BRGÖ 2020 Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs

Stefan RASTL, Wien Harvard und das Office of Strategic Services* Ein akademischer Beitrag zu einem freien und unabhängigen Österreich

Harvard and the Office of Strategic Services An academic contribution to a free and independent When the tide turned in favor of the Allies in the Second World War, preparations for the denazification and re‐ democratization of began as the war progressed. These preparations posed significant challenges for the US authorities, as they had to rely on local people in the liberated areas for administrative tasks in the immediate post‐ war period. The Office of Strategic Services was commissioned to collect the relevant information to ensure the best possible selection of pro‐democratic individuals. The OSS in turn used a group of Harvard University employees who had opposed the Nazi regime before the entered the war and were well networked with the OSS on the one hand and possible academic informants on the other. They worked together on the Biographical Records Project and other intelligence projects that should contribute to the liberation and re‐democratization of Europe. Keywords: Harvard University – intelligence studies – Office of Strategic Services – World War II

Vorwort1 und Kunz das Vertrauen der US‐Geheimdienste gewinnen konnten, um für eine Lehrtätigkeit in Während eines Seminars von Prof. Thomas Frage zu kommen. Ebenfalls war es ein Ziel die‐ Olechowski im Jahr 2016 über Hans Kelsen und ser Arbeit, einzelne Prozesse und Vorbereitun‐ seinen Kreis erwähnte Prof. Olechowski, dass gen der USA bezüglich einer Militärregierung im Hans Kelsen und Josef Laurenz Kunz in den Nachkriegsösterreich, unter Beteiligung österrei‐ 1950er Lektoren für Völkerrecht am United States chischer Exilanten, zu erforschen. Eine erste Ver‐ Naval War College gewesen waren. Es handelte mutung war daher, dass es möglicherweise be‐ sich um eine Ära der politischen Unterdrückung reits während des Zweiten Weltkriegs eine Zu‐ in den eUSA, di später als McCarthy‐Ära bekannt sammenarbeit zwischen Kelsen und Kunz auf wurde. Personen mit möglichen Verbindungen der einen und den US‐Geheimdiensten auf der zur politischen Linken drohte vorgeworfen zu anderen Seite gegeben hat. Als im Jahr 2017 die werden, Kommunist oder kommunistischer Central Intelligence Agency ihre Akten online Sympathisant zu sein. Kelsen wurde immer wie‐ veröffentlichte, begann die Suche nach Hinwei‐ der mit der politischen Linken in Verbindung ge‐ sen auf eine mögliche Verbindung zwischen bracht, was damals für eine Ablehnung in einem Hans Kelsen, Josef Kunz und der Central Intelli‐ sensiblen Bereich des Staatsdienstes ausgereicht gence Agency sowie deren Vorgänger, dem hätte. Dies warf die Frage auf, ob und wie Kelsen Office of Strategic Services. Tatsächlich fanden

*1Mit besonderem Dank an die Kanzlei Motamedi und zu dieser Arbeit, an Verena Wagner für ihre Korrektu‐ Mag. Julian Motamedi für die Finanzierung meiner ren sowie an die immer hilfsbereiten Mitarbeiter der Forschungsreise nach Harvard, an Prof. Dr. Thomas Harvard University Archives. Olechowski für seine Hilfestellung und seinen Beitrag http://dx.doi.org/10.1553/BRGOE2020‐1s61 62 Stefan RASTL sich in den Geheimdienstakten die ersten Hin‐ einbezog und mehrere hochrangige und nam‐ weise auf eine mögliche Verbindung. Obwohl die hafte Wissenschaftler beschäftigte. William J. ehemals streng geheimen Akten und die darin Donovan, der das OSS leitete, war ein Absolvent enthaltenen Informationen anonymisiert wur‐ der Harvard University und rekrutierte mehrere den, führten darin enthaltene Hinweise zur Har‐ Mitarbeiter aus dem universitären Betrieb, um vard University. Nach weiteren Recherchen ver‐ diese für seinen Geheimdienst arbeiten zu lassen. dichteten sich die Hinweise darauf, dass die Ant‐ Während des Krieges arbeitete das OSS auch mit worten auf diese Fragen inn de Archiven der anderen Mitarbeitern der American Defense Har‐ Harvard University gefunden werden könnten. vard Group (ADHG) zusammen. Die ADHG Daher folgte im Jahr 2017 eine Forschungsreise führte ihre eigenen Aufzeichnungen über alle an dieselbe, um die diesbezüglichen Akten zu Projekte, an denen sie beteiligt war. Diese Auf‐ sichten. Die untersuchten Akten lieferten nicht zeichnungen sind nicht alle in den zugänglichen nur die erhofften Antworten, sondern dokumen‐ Archiven der CIA enthalten, obwohl sie eine tieren auch den weitgehend unbekannten Wider‐ große Anzahl von unveröffentlichten Originaldo‐ standskampf amerikanischer und europäischer kumenten im Zusammenhang mit dem OSS um‐ Künstler, Intellektueller und Wissenschaftler ge‐ fassen. Die Aufzeichnungen der American De‐ gen Hitlerdeutschland. Noch bevor die USA offi‐ fense Harvard Group waren 50 Jahre lang unter ziell in den Krieg eintraten, engagierten sich An‐ Verschluss, da die Offenlegungsregeln der Har‐ gestellte der Harvard University und ihre Fami‐ vard University dies vorschreiben, und erhielten lien und gründeten die American Defense Har‐ bisher wenig Aufmerksamkeit von Wissenschaft‐ vard Group. Das Ziel dieser Gruppe war der lern. Der folgende Aufsatz behandelt nur eine be‐ Kampf zur Befreiung Europas, die Wiederher‐ grenzte Zahl österreichischer Informanten, da die stellung seiner Demokratie und die Verteidigung Menge an Information und beteiligten Informan‐ Amerikas. ten in den Unterlagen außerordentlich groß ist. Bemerkenswert ist, dass einige berühmte Persön‐ lichkeiten, wie der Gründer der Bauhausbewe‐ Einführung gung Walter Gropius oder der Dirigent Arturo Toscanini ebenfalls als Informanten beteiligt wa‐ Aufgrund einer Präsidialverordnung ist der zi‐ ren. Der Fokus historischer Forschungen in Be‐ vile Auslandsgeheimdienst der Vereinigten Staa‐ zug auf Nachrichtendienste zielt oft auf militäri‐ ten, die Central Intelligence Agency, verpflichtet, sche Spezialoperationen und andere Aspekte alle freigestellten Aufzeichnungen freizugeben. asymmetrischer Kriegsführung ab, während der Das Archiv enthält nicht nur CIA‐Akten, sondern nicht‐operativen Sammlung und Verarbeitung auch die Aufzeichnungen der Vorgängerorgani‐ von Informationen weniger Interesse geschenkt sation, dem Office of Strategic Services (OSS). wird. Daher liefern diese Materialien immer noch Das OSS war der erste moderne Geheimdienst in eine Vielzahl unbekannter und interessanter Er‐ den Vereinigten Staaten während des Zweiten kenntnisse. Weltkriegs. Der folgende Aufsatz basiert daher hauptsächlich auf Recherchen in den online‐ver‐ fügbaren Akten des CIA Crest‐Programmes und auf Forschungen in den Harvard University Ar‐ chives. Das OSS war sowohl ein militärischer als auch ein ziviler Geheimdienst, der in großem Ausmaß empirische Wissenschaft in seine Arbeit

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1. American Defense Direktor William Donovan führte dazu, dass Mit‐ Harvard Group glieder der ADHG direkte Mitarbeiter des OSS wurden. Diese vertiefte Verbindung führte zu 1.1 Historischer Hintergrund mehreren OSS‐ und US‐Regierungsprojekten, die gemeinsam mit der ADHG durchgeführt wur‐ und Funktionsprinzipien den. Eine dieser geheimen Tätigkeiten war das Tief besorgt über die Evakuierung von Dünkir‐ Biographical Records Project (hiernach BRP). chen und den Fall Frankreichs im Juni 1940 ver‐ Dieses Projekt wurde von der US‐Regierung ini‐ sammelte sich eine Gruppe von Mitarbeitern der tiiert, um Informationen über mögliche zukünf‐ Harvard University um den Philosophieprofes‐ tige Kollaborateure für US‐Streitkräfte und Be‐ sor und Pulitzer‐Preisträger Ralph Barton Perry, amte zu sammeln, die für die Bildung von Mili‐ um eine ungewöhnliche akademische Kriegskoa‐ tärregierungen in der unmittelbaren Nachkriegs‐ lition zu bilden. Diese trug den Namen American zeit in Europa notwendig waren. Defense Harvard Group. Die Mitglieder der Als der Krieg andauerte, wuchs die anfänglich Gruppe waren überzeugt, dass die Pläne Nazi‐ kleine Zahl der Mitglieder bis zur Auflösung der Deutschlands eine unmittelbare Bedrohung für Gruppe im Juni5 194 kontinuierlich an. Zum Zeit‐ die Vereinigten Staaten, ihre Demokratie und punkt ihrer Auflösung erreichte die ADHG mehr 2 ihre Bürger darstellten. Am 24. Juni und 1. Juli als 1700 Mitglieder, mit einem aktiven Aufgebot 1940 fanden zwei informelle Treffen statt, die zur von 240 Freiwilligen. Obwohl die ADHG aus 3 Gründung der ADHG führten. Der Hauptzweck Mitgliedern der Harvard University bestand und war es, „die Verteidigungsaktivitäten jener ame‐ mit staatlichen Institutionen zusammenarbeitete, rikanischen Lehrer, Offiziere, Angestellten, ihrer blieb der Status der Gruppe informell. Die Frauen und Familien zu fokussieren und zu len‐ Gruppe veröffentlichte Artikel5 in amerikani‐ ken, die bereits durch ihre Verbindung mit der schen Zeitungen und forderte die Regierung der Harvard University zusammengeführt wurden; Vereinigten Staaten und ihren Präsidenten auf, und mit ähnlichen Gruppen in anderen Gemein‐ das Vereinigte Königreich aktiver zu unterstüt‐ schaften zusammenzuarbeiten und sie zu för‐ zen und in den Krieg gegen Deutschland einzu‐ 4 dern.“ Die Mitglieder der ADHG waren über‐ treten. Durch diese versuchte Einflussnahme zog zeugt, dass die Achsenmächte nur mit militäri‐ die ADHG die Aufmerksamkeit offizieller Regie‐ scher Gewalt bekämpft werden konnten und rungsinstitutionen auf sich.6 Die Analyse der mi‐ mussten. Dies führte zu einer landesweiten Inter‐ litärischen und politischen Lage in Europa durch aktion mit zahlreichen Einzelpersonen und Insti‐ die ADHG fiel mit den Erkenntnissen des späte‐ tutionen. Diese reichte von Privatpersonen bis ren OSS‐Direktors William Donovan zusammen. hin zu Regierungsbehörden und dem Präsiden‐ Dieser berichtete während seines Studiums des ten der Vereinigten Staaten. Die ADHG war auch britischen Geheimdienstes (SIS) Präsident Roose‐ an den Prozessen zur Gründung des OSS betei‐ velt, dass Großbritannien dringend Hilfe benö‐ ligt. Die Verbindung mit dem OSS und seinem tige.7 Im Jahr 1941 unterstützte Ralph Barton Perry den designierten OSS‐Direktor William Donovan

2 Ralph Barton Perry, Bericht des Vorsitzenden für den 6 Ralph Barton Perry an Präsident Franklin Delano Zeitraum: 24. 6. 1940–15. 9. 1940, HUA, HUD 3139 Rec‐ Roosevelt, 28. 6. 1941, HUA, HUD 3139 Records of the ords of the ADHG, Box 1, pag. 3. ADHG, Box 11. 3 Ebd. 7 MCINTOSH, Sisterhood of Spies 5. 4 Ebd. 3f. 5 List of Articles by Ralph Barton Perry, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 14.

64 Stefan RASTL bei der Auswahl von Akademikern, die für die Bil‐ Bewusstseinsbildung und dem öffentlichen Dis‐ dung seines neuen Geheimdienstes benötigt wur‐ kurs auseinander und ergriff Maßnahmen zur den.8 Mitglieder der ADHG und andere Akademi‐ Beeinflussung in diesen Bereichen. ker schlossen sich so dem ersten modernen US‐ Geheimdienst an, indem sie unmittelbare Mitar‐ 1.2 Struktur der American Defense beiter im intellektuellen Rückgrat des OSS – der Harvard Group Research and Analysis Branch – wurden.9 Diese Unmittelbar nach ihrer Gründung 1940 nahm die Akademiker arbeiteten projektbezogen während ADHG ihre Tätigkeit auf und richtete verschie‐ des Krieges mit der ADHG weiterhin zusammen. dene Komitees mit besonderem Sachbezug ein. Neben der Zusammenarbeit mit dem OSS arbei‐ Das Hauptelement der ADHG war das Len‐ tete die ADHG auch mit mehreren anderen US‐ kungskomitee, das sich aus den Generaloffizie‐ Regierungs‐ und Militärinstitutionen zusammen ren der Gruppe und den Vorsitzenden der Son‐ und leistete einen wissenschaftlichen Beitrag zu ei‐ derausschüsse zusammensetzte. Dieses Steue‐ ner Reihe militärischer und nachrichtendienstli‐ rungselement hielt wöchentliche Sitzungen ab, cher Kriegsprojekte. Diese reichten von der militä‐ um das weitere Vorgehen zu planen und zu ko‐ rischen Ausbildung über wissenschaftliche Analy‐ ordinieren.12 Bereits im Lenkungsausschuss sen und Berichte bis hin zum Schutz europäischer zeigte sich ein Österreichbezug, denn eines seiner Denkmäler. Mitglieder war der österreichische Kunsthistori‐ Wie der OSS‐Direktor William Donovan war ker Otto Benesch. Dieser spielte auch eine wich‐ auch die ADHG überzeugt, dass nur eine starke tige Rolle im BRP und beim Beitrag der Gruppe Unterstützung Großbritanniens den Kriegsver‐ für den Denkmalschutz in Europa. Die General‐ lauf positiv beeinflussen könne und als Folge da‐ versammlung der Gruppe bestand aus einem von die erste wichtige Konfrontation die Atlan‐ Vorsitzenden, elf Beratern, vier stellvertretenden 10 tikschlacht sei. Daher mussten alle notwendi‐ Vorsitzenden, einem Sekretär und einem Schatz‐ gen Maßnahmen ergriffen werden, um weiterhin meister. Jedes gegründete Komitee wurde einer eine angemessene Versorgung Großbritanniens von vier Abteilungen der ADHG untergeordnet. mit Waffen und Vorräten zu gewährleisten. Diese vier Sektionen und ihre Ausschüsse waren Großbritannien wurde von der ADHG als „das wie folgt aufgebaut: Hauptbollwerk zwischen der Achse und der 1. (Leidens‐)Linderung, unter Einbeziehung des westlichen Hemisphäreʺ betrachtet.11 Vor dem Ausschusses für die Betreuung europäischer Kin‐ Angriff auf Pearl Harbour war die Stimmung in der und des Ausschusses für medizinische der amerikanischen Öffentlichkeit von einer Ab‐ Dienste; neigung gegen einen Kriegseintritt dominiert. 2. Öffentlichkeitsarbeit, die die Ausschüsse für Dieser Umstand war der ADHG wohlbekannt, Information, Presse und Schreiben, Radio und weshalb auch Zeitungsartikel veröffentlicht wur‐ Sprechen, Politik, Friedensregelung, Arbeit und den, um dieser Meinung gegenzusteuern. So Industrie, Produktion und panamerikanische Be‐ setzte sich die ADHG bereits 1940 mit Fragen der ziehungen umfasste;

8 Ralph Barton Perry an William Joseph Donovan, 11 Ebd. 14. 7. 1941, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, 12 Ralph Barton Perry, Bericht des Vorsitzenden für den Box 5. Zeitraum: 24. 6. 1940–15. 9. 1940, HUA Archive, HUD 9 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 210. 3139 Records of the ADHG, Box 1, pag. 3. 10 Ralph Barton Perry an Franklin Delano Roosevelt, 28. 6. 1941, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 11.

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3. Ausbildung, Einbeziehung der Ausschüsse für und zum Schutz von Kunstwerken, Denkmälern militärische Ausbildungslager, Marineausbil‐ etc.“ im umkämpften Europa vor.14 Die ADHG dung, Ausbildung an der Universität und Aus‐ wurde zu diesem Thema von Professor Sachs bildung für den staatlichen Dienst; und Herrn Stout W. G. Constable vom Boston 4. Moral und Korrespondenz, die die Ausschüsse Museum of Fine Arts kontaktiert.15 Ziel des für nationale Moral, Jugendprobleme und Kor‐ Denkmalschutzes war nicht nur die Rettung des respondenz umfasste.13 kulturellen Erbes selbst, sondern auch die Ver‐ hinderung schädlicher Auswirkungen auf die zi‐ 1.3 ADHG‐Ausschüsse und ‐Projekte vile Moral, die durch den Verlust dieser Denkmä‐ ler befürchtet wurde.16 Mehrere Kunsthistoriker Aufgrund der großen Anzahl von Projekten und im Exil trugen zu diesem Projekt bei, indem sie Aktivitäten, an denen die ADHG beteiligt war o‐ Listen von Denkmälern in Europa erstellten. Die der die von ihr durchgeführt wurden, kann in Harvard University und ihr Umfeld verfügten diesem Aufsatz nur ein kleiner Bruchteil genauer durch die hohe Anzahl an Exilanten über die wis‐ beschrieben werden. Die große Vielfalt an Projek‐ senschaftlichen Humanressourcen, die für die ten sollte dazu beitragen, den Krieg zu gewinnen Ausarbeitung dieser Listen erforderlich waren. und helfen, mögliche Probleme der Nachkriegs‐ Der österreichische Kunsthistoriker Otto Benesch zeit zu lösen. Die ADHG wollte nicht nur die und seine aFrau Ev trugen mit der Erstellung von USA und ihre Bürger schützen, sondern auch Eu‐ Denkmallisten für Österreich und die Tschecho‐ ropa vom Faschismus befreien und seine Demo‐ slowakei zu dem Projekt bei.17 Die Arbeit des kratie wiederherstellen. Diese Bemühungen er‐ Ehepaares war laut Aktenlage von höchster Qua‐ forderten unorthodoxe Ansätze, die sowohl Mit‐ lität und wurde von den Behörden in Washing‐ arbeiter als auch Studenten betrafen und zu einer ton äußerst positiv bewertet.18 Die erstellten Lis‐ teilweise den Kriegserfordernissen angepassten ten wurden unter anderem für Handbücher der Universitätslehre führten. Mit der voranschrei‐ militärischen Besatzungstruppen verwendet.19 tenden Dauer des Krieges wurde das Leben an der Harvard University mehr und mehr vom Industrial Management Engineering Krieg und seinen Anforderungen durchdrungen. Um die Volkswirtschaft an die Bedürfnisse einer So spielten ab dem Jahr 1941 die kriegsbedingten Kriegsindustrie anzupassen, wurde ein spezieller Aktivitäten eine immer größer werdende Rolle Universitätslehrgang der Harvard Business im täglichen Leben der Universität. School angeboten. Dieser bestand aus einem Denkmalschutz zwölfmonatigen Programm an der Graduate School of Business Administration.20 Ziel dieses 1943 schlug die ADHG Pläne für die Einrichtung Lehrganges war es, Personen „für Unternehmen einer „offiziellen Kommission zur Vermessung

13 Ebd. 18 ADHG an Otto und Eva Benesch, 7. 9. 1943, HUA, 14 Ralph Barton Perry an Donald McKay, 24. 12. 1942, HUD 3139 Records of ADHG, Box 72. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 9. 19 Ebd. 4. 15 Vertrauliche Veröffentlichung, Hauptquartier der 20 Industrial Management Engineering, Ein Alliierten Streitkräfte G‐5 Abschnitt APO 512, 28. 5. zwölfmonatiger Studiengang zum Abschluss des In‐ 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 73. dustrieadministrators, HUA, HUD 3139 Records of the 16 Ebd. ADHG, Box 31, pag. 1. 17 Otto Benesch, Long List of Monuments for Austria, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 73; Otto und Eva Benesch, Long List of Monuments Czechoslo‐ vakia, HUA, HUD 3139 Records of ADHG, Box 73.

66 Stefan RASTL auszubilden, die wichtige Munition und Vorräte junge Amerikaner getroffen werden, darunter herstellten“, aber auch für die amerikanischen auch Studenten und Absolventen, damit diese Streitkräfte direkt.21 Dieses Sonderprogramm aktiv in den Kriegsdienst eintreten konnten. Ab versuchte die Probleme zu lösen, die sich aus 1941 lud der Dekan des Harvard College daher „dem Mangel an ausgebildeten Arbeitskräften Studenten und Absolventen zu einem militäri‐ ergaben, die für die Erfüllung der Anforderun‐ schen Sommercamp in das Squam Lake Camp in gen einer stärkeren Steigerung der industriellen New Hampshire ein.26 Während des sechswöchi‐ Produktion“ nötig waren, und sollte dazu beitra‐ gen Kurses wurden die Teilnehmer in Kartenle‐ gen, „den Bedürfnissen der Durchführung eines sen, Topographie und Vermessung geschult.27 aggressiven Krieges gerecht zu werden“.22 Seit 1942 druckte und veröffentlichte die Harvard University ein offizielles Informationsblatt zum Komitee für Militärische Trainingslager Thema „Möglichkeiten für spezielle Ausbildun‐ und Harvard Military Camp gen während des Krieges“. In diesem wurde da‐ Akademiker aus Harvard unterrichteten wäh‐ rauf hingewiesen, dass Männer, die in Physik rend des Krieges auch Soldaten und OSS‐Agen‐ und Ingenieurwissenschaften ausgebildet wur‐ ten. Dazu gehörte unter anderem auch eine Aus‐ den, am meisten von Nöten waren. Andere Kurse bildung in psychologischer Kriegsführung. Zu‐ umfassten auch Astronomie, Biologie, Ökono‐ künftige OSS‐Agenten wurden psychologischen mie, bildende Kunst, Geologie, Geschichte, Spra‐ Tests, simulierten Verhören und anderen Übun‐ chen, Mathematik, Physik und Psychologie.28 gen unterzogen.23 Diese sollten vorsätzlich zu ei‐ ner psychologischen Eskalation führen, um die Ausschuss für die Betreuung geistige Belastbarkeit der potentiellen Agenten europäischer Kinder zu testen.24 Österreichische Auszubildende, die Dieser Ausschuss konzentrierte sich auf die Un‐ den europäischen Faschismus bereits persönlich terstützung von Flüchtlingskindern aus Großbri‐ erlebt hatten, hielten einige dieser Methoden an‐ tannien und anderen europäischen Ländern.29 fänglich für unrealistisch oder sogar gefährlich, Das Komitee diente als Zweigstelle des United wenn diese praktisch angewendet würden. Es States Committee for Care of European Children gab die Befürchtung durch die angehenden mit Sitz in New York. Es wurde Geld gesammelt, Agenten, dass diese Methoden „höchstwahr‐ um die Kosten und Garantien für den Unterhalt scheinlich dazu führen würden, dass sie gefan‐ der Kinder, für die Pflegefamilien zur Verfügung gen genommen und erschossen werden“.25 gestellt wurden, zu decken. Es wurde zunehmend klar, dass die industriellen Anstrengungen durch die USA allein nicht aus‐ Ausschuss für Moral und nationale Einheit reichen würden, um Europa und die Welt zu ret‐ Der Zweck dieses Komitees war es, „ein Gefühl ten. Deshalb mussten weitere Vorbereitungen für der Hingabe an Amerika und die amerikanischen

21 Ebd. 27 Ebd. 22 Ebd. 28 Offizielles Register der Harvard University 23 Ralph Barton Perry, Bericht des Vorsitzenden für den Bd. XXXIX, Opportunities for Special Training during Zeitraum: 24. 6. 1940–15. 9. 1940, HUA, HUD 3139 Rec‐ the War, 20. 1. 1942, HUA, HUD 3139 Records of the ords of the ADHG, Box 1, pag. 15. ADHG, Box 31, pag. 3f. 24 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 230. 29 Ralph Barton Perry, Bericht des Vorsitzenden für den 25 Ebd. Zeitraum: 24. 6. 1940–15. 9. 1940, HUA, HUD 3139 Rec‐ 26 Alfred Chester Hanford, Appeal for Proposed Har‐ ords of the ADHG, Box 1, pag. 5. vard Military Camp, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 31.

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Institutionen zu fördern, Meinungsverschieden‐ Kriegsgefangene konfrontiert waren, wenn sie heiten zu heilen, die Apathischen und Unent‐ unter dem Terror anderer Kriegsgefangener stan‐ schlossenen wachzurütteln und die militärische den, die noch an den vermeintlichen Endsieg Bereitschaft unter Berücksichtigung der mensch‐ glaubten.35 lichen und sozialen Werte, die damit verbunden sind, in Einklang zu bringenʺ.30 Das Komitee er‐ Ausschuss für Probleme der Friedensregelung stellte eine Erklärung zur amerikanischen Moral, Die Ergebnisse des internationalen Friedensrege‐ die an alle Mitglieder des Kongresses und an an‐ lungsprozesses nach dem Ersten Weltkrieg wa‐ dere Personen in wichtigen Regierungspositio‐ ren offensichtlich alles andere als erfreulich. nen versandt wurde.31 Die Mitglieder der ADHG Während sich die meisten Ausschüsse haupt‐ betrachteten einen Krieg mit den Achsenmächten sächlich auf Probleme von unmittelbarer Bedeu‐ als eine unvermeidliche Notwendigkeit – eine tung für den Kriegsverlauf konzentrierten, fokus‐ Meinung, die in der Öffentlichkeit in den USA sierte sich dieser Ausschuss in erster Linie auf die anfänglich nicht geteilt wurde. In diesem Zusam‐ Aufrechterhaltung von Frieden und Demokratie menhang schloss sich die ADHG mit Edward im Europa der Nachkriegszeit. Sidney Fay war Bernays zusammen, einem der führenden Propa‐ der Vorsitzende des Komitees und erklärte, dass gandaexperten des 20. Jahrhunderts und Neffen „im Ersten Weltkrieg die Alliierten den Krieg von Sigmund Freud, der dessen psychoanalyti‐ zwar gewonnen haben, aber den Frieden verlo‐ sche Forschung für seine Arbeit verwendete. ren haben.“36 Dieser Ausschuss zielte wie viele Edward Bernays und Ralph Barton Perry nah‐ andere Gruppierungen in den Vereinigten Staa‐ men auch gemeinsam an einem Treffen zu Pro‐ ten darauf ab, den dauerhaften Wandel zu stabi‐ pagandafragen in New York teil.32 len und demokratischen Verhältnissen in der Nachkriegszeit zu sichern.37 Der aus Österreich Kriegsgefangene stammende Akademiker Gottfried Haberler war Die ADHG versuchte auch (österreichischen) Mitglied des Komitees und partizipierte auch Kriegsgefangenen in den USA zu helfen, die un‐ beim BRP (siehe unten). ter einer „Lager‐Gestapoʺ in ihren Gefängnissen litten.33 Die Austrian Action, das Free Austrian 1.4 Österreichische Akademiker Movement und andere österreichische Exilorga‐ und ihre Verbindung zur ADHG nisationen forderten die US‐Regierung immer Wie bereits erwähnt, gehörten mehrere österrei‐ wieder auf, deutsche und österreichische Gefan‐ chische Akademiker zu den Mitgliedern der gene zu trennen. Aber eine anhaltende bürokra‐ ADHG. Dies ist nicht weiter verwunderlich, tische Kontroverse über die Zuständigkeit in die‐ wenn man bedenkt, dass in den 1930/40er Jahren ser Angelegenheit verhinderte eine Verbesse‐ nicht wenige Mitglieder der österreichischen Ge‐ rung der Situation.34 Ein Memorandum über die lehrtenwelt in die Vereinigten Staaten emigrier‐ Entlastung der Kriegsgefangenen veranschau‐ ten und sich unter anderem an der Harvard Uni‐ licht die Probleme, mit denen österreichische

30 Ebd. 15. 36 Bericht des Vorsitzenden für den Zeitraum: 15. 9. 31 Ebd. 1940–15. 3. 1941, HUA, HUD 3139 Records of the 32 Edward Bernays an Ralph Barton Perry, 11. 9. 1940, ADHG, Box 1, pag. 20. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 4. 37 Ebd. 33 EPPEL, Österreicher im Exil 30. 34 Ebd. 31. 35 STIFTER, Zwischen geistiger Erneuerung und Restau‐ ration 230.

68 Stefan RASTL versity niederließen. Der durch Ralph B. Perry re‐ sem speziell gebeten, am BRP mitzuwirken.42 Ha‐ gelmäßig veröffentlichte Report of the Chairman gen arbeitete auch direkt für den Coordinator of gibt einen Überblick über die Aktivitäten der Information (hiernach COI) sowie das OSS und ADHG. Auf den letzten Seiten der Berichte wurde 1942 mit dem OSS‐Agenten Allen Dulles wurde ein Dienst‐ und Organisationsplan der in New York gesehen. Hagen, der bereits über ADHG angeführt.38 Dieser Plan stellte die organi‐ wichtige Erfahrungen in subversiven und kon‐ satorische Ausformung der Organisation und de‐ spirativen Angelegenheiten verfügte, skizzierte ren personellen Strukturen dar. ein Konzept für eine Labour Section innerhalb In diesem Plan wurde unter der Rubrik der Exe‐ des COI/OSS. Dies wurde 1942 als eine Unterab‐ cutive Office Volunteers der österreichische Wirt‐ teilung der OSS Secret‐Intelligence‐Branch schaftswissenschaftler Gottfried Haberler ge‐ (OSS/SI) realisiert.43 Das anhand der Unterlagen führt. Er war, wie bereits erwähnt, auch ein Mit‐ augenscheinlich aktivste österreichische Mitglied glied des Komitees für Probleme der Friedensre‐ der ADHG und gleichzeitig auch der produk‐ gelung. tivste österreichische Berater sowie Quelle des Eine weitere österreichische Akademikerin, die BRP war Otto Benesch. Der Vertreter der Wiener für die ADHG arbeiten wollte, war die aus Wien Schule der Kunstgeschichte verbrachte die stammende Hedwig Schleiffer. In einem Brief Kriegsjahre in den USA und arbeitete unter ande‐ vom November 1941 an Ralph B. Perry um‐ rem im Harvard Fogg Museum, welches direkt schrieb sie ihre gegenwärtige Arbeit an der Har‐ gegenüber dem Gebäude gelegen ist, das 1941 als vard College Library. Sie schilderte in ihrem Hans Kelsens Adresse in Harvard verzeichnet 44 Schreiben, dass sie an der Harvard University wurde. Otto Benesch empfahl auch Ferdinand nicht in einer Position eingesetzt werden konnte, Czernin (siehe unten) – den Vorsitzenden der die ihren Qualifikationen entsprach.39 Die Ant‐ Austrian Action – als wichtigen Ansprechpartner 45 wort von Ralph Barton Perry spiegelt das für Ralph Barton Perry. knappe, spendenabhängige Budget der ADHG Die American Defense Harvard Group und ihr wieder, weshalb der Antrag aufgrund unzu‐ Bezug zu österreichischen Angelegenheiten reichender finanzieller Mittel abgelehnt wurde.40 Abgesehen von den oben genannten österreichi‐ Ein sehr auffälliger und mysteriöser deutsch‐ös‐ schen Akademikern, die ADHG‐Mitglieder oder terreichischer Akademiker, der mit der Gruppe anderweitig mit der Gruppe verbunden waren, in Kontakt stand, war Karl Borromäus Frank alias lebten in den 1940er Jahren insgesamt 1,2 Millio‐ Paul Hagen.41 Er wurde von Ralph B. Perry nen Menschen mit einer engen (Ahnen‐) schriftlich kontaktiert, zu einem Abendessen im Beziehung zu Österreich – aufgrund von mindes‐ Harvard Faculty Club eingeladen und von die‐ tens einem Elternteil, der in Österreich geboren

38 Bericht des Vorsitzenden für den Zeitraum: 15. 9. 42 Ralph Barton Perry an Paul Hagen, 2. 2. 1944, HUA, 1940–15. 3. 1941, HUA, HUD 3139 Records of the HUD 3139 Records of the ADHG, Box 7. ADHG, Box 1, pag. 34. 43 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 232f. 39 Hedwig Schleiffer an Ralph Barton Berry, 26. 11. 44 Ralph B. Perry an Hans Kelsen, 1. 12. 1941, HUA, 1941, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 11. HUD 3139 Records of the ADHG, Box 8. 40 Ralph Baron Berry an Hedwig Schleiffer, 20. 11. 1941, 45 Otto Benesch an Ralph Barton Perry, HUA, HUD HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 11. 3139 Records of the ADHG, Box 5. 41 Ralph Barton Perry an Paul Hagen, 8. 2. 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 7; Hagen nach Perry, 28. 2. 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 7.

Harvard und das Office of Strategic Services 69 wurde oder sie selbst in Österreich geboren wur‐ 2. Das Office of Strategic Services 46 den – in den USA. Die ADHG pflegte daher auch und das Biographical Records mit externen österreichischen Personen Kontakt und arbeitete mit mehreren österreichischen poli‐ Project tischen Exilgruppen zusammen.47 Infolgedessen 2.1 Das OSS: Historischer Hintergrund findet sich in den Akten der ADHG eine ganze Reihe von Dokumenten mit direktem Bezug zu Das OSS wurde vom US‐Oberbefehlshaber Fran‐ österreichischen Agenden. Die Aufzeichnungen klin D. Roosevelt am 13. Juni 1942 gegründet.51 Es der ADHG enthalten beispielsweise eine Brief‐ wird als Vorgänger der Central Intelligence sammlung48 zwischen dieser und der Austrian Agency und militärischer Spezialeinheiten in den Action, einen Bericht über die Ereignisse rund USA gewürdigt. Das Hauptziel des OSS war je‐ um Otto Habsburgs 30. Geburtstag in New York, doch die Sammlung und Analyse strategischer einen Ordner der Österreichischen Aktion zur kriegsrelevanter Informationen.52 Sein Leiter war Moskauer Deklaration sowie die Briefe der öster‐ William J. Donovan, ein konservativer New Yor‐ reichischen Informanten und Berater an das Ko‐ ker Anwalt und hochdekorierter Veteran des Ers‐ mitee des BRP und andere Dokumente. Diese Do‐ ten Weltkriegs. Er wurde von Präsident Franklin kumente zeigen auch die schwierige Situation, in D. Roosevelt zum Leiter des OSS ernannt.53 Vor der sich die verschiedenen oppositionellen öster‐ dessen offizieller Gründung war Donovan be‐ reichischen Gruppen untereinander befanden. reits als Leiter des Vorläuferdienstes – COI – tätig Ein Bericht von Ferdinand Czernin anlässlich der gewesen. Wie bereits erwähnt, arbeitete Donovan Feierlichkeiten zu Otto Habsburgs 30. Geburts‐ auch an der Errichtung des OSS und stand in per‐ tag zeigt die stark monarchistische Ausrichtung sonellen Fragen diesbezüglich in Kontakt mit der des Jubilars und wie offen sie von ihm und seinen ADHG. Er konsultierte Ralph Barton Perry und Anhängern gezeigt wurde.49 Auf der anderen Charles H. Taylor zu möglichen Beratern mit aka‐ Seite engagierten sich die Austrian Action und demischem Hintergrund, um diese für das COI ihr Vorsitzender Ferdinand Czernin vehement und OSS zu rekrutieren.54 Die ausgewählten Aka‐ gegen undemokratische und monarchisch‐res‐ demiker stellten daher während des Krieges eine taurative Pläne für ein Nachkriegsösterreich.50 direkte Verbindung zwischen dem OSS und der ADHG her.55 Das OSS war in mehrere verschie‐ dene Abteilungen unterteilt, mit einer Vielzahl

46 STIFTER, Zwischen Geistiger Erneuerung und Restau‐ 50 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 43. ration 157. 51 Kopie des Executive/Military Order von Franklin D. 47 S.W. Gould, Monarchie oder Republik in Österreich? Roosevelt, Oberbefehlshaber, der die Einrichtung des HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 18; Schrei‐ Office of Strategic Services anordnete ben der österreichischen Aktion; Bericht über die Din‐ (https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐ ner Party zu Ehren von Otto Habsburgs dreißigster Ge‐ RDP83‐01034R000200090002‐9.pdf) (13. 06. 1942/14. 8. burtstagsparty, 20. 11. 1942, HUA, HUD 3139 Records 2018) of the ADHG, Box 18. 52 Ebd. 48 Ferdinand Czernin zu Ralph Barton Perry, 11. 12. 53 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 208. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 5; 54 Sammlung von Korrespondenz zwischen OSS und Ferdinand Czernin an Sara Wambaugh, 26. 1. 1944, ADHG, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 9. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 55 Charles H. Taylor an William Joseph Donovan, 17. 7. 49 Dem Bericht zufolge schmückte die schwarz‐gelbe 1941, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 5; Flagge der österreichischen Monarchie auch die Vor‐ William Donovan an Charles H. Taylor, 19. 7. 1941, derseite des Hotelsaals und die österreichische Kai‐ HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 5. serhymne wurde während der Veranstaltung mindes‐ tens zweimal gesungen.

70 Stefan RASTL von Einzelaufgaben. Diese umfassten das Sam‐ als Berater geführt. Diese Angaben über die Bera‐ meln und Verarbeiten aller Arten von Informati‐ ter waren mit dem Zusatz „American Defense onen, aber auch militärische Spezialoperationen Harvard Group“ versehen. Die an die ADHG hinter feindlichen Linien. Das BRP wurde von übertragene Sammlung der Daten über Akade‐ der Research and Analysis Branch durchgeführt. miker und Künstler umfasste auch die Aufgabe Diese Abteilung spielte innerhalb des Geheim‐ der erstmaligen Kontaktaufnahme zu möglichen dienstes eine wichtige Rolle.56 Informanten und Beratern in den USA. Dies ge‐ schah durch Korrespondenz hoder durc persön‐ 2.2 Das CIA CREST‐Programm und die liche Besuche und dabei durchgeführte Inter‐ Sammlung der American Defense Har‐ views. Die Briefe, Namenslisten und anderen Do‐ vard Group kumente im Zusammenhang mit dem BRP wur‐ den von der ADHG archiviert. Diese Materialien Die Central Intelligence Agency sowie andere Be‐ sind insofern einzigartig, da sie nicht in den OSS‐ hörden in den Vereinigten Staaten sind gesetzlich Dateien des CIA‐Crest‐Programms auftauchen verpflichtet, alle nicht mehr relevanten Aufzeich‐ und überhaupt nicht geschwärzt wurden. Insbe‐ nungen, die 25 Jahre alt oder älter sind, automa‐ sondere die Sammlung der Korrespondenz zwi‐ tisch zu veröffentlichen. Im Januar 2017 wurde schen der ADHG und den möglichen Informan‐ die Sammlung des CIA Crest‐Programms zusätz‐ ten bietet interessante Einblicke auf einer persön‐ lich online veröffentlicht und über das Internet lichen Ebene. Die ADHG‐Akten stehen der For‐ zugänglich gemacht. Vor 2017 mussten Forscher schung erst seit 1990 zur Verfügung, da an der persönlich zu den National Archives anreisen. Harvard University eine Sperrfrist bis zur Veröf‐ Teile dieser Akten sind in einzelne themenbezo‐ fentlichung von fast 50 Jahren gilt. Es scheint da‐ gene Sammlungen unterteilt, zu denen auch eine her, dass die Akten zum Zeitpunkt ihrer Veröf‐ eigene OSS‐Sammlung gehört. Die OSS‐Samm‐ fentlichung bereits in Vergessenheit geraten wa‐ lung umfasst auch die biografischen Dateikarten ren. mit den Angaben österreichischer Informanten 57 wie Hans Kelsen. Die Dateikarten geben zwar 2.3 Zivile Angelegenheiten nicht die Namen ihrer Autoren preis, enthalten und Militärregierung aber das Datum und den Ursprungsort bei der Erstellung. So wurde beispielweise die biografi‐ Die Bemühungen, verbündete Institutionen und sche Aufzeichnung H‐1661 im Oktober 1943 in Einzelpersonen auf die Nachkriegsaufgaben vor‐ Berkeley von einem Informanten 4958 erstellt und zubereiten, wurden von der Civil Affairs Divi‐ beinhaltet Informationen über Adolf Merkl. Jede sion des US‐Kriegsministeriums betrieben.59 Ein dieser Quellen war mit einem Berater verbunden, wichtiges Ziel der militärischen Besatzung war der auch auf der Dateikarte verschlüsselt notiert es, zur Wiederherstellung eines freien und unab‐ wurde. Diese Berater waren oft selbst einfache In‐ hängigen Österreichs beizutragen.60 Um dieses formanten, wurden aber durch Nennung mögli‐ Ziel zu erreichen wurde unter anderem auch das cher weiterer Informanten in den USA zusätzlich

56 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 210. 59 Wilmarth S. Lewis an Ralph B. Perry, 4. 6. 1943, 57 OSS‐Sammlung, CIA. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 58 Hans Kelsen, OSS Biographical Record H‐1661 on 60 Österreich. Military Government, Handbook for Mil‐ Adolf Merkl 4, itary Government, Annex No. 32B. www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐RDP82‐ 00038R1000190017‐4.pdf (19. 10. 1943/14. 8. 2018).

Harvard und das Office of Strategic Services 71

BRP initiiert. Sowohl das amerikanische Außen‐ BRP, fiel am 8. Juni 1943.65 Auf Ersuchen des OSS ministerium als auch das Kriegsministerium be‐ und des U.S. War Departments wurde das BRP, fassten sich mit Fragen der Zivil‐ und Militärre‐ ergänzend zu anderen Bereichen der Nachkriegs‐ gierung in Österreich. Die damit verbundenen planung, ins Leben gerufen. Es war auf mehrere Themenbereiche reichten von der Entnazifizie‐ Niederlassungen verteilt, die sich in zentralen rung über den Wiederaufbau des Bildungswe‐ Städten (Cambridge M.A., New York und sens bis hin zu allen erdenklichen Fragen im Zu‐ Washington, D.C.) an der Ostküste der Vereinig‐ sammenhang mit einer möglichen Militärregie‐ ten Staaten befanden und auf jeweils unter‐ rung.61 Die archivierten Dokumente über die Ar‐ schiedliche gesellschaftliche Schichten abziel‐ beiten zu diesen Themenbereichen und ihre Er‐ ten.66 Die New York Biographical Records Section gebnisse sind unübersichtlich und zersplittert. nahm überhaupt als eine der ersten Secret Intelli‐ Dies ist dem damaligen Gewirr an Kompetenzen, gence (SI) Branches des OSS ihre Arbeit auf und Abteilungen verschiedener Ministerien und der wurde ab 1941 von Emmy Crisler Rado geleitet.67 Vielzahl parallellaufender, aber nicht gemeinsam Diese Sektion fokussierte sich auf Informationen koordinierter Projekte geschuldet.62 von normalen Immigranten und sammelte In Angelegenheiten der Militärregierung war hauptsächlich allgemeine Informationen. Bis Kelsen nicht nur am BRP beteiligt, sondern 1941 hieß diese OSS‐Niederlassung Oral Intelli‐ wirkte zu österreichischen Fragen auch beim Ci‐ gence Branch.68 Zwischen Juni 1943 und Juni 1944 vil Affairs Guides Program mit.63 befragte diese Sektion 706 Österreicher.69 In einem Dankschreiben an William Donovan Die von der ADHG gesammelten Informationen drückte der US‐Kriegsminister Henry Stimson über Akademiker und Künstler wurden an das seine persönliche Wertschätzung für den großar‐ OSS‐Büro in Washington weitergeleitet.70 Das tigen Beitrag durch das OSS aus und lobte die primäre Ziel der Erhebung wird in den Doku‐ ausgezeichnete Zusammenarbeit im Bereich der menten in Harvard wie folgt angegeben: „[...] so Civil Affairs.64 Stimson weist in seinem Schreiben genaue und aktuelle Informationen wie möglich auch darauf hin, dass diese Zusammenarbeit ei‐ über Personen zu erhalten, die in der Zeit unmit‐ nen wichtigen Faktor für eine erfolgreiche Mili‐ telbar nach den Feindseligkeiten von Nutzen sein tärregierung darstellte. könnten.“71 Dem BRP wurde „eine sehr unmittel‐ bare und oft tragende Rolle bei militärische Ope‐ 2.4 Biographical Records Project rationen“ zugeschrieben.72 Insgesamt wurde 1396 Datensätze gesammelt, dabei kamen 200 Berater Der Startschuss für das Sammeln und Verarbei‐ und 528 Informanten zum Einsatz.73 So entstan‐ ten des mit der ADHG verbundenen Teils des

61 STIFTER, Zwischen Geistiger Erneuerung und Restau‐ 68 Ebd. ration 398f. 69 Ebd. 82. 62 Ebd. 220f. 70 Ebd. 63 EPPEL, Österreicher im Exil 2 214. 71 William Langer an Ralph Barton Perry, 23. 11. 1943, 64 Henry Stimson an William Donovan, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐ 72 Ralph Barton Perry an Josef Laurenz Kunz, 4. 10. RDP13X00001R000100370003‐1.pdf, 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. (23. 11. 2013/14. 8. 2018). 73 Abschlussbericht des ADHG Biographical Record 65 Wilmarth S. Lewis an Ralph Barton Perry, 4. 6. 1943, Committee, 25. 5. 1945, HUA, HUD 3139 Records of HUA, HUD 3139 Records of ADHG, Box 44. ADHG, Box 44. 66 Wilmarth S. Lewis an Ralph Barton Perry, 4. 6. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 67 MCINTOSH, Sisterhood of Spies 79.

72 Stefan RASTL den 178 biografische Aufzeichnungen über Ös‐ dieses Schreibens an mögliche Quellen und Bera‐ terreicher, wobei eine große Mehrheit Personen ter wurden mehr Informationen über diese ge‐ aus Wien behandelte.74 heime Operation zugänglich gemacht, als die Ralph Barton Perry verfasste ein Memorandum kontaktierten Informanten benötigten. Diese über den Umgang mit den gesammelten biografi‐ schriftlichen Informationen hätten leicht abge‐ schen Aufzeichnungen und wies darauf hin, dass fangen oder von einem Empfänger an einen geg‐ diese Aufzeichnungen als streng geheim galten: nerischen Agenten weitergegeben werden kön‐ „In Washington werden die Akten der Biographi‐ nen. Ralph B. Perry beabsichtigte höchstwahr‐ cal Records Section, egal ob auf Karteikarten oder scheinlich, die potenziellen Informanten dahin in Dokumenten, in schweren Tresoren mit Kombi‐ gehend zu beruhigen, dass alle Vorkehrungen nationsschlössern aufbewahrt, in Räumen, die getroffen wurden, um die Informationen und da‐ durchgehend von Mitarbeitern beaufsichtigt wer‐ mit die in diesen biografischen Aufzeichnungen den, solange die Tresore geöffnet sind. Diese genannten Personen zu schützen. Diese Zusiche‐ Räume befinden sich wiederum in einem Ge‐ rung war notwendig, da Berichte über persönli‐ bäude, das unter 24‐stündiger Bewachung steht che Besuche bei Informanten besagten, dass diese und zu dem nur Mitglieder der Abteilung oder an‐ sich nicht wohl zu fühlen schienen, Informatio‐ dere autorisierte Personen mit einem Sonderpass nen über mögliche Kollaborateure an das OSS Zugang erhalten. [...] Der Zugang zu denn Akte weiterzugeben.76 Emmy Crysler Rado von der der Sektion ‚Biografische Aufzeichnungen’ ist nur New York Branch berichtete auch, dass die be‐ Mitgliedern des Sektionspersonals oder ord‐ fragten Flüchtlinge ängstlich und nervös waren nungsgemäß bevollmächtigten Personen für klar und sie vermuteten, dass Rados OSS‐Büro eine definierte Zwecke möglich. [...] Die Konsultation von der inspirierte Organisation wäre von Material für biografische Aufzeichnungen und Informationen nach Deutschland weiterge‐ muss in den Büros der Sektion unter der Aufsicht ben würde.77 eines Mitarbeiters erfolgen. Nur Angehörige des Die Handlungen durch die ADHG gefährdeten Sektionspersonals dürfen sich in dem Raum, in die möglichen Kollaborateure mehr als nötig, in‐ dem die Tresore aufbewahrt werden, aufhalten. dem sie einen sensiblen Teil der Hintergrund‐ Alle Mitarbeiter erfahren vor Dienstantritt eine be‐ struktur des OSS in Washington skizzierten. Dar‐ sondere Sicherheitsuntersuchung. Die Kombinati‐ über hinaus wurde die Kennzeichnung der ver‐ onen der Tresore sind nur drei verantwortlichen wendeten vorgedruckten Formen durch das Mitarbeitern bekannt.“75 ADHG vom OSS als problematisch angesehen, da Obwohl in diesem Memorandum zunächst der die zuständige OSS‐Sektion und der volle Name streng geheime Charakter der Information betont der ADHG auf den gedruckten Formularen ge‐ wird, offenbart es auch den Umstand, dass es der nannt wurden.78 Der ADHG wurde geraten, diese ADHG manchmal an der nötigen Diskretion in Beschriftung zu schwärzen oder den betroffenen Sachen Spionage fehlte. Durch die Zusendung Teil der Vordrucke abzuschneiden.79 Der kommis‐ sarische Leiter der Sektion Biografische Aufzeich‐

74 Liste der Consultants and Sources from Austria, 77 MCINTOSH, Sisterhood of Spies 79. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 78 G.W. Cottrell an Ralph Barton Perry, 1. 10. 1943, 75Ralph Barton Perry, Information Letter for Sources on HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. Biographical Records, HUA, HUD 3139 Records of the 79 Ebd. ADHG, Box 44. 76 B.M. Kellmurray an Ralph Barton Berry, 6. 10. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48.

Harvard und das Office of Strategic Services 73 nungen G. W. Cottrell, musste die ADHG anwei‐ 2.5 Sammeln der Informationen sen, diese Vordrucke vollständig auszuscheiden. Die möglichen Informanten, die in den Vereinig‐ Zwar hatte ADHG die unerwünschten Informati‐ ten Staaten lebten, wurden meist per Post kontak‐ onen auf den Blättern geschwärzt, aber diese wa‐ tiert. Die ADHG entwarf und produzierte vier ren nach einer kurzen Untersuchung immer noch Vordrucke: FORM HA, FORM HB, FORM HC, lesbar.80 Das OSS erkannte zu Recht die Möglich‐ FORM HE. Diese Formulare fungierten als Frage‐ keit einer Enttarnung durch die Kennzeichnung bögen und Anleitungen zum Ausfüllen der Vor‐ der Vordrucke, die auch noch vereinzelt in den drucke durch die potenziellen Informanten.84 Ab‐ CIA‐Crest‐Akten zu finden sind. Diese führten gesehen von allgemeinen biografischen und poli‐ schließlich auch den Autor dieser Arbeit zu den tischen Informationen, die in FORM HA abge‐ ADHG‐Akten.81 fragt wurden, suchte man nach Personen mit den Zusätzlich führte die ADHG auch ihre eigenen folgenden Attributen, wie in FORM HC angege‐ ausgedehnten und detaillierten Aufzeichnungen ben: „persönliche Integrität, Selbstlosigkeit und über die Materialien, die nach Washington ge‐ intellektuelle Ehrlichkeit; die einen guten Ruf ge‐ schickt wurden. Diese Listen und Dateikarten nießen und Einfluss in ihren Gemeinschaften wurden offensichtlich nicht nach den gleichen ho‐ ausüben; und die über Fachkompetenz in ihren hen Standards bewacht und begründeten eine Fächern oder Berufen verfügen“.85 weitere unnötige Verwundbarkeit für das Projekt Die dritte und vierte Vorlage (FORM HB, FORM und die beteiligten Personen. Die unnötige Kor‐ HE) wurden übermittelt, um andere mögliche respondenz mit möglichen Quellen führte sogar Quellen in Erfahrung zu bringen. Die kontaktier‐ zu einer zusätzlichen Erörterung des genauen ten Quellen, die andere mögliche Informanten Umfangs der Zusammenarbeit mit dem OSS. Die nannten, wurden dann zusätzlich als Berater ge‐ zu untersuchenden Länder wurden genau einge‐ führt. Eine retournierte und ausgefüllte FORM schränkt und die ADHG aufgefordert, die Korres‐ HA, die nun den eigentlichen biografischen Da‐ pondenz auf ein Minimum zu beschränken.82 Wil‐ tensatz enthielt, wurde anS das OS in Washing‐ liam L. Langer, der Direktor der Research und ton weitergeleitet. Die sonstige Korrespondenz Analysis Branch des OSS, erinnerte Ralph B. Perry mit dem Informanten blieb dagegen bei der in einem Brief an die Notwendigkeit großer Sorg‐ ADHG. Nur durch die Kombination der CIA‐ falt beim Schutz von Informationen, die, wenn sie Crest‐Akten und des Materials in den Archiven bekannt wären, Leben in feindlichen Ländern ge‐ der Harvard University ist es daher möglich, ei‐ fährden könnten.83 Eine Enttarnung der als koope‐ nen umfassenden Überblick über das Material zu rationsbereit bezeichneten Personen durch die Ab‐ gewinnen, insbesondere wenn es um die Identifi‐ wehr oder die Gestapo hätte dementsprechende kation einzelner Informanten geht. Konsequenzen nach sich gezogen.

80 G.W. Cottrell an Ralph Barton Perry 26. 1. 1944, 83 William L. Langer an Ralph Barton Perry, 1. 5. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 81 Einige der ursprünglichen Vordrucke der ADHG 84 Form HA, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, können noch in den CIA‐Crest‐Dateien gefunden wer‐ Box 44. den, andere wurden von OSS‐Mitarbeitern umge‐ 85 Form HC, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, schrieben und daher können einige BRs im Original Box 44. und in der umgeschriebenen Form gefunden werden. 82 UNBEKANNT, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44.

74 Stefan RASTL

Es gab auch neue Informanten, die außerhalb von nal und Aufwendungen wie Telefon‐ und Porto‐ Boston lebten und bei denen die Annahme be‐ kosten. Die Quellen und Berater erhielten keine stand, dass sie über Informationen von großem Abgeltung für ihre Arbeit.91 Interesse verfügten. Diese wurden dem OSS für einen persönlichen Besuch und ein Interview 2.6 Einige Quellen und Berater vorgeschlagen.86 2.6.1 Hans Kelsen Die Interviewer, die die Anfragen für das Biogra‐ phical Records Project durchführten, schickten Kelsen wurde 1881 in Prag geboren und zog 1883 auch Berichte über ihre Einsätze zurück. In die‐ mit seiner Familie nach Wien. Er studierte sen mission briefings wurde erwähnt, dass die In‐ Rechtswissenschaften an der Wiener Fakultät formanten dazu neigten, die Verantwortung an und begründete die Reine Rechtslehre. Kelsen andere Personen weiterzugeben, indem sie den wird ein großer Einfluss auf den Aufbau und teil‐ Interviewern andere Personen als mögliche In‐ weise auch auf Inhalte der österreichischen Ver‐ 92 formanten nannten.87 Ein Interviewer beschrieb fassung von 1920 zugeschrieben. Als Informant die allgemeine Situation wie folgt: „Wenn eine entwarf Hans Kelsen einen BR über Adolf Merkl, Person als Informant besucht wird, stellt er sich der als sein treuester Schüler und Anhänger sei‐ 93 in der Regel als viel williger heraus, als Berater zu ner Theorien gilt. Es ist unklar, wer Kelsen als helfen [...]. Dies ist auf Druck bei der Arbeit, auf mögliche Quelle erstmals empfahl. Er war jeden‐ eine ausgedrückte, aber oft nicht vorhandene falls kein Unbekannter an der Harvard Univer‐ patriotische Haltung zurückzuführen und sity, von der er eine Einladung zur 300. Jahresta‐ manchmal auf den Verdacht, dass die Nennung gung der Gründung Harvards und zur Harvard seines Namens früher oder später Probleme ans Tercentenary Conference of Arts and Sciences er‐ Licht bringen könnte, für die er verantwortlich hielt. Ebenfalls erhielt er die Ehrendoktorwürde 94 sein könnte.“88 der Harvard University. Die Harvard Law School war auch die erste akademische Institu‐ Es überrascht nicht, dass sich nicht alle Beteilig‐ tion für den vertriebenen europäischen Gelehrten ten im Zusammenhang mit Geheimdienstaktivi‐ in den USA, wo er zum Teil finanziell von der Ro‐ täten wohl fühlten; daher führte die New York ckefeller Foundation unterstützt wurde und Oli‐ Branch einen dreistufigen Ablauf des Interviews ver Wendel Holmes‐Dozent für das akademische ein.89 Die Informanten wurden langsam vorberei‐ Jahr 1940/1941 war.95 tet, indem sie mehrere Interviews absolvierten. Das erste Gespräch zielte darauf ab, das Ver‐ Kelsen holte auch Ralph Barton Perrys wissen‐ trauen aufzubauen; Informationen sollten erst ab schaftliche Meinung zu seinem Aufsatz Value dem zweiten Treffen erhoben werden.90 Judgments in the Science of Law ein. Warum ge‐ nau Kelsen diese Expertise einholte, ist nicht Die Kosten der ADHG für das Projekt wurden ganz klar, aber Barton war in den USA als Philo‐ vom OSS übernommen und betrafen Büroperso‐

86 T. G. Brown an Mr. G. W. Cottrell, HUA, HUD 3139 92 OLECHOWSKI, Kelsens Beitrag zur Bundesverfassung Records of the ADHG, Box 44. 228. 87 B. M. Kellmurry an Ralph Barton Perry, 6. 10. 1943, 93 STAUDIGL‐CIECHOWICZ, Von Adamovich bis Pfeifer HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 214. 88 Ebd. 94 EHS, GASSNER, Hans Kelsen. 89 MCINTOSH, Sisterhood of Spies 80. 95 Ebd. 90 Ebd. 91 Biographical Records Projektausgabenkonto für Juli 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44.

Harvard und das Office of Strategic Services 75 soph durchaus etabliert. Wie Thomas Olechow‐ [sic!] 1890; Aryan; married; Catholic / professor of ski in seiner Arbeit betont, hatte Kelsen Mühe, administrative law at the University of sich finanziell, sprachlich und wissenschaftlich from 1928 until dismissal by Nazis in 1938 / one an sein neues Umfeld anzupassen. Er zielte daher of the most outstanding representatives of field wahrscheinlich darauf ab, seine Arbeit für die of jurisprudence and administrative law; enjoys anglo‐amerikanische Sphäre bestmöglich zu excellent standing in field; very high intellectual adaptieren.96 integrity; is a scholar rather than an administra‐ Taylor Starck, Vorsitzender des Biographical Re‐ tor. cords Committee, empfahl Kelsen in einem Brief Source (49), Berkley. vom Juli 1943 als möglichen Informanten.97 Kel‐ American Defense, Harvard Group (CVI) Cam‐ sen wurde im August 1943 erstmals von der bridge, 19 October 1943.”100 98 ADHG wegen biografischer Daten kontaktiert. Nachdem er seine Antwort und den BR über Nachdem diese keine Antwort erhalten hatte, Merkl geschickt hatte, kontaktierte die ADHG wurde er im Oktober erneut kontaktiert und um Kelsen ein letztes Mal und drängte auf weitere eine Antwort gebeten, auch wenn diese negativ Namen von Kooperationswilligen. Kelsen 99 ausfallen sollte. scheint nicht geantwortet und nur diesen einen Kelsen antwortete mi einem kurzen Brief: BR über Merkl verfasst zu haben, was darauf hin‐ „Dear Prof Taylor, deutet, dass er entweder das Vertrauen in die po‐ with reference to your letter of October 5th, I am litische Integrität seiner ehemaligen Kollegen sending you enclosed a biographical record con‐ und Freunde verloren hatte oder er sie aufgrund cerning Professor Adolf Merkl of the University mangelnder (administrativer) Fähigkeiten für die of Vienna. He is the only person I know who ful‐ alliierten Bemühungen als nicht nützlich erach‐ fils the requirements specified in form HC. tete. In Merkls BR erwähnt Kelsen, dass Merkl I knew, of course, many persons who, at the time eine „sehr hohe intellektuelle Integrität“ habe, before the Nazis came into power, were anti‐ aber „Gelehrter und kein Verwalter“ und daher Nazi. But only of Merkl I am sure that he has not laut Kelsen nicht wirklich geeignet sei. Sein ehe‐ changed his mind. He was one of my best stu‐ maliger Student und Freund Alfred Verdross von dents, and later on one of my colleagues at the der Wiener Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Law Faculty in Vienna. der im Laufe seiner Karriere mehrere bemerkens‐ werte Verwaltungspositionen innehatte und so‐ Very sincerely yours, Hans Kelsen” mit höchstwahrscheinlich hinsichtlich seiner Fä‐ Wie bereits ausgeführt, befindet sich der von higkeiten geeignet gewesen wäre, wird von Kel‐ Hans Kelsen verfasste BR zu Adolf Merkl in den sen nicht einbezogen.101 Verdross wurde 1942 in Unterlagen des CIA‐Crest‐Progrmms. Er enthält eine leitende Position an der Juristischen Fakultät folgende Informationen Wien berufen und war Generalsekretär der „Merkl, Dr. Adolf: Former professor of law, Uni‐ Association Internationale Vitoria at Suarez. Wei‐ versity of Vienna; probable address: Grinzinger Allee 43A, Vienna / born in Vienna, 23 march

96 OLECHOWSKI, Kelsen in Berkeley 60. www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐RDP82‐ 97 Taylor Starck an Ralph Barton Perry, 14. 7. 1943, 00038R1000190017‐4.pdf HUA, HUD 3139 Records of ADHG, Box 44. (19. 10. 1943/14. 8. 2018). 98 Taylor Starck an Hans Kelsen, 5. 10. 1943, Kasten 48. 101 BUSCH, Alfred Verdross 153. 99 Taylor Starck an Hans Kelsen, 25. 10 .1943, Kasten 48. 100 Hans Kelsen, OSS Biographical Record H‐1661 on Adolf Merkl 4,

76 Stefan RASTL ters gründete er eine österreichische Niederlas‐ beim Völkerbund und bekleidete diese Position sung der internationalen Organisation The New bis 1932.107 Kunz schrieb eine Monographie über Commonwealth.102 Kelsen erwähnte Verdross chemische Kriegsführung während des Ersten höchstwahrscheinlich nicht aufgrund des Unmu‐ Weltkriegs, welche er persönlich als Frontoffizier tes über die erzwungene Übernahme der Zeit‐ im Ersten Weltkrieg erlebt hatte.108 Während die‐ schrift für öffentliches Recht durch Verdross im ser Zeit muss er die Aufmerksamkeit von Allen Jahr 1934. W. Dulles auf sich gezogen haben. In der Zwi‐ Ein weiterer Grund für die verzögerte Antwort schenkriegszeit war Dulles auch Rechtsberater könnte auch die Furcht vor der Gestapo gewesen der Delegationen für Waffenbeschränkung beim sein.103 Merkl war bereits zwei Wochen nach dem Völkerbund und sein Bruder John Foster Dulles Österreichs im Jahr 1938 von der Ge‐ war Präsident und Vorsitzender des Kuratori‐ stapo aufgesucht worden, wobei ein verdächtiger ums der Rockefeller Foundation.109 Kunz wurde Brief und sein Reisepass beschlagnahmt wur‐ 1932 erstmals als Rockefeller Fellow in die USA den.104 Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, eingeladen, wo er 1934 zum ordentlichen Profes‐ dass die neuen Machthaber keinen positiven Ein‐ sor für Rechtswissenschaften an der University of druck von Merkl hatten. Auch wenn Kelsen von Toledo (Ohio) ernannt wurde.110 Nach dem Aus‐ diesem Vorfall nichts gewusst hat, befürchtete er bruch des Zweiten Weltkriegs wurde Allen wohl zu Recht die möglichen Folgen für Merkl. Dulles OSS‐Direktor für Europa.111 Daher wollte er möglicherweise seinen treuen Als Kunz von der ADHG kontaktiert wurde, ar‐ Freund durch seine Nennung nicht gefährden. beitete er bereitwillig mit und verfasste einen BR Dass ihre Freundschaft nicht beeinträchtigt über seinen engen Freund Alfred Verdross. Er wurde, zeigt sich auch in einem Brief, den Kelsen fungierte auch als Berater, indem er andere mög‐ nach dem Krieg im Namen Merkls schrieb. Er un‐ liche Quellen in den USA benannte.112 Der fol‐ terstützte Merkls Bemühungen bezüglich einer gende Brief von Kunz an die ADHG findet sich Rückkehr an die Universität Wien.105 in den ADHG‐Akten:113 ʺDear Mr. Perry: 2.6.2 Josef Laurenz Kunz In Reply to your letter of October 4, I would like Josef Laurenz Kunz war ebenfalls ein ehemaliger to state that as a man, who has devoted his life to Student und Kollege von Kelsen und wanderte the study of international law, I practically know 1932 in die Vereinigten Staaten aus, nachdem er all international lawyers of the world personally. an der Universität Wien unter anderem auch we‐ But as I am a born Viennese and was from 1927 gen seiner engen akademischen Beziehung zu to 1932 lecturer in international law at Vienna 106 Kelsen diskriminiert worden war. Im Jahr 1920 University Law School, I will restrict myself to wurde Josef Kunz Rechtsberater Österreichs

102 Ebd. 153. 111 DULLES, Germany‘s Underground. 103 Ebd. 151. 112 Josef Laurenz Kunz, OSS Biographical Record 104 STAUDIGL‐CIECHOWICZ, Von Adamovich bis Pfeifer FORM HA on Alfred Verdross, pag. 10–13 215. www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐RDP82‐ 105 Ebd. 216. 00038R001000200020‐8.pdf 106 KAMMERHOFER, Josef Laurenz Kunz 244f. (15. 10. 1943/14. 8. 2018). 107 Ebd. 1f. 113 Josef Laurenz Kunz an Ralph Barton Perry, 108 KUNZ, Völkerrecht und Gaskrieg 7. 12. 10. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, 109 FOSDICK, Geschichte der Rockefeller Foundation, Box 48. Anlage II. 110 Ebd. 3.

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Austria and, according to the purpose of the Har‐ Sehr interessant ist, dass der BR von Kunz zu vard Group, to scholars in my field. I am an Verdross zusätzliche Informationen über Ver‐ American citizen, have been continuously in this dross enthält, etwa dass dieser offenbar 1939 ver‐ country since 1932 and have since that time never sucht hatte, aus Österreich in die USA auszuwan‐ been back to Europe. It is interesting to note, that dern: of the professors of Vienna Universityw La „[...] 7. Biography (brief): Has long belonged to School, apart from many who have died since staff of Vienna Univ. Law School since the early 1932, a great number are no longer in Austria, but twenties, after having served a few years in the in the United States. Thus my great teacher and diplomatic service of the Austrian Foreign Office friend, Professor Hans Kelsen, who drafted the under the Republic of Austria. In the late twenties democratic Constitution of the Austrian Repub‐ he was made full professor. His principal field is lic, is now Visiting Professor at the University of International Law. Accepted by the end of 1939 to California, Berkeley. My Vienna University col‐ continue to serve at Vienna University under the league, Dr. A. Lenhoff,114 is now Librarian at the present regime, sBUT wa an enthusiastic adher‐ Buffalo University Law School and so on. This is ent of the League of Nations, a scientific protago‐ true also with regard to younger men, who were, nist of compulsory international adjudication prior to 1932, students; some of them have been and of an advanced international organisation my disciples, as e.g. Dr. Hans Aufricht, now Sec‐ […] retary of the New York Commission to study the 11. Political party or leaning organization of peace. 12. Evidence of discrimination on the part of the One could say, that a large proportion of the Vi‐ present regime: With Austrian Christian Social enna University Law School is now in this coun‐ (that is, Catholic) Party. Immediately after the try. On the other hand, I learned that after the an‐ German annexation, Prof. Verdross was sus‐ nexation of Austria by Germany 1938 the Na‐ pended from Vienna University for 1½ years, tional Socialist regime has appointed young Ger‐ probably on account of his strong Catholic con‐ mans (not Austrians) as full professors at Vienna victions and the fact that his brother, an aid to Law School, often men who were, by no means, Chancellor Schuschnigg, was immediately sent prominent scientifically, but unconditional ad‐ to a concentration camp and was still there when herents of the NSDAP. I had the last letter from Prof. Verdross in 1940. Of the Vienna Law School of my time (prior to 13. Intimate friends and associates: V. Additional 1932) one of the few who is still there, is Prof. Al‐ comments: A personal friend of mine; was much fred von Verdross; I have the honor to transmit in with him between 1920 & 1932, and in corre‐ the Annex information concerning him. spondence until 1940. During the time of his sus‐ I would be glad, if this information would be of pension he published nothing; his correspond‐ some value to you. I need hardly say that I am ence was under strict German censorship, so that always he corresponded with me in Italian without sig‐ at your disposal and I am, dear Mr Perry, nature and via Yugoslavia. Cf. on the discrimina‐ Very sincerely yours, Josef L. Kunz.“115 tion against him the late Prof. J.W. Gerner´s arti‐ cle in ‘American Journal of International Law’,

114 Lenhoff entwarf auch einen BR über Adolf Merkl; www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐RDP82‐ dieser befindet sich in den CIA‐Crest files vor Hans 00038R1000190017‐4.pdf Kelsen Beitrag über Adolf Merkl, OSS Biographical Re‐ (19. 10. 1943/14. 8. 2018). cord H‐1661 on Adolf Merkl, 115 Ebd.

78 Stefan RASTL

XXXIII, I; 1939, pp. 116‐117. During the same time Arms der O5‐Widerstandsgruppe wurde, dem he begged me to see whether he could get a pro‐ Provisorischen Österreichischen Nationalkomi‐ fessorship in the United States, which proved im‐ tee (POEN). Die O5 und ihr politischer Arm stan‐ possible, due to the continuing depression. When den wiederum in Kontakt mit Fritz Molden, ei‐ he, at the end of 1939, accepted the offer of the nem der wichtigsten OSS‐Agenten von Allen new regime to continue at Vienna University, it Dulles in Österreich.120 Russische Beamte vermu‐ must be borne in mind that he had failed to get a teten, dass die POEN sogar von den amerikani‐ professorship in this country and that he was un‐ schen und britischen Geheimdiensten geschaffen der strong financial strain, as he had to care not worden waren.121 only for his own family and his old mother, but In einem zweiten Brief an die ADHG nennt Kunz also for the whole family ofs hi brother, sent to weitere Akademiker, die damals in den USA leb‐ and detained in a German concentration camp. ten und als Informanten eingesetzt werden könn‐ Is personally known, esteemed and respected as ten. Diese Liste enthielt den Namen des mögli‐ a man and a scholar, by many leading American chen Informanten, die Position vor dem Krieg international lawyers, as e.g. Judge Manley O. und seine aktuelle Adresse in den Vereinigten Hudson of Harvard. Prof. Hans Kelsen, Univ. of Staaten. Diese Liste bestand aus den folgenden Calif., political Science.”116 Namen: Erich Hoor, Leo Gross, Erich Hula, Hans Als enger Freund von Kunz und einer der wich‐ Herz, Wolfgang H. Kraus, Erich Voegelin, Emil tigsten Schüler Kelsens ist Verdross der einzige von Hofmannsthal und Maximilian Kößler.122 bekannte Gelehrte für Internationales Recht aus Nach handschriftlichen Ergänzungen eines unbe‐ Wien, der kontinuierlich an der Wiener Rechts‐ kannten Autors auf dem Brief wurden mehrere schule tätig war.117 Untersuchungen von Oliver der vorgeschlagenen Personen zu Quellen und/o‐ Rathkolb zeigen die Berührungspunkte mit den der Beratern des BRP. herrschenden Nazis bis hin zur systematischen Sympathie für das Regime in jener Zeit.118 Kunz 2.6.3 Otto Benesch verteidigt Verdross, indem er erklärt, dieser habe Benesch war akademisch nicht mit Kelsen und sich nur mit den Nazis arrangiert, um seine Fa‐ seinem Kreis verbunden, aber er war einer der milie zu erhalten. Er schien sich sicher zu sein, aktivsten österreichischen Akademiker im dass Verdross noch zuverlässig war und in einer ADHG. Otto Benesch war Kunsthistoriker und kommenden Militärregierung nützlich sein wurde 1947 Direktor des Albertina Museums.123 konnte. Im Gegensatz dazu erschien Kelsen des‐ 1941 war er Dozent an der Harvard Summer sen politische Ausrichtung vor und während des School und später Angestellter am Fogg Art Mu‐ Krieges zweifelhafter. Nach dem Krieg gelang es seum.124 Innerhalb der ADHG war er Mitglied Kunz, seine beiden Freunde Kelsen und Verdross zu versöhnen.119 Bemerkenswert ist auch, dass Alfred Verdross tatsächlich Teil des politischen

116 Josef Laurenz Kunz, OSS Biographical Record 120 MUGRAUER, Bande von Gaunern 101ff. FORM HA on Alfred Verdross, pag. 10–13 121 STELZL‐MARX, Carl Szokoll 95. www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐RDP82‐ 122 Josef Laurenz Kunz to Thomas G. Braun 5. 11. 1943, 00038R001000200020‐8.pdf HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 13. (15. 10. 1943/14. 8. 2018). 123 FEICHTINGER, Zwischen den Kulturen 434. 117 BUSCH, Der Kreis um Kelsen 153. 124 Ebd. 118 RATHKOLB, Rechts‐ und Staatswissenschaftliche Fa‐ kultät 216ff. 119 KAMMERHOFER, Josef Laurenz Kunz 246f.

Harvard und das Office of Strategic Services 79 des Führungsgremiums125 und wie bereits er‐ Realizing that from now on, more than ever be‐ wähnt, trugen Benesch und seine Frau auch zur fore, you will be concerned with problems of Eu‐ Arbeit des Denkmalschutzausschusses bei. In‐ ropean reconstruction, I should like to tell you nerhalb des BRP war er auch einer der produk‐ about a thought which occurred to me recently in tivsten Berater, da er für 125 biografische Auf‐ this connection. zeichnungen verantwortlich war.126 Seine Arbeit You know that before the invasion I served in the und seine Loyalität gegenüber amerikanischen courts of Upper and Lower Austria for ten years, Interessen schienen von US‐Beamten sehr ge‐ five years of which I worked as a judge in rural schätzt worden zu sein; nach dem Krieg gehörten as well as metropolitan communities. Since my Otto Benesch und Ferdinand Czernin zu den ers‐ period of service included several years of politi‐ ten, die für eine rasche freiwillige Rückreise nach cal unrest, the close contact I had with all parts of Österreich empfohlen wurden. (siehe unten in the population has acquainted me to a considera‐ Kapitel 2.6.5).127 ble extent with both the typical setup of the polit‐ ical life in those communities, and with the moral 2.6.4 Albert Ehrenzweig Junior and political attitude of many individuals, and Albert Rudolf Ehrenzweig war Richter und Uni‐ administrative employees. I should of course be versitätsdozent in Österreich. 1938 floh er mit sei‐ only too glad to put these experiences to the use ner Familie aus Österreich, wo ihm im Juni 1939 of any governmental agency that might be inter‐ der akademische Abschluss aberkannt wurde.128 ested in collecting data. Er emigrierte in die USA, kehrte aber im Gegen‐ There is another matter that has been worrying satz zu seinem Vater, einem Universitätsprofes‐ me a great deal. There seems to be a danger that sor an der juristischen Fakultät in Wien und in any plan of reconstruction Austria will be ebenfalls ehemaligem Richter, nach dem Krieg treated as just another region of Germany ‐ I do 129 nie wieder zurück. Von 1942 bis 1944 war er not mean from the standpoint of merit or de‐ Mitglied der Law Revision Commission of New merit, butm fro a merely technical point of view. York, arbeitete für eine renommierte Kanzlei in Such a procedure would involve a waste which New York und lehrte von 1947 bis zu seinem Tod the United Nations can ill afford in a situation 130 1974 an der Berkeley Law School. Ein Schreiben which will require the utilization of all available von Albert Ehrenzweig findet sich in den ADHG‐ constructive forces. To cut my story short: Aus‐ Akten und enthält eine Studie über das österrei‐ tria can claim an administrative asset having no chische Justizsystem im Zusammenhang mit equal in yan other part of Central Europe, i.e. her Nachkriegsfragen. Der Brief von Ehrenzweig gibt judicial personnel, which in my opinion, would einen Einblick in dessen Ansichten über die ös‐ offer an ideal center around which to construct a 131 terreichische Justiz und ihre Vertreter. Weiters system of any military or administrative govern‐ enthält der Brief einen kurzen historischen Über‐ ment that might be deemed desirable. blick und beschreibt die politischen und persön‐ While the judicial system in Germany has under‐ lichen Hintergründe österreichischer Richter: gone several violent changes (swing to the left af‐ „Dear Frederic: ter the first war, and early reaction to the right),

125 Liste der Mitglieder des Lenkungsausschusses, an 128 MAIR, Zivilverfahrensrecht 302f. welche wöchentliche Berichte gesendet werden HUA, 129 Ebd. HUD 3139 Records of the ADHG, Box 86. 130 RIESENFELD, BARTON, HILL, Universität Berkeley. 126 Liste der Consultants, HUA, HUD 3139 Records of 131 Albert Ehrenzweig an Frederic Hellin, 2. 1. 1944, the ADHG, Box 44. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 127 EPPEL, Österreicher im Exil 2, 710.

80 Stefan RASTL while moreover in the successor states of Austro‐ Far remote as these Austrian judges may be from Hungary the German‐speaking judges of the an ideal body of administrators, they represent a monarchy were largely replaced by native group of men who would administer the laws of judges, appointed according to the prevailing po‐ the United States as faithfully as the lays of mo‐ litical trend, Austria, until very recently (accord‐ narchic, republican and totalitarian Austria, and, ing to my knowledge until 1942), kept in office a most important, would command a popular con‐ homogenous stock of judges belonging to a body fidence, which no other group of officials could which in continuous regeneration can be traced claim, a confidence comparable probably only to back to the time of the monarchy. that offered to the clerus in Italy. The decisive feature of this development is the I have drafted for myself a blueprint of a kind of fact that this body survived the revolution of administrative system based on the judiciary un‐ 1918, the leftist era of the socialist coalition, the der Allied control, and should be happy to write Dollfuss, the Heimwehr and the Schuschnigg pe‐ you more about ethis, in cas you should think it riod, and to an astonishing extent the Hitler re‐ to be worth while [sic!]. gime, – probably because the large majority of Cordially Yours, this body belonged to a political group which, Albert Ehrenzweig.“132 practically extinct and totally powerless else‐ Die OSS‐Akten enthalten auch eine Reihe von bi‐ where, represented a curious mixture of liberal, ografischen Aufzeichnungen über hochrangige anti‐catholic, anti‐socialist, anti‐radical tenden‐ österreichische Richter, die alle als echte Demo‐ cies, an utterly colorless and harmless type of kraten galten und für Nachkriegspläne sehr wert‐ Biertisch‐politics. But, aside of these not too com‐ voll waren.133 Die BRs wurden über folgendende mendable qualities, these men had, I should österreichische Richter verfasst: Rudolf Michler, think, still have, one merit which has made them Max Strassner, Julius Stava und Adolf Seitz.134 acceptable to all groups successively in power Diese BRs wurden nicht über die ADHG gesam‐ and has won them a tremendous confidence in all melt, da sie das Etikett der BRP‐Niederlassung classes of the population: their absolute impar‐ New York tragen.135 Die Quelle bleibt unbekannt, tiality and incorruptibility, which in view of the aber Ehrenzweig war laut seinem Brief in New intolerable financial and political conditions un‐ York ansässig und es ist daher möglich, dass die der which they developed (a young judge used to New York Branch ihn dort persönlich inter‐ have monthly salary of $ 60), can be explained viewte. Ein Schreiben des OSS an die ADHG be‐ only by the tremendous force of the uninter‐ stätigt, dass auch die New Yorker Niederlassung rupted tradition of a cast [sic!]. The fact that al‐ diesbezügliche Informationen sammelte.136 Eine most never a nma was appointed judge, who had Liste von schriftlichen Dokumenten über Ge‐ not at least an uncle in court service, certainly did richte, Schulen, Gewerkschaften etc. listet Ehren‐ not make for a particularly high‐grade selection, zweig als Autor einer Studie über österreichische but it made it unthinkable for any member of the Gerichte auf.137 Die OSS‐Akten enthalten ein in‐ cast [sic!] to dishonour his family and profession. ternes Memorandum von Franz Neumann, in

132 Ebd. 134 Ebd. 133 Biographical Records by OSS New York Branch on 135 Ebd. Rudolf Michler, Max Strassner, Julius Adolf Seitz, CIA‐ 136 S. W. Cottrell an Taylor Starck, 20. 11. 1943, HUA, CREST HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. [https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐ 137 Liste der Direktiven, HUA, HUD 3139 Records of RDP82‐00038R001000200009‐1.pdf] the ADHG, Box 44. (21. 10. 1943/14. 8. 2018).

Harvard und das Office of Strategic Services 81 welchem eine Studie über das österreichische excuse me please for answering your letter so be‐ Justizsystem erwähnt wird, die als sehr wertvoll latedly. The fact of the matter is that we have galt.138 Neumann, der Jurist, Politikwissenschaft‐ tried to organize such a list as you are compiling ler und führender Intellektueller war, arbeitete on your own. However, lacking the necessary für das OSS im Bereich der Nachkriegspla‐ support we have not got very far. May I be per‐ nung.139 Das Handbook for Military Government mitted to make a suggestion, which I also made of Austria enthält ebenfalls einen Anhang zum to Sara Wambaugh, namely that we nominate to österreichischen Gerichtssystem.140 you individuals of high standing who know the various professional groups they were connected 2.6.5 Ferdinand Czernin with in Austria. I enclose a tentative list of people Ferdinand Czernin war ein österreichischer Aris‐ whom it may be worth your while to approach. tokrat und der Sohn von Ottokar Czernin, wel‐ Please let me know, whether this is any good to cher der drittletzte Außenminister des österrei‐ you and whether we can be of any further help. chischen Kaisers Karl gewesen war. Die Außen‐ Yours very sincerely, for Austrian Action dienststelle der OSS betrachtete ihn als einen der Ferdinand Czernin.” 20 interessantesten politisch Protagonisten. Er Czernins Liste enthielt folgende Personen und war Vorsitzender der größten österreichischen deren Tätigkeitsgebiete: politischen Exilgruppe –r de Austrian Action mit “Municipality of Vienna: Dr. Hugo Breitner, 1175 rund 1500 Mitgliedern.141 Die Austrian Action Indian Hill Road Claremont, Cal., Dr. Siegfried wurde heimlich von Großbritannien unterstützt Altmann, 600 W 218 Street, New York, N.Y. und finanziert.142 Als Vorsitzender der Austrian Foreign Trade: Dr. Richard Schueller, 3204 Ox‐ Action stand er bereits vor dem Beginn des BRP ford Avenue, The Bronx, N.Y. mit der ADHG in Kontakt.143 Czernin wurde von seinem Freund Otto Benesch empfohlen und so‐ Ministry of Finance: Dr. Oscar Wollheim, Hotel gar eingeladen, bei einer der Sitzungen des Len‐ Belmont Plaza, Lexington Ave. & 49 Street, New kungsausschusses der ADHG teilzunehmen. Er York, N.Y. reichte eine Liste von 17 möglichen Informanten Foreign Office: Dr. Martin Fuchs, 730 W, 183 in den USA ein, die bei der Bereitstellung weite‐ Street, New York, N.Y. rer biografischer Aufzeichnungen hilfreich sein Police: Dr. Richard Redler, 3480 University Street, konnten.144 Czernin führt in dem Schreiben, dem Montreal, Canada. die Liste beigefügt ist, aus, dass die Austrian Ac‐ Press: Ludwig Ullmann, 119 W 80 Street, New tion bereits versucht habe, eine eigene Liste zu or‐ York, N.Y. ganisieren, aber nicht sehr weit gekommen sei, Timber and Forestry: Dr. Egon Glesinger, Albe‐ da ihr die notwendige Unterstützung fehle:145 marle Inn, Ashville, N.C. „Dear Mr. Perry, Salt Mining: Felix Gerstmann, 143W 80 Street, New York, N.Y.

138 Franz L. Neumann an William B. Kip, 6. 2. 1945, con‐ 141 EPPEL, Österreicher im Exil 2 47. fidential OSS Office Memorandum 147, 142 Ebd. https://www.cia.gov/library/readingroom/docs/CIA‐ 143 TRAUSSNIG, Militärischer Widerstand 43. RDP13X00001R000100370003‐1.pdf, 144 Ralph Barton Perry an Sara Wambaugh, 27. 11. 1943, (6. 2. 1945/14. 8. 2018). HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 139 STIFTER, Zwischen Geistiger Erneuerung und Res‐ 145 Ferdinand Czernin zu Ralph Barton Perry, 29. 11. tauration 166. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 47. 140 Österreich Military Government, Handbook, An‐ hang Nr. 32B.

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Schools: Maria Deutsch, 243 Riverside Drive, Folgendes: „[...] (c) have obtained reasonable fa‐ New York, N.Y. miliarity with the American scene and American Monuments & Art: Prof. Dr. Otto Benesch, 283 institutions, and (d) that they can be expected to Harvard Street, Cambridge, Mass. remain sympathetic to the United States.” Theatre: Ernst Lothar, Hotel Gladstone, 114 E 52 2.6.6 Felix Kaufmann Street, New York, N.Y., Hans Jaray, Hotel Cry‐ don, 12 E 86 Street, New York, N.Y. Felix Kaufmann wurde 1895 in Wien geboren, wo er als interdisziplinärer Wissenschaftler an der Banks: Dr. H. Oppenheim, 36 W 89 Street, New Universität Wien arbeitete und von Hans Kelsen York, N.Y. wissenschaftlich stark beeinflusst wurde.150 Auf‐ Courts of Law: Dr. Robert Langer, 14 W 75 Street, grund seiner jüdischen Herkunft wurde er diskri‐ New York, N.Y. miniert und musste aus Österreich fliehen, nach‐ Lawyers: Dr. S. Geyerhahn, 9406, 34 Road, Jack‐ dem 1938 seine Lehrerlaubnis an der Universität son Heights, L.I.N.Y.” Wien widerrufen worden war. Nach seiner An‐ Diese Liste wurde nach Washington geschickt kunft in den USA wurde er wissenschaftlicher und in einem Brief ausdrücklich erwähnt, da die Mitarbeiter an der New School for Social Rese‐ ADHG diese Liste für besonders wertvoll erach‐ arch in New York und Mitherausgeber der Zeit‐ tete.146 schrift Phenomenology and Philosophical Rese‐ Der Studie von S.W. Gould über Österreich ist arch.151 der oben erwähnte Bericht von Ferdinand Kaufmanns schriftliche Erklärung, nachdem er Czernin über Otto Habsburgs Geburtstagsfeier in von der ADHG kontaktiert wurde, spiegelt er‐ New York beigefügt. Otto Habsburgs (politische) neut den Vertrauensverlust gegenüber seinen Aktivitäten wurden durch das OSS überwacht ehemaligen österreichischen Kollegen wider, die und auch Czernin scheint den Geheimdiensten nicht aus dem Land geflohen waren, da Kauf‐ über Habsburg berichtet zu haben (siehe auch mann nur eine einzige Person vorschlug, die er 1.4.1).147 für geeignet hielt: In einer von Otto Habsburg erstellten Liste über „Dear Professor Perry politisch aktive Österreicher, beschrieb dieser After the receipt of your letter of October 4th I Czernin dem OSS gegenüber dagegen wie folgt: have earnestly considered whether I could sug‐ „Czernin ist keine sehr starke Persönlichkeit, er gest any of my former colleagues of the Univer‐ scheint in der Politik nicht sehr gut zu urteilen sity of Vienna who is still there, as absolutely re‐ 148 [...].ʺ liable. There was only one man whom I would Ende September 1945 empfahl der Leiter der have dared to recommend and so I tried to get OSS‐Außenstelle für eine Gruppe von 17 österrei‐ news about him. Today I received the news of his chischen Flüchtlingen eine rasche Prüfung einer death. I am very sorry that I cannot provide you möglichen Rückkehr nach Österreich ins Außen‐ with a positive answer. ministerium, darunter Czernin und Benesch.149 With best regards, Die Anforderungen an diese Personen umfassten I am,

146 T. G. Brown an G. W. Cottrell 25. 2. 1944, HUA, 149 Ebd. 710. HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 150 KRISTOFERISCH, Kreis um Hans Kelsen 153. 147 Ferdinand Czernin, Bericht zum 30. Geburtstagsdin‐ 151 Ebd. 156. ner von Otto Habsburg, 20. 11. 1942, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 18. 148 EPPEL, Österreicher im Exil 2 243.

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Yours sincerely, englischer Sprache veröffentlichte, wurde er Mit‐ Felix Kaufmann”.152 glied des Verlagsvorstands. Das Foreign Service Der Vorsitzende des Ausschusses für Biografi‐ Institute des US‐Außenministeriums ernannte sche Aufzeichnungen fragte Kaufmann noch ihn von 1957 bis 1968 zum Dozenten. nach dem Namen der Person, für den Fall, dass In Bezug auf das BRP wurde Leo Gross 1943 von der Name bereits in einer Akte stünde, ohne dass einem Interviewer persönlich besucht und kurz der Tod des Betreffenden darin vermerkt wäre.153 befragt.156 Während seines Interviews stellt der In einem zweiten kurzen Brief nannte Kaufmann Interviewer fest, dass Leo Gross „ein wenig un‐ Richard Strigl als den verstorbenen Kollegen, den ruhig schien, wenn er gebeten wurde, bei dieser er hatte vorschlagen wollen.154 Arbeit zu helfen [...] er hat mir den Eindruck ver‐ mittelt, dass er weder sich selbst noch seine 2.6.7 Leo Gross Freunde in Europa an Kriegsaktivitäten beteili‐ Leo Gross wurde in Galizien als Sohn eines jüdi‐ gen wollte.“157 Offensichtlich litten die Intervie‐ schen Kaufmanns geboren. Seine Familie zog wer, die an der Universität Harvard arbeiteten, nach Wien, wo er an der juristischen Fakultät in unter den gleichen Problemen wie die New Yor‐ Wien studierte und ebenfalls Schüler von Hans ker Abteilung, jedoch wurde die dort entwickelte Kelsen war.155 Er war auch ein Stipendiat der Ro‐ dreistufige Interviewtechnik offenbar nicht ange‐ ckefeller Foundation, was ihm ein Studium an wendet. der London School of Economics, der Columbia University in New York sowie der Harvard Uni‐ 2.6.8 Gottfried Haberler versity ermöglichte, wo er 1931 einen Abschluss Gottfried Haberler wurde 1900 in Purkersdorf bei als Doktor der Juridical Science erhielt. 1935 be‐ Wien geboren und studierte Wirtschafts‐ und gann er für das International Institute of Intellec‐ Rechtswissenschaften in Wien, London und Har‐ tual Cooperation in Paris zu arbeiten –, dem Vor‐ vard.158 Nachdem er außerordentlicher Professor gänger der UNESCO im Völkerbund. Nach einer in Wien geworden war, beendete er dort seine abenteuerlichen Flucht aus Europa im Jahr 1940, akademische Karriere bereits in den 1930er Jah‐ begann er eine erfolgreiche akademische Karriere ren, indem er Gastdozent an der Harvard Univer‐ in den USA. Zu seinen dortigen Stationen gehör‐ sity (1931/32) und Experte des Völkerbundes in ten eine Professur für Internationales Recht an Genf (1934–1936) wurde. Seine Frau galt als der Fletcher School of dLaw an Diplomacy, eine „Mischling zweiten Grades“ nach den Nürnber‐ Beraterstelle für die UNRAA (1943–1944) und die ger Rassengesetzen.159 Er emigrierte daher schon Rechtsabteilung der UNO (1947–1948). Er wurde vor dem Anschluss, im Jahr 1936, in die USA, wo Professor am US Naval War College (1954–1955) er 1943 eingebürgert wurde. Seine akademische und 1956 Vorstandsmitglied der American Karriere in den USA war sehr erfolgreich, da er Society of International Law. Beim American Professor für internationalen Handel an der Har‐ Journal of International Law, in dem er auch die vard University wurde und mehrere andere meisten seiner wissenschaftlichen Arbeiten in hochrangige akademische und politische Positio‐ nen innehatte. Er wurde Chief Consultant Officer

152 Felix Kaufmann an Ralph Bartauf Perry, 31. 12. 1943 156 B. M. Kellmurry an Ralph Barton Perry, 6. 10. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 153 Brief von Taylor Starck an Felix Kaufmann, 6. 1. 157 Ebd. 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 158 HUBER, Gottfried Haberler. 154 Brief von Felix Kaufmann an Professor Starck 17. 1. 159 Ebd. 1944, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 48. 155 KAMMERHOFER, Kreis um Hans Kelsen 115.

84 Stefan RASTL of Price Administration (1941), Berater im Board ten auch einen Einblick in die Entstehung des ers‐ of Governors des Federal Reserve System of the ten modernen Geheimdienstes und seiner Ver‐ USA, Vizepräsident (1949) und Präsident (1962) wissenschaftlichung. der American Econometric Society, Mitglied und Das Biographical Record Project als Teil des US später Präsident (1950/51) der International Eco‐ Civil Affairs Program hatte offensichtlich eine nomic Society und des National Bureau of Eco‐ große Bedeutung für den Wiederaufbau der eu‐ nomic Research in New York. Haberler erhielt ropäischen Demokratie. Es ermöglichte den Alli‐ auch internationale Ehrendoktorwürden zahlrei‐ ierten, vertrauenswürdige Partner in der unmit‐ cher Universitäten.160 Er war ein weltbekannter telbaren Nachkriegszeit zu finden. Zusammen und sehr einflussreicher Experte für internatio‐ mit anderen Informationen und wissenschaftli‐ nale Wirtschaft und Mitglied des berühmten Mi‐ cher Forschung wurden diese Erkenntnisse in ses‐Kreises.161 mehreren Guides und Büchern verwendet, die an In Bezug auf das BRP empfahl Ralph Barton alliiertes Personal verteilt wurden und in militä‐ Perry dem OSS, Haberler an seiner Heimatad‐ rischen Kursen Verwendung fanden. Kelsen, resse in Washington zu besuchen, und erwähnte, Kunz und andere Akademiker aus Österreich be‐ dass dieser bereits einen Datensatz eingeschickt teiligten sich an den geheimen Vorbereitungen und weitere Vordrucke zum Ausfüllen angefor‐ der US‐Regierung für das Wiederaufleben der dert habe.162 Gottfried Haberler wurde 1944 von Republik Österreich nach dem Zweiten Welt‐ Sara Wambaugh auch als Interviewer für das krieg. BRP vorgeschlagen und versuchte, Mitglieder Durch die Briefe und Notizen dieser Informanten der Federal Reserve zu interviewen.163 Neben der wird deutlich, dass oft ein großer Vertrauensver‐ Zusammenarbeit mit dem OSS beim BRP war er lust gegenüber ehemaligen Kollegen und Freun‐ auch Mitglied des Ausschusses für Probleme der den eingetreten war. Hans Kelsens und Richard Friedensregelung innerhalb der ADHG. Ange‐ Strigls Briefe an die ADHG stellen diesen Bruch sichts seines bisherigen Fachbereichs, der inter‐ wohl auf die eindringlichste Weise dar. Kelsen nationalen Ökonomie – zusammen mit seiner Er‐ muss mehrere Personen gekannt haben, die die fahrung aus dem Völkerbund –, war er bestmög‐ geforderten Anforderungen hätten erfüllen kön‐ lich qualifiziert. nen. Leider scheint er bis 1943 den Glauben an die moralische und politische Integrität seiner ehemaligen Weggefährten und Freunde in Öster‐ Schlussfolgerung reich verloren zu haben. Es kann als Ziel der zu‐ künftigen Forschung betrachtet werden, die Mit‐ Die Aufzeichnungen der ADHG zeigen nicht nur wirkung österreichischer Exilanten an den Vor‐ das Engagement einer Gruppe führender Wis‐ bereitungen zur Entnazifizierung sowie am Wie‐ senschaftler und ihre Anstrengungen bei der Ver‐ deraufbau der Republik Österreich und ihre teidigung der westlichen Demokratie, dem mögliche Einflussnahme auf die damit zusam‐ Schutz ihrer Heimat und der Wiederherstellung menhängenden Entscheidungen der amerikani‐ von Demokratie und Freiheit in Europa. Sie bie‐ schen Behörden genauer zu untersuchen.

160 Ebd. 163 Taylor Starck an G. W. Cottrell, 10. 1. 1944, HUA, 161 SALERNO, Gottfried Haberler. HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44. 162 T. G. Brown an G. W. Cottrell, 1. 11. 1943, HUA, HUD 3139 Records of the ADHG, Box 44.

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