FOLGE 168 OKTOBER 2004

NS-JUSTIZ IN ÖSTERREICH Lage- und Reiseberichte 1938–1945 ....ff Band 3 der Schriftenreihe des DÖW zu Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten ist erschienen

Schon kurz nach dem „“ Österreichs 1938 beauftragte das Reichsjustizministerium die leitenden Justizbeamten in der „Ostmark“ — die Präsidenten der Oberlandesgerichte bzw. die Generalstaatsanwälte in Innsbruck, Graz, Linz und Wien —, künftig regelmäßig über die Lage in ihrem Amtsbereich zu berichten. Die Lageberichte waren als Gegengewicht zum Informations- und Berichtsmonopol des Sicherheitsdienstes der SS (SD-Berichte) eingeführt worden. Ergänzt wurde die regionale Berichterstattung durch die Lageberichte der zentralen Anklagebehörde für politische Strafsachen, der Oberreichsanwaltschaft beim Volksgerichtshof, sowie durch Reiseberichte von Berliner Justizbeamten, die einen Einblick in die Einschätzungen und Wertungen Berliner Zent- ralstellen über die Justiz im „angeschlossenen“ Österreich erlauben. Diese in der vorliegenden Edition nun erstmals zugänglichen Lage- und Reiseberichte gehören zu den wichtigsten zeitgenössischen Quellen zur allgemeinen Justiz- und Landesgeschichte 1938–1945. Der vor kurzem fertig gestellte Band ist — ebenso wie eine Mikrofiche-Edition der Verfahren vor dem Volksgerichtshof und den Oberlandesgerichten Wien und Graz (siehe Seite 6) — Ergebnis einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Philipps-Universität Marburg (Institute für Kriminalwissenschaft und für Politikwissenschaft) und dem DÖW. Im Folgenden beschreiben die Herausgeber Wolfgang Form und Oliver Uthe die inhaltlichen Schwerpunkte der Lageberichte, wobei einzelne Aspekte wie etwa der Umgang mit Zwangsarbeitern thematisiert werden. (Auszüge aus der Einleitung)

Aus welchen Rechtsbereichen berichteten vertrags- und das Mietrecht im Mittel- handlung der osteuropäischen Zwangsar- die Chefpräsidenten nach ? Die üb- punkt standen. beiter oder die alles Maß sprengende Dis- liche Trias von Zivilrecht, Öffentlichem Vielleicht erklärt sich aus dem gesell- kriminierung der als Juden verfolgten Ös- Recht und Strafrecht umfassen die Justiz- schaftspolitischen Gewicht der genannten terreicher und Österreicherinnen.53 Über berichte nur zu zwei Dritteln. Staatsrecht- Gruppen, dass der sorgsam registrierte Einführung und Reaktion der Öffentlich- liche Angelegenheiten blieben wegen des Unwille dieser Kreise wesentlich intensi- keit auf die Nürnberger Rassegesetze ver- anvisierten Ziels — nämlich Informatio- ver wahrgenommen und dargestellt wurde lieren die Chefpräsidenten nur wenige nen über besondere Vorkommnisse, über als Nachrichten über die drakonische Be- Worte. Aus Innsbruck heißt es dazu, „die justizinterne Missstände und über die Stimmung bei den Gerichtseingesessenen zu sammeln — oft ausgeblendet. Viel Wolfgang Form, Platz nehmen die Auswirkungen und die Oliver Uthe (Hg.) Aufnahme des im Sinne der NSDAP geän- derten Familien-, Liegenschafts- und Erb- NS-Justiz in Österreich rechts ein. Heikle Punkte berührte der na- Lage- und Reiseberichte 1938–1945 tionalsozialistische Staat durch die Neu- Schriftenreihe des DÖW zu regelung des österreichischen Scheidungs- Widerstand, NS-Verfolgung und rechts, durch die Erbhofgesetzgebung so- Nachkriegsaspekten, Bd. 3 wie Änderungen im Jugend- und Arbeits- recht. Gerade auf dem zivilrechtlichen Münster u. a.: Lit Verlag 2004 Sektor liefen die neuen Machthaber am LVIII, 503 Seiten ehesten Gefahr, dass jeweils große Bevöl- kerungsteile gegen das NS-Regime murr- ten — Katholiken, Landwirte, Eltern, In- Sonderpreis i 25,– dustriearbeiter. Weite Strecken der Lage- (statt i 49,90) berichte beschäftigten sich weniger mit straf- als vielmehr mit steuerrechtlichen Siehe Bestellschein auf der letzten Bestimmungen und typischen privatrecht- Seite. lichen Streitigkeiten, wobei das Arbeits- 2 Mitteilungen 168

Einführung der Judengesetze wurde allge- nahtlos in das gängige Schema von anwalt, es würden in zwei bäuerlich struk- mein mit Zustimmung und Genugtuung „Herr“, also dem Vollbauern bzw. der turierten Landkreisen „bereits etwa 250 zur Kenntnis genommen“ und habe „im Bäuerin auf eigenem Hof, und „Knecht“. von Ausländerinnen geborene Kinder ge- Lande Österreich die breitesten Bevölke- Allzu christlich geprägtes, patriarchali- meinsam mit deutschen Kindern aufgezo- rungsschichten befriedigt“. Rühmend sches Verhalten und mangelnde Distanz gen“.84 Gegen „anmaßendes Verhalten“ hebt der Bericht hervor: „Als sprechender gegenüber den ausländischen Landarbei- der Zwangsarbeiter im Herbst 1944 schien Beweis für die Einstellung des Volkes ge- tern wurde daher immer wieder offiziell dem Linzer Oberlandesgerichtspräsiden- rade in den Alpenländern mag die Tat- gerügt. ten nur noch der Volkssturm als „beacht- sache gelten, dass in der tirolischen Lan- Seit 1941 wuchs die Zahl der „fremdrassi- licher Machtfaktor“ gewachsen zu sein, deshauptstadt Innsbruck sämtliche jüdi- gen“ Arbeiter stetig: wohl zu keinem an- während sein Grazer Kollege sicherlich schen Geschäfte mit Ausnahme eines ein- deren Zeitpunkt im 20. Jahrhundert hatte die Realität eher traf, wenn er feststellte: zigen, das seinen Stammsitz im Altreich es einen höheren Anteil von Ausländern in „Der Aufruf des Volkssturms hat besonde- hat, arisiert sind.“54 den ländlichen österreichischen Gebieten re Begeisterung nicht hervorgerufen … Dagegen enthält fast jeder Bericht wenigs- gegeben als während des NS-Regimes. man misst seiner Schlagkraft nicht viel tens einen „Dauerbrenner“, also immer Konträr zur Deutschtümelei des eigenen Bedeutung bei“.85 wiederkehrende Themen wie die uner- Parteiprogramms kam es — vergleichbar Einen potentiellen Unruheherd sahen die laubte Entfernung vom Arbeitsplatz, Miet- dem aus heutiger Sicht latenten Emanzipa- Berichterstatter aber nicht nur in den seit streitsachen, bäuerliche Schwarzschlach- tionseffekt bei den in allen Berufen arbei- Kriegsbeginn ins Land strömenden tungen, Schleichhandel oder Lebensmit- tenden Frauen — zu Entwicklungen, die Zwangsarbeitern, sondern auch bei den telkartenbetrug. Hier wird ersichtlich, dass dem Credo überzeugter Nationalsozialis- autochthonen Minderheiten in den vier die kaum ausgeprägte bzw. selten offen ten zuwiderliefen.79 Die Angst wuchs mit Oberlandesgerichtsbezirken.86 Am anfäl- hervortretende Anteilnahme breiter Bevöl- zunehmender Kriegsdauer und abnehmen- ligsten für den Geist des Panslawismus kerungsschichten an der gravierenden Ent- dem Kriegsglück, die Scharen ausländi- und mögliche Verbrüderungen mit polni- rechtung von — seit jeher beargwöhnten scher Zwangsarbeiter nicht mehr im Zaum schen oder russischen Zwangsarbeitern — Minderheiten wie Juden, Zeugen Jeho- halten zu können.80 Hinzu traten die boh- hielten die Richter und Staatsanwälte die vas, Homosexuellen und Roma ihre kurso- renden Zweifel an der ehelichen Treue der slowenischsprachige Bevölkerung in rische Behandlung in den Lageberichten „Kriegerfrauen“. Zur Illustration der Lage Kärnten und im besetzten „Unterland“. aus Sicht der Chefpräsidenten begrün- übermittelte der Innsbrucker General- Dagegen wurden die östlich Wiens sie- dete.55 [...] staatsanwalt ein derbes Spottgedicht auf delnden kroatischen Volksgruppen und die In unterschiedlichem Umfang gehen die serbische Schürzenjäger, während man an- ebenfalls im Burgenland ansässigen Bau- Generalstaatsanwälte und Oberlandesge- dererseits in Graz auf das schlechte Vor- ern ungarischer Abstammung als wenig richtspräsidenten auf Sondergerichtsver- bild der ausgebombten deutschen Frauen auffällig charakterisiert.87 Eine grundsätz- fahren ein. Dabei verschob sich im Lauf verwies, die den überlasteten einheimi- liche Anfälligkeit für den Kommunismus des Krieges der Fokus mehrmals. Verstöße schen Gastgeberinnen die Kinder zum Hü- unterstellte man jedoch dem — in erhebli- gegen die Kriegswirtschaftsverordnung — ten anvertrauten, „um selbst Jagd auf chem Ausmaß — tschechischstämmigen etwa Schwarzschlachtungen — tauchen Männer, insbesondere Soldaten machen zu Teil der Wiener Arbeiterschaft, obwohl jedoch immer wieder auf. Sorge bereitete können“.81 Ein anderer Berichterstatter dessen Assimilierung in die österreichi- den Justizjuristen vor allem der Zuwachs echauffierte sich über das fremdländisch sche Gesellschaft bereits weitgehend voll- an ausländischen Arbeitskräften. Diese geprägte Straßenbild in Wien und Umge- zogen war. Ähnliche Anspielungen auf mussten unter ganz unterschiedlichen Be- bung, wo „in den Landbezirken auch den vermeintlichen Volkscharakter oder dingungen arbeiten und wurden allzu oft Kriegsgefangene zum Teil frei herumge- die ethnische Minderwertigkeit bestimm- bis zur völligen körperlichen Erschöpfung hen“. Dringend angemahnt wurde eine ter Gruppen finden sich in den Texten im- ausgebeutet. Entscheidend für den Status abendliche Sperrstunde, ab der „die Aus- mer wieder. Während antisemitische Phra- war meist ihre Herkunft bzw. Abstam- länder nicht mehr auf den Straßen weilen sen kaum auftauchten, mischten sich bei mung. Die Stellung der Zwangsarbeiter dürfen. Zweckmäßig wäre auch ihre Zu- der Beurteilung von Sinti und Roma alte aus Westeuropa unterschied sich grundle- sammenfassung in Konzentrationslagern, Vorurteile mit pseudowissenschaftlichen gend von der maßlosen Willkür, die ihre da viele von ihnen sogar vereinzelt privat Argumenten, die in der Forderung gipfel- Leidensgenossen aus dem besetzten Osten untergebracht sind.“82 Aus der Perspek- ten, dass alle Landfahrer „ausnahmslos zu zu erdulden hatten. Polen, Ukrainer, Rus- tive des Wiener Generalstaatsanwalts sterilisieren“ wären, weil „die jungen Zi- sen sowie ab 1944 auch ungarische Juden führten die Zwangsarbeiter ein angeblich geuner von besonderer geschlechtlicher wurden hauptsächlich in der im Eiltempo lockeres Leben und „machten sich in Aggressivität“ und die „Zigeunermädchen errichteten Schwerindustrie und Rüstungs- Gasthäusern, Vergnügungslokalen und geschlechtlich zügellos“ seien und damit wirtschaft im Donaubecken eingesetzt — insbesondere in den Verkehrsbetrieben in eine große „Gefahr für die Rasse der bur- einer Landschaft, die bis in die späten 30er einer Weise breit, die schon als frech be- genländischen Bevölkerung“88 darstellen Jahre noch überwiegend agrarisch geprägt zeichnet werden musste“. In der Donau- würden. gewesen war. Bei der Behandlung der ein- metropole sei es soweit gekommen, dass Auch nationale Stereotypen wurden gerne zelnen Zwangarbeitergruppen lässt sich man „auf einzelnen Strecken der Straßen- bedient, bekannte Klischees aufgefrischt. ein breites Spektrum abgestufter Härten bahn tatsächlich mehr fremde Sprachen Der vorherrschenden Meinung entspre- oder Verpflichtungen feststellen. Beson- hört als Deutsch“.83 Aus den übrigen chend, rügte man „das anmaßende, hoch- ders in der Landwirtschaft entschieden oft „Alpen- und Donaureichsgauen“ kamen fahrende und arbeitsunwillige Verhalten persönliche Bindungen an den Arbeitgeber ähnliche Juristenklagen über allzu zivile der Engländer“89 und den mangelnden über Wohl oder Wehe des Einzelnen. Hier Formen des Zusammenlebens. Empört Dank und die Aufsässigkeit urlaubsver- fügten sich Kriegsgefangene bisweilen konstatierte der Linzer Generalstaats- schickter holländischer Kinder.90 In der Oktober 2004 3 ehemaligen Kapitale klagte der Oberlan- sion der Irredenta von 1918 unverhoh- werde, dass die Alliierten dem ehemaligen desgerichtspräsident über den schwung- len.99 Österreich keine schonende Sonderstel- haften Handel mit Rauchwaren: „nament- Aber nicht nur Franzosen, Italiener, Polen lung zubilligten. „Wegen des blöden Ge- lich die Griechen treten übel in Erschei- und Russen unterlagen stereotypen Be- schreies ‚Heil Österreich‘“103 käme es da- nung“, so die Einschätzung aus Wien, schreibungen, auch das Bild der Deut- her nur noch spärlich zu Anzeigen. während ihre „Arbeitsleistung recht zu schen schwankt in den Lageberichten und Völlig untypische, doch für das Kompe- wünschen übrig lassen soll“.91 Mit der zeigt zeitweise Züge eines Zerrbildes. So tenzchaos bezeichnende Auswirkungen Arbeitsleistung der Franzosen sei man etwa als nach dem „Anschluss“ die nörd- hatte im Sommer 1942 ein Vortrag von zwar zufrieden, weniger hingegen mit ih- lichen Nachbarn in großen Gruppen in Reichsminister Hans Frank, der sich als ren vielen amourösen Affären. Resignie- Geschäfte und Gasthäuser einfielen und Generalgouverneur und Reichsrechtsfüh- rend meldeten die Berichterstatter nach sich dabei durch Prahlerei und nassfor- rer zu Stellungnahmen in juristischen Fra- Berlin, dass bei französischen Kriegsge- sches Benehmen bei den Einheimischen gen berufen fühlte. Nachdem sich der Mi- fangenen sexuelle Kontakte als geradezu unbeliebt gemacht hatten. Belebt wurde nister auf einer Gauveranstaltung in Salz- selbstverständlich gelten und allgemein das facettenreiche Verhältnis zwischen burg vor Richtern „gegen die allzu scharfe toleriert würden.92 „Liebesnester“ in Deutschen und Österreichern auch durch unterschiedslose Behandlung der Polen in kriegswichtigen Fabriken wären mehrfach die wachsenden Spannungen innerhalb der strafbaren Fällen“ gewandt hatte, da dies ausgehoben worden, doch seien die priva- NSDAP, als immer mehr altgediente öster- zu negativen Folgen in seinem General- ten Beziehungen — trotz eindeutiger Ge- reichische Parteigenossen 1938 feststellen gouvernement führe, kam es anderntags setzeslage zum unerlaubten Kontakt zu mussten, dass der nationalsozialistische prompt zu einem — wie der Oberlandes- Kriegsgefangenen93 — schwer zu unter- Umbau der Ostmark oft durch landfrem- gerichtspräsident tadelnd feststellte — viel drücken. Viele Strohwitwen, ihren an der des Personal aus Preußen und Bayern be- zu laschen Urteil. Sogleich schärfte der Front kämpfenden Ehemännern offenbar werkstelligt wurde. Gerade an behörd- Behördenchef dem verunsicherten Son- entwöhnt, gäben ein denkbar schlechtes lichen Schlüsselpositionen kam die „Bes- dergerichtsvorsitzenden ein, „dass in Po- Beispiel, das insbesondere bei weiblichen serwisserei“ der abgeordneten deutschen lenstrafsachen von der bisherigen Rich- Jugendlichen verheerend wirke.94 Der zu Beamten besonders zur Geltung und kolli- tung [d. h. harten Strafen, d. V.] bis auf beobachtende „sittliche Niedergang“ heize dierte bisweilen unliebsam mit österreichi- weiteres nicht abgewichen werden zugleich die Stimmung in den katholisch schen Gepflogenheiten. Außerhalb der soll“.104 Die gleiche Auffassung vertrat gesinnten Bezirken an, da die Pfarrer diese staatlichen Sphäre trat mit der zunehmen- Dr. Löderer von der Generalstaatsanwalt- Vorkommnisse für ihre Kritik am Natio- den Einquartierung von Deutschen zur schaft, der einen Monat später beim selben nalsozialismus ausnutzten. kulturellen Differenz noch der traditionel- Sondergericht immer noch „vergleichs- Besonders intensiv wur- le Gegensatz zwi- weise sehr milde Urteile gegen Polen be- de der Seitenwechsel der „Wegen des blöden schen Stadt und obachtet“ hatte. Er rügte die Richter, sie Italiener kommentiert. Land. Ob Sommer- hätten endlich zu begreifen, dass die pol- Fast befriedigt registrier- Geschreies ‚Heil Öster- frischler oder eva- nischen Arbeiter „ein Vielfaches der sonst te der Grazer General- reich‘“ käme es daher nur kuierte Großstäd- angemessenen Strafe erhalten“105 müss- staatsanwalt, dass durch noch spärlich zu Anzeigen. ter: eine „gewisse ten. Welche dramatischen Szenen außer- den „Badoglio-Verrat“ Feindschaft gegen halb des Gesichtskreises der Justizjuristen das chronische Misstrau- Gäste aus dem Alt- abliefen, davon zeugen zwei zeitgleiche en der Österreicher gegen die Italiener im reich“ schimmerte vielerorts durch, ge- Berichtsausschnitte. Nur lapidar und ohne Nachhinein bestätigt wurde, wobei er auch schürt vom taktlosen Benehmen der Neu- eigene Stellungnahme zitierte der Inns- die offene Wunde „Südtirol“ berührte.95 ankömmlinge. So etwa in Wels, wo „die brucker Generalstaatsanwalt in demselben Schließlich habe die Ansiedlung von Süd- Ausgebombten aus dem Altreich noch im- Lagebericht aus einem Polizeirapport über tirolern in den „Alpengauen“ erhebliche mer wenig Arbeitsfreude zeigen und sich den Verfahrensausgang bei einem des Mühen und Querelen verursacht, nachdem [...] häufig über den Arbeitseifer der bäu- Diebstahls verdächtigten Polen. Nachdem viele Südtiroler der alten Heimat infolge erlichen Bevölkerung lustig machen“.100 eine erneute Befragung über den Verbleib des deutsch-italienischen „Abkommens In offenen Groll konnte die Ablehnung des verschwundenen Geldes — „trotz ein- über die Aussiedlung der deutschen Be- umschlagen, wenn sich zum Vorwurf des gehendsten Verhöres“ — kein Resultat ge- völkerung in Südtirol“ den Rücken kehren Drohnen-Daseins noch Hamsterfahrten zeigt hatte, kam es zum „kurzen Prozess“ mussten.96 Die Zuzügler aus dem Süden gesellten und der ländliche Aufenthalt vor Ort: „Um 14 Uhr erfolgte sodann hätten vor allem die bestehende Woh- zum Geschäftemachen genutzt wurde. Al- durch eine Kommission der Geheimen nungsnot verschärft und anfangs zu einer lerdings würden diese Gegensätze, so der Staatspolizei [...] die Hinrichtung des gesteigerten Kriminalitätsrate beigetra- Oberlandesgerichtspräsident verschlei- Genannten durch Erhängen. Nach Eintritt gen.97 Nachdem der Vorkriegspakt durch ernd, durch angelsächsische Flugblätter des Todes, der durch den Amtsarzt festge- den Sturz und die anschließende Befrei- geschickt angefacht und aufgebauscht.101 stellt wurde, wurde die Leiche in den Sarg ung des Duce gegenstandslos geworden Auch in den „Alpen- und Donaureichs- gelegt und mit dem Leichenwagen nach war, stellte der Berichterstatter erfreut gauen“ begannen sich schließlich seit Salzburg überführt. Der Gelddiebstahl fest, dass die „Klärung der Lage in Italien Winter 1943/44 die Luftangriffe auf Städte bzw. die Anzeige gegen unbekannte Täter und die damit Hand in Hand gehende Be- und Industriebetriebe zu häufen. Geradezu wäre mithin als erledigt anzusehen setzung Südtirols eine gehobene Kampf- als „reinigendes Gewitter für ‚österrei- [...].“106 stimmung ausgelöst“98 habe. Anscheinend chisch verseuchte Gehirne‘„102 empfand Eine erschütternde Beschreibung darüber, war die Schimäre des welschen Erzrivalen der Linzer Generalstaatsanwalt die an- wie die die Exekution von straf- in der Bevölkerung noch präsent und die schwellende Bombenlast, weil — so die fälligen Osteuropäern regelrecht „zeleb- Freude vieler Österreicher über die Revi- Logik des Juristen — damit bewiesen rierte“, enthält der Bericht des Linzer Ge- 4 Mitteilungen 168 neralstaatsanwalts Köllinger vom April tisch heiklen Fragen endgültig erloschen 89 OLG-Präs. Graz, 1. Aug. 1944, S. 180. 1942. Der Behördenleiter unterstrich, er sein.110 90 OLG-Präs. Linz, 4. Jän. 1941, S. 210 — die habe allein durch „vertrauliche Mittei- Kinder seien außerdem „verhetzt und rassisch vielfach nicht einwandfrei“ gewesen. lungen“ Kenntnis davon erhalten und „be- 91 OLG-Präs. Wien, 4. Juli 1944, S. 312. richte über diese Vorfälle, weil sie in der 92 GStA Innsbruck, 27. Jän. 1942, S. 69 f.; GStA Bevölkerung keine gute Stimmung hinter- Anmerkungen Wien, 1. Juni 1943, S. 306. lassen“.107 Wenn „polnische Zivilarbeiter 93 VO über den Umgang mit Kriegsgefangenen nicht einmal wegen krimineller Taten kur- 53 Überraschend gering — und z. T. wohl in der v. 11. Mai 1940 (RGBl. I S. 769). 94 zer Hand von der Gestapo in Linz ge- Überlieferungslücke zu 1938/39 begründet — GStA Innsbruck, 29. März 1942, S. 79. 95 GStA Graz, 25. Sept. 1943, S. 166. Die hierfür hängt“ werden und „von keinem dieser ist die Zahl der geschilderten Vorkommnisse, die Juden betreffen: LG-Präs. Innsbruck, sicherlich interessanten Innsbrucker Berichte für Vorfälle der zuständigen Staatsanwalt- 30. Aug. 1938, S. 10; GStA Innsbruck, 1. Okt. 1943 fehlen. 96 schaft jemals eine Anzeige“ bekannt wer- 1938, S. 21 f.; GStA Graz, 10. Aug. 1940, In dieser Übereinkunft hatte Hitler im Juni 1939 de, dann sei dies mit den „gesetzlichen S. 128; 27. Jän. 1943, S. 159; OLG-Präs. Linz, die Kriegsunterstützung Mussolinis erlangt. Vgl. Bestimmungen nicht vereinbar“.108 Zum 3. März 1942, S. 226 f. Hinzu kommt eine als zur Umsiedlung der Südtiroler: OLG-Präs. Inns- bruck, 27. Okt. 1939, S. 44 f.; 29. Dez. 1939, Beleg dafür, „dass es den Gendarmerie- Anlage erhaltene Leitentscheidung des Zivil- senats des Königsberger Oberlandesgerichts S. 45 f.; 28. Aug. 1940, S. 50; GStA Innsbruck, beamten sogar verboten ist, über solche v. 1942: S. 256–258. 22. Juli 1941, S. 57. 97 Vorfälle an die Staatsanwaltschaft eine 54 GStA Innsbruck, 1. Okt. 1938, S. 21 f. GStA Graz, 10. Aug. 1940, S. 128 f.; OLG-Präs. Anzeige zu erstatten“,109 fügte Köllinger 55 Zeugen Jehovas und Adventisten: GStA Inns- Innsbruck, 28. Aug. 1940, S. 50. 98 als Anlage vier Gestaposchreiben bei, die bruck, 22. Juli 1941, S. 55; 29. Juli 1942, S. 98; OLG-Präs. Graz, 27. Nov. 1943, S. 170. 99 Die Einrichtung der aus dem Hinterland von ihm offenbar von Seiten der Polizei oder OLG-Präs. Graz, 1. Sept. 1941, S. 131. Homosexuelle: GStA Innsbruck, 22. Juli 1941, Görz und Triest bestehenden „Operationszone eines Landrates zugespielt worden waren. S. 56; 1. Dez. 1941, S. 65; 27. Jän. 1942, S. 73. Adriatisches Küstenland“ ließ im Verbund Im Reichsjustizministerium dürften die Gehäuft tritt der entsprechende § 129 StG in den mit der „Operationszone Alpenvorland“ (Süd- Übergriffe der Gestapo bereits bekannt ge- Wiener Berichten in Verbindung mit Jugend- tirol) sogar die Erinnerung an altösterreichische wesen sein, doch war der kommissarische lichen auf: GStA Wien, 1. Juni 1943, S. 309 f. Oberitalienpläne wach werden. Vgl. Klaus Oldenhage, Die Verwaltung der besetzten Ge- amtierende Staatssekretär Schlegelberger (Strichjungen im Römerbad); 1. Okt. 1944, S. 320. Roma/ Sinti: GStA Innsbruck, 27. Jän. biete, S. 1161 f. und S. 1168. 100 nicht einflussreich genug, um Himmler 1942, S. 73; GStA Graz, 5. Feb. 1940, S. 119. OLG-Präs. Linz, 5. Apr. 1944, S. 280. Siehe wirkungsvoll in die Schranken weisen zu [...] auch 11. Dez. 1944, S. 297 sowie GStA können. Nach dem Tod Gürtners — der 79 Vgl. Florian Freund/Bertrand Perz, Die Zahlen- Innsbruck, 27. Jän. 1942, S. 68 f. 101 seit 1932, schon unter Papen und entwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter OLG-Präs. Linz, 23. Apr. 1943, S. 261. Zu Hamsterei: GStA Linz, 5. Juni 1944, S. 288; Schleicher, durchgehend dem Justizressort und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945. OLG-Präs. Linz, 7. Aug. 1944, S. 293. vorgestanden hatte — war eine mehr als 80 Vgl. etwa die steten Hinweise in den Grazer 102 GStA Linz, 5. Juni 1944, S. 285. einjährige Vakanz eingetreten, die den ge- Berichten ab Mitte 1943: S. 161, 167, 170–175 103 Ebenda. Die Lageberichte erwähnen Luftangrif- ringen Stellenwert deutlich macht, den und 178. fe auf Klagenfurt: S. 172, 175; Marburg/Drau: Hitler der Justiz zubilligte. Nachdem län- 81 OLG-Präs. Graz, 27. Nov. 1943, S. 170; vgl. S. 173; Graz: S. 175 f., 187, Linz: S. 269, gere Zeit der direkte Anschluss an auch GStA Innsbruck, 27. Jän. 1942, S. 69. 277 ff.; Ried und Wels: S. 296; Wien: S. 311, 82 GStA Wien, 1. Okt. 1944, S. 316. 314 ff., 324. Himmlers polizeilichen Machtapparat ge- 83 OLG-Präs. Wien, 4. Juli 1944, S. 312. 104 OLG-Präs. Innsbruck, 29. Juni 1942, S. 96. Das droht hatte, entschloss sich Hitler, das Mi- 84 GStA Linz, 5. Juni 1944, S. 286; vgl. auch GStA Sondergericht hatte auf 2 ½ Jahre Straflager statt nisterium doch wieder regulär zu beset- Innsbruck, 27. Jän. 1942, S. 69. auf die von der Staatsanwaltschaft geforderten zen, weil das reibungslose Funktionieren 85 OLG-Präs. Graz, 30. Nov. 1944, S. 187; vgl. fünf Jahre verschärftes Straflager gegen einen der Justizmaschinerie für die Stabilität der auch OLG-Präs. Linz, 11. Dez. 1944, S. 297. Polen erkannt. 86 Vgl. Gero Fischer, Die Situation der österreichi- 105 GStA Innsbruck, 29. Juli 1942, S. 104. „Inneren Front“ unabdingbar sei. Als Re- schen sprachlichen und ethnischen Minderhei- 106 Ebenda, S. 106 f. aktion auf Hitlers scharfe Justizpolemik ten, S. 360–371. 107 GStA Linz, 22. Apr. 1942, S. 239. im Frühjahr 1942 drohte man aus Berlin, 87 GStA Graz, 5. Feb. 1940, S. 119. 108 Ebenda, S. 238 f. die Chefpräsidenten „persönlich für die 88 Ebenda, S. 119 f. Dass diese Forderung ausge- 109 Ebenda, Anlagen S. 241–247. 110 Steuerung auch der einzelnen Verfahren in rechnet von Generalstaatsanwalt Meißner kam, So Staatssekretär Schlegelberger als interimisti- der im selben Jahr einen dringenden persön- scher Leiter des Ministeriums am 21. Mai 1942 ihren Bezirken verantwortlich“ zu ma- lichen Appell an Gürtner richtete, die Euthanasie in einem Schreiben an die Parteikanzlei — zi- chen. Damit dürften auch die letzten Reste zu stoppen, zeigt wie ambivalent die Motive sys- tiert nach Günter Gribbohm, Die Führerinforma- noch vorhandenen Kritikwillens bei poli- teminterner Kritik sein konnten. tionen des Reichsjustizministeriums, S. 154.

ranz in Denken und Handeln ausgezeich- Herbert Steiner-Förderpreise in Höhe von WIR GRATULIEREN net. i 2.500,– erhielten: Elisabeth Kuebler: Antisemitismusbe- kämpfung als gesamteuropäische Heraus- Der Militärkommandant von Wien Gene- Herbert Steiner-Preis 2004 forderung. Eine vergleichende Analyse ralmajor Karl Semlitsch, der auch im Ku- der Maßnahmen der OSZE und der ratorium des DÖW vertreten ist, feierte EUMC; seinen 60. Geburtstag. Den heuer erstmals vergebenen Herbert Claudia Kuretsidis-Haider: Verbrechen Steiner-Preis in Höhe von i 5.000,– er- an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern DÖW-Kuratoriumsmitglied Erich Hackl hielt Monika Neuhofer für ihre Arbeit vor Gericht. Die Engerau-Prozesse vor (Abschied von Sidonie, Die Hochzeit von „Ecrire un seul livre, sans cesse renouve- dem Hintergrund der justiziellen „Vergan- Auschwitz) wird mit dem Ehrenpreis des lé“. Jorge Sempruns literarische Aus- genheitsbewältigung“ in Österreich (1945 österreichischen Buchhandels für Tole- einandersetzung mit Buchenwald. bis 1955). Oktober 2004 5 VERANSTALTUNGENN

Vom 20. Oktober bis 3. November 2004 schen Überlebenden in den USA und in Zeit: Jeweils Mittwoch, 18.30 Uhr, Kurs- finden im Jüdischen Institut für Erwachse- Österreich von jeweils unterschiedlichen nummer: H 2214/AK, Gebühr: Euro 6,–, nenbildung (Praterstern 1, 1020 Wien) soziokulturellen Standpunkten aus. Anmeldung/Information: Tel.: 216 19 62, Vorträge zum Thema Erinnerungsarbeit Weiters stellen Mag. Barbara Zach und e-mail: [email protected]. statt: Hannah Landsmann ein Schulprojekt vor, Elizabeth Anthony, die im Auftrag des bei dem die SchülerInnen in ihrem subjek- Das Institut für Wissenschaft und Kunst Holocaust Memorial Museums die Vernet- tiven Geschichtsaufarbeitungsprozess pä- (Berggasse 17, 1090 Wien) veranstaltet am zung aller in den USA lebenden Überle- dagogisch begleitet wurden und das zu ei- 22. Oktober 2004 die Tagung Österreichi- benden koordiniert, und Roland Engel, der nem Folgeprojekt in Zusammenarbeit mit sche Kinder- und Jugendliteratur zwischen seinen Gedenkdienst in Washington D. C. dem Jüdischen Museum und dem Projekt Hakenkreuz, Widerstand und Exil, durch leistete, beleuchten die Arbeit mit jüdi- Letters to the Stars führte. die die in den Jahren 1938 bis 1945 er- schienene und von Österreicherinnen ver- fasste Literatur für Kinder sichtbar ge- WIR BETRAUERN macht werden soll. Dabei wird nicht nur jene Literatur betrachtet werden, die man Paul Rona (ursprünglich Rosenzweig), am 25. August 2004 im Alter von 78 als „nationalsozialistisch“ bezeichnen seit Anfang der neunziger Jahre ehren- Jahren. könnte, im Blickpunkt stehen vor allem amtlicher Mitarbeiter des DÖW, starb auch jene Bücher, die im Ausland erschei- am 25. Juni 2004 im Alter von 82 Jah- Der Komponist, Dirigent und Musik- nen mussten, weil sich ihre Urheberinnen ren. Paul Rona, Sohn einer aus der heu- pädagoge Prof. Erwin Weiss, Mitglied dem neuen Regime widersetzten bzw. aus tigen Slowakei stammenden jüdischen des DÖW-Kuratoriums, verstarb am politischen oder „rassischen“ Gründen kei- Familie, gelang es 1938 mit der Jugend- 13. September 2004 im 92. Lebensjahr. ne Möglichkeit mehr hatten, in Österreich Alija nach Palästina zu emigrieren. Fast Erwin Weiss flüchtete 1938 nach Frank- zu publizieren. alle seiner Familienangehörigen wurden reich und war ab 1939 in Großbritan- Weitere Informationen im Internet: ermordet. nien im Exil. http://homehobel.phl.univie.ac.at/~iwk. Er kehrte 1945 nach Wien zurück und Ing. Ernst Blaha, nach 1945 maßgeb- war 1960 bis 1978 Direktor des Konser- In Schloss Hartheim wurden in den Jahren lich am Aufbau der Israelitischen Kul- vatoriums der Stadt Wien. 2003 wurde 1940 bis 1944/45 nahezu 30.000 kranke tusgemeinde Wien beteiligt und 1972 ihm die Ehrenmedaille der Bundes- und behinderte Menschen als „lebensun- bis 1982 Chefredakteur des offiziellen hauptstadt Wien in Gold verliehen. wertes Leben“ ermordet. Die bis 11. No- Organs der IKG Die Gemeinde, starb vember 2004 im Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim (Schlossstraße 1, 4072 Alkoven) gezeigte Ausstellung Überwei- sung in den Tod. NS-„Kindereuthanasie“ Carl Szokoll (1915–2004) in Thüringen dokumentiert die NS-Eutha- Der Widerstandskämpfer und vielfach als „Retter Wiens“ apostrophierte nasieverbrechen in Thüringen und ihre a. D. Carl Szokoll verstarb am 25. August 2004 im Alter von 88 Jahren. Nachgeschichte in der DDR bis zur Aus- einandersetzung um die Ehrenbürgerschaft Carl Szokoll, geboren am 15. Oktober — Major , Hauptmann von Dr. Jussuf Ibrahim, einem in die Kin- 1915 in Wien, war an der Aktion des Alfred Huth und Oberleutnant Rudolf dermorde verwickelten Arzt. 20. Juli 1944 beteiligt, die nach dem Raschke — wurden von einem SS- Anschlag auf Hitler den politischen und Standgericht zum Tode verurteilt und Bis 13. Februar 2005 ist im Österreichi- militärischen Apparat in Wien zumin- am 8. April 1945 in Floridsdorf, Am schen Museum für Volkskunde (Garten- dest für kurze Zeit lahmzulegen ver- Spitz, öffentlich gehängt. palais Schönborn, Laudongasse 15–19, mochte. Nach Misslingen der Operation Nach Kriegsende betätigte sich Carl 1080 Wien) die Ausstellung Ur-Ethnogra- „Walküre“ blieb Szokoll unerkannt. Szokoll als Filmproduzent und Autor, phie. Auf der Suche nach dem Elementaren Gegen Kriegsende war er als Leiter der seine Erinnerungen veröffentlichte er in in der Kultur. Die Sammlung Eugenie militärischen Widerstandsgruppe im der Publikation Die Rettung Wiens Goldstern zu sehen. Die von der Volkskun- Wehrkreiskommando XVII maßgeblich 1945. Mein Leben, mein Anteil an der de bis vor kurzem totgeschwiegene Volks- an Vorbereitungen zur kampflosen Verschwörung gegen Hitler und an der kundlerin Eugenie Goldstern wurde 1942 Übergabe Wiens an die Rote Armee be- Befreiung Österreichs. Sowohl als Mit- aus „rassischen“ Gründen nach Izbica de- teiligt: Durch Zusammenarbeit mit den glied des DÖW-Kuratoriums als auch in portiert und umgebracht. sowjetischen Truppen, die bereits im zahlreichen Vorträgen an Schulen und Nahgebiet von Wien operierten, und die Universitäten setzte er sich für die zeit- Im Aktionsradius Augarten (Gaußplatz 11, gleichzeitige Entfesselung eines Auf- geschichtliche Aufklärung der Jugend 1200 Wien) wird am 19. Oktober 2004, stands sollten die Kämpfe in Wien abge- ein. 19.30 Uhr der Lyrikband An den Quell von kürzt und so die Zivilbevölkerung ge- Stella Rotenberg präsentiert. Der gebürti- schont werden. Die Planungen wurden Carl Szokoll wurde am 10. September gen Wienerin Stella Rotenberg gelang es von einem Spitzel verraten; drei an der 2004 in einem Ehrengrab der Stadt 1939 über die Niederlande nach Großbri- Widerstandsaktion beteiligte Offiziere Wien am Zentralfriedhof beigesetzt. tannien zu emigrieren. 6 Mitteilungen 168

Mikrofiche-Edition Hrsg. v. Wolfgang Form, Wolfgang Neugebauer, Widerstand und Verfolgung Theo Schiller in Österreich 1938 bis 1945 in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv bearbeitet von Esther Krähwinkel und Die Verfahren vor dem Wolfgang Form Volksgerichtshof und den 2004. 411 Fiches. 2 Lieferungen Oberlandesgerichten Wien und Graz inkl. Index. Lesefaktor 24x

Silber: i 2.980,– (ISBN 3-598-35625-0) Widerstand und Verfolgung in Österreich 1938 bis 1945 wendet sich an Diazo: i 2.450,– (ISBN 3-598-35624-2) Rechts- und Zeithistoriker sowie Politologen und an alle, die sich mit dem politischen Strafrecht während der NS-Zeit in Österreich und mit dem Wi- Index derstand gegen das NS-Regime beschäftigen. 2004. Geb. Ca. i 149,– (kostenlos f. Bezieher d. Mikrofiche-Edition) Bestellung beim K. G. Saur Verlag: ISBN 3-598-35626-9 www.saur.de

Bald nach dem „Anschluss“ Österreichs verlauf und den Durchhalteparolen der Oberlandesgerichte Wien und Graz — ge- 1938 setzte das NS-Regime die Strafjustiz NS-Propaganda war. trennt ediert. Innerhalb der einzelnen zur Bekämpfung und Unterdrückung poli- Vor dem Oberlandesgericht in Wien wur- Spruchkammern sind die Verfahren chro- tischer Gegner ein. Hochverrat, Landes- den annähernd 4.200 Personen in rund nologisch angeordnet. verrat und im Krieg auch Wehrkraftzer- 2.000 Prozessen angeklagt. Für Graz sind setzung waren die zentralen Delikte, die nur wenige Verfahren überliefert. Darüber Der mehrgliedrige Indexband enthält ei- man Widerstandsgruppen und politischen hinaus wurde vor dem Volksgerichtshof nen Namenindex der Angeklagten, einen Oppositionellen vorwarf. Strafrechtlich gegen über 2.000 Personen Anklage ge- Richter- und Staatsanwaltsindex mit Ver- verfolgt wurde alles, was als Angriff auf führt, denen Vergehen auf österreichi- weisungen auf die jeweiligen Verfahren, die so genannte „Innere Front“ betrachtet schem Boden vorgeworfen wurden. Ein einen Laienrichterindex sowie zwei Orts- wurde, aber auch Kontakte zu ausländi- Teil der Verfahren vor dem Volksgerichts- indices für die Wohnorte der Angeklagten schen Regierungen. hof ist bereits in der Mikrofiche-Edition und für die in den Urteilen vermerkten Die Anklageschriften und Urteile des Widerstand als „Hochverrat“ des K. G. Tatorte. Komplettiert wird der Erschlie- Volksgerichtshofs, des zentralen politi- Saur Verlags veröffentlicht worden, doch ßungsband durch eine Konkordanz der schen Gerichts im „Dritten Reich“, vor al- etwa 300 Prozesse werden nun zum ersten staatsanwaltschaftlichen und gerichtlichen lem aber die Akten des Oberlandesgerichts Mal dokumentiert. Aktenzeichen. Sie umfasst in separater in Wien sowie ab Oktober 1944 des Ober- Viele der Überlieferungssplitter konnten chronologischer Reihenfolge alle Öster- landesgerichts in Graz dokumentieren in erst durch intensive Recherchen im Bun- reich betreffenden Verfahren des Volksge- einzigartiger Weise Ausmaß und Qualität desarchiv Berlin, in Moskau, in staatli- richshofs und die des Oberlandesgerichts der nationalsozialistischen Strafverfol- chen österreichischen Archiven, bei den in Wien und des politischen Strafsenats in gung in Österreich. Behörden selbst und vor allem im Doku- Graz. Um die nationalsozialistische Ver- Mitglieder und Sympathisanten der Kom- mentationsarchiv des österreichischen Wi- folgung und den Widerstand in Österreich munistischen Partei Österreichs und ihrer derstandes zu einem Ganzen zusammen- vollständig zu dokumentieren, wurde in Unterorganisationen, Sozialdemokraten, gefügt werden und stehen nun für die Er- den Indices überdies auf Aktenzeichen Vertreter des politischen Katholizismus forschung der NS-Zeit in Österreich in ei- und Fichenummern jener Verfahren vor sowie legitimistischer Gruppierungen ge- ner bisher einmaligen Komplexität zur dem Volksgerichtshof verwiesen, die in rieten ebenso in die Mühlen der Justiz Verfügung. der Mikrofiche-Edition Widerstand als wie viele unpolitische Menschen, deren Um die Besonderheiten der jeweiligen „Hochverrat“ bereits veröffentlicht, aber Hauptschuldvorwurf z. B. eine wie auch Spruchpraxis nicht zu verwischen, wurden für die vorliegende Edition kein zweites immer sich äußernde Kritik am Kriegs- die Spruchkörper — Volksgerichtshof und Mal verfilmt wurden.

NEUES VON GANZ RECHTSN

Wunsiedl-Nachwehen (FIT) darüber, dass die „Ostmärker“ ihre Daraufhin meldeten sich „stellvertretend Grußworte zurückgezogen hätten, weil für Aktivisten und alte Kämpfer aus dem russische Neonazis auf der Demonstration Raum Wien und Niederösterreich“ Felix Nach der „Rudolf Heß Demonstration“ in das Wort ergreifen durften. Das sei ein Budin und Alexander Behrend, vormalige Wunsiedl (Bayern) vom 21. August 2004 „Fehler gewesen“: „Waren es doch da- Führungskader der neonazistischen Neuen scheint in der deutsch-österreichischen mals 100.000 Russen, die in der Wlassow- Jugend Offensive und 2002 Ordner auf der Neonazi-Szene wieder mal der Haussegen Armee mit dem deutschen Frontsoldaten Kundgebung gegen die „Wehrmachtsaus- etwas schief zu hängen. So empörte sich gegen den Bolschewismus gekämpft ha- stellung“ in Wien, zu Wort. Die angespro- das Freie Infotelefon Norddeutschland ben.“ chenen „Kameraden“ hätten gar kein Oktober 2004 7

Recht gehabt, „für sämtliche Zusammen- strafen würde. Um die eigene missliche Die Zeitschrift des Bundes freier Jugend hänge des kämpferischen Deutschtums in Lage zu verdeutlichen, fügte der BfJ eine (BfJ), eine „Kampfschrift der nationalen Österreich zu sprechen“. Behrend und „Liste jener, die sich zu den Opfern dieser Jugend in Österreich“, erscheint in neuer Budin, beide immer noch in der Neonazi- Justiz zählen können“, Aufmachung, Szene aktiv, halten fest, dass es „billig“ an: „Herbert Schweiger, die stark an das sei, „die Vertreibungsverbrechen und Lisbeth Grolitsch, Dipl.- August/September 2004 neonazistische Morde als Argument für den Ausschluss Ing. Wolfgang Fröhlich, Blatt Volk in Be- Gutwilliger heranzuziehen [...]. Denn Walter Ochensberger, Franz Radl, Robert wegung erinnert. Dessen Herausgeber würde man dieser Linie folgen, hätten Dürr, Gottfried Küssel, Dr. Bruno Haas, Lars Käppler trat zuletzt beim „Tag der Franzosen, Italiener, Belgier und viele an- Dr. Hermann Plessl, Fritz Rebhandl, Gerd volkstreuen Jugend“ in Wels als Referent dere auch nichts auf unseren Veranstal- Honsik, Günter Reinthaler usw. und nicht in Erscheinung. Auch in inhaltlicher tungen zu suchen. Rudolf Heß dachte, zuletzt Kamerad Konrad Windisch, der Hinsicht scheint der BfJ nun alle takti- sprach und lebte konsequent, dies dürfen wegen dem Satz ‚Licht wird wieder wer- schen Rücksichtnahmen auf das NS-Ver- wir wohl auch von denen verlangen, die den‘ im ‚freien‘ Österreich wegen 3 g ver- botsgesetz hinter sich gelassen zu haben. sein Andenken hochhalten. Rudolf Heß urteilt wurde, sind nur eine Auswahl der So wird der nach Spanien geflohene Neo- opferte sein Leben auf dem Altar des bekanntesten Namen.“ Vor diesem Hinter- nazi Gerd Honsik zustimmend zitiert. Mit Vaterlandes, nicht nur, um dem deutschen grund wirbt der BfJ für Verständnis: Herbert Schweiger findet sich der Chef- Volk zu helfen, sondern auch, um den eu- „Ganz egal, ob sich Kameraden aus Ös- ideologe der deutschsprachigen Neonazi- ropäischen Völkern das Überleben zu si- terreich als deutsche Österreicher oder Szene unter den Autoren des Jugend chern. Als solch eindrucksvolle Person Ostmärker sehen und bezeichnen: Sollten Echos. Und BfJ-Kader schreiben nun of- wird Rudolf Heß weltweit gesehen und sie, nur um Leuten zu gefallen, die die fen vom „totalen Freiheitskampf jedes verstanden, daher ist es nicht angebracht, skandalöse Gesetzeslage nicht richtig ken- einzelnen Volksangehörigen“. (S. 3) Gutwillige vor den Kopf zu stoßen. Wir nen oder beurteilen, in Messers Schneide Schließlich wird in einem Text der „natio- halten jedoch auch fest, dass wir selbst- laufen??“ nalsozialistische[n] Erhebung im Jahre verständlich von berechtigten Territorial- Nachdem das DÖW die aktuelle Ausei- 1934 in Österreich“ gedacht. (S. 6 f.) forderungen des deutschen Volks nicht ab- nandersetzung in der deutsch-österreichi- gehen werden und ein Verbrechen wie die schen Neonazi-Szene öffentlich gemacht Vertreibung auch weiterhin ein Verbre- hatte, sandte der BfJ noch eine „abschlie- Reisegger bei FPÖ-Frauen chen nennen werden.“ ßende“ Stellungnahme zur „Grußwortdis- In einer Antwort auf Budin und Behrend kussion“ aus. Darin beschwert man sich Laut der September-Ausgabe des ÖLM- mokiert sich das FIT darüber, dass die bei- darüber, „dass das DÖW solche Diskus- Organs Der Eckart hat die Initiative Frei- den von Österreich und nicht von der sionen — welche im Grunde auf diese Art heitlicher Frauen niemand Geringeren als „Ostmark“ geschrieben haben. Wie über- gar nicht geführt werden dürften! — hän- Gerhoch Reisegger zu einem Vortrag in haupt es „weh“ getan hätte, „dass einige dereibend beobachtet, um es in späteren ihren „Club 3“ geladen. Reisegger, rechts- Ostmärker meinten, sie müssten auf ihren gesinnungsinquisitorischen Prozessen ge- extremer Verschwörungstheoretiker mit roten T-Hemden ‚Österreich‘ stehen haben gen die genannten Personen und Gruppen Kontakten zum organisierten Neonazis- oder gar die Staatsflagge (20-fach) von als Totschlagargument einzusetzen“. Der mus, soll am 21. September 2004 über die Österreich zu zeigen. Man hat sich bereits BfJ betont dann noch einmal, dass man wahren „Hintergründe der Globalisie- damit abgefunden und die Alliierten haben nur vor dem Hintergrund des Verbotes na- rung“ referieren. das erreicht, was sie wollten — Kein eini- tionalsozialistischer Wiederbetätigung von Reisegger sieht die Globalisierung nicht ges und starkes deutsches Volk mehr ...“ der Verwendung des Begriffes „Ostmark“ als ökonomischen Prozess, sondern als das Und das auf einer Demonstration im An- Abstand nimmt: „Wer Ostmark schreibt Werk von „Globalisierern“, die im Hinter- denken an den Hitler-Stellvertreter. oder sagt, kann angesichts dieser Tatsache grund die Fäden ziehen würden. Dass es Demgegenüber die deutschen Prinzipien- nur einen Erfolg verzeichnen: Die beste vom Verschwörungsmythos nicht weit reiter: „Rudolf Heß war derjenige, der Arbeit für den ‚Verfassungsschutz‘ zu leis- zum Antisemitismus ist, belegte er vor ei- sich mit aller Kraft dafür einsetzte, dass ten. Besser und wertvoller, als es jeder niger Zeit in einem Aufsatz für die rechts- Österreich wieder dem deutschen Reich Spitzel, Spalter, Provokateur jemals ma- extremen fakten: „Der alte Traum der angeschlossen wird. Für ihn gab es kein chen könnte.“ Kosmopoliten [der Juden und Jüdinnen], Österreich und wo die Kameraden gerade mit Hilfe des Geldes den Bibelauftrag, die im Sinne von Rudolf Heß sprechen wollen, ganze Welt zu beherrschen, zu verwirk- wäre es wohl angebrachter gewesen, sie Jugend Echo in lichen, scheint mit dem Instrument der würden in ihren Schriften nicht das Wort Bayern beschlagnahmt Globalisierung in greifbare Nähe gerückt ‚Österreich‘ verwenden. Das tat Rudolf zu sein.“ (fakten 6/2002, S. 7) Heß auch nicht.“ Daraufhin meldete sich auch der Bund Aufgrund der Verwendung von Kennzei- freier Jugend (BfJ) zu Wort. Dieser will es chen verfassungswidriger Organisationen Nazi-Parole in Zur Zeit nicht auf sich sitzen lassen, dass es „sich wurde eine Ausgabe des Jugend Echos bei Deutschen aus dem Süden, die sich von bayrischen Behörden beschlagnahmt. In Zur Zeit (38-39/2004, S. 26), der Wo- ‚Österreicher‘ nennen, um Prinzipienlose Bei der Neonazi-Demonstration im An- chenzeitung des FPÖ-Europaparlamenta- und Halbherzige [handle]“. Darum erin- denken an Rudolf Heß in Wunsiedl wur- riers Andreas Mölzer, lässt ein Autor sei- nert der BfJ an das NS-Verbotsgesetz, das den am 21. August zwei Personen, die die nen antisemitischen Text mit der national- angeblich „jede Verwendung des Begriffes inkriminierte Ausgabe verteilt hatten, ver- sozialistischen Parole „Deutschland erwa- Ostmark ohne Ausnahme mit Kerker“ be- haftet. che!“ enden. Das DÖW hat diesen mut- 8 Mitteilungen 168 maßlichen Verstoß gegen das NS-Verbots- gesetz umgehend zur Anzeige gebracht. Edith Chinna, Wien, Unter dem Kürzel E. B. setzt sich der geboren am Autor mit dem „neue[n] Medienmogul 30. April 1901 Deutschlands“, Haim Saban, auseinander. Der „in Israel aufgewachsene Saban“ sei Weil sie auf ihrem seit der Übernahme von Pro7/Sat.1 der „größte Meinungsmacher in deutschen Krankenschein den Lande [sic!]“. Für den Zur Zeit-Autor geht „Zusatznamen ‚Sara‘“ es nicht an, dass ein Jude „nun auch in un- nicht anführte und seren Gefilden ‚Meinung‘“ mache, wes- Nicht mehr anonym „arische“ Ärzte halb er abschließend „Deutschland erwa- konsultierte, wurde die che!“ schmettert. Über 3.200 Fotos aus der aus rassistischen Dieser Aufruf findet sich erstmals im 1922 Erkennungsdienstlichen Kartei „Adolf Hitler zugeeigneten“ Lied „Sturm, Gründen verfolgte Sturm, Sturm“: „Läutet, dass Funken zu der Gestapo Wien und Edith Chinna sprühen beginnen, Judas erscheint, das Kurzbiographien der Opfer im Internet am 5. Dezember 1942 Reich zu gewinnen“. festgenommen. Im 1937 ebenfalls dem „Führer“ gewid- Gegen sie wurde meten Lied „Heil Hitler Dir!“ heißt es: www.doew.at „Abgabe in ein KZ“ „Deutschland erwache aus deinem bösen Traum! Gib fremden Juden in deinem Die Kartei, die aus Beständen des Wiener beantragt. Reich nicht Raum! [...] All diese Heuchler, Stadt- und Landesarchivs stammt, wurde 2001 Edith Chinna kam wir werfen sie hinaus, Juda entweiche aus im DÖW eingescannt und in einer Datenbank am 22. Februar 1943 unserm deutschen Haus!“ erfasst. in Auschwitz um. Die deutschen Behörden führen „Deutsch- Fehlende Fotos konnten teilweise aus den land erwache!“ heute unter verbotenen Beständen des DÖW ergänzt werden. NS-Parolen und Grußformen.

REZENSIONENN

Fritsche, Maria: Entziehungen. waren, wenngleich sie Stereotypisierun- analysiert wird. Neben den Schmähungen Österreichische Deserteure und gen ablehnt: „Zusammenfassend lässt sich und Diskriminierungen sowohl im All- Selbstverstümmler in der Deutschen feststellen, dass Deserteure häufig junge, tags- als auch im öffentlichen Diskurs, . Wien–Köln–Weimar: eigenständige Individualisten waren, die konnte sich der Staat Österreich bis heute Böhlau Verlag 2004. 284 S. über eine von der bürgerlichen Norm ab- nicht durchringen, die von der NS-Militär- weichende Biographie verfügten. Es wa- justiz gefällten Unrechtsurteile kollektiv ren einerseits lebensbejahende Persönlich- aufzuheben, wiewohl diese Soldaten für „Entziehungen“ — darunter versteht die keiten, die sinnentleerte Begriffe wie Ehre eine nicht-österreichische Armee kämpf- Historikerin und Politikwissenschafterin oder Disziplin, im Namen derer sie leiden ten und die Wehrmachtsjustiz allen Prin- Maria Fritsche all jene Wehrmachtssolda- oder gar sterben sollten, mit Skepsis be- zipien demokratischer Rechtsstaatlichkeit ten, die sich aus unterschiedlichsten Moti- trachteten.“ (S. 31, kursiv im Original). Im spottete. Besonders uneinsichtig zeigt(e) ven entweder durch Desertion oder Selbst- nächsten Abschnitt lenkt Fritsche den Fo- sich der Sozialminister der vergangenen verstümmelung vom Dienst in der natio- kus auf das soziale Umfeld der Deserteu- und aktuellen Bundesregierung, Herbert nalsozialistischen Armee entfernten. Die re, wobei sie sowohl HelferInnen als auch Haupt, bei der sozialrechtlichen Gleich- vorliegende Studie ist die Erste, die sich im Gegensatz dazu DenunziantInnen unter stellung von überlebenden Deserteuren umfassend mit „fahnenflüchtigen“ öster- die Lupe nimmt und die Thematik der beziehungsweise deren Hinterbliebenen reichischen Wehrmachtssoldaten beschäf- „Sippenhaftung“ in Bezug auf desertierte mit jenen Wehrmachtsangehörigen, die tigt, und schließt somit ein langjähriges Wehrmachtssoldaten exkursorisch behan- sich am nationalsozialistischen Vernich- Forschungsdesiderat. Als Quellenmaterial delt. Die relativ breite Besprechung der tungskrieg bis zur endgültigen Kapitula- zieht Fritsche neben bereits publizierter Wehrmachtsjustiz und des - tion beteiligten. Die Autorin war selbst Fachliteratur und schriftlichen Lebens- strafvollzugs — zwei von der einschlägi- eine jener WissenschafterInnen, die ab den erinnerungen auch von ihr geführte Inter- gen Forschung über Jahrzehnte vernach- späten neunziger Jahren gemeinsam mit views mit überlebenden Deserteuren und lässigte Felder — führt eindrücklich die engagierten PolitikerInnen von den Grü- entsprechende Wehrmachtsgerichtsakten brutalen und die Menschenwürde verach- nen diese Problematik in den Bereich der heran. tenden Konsequenzen für aufgegriffene öffentlichen Aufmerksamkeit und auf die Eingangs zeichnet die Autorin verschiede- Deserteure vor Augen. politische Agenda brachten. ne Ursachen, Formen und Kontexte der Damit spannt sich der Bogen zu den ab- In der vorliegenden Publikation soll „den „Fahnenflucht“ nach und arbeitet sozial- schließenden Kapiteln des vorliegenden gerade in öffentlichen Diskussionen auf- psychologische Aspekte heraus, die für Buches, in denen der Umgang mit Deser- tauchenden Pauschalierungen und der ten- desertierende Soldaten ausschlaggebend teuren in der „Opferrepublik Österreich“ denziellen Mythologisierung von Deser- Oktober 2004 9 teuren“ (S. 18) entgegengetreten werden, Bewachung und Unterbringung über die lichkeit zugänglich gemacht wird, sondern was vor allem die Frage betrifft, ob jede Versorgung und Arbeitseinsätze bis zu den dass auch subtile Beziehungen zwischen Desertion per se einen Widerstandsakt Außenkontakten und Glaubensaktivitäten. der spezifischen KZ-Vergangenheit von darstelle. Die klare, auf die Faktenanalyse Der Herrschaft der SS, den Interaktionen absolut bibeltreuen Frauen und der Ge- konzentrierte Sprache Fritsches unter- mit anderen Häftlingen und den Bewa- genwart „weiblicher Vergangenheitsbe- streicht dieses Anliegen deutlich. Durch chern, der Befreiung und den verschlunge- wältigung“ nachvollziehbar gemacht wer- die zahlreichen fundiert recherchierten nen Wegen der Rückkehr der Zeuginnen den. P. G. Einzelfallbeispiele gewinnt das Buch an Jehovas in ihre Heimatländer sind eigene Plastizität. Die — Vergleichsmomente mit Abschnitte gewidmet. der Bundesrepublik Deutschland aufzei- In mühevoller und liebevoller Erhebungs- Schafranek, Hans, Johannes Tuchel gende — Besprechung des Umganges detailarbeit zeichnet die Autorin ein an- (Hrsg.): Krieg im Äther. Widerstand mit „fahnenflüchtigen“ österreichischen schauliches Bild vom Leben und Überle- und Spionage im Zweiten Weltkrieg. Wehrmachtssoldaten in der Zweiten Re- ben dieser Frauen, die als „Bibelforsche- Wien: Picus 2004. 376 S. publik belegt die politische und gesell- rinnen“ in den Niederlanden, in Belgien, schaftliche Aktualität des von Maria in Deutschland, Österreich und Polen ver- Spionagethriller kommen, wenn sie gut Fritsche hervorragend bearbeiteten Ge- folgt, inhaftiert, drangsaliert und von den geschrieben sind, auf die Bestsellerlisten genstandes. L. K. Repräsentanten des NS-Systems in erpres- und werden manchmal verfilmt. Wissen- serischer Weise in Versuchung geführt schaftler, die ihre Arbeiten gestützt auf wurden, ihrem Glauben an die einzige Dokumente verfassten, legen in diesem Farkas, Anita: Geschichte(n) ins Herrschaft Gottes Jehova abzuschwören. Sammelband wirklich spannende Arbeiten Leben holen. Die Bibelforscherinnen Die Methode beruht zum Großteil auf bio- vor, die sich zum Teil wie die oben er- des Frauenkonzentrationslagers graphischen Forschungen der Autorin, die wähnten Bestseller lesen. Doch es geht St. Lambrecht. Graz: CLIO Verlag nicht nur in verschiedenen Archiven, son- hier nicht nur um interessante Geschich- 2004. 256 S. dern auch in den Niederlanden recher- ten, sondern auch um einen neuen Blick chiert hat, wo noch einige der ehemaligen auf die Zeitgeschichte, der erst durch den Die vorliegende Arbeit stammt aus einem Häftlingsfrauen leben und gesprächsbereit Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ Projekt zur Rekonstruktion eines relativ waren. Diese überlebenden Zeitzeuginnen und die Öffnung seiner Archive möglich unbekannten Nebenlagers von Mauthau- sind zumeist noch niemals befragt wor- wurde. sen, das als Nebenlager des Frauenkon- den, weshalb ihre „Zeugnisse“ hier erst- Heute scheint uns die Frage, ob es denn zentrationslagers Ravensbrück gegründet mals an die Öffentlichkeit gelangen. Dass gerechtfertigt war, als Deutscher oder Ös- wurde. Die Studie ist jenen 23 Bibelfor- es — in unterschiedlichem Ausmaß und terreicher mit ausländischen Mächten zu- scherinnen (Zeuginnen Jehovas) aus fünf Umfang — gelang, allen 23 ehemaligen sammenzuarbeiten, um zum Sturz des Na- Nationen gewidmet, die von Mai 1943 Häftlingsfrauen einen Namen und ein per- tionalsozialismus einen Beitrag zu leisten, bis zur Befreiung durch die britische sönliches „Gesicht“ zu geben, kann als das überflüssig. Doch man überlege sich, wel- Armee im Jahre 1945 im KZ des Stiftes hervorstechendste Ergebnis dieser Studie che Überwindung es einen monarchisti- St. Lambrecht in der Steiermark inhaftiert angesehen werden. Hier knüpft die Auto- schen oder konservativen Offizier gekos- waren. rin erfolgreich an ihre frühere Forschungs- tet haben muss, „gegen sein eigenes Land“ Für die bisherige KZ-Forschung ist dieses arbeit an, Sag mir, wer die Toten sind! Per- tätig zu werden. Heute zweifelt — außer Buch, als Dissertation an der Universität sonalisierung des Opfergedenkens — ein den Rechtsextremen — niemand mehr, Klagenfurt eingereicht und für die Publi- Beitrag zur Gedenkstättenarbeit in der dass diese Zusammenarbeit nicht nur legi- kation überarbeitet und erweitert, als ein Steiermark am Beispiel der NS-Opfer von tim, sondern in manchen Fällen auch Meilenstein zu betrachten, weil es zwei Peggau (Drava Verlag, Klagenfurt/Celo- kriegsverkürzend und so Menschen ret- Gesichtspunkte betont, die bisher oft ver- vec 2002), und kann hinsichtlich des tend war. Aus den Beiträgen wird aber nachlässig wurden: die geschlechtsspezifi- Schicksals der Lebenden und Überleben- ebenso klar, dass nicht nur die Sowjet- sche Situation einer bestimmten Opfer- den kompetent Auskunft geben. union gravierende Fehler beim Einsatz ih- gruppe, die aus religiösen Bekenntnis- Die Spätfolgen der KZ-Haft auf die rer Agenten machte, sondern auch die bri- gründen interniert wurde, und die Situa- Frauen werden differenziert eingeschätzt tischen Dienste nicht immer so brillant ge- tion in einem kleinen, „unspektakulären“ und bewertet. Im Vergleich zu vielen KZ- wirkt haben, wie uns das Filme und Bü- Nebenlager, das in ländlicher Abgeschie- Deportierten anderer Häftlingskategorien cher weismachen wollen. denheit auf einem ehemals kirchlichen konnten die Bibelforscherinnen offenbar Welche Gefahr es für einen aus Österreich Herrschaftsbesitz errichtet wurde. Ein ein beachtliches Ausmaß an identitätssta- geflüchteten Juden, für einen niederländi- kleiner Teil dieses von den Nazis enteig- bilisierenden Faktoren mobilisieren und schen Kaufmann oder einen desertierten neten Stifts wurde zu Konzentrations- auch unter schwierigen Lagerbedingungen Wehrmachtsangehörigen bedeutete, als lagern (für Männer und Frauen) umfunk- psychische Traumatisierungen für sich in Fallschirmspringer in seiner Heimat ein- tioniert; der größere Teil diente der SS zu Grenzen halten. Das lässt sich daraus gesetzt zu werden, kann man sich heute Zwecken der „Forschung“ und Erholung. schließen, wie die KZ-Ereignisse im per- schwer vorstellen, und doch gab es Anti- Im Detail geht Anita Farkas den Fragen sonalen bzw. kollektiven Gedächtnis der faschisten und Patrioten, die dazu bereit nach, weshalb die Belegung mit 23 Häft- befragten Zeuginnen Jehovas gespeichert, waren, oft auch ihr Leben dabei verloren. lingsfrauen der Kategorie „Bibelforsche- durch die Jahre hindurch verarbeitet und Der einleitende Text von Peter Steinbach rinnen“ konstant blieb und wie sich den- heute der Forscherin erzählt wurden. (Karlsruhe) setzt sich kritisch mit jenen noch die Strukturen der überall vorhande- Dem CLIO-Verlag ist zu danken, dass mit langlebigen Tendenzen in der geschichts- nen „Lagergesellschaft“ als eine Art Mik- dieser Veröffentlichung nicht nur eine re- wissenschaftlichen Forschung auseinan- rokosmos herausbilden konnten, von der gionsspezifische KZ-Studie der Öffent- der, die den von außen — d. h. aus dem 10 Mitteilungen 168

Exil oder den alliierten Kriegsgefangenen- Ich habe diesen Sammelband, an dem lagern — geführten Kampf gegen das NS- 14 Autoren mitgewirkt haben, fasziniert Brandauer, Ernst: Die Rose wird Regime aus der Gesamtgeschichte des gelesen und kann ihm nur eine möglichst blühen. Roman über den Widerstand Widerstandes auszugrenzen versuchten, weite Verbreitung wünschen. gegen das NS-Regime in Österreich. was häufig mit massiven politischen Dif- K. P Wien: Edition Atelier 2004. 184 S. famierungen einherging und eine stark verzerrte, teils von den Feindbildprojek- Der vorliegende Roman, dessen Protago- tionen des Kalten Krieges aufgeladene Röpke, Andrea, Andreas Speit (Hrsg.): nist — der 17-jährige Wiener Mittelschü- Optik schuf. Braune Kameradschaften. Die neuen ler Franz Seiler — nach dem „Anschluss“ Etwas mehr als die Hälfte der Beiträge be- Netzwerke der militanten Neonazis. Österreichs 1938 Kontakt zu einer Gruppe schäftigt sich mit den Aktivitäten der sow- Berlin: Ch. Links Verlag 2004. 208 S. patriotisch gesinnter Menschen aufnimmt, jetischen Nachrichtendienste in verschie- die „sich wieder eine freie Heimat wün- denen europäischen Ländern während der Deutschlands rechtsextreme Szene befin- schen“, spiegelt weitgehend die persönli- Kriegsjahre. Besonders spannungsvoll ist det sich in einem Umgruppierungsprozess. che Geschichte des Autors wider. der Beitrag von Peter Huber (Genf), der Die „Freien Kameradschaften“ sind im Zentrales Ereignis ist seine Mitarbeit in ei- sich mit der wichtigen Funktion, die die Vormarsch begriffen. Was rechtsextremen ner Widerstandsgruppe in Wien, die aus Schweiz bereits vor dem Zweiten Welt- Parteien „in mehreren Jahrzehnten nicht dem Blickwinkel des Historikers un- krieg im strategischen Kalkül verschiede- gelungen ist, haben die brauen Kamerad- schwer als eine der drei Österreichischen ner Apparate der Komintern und des schaften in kürzester Zeit geschafft: brei- Freiheitsbewegungen — Roman Karl NKWD sowie des GRU (Militäraufklä- ten Zulauf unter jungen Leuten und Auf- Scholz, Lederer, Kastelic — zu erkennen rung) innehatte, befasst. Er schildert den bau von lokalen Gruppen. Der Weg dort- ist: so wird im Roman die Gruppe durch Fall des konservativ katholischen deut- hin führt über eine spezifische ‚rechte Er- den Schauspieler Oskar Weichmann (in schen Emigranten Rudolf Rössler, der lebniswelt‘, von Partys, Fußball und der Realität durch den Burgschauspieler während des Zweiten Weltkrieges mit dem Rechtsrockkonzerten angefangen bis zu Otto Hartmann) verraten, Franz Seiler ist sowjetischen Geheimdienst zusammenar- Polit-Aufmärschen und Wehrsportübun- wie viele Mitglieder der besagten Frei- beitete, und dessen tragisches Schicksal gen“. (S. 38) heitsbewegungen jahrelang im Zuchthaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Peter Erler Das als Reaktion auf neonazistisch moti- Anrath (Deutschland) inhaftiert. Während (Berlin) geht den abenteuerlichen Schick- vierte Angriffe, denen laut Röpke und zwölf Mitglieder der Widerstandsgruppe salen deutscher Kommunisten nach, die in Speit von 1990 bis 1995 69 Menschen im Roman zum Tode verurteilt und hin- den dreißiger Jahren und im Zweiten zum Opfer fielen (S. 18), verhängte Verbot gerichtet werden, wird Franz Seiler begna- Weltkrieg in China bzw. Persien als Agen- einiger rechtsextremer Gruppen führte zur digt. Zur deutschen Wehrmacht einge- ten der sowjetischen Geheimdienste ope- Suche nach einem neuen Organisations- zogen, wird er an die Ostfront versetzt rierten. modell: „Statt erneut eine Partei zu grün- und kommt schwer verletzt nach Wien zu- Ein zweiter Schwerpunkt des Buches be- den, die wieder verboten werden könnte, rück. steht in der exemplarischen Untersuchung entwickelten sie das Konzept von lokalen Eingebettet in diese sehr persönlich ge- nachrichtendienstlicher Strukturen des Kameradschaften, die regional durch ‚Ak- fasste Biographie sind Reflexionen zum NS-Regimes und der Bekämpfung ver- tionsbüros‘ verbunden sind“. (S. 19) Leben in einer Diktatur und unter vielfälti- schiedener Widerstandsbewegungen. Heute bestehen „über 160 Kameradschaf- gem Terror, zur Bestialität des Krieges, Wolfgang Neugebauer (Wien), der einen ten, die jeweils etwa 5 bis 30 Aktivisten zur Besinnung auf österreichische Eigen- Überblick zur Struktur, Tätigkeit und Effi- vereinen, mehrheitlich im Alter zwischen art gegenüber den „Preußen“ und anderes zienz des NS-Systems in Österreich prä- 18 und 35 Jahren“. (S. 21) mehr. Die Stärke dieser Publikation liegt sentiert, wirft ein neues Licht auf manche Im Kapitel „Rechtsrock fürs Vaterland“ dabei vor allem in der Authentizität der Probleme der Zeitgeschichte, zum Bei- wird auf den zentralen Stellenwert der Darstellung — das Buchmanuskript wur- spiel auf die Behauptung, dass Österrei- Neonazibands eingegangen.( S. 67 ff.) de schon im Jahre 1947 verfasst —, die cher angeblich über ihren Prozentsatz im Das „musikalische“ Netzwerk Blood and Einsichten in die Stimmung und Lage Deutschen Reich bei dem Massenmord an Honour etwa hat „in über 25 Ländern ei- Österreichs unter dem NS-Regime zu ver- Juden tätig waren; er erklärt auch, warum gene „Divisionen“. (S. 168) mitteln vermag. es nach dem „Anschluss“ zu solchen ju- Die Herausgeber halten in einem Epilog B. E. L. denfeindlichen Ausschreitungen gerade in zu Recht fest, dass es keine „Patentre- Österreich kam. zepte“ gegen den Rechtsextremismus gibt. Die Verflechtung von Spionage- und Wi- „Nur vielfältige Gegenstrategien, die in- . derstandsaktivitäten in den besetzten Nie- nerhalb der Gesellschaft verankert sind, Fiereder, Helmut: Allgemeine derlanden analysiert Hans Schafranek können eine politische Auseinanderset- Ortskrankenkasse in Oberdonau. (Wien) in seinem Aufsatz über das so ge- zung mit Antisemismus, Rassismus und Die soziale Krankenversicherung in nannte „Englandspiel“, bei dem es der Ab- Neonazismus vorantreiben, wenn sie de- Oberösterreich von 1935 bis 1947. wehr und Sicherheitspolizei Den Haag ren gesellschaftliche Bedingungen nicht Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag gelang, mittels entschlüsselter Funkcodes ausblenden“. (S. 180) Schade nur, dass 2004. 158 S. im Namen gefangener niederländischer eben diese Rahmenbedingungen — Mas- Agenten zwei Jahre hindurch zahlreiche senarbeitslosigkeit, Präkarisierung der Ar- Helmut Fiereder hat mit seiner Aufarbei- „Funkspiele“ mit der SOE (britischer beitsverhältnisse, Abbau des Sozialstaats tung der Geschichte der Allgemeinen Geheimdienst) durchzuführen und viele — in dem sonst gut recherchierten Buch Ortskrankenkasse in Oberdonau die erste weitere Funk- und Fallschirmagenten zu kaum vorkommen. Buchpublikation vorgelegt, die die Aus- ergreifen. H. D. wirkungen der nationalsozialistischen Ge- Oktober 2004 11 waltherrschaft auf die soziale Kranken- und Heidel herausgegebene Buch versam- zweiten Wehrmachtsausstellung“. Wäh- versicherung darstellt. Die vorliegende melt 29 Beiträge, die sowohl Einzel- rend die alte Ausstellung den offiziellen Arbeit untersucht die Geschichte der All- schicksale der Emigranten nachzeichnen Geschichtsmythos von der sauberen gemeinen Ortskrankenkasse für Oberdo- als auch die Emigration jüdischer Ärztin- Wehrmacht in Frage stellte und die NS- nau (AOK), ihrer Vorläufer in Oberöster- nen und Ärzte in einem breiteren themati- Geschichte als Familiengeschichte insze- reich, darunter vor allem der Arbeiterkran- schen Zusammenhang betrachten. Der nierte, stellt die neue ein Stück deutscher kenkasse in Linz, sowie ihres Nachfolgers analytische Schwerpunkt des Sammelban- Konsensgeschichte dar — als Produkt ei- nach 1945, der Oberösterreichischen Ge- des liegt dabei auf der Untersuchung des ner sich selbst als geläutert erklärenden bietskrankenkasse (GKK). Einflusses, den die Emigranten auf die Nation, der die Wehrmacht nicht als Quer- Während man in Österreich nach 1934 die Entwicklungstendenzen in der Sozialpoli- summe der deutschen „Volksgemein- in der Zeit der demokratischen Republik tik, die ärztliche Betreuung und medizini- schaft“ gilt, sondern die sich in der Kritik bereits eingeleiteten Prozesse Kassenkon- sche Forschung der Aufnahmeländer aus- (wieder) auf einige wenige Spitzenmili- zentration, Ausrichtung des gesamten Sys- übten. tärs beschränkt. Heer kritisiert dabei ins- tems der Sozialversicherung nach berufs- Die Palette der Aufnahmeländer umfasst besondere, dass in der neuen Ausstellung ständischen Prinzipien und abgeleitete Großbritannien, Israel, die Türkei, die die einzelnen Wehrmachtssoldaten im Selbstverwaltung unter den Vorzeichen USA, Shanghai, Venezuela und Mexiko, Prinzip nicht mehr vorkommen und sogar des autoritären Ständestaates zu einem ge- Australien und die UdSSR. Das Haupt- das Wort Täter möglichst sparsam ver- wissen Abschluss brachte, stellten die na- anliegen der Emigranten war es, ihr fach- wendet wird. Damit werden zugleich die tionalsozialistischen Machthaber ab 1933 liches Wissen und ihre Fertigkeiten in die Grundthesen der alten Ausstellung — die das gesamte System der deutschen Sozial- Medizin der Gastländer einzubringen. Die Fusion von Regime und „Volksgemein- versicherung unter die Prämissen Führer- Reaktionen auf dieses Bemühen waren schaft“, die antisemitische Ideologie wie prinzip und Rassismus. Der Schwerpunkt sehr unterschiedlich und reichten von ei- die freiwillige Zustimmung großer Teile der Untersuchung liegt auf der Darstel- ner hilfreichen Aufnahme bis hin zu er- der Wehrmacht als materielle und mentale lung der sozialen Krankenversicherung in niedrigender Ablehnung. Die einzelnen Basis des Vernichtungskriegs — negiert. Oberösterreich in der Zeit der NS-Gewalt- Beiträge enthalten eine ausführliche Bib- Heers überaus lesenswerte Darstellung herrschaft. Besondere Bedeutung kommt liographie und erhöhen durch die beigege- überzeugt neben der faktensatten und prä- hier der Angleichung der österreichischen benen Bilddokumente die Lesbarkeit. Zu- zisen Argumentation vor allem durch den Sozialgesetze an das Reichsrecht nach sammenfassend kann man feststellen, dass deutlich vernehmbaren Willen zur wissen- dem so genannten „Anschluss“ zu, sowie durch die Vertreibung und Ermordung von schaftlichen Kontroverse und damit den auch der Einführung des deutschen So- Ärztinnen und Ärzten jüdischer Abstam- Widerspruch gegen ein nationalfunktiona- zialrechts in die an die Reichsgaue Ober- mung die Medizin in Deutschland und Ös- les Geschichtsbild. und Niederdonau angeschlossenen süd- terreich wertvolle intellektuelle Ressour- Sa. S. böhmischen Bezirke. Die Auswertung der cen verloren hat. Nur in den seltensten historischen Dokumente wirft auch ein Fällen haben aber die Gastländer dieses Licht auf die „Arisierung“ der AOK Ober- wertvolle Potenzial der emigrierten Ärz- donau und der Vertragsbeziehungen zu tinnen und Ärzte für sich genützt. den Ärzten. Im dritten Abschnitt wird so- O. M. dann ein Überblick über den Wiederauf- bau des demokratischen sozialen Kran- kenversicherers GKK nach der Befreiung des Landes von der NS-Gewaltherrschaft Heer, Hannes: Vom Verschwinden der in den Jahren bis etwa Frühsommer 1947, Täter. Der Vernichtungskrieg fand den Zeitpunkt der Einführung des öster- statt, aber keiner war dabei. Berlin: reichischen Sozialversicherungs-Überlei- Aufbau-Verlag 2004. 395 S. tungsgesetzes (SV-ÜG), geboten. O. M. Die 1995 erstmals präsentierte Ausstel- lung Vernichtungskrieg. Verbrechen der An der Herstellung dieser Nummer wirkten Wehrmacht 1941 bis 1944 stellte unter mit: umgekehrten Vorzeichen gleichermaßen Hermann Dworczak (H. D.), Wolfgang Form, Scholz, Albrecht, Caris-Petra Heidel Peter Gstettner (P. G.), Eva Kriss, Lisi Kübler eine geschichtspolitische Zäsur dar, wie (L. K.), Willi Lasek, Bruno E. Liszka (Hrsg.): Emigrantenschicksale. die komplett umgestaltete zweite Ausstel- (B. E. L.), Oskar Meggeneder (O. M.), Einfluss der jüdischen Emigranten auf lung, die 2001 der Öffentlichkeit vorge- Karl Pfeifer (K. P.), Samuel Salzborn (Sa. S.), Sozialpolitik und Wissenschaft in den stellt wurde. Während die erste Ausstel- Heribert Schiedel, Oliver Uthe Aufnahmeländern. Frankfurt am lung die „Volksgemeinschaft als Organ Main: Mabuse-Verlag 2004. 360 S. Impressum: des NS-Regimes“ in den Blick nahm, Verleger, Herausgeber und Hersteller: zeigt die neue Fassung nun „Taten ohne Dokumentationsarchiv des österreichischen Aus historisch nachvollziehbaren Grün- Täter“: „Der Vernichtungskrieg fand statt, Widerstandes, Wipplingerstraße 8 (Altes den war der Anteil an Bürgern jüdischer aber niemand war dabei.“ Rathaus), 1010 Wien; Redaktion ebenda (Christa Abstammung in der Ärzteschaft überpro- Hannes Heer, Leiter der ersten Ausstel- Mehany-Mitterrutzner, Tel.: 534 36/90315, e-mail: [email protected]; Sekretariat, portional hoch. Daher war auch der Anteil lung und infolge der publizistischen Kam- Tel.: 534 36/90319, Fax: 534 36/9990319, jüdischer Ärzte an den Emigranten, die pagnen gegen das Projekt entlassen, be- e-mail: [email protected]; Homepage: rechtzeitig NS-Deutschland verlassen schreibt in seinem Buch die Entwicklung http://www.doew.at). konnten, kein geringer. Das von Scholz bis zur „bedingungslosen Kapitulation der Ich bestelle folgende Publikationen zum Sonderpreis für Abonnenten der Mitteilungen:

Österreicher im Exil. Mexiko 1938–1947. Eine Dokumentation, Albert Sternfeld, Betrifft: Österreich. Von Österreich betroffen. hrsg. v. DÖW. Deuticke 2002, 704 S., Bildteil. Leinen i 23,–, Böhlau 2001, 294 S., Ladenpr. i 28,90 ... Stück Karton i 19,– Leinen ... Stück Emmerich Tálos/Ernst Hanisch/Wolfgang Neugebauer/Reinhard Karton ... Stück Sieder (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich, öbv und hpt 2001, Florian Freund, KZ Ebensee. Ein Außenlager des KZ Mauthau- 959 S., Ladenpr. i 25,40 ... Stück sen, Wien 1990, 48 S. i 2,90 ... Stück CD-ROM Die österreichischen Opfer des Holocaust / The Florian Freund, Concentration Camp Ebensee. Subcamp of Austrian Victims of the Holocaust, Wien 2001, Deutsch/Englisch, Mauthausen, 2nd revised edition, 1998, 63 S., i 4,30 i 24,– ... Stück ... Stück Evelyn Adunka, Peter Roessler (Hrsg.), Die Rezeption des Exils. Florian Freund/Hans Safrian, Expulsion and Extermination. Geschichte und Perspektiven der österreichischen Exilforschung, The Fate of the Austrian 1938–1945. 62 S. i 4,30 Mandelbaum 2003, 374 Seiten, Ladenpr. i 29,80 ... Stück ... Stück Hans Landauer/Erich Hackl: Lexikon der österreichischen Jonny Moser, Demographie der jüdischen Bevölkerung Öster- Spanienkämpfer 1936–1939. Verlag der Theodor Kramer reichs 1938–1945, Wien 1999, 86 S. i 4,30 ... Stück Gesellschaft 2003, 258 S., Ladenpr. i 24,– ... Stück Herbert Exenberger/Heinz Riedel, Militärschießplatz Kagran, Brigitte Bailer/Wolfgang Neugebauer, ... ihrer Überzeugung Wien 2003, 112 S., i 5,– ... Stück treu geblieben. Rechtsextremisten, „Revisionisten“ und Anti- semiten in Österreich, hrsg. v. DÖW, Wien 1996, Deutsch 40 Jahre Dokumentationsarchiv des österreichischen Wider- (72 S.)/Englisch (64 S.). i 2,90 standes 1963–2003, Wien 2003, 112 S., i 5,– ... Stück Deutsche Ausgabe: ... Stück Engl. Ausgabe: ... Stück Heimo Halbrainer, Martin F. Polaschek (Hrsg.), Kriegsverbre- Josef Hindels, Erinnerungen eines linken Sozialisten, hrsg. v. cherprozesse in Österreich. Eine Bestandsaufnahme. Histori- DÖW, Bund Sozialdemokr. Freiheitskämpfer, Wien 1996, 135 S. sche und gesellschaftspolitische Schriften des Vereins CLIO, i 6,50 ... Stück Bd. 2, Graz 2003, 167 Seiten, Ladenpr. i 12,– ... Stück

Franz Danimann, Flüsterwitze und Spottgedichte unterm Ha- Herwig Czech, Erfassung, Selektion und „Ausmerze“. Das kenkreuz, Ephelant 2001, 202 S. Ladenpr. i 22,– ... Stück Wiener Gesundheitsamt und die Umsetzung der nationalsozialis- tischen „Erbgesundheitspolitik“ 1938 bis 1945, Deuticke 2003, 1938. NS-Herrschaft in Österreich. Texte und Bilder aus der 177 S., Ladenpr. i 19,90 ... Stück gleichnamigen Ausstellung, hrsg. v. BM f. Inneres und DÖW, Wien 1998, 48 S., i 1,00 ... Stück Jahrbuch 2004, hrsg. vom DÖW, Schwerpunkt: Mauthausen, LIT Verlag 2004, 206 S., Ladenpr. i 9,90 ... Stück Gedenken und Mahnen in Wien 1934–1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumen- Thomas Mang, „Gestapo-Leitstelle Wien — Mein Name ist tation, hrsg. v. DÖW, Wien 1998, 488 S., rund 230 Abb. i 15,20 Huber“. Wer trug die lokale Verantwortung für den Mord an den ... Stück Juden Wiens? Schriftenreihe des DÖW zu Widerstand, NS- Verfolgung und Nachkriegsaspekten, Bd. 1, LIT Verlag 2003, Gedenken und Mahnen in Wien 1934–1945. Ergänzungen I, 283 S., Ladenpr. i 19,90 ... Stück Wien 2001, 99 S. i 5,80 ... Stück Kombiangebot Gedenken und Mahnen in Wien, Wien 1998 und Karl Glaubauf, Stefanie Lahousen: Generalmajor Erwin Gedenken und Mahnen in Wien. Ergänzungen I,Wien 2001. Lahousen. Ein Linzer Abwehroffizier im militärischen Wider- i 17,80 (statt i 21,–) ... Stück stand. Schriftenreihe des DÖW zu Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten, Bd. 2, LIT Verlag 2004, 71 S., Ladenpr. Brigitte Bailer, Wiedergutmachung kein Thema. Österreich i 9,90 ... Stück und die Opfer des Nationalsozialismus. Löcker Verl. Wien 1993. 309 S. Ladenpr. i 27,60 ... Stück Wolfgang Form/Oliver Uthe (Hrsg.): NS-Justiz in Österreich. Claudia Kuretsidis-Haider/Winfried R. Garscha (Hrsg.), Keine Lage- und Reiseberichte 1938–1945. Schriftenreihe des DÖW zu „Abrechnung“. NS-Verbrechen, Justiz und Gesellschaft in Euro- Widerstand, NS-Verfolgung und Nachkriegsaspekten, Bd. 3, pa nach 1945, Leipzig–Wien 1998, 488 S., i 22,50 LIT Verlag 2004, LVIII, 503 S., Sonderpreis i 25,– ( Ladenpr. ... Stück i 49,90) ... Stück

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