiographien stammen. Beispiele dafür ist eine Beschreibung Richard Bernascheks, die von seinem ehemaligen politischen Kontrahenten Josef Hofer verfasst wurde und auf die Erfahrungen im österreichischen Bürgerkrieg zurückgeht.492 Ebenfalls zu nennen ist eine Aussendung der O5 an die alliierten Generalstäbe, um der Anti-Hitler-Koalition selbst

486 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 113; Weg durch die Zeiten (1983), S. 81. 487 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 115. 488 Vgl. Ebenda, S. 115. 489 Zeitgeschichte (1986), S. 95. 490 Vgl. Ebenda, S. V. Anm.: Die Seitennummerierung für Doppelseiten, auf denen Quellen- und Bildmaterial zur Verfügung gestellt wird, wird in Zeitgeschichte mit römischen Ziffern angegeben. 491 Vgl. Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 194. 492 Vgl. Ebenda, S. 194f.

115 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand zu beschreiben, um was es sich bei der O5 handelt.493 Auch die Moskauer Deklaration und der enthaltene Hinweis auf den „Beitrag zur eigenen Befreiung“ wird insgesamt drei Mal zitiert, wichtig ist an diesen Stellen aber erneut „Wiederaufbau und Österreichbewusstsein“ und nicht der Zusammenhang mit Widerstand. Lediglich Zeitgeschichte deutet beispielsweise an, dass die Moskauer Erklärung auch für die spätere Verfolgung von Kriegsverbrechern relevant gewesen sei.494 Während die zitierten Lehrwerke die Moskauer Deklaration direkt anführen (bzw. Werke, die dies tun), druckt Zeitbilder eine Bekanntmachung des russischen Marschalls Tolbuchin, der die Bürger von Wien direkt anzusprechen versucht, auch mittels der Deklaration: „Die Rote Armee steht auf dem Boden der Moskauer Deklaration der verbündeten Mächte über die Unabhängigkeit Österreichs. Sie wird dazu beitragen, daß in Österreich die Zustände wiederhergestellt werden, die bis zum Jahre 1938 in Österreich bestanden […].“495 Weitere Quellen beziehen sich auf die Ereignisse rund um die „Operation Walküre“ und auf die Widerstandgruppe „Weiße Rose“. Dazu ist anzumerken, dass die Behandlung dieser Teilaspekte von Widerstand sehr häufig im Schulbuch vorkommt und diese als typische Elemente in der Darstellung von Widerstand im Lehrbuch betrachtet werden können. Weil der Österreichbezug in den allermeisten Fällen allerdings fehlt, werden solche Schulbuchausschnitte nicht näher beleuchtet, der Vollständigkeit wegen aber erwähnt.496 Einen Österreichbezug weisen dafür die schon für die 70er-Jahre vorgestellte Aussage von Adolf Schärf („Der Anschluss ist tot“)497 oder die Lagebeurteilung Ernst Kaltenbrunners für Wien auf.498 Anzumerken ist auf Ebene der Quellen allerdings, dass sich die Anzahl der neu verwendeten Quellen – sie wurden vollständig aufgeführt! – in Grenzen hält. Hieraus einen allgemeinen Rückschluss auf die Behandlung von österreichischem Widerstand zu ziehen ist nur möglich, wenn man auch die Fließtext- und Bildebene mit einbezieht. Dann lässt sich auch feststellen, dass die untersuchten Schulbücher bis auf wenige Ausnahmen in Darstellung und Ausführungen, die schon im vorherigen Jahrzehnt verwendet wurden, verharren.

Dies gilt im Großen und Ganzen auch für die Darstellung der Arbeitsaufträge zum Thema Widerstand. Sehr allgemein gehaltene Anregungen („Diskutiere den Sinn des ‚Widerstandes auf verlorenem Posten‘.“499) stehen konkret ausformulierten Arbeitsfragen gegenüber, die in der Frage selbst einen expliziten Österreichbezug aufweisen:

„Vergleichen Sie den Widerstand gegen eine Diktatur mit der Opposition in einem Rechtsstaat! Diskutieren Sie die Möglichkeiten des Widerstandes gegen die

493 Vgl. Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 195. 494 Vgl. Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 213; Zeitbilder 8 (1984), S. 187; Zeitgeschichte (1986), S. 96. 495 Zeitbilder 8 (1984), S. 149. 496 Vgl. Weg durch die Zeiten (1983), S. 82f; Zeitbilder 8 (1984), S. 113f. 497 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 148; Zeitgeschichte (1986), S. 95. 498 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 148. 499 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 77.

116 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

nationalsozialistische Herrschaft! Interpretieren Sie die Antwort des österreichischen Widerstandes auf die Frage, ob Österreich auch beim ‚Neuen Deutschland‘ bleiben würde!“500

Zur Moskauer Deklaration findet sich in Verbindung mit Widerstand im Grunde nichts. Die Anweisung „Interpretieren Sie die Moskauer Deklaration!“501 könnte diesen theoretisch beinhalten, steht allerdings im Zeichen des Kapitels „Die Folgen des Zweiten Weltkrieges“. Der Zusammenhang mit Widerstand ergibt sich bei der Moskauer Deklaration also größtenteils textimmanent; wörtliche Anweisungen dazu fehlen nach wie vor. Die weiteren gesichteten Arbeitsaufträge beinhalten keinerlei Bezug zu österreichischem Widerstand mehr, die „Weiße Rose“ sowie Stauffenberg sind allerdings wieder häufiger vertreten.502

3.3.4 Die 90er-Jahre

3.3.4.1 Inhalt Wie für die anderen vorgestellten Themenbereiche gilt auch für den österreichischen Widerstand, dass seit den 90er-Jahren Änderungen in der Auseinandersetzung mit den einzelnen Aspekten stattfinden. Für die Behandlung des österreichischen Widerstandes gilt, dass er seit den 90ern vielfältiger und differenzierter dargestellt wird, als dies bisher der Fall war. Dies lässt sich übrigens nicht nur für österreichischen, sondern auch für deutschen oder internationalen Widerstand nachweisen. Erstes Beispiel auf der Inhaltsebene, das diese These stützt, ist ein Auszug aus Stationen 4 von 1992, der sich der anfangs mangelnden Begeisterung für den Widerstand in Österreich widmet:

„Nach der Besetzung Österreichs durch NS-Deutschland leisteten nur wenige Österreicher aktiven Widerstand. Dafür gab es mehrere Gründe: – Der Kampflose Untergang Österreichs ohne jede Gegenwehr, - die passive Haltung vor allem der Westmächte, die die militärische Besetzung Österreichs hinnahm, – die totale nationalsozialistische Machtergreifung in Österreich nach dem 13. März und – die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten sowie die Flucht zahlreicher NS-Gegner ins Ausland. Außerdem zeigten auch die nationalsozialistische Propagandakampagne sowie die anschlußfreudigen Erklärungen – Österreichs Bischöfe und Karl Renner – auch bei vielen Österreichern Wirkung, die nicht zu den Sympathisanten des Nationalsozialismus gezählt werden konnten.“503

Gründe, warum Widerstand in Österreich nur schwer möglich war, wurden schon in vorherigen Schulbüchern erwähnt und gezeigt, dass es aber tatsächlich „nur wenige“ waren, die Widerstand leisteten, wird nun erstmals deutlich. Warum kein Widerstand geleistet wurde oder welche Probleme bei Widerstandsaktivitäten zum Tragen kamen, wird auch in weiteren Lehrbüchern der 90er-Jahre

500 Zeitgeschichte (1986), S. 95. 501 Zeitbilder 8 (1984), S. 96. 502 Vgl. Ebenda, S. 112/115. 503 Stationen 4 (1992), S. 73.

117 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand erwähnt.504 Die Argumentation, die Meinung Karl Renners und der Bischöfe hätte ihre Wirkung gezeigt, ist neu. Es fällt auf, dass das Schulbuch bemüht ist, mehrere Gründe zu liefern und dadurch Komplexität erzeugt. Die Einschätzung der tatsächlichen Größenordnung der Opposition zeigt sich auch an anderen Beispielen:

„Zunächst war es nur eine Minderheit, die beim Einmarsch zu aktivem Widerstand bereit gewesen wäre: überzeugte Kommunisten, Sozialdemokraten, junge Katholiken, Christlichsoziale und Anhänger des Monarchiegedankens. Die Mehrheit der Bevölkerung fand sich mit den herrschenden Zuständen ab. Ausgehend von den Verwandten und Freunden verhafteter und entlassener Österreicher (allein 16 000 Beamte) lehnte eine allerdings ‚schweigende‘ Mehrheit gegen Kriegsende hin den Nationalsozialismus und die deutsche Besatzung ab.“505

Die Aufstandsversuche einer „Minderheit“ zum Zeitpunkt des Einmarsches sind hier im Konjunktiv formuliert, erst gegen Kriegsende sind die Gegner des Nationalsozialismus in der Mehrheit. Als „Basis“ des Widerstands werden in dem Auszug die Verwandten und Freunde jener Personen genannt, denen durch das nationalsozialistische Regime ein Nachteil erwachsen war bzw. die verhaftet worden waren. Die hier gezeigten Ausschnitte erscheinen auch gewissermaßen objektiv, was die einzelnen Formulierungen anbelangt. Dagegen wirkt der folgende Auszug aus Aus Geschichte lernen 7 wieder pathetisch, wenn die einzelnen Trägergruppen des Widerstandes gewürdigt werden:

„Katholisch-konservative, sozialdemokratische und nicht zuletzt kommunistische Widerstandskämpfer traten, obwohl sie nur wenig Hoffnung auf einen Sturz des NS- Regimes aus eigener Kraft haben konnten, trotz unverhältnismäßig harter Verfolgung für die Prinzipien der Humanität, für politische Freiheit und für die Eigenständigkeit Österreichs ein. Inmitten fanatischer Begeisterung, opportunistischen Mitläufertums und gleichgültiger Bequemlichkeit kann daher ihr Heldenmut nicht genug gewürdigt werden.“506

Es findet hier eine interessante Transformation der Bedeutung des Widerstands statt, wie sie bisher in den Büchern bekannt und erst allmählich der in den 90er-Jahren gültigen Version gewichen war: Der österreichische Widerstand konnte sich keine berechtigen Hoffnungen auf einen Umsturz machen, eine Wiederherstellung des status quo ante 1938 war allein durch den Widerstand nicht möglich. Zusätzlich wird nun deutlicher, dass die Träger des Widerstands in der Minderheit waren und neben den schon früher in Lehrwerken ausgeführten Schwierigkeiten zudem noch mit der Begeisterung für den Nationalsozialismus im eigenen Land konfrontiert waren. Gegner und Mitläufer oder sogar Befürworter des Regimes stehen sich so direkt gegenüber – was in den Schulbüchern allerdings nicht oft vorkommt. Meist wird Widerstand und Mitläufertum sowie NS-Begeisterung gesondert behandelt; nur selten überlappen sich Teilbereiche wie im gezeigten Fall. Ein weiteres Beispiel ist in Spuren der

504 Vgl. Stationen 4 (1999), S. 73; Spuren der Zeit 8 (1992), S.95. 505 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 95. 506 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 149.

118 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Zeit 8 zu finden, wo es heißt: „In weiten Kreisen der Bevölkerung überwogen Zustimmung für das Regime und ‚Mitläufertum‘; andererseits muß aber auch erwähnt werden, daß 2700 Österreicher hingerichtet wurden und ca. 32 000 in KZs und Gefängnissen umkamen.“507 Ein neues und erwähnenswertes Argument für fehlende Widerstandsbegeisterung in Österreich wird von Stationen 4 ins Treffen geführt:

„Im Gegensatz zu den übrigen von Hitlerdeutschland besetzten Ländern bestand in Österreich kein eindeutiges Feindbild. Fanatische Regimeanhänger, Opportunisten und Denunzianten standen den Widerstandskämpfern gegenüber. Widerstand war in Österreich nicht nur ein Kampf gegen fremde Besatzung, sondern auch ein bürgerkriegsähnlicher Kampf Österreicher gegen Österreicher.“508

Dieser Gegensatz „Österreicher gegen Österreicher“ wurde bisher gar nicht angesprochen, weil die österreichischen Nationalsozialisten stets gesichtslos geblieben waren – was sich aber ebenfalls seit 1990 deutlich verändert hat – und Opposition und Anhänger des Nationalsozialismus selten gemeinsam behandelt wurden. Für die 70er-Jahre wurde gezeigt, dass der Beginn der Widerstandsbewegung in Österreich teilweise schon kurz nach dem Einmarsch bzw. schon kurz vorher mit der Rede Schuschniggs anzusetzen ist. Stationen 4 von 1999 datiert jenen zumindest mit Herbst 1938, wobei auch konstatiert wird, bis 1940 seien große Teile des Widerstands der Verfolgung zum Opfer gefallen.509 Komplett neu und allein deshalb schon erwähnenswert ist die Erwähnung des weiblichen Anteils am Widerstand. Führt man sich die oben angegebene Namensliste mit Widerstandskämpfern vor Augen, erkennt man, dass weiblicher Widerstand praktisch überhaupt nicht vorkommt. Obwohl auch in Zukunft nur in geringem Maße ausgeführt, wird in den späten 90er-Jahren erkannt, dass Widerstand als solcher keine reine Männerdomäne ist und man trägt diesem Sachverhalt mittels folgendem Auszug Rechnung:

„Häufig wird der weibliche Anteil am Widerstand vergessen. Auch Mädchen und Frauen kämpften – entweder auf sich allein gestellt oder an der Seite ihrer Väter, Brüder und Ehegatten – gegen Nationalsozialismus und Krieg. Vor Gericht waren Frauen und Männer derselben gnadenlosen Justiz ausgeliefert, die ‚unerbittlich zu vernichten‘ hatte. Das Todesurteil über die Salzburger Näherin Rosl Hofmann steht für viele andere.“510

Letztlich beschränkt sich die Darstellung von weiblichen Widerstandskämpfern nicht nur auf den Fließtext, er findet auch in Quellen (das Todesurteil der im Auszug angesprochenen Rosl Hoffmann beispielsweise) und Bildern wieder. In diesem Zusammenhang verstärkt zu finden sind Textstellen zum österreichischen Widerstand im

507 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 95. 508 Stationen 4 (1992), S. 73; Stationen 4 (1999), S. 73. 509 Vgl. Stationen 4 (1999), S. 73. 510 Zeitbilder 8 (1997), S. 7.

119 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Exil, die auch schon für die 70er-Jahre nachgewiesen wurden. Größere Abschnitte dazu gibt es aber nicht, weil die Lehrbücher teilweise selbst anführen, dass dieser Aspekt des Widerstandes wenig bewirken konnte.511 Was auf der anderen Seite in dieser Form noch nicht nachweisbar war, sind in den 90er-Jahren die unterschiedlichen Formen des Widerstands. So dauerte es nachweislich relativ lange, bis auch die passiven Formen des Widerstandes und nicht nur der militärische Einzug ins Schulbuch gefunden hatten. Bestes Beispiel dafür ist der ebenfalls schon erwähnte Franz Jägerstätter, der seit seiner ersten Nennung im Lehrbuch sehr stark rezipiert wurde. Dass für Jägerstätter auch das gesellschaftliche Umfeld eine Rolle spielte und dieses ihn aufgrund seiner Haltung zum Nationalsozialismus zum Außenseiter abstempelt, wird dabei erstmals bei Zeitbilder 8 von 1997 erwähnt.512 Zu den unterschiedlichen Formen des Widerstands gehört zudem eine Typisierung von Gerhard Jagschitz: Wie schon bei den anderen Aspekten beobachtet werden konnte, gilt auch für dieses Thema, dass seit den 90er-Jahren verstärkt namhafte, vornehmlich österreichische, Historiker bzw. deren Aussagen im Schulbuch auftauchen; einerseits um dem Schulbuch einen sachlich-objektiven Anstrich von Wissenschaftlichkeit zu geben, andererseits – auch dies wurde gezeigt – um über die Zitate von Historikern (be)wertende Thesen weitestgehend widerspruchslos in den Fließtext eingliedern zu können. Dabei ist Jagschitz‘ Einordnung der unterschiedlichen Widerstandsformen allerdings durchaus positiv zu sehen, weil er Widerstand systematisch gliedert. Dies kommt der Behandlung des Themenbereichs im Schulbuch nur zugute:

„Der Historiker Gerhard Jagschitz räumt mit dem Klischee auf, dass Widerstand nur organisiert und mit der Waffe in der Hand möglich sei. Er unterscheidet fünf Typen: (-) Unpolitische Gegnerschaft: Unmutsäußerungen z.B. über die wirtschaftlichen Mangelerscheinungen. (-) Politisch motivierte Gegnerschaft: (passive) Abwehrhaltung gegen das System aus konfessioneller oder politischer Überzeugung; […] (-) Ziviler Widerstand: aktive, jedoch individuelle Widerstandshandlungen im unmittelbaren Arbeits- oder Lebensbereich mit dem Ziel, den Nationalsozialismus und seine Funktionäre zu diskreditieren sowie die Wirksamkeit angeordneter Maßnahmen zu schwächen; […] (-) Organisatorisch abgesicherter Widerstand: Konspiration der illegalen politischen Parteien bzw. kirchlicher Gruppen; […] (-) Militärischer Widerstand: Sabotage und Partisanentätigkeit (vor allem in Kärnten und in der Steiermark) sowie Widerstandshandlungen innerhalb der deutschen Wehrmacht […].“513

Militärischer Widerstand wird hier als letzter Punkt genannt, zusätzlich gibt es erstmals explizit zivilen Widerstand oder unpolitische Gegnerschaft. Die von Jagschitz eingeführten Begriffe (es werden im Text auch Beispiele für die jeweiligen Definitionen gegeben) vermindern in großem Maße die bisher vorhandene Unschärfe, was den Umgang mit Widerstandsformen anbelangt. Diese Tatsache ist der

511 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 96. 512 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 7. 513 Zeitbilder 8 (1997), S. 8.

120 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Grund, warum dieser Textausschnitt auch in den Folgebänden der Zeitbilder-Reihe immer vorhanden ist. Anzumerken ist aber, dass jenes „Klischee, dass Widerstand nur organisiert und mit der Waffe in der Hand möglich sei“ mitunter von verschiedensten Schulbuchreihen angeregt wurde, wenn man bedenkt, dass in früheren Schulbüchern praktisch nur von Untergrundkampf, Sabotageaktionen und offenem Widerstand die Rede war. Ergiebiger als bisher fallen die Beiträge zur Moskauer Deklaration aus. Diese wird bisher zwar genannt, aber nur selten in einen Zusammenhang mit Widerstand gesetzt. Stationen 4 spricht nun explizit von den Auswirkungen der Erklärung auf die Widerstandsbewegung in Österreich:

„Vor allem die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 nährte die Hoffnung der Widerstandskämpfer auf ein Wiedererstehen Österreichs […]. Die Widerstandskämpfer sahen die Moskauer Deklaration als Auftrag an: Im Winter 1944/45 fanden sie sich, unabhängig von ihrer Weltanschauung, in der ‚05‘ genannten Organisation zusammen.“514

Die Bezeichnung der Erklärung als „Auftrag“ taucht neu auf, ist aus Forschungsperspektive aber zu hinterfragen. Es fällt auf, dass sich die Schulbücher in der Bewertung und Bedeutung der Moskauer Deklaration scheinbar nicht einig sind, schließlich wurde für die 80er-Jahre ein Auszug gezeigt, in dem behauptet wird, die Erklärung sei unter der Opposition lange nicht bekannt gewesen. Direkt in Verbindung mit der Deklaration steht laut Stationen die Gruppe O5, wobei hier eine neue Querverbindung entsteht, nach der implizit angedeutet wird, O5 hätte sich ohne Moskauer Deklaration gar nicht formiert. Ebenfalls unter einschlägigem Kapitel („Verfolgung und Widerstand“) wird die Erklärung in Aus Geschichte lernen 7 erwähnt. Dort heißt es, dass „[d]er Beschluß der Alliierten, Österreich als Opfer der nationalsozialistischen Aggressionspolitik zu behandeln und in den Grenzen von 1938 wiederherzustellen“, den österreichischen Widerstand gestärkt hätte.515 Ähnlich geht auch Zeitbilder 8 mit der Erklärung um: „Darüber hinaus erhielt der österreichische Widerstand durch diese Erklärung großen Auftrieb.“516 Es lässt sich also feststellen, dass die Moskauer Deklaration während der 90er-Jahre deutlicher einen Bezug zum Widerstand erhält, als das in vorherigen Schulbüchern der Fall war. Das liegt zum einen sicherlich an der Tendenz, Sachverhalte verstärkt ausdrücklich anzusprechen, zum anderen daran, dass versucht wird, Querverbindungen herzustellen: Die Moskauer Deklaration ist nicht nur für den Widerstand, sondern auch für den Staatsvertrag und in späterer Folge für die Erklärung des Opfermythos von Belang. Inwieweit die Erklärung allerdings den Widerstand nun tatsächlich beeinflusst hat, darüber geben die Lehrbücher keine genaue Auskunft. Dazu werden (bis auf die Erklärung selbst) auch keine Quellen gegeben, die eine solche Einschätzung möglich machen würden. Einen Fixplatz haben sich während der 90er-Jahre die einzelnen Widerstandsgruppen erworben, wobei auffällt, dass bestimmte Gruppen oder Einzelpersonen in einigen Reihen häufiger angesprochen

514 Stationen 4 (1992), S. 74; Stationen 4 (1999), S. 74. Die Stationen-Bücher schreiben auch von 05 statt O5! 515 Vgl. Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 149. 516 Zeitbilder 8 (1997), S. 9.

121 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand werden als andere. O5 beispielsweise wird in mehreren Schulbüchern genauer beschrieben. Verweise auf das „Stauffenberg-Attentat“517 sowie auf die „Schlacht um Wien“ sind in diesem Zusammenhang vermehrt zu finden.518 Spuren der Zeit 8 widmet sich in einem Absatz genauer dem katholischen Widerstand (genannt wird hier erneut Karl Roman Scholz), der in anderen Bücher nur gestreift oder gar nicht erwähnt wird. Ohne namentliche Benennung bleiben verschiedene „Partisanengruppen“ im Tiroler Ötztal, der Steiermark oder Kärnten.519 Eine Einschätzung der tatsächlichen Erfolge des österreichischen Widerstands fehlt in einigen Schulbüchern allerdings auch noch in den 90er-Jahren. Dazu kommt, dass bei dem Versuch, die Bedeutung des Widerstands knapp in einem Fazit zusammenzufassen, diese in vielen Fällen wieder aufgebauscht wird: So wird beispielsweise in Stationen 4 das Wiedererstehen eines neuen Österreichs zu gleichen Teilen dem Sieg der Alliierten und dem Widerstand in Österreich zugesprochen.520 Aus Geschichte lernen 7 erwähnt den militärischen Sieg der Anti-Hitler-Koalition gar nicht und führt die „40 000 Freiheitskämpfer“ an, „die im Widerstand gegen den Faschismus und im Kampf um ein unabhängiges Österreich ihr Leben opferten“ und ohne die es „heute kaum ein selbständiges und demokratisches Österreich [gäbe]“.521 Die Zeitbilder-Reihe beschränkt sich bei der Bedeutungseinschätzung auf die knappe Formulierung: „Erst in der Endphase 1945 konnte vor allem österreichischer Widerstand wirksam werden.“522

Wechselt man auf die Bildebene, ist erkennbar, dass auch dort eine Ausdifferenzierung erfolgt ist: Es werden mehrere Themenbereiche bildlich dargestellt und sie treten vermehrt auf. Es finden sich die schon gezeigten Abbildungen von Todesurteilen523 ebenso wie Fotografien einzelner Widerstandskämpfer. So werden in Zeitbilder 8 neben Franz Jägerstätter auch Hedy Urach sowie Otto Haas bildlich dargestellt, die bisher noch nicht zu finden waren. Als Bildunterschriften finden sich jeweils kurze Beschreibungen der einzelnen Personen.524 Dazu kommen die in insgesamt vier Lehrbüchern dargestellten und immer wieder auftauchenden Fotografien der gehängten O5- Mitglieder.525 In Verbindung mit der Widerstandsgruppe O5 steht auch ihr Zeichen am Wiener Stephansdom, das erstmals in der Spuren der Zeit-Reihe auftaucht und dort sowohl im Band für die siebte als auch für die achte Klasse vorkommt.526

517 Die Führungsfigur der O5, Major Carl Szokoll, war an der „Operation Walküre“ beteiligt, wurde aber nicht verdächtigt, da er Befehle der Operation nicht selbstständig ausführen ließ. 518 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 74; Stationen 4 (1999), S. 74; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 96f; Spuren der Zeit 7 (1991), S. 152. 519 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 95. 520 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 74; Stationen 4 (1999), S. 74. 521 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 149. 522 Zeitbilder 7 (1996), S. 162. Anm.: Vorher werden auf zwei Seiten nur Stauffenberg und Weiße Rose erwähnt, im letzten Satz wird zu den Erfolgen österreichischen Widerstands Stellung genommen. 523 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 73; Stationen 4 (1999), S. 74; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 96. 524 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 7. 525 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 74; Stationen 4 (1999), S. 74; Zeitbilder 8 (1997), S. 8; Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 42. 526 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 152; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 96.

122 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Ebenso zu erwähnen ist eine Tabelle, die in Stationen 4 einen Überblick über die Opfer der Widerstandsbewegung in Österreich gibt.527 Dabei werden genaue Zahlen derer genannt, die entweder hingerichtet oder ermordet wurden oder in Gefängnissen gestorben sind. Außerdem listet die Tabelle 500 gefallene Partisanen und 100 000 inhaftierte Österreicher auf. Insgesamt, so der letzte Eintrag, opferten „[r]und 35 300 Österreicher, etwa ein halbes Prozent der Gesamtbevölkerung, […] ihr Leben im Kampf um ein freies Österreich.“528 In Aus Geschichte lernen 7 werden zudem auf der Materialienseite verschiedene Aspekte des Widerstandskampfes aufgearbeitet, indem Plakatabbildungen gezeigt werden: Zum einen ein Plakat des Free Austrian Movement, auf dem ein Hakenkreuz zerstört wird, zum anderen eine Abbildung eines agitatorischen Textes von Friedrich Wildgans (unter seinem Synonym Berghofbauer). Der Text ist dabei lesbar und wird auch nicht von einer Bildunterschrift ergänzt: „Österreicher! So müssen wir die Nazibestien zertreten!! Die Todesstunde des Hakenkreuzes hat geschlagen! HITLER und sein SYSTEM mögen durch uns Österreicher fallen! Berghofbauer“ 529 Vervollständigt wird die Darstellung des Widerstands erneut durch die Weiße Rose und das Attentat vom 20. Juli 1944. Der Österreichbezug kommt allerdings nur in den seltenen Fällen, in denen Carl Szokoll mit dem Kreis um Stauffenberg in Verbindung gebracht wird, zum Tragen, bei der Weißen Rose fällt er komplett weg.530

Während die Bildquellen für die 90er-Jahre relativ schnell abgehandelt werden können, sind die verwendeten Textquellen genauer zu analysieren. Hier lassen sich seit den 90ern speziell Historiker- Zitate, also Zitate aus der Sekundärliteratur, die wie Quellen verwendet werden, und Dokumente, Briefe usw., die im Originalwortlaut ins Schulbuch eingearbeitet werden, unterscheiden. Schon gezeigt wurden in diesem Zusammenhang die Aussagen Ernst Kaltenbrunners zur „defaitistischen Grundstimmung“ in Österreich im September 1944531 oder Adolf Schärfs Erinnerungen an die Begegnung mit Wilhelm Leuschner („Der Anschluss ist tot“).532 Auch die Moskauer Deklaration findet sich teilweise gekürzt unter den Kapiteln, die sich mit Widerstand beschäftigen.533 Auffällig ist, dass Schwierigkeiten für die Widerstandsbewegung nicht nur im Fließtext selbst, sondern auch über Quellen genannt werden. So findet sich in Zeitbilder 8 ein Zitat von Wolfgang Neugebauer, das sehr eindrücklich die Probleme für organisierten Widerstand beschreibt:

„In Österreich hingegen hatten die Widerstandskämpfer nicht zuletzt Österreicher zum Gegner, in einer von Denunzianten und fanatischen Regimeanhängern durchsetzten Umwelt zu wirken, gegen einen perfekt organisierten Terrorapparat und eine gigantische

527 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 75; Stationen 4 (1999), S. 75. 528 Stationen 4 (1992), S. 75; Stationen 4 (1999), S. 75. 529 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 155. 530 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 151f; Zeitbilder 7 (1996), S. 162. 531 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 73f; Stationen 4 (1999), S. 73. 532 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 75; Stationen 4 (1999), S. 75; Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 135. 533 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 74; Stationen 4 (1999), S. 74; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 96.

123 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Propagandamaschinerie anzukämpfen.“534

Erkennbar ist an dieser Stelle wiederum der Einsatz des Zitats aus der Sekundärliteratur, um möglichst pointierte Aussagen präsentieren zu können, ohne dass die Schulbuchautoren selbst diese tätigen müssen. Ein „perfekt organisierter Terrorapparat“ bzw. eine „gigantische Propagandamaschinerie“ wäre als Schulbuchfließtext nicht sachlich genug und wird deshalb in die Quellen ausgelagert. Stärker in den Vordergrund gerückt werden Porträts einzelner Widerstandskämpfer, etwas, das auch schon für frühere Jahrzehnte nachgewiesen werden konnte. Sie werden unter anderem über Auszüge aus den Werken des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, des Bundespressediensts oder Biographien beschrieben. Herauszuheben ist von der Darstellung her der Abriss über die sozialistische Widerstandskämpferin Käthe Leichter: Dem Zitat aus dem vom DÖW herausgegeben Werk „Der österreichische Freiheitskampf“ wird ein Foto beigefügt, der Quellentext ist quasi die Bildunterschrift.535 Mithilfe von Auszügen aus der Sekundärliteratur werden auch noch Franz Reinisch sowie Friedrich Wildgans536 oder Franz Jägerstätter beschrieben. Letztgenannter wird über ein Interview, das mit seiner Frau geführt wurde, näher dargestellt.537 Neben den Einzelpersonen werden auch die verschiedenen Gruppen näher beleuchtet, wobei die Spuren der Zeit-Reihe ganz besonders auf die Kärntner Partisanen eingeht. Interessantes Detail am Rande: Spuren der Zeit 7 verwendet im Grunde den gleichen Quellenausschnitt wie das Folgebuch für die achte Klasse, wobei aber unterschiedliche Stellen ausgelassen werden und der Ausschnitt in Spuren der Zeit 8 insgesamt länger ist.538 Neben den Partisanen, die zwar bisher im Fließtext erwähnt wurden, in Quellen aber nicht vorhanden waren, gibt es in den 90ern auch Quellenausschnitte zum katholischen Widerstand in Österreich, der ebenso zum ersten Mal im Quellenteil auftaucht.539 Gründe für das Auftauchen dieser unterschiedlichen Formen von Widerstand ist wohl die angesprochene generelle Ausdifferenzierung des Themas, von der auch noch weitere Bereiche des Widerstandes – Protestverhalten der Jugend, allgemein Unmut in der Bevölkerung oder weiblicher Widerstand – insofern profitieren, als dass solche Varianten in den Quellen angesprochen werden.540 Dazu kommen die fast schon obligatorischen Beschreibungen von Mitgliedern der Weißen Rose (und anderer deutscher Widerstandsgruppen!), 541 wohingegen Stauffenberg in den Quellen der 90er-Jahre keine Erwähnung findet. Als Abschluss sollen noch die Gesamtbeurteilungen des österreichischen Widerstands erwähnt werden, die ebenfalls Einzug in die Schulbuch-Quellen gefunden haben: Spuren der Zeit lässt beispielsweise

534 Zeitbilder 8 (1997), S. 7. 535 Vgl. Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 155. 536 Vgl. Ebenda, S. 155. Anm.: Bei Franz Reinisch erfolgt die Beschreibung analog zu jener von Käthe Leichter: Der Quelltext ist gleichzeitig die lange Bildunterschrift. 537 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 7f. 538 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 96; Spuren der Zeit 8 (1992), S. 152. 539 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 91. 540 Vgl. Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 158; Zeitbilder 7 (1996), S. 162; Zeitbilder 8 (1997), S. 7f. 541 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 151; Zeitbilder 7 (1996), S. 162.

124 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand den Widerstandskämpfer und späteren ÖVP-Politiker Lois Weinberger zu Wort kommen und zitiert aus dessen Buch „Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Österreich“542, in dem dieser die Widerstandskämpfer als „eifrigste und beharrlichste Mitarbeiter am schweren Werke des Wiederaufbaues unseres österreichischen Vaterlandes“543 bezeichnet. Problematisch ist, dass diese schon 1948 erschienenen Erinnerungen lediglich am Seitenrand in einen Kasten gestellt werden, ohne die Möglichkeit einer Reflexion (Arbeitsaufträge etc.) zu bieten. Auch das Erscheinungsjahr wird nicht angegeben.544 Bietet Weinberger hier einen Einblick aus der Sicht eines Einzelnen, versucht Zeitbilder 8 mit einem Auszug aus Gerhard Jagschitz‘ „Der österreichische Widerstand gegen das Nationalsozialistische Regime 1938-1945“545 eine objektiv-distanzierte Einschätzung zu geben. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die von den Schulbuchautoren formulierte Einleitung zur Quelle:

„Angesichts der immer wieder vertretenen Meinung, die Bedeutung des österreichischen Widerstandes wäre aufgebläht worden, um bei den Staatsvertragsverhandlungen eine bessere Position zu haben, zieht der Historiker Gerhard Jagschitz folgende Bilanz: ‚Es ist nicht angebracht, diesen österreichischen Widerstand zu bagatellisieren. Vor den Sondergerichten … wurden etwa 17 000 Österreicher aus politischen Gründen angeklagt. Dazu kommen noch etwa 20 000 – 30 000 Häftlinge in Konzentrationslagern und mehrere hundert Fälle vor dem Berliner Volksgericht. Allein im Wiener Landesgericht wurden etwa 1 000 Personen hingerichtet, in ganz Österreich waren es etwa 1 300, wozu noch die vollzogenen kriegsgerichtlichen Todesurteile gegen österreichische Wehrmachtangehörige kommen. Noch nicht eindeutig geklärt ist die Zahl der in den Konzentrationslagern Umgekommenen – hier werden etwa 15 000 angegeben – und in Gestapogefängnissen Ermordeten – wofür die Zahl von nahezu 10 000 genannt wird … Unklar ist auch die Zahl der in den letzten Kriegstagen von fliegenden Standgerichten Erschossenen, doch beträgt sie sicher einige Tausend.‘“546

Der Auszug aus Jagschitz‘ Werk wird hier bewusst der These entgegengestellt, der Widerstand in Österreich sei von offizieller Seite überhöht dargestellt worden, wobei Jagschitz‘ Argumentation rein auf Zahlen beruht. Der Kontext – Überhöhung des Widerstands für die Staatsvertragsverhandlungen – findet sich in diesem Zitat allerdings nirgends, weshalb es gewissermaßen aus dem Zusammenhang gerissen zu sein scheint, auch wenn eingangs erwähnt wird, der österreichische Widerstand sei nicht zu bagatellisieren. Kritisch zu betrachten ist hier zudem, dass diese „immer wieder vertretene Meinung“ sonst an keiner anderen Stelle – weder bei Zeitbilder noch in einer anderen Reihe – auftaucht, sie wird auch im Anschluss an die Quelle selbst nicht weiter thematisiert. Es hat den Anschein, als sei den Autorinnen und Autoren nun erstmals bewusst, dass der Umgang mit dem österreichischen Widerstand nicht unproblematisch ist: Zu nennen sind hier eine teilweise recht offensichtliche Heldenverehrung

542 Vgl. Lois Weinberger: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Österreich, Wien 1948. 543 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 97. 544 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 97. 545 Gerhard Jagschitz: Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime 1938-1945, in: Zeitgeschichte als Auftrag politischer Bildung. Lehren aus der Vergangenheit, hrsg. v. Peter Schneck/Karl Sretenovic, Wien/München 1979, S. 65-89. 546 Zeitbilder 8 (1997), S. 8f.

125 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

(wie gezeigt auch im Schulbuch!) und die Opferthese in Zusammenhang mit der Moskauer Deklaration. Unstimmigkeiten in der Rezeption des Widerstands und seiner Bedeutung werden bei der erstmaligen Bezugnahme darauf im Schulbuch aber beiseitegeschoben und durch einen namhaften österreichischen Historiker entkräftet, wobei an dieser Stelle noch einmal erwähnt werden muss, dass Jagschitz‘ Ausführungen aus dem Jahr 1978 stammen. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass sich diese hier gezeigte Passage auch in den Folgebänden der Zeitbilder-Reihe wiederfindet.

In Bezug auf die Arbeitsaufträge zum Thema Widerstand fällt auf, dass der Großteil der Fragen in Zusammenhang mit einer geringen Beteiligung oder den Gefahren des Widerstandskampfes zu sehen ist und sich diese Fragen sowohl auf Österreich als auch auf deutschen (auch hier wieder Weiße Rose, aber kein 20. Juli 1944) bzw. internationalen Widerstand beziehen können.547 Allgemeine, deutlich auf Österreich bezogene Fragen lauten beispielsweise, weshalb „beim österreichischen Widerstand das nationale Motiv lange Zeit nur eine untergeordnete Rolle“548 spielte oder „welche Bedeutung […] die Widerstandsbewegung“549 hatte. Von diesen allgemeinen Fragen sind spezifischere Fragen zu unterscheiden, bei denen es beispielsweise um die Moskauer Deklaration geht. Obwohl im Kapitel „Der Widerstand der Österreicher gegen den Nationalsozialismus“ behandelt, bezieht sich die Fragestellung in Stationen 4 nur indirekt auf Widerstand an sich: „Womit begründen die Alliierten den Wunsch nach der Wiederherstellung der Souveränität Österreichs? Wodurch schränken sie diese Begründung wieder ein?“550 Auch das zweite Buch, in dem mittels Arbeitsauftrag auf die Moskauer Erklärung Bezug genommen wird, setzt die entscheidenden Fragen lediglich implizit in Verbindung damit: „1. Welche Auswirkungen hatte die Moskauer Deklaration? 2. Welche Bedeutung hat der Widerstandskampf für Österreich?“551 Ebenfalls von den allgemeinen Fragen abzutrennen sind die beiden Arbeitsaufträge, die in Verbindung mit der Quelle von Adolf Schärf stehen und in beiden Versionen von Stationen 4 auftauchen. Zum einen wird verlangt, die Antwort auf die Frage, ob Österreich nach Untergang des NS-Regimes bei Deutschland bleiben werde, zu interpretieren, zum anderen soll die Frage beantwortet werden, warum der „Anschlußgedanke“ für immer tot sei und was zu einer Änderung der Haltung zu Deutschland zwischen 1918 und 1945 beigetragen habe.552 Interessant ist, dass in den 90er-Jahren erstmals eine Art Verhältnis zwischen den beiden Optionen, Widerstand zu leisten oder eben nicht, auftaucht und in Fragen verpackt wird. In Zusammenhang mit Verfolgung und Widerstand in Österreich findet sich dazu beispielsweise ein Arbeitsauftrag aus Spuren der Zeit 8: „4. Viele haben sich gegen Unrecht und Verfolgung nicht gewehrt. Diskutieren Sie

547 Vgl. Stationen 3 (1991), S. 189f; Spuren der Zeit 7 (1991), S. 152. 548 Zeitbilder 8 (1997), S. 7. 549 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 42. 550 Stationen 4 (1992), S. 74. 551 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 159. 552 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 75; Stationen 4 (1999), S. 75.

126 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand mögliche Argumente und Motive für diese Haltung!“553 Ebenfalls in diese Richtung geht die Arbeitsfrage in Aus Geschichte lernen 7, die zwar unter dem Kapitel „Widerstand in Österreich“ gestellt wird, aber sehr allgemein ausfällt: „1. Aus welchen Gründen ist im ‚Dritten Reich‘ Widerstand geleistet worden? 2. Warum beteiligte sich nur eine Minderheit am aktiven Widerstand?“554 Diese Frage weist im Grunde keinen Bezug zu Österreich auf und sie unterscheidet sich auch sonst nicht von den allgemein gehaltenen Fragen. Abschließend soll noch auf einen Arbeitsauftrag in Verbindung mit Franz Jägerstätter eingegangen werden: Im Quellenteil von Zeitbilder 8 findet sich eine Passage, wo er von seiner Frau beschrieben wird und auf die Schwierigkeiten eingegangen wird, die sich gesellschaftlich aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung auch für seine Frau ergeben; so wird die Seligsprechung (von seiner Witwe als Heiligsprechung bezeichnet) Jägerstätters beispielsweise von ehemaligen Stalingradkämpfern als „Beleidigung für alle Kriegsversehrten“555 empfunden. An diesem Punkt setzt die Arbeitsfrage ein, die sich mit diesem durchaus heiklen Thema auseinandersetzt: „Wie lässt sich die Haltung der ‚Stalingradkämpfer‘ erklären, wie beurteilt ihr sie?“556 Die Frage an sich ist sehr schwierig zu beantworten, schließlich liegen als Quellenteile lediglich die Aussagen der Witwe Jägerstätters vor und man erfährt praktisch durch zweite Hand von der Haltung der ehemaligen Wehrmachtssoldaten. Vor allem eine Beurteilung erscheint folglich schwierig, weil nur eine Partei zu Wort kommt. Lobenswert ist allerdings die Tatsache, dass sich die Frage erstmals mit der gesellschaftlichen Ächtung vieler Oppositioneller auseinandersetzt, die bisher in den Schulbüchern nicht vorhanden war. Hier ist eine gewisse Ambivalenz erkennbar, wenn es darum geht, den österreichischen Widerstand zu würdigen: Auf der einen Seite wird militärischer Widerstand als entscheidend für die Wiedererrichtung der Republik dargestellt und der Mut verschiedenster Gruppen und Einzelkämpfer hervorgehoben, auf der anderen Seite gibt es Kontroversen um Wehrdienstverweigerer wie Jägerstätter, denen lange Zeit eine Anerkennung versagt bleibt. Für Jägerstätter gilt, dass er, wie gezeigt, schon länger im Schulbuch präsent ist, die Auseinandersetzung mit seiner gesellschaftlichen Ächtung (Jägerstätter ist hier nur ein Beispiel!) beginnt allerdings erst in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre. Dabei ist gerade die Haltung der Bevölkerung gegenüber Widerstandskämpfern und –gruppen entscheidend, wenn es um die Aufarbeitung von Vergangenheit geht.

3.3.5 Seit 2000

3.3.5.1 Inhalt Die in den 90er-Jahren begonnene Ausdifferenzierung findet in den Schulbüchern seit 2000 auch für die Widerstandsthematik ihre Fortsetzung, sie ergibt sich größtenteils durch die verschiedenen neuen

553 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 95. 554 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 155. 555 Zeitbilder 8 (1997), S. 8. 556 Ebenda, S. 8.

127 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Schulbuchreihen. Auffällig ist wiederum, dass strikt zwischen österreichischem und internationalen Widerstand unterschieden wird, wobei man dazu übergegangen ist, zusätzlich andere Gruppen als nur die Weiße Rose bzw. den Kreis um Stauffenberg als Widerstandskämpfer zu nennen. Auch nicht- deutschsprachige Länder werden häufig thematisiert.557 Sieht man sich die Passagen über den österreichischen Widerstand genauer an, so erkennt man, dass die Rezeption des Widerstandes erstmals im Schulbuch einer Reflexion unterworfen und die Aufarbeitung von sowie die Beschäftigung mit österreichischem Widerstand thematisiert wird. So geht beispielsweise einst und heute 8 im Unterkapitel „Gab es den ‚österreichischen Widerstand‘“ (diese Frage stellte sich wie gezeigt im Schulbuch gar nicht!) darauf ein, dass Widerstand in der Zweiten Republik politisch und gesellschaftlich diskutiert wurde:

„Der österreichische Widerstand gegen die Nationalsozialisten nahm in der politischen Diskussion der Zweiten Republik eine wesentliche Stellung ein. Während die Regierungen seine Bedeutung in der Außenpolitik stark betonten, ihn teilweise richtiggehend vermarkteten, um vom Vorwurf der Mittäterschaft abzulenken, gab es auch Bestrebungen, den Widerstand Österreichs bzw. einzelner Österreicher zu bagatellisieren. Auch in diesem Punkt wirkt also die Frage ‚Land der Täter oder Land der Opfer?‘. Wenn auch bislang die Geschichtswissenschaft keine befriedigende Antwort bieten konnte, sollte in jedem Fall das Beziehen von Extrempositionen vermieden werden: Der österreichische Widerstand ist – trotz der zeitweisen Überbetonung durch das offizielle Österreich – sicher keine zu vernachlässigende Größe.“558

Die oben angesprochene Ambivalenz, die in der Beschäftigung mit österreichischem Widerstand sichtbar wird, wird hier im Schulbuch selbst thematisiert. Allerdings geht es in dem Abschnitt nicht darum, dass beispielsweise Wehrdienstverweigerer nicht genug gewürdigt worden wären, sondern um kritische Stimmen, welche die Bedeutung des Widerstands verharmlosen. Mit dem Verb „bagatellisieren“ wird im Übrigen dasselbe Wort gebraucht, das in Zeitbilder 8 von 1997 schon für die Gegenthese Jagschitz‘ herhalten musste. Erstmals wird auch gewissermaßen „zugegeben“, dass „das offizielle Österreich“ den Widerstand „überbetont“ hätte, der Zeitrahmen, in dem dies passiert, wird allerdings nicht genauer definiert. Trotzdem ist dieser Ausschnitt ein gutes Beispiel dafür, wie über den Umgang mit Widerstand kritisch nachgedacht werden kann, ohne ihn in seiner Bedeutung zu verharmlosen; die Grundthese bleibt nämlich weiterhin, der österreichische Widerstand sei „sicher keine zu vernachlässigende Größe“. Detaillierter wird über die Schwierigkeiten der Organisation geschrieben oder darüber, dass in den Monaten nach dem „Anschluss“ nur wenige Widerstand leisteten. Auch hier bietet einst und heute 8 eine erwähnenswerte Passage an:

557 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 138; einst und heute 7 (2001), S. 142f; Zeitbilder 8 (2004), S. 7; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 73/160; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 39ff; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 97ff; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 200ff; Zeitfenster 7 (2012), S. 95ff; Zeitbilder 7 (2014), S. 102ff. 558 einst und heute 8 (2002), S. 75.

128 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

„Unmittelbar nach dem Anschluss war es wohl nur eine Minderheit, die zum Widerstand bereit war. Zu groß war die erste Euphorie, die auch ‚Nicht-Nazis‘ angesteckt hatte. Dazu kamen die Passivität der Westmächte und die anschlussfreundlichen Erklärungen bekannter Persönlichkeiten, allen voran die Bischöfe Österreichs sowie Dr. Karl Renner, immerhin ein Kanzler der Ersten Republik.“559

Neben der „Anschluss“-Euphorie, den Pro-„Anschlus“-Stimmen Renners und der österreichischen Bischöfe wird auch das Nichteingreifen der Alliierten als Grund dafür genannt, warum sich Österreicher erst später zum Widerstand entschlossen. Streifzüge durch die Geschichte 7 erklärt zudem noch, welche Personengruppen anfangs Gegenwehr leisteten, um für das Jahr 1940 aber schon verstärkte Widerstandstätigkeit zu konstatieren. Weiters wird erläutert, was unter Widerstand zu verstehen ist:

„Unmittelbar nach dem Anschluss war nur eine kleine Schar von überzeugten Kommunisten, Sozialdemokraten, Katholiken und Christlichsozialen zum aktiven Widerstand bereit. Aber bald schon konnte man an einigen Fabrikswänden Anti-NS- Parolen lesen, und zu Beginn des Jahres 1940 meldete der Sicherheitsdienst der SS nach Berlin, dass der Widerstand gegen den Nationalsozialismus überraschend stark sei. Unter anderem ist die Rede von ‚Hetzreden‘, die die Patres aufgehobener Klöster gehalten hätten. Der Widerstand gegen das NS-Regime reichte vom Erzählen von politischen Witzen und der Verweigerung des ‚Hitlergrußes‘ über die Unterstützung verfolgter Mitmenschen bis zur politischen Untergrundarbeit und zur Planung von Attentaten auf Hitler.“560

Was in den 90ern über das Zitat und die Typisierung von Jagschitz erstmals auftauchte, wird hier im Fließtext ebenfalls versucht: unterschiedliche Formen des Widerstands begreifbar zu machen. Dies erfolgt nicht mittels einer wissenschaftlichen Typologie, sondern nur mit Beispielen im Schulbuchnarrativ selbst.561 Warum Widerstand insgesamt letztlich aber schwierig war und nur von wenigen geleistet wurde, führen die Bände der Zeitbilder-Reihe darauf zurück, dass die Nationalsozialisten sehr darauf bedacht waren, möglichst schnell potentielle Oppositionelle auszuschalten.562 Bei Thema: Geschichte sind es die Brutalität des Regimes, das Wirken der Gestapo sowie des Denunziantentums, die letztendlich für unzählige Opfer aus den Reihen der Widerstandskämpfer verantwortlich sind. Demgegenüber steht im Schulbuch von Manfred Schindlbauer aber eine nur selten in Lehrwerken vorhandene Aktion des Widerstands, die er als den „einzig[en] größere[n] öffentlichen Protest gegen den Nationalsozialismus und den ‚Anschluss‘“ bezeichnet: die Demonstration mehrerer Tausend katholischer Jugendlicher vor

559 einst und heute 8 (2002), S. 75. 560 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70. 561 Die Einteilung in die verschiedenen Formen des Widerstands bei Jagschitz findet sich seit 2000 in den Neuauflagen der Zeitbilder-Reihe: Zeitbilder 8 (2004), S. 8; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 97; Zeitbilder 8 (2014), S. 102. Seit 2006 wird zudem die Formulierung „Jagschitz räumt mit dem Klischee auf“, Widerstand sei nur militärisch möglich gewesen, ersetzt durch „Der österreichische Historiker Gerhard Jagschitz unterscheidet fünf Typen von Widerstand“. 562 Vgl. Zeitbilder 7/8 (2006), S. 99; Zeitbilder 7 (2014), S. 104.

129 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand dem Wiener Stephansdom im Oktober 1938.563 Diese Demonstration wird außerdem noch in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 sowie in einst und heute 8 erwähnt, vor 2002 fand sich in den untersuchten Schulbüchern allerdings keine Erwähnung dieser Aktion öffentlichen Unmuts.564 Sie reiht sich grundsätzlich in die Anführungen einzelner Widerstandsunternehmungen aus dem Umfeld der katholischen Kirche ein, für die es auch andernorts noch Beispiele gibt.565 Erwähnenswert ist aber, dass es trotz der Vielzahl an erwähnten Formen des Widerstandes, an Einzelkämpfern und Widerstandsgruppen noch Passagen gibt, die aufgrund ihrer Kürze keine Details aufweisen. So lautet der Fließtextteil des ohnehin sparsam mit Text umgehenden GO! 7 unter dem Kapitel „Österreich unter dem Hakenkreuz / Widerstand“ lediglich:

„Schon vor dem Einmarsch der deutschen Truppen gab es in Österreich auch Gegner und Gegnerinnen der NSDAP, und ihre Zahl stieg im Laufe des Krieges an. 1943 legten die Alliierten fest, dass Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg wiedererstehen sollte, wenn es einen Beitrag zu seiner Befreiung leistete.“566

Auch wenn weitere Einzelheiten in GO! über Quellen und Bilder transportiert werden, gerät der Narrativ doch dermaßen kurz, dass die Moskauer Deklaration, von der hier gesprochen wird, nicht einmal namentlich erwähnt wird. Abseits der Darstellung der NS-Gegner sei erwähnt, dass die AutorInnen an dieser Stelle das Wiedererstehen des Staates Österreich explizit mittels Konditionalsatz an den Beitrag zu seiner Befreiung knüpfen: Ohne Widerstand gebe es de facto kein eigenständiges Österreich nach dem Krieg. Erwähnenswert ist außerdem, dass weiblicher Widerstand wieder ausdrücklich erwähnt und dargestellt wird. Allen voran ist hier die Zeitbilder-Reihe zu erwähnen, die schon 1998 erstmals darauf aufmerksam machte, dass der weibliche Anteil am Widerstand häufig vergessen werde. Exakt dieselben Abschnitte werden jeweils in den Ausgaben von 2004, 2006 und auch in der neuesten von 2014 verwendet – es wird sogar die gleiche Quelle angehängt wie schon 1998.567 Neben Zeitbilder widmet sich allerdings lediglich noch Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 aus dem Jahr 2002 diesem Aspekt:

„Trotz der drohenden Verfolgung leisteten zahlreiche Frauen Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Im Februar gelang es (christlichen Frauen), ihre jüdischen Männer von der Gestapo in einer spektakulären Aktion in Berlin freizukämpfen. […] Regimekritische Frauen wurden in Gefängnissen oder KZ inhaftiert, selbst junge Mütter wurden hingerichtet. Die Mehrheit der Frauen wie auch Männer passte sich dem Regime

563 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 203. 564 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 164; einst und heute 8 (2002), S. 75. 565 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 165; Zeitfenster 7 (2012), S. 96; Anm.: Auffällig ist hier die unterschiedliche Beschreibung von Franz Jägerstätter, bei dem man sich offenbar nicht sicher ist, ob man ihm dem Katholischen Widerstand zuordnen soll oder nicht. In Durch die Vergangenheit zur Gegenwart wird er als Mesner bezeichnet, in Zeitfenster im Kapitel „Widerstand von kirchlicher Seite“ als Landwirt. 566 GO! 7 (2013), S. 107. 567 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 104.

130 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

unauffällig an.“568

Hier wird erstmals eine „Aktion“ rein weiblichen Widerstands beschrieben, was aber fehlt, ist ein Bezug zum österreichischen Widerstand. Andere Schulbuchreihen erwähnen weiblichen Widerstand nicht eigens, weil beispielsweise einzelne Widerstandskämpferinnen in Porträts und Beschreibungen genannt werden, wobei insgesamt deutlich mehr Männer herausgestellt werden. Das ist auch damit zu erklären, dass speziell der militärische Widerstand, dem immer noch der Löwenanteil der Beschreibungen zukommt, von Männern getragen wird. Frauen werden sonst als Unterstützerinnen der Partisanen (Verpflegung, medizinische Versorgung…) oder Einzelkämpferinnen dargestellt. Als Aktionen der Widerstandsgruppen – hier ist erneut O5 im Fokus, auch die „Österreichische Freiheitsbewegung“ sowie Partisanengruppen werden genannt569 – werden erneut Sabotage und militärischer Widerstand genauer beschrieben570, daneben finden sich nun aber zudem Details zu passivem Widerstand oder Unmutsbezeugungen, die diesmal sogar quantitativ den Beschreibungen von militärischem Widerstand gleichzusetzen sind, wenn man den katholischen Widerstand ebenfalls mitzählt, der schon wegen der Unterscheidung in den Schulbüchern genannt wurde.571 Anzumerken ist, dass bei der Beschreibung der Aktionen und Widerstandsgruppen neben der O5 und anderen Organisationen besonders Franz Jägerstätter als einzelner Widerstandskämpfer immer wieder herausgehoben wird. Auch Roman Karl Scholz sowie die Ordensschwester Helene Kafka („Maria Restituta“) werden neben den Vertretern der politischen und militärischen Gruppen genannt. Eine interessante Passage liefert einst und heute 8, das den Zeitpunkt der Entstehung von Widerstandsbewegungen in Österreich für den Spätsommer 1938 ansetzt und erklärt, warum eigentlich von „österreichischem Widerstand“ gesprochen wird:

„Eine breitere Formierung von Widerstandsgruppen setzte im Spätsommer 1938 ein. Die Motive der diversen Gruppen waren dabei sehr unterschiedlich: politische, ideologische, religiöse und soziale Ideen waren für einzelne Gruppierungen ausschlaggebend. Trotzdem kann man von einem ‚österreichischen Widerstand‘ sprechen – das Ziel aller Gruppierungen war immerhin ein gemeinsames. Träger des aktiven Widerstandes findet man demnach in allen sozialen Gruppen und politischen Lagern. Sie verbreiteten Flugblätter, verübten Sabotage, scheuten vereinzelt auch nicht vor Gewaltaktionen zurück und unterstützten Verfolgte. Gegen Kriegsende führten sie auch einen offenen bewaffneten Kampf. Zwischen österreichischen und deutschen Widerstandsgruppen bestanden allerdings kaum Verbindungen.“572

Ein gemeinsames Ziel – das hier nicht genauer definiert wird – reicht an sich also aus, um von einem

568 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 160. 569 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 140; einst und heute 8 (2002), S. 75; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70; Zeitfenster 7 (2012), S. 97. 570 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 82; Zeitbilder 8 (2004), S. 8; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 132; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 203; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 9; GO! 7 (2013), S. 107; Zeitbilder 7 (2014), S. 105. 571 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 75; Zeitbilder 8 (2004), S. 7; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 104. 572 einst und heute 8 (2002), S. 75.

131 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand rein österreichischen Widerstand sprechen zu können. Noch stärker wird er vom deutschen Widerstand abgegrenzt, indem erwähnt wird, zwischen den Gruppen der „Ostmark“ und dem „Altreich“ hätte es kaum Verbindungen gegeben. Warum dies der Fall war, wird offengelassen, es scheint den AutorInnen aber ein Anliegen gewesen zu sein, die Motive und Ziele der österreichischen Widerstandskämpfer – implizit: die Wiedererrichtung des Staates – nicht durch eine Kooperation mit deutschen Widerstandskämpfern zu verwässern. Hier wäre unter dem gemeinsamen Ziel wohl die Beseitigung Hitlers und die Beendigung des Krieges zu nennen, das Schicksal Österreichs wäre in diesem Fall allerdings von sekundärer Bedeutung. Stärker als bisher wird seit 2000 die Moskauer Deklaration in Verbindung mit dem Widerstand gesetzt. So führt Wege durch die Zeiten 4 an, dass sich „der Widerstand […] [ausweitete], als sich die Kriegslage wendete und 1943 das ‚Moskauer Memorandum‘ bekannt wurde […]. Darin erklärten die Außenminister der Alliierten, daß Österreich wiederhergestellt werden solle.“573 Auch der Vorgängerband, Wege durch die Zeiten 3, erwähnt, der Einsatz der ihr Leben aufs Spiel setzenden Österreicher „stellte jenen Beitrag für die Befreiung Österreichs dar, den die alliierten Mächte in der Moskauer Deklaration des Jahres 1943 gefordert hatten.“574 Die Zeitbilder-Reihe bleibt in ihren Formulierungen den schon verwendeten Teilen von 1997 treu, ab 2006 wird lediglich ein anderes Datum – 30. Oktober statt 1. November – und eine andere Bezeichnung der Erklärung selbst – nicht mehr „Deklaration über Österreich“ – verwendet. Kernaussage bleibt allerdings: „Darüber hinaus erhielt der österreichische Widerstand durch diese Erklärung großen Auftrieb.“575 Die kritischste Auseinandersetzung mit der Erklärung von Moskau bietet Thema: Geschichte 8 an, das die Rezeption im Nachkriegsösterreich einer Reflexion unterwirft:

„Obwohl vor allem als Propagandainstrument gedacht, um die österreichische Bevölkerung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufzurufen, wurde die Moskauer Deklaration später von österreichischer Seite zum Grunddokument für die Wiedergeburt des Staates hochstilisiert.“576

Die Formulierung, es habe sich bei der Moskauer Deklaration in erster Linie um ein Propagandainstrument gehandelt, entspricht auch dem damaligen (und jetzigen) Forschungstand zum Thema.577 Interessanterweise wird diese gängige Interpretation von anderen Schulbüchern aber nicht aufgenommen – ausgehend von den Zeitbilder-Ausgaben wird die Moskauer Deklaration völlig unkritisch als Faktor für den sich verstärkenden Widerstand hingestellt, ohne sich mit den Gründen ihres Zustandekommens auseinanderzusetzen. Geschieht dies doch, erfolgt es mit dem Hinweis darauf, die Alliierten hätten gleichsam aus dem Nichts die Wiedererrichtung der Republik beschlossen.

573 Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 82. 574 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 140. 575 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 9; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 200; Zeitbilder 8 (2014), S. 8. 576 Thema: Geschichte 8 (2008), S. 9. 577 Vgl. Robert H. Keyserlingk: 1. November 1943: Die Moskauer Deklaration, S. 10.

132 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

3.3.5.2 Bilder und Bildunterschriften Auf der Bildebene gibt es grundsätzlich keine entscheidenden Veränderungen, vor allem die schon bekannten Bildmotive treten erneut und verstärkt auf: Neben den häufigen Darstellungen der deutschen Widerstandsbewegung rund um Graf Stauffenberg und die Weiße Rose,578 finden sich die typischen Ikonen des österreichischen Widerstands in Form des O5-Zeichens am Wiener Stephansdom (oder an Mauern)579 sowie der verratenen und ermordeten O5-Mitgliedern der Operation Radetzky.580 Auffällig bei der Darstellung der erhängten militärischen Widerstandskämpfer ist die hin und wieder fehlende Benennung der Akteure in der Bildunterschrift. Die Details werden meist im Fließtext geliefert, in der Bildunterschrift wird dann allgemein auf Widerstand eingegangen, wie beispielsweise bei Streifzüge durch die Geschichte 7: „Noch in den letzten Tagen wurden Widerstandskämpfer und Wehrdienstverweigerer hingerichtet und zur Abschreckung öffentlich zur Schau gestellt.“581 Andere österreichische Widerstandskämpfer werden ebenfalls bildlich dargestellt, im Bereich des kirchlichen Widerstands bemüht sich hier insbesondere Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 um möglichst viele verschiedene Abbildungen: Insgesamt vier verschiedene dem Bereich „Katholischer Widerstand“ zugeordnete Personen – Franz Jägerstätter, Helene Kafka, Karl Roman Scholz und Prälat Weinberger – werden mit Abbildungen und diese mit Bildunterschriften versehen, die eine kurze Beschreibung liefern.582 Zeitbilder 8 von 2004 bietet mit insgesamt drei Bildern – Hedy Urach, Otto Haas und erneut Franz Jägerstätter583 – eine Darstellung quer durch verschiedene Gruppen von Widerstandskämpfern, wobei sich die gezeigten Personen allerdings in den Folgeausgaben ändern: In der Doppelausgabe Zeitbilder 7/8 taucht zwar Franz Jägerstätter wieder auf, an seiner Seite werden bildlich nun aber die erhängten Mitglieder der O5, das O5-Zeichen am Stephansdom sowie Helene Kafka gezeigt.584 Die vier Bilder erstrecken sich dabei über die ganze Seite und man kann daran sehr gut erkennen, wie sehr die Bildauswahl von Schulbüchern historische Bedeutsamkeit konstruiert; eben weil die Bilder so viel Raum einnehmen, muss man als LeserIn davon ausgehen, bei den dargestellten Personen würde es sich um die mit Abstand wichtigsten Vertreter des österreichischen Widerstandskampfes handeln. Ähnlich funktioniert auch die Darstellung des deutschen Widerstands mittels Weißer Rose und Stauffenberg. Dass Helene Kafka erst seit kurzer Zeit überhaupt im Schulbuch zu finden ist, ändert nichts an der gewichtigen Rolle, die ihr schon allein durch das große Bild zugemessen wird. Sie und Jägerstätter stehen hier in Form von zwei Bildern dem militärischen

578 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 139/143; einst und heute 7 (2001), S. 142; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 41; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 99; Zeitfenster 7 (2012), S. 95f. 579 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 139; einst und heute 8 (2002), S. 75; Zeitbilder 8 (2004), S. 9; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 200; Zeitfenster 7 (2012), S. 97; Zeitbilder 8 (2014), S. 8. 580 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 75; Zeitbilder 8 (2004), S. 8; Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: Aus Geschichte lernen. 8. Klasse. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Wien 2002, S. 42. (im Folgenden zitiert als: Aus Geschichte lernen 8 (2002)); gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 134; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70; Zeitfenster 7 (2012), S. 97. 581 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70. 582 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 165. 583 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7- 584 Vgl. Zeitbilder 7/8 (2006), S. 101.

133 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Widerstand – die erhängten O5-Mitglieder – gegenüber, was man durchaus als Folge der gestiegenen Bedeutung passiven Widerstands gegenüber dem militärischen auffassen kann. Interessant ist auch, dass sich die Darstellung mit der Folgeausgabe von 2014 erneut ändert: Hier wird nur noch Jägerstätter dargestellt, die anderen Widerstandskämpfer tauchen bildlich nicht mehr auf.585 Auch Plakate oder Flugblätter finden sich unter den Abbildungen, die seit 2000 in diversen Schulbüchern Eingang finden: Verwendet werden dabei erneut Texte von Friedrich Wildgans, die er unter seinem Pseudonym „Berghofbauer“ verbreitete.586 Alle anderen bildlichen Darstellungen weisen keinen Österreichbezug mehr auf, dafür finden sich auch Bilddokumente nicht-deutscher Widerstandskämpfer, beispielsweise von Marschall Tito in Jugoslawien.587

3.3.5.3 Quellen Die Quellen sind größtenteils – in erster Linie ist hier die Zeitbilder-Reihe zu nennen – schon während der 90er-Jahre erstmals gezeigt worden, insbesondere was allgemeine Darstellungen von Widerstand betrifft. So findet sich das schon für 1997 nachgewiesene Zitat über die Schwierigkeiten des Widerstands von Wolfgang Neugebauer in allen Folgebänden wieder.588 Wie gehabt zeigt Zeitbilder die Protokollauszüge eines Gerichtsprozesses gegen eine Frau, seit 2006 sogar in einem eigenen Unterkapitel „Widerstand der Frauen“.589 Die Moskauer Deklaration hingegen wird in verschiedenen Schulbüchern nur selten in den Kapiteln zu Widerstand als Volltext aufgelegt, in GO! 7 dafür im englischen Originalwortlaut.590 Für GO! 7 ist die Erklärung aber nur durch einen Arbeitsauftrag in Zusammenhang mit Widerstand zu bringen, denn eigentlich wird sie unter dem Kapitel „Der Weg zum Staatsvertrag“ behandelt. In diesem Kontext wird die Moskauer Deklaration insgesamt häufiger behandelt als in Verbindung mit Widerstand. Zusätzlich finden sich Beschreibungen von einzelnen Widerstandsaktionen, vornehmlich aus Sekundärliteratur, oder wie im Fall der Operation Radetzky aus Zeitungsberichten: Unter der Überschrift „Kann Wien gerettet werden?“ bietet Wege durch die Zeiten 4 die bis dato genaueste Beschreibung über die Vorkommnisse, die zur Enttarnung und Ermordung der Widerstandskämpfer rund um Carl Szokoll führten. Der Zeitungsbericht selbst, aus dem die Informationen stammen, wird allerdings nicht genannt, es wird lediglich „Aus Zeitungsberichten“ zitiert.591 Als Bericht über Unmutsbezeugungen gegen das nationalsozialistische Regime dient auch eine Beschreibung des DÖW, nach der Musikkapellen sich weigerten, nur für NS-Festivitäten aufzutreten, bei kirchlichen Prozessionen allerdings nicht spielen zu dürfen.592 Als letzte Quellen in diesem Zusammenhang sind die von Zeitbilder verwendeten Auszüge aus Ernst Joseph Görlichs „Grundzüge der Geschichte der

585 Vgl. Zeitbilder 8 (2014), S. 104. 586 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 75. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 202. 587 Vgl. Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 139. 588 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 99; Zeitbilder 7 (2014), S. 104. 589 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 104. 590 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 208f; GO! 7 (2013), S. 112. 591 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 89. 592 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 165.

134 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Habsburgermonarchie und Österreichs“ (1970) zu nennen. Darin meldet ein Offizier Hitler im April 1945, dass man Wien aufgrund der Stimmungslage nicht halten könne: „Wien ist nicht zu halten, da der Widerstand derartig groß ist, dass er nicht zu brechen ist. Der Volkssturm ist in Wien nicht eingerückt. Ich glaube, man kann ihn auch gar nicht einberufen, weil er sofort auf die SS schießen würde.“593 Neben diesen Unmutsbezeugungen gibt es seit 2000 wieder Porträts verschiedener Widerstandskämpfer bzw. Auszüge aus der Sekundärliteratur, die Einzelpersonen näher beschreiben. Für österreichische Oppositionelle ist im Quellenteil als erster wiederum Franz Jägerstätter zu nennen, der in der Zeitbilder-Reihe wie schon in den 90ern über seine Frau beschrieben wird.594 Auch Käthe Leichter, Franz Reinisch und Friedrich Wildgans werden wieder über Werke des DÖWs bzw. über den Bundespressedienst dargestellt – hier ändert sich die Darstellung seit den 90er-Jahren nicht.595 Für nicht-österreichische Widerstandskämpfer finden sich Beschreibungen einzelner Träger des kirchlichen Widerstands wieder, als Art der Quelle sind hier in erster Linie Briefe zu nennen.596 Dazu kommen die schon bekannten Darstellungen der wiederum häufig vertretenen Personengruppe um Stauffenberg bzw. die studentische Widerstandsgruppe Weiße Rose.597 Dabei fällt über die Jahrzehnte auf, dass sich an der Art der Darstellung und des Inhalts im Grunde nichts ändert, Graf von Stauffenberg und die Geschwister Scholl bleiben unverändert bildlich sowie in Quellen und Fließtext präsent. Während also im Umgang mit österreichischem Widerstand durchaus neue Aspekte, andere Personen und mitunter neue Inhalte vermittelt werden, bleiben die genannten deutschen Widerstandsgruppen grundsätzlich unverändert. Interessant erscheinen abschließend noch jene Quellen, die sich einer Beurteilung der Bedeutung von Widerstand widmen. Zu nennen ist hier erneut der Auszug aus Jagschitz‘ „Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime 1938-1945“598 von 1979, der in den Zeitbilder- Folgebänden jeweils 2004, 2006 und auch 2014 wieder auftaucht, allerdings ändert sich die Fließtextformulierung im Vorfeld der Quelle 2006 erstmals: „Noch immer wird da und dort die Meinung vertreten, der österreichische Widerstand wäre im Nachhinein aufgebläht worden, um bei den Staatsvertragsverhandlungen eine bessere Position zu haben. Der Zeithistoriker Jagschitz bewertet dies so […].“599 Daneben wird in einst und heute 7 sowie in Streifzüge durch die Geschichte 7 ein Zitat des deutsch-amerikanischen Historikers Peter Hoffmann verwendet, der sich in seinem Werk

593 Zeitbilder 8 (2004), S. 8; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 105. 594 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7f; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 105. 595 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 75. Anm.: Zu Reinisch und Leichter finden sich auch Bilddarstellungen. 596 Vgl. Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 40; Zeitfenster 7 (2012), S. 96. 597 Wege durch die Zeiten 3 (2000), S. 142f; einst und heute 7 (2001), S. 143; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 40f; Zeitbilder 7/8 (2006), S. 98f; Zeitfenster 7 (2012), S. 96; 598 Gerhard Jagschitz: Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime 1938-1945, S. 65- 89. 599 Zeitbilder 7/8 (2006), S. 100; Zeitbilder 7 (2014), S. 105. Vgl. dazu: Zeitbilder 8 (2004), S. 8.

135 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

„Stauffenberg und der 20. Juli 1944“600 zum Potenzial des Widerstands insgesamt – sowohl auf Deutschland als auch auf Österreich bezogen – äußert:

„1936 erfasste die GESTAPO 1,6 Millionen Flugblätter, 1937 noch über 900 000, die von der verbotenen KPD und SPD verbreitet wurden. […] Mehr als eine Million Deutsche und Österreicher wurden zwischen 1933 und 1945 in Konzentrationslagern festgehalten, 40 000 nach Gerichtsurteilen hingerichtet, Zehntausende ohne Gerichtsurteil. Sondergerichte brachten 12 000 Deutsche um, Gerichte der Wehrmacht (Kriegsgerichte) töteten 25 000 deutsche Soldaten. Diese Zahlen lassen das Potential des Widerstandes gegen Hitlers Diktatur ebenso erkennen wie dessen Ohnmacht. Die Diktatur Hitlers wurde davon kaum beeinträchtigt … Widerstand mit Unterstützung durch einen großen Teil der Bevölkerung hätte die Machthaber vielleicht zur Mäßigung zwingen können. Aber die Bevölkerung und sogar viele Gegner des Regimes dachten nicht daran, gegen die Regierung tätig zu werden.“601

Mit dem Zitat Hoffmanns wird den SchulbuchautorInnen erneut die Aufgabe abgenommen, sich selbst zur schwierigen Situation der Widerstandskämpfer bzw. deren Potenzial im Vergleich zu ihren eher bescheidenen Ergebnissen äußern zu müssen. Hoffmann argumentiert dabei vornehmlich mit Zahlen, die eben belegen, dass es Widerstand in größerem Ausmaß gegeben hat. Am Ende steht aber auch hier der Nachsatz: „Die Diktatur Hitlers wurde davon kaum beeinträchtigt.“ Es wurde schon im Theorieteil darauf hingewiesen, dass der Widerstandskampf nicht allein an seinem Ergebnis gemessen wird, sondern er in erster Linie eine moralische Rolle spielte und immer noch spielt, was sich durch diese Quellen wiederum nachweisen lässt.

3.3.5.4 Arbeitsaufträge Arbeitsaufträge finden sich in Verbindung mit österreichischem Widerstand in den neueren Schulbüchern sehr häufig, im Vergleich zu älteren Lehrwerken ändert sich zum größten Teil auch die Art der Fragestellungen mitunter deutlich. Einige der Fragen bleiben im Vergleich zu Vorgängerbüchern gleich, vor allem was eine allgemeine Beschäftigung mit Widerstand anbelangt: Weshalb das nationale Motiv des Widerstands lange nur eine geringe Rolle spielte oder welche Bedeutung die Widerstandsbewegung hatte – diese Fragen sind schon aus den 90er-Jahren bekannt.602 Zeitfenster 7 bietet in Hinblick auf die neue Matura sowohl reine Stofffragen als auch weiterführende Arbeitsaufträge, bei denen die Schülerinnen und Schüler kreativ tätig werden müssen:

„1. Nenne einige Widerstandsgruppen und deren Mitglieder! [= Wissens-Check, Anm. D.H.] 1. Erstelle Porträts von Widerstandskämpferinnen und –kämpfern und gestalte ein Wandplakat. 2. Stelle dir vor, du bist ein/e Widerstandskämpfer/in! Gestalte ein Flugblatt[,] das die Bevölkerung auf die antidemokratische Haltung des Regimes aufmerksam macht! [= Expertentasks, Anm. D.H.]“603

600 Peter Hoffmann: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, München 1998. 601 einst und heute 7 (2001), S. 142; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 39. [gekürzt] 602 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 7; Zeitbilder 7 (2014), S. 104; Aus Geschichte lernen 8 (2002), S. 42. 603 Zeitfenster 7 (2012), S. 101.

136 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Anzufügen ist bei dieser Aufgabenstellung, dass sie sich nicht auf ein einzelnes Land bezieht, die Schülerinnen und Schüler also sowohl österreichische als auch deutsche Widerstandskämpfer nennen können. Die Flugblattgestaltung ist höchstwahrscheinlich in der Tradition der Flugblätter der Weißen Rose zu sehen und soll Schülerinnen und Schüler zum Textschreiben animieren. GO! 7 bietet eine andere Art der Aufgabenstellung, die sowohl Recherche, Zusammenfassung als auch Präsentation beinhaltet:

„2. Suchen Sie auf der Homepage des DÖW, des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (www.doew.at), mittels Volltextsuche den Abdruck des Referates ‚Widerstand in Österreich – ein Überblick‘ des Historikers Wolfgang Neugebauer. Fassen Sie jeweils zu zweit die wichtigsten Inhalte schriftlich zusammen und vergleichen Sie Ihre Ergebnisse im Plenum. 3. Kleingruppenarbeit. Wählen Sie eines der auf www.doew.at [Thema] in der Rubrik ‚Widerstand und Verfolgung‘ genannten Themen. Gestalten Sie mithilfe der Informationen auf der Homepage eine PowerPoint- Präsentation für Ihre Klasse. Erläutern Sie zu Beginn der Präsentation kurz Ihre Gründe dafür, dieses Thema zu wählen.“604

Positiv hervorzuheben ist bei diesem Beispiel, dass sich die Schülerinnen und Schüler ausdrücklich mit Texten namhafter Historiker beschäftigen sollen, die nicht nur im Kontext des Schulbuchs auftauchen. Die anschließende Präsentation der Ergebnisse passt ebenfalls ins Konzept. Allerdings – und das ist kritisch zu betrachten – findet sich im Rahmen der Doppelseite in GO! 7 unter dem Kapitel „Österreich unter dem Hakenkreuz / Fragen & Aufgaben“ keine Aufgabe, die sich mit österreichischer NS-Täterschaft beschäftigt. Für die erste, hier nicht abgebildete Frage sollte man Zeitzeugen suchen, womit diese ebenfalls keinen Bezug zur Verantwortung Österreichs herstellt. Man könnte meinen, der einzige wichtige Aspekt, der für „Österreich unter dem Hakenkreuz“ zu lernen ist, sei Widerstand, weil eine Mitverantwortung gar nicht mehr auftaucht (zumindest nicht an dieser Stelle). Zeitbilder 7 wiederum verwendet die Widerstandsformen nach Jagschitz, um eine Arbeitsfrage zu formulieren: „1. Fasse die verschiedenen Formen des Widerstandes zusammen und führe dafür konkrete Beispiele an.“605 Dabei handelt es sich um eine typische Prüfungsfrage, für die lediglich die Einteilung des Historikers zu lernen ist. Wenn es um kirchlichen Widerstand geht, bietet Zeitfenster 7 eine interessante, wenn auch nicht auf Österreich bezogene Arbeitsfrage, in der gefragt wird, ob die Kritik, die in der Textstelle vorher zum Ausdruck kommt, gerechtfertigt ist. Bei der Quelle, auf die sich die Frage bezieht, handelt es sich um einen Auszug aus der Enzyklopädie des Nationalsozialismus, bei der Kritik an der Form des Widerstands der Kirche geübt wird, der sich laut Enzyklopädie „im Großen und Ganzen auf die Verteidigung des engeren kirchlichen Raumes gegen die Übergriffe der Nationalsozialisten“

604 GO! 7 (2013), S. 107. 605 Zeitbilder 7 (2014), S. 105.

137 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand beschränkte, aber nicht darüber hinaus ging.606 Per se einen viel stärkeren Österreichbezug weisen die Fragen in Zusammenhang mit der Moskauer Deklaration auf, wobei nirgends explizit auf Widerstand Bezug genommen wird.607 Indirekt versucht es zumindest GO! 7, das sich in der Frage kritisch zur „Verklärung“ der Quelle äußert:

„1 Der Historiker Günter Bischof nennt die Moskauer Deklaration ‚die Magna Carta der Zweiten Republik‘. Belegen Sie anhand des Originalwortlautes einerseits die spätere Verklärung zu einem Gründungsdokument der Zweiten Republik und andererseits die eigentliche Absicht der Großmächte.“608

Interessant wird der Arbeitsauftrag auch durch die Frage nach den eigentlichen Absichten der Großmächte, die nach derzeitigem Forschungsstand damit beantwortet werden muss, die Erklärung sei nur ein Propagandainstrument gewesen, um den österreichischen Widerstand in Gang zu bringen. Explizit wird der Zusammenhang zwischen Moskauer Deklaration und Widerstand aber hier nicht hergestellt. Sehr häufig finden sich in der Folge Arbeitsaufträge, in denen nach Verantwortung, Ethik und Moral sowie den Gründen für fehlenden Widerstand gefragt wird, wobei hier erneut ersichtlich wird, dass Widerstand vor allem aus diesen Gründen sehr häufig rezipiert wird. Wege durch die Zeiten 4 fragt beispielsweise: „A4 Wozu gehört besonderer Mut (damals – heute)? A5 Welche Verantwortung mußte man auf sich nehmen, um wie die Mitglieder der Widerstandsgruppe Szokoll zu handeln?“609 Dabei wird auch beispielsweise der mangelnde Widerstand von kirchlicher Seite erneut thematisiert.610 Bei Fragen wie diesen fällt auf, dass hier sehr stark auf deutschen bzw. internationalen Widerstand eingegangen wird, österreichischer Widerstand kommt in den allgemein formulierten Fragen nur sehr selten vor.611 Herauszuheben aus der Vielzahl solcher Fragen sind die Leitfragen aus Thema: Geschichte 7, die nicht ungeschickt zwischen deutschem und österreichischem Widerstand unterscheiden:

„1. Diskutiert, ausgehend von dem Wissen, das euch dieses Kapitel vermittelt hat, die These einer Kollektivschuld der Deutschen und Österreicher am Nationalsozialismus und seinen Verbrechen! 2. Informiert euch über die auf den Briefmarken abgebildeten Widerstandskämpfer! 3. Der französische Literaturnobelpreisträger Albert Camus schrieb einmal, dass er in der Resistance etwas von dem wiederentdeckt habe, ‚was dem Leben und Tod Würde verleiht‘. Diskutiert unter diesem Gesichtspunkt über die Bedeutung des innerdeutschen Widerstandes gegen das NS-Regime! 4. Referatsthema: Der österreichische Wehrdienstverweigerer Franz Jägerstätter“612

606 Vgl. Zeitfenster 7 (2012), S. 96. 607 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 89; GO! 7 (2013), S. 113. 608 GO! 7 (2013), S. 113. 609 Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 89. 610 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 142. 611 Vgl. einst und heute 7 (2001), S. 143ff; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 165; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 40f. 612 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 203.

138 Schulbuchanalyse | Der österreichische Widerstand

Der Name des Kapitel, das mit diesen Fragen abgeschlossen wird, lautet „Zustimmung und Widerstand“, was darauf hinweist, dass hier Befürworter und Gegner des Systems gemeinsam behandelt werden – wie schon erwähnt, ist dies nur selten der Fall. Erfolgt eine Behandlung dieser Themen gemeinsam, lässt sich dies wie hier auch an den Arbeitsfragen nachweisen: Explizit wird nach Kollektivschuld gefragt, wenn die vier Seiten vorher eigentlich nur aus Widerstand bestehen, zuvor aber die Zustimmung zum Regime herausgehoben wurde. Die Frage zu den auf Briefmarken abgebildeten Widerstandskämpfern bezieht sich auf eine Abbildung deutscher Widerstandskämpfer, bei denen auch auf die Rezeption des Widerstands eingegangen wird. Diese und die folgende Frage beziehen sich wieder rein auf den deutschen Widerstand, um bei der letzten Frage wieder auf österreichischen Widerstandskampf zu sprechen zu kommen: Erneut dient hier Franz Jägerstätter als Aufhänger für ein Referat, womit sich seine Stellung als einer DER österreichischen Oppositionellen erneut zeigt, weil er in den Arbeitsfragen von Thema: Geschichte 7 als einziger Kämpfer namentlich genannt wird. Zu Jägerstätter findet sich in Zeitbilder 8 von 2004 auch wieder die Frage, wie sich die Haltung der „Stalingradkämpfer“ ihm gegenüber erklären lasse.613 Während sich die Quellenpassagen zu Jägerstätter bis 2014 nachweisen lassen, taucht die Frage mit den „Stalingradkämpfern“ seit der Doppelausgabe 7/8 von 2006 nicht mehr auf. Abschließend soll auch an dieser Stelle noch einmal die Bedeutung des österreichischen Widerstands im Fragen-Teil analysiert werden. Während Zeitbilder auch hier an dem schon gezeigten Muster festhält – „Erörtere die Aussage des Historikers [= Jagschitz über die Bagatellisierung des Widerstands] und versuche eine eigene Bewertung.“614 –, bietet Streifzüge durch die Geschichte 7 einen elementaren Teil der Aufarbeitung von Widerstand: „Die Rolle der Widerstandskämpfer wurde in den Jahrzehnten nach 1945 im Gegensatz zur Mittäterschaft vieler Österreicher stark in den Vordergrund gerückt. Welche Absicht könnte damit verbunden gewesen sein?“615 Elementar ist dieser Ausschnitt aus zwei Gründen: Zum einen wird erstmals eingeräumt, dass Widerstand im Vergleich zur Täterschaft in den Vordergrund gerückt wurde. Zum anderen geschieht dies nicht im Fließtext, sondern „nur“ innerhalb einer Frage. Die Schülerinnen und Schüler werden somit mit einem Sachverhalt konfrontiert, den sie in der Folge analysieren müssen. Auch wenn dies als ein probates Mittel erscheint, um einzelne Aspekte – vor allem solche, die nicht wichtig genug erscheinen, um im Fließtextteil selbst aufzuscheinen – doch noch ins Lehrwerk aufzunehmen, lässt sich daraus auf der anderen Seite ablesen, dass eine Behandlung dieses kontroversen Themas an den Rand gedrängt wird und dort bis auf wenige hier erwähnte Ausnahmen auch noch heute bleibt.

613 Vgl. Zeitbilder 8 (2004), S. 8. 614 Zeitbilder 7 (2014), S. 105. 615 Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 70.

139 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

3.4 Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

In diesem letzten Analyseteil geht es nun direkt um die nach 1945 stattfindende Aufarbeitung der österreichischen Vergangenheit und ihrer Bewältigung. Es stellt sich hierbei die Frage, inwieweit sich Österreich von seiner eigenen Vergangenheit in der Zweiten Republik explizit abgrenzt, diese verschweigt oder bewusst anspricht. Während im letzten Kapitel genauer auf Kriegsverbrechen und Holocaust mit österreichischer Beteiligung eingegangen wurde, liegt in diesem Kapitel der Fokus auf der Haltung des offiziellen Österreichs zum Nationalsozialismus und wie sich jener im Laufe der Zweiten Republik verändert. Das vorliegende Kapitel stellt auch insofern einen Sonderfall in der Untersuchung dar, weil inhaltlich wichtige Aspekte für das Bewältigen der österreichischen NS- Vergangenheit als Ereignis für neuere Schulbücher relevant werden (Waldheim-Affäre 1986, Rede Vranitzkys vor dem Parlament 1991, Restitutionsgesetz seit 2000). Insofern sind die Veränderungen in den Schulbüchern mitunter deutlicher erkennbar und auch unterschiedlicher ausgefallen, als dies beispielsweise für den „Anschluss“ der Fall ist, bei dem über mehr als 50 Jahre hinweg zwar vom selben Ereignis berichtet wird, dieses aber im Laufe der Jahre immer anders betrachtet wird.

3.4.1 Die 50er- und 60er-Jahre

3.4.1.1 Inhalt Auch für die allgemeine Vergangenheitsbewältigung gilt, dass sich die Schulbücher aus den 50er- und 60er-Jahren größtenteils bedeckt halten, was Details betrifft. Dazu kommt, dass es in den ersten Jahren nach dem Staatsvertrag vorrangig darum ging, ein positives Bild Österreichs zu generieren. Deshalb steht nicht die Aufarbeitung von Schuld und Verantwortung an erster Stelle, sondern die Stärkung des Nationalgefühls, des „Österreichbewusstseins“. Dazu bedient sich Lehrbuch der Geschichte von 1956 des Staatsvertrages und dem Hinweis darauf, „noch unter den Nachwirkungen des Weltkrieges“ zu stehen:

„[…] Im Jahre 1943 proklamierten die alliierten Mächte in der Moskauer Deklaration u.a. auch die Unabhängigkeit Österreichs. Ganz anders als nach dem ersten Weltkrieg wurde die Existenz Österreich als europäische Notwendigkeit anerkannt. Aber auch in Österreich selbst ist, anders als nach 1918, der Wille zur Selbstständigkeit erwacht. In demokratischer Zusammenarbeit der beiden großen Parteien (Österreichische Volkspartei und Sozialistische Partei Österreichs) wird seit 1945 der Wiederaufbau durchgeführt. Bundeskanzler Raab gelang es, durch den Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 zwischen Österreich einerseits und der Sowjetunion, Großbritannien, den USA und Frankreich anderseits die volle Unabhängigkeit Österreichs wiederherzustellen.“616

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf die Moskauer Deklaration, die eine wichtige Rolle für das Selbstbild des offiziellen Österreichs spielt. Im vorliegenden Beispiel wird sie noch nicht als

616 Lehrbuch der Geschichte 4 (1956), S. 157.

140 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen dermaßen prägend herausgehoben, wie das in Lehrbüchern kommender Jahre noch der Fall sein wird. Viel wichtiger ist es den Schulbuchautoren darauf hinzuweisen, dass der Aufbau Österreichs in „demokratischer Zusammenarbeit“ verläuft und letztlich im Staatsvertrag resultiert. Der Staatsvertrag findet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell in der Ausgabe von 1965, was schon allein auf seine Wichtigkeit im österreichischen Selbstverständnis hinweist, denn zu anderen thematischen Aspekten enthalten die frühen Schulbücher gar keine Bilder.617 Mit dieser Visualisierung wird dem typisch österreichischen Gedächtnisort „Staatsvertrag“ in den ersten Schulbüchern der Zweiten Republik Rechnung getragen. Über die Auseinandersetzung mit den ehemaligen Nationalsozialisten findet sich hingegen nur eine Textstelle im Lehrbuch der Geschichte 4 von 1965: „[…] Die Wahlen vom 25. November [1945, Anm. D.H.] bei denen die ehemaligen Mitglieder der NSDAP als ‚registrierungspflichtige Personen‘ ausgeschlossen waren, brachten ein eindeutiges Bekenntnis zu den traditionellen österreichischen Parteien. […]“618 Was in späteren Schulbüchern meist unter der Überschrift „Entnazifizierung“ behandelt wird (der Begriff wird hier nicht verwendet), wird im Lehrbuch von 1965 nur in einem Relativsatz behandelt. Ebenso sehr knapp wird die Problematik des „Deutschen Eigentums“ im selben Buch beschrieben: „Eine gewisse Erleichterung trat ein, als die drei Westmächte 1946 das sogenannte ‚Deutsche Eigentum‘ (d.s. Vermögenswerter deutscher physischer oder juristischer Personen) der Republik Österreich übergaben.“619 Worin hier genau das Problem liegt, wird allerdings nicht behandelt, ebenso wenig, warum die Sowjetunion das „Deutsche Eigentum“ nicht der Regierung übergibt.

3.4.2 Die 70er-Jahre

3.4.2.1 Inhalt Die Behandlung des „Deutschen Eigentums“ findet in den 70er-Jahren konsequent ihre Fortsetzung, allerdings sind sich die Schulbücher nicht einig darüber, in welchem Kontext sie diese Thematik behandeln sollen: Während Zeitgeschichte von 1972 nur erwähnt, dass das „Deutsche Eigentum“ von den Alliierten verwaltet wurde und eine Definition gibt („Dazu [zum ‚Deutschen Eigentum‘, Anm. D.H.] zählte vielfach auch Eigentum österreichischer Personen und Gesellschaften, das 1938 gewaltsam vom NS-Regime beschlagnahmt worden war.“620), geht Geschichte und Sozialkunde 1975 auf Konsequenzen für Österreich ein, die aus dem Anspruch der Sowjetunion auf das „Deutsche Eigentum“ in ihrer Zone entstehen, nämlich der „Verstaatlichung der Grundstoff- und Schlüsselindustrien.“621 Das „Deutsche Eigentum“ wird in der Folge vor allem als Problem in

617 Vgl. Lehrbuch der Geschichte 4 (1965), S. 4-5 und S. 191. 618 Ebenda, S. 188. 619 Ebenda, S. 193. 620 Zeitgeschichte (1972), S. 107. 621 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 190.

141 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Hinblick auf den wirtschaftlichen Wiederaufbau Österreichs genannt.622 Dass es vielfach ‚arisierten‘ Besitz beinhaltet, ist kein Thema; wohl ein Grund, warum es nicht als moralisches Problem, sondern primär monetäres/wirtschaftliches Problem behandelt wird. Weitaus eindeutiger ist das Problem, mit dem sich die Zweite Republik in Hinblick auf die ehemaligen Nationalsozialisten auseinandersetzen musste. Hierbei wird auch der Bogen, der vom Ende des Weltkrieges in die Gegenwart der Anfangsjahre der Zweiten Republik geschlagen wird, deutlich, während der Umgang mit dem ‚Deutschen Eigentum‘ als abstraktes, von den Alliierten hervorgerufenes Problem vom Kontext des Weltkriegs bzw. der NS-Herrschaft in Österreich völlig abgekoppelt scheint. Im Zusammenhang mit der Wiedererrichtung der Republik wird erwähnt, dass „[d]en ehemaligen Großdeutschen, die seit 1932 immer mehr in der NSDAP aufgegangen waren, […] eine Parteigründung untersagt [wurde].“623 Erst auf der nächsten Seite behandelt Zeitgeschichte das NSDAP-Verbot näher:

„Noch im Mai begann die österreichische Regierung, die unbedingt notwendigen staatsrechtlichen Maßnahmen einzuleiten. Nach dem Beschluß des Verfassungsgesetzes vom 13. Mai über das Verbot der NSDAP wurde die Bundesverfassung von 1920 in der Fassung von 1929 wieder in Kraft gesetzt. Ein Rechtsüberleitungsgesetz, das zwar Gesetze und Verordnungen mit nationalsozialistischem Gedankengut ausschaltete, die Anwendung anderer aber bestätigte, sicherte den Fortbestand des Rechtslebens.“624

Die Konsequenzen dieses NS-Verbots und der Entnazifizierung werden erst im Laufe des Narrativs sichtbar, allerdings stets als Nachsatz. Bei der ersten freien Wahl 1945, „bei der die Bevölkerung Österreichs ihre demokratische Gesinnung beweisen konnte und dadurch die Periode der Ungewißheit über den Willen des Volkes beendet und der weitere Weg klar vorgezeichnet wurde“, wird der wichtige Aspekt des Verlusts des Wahlrechts lediglich hinzugefügt: „Nicht wahlberechtigt waren die ehemaligen Nationalsozialisten.“625 Anschließend geht ein im Vergleich zu den anderen angesprochenen Themen kleiner Absatz noch auf das „Nationalsozialistengesetz“ (1947) ein, in dem erstmals explizit von „Entnazifizierung“ die Rede ist.626 Dass die Tatsache eines Ausschlusses der ehemaligen NSDAP-Mitglieder von der Wahl 1945 nicht allumfassend erwähnt werden muss, zeigt wiederum Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8. Der pathetische Textausschnitt aus dem Jahr 1974 legt in aller Deutlichkeit dar, dass mehr Wert auf eine harmonische Darstellung des Miteinanders und des Aufbaus gelegt wurde als auf die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit:

„Österreich war 1945 wesentlich schlechter gestellt als 1918: Verfolgung durch die

622 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 230; Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 138. 623 Zeitgeschichte (1972), S. 113. 624 Ebenda, S. 114. 625 Ebenda, S. 115. 626 Vgl. ebenda, S. 116.

142 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Nationalsozialisten, Kriegsschäden, Bombenopfer, vierfache Besetzung, das machte die Ausgangsposition des wiederhergestellten Staates düster. Aber zwei Vorteile hatte Österreich gegenüber 1918: Die Österreicher selbst hatten durch die nationalsozialistische Herrschaft den Wert des eigenen freien Staates kennengelernt, ein österreichisches Nationalbewusstsein war entstanden und hatte den Willen, Österreich für die Österreicher wieder aufzubauen, zur Folge. Keine Rede war mehr von der Lebensunfähigkeit Österreichs. Die politischen Gegensätze waren durch gemeinsames Leid abgeschliffen worden, die undemokratischen Elemente waren ausgeschieden. Daher konnten die gewählten Funktionäre unter Billigung aller Österreicher an den Aufbau der Heimat gehen, die Koalition beruhte auf der bewußten Zustimmung der Bevölkerung […] Jeder Österreicher war ein Idealist, jeder griff jede Arbeit an, allerorts regte sich die Gemeinschaftshilfe.“627

Dass die ehemaligen Nationalsozialisten – zumindest anfangs – kein Wahlrecht erhielten, wird mit der Formulierung, dass undemokratische Elemente ausgeschieden waren, umschrieben. Die bewusste Zustimmung der Bevölkerung ergab sich durch die Tatsache, dass eine halbe Million Menschen nicht wählen durften, was hier aber nicht erwähnt wird. Mit dem Ausschluss der Wähler bei der Wahl 1945 geht eine Beschreibung der Wahl von 1949 einher, bei der minderbelastete ehemalige Nationalsozialisten wieder wählen durften. Der Einzug der Wahlpartei der Unabhängigen (WdU) oder auch Verband der Unabhängigen (VdU) ins Parlament wird ganz klar in Beziehung mit dem Auftreten der „Neuwähler“ gesetzt: „Da bei diesen Wahlen zum ersten Mal die ehemaligen Nationalsozialisten stimmberechtigt waren, schrieb man die Mandatsverschiebung diesem Umstand zu.“628 Die Gründung des VdU wird in Zeitgeschichte sehr detailliert geschildert, weil dafür zuerst die Zustimmung des Alliierten Rates eingeholt werden musste. Auch das Eintreten der SPÖ für die Gründung der Partei – weil gehofft wurde, dadurch die ÖVP zu schwächen – findet sich in diesem Zusammenhang.629 Andere Themen, die in den 70er-Jahren noch in Verbindung mit der Aufarbeitung von Vergangenheit stehen, sind beispielsweise die Errungenschaft des Staatsvertrags oder die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg, aber auch die durchwegs negative Darstellung der Besatzungsmächte, insbesondere der Sowjetunion.630 Die Behandlung der Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg steht gleichsam für den Abschluss der Vergangenheitsbewältigung des Krieges und seiner Verbrechen aus rechtlicher/juristischer Perspektive. Der Darstellung nach ist dem Recht und Gesetz nach Nürnberg Genüge getan, weil „dann fortlaufend, zuerst von den alliierten, dann vor deutschen und österreichischen Gerichten, Verfahren durchgeführt“ wurden.631 Die Darstellung des Staatsvertrags steht unter anderem unter dem Gesichtspunkt der Erlangung der vollen Souveränität Österreichs, die von den Besatzungsmächten so lange verwehrt wurde. Hier ist hervorzuheben, dass von einer

627 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 136f. 628 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 194. Siehe auch: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 140. 629 Vgl. Zeitgeschichte (1972), S. 158-159. 630 Diese Betonung der negativen Aspekte der Besatzungszeit findet sich insbesondere bei: Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 228. 631 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 150.

143 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

„Freiheit“ Österreichs nicht 1945, sondern 1955 – so auch Figl in seiner Verkündung „Österreich ist frei!“ am 15. Mai – gesprochen wird:

„Das wichtigste außenpolitische Problem der Regierung aber war es, die alliierten Besatzungsmächte zum Abzug zu bewegen. Da Österreich kein kriegführendes Land gewesen war, kam der Abschluß eines Friedensvertrages nicht in Frage. […] Nach sieben Jahren der Austilgung und zehn Jahren der Besetzung war Österreich wieder völlig frei.“632

Dem Schulbuchnarrativ zufolge ist ohne Frage klar, dass Österreich keinen Friedens- sondern einen Staatsvertrag erhält, weil es kein kriegführendes Land gewesen war, wobei auch hier eine Interpretation der Moskauer Deklaration in diese Formulierung hineingeflossen sein dürfte. Insgesamt werden – analog zu den Schulbuchnarrativen zum ‚Anschluss‘ – vor allem die einzelnen Etappen hin zum Staatsvertrag betont; bei Zeiten, Völker und Kulturen aus dem Jahr 1977 sind es immerhin sechs volle Seiten, die sich mit dem „Kampf um den Staatsvertrag“ (Kapitelüberschrift) auseinandersetzen und dabei vor allem die positiven Fortschritte Österreichs betonen.633

3.4.2.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Erstmals gibt es zum Thema Vergangenheitsbewältigung auch Quellen und Arbeitsaufträge; Bilder sind lediglich für die Illustration des Staatsvertragsabschlusses vorhanden. Eine aufschlussreiche Quelle, die von ihrem Inhalt für die 70er-Jahre fast schon revolutionär anmutet, bietet Geschichte und Sozialkunde in der Ausgabe von 1975: Das Buch verwendet die Rede des deutschen Bundespräsidenten Theodor Heuss anlässlich der Einweihung eines Gedenksteins im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen aus dem Jahr 1952.

„[…] Wer hier als Deutscher spricht, muß sich die innere Freiheit zutrauen, die volle Grausamkeit der Verbrechen, die hier von Deutschen begangen wurde, zu erkennen. Wer sie beschönigen oder bagatellisieren wollte oder gar mit der Berufung auf den irregegangenen Gebrauch der sogenannten ‚Staatsräson‘ begründen wollte, der würde nur frech sein. Ich weiß, manche meinen: War dieses Mal notwendig? Wäre es nicht besser gewesen, wenn Ackerfurchen hier liefen und die Gnade der sich ewig verjüngenden Fruchtbarkeit der Erde verzeihe das Geschehene? […] Die Deutschen dürfen nie vergessen, was von Menschen ihrer Volkszugehörigkeit in diesen schamreichen Jahren geschah. Nun höre ich den Einwand: Und die anderen? Weißt du nichts von den Internierungslagern 1945/46 und ihren Rohheiten, ihrem Unrecht? Weißt du nichts von den Opfern in fremdem Gewahrsam, von dem Leid der formalistisch-grausamen Justiz, der heute noch deutsche Menschen unterworfen sind? Weißt du nichts von dem Fortbestehen der Lagermißhandlungen, des Lagersterbens in der Sowjetzone, Waldheim, Torgau, Bautzen? Nur die Embleme haben sich dort gewandelt. Ich weiß davon und habe nie gezögert, davon zu sprechen. Aber Unrecht und Brutalität der anderen zu nennen, um sich darauf zu berufen, das ist das Verfahren der moralisch Anspruchslosen, die es in allen Völkern gibt, bei den Amerikanern so gut wie bei den Deutschen oder den Franzosen und

632 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 195. 633 Vgl. Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 239ff.

144 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

so fort. […]“634

Hier würde sich aus heutiger Sicht der Vergleich einer österreichischen Vergangenheitsbewältigung mit jener der Deutschen anbieten, was im Schulbuch aber nicht geschieht. Auch Arbeitsaufträge sind mit dem Redenausschnitt nicht verknüpft, sodass die Intention, sie überhaupt zu verwenden, nur dadurch erschlossen werden kann, wenn man anführt, dass die Rede unter dem Kapitel „Die Liquidation des Krieges in Deutschland“ steht. Es geht folglich gar nicht um eine wie auch immer geartete Aufarbeitung des Krieges, ebenso wenig wird ein Vergleich mit der Situation in Österreich angestrebt. Ein Statement eines offiziellen Vertreters der österreichischen Politik in dieser Form – sich der (Mit-)Verantwortung zu stellen – gibt es im Schulbuch erst mit der Rede Vranitzkys 1991 (s.u.). Bis dorthin ist eine Loslösung von der Opferthese hin zur Mitverantwortung im Schulbuch nicht möglich, wenngleich es paradox erscheint, dass Aussagen deutscher Repräsentanten ohne diesen Zusammenhang in einem österreichischen Schulbuch erscheinen. Als zweite erwähnenswerte Quelle findet man sowohl in Geschichte und Sozialkunde sowie in Zeiten, Völker und Kulturen (gekürzt) die österreichische Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945, wobei insbesondere Artikel V – Bezugnahme auf die Moskauer Deklaration – vor allem für die Beschreibung des Widerstandes interessant erscheint (s.o.).635 Die Arbeitsfragen dienen, wie an anderen Beispielen für die 70er-Jahre gezeigt, vorrangig als reine Überprüfungsfragen; auch Quellen werden meist nicht in die Fragestellung miteinbezogen. In Zusammenhang mit dem österreichischen Wiederaufbau fragt beispielsweise Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 von 1974: „Wann entstand das österreichische Nationalbewusstsein? Warum konnten die Kriegsfolgen so rasch überwunden werden? […]“636 Kritisch werden diese Fragen bis auf wenige Ausnahmen nicht, auch das Thema der Entnazifizierung wird weitestgehend „neutral“ abgehandelt: „Wie ist der große Erfolg des VdU 1949 zu erklären? […]“637 Gemeinsam ist diesen Fragen aber, dass auf eine etwaige kritische Aufarbeitung der Vergangenheit Österreichs während des Nationalsozialismus nicht hingearbeitet wird.

3.4.3 Die 80er-Jahre

3.4.3.1 Inhalt Rein inhaltlich bleiben die Schulbuchtexte in den 1980er-Jahren sehr stark an jenen der 70er-Jahre orientiert, was unter anderem durch die gleichbleibende gesellschaftspolitische Situation begründet werden kann; erst in den späten 80er-Jahren beginnt sich das offizielle Österreich nicht zuletzt infolge der Waldheim-Affäre mit seiner Rolle während des Zweiten Weltkrieges auseinanderzusetzen – die Opferthese korrodiert allmählich. Bis sich dies allerdings auch im Schulbuch niederschlägt, vergehen

634 Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 151. 635 Vgl. Geschichte und Sozialkunde 8 (1975), S. 189; Zeiten, Völker und Kulturen (1977), S. 226. 636 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (1974), S. 138. 637 Ebenda, S. 142.

145 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen noch einige Jahre. Weitergeführt wird in den 80ern das Thema der Entnazifizierung, das sich mittlerweile als Grundkomponente im Nachkriegsnarrativ Österreichs etabliert hat – allerdings eher als Randnotiz für die Nationalratswahlen von 1945 und 1949. Weg durch die Zeiten aus dem Jahr 1983 hebt zum Beispiel heraus, dass 1945 das erste Mal seit 1930 wieder freie Wahlen in Österreich stattfanden, „jedoch waren die ehemaligen Mitglieder der NSDAP vom Wahlrecht ausgeschlossen.“638 Durch die adversative Konjunktion „jedoch“ wird der ersten freien Wahl die Tatsache entgegengestellt, dass die ehemaligen Nationalsozialisten nicht wählen durften. So wird die Begriffsbedeutung von freien Wahlen – womöglich unabsichtlich – praktisch ausgehöhlt. Weit problematischer ist meiner Meinung nach allerdings das Fehlen jeglichen Kontexts, WARUM Mitglieder der NSDAP 1945 nicht wählen durften. In der ersten Zeitbilder 8-Ausgabe von 1984 hingegen wird der Ausschluss von den Wahlen 1945 erst gar nicht erwähnt. Juristisch dafür umso genauer behandelt Geschichte für die Oberstufe von 1984 beispielsweise das NSDAP-Verbot:

„In der Folgezeit wurde ein ‚Rechtsüberleitungsgesetz‘ beschlossen, das alle Gesetzte, die mit den Grundsätzen eines freien demokratischen Staates unvereinbar waren, abschaffte. Ferner wurde ein ‚Behördenüberleitungsgesetz‘ und ein ‚Beamtenüberleitungsgesetz‘ geschaffen, das die österreichische Verwaltung nach bewährtem Muster wiederherstellte. Das ‚Verbotsgesetz‘ und das ‚Wirtschaftssäuberungsgesetz‘ gaben die rechtlichen Grundlagen für die Ausmerzung des Nationalsozialismus in Österreich.“639 (S. 220)

Hier wird zumindest erklärt, welche Intention hinter dem „Verbotsgesetz“ steht, wenn auch die „Ausmerzung des Nationalsozialismus“, betrachtet man rein die Formulierung, unglücklich gewählt ist. Die Wahl 1945 wird dann noch einmal gesondert erwähnt, in Bezug auf die Wahlberechtigten äußert sich das Schullehrbuch folgendermaßen:

„Der Kreis der Wahlberechtigten war damals noch beschränkt, denn mehr als hunderttausend Österreicher schmachteten noch in den Kriegsgefangenenlagern der Alliierten und die ehemaligen Mitglieder oder Anwärter der NSDAP, der SA und der SS waren von der Stimmabgabe ausgeschlossen.“640

Der Kreis der Nicht-Wähler wird in diesem Beispiel um die Kriegsgefangenen erweitert und bei den ehemaligen Nationalsozialisten deutlich differenziert: Nicht nur Mitglieder oder Anwärter (!) der NSDAP, sondern auch jene der SA und SS durften nicht wählen. Die meisten genannten Schulbücher gehen auch auf die Gründung des VdU ein, einzig Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4 weicht in diesem Aspekt inhaltlich von den anderen Fließtexten ab:

638 Weg durch die Zeiten (1983), S. 110. 639 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 220. 640 Ebenda, S. 222.

146 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

„[…] Am 9. Oktober 1949 fanden zum zweitenmal Nationalratswahlen statt. Der Wahlakt ging in mustergültiger Ruhe und Ordnung vor sich und brachte nun, da die Kriegsgefangenen größtenteils heimgekehrt und die minderbelasteten ehemaligen Nationalsozialisten wieder zur Wahl zugelassen waren, den politischen Willen des österreichischen Volkes vollständig zum Ausdruck.“641

Problematisch an dieser Stelle: Der Begriff „minderbelastete ehemalige Nationalsozialisten“ wird nicht erklärt und erfordert, weil er auch andernorts nicht definiert wird, eine Erklärung der Lehrperson. Fast schon typisch ist erneut die teilweise unbeholfene Formulierung, dass 1949 – nicht so wie 1945 – der politische Willen des GANZEN Volkes zum Ausdruck gekommen sei; außerdem scheint es den Autoren eine Erwähnung wert zu sein, die Wahl hätte „in mustergültiger Ruhe und Ordnung“ stattgefunden. Ebenfalls sehr prominent behandelt wird die Frage nach dem „Deutschen Eigentum“, die in allen untersuchten Schulbüchern der 80er-Jahre vorkommt. Allerdings gilt wie in den 70er-Jahren, dass die Forderungen nach dem „Deutschen Eigentum“, die von der Sowjetunion erhoben werden, in erster Linie ein materielles, wirtschaftliches Problem darstellen, keines, das in Zusammenhang mit Restitution, „Arisierung“ oder ähnliches fällt. So wird zum Beispiel in Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987) berichtet, dass

„[…] Stalin sich das Recht gesichert [hatte], anstelle von Reparationen, auf die er großzügig verzichtete, sich am ‚Deutschen Eigentum‘ in Österreich schadlos zu halten. Es waren aber nach 1938 praktisch alle großen Industriebetriebe, Bodenschätze und Verkehrsanlagen und das gesamte österreichische Staatseigentum in deutsche Hände übergegangen. Sollte Stalins Vorhaben realisiert werden, so bedeutete dies das Ende Österreichs. Daher begann ein zähes Tauziehen um die Frage des Besitzstandes, das bis 1955 dauerte: Was ist als ‚Deutsches Eigentum‘ anzusehen, was davon ist der UdSSR zu überlassen?“642

Vor allem die am Schluss erwähnte Erschwernis, überhaupt zu deklarieren, was nun „Deutsches Eigentum“ ist, findet sich auch in den anderen Büchern, wobei sich insbesondere Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4 bemüht, hier die unterschiedlichen Auffassungen zwischen den Westmächten und der Sowjetunion deutlich zu machen.643 Dafür benötigt es aber quantitativ gesehen viel Raum, womit zumindest teilweise erklärt werden kann, warum eine wirklich genaue Auseinandersetzung mit dem doch verhältnismäßig komplizierten Thema „Deutsches Eigentum“ in der Regel unterbleibt; vor allem dann, wenn noch Rücksicht auf „Arisierung“ oder Rückstellungen genommen werden müsste – dieses Thema wird aber ohnehin lange nicht behandelt. Ansonsten wird inhaltlich von den Nürnberger Prozessen644, dem österreichischen

641 Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 253. 642 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 122. 643 Vgl. Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 252. 644 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 150.

147 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Nationalbewusstsein645 sowie der negativen Darstellung der alliierten Besatzung646 berichtet, wobei keine neuen Formulierungen auftauchen.

3.4.3.2 Bildquellen, schriftliche Quellen und Arbeitsaufträge Auch in Bezug auf die Bilder, Quellen und Arbeitsfragen bleiben Schulbücher aus den 80er-Jahren weitestgehend den bekannten Mustern treu: So werden Bilder der Staatsvertragsunterzeichnung647 ebenso verwendet wie solche von den Nürnberger Prozessen648, bei denen jedoch der Österreichbezug im Gegensatz zu den inhaltlichen Ausführungen komplett fehlt. Als Quelle wird den Schülerinnen und Schülern neben der Unabhängigkeitserklärung Österreichs649 abermals die Belsen-Rede des deutschen Bundespräsidenten vorgelegt, diesmal allerdings mit einem Arbeitsauftrag: „Ist es eine Kollektivschuld, zu der sich Theodor Heuss in seiner Belsenrede bekannte?“650 Insgesamt bemühen sich vereinzelte Arbeitsaufträge durchaus darum, über den reinen Lernstoff-Inhalt hinauszukommen, insgesamt sind sie aber zu allgemein, um wirklich eine kritische Reflexion über eine österreichische Vergangenheitsbewältigung zu entfachen, was angesichts der Narrative im Schulbuch bis zu diesem Zeitpunkt aber zumindest konsequent ist. Erstaunlich ist allerdings, dass in Bezug auf die österreichische Nachkriegsgeschichte keine Arbeitsfrage zur Entnazifizierung gestellt wird, zumindest nicht explizit: Weg durch die Zeiten fragt zumindest unter dem Kapitel „Zur Wiederholung“ nach „Probleme[n] der Nachkriegszeit“, wobei der Ausschluss der Nationalsozialisten von der Wahl 1945 nicht als zwingendes Problem dargestellt wurde und wenn, dann als abstrakter Makel in Bezug auf die nicht ganzheitliche Repräsentation der Stimme des Volkes, der dann erst 1949 bereinigt wird. Viel deutlicher wird das „Deutsche Eigentum“ als Problem wahrgenommen, auch wenn sich dieser Sachverhalt nur am Narrativ, allerdings nicht an den Arbeitsfragen festmachen lässt. Mit der Frage, „Wie […] der große Erfolg des VdU 1949 zu erklären [ist]?“651 wird zumindest noch auf die Wahlerlaubnis der nun offiziell geläuterten Nationalsozialisten hingewiesen, aber auch diese Frage kommt über ihre Rolle als reine Prüfungsfrage nicht hinaus.

3.4.4 Die 90er-Jahre

3.4.4.1 Inhalt Neue Ansätze im Umgang mit der Bewältigung der Vergangenheit ergeben sich in den 90er-Jahren. Schon allein die Kapitelüberschriften machen deutlich, dass beispielsweise dem Thema der Entnazifizierung mehr Raum gegeben wird: Die Überschriften „Zensur und Entnazifizierung“ bei Spuren der Zeit 8 (1992), „Die Auseinandersetzung mit dem Faschismus“ bei Aus Geschichte lernen 8

645 Vgl. Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 136f. 646 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 150. 647 Vgl. Weg durch die Zeiten (1985), S. 112; Zeitbilder 8 (1984), S. 155. 648 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 120f. 649 Vgl. Zeitbilder 8 (1984), S. 151; Geschichte für die Oberstufe (1984), S. 218f. 650 Zeitbilder 8 (1984), S. 120. 651 Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (1987), S. 134.

148 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

(1994) sowie „Nicht nur Opfer – auch Täter“ bei Zeitbilder 8 (1997) sind Zeichen dafür, dass die Entnazifizierung auf inhaltlicher Ebene nicht mehr nur in einem Nebensatz abgehandelt wird oder abgehandelt werden kann. Allerdings wird nun ebenso erwähnt, dass die Initiative zur Entnazifizierung nicht von österreichischer Seite, sondern von den Alliierten ausging. Neben diesem Aspekt berücksichtigt der nun folgende Ausschnitt aus Spuren der Zeit 8 auch, dass die Entnazifizierung zwar rechtlich und administrativ das Problem des Nationalsozialismus in Österreich „beseitigte“, keineswegs aber in der Gesellschaft selbst thematisierte:

„Eines der Ziele der Alliierten war es, wieder demokratische Verhältnisse herzustellen und die ‚ehemaligen‘ Nationalsozialisten zu erfassen: Rund 524 000 Österreicher wurden registriert und als Kriegsverbrecher oder als belastete und minderbelastete Nationalsozialisten eingestuft. Sie wurden strafrechtlich verfolgt oder zu Sühneleistungen herangezogen. Viele verloren ihr Vermögen oder ihren Posten, gegen viele wurden Gerichtsverfahren eingeleitet. Ein gesellschaftliches Umdenken trat aber nicht immer ein, man war sich der Mitverantwortung häufig nicht bewußt. April 1948 wurden die Sanktionen für rund 482 000 ‚Minderbelastete‘ aufgehoben. Sie waren bei den Nationalratswahlen von 1949 bereits wahlberechtigt. Alle Parteien warben um diese Stimmen. […] Die WdU (Wahlgemeinschaft der Unabhängigen), eine Partei, die sich deutschnational gab und für ‚Recht, Sauberkeit und Leistung‘ eintrat, erreichte 16 Mandate. Die Sowjetunion sah darin ein Wiederaufleben des Nazismus, und die Staatsvertragsverhandlungen gestalteten sich dadurch noch schwieriger.“652

Obwohl dieser Ausschnitt eines der gelungeneren Beispiele zum Thema Entnazifizierung abbildet, wird nicht erklärt, was es nun genau bedeutet, „belastet“ oder „minderbelastet“ zu sein. Zudem kann man kritisieren, dass die Konsequenzen für Nationalsozialisten zu allgemein gehalten wurden („Sie wurden [...] zu Sühneleistungen herangezogen. Viele verloren ihr Vermögen […], gegen viele wurde ein Gerichtsverfahren eingeleitet.“), die Angaben sind schlicht zu vage. Insgesamt zeigt der Ausschnitt aber, dass es problemlos möglich ist, in Zusammenhang mit Entnazifizierung einen Bogen von der Wahl 1945 zu jener von 1949 zu spannen und dabei noch die eigentliche Zielsetzung – Verhinderung eines „Wiederaufleben[s] des Nazismus“ – zu behandeln. Noch ausführlicher zeigt Aus Geschichte lernen 8 (1994) das Thema der Entnazifizierung:

„Die Grundlage für die Ausschaltung des Nationalsozialismus in Österreich bildete das Verbotsgesetz vom 8. Mai 1945. Danach wurde die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) verboten und jede Wiederbetätigung in derem Sinne unter schwere Strafe gestellt. Alle ehemaligen Parteimitglieder mußten sich registrieren lassen, schwerbelasteten Nationalsozialisten und Illegalen wurden Sühnefolgen (z.B. Arbeitsleistungen, Entlassung aus dem Staatsdienst) auferlegt. Im Juni 1945 wurde vom Parlament das Kriegsverbrechergesetz beschlossen. Es wurde zur Ahndung von Verbrechen zur NS-Zeit geschaffen. Die Strafverfahren nach diesem Gesetz wurden von Volksgerichten durchgeführt, gegen deren Urteil kein Rechtsmittel zulässig war. Sie konnten für schwere Verbrechen auch die Todesstrafe verhängen. Im Zuge der Entnazifizierung wurden in Österreich ca. 13 000 Gerichtsverfahren

652 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 99.

149 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

durchgeführt und 43 Todesurteile ausgesprochen. Der Staat entließ 150 000 Beamte, die der NSDAP angehört hatten. Bei den Wahlen 1945 waren die 523 000 registrierten ehemaligen Nationalsozialisten vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Gesetze wurden in den Besatzungszonen unterschiedlich durchgeführt. Das führte dazu, daß viele kleine Mitläufer oft ihre Beschäftigung verloren, während wirklich Schuldige nicht selten straflos ausgingen. Im April 1948 wurden auf Grund eines Amnestiegesetzes die Sanktionen gegen 482 000 Betroffene wieder aufgehoben. Sie wurden von Sühnefolgen befreit und erhielten das Wahlrecht zurück. Eine tiefere Auseinandersetzung mit dem NS-Problem unterblieb.653

Zugute halten kann man diesem Abschnitt, dass er versucht, einige Sühnefolgen für ehemalige Nationalsozialisten aufzuzählen und dass er erstmals auch über die Volksgerichtshöfe berichtet. Auch das Problem der Ungleichbehandlung zwischen Mitläufern und „echten“ Tätern wird hier angeführt; dass eine Vergangenheitsbewältigung insgesamt aber unterbleibt, ist in Aus Geschichte lernen 8 nur ein Nachsatz. Zudem tauchen keine Begriffe wie „Belastete“, „Minderbelastete“ im Fließtext auf, es ist aber von schwerbelasteten Nationalsozialisten und Illegalen die Rede. Im Anschluss an den gezeigten Ausschnitt folgt die Wahl 1949 mit der Gründung des VdU, in dem sich „viele der wieder wahlberechtigten minderbelasteten ehemaligen Nationalsozialisten und Anhänger des deutschnationalen Lagers, aber auch liberale Kräfte sowie Protestwähler [sammelten].“654 Die Neugründung der Partei ist – sofern nicht direkt in Zusammenhang mit Entnazifizierung direkt erwähnt – zumindest für die Behandlung des Wahljahres 1949 bzw. der Entwicklung der politischen Parteien relevant und taucht dementsprechend oft auf.655 Dass die Abhandlung von Entnazifizierung weitaus kürzer vonstattengehen kann, beweist Stationen 4, ebenfalls von 1992:

„Durch das ‚Nationalsozialistengesetz‘ 1947 verloren ehemalige NS-Mitglieder je nach Belastungsstufe ihren Arbeitsplatz oder wurden zu Sühneleistungen verurteilt. Bei der Nationalratswahl errang die neugegründete ‚Wahlpartei der Unabhängigen‘ (WdU) vor allem mit den Stimmen aus dem ‚Nationalen Lager‘ auf Anhieb 16 Mandate und wurde damit zur dritten Kraft im politischen Leben Österreichs.“656

Was eine „Belastungsstufe“ ist oder was sich Schülerinnen und Schüler unter den Sühneleistungen vorstellen sollen, wird hier aufgrund der Kürze nicht ersichtlich. Noch immer vorhanden ist das Thema des „Deutschen Eigentums“, das in insgesamt drei Schulbüchern behandelt wird, am ausführlichsten in Spuren der Zeit 8 aus dem Jahr 1992. Allerdings ist auch hier nur von Bedeutung, dass das „Deutsche Eigentum“ ein Hindernis auf dem Weg zum Staatsvertrag darstellt, womit sich die Fließtexte inhaltlich im Grunde nicht von jenen früherer Jahrzehnte unterscheiden.657

653 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 45. 654 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 45. 655 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 113; Zeitbilder 8 (1997), S. 89. 656 Stationen 4 (1992), S. 80. 657 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 100/102; Stationen 4 (1992), S. 82; Zeitbilder 8 (1997), S. 13.

150 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Einen neuen Aspekt, der insbesondere nach 2000 noch an Bedeutung zunimmt, stellt die Waldheim- Affäre dar. Wenngleich nur in insgesamt drei Büchern behandelt, ist das Aufzeigen dieser Krise der österreichischen Innenpolitik zugleich die Behandlung eines Kernproblems der österreichischen Vergangenheitsbewältigung: Sie hat bisher noch nicht stattgefunden. Als erstes von mir untersuchtes Schulbuch setzt sich Spuren der Zeit 8 mit der Waldheim-Affäre auseinander, aber man kann erkennen, dass es – vielleicht aufgrund des geringen zeitlichen Abstandes zu 1986 – noch nicht vollends objektiv über Hintergründe der Wahl zu berichten imstande ist:

„[…] Dem Kandidaten der ÖVP, dem früheren Außenminister und UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim, wurde vor allem vorgeworfen, seinen Militärdienst auf dem Balkan während des Zweiten Weltkriegs verheimlicht zu haben. In diesem Zusammenhang wurde ihm eine Beteiligung an Kriegsverbrechen unterstellt. Dieser Vorwurf konnte bis heute nicht im mindesten belegt werden. Das eigentliche Problem, das im Rahmen des Wahlkampfes zutage trat, ist der in Österreich noch immer nicht bewältigte Antisemitismus. Die massiven und gewiß ungerechten Beschuldigungen gegen Waldheim durch den jüdischen Weltkongreß lieferten nicht nur rechtsextremen Gruppen einen willkommenen Anlaß, das ‚Weltjudentum‘ der Verleumdung und Verschmähung Österreichs zu zeihen. Der Wahlkampf, der für Waldheim geführt wurde, erhielt nun unterschwellig gewisse antisemitische Tendenzen. Wenn sich auch in Österreich nach der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten die Wogen wieder glätteten, so blieben dennoch viele Länder bei ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Bundespräsidenten.“658

Heikel sind die im Ausschnitt auftretenden Wertungen sowie die Aussage, nicht bewältigter Antisemitismus sei das einzige „eigentliche Problem“ im Zusammenhang mit der Wahl Waldheims zum Bundespräsidenten. Von der ebenfalls nicht bewältigten Vergangenheit im Nationalsozialismus ist hier keine Rede. Dieser Punkt findet sich auch nicht in Aus Geschichte lernen 8 (1994), wo es lediglich um innenpolitische Konsequenzen geht:

„Der Wahlkampf hatte starke Emotionen ausgelöst. Waldheim war vorgeworfen worden, daß er einen Teil seiner Vergangenheit (den Einsatz als deutscher Wehrmachtsoffizier in Jugoslawien) verschwiegen hätte. Am Tag nach der Präsidentenwahl trat Sinowatz, der die Niederlage seines Kandidaten [= Kurt Steyrer, Anm. D.H.] als persönliche Niederlage empfand, zurück. Als neuer Bundeskanzler folgte ihm Franz Vranitzky nach. […]“659

Der Wahlkampf wird als ein emotionaler beschrieben, weil Waldheim seine NS-Vergangenheit verschwiegen hatte. Dass dies nicht nur ein persönliches, sondern ein gesellschaftliches Problem war, lässt das Schulbuch außen vor und entzieht der Waldheim-Affäre so im Grunde seine eigentliche Brisanz. Auch in der Zeitbilder 8-Ausgabe von 1997 wird die Waldheim-Affäre erwähnt, allerdings ebenfalls ohne auf die Vergangenheitsbewältigung einzugehen. Immerhin kommt Zeitbilder 8 ohne die zuvor gezeigten Wertungen aus: „Obwohl Waldheim keine Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnten und er alle Anschuldigungen zurückwies (‚Ich habe nur meine Pflicht getan!; ich habe nichts

658 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 112. 659 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 53.

151 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen bewusst verschwiegen!‘), setzte ihn die US-Regierung auf die so genannte Watchlist […].“660 Das Potenzial, das die Affäre Waldheim den Schulbüchern in Bezug auf Vergangenheitsbewältigung bietet, wird für die 90er-Jahre aber bei weitem nicht genützt, im Gegenteil: Einerseits schafft es das Lehrbuch nicht, sich von Wertungen und Urteilen zu lösen, um objektiv einen Sachverhalt darzulegen, andererseits wird – wie schon vermutet aufgrund der fehlenden zeitlichen Distanz – die Bedeutung des Konflikts falsch (innenpolitisch und nicht gesellschaftlich) oder unzureichend (nur Antisemitismus aber keine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit allgemein) eingeschätzt.

Wie die Kontroverse um 1986 taucht ein international weit umstritteneres Thema während der 90er- Jahre neu in den Schulbüchern auf: die Leugnung des Holocaust. Vor allem die Zeitbilder-Reihe widmet – auch in den Ausgaben nach 1997 – dem Geschichtsrevisionismus relativ viel Raum. Unter der Überschrift „‚Auschwitzlüge‘ und ‚Mauthausenbetrug‘“ folgt ein langer, von einigen Einschüben unterbrochener Schulbuchfließtext, der speziell wegen seiner Formulierungen erwähnenswert ist:

„[…] Ungefähr seit 1970 gibt es eine Gruppe angeblicher Historiker, die diese entsetzlichen Tatsachen in Flugzetteln, Büchern und Vorträgen verharmlosen, beschönigen oder überhaupt leugnen. […] Eine andere Gruppe von Verteidigern des Nationalsozialismus und der ‚deutschen Ehre‘ behauptet, die Gaskammern und Krematorien seien erst nachträglich von den Russen erbaut worden, um den ‚Lügenmärchen‘ über nationalsozialistische Verbrechen entsprechende Beweiskraft zu verschaffen. Eine absurde Idee! Welchen Grund hätte die Sowjetunion gehabt, gegenüber dem total besiegten Deutschland eine solche Propagandakulisse aufzubauen? Ein Augenschein in Auschwitz beweist leicht das Gegenteil: Exakte deutsche Pläne über die Vernichtungsanlagen. Oder sollten die Russen sogar die mitgegossenen Namen der deutschen Hersteller gefälscht haben? Weil aber Auschwitz für den österreichischen Normalbürger ein wenig entlegen ist, haben neonazistische Gruppierungen die Behauptung aufgestellt, es habe in Mauthausen keine Gaskammern gegeben. […]“661

Die hier verwendeten, teilweise zynisch anmutenden Formulierungen sind für alle von mir untersuchten Schulbuchfließtexte einzigartig, weil der Autor/die Autorin dieses Textteils seine/ihre Rolle als objektive(r) Sachbuchschreiber(in) verlässt und ausdrücklich Wertungen abgibt, die in ihrer Nachdrücklichkeit doch überraschen. Die Selbstauffassung, die diesem Schulbuchausschnitt zugrunde liegt, ist eindeutig dahingehend ausgerichtet, die Schülerinnen und Schüler in aller Schärfe von der Falschheit der von Revisionisten und Holocaustleugnern eingebrachten Argumente zu überzeugen, sie sogar regelrecht der Lächerlichkeit preiszugeben. Der Grund für die verwendeten Redemittel liegt meiner Meinung nach in der Abscheulichkeit der Tatsache, den Holocaust zu leugnen oder zu verharmlosen. Es geht nicht nur darum, dem Geschichtsrevisionismus objektiv eine Absage zu erteilen, sondern primär um eine pädagogische und didaktische Grenzziehung: Holocaustleugnung ist in keinster Weise auch nur annähernd zu rechtfertigen und gesellschaftlich verpönt – darum auch diese

660 Zeitbilder 8 (1997), S. 96. 661 Ebenda, S. 159.

152 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen eindeutigen Stellungnahmen der Autoren. Ob diese Methode letztendlich erfolgsversprechend ist, kann aus meiner Perspektive nicht beurteilt werden, eine Gefahr, mit obigen Formulierungen aber „über das Ziel hinauszuschießen“, ist meiner Meinung nach allerdings gegeben.662 Anschließend folgt noch ein Zitat aus dem Lachout-Dokument, einem gefälschten Dokument, das Mitte der 80er-Jahre vorgelegt wurde und beweisen sollte, in verschiedenen Konzentrationslagern (unter anderem Mauthausen) hätte es keine Gaskammern gegeben. Aus Geschichte lernen 7 von 1993 widmet sich ebenfalls, wenn auch nicht in gleicher Länge und Ausführung der Holocaustleugnung und führt als didaktisches Ziel noch explizit an, dass es „Aufgabe eines jeden gebildeten Menschen“ sei, „solche[n] plumpen Fälschungen entgegenzutreten.“663 In diesem Zusammenhang ist noch anzuführen, dass eine allgemeine Beschäftigung mit dem Phänomen des Rechtsextremismus in den Fokus der Schulbuchautoren und -autorinnen rückt. Wenn auch nicht immer dem Kontext des Forschungsvorhabens entsprechend, finden sich dabei Fließtextausschnitte, die sich auf die Aufarbeitung von NS-Vergangenheit beziehen, so beispielsweise bei Spuren der Zeit 8:

„Um aus diesen Neonazis keine ‚Märtyrer‘ zu machen, ignorierten die Behörden sie lange Zeit. Erst in letzter Zeit setzt man sich mit ihnen stärker auseinander und geht mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen sie vor. Trotz ‚Vergangenheitsbewältigung‘, die das offizielle Österreich vor allem im Gedenkjahr 1988 vollzogen hat, versuchen ‚Ewiggestrige‘ weiterhin die Geschichte zu verfälschen.“664

Bemerkenswert dabei ist, dass bezüglich nicht oder „falsch“ bewältigter Vergangenheit wortwörtlich von Geschichtsfälschung die Rede ist. Es hat sich also der gesellschaftliche Konsens herausgebildet (zumindest auf Sachebene), dass eine Rückkehr zum status quo ante nicht nur unerwünscht, sondern eine Umdeutung oder Fälschung jener Geschichtsauffassung ist, die vorher sowohl offiziell als auch inoffiziell eingenommen wurde. Neben den bekannten Textstellen zu den Nürnberger Prozessen665 wird noch ein neues Ereignis bezüglich österreichischer Vergangenheitsbewältigung eingebracht, nämlich die Rede Franz Vranitzkys vor dem österreichischen Nationalrat. Sowohl in Stationen 4 (1992) als auch in Stationen 4 (1999) wird die Rede als Quelle wiedergegeben, wohingegen als Narrativ folgendes angeboten wird:

„Diese Erklärung der Bundesregierung ist umso bedeutender einzuschätzen, da es sich immer wieder in der Geschichte der Zweiten Republik zeigte – im besonderen Maße auch beim Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl 1986 –, daß ein großer Teil der Österreicher auch nach einem halben Jahrhundert nicht bereit ist oder sich davor scheut, sich mit ihrer Rolle zur Zeit des Dritten Reiches auseinanderzusetzen, sondern die Jahre 1938-1945 aus

662 Auch deshalb, weil die Verneinung etwaiger Gründe der Sowjetunion für den Aufbau einer Propagandakulisse recht naiv scheinen. 663 Aus Geschichte lernen 7 (1993), S. 162. 664 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 112. 665 Vgl. Spuren der Zeit 7 (1991), S. 150.

153 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

dem Bewußtsein verdrängt.“666

Hier wird erstmals explizit von Vergangenheitsbewältigung und der Tatsache, dass sich Österreich mit seiner Rolle während des Krieges und unter der NS-Herrschaft nie in ausreichender Form auseinandergesetzt hat, gesprochen. Sogar die Waldheim-Affäre wird erneut gestreift, bei der man sich, wie oben gezeigt, im direkten Zusammenhang im Grunde nicht mit Bewältigung von NS- Vergangenheit beschäftigt hat.

3.4.4.2 Bilder und Bildunterschriften Geht man von der inhaltlichen auf die bildliche Ebene, fällt auf, dass nun auch die abstrakteren Themenbereiche wie Entnazifizierung oder Schuld/Verantwortung illustriert werden, zusätzlich zu den schon gezeigten und immer wieder vorkommenden Abbildungen der Staatsvertragsunterzeichnung667 oder der Kriegsverbrecherprozesse.668 Dazu kommen nun aber Bildquellen, die sich sowohl durch ihren Kontext als auch durch ihre Bildtexte dem Thema der Vergangenheitsbewältigung zurechnen lassen, beispielsweise, wenn es um Schuld und Verantwortung geht. So wird in Zeitbilder 8 im schon vorgestellten Kapitel „Nicht nur Opfer – auch Täter“ eine Karikatur mit dem Titel „In Nürnberg und anderswo“ aus der Zeitschrift Neues Österreich von 1946 abgedruckt, auf der die abgebildeten Personen ihre Verantwortung während der NS-Zeit unter dem Schlagwort „Er hat mir’s doch befohlen“ bis auf den toten Hitler abwälzen. Die Zeichnung setzt sich somit kritisch mit der Haltung der Bevölkerung zu diesem Thema auseinander. Als Erklärung für dieses Bild wird aber nur der Titel und der Ausspruch „Er hat mir’s doch befohlen“ angegeben, weitere Ergänzungen fehlen.669 Ebenfalls neu vorhanden sind Abbildungen, die sich mit der Entnazifizierung auseinandersetzen: Während Spuren der Zeit 8 eine Auflistung von Parteimitgliedern während der NS-Herrschaft nach Gauen geordnet anbietet,670 wird in der Ausgabe der Stationen-Reihe von 1992 ein Wahlplakat der ÖVP abgedruckt, auf dem eine Wiedereingliederung „belasteter“ Personen in die Gesellschaft gefordert wird. Hier bietet auch der Bildtext zusätzliche Informationen zu diesem Problem:

„[…] Bei den Nationalratswahlen 1949 durften erstmals die etwa eine halbe Million minderbelasteten Nationalsozialisten ihre Stimme abgeben. Die ÖVP sprach diese wahlentscheidende Zielgruppe mit dem Versprechen an, sich für den Abbau der NS-Gesetze einzusetzen und die Gleichberechtigung aller Staatsbürger zu erreichen.“671

Stationen 4 von 1992 bemüht sich neben der Behandlung der politischen Auseinandersetzungen um die NS-Vergangenheit auch, gesellschaftliche Aspekte einzubringen, so beispielsweise mit einer

666 Stationen 4 (1992), S. 72f. So ähnlich, mit besonderer Betonung des Wahlkampfes von 1986, in: Stationen 4 (1999), S. 72. 667 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 102; Zeitbilder 8 (1997), S. 15. 668 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 17. 669 Vgl. ebenda, S. 11. 670 Vgl. Spuren der Zeit 8 (1992), S. 99. 671 Stationen 4 (1992), S. 80; Stationen 4 (1999), S. 80.

154 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Tabelle, welche die Beurteilung der NS-Vergangenheit in der Bevölkerung auflistet. Während hier zusätzliche Informationen fehlen, wird aber zumindest eine Arbeitsfrage (s.u.) dazu gestellt.672 Umfragen werden weiters dazu verwendet, um eine Entwicklung des österreichischen Nationalbewusstseins zwischen 1956 und 1987 darzustellen, auch mittels Bilder wird auf das Werden einer „österreichischen Identität“ hingewiesen.673 Die unterschiedlichen Bereiche „Nationalbewusstsein“ bzw. „österreichische Identität“ und „NS-Vergangenheit“ können aber auch zusammentreffen; im Schullehrbuch wird dieser Fall durch das Theaterstück „Der Herr Karl“ aus dem Jahr 1961 illustriert: Eine „Materialien“-Seite von Aus Geschichte lernen 8 (1994) beschäftigt sich ausschließlich mit der von Helmut Qualtinger dargestellten Figur eines typischen Mitläufers und Opportunisten. In einer Bildunterschrift unter einer Fotografie, die eine Szene aus dem Stück abbildet, steht folgendes:

„Die Mitschuld am eigenen Schicksal, die Tragödie eines Volkes und eines Staates in einer aus allen Fugen gegangenen Zeit stellte Helmut Qualtinger auf die Bühne. In dem von ihm gemeinsam mit Carl Merz geschriebenen Einpersonenstück ‚Der Herr Karl‘ (1961) hielt er seinen Landsleuten den Spiegel vor.“674

Dass die erstmalige Erwähnung des Stücks im Geschichte-Schulbuch in den 90er-Jahren stattfindet, zeigt deutlich, wie schwierig es in den 30 Jahren seit der Erstaufführung war, sich kritisch mit der Rolle „eines typischen Österreichers“ während der NS-Herrschaft auseinanderzusetzen. Die Krise rund um die Affäre Waldheim – im Schulbuchfließtext nun erwähnt – findet in bildlicher Darstellung keine Entsprechung. Lediglich ein Wahlplakat von 1992, das Thomas Klestil zeigt, weist darauf hin, dass Waldheim auf eine zweite Kandidatur verzichtet hatte. Insgesamt bietet der Bildtext aber vorrangig Information zur Bundespräsidentenwahl von 1992, nicht zu 1986.675

3.4.4.3 Quellen Nicht nur in Hinblick auf Fließtext und Bild gibt es Veränderungen während der 90er-Jahre, es werden auch neue Quellen verwendet, um Vergangenheitsbewältigung zu thematisieren. Erwähnenswert erscheinen die Textstellen, die im Kontext von Entnazifizierung angeboten werden. 1992 findet sich in Spuren der Zeit 8 ein Auszug aus dem vier Jahre zuvor erschienenen Buch „Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin“676 der österreichischen Schriftstellerin Ceija Stojka, die sich mit der Ungleichbehandlung von NS-Opfern und –Tätern in den Nachkriegsjahren auseinandersetzt:

„Ich finde, daß man den österreichischen Roma, die zurückgekommen sind und allen anderen KZlern, eine Möglichkeit hätte geben sollen, eine Wohnung zu bekommen, sei es nur Zimmer-Küche. Damit die Menschen ein Dach über dem Kopf haben, damit sie sich

672 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 73. 673 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 75; Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 51. 674 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 50. 675 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 96. 676 Vgl. Ceija Stojka: Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin, Wien 1988.

155 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

dem Leben stellen können, den Forderungen, die auf sie zukommen. Man hätte doch sagen können, hörst, die KZler sind mit nichts heimgekommen, wir müssen schauen, daß sie nicht wie der letzte Abschaum behandelt werden. Aber man wollte, daß wir der letzte Abschaum der Menschen sind. Deswegen regt es mich immer wieder auf, wenn ich hör, daß irgendein alter Nazi wo rausgekommen ist und in Österreich aufgenommen und verherrlicht wird. Man breitet einen roten Teppich aus, man verköstigt ihn, er hat sein Heim, auf ihn paßt man auf. Wer hat für uns einen Teppich ausgebreitet, wie wir die ganze Misere hinter uns gehabt haben? Und jetzt kommen die Nazi zurück und werden aufgenommen als wären sie weiß Gott wer.“677

Es ist kein Zufall, dass es sich bei der in der Textstelle zentralen Opfergruppe um Roma handelt, schließlich werden die Roma und andere Minderheiten seit den 90er-Jahren nicht nur in ihrem eigenen kollektiven Gedächtnis, sondern auch von der Forschung und damit zunehmend einer breiteren Öffentlichkeit in den Fokus gerückt. Unglücklicherweise wird die Quelle weitestgehend isoliert in den Kontext der Entnazifizierung eingebettet, es gibt weder Arbeitsfragen noch weitere Hinweise darauf, was bei dieser Quelle zu beachten wäre. Bei der zweiten Quelle handelt es sich um ein Zitat aus einem auch von mir verwendeten Aufsatz von Peter Malina und Gustav Spann, in dem die Autoren konstatieren, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit bis dato (also 1988, dem Veröffentlichungsdatum des Aufsatzes) unterblieben ist.678 Allerdings ist zu bemerken, dass auch hier keine weitere Auseinandersetzung mit der Quelle gefordert wird, sie also im Grunde als Fließtextergänzung zu sehen ist und den Schulbuchautoren die Möglichkeit gibt, eine Forschungsmeinung einzubringen. In Zeitbilder 8 findet sich eine Quelle zur Waldheim-Affäre, auszugsweise bestehend aus dem Bericht der internationalen Historikerkommission, der Waldheim zwar von Kriegsverbrechen freispricht, ihm aber in Abrede stellt, von den Verbrechen am Balkan nichts gewusst zu haben. Dabei werden gekürzt die Punkte fünf, sechs und sieben angeführt, die einerseits die Möglichkeit des jungen Waldheim auf Widerstand relativieren, ihm im Zuge des Wahlkampfes 1986 aber Verschleierung seiner Vergangenheit vorwerfen.679 Insgesamt drei Mal findet sich in den 90ern Vranitzkys Rede vor dem Nationalrat als Quelle, wobei zu erwähnen ist, dass die Ausgaben von Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft 4 die Rede vollständig abdrucken, während Zeitbilder 8 etwas stärker kürzt. Das kann unter Umständen neben der Seitenaufteilung auch damit zusammenhängen, dass man sich der Bedeutung der Rede 1992 beim Druck der Stationen 4-Ausgabe noch nicht vollends sicher war (wobei man erwähnen muss, dass sich die Folgeausgabe von 1999 im Grunde nicht von der ersten unterscheidet).680 Im Zusammenhang mit Österreichbewusstsein bietet vor allem Aus Geschichte lernen 8 zwei Quellen an, zum einen einen Auszug aus Schausbergers „Dokumente der Freiheit“ und zum anderen einen

677 Spuren der Zeit 8 (1992), S. 99. 678 Vgl. Zeitbilder 8 (1997), S. 11. 679 Vgl. ebenda, S. 96. 680 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 72; Stationen 4 (1999), S. 72; Zeitbilder 8 (1997), S. 11.

156 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Forderungskatalog zur österreichischen Nation nach Kreissler (Der Österreicher und seine Nation).681 Ergiebiger erscheinen wiederum die Quellentexte zum „Herrn Karl“, die darlegen sollen, warum das Stück so problematisch war:

„Ein Sturm der Entrüstung bricht über Helmut Qualtinger herein, als sein ‚Herr Karl‘, den er zusammen mit Carl Merz geschrieben hat, im Fernsehen ausgestrahlt wird. Insbesondere die Wiener fühlen sich durch den Monolog des Magazineurs in einer Gemischtwarenhandlung auf den Schlips getreten, entpuppt sich in ihm doch das ‚bißchen‘ an Opportunismus, das ‚bißchen‘ an Gesinnungslosigkeit, das ‚bißchen‘ an Gemeinheit und das damit erreichte ‚bißchen‘ an wienerischer Gemütlichkeit, von denen Herr Karl in seiner Lebensbeichte erzählt, als eisige Brutalität und berechnendes Mitläufertum. Die Inflation, der Brand des Justizpalastes, der Einmarsch Hitlers, die Kristallnacht, der Zusammenbruch, die Währungsreform und der Staatsvertrag, all die Ereignisse der jüngeren österreichischen Geschichte erlebt Herr Karl sowohl als Außenseiter wie als Teilhaber, aber immer weiß er seine kleinen Vorteile aus ihnen zu ziehen, indem er sich anpaßt und letztlich immer einer imaginären ‚Pflicht‘ gehorcht, von der er behauptet, daß sie ihm aufgetragen worden sei.“682

Neben diesem Auszug aus der Wiener Stadtchronik wird aus dem Stück selbst zitiert, auch wenn der gewählte Ausschnitt im Hinblick auf Vergangenheitsbewältigung im GO! knapp 20 Jahre später weitaus treffender scheint (s.u.):

„Natirlich – es war eine harte Zeit … man hat ein befreites Volk hungern lassen … Mi net. I hab scho immer was derwischt. G’schäfter g’habt … Wann i damals in a Nachlokal kumma bin, ham s‘ alle glaubt, i bin a Lord … dann is de Währungsreform kumma … da hab i wieder alle Lust verlurn zum Leben … Da hat man sein Leben aufgebaut … mindestens zwangzigmal hab i mei Leben auf’baut in Lauf von mein‘ Leben … Was is blieben? Und wann ma dann scho ölter is und nicht mehr den Schwung hat und den Charme, da … I hätt ja net arbeitslos sei‘ müssen … i hätt in aner Garderobe arbeiten können. Oder als Portier … Sogar in aner Sauna hätt i den Aufguß mahn kenna … den besten Leuten … aber wann’s soweit war, hab i immer des G’fühl g’habt … es gibt mir innerlich keine Befriedigung. Z’letzt bin i ganga mit deformierte Luftballöner … ballone. De hab i kriegt … bülliger … weil’s zweite Wahl warn …“683

Hier wird weder auf Vergangenheitsbewältigung eingegangen (dies ist in GO! 7 sehr wohl der Fall!), noch kann man sie hinein interpretieren. Es ist auch fraglich, inwieweit sich der Ausschnitt mit dem deckt, was vorher im Schulbuch über das Stück geschrieben worden ist.

Weil in der obigen Analyse des Aspekts der Holocaustleugnung von der Selbstauffassung von Schulbüchern respektive ihrer Autorinnen und Autoren die Rede war, sei am Rande des Quellenteils noch erwähnt, dass sich manche Schulbücher auch bewusst auf diese Metaebene begeben und sich mit der Bedeutung jenes Wissens, das sie vermitteln sollen, auseinandersetzen: Aus Geschichte lernen 8 setzt hierzu ein Zitat Hans-Ulrich Wehlers (Aus Geschichte lernen?) ein, der konstatiert, dass die

681 Vgl. Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 51. 682 Ebenda, S. 50. 683 Ebenda, S. 50.

157 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Geschichtswissenschaft auf die Frage, „woher wir kommen, wer wir sind, wie stark die Vergangenheit (z. B. das ‚Dritte Reich‘) weiter auf uns einwirkt, […] zumindest mit einem rational überprüfbaren Erklärungsangebot zu antworten“684 vermag. Das Buch erhebt mit diesem Zitat die Nachwirkungen der Vergangenheit, genauer der NS-Zeit, zu einem der zentralen Punkte der Geschichtsforschung, an denen sich logischerweise auch das Schulbuch orientieren soll. Aus der Forschungsperspektive muss aber in aller Deutlichkeit betont werden, dass dieser hier angesprochene Anspruch an die Beschäftigung mit Ein- und Nachwirkung von Vergangenheit bis in die Gegenwart nur teilweise bzw. in unterschiedlichen Ausmaßen vorhanden ist.

3.4.4.4 Arbeitsaufträge Die Art und Weise der gestellten Arbeitsaufträge unterscheidet sich nur rudimentär von den bisher zu diesem Thema vorgestellten, sie beziehen sich indes deutlicher auf die von mir untersuchten Themen. Für die Entnazifizierung fragt Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft 4 beispielsweise mit reinen Wiederholungsfragen nach den Konsequenzen und Problemen der Zulassung ehemaliger Nationalsozialisten zur Wahl von 1949,685 geht dafür aber im vorherigen dritten Band von 1991 mittels einer weiterführenden Frage eindeutig auf den Schuld- und Verantwortungskomplex ein, wenn es dort heißt:

„Der deutsche Bundespräsident von Weizsäcker sagte in seiner Rede zum 8. Mai 1985: ‚Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.‘ Wie verstehen Sie diese Sätze? Welche Konsequenzen für Ihr Verhalten können Sie daraus ableiten? Gelten diese Worte auch für die Österreicher? Diskutieren Sie darüber.“686

Nicht nur, dass sich die Schülerinnen und Schüler in der Diskussion gezwungenermaßen mit einem Vergleich Österreich-BRD konfrontiert sehen, sie sollen auch grundsätzlich die Aussagen bewerten und interpretieren. Dabei wäre es hier grundsätzlich möglich gewesen, die Rede Vranitzkys hier zu diesem Thema einzubauen; diese verwendet die Schulbuchreihe aber erst im Folgeband. So muss allerdings der Österreichbezug erst über die Fragestellung selbst expressis verbis hergestellt werden. Dieser Bezug ist bei einer Auseinandersetzung mit der Vranitzky-Rede beispielsweise per se gegeben, Zeitbilder 8 geht allerdings weniger auf Österreich selbst, als vielmehr auf allgemeine Möglichkeiten der Vergangenheitsbewältigung ein: „Welche Möglichkeiten bieten sich heute für den Staat, für Institutionen (z.B. Schule) und den Einzelnen zur Bewältigung dieser (dunklen) Vergangenheit an?“687 Ebenfalls weiterführende Fragen werden zu den oben genannten Umfrageergebnissen gestellt, wobei es in erster Linie um die Beurteilung der Ergebnisse (und in weiterer Folge um die Durchführung

684 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 134. 685 Vgl. Stationen 4 (1992), S. 80; Stationen 4 (1999), S. 80. 686 Stationen 3 (1991), S. 187. 687 Zeitbilder 8 (1997), S. 11.

158 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen eigener Umfragen) geht.688 Auch die „neue“ Sparte Holocaustleugnung und Rechtsextremismus wird mit Arbeitsfragen abgedeckt, wobei Stationen 4 noch am ehesten eine zielführende Auseinandersetzung mit dem Thema anbietet, bei dem die Schülerinnen und Schüler Texte verschiedener rechtsradikaler Gruppen vergleichen sollen.689 Die Aufforderung von Zeitgeschichte 7, „Besuche die Gedenkstätte Mauthausen und schau dir die Türen der Gaskammer genau an.“690, mutet dagegen skurril an, wenngleich auch gefragt wird, wie der Aufruf eines im Fließtext kurz zitierten Flugblatts zu beurteilen ist. Die Aufgabe in Spuren der Zeit 7 – „[…] Rechtsextremisten bestreiten auch heute noch die in den Vernichtungslagern verübten Gräueltaten. Welche Gefahr ergibt sich aus diesem Verleugnen von Tatsachen?“691 – ist letztlich zumindest logisch, wenngleich das Schulbuch hier keinen Hinweis gibt, worauf Schülerinnen und Schüler letztendlich hinaus sollen. Zu den genannten Quellenabschnitte zum Theaterstück „Der Herr Karl“ werden auf der Spezialseite in Aus Geschichte lernen 8 ebenfalls Fragen gestellt: „1. Wie könnte man die Persönlichkeit des ‚Herrn Karl‘ charakterisieren? 2. Gibt es in Österreich nicht auch einen positiven ‚anderen Herrn Karl‘? Wie könnte man diesen beschreiben?“692 Ich habe oben bereits die Auswahl des Textausschnitts bemängelt; wie dann aus diesem und der Beschreibung des Stücks eine Charakterisierung der Figur erfolgen soll, erschließt sich mir also nicht. Insgesamt schafft es weder der Quelltext noch die Arbeitsfrage hier kritisch mit der österreichischen Vergangenheit umzugehen, meiner Meinung nach schlicht deshalb, weil ein unpassender Textausschnitt gewählt wurde.

3.4.5 Seit 2000

3.4.5.1 Inhalt Nur vom Inhalt betrachtet bieten die allermeisten Schulbücher seit der Jahrtausendwende mehr des bereits Vorgestellten, wobei es wie schon zuvor gelungene und weniger gelungene Beispiele gibt. So schafft es beispielsweise Wege durch die Zeiten 4 immer noch nicht, der Entnazifizierung mehr Raum im Buch einzuräumen; wie es scheint, zählt dieser Gesichtspunkt nicht zu den „Problemen der Nachkriegszeit“, die in Zusammenhang mit der österreichischen Nachkriegsgeschichte bis hin zum Staatsvertrag besprochen werden.693 Dem gegenüber steht eine sehr ausführliche Besprechung des Themas seitens einst und heute 8 aus dem Jahr 2002:

„Das Kriegsende mit der Kapitulation Deutschlands war für alle Nationalsozialisten zugleich eine persönliche Niederlage. Die junge österreichische Regierung musste sich nun die Frage stellen: Wie sollte mit den Mitgliedern der NSDAP und jenen ihrer

688 Vgl. Stationen 4 (1994), S. 73/75. 689 Vgl. Stationen 4 (1999), S. 72. 690 Zeitbilder 7 (1996), S. 159. 691 Spuren der Zeit 7 (1991), S. 152. 692 Aus Geschichte lernen 8 (1994), S. 50. 693 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 83.

159 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

angeschlossenen Organisationen umgegangen werden? Das Verbotsgesetz, sofort nach Kriegsende erlassen, untersagte jede nationalsozialistische Partei und Organisation und stellte jede nationalsozialistische Betätigung unter Strafe. Das Kriegsverbrechergesetz sollte nicht nur Kriegsverbrecher im engeren Sinn bestrafen, sondern auch Kriegshetzerei, Misshandlungen, Verletzungen der Menschlichkeit und der Menschenwürde, Vertreibung und missbräuchliche Bereicherung, Denunziation und Hochverrat am österreichischen Volk verfolgen. Nach diesen Vorgaben registrierten die Gerichte 1946 insgesamt 536 000 Österreicher. Ein Jahr später, nachdem gesetzlich zwischen Minderbelasteten und Belasteten unterschieden wurde, blieben noch 40 000 übrig. Volksgerichtshöfe leiteten 137 000 Verfahren ein und verhängten insgesamt 43 Todesurteile über Kriegsverbrecher, von denen 28 vollstreckt wurden. Die restlichen Verurteilten wurden strafrechtlich verfolgt und zu Sühneleistungen herangezogen. Die meisten verloren ihre Vermögen, sehr viele zusätzlich ihre Arbeitsstelle; allein aus dem öffentlichen Dienst mussten 100 000 Beamte entlassen werden. Ein tief greifender Prozess gesellschaftlichen Umdenkens erfolgte damit aber noch nicht. Die Entnazifizierung wurde ‚sehr pragmatisch‘ gehandhabt, das heißt man duldete durchaus Ausnahmen und halbherzige Entschuldigungen, wenn es für eine bestimmte Berufsgruppe oder für eine Partei opportun schien. Bereits das Verbotsgesetz von 1945 enthielt weit dehnbare Ausnahmeregelungen, auf deren Basis sich Nationalsozialisten der Bestrafung entziehen konnten. Wer lediglich Mitglied der NSDAP war, sich aber keines Verbrechens schuldig gemacht hatte, wurde freigesprochen. Diese Ausnahmen wurde [sic!] im Laufe der Jahre zur Regel, indem politische Parteien einzelnen Personen ihre politische Unbedenklichkeit attestierten. 1948 wurden in einer großen Amnestie die als ‚minderbelastet‘ eingestuften Nationalsozialisten begnadigt. Etliche Verurteilte wurden durch Amnestien 1955 und 1957 begnadigt. Damit verstand sich Österreich rechtlich als ‚entnazifiziert‘. Zahlreiche ehemalige Nazis bekleideten bald wieder leitende Funktionen oder kehrten als angesehene Personen in ihre ehemaligen Berufe zurück. Manche übernahmen sogar politische Ämter, nicht zuletzt deshalb, weil sie in der staatlichen Verwaltung gebraucht wurden. Eine ehrliche Aufarbeitung der Frage nach Mitschuld fand nicht statt. Es bleib bei Unverständnis und Selbstmitleid. Das Wort ‚Mitläufer‘ bedeutete, dass man wohl mitgetan hatte, aber nicht verantwortlich dafür sei. Während eine ehemalige NSDAP- Mitgliedschaft spätestens ab 1957 ohne Folgen blieb, erhielten die Opfer des Faschismus erst 1961 eine Abgeltung für berufliche Schäden. Bis ins jahr [sic!] 2000 blieb die Frage der Entschädigung eher Hintergrundthema der österreichischen Politik. 2001 konnte mit den Überlebenden des Holocaust ein ernsthaftes Verhandlungsergebnis erzielt werden und die Republik Österreich begann mit der Auszahlung einer symbolischen Entschädigung an alle noch lebenden Opfer.“694

Dieser „best-practice“-Ausschnitt schafft es, beinahe alle zuvor geäußerten Kritikpunkte auszuräumen und sogar einen Schritt weiterzugehen: Nicht nur, dass die Nachteile der Entnazifizierungspraktik ernsthaft deutlich gemacht werden (bisher nur vereinzelt überhaupt aufzufinden), sie werden in der Folge eindeutig mit fehlender Vergangenheitsbewältigung in Verbindung gesetzt (sogar doppelt). Einziger Makel bleibt die nach wie vor oft fehlende Definition von Belasteten und Minderbelasteten.695 Dafür blickt das Schulbuch im vorliegenden Textausschnitt weiter als nur bis zur

694 Einst und heute 8 (2002), S. 79f. 695 Diese findet sich in unterschiedlichen Ausführungen bei: Wilhelm Cechovsky / Wolfgang Lammel / Michael Lemberger / Alexander Pinwinkler / Hans Pokorny: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8. Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse, Wien 2003, S. 3; (im Folgenden zitiert als: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003)) Zeitbilder 8 (2004), S. 11; Zeitbilder 8 (2014), S. 10; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 16f; Johannes Brzobohaty/Andreas Kowarz/Christa Zellhofer: Zeitfenster 8, Geschichte und Sozialkunde / Politische

160 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Minderbelastetenamnestie von 1948 und vergleicht die Opfer- und Täterrolle. Prinzipiell muss man für Entnazifizierung festhalten, dass mit dem Ausschnitt aus einst und heute 8 im Grunde der derzeit aktuelle Stand in diesem Bereich dargelegt wurde. Andere, spätere Schulbuchreihen bieten ähnliche bzw. fast genau gleiche Formulierungen an, es ändert sich inhaltlich nichts mehr; es wird teilweise sogar auf ältere Formulierungen vergangener Ausgaben zurückgegriffen.696 Erwähnenswert ist noch die ausführliche Beschäftigung mit der Entnazifizierung in Thema: Geschichte 8, das dafür einen eigenen, sich über eine Seite erstreckenden Kasten zur Verfügung stellt („Die Problematik der Entnazifizierung in Österreich“). Nach einer Quelle über den stets systemtreuen Polizisten Leo Schuster wird im Schulbuchfließtext neben Entnazifizierung gleichrangig das Problem mit der Vergangenheitsbewältigung mehrfach angesprochen:

„Das Lebensbild des Polizeibeamten Leo Schuster […] offenbart schlagartig die Problematik der Entnazifizierung in einem Land, das offiziell als erstes Opfer Hitlers galt, in dem andererseits aber fast 700.000 Menschen Mitglieder der NSDAP gewesen waren. Zwar gab es 1945, als die NS-Verbrechern allgemein bekannt wurden, einen ‚Augenblick des Entsetzens‘ (Ernst Hanisch), in den Sorgen des Wiederaufbaus, für den man auch die ehemaligen Nationalsozialisten brauchte, begann freilich bald das bewusste Verdrängen und Vergessen. Die Halbwahrheit der Opferthese, außenpolitisch von der Regierung immer wieder geschickt ins Spiel gebracht und im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges auch von den Westmächten akzeptiert, verhinderte die Aufarbeitung und Bewältigung der NS-Zeit. Bundeskanzler Figl, während des Krieges KZ-Häftling in Dachau, übertrug seine persönliche Opferrolle auf das ganze österreichische Volk; […] Die Entnazifizierung, von den Besatzungsmächten durch rigorose Maßnahmen in Gang gesetzt – bis Herbst 1946 gab es 50.000 Verhaftungen –, fiel zunehmend in die Kompetenzen österreichischer Behörden. Schon im Mai 1945 hatte die Provisorische Regierung ein Verbotsgesetz erlassen, das über das Verbot der NSDAP hinaus die Registrierungspflicht und die Auferlegung von Sühnemaßnahmen für alle früheren NS- Parteimitglieder ohne Rücksicht auf das tatsächliche Verhalten vorsah (Entlassung, Vermögenssperre, Zwangsarbeit, Internierung z. B. im Lager Glasenbach bei Salzburg, Ausschluss vom aktiven und passiven Wahlrecht). Das Hauptproblem war die große Zahl der Betroffenen; zwischen 520.000 und 550.000 ‚Ehemalige‘ waren in den Nachkriegsjahren registriert. Man behalf sich mit der Unterscheidung zwischen Belasteten (‚Illegale‘, Parteifunktionäre) und Minderbelasteten, so genannten ‚Mitläufern‘, denen keine wesentliche Schuld an den nationalsozialistischen Verbrechen angelastet wurde. 137.000 Fälle wurden vor österreichischen Volksgerichtshöfen verhandelt, 17 Prozent der Verfahren endeten mit Schuldsprüchen, 43 mal wurde die Todesstrafe verhängt. Bis 1947 verlief die Entnazifizierung mit einer gewissen Härte; kurzfristig führte sie zu einem Austausch der Eliten. Anders als etwa in Italien, wo sich der Volkszorn gegen die Faschisten richtete und auch vor blinden Massakern nicht zurückschreckte, stieß in Österreich die Verfolgung der Nationalsozialisten aber bald auf breite Ablehnung. Das Nationalsozialistengesetz von 1947, durch alliierte Eingriffe noch verschärft, wurde von vielen – nicht nur von ‚Ehemaligen‘ – als ungeheure Härte empfunden. Weil die meisten Parteimitglieder gegen kein Gesetz verstoßen hatten, erfasste sie das Gefühl, nun selbst ‚Unrecht‘ zu erleiden; paradoxerweise begannen sich die Kategorien von Tätern und

Bildung für die 8. Klasse AHS, Wien 2013, S. 8; (im Folgenden zitiert als: Zeitfenster 8 (2013)) GO! 7 (2013), S. 111. 696 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 135. Anm.: direkt übernommen von Aus Geschichte lernen 8 (1994)); Die Zeitbilder-Reihe verwendet im Großen und Ganzen jene Formulierungen von 1997.

161 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Opfern zu verwischen. Die Wiedereingliederung der Nationalsozialisten in die Gesellschaft – zu der es wohl keine Alternative gab – begann ab 1948 mit der Minderbelastetenamnestie, von der etwa 480.000 Personen profitierten; Maßnahmen gegen Belastete blieben bis 1957 in Kraft. Allmählich bildete sich neben der offiziell antinazistischen Position der Regierung eine Grauzone des heimlichen Einverständnisses mit dem Nationalsozialismus heraus, die jede ehrliche Aufarbeitung blockierte. […]“697

Dieser Ausschnitt ist gleichzeitig der umfangreichste zum Thema Entnazifizierung und bietet dementsprechend viel Raum für eine intensive und genaue Auseinandersetzung. Ausdrücklich wird dabei auf die Stimmung in der Bevölkerung eingegangen, welche die Maßnahmen gegen ehemalige Parteigänger der Nationalsozialisten als sehr hart beurteilt. Auch zeigt der Autor auf, dass es zur Wiedereingliederung der Nationalsozialisten in die Gesellschaft „wohl keine Alternative gab“, und entschärft somit die Kritik an der laxen Handhabung der Entnazifizierungsmaßnahmen in den späten 40er-Jahren zumindest teilweise. Abschließend hält Manfred Schindlbauer aber fest, dass sich durch die Probleme bei der Entnazifizierung erst die Probleme in der „ehrlichen Aufarbeitung“ ergeben.

Weitaus häufiger als in den 90er-Jahren ist seit 2000 die Waldheim-Affäre im Schulbuch vorhanden. Zu den bereits gezeigten Schulbuchtexten zum Thema kommt nun hinzu, dass es infolge der Kontroverse „in Österreich […] zu heftigen Diskussionen [kam], bei denen die Vergangenheitsbewältigung erneut zur Debatte stand.“698 In einst und heute 8 von 2002 wird zudem erstmals die große Bedeutung der Affäre („Wendepunkt“) in Bezug auf Bewältigung von Vergangenheit angesprochen:

„Das Jahr 1986 markiert einen Wendepunkt in der Geschichte der Zweiten Republik. Die nach wie vor offen gebliebene Frage nach der Rolle Österreichs im Zweiten Weltkrieg trat zu dieser Zeit massiv in den Vordergrund. Wegen seiner ‚halbherzigen‘ Vergangenheitsbewältigung wurde Österreich vorübergehend außenpolitisch sogar isoliert.“699

Die anschließend folgende Erklärung der genaueren Umstände zum Wahlkampf von 1986 und seinen Folgen geht detailliert auf die innenpolitischen Verwicklungen der SPÖ, allen voran Bundeskanzler Fred Sinowatz, ein, gibt im Fazit aber dann doch einen Überblick über die Vergangenheitsbewältigung, die das Schulbuch nicht nur positiv beurteilt:

„Insgesamt offenbarte der Wahlkampf 1986 und die folgende Amtszeit Waldheims das Versäumnis des offiziellen Österreichs: Es hatte seine Rolle während der Hitler-Diktatur noch immer nicht aufgearbeitet. Der Frage ‚Mitläufer oder Mittäter?‘ wich man weiterhin aus. Die teils heftigen Vorwürfe gegen Österreich bewirkten aber keine sachliche Auseinandersetzung mit diesem Teil der Vergangenheit, sondern erzeugten bei vielen Österreichern kontraproduktive Effekte wie etwa das Erstarken antisemitischer

697 Thema: Geschichte 8 (2008), S. 16f. 698 Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 96. 699 Einst und heute 8 (2002), S. 92.

162 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Tendenzen.“700

Auch Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 macht deutlich, dass die Kampagne gegen Waldheim gezielt von den Sozialdemokraten initiiert worden war, aber der „Steuerung den Initiatoren entglitt.“701 Thema: Geschichte 8 geht in den für diese Reihe typischen, langen Fließtexten auf die Waldheim- Affäre ein und konstatiert am Ende einer über eineinhalb Seiten reichenden Erläuterung: „Für ausgewogen urteilende Beobachter repräsentierte Waldheim weder den Täter noch das Opfer, sondern den ‚typischen Österreich‘ und die ‚Kultur des Vergessens‘ in Österreich.“702 Auch an dieser Stelle wird auf die Initiative der SPÖ verwiesen. In einer sehr kurzen Erklärung am Seitenrand geht Zeitfenster 8 mit der Thematik um, wobei hervorzuheben ist, dass dort wörtlich von einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Opfermythos gesprochen wird.703 Dieses Eingehen auf die Bedeutung der Affäre rund um die Korrosion der Opfer-These findet beispielsweise in GO! 7, in dem die Rede von Waldheim ist, nicht statt. Dafür findet sich hier die Erwähnung der Historikerkommission, die Waldheims Stationierung am Balkan untersuchen sollte.704 Als letzte Veranschaulichung soll der Ausschnitt aus Zeitbilder 8 angegeben werden, der sich ebenfalls an einer Gesamtbeurteilung versucht:

„Die ‚Waldheim-Affäre‘ wirkte aber auch gesellschaftspolitisch in Österreich nach: Ein Teil der Bevölkerung forderte (nicht zum ersten Mal) einen endgültigen Schluss der Debatte über die nationalsozialistische Vergangenheit. Auf der anderen Seite gab es nun erstmals eine breiter und offener geführte Diskussion über die Täterrolle von Österreicherinnen und Österreichern während der NS-Herrschaft […].“705

Kommt der Waldheim-Affäre in den aktuellen Schulbüchern schon eine wichtige Rolle zu, so muss festgestellt werden, dass dies in noch größerem Maße auf die allgemeine Auseinandersetzung mit Vergangenheitsbewältigung (inklusive Opfermythos usw.) zutrifft. Eine Einleitung, die in diesem Zusammenhang die Kernfrage sehr genau trifft, bietet einst und heute 8 von 2002, das auf interessante Art und Weise erklärt, warum es das Kapitel „Österreich unter nationalsozialistischer Herrschaft“ unter dem Themenblock „Österreich – Die Zweite Republik“ abhandelt:

„Die Einordnung der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft unter der Überschrift ‚Zweite Republik‘ begründet sich damit, dass Politik, Wirtschaft und Identität der Zweiten Republik nachhaltig geprägt sind von der Zeit der NS-Diktatur zwischen 1938 und 1945. Viele Fragen nach der damaligen Rolle Österreichs beeinflussten die Politik und das Selbstverständnis der österreichischen Nation; dies gilt bereits für die Vorfälle rund um den Einmarsch der deutschen Truppen 1938: Tatsache ist, dass der damalige

700 Einst und heute 8 (2002), S. 92. 701 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 17. 702 Thema: Geschichte 8 (2008), S. 59. 703 Vgl. Zeitfenster 8 (2013), S. 19. 704 Vgl. GO! 7 (2013), S. 117; vgl. auch: Zeitfenster 8 (2013), S. 19; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 59; Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 96. 705 Zeitbilder 8 (2014), S. 27.

163 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Kanzler Schuschnigg größte Anstrengungen unternahm, um die Unabhängigkeit Österreichs zu bewahren. Tatsache ist, dass das Hitler-Regime massiven Druck auf die österreichische Regierung ausübte. Tatsache ist aber auch, dass Hitler stürmisch gefeiert wurde und einen wahren Triumphmarsch durch Österreich genoss, um schließlich in Wien das Ende der Ersten Republik und den ‚Anschluss‘ an das Deutsche Reich zu proklamieren. Bereits 1938 offenbarte sich also eine Frage, die in der Zweiten Republik immer wieder auftauchte, verdrängt wurde und deren Lösung von den österreichischen Regierungen, aber auch von der Bevölkerung immer wieder verschoben wurde: War Österreich nur das erste Opfer Hitler-Deutschlands, oder machte es sich auch zum Mittäter?“706

Letztendlich – und darauf laufen auch die meisten Schulbuchfließtexte in diesem Zusammenhang hinaus – wird deutlich, dass auch in den Schulbüchern Versäumnisse in der Vergangenheitsbewältigung bewusst angesprochen werden. Wenn es um die Verdrängung und Bewältigung der österreichischen Vergangenheit geht, kommen die Lehrbücher nicht mehr darum herum, die Entwicklung, die damit zusammenhängt, anzusprechen. Weil im gezeigten Beispiel nicht wortwörtlich von einem Opfermythos oder der Opfer-These die Rede war, muss auch klargestellt werden, dass diese Begriffe durchaus in den Büchern vorkommen – wie das folgende Beispiel zeigt, auch in Bezug auf die Zusammenhänge sehr detailliert:

„Aufgewachsen mit einer Menschen verachtenden Ideologie bleiben die Überlebenden mit der Verarbeitung der Traumata sich selbst überlassen. Gleichzeitig sahen sie sich mit Vorwürfen und Fragen der jüngeren Generation konfrontiert, die eine Erklärung und ‚Rechtfertigung‘ für ihr Handeln bzw. ihr Nichthandeln während der NS-Zeit forderte. Die Frage war leicht gestellt: ‚Warum habt ihr nichts dagegen getan?‘ Traumata und Vorwürfe unmittelbar nach Kriegsende und zu Beginn der Zweiten Republik gaben in Österreich den Anstoß, mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit zu beginnen. Auf dem Weg zum Staatsvertrag war allerdings die Opfer-Rolle sehr hilfreich; sie wurde von den Siegermächten im Großen und Ganzen auch akzeptiert. In der Zweiten Republik führte die Frage nach der Mittäterschaft und der ‚Vergangenheitsbewältigung‘ immer wieder zu kontroversiellen Diskussionen. Die Kandidatur des ehemaligen SS-Mannes Friedrich Peter für das Amt des Nationalratspräsidenten, der freundliche Empfang des Kriegsverbrechers Walter Reder durch den damaligen FP-Innenminister Friedhelm Frischenschlager, die vermeintliche NS-Vergangenheit des Bundespräsidenten Kurt Waldheim und die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 – immer wieder ‚rächt‘ sich seither der österreichische Umgang mit der Zeit der NS-Herrschaft. Die Frage der Entschädigungszahlen für Zwangsarbeiter – Österreich Wirtschaft profitiert in vielen Bereichen bis heute von dem auf Zwangsarbeit basierenden Aufbau einer Industrie und Infrastruktur während der NS-Zeit – wurde erst von der Regierung unter Bundeskanzler Schüssel im Jahr 2001 gelöst.“707

Dieser Abschnitt, den einst und heute 8 im Kapitel „Österreichische ‚Vergangenheitsbewältigung‘“ anführt, ist in vielerlei Hinsicht interessant und erwähnenswert: Er zeigt zum einen, wie aktuelle Schulbücher versuchen, die misslungene Bewältigung der NS-Zeit zu erklären und begreifbar zu machen (hier mittels Traumata), auf der anderen Seite wird die Opfer-Rolle richtigerweise als

706 Einst und heute 8 (2002), S. 72. 707 Ebenda, S. 77.

164 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

„Notwendigkeit“ bzw. als wichtig für den Wiederaufbau erkannt, ohne diesen Aspekt gleichzeitig negativ zu bewerten.708 Außerdem werden im Ausschnitt einzelne Etappen, die zu einer kritischen Reflexion dieser Opfer-Rolle geführt haben, genannt, wobei das Lehrbuch hier im Vergleich mit anderen Büchern mehrere Ereignisse anführt: Nicht nur die Waldheim-Affäre oder die nach 2000 sehr häufig behandelte Regierungsbeteiligung der FPÖ inklusive Restitutionsgesetzgebung werden genannt, auch der bisher noch nicht genannte „Reder-Skandal“709 oder die SS-Vergangenheit von Friedrich Peter werden an dieser Stelle angesprochen. Anders geht Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 mit der Behandlung des österreichischen Gedächtnisses um: Unter dem Kapitel „Das Ende Österreichs?“ wird ein kritischer Blick auf die Tatsache geworfen, dass eine österreichzentrierte Geschichtsdarstellung 1938 abbricht, um 1945 neu zu beginnen:

„Im März 1938 scheint die Geschichte Österreichs zu enden. Der ‚österreichische Sonderweg‘ mündete in die ‚großdeutsche Hauptstraße‘. Nach 1945 strich man dann die Jahre der NS-Herrschaft aus der österreichischen Geschichte, um sie allein der deutschen zuzuweisen. Doch auch die Jahre zwischen 1938 und 1945, belastet mit den ungeheuerlichsten Verbrechen, sind Teil der österreichischen wie der deutschen Geschichte – ‚Ein bilaterales Geschichtsbuch‘ (G. Botz, 1980) kann nicht umhin, Verantwortung und Beteiligung aller darzustellen.“710

Dieser nicht mehr wegzuleugnende Teil der österreichischen Geschichte findet Ausdruck in der Opfer- Täter-Debatte, die das österreichische Selbstbild in den Nachkriegsjahrzehnten entscheidend prägt. Während sich die Zeitgeschichtsforschung schon Ende der 80er-Jahre bewusst und kritisch mit der Opfer-These auseinandersetzt, gelingt dies dem Schulbuch erst Jahre später – einige der gezeigten Beispiele aus den 90ern sind dementsprechend Beispiele für erste Versuche einer Beurteilung, während jene seit 2000 durchaus elaborierter erscheinen. Die Diskussion um den Opfermythos im Schulbuch führt allerdings auch zu der einen oder anderen strittigen Formulierung, was die Debatten um NS-Täterschaft betrifft: So ist gestern | heute | morgen der Ansicht, dass

„[d]ie ‚Täterrolle‘ sowohl durch die innere Vorbereitung des ‚Anschlusses‘ und das Fehlen militärischen Widerstandes gegen den Einmarsch deutscher Truppen unterstrichen [wird], als auch durch die nicht zu leugnende Tatsache der Beteiligung und der führenden Rolle von Österreichern an vielen Schalt- und Ausführungsstellen des NS-Terrorsystems und nicht zuletzt auch durch die pogromhafte und jeglicher Menschlichkeit entsagende Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.“711

708 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 156. Hier wird von einer „angeblichen staatspolitischen Notwendigkeit gesprochen“, aber auch davon, dass die Opfer-These ein „Akt der Selbstbehauptung des neuen Staates war“ und zur innerösterreichischen Konsensbildung und Herausbildung einer österreichischen Identifikation gedient hätte. 709 Einst und heute 8 (2002) bleibt das einzige untersuchte Schulbuch, das sich mit dieser Episode auseinandersetzt. Im Rahmen der Regierungszusammenarbeit von SPÖ und FPÖ in den 80er-Jahren wird der Skandal sogar genauer erklärt (S. 91). 710 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 158. 711 gestern | heute | morgen (2005), S. 156.

165 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Während die Mitwirkung von Österreichern an NS-Kriegsverbrechen oder am Holocaust sowie die Vorbereitung des „Anschlusses“ (von mehreren Ebenen) außer Frage stehen, ist das Fehlen eines militärischen Widerstandes gemeinhin nichts, was der österreichischen Bevölkerung als „Täterschaft“ ausgelegt werden könnte. Die schwierige Situation des österreichischen Bundesheeres vor und während der „Anschluss“-Nacht wurde schon an anderer Stelle behandelt und zeigt, dass sich die Bewertungen eines Ereignisses mitunter noch immer unterscheiden können. Gestern | heute | morgen 7 gibt neben den einzelnen Skandalen und Affären noch als Grund für den Beginn der Vergangenheitsbewältigung an, dass eine wissenschaftliche und öffentliche Diskussion darüber stattfand. Als Beispiel dafür wird Vranitzkys Rede im Parlament sowie seine Rede in Israel 1993 genannt.712 Darüber hinaus wird unter der Überschrift „Politische Bildung an Schulen“ auch der Umgang mit Vergangenheit im Unterricht thematisiert:

„Zur Behandlung des Themas an den Schulen erschien anlässlich des Gedenkjahres 1988 die Broschüre ‚1938-1988. Vom Umgang mit unserer Vergangenheit‘ (von Peter Malina und Gustav Spann) sowie das Buch ‚Österreicher und der Zweite Weltkrieg‘ […]. Anlässlich des Gedenkjahres 2005 wurden in den Schulen und in der Öffentlichkeit in vielfältiger Weise Themen der Zeitgeschichte Österreichs behandelt.“713

An anderen Themen, die zu Vergangenheitsbewältigung angeboten werden, mangelt es den Schulbüchern seit 2000 nicht: Neben den hier analysierten Hauptgebieten finden sich noch Holocaustleugnung,714 Österreichbewusstsein und österreichische Identität (auch in Verbindung mit der Moskauer Deklaration)715 oder das „Deutsche Eigentum“.716

3.4.5.2 Bilder und Bildunterschriften Die bildliche Darstellung der abstrakten Themengebiete Entnazifizierung, Waldheim-Affäre, Schuld und Verantwortung usw. lässt sich ebenfalls seit 2000 stärker beobachten. Durchgängig ist die schon obligatorische Fotografie der Staatsvertragsverkündung vorhanden,717 im Vergleich zu früheren Ausgaben, in denen Bilder noch nicht dermaßen forciert wurden, tritt die bildliche Dokumentation des Ereignisses aber in ihrer Wertigkeit im Vergleich zu anderen Themengebieten zurück. Je einmal wird

712 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 157. 713 gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 157. 714 Vgl. Zeitbilder 7/8 (2006), S. 96; Zeitbilder 7 (2014), S. 101. Die Zeitbilder-Ausgaben bleiben im Grunde dem inhaltlichen Grundgerüst von 1996/1997 treu. 715 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 77; Oskar Achs/Manfred Scheuch/Eva Tesar: gestern | heute | morgen. 8. Klasse. Aus Geschichte lernen, Wien 2006, S. 121; (im Folgenden zitiert als: gestern | heute | morgen 8 (2006)) GO! 7 (2013), S. 137. 716 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 85; einst und heute 8 (2002), S. 80/83; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 4; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 18. Inhaltlich unterscheiden sich diese Textausschnitte im Grunde aber nicht von jenen früherer Jahrzehnte. 717 Vgl. beispielsweise Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 88; Einst und heute 8 (2002), S. 83; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 25; Zeitfenster 8 (2013), S. 5.

166 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen visuell sowohl mit den Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg718 als auch mit „Herrn Karl“ in Zusammenhang mit Österreichbewusstsein („Des Österreichers Umgang mit seiner Vergangenheit“)719 gearbeitet. In den 90er-Jahren wurde das Themengebiet auf der Bildebene unter anderem anhand eines Wahlplakats der ÖVP angesprochen. Auch wenn man diese interessante Ausführung seit 2000 nicht mehr findet, gibt es neue Bildquellen, die mit Entnazifizierung in Verbindung stehen: einst und heute 8 bietet zum Beispiel eine Fotografie an, auf der zu sehen ist, wie Männer in einer Grube graben (Bildunterschrift: „Ehemalige NSDAP-Mitglieder wurden zu Arbeitseinsätzen verpflichtet und mussten zur Kennzeichnung ein Hakenkreuz tragen“720), während Zeitfenster 8 eine „[p]olizeiliche Anordnung zur Entnazifizierung“ aus Wien abbildet.721 Das im gleichen Schulbuch ebenso vorhandene Wahlplakat der VdU von 1949 weist dagegen nur vom Plakattext her gesehen einen Bezug zum Entnazifizierungsthema auf, weil dabei „Heimkehrer und Neuwähler“ angesprochen werden.722 Die Darstellung von Wahlplakaten findet sich indes auch häufig, um eine Verbindung zur Waldheim- Affäre herzustellen.723 Das hat meiner Ansicht nach damit zu tun, dass sich die Plakate gut eignen, um Waldheim als Person abzubilden; die Illustrationen der komplexen Kontroverse rund um das Wahljahr 1986 fallen dagegen spärlicher aus, bieten theoretisch aber mehr Spielraum für etwaige Arbeitsaufträge. Am wenigsten aussagekräftig erscheint hier die Fotografie einer Demonstration gegen Waldheim, die in einst und heute 8 abgebildet ist und in der Bildunterschrift besonders auf das Gedenkjahr 1988, in dessen Kontext die Demonstrationen gegen den schon amtierenden Waldheim stattfinden, eingeht.724 Ergiebiger sind die beiden Karikaturen, die direkt auf die Waldheim-Affäre verweisen: Zum einen ein Comic-Strip aus dem Chicago Tribune von 1986, auf dem drei verschiedene archetypische Opfer des Zweiten Weltkrieges bzw. der NS-Herrschaft dargestellt und ihre Verluste beschrieben werden („Lost his Family, Lost her Home, Lost his Property“). Das vierte Bild zeigt Waldheim unter dem Text „Lost his Memory“.725 Zum anderen eine Karikatur von Manfred Deix mit dem Titel „Waldheim – Wie es wirklich war“: Waldheim wird als „ahnungsloser Wehrmachtsoffizier“ gezeigt, der sich fragt, welche „Reise“ eine Gruppe von Personen – den Merkmalen (Davidstern) zufolge offensichtlich Juden – wohl unternehmen wird.726 Diese Karikaturen eignen sich insbesondere dazu, die Bedeutung der Waldheim-Affäre aus heutiger Sicht zu beurteilen und zu erkennen, an welchen Punkten sich die Öffentlichkeit 1986 echauffierte. Auch auf eine allgemeine Vergangenheitsbewältigung wird mittels Bildquellen Bezug genommen,

718 Vgl. Zeitfenster 7 (2012), S. 98. 719 Vgl. GO! 7 (2013), S. 135. 720 Einst und heute 8 (2002), S. 80. 721 Vgl. Zeitfenster 8 (2013), S. 8. 722 Vgl. ebenda, S. 12. 723 Vgl. u.a. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 17; Thema: Geschichte 8 (2008), S. 58; GO! 7 (2013), S. 117. Anm.: Thema: Geschichte zeigt ein Plakat der Wahl von 1971, bei der Waldheim schon einmal angetreten war. 724 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 92. 725 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2002), S. 17. 726 Vgl. Zeitfenster 8 (2013), S. 19.

167 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen wobei in diesem Zusammenhang am häufigsten die schon gezeigte Karikatur „In Nürnberg und anderswo“ auftaucht, auf der die Verantwortung immer zum nächsthöheren Vorgesetzten abgeschoben wird, bis letztlich nur noch der tote Hitler übrig bleibt.727 In gestern | heute | morgen 7 wird das Denkmal gegen Krieg und Faschismus (Alfred Hrdlicka) gezeigt und in der Bildunterschrift darauf hingewiesen, dass es aufgrund „heftiger politischer Auseinandersetzungen“ erst 1988 realisiert werden konnte. Im Kontext der Aufarbeitung von Vergangenheit zeigt gestern | heute | morgen 7 als einziges Schulbuch ein Mahnmal und setzt sich in diesem Zusammenhang mit der „veränderten Erinnerungskultur“ der Österreicher auseinander.728 Alle anderen zum Themenbereich Vergangenheitsbewältigung bzw. Schuld und Verantwortung gezeigten Bilder und Bildunterschriften sind unterschiedlich. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 gibt als Tabelle das Ergebnis einer Meinungsumfrage wieder, bei der zwischen Täter und Opfer unterschieden werden soll,729 in Aus Geschichte lernen 8 wird das schon im Kapitel über den „Anschluss“ besprochene Bild von Albert Hilscher gezeigt, das einen Jungen zeigt, der „Jud“ auf eine Hausmauser malen muss. Dabei ist aber zu erwähnen, dass die Bildunterschrift – „Opfer-Täter- Diskurs im internationalen Vergleich“730 – in keiner Relation zum Bildinhalt selbst steht und aus diesem Grund unpassend und nicht nachvollziehbar erscheint. GO! 7 wiederum zeigt ebenfalls ein Diagramm einer IMAS-Umfrage, in der 16-29-Jährige gefragt werden, ob sie verschiedene Persönlichkeiten aus der NS-Zeit und dem Zweiten Weltkrieg kennen.731 Neu seit 2000 sind Bilder über die Restitutionsgesetzgebung und Opferentschädigung der Ägide Schüssel, wobei das einzige in der Untersuchung festgehaltene Bild ein Pressefoto der beteiligten Verhandlungspartner ist.732 Das hat meiner Meinung nach primär damit zu tun, dass es ansonsten keine Abbildung gibt, die in der Lage wäre, das Thema rund um Rückgabe und Entschädigung sinnvoll darzustellen. Es stellt sich aber auch die Frage, ob dies einem Pressefoto, das lächelnde Vertreter verschiedener Verhandlungsparteien bei der Unterzeichnung eines Vertrages zeigt, gelingt. Auf der anderen Seite erachten die Schulbuchautorinnen und –autoren das Thema aber zumindest als bildlich darstellenswert.

3.4.5.3 Quellen Was die Vergangenheitsbewältigung in den Quellen betrifft, gehen die Schulbücher unterschiedliche Wege und benützen verschiedenste Quellenarten für die Darstellung. So finden sich bei den insgesamt vier Erwähnungen von Entnazifizierung sowohl biographische Quellen als auch Wiedergaben von

727 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 178; gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 135; GO! 7 (2013), S. 111; [GO! gibt hier aber einen Veröffentlichungszeitpunkt an, an dem die Zeitung „Neues Österreich“ schon nicht mehr existiert hat] Zeitbilder 7/8 (2006), S. 202; Zeitbilder 8 (2014), S. 10. 728 Vgl. gestern | heute | morgen 7 (2005), S. 157. 729 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 181. 730 Aus Geschichte lernen 8 (2002), S. 134. 731 Vgl. GO! 7 (2013), S. 39. Anm.: Anzumerken ist hierbei, dass die Seite unter der Frage „Vergessen wir die NS-Zeit?“ behandelt wird und die Umfrage darauf hinaus will, dass statistisch gesehen immer weniger über die NS-Zeit gewusst wird. 732 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 3.

168 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Forschungsaussagen. Den Anfang macht Wege durch die Zeiten 4, das verschiedene Quellenausschnitte für die Vergangenheitsbewältigung vorstellt, unter anderem einen Abschnitt aus Bruno Kreiskys „Zwischen den Zeiten. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten“, in dem sich der ehemalige Bundeskanzler zur Bestrafung von ehemaligen Nationalsozialisten äußert.733 Bemerkenswert ist auch der Beitrag in Thema: Geschichte 8: Wie erwähnt, wird dort in einem Kasten die „Problematik der Entnazifizierung in Österreich“ behandelt“ und dem Schulbuchfließtext eine Beschreibung eines stets systemdienenden Polizeibeamten vorangestellt. Allerdings wird immer erst im Textquellennachweis am Ende des Schulbuchs klar, woher die Quelle stammt (in diesem Fall ein Zitat aus Ernst Hanischs „Der lange Schatten des Staates“).734 Aus demselben Werk zitiert auch GO! 7, das eine Meldung des Gendarmeriekommandos von Salzburg aus dem Jahre 1947 vorlegt, um die negative Stimmung in der Bevölkerung, die in Bezug auf die Entnazifizierungsmaßnahmen der Alliierten und der Regierung herrschte, zu betonen.735 Vergleichsweise aktuelle Literatur verwendet dagegen die Zeitbilder-Ausgabe von 2014, in dem die neueste Auflage von Oliver Rathkolbs „Die paradoxe Republik“ (2011) dazu verwendet wird, den Schulbuchfließtext zu den ersten Wahlen in den Nachkriegsjahren durch einen Ausschnitt aus der Sekundärliteratur interessanter zu gestalten, in dem Rathkolb in Bezug auf Entnazifizierung und Wahlen von einem „wahlstrategischen Problem“ der beiden Großparteien spricht.736 Während für Entnazifizierung also vor allem Zitate aus der Sekundärliteratur oder aus Biographien verwendet werden, sind es beim Themenbereich Opferentschädigung und Restitution insbesondere Zitate aus Printmedien – vor allem deshalb weil die Debatten rund um die Entschädigung von Zwangsarbeitern erst um die Jahrtausendwende aktuell wurden und sich für die Wiedergabe der damaligen Vorgänge Zeitungsberichte relativ gut eignen.737 Lediglich ein Sekundärliteraturzitat Roman Sandgrubers findet sich als Ergänzung zum Fließtext, das kurz die Schwierigkeiten der Entschädigung von Juden und Minderheitengruppen darlegt und auch in einem Nebensatz die Opfer- These behandelt.738 Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass jegliche Quellen zum Themenbereich Opferentschädigung ausschließlich (!) in der Reihe Durch die Vergangenheit zur Gegenwart entdeckt wurden, wenngleich andere Bücher und Reihen das Thema im Fließtext sehr wohl behandeln. Eine Besonderheit, die ich sonst auf diese Art und Weise in keinem weiteren Schulbuch gefunden habe, stellt eine Auflistung von Interviews dar, die aus der ORF-Dokumentation „Die Synagoge war mir Heimstätte/eine Zeitreise“739 aus dem Jahr 2000 stammen. Es geht dabei im Schulbuch um die Frage, was einzelne Personen über „Wiedergutmachung“ denken, wobei sich der Begriff

733 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 90. 734 Vgl. Thema: Geschichte 8 (2008), S. 16. 735 Vgl. GO! 7 (2013), S. 111. 736 Vgl. Zeitbilder 8 (2014), S. 10. 737 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 173/181. 738 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 3. 739 Die Synagoge war mir Heimstätte. Eine Zeitreise, [http://tvthek.orf.at/topic/Juedische-Geschichte- Oesterreich/6955377/Die-Synagoge-war-mir-Heimstaette/6999339], eingesehen 06.10.2014.

169 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

„Wiedergutmachung“ einzig um die wiedererrichtete Synagoge in Graz dreht, die der jüdischen Kultusgemeinde übergeben wurde. Bis auf einen Interview-Auszug von Simon Wiesenthal stammen alle dabei vorgestellten Meinungen aus dem genannten ORF-Beitrag, was einerseits problematisch erscheint, auf der anderen Seite – es geht nur um diese eine spezielle Form der Wiedergutmachung – aber logisch ist. Allerdings suggeriert das Schulbuch dadurch – wohl ohne es zu wollen –, dass Wiedergutmachung einzig mit dieser einen Synagoge zusammenhängt, weil sich auch alle Aussagen auf dieses spezifische Ereignis beziehen.740

Was ganz allgemein die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Umgang mit Vergangenheit betrifft, gibt es ebenfalls unterschiedliche Ansätze: Von verschiedenen Reden741 über Zeitungsberichte742 und neuerdings sogar Interviews mit Historikern743 sind verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten gegeben. Sehr ausführlich ist dabei Thema: Geschichte, das beispielsweise einen Auszug aus dem Bericht der Historikerkommission unter dem Vorsitz von Clemens Jabloner beilegt, um das Thema „Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik Österreich während der NS- Zeit sowie Rückstellungen bzw. Entschädigung der Republik Österreich ab 1945“ zu behandeln und dabei darauf eingeht, warum es so lange gedauert hat, bis Österreich sich zu einer Rückstellung entschlossen hat. Die Opferthese wird in der Quelle als „bequeme Argumentationshilfe“ bezeichnet, um von vornherein mit keinen Rückstellungsansuchen konfrontiert zu werden.744 Herauszuheben ist auch die Aktualität des Quellenmaterials, das beispielsweise in der GO!-Reihe verwendet wird, um Vergangenheitsbewältigung als etwas darzustellen, das Österreich bis in die Gegenwart beschäftigt. So wird auszugsweise eine Gedenkrede des profil-Herausgebers Christian Rainer aus dem Jahr 2011 vorgestellt, die im Rahmen einer Feier zur Befreiung des Konzentrationslagers Ebensee gehalten wurde. Zentrales Element dieses Auszugs ist die Einschätzung Rainers, dass Österreich am „moralischen Wiederaufbau“ letztlich gescheitert sei, wenngleich man auf den wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg stolz sein könne.745 Mit dem Einsatz dieser Rede wird bewusst auf das Dilemma Wiederaufbau – Entnazifizierung verwiesen und dadurch, dass die Rede aus dem Jahr 2011 stammt, wird es auch als aktuelles Problem vorgestellt. Ebenso einmalig ist die 1991 veröffentlichte Erklärung der Bundesregierung gegen den damaligen Landeshauptmanns von Kärnten, Jörg Haider, in der dieser nach seinen verbalen Entgleisungen zur „ordentlichen Beschäftigungspolitik“ des Dritten Reiches zum Rücktritt aufgefordert wird. Damals im Standard erschienen, wird die Erklärung in GO! 8 als Beispiel für einen politischen Skandal verwendet, der sich thematisch ebenfalls in der Kategorie

740 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 182. 741 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 135; Zeitfenster 8 (2013); S. 20; GO! 7 (2013), S. 64/69. 742 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 181; GO! 7 (2013), S. 39; Franz Melichar / Irmgard Plattner / Claudia Rauchegger-Fischer: GO! Geschichte Oberstufe 8, Wien 2014, S. 165. (im Folgenden zitiert als: GO! 8 (2014)) 743 Vgl. GO! 7 (2013), S. 40f. 744 Vgl. Thema: Geschichte 7 (2007), S. 210f. 745 Vgl. GO! 7 (2013), S. 64.

170 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen der Vergangenheitsbewältigung bewegt.746 Zur Thematik des Österreichbewussstseins finden sich häufig wieder die schon gezeigten Ergebnisse der Meinungsumfragen, nun allerdings nicht als Tabelle, sondern beispielsweise als Auszüge aus der Sekundärliteratur.747 Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang auch Quellen, die aktiv eine Reflexion über den Opfer-Status und die Rolle der Österreicher während und nach dem Krieg anregen. In diese Rolle als Opfer schlüpft die literarische Figur des „Herrn Karl“ und während sich die bisher gezeigten Textausschnitte aus dem Stück meiner Meinung nach weniger dazu eignen, sich mit der „typisch österreichischen Mentalität“ zu beschäftigen, bietet GO! 7 einen aussagekräftigeren:

„I maan, schaun S‘, was ma uns da nachher vorg’worfen hat – des war ja alles ganz anders … da war a Jud im Gemeindebau, a gewisser Tennenbaum … sonst a netter Mensch … da ham’s so Sachen gegen de Nazis g’schrieben g’habt auf de Trottoir … und der Tennenbaum hat des aufwischen müssen … net er allan … de andern Juden eh aa … hab i ihm hing’führt, dass er’s aufwischt … und der Hausmaster hat zuag’schaut und hat g’lacht … er war immer bei aner Hetz dabei … Nachn Krieg is er z’ruckkumma, der Tennenbaum. Is eahm eh nix passiert … Hab i ihm auf der Straßn troffen. I grieß eahm freundlich: ‚Habediehre, Herr Tennenbaum!‘ Der hat me net ang’schaut. I grüaß ihn no amal: ‚-diehre, Herr Tennenbaum…‘ Er schaut mi wieder net an. Hab i ma denkt … na bitte, jetzt is er bees … Dabei – irgendwer hätt’s ja wegwischen müaßn … I maan, der Hausmaster war ja aa ka Nazi. Er hat’s nur net selber wegwischen wolln. Alles, was man darüber spricht heute, is ja falsch … es war eine herrliche, schöne … ich möchte diese Erinnerung nicht missen … Dabei hab ich ja gar nichts davon g’habt … Andere, mein Lieber, de ham si g’sund g’stessn … Existenzen wurden damals aufgebaut … G’schäften arisiert, Häuser … Kinos! I hab nur an Juden g’führt. I war ein Opfer. Andere san reich worden. I war a Idealist. Was war i scho? NSV … Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Da hat si kaner was denkt, wann er dazua gangen is.“748

Mit ebensolchen Aussagen entlarvt sich der Herr Karl als opportunistischer Mitläufer, der wortwörtlich von sich behauptet ein Opfer gewesen zu sein, und im Gegensatz zu den vorherigen Ausschnitten ist es für Schülerinnen und Schüler auch möglich, daraus etwaige Schlüsse in Bezug auf nicht aufgearbeitete Vergangenheit zu ziehen. Relativ viel (und neues!) Quellenmaterial wird zur Waldheim-Affäre angeboten, was in erster Linie daran liegt, dass allein Thema: Geschichte 8 vier verschiedene Quellen vorlegt, um die innenpolitische Kontroverse aufzubereiten. Darunter befindet sich neben dem profil-Interview mit den Vorständen des Jüdischen Weltkongresses („Die ‚Drohung‘ des jüdischen Weltkongresses“) und zwei journalistischen Kommentaren auch eine Rede Waldheims vom 10. März 1988 (50 Jahre nach dem „Anschluss“), in welcher der amtierende Bundespräsident unter anderem zum Holocaust Stellung nimmt.749 Herauszuheben ist unter diesen Quellen der Kommentar von Ilse Leitenberger, während des Zweiten

746 Vgl. GO! 8 (2014), S. 165. 747 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 92; Thema: Geschichte 7 (2007), S. 128f. 748 GO! 7 (2013), S. 135. 749 Vgl. Thema: Geschichte 8 (2008), S. 59ff.

171 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Weltkriegs selbst NSDAP-Mitglied.750 Sie erhebt in dem Text Anklage gegen die Regierung, die nicht gegen die Kritik des WJCs einschreitet, und verteidigt auf der anderen Seite Waldheim („Was immer Waldheim als junger Offizier gesehen, getan oder unterlassen hat, ist einzig seine Sache; es zu beurteilen, Sache der Wähler.“). Das andere Buch, das „Quellen“ zur Waldheim-Affäre aufbereitet, ist GO! 7, wobei es sich dabei lediglich um Einzelaussagen in Zusammenhang mit der Affäre handelt („Ich habe nur meine Pflicht erfüllt.“ (Waldheim) bzw. „Ich nehme zur Kenntnis, dass Waldheim nicht bei der SA war, sondern nur sein Pferd.“ (Sinowatz)).751 Die Hintergründe rund um Sinowatz‘ Aussagen werden aber nicht erwähnt. Mithilfe von Quellen werden auch die Themenbereiche EU-Sanktionen gegen Österreich,752 Holocaustleugnung753 oder das „Deutsche Eigentum“ (insgesamt drei Quellen)754 beleuchtet. Als letztes Beispiel für die Verwendung von Quellen soll ein Zitat von Reinhard Gruber herausgehoben werden, in dem sprachlich durchaus provokant eine Auseinandersetzung mit der Opfer-These stattfindet:

„Die Wiedererrichtung der Republik Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg basiert auf einer kühnen Lüge: Österreich sei 1938 von den Deutschen überfallen worden, besetzt worden. Die Alliierten, die von den Österreichern nach dem Krieg nie als Befreiungsmächte, sondern immer als Besatzungsmächte angesehen wurden, anerkannten den Schwindel […] Figls – ‚Österreich ist frei‘ (frei von den Befreiungsmächten) hat kein Pendant im Jahr 1945 (frei von Deutschland). Im Gegenteil: Österreichische Soldaten in deutscher Uniform kämpften verbissen gegen die Befreiung Österreichs.“755

Explizit ist von einer Lüge die Rede, wenn es um die Opfer-These geht, allerdings wird beispielsweise nicht Bezug auf die Moskauer Deklaration genommen. Somit bleibt das Zitat aus der Sekundärliteratur in erster Linie ein provokanter Einschub, bei der eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Hintergründen des Opfermythos‘ aber fehlt. Gut lässt sich an diesem Zitat abermals zeigen, dass insbesondere Auszüge aus Forschungsliteratur gerne verwendet werden, um den Schulbuchautoren „drastische“ Formulierungen zu ersparen (wortwörtlich von einer „Lüge“ würden Schulbuchautoren und -autorinnen, wohl aus Gründen des sich um Objektivität bemühenden Stils, nicht sprechen).

3.4.5.4 Arbeitsaufträge Zum Abschluss des Themenkomplexes Vergangenheitsaufarbeitung soll an dieser Stelle noch auf die Arbeitsfragen eingegangen werden, mit denen die Schulbücher seit 2010 entweder eine Stoffsicherung durchführen oder eine intensivere Auseinandersetzung mit einem bestimmten Gebiet forcieren. Die

750 Vgl. dazu: Fritz Hausjell: Braune Federn. Zum Ende des Gedenkjahres: Wie Nazi-Journalisten nach dem Krieg in Österreich erstaunliche Karrieren machen konnten, in: DIE ZEIT (2005/50), [http://www.zeit.de/2005/50/oe_braune_federn], eingesehen am 8.10.2014. 751 Vgl. GO! 7 (2013), S. 117. 752 Vgl. Thema: Geschichte 8 (2008), S. 56. 753 Vgl. Zeitfenster 7 (2012), S. 102. 754 Vgl. Wege durch die Zeiten 4 (2000), S. 90; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart (2003), S. 4. 755 Zeitfenster 8 (2013), S. 14.

172 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Themengebiete, die mit den Arbeitsfragen behandelt werden, decken sich im Grunde mit jenen vom Schulbuchfließtext oder den Quellen. Vorauszuschicken ist für die neuesten Schulbücher, dass die Anzahl der weiterführenden, meinungsbildenden oder freien Arbeitsaufträge im Vergleich zu reinen Stoffüberprüfungsfragen signifikant ansteigt. Das hat neben dem offensichtlichen Grund der Vorbereitung auf die neue Reifeprüfung auch mit dem verwendeten (Quellen-)Material zu tun, bei dem verstärkt Einschätzungen und Beurteilungen verlangt werden, die in Eigenarbeit oder im Diskussionsprozess entstehen sollen. Ein Beispiel dafür ist ein Arbeitsauftrag aus Thema: Geschichte 8, der eine Überprüfungsfrage mit einer weiterführenden verbindet und für diese eine Einschätzung verlangt:

„1. Welche Rolle spielt die Moskauer Deklaration für das Selbstverständnis der Zweiten Republik? Der Passus über die Mitverantwortung Österreichs am Zweiten Weltkrieg sollte ursprünglich auch in den Staatsvertrag übernommen werden. Dass es Außenminister Figl gelang, ihn im letzten Augenblick wegzuverhandeln, nennt der Historiker Ernst Hanisch einen ‚außenpolitischen Erfolg‘ und eine ‚innenpolitische Niederlage‘. Was meint er damit?“756

Auffällig ist, dass wie in Quellen auch in den Arbeitsaufträgen einzelne Aussagen von Historikern in die Fragestellung übernommen werden, weil dadurch eine pointierte Aussageweise entsteht, für die sich die Schulbuchautorinnen und –autoren nicht verantwortlich zeichnen. Problematisch daran ist lediglich, dass diese Aussagen – meist durch Analysen der Forscher überhaupt erst zu beweisen/verstehen – ohne Kontext für Missverständnisse sorgen könnten. Im oben gezeigten Beispiel funktioniert dies allerdings problemlos. Weil in Zusammenhang mit der Schuld- bzw. Täterfrage Österreichs verschiedene Karikaturen verwendet werden, spielt auch deren Interpretation für die Arbeitsaufträge eine Rolle. Bezogen auf die Darstellung aus „Neues Österreich“ von 1946 gibt GO! 7 folgenden Arbeitsauftrag: „Erklären Sie den Titel und die inhaltliche Botschaft der Karikatur.“757 Festzuhalten bleibt an dieser Stelle indessen, dass eine Vertiefung durch Arbeitsaufträge in Zusammenhang mit dieser einen Karikatur ausschließlich im gezeigten Beispiel erfolgt. Damit ist auch klar, dass Bildquellen generell sehr häufig rein als optische Auflockerung des Inhalts verstanden werden und in der didaktischen Überlegung (bezieht man sich auf die Arbeitsaufträge) nur selten eine Rolle spielen – und wenn, dann quantitativ am häufigsten in den allerneuesten Schulbüchern. Eine Karikatur interpretieren müssen Schülerinnen und Schüler auch für die Waldheim-Affäre, wobei der Arbeitsauftrag deutlich detaillierter ausgefallen ist als in GO! (siehe oben):

„Analysiere die nebenstehende Karikatur unter folgenden Aspekten: Beschreibe die einzelnen Personen im Bild! Welche Symbole verwendet der Zeichner? Wofür stehen sie?

756 Thema: Geschichte 8 (2008), S. 27. 757 GO! 7 (2013), S. 111.

173 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Was sagt der Text aus? Was will der Karikaturist mit dem Text vermitteln? Auf welches historische Ereignis bezieht sich die Darstellung? Welche Meinung vertritt der Zeichner bezüglich der Waldheim-Affäre? Teilst du die Meinung des Karikaturisten? Begründe deine eigene Meinung zum Thema!“758 Die Übung orientiert sich sehr stark an den einzelnen Schritten zur Bildbeschreibung, nach der Schritt für Schritt einzelne Bildelemente erarbeitet werden, um erst am Schluss eine Einschätzung oder Beurteilung abzugeben. Unklar bin ich mir allerdings darüber, ob es zielführend ist, nach der „Meinung“ eines Zeichners zu fragen. Zeichner und Autoren verfolgen in der Regel eine Intention, die von ihrer Meinung abweichen kann, und während die Intention – Welche Zielsetzung wird mit diesem Bild/Text verfolgt? – meist problemlos erkennbar ist, ergibt sich die Meinung des Urhebers nur über eine Metaebene und durch seine eigene Reflexion darüber. Diese ist in der Karikatur meiner Einschätzung nach nicht angegeben, weshalb mir die Frage nach der Intention des Bildes (und in weiterer Folge, ob diese Intention Sinn macht bzw. angenommen wird) besser erscheint. Durch die oben erwähnten Quellenausschnitte aus Thema: Geschichte 8 ergeben sich für die Waldheim-Affäre weitere Arbeitsfragen, wobei sich die Thema: Geschichte-Reihe bemüht, möglichst viele unterschiedliche Fragen zu stellen:

1.Wie reagierte Waldheim auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, wie die ÖVP, die ihn als Kandidat aufgestellt hatte? Welche Rolle spielte das Nachrichtenmagazin Profil, die SPÖ und der Jüdische Weltkongress? 2. Untersuche die Quellen 1 bis 3 nach Sprache (Wortwahl) und Aussageabsicht! Welche Positionen werden jeweils eingenommen? Gibt es antisemitische Untertöne? 3. Wie beurteilst du die Rede Waldheims anlässlich des 50. Jahrestages des ‚Anschlusses‘ Österreichs an Hitler-Deutschland? 4. Welche Folgen ergaben sich für Österreich aus der Affäre Waldheim?“759

Auf ähnliche Art und Weise – wenn auch nicht überall in gleichem Umfang – werden Fragen zur Waldheim-Affäre häufig gestellt;760 zusätzlich zu Folgen für Politik und Vergangenheitsbewältigung werden aber auch Wahlplakate in die Fragestellung mit einbezogen.761 Daran lässt sich gut erkennen, dass zu einzelnen Themen immer wieder die gleichen Fragen auftauchen: So sind innen- und außenpolitische Konsequenzen praktisch immer in Zusammenhang mit Waldheim enthalten, wozu auch die Folgen für den Umgang mit NS-Vergangenheit zählen. Selbiges gilt auch für den Opfermythos: Hier wird häufig nach einer persönlichen Einschätzung gefragt, die jeweils begründet werden soll. Das hat wiederum den Vorteil, dass Schulbücher bei der Behandlung komplexer und vor allem kontroverser Themenbereiche keine eigene Haltung einnehmen und sich klar dagegen oder dafür bekennen müssen (einen Sonderfall stellt die Leugnung des Holocaust dar, s.o.), während Schülerinnen und Schüler in der Erarbeitung der Frage (und dem

758 Zeitfenster 8 (2013), S. 19. 759 Thema: Geschichte 8 (2008), S. 61. 760 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 106; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 17; Zeitfenster 8 (2013), S. 25; GO! 7 (2013), S. 119. 761 Beispielsweise im Fragenkomplex von GO! 7 (2013), S. 119.

174 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Lehrer/der Lehrerin als Kontroll- und Steuerungsinstanz) die Schwierigkeiten mit dieser Ambivalenz selbst erfahren. Gutes Beispiel dafür ist das schon vorgestellte Zitat von Reinhard Gruber, dessen Aussage (die Opferthese sei eine „kühne Lüge“) mittels persönlicher Stellungnahme bewertet und anschließend diskutiert werden soll.762 Ähnlich lautet die Fragestellung in einst und heute 8,763 die ohne Quelle auskommt, während GO! 7 die Frage zur Opfer-These implizit stellt:

„2 Am Vortag der Staatsvertragsunterzeichnung erreichte Außenminister Figl noch die Streichung des Passus aus der Präambel des Vertrages, Österreich könne eine Verantwortlichkeit, die sich aus der Teilnahme am Krieg ergibt, nicht vermeiden. Erklären Sie die historische Bedeutung dieses Aktes.“764

Auch wenn nicht direkt darauf hingewiesen wird, so ergibt sich durch die Frage eben genau jene Situation, die maßgeblich entscheidend für das Aufkommen der Opfer-These ist.765 Zu diesem allgemeinen Bereich der Aufarbeitung von Schuld gehört auch die Frage in einst und heute 8, in der nach Situationen gefragt wird, in denen sich „in der Zweiten Republik das Problem der Vergangenheitsbewältigung [zeigte]“.766 Auch die Frage, warum erst in den letzten Jahren mit der Erforschung der Rolle Österreichs während der NS-Herrschaft begonnen wurde,767 oder die Übung, die Begriffe „Entnazifizierung – Opfermythos – Wiederaufbau – Wählerpotenzial“ inhaltlich zu verbinden,768 wollen auf allgemeine Aspekte von Vergangenheitsbewältigung hinaus. Ein weiteres interessantes Beispiel gibt erneut Thema: Geschichte 7, das neben der Bewertung und Einschätzung der Opferthese (inklusive Diskussion) auch auf eine „Verpflichtung“ der Bundesregierung hinauswill:

„3. Welche Verpflichtungen ergeben sich aus der ‚Täterthese‘ für die Österreicher und die österreichische Regierung? Wie beurteilst du die Erfüllung dieser Verpflichtungen durch Österreich? Überlege dabei, welches Kalkül hinter dem von Innenminister Oskar Helmer 1948 formulierten, aber auch von anderen Regierungsmitgliedern vertretenen Grundsatz: ‚Ich wäre dafür, die Sache in die Länge zu ziehen‘ stand!“769

Das Helmer-Zitat kommt vorher im Text nicht vor. Es wird den Schülerinnen und Schülern im Kontext der Frage vorgelegt und erscheint in diesem passend. Über den Hintergrund des Zitats selbst wird man allerdings im Dunkeln gelassen, womit an diesem Beispiel wieder ein rein inhaltliches Problem des Schulbuchs offensichtlich wird: die verkürzte Darstellungsweise. Interessanterweise finden sich neben den genannten Beispielen nur selten Punkte, die sich per se auf

762 Vgl. Zeitfenster 8 (2013), S. 14. 763 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 106. 764 GO! 7 (2013), S. 113. 765 Vgl. dazu auch: Thema: Geschichte 7 (2007), S. 211. 766 Einst und heute 8 (2002), S. 106. 767 Vgl. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 158. 768 Vgl. GO! 7 (2013), S. 111. 769 Thema: Geschichte 7 (2007), S. 211.

175 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

„Erinnerung“ oder „kollektives Gedächtnis“ beziehen. Dies ist aus meiner Sicht insofern erstaunlich, da zu Beginn der Untersuchung die Prämisse, das kollektive Gedächtnis Österreichs in Bezug auf den Nationalsozialismus in den Schulbüchern sichtbar zu machen, im Vordergrund stand. Allerdings ist es so, dass die Schulbücher sei es im Fließtext, sei es in Quellen oder sei es über Arbeitsfragen nicht zu den genannten Termini Stellung nehmen oder sich darauf beziehen. Eine Ausnahme stellt lediglich GO! 7 dar, das einer Arbeitsfrage die Thesen des deutschen Germanisten Jan Philipp Reemtsma voranstellt: „2 ‚Erinnern per se für etwas Gutes zu halten ist Unsinn.‘ […] Diskutieren Sie im Plenum, ob bzw. weshalb auch für die österreichische Gesellschaft die Erinnerung an die Ereignisse zwischen 1933 und 1945 wichtig ist.“770 Dazu ist zu sagen, dass „Erinnern“ hier sehr stark in Verbindung mit „Vergessen“ gesetzt wird – das Unterkapitel, in dem diese Frage gestellt wird, lautet „Vergessen wir die NS-Zeit?“. Unter diesem Blickwinkel ist auch das Interview mit dem österreichischen Historiker Werner Dreier, Geschäftsführer von erinnern.at, zu sehen, mit dem ebenfalls Arbeitsfragen verbunden sind.771 Weitere Aufträge sind seit 2000 auch noch für die Themen Opferentschädigung/Restitution und Zwangsarbeiter gegeben,772 wobei insbesondere eine Frage aus Streifzüge durch die Geschichte 7 deutlichen Bezug zum Thema aufweist: „Diskutieren Sie die Meinung vieler Österreicher, man solle – im Hinblick auf Restitution und Wiedergutmachung – einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen.“773 Daneben stechen noch Themen wie Österreichbewusstsein, Holocaustleugnung und Moskauer Deklaration heraus, zu denen Fragen gestellt werden. Während die Frage zum Geschichtsrevisionismus sehr einfach gestellt ist – „Warum behaupten Rechtsradikale, die vielen Morde seien nicht zu beweisen (‚Auschwitz-Lüge‘)?“774 –, ist insbesondere ein weiterer Arbeitsauftrag zum „Herrn Karl“ interessant (Kontext Österreichbewusstein): „Markieren Sie die Textpassagen, in denen offensichtlich wird, mit welch erbarmungsloser Verlogenheit der Herr Karl der NS- Vergangenheit gegenübersteht.“775 Im GO! 7 werden – nachdem „Der Herr Karl“ schon seit den 90ern im Schulbuch auftaucht – nun auch die Textpassagen bereitgestellt, deren Untersuchung sich in Zusammenhang mit der Frage lohnt. Als Abschluss soll noch der Arbeitsauftrag zur Moskauer Deklaration erläutert werden, der ebenfalls einer Betrachtung wert ist:

„1 Der Historiker Günter Bischof nennt die Moskauer Deklaration ‚die Magna Carta der Zweiten Republik‘. Belegen Sie anhand des Originalwortlautes einerseits die spätere Verklärung zu einem Gründungsdokument der Zweiten Republik und andererseits die eigentliche Absicht der Großmächte.“776

770 GO! 7 (2013), S. 37. 771 Vgl. Ebenda, S. 41. 772 Vgl. einst und heute 8 (2002), S. 106; Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8 (2003), S. 3; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2002), S. 67. 773 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 68. 774 Ebenda, S. 175. 775 GO! 7 (2013), S. 135. 776 Ebenda, S. 113.

176 Schulbuchanalyse | Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

Auffällig sind hier zwei Dinge: Zum einen wieder der erwähnte Einschub eines Zitats, das in den Kontext der Frage passt, zum anderen die Aufgabenstellung an sich. Die spätere Interpretation hin zur Opferthese und die Intention der Alliierten sollen anhand der Quelle selbst erschlossen werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass diese auch als Ganzes vorliegt, in GO! 7 sogar im englischen Originalwortlaut. Wie viele andere ist auch dieser Arbeitsauftrag in Richtung Zentralmatura zu bewerten, wo Interpretationen anhand einer Quelle klar vorgesehen sind. Wichtig ist, dass die Verklärung der Deklaration als Fakt hingestellt wird und nicht als etwas, über das diskutiert werden soll.

Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Arbeitsaufträge auch bei diesem Themenbereich positiv von jenen früherer Schulbücher unterscheiden. Nicht mehr reine Wiederholungsfragen, sondern Diskussion, Interpretation und Beurteilung werden nun verstärkt gefordert, womit sich eine Verschiebung der Inhaltsdarstellung in Quellen und Fließtext (und teilweise bei den Bildquellen – Karikaturen und Wahlplakate!) ergibt. Wenn reine Wiederholungs- und Überprüfungsaufgaben auftauchen, dann seit 2000 nur mehr selten isoliert, sondern meistens in Verbindung mit vertiefenden Fragen. Außerdem lässt sich eindeutig beobachten, dass gewisse Schulbuchreihen – wiederum seien hier Thema: Geschichte und GO! genannt – großen Wert auf möglichst abwechslungsreiche Arbeitsaufträge legen, die sich in den allermeisten Fällen auf (Bild-)Quellen beziehen und eine Bewertung erfordern.

177

178 Fazit und Ausblick | Allgemeines

4 Fazit und Ausblick

In diesem letzten Abschnitt sollen die analysierten Themenbereiche zusammengefasst und bewertet werden. Am Ende soll ein möglicher Ausblick auf zukünftige Trends des Schulbuchs in Hinblick auf österreichische Vergangenheitsbewältigung versucht werden. Dabei sollen neben allgemeinen Aspekten in erster Linie die einzelnen Forschungsfragen, die im Kapitel über die Analysekriterien präzisiert wurden, beantwortet werden.

4.1 Allgemeines

Zunächst einige allgemeine Bemerkungen zu den Auffälligkeiten in puncto Entwicklung des Mediums Schulbuch im Laufe der Zeit: Klar ersichtlich ist eine deutliche Veränderung des Schulbuch-Layouts über die Jahrzehnte hinweg. Während in den 50ern und 60ern Bilder, Quellen und Arbeitsaufgaben im Grunde komplett fehlen, tauchen sie quer durch alle Themengebiete in den 70er-Jahren allmählich auf. Ab den 90er-Jahren ist vermehrt das Einsetzen einer wahren „Bilderflut“ zu beobachten, die sich seit 2000 in gleichem Ausmaß fortsetzt; das gilt insbesondere für kleinformatige Bilder am Seitenrand, die teilweise nur als Illustration oder Füllmaterial dienen, ohne wirklich einen spezifischen didaktischen Nutzen zu bringen. Während vor allem zu Beginn des Untersuchungszeitraums verwendete Bilder lediglich die Funktion hatten, das Schulbuch visuell aufzuwerten, werden sie gegenwärtig auch für Arbeitsaufträge verwendet, was grundsätzlich positiv zu bewerten ist. Allerdings werden Bildquellen in den Schulbüchern der letzten 15 Jahre noch ohne didaktischen Wert eingesetzt, was schon aufgrund der schieren Unmenge an Bildern logisch erscheint. Auch die Wandlung der Bildunterschriften sei an dieser Stelle kurz erwähnt: Die ersten Bilder in den 70er-Jahren waren vor allem mit Bildunterschriften unterlegt, die eine reine Beschreibung der Abbildung boten. In aktuelleren Schulbüchern hingegen ist auffällig, dass sogar Zusatzinformationen gegeben werden können, die im Fließtext gar nicht zu finden sind: So wird beispielsweise in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 mittels eines Bildes eines Plakats zwischen zwei Häusern („Mit

Schuschnigg für Österreich“) auf die geplante Volksabstimmung hingewiesen: „Mit SCHUSCHNIGG wollte auch die illegale Linke für Österreich stimmen. Aber die Aussöhnung mit der Arbeiterschaft kam zu spät.“777 Von der Abstimmung ist im Narrativ selbst aber gar nicht die Rede, einzig das Bild weist den Leser/die Leserin darauf hin. Auch lange Bildunterschriften, die eine Fülle von Zusatzinformationen weit über das reine Bild hinaus bieten, sind zu finden, beispielsweise, wenn es um die zu erwartenden Stimmenanteile bei der erwähnten Volksabstimmung geht.778

777 Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 158. 778 „Mit einem letzten Aufgebot an Propaganda für Österreich überschwemmte das autoritäre Regime nach dem 9. März zwei Tage lang Österreich mit Flugzetteln ‚Für ein freies Österreich‘. Die Vaterländischen rechneten mit

179 Fazit und Ausblick | Allgemeines

Dafür ist seit ungefähr 2000 in manchen Schulbuchreihen (insbesondere Thema: Geschichte und in den neuesten Zeitbilder-Ausgaben) üblich, in Bildunterschriften das Bild zusätzlich korrekt zu zitieren: Unter anderem wird angegeben, welche Maße das Plakat oder die Fotografie hat, wer es gestaltet oder fotografiert hat und wo es aufbewahrt/ausgestellt wird. Der durch die Größe des Bildes gewissermaßen vorgegebene Raum für eine Bildunterschrift kann unter Umständen auch dazu führen, dass gewisse Dinge zu vereinfachend oder verallgemeinert dargestellt werden können. So gibt beispielsweise einst und heute 7 (2001) eine Richtung vor, wie die dargestellten Bildquellen zu betrachten sind und zieht mit der Bildunterschrift für jene Volksabstimmung im April 1938 schon eine Schlussfolgerung.779 Das Problem einer korrekten Zitierweise bleibt auch für Quellen sehr lange bestehen: In einem Quellenausschnitt – einer Reichstagsrede vom 21. Mai 1935 – heißt es beispielsweise: „[…] Deutschland hat weder die Absicht noch den Willen, sich in die inneren österreichischen Verhältnisse einzumengen, Österreich etwa zu annektieren oder anzuschließen.“780 Eine genaue Zitation erfolgt im Zeitgeschichte-Schulbuch noch nicht, lediglich aus dem Fließtext erfährt man, woher das Zitat stammt. Auf die gleiche Art und Weise wird auch Hitlers und Schuschniggs Gespräch in Berchtesgaden behandelt. Woher das im Buch verwendete Zitat, das Schuschniggs Memoiren „Requiem in Rot-Weiß-Rot“ entstammt, nun wirklich entnommen ist, erfährt der Leser nicht. Schuschniggs Erinnerungen an die Unterredung mit Hitler werden quellenunkritisch in eine Linie mit Reichstagsprotokollen etc. gesetzt und dienen hier als Quellenausschnitt.781 Insgesamt werden Textquellen grundsätzlich zu Beginn des Untersuchungszeitraums meist nur mit Überschriften versehen, die Verortung im Unterrichtskontext sowie deren Bedeutung und Interpretation bleibt in diesem Fall den Lehrerinnen und Lehrern überlassen. Das ändert sich erst zu dem Zeitpunkt, an dem Quellen nicht mehr nur zur Unterbrechung des Schulbuchfließtexts verwendet werden und Arbeitsaufträge zu den Quellen erstellt werden. In den 80er-Jahren ist hier prinzipiell ein Umbruch zu bemerken, auch wenn die Erstellung von Fragen noch nicht konsequent umgesetzt worden ist. So findet eine Verbindung zwischen Bildern – vor allem in den neu entstandenen Reihen – und Quellenteilen noch nicht statt, die Quellen stehen meist noch immer relativ isoliert entweder in einem eigenen Abschnitt nach dem Schulbuchnarrativ oder darin eingebettet, aber davon abgegrenzt und hervorgehoben. Interessante Praxis ist der Einsatz der Zitate und Aussagen namhafter Historiker, um als Schulbuchautor bzw. Schulbuchautorin selbst keine wertenden Formulierungen verwenden zu müssen. Ist der Rückgriff auf wissenschaftliche Arbeiten grundsätzlich zu begrüßen, muss auch die Frage höchstens 30 % Nein-Stimmen. Heutige Schätzungen sind vorsichtiger, aber immerhin werden in Historikerkreisen 40 % Nein-Stimmen als realistische Schätzung diskutiert.“ Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 (2002), S. 158. 779 „Die Plakate der Nationalsozialisten zur Volksabstimmung in Österreich […] machen eines deutlich: Hitler war sich von Anfang an gewiss: Österreich sollte ein Teil des Deutschen Reiches werden.“ einst und heute 7 (2001), S. 123. 780 Zeitgeschichte (1972), S. 87. 781 Vgl. ebenda, S. 88.

180 Fazit und Ausblick | Allgemeines erlaubt sein, ob sich die Autorinnen und Autoren dadurch nicht in den besonders wichtigen Punkten aus der Verantwortung stehlen: Immerhin sind jene Themenbereiche, die hier betroffen sind, entscheidend für die Darstellung österreichischer NS-Vergangenheit, umso wichtiger erscheinen deshalb klare Statements der VerfasserInnen. Einzig beim Thema der Holocaust-Leugnung wird klar und deutlich die meinungsbildende Funktion der AutorInnen sichtbar, was von meiner Seite in dieser Form nicht erwartet worden ist. In den anderen Bereichen – Opferthese, Bewertung von Widerstand, NS-Täterschaft – findet eine Beurteilung fast ausschließlich über Fachwissenschaftler statt. Sehr große Unterschiede gibt es bei den Arbeitsfragen, die teilweise bis heute in ihrer traditionellen Form eingesetzt werden: als reine Stoffüberprüfung. Erst durch die Umstellung auf einen kompetenzorientierten Lehrplan und die neue Matura findet die Idee, dass nicht automatisch jedes im Schulbuch abgebildete Detail punktuell abprüfbar ist, eine Umsetzung. Allerdings gibt es hier von Schulbuch(reihe) zu Schulbuch(reihe) sehr große Unterschiede, auf welche Art und Weise Fragen gestellt werden und welche Ziele damit verfolgt werden. Es wurde erwähnt, dass manche Bildunterschriften nicht nur eine Beschreibung des gezeigten Bildes, sondern auch weit darüber hinausführende Hintergrundinformationen bieten, und sie somit ein weiteres Mittel zur Informationsvermittlung sein können – insbesondere dann, wenn jene Information im Fließtext gar nicht auftaucht. Dass dies auch für Arbeitsfragen gilt – hier wird dem Sinn des Wortes nach eine Frage gestellt –, ist in meinen Augen einigermaßen überraschend und dementsprechend selten, lässt sich aber an einem erwähnenswerten Beispiel in einst und heute 7 bzw. Streifzüge durch die Geschichte 7 für den Themenbereich „Anschluss“ zeigen:

„Wie argumentierte Mussolini? Woher kam die tatsächliche Gefahr für die Unabhängigkeit Österreichs? Wie kann man die außenpolitische Lage Österreichs umschreiben? Neuen Forschungen zufolge trieb auch Mussolini ein Doppelspiel: Während er Österreich Hilfe zusagte, plante er die Besetzung Nordtirols und Kärntens, um Jugoslawien zuvorzukommen, falls die Regierung gestürzt werden sollte. Ungarn erhob immer wieder Anspruch auf das Burgenland.“782

Werden zunächst drei Wiederholungsfragen zum Stoff gestellt, geht es in der Folge darum, noch eine aktuelle wissenschaftliche Erkenntnis einzuführen. Bemerkenswert erscheint dies vor allem deshalb, weil sich diese Erkenntnisse nicht im Fließtextteil, sondern am Seitenrand abgegrenzt und markiert als Arbeitsauftrag befinden. Hier verschwimmen also abermals die von mir (gewissermaßen willkürlich) gezogenen Grenzen der Inhaltsebene und der Arbeitsaufträge. Daneben fällt auf, dass sich neuere Arbeitsaufträge sehr wohl und in erster Linie an Quellen (und neuerdings auch an Bildern) orientieren, was meiner Meinung nach ebenfalls dem Umstieg auf einen neuen Lehrplan zuzurechnen ist. Aus didaktischer Sicht machen die Diskussions- oder Recherchefragen mehr Sinn als Wiederholungsfragen, deren Beantwortung im Fließtext daneben steht, weshalb auch diese Entwicklung im Grunde positiv auffällt.

782 einst und heute 7 (2001), S. 119; Streifzüge durch die Geschichte 7 (2005), S. 60.

181 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen

Auf der Inhaltsebene wurden in der Analyse in erster Linie die Unterschiede und die Entwicklung in der Darstellung der Vergangenheitsbewältigung vorgestellt, wobei sich auch hier Veränderungen auf einer Metaebene finden lassen: Aufgrund der verkürzten Darstellungsweise neigen Schulbücher quer durch eher dazu, Komplexität zu verringern, indem weitestgehend anonymisierende oder verallgemeinernde Formulierungen verwendet werden – das gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum. Dem entgegen steht ein Beispiel aus Zeitgeschichte, das eine Fülle von Namen anbietet (nur als Nachnamen, wohlgemerkt!), die genau das Gegenteil bewirken.783 Von der Allgegenwart Adolf Hitlers als teilweise einzigem (!) Akteur können sich aber die allerwenigsten Schulbücher lösen, was schon Ende der 80er-Jahre von Peter Malina und Gustav Spann kritisiert wurde.784 Anonyme Täter haben bis in die Gegenwart überdauert, wohl auch deshalb, weil es unter Umständen „leichter“ ist, die unmenschlichen Verbrechen der Nationalsozialisten mittels Passivkonstruktionen zu behandeln. Sehr viele Namen werden demgegenüber für österreichische Widerstandskämpfer genannt, die sich in ihrer Zahl teilweise signifikant von NS-Tätern abheben – dies sagt vor allem in älteren Publikationen einiges über die Prioritätensetzung in Hinblick auf Vergangenheitsbewältigung aus.

4.2 Beantwortung der Forschungsfragen

Die konkreten Ergebnisse der Analyse werden nun nach den einzelnen Stichworten – „Anschluss“, Österreichische NS-Täter und Holocaust, Widerstand sowie Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen – gegliedert. Dabei sollen die Forschungsfragen, die für jeden Teilbereich gestellt wurden, beantwortet werden.

A. Stichwort „Anschluss“

1. Wie wird der „Anschluss“ Österreichs 1938 geschildert? Beschränkt man sich auf die militärischen Aspekte der Inkorporation in das Dritte Reich oder wird auch die befürwortende Haltung von Teilen der Österreichischen Bevölkerung erwähnt?

a) Wenn ja, wie wird diese Haltung erwähnt, wird sie mittels Quellen und/oder Bildern gestützt/kontrastiert?

2. Welche Auswirkungen hat der „Anschluss“ für die Darstellung der österreichischen

783 Dort ist beispielsweise in einem Abschnitt neben Reichsaußenminister von Neurath vom Chef des Generalstabs des österreichischen Bundesheeres, Alfred Jansa, der Sozialdemokratische Staatssekretär Adolf Watzek oder vom tschechoslowakischen Botschafts-Gesandten Vojtěch Mastný die Rede, ohne dass eine Erklärung angeführt wird. 784 Neueste Forschungsergebnisse des österreichischen Geschichtsdidaktikers Christoph Kühberger zeigen für die Unterstufe, dass sich der Hitler-Mythos immer noch in den Schulbüchern findet! In Buchform wurden seine Ergebnisse bis zum Abschluss der vorliegenden Arbeit nicht veröffentlicht. Vgl. Stefanie Ruep: Hitler-Mythos nicht aus Schulbüchern vertrieben, in: Der Standard, 17.12.2014, [http://derstandard.at/2000009466050/Hitler- Mythos-nicht-aus-Schulbuechern-vertrieben], eingesehen 18.12.2014.

182 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen

Geschichte? Ist die bildliche Ikone des Gedächtnisorts Heldenplatz absent oder präsent? (Inwieweit werden die jubelnden Menschenmassen erwähnt?)

3. Wird in aktuellen Schulbüchern die Ambivalenz der Erinnerungen an den „Anschluss“ sichtbar gemacht? Wenn ja, wie?

Es wurde deutlich dargelegt, dass die Geschichte bis hin zum „Anschluss“ in mehreren Etappen aufgeteilt ist, nach denen die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich zwar als logische Folge erscheinen muss, in denen es aber immer wieder auch einzelnen Tendenzen hin zu einem eigenständigen Österreich gibt. Vor allem in den älteren Schulbüchern wird hier sehr stark auf das tradierte „Opferbild“ Österreichs referiert, was unter anderem an den gezeigten Passagen über Dollfuß sichtbar gemacht wurde. Was zukünftig durch die Forschungsergebnisse Kurt Bauers wohl anders bewertet werden muss, ist der „Juliputsch“ von 1934. Sollten sich die Thesen Bauers, dass die Nationalsozialisten in Deutschland nicht nur vom Putsch in Wien wussten, sondern diesen gewissermaßen auch initiiert haben, als haltbar erweisen, hätten die Schulbücher Aufholbedarf. Fraglich ist, wie lange dieser Revisionsprozess letztlich wirklich dauern wird. Prinzipiell nimmt der militärische Einmarsch deutscher Truppen immer noch einen großen Teil der Behandlung des „Anschlusses“ ein, eine „befürwortende Haltung der Bevölkerung“ wird erst spät eindeutig. Besonders eindrucksvoll wurde dies am Beispiel der einzelnen Formulierungen gezeigt, die darlegen, wer nun tatsächlich den Einmarsch begrüßt: So sind es anfangs die „NSDAP-Anhänger“ und später „weite Teile der Bevölkerung“. Problematisch ist bei den Formulierungen, die insgesamt auf eine eher ablehnende Haltung den Reichsdeutschen gegenüber schließen lassen, der Bildeinsatz: Die Szenen am Wiener Heldenplatz beim triumphalen Einzug der Nationalsozialisten stehen teilweise im Widerspruch zu den Texten. In den neueren Schulbüchern wird das insofern gelöst, als dass von vornherein die Rede von einer großen Befürwortung für Hitler und die Nationalsozialisten ist. Die jubelnden Menschenmassen werden aber nur über die Bilder sichtbar, weniger über die Texte selbst, während Quellen meist aus dem oppositionellen Bereich gegeben werden, die grundsätzlich eine negative Stimmung gegenüber den Nazis zeichnen. Es ist aber deutlich geworden, dass die Schulbücher gesamt gesehen weitgehend unterschiedliche Zugänge finden, um den „Anschluss“ und die Begeisterung für den Nationalsozialismus begreifbar zu machen. Lediglich in der Bildauswahl kommen häufig ähnliche Bilder vor: der angesprochene Einzug Hitlers in Wien und die Großkundgebungen gehören zu den am häufigsten gezeigten Bilder und gehören wohl zu den bildlichen Ikonen des „Anschluss“-Gedenkens. Die Ambivalenz der Erinnerungen an den „Anschluss“ wird aber nur sehr selten deutlich gemacht, lediglich aktuelle Bücher wie GO! oder Thema: Geschichte setzen sich mit einer Veränderung im kollektiven Gedächtnis auseinander. In diesem Zusammenhang besteht also durchaus noch Nachholbedarf. Eine Änderung gibt es aber auch durch die Arbeitsaufträge: Vergleiche, Diskussionen und meinungsbildende Arbeitsaufträge treten flächendeckend seit den 90ern auf und sie operieren

183 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen bewusst auf einer Metaebene, wenn beispielsweise in Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7 gefragt wird, warum der (falsche) Eindruck entstehen könne, alle Österreicher hätten Hitler zugejubelt. Hier ist in den letzten zehn bis 15 Jahren gewissermaßen ein Aufbruch bemerkbar, sich auch mit der Rezeption der „Anschluss“-Geschichte zu beschäftigen, was für eine Vergangenheitsbewältigung allgemein auf alle Fälle zu befürworten ist. Gewissermaßen „schwierig“ scheint der Umgang mit dem „Anschluss“ aber auch in aktuellen Schulbüchern immer noch zu sein, was auch daran bemerkbar ist, dass es in den Schulbüchern, die während meiner Analyse als „best practice Beispiele“ aufgetaucht sind – Thema: Geschichte und GO! –, teils beträchtliche Unterschiede gibt: Während Thema: Geschichte mit ausgesprochen langen Textabschnitten über den „Anschluss“ berichtet und dabei möglichst alle Facetten unterbringen will, sind die zum „Anschluss“ gefunden Fließtextteile im GO! verschwindend klein. Auch wenn dies mit den Grundausrichtungen der Schulbücher zu tun hat, kann man daraus ableiten, dass es kein „Patentrezept“ gibt, wie der „Anschluss“ dargestellt werden soll und muss. Dies ist einerseits durch die entstehende Vielfalt durchaus wünschenswert, andererseits auch ein Zeichen dafür, dass noch keine wirkliche Übereinkunft darüber herrscht, welche Aspekte entscheidend sind und dementsprechend für alle Schulbücher gleichermaßen zu gelten hätten. Dadurch, dass nicht mehr alle Schulbücher einen chronologischen Ansatz verfolgen, sondern mittlerweile auch sehr themenzentriert gearbeitet wird, könnte in Zukunft das Problem behoben werden, dass die „Anschluss“-Thematik immer als Abschluss der österreichischen Geschichte betrachtet wird, die mit 1945 (oder in älteren Büchern gar 1955) erst wieder beginnt. Dazwischen gibt es nur Einschübe oder Rückblicke (im Buch für die 8. Klasse) über die NS-Zeit in Österreich, ein durchgängiger Narrativ findet sich allerdings nicht. Den „Anschluss“ aber allein unter Themenkapiteln wie Faschismus, Nationalsozialismus oder Diktaturen zu behandeln, ist aus meiner Sicht nicht zielführend, insbesondere deshalb nicht, weil sich die Republik Österreich durch eine durchgängige Darstellungsweise zu ihrer dunklen Vergangenheit bekennen würde und dies im Interesse einer möglichst umfassenden Vergangenheitsbewältigung zu sehen ist.

B. Stichwort Österreichische NS-Täter und Holocaust

1. Welche rein österreichischen Aspekte werden in der Kriegszeit sichtbar gemacht und wie geschieht dies?

2. Wird die Rolle von Österreichern in der Wehrmacht angesprochen? Werden konkret Verbrechen der Wehrmacht erwähnt oder nur die SS?

3. Wird gesondert auf die Täterschaft von Österreichern in der NS-Vernichtungsmaschinerie eingegangen, bzw. wird deren Überrepräsentation erwähnt?

4. Wird Holocaust als genuin „deutsches“ Problem behandelt oder finden sich Hinweise auf Antisemitismus in Österreich (vor dem Krieg/nach dem Krieg?)

184 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen

Beim zweiten Themenbereich, der die Zeit des Weltkriegs umfasst, ist ganz klar zum Ausdruck gekommen, dass bis in die 80er-Jahre wenig bis gar keine Hinweise auf österreichische NS- Täterschaft in den Schulbüchern vorliegen und dieses Thema sehr stark ausgeklammert wurde. Das ist daran ersichtlich, dass sich die rein österreichischen Aspekte während der Kriegszeit in erster Linie auf die Kriegsschäden sowie das Leid der Zivilbevölkerung beschränken: Die Opferthese bestätigend gibt es Abbildungen vom Krieg in Österreich prinzipiell nur in Form von Chaos und Zerstörung: Kriegsschäden in österreichischen Großstädten, Bombenangriffe, die „Schlacht um Wien“ sind zentrale Punkte der österreichischen Erinnerung an den Krieg, eine Mitverantwortung für Kriegsverbrechen gehört nicht dazu, dementsprechend gibt es auch nur vereinzelt Bild- oder Textquellen dazu. Lediglich das Konzentrationslager Mauthausen sticht in diesem Zusammenhang als österreichischer Erinnerungsort der Shoah heraus und wird mitunter sehr stark rezipiert. Für die Erwähnung der Österreicher in der deutschen Wehrmacht gilt folgendes: Es wird grundsätzlich von den Schulbüchern darauf hingewiesen, dass es österreichische Soldaten im Krieg gegeben hat, allerdings werden diese nicht in Verbindung mit NS-Verbrechen gebracht. Die Textstellen dienen entweder dazu, zu erklären, warum ein Widerstand in der Wehrmacht nicht möglich war, oder dazu, den Schülerinnen und Schülern klarzumachen, dass Österreicher in „Hitlers Eroberungszügen“ ihr Leben lassen mussten. Erst sehr spät – während der 90er-Jahre – beginnt eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Wehrmacht, besonders die Wehrmachtsaustellung ist hier zu nennen, die ebenfalls in den Schulbüchern genannt wird. Lediglich einen „furchtbaren Blutzoll im deutschen Angriffskrieg“ musste das Land entrichten. Die Tatsache, dass Österreicher in den Reihen verschiedener Wehrverbände ebenso Kriegsverbrechen begingen wie deutsche Soldaten und andere, taucht erst in den 90er-Jahren durchgängig auf. Bis auf diese wenigen Zeugnisse bleibt die Wehrmacht im Schulbuch wie im Mythos „sauber“, die Kriegsverbrechen werden der SS sowie verschiedenen Kommandos zugerechnet. Allerdings wird erwähnt, dass es österreichische NS-Angehörige gibt und diese werden konsequenterweise auch in Verbindung mit Kriegsverbrechen gebracht. Die Rolle der SS in Österreich bleibt in den meisten Schulbüchern allerdings im Dunkeln, nur selten werden konkrete Zahlen über die Größe der Schutzstaffel gegeben. Während der 90er-Jahre wird auch erstmals deutlich, dass Österreicher in der NS-Hierarchie an prominenter Stelle zugegen oder in großer Zahl in der NSDAP vertreten waren. Dies wird sowohl durch Quellen als auch durch Zitate einzelner Historiker herausgearbeitet und kommt in den meisten Schulbüchern der letzten 20 Jahre durchwegs zur Geltung. Die Kriegsverbrechen selbst werden meist aber nur in diesen Einzelbeispielen erwähnt, woran deutlich erkennbar wird, dass die Betonung einzelner Täter sehr stark im Vordergrund steht: Es wird nur selten von Einheiten mit österreichischer Beteiligung gesprochen, sondern gerne von einzelnen Österreichern in der oberen SS-Hierarchie, die für Verbrechen verantwortlich sind. Der Holocaust wird häufig als rein deutsche Angelegenheit ausgemacht, die von den Deutschen durch

185 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen den Einmarsch unglücklicherweise auch nach Österreich quasi mitgebracht wurde. Vergleicht man die Textstellen zum „Anschluss“ mit jenen zur Täterschaft und zum Holocaust, lässt sich folgendes feststellen: Die verkürzte Darstellung hat unter anderem auch damit zu tun, dass man sich bis Ende der 80er- und frühen 90er-Jahre nicht eingestehen konnte, dass Österreicher den Einmarsch der Deutschen befürwortet hatten. Österreich war de facto auch im Schulbuch ein Opfer deutscher Aggression und konnte als solches per definitionem nicht mit der Schuld an Kriegsverbrechen und Holocaust beladen werden. Dafür wird sehr wohl bereits vorhandener Antisemitismus in Österreich behandelt, insbesondere in aktuelleren Schulbüchern nimmt dieser Aspekt einen größeren Teil ein. Hierbei ist sowohl der Antisemitismus vor den Nationalsozialisten (oft in Verbindung mit einem Abriss jüdischer Geschichte, der nur allzu oft zu einer Opfergeschichte verkommt!) als auch nach dem Weltkrieg ein Thema. Große Bedeutung im Schulbuch erlangt im Zusammenhang mit Österreich aber lediglich Mauthausen, die brutalen Ausschreitungen während des Novemberpogroms sind erst seit den 90ern eine Erwähnung wert. Bis heute fehlt aber eine Relativierung der Gewaltausbrüche in Österreich im Vergleich zum „Altreich“ – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl war der Pogrom in Innsbruck beispielsweise besonders blutig. Erwähnenswert ist im Zusammenhang mit den Kriegsverbrechen abschließend, dass auch in den neuesten Schulbüchern immer noch positive Ereignisse in der österreichischen Bevölkerung (erwähnt wurden beispielsweise Hilfeleistungen für Juden; aber auch Widerstand!) den Kriegsverbrechen entgegengestellt werden. Es ist anscheinend nicht möglich, lediglich zu schreiben, dass es Kriegsverbrechen ebenfalls von österreichischer Seite gegeben hat; es folgt immer der Nachsatz: „Auf der anderen Seite gab es aber…“ Auch wenn dies theoretisch richtig ist, kann es nicht Anspruch eines Schulbuchs sein, unbequeme Vergangenheit stets mit bequemen Komponenten aufzurechnen. Hier hat das österreichische Schulbuch zukünftig in einigen Bereich noch Bringschuld.

C. Stichwort Widerstand

1. Wird rein österreichischer Widerstand gesondert behandelt? Welchen Raum nimmt er rein quantitativ im Vergleich zu anderen Thematiken (vgl. Österreich während der NS- Herrschaft) ein?

2. Welche Gruppen/Widerstandskämpfer werden genannt, mit welchen Bildern/Quellen werden sie hinterlegt?

3. Wie wird der Erfolg des Widerstands bewertet und eingeschätzt?

4. Wird die Moskauer Deklaration im Zusammenhang mit Widerstand erwähnt, wenn ja, auf welche Art und Weise?

Klar vorausgeschickt werden darf, dass österreichischer Widerstand praktisch immer von deutschem

186 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen und internationalem Widerstand abgegrenzt wird. Dies ist gewissermaßen verständlich, weil die Beschreibungen von Widerstand einen großen Teil – wenn nicht den größten! – des österreichischen Geschichtsnarrativs während der Kriegsjahre ausmachen. Im Vergleich zu den NS-Tätern muss klar gesagt werden, dass die Darstellung des Widerstands jene der österreichischen NS-Täterschaft insbesondere in den ersten Jahrzehnten des Untersuchungszeitraums schon quantitativ in den Schatten stellt, auch wenn die teilweise exzessive Auflistung der Fakten der österreichischen Widerstandskämpfer über mehrere Seiten auf Einzelbeispiele beschränkt bleibt. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Botschaft „Es gab viele, die unter größter Gefährdung ihres Lebens gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben“ weitaus bequemer ist als jene, dass es viele Mittäter gab. Die Darstellung einzelner Widerstandskämpfer (und -Kämpferinnen) sowie Gruppen ändert sich im Laufe der Zeit ebenfalls: Die laut Moskauer Deklaration besonders gut geeigneten Beispiele österreichischen Widerstands wurden sehr häufig im Schulbuch abgebildet und dazu zählte in erster Linie militärischer Widerstand. Dies hat sich geändert und die Darstellung ist facettenreicher geworden. Bestes Beispiel dafür ist die mittlerweile schon ikonisch gewordene Darstellung Franz Jägerstätters, bei dem sich die Schulbücher aber noch nicht einig sind, ob sie ihn zu zivilem oder kirchlichem Widerstand rechnen sollen. Die Frage ist auch, ob dies letztendlich einen Unterschied macht. Diese (mitunter passiven) Formen des Widerstands haben mittlerweile schon ein Übergewicht gegenüber Partisanenkampf und militärischem Widerstand (deren Paradebeispiele insgesamt Stauffenberg und für Österreich Carl Szokoll bleiben). Es ändert sich also nicht nur die Art der Darstellung des Widerstands, sondern es werden unterschiedliche Typen dargestellt. Für einzelne WiderstandskämpferInnen gibt es vor allem seit der angesprochenen Bilderflut häufig bildliche Porträts, die in der Bildunterschrift mit Zusatzinformationen zu den dargestellten Personen versehen sind, weil in den Fließtexten nur selten über einzelne Widerstandskämpfer berichtet wird. Lediglich ihre Namen werden dort genannt. Neben Jägerstätter und Szokoll (mit O5) kommen beispielsweise Karl Gruber oder Partisanengruppen häufiger im Text vor. Auch Roman Karl Scholz oder Helene Kafka (Schwester Maria Restituta) sind Beispiele für katholische Widerstandskämpfer, die immer wieder auftauchen. Darüber hinaus gibt es noch Einzelnennungen verschiedenster Oppositioneller, die sich aus den unterschiedlichen Quellen oder Bildern ergeben: Lediglich Jägerstätter und Szokoll werden praktisch überall eingeführt. Bei der Bewertung des Widerstands wird sehr häufig auf Fachwissenschaftler zurückgegriffen, die einzelne Aspekte des Widerstandskampfes oder diesen in seiner Gesamtheit einschätzen. Dabei wird aber auch deutlich, wie wichtig die moralische Komponente eben jener Botschaft „Es gab auch Opposition!“ nicht nur aus österreichischer, sondern in erster Linie aus pädagogisch-didaktischer Sicht ist. Dass dabei eine Überbetonung stattfindet, muss in diesem Fall hingenommen werden; immerhin gehen neuere Schulbücher sogar auf die Rezeption des Widerstands ein und lassen beispielsweise Hanisch erklären, österreichischer Widerstandskampf solle nicht bagatellisiert werden. Das ist auch generell richtig, allerdings wäre es in diesem Falle ebenfalls von Vorteil, wenn diese Einschätzung

187 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen durch mehrere Meinungen offengelegt werden würde.785 Trotzdem war es überraschend, wie viel Raum einzelne Schulbücher dem Thema Widerstand in Relation zu seiner faktischen Bedeutung (die naturgemäß nur anhand konkreter Erfolge gegen das nationalsozialistische Regime gemessen werden kann) gegeben haben. Insgesamt wird die Bewertung von Widerstand und seinen Auswirkungen in meinen Augen zu selten von den Schülerinnen und Schülern selbst vorgenommen, sie bekommen bereits fertige Meinungen serviert, ohne sich selbst Gedanken dazu machen zu müssen. Einen Sonderfall stellt die Moskauer Deklaration dar, die nicht nur für den Widerstand, sondern auch für die allgemeine Vergangenheitsbewältigung eine Rolle spielt. Weil dies der Fall ist, sind sich viele (auch aktuelle) Schulbücher nicht ganz sicher, welche Aspekte behandelt werden sollen. Denn obwohl die Moskauer Erklärung sehr oft abgebildet oder als Quelltext gezeigt wird, erfährt man meist sehr wenig über die Rezeption und deren Veränderung. Im Zusammenhang mit Widerstand wird die Deklaration dafür verwendet, zu erklären, dass mit ihr der Widerstand in Österreich unterstützt werden sollte. Dabei sind sich die Schulbücher nicht einig, in welchem Ausmaß dies der Fall war (oder ob!). Es ist auffällig, dass sich keine Aktionen des Widerstands direkt mit der Deklaration in Verbindung bringen lassen, die Schulbücher aber dennoch immer wieder die Wirkungsmacht des Dokuments betonen und die Schülerinnen und Schüler hier einfach dem Fließtext vertrauen müssen. Was abschließend aus meiner Sicht in Zukunft noch wünschenswert wäre, ist das Ende der Aufrechnungen „Widerstandskämpfer vs. NS-Täter“, die rein objektiv ohnehin nicht haltbar sind, sowie eine differenziertere Einschätzungsmöglichkeit für Schülerinnen und Schüler. Eine exakte Einordnung der Moskauer Deklaration wäre ebenso wünschenswert, hierbei muss aber klargestellt werden, dass diese aufgrund der Verflechtungen des Dokuments mit allen möglichen Themenbereichen (auch in der Zweiten Republik) nicht sehr einfach zu bewerkstelligen ist.

D. Stichwort Vergangenheitsbewältigung und Nachkriegserinnerungen

1. Wie wird der Weg zum Staatsvertrag gezeichnet? Welche Bedeutung wird der Moskauer Deklaration im Zusammenhang mit dem Österreichischen Staatsvertrag zugemessen? 2. Ist vom Österreichischen Nationalbewusstsein die Rede? Welche Faktoren werden hier aufgezählt, wie werden sie dargestellt? 3. Ist von der Problematik der Entnazifizierung die Rede, wenn ja: Auf welche Art und Weise? 4. Wie wird die Gründung des VdU beurteilt, bzw. welche Schlüsse werden daraus gezogen? 5. Inwieweit wird die Entschädigung von (jüdischen) Kriegsopfern/Holocaust-Überlebenden angesprochen?

785 Das führt zu einem Grundproblem des Schulbuchs, das nicht nur für den Widerstand allein gilt: Durch die verkürzte Darstellungsweise ist es oft nicht möglich, einen Themenbereich wirklich intensiv von allen Seiten zu betrachten. Auch wenn dies beispielsweise Thema: Geschichte versucht, scheitert das Schulbuch damit an den praktisch nicht vorhandenen didaktischen Möglichkeiten, die sich aus der Arbeit mit den Fließtexten in der Praxis ergeben.

188 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen

6. Wird die Waldheim-Affäre angesprochen, wenn ja, wie? Werden dazu Quellen oder Bilder benutzt? 7. Spielen die Aussagen Franz Vranitzkys im Kontext der österreichischen Vergangenheitsbewältigung eine Rolle? Wenn ja, welche? 8. Spielt die „schwarz-blaue“ Koalition ab 1999/2000 eine Rolle im Kontext der Vergangenheitsbewältigung Österreichs? Wenn ja, welche?786

Abgeschlossen wird die Präsentation der Ergebnisse mit der allgemeinen Vergangenheitsbewältigung: Eine Veränderung ist hier ebenfalls deutlich über den Untersuchungszeitraum hinweg erkennbar, eine kritische Sichtweise auf die NS-Zeit in Österreich wird aber erst Ende der 80er-Jahre und flächendeckend während der 90er-Jahre sichtbar. Stellvertretendes Zeichen dafür, wie schwierig ein offener Umgang mit der eigenen Vergangenheit sein kann, ist die Darstellung der Moskauer Deklaration, die entweder für den Themenbereich Widerstand oder im Zuge der Staatsvertragsverhandlungen behandelt wird: Nur sehr wenige Schulbücher gehen wirklich explizit auf die bedeutende Rolle der Moskauer Deklaration für die Zweite Republik ein und entlarven sie gleichzeitig als „Lebenslüge“ in Verbindung mit dem Opfermythos. Sehr oft wird die Interpretation der Deklaration weitestgehend unkommentiert belassen, ohne auf die Rezeptionsveränderung im Laufe der Zweiten Republik hinzuweisen. Damit wird dieses Kapitel der österreichischen Vergangenheit teilweise bewusst verschwiegen. Wichtiger Teil auf dem Weg zum Staatsvertrag ist vor allem in älteren Büchern die starke Betonung des „Deutschen Eigentums“, die aber immer weiter zurückgeht, je aktueller die Schulbücher werden. Dabei ist festzuhalten, dass besonders in der Zeit, als es als opportun galt, Österreich als Opfer darzustellen, die Schwierigkeiten mit der Sowjetunion (und ganz allgemein mit der alliierten Besatzung787) herausgehoben werden, um die wirtschaftlichen Leistungen Österreichs in ein besseres Licht zu rücken. Für das österreichische Nationalbewusstsein gilt, dass es in seiner Rezeption in den letzten 30 Jahren ungefähr gleichgeblieben ist. Vor allem die Umfragen, mit denen das Werden einer österreichischen Nation nach 1945 belegen werden soll, werden häufig eingesetzt, um den Schülerinnen und Schülern einen Eindruck von der Entstehung des Nationalbewusstseins zu geben. In den Schulbüchern seit ungefähr 1990 ist in diesem Zusammenhang auch vom Herrn Karl die Rede, der unter anderem die negativen Seiten eines typischen Österreichers symbolisiert. Damit beginnt gleichzeitig die Auseinandersetzung mit negativen Aspekten der österreichischen Vergangenheit, die schließlich ein Teil der Identität des Landes ist. Ein weiteres „Problem“, das der Bevölkerung nach dem Krieg begegnet, ist die Entnazifizierung. Dabei wird vor allem in älteren Reihen das harte und konsequente Durchgreifen der Behörden thematisiert, womit die Entnazifizierung eine sehr positive Bewertung erfährt und den Schulbüchern

786 Vgl. Ina Markova: Wie Vergangenheit erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Zeit in österreichischen Schulbüchern, Marburg 2013, S. 114f. 787 Es ist auffällig, wie negativ die Alliierten teilweise im Schulbuch dargestellt werden. Insofern ist es nur konsequent, wenn erst 1955 von einer „Befreiung“ gesprochen wird.

189 Fazit und Ausblick | Beantwortung der Forschungsfragen nach die Reintegration der Nationalsozialismus vorantreibt. Dass der Prozess der Entnazifizierung aber große Probleme aufwarf und bei weitem nicht so erfolgreich war, wie das ältere Schulbücher gerne darstellen, kommt nur in einigen der neueren Lehrwerken heraus, die sich auch mit gesellschaftlichen Problemen der Entnazifizierung und der Wahlrechtsproblematik intensiver auseinandersetzen als ältere Reihen. Wichtig ist aber zu erwähnen, dass der Themenbereich „Entnazifizierung“ mittlerweile eine Grundkomponente des österreichischen Nachkriegsnarrativs darstellt und entsprechend auch mit Quellen und teilweise sogar einzelnen Bildern untermalt wird. In diesem Zusammenhang ist auch die Wahl von 1949 immer wieder Thema, in der die VdU erstmals antritt – auch um ehemalige Nationalsozialisten anzusprechen, die in großer Zahl ihr Wahlrecht zurückerhalten hatten. Hier schaffen es eigentlich die allermeisten Lehrwerke, den Kampf der Parteien um die neue Wählerschaft anzusprechen. Die Entschädigung und Restitution jüdischer Opfer während des Weltkrieges ist ein sehr schwieriges Thema, das – wenn überhaupt – nur in neueren Schulbüchern explizit angesprochen wird. Betont werden dabei die Bemühungen verschiedener Kommissionen, Kompromisse zu schließen und den Bundesregierungen verbindliche Zusagen über Entschädigungen zu entlocken. Gelingt dies (wie im Fall der Restitutionsgesetzgebung unter Wolfgang Schüssel), so wird in den neuesten Schulbüchern vor allem das Zustandekommen einer Einigung begrüßt und weniger hinterfragt, warum sich Österreich erst nach 50-60 Jahren überhaupt mit dem Thema auseinandersetzt, was aber besonders wichtig wäre. Wirklich viel Raum wird dem Thema letztlich nicht mehr eingeräumt. Das liegt meiner Meinung nach an der zeitlichen Nähe: Richtigerweise wird die Gesetzgebung unter Schüssel als wichtig erachtet, wie genau man sie nun im Schulbuch zu bewerten hat, steht – wie insgesamt für sehr aktuelle Themen (vgl. Terrorismus beispielsweise) – noch nicht vollends fest. Für das Thema der Vergangenheitsbewältigung ist augenscheinlich, dass sich durch die Waldheim- Affäre und die Rede Franz Vranitzkys in den 90er-Jahren die größten Änderungen in den Büchern ergeben: Die Waldheim-Affäre wird schon Anfang der 90er rezipiert, obwohl ich herausgestellt habe, dass der wahre Bedeutungsgehalt der Causa damals wohl noch nicht richtig eingeschätzt werden konnte.788 Neuere Schulbuchreihen erkennen durch den Abstand der Jahre sehr wohl die Bedeutung der Affäre und bezeichnen sie beispielsweise als „Meilenstein“ in der Aufarbeitung von NS- Vergangenheit. Vranitzkys Rede im Nationalrat wird vor allem in den Zeitbilder-Ausgaben häufig als Quelle verwendet; jene wird als „Abschluss“ der Vergangenheitsbewältigung herausgestellt, in deren Fahrwasser die Restitutionsgesetzgebung möglich gemacht wurde. Die Frage, ob die „schwarz-blaue“ Koalition im Schulbuch behandelt wird, kann für die neuesten Reihen mit Ja beantwortet werden, allerdings gilt hier selbiges wie für die Opferentschädigungen: Aufgrund der Aktualität des Themas sind sich die Schulbücher noch nicht einig, wie die Regierung Schüssel hier eingeschätzt werden soll. Es gibt aber sehr wohl weitere Textstellen, die in

788 Auch daran ersichtlich, dass eine sehr abwehrende Haltung gegenüber der „Kampagne“ gegen Waldheim eingenommen wird.

190 Fazit und Ausblick | Ausblick

Zusammenhang mit unbearbeiteter Vergangenheit stehen, wenn beispielsweise über die EU- Sanktionen berichtet wird. Was nicht explizit in der Analyse auftaucht, aber mir dennoch wichtig erscheint, ist das verstärkte Auftreten des Themas „Rechtsextremismus und Neonazismus“ im Schulbuch, insbesondere in den letzten zehn Jahren. Dies läutet meiner Meinung nach eine neue Etappe im Hinblick auf die Behandlung der NS-Vergangenheit ein, da die SchulbuchautorInnen nun beginnen, sich quasi mit den „Erben“ des nationalsozialistischen Gedankenguts auseinanderzusetzen. Häufig ist in diesem Zusammenhang von Demokratiefeindlichkeit die Rede, die insbesondere in den Büchern für die achte Klasse (politische Bildung) thematisiert und als vor allem unter Jugendlichen verbreitetes Problem dargestellt wird.

4.3 Ausblick

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Befunde der Analyse meine Anfangshypothese – Schulbücher stützen den nationalen Opfernarrativ und äußern sich bis zur endgültigen Korrosion der Opferthese nicht kritisch zur österreichischen Vergangenheit im Nationalsozialismus – weitestgehend stützen und ihr in beinahe allen Punkten vollständig entsprechen. Überrascht war ich lediglich davon, dass einzelne Themenbereiche (wie Widerstand in Österreich) dermaßen stark gegenüber der NS- Täterschaft rezipiert wurden; dass ein gewisses Übergewicht in der Darstellung genehmer Vergangenheit vorherrscht, konnte im Vorhinein angenommen werden, aber ein solches Ungleichgewicht ist auch in den älteren Reihen nicht in dieser Form erwartet worden. Dabei muss aber ganz klar gesagt werden, dass sich Schulbücher in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren durchaus bemühen, eine objektive und kritische Form der Vergangenheitsbewältigung anzubieten, was in den allermeisten Fällen auch gelingt. Trotzdem bleibt der Umgang mit der Moskauer Deklaration immer noch in vielen Fällen ambivalent, um nur ein Beispiel noch einmal herauszugreifen. Durch die Vielfalt der mittlerweile angebotenen Schulbuchreihen hätten Lehrerinnen und Lehrer die Möglichkeit, sich die ihrer Meinung nach am besten geeigneten Schulbücher herauszusuchen – etwas, das in der Praxis aufgrund des dafür benötigten Zeitaufwands wohl nicht möglich ist. Nur so ist es zu erklären, dass Schulbücher wie Thema: Geschichte, das bis auf einzelne Details vor allem in der Objektivität seiner Darstellung aufgefallen ist, weitestgehend unbekannt sind, weil sie nicht von den großen österreichischen Schulbuchverlagen vertrieben werden. Diese können es sich leisten, österreichweit Gratisexemplare ihrer neuesten Auflagen (die alle paar Jahre erscheinen!) zu versenden und den Lehrerkörpern so eine „Entscheidungshilfe“ zu bieten, welches Schulbuch nun wirklich für den Unterricht im nächsten Jahr verwendet wird. Insofern ist zu bemängeln, dass der Schulbuchvertrieb (logischerweise!) in erster Linie aus wirtschaftlichen Gründen agiert und sich nach wirtschaftlichen Interessen verhält. Es muss aber nicht erklärt werden, dass dies auch auf Kosten inhaltlicher Qualität und Darstellung gehen kann. Dazu muss aber gesagt sein, dass beispielsweise Zeitbilder kein „schlechtes“ Schulbuch ist; eine innovative Vorreiterrolle in puncto Aufarbeitung

191 Fazit und Ausblick | Ausblick kritischer Retrospektive auf Österreich darf aber auf der anderen Seite ebenfalls nicht erwartet werden. Eine Auswirkung der Schulbücher (und hier ist egal, welches man als LehrerIn nun verwendet!) auf den Unterricht oder eine wie auch immer geartete Beeinflussung wurde in der vorliegenden Arbeit bewusst nicht untersucht, es sollte lediglich dargelegt werden, was rein am Schulbuch festgemacht werden kann. Es wurden auch einige Einzelbeispiele herausgegriffen, in denen das Schulbuch an der Unterrichts- und Lehrpraxis völlig vorbeizielt. Daraus aber abzuleiten, das Schulbuch würde ohnehin keinen Einfluss auf die Art des Unterrichts haben, halte ich für verfehlt. Letztendlich spielt dieser Umstand theoretisch in Hinblick auf eine zentrale und staatlich gesteuerte Gesamtmatura ohnehin keine Rolle: Für diese müssen von staatlicher Seite auch Lehrwerke zur Verfügung gestellt werden, die inhaltlich das enthalten, was aus Sicht des Staates gelernt werden muss. Hierbei sollte das Lehrwerk untersucht werden, weil es ein zentrales Mittel des Staates ist, aktiv in die Erziehung seiner Bürger einzugreifen. Mittlerweile ist das offizielle Österreich bereit, sich auch im Schulbuch zu einer Mitverantwortung an den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs zu bekennen. Damit diese „konstitutiven Geschichten“ Bestand haben, müssen österreichische Schulbücher – die den Ergebnissen meiner Analyse nach eindeutig „zentrale Medien der Geschichtskultur“ in einem Land sind – ständig erneuert und erweitert werden, um dem gerade aktuellen Narrativ zu entsprechen. Die größte Herausforderung wird in weiterer Folge sein, diese Nationalnarrative zu einem europäischen zu vereinen, schließlich ist ein gemeinsames, kritisches Geschichtsbild elementar für ein gemeinsames Europa.

192 Literaturverzeichnis

5 Literaturverzeichnis

Sekundärliteratur

Assmann, Aleida: Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2014.

Assmann, Aleida: Vier Formen des Gedächtnisses, in: Erwägen, Wissen, Ethik 13/2002, S. 183-190.

Bauer, Kurt: Hitlers Zweiter Putsch. Dollfuß, die Nazis und 25. Juli 1934, Wien 2014.

Böhler, Ingrid: Die Kreisky-Peter-Wiesenthal-Affäre 1975, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler / Hubert Sickinger, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, S. 502-531.

Browning, Christopher R: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen, Hamburg 2011.

Dusek, Peter: Der vergessene Widerstand, hrsg. v. Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien 1978.

Fischer, Heinz (Hrsg.): Einer im Vordergrund. Taras Borodajkewycz. Eine Dokumentation, Wien 1966.

Gehler, Michael: „…eine grotesk überzogene Dämonisierung eines Mannes…“ Die Waldheim-Affäre 1986 – 1992, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler/Hubert Sickinger, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 614-665.

Gehler, Michael: Die Affäre Waldheim. Eine Fallstudie zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in den späten Achtziger Jahren, in: Österreich im 20. Jahrhundert. Ein Studienbuch in zwei Bänden. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Bd. 2, hrsg. v. Rolf Steiniger/Michael Gehler, Wien/Köln/Weimar 1997, S. 355-414.

Haas, Hanns: Der Anschluss, in: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, hrsg. v. Emmerich Tálos / Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 36), Wien 1988, S. 1-24.

Handro, Saskia: Der lange Abschied von vertrauen Opfermythen, in: Geschichtsdidaktische Schulbuchforschung, hrsg. v. Saskia Handro, Bernd Schönemann (= Zeitgeschichte – Zeitverständnis, Band 16), Berlin 2006, S. 199-216.

Hanisch, Ernst: Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert (= Österreichische Geschichte 1890-1990, hrsg. v. Herwig Wolfram), Wien 2005.

Hanisch, Ernst: Gab es einen spezifisch Österreichischen Widerstand?, in: Zeitgeschichte 12/1985, S. 339-350.

Höbelt, Lothar: Von der Vierten Partei zu Dritten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz 1999.

Hoffmann, Peter: Stauffenberg und der 20. Juli 1944, München 1998.

Jabloner, Clemens / Bailer-Galanda, Brigitte / Blimlinger, Eva / Graf, Georg / Knight, Robert /

193 Literaturverzeichnis

Mikoletzky, Lorenz / Perz, Bertrand / Sandgruber, Roman / Stuhlpfarrer, Karl / Teichova, Alice (Hg.): Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich. Zusammenfassungen und Einschätzungen, Wien / München 2003.

Jabloner, Clemens: Die Historikerkommission der Republik Österreich, in: Gedächtnis und Gegenwart. Historikerkommissionen, Politik und Gesellschaft, hrsg. v. Forum Politische Bildung (= Informationen zur Politischen Bildung, Bd. 20), Innsbruck / Wien / München / Bozen 2003/2004, S. 15-21.

Jagschitz, Gerhard: Der österreichische Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime 1938- 1945, in: Zeitgeschichte als Auftrag politischer Bildung. Lehren aus der Vergangenheit, hrsg. v. Peter Schneck / Karl Sretenovic, Wien / München 1979, S. 65-89.

Karl Vocelka: Österreichische Geschichte. Kultur – Gesellschaft – Politik, München 2002.

Kasemir, Gerard: Spätes Ende für „wissenschaftlich“ vorgetragenen Rassismus. Die Borodajkewycz- Affäre 1965, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler / Hubert Sickinger, Innsbruck / Wien / Bozen 2007, S. 486-501.

Keyserlingk, Robert H.: 1. November 1943: Die Moskauer Deklaration – Die Alliierten, Österreich und der Zweite Weltkrieg, in: Österreich im 20. Jahrhundert. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, hrsg. v. Rolf Steininger / Michael Gehler, Wien / Köln / Weimar 1997, S. 9-37.

Knight, Robert: „Ich bin dafür, die Sache in die Länge zu ziehen“. Wortprotokolle der österreichischen Bundesregierung von 1945-1952 über die Entschädigung der Juden, Frankfurt am Main 1988.

Knight, Robert: Einige vergleichende Betrachtungen zur „Vergangenheitsbewältigung“ in Österreich und Grossbritannien, in: Zeitgeschichte 15/1987, S. 63-71.

Kriechbaumer, Robert: 1986 – Eine Bundespräsidentenwahl, nicht wie jede andere, in: Zeitenwende: Die SPÖ-FPÖ-Koalition 1983–1987 in der historischen Analyse, aus der Sicht der politischen Akteure und in Karikaturen von Ironimus, hrsg. v. Robert Kriechbaumer / Gustav Peichl (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried- Haslauer-Bibliothek, Bd. 33), Wien / Köln / Weimar 2008.

Lange, Thomas (Hg.): Judentum und jüdische Geschichte im Schulunterricht nach 1945. Bestandsaufnahmen, Erfahrungen und Analysen aus Deutschland, Österreich, Frankreich und Israel (= Aschkenas, Beiheft 1), Wien / Köln / Weimar 1994.

Lehmann-Horn, Knut: Die Kärntner FPÖ 1955-1983. Vom Verband der Unabhängigen (VdU) bis zum Aufstieg von Jörg Haider zum Landesparteiobmann, Klagenfurt 1992.

Lehnguth, Cornelius: Waldheim und die Folgen. Der parteipolitische Umgang mit dem Nationalsozialismus in Österreich (= Studien zur historischen Sozialwissenschaft, Bd. 35), Frankfurt am Main 2013.

Loitfellner, Sabine: „Furchtbar war der Blutzoll, den Österreich entrichten musste…“ Die Wehrmacht und ihre Soldaten in österreichischen Schulbüchern, in: Wie Geschichte gemacht wird. Zur Konstruktion von Erinnerungen an Wehrmacht und Zweiten Weltkrieg, hrsg. v. Hannes Heer / Walter Manoschek / Alexander Pollak / Ruth Wodak, Wien 2003, S. 171-191.

Malina, Peter / Spann, Gustav: Der Nationalsozialismus im Österreichischen Geschichtslehrbuch, in: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945, hrsg. v. Emmerich Tálos / Ernst Hanisch / Wolfgang Neugebauer, Wien 1988, S. 577-599.

194 Literaturverzeichnis

Markom, Christa / Weinhäupl, Heidi: Die Anderen im Schulbuch. Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern (= Sociologica, Bd. 11), Wien 2007.

Markova, Ina: Wie Vergangenheit erzählt wird. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in österreichischen Schulbüchern, Marburg 2013.

Neugebauer, Wolfgang / Schwarz, Peter: Der Wille zum aufrechten Gang. Offenlegung der Rolle des BSA bei der gesellschaftlichen Reintegration ehemaliger Nationalsozialisten, hrsg. v. Bund sozialdemokratischer AkademikerInnen, Intellektueller und Künstlerinnen (BSA), Wien 2005.

Neugebauer, Wolfgang: Österreich: Gegen den Nationalsozialismus 1938-1945, in: Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945, hrsg. v. Gerd R. Ueberschär, Berlin / New York 2011, S. 31-42.

Neugebauer, Wolfgang: Widerstand in Österreich – ein Überblick, in: Widerstand in Österreich. 1938- 1945. Die Beiträge der Parlaments-Enquete 2005, hrsg. v. Stefan Karner / Karl Duffek (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 7), Graz / Wien 2007, S. 27-35.

Neugebauer, Wolfgang: Widerstand und Opposition, in: NS-Herrschaft in Österreich 1938-1945 (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik, Bd. 36), Wien 1988, S. 537-552.

Pelinka, Anton: Die kleine Koalition. SPÖ-FPÖ 1983-1986, Wien 1993.

Piffrader, Hannes: Emotionen als Werkzeug im Wahlkampf der österreichischen Parteien bei den Kampagnen zu den Nationalratswahlen 1949-2008, Innsbruck 2010. [Dissertation]

Rathkolb, Oliver: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010, Innsbruck/Wien 2011.

Schuster, Walter / Weber, Wolfgang: Entnazifizierung im regionalen Vergleich: Der Versuch einer Bilanz, in: Entnazifizierung im regionalen Vergleich, hrsg. v. Walter Schuster / Wolfgang Weber, Linz 2004.

Steiner, Herbert: Gestorben für Österreich, Wien 1968.

Steiner, Herbert: Zum Tode verurteilt. Österreicher gegen Hitler, Wien 1964.

Stiefel, Dieter: Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981.

Stiefel, Dieter: Zur Problematik der Entnazifizierung in Österreich, in: Verdrängte Schuld, verfehlte Sühne. Entnazifizierung in Österreich 1945-1955. Symposium des Instituts für Wissenschaft und Kunst Wien, März 1985, hrsg. v. Sebastian Meissl / Klaus-Dieter Mulley / Oliver Rathkolb, Wien 1986.

Stojka, Ceija: Wir leben im Verborgenen. Erinnerungen einer Rom-Zigeunerin, Wien 1988.

Thonhauser, Josef: Österreichbewusstsein und Vergangenheitsbewältigung im Spiegel der Lehrbücher, in: Zeitgeschichte 15/1, 1987, S. 37-53.

Trettler, Heidi: Der umstrittene Handschlag. Die Affäre Frischenschlager-Reder, in: Politische Affären und Skandale in Österreich. Von Meyerling bis Waldheim, hrsg. v. Michael Gehler/Hubert Sickinger, Innsbruck/Wien/Bozen 2007, S. 592-613.

Uhl, Heidemarie: Vom Opfermythos zur Mitverantwortungsthese: Die Transformation des österreichischen Gedächtnisses, in: Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 2, hrsg. v. Monika Flacke, Berlin 2004, S. 481-508.

195 Literaturverzeichnis

Uhl, Heidemarie: Zwischen Versöhnung und Verstörung. Eine Kontroverse um Österreichs Identität fünfzig Jahre nach dem „Anschluß“ (= Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek, Bd. 17), Wien/Köln/Weimar 1992.

Utgaard, Peter: Remembering and Forgetting Nazism. Education, National Identity, and the Victim Myth in Postwar Austria, New York / Oxford 2003.

Utgaard, Peter: Remembering and Forgetting the Holocaust in Austrian Schools, 1955-1996, in: The Vranitky Era in Austria, hrsg. v. Günther Bischof (= Contemporary Austrian Studies, Bd. 7), New Brunswick 1999, S. 201-215.

Waldheim, Kurt: Im Glaspalast der Weltpolitik, Düsseldorf/Wien 1985.

Wassermann, Heinz P.: Verfälsche Geschichte im Unterricht. Nationalsozialismus und Österreich nach 1945, Innsbruck 2004.

Wassermann. Heinz P.: Naziland Österreich? Studien zu Antisemitismus, Nation und Nationalsozialismus im öffentlichen Meinungsbild (= Schriften des Centrums für Jüdische Studien, Bd. 2), Innsbruck 2002.

Weinberger, Lois: Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Österreich, Wien 1948.

Weinbrenner, Peter: Grundlagen und Methodenprobleme sozialwissenschaftlicher Schulbuchforschung, in: Schulbuchforschung, hrsg. v. Richard Olechowski (= Schule – Wissenschaft – Politik. Reihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Schulentwicklung und international-vergleichende Schulforschung, Bd. 10), Frankfurt am Main / Berlin / Bern / New York / Paris / Wien 1995, S. 21-45.

Wodak, Ruth / Nowak, Peter / Pelikan, Johanna / Gruber, Helmut / de Cilia, Rudolf / Mitten, Richard (Hg.): „Wir sind alle unschuldige Täter!“: diskurshistorische Studien zum Nachkriegsantisemitismus, Frankfurt am Main 1990.

Gesetzestexte und Primärquellen und Zeitungsartikel

Blau, Paul: In der falschen Partei? Die SPÖ und der Faschismus, in: Die Zukunft. Sozialistische Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur, Heft 3, S. 27-29.

Bundesverfassungsgesetz vom 6. Februar 1947 über die Behandlung der Nationalsozialisten, BGBl. Nr. 25/1947.

Bundesverfassungsgesetz: NS-Amnestie 1957, BGBl. Nr. 82/1957.

Collins, James L. / Kurz, H. R. / Vanwelkenhuyzen, Jean / Fleming, Gerald / Fleischer, Hagen / Wallach, J. L. / Messerschmidt, M.: Bericht der internationalen Historikerkommission, in: profil 7/1988, 15.02.1988, S. 1-48.

Kotteder, Franz: Staatsmann mit vielen Gesichtern, in: Süddeutsche Zeitung, 22.11.2000, S. 19.

Lingens, Peter Michael: „Ich weiß, dass es unwahrscheinlich klingt“, in: profil 11/1986, 10.03.1986, S. 13-15.

Lingens, Peter Michael: Der Fall Peter. Peter und die Mordbrigade, in: profil 42, 14.10.1975, S. 12-16.

196 Literaturverzeichnis

Lingens, Peter Michael: Ein Präsident, dem die Welt misstraut, in: profil 14/1986, 01.04.1986, S. 16- 18.

Lingens, Peter Michael: Grenzen der Humanität, in: profil 5/1985, 28.01.1985, S. 7-10.

Mayer, Peter: Anfang, nicht Ende. Denkmal für Wehrmachtsdeserteure, in: Der Standard, 25/26. 10.2014, S. 40.

Merz, Carl / Qualtinger, Helmut: Der Herr Karl, Wien 2007.

O.A.: „Ganz Österreich für Reder“, in: profil 5/1985, 28.01.1985, S. 44.

O.A.: „Ich finde nichts dabei“, in: profil 5/1985, 28.01.1985, S. 41.

O.A.: Aus der Ansprache von Bundeskanzler Vranitzky anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats an der Hebrew University in Jerusalem am 9. Juni 1993, in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, hrsg. v. Gerhard Botz / Gerald Sprengnagel (= Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaften: Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, Bd. 13), Frankfurt am Main/New York 1994,, S. 577-580.

O.A.: Aus der Erklärung des österreichischen Bundeskanzlers Franz Vranitzky vor dem Nationalrat am 8. Juni 1991, in: Kontroversen um Österreichs Zeitgeschichte. Verdrängte Vergangenheit, Österreich-Identität, Waldheim und die Historiker, hrsg. v. Gerhard Botz / Gerald Sprengnagel (= Ludwig-Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaften: Studien zur Historischen Sozialwissenschaft, Bd. 13), Frankfurt am Main / New York 1994, S. 574-576.

O.A.: Rot-Weiss-Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich! Darstellungen, Dokumente und Nachweise zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs (Nach amtlichen Quellen). Erster Teil, hrsg. v. Bundesministerium für Äußeres, Wien 1946.

O.A.: Tichy und die Nazis: Gegen die Lobhudler, in: Der Standard, 06.11.2014, S. 35.

Regierungserklärung vom 1. Mai 1945, BGBl. Nr. 1/1945

Schmidt, Colette M.: Gute Gründe. Polemik gegen Deserteursdenkmal, in: Der Standard, 05.11.2015, S. 38.

Sichrovsky, Peter: „Soll ein ehemaliger Nazi und Lügner Vertreter Österreichs sein?“, in: profil 13/1986, 24.03.1986, S. 24-26.

Verfassungsgesetz vom 26. Juni 1945 über Kriegsverbrechen und andere nationalsozialistische Untaten (Kriegsverbrechergesetz), BGBl. Nr. 32/1945.

Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP (Verbotsgesetz), BGBl. Nr. 13/1945.

Verosta, Stephan: Die internationale Stellung Österreichs. Eine Sammlung von Erklärungen und Verträgen aus den Jahren 1938 bis 1947, Wien 1947.

197 Literaturverzeichnis

Internetquellen

Barth, Zeev: Kreisky: Die Juden – ein mieses Volk, in: Der Spiegel 47/1975, 17.10.1975, [http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41376698.html], eingesehen 14.10.2014.

Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Hg.): Zur Darstellung der jüdischen Geschichte sowie der Geschichte des Staates Israel in österreichischen Schulbüchern. Dokumentation der Tagung von FachwissenschaftlerInnen und Schulbuchverantwortlichen. Strobl a. Wolfgangsee, 6.-9. Dezember 1999, Wien 2000, [http://www.erinnern.at/bundeslaender/oesterreich/e_bibliothek/miscellen/492_Darstell_jud_G eschichte_pit200dpi.pdf], eingesehen 15.11.2014.

Forschungsstelle Nachkriegsjustiz: Prozesse. Volksgerichte, [http://nachkriegsjustiz.at/prozesse/volksg/index.php], eingesehen 15.10.2014.

Hausjell, Fritz: Braune Federn. Zum Ende des Gedenkjahres: Wie Nazi-Journalisten nach dem Krieg in Österreich erstaunliche Karrieren machen konnten, in: DIE ZEIT (2005/50), [http://www.zeit.de/2005/50/oe_braune_federn], eingesehen 08.10.2014.

O.A.: Bundespräsidentenwahl 1986, [http://www.bundespraesident.at/historisches/wahlergebnisse- seit-1951/bundespraesidentenwahl-1986/], eingesehen 20.10.2014.

O.A.: Die Synagoge war mir Heimstätte. Eine Zeitreise, [http://tvthek.orf.at/topic/Juedische- Geschichte-Oesterreich/6955377/Die-Synagoge-war-mir-Heimstaette/6999339], eingesehen 06.10.2014. [Filmbeitrag]

O.A.: Simon Wiesenthal: Ex-Nazis, ihr Jäger – und ein Parteitag, in: Die Presse, 12.06.2010, [http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/573060/Wiesenthal_ExNazis-ihr-Jaeger-und-ein- Parteitag?from=suche.intern.portal], eingesehen 08.10.2014.

O.A.: Wiener Straßennamen: Historiker sehen viele Umbenennungskandidaten, in: Der Standard, 24.09.2014, [http://derstandard.at/2000005967777/Wiener-Strassennamen-Historiker-sehen- viele-Umbenennungskandidaten], eingesehen 08.11.2014.

Perger, Werner A.: Erfolgreich gescheitert, in: Die ZEIT 05/2010, [http://www.zeit.de/2010/05/EU- Sanktionen-Haider], eingesehen 23.10.2014.

Ruep, Stefanie: Hitler-Mythos nicht aus Schulbüchern vertrieben, in: Der Standard, 17.12.2014, [http://derstandard.at/2000009466050/Hitler-Mythos-nicht-aus-Schulbuechern-vertrieben], eingesehen 18.12.2014.

Sams, Jörg / Thonhauser, Josef: Schulbuchforschung – Ein Beitrag zur Schulentwicklung?, in: Salzburger Beiträge zur Erziehungswissenschaft 2/1, [https://www.sbg.ac.at/erz/salzburger_beitraege/fruehling98/sams_thon.html], eingesehen 28.10.2014.

Scheidl, Hans Werner: 1985: Ein Handschlag mit fatalen Folgen. Die Affäre Frischenschlager-Reder als Todeskeim der SP/FP-Koalition, in: Die Presse, 23.01.2010, [http://diepresse.com/home/zeitgeschichte/534850/1985_Ein-Handschlag-mit-fatalen-Folgen], eingesehen 14.10.2014.

Schmidt, Colette M.: FPÖ-Abgeordneter verteidigt Flugblatt gegen Deserteursdenkmal, in: Der Standard, 4.11.2014, [http://derstandard.at/2000007663209/Die-Teutonia-und-die-alte-Pflicht], eingesehen 08.11.2014.

198 Literaturverzeichnis

Simon Wiesenthal Archiv. Stimmen zu Simon Wiesenthal, [http://www.simon-wiesenthal- archiv.at/01_wiesenthal/06_stimmen/01_wechsberg.html], eingesehen 08.10.2014.

Verein Gedenkdienst: „Von meinem politischen Leben bleibt die Affäre Reder“. Gespräch mit Verteidigungsminister a. D. Friedhelm Frischenschlager über die FPÖ, den Krieg und das Händeschütteln, [http://www.gedenkdienst.at/index.php?id=530], eingesehen 14.10.2014.

Winkler-Hermaden, Rosa: Als Österreich der Buhmann der EU war, in: Der Standard, 21.01.2010, [http://derstandard.at/1263705581215/EU-Sanktionen-Als-Oesterreich-der-Buhmann-der-EU- war], eingesehen 23.10.2014.

Schulbücher

Achs, Oskar / Scheuch, Manfred / Tesar, Eva: Aus Geschichte lernen. 7. Klasse. Von der Industriellen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, 1. Auflage Wien 1993.

Achs, Oskar / Scheuch, Manfred / Tesar, Eva: Aus Geschichte lernen. 8. Klasse. Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Gegenwart, 1. Auflage Wien 1994.

Achs, Oskar / Scheuch, Manfred / Tesar, Eva: Aus Geschichte lernen. 8. Klasse. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart, 3. aktualisierte Auflage Wien 2002.

Achs, Oskar / Scheuch, Manfred / Tesar, Eva: gestern | heute | morgen. 7. Klasse. Aus Geschichte lernen, 1. Auflage Wien 2005.

Achs, Oskar / Scheuch, Manfred / Tesar, Eva: gestern | heute | morgen. 8. Klasse. Aus Geschichte lernen, 1. Auflage Wien 2006.

Berger, Franz / Schausberger, Norbert: Zeiten, Völker und Kulturen. Lehrbuch der Geschichte und Sozialkunde für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen. 8. Klasse. Geschichte des 20. Jahrhunderts, 2. Auflage Wien 1977.

Brzobohaty, Johannes / Kowarz, Andreas / Salmayer, Robert / Zellhofer, Christa: Zeitfenster 7, Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung für die 7. Klasse AHS, 1. Auflage Wien 2012.

Brzobohaty, Johannes / Kowarz, Andreas / Zellhofer, Christa: Zeitfenster 8, Geschichte und Sozialkunde / Politische Bildung für die 8. Klasse AHS, 1. Auflage Wien 2013.

Cechovsky, Wilhelm / Lammel, Wolfgang / Lemberger, Michael / Pinwinkler, Alexander / Pokorny, Hans: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 8. Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse, 1. Auflage Wien 2003.

Ebner, Anton / Majdan, Harald / Soukop, Kurt: Geschichte für die Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schulen 4, 5. Auflage Wien 1984.

Floiger, Michael / Ebenhoch, Ulrike / Tschegg, Kurt / Tuschel, Manfred: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 7. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 3 für die 7. Klassen, 1. Auflage Wien 1991.

Floiger, Michael / Ebenhoch, Ulrike / Tuschel, Manfred: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 8. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 4 für die 8. Klasse, 1. Auflage Wien 1992.

199 Literaturverzeichnis

Floiger, Michael / Ebenhoch, Ulrike / Tuschel, Manfred: Stationen. Spuren der Vergangenheit – Bausteine der Zukunft. Lehr- und Arbeitsbuch für die 8. Klasse an allgemeinbildenden höheren Schulen. 4 für die 8. Klasse, 2. Auflage Wien 1999.

Geyer, Roderich / Fink, Karl / Luger, Franz: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse der allgemeinbildenden höheren Schulen. Bd. 4 für die 8. Klasse, 1. Auflage Wien 1974.

Geyer, Roderich / Fink, Karl / Luger, Franz: Geschichte und Sozialkunde. Durch die Vergangenheit zur Gegenwart. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde. Für die 8. Klasse der allgemeinbildenden höheren Schulen. Band 4 für die 8. Klasse, 2. Auflage Wien 1987.

Göbhart, Franz / Chvojka, Erwin: Geschichte und Sozialkunde. Lern- und Arbeitsbuch. 8. Klasse AHS. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, 2. Auflage Wien 1975.

Göbhart, Franz / Chvojka, Erwin: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 8. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, 1. Auflage Wien 1984.

Göhring, Walter / Hasenmayer, Herbert: Zeitgeschichte. ein approbiertes Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde, 1. Auflage Wien 1972.

Göhring, Walter / Hasenmeyer, Herbert: Zeitgeschichte. Ein approbiertes Lehr- und Arbeitsbuch für Geschichte und Sozialkunde, 3. Auflage Wien 1986.

Heilsberg, Franz / Korger, Friedrich / Hübner, Ferdinand: Lehrbuch der Geschichte, Bd. 4. Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, 4. Auflage Wien 1965.

Heilsberg, Franz / Korger, Friedrich: Lehrbuch der Geschichte für die Oberstufe der Mittelschulen, Bd. 4. Allgemeine Geschichte der Neuzeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, 2. Auflage Wien 1956.

Huber, Gerhard / Schröckenfuchs, Erlefried: einst und heute 7, 1. Auflage Wien 2001.

Huber, Gerhard / Schröckenfuchs, Erlefried: einst und heute 8, 1. Auflage Wien 2002.

Krawarik, Hans / Schröckenfuchs, Erlefried / Weiser, Brigitte: Spuren der Zeit 7, 1. Auflage Wien 1991.

Manfred Schindlbauer: Thema: Geschichte. 8. Klasse. Die grundlegenden Strukturen der Politik, 1. Auflage Salzburg 2008.

Melichar, Franz / Plattner, Irmgard / Rauchegger-Fischer, Claudia: GO! Geschichte Oberstufe 7, 1. Auflage Wien 2013.

Melichar, Franz / Plattner, Irmgard / Rauchegger-Fischer, Claudia: GO! Geschichte Oberstufe 8, 1. Auflage Wien 2014.

Pokorny, Alexander / Lobner, Georg / Lemberger, Michael: Durch die Vergangenheit zur Gegenwart 7. Geschichte und Sozialkunde für die 7. Klasse, 1. Auflage Linz/Wien 2002.

Scheucher, Alois / Staudinger, Eduard / Scheipl, Josef / Ebenhoch, Ulrike: Zeitbilder 8. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung, 1. Auflage Wien 2014.

Scheucher, Alois / Wald, Anton / Lein, Hermann / Staudinger, Eduard: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 7, 1. Auflage Nachdruck Wien 1996.

200 Literaturverzeichnis

Schindlbauer, Manfred: Thema: Geschichte. 7. Klasse. Vom 20. Bis zum 21. Jahrhundert, 1, Auflage Salzburg 2007.

Schröckenfuchs, Erlefried / Huber, Gerhard: Streifzüge durch die Geschichte 7 mit Politischer Bildung, 1. Auflage Wien 2005.

Schröckenfuchs, Erlefried / Lobner, Georg: Spuren der Zeit 8, 1. Auflage Wien 1992.

Staudinger, Eduard / Ebenhoch, Ulrike / Scheucher, Alois / Scheipl, Josef: Zeitbilder 7. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart, 1. Auflage Wien 2014.

Tscherne, Werner / Gartler, Manfred: Wege durch die Zeiten 3. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde, Nachdruck Graz 2000.

Tscherne, Werner / Gartler, Manfred: Wege durch die Zeiten 4. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde, Nachdruck Graz 2000.

Tscherne, Werner / Scheithauer, Erich / Gartler, Manfred: Weg durch die Zeiten. Arbeits- und Lehrbuch für Geschichte und Sozialkunde für die 8. Klasse der Oberstufe, 4. Das 20. Jahrhundert, 1. Auflage Graz 1983.789

Wald, Anton / Staudinger, Eduard / Scheucher, Alois / Scheipl, Josef: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde 8. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute, 4. Auflage Wien 1997.

Wald, Anton / Staudinger, Eduard / Scheucher, Alois / Scheipl, Josef / Ebenhoch, Ulrike: Zeitbilder 7 & 8. Geschichte und Sozialkunde. Politische Bildung. Vom Ende des Ersten Weltkrieges bis in die Gegenwart, 1. Auflage Wien 2006.

Wald, Anton / Staudinger, Eduard / Scheucher, Alois / Scheipl, Josef: Zeitbilder. Geschichte und Sozialkunde. 8. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis heute. mit „Aktuellem Journal“, 11. Auflage Wien 2004.

789 Eine identische Variante des Lehrbuchs wurde 1989 als Nachdruck herausgegeben.

201

LEOPOLD-FRANZENS-UNIVERSITÄT INNSBRUCK

Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre, dass ich meine Diplomarbeit/Masterarbeit selbständig verfasst und alle in ihr verwendeten Unterlagen, Hilfsmittel und die zugrunde gelegte Literatur genannt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als solche deutlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister-/Master- /Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

Ich nehme zur Kenntnis, dass auch bei auszugsweiser Veröffentlichung meiner Diplomarbeit/Masterarbeit der/die Arbeitsbereich/e und das/die Institut/e, an dem/denen die Diplomarbeit/Masterarbeit ausgearbeitet wurde, und die Betreuerin/nen bzw. der/die Betreuer zu nennen sind.

______Ort, Datum Vorname Nachname