Inhalt ÖH und Demokratie 6

Geschichte der ÖH Vorgeschichte 8 1940er: Aufbau studentischer Demokratie 11 Kommentar: Günther Wiesinger 17 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren 20 Kommentar: 25 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz und 26 „1968“ Kommentar: Gerfried Sperl 31 1970er: Demokratie und Mitbestimmung in der 32 Universität Kommentar: Ernst Streeruwitz 35 1980er: Neue soziale Bewegungen 36 Kommentar: Martin Margulies 39 1990er: Der Mensch zuerst 40 Kommentar: Agnes Berlakovic 43 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch 44 in der ÖH Kommentar: Andrea Mautz & Anita Weinberger 51 Wahlergebnisse und Vorsitzende 52 Die Rolle der Sprache in einer Gesellschaft kann kaum überschätzt werden. Sie transportiert die Uni im Wandel der Zeit 55 jeweils vorherrschenden Werte und Normen. Wir denken in Worten, Sprache schafft somit unser Be- Feminismus und ÖH 60 wusstsein. Auch die Sprache unserer Gesellschaft transportiert die ihr inne liegenden Wertvorstel- Protest und Vertretung 68 lungen. Damit Frauen und Männer zu gleichen Teilen in unserem Bewusstsein vorkommen, haben Zukunft der ÖH Arbeit 72 wir diese Broschüre geschlechtergerecht formu- liert. Artikel von externen AutorInnen wurde in Chronologie 76 jener Form belassen, wie sie geschrieben wurden. Anhang 78

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ÖH und Demokratie

Zwischen Anspruch und Realität Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- m 19.11.1946 war es also so weit. Alle Studierenden in Österreich wählten zum ersten tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger AMal ihre Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH). Mittlerweile jährt sich die Gründ- 1950er: Soziale Lage und ung der ÖH zum sechzigsten Mal. Anlass für uns kritisch Bilanz zu ziehen. Die Struktur der Studiengebühren Kommentar: Fischer ÖH ist weltweit einmalig, sie gilt als Vorzeigemodell einer studentischen Interessenvertre- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz tung. Doch auch sie hat ihre Schwächen. Immer wieder gilt es Kompromisse einzugehen, die und „1968“ Barbara Blaha & Rosa Nentwich-Bouchal Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität täglich neu aufzulösen. Inwieweit sorgt nicht Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Bundesvorsitzendenteam der ÖH eine gesetzlich geregelte Interessenvertretung zum Beispiel dafür, dass studentischer Protest Mitbestimmung in der Universität automatisch in geordneten Bahnen verläuft? Welchen Fokus sollte die ÖH stärken: Service Kommentar: Streeruwitz oder Politik? In welcher Weise ist sich die ÖH ihres allgemeinpolitischen Mandats bewusst 1980er: Neue soziale Bewegungen und nimmt es auch wahr, oder beschränkt sie sich und damit auch ihre Politik auf univer- Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst sitätsinterne Vorgänge? Mit all diesen Fragen konfrontieren sich ÖH-MitarbeiterInnen auf Kommentar: Berlakovic allen universitären Ebenen. 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch in der ÖH Kommentar: Mautz & Eines ist jedoch sicher: Die Universität würde heute anders aussehen, hätten die Studierenden Weinberger sie die letzten sechzig Jahre nicht mit Leidenschaft mitgestaltet. Die Umwandlung der Universitäten, weg von der Allmacht der Professoren Wahlergebnisse und Vor- sitzende (sic!) hin zu einer demokratischeren Struktur, die Abschaffung der Hochschultaxen oder die Einführung eines Stipendiensystems – das alles Uni im Wandel der Zeit wurde von den Studierenden erkämpft. Feminismus und ÖH Studierende, und durch sie die ÖH haben in den letzten sechzig Jahren nicht nur die universitäre Landschaft mitgestaltet, sondern hat- Protest und Vertretung ten auch großen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen. Die Erhaltung der Aulandschaft in Hainburg haben Studierende genauso Zukunft der ÖH Arbeit erkämpft, wie sie sich Mitte der 90er mit einem Schweigemarsch und dem Lichtermeer gegen AusländerInnenfeindlichkeit engagiert haben, Chronologie oder seit den 70ern für die Rechte von Frauen eingetreten sind – was nicht zuletzt bis heute Einfluss hat auf die ÖH als feminisierte In- Anhang stitution. In vielen Fällen waren es die Universitäten, oder genauer, die Studierenden die den Stein der gesellschaftlichen Entwicklung ins Rollen gebracht haben. Der Anspruch dabei ging jedoch kaum über die eigene Lebensrealität hinaus. Und auch bis heute ist der Ausbruch aus dem Elfenbeinturm nicht geglückt.

Jubiläen sind oftmals der Anlass die eigene Vergangenheit gehörig zu glorifizieren. War früher denn alles besser? Eben nicht. Studierende haben in den letzten sechzig Jahren viele Kämpfe ausgefochten – und ganz ehrlich: So manche auch verloren. Ein Blick zurück zeigt aber, dass auch die Einführung der Studiengebühren, die Implementierung des undemokratischen Universitätsgesetzes oder die jüngst beschlos- senen Zugangsbeschränkungen die Stimme der Studierenden nicht verstummen hat lassen. Was diese Aufzählung belegt, ist die Tatsache, dass Studierende und ihre Interessenvertretung unbequem sind. Unbequem, laut und kämpferisch. Die bildungspolitischen Zeiten waren vielleicht schon einmal angenehmer: Aber wir wären nicht wer wir sind, wenn wir uns den Herausforderungen dieser Zeit nicht nur stellen würden, sondern auch gestärkt daraus hervorgehen.

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Anlass und Gelegenheit

echs Jahrzehnte ÖH sind nicht nur ein Anlass, der Studierendenvertretung zu ihrer Arbeit Sin den oft sehr stürmischen Zeitläufen seit 1946 zu gratulieren. Das Jubiläum bietet auch die Gelegenheit für eine Standortbestimmung der gesetzlichen Repräsentanz der „Hörerinnen und Hörer“ an Österreichs Universitäten, die sich speziell seit dem Beginn der Neunzigerjahre einem in der 2. Republik beispiellosen Reformprozess unterzogen haben – ein Wandel, der Christoph Badelt auch die Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft vor neue Herausforderungen stellt. Vorsitzender der Rektorenkonferenz Zweifellos hat sich die auf verschiedenen Ebenen tätige ÖH über die Jahrzehnte hinweg große Verdienste bei der Betreuung der Studierenden, speziell beim alljährlichen Andrang der Erstsemestrigen, erworben. Aber wird diese Rolle von der Klientel auch ausreichend gewür- digt? Nach Jahren des Abwärtstrends bei der Wahlbeteiligung hat sich das Engagement der Studentinnen und Studenten an der Wahlurne im vergangenen Jahr auf niedrigem Niveau sta- bilisiert. Die Vertretung des akademischen Nachwuchses wird wohl stets intensiv diskutieren, ob sie bei dem von jeder neuen ÖH-Führung erprobten Balanceakt zwischen Serviceleistungen und Gesellschaftspolitik die Gewichte immer richtig verteilt hat.

Das mancherorts gepflogene Image der ÖH als Spielwiese für Jungfunktionäre der politischen Parteien mag in Einzelfällen zutreffen. Es birgt aber gleichzeitig die Gefahr, dass bei der eigentlichen „Kundschaft“, den Akademiker(innen) in spe, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Standesvertretung insgesamt genährt werden. An diesem Punkt wer- den wohl die Strategien für eine verbesserte Resonanz einsetzen, jenseits der verdienstvollen Kleinarbeit in den einzelnen ÖH-Referaten, die – neben den vielfältigen Serviceangeboten – auch im Einsatz für Menschenrechte und Genderfragen bis hin zu den Sportangeboten Aus- druck findet. Die konjunkturellen Pronen haben in all den Jahren nichts daran geändert, dass die Gesprächsbasis zwischen der ÖH und der jeweiligen Universitätsleitung intakt ist, wobei die einzelnen Rektorate oft mehr Verständnis für die Sorgen der Studierendenvertretung auf- bringen, als die Öffentlichkeit vermuten würde.

Als Präsident der Rektorenkonferenz hoffe ich daher auf eine weitere gedeihliche Zusamme- narbeit und möchte der Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft auch für die kommenden Jahrzehnte die besten Wünsche für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit überbringen – zum Wohle unserer Universitäten.

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60 Jahre Engagement & Solidarität Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- iner engagierten und vorausschauenden Studierendenvertretung kommt seit jeher eine tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Ewichtige Rolle bei der Gestaltung moderner Universitäten zu. Vor 60 Jahren – am Be- 1950er: Soziale Lage und ginn der Österreichischen Hochschülerschaft – haben viele junge Menschen Engagement und Studiengebühren Kommentar: Fischer Solidarität für ihre Kolleginnen und Kollegen in einer schwierigen Zeit bewiesen. Sie haben 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz die Interessen der Studierenden in einer Welt, in der oftmals die notwendigsten materiellen und „1968“ Elisabeth Gehrer Güter fehlten, zu ihrem Anliegen gemacht, und ich freue mich besonders, dass auch einer Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Bundesministerin für Bildung, meiner Amtsvorgänger, der nunmehr emeritierte Universitätsprofessor Dr. Hans Tuppy, unter Mitbestimmung in der Universität Wissenschaft und Kunst den Studentenvertretern der ersten Stunde war. Die Vorläuferorganisation der heutigen Öster- Kommentar: Streeruwitz reichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft hatte einen wichtigen Anteil daran, 1980er: Neue soziale Bewegungen dass sich die Demokratie in der Zweiten Republik auf allen Ebenen erfolgreich etablieren Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst konnte, und mit den ersten Hochschülerschaftswahlen hat sich das Modell der studentischen Kommentar: Berlakovic Selbstverwaltung endgültig etabliert. 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch in der ÖH Kommentar: Mautz & Sechs Jahrzehnte später ist die Österreichische Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft eine Weinberger der wichtigsten Institutionen für die Studierenden in diesem Land und aus der Hochschul- Wahlergebnisse und Vor- sitzende landschaft nicht mehr wegzudenken. Die ÖH hat sich in einer globalisierten Welt und einer Uni im Wandel der Zeit zunehmend dynamischen Wissensgesellschaft erfolgreich weiterentwickelt und viele zusätzliche Aufgaben, aber auch viele zusätzliche universitäre Entwicklungsfelder für sich aufgegriffen. Feminismus und ÖH Protest und Vertretung

Als zuständige Ressortministerin ist es mir wichtig, immer ein offenes Ohr für die Anliegen Zukunft der ÖH Arbeit der demokratisch gewählten Interessenvertretung der Studierenden zu haben. Damals wie Chronologie heute sind die Herausforderungen groß und erfordern einen offenen und vorurteilsfreien Anhang Dialog zwischen der staatlichen Verwaltung und der akademischen Selbstverwaltung, damit zukunftsorientierte Lösungen im Sinne unserer Universitäten und damit auch im Sinne der Studierenden erzielt werden können.

Ich freue mich auf eine weitere gute Zusammenarbeit mit der Österreichische Hochschülerin- nen- und Hochschülerschaft in ihrem nunmehr beginnenden siebenten Jahrzehnt, und ich wünsche allen Studierenden, die sich im Rahmen der ÖH für ihre Kolleginnen und Kollegen engagieren, weiterhin viel Elan, Innovationskraft und Erfolg.

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ÖH und Demokratie: Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück

tudierende wählen frei und demokra- 1945 wurde damit endgültig gebrochen und indirekt gewählten Studierendenrat vor. Stisch ihre Interessenvertretung. Selbst­ eine demokratische Interessenvertretung Eine gesetzlich verankerte, alle Unis erfas- verständlich? Ganz und gar nicht. Im Jahr geschaffen. Mit den ersten Wahlen 1946 sende landes- oder bundesweite Vertretung 1365 wurde die Universität Wien als erste war zum ersten Mal in der Geschichte eine der Studierenden gegenüber Bundes- und Hochschule des Landes gegründet, die er- Studierendenvertretung demokratisch legit- Landesregierung gibt es nicht, es existiert sten ÖH-Wahlen fanden 581 Jahre später imiert. Drei Viertel der Studierenden gingen lediglich ein Dachverband auf freiwilliger statt, am 19. November 1946. Die Öster- zur Wahl und unterstützten damit die junge Basis. reichische HochschülerInnenschaft als Institution ÖH. demokratische Interessenvertretung aller Aufgrund mangelnder Kompetenzen und Studierenden wurde 1945 von engagierten Historisch betrachtet und im international- ihrer Beschränkung auf den lokalen Bereich Studierenden aller damaligen politischen en Kontext gesehen war die, als gesetzliche leiden die deutschen Studierendenschaften Gruppierungen gegründet. Die studentische Interessenvertretung der Studierenden or- Selbstverwaltung ihrer Interessen hat eine ganisierte, ÖH mit ihren alle zwei Jahre auf relativ junge Geschichte. Studienrichtungs-, Fakultäts-, Universitäts- und Bundesebene stattfindenden Wahlen Das demokratische Wahlrecht der Studier- ein Vorbild, auf das Studierende in anderen enden gibt es erst seit Beginn der Zweiten Ländern, die ihren RektorInnen und Profes- Republik. Zuvor wurden die Studierenden sorInnen mehr oder weniger auf gut Glück vielfach fremdbestimmt oder es gab spe- ausgeliefert sind, neidisch blickten. Der zielle Verbände, die zwar das Exklusivrecht Blick über die Grenzen zeigt, welch positive zur Studierendenvertretung verliehen be­ Ausnahme im Bereich studentischer Vertre- kamen, aber andere (vor allem Frauen sowie tung die ÖH war und ist: In Deutschland Jüdinnen und Juden) ausschlossen – so die existieren mit der ÖH vergleichbar verfasste

sogenannte Deutsche Studentenschaft der Studierendenschaften nur in einzelnen 1 Abb. Ersten Republik, die aus katholischen und Bundesländern. Mitglieder sind alle Student­ deutschnationalen Organisationen gebildet Innen einer Uni, diese stimmen über ein Über 5000 digitale Unterschriften für die Direktwahl worden war. In der Zeit des Austrofaschismus lokales Studierendenparlament ab, welches an niedriger Wahlbeteiligung, die häufig und in der NS-Zeit waren die verfassten Stu- wiederum den AStA, den Allgemeinen nicht über 15 Prozent hinauskommt. Zum dentInnenschaften ein Disziplinierungsin- Studierendenausschuss, der einzelnen Uni Vergleich: An den ÖH-Wahlen im Jahre strument, das keine Artikulationsmöglichkeit wählt. Ein anderes Modell in einigen Bundes­ 2005 haben sich 30 Prozent der Studier- für die Studierenden selbst bot. ländern im Osten sieht hingegen nur einen enden beteiligt. Hinzu kommt, dass den

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einzelnen Vertretungen vor Ort die Artiku- sen, das die österreichische Vorbildrolle Tendenz bemerkbar ist. Dieser Anteil ist ÖH und Demokratie lation der allgemeinpolitischen Interessen einer demokratischen studentischen In- sicherlich kein Ruhmesblatt und wird auch Geschichte der ÖH ihrer Mitglieder oft gesetzlich verboten ist. teressenvertretung zunichte machte. Eine alle zwei Jahre im Zuge der ÖH-Wahlen Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- In mehreren Fällen kam es sogar zu gericht­ Regierung, die meinte, die österreichischen öffentlich thematisiert. Dennoch beken- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger lichen Verurteilungen, als Studierendenver- Universitäten zur „Weltklasse“ trimmen nen sich die Studierenden, wie Umfragen 1950er: Soziale Lage und treterInnen wegen politischer Aktivitäten zu können (und dieses Ziel nach Nichter- und eine Urabstimmung 1991 ergaben, zu Studiengebühren Kommentar: Fischer geklagt wurden. In Bayern wurden die ge- reichen bald zugunsten des neuen Projekts ihrer Interessenvertretung. Mehr Studier- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz setzlichen Studierendenvertretungen 1974 einer „Elite-Universität” verwarf), hatte ende dazu zu bewegen, die ÖH auch durch und „1968“ unter dem, vom damaligen CSU-Minister tatsächlich Strukturen, die die Bezeichnung ihre Stimmabgabe formal zu unterstützen, Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Hans Maier ausgegebenen, Motto „den link- „Weltklasse“ verdienten, die studentische bleibt eine Aufgabe für die Zukunft. Mitbestimmung in der Universität en Sumpf trockenlegen“ sogar abgeschafft. Selbstverwaltung der ÖH. Auch wenn die Kommentar: Streeruwitz Die StudierendenvertreterInnen bemühen Studierenden die Regierungspläne einer Die Geschichte studentischer Demokratie 1980er: Neue soziale Bewegungen sich seither als Unabhängige Studierenden- „Umfärbung“ durch ein neues Wahlrecht ist nicht zu Ende: Es gilt, die 2004 abge- Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst schaft um die Wiedereinführung einer ge- durchkreuzten, bleibt der überfallsartige schaffte direkte Wahl der Bundesvertretung Kommentar: Berlakovic setzlichen Basis. Derzeit stehen sie auf Eingriff in die Verfassung einer Interessen- durch die Studierenden wieder zu erlangen, 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch tönernen Füßen, weil vor allem finanzielle vertretung und die Abschaffung demokra- aber auch das passive Wahlrecht allen ÖH- in der ÖH Kommentar: Mautz & Mittel fehlen und ihr Handlungsraum ein- tischer Wahlen ein Schandfleck in der Ge­ Mitgliedern zuzugestehen. Ausländische Weinberger geschränkt ist. schichte der demokratischen Republik. Studierende ohne EWR-Staatsangehörigkeit Wahlergebnisse und Vor- sitzende dürfen zwar bereits wählen, allerdings nicht Uni im Wandel der Zeit Studierende in anderen Ländern kämpfen Die Wahlbeteiligung der Studierenden bei in ihre Interessenvertretung gewählt wer- um Rechte, die bis vor kurzem bei uns ÖH-Wahlen ging bis in die neunziger Jahre den. Feminismus und ÖH selbstverständlich schienen: Die Studier- zurück. Machten 1955 noch 62% von ihrem Protest und Vertretung endenvertretung in Österreich verwaltet Wahlrecht Gebrauch, waren es 1975 nur 60 Jahre später an das epochale Ereignis Zukunft der ÖH Arbeit sich selbst ohne Eingriffe der Regierung, mehr 40%, 1985 30% und 1995 29%. 2005 der ersten freien, demokratischen ÖH-Wahl- Chronologie verfügt über eine gesicherte finanzielle Ba- betrug die Wahlbeteiligung 30,5%. Seit en zu denken mag dabei helfen. Anhang sis, ist demokratisch organisiert und es gibt einiger Zeit hat sich die Wahlbeteiligung eine direkt gewählte Bundesvertretung, die also bei etwas unter einem Drittel stabilisi- universitätsübergreifend die Interessen ert, wobei seit 2001 eine leicht steigende aller Studierenden vertritt. Diese Struktur der Österreichischen HochschülerInnen- Christian Bruckner studierte ab 1998 Geschichte an der Universität Wien. Er war Manda- schaft war anderen Studierendenorganisa- tar an der Fakultät für Geistes- und Kulturwissenschaften und der Universitätsvertretung tionen bisher Vorbild. der Uni Wien sowie der Bundesvertretung der ÖH. 2003/04 war er im Referat für Bildungs- politik der ÖH-Bundesvertretung tätig. Er ist – mit Ausnahme der namentlich gekenn- 2004 wurde von ÖVP und FPÖ (damals noch zeichneten Artikel – Autor dieser Broschüre. Blaue und Orange gemeinsam) ein neues HochschülerInnenschaftsgesetz beschlos-

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Vorgeschichte

Erste Republik 1918-1933 Mit Beginn des Wintersemesters 1918/19 Deutschnationalen 16 und die Katholischen gründeten die deutschnationalen Studier­ vier Mandate erzielten. Die 1918 neuge- Einen ersten Versuch zur Schaffung einer endengruppen unter dem Eindruck der gründeten sozialistischen Studierenden allgemeinen Studierendenvertretung gab es Gründung der demokratischen Republik mit (ihre Organisation war im Ersten Weltkrieg an der Universität Wien bereits 1896, als die den übrigen studentischen Organisatio- aufgrund ihrer kriegsgegnerischen Tätigkeit 1893 gegründete Freie Vereinigung der sozial- nen (katholische, sozialistische, liberale) verboten und behördlich aufgelöst worden) istischen Studierenden dies forderte. Diese an der Universität Wien einen „interfrak- verlangten die Bildung eines Hochschu- Bemühungen blieben aber ebenso erfolglos tionellen Hochschulausschuß“, der aufgr- lausschusses auf der Grundlage freier Wahl- wie diejenigen des Jahres 1910, als sie einen und der unterschiedlichen Anschauungen en, blieben damit aber erfolglos. Dennoch 24-köpfigen Hochschulausschuss forderten, allerdings nur einen Monat bestand. Ende anerkannte der Senat der Universität Wien der von allen Studierenden jährlich gewählt November 1918 bildeten schließlich deut- 1923 die Deutsche Studentenschaft als werden sollte. Die Forderungen scheiterten schnationale, vor allem Burschenschaften, Vertretung aller Studierenden. 1930 erließ am Widerstand der, unter den damals weni- gemeinsam mit katholischen Organisatio- die Universität Wien eine formelle „Stu- gen tausend Studierenden tonangebenden, nen, vor allem Cartellverbänden (CV), ein dentenordnung“, welche die Studierenden deutschnationalen Gruppierungen und der Bündnis namens „Deutschbürgerliche Stu- in „Nationen“ einteilte und die Deutsche meist klerikal-konservativen oder deutschna- dentenschaft”. Trotz des Antiklerikalismus Studentenschaft als Vertretung der „ar- tionalen Universitätsleitungen. der Deutschnationalen, der in Widerspruch ischen“, „deutschen“ Studierenden fes- zum betont katholischem CV stand, verband tlegte. 1931 wurde diese Verordnung zwar sie ihre Gegnerschaft zu „Juden, Slawen, vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben, Sozialdemokraten und Bolschewisten“. der als Einteilung in „Nationen“ verkleidete Hauptziel der sich bald „Deutsche Studen- „Arierparagraph“ wurde aber grundsätzlich tenschaft“ nennenden Dachorganisation für zulässig erklärt. Nachdem schon zuvor war weniger studentische Interessenver- oftmals jüdische und sozialistische Studier- tretung als eine „Deutscherhaltung der ende verprügelt worden waren, folgten hi- Hochschulen“, vor allem der Einsatz für ernach die schwersten Ausschreitungen. einen „Numerus clausus“ für Jüdinnen und Juden. Als Verbindung von CVern und Bur- Im Sommersemester 1931 waren noch schenschaftern repräsentierte die Deutsche Wahlen auf der Grundlage der später auf- Studentenschaft gleichwohl die Mehrheit gehobenen „Studentenordnung“ abgehalten der Studierenden. Ausgeschlossen waren worden. Von den 10.939 Studierenden der Frauen, Juden und Jüdinnen sowie Linke. Universität Wien waren 2.654 Studierende Abb. 2 Abb. Innerhalb der Deutschen Studentenschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die sozial- Lange Jahre ein übliches Bild an der Uni fanden Wahlen statt, bei denen 1919 die istischen Studierenden (VSStÖ) riefen zum

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Abschaffung der Demokratie gewaltsam zur Wehr setzte. Am 1. Mai 1934 wurde eine ÖH und Demokratie

neue Verfassung erlassen – während die Geschichte der ÖH Verfassung der demokratischen Republik Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- von 1920 mit den Worten „Österreich ist tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger eine demokratische Republik. Ihr Recht 1950er: Soziale Lage und geht vom Volk aus“ begann, eröffnete die Studiengebühren Kommentar: Fischer austrofaschistische Version mit den Worten 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz „Im Namen Gottes, des Allmächtigen, von und „1968“ dem alles Recht ausgeht“. Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Mitbestimmung in der Universität 1934 wurde die Studierendenvertretung neu Kommentar: Streeruwitz geregelt. Das Unterrichtsministerium be- 1980er: Neue soziale Bewegungen stellte den CVer Heinrich Drimmel (später Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst ÖVP-Unterrichtsminister) als „Sachwalter Kommentar: Berlakovic der Hochschülerschaft in Österreich“, dem 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Abb. 3 Abb. hierarchisch die „Sachwalter der einzelnen in der ÖH Kommentar: Mautz & Austrofaschisten verhüllen Demokratie Universitäten/Hochschulen“ unterstellt Weinberger waren. Drimmel amtierte in dieser Funktion Wahlergebnisse und Vor- sitzende Boykott auf, die Wahlbeteiligung betrug Dollfuß, die im März 1933 den Nationalrat bis zur Nazi-Machtübernahme 1938. Uni im Wandel der Zeit aber dennoch 79%. Wahlsieger wurde der ausgeschaltet und die Demokratie abge- Nationalsozialistische Deutsche Studenten- schafft hatte, drohte mit dem Einschreiten Im Studienjahr 1918/19 studierten in Öster­ Feminismus und ÖH bund (NSDStB), der 15 Mandate erreichte. der Polizei. Die NSDAP wurde im Mai 1933 reich 22.177 Studierende, davon 20.214 Protest und Vertretung

Zweitstärkste Fraktion wurde die Katholisch verboten. Nachdem der Rektor der Univer- Männer und 1.963 (8,9%) Frauen. 1932/33 Zukunft der ÖH Arbeit Deutsche Hochschülerschaft Österreichs sität Wien die Deutsche Studentenschaft waren es 25.503 Studierende, davon 20.817 Chronologie (KDHÖ), die 14 Mandate erreichte, vor der nicht aufgelöst hatte, wurden von Unter- Männer und 4.686 (18,4%) Frauen. 1937/38 Anhang deutschnationalen Burschenschafter-Liste richtsminister Schuschnigg am 29. Septem- waren es 17.238 Studierende, davon 14.112 Völkische Front mit 11 Mandaten.1 ber 1933 CVer als Sachwalter eingesetzt. An Männer und 3.126 (18,1%) Frauen. Während der Universität Wien war dies der spätere bis 1933 an Studiengebühren „nur“ Kol- Austrofaschismus: 1933/34-1938 ÖVP-Bundeskanzler , zu die- legiengeld zu zahlen war, wurden ab Sep- ser Zeit Vorsitzender der KDHÖ. Die kleine tember 1933 neue Gebühren eingehoben: 1933 musste die Universität Wien immer Kommunistische Studentenfraktion (Ko- ein Auditoriengeld plus Krisenzuschuss, wieder wegen gewaltsamen Zusammen- strufa) wurde im Mai 1933 verboten, der ein Bibliotheksbeitrag, Regiebeiträge zu stößen zwischen katholischen und nation- VSStÖ schließlich unmittelbar nach dem den Kanzleierfordernissen, ein Beitrag zur alsozialistischen Studierenden geschlos- 12. Februar 1934, als sich der sozialdemo­ Förderung des Leibesübungswesens, eine sen werden. Die Regierung von Engelbert kratische Schutzbund vergeblich gegen die Instituts- oder Laboratoriumstaxe, eine Im-

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Endnoten 1 Andrea Griesebner, Politisches Feld Univer- sität. Versuch einer Annäherung anhand der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Studier- enden zwischen 1918 und 1990. Dipl.-Arb., Univ. Wien 1990, S.24-40 2 Griesebner, Politisches Feld Universität, 1990, S.42-63 3 Griesebner, Politisches Feld Universität, 1990, S.64-67 Abb. 4 Abb.

Inschrift auf der Philosophenstiege der Uni Wien

matrikulationstaxe, eine Inskriptionsgebühr nach dem Novemberpogrom 1938 wurden sowie ein Beitrag für die allgemein beste- schließlich die letzten jüdischen Studier- henden Einrichtungen. Dazu kamen ab Som- enden ausgeschlossen. mersemester 1934 der Hochschülerschafts- Die austrofaschistische Sachwalter- und ein Fürsorgebeitrag. schaft wurde aufgelöst. Der Großteil der deutschnationalen und teilweise auch Insbesondere im Studienjahr 1937/38 kam katholischen Studierendenorganisationen es bis zum „“ im März 1938 ver- löste sich selbst auf und trat in den Na- stärkt zu Demonstrationen nationalsozialis- tionalsozialistischen Deutschen Studenten- tischer Studierender.2 bund (NSDStB) ein, der Rest wurde Ende des Sommersemesters 1938 behördlich NS-Herrschaft 1938-1945 aufgelöst und ihr Vermögen dem NSDStB übertragen.3 Nach der Machtübernahme der Nazis im März 1938 wurden die Universitäten erneut „gesäubert“. Noch im März wurden jüdische Professoren entlassen. Die Zahl der jüdischen Studierenden wurde zunächst mit einem Numerus clausus von 2% festgelegt,

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1940er Jahre ÖH und Demokratie Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- 1945: Studierende zur Stelle, denen in den letzten Jahren die len war die Leistung der Studierenden tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger beleben die Uni wieder Möglichkeit zum Studium genommen war. entscheidend. An der schwer zerstörten 1950er: Soziale Lage und Hochschüler, die man zum Militär gesteckt Tierärztlichen Hochschule setzten kurz nach Studiengebühren Kommentar: Fischer Bald nachdem sowjetische Truppen Wien hatte, Studenten, denen man aus poli- der Befreiung 31 Studierende ein Institut in 1960er: Studierende 1 zwischen Borodajkewycz von der Nazi-Herrschaft befreit hatten, tischen Gründen nicht die Hochschulreife Eigeninitiative instand. und „1968“ trat am 18. April 1945 zum ersten Mal ein zusprechen wollte, und nicht zuletzt auch Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und „provisorischer akademischer Senat“ der solche, die man aufgrund ihrer Abstam- Die neue Freiheit in der Demokratie: Mitbestimmung in der Universität Universität Wien zusammen. Bereits am 15. mung nicht für würdig befunden hatte, eine Das politische Leben beginnt Kommentar: Streeruwitz April nahmen die Studenten Rudolf Wen- Hochschule zu besuchen … Sie entfernten 1980er: Neue soziale Bewegungen graf, Friedrich Langer und Kurt Schubert Schutt von den Stiegen und Gängen, rein- In der ersten Maiwoche 1945 gründete Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst das Haus Kolingasse Nr.19, die ehemalige igten die Hörsäle, verklebten die Fenster eine Gruppe katholischer Studierender, Kommentar: Berlakovic Gaustudentenführung Süd-Ost des National- und setzten die Institute wieder instand. darunter unter anderem der spätere Rektor 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch sozialistischen Deutschen Studentenbunds Nun war man soweit, mit der geistigen und und Wissenschaftsminister Hans Tuppy und in der ÖH Kommentar: Mautz & in Besitz und stellten deren Vermögen sich- organisatorischen Tätigkeit zu beginnen. Es die spätere Zeithistorikerin Erika Weinzierl Weinberger er. Die von Bombentreffern beinahe unbe- galt den Aufbau der Studentenschaft in die (damals Erika Fischer), die Freie Öster- Wahlergebnisse und Vor- sitzende schädigt gebliebene Mensa im Erdgeschoß Wege zu leiten. Es mussten Räume zur Ver- reichische Studentenschaft (FÖST), die von Uni im Wandel der Zeit ging bereits am 18. April wieder in Betrieb fügung stehen, in denen nicht nur Beratun- der ÖVP als Studierendengruppe anerkannt und verköstigte Studierende, die am Schutt­ gen gepflogen, sondern deren Ergebnisse wurde und von ihr in der Falkestraße zwei Feminismus und ÖH aufräumen in den Universitätsgebäuden auch verwirklicht werden konnten.“ Zimmer zur Verfügung gestellt bekam. Wenn Protest und Vertretung teilnahmen. sie auch kein ÖVP-Ableger war, sondern Zukunft der ÖH Arbeit Von Juli bis Dezember 1945 arbeiteten selbständig entstand, waren ihre Mitglieder Chronologie Als erster Rektor der Universität Wien „am- an der Universität Wien von 4.500 Studi- doch kulturell-religiös orientiert und damit Anhang tierte“ kurzzeitig der Student Kurt Schubert erenden 2.200 mit einer Arbeitsbelastung der Weltanschauung der ÖVP nahe. (später Judaistikprofessor). Die Studier- von bis zu 40 Stunden in der Woche an der enden nahmen entscheidenden Anteil an der Instandsetzung der Universitätsgebäude. Mit der Wiedereröffnung der Universität baldigen Wiederaufnahme des Universitäts- Der restlichen Hälfte – Kriegsheimkehrer, Wien bekamen verschiedene politische betriebs. Die damals einzige Tageszeitung Kriegsversehrte, WerkstudentInnen, NS- Studierendengruppen miteinander Kontakt. Neues Österreich berichtete am 27. Mai Opfer – wurde der Arbeitseinsatz erlassen. Von der sowjetischen Besatzungsmacht 1945: „Äußerster persönlicher Einsatz des Für ehemalige NationalsozialistInnen be- waren ÖVP, SPÖ und KPÖ als Parteien aner- Großteils der Studentenschaft und Improvi- stand eine sechswöchige bis sechsmonatige kannt worden. Bereits Mitte April 1945 sation wirkten mit, die Vorbedingungen für Arbeitsverpflichtung, an deren Ableistung konstituierte sich nach Verhandlungen mit eine Durchführung des Sommersemesters zu die Immatrikulation und Inskription ge- den Parteien ein sogenannter „Sechseraus­ schaffen. Als erste waren jene Studenten bunden war. Auch an anderen Hochschu- schuss“, der die Leitung einer provisor-

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sation der Studierenden im Wiederaufbau tischen Studentenschaft. Rudolf Wengraf übernahmen vor der Gründung der ÖH wurde als Vorsitzender bestätigt. Mit der fakultätsweise organisierte Fachgruppen in Reifung zur politischen Institution ent- studentischer Selbstverwaltung. falteten sich auch politische Gegensätze. Der Zehnerausschuss konstituierte sich zum Eine offene Frage war zu Beginn, ob die Hauptausschuss der Demokratischen Studen- Referate nur für die Universität Wien oder tenschaft Wiens um. Der Name Hauptauss- alle Universitäten zuständig sein sollten. chuss bezeichnete in späteren gesetzlichen Um das als Schlüsselstellung betrachtete Regelungen bis 1999 die HochschülerInn- Sozialreferat entfachten Konflikte zwischen enschaft an einer bestimmten Universität, den politischen Gruppierungen. Aus seinen der „Hauptausschuss“ von 1945 verstand Mitteln, gespeist aus den an allen Univer- sich hingegen als provisorische Vertretung sitäten organisierten Skriptenverkauf, kul- aller Studierenden und ist so ein Vorläufer turellen Veranstaltungen und Zuwendungen der bundesweiten, alle politischen Grup- der Gemeinde Wien, konnten allein im Win- pierungen umfassenden Studierendenver- tersemester 1945/46 84.000 Schilling an

Abb. 5 Abb. tretung. Die Beschränkung auf Wien ist vor Stipendien ausbezahlt werden.2 Nach der Befreiung von den Nazis dem Hintergrund zu sehen, dass im Frühjahr 1945 ein Kontakt zwischen den Besatzung- Die ehemaligen NationalsozialistInnen ischen studentischen Selbstverwaltung szonen nur schwer möglich war. Der Haup- übernahm. Es gehörten ihm Rudolf Wengraf tausschuss setzte sich aus fünf Fachgrup- Über die Behandlung ehemaliger National­ (parteilos, Vorsitzender), von katholischer penleiterInnen und je einer/m VertreterIn sozialistInnen bestanden 1945 anfangs Seite Hans Tuppy und Johannes Hurch, von der drei politischen Fraktionen zusammen. noch keine Regelungen. Der „Hauptaus­ sozialistischer Seite Otto Hoffmann-Osten- Weiters wurden für bestimmte Bereiche schuss“ organisierte an der Universität hoff und von kommunistischer Seite Peter Referate eingerichtet. Trotz zeitgebundener Wien eine Vorinskription, die jede/r Studier­ Feldl und Melber an. Bald darauf wurde der Aufgabenfelder („Einsatzreferat“ für den ende zu absolvieren hatte. Dabei wurden Sechserausschuss durch Erweiterung und Wiederaufbau), ist an der Referatsstruktur zunächst eidesstattliche Erklärungen und Umstrukturierung zum Zehnerausschuss. bereits eine erstaunliche Kontinuität in den die Angabe von ZeugInnen für den Nach- Politikbereichen der späteren ÖH erkennbar: weis einer politisch unbescholtenen Ver- Das Sommersemester begann an der Uni- Es gab Referate für Soziales, Sport, Kultur, gangenheit verlangt. versität Wien am 2. Mai 1945. Die Haupt- Presse, AusländerInnen und Wirtschaft. tätigkeit der Studierenden, aber auch der Mit Beginn des Sommersemesters 1945 wur- Lehrenden, bestand in der provisorischen Studierende der Universitäten Wiens ver- den an allen Universitäten Kommissionen Instandsetzung von Gebäuden, Instituten, sammelten sich und arbeiteten ein Aktion- zur politischen Überprüfung der Studier- Hörsälen, Bibliotheken etc. sowie in der sprogramm für den Wiederaufbau aus. Der enden eingerichtet, die aus je einem/einer ständigen Sorge um die Beschaffung von Hauptausschuss nannte sich nun Haup- vom NS-Regime geschädigten ProfessorIn Lebensmitteln. Die Betreuung und Organi- tausschuss der Österreichischen Demokra- und je einem/einer StudierendenvertreterIn

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der drei Parteien bestand. Die Frage des 1947 wurden die Kategorie der „Minder­ wurden von FÖST, VSStÖ und Kommunist­ Umgangs mit ehemaligen Nationalsozialist­ belasteten“ eingeführt, 1948 folgte eine Innen Rudolf Wengraf als provisorischer ÖH und Demokratie

Innen war sowohl zwischen als auch inner- „Jugendamnestie“, sodass auch unter den Vorsitzender vorgeschlagen und die Refer- Geschichte der ÖH Vorgeschichte halb der Studierendenfraktionen umstrit- Studierenden zuvor Ausgeschlossene wieder ate aufgeteilt. Die FÖST war mittlerweile 1940er: Aufbau studen- ten. Innerhalb des VSStÖ bestand sowohl studieren konnten.3 zur eindeutig mitgliederstärksten Fraktion tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger die Auffassung, dass streng vorzugehen gewachsen. Daher verlangte sie baldige 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren sei, wie die Ansicht, dass Jugendlichen, die Die Gründung der ÖH Wahlen, um eine dementsprechende Posi- Kommentar: Fischer verführt worden wären, eine Brücke in die tion einnehmen zu können. Sie wandte sich 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Gesellschaft gebaut werden sollte. Die FÖST Der Handlungsbereich der österreichischen auch gegen die gesetzliche Verankerung und „1968“ Kommentar: Sperl plädierte dafür, Milde walten zu lassen. Die Staatsregierung Karl Renners, die in Wien politischer VertreterInnen im neuen Zen- 1970er: Demokratie und Strenge der Beurteilungen der Kommissio- aus ÖVP, SPÖ und KPÖ schon im April 1945 tralausschuss der ÖH, da sie sich an deren Mitbestimmung in der Universität nen, sowohl für Studierende als auch Pro- gegründet worden war, beschränkte sich bis Stelle über VertreterInnen der Institutionen Kommentar: Streeruwitz 1980er: Neue soziale fessorInnen, variierte auch zwischen den in den September 1945 nur auf die sow- alleinigen Einfluss auf die Hochschulpolitik Bewegungen Universitäten. Das weitgehende Mitsprache­ jetische Besatzungszone. Nach ihrer Anerk- sichern wollte und sich in ihrer Kritik der Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst recht der Studierenden wurde mit einer ennung durch die westlichen Alliierten USA, Parteienpluralität dafür auch formal von der Kommentar: Berlakovic 5 2000er: Gegenreform an der Verordnung des Staatsamts für Unterricht Großbritannien und Frankreich kamen auch ÖVP distanzierte. Uni und linker Erdrutsch vom 11. August 1945 wieder verringert die Universitäten in den Bundesländern in in der ÖH Kommentar: Mautz & – zwar wurde die Mitarbeit der Studier- Kontakt mit dem Staatsamt für Unterricht, Mit der austrofaschistischen „Hochschüler- Weinberger Wahlergebnisse und Vor- endenvertretung bestätigt, ihre Rolle aber dem späteren Unterrichtsministerium, das schaft“ unter „Sachwalterschaft“ eines sitzende von bisheriger Mitentscheidung auf Vor- bis 1970 (und nach 2000) für die Hoch­ vom Unterrichtsministerium eingesetzten Uni im Wandel der Zeit erhebungen über Zulassung oder Ausschluss schulagenden zuständig war. Es zeigte Funktionärs gab es schon in den dreißiger beschränkt. sich, dass sich die Handhabung der studen- Jahren einen gewissen organisatorischen Feminismus und ÖH tischen Selbstverwaltung an den einzelnen Rahmen. Erstmals in der studentischen Ge- Protest und Vertretung

Im Zuge der behördlichen „Entnazifizierung“ Universitäten stark unterschied und eine schichte brachte das Jahr 1945 den öster- Zukunft der ÖH Arbeit wurden im Wintersemester 1945/46 durch- einheitliche Regelung notwendig war. reichischen Studierenden aber nun eine alle Chronologie schnittlich 2,5% der Studierenden an Wiener Universitäten und Hochschulen umfassende Anhang Hochschulen vom Studium ausgeschlossen. Am 3. September 1945 wurde das Hoch­ und vor allem demokratische Interessenver- Auch der Lehrkörper wurde amtlich durch- schulgesetz erlassen, in dem auch die tretung. leuchtet. An der philosophischen Fakultät studentische Selbstverwaltung gesetzlich Die ersten ÖH-Wahlen 1946 der Universität Wien waren von den insge- geregelt war. Die einzelnen bestehenden samt 249 Lehrkräften im Wintersemester Organe wurden damit aufgelöst und in die Die ersten ÖH-Wahlen fanden am 19. No- 1945/46 nur mehr 46 (18,5%) vorhanden. neugeschaffene Körperschaft öffentlichen vember 1946 von 8 bis 16 Uhr statt. Gewählt Bereits im Studienjahr 1949/50 betrug der Rechts Österreichische Hochschülerschaft4 wurden an Hochschulen mit Fakultäten Anteil der auch unter der NS-Herrschaft übergeführt. Über die politischen Funktio- FachgruppenleiterInnen und Beiräte, aus tätigen Lehrenden wieder bereits 44%, der nen sollten demokratische Wahlen entschei- denen sich der Hauptausschuss der jeweili- ordentlichen ProfessorInnen sogar 60%. den. Als Interimslösung bis zu den Wahlen gen Uni zusammensetzte. Die stärkste Frak-

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tion sollte den/die VorsitzendeN stellen. An im Konzentrationslager nicht umgebracht stärker politisch und weniger religiös. Ide- Hochschulen ohne Fakultäten sollte der Vor- haben“ beschimpft. ologisch-programmatische Leitlinie der sitz vom Hauptausschuss gewählt werden. FÖST war das Schlagwort vom „christlichen Im bundesweiten Zentralausschuss soll- Bei einer Wahlbeteiligung von 82% (22.041 Abendland“ als Bollwerk gegen das Bedro- ten die Vorsitzenden der Hauptausschüsse Stimmen) erzielte erwartungsgemäß die hungsbild des „Marxismus“ und eine beson- sowie je zwei VertreterInnen der drei poli- konservative Union (FÖST) eine deutliche dere Betonung eines (katholisch gefärbten) tischen Gruppierungen Union (FÖST), VSStÖ Mehrheit. Sie erreichte drei Viertel der Österreich-Patriotismus. Das Verhältnis zur und Kommunistische Studentengruppe Stimmen (15.654 Stimmen), der VSStÖ ÖVP wurde am 5. November 1945 in einem vertreten sein. Wahlberechtigt waren alle 21,7% (4.526 Stimmen) und die Kommu- Vertrag zwischen ÖVP und FÖST, der letz- Studierenden mit österreichischer Staats- nistische Studentengruppe 3% (611 Stim- tere die Alleinvertretung der ÖVP-Interessen bürgerInnenschaft. men). Im Zentralausschuss erreichte die unter den Studierenden sicherte, formal- Union 14 Mandate (11 Vorsitzende und 3 isiert. Nachdem die FÖST in der ersten Zeit Als vierte Fraktion wollte die Vereinigung Zusatzmandate) und der VSStÖ 4 Mandate 1945/46 die einzige offizielle katholische Demokratischer Studenten (VDS) kandi- (2 Vorsitzende und 2 Zusatzmandate). Die Studierendenorganisation gewesen war, be- dieren. Da sie zwar offensichtlich eine KommunistInnen gingen leer aus.6 gannen auch die traditionellen Standesor- kommunistische Gründung war, sich aber ganisationen des Cartellverbands (CV) und überparteilich gab, wurde sie noch vor den ÖH-Politik der monarchistischen katholisch-österreich- Wahlen vom Innenministerium verboten, da ischen Landsmannschaften (KÖL) ihre Aktiv- nur ÖVP, SPÖ und KPÖ damals zugelassene Im Jänner 1946 folgte Karl Leutgeb (FÖST) itäten, die den Vorteil der weitverzweigten politische Parteien waren. Rudolf Wengraf als Vorsitzender des Haupt­ männerbündischen Absolventen-Seilschaf- ausschusses der Universität Wien und des ten besaßen. Im Februar 1946 wurde die Wichtiges Thema im ersten ÖH-Wahlkampf Zentralausschusses der ÖH7. ÖVP-nahe Union Österreichischer Akademiker als Dach- war die Frage der Entnazifizierung der Uni- politische Gruppierungen (FÖST, Union, verband von FÖST, KÖL und versitäten. Am Wahltag selbst versuchte Wahlblock, ÖSU, Aktionsgemeinschaft) gegründet. Am 14. März 1946 wurde die eine Demonstration aus den sowjetischen stellten in Folge bis 1995 ununterbrochen Gründungsurkunde als halber Staatsakt feier- USIA-Betrieben vor der Universität Wien die Führung in der ÖH. lich im Großen Sitzungssaal des Bundeskanz­ mit dem Ruf nach Verbannung der Na- leramts in Anwesenheit von Bundeskanzler zis von der Universität und unter Einsatz Innerhalb der FÖST vollzog sich mit Win- (und ÖVP-Obmann) und Unter- körperlicher Gewalt gegen vermeintliche tersemester 1945/46 ein Generationswech- richtsminister (und ÖVP-Generalsekretär) Nazis erfolglos Einfluss auf das Wahlergeb- sel. Die Gründungsgeneration wurde von Felix Hurdes unterzeichnet. Die zunächst nis zu nehmen. Auslöser der Demonstra- einer zweiten Generation um den nachma- lose Union umfasste nun ein Spektrum tion waren neonazistische Vorkommnisse ligen Historiker Kurt Skalnik, den ersten von monarchistischen Gruppen bis zur ver- im Zuge des Wahlkampfs. Während einer gewählten ÖH-Vorsitzenden Karl Leutgeb, gleichsweise „linkskatholischen“ FÖST, die Wahlversammlung am 14. November 1946 Walter Leibrecht, Hans Loew und Bruno als einzige Gruppierung nicht katholische wurde etwa ein ehemaliger KZ-Häftling aus Zimmel abgelöst. Die neue Generation war Religionszugehörigkeit als Mitgliedsvoraus- dem Publikum mit „Schade, dass die dich ebenfalls katholisch orientiert, allerdings setzung hatte und auch Frauen aufnahm.

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Studierendengruppen in Innsbruck und Graz ÖH und Demokratie

zum Verband Sozialistischer Studenten Ös- Geschichte der ÖH terreichs (VSStÖ) zusammengeschlossen Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- hatte. Im Februar 1934 verboten, wurde tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger er im April 1945 von einer Gruppe um Otto 1950er: Soziale Lage und Hoffmann-Ostenhof wiedergegründet. Den Studiengebühren Kommentar: Fischer Kern bildeten zunächst Mitglieder einer 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Widerstandsgruppe am Chemischen In- und „1968“ stitut der Universität Wien, von welcher Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und zwei Mitglieder bei Kriegsende von einem Mitbestimmung in der Universität fanatischen NS-Professor ermordet worden Kommentar: Streeruwitz waren. Die Organisation etablierte sich 1980er: Neue soziale Bewegungen bald, dabei waren in den vierziger Jahren Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst etwa auch Erika Seda, Josef Schneeweiß, Kommentar: Berlakovic Abb. 6 Abb. Josef Staribacher, Heinz Kienzl oder Heinz 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Gut vertreten: Das ÖH Sozialreferat verteilt kostenlos Schuhe und andere Kleidung Damian.9 in der ÖH Kommentar: Mautz & Weinberger Auf Sicht benachteiligte sie ihre Eigenschaft Sowjetunion wurden in Betracht gezogen Auf kommunistischer Seite konstituierte Wahlergebnisse und Vor- sitzende als reine Studierendenorganisation aber ge- – trat 1948 mit Franz Bauer ein CVer für sich im Mai 1945 eine „Kommunistische Uni im Wandel der Zeit genüber der Netzwerkorganisation CV und die Union an. Nach den ÖH-Wahlen 1946 Studentengruppe“. Marie Tidl, die erste deren lebenslange Verbindung von gut ver- wurde auf Betreiben der FÖST eine Koalition Sprecherin der Gruppe, wurde direkt von Feminismus und ÖH dienenden und in hohen Positionen befind- mit dem VSStÖ eingegangen, spiegelbildlich der KPÖ eingesetzt, eine reguläre Lei- Protest und Vertretung lichen Akademikern. Die ÖVP übertrug der zur Großen Koalition im Nationalrat. Auf- tung wurde erst vor den ÖH-Wahlen 1946 Zukunft der ÖH Arbeit Union in Nachfolge der FÖST die Vertretung grund der konservativen Betonung einer gewählt. Nachdem Peter Feldl in den An- Chronologie ihrer Interessen unter den Studierenden. „antimarxistischen“ Haltung und der oppo- fangstagen 1945 einigen Einfluss gewinnen Anhang sitionellen Orientierung des VSStÖ war diese hatte können, wurden die kommunistischen Bis Mitte 1947 dominierte die FÖST in- Phase nicht mehr von der Zusammenarbeit Studierenden spätestens nach den ersten nerhalb der Union, mit der Zeit gewannen des Jahres 1945, sondern von vermehrten Nationalratswahlen 1945, welche die Klein- jedoch die Cartellverbände an Boden. Nach- Auseinandersetzungen geprägt.8 heit der KPÖ offenbart hatten, bedeutungs- dem der Unions-Spitzenkandidat für die los. Entsprechend der damaligen Parteilinie ÖH-Wahlen 1948, Fritz Köhler, der nach Karl Im Unterschied zur FÖST konnte der VSStÖ wollte die KPÖ eine einheitliche demokra- Leutgebs Rücktritt (aufgrund seiner NS-Ver- 1945 bereits auf eine jahrzehntelange tische Studierendenorganisation, die als gangenheit) im Mai 1947 den ÖH-Vorsitz Geschichte zurückblicken. 1893 wurde in Vereinigung Demokratischer Studenten übernommen hatte, am 22. Dezember 1947 Wien die Freie Vereinigung sozialistischer (VDS) unter Auflösung der bisherigen Grup- als verschwunden gemeldet wurde – sowohl Studenten gegründet, die sich 1924/25 pierung 1947/48 gegründet wurde. Da aber Selbstmord als auch Verschleppung in die mit den 1919 gegründeten sozialistischen sowohl ÖVP-nahe als auch sozialistische

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Studierende ihre eigenen Organisationen alsozialistInnen dienenden „Verbands der definierten „Hochschulen“ wie die TUs, hatten, blieb der VDS eine kommunistische Unabhängigen“ (VdU) an.11 damals Technische Hochschulen genan- Organisation.10 nt, oder die WU, damals Hochschule für Universitätspolitik Welthandel) war die Aufgabe des „geistigen Bei den ÖH-Wahlen 1948 erreichte zwar die Wiederaufbaus“ gestellt, nachdem die in- Union mit 70,31% wieder eine überlegene Unmittelbar nach Kriegsende im Frühjahr tellektuellen Eliten des Landes nicht mehr Mehrheit, der VSStÖ gewann aber auf ihre 1945 stellte sich vor allem das Problem vorhanden waren. Dieser „Wiederaufbau“ Kosten mit 26,29% stark hinzu, wobei Mis- der Beseitigung der Kriegsfolgen und der schloss allerdings nicht das Bemühen um strauen gegen die wachsende Macht des Wiederaufnahme des Lehrbetriebs, auch die die vielen vertriebenen Intellektuellen und CV dazu beigetragen haben mag, die vom Bewältigung der Vorgänge und Verbrechen WissenschaftlerInnen ein.12 VSStÖ massiv kritisiert wurde. Der kom- insbesondere der Nazi-Jahre seit 1938, aber munistische VDS stagnierte bei 3,4%. Die auch des Austrofaschismus seit 1933 waren Das Leistungsangebot der ÖH Wahlbeteiligung sank, war mit 74,87% Thema. Die materielle Lage wurde an den (1946: 82%) aber immer noch hoch. Die im Hochschulen noch dadurch verschärft, dass In der unmittelbaren Nachkriegszeit 1945 Mai 1949 folgenden nächsten ÖH-Wahlen in der ersten Nachkriegszeit eine kriegsbed- waren die Leistungen für die Studierenden brachten keine großen Verschiebungen der ingt aufgestaute Nachfrage nach Bildung finanziell sehr beschränkt und improvisi- drei Gruppierungen, die konservative Union vieler junger Menschen bestand, die in den ert. Dennoch wurde von Beginn an neben erreichte 71,9%, der VSStÖ 24,4% und der Jahren zuvor keine Gelegenheit zu Aus- der politischen Interessenvertretung ein kommunistische VDS 3,6%. Die Wahlbeteili- bildung oder Studium gehabt hatten. Das weiteres Standbein der ÖH aufgebaut. Zen- gung sank wiederum leicht, blieb aber auf Durchschnittsalter der Studierenden war tral war dabei nach dem Krieg die Vergabe dem hohen Niveau von 76,2%. Bemerkens­ so in diesen ersten Jahren vergleichsweise von Stipendien und Darlehen, um im Rah- wert war hingegen die hohe Anzahl von hoch. In der politischen Diskussion standen men der Möglichkeiten Studienkosten und ungültigen Stimmen von etwa 14%. Für neben der gesetzlichen Neuordnung vor Studiengebühren für besonders Bedürft- die oppositionellen Fraktionen VSStÖ und allem die „Überfüllung“ der Hochschulen ige mitzufinanzieren, die Vermittlung von VDS bedeute dieses Faktum eine Bestäti- und die damit zusammenhängenden Pro­ Wohn- und Studierräumen, Beihilfen für gung ihrer Kritik an der Entwicklung der bleme der materiellen Ausstattung und der kranke, kriegsversehrte oder verheiratete ÖH zu einer bürokratischen Verwaltung der Berufsaussichten der AbsolventInnen im Studierende und die Vergabe von Nebenjobs Studierenden anstatt einer kämpferischen Vordergrund. Im Studienjahr 1946/47 stud- und Ferialarbeitsstellen. Hinzu kam die Interessenvertretung. Sie kritisierten auch, ierten 33.508 StudentInnen, davon 7.660 Einführung von selbstorganisierter Studien- dass die konservative ÖH sich nicht der (22,86%) Frauen – dies waren doppelt so und Prüfungsberatung und die Organisation AkademikerInnenarbeitslosigkeit widme viele Studierende wie noch 1937/38. von kulturellen und Unterhaltungsveran- und sich nicht genügend für staatliche staltungen im Nachkriegsgrau. Stipendien einsetze. Es kündigte sich aller- Die Universitäten und Hochschulen (man dings auch schon die im Herbst bevorste- unterschied noch lange zwischen den klas- Der Arbeitsbereich des Sozialreferats um- hende Gründung einer Studierendengruppe sischen Universitäten wie den „Hauptunis“ fasste in den vierziger Jahren drei Bereiche: des als Sammelbecken ehemaliger Nation- von Wien, Graz, Innsbruck und fachlich finanzielle Unterstützungen bzw. allfäl-

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„Irgendwer musste einfach vorangehen.“ Ein Gespräch mit dem ehemaligen ÖH-Vorsitzenden Prof. Günther Wiesinger über Studieren in den 40er Jahren, die Geschichte der ÖH und warum es 1952 schon Sitzstreiks gab.

Wie war das, in den 40er Jahren in der ÖH aktiv zu sein? Meinung war uns also durchaus gewogen, das haben wir natürlich weidlich Wie es damals war, kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es gab ausgenützt. keine Mensa, darum haben wir einen besseren Würstelstand aufgebaut. Der Wie war die Lebenssituation der Studierenden in den 40er und 50er Jahren? war nichts Besonderes, aber immerhin billiger als der auf der Straße. Damals gab es zwei Gruppen von Studenten. Einerseits die Kriegsteilnehmer, Damals gab es auch eine sehr strenge Kontrolle unserer Finanzen. Einmal im die waren viel älter, hatten eine ganz andere Lebenserfahrung. Die wollten Quartal musste ich mit dem Wirtschaftsreferenten der ÖH ins Finanzministe- vor allem in Ruhe ihr Studium beenden können. Andererseits gab es die jun- rium. Dort wurden alle Belege kontrolliert. Trotzdem konnten viele soziale gen Studenten, die sind auf Feste und Bälle gegangen. Die hatten natürlich Aktivitäten durchgebracht werden, zum Beispiel das Studentenheim in der ganz andere Wünsche an uns. Das hat sich erst im Lauf der Zeit gelöst. Aller- Führichgasse. Damals gab es ja eine große Wohnungsnot. Niemand hat sich dings waren die sozialen Unterschiede damals meiner Meinung nach nicht darum gekümmert, wo Studenten wohnen können, also haben wir ein Heim sehr groß, es gab viele Werksstudenten, die hatten nicht viel Geld. Aber alle gebaut. Erst später sind dann andere Heimträger entstanden. Irgendwer anderen sind auch nicht in Geld geschwommen. musste einfach vorangehen. Der größte Erfolg der ÖH? Aus welchem Grund haben Sie sich in der ÖH engagiert? Wir haben eine Tuberkulose-Fürsorge organisiert, das hat damals immerhin Ich war seit 1948 beim Cartellverband, die erste wirklich große Studierende- 1.000 Studierende betroffen. Die Weiterführung dieses Projekts war dann die norganisation war die Freie Studentenschaft (FÖST). Die rückte dann in das Einführung der Krankenversicherung für Studierende. Um fünf Schilling war Umfeld der damaligen ÖVP, auch VSStÖ und RFS sind damals entstanden. Ich man versichert, alle Wiener Spitäler haben das akzeptiert. Das war eine riesige selbst war immer politisch engagiert, war plakatieren und so weiter. Dann war Geschichte, kaum jemand war damals versichert. Unser zweiter großer Erfolg ich Vorsitzender des Hauptauschusses an der Uni Wien und Vorsitzender des war der Bau des Studentenheimes in der Führichgasse. Zentralausschusses in Personalunion. Wie stand es damals um die Beteiligung bei ÖH-Wahlen? Wie war das Verhältnis zum Ministerium? Die Wahlbeteiligung war sehr hoch, damals gingen 80 Prozent der Studenten Zwiespältig. Einerseits hatten wir einen guten Zugang durch die politische wählen. Aber der Wahlkampf war nicht besonders aufwändig, schließlich hat- Zusammengehörigkeit, aber einer Meinung waren wir nicht immer. Einmal ten wir damals nicht viel Geld. Insgesamt war die Stimmung aber eine Auf- sollten ja die Gebühren empfindlich erhöht werden – und zwar um 30 Prozent. bruchsstimmung, da ist man einfach wählen gegangen. Wir sind dann rebellisch geworden und haben 1952 einen Sitzstreik am Ring organisiert. Mit Erfolg: Die Gebühren wurden nur geringfügig erhöht. Wenn es uns zu dumm geworden ist, haben wir immer gesagt, dann gehen Günther Wiesinger begann sein Studium der Medizin 1947. Er war 1952- wir wieder auf den Ring. Studenten haben damals ein ganz anderes Ansehen 1954 Vorsitzender des Zentralauschusses und des Hauptauschusses der Uni- gehabt als heute. Da hat es geheißen, die hackeln eh fleißig. Die öffentliche versität Wien in Personalunion.

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lige Verteilung von Kleider- und anderen Wintersemester 1948/49 wurde auf 6.500 MitarbeiterInnen handelten de facto als Spenden, Unterstützung von Studierenden Mahlzeiten pro Tag aufgestockt. Die nach Theaterdirektion, die Stücke auswählte und durch Vermittlung von Nebenerwerbsmög­ dem Krieg höchst prekäre Ernährungslage in per Plakaten nach interessierten Studier- lichkeiten und die Vermittlung von Räumen Österreich und vor allem in Wien besserte enden suchte. Viele bekannte Schauspie- in Untermiete durch das eigene „Quarti- sich Ende der vierziger Jahre allmählich, lerInnen und RegisseurInnen traten im stu- erreferat“. Das dem Wirtschaftsreferat an- wodurch die Grenze für die Zulassung zur dentischen „Studio“ auf oder debutierten gegliederte Gesundheitsreferat bemühte Ausspeisung von 12 kg Untergewicht auf hier sogar, so etwa Michael Kehlmann, sich um die Einrichtung eines Genesungs­ 6-7 kg hinaufgesetzt werden konnte – die Herbert Wochinz, Helmuth Schwarz, Hilde heims für erholungsbedürftige Studierende, breite Mehrheit lebte aber, wie diese Zahlen Weinmann, Helmut Qualtinger, Carl Merz, führte ab dem Wintersemester 1947/48 nahe legen, weiter in Mangel. Sozialpoli- Gerhard Bronner, Hilde Sochor, Kurt Sobot- Reihenuntersuchungen der Erstsemestrigen tische Erfolge der ÖH 1948 waren die Durch­ ka oder Karlheinz Böhm. ein und bemühte sich im Wintersemester setzung von Lebensmittelzusatzkarten für 1948/49 um die Einrichtung einer Zahn- die Semesterferien oder das Außerkraft- Im Sommer und Herbst 1945 ging das „Stu- station in Wien. In Verbindung mit dem setzen des berüchtigten Ernteeinsatzes am dio“ sogar bereits auf Tournee und knüpfte Gesundheitsreferat begann am 15. April Land, der für einige Sozialleistungen als Kontakte nach Leoben und Graz. Eine in den Gegenleistung verlangt worden war. Sommerferien 1945 in die Schweiz führende Auftrittsreise führte als „Nebenerfolg“ dazu, Das Sportreferat organisierte Sportveran- dass die Beteiligten „gut verpflegt und neu staltungen und Wettbewerbe von Studen- eingekleidet … und reich mit Schätzen wie tInnen, so etwa Basketballmeisterschaften Zucker, Schokolade und Medikamenten be- und Wettspiele gegen SportlerInnen aus laden“ ins Not leidende Österreich zurück- anderen Ländern. Im Sommer 1948 wurde kehren konnten, wie Friedrich Langer später unter anderem ein Dreistädtekampf im Ten- erzählte. Das studentische Theater entwick- nis zwischen Wien, Graz und Innsbruck ver­ elte sich zur viel beachteten Plattform einer anstaltet.13 jungen KünstlerInnengeneration.

Selbstorganisiertes kulturelles Leben Auch an anderen Hochschulen entstanden eigene Aktivitäten. In Graz wurde nach Als langanhaltend erfolgreiches Betäti- Wiener Vorbild ein Studio der Hochschulen

Abb. 7 Abb. gungsfeld zeigte sich das schon in den gegründet, das Innsbrucker Kulturreferat Das Studio der Hochschulen spielt den Urfaust ersten Tagen gegründete Kulturreferat. Die war mit seinem Collegium musicum vor al- im dritten Stock des Hauses in der Kolin- lem musikalisch unterwegs, führte aber 1948 die sogenannte „Schwedenausspei- gasse etablierte Laienspielgruppe „Studio auch kurze Zeit ein eigenes Theaterstudio. sung“, bei der aus schwedischen Spenden der Hochschulen“ bot in Wien ein hohes Das Kulturreferat der Technischen Hochs- in der Mensa etwa 2.000 bedürftige Studier­ Niveau an studentischem Theater. Initia- chule Wien widmete sich der Veranstaltung ende verpflegt werden konnten. Bis zum tor war 1945 Friedrich Langer. Er und seine von Bällen.14

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Studiengebühren Endnoten Österreichs (VSStÖ) 1945-1970. Projekt- ÖH und Demokratie 1 Christine H. Forster, Die Geschichte der bericht an das Bundesministerium für Wis- Geschichte der ÖH 1945 wurde mit der Wiedereinführung des Österreichischen Hochschülerschaft 1945- senschaft und Forschung. Wien 1989; Helge Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- Gesetzeswerks von 1938 auch die damalige 1955 (Dissertationen der Universität Wien: Zoitl, „Student kommt von Studieren!“. Zur tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Höhe der Studiengebühren wieder in Kraft Bd.166). Wien 1984, S.6, S.10, S.79-82 Geschichte der sozialdemokratischen Stu- 1950er: Soziale Lage und gesetzt. Ab dem Sommersemester 1948 war 2 Forster, Geschichte, 1984, S.11-20 dentenbewegung in Wien (Materialien zur Studiengebühren Kommentar: Fischer ihre Höhe bis in die frühen fünfziger Jahre 3 Forster, Geschichte, 1984, S.18f., S.22- Arbeiterbewegung: Nr.62). Wien / Zürich 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz ein permanenter Diskussionspunkt zwischen 25; Griesebner, Politisches Feld Universität, 1992; Wolfgang Speiser, Die sozialistischen und „1968“ ÖH und dem Unterrichtsministerium. Die ÖH 1990, S.80-84 Studenten Wiens 1927-1938 (Materialien Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und lehnte in der Anfangsphase eine Erhöhung 4 trotz der geschlechtsneutralen Schreib- zur Arbeiterbewegung: Nr.40). Wien 1986; Mitbestimmung in der Universität kategorisch ab, da die nötigen Neuanschaf- weise soll hier die historische männliche Hans-Peter Weingand / Werner Winkler, Kommentar: Streeruwitz fungen nicht von den Studierenden finanzi- Formulierung als Zeitdokument erkenntlich Diese Welt muß unser sein. Die sozialis- 1980er: Neue soziale Bewegungen ert werden sollten. Sie forderte stattdessen werden tischen Studierenden in Graz 1919-1991. Kommentar: Margulies 5 1990er: Der Mensch zuerst eine universitätsinterne Umverteilung der Forster, Geschichte, 1984, S.34-43 Graz 1992 Kommentar: Berlakovic Mittel und eine rationellere staatliche Ver- 6 Forster, Geschichte, 1984, S.114-123; 10 Dietmar Zach, KSV und VSStÖ: Zwischen 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch waltung. Der VSStÖ hatte im Sommersemes- Griesebner, Politisches Feld Universität, Zusammenarbeit, Konkurrenz und Verleum- in der ÖH Kommentar: Mautz & ter 1947 eine weitgehende Neuregelung du- 1990, S.87f. dung. Theoretische Perspektiven und poli- Weinberger rch progressive Prüfungstaxen (für einzelne 7 Von 1945 bis 1957 und dann wieder 1959- tische Praxis. Dipl.-Arb., Univ. Wien 1998, Wahlergebnisse und Vor- sitzende Prüfungen musste damals gezahlt werden, 1961 wurde der Vorsitz in Zentralausschuss S.13f.; Forster, Geschichte, 1984, S.74 u. Uni im Wandel der Zeit gefordert wurde hier eine Staffelung), und Hauptausschuss der Uni Wien in Per- S.114 staatliche Anstellung der LektorInnen, sonalunion ausgeübt. Im ÖH-Haus in der 11 Forster, Geschichte, 1984, S.152-154, Feminismus und ÖH Abschaffung der Anteile der Dekane und Kolingasse befanden sich 1945-1960 beide S.181f.; Griesebner, Politisches Feld Univer- Protest und Vertretung

Abschaffung der sogenannten „schwarzen Büros unter einem Dach. Als 1960 in die sität, 1990, S.90f. Zukunft der ÖH Arbeit Gebühren“ (zusätzliche Studiengebühren, Führichgasse übersiedelt wurde, wurde der 12 Lorenz Lassnigg, Bildungsreform gescheit- Chronologie die von einzelnen Professoren verlangt 2. Stock für den HA eingerichtet, ein ei- ert … Gegenreform? 50 Jahre Schul- und Anhang wurden). Die Studiengebühren sollten an genes Büro erhielt die ÖH der Uni Wien erst Hochschulpolitik in Österreich. in: Reinhard die sozialen Verhältnisse der Studierenden 1964 im NIG. 1957 kam mit Herbert Mauser Sieder / Heinz Steinert / Emmerich Tálos angepasst werden, was als Utopie galt. Der von der Hochschule für Welthandel erstmals (Hg.), Österreich 1945-1995. Gesellschaft kommunistische VdS zog eine Parallele zur ein ÖH-Vorsitzender aus einer anderen Uni- - Politik - Kultur (Österreichische Texte damaligen Diskussion um eine Aufstellung versität. (Forster, Geschichte, 1984, S.48 zur Gesellschaftskritik: Bd.60). Wien 1995, eines Heeres und meinte 1947: „Mögen die und. S.78) S.458-484, hier S.458f. da oben den Luxus eines Heeres fordern, wir 8 Forster, Geschichte, 1984, S.48-67, 13 Forster, Geschichte, 1984, S.162-165 Studenten fordern das kostenlose Studium! S.142f., S.150 14 Forster, Geschichte, 1984, S.27-31, S.170 Damit würde Österreich an der Spitze der 9 Ariane Heilingsetzer / Maria Mesner / 15 Forster, Geschichte, 1984, S.203f. Kulturstaaten marschieren, statt als Adabei Heinz Rögl / Fritz Weber, Zur Geschichte unter den Militärstaaten!“15 des Verbandes Sozialistischer Studenten

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1950er Jahre

1950: ein eigenes Gesetz für die ÖH itete als Ausdruck des Protests gegen diese In zähem Ringen zwischen Unterrichtsmin- Einstellung nach dem Entwurf des AK-Ge- isterium und ÖH wurde ein Gesetzesentwurf Im September 1945 wurde von der provi- setzes einen ersten Entwurf eines Hoch- ausverhandelt, der am 12. Juli 1950 vom sorischen Staatsregierung die Rückkehr zur schülerInnenschaftsgesetzes aus, das der Nationalrat als „Hochschülerschaftsgesetz hochschulpolitischen Gesetzeslage von 1935 ÖH eine unabhängige Stellung geben soll- 1950“ beschlossen wurde. Mit dem Gesetz beschlossen. In der ersten Nachkriegszeit te. In der Sitzung des Zentralausschusses wurde die ÖH auch in ihren Funktionen hatte die Studierendenvertretung durch ihre der ÖH vom 30. Juni 1948 wurde daraufhin und nicht nur deklarativ eine Körperschaft aktive Mitarbeit am Wiederaufbau einige ein Antrag aller drei ÖH-Fraktionen ein- öffentlichen Rechts. Die Organisation der Kompetenzbereiche und Autonomierechte stimmig angenommen. ÖH nach dem Grundsatz der studentischen de facto erworben, die in dieser Form nicht Selbstverwaltung wurde gesetzlich veran­ gesetzlich vorgesehen waren. In der Folge Einen weiteren Anstoß in der Debatte um kert. Ihre Organe wurden nach demokra- bemühten sich die staatlichen Stellen, die ein ÖH-Gesetz gab 1949 eine Beschwerde tischen Wahlen, die auf den Nationalrats- StudentInnenvertreterInnen wieder einer des kommunistischen VDS gegen die Wahlo- wahlgrundsätzen basierten, gewählt. Der strengeren Kontrolle zu unterwerfen und rdnung, die nur Gruppierungen zur ÖH-Wahl Status als gesetzliche Interessenvertretung zugestandene Einspruchs- und Entschei- zuließ, die auch bei Nationalratswahlen kan- machte klar, dass der ÖH wie allen ander- dungsrechte wieder zu beschneiden. Im didierten. Minister Hurdes hatte dies 1947 en Kammern das Recht auf Begutachtung Sommersemester 1948 setzten daher Bemü- damit begründet, dass damit ein (Wieder-) von Gesetzesentwürfen, bevor diese vom hungen der ÖH um eine Reform der Hoch­ Eindringen von Nazis verhindert werden zuständigen Bundesministerium dem Min- schulgesetzgebung ein. sollte. Nachdem jedoch die Entnazifizierung isterInnenrat vorgelegt werden, gesichert für beendet erklärt worden war, forderte der wurde.1 Besondere Angriffspunkte waren das Ein- VDS, dass analog zu Kammer- und Betriebs­ spruchsrecht der Rektoren in sämtliche ratswahlen Unterstützungsunterschriften Universitätspolitik ÖH-Beschlüsse und die Möglichkeit der für eine Kandidatur ausreichen sollten. Am Amtsenthebung von ÖH-FunktionärInnen 8. Dezember 1949 hob schließlich der Ver- Nicht nur die ÖH wurde in den fünfziger durch den Rektor. Aufgrund eines dies- fassungsgerichtshof die 2. Hochschüler- Jahren gesetzlich neu geregelt, sondern bezüglichen Protests der ÖH im Dezember schaftsverordnungsnovelle auf (da sie 1945 auch die Universitätsorganisation. Mit 1. 1947 richtete die SPÖ im Nationalrat eine auf Basis des Hochschulermächtigungs- Oktober 1955 trat das Hochschul-Organi- parlamentarische Anfrage an den Unter- gesetzes von 1935 erlassen worden war, sationsgesetz (HOG) 1955 in Kraft. Es war richtsminister Felix Hurdes (ÖVP). Dieser das aber aufgrund Widerspruchs zur Bun- das erste umfassende derartige Gesetz der erklärte in seiner Antwort, dass die Rechts­ desverfassung außer Kraft getreten war). Zweiten Republik, nachdem 1945 die Re- stellung des Rektors zur ÖH dieselbe wäre Damit war der ÖH aber auch die Rechts- chtsvorschriften vor dem 13. März 1938 wie zu jeder sonstigen Uni-Einrichtung. grundlage als Körperschaft öffentlichen Re- wiedereingeführt worden waren und seither Der VSStÖ-Vertreter Ferdinand Maly arbe- chts entzogen. daran nur die jeweils nötigen Anpassungen

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vorgenommen wurden. Das HOG brachte feld der Wahlen in Bewegung geraten. Der (Stuwag). Das Wahlergebnis zeigte dann ÖH und Demokratie allerdings keine inhaltliche Modernisierung. konservative Dachverband Union benannte auch ein mit den Nationalratswahlen von Geschichte der ÖH Es schrieb die aus dem 19. Jahrhundert sich nach einer internen Krise in Wahl- 1949 vergleichbares Ergebnis, bei denen Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- stammende Universitätsorganisation fort, block österreichischer Akademiker um. Im der VdU erstmals antreten durfte. Die re- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger indem es die seither entstandenen vielfälti- Unterschied zu den bisherigen ÖH-Wahlen chten Gruppierungen sogen die hohe Zahl 1950er: Soziale Lage und gen Bestimmungen in einem Organisations- von 1946, 1948 und 1949, bei denen nur der ungültigen Stimmen der ÖH-Wahl 1949 Studiengebühren Kommentar: Fischer gesetz zusammenfasste. Alle Entscheidungs­ Gruppierungen antreten konnten, die zu im auf, während die bisherigen Fraktionen 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz rechte lagen wie in Zeiten der Monarchie Parlament vertretenen Parteien gehörten, Stimmen verloren. Der ÖVP-nahe Wahl- und „1968“ in den Händen der ProfessorInnen (Ordi- konnten diesmal neue Listen kandidieren. block stürzte von 71,9% 1949 auf 58% ab. Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und narienuniversität). Erstmals traten so dem VdU nahe stehende Der VSStÖ verlor demgegenüber geringer, Mitbestimmung in der Universität Gruppierungen des ehemals deutschna- er sank von 24,4% 1949 auf 21,65%. Der Kommentar: Streeruwitz Die Zahl der Studierenden sank seit Ende tionalen und nationalsozialistischen La- kommunistische VdS verlor von 3,6% 1949 1980er: Neue soziale Bewegungen der vierziger Jahre, nachdem diejenigen, die gers an, der Bund unabhängiger Studenten auf 2,27%. BUS und Stuwag erreichten Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst zuvor durch Krieg und Faschismus am Stu- (BUS) und die Studentenwahlgemeinschaft zusammen auf Anhieb 18%. Kommentar: Berlakovic dium gehindert worden waren, ihr Studium 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch abgeschlossen hatten. 1949/50 studierten in der ÖH Kommentar: Mautz & in Österreich 26.312 StudentInnen, davon Weinberger 5.270 (20,0%) Frauen. 1954/55 waren Wahlergebnisse und Vor- sitzende es nur mehr 18.394 Studierende, davon Uni im Wandel der Zeit 3.430 (18,7%) Frauen. Mit zunehmendem Wohlstand stiegen aber ab Mitte der fün- Feminismus und ÖH fziger Jahre die Zahlen wiederum, sodass Protest und Vertretung es 1959/60 bereits 34.287 StudentInnen, Zukunft der ÖH Arbeit davon 7.673 (22,4%) Frauen, gab.2 Chronologie

Anhang ÖH-Politik

Die ÖH-Wahlen vom 24. Jänner 1951 fanden in einer Zeit statt, in der die Frage der Erhöhung der Studiengebühren drama- tisch präsent war, die zukünftige Rolle von AkademikerInnen in der sich wandelnden Wirtschaft und Gesellschaft diskutiert wurde und die Debatte um eine Reform Abb. 8 Abb. der Universitäten begann. Die politische Landschaft innerhalb der ÖH war im Vor- Die ÖH Zentrale in der Kolingasse

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Die Wahlbeteiligung sank von 76,2% 1949 auf 61% 1951. Nach der Ausnahmesituation und Anfangseuphorie der ersten Jahre sank sie auf ein mit anderen Interessenvertretun- gen vergleichbares Ausmaß. Es zeigten sich aber auch die Auswirkungen der konserva- tiven Dominanz. Der Grazer ÖH-Mitarbeiter Fritz Wallenberger sah das Grundproblem der sinkenden Wahlbeteiligung schon 1951 in einer falschen Vorstellung über die ÖH: „Der Student sieht in der ÖH einen Automaten, in den er seinen Obolus in Form des ÖH-Bei- trages einwirft und aus dem als Gegenleis- tung dafür Stipendien, billige Theaterkarten und Konzertkarten, Mensafreitische, Krank- enhilfe usw. herauskommen.“ schrieb er 1951 in den „Blättern der Katholischen Hochschuljugend Österreichs“.3 Abb. 9 Abb.

Den ÖH-Vorsitz übernahm aufgrund des Wir sagen’s euch direkt, gebt uns die Wahl Wahlergebnisses vom 24. Jänner 1951 Norbert Burda vom konservativen Wahl- Fraktionsarbeit und über eine Subvention Eindruck des heftigen Streits um eine Er- block. Aufgrund der Stärke der Fraktio- für einen nicht stattgefundenen Schikurs. höhung der Studiengebühren. Nach den nen wurden Ferdinand Maly vom VSStÖ Der Wahlblock sah durch diese Anfragen Erfolgen der deutschnational-freiheitlichen als erster und Otto Eisenmenger von der einen Bruch des Übereinkommens durch Gruppierungen bei den ÖH-Wahlen 1951 Stuwag als zweiter Stellvertreter gewählt. den VSStÖ. Am 10. August 1951 enthob wurde als Sammelbecken der Ring freiheitli- Wahlblock und VSStÖ vereinbarten wieder ÖH-Vorsitzender Burda die vom VSStÖ cher Studenten (RFS) gegründet. Der erste eine Zusammenarbeit. Die ideologischen gestellten ReferentInnen in der ÖH ihres Vorsitzende des RFS in Wien wurde Norbert Differenzen in der Frage der Macht der Amtes. Dies brachte ihm die Kritik ein, Burger, dessen spätere Partei NDP 1988 katholischen Cartellverbände, ein Streit die Geschäftsordnung verletzt zu haben wegen nationalsozialistischer Wiederbetä- um neue ZA-Statuten und Uneinigkeit in und „Dollfuß-Methoden in der ÖH“ zu tigung verboten wurde. Der konservative der Frage der Gebührenerhöhung führten gebrauchen. Der Wahlblock schloss nun Wahlblock verlor bei gestiegener Wahl- aber bald zum Bruch der seit 1948 beste- ein Übereinkommen mit BUS und Stuwag beteiligung (70%) über 10% der Stimmen henden Koalition. Bei der ZA-Sitzung vom – die erste schwarz-blaue Koalition in der und lag mit 49,4% erstmals unter 50%. Der 2. Juli 1951 stellte der VSStÖ zwei Anfra- Zweiten Republik. erstmals einheitlich auftretende RFS kam gen, über die Vermengung von ÖH- und Die ÖH-Wahlen 1953 standen unter dem auf Anhieb auf 32,1% der Stimmen – eine

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Verdopplung gegenüber 1951, wo zwei Lis- insgesamt 130 Stipendien zu je 600 Schill- Protesten. Nachdem das Ärztegesetz vom ÖH und Demokratie ten angetreten waren. Die Linken verloren ing vergeben. 1955 wurden aufgrund des Mai 1949 als nachteilig für den Nachwuchs Geschichte der ÖH stark: Der VSStÖ erreichte nur 16,7%, der Einsatzes der ÖH die Einzelstipendien von betrachtet wurde, wurden Protestmaßnah- Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- kommunistische VDS 1,8%. An der Tech- 800 Schilling auf 1.000 Schilling pro Se- men veranstaltet. Bei einem gemeinsa- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger nischen Hochschule in Graz und an der mester erhöht. Neben den Sozialstipendien men Marsch zur Ärztekammer konnte eine 1950er: Soziale Lage und Wiener Tierärztlichen Hochschule sowie, in wurden aber auch Begabtenstipendien ge- Abordnung der ÖH-Fachgruppe Medizin der Studiengebühren Kommentar: Fischer Verbindung mit einer nahestehenden Liste, schaffen – in der Höhe von 3.000 Schilling! Universität Wien gewisse Zugeständnisse 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz in Leoben erreichte der RFS die absolute Die ÖH selbst widmete pro Semester 500.000 erreichen. Die RechtspraktikantInnen ver- und „1968“ Mehrheit. Da der Wahlblock nur 14 der 30 Schilling – 60% ihres Budgets – sozialen suchten 1951 in einer Streikaktion eine Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Mandate im Zentralausschuss erhalten hat- Aufwendungen: Ausgaben für Medikamente finanzielle Besserstellung durchzusetzen. Mitbestimmung in der Universität te, trat der Wahlsieger RFS an den VSStÖ und ÄrztInnen standen dabei an der Spitze, Nach den steirischen Rechtspraktikan- Kommentar: Streeruwitz mit dem Vorschlag einer Koalitionsbildung dicht gefolgt von Stipendien, Erholungshei- tInnen traten einzelne Bundesländer- 1980er: Neue soziale Bewegungen gegen den Wahlblock heran, was dieser aber men und Erholungsaufenthalten, Mensa, vertretungen an den Justizminister Otto Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst aufgrund der ideologischen Gegensätzli- Unfallversicherungszahlungen, StudentIn- Tschadek heran. Auf Vorschlag des VSStÖ Kommentar: Berlakovic chkeit kategorisch ausschloss. Schließlich nenheimen und einmaligen Unterstützun- unterstützte die ÖH den Streik von 12. bis 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch kam es zu einer „Konzentrationsregierung“ gen. 19. Februar 1951. Verhandlungen mit Min- in der ÖH Kommentar: Mautz & von Wahlblock, RFS und VSStÖ. Die finanzielle Lage von Studierenden und ister Tschadek brachten schließlich eine Weinberger JungakademikerInnen führte Ende der vier­ Ausweitung der Planstellung und Erhöhung Wahlergebnisse und Vor- sitzende 1955 gewann der Wahlblock mit 55,8% der ziger und Anfang der fünfziger Jahre zu der Vergütung.5 Uni im Wandel der Zeit Stimmen wieder die absolute Mehrheit. Der VSStÖ verlor wiederum und erreichte nur Feminismus und ÖH mehr 12,1%. Der RFS war mit 30,3% klar Protest und Vertretung zweistärkste Kraft. Diese Kräfteverhältnisse Zukunft der ÖH Arbeit blieben nunmehr einige Jahre stabil. Die Wahlblock 60% RFS 29% Chronologie kommunistischen Studierenden erreichten Anhang nur 1-2%. Einzige relevante linke Kraft in der ÖH war der VSStÖ, der mit etwas über 10% allerdings kein starkes Gewicht in der Studierendenpolitik besaß.4 VDS 1%

Soziale Lage der Studierenden VSStÖ 12%

Die staatliche finanzielle Förderung von Wahlbeteiligung 62% Studierenden war in den fünfziger Jahren 10 Abb. gering. Im Wintersemester 1951/52 wurden Wahlergebnis (gerundet) der ÖH-Wahlen zum Zentralaussschuss 1957

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Studiengebührenerhöhung und erste 1953 zu einer Demonstration auf der Wiener Endnoten StudentInnendemonstration Ringstraße, vor allem von Studierenden der 1 Forster, Geschichte, 1984, S.183-195 Technischen und der Tierärztlichen Hochs- 2 Lassnigg, Bildungsreform, 1995, S.460 Anfang der fünfziger Jahre drohte eine Er- chule, die mehrheitlich sozialistisch oder Griesebner, Politisches Feld Universität, höhung der Studiengebühren, die am Stand deutschnational-freiheitlich eingestellt 1990, S.144 von 1938 waren. Die Universitäten brauchten waren.6 3 zit. nach: Forster, Geschichte, 1984, Geld, die Studierendenzahlen waren gestie- S.201 gen und die Gehälter der Lehrenden waren Hilfsaktionen für Ungarn 1956 4 Forster, Geschichte, 1984, S.198-203, lange nicht mehr angemessen. Im Oktober S.239-249, S.262f., S.273f.; Griesebner, 1951 verlangte die Rektorenkonferenz eine Im Oktober 1956 begehrte Ungarn gegen Politisches Feld Universität, 1990, S.91f. Verdopplung bis Verdreifachung der Studi- die sowjetische Besatzung auf, der Auf- 5 Forster, Geschichte, 1984, S.208-211, engebühren. Nachdem von ihr gar eine Ver- stand wurde nach schweren Kämpfen blutig S.272 fünffachung der Gebühren verlangt worden niedergeschlagen. Spontan wurden im seit 6 Forster, Geschichte, 1984, S.215-230 war, gingen 1952 die Wogen in der ÖH kurzem neutralen Österreich Hilfsaktionen 7 Forster, Geschichte, 1984, S.267f. hoch. Um das Gesetzesbegutachtungsrecht organisiert, so auch an den Universitäten zu umgehen wurde der Gesetzesentwurf zur von Studierenden. Bereits in den ersten Gebührenerhöhung in fünf Verordnungen Tagen der Krise starteten zwei Flugzeuge gesplittet, die Erhöhungen wären auf eine mit Spenden der steirischen Studierenden Verzehnfachung hinausgelaufen. Vertret- von Graz nach Ungarn. Von Wien aus wur- erInnen aller ÖH-Fraktionen sprachen sich den drei Konvois mit Lebensmitteln, Klei- einstimmig für Kampfmaßnahmen aus. Am dern und Medikamenten nach Budapest ge- 13. Oktober 1952 wurde ein demonstrativer schickt. Die ÖH half bei der Beladung und Sitzstreik an verschiedenen Orten Wiens führte eine Blutspende- und Sammelaktio- veranstaltet, so an der Opernkreuzung und nen an den Hochschulen durch. Als große am Graben. Der Rektor der Uni Wien half Flüchtlingsströme eintrafen, halfen Studier- den Protesten, indem er vorlesungsfrei gab. ende in den Flüchtlingslagern mit.7 ÖH-Vorsitzender Norbert Burda, der an der Spitze einer ÖH-Delegation zu Unterrich- tsminister Ernst Kolb (ÖVP) kam, berich- tete: „Dieser stand wie ein trotziger Knabe am Fenster und nannte den Streik einen Skandal.“ Schließlich stimmte die ÖH mit den Stimmen der Mehrheit des konservativ- en Wahlblocks und gegen die Stimmen von VSStÖ, Stuwag und VDS einem Kompromiss zu. Gegen den Willen des Wahlblocks kam es

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Projekt1 07.07.2004 8:57 Uhr Seite 2 Schule der Demokratie Heinz Fischer

Die Situation an den Universitäten war damals natürlich völlig anders als enförderung für jene, die sozial bedürftig waren und heute: Die Strukturen unserer Universitäten hatten sich seit dem Ende des einen guten Studienerfolg nachweisen konnten. 19. Jahrhunderts nicht wesentlich verändert. Der Lehrkörper der Professoren Tatsächlich ist es gelungen im Jahr 1963 ein Studi- hatte den Aderlass der Jahre 1934 und 1938 an vielen Fakultäten noch nicht enförderungsgesetz durchzusetzen. Wenn ich mich richtig erinnere wurden verkraftet und war in einem heute nicht mehr vorstellbaren Ausmaß konserva- damals etwa 20 bis 30 Millionen Schilling für Studienförderung ausgegeben, tiv mit deutsch-nationalen Resten (siehe Prof. Borodajkewycz). Ein aus der was ein riesiger Fortschritt gegenüber jenen Beträgen war, die vor dem Stu- Emigration vorübergehend zurückgekehrter Wissenschafter (nämlich Prof. dienförderungsgesetz aufgewendet wurden (und die im übrigen mehr oder Adolf Kozlik) begann sein Buch über die Situation an den österreichischen weniger freihändig von den zuständigen Beamten des Ministeriums vergeben Universitäten und Hochschulen mit folgenden Worten: „Wissenschaft ist die wurden). Heute ist der Aufwand für Studienförderung bzw. Stipendien bekan- Summe der Meinungen, die alle Hochschullehrer teilen. Meinungen, die davon ntlich ca. 166 Millionen Euro. abweichen, sind Vorurteile. Die Lehre an den Universitäten ist rein, weil Perso- Im Laufe der 60-iger Jahre ist die Forderung nach Hochschulreform und Stu- nen mit Vorurteilen von den Hochschulen ferngehalten werden.“ dienreform immer intensiver geworden und in der 2. Hälfte der 60-iger Jahre An den österreichischen Hochschulen, wo es derzeit rund 210.000 Studierende hat dann der damalige Unterrichtsminister Dr. Piffl eine Hochschulreformkom- gibt, gab es gegen Ende der 50-iger Jahre knapp über 30.000 Studenten und mission eingesetzt. Ich habe damals viel über die Situation der Universitäten, Studentinnen. Die sozialen Barrieren waren hoch, der Anteil der Studentinnen aber auch über die Situation der Studierenden dazugelernt. Auch in den nach- relativ gering. Es gab an den Universitäten auch keine studentische Mitbestim- folgenden Jahren habe ich mich immer wieder mit Fragen der Universitätsre- mung. In der Hochschülerschaft dominierten konservative Studentenorganisa- form und mit Hochschulproblemen beschäftigt und in den 70er Jahren für die tionen. Ein großes Thema innerhalb der Hochschülerschaft war die Frage, ob Beschlussfassung eines neuen Universitätsorganisationsgesetzes im Parlament die Hochschülerschaft sich als reine studentische Interessenvertretung verste- engagiert. hen sollte oder ob die Hochschülerschaft als Körperschaft öffentlichen Rechtes Das alles ist mir während meiner Tätigkeit als Wissenschaftsminister (1983 bis auch ein „allgemein politisches Mandat“ für sich in Anspruch nehmen sollte. 1987) zugute gekommen. Den Kontakt mit der Österreichischen Hochschüler- Das erstere wurde eher von den konservativen Hochschülerschaftsfunktionären schaft habe ich bis heute – auch wenn er naturgemäß schwächer und seltener gut geheißen, das allgemein politische Mandat von den „Linken“ eingefordert, geworden ist – nicht abreißen lassen. die aber eine kleine Minderheit bildeten. In diesem Sinne gratuliere ich der Österreichischen Hochschülerschaft zum Bei den Hochschülerschaftswahlen des Jahres 1961 war ich Spitzenkandidat 60. Geburtstag. Für die weitere Arbeit der ÖH, die ich immer auch als Schule der Sozialistischen Studenten. Schwerpunkte der Auseinandersetzungen waren der Demokratie empfunden habe, wünsche ich viel Erfolg im Dienste unserer die Forderung nach Studienreform, also nach moderneren Studieninhalten und Studierenden und unserer Universitäten. Lehrmethoden, die Forderung nach Organisationsreform inklusive Mitbestim- mung und auch die Forderung nach der Beseitigung sozialer Bildungsbarri- Heinz Fischer begann 1957 sein Studium der Rechtswissenschaften. Ab 1959 eren. Der wichtigste konkrete Vorschlag zu dem letztgenannten Thema war war er Mandatar des Fachauschusses der Fakultät für Rechtswissenschaften, des die Forderung nach einem gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf Studi- Hauptauschusses der Universität Wien und des Zentralauschusses (VSStÖ).

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1960er Jahre

Universitätspolitik hung Rationalisierungseffekte in Form einer Benachteiligung im Bildungssystem Straffung und Verkürzung der Studien brin- öffentlich diskutiert. Chancengleichheit Nachdem 1955 das Hochschul-Organisations­ gen sollte. wurde zu einem zentralen Thema, ihre Be- gesetz beschlossen worden war, wurden deutung im SPÖ-Konzept war ein wichtiger mehrere Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, Die sechziger Jahre waren vom Projekt Faktor im Wahlsieg Bruno Kreiskys 1970. die das Studienwesen regeln sollten. Es kam der „Bildungsexpansion“ geprägt, das 1963 wurde nach langen Bemühungen allerdings zu keinem Beschluss. Im Jänner schließlich in den siebziger Jahren seinen und Forderungen der ÖH vom Nationalrat 1965 wurde vom Unterrichtsministerium ein Höhepunkt fand. Ein Ausbau von Bil- das Studienbeihilfengesetz beschlossen. „Rat für Hochschulfragen“, in dem u.a. auch dungsmöglichkeiten sowie der Forschung Erstmals gab es – unter den Vorausset- die ÖH vertreten war, eingerichtet, der sich sollte den wirtschaftlichen und sozialen Auf- zungen soziale Bedürftigkeit und guter dieser Frage annahm. Das schließlich 1966 stieg bringen. Die staatlichen Bildungsaus- Studienerfolg – einen Rechtsanspruch aller beschlossene Allgemeine Hochschulstudi- gaben begannen ab 1965 deutlich stärker Studierender auf die Gewährung einer Stu- engesetz (AHStG) regelte grundsätzlich das zu steigen. Die Zahl der Studierenden stieg dienbeihilfe. Bis dahin hatte es kein Recht Studien- und Prüfungswesen an den wis- von 18.394 1954/55 (davon 3.430 oder auf Unterstützung und keine einheitliche senschaftlichen Hochschulen. Es zog eine 18,7% Frauen) auf 50.169 1968/69 (davon Stipendienvergabe gegeben, meist nur „Pri- Kette von zusätzlichen Regelungen (Beson- 12.049 oder 24,0% Frauen). vatstipendien“ von diversen Institutionen. dere Studiengesetze, Studienordnungen, Die Höhe der Studienbeihilfen war aller­ Studienpläne) nach sich, deren Einführung Weiterhin hatten StudentInnen vielfältige dings schon damals viel zu niedrig, um mehr als ein Jahrzehnt in Anspruch nahm Gebühren zu zahlen: eine generelle damit die Lebenserhaltungskosten für das und die hochschulpolitischen Aktivitäten Aufwandsentschädigung für die Benüt- Studium decken zu können.2 der StudierendenvertreterInnen, die hier zung allgemeiner Einrichtungen, Koll- Ende der sechziger / Anfang der siebziger egiengeld, Prüfungs-, Instituts-, Übungs- Der Fall Borodajkewycz – Jahre begannen, Studierendeninteressen und Matrikeltaxen sowie Gebühren für die der Gipfel des Eisbergs in den einzelnen Studienrichtungen ein- Ausstellung von Zeugnissen, Bestätigungen zubringen, aktivierte. Mit dieser Studien- etc.1 1965 brach das bisherige Verdrängen der reform wurde eine vereinheitlichte allge- Nazivergangenheit erstmals auf. Ehemalige meine Studienstruktur (Diplomstudien mit Studienbeihilfengesetz Nazis hatten mittlerweile wieder an die Uni- Abschluss als Magister/Magistra und an- versitäten zurückkehren können und teilten schließendem Doktoratsstudium, während Beeinflusst durch die sozialen Reformpro- sich die Stellen mit Lehrenden, die in der bislang mit einem Doktorat abgeschlossen gramme der Kennedy- und Johnson-Re- austrofaschistischen Zeit Karriere machen worden war) eingeführt, die sich am Mod- gierung in den USA wurden in den sechziger konnten. Um eine Rückkehr der vielen durch ell der technischen Studien orientierte und Jahren auch die soziale Funktion des Bil- die Nazis Vertriebenen bemühte sich nahezu durch stärkere Verschulung und Verrechtlic- dungswesens und der Aspekt der sozialen niemand. An der Hochschule für Welthan-

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Verteidigung aber auf Vorlesungsmitschrif- Der 24-jährige Amateurboxer Kümelwurde ÖH und Demokratie

ten des Wirtschaftsstudenten und späteren schließlich aufgrund seiner Aussage, sich Geschichte der ÖH Finanzministers Ferdinand Lacina stützen. bedroht gefühlt zu haben, zu zehn Monaten Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- Obwohl Borodajkewycz seine Aussagen teil- Haft wegen Notwehrüberschreitung ver­ tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger weise nicht abstritt, wurden Fischer und urteilt. 1950er: Soziale Lage und der zuständige Redakteur Brunnthaler zu Studiengebühren Kommentar: Fischer einer Geldstrafe verurteilt. Lacina konnte Der allgemeine Schock über das erste poli- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz nicht genannt werden, da sonst disziplinäre tische Todesopfer der Zweiten Republik saß und „1968“ Maßnahmen gegen ihn zu erwarten waren, tief. Am Begräbnis Kirchwegers nahmen Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und die ihn vielleicht am Studienabschluss ge- 25.000 Menschen teil. Mit wenigen Ausnah- Mitbestimmung in der Universität hindert hätten. Borodajkewycz fühlte sich men, darunter aber Bundeskanzler Klaus Kommentar: Streeruwitz sicher und steigerte seine haarsträubenden und Unterrichtsminister Piffl-Percevic, 1980er: Neue soziale Bewegungen Abb. 11 Abb. Aussagen noch. Eine unrühmliche Rolle die mit Borodajkewycz freundschaftlich Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Gilt als Antisemit und naziaffin: spielte dabei leider die HochschülerInnen- verbunden waren, nahm fast die gesamte Kommentar: Berlakovic Taras Borodajkewycz schaft der Hochschule für Welthandel, die Staatsspitze teil. Der Protest gegen Boro- 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch ihn unterstützte und ihm im März 1965 in dajkewycz reichte schließlich vom ÖGB in der ÖH Kommentar: Mautz & del, der späteren WU, lehrte Taras Boroda- einer Veranstaltung die Bühne gab, vor hun- bis zum Katholischen Familienverband. In Weinberger jkewycz Wirtschaftsgeschichte. Das CV-Mit- derten begeisterten Studierenden auftreten einer Wiederaufnahme des Verfahrens ge- Wahlergebnisse und Vor- sitzende glied hatte sich in den dreißiger Jahren als zu können. Borodajkewycz bekannte sich gen Heinz Fischer und Brunnthaler wurden Uni im Wandel der Zeit Verfechter des politischen Katholizismus stolz zu seiner NSDAP-Mitgliedschaft und sie 1965 nun freigesprochen. 1966 wurde und Unterstützer des Austrofaschismus spottete über Jüdinnen und Juden. Er ern- Borodajkewycz in Pension geschickt. An- Feminismus und ÖH präsentiert, war aber gleichzeitig auch tete vom Publikum Gelächter und Applaus, dere Lehrende, die ihr Gedankengut weniger Protest und Vertretung 3 Mitglied der seit 1933 verbotenen NSDAP der ÖH-Vorsitzende Puttinger warf der Boro- selbstbewusst vortrugen, machten weiter. Zukunft der ÖH Arbeit gewesen. Nach 1945 verhandelte er 1949 dajkewycz-Kritik einen Anschlag auf die für die ehemaligen NationalsozialistInnen Freiheit der Wissenschaft vor. mit der ÖVP und näherte sich dieser. 1955 wurde er an die Hochschule für Welthandel In aufgeheizter Stimmung fand am 31. März berufen. Er fiel durch antisemitische und eine antifaschistische Demonstration gegen neonazistische Bemerkungen in seinen Vor- Borodajkewycz statt. Gleichzeitig versam- lesungen auf, die aber erst ab 1962 publik melten sich auch seine UnterstützerIn- wurden. Der heutige Bundespräsident Heinz nen und provozierten mit Rufen wie „Hoch Fischer und ehemalige VSStÖler kritisierte in Auschwitz“. Der rechtsradikale Burschen- Artikeln, dass an Hochschulen Lehrende mit schafter Günther Kümel schlug den 67-jäh- Nazi-Vergangenheit tätig seien. Er wurde rigen ehemaligen Widerstandskämpfer Ernst

daraufhin von Borodajkewycz auf Ehrenbe- Kirchweger hinter der Staatsoper nieder, der 12 Abb. leidigung verklagt, konnte sich in seiner zwei Tage später an den Verletzungen starb. AntifaschistInnen gegen Borodajkewycz

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Aufbruch der Studierenden – „1968“ In der ÖH begannen sich im konservativen gegen Entlassungen bei ELIN das Blasmusik- Wahlblock liberalere PolitikerInnen gegen konzert am Wiener Rathausplatz störten. Die Die sechziger Jahre waren bestimmt von CVer durchzusetzen. Im Hauptausschuss der DemonstrantInnen wurden von der Polizei einem geistigen und kulturellen Umbruch, Uni Wien wurde der als progressiv geltende gewaltsam verjagt, die SPÖ forderte vom der die als starr empfundenen Traditionen Wilhelm Dantine (später evangelischer The- VSStÖ ultimativ eine Distanzierung von den in Frage stellte und nach neuen Aufbrüchen ologe) zum Vorsitzenden gewählt, an der Beteiligten. Durch diese war der VSStÖ bald suchte. Uni Graz der spätere Journalist Gerfried nicht mehr das Sammelbecken linker Studi- Schon vor dem ominösen Jahr 1968 zeigte Sperl. Als Sperl am konservativen Wider- erender, die sich nicht zur KPÖ bekannten. sich eine zunächst nicht betont politische, stand scheiterte, gründete er die „Aktion“, Eine Menge an sich laufend umgründenden sondern vor allem kulturell-gesellschaftskri- die von der steirischen ÖVP unterstützt und spaltenden linken Gruppierungen ent- tische Linksentwicklung der Studierenden, wurde. Sie wurde bei den Wahlen 1967 be- stand in den nächsten anderthalb Jahrzehn­ deren Zahl seit Mitte der fünfziger Jahre reits zweitstärkste Fraktion in Graz und zog ten, die oft auch bei ÖH-Wahlen kandidi- stieg. Die, im Rahmen des konservativen mit bundesweit 5% auch in den Zentral- erten.4 Wahlblocks vom CV an den Rand gedrängte, ausschuss ein. In Wien eröffnete der VSStÖ FÖST füllte 1958 bis 1963 einige Male das im Sommersemester 1967 mit einem Sym- ÖH-Politik Audimax der Uni Wien mit Veranstaltungen posion zum Vietnamkrieg die öffentliche zu kirchlich-philosophischen Themen, wie Diskussion internationaler Fragen durch In den sechziger Jahren strömten immer zum Beispiel zu Christentum und Natur- die Studierenden. Im Juni 1967 kam es zu mehr StudentInnen an die Universitäten, recht. 1965 wurde gegen Widerstand der einer großen Solidaritätsdemonstration, die finanzielle Aufstockung der Hoch­ ÖVP eine Veranstaltungsreihe zum Thema nachdem in Westberlin der Student Benno schulen wurde immer dringender. Als 1961 „Antisemitismus – Schuld der Kirche?“ ver­ Ohnesorg bei einer Demonstration von zugesagte Maßnahmen ausblieben, hielten anstaltet. Im VSStÖ hatte in einem Frak- der Polizei erschossen worden war. Auch die Studierenden von 29. Mai bis 7. Juni tionsstreit zwischen „linken“ und „rechten“ wenn traditionell-konservativ eingestellte einen einwöchigen Hochschulstreik ab, Gruppen die linke Richtung die Oberhand Studierende noch immer die Mehrzahl aus- 2.000 StudentInnen - damals fünf Prozent gewonnen und begann eine etwas offen- machten, prägte Ende der sechziger Jahre aller Studierenden - versammelten sich sivere Politik. Durch eine Serie von linken eine linke, gesellschaftskritische Kultur die zum Protestzug auf der Wiener Ringstraße. Kulturveranstaltungen im Audimax der Uni studentische Öffentlichkeit. Dies war besonders aufsehenerregend, da Wien (z.B. spanische und tschechoslow- er aufgrund eines Staatsbesuchs eigentlich akische Filme und linke Kabaretts) wurde Das Jahr 1968 verlief in Wien im Vergleich verboten war – prompt blieb die Limousine eine neue Stimmung dessen, was links ist, zu Paris und Berlin relativ ruhig. Heraus- des Staatsgasts, des finnischen Präsidenten vermittelt. Der Aufbruch in der Welt der ragendes Ereignis war, dass Mitglieder des Kekkonen, in der Menschenmenge stecken. Studierenden erfolgte quasi antizyklisch VSStÖ und einige AktivistInnen des Sozial- Eine Budgeterhöhung war die Folge der zur „großen Politik“, in der die ÖVP bei istischen Österreichischen Studentenbunds Proteste. 1963 protestierte die ÖH in Graz den Nationalratswahlen 1966 die absolute (SÖS), der aus der 1967 nach Berliner Vor- gegen die Absicht von Professoren, mittels Mehrheit gewann und eine Alleinregierung bild gegründeten Kommune hervorgegangen komplizierter Labor-Aufgaben die Anzahl bildete. war, am Nachmittag des 1. Mai aus Protest der Pharmazie-StudentInnen zu reduzieren.

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Nach einem Streik und anderen Protest- Im Verlauf des Herbsts 1968 begann nicht Studienkommissionen zur Umsetzung der ÖH und Demokratie maßnahmen mussten die Professoren nur in Wien, sondern auch in Innsbruck und neuen gesetzlichen Regelungen beschlos- Geschichte der ÖH schließlich einlenken. Graz eine neue Entwicklung studentischer sen. Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- Organisation: Mit dem Anspruch der Vertre- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Im Herbst 1967 startete der VSStÖ eine tung der Interessen aller an einem Institut Zumindest an den philosophischen 1950er: Soziale Lage und hochschulpolitische Kampagne gegen die tätigen Studierenden wurden Institutsver- Fakultäten (die geistes-, kultur- und sozial- Studiengebühren Kommentar: Fischer Einführung EDV-gestützter Hochschulsta- tretungen gegründet – in Abgrenzung zur wissenschaftliche Studienrichtungen um- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz tistik, die als Kontrollinstrument kritisiert ÖH und ihrer konservativen Dominanz. Als fassten) wurde mit den Institutsvertretun- und „1968“ wurde, das künftigen Numerus clausus und neuer Typus der Studierendenpolitik zogen gen und InstitutsvertreterInnenkonferenzen Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und ähnliche Maßnahmen ermöglichen sollte. diese Institutsvertretungen bald eine Menge der Vertretungsanspruch der ÖH ernsthaft Mitbestimmung in der Universität Gleichzeitig vertrat er erstmals massiv die bislang „unpolitischer“ Studierender an – das bedroht. Die ÖH besaß für diese Basisarbeit Kommentar: Streeruwitz Forderung nach drittelparitätischer Mit- Spektrum war dabei durchaus heterogen und keine adäquaten Strukturen, war vor allem 1980er: Neue soziale Bewegungen bestimmung von ProfessorInnen, Univer- reichte von links bis rechts. Noch im Win- eine uni- und bundesweite Institution. Die Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst sitätsassistentInnen und Studierenden tersemester 1968/69 fand an der philoso- Fachschaften (Fakultätsvertretungen) der Kommentar: Berlakovic in akademischen Gremien. Die größere phischen Fakultät der Universität Wien eine ÖH konnten mit ihren 5-6 VertreterInnen 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Aufmerksamkeit der wachsenden Linken „Institutsvertreterkonferenz“ (IVK) statt, für oft mehr als 40 Studienrichtungen nicht in der ÖH Kommentar: Mautz & galt allerdings nicht der Hochschulpolitik die eine Art Gegen-ÖH darstellte. Wichtig- eine vergleichbare inhaltliche Kompetenz Weinberger sondern internationalen Themen wie Viet- ster Aktivitätsbereich der IVK waren die in für die Belange aller Studienrichtungen Wahlergebnisse und Vor- sitzende nam und der Dritten Welt. Ausarbeitung befindlichen Studiengesetze haben wie die vor Ort tätigen Institutsver- Uni im Wandel der Zeit für die philosophischen Fakultäten. Ge- tretungen. Ab dem Wintersemester 1969/70 Vor den Sommerferien 1968 beschlossen fordert wurde Drittelparität in den Entschei- begannen sich hieraus neue politische Grup- Feminismus und ÖH eine Handvoll progressiver Studierenden- dungen. Erstmals gab es eine relativ große pierungen, „Basisgruppen“, zu formieren, Protest und Vertretung politikerInnen das „Obertrumer Konzept“, Zahl von bildungspolitisch sachverständi- die der konservativ dominierten ÖH einen Zukunft der ÖH Arbeit mit dem zum ersten Mal ein geschlossenes gen StudierendenvertreterInnen. Auch das linken Anspruch entgegenstellten, sich aber Chronologie studentisches Konzept zur Neugestaltung ÖVP-geführte Unterrichtsministerium kon- auch von den meist repräsentativ-demokra- Anhang der Universität vorlag. Zentral war die nte sich dem Zeitgeist nicht verwehren und tisch orientierten Institutsvertretungen du- Forderung nach drittelparitätischer Mitbes- machte in den Besonderen Studiengesetzen rch einen radikaleren Ansatz unterschieden. timmung. Das Konzept war Produkt einer für die philosophischen Fakultäten gewisse Die InstitutsvertreterInnen waren aber nicht Politik, mit der sich FunktionärInnen des Zugeständnisse (verglichen mit denen für mit dieser neuen politischen Gruppierung konservativen Wahlblocks durch aktive die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften ident, in dieser Bewegung fanden sich etwa Hochschulpolitik von den internationalis- oder die technischen Studienrichtungen). auch LinkskatholikInnen oder VSStÖlerIn- tisch und allgemeinpolitisch orientierten Der studentische Aufbruch wurde zumind- nen. Angesichts der Schwierigkeiten einer Linken abgrenzen wollten, die Mitwirkung est teilweise als Bündnispartner für eine institutionellen Absicherung kam es 1970 der Linken an ihm war allerdings nicht nur Modernisierung der Studien gesehen. Unter zu einem Rückgang der Aktivitäten der IVK personell, sondern auch durch ideellen In- Unterrichtsminister (1969/70) an der Universität Wien. Die Basisgruppen put gegeben. wurden versuchsweise drittelparitätische blieben aber ebenso erhalten wie die Insti-

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tutsvertretungen, letztere allerdings meist (ÖSU) als einheitlich gegliederte Organisa- Endnoten ohne breiteren politischen Bezugsrahmen tion gegründet. Die ÖSU übernahm nahtlos 1 Forster, Geschichte, 1984, S.196; Grieseb- über ihr Institut hinaus. In den damals im die Führungsrolle in der ÖH, die internen ner, Politisches Feld Universität, 1990, Entstehen begriffenen Studienkommissio- Konflikte gingen allerdings weiter.5 S.96f.; Lassnigg, Bildungsreform, 1995, nen fanden diese Studierendenvertreter- S.460-462 2 Innen ein institutionelles Politikfeld, das Forster, Geschichte, 1984, S.197; Griesebn- schließlich in den siebziger Jahren in den er, Politisches Feld Universität, 1990, S.96; Rahmen der ÖH integriert wurde. Das neue, Lassnigg, Bildungsreform, 1995, S.467f. studienrichtungsnahe Politikfeld studen- 3 Gérard Kasemir, Spätes Ende für „wissen- tischer Interessenvertretung war bislang schaftlich“ vorgetragenen Rassismus. Die weder in der hierarchischen Ordinarien­ Borodajkewycz-Affäre 1965. in: Michael universität noch in der ÖH-Struktur vorges- Gehler/Hubert Sickinger (Hg.), Politische ehen gewesen. Affären und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. Thaur/Wien/ Seit 1967 vereinigten die Gruppierungen München 1995, S.486-501 links von der ab diesem Zeitpunkt domi- 4 Marina Fischer-Kowalski, Universität nanten ÖSU mehr als 20% der Studierenden- und Gesellschaft in Österreich. in: Heinz stimmen, während es vorher weniger als Fischer (Hg.), Das politische System Ös- 15% waren. Die Mehrheit der Studierenden terreichs. 3., erg. Aufl., Wien / München war aber weiterhin alles andere als links. / Zürich 1982, S.571-624, hier S.599-603; Als Begleiterscheinung der Studierendenbe- vgl. Paulus Ebner / Karl Vocelka, Die zahme wegung der sechziger Jahre sank bei den Revolution. ‚68 und was davon blieb. Wien ÖH-Wahlen zwischen 1965 und 1971 die 1998 u. Sigrid Nitsch, Die Entwicklung des Wahlbeteiligung um 27% - die Studierenden allgemeinpolitischen Vertretungsanspruch- wurden politisch aktiver, dies äußerte sich es innerhalb des Verbandes Sozialistischer allerdings nicht unbedingt innerhalb der StudentInnen Österreichs (VSStÖ) in Wien weiterhin konservativ dominierten ÖH. In- im Zeitraum von 1965 bis 1973. Dipl.-Arb., nerhalb des konservativen Wahlblocks ent- Univ. Wien 2004 wickelten sich im Lauf der sechziger Jahre 5 Fischer-Kowalski, Universität, 31982, interne Konflikte. Sie wurden weitgehend S.602-608; Griesebner, Politisches Feld durch Proporzlösungen bei Personalent­ Universität, 1990, S.102-105; Stefan Hol- scheidungen zwischen den Mitgliedsor- ter / Werner Suppan, Politik und Studenten ganisationen gelöst und machten damit die in Österreich. Analyse der Studentenpolitik Konstruktion als Dachverband (CV, KV, KÖL, und der Hochschülerschaftswahlen. in: Ös- FÖST) immer schwerfälliger. 1968 wurde terreichisches Jahrbuch für Politik 1987. daher die Österreichische Studentenunion Wien/München 1988, S.633-661, S.645

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Bellen und Beißen Gerfried Sperl

Dass die Österreichische Hochschülerschaft eine Art „Studentenkammer“ Da passte dann nichts mehr. Den kulturellen Ak- ist, hat sie institutionell zu allen Zeiten gezähmt, ihr Zähne gezogen, tivitäten (mit dem Forum Stadtpark) und den bevor noch welche wachsen konnten. Gleichzeitig war die Frage, ob die Forderungen nach Mitbestimmung (1964) folgte ÖH beißen kann, von der Bereitschaft abhängig, ob ihre Funktionäre automatisch der Bruch mit dem bisherigen System: Wir gründeten die Stu- wenigstens bellen wollten. dentenpartei „Aktion“ (1965) und schufen antifaschistische Plattformen gegen wachsenden Einfluss von rechts. Siehe der Fall Borodajkewycz. Die 60er Jahre waren unruhige Zeiten. Und laute. Einerseits wegen der Rockmusik, andererseits weil wir damals durch das Aufkommen des Tran- Heute? Weil die Demonstration und der Protest zu den demokratischen sistorradios von den Eltern unabhängig wurden. Wir begannen zu spielen, Grundrechten gehören, helfen sie immer etwas. Mindestens so viel, dass was wir wollten. die Mächtigen sich nicht in völliger Ruhe wähnen. Aber sonst ist die ÖH, vor allem nach ihrer Teilentmachtung durch Schwarz-Blau, ein Begutach- Auch in der Politik. Und weil man international mehr herumkam, war der tungs- und Sparverein. Austausch angesagt. Musikalisch, sexuell, politisch. Das färbte ab auf die Studentenvertretung. Sie wurde bunter und offensiver von innen heraus. Kann sie sich aus dieser Lähmung befreien? Erneut liegt es, vierzig Jahre Was die äußerlich farbigen, aggressiv besäbelten Burschenschafter und nach den rebellischen 60ern, an der Vitalität der von einer Minderheit Korporierten schwächte. gewählten Vertreter. Es braucht aber größerer Phantasie und mächtiger innerer Kräfte, gegen die ziselierten Druck-Strukturen des angeblich so Die Traditionalisten hielten am Vererbten fest: Die Fraktionen als Ab- schlanken Staates anzukämpfen. bilder der größeren politischen Landschaft, die Studentenparlamente als Übungskisten für später, Skripten als Hirnkrücken, Gesundheitsdienst Internet-Strategien wären zu entwickeln. SMS-Taktiken gab es donner- und Mensen als Fürsorge mit Korruptionspotential. In Summe: Die Hoch- stags schon. Alles freilich nur Methoden des Eigentlichen. Um das zu schülerschaft als Selbstversorger. definieren sollte man sich zuerst die Frage stellen, was das überhaupt ist – Student sein am Beginn des 21. Jahrhunderts. Angeregt durch Berkeley 1963 und die Berliner Ereignisse ab 1964 starte­ ten vor allem in Graz Ausbruchsversuche mit Forderungen nach gemis- Gerfried Sperl studierte ab 1959 in Graz. Er war 1963 – 1965 Vorsitzender chten Heimen, Kindergärten und Studentenradios. Was in meiner Zeit des Hauptauschusses der Universität Graz. realisiert wurde war die Errichtung eines psycho-therapeutischen Bera- tungsdienstes, die Beiziehung von Vertretern ausländischer Studenten zu Hauptausschuss-Sitzungen, Studentendemos (ab 1961) und vor allem – ein Streik gegen Praktiken an der Grazer Pharmazie (1964).

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1970er Jahre

Universitätspolitik und sonstigen Zahlungen von Studierenden Ein wahres Reformfurioso: Abschaffung abgeschafft. Damals bedeutete das eine der Studiengebühren, Zugang zur Univer- Ein bedeutendes Signal für die Hochschul- Ersparnis von 730 Schilling für die Studi- sität ohne Aufnahmeprüfung und Numerus politik – das auch die hohe Priorität der erenden – heute wären dies etwa 150 Euro clausus, Zugang ohne Matura durch Beruf- neuen Regierung Kreisky für diesen Bereich – pro Jahr. Die Universitätsorganisation sreife- und Studienberechtigungsprüfun- ausdrückte – war 1970 die Schaffung eines wurde mit dem Universitätsorganisations­ gen, differenzierte Studienmöglichkeiten, eigenen Wissenschaftsministeriums. Min- gesetz (UOG) 1975 der einschneidensten Möglichkeit des Doppelstudiums und der isterin von 1970 bis 1983 war mit Hertha Veränderung seit über einem Jahrhundert Kombination von Studienrichtungen, Wied- Firnberg auch erstmals eine Frau. Als mar- unterzogen. Bis Ende der sechziger Jahre erholungsmöglichkeit von Prüfungen, kein kantes Signal für die Öffnung der Hochschu- hatte die alleinige Entscheidungsmacht der besonderes Disziplinarrecht der Universität len wurden ab 1973 alle Studiengebühren Professoren (bewusst männlich formuliert!) gegenüber den Studierenden mehr, Stipend- seit den Zeiten der Monarchie unumstößlich ienausbau, Studierendenermäßigungen und bestanden. Liberalität und Pluralität, Of- Freifahrten in öffentlichen Verkehrsmit- fenheit und Diskussion wurden eher formal teln, gestärkte ÖH, Mitbestimmungsmögli- hochgehalten als im Alltag gelebt. Die Frage chkeiten auf allen Ebenen der Universität, des Beitrags der Universität zur Entwick- insbesondere bei der Wahl akademischer lung der Gesellschaft und ihre Rolle in der FunktionärInnen. Der Gedanke der „Grup- Demokratie war die Beschäftigung weniger penuniversität“, in der sich die betroffenen linker AußenseiterInnen. Nach den langen Gruppen in „Kollegialorganen“ zusammen- Studienreformdiskussionen der sechziger finden, trat anstelle der alten „Ordinarienu- Jahre wurden in den siebziger Jahren nun niversität“ der Allmacht der ordentlichen die Studien neu geregelt und die Institutio- ProfessorInnen. Die Studierenden beka- nen des Hochschulsystems – mit Ausnahme men in universitären Entscheidungsgrem- der Kunsthochschulen – vereinheitlicht und ien ein Viertel der Stimmen zugemessen, in einen zusammenhängenden organisator- in Studienkommissionen ein Drittel. Die ischen Rahmen eingebunden. Die bedeu- Demokratisierung brachte frische Luft in tendste Veränderung war, dass ein neues die Universität, sie rechtfertigte sich aus System der Verwaltung unter Mitbestimmung dem demokratischen Verständnis von der der Studierenden geschaffen wurde. Demok- Universität als Einheit von Lehrenden und ratisierung der Lebensbereiche war die De- Lernenden. Gegen den Widerstand von kon- vise. In allen Subsystemen der Gesellschaft, servativen ProfessorInnen, Rektorenkon-

Abb. 13 Abb. in denen Macht ausgeübt wurde, sollten die ferenz sowie ÖVP und FPÖ wurde die Uni- Die Öffnerin der Universitäten: Hertha Firnberg Betroffenen zu Beteiligten werden. versitätsreform von der absoluten Mehrheit

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der SPÖ im Nationalrat beschlossen. bundesweite ÖH-Ebene durch vollständige der konservativen ÖSU bei den ÖH-Wahlen ÖH und Demokratie

Aufgrund der Politik der Bildungsexpan- direkte Wahl demokratisiert. 1974 30% der Stimmen für den Zentralaus­ Geschichte der ÖH sion und der Öffnung der Universitäten schuss, während es 1971 nur 21% gewesen Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- stieg die Zahl der Studierenden stark an. Politisch brachten die siebziger Jahre in der waren. Jahrzehntelang umfasste das linke tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Im Studienjahr 1969/70 studierten in Ös- ÖH eine neue Unübersichtlichkeit. Spektrum in der ÖH lediglich 10-15%, in 1950er: Soziale Lage und terreich 51.401 Studierende, davon 12.618 den siebziger Jahren war es nun schon Studiengebühren Kommentar: Fischer Frauen (24,55%). 1979/80 waren es bereits Der kommunistische VDS war 1966/67 prak- fast ein Drittel. Gleichzeitig veränderten 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz 108.101 Studierende gesamt, davon 42.255 tisch von der Bildfläche verschwunden und Bildungsexplosion, sozialer Strukturwandel und „1968“ Frauen (39,09). Die Zahl der Hochschulle- kandidierte bei den ÖH-Wahlen 1967 nicht und Öffnung der Universitäten die Zahl und Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und hrenden stieg allerdings nur halb so stark, mehr. 1970 benannte sich der VDS in Ab- Sozialstruktur der Studierenden. Aufgrund Mitbestimmung in der Universität wodurch Probleme entstanden, die später grenzung zur KPÖ in Marxistisch-Leninis- der neuen Schichten an der Uni verlor der Kommentar: Streeruwitz für eine konservative Wende instrumental- tische Studentenorganisation (MLS) um. RFS stark, erreichte er 1967 noch 30% der 1980er: Neue soziale Bewegungen isiert wurden. Bis Ende der siebziger Jahre Die mit der KPÖ in Verbindung stehenden Stimmen, waren es 1974 21% und 1977 Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst hielt die Steigerung des Hochschulbudgets Mitglieder gründeten nach ihrem Ausschluß schon nur mehr 8%. Kommentar: Berlakovic mit der Steigerung der Studierendenzahl aus der MLS die Gruppe Kommunistischer 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch auch noch mit. Später wurden dann die Studenten (GKS), in deren Folge 1972 Die sozialdemokratisch geprägten sie- in der ÖH Kommentar: Mautz & Studierenden von konservativen Bildungs- schließlich der Kommunistische Studenten- bziger Jahre führten zu einer Schwächung Weinberger politikerInnen für die Probleme einer „Mas- verband (KSV) gegründet wurde. des CV, denn erstmals in der Zweiten Re- Wahlergebnisse und Vor- sitzende senuniversität“ verantwortlich gemacht.1 publik verfügte er über keine Machtbasis Uni im Wandel der Zeit In Folge der StudentInnenbewegung der in der Bundesregierung. Die aufstrebende sechziger Jahre entstanden in den sieb­ Frauenbewegung kritisierte darüber hinaus Feminismus und ÖH ÖH-Politik ziger Jahren viele verschiedene linke die männerbündischen Strukturen. Nach Protest und Vertretung

Studierendengruppen. Sie widmeten sich jahrzehntelanger Dominanz wurde auch Zukunft der ÖH Arbeit Das Universitätsorganisationsgesetz von allerdings weniger der Hochschulpolitik im die ÖH nun weniger von „Korporierten“ Chronologie 1975 war ein Meilenstein in der studen- engeren Sinn als gesamtgesellschaftlichen geprägt. Die konservative Mehrheitsfraktion Anhang tischen Geschichte, indem es die Mitbestim- Problemen. Bei ÖH-Wahlen kandidierten ÖSU gab sich im Zuge des gesellschaftlichen mung der StudentInnen bei universitären verschiedene Fraktionen mit unterschied- Klimas nicht stramm-konservativ, sondern Entscheidungen festschrieb. Die Kreisky- lichen Auslegungen des Marxismus. Es liberaler. Dies war auch notwendig, um Regierung beschloss 1973 auch ein neues gab die Wahl zwischen dem, eine Renais- mehrheitsfähig zu bleiben. Die ÖSU behielt ÖH-Gesetz, das der Ende der sechziger Jahre sance des Austromarxismus fordernden, zwar die Führungsrolle in der ÖH, wurde entstandenen Entwicklung Rechnung trug VSStÖ, einer maoistischen Liste kommu- aber von heftigen internen Konflikten ge- und StudienrichtungsvertreterInnen als nistischer Hochschulorganisationen (LKH), beutelt: 1974 kam es sogar dazu, dass der gewählte ÖH-Ebene im Gesetz festlegte. einer trotzkistischen Gruppe Revolutionärer ÖSU-Präsident Stefan Kekeiss mit einigen Anstelle des „föderativen Elements“, das Marxisten (GRM) und dem KPÖ-nahen, an anderen seiner Fraktion „Demokratische Hauptausschuss-Vorsitzenden bislang Stim- die Sowjetunion angelehnten, KSV. Ins- Studenten Union“ als ÖSU-Abspaltung und mrecht im Zentralausschuss gab, wurde die gesamt erreichten alle Gruppen links von MandatarInnen anderer Fraktionen den

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teten für die ÖH auch eine große Heraus- forderung, diese im Sinne der Studierenden zu nutzen. In den siebziger Jahren began- nen sich auch neue Formen der Unterstüt- zung der Studierenden durch die ÖH zu etablieren. Erstmals wurden Studienführer als Hilfe durch das Semester produziert und Tutorien veranstaltet. Zur Absicherung von eigenständigem wissenschaftlichen Arbeiten von Studierenden wurde die Ein- richtung der „Sonderprojekte“ gegründet. Mit diesen finanziellen Mitteln werden bis

Abb. 14 Abb. heute engagierte wissenschaftliche oder Plakatdschungel vor der Uni Wien (1979) gesellschaftliche Projekte von Studierenden von der ÖH gefördert.2 damaligen ÖH-Vorsitzenden Georg Schnei- wurde 1974 von einer Gruppe um den spä- der abwählte, um selbst als dessen Stel- teren ÖVP-Abgeordneten Vinzenz Liechten- Endnoten lvertreter diesen Posten zu übernehmen. stein die Junge Europäische Studenten- 1 Griesebner, Politisches Feld Universität, Der abgewählte ÖH-Vorsitzende Schneider initiative (JES) gegründet. Sie positionierte 1990, S.143f.; Lassnigg, Bildungsreform, übernahm daraufhin den Vorsitz in der ÖSU sich in Abgrenzung zur ÖSU als klar rechts­ 1995, S.469, S.473f. u. S.484 2 3 und konnte 1975 bei den folgenden ÖH- konservative Fraktion und gewann damit Fischer-Kowalski, Universität, 1982, Wahlen mit Unterstützung der JES, des Fo- auf Kosten der ÖSU Stimmen. 1975 erzielte S.609-611; Griesebner, Politisches Feld rum Innsbruck und einer TheologInnenliste die JES 7%, 1977 bereits 10%. Ende der Universität, 1990, S.106f.; Holter / Sup- den ÖH-Vorsitz wiedererlangen, wobei auch sechziger bis Anfang der siebziger Jahre pan, Politik, 1988, S.645, S.650; Zach, KSV, diese Wahl von heftigen internen Debatten gab es mit der, von der steirischen ÖVP 1998, S.19f. begleitet wurde. Akteure in der ÖSU der unterstützten, Aktion eine weitere Fraktion siebziger Jahre waren unter anderem der neben der ÖVP-nahen ÖSU, die im liber- spätere ÖVP-Klubobmann alkonservativen Bereich Stimmen gewann. als ÖH-Vorsitzender an der Uni Linz, an Im Gegensatz zur Aktion entwickelte sich der Uni Wien der spätere Journalist Helmut die JES jedoch zur bundesweit aktiven ern- Brandstätter oder an der Uni Salzburg der sthaften Konkurrenz der ÖSU, die ihr inner- spätere Innenminister Ernst Strasser, der es halb der ÖVP den Anspruch der alleinigen zum ÖSU-Vorsitzenden und Fraktionsführer Studierendenorganisation verdarb. im Zentralausschuss brachte. Die neuen Möglichkeiten der studentischen Als konservative Konkurrenzpartei zur ÖSU Mitbestimmung in der Universität bedeu-

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Die wilden 70ern: Hochschultaxen und Basisdemokratie Ernst Streeruwitz

Drei Bemerkungen zur Einleitung: Als ich vor kurzem um diesen Beitrag zu vertretungen, aus diesem Mangel heraus entwick- „60 Jahre ÖH“ gebeten wurde, lag meine aktive Tätigkeit in der Studen- elten sich zunächst – mehr durch Selbstorganisa- tenvertretung mehr als 30 Jahre zurück; diese Tätigkeit konzentrierte sich tion – zahlreiche Institutsvertretungen, die in auf die erste Hälfte der Siebziegerjahre; fraktions- oder gar parteipolitische deutlichem Widerspruch zur gesetzlich verankerten Vertretung ÖH standen. Überlegungen möchte ich auch aus dieser Sicht in diesem Beitrag nicht Die ÖH-Reform konnte allerdings bald die alten und die neuen Strukturen rückblickend ansprechen. Die hochschulpolitische Diskussion hatte damals integrieren. Bewährt hat sich jedenfalls die Ausgliederung und profes- ihre Schwerpunkte vor allem in Strukturfragen, in Finanzierungsfragen und sionelle Führung der Wirtschafts-Betriebe. Immerhin waren Anfang der Sie- in sozialen Fragen der Studierenden. bziger-Jahre die ÖH-Vorsitzenden quasi Obergeschäftsführer von Mensen, Bei den Strukturfragen ging es um die Struktur der Universitätsorganisa- Druckereien oder Studentenheim-Organisationen, was dem Image der ÖH tion – Stichwort Mitbestimmung und „Drittelparität“, um die Struktur der manchmal recht zum Schaden geriet. Studien – beispielsweise die Implementierung des „studium irregulare“ oder Eine Errungenschaft der ÖH in den Siebzigerjahren war die Abschaffung die Einrichtung von Tutorials – und um die Struktur der Studentenvertre- der ohnedies wenig ertragreichen „Hochschul-Taxen“, also der damaligen tung – insbesondere um die neuen Institutsvertretungen und Elemente der Studiengebühren. Sie waren zu dieser Zeit weniger soziale Hürde, als bürok- Basisdemokratie, wie sie sich damals in zahlreichen Hörerversammlungen ratisches Ärgernis. Heute gibt es die Studiengebühren wieder, und wenn manifestierten. schon, dann sollten sie wenigstens zu einer besseren finanziellen Ausstat- In der Organisations-Struktur der Universitäten kam es zu wichtigen Ergeb- tung der Universitäten und ihres Angebots dienen. nissen im Sinne der Mitbestimmung für Studierende und den „Mittelbau“, Wir waren auch veranlasst, breite Aktionen und Demonstrationen für zusät- die sich im wesentlichen in den folgenden Jahrzehnten bis heute aus meiner zliche Investitionen in die Universitäten durchzuführen, die immer wieder Sicht bewährt haben, auch wenn es gewiss zu mancher „Überorganisation“ deutliche Erfolge für die Hochschul-Budgets brachten, die aber angesichts der in Richtung „Einheit von Sitzung und Lehre“ gekommen sein mag. Den Entwicklung der Studenten-Zahlen und des wachsenden Sanierungsbedarfs Studierenden – und damit auch den Universitäten – hat die Mitbestimmung letztlich das Problem nie wirklich aus der Welt schaffen konnten. jedenfalls einiges gebracht. Natürlich haben wir damals auch für die Valorisierung der Stipendien, für leist- Bei der Struktur der Studien ging es uns damals um weniger „frontal“ und bare Studenten-Heimplätze, für eine ordentliche Studien-Information und- Be- weniger „starr“, manches haben wir erreicht, manches ist heute von Neuem ratung gekämpft. So hat die ÖH auf ihrer gesetzlichen Basis damals – so wie aktuell: Damals haben wir für das forschende Lernen in kleinen Gruppen vorher und nachher – die wesentlichen Probleme der Studierenden wohl erkan- plädiert, Tutorien wurden geschaffen, Massen-Vorlesungen wurden durch nt und auch zu ihrer Lösung beigetragen. Allerdings sind viele dieser Probleme Übungen ersetzt oder zumindest ergänzt. Und an die Stelle mancher profes- permanente oder wiederkehrende Herausforderungen für eine aktive ÖH. soraler „Prüfungswillkür“ ist heute vielfach „multiple choice“ getreten, auch nicht immer ideal. Vorlesungskritik – zu unserer Zeit ein mutiges Unterfangen Ernst Streeruwitz begann sein Studium 1962. Er war Vorsitzender des – sollte heute unter dem Titel der Evaluierung eigentlich Routine sein. Hauptausschusses der Universität Wien von 1970-1972. Von 1971-1972 war Anfang der Siebzigerjahre lag die unterste Ebene der ÖH bei den Fakultäts- er Vorsitzender des Zentralausschusses der ÖH (ÖSU).

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1980er Jahre

Universitätspolitik Maßnahmen zur Erschwerung des Zugangs Politischer und zu höherer Bildung ein, während für Linke gesellschaftlicher Wandel Hatte die Bildungspolitik in den sechziger gerade die Offenheit der Bildungswege zen- und siebziger Jahren einen zentralen Stel- tral blieb. Die achtziger Jahre begannen in der Spät- lenwert im Projekt gesellschaftlicher Mod- phase der Regierung Kreisky und endeten ernisierung und Demokratisierung gehabt, Die Allmacht der ProfessorInnen war 1975 nach dem Intermezzo der Regierung Si- nahm sie in der „konservativen Wende“ ab gebrochen worden. Durch Informations- nowatz mit der Wiederauflage der Großen den frühen achtziger Jahren einen hoher vorsprung und vielschichtige Netzwerke Koalition. Während in Großbritannien Stellenwert ein. Die Konservativen traten konnten sie die Geschicke der Univer- Margret Thatcher und in den USA Ronald in Abgrenzung zur „Massenuniversität“ sitäten dennoch weiterhin bestimmen. An Reagan regierten und dem Neoliberalismus der siebziger Jahre für mehr Selektion und der Universitätsorganisation der siebziger zum Durchbruch verhelfen sollten, war die Jahre wuchs die Kritik. Beklagt wurden Mehrheit der Studierenden in Österreich einerseits von EntscheidungsträgerInnen noch vom Geist des Aufbruchs und der Of- die häufigen Sitzungen von Gremien zur De- fenheit der siebziger Jahre geprägt. So gab batte von Entscheidungen und Problemen, es in den ersten Jahren Demonstrationen andererseits aber auch etwa das Schema für Abrüstung und Frieden. Ein letzter Aus- der Parität der Zusammensetzung der Gre- läufer dieser Zeit und gleichzeitiger An- mien, das die Lehrenden in ProfessorInnen knüpfungspunkt für eine neue politische und „Mittelbau“ trennte und dabei nicht Partei war die Besetzung der Hainburger auf etwaige akademische Qualifikationen Au im Dezember 1984. Hier sollte östlich letzterer Rücksicht nahm. Eine Folge der von Wien ein Wasserkraftwerk an der Donau per Gesetz erfolgten radikalen Reform der gebaut werden. Proteste gegen die Gefähr- Universität in den siebziger Jahren war eine dung der Aulandschaft durch den Bau wur- verstärkte Bürokratisierung. So gab es nun den laut. Die ÖH war Teil einer bald sehr einen größeren inneruniversitären Grad der großen Protestbewegung und organisierte Diskussion und Mitbestimmung, wichtige Bus-Shuttles in die Au. Viele Studierende Entscheidungen und Zuständigkeiten lagen beteiligten sich an Demonstrationen in Wien aber beim Wissenschaftsministerium. und der Besetzung in der Au. Umweltpolitik war das Thema der Stunde: Die ÖH-Medien Im Studienjahr 1982/83 gab es 133.725 Stud- berichteten über Begrünungsaktionen, Rad- ierende in Östereich, davon 55.178 (41,26%) fahrwege, Müll- und Verkehrsprobleme etc. Abb. 15 Abb. Frauen. 1988/89 waren es 172.943 Studier- Aber auch die soziale Lage rückte wieder Günther Nenning, et. al. sind (für die) Au-Tiere ende, davon 75.563 Frauen (43,69%).1 ins Blickfeld: 1987 plante die neue Große

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ÖH-Politik ÖH und Demokratie

Geschichte der ÖH Bei den Wahlen 1979 rutschte die konserva- Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- tive Mehrheitsfraktion ÖSU von 48,4% auf tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger 38,3% ab. Ihre Führungsrolle in der ÖH 1950er: Soziale Lage und sicherte sie durch Zusammenarbeit mit links Studiengebühren Kommentar: Fischer von ihr stehenden Gruppierungen. Schon in 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz den siebziger Jahren waren, im Unterschied und „1968“ zur Dominanz des Wahlblocks in den fünf­ Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und ziger und sechziger Jahren, kleinere Listen Mitbestimmung in der Universität im konservativen Lager entstanden. Nun Kommentar: Streeruwitz kam es zu deutlichen Abspaltungen von der 1980er: Neue soziale Bewegungen ÖSU am rechten Flügel. 1981 rutschte sie Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst auf 23,2% der Stimmen bei den ÖH-Wahlen Kommentar: Berlakovic ab. Das vor allem in Graz aktive und der 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch steirischen ÖVP nahe stehende Studenten- in der ÖH Kommentar: Mautz & forum profitierte von der Krise und erreich- Weinberger te 1981 15,1%. Das Forum Innsbruck bekam Wahlergebnisse und Vor- sitzende 4,5%. Im Herbst 1982 schlossen sich diese Uni im Wandel der Zeit liberalen ÖVP-nahen Fraktionen schlussend- lich zur neuen konservativen Mehrheits- Feminismus und ÖH fraktion Aktionsgemeinschaft zusammen. Protest und Vertretung

Zunächst verlor die neue Plattform bei Zukunft der ÖH Arbeit

Abb. 16 Abb. den ÖH-Wahlen 1983 (35,33% gegen über Chronologie Diese Au war besetzt, ohne Pause – bis jetzt 40% der getrennten Listen 1981) und 1985 Anhang (30,94%), obwohl man sich dem aktuel- Koalition aus SPÖ und ÖVP finanzielle Ein- mehr ignorieren und kanalisierte die Streik- len Thema der Umweltpolitik widmete. Erst schnitte zur Budgetsanierung. Unter an- bewegung in eine Großdemonstration mit 1987 war die neue Fraktion gefestigt und derem sollte die Familienbeihilfe nur noch 40.000 TeilnehmerInnen. Nach Demonstra- erreichte mit 38,74% deutliche Gewinne. bis zum 25. Lebensjahr ausbezahlt und die tionen und Streiks wurden die Maßnahmen Krankenversicherung eingeschränkt wer- zwar nicht zurückgenommen, aber abge- Vor allem die rechtskonservative JES hatte den. Es entstand eine überraschend breite schwächt. Schließlich gab es wieder die von der Schwäche der ÖSU profitiert. Ihr Protestbewegung unter Studierenden, die Familienbeihilfe bis 27. Unabhängig davon größter Wahlerfolg gelang ihr 1985, als sie vor allem von den linken Kräften in der ÖH mussten allerdings immer mehr Studierende mit 21% nur mehr 10% hinter der Aktions­ unterstützt wurde. Selbst die konservative zur Finanzierung ihres Studiums einer Erw- gemeinschaft rangierte. Darüber hinaus er- ÖH-Führung konnte die Bewegung nicht erbstätigkeit nachgehen. rang die JES an der WU Wien eine deutli-

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che absolute Mehrheit, am Juridicum Wien Vereinten Grünen Österreichische Studenten Endnoten fehlten ihr dazu nur wenige Stimmen. Von (VGÖS) mit den Inhalten der bürgerlichen 1 Lassnigg, Bildungsreform, 1995, S.476- 1981 bis 1983 stellte die JES den Vorsitz Vereinten Grünen Österreichs (VGÖ) und 479; Griesebner, Politisches Feld Univer- der HochschülerInnenschaft an der Univer- erreichten 3%. Die im Gegensatz zu die- sität, 1990, S.144 2 sität Wien. Ihre Wahlerfolge erreichte die ser bürgerlich-grünen Liste links-grüne Holter / Suppan, Politik, 1988, S.644-653 JES allerdings nicht mit ihrer ideologischen Alternative Basisliste (ALB) konnte 1985 Ausrichtung – sie begrüßte die Ernennung aufgrund formaler Fehler nicht kandidier- Kurt Krenns zum Weihbischof von Wien, en. 1987 kandidierte bereits eine Fülle an befürwortete Rüstungsindustrie und Drak- grünen Listen bei den ÖH-Wahlen. Die, von enkauf und gab sich habsburgerfreundlich – der im Parlament vertretenen Grünen Alter- sondern mit ihre Thematisierung von Service native unterstützte, ALB wurde innerhalb für die Studierenden als alleinige Aufgabe der grünen Fraktionen mit 5,7% stärkste der ÖH. Damit hatte sie quasi eine „Markt­ Gruppierung. Insgesamt erreichte das grüne lücke“ besetzt. Erst als die Aktionsgemein- Spektrum bereits 12% der Stimmen.2 schaft, die sich 1984 noch gegen Hainburg engagiert hatte, zunehmend ebenfalls eine unpolitische ÖH vertrat und sich vom ges- ellschaftspolitischen Engagement als Teil studentischer Politik abzuwenden begann, konnte sie wieder die dominante konserva- tive Fraktion werden. Jahrelang wurden aus dem Spektrum der ÖVP zwei ÖH-Gruppierun- gen finanziert, CVer fanden sich in konkur- rierenden politischen Fraktionen wieder. Was seltsam anmuten mag, entpuppte sich bei zunehmender Unattraktivität der ÖVP in den neunziger Jahren als Vorteil, da die Ak- tionsgemeinschaft so ein „unabhängiges“ Image aufbauen und der JES die konserva- tive Karte zuspielen konnte. Die JES blieb bis 1999 in der ÖH vertreten, wenn auch mit schlussendlich geringem Zuspruch.

Neu traten in den achtziger Jahren links­ alternative und grüne Listen auf die poli- tische Bühne der ÖH. 1985 kandidierten die

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Bewegte Zeiten Martin Margulies

„Machen wir doch dort weiter, wo wir Ende der 80er Jahre aufgehört lief die ÖH auf Hochtouren, um Unterstützung zu haben.“ So ähnlich könnte ein kurzes politisches Resümee im Vergleich mit organisieren. ‚fast allem was danach kam’ lauten. Ein Jahrzehnt vielfältiger politischer Viele Aktivitäten, die zumindest das lokale poli- Aktivität ging zu Ende – was folgte war bis auf wenige Ausnahmen wie z.B. tische Leben im Wien der 80er Jahre prägten schienen der ÖH dennoch das Lichtermeer gegen AusländerInnenfeindlichkeit eine Individualisierung suspekt: der Kampf um freie Kulturprojekte (GaGa, WUK), Hausbesetzungen, der Gesellschaft. Solidarität wurde zum Fremdwort – auch auf den Unis. SpreyerInnenszene, Opernballdemos etc. Lediglich mit einigen Fakultäts- Der neoliberale Zeitgeist hatte mit dem Ende eines an politischen Ausein- vertretungen der Uni Wien bzw. der HochschülerInnenschaft an der TU gab’s andersetzungen reichen Jahrzehnts, nicht nur seine wirtschaftspolitischen zeitweise Kooperationen und Zusammenarbeit. Ziele erreicht, sondern sämtliche gesellschaftspolitisch relevanten Bereiche Doch nicht nur lokal gab’s bewegte Zeiten. Von der Friedensdemonstration durchdrungen. Erst die letzten zwei, drei Jahre – mit einer erstarkten glo- 1983, dem Kampf gegen die WAA Wackerdorf nach dem GAU in Tschernobyl balisierungskritischen Bewegung erinnern an die gesellschaftlichen Bewe- 1986, den freien Radios bis zum größten StudentInnenstreik 1987. gungen der 80er Jahre. Und deren gab es viele – lokal vernetzt oder auch Was als kleiner Streik gegen Budgetkürzungen und übervolle Hörsäle, keinem global aktiv. Platz bei Pflichtübungen, sowie geplanten Studiengebühren und Drittmittelfi- Ob Umwelt-, Sozial- oder Friedensbewegung, ob das Eintreten für BürgerIn- nanzierung leicht unkoordiniert begann, verbreitete sich wie ein Lauffeuer nenrechte oder Menschenrechte – meist fiel der HochschülerInnenschaft über ganz Österreich. Denn während die Bundes-ÖH noch abseits stand, hat- eine wichtige Rolle zu. Genauer gesagt, Teilen der ÖH und den Studierenden ten sich viele Uni- und Fakultätsvertretungen mit Mehrheiten jenseits von selbst. Vom Zentralausschuss (heute Bundesvertretung), welcher damals AG, JES und RFS vorbereitet. Mit einer klaren Zielrichtung: nicht nur die spe- von der ÖVP-nahen Aktionsgemeinschaft dominiert wurde, war mit wenigen zifischen Probleme der Studierenden sollten angesprochen werden, sondern Ausnahmen meist wenig Unterstützung zu erwarten. auch gesellschaftliche Probleme: Sozialabbau, Wohnungsnot, Vererbung der Eine dieser Ausnahmen war Hainburg. Nicht zuletzt durch das Zusammen- sozialen Situation. 40.000 SchülerInnen, Studierende und jede Menge Unter- spiel von UmweltschützerInnen, SchülerInnen, Studierenden und deren El- stützerInnen gingen dabei im Frühjahr bei einer der größten, jedenfalls aber tern, Menschen aus der Region sowie aus der damals in Wien recht starken der buntesten und kreativsten Demo der 80er Jahre auf die Straße. autonomen Szene wurde der Kampf gegen ein Megakraftwerk für eine intakte Der autonom und selbst organisierte Widerstand jenseits der Bundes-ÖH Aulandschaft gewonnen. War es für die einen der Schutz der Umwelt, so war zwang diese sich letztendlich doch mit dem Streik zu solidarisieren. Ein es für die anderen ein Kampf um Demokratie oder aber auch gegen die Fehler, wie sich herausstellen sollte. Gab dieser doch der Bundes-ÖH die schrankenlose wirtschaftliche Verwertbarkeit natürlicher Ressourcen. Hilfe Möglichkeit, die von der Streikbewegung selbst gewählten StreiksprecherIn- kam dabei von vielen Seiten, vor allem auch von der HochschülerInnen- nen in Verhandlungen mit dem Wissenschaftsminister zu hintergehen und schaft. Zelte, Schlafsäcke, Decken, Verpflegung und Transport – viel Ver- so den Streik mit Scheinerfolgen zu unterlaufen. netzung und Organisation erfolgte auf den einzelnen Unis oder direkt in der Liechtensteinstraße (Anm.: Büro der ÖH Bundesvertretung). Während Martin Margulies begann sein Studium der Technischen Mathematik 1983 sich hunderte Menschen in der Stopfenreuther Au ihren Hintern abfroren, an der TU Wien. Er war Vorsitzender der HTU von 1988-1989 (FLÖ).

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1990er Jahre

Universitätspolitik Sinn und Möglichkeiten von mehr Demokra- mehr so stark. Im Wintersemester 1990/91 tie und Öffnung diskutiert, kam im Zeichen studierten 211.839 StudentInnen in Öster- 1993 wurde ein neues Universitätsorganisa- des neoliberalen Paradigmas nunmehr der reich, davon 93.129 (44,4%) Frauen. Im tionsgesetz beschlossen. Anstelle der linken Ruf nach mehr „Effizienz“. 1993 wurde eine Wintersemester 2000/01, vor Einhebung Hegemonie des Demokratisierungsgedankens starke Führungsebene mit Entscheidungsge- der Studiengebühren, waren es 242.598, war mittlerweile das universitätspolitische walt institutionalisiert (RektorIn, DekanIn, davon 124.617 (51,4%) Frauen.1 Die in der Theorem der Autonomie der Universitäten Institutsvorstand/-vorständin). Die Ein- gesamten Gesellschaft die Mehrheit aus- gegenüber dem Wissenschaftsministe- richtung der paritätischen Gremien, deren machenden Frauen stellten nun erstmals die rium getreten. Die Bildungs- und Wissen- Meinung wenigstens zu „hören“ war, wurde Mehrheit der Studierenden. Seit Abschaf- schaftsinstitution Universität wurde mehr eingeschränkt allerdings beibehalten. Die fung der Studiengebühren 1973 hatte sich und mehr als „Betrieb“ gesehen, der nach Kunsthochschulen bekamen ebenfalls ein ihr Anteil verdoppelt. unternehmerischen Gesichtspunkten von dementsprechendes neues Gesetz und wur- „ManagerInnen“ zu führen sei. Wurden zuvor den zu Kunstuniversitäten. Der Mensch zuerst

Noch weitreichender als die Änderungen in Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 wur- der Universitätsorganisation sollten aber de allseits bejubelt. Als schließlich aber die Ende der neunziger Jahre eingeleiteten Jugoslawien zerfiel und viele Flüchtlinge Maßnahmen im Bereich der Studien sein. nach Österreich kamen, stieg die Fremden- 1997 wurde ein neues Universitätsstudi- feindlichkeit. Restriktivere Gesetze wurden engesetz beschlossen, das die Entwicklung beschlossen. Als die Haider-FPÖ ein Anti- neuer Studienpläne vorsah und umfang- AusländerInnen-Volksbegehren namens reiche Änderungen bringen sollte. 1999 „Österreich zuerst“ startete, formierten sich beteiligte sich Österreich an der Bologna- im Winter 1992 zahlreiche Initiativen dage- Erklärung zur Schaffung eines europäischen gen. Unter dem Motto „Der Mensch zuerst“ Hochschulraums. Als Folge wurde die Stu- fanden von Ende November bis zum 10. dienarchitektur verändert und mit dem Dezember an allen Unis Veranstaltungen Bakkalaureat ein neuer Zwischenabschluss gegen Hetze und für Solidarität mit Men- geschaffen. Die aufgrund der Studienbedin- schen in Not statt. Abgeschlossen wurde gungen immer länger werdenden Studien- die Aktion mit einem Schweigemarsch von zeiten sollten verkürzt werden. 10.000 Menschen für Offenheit und Toler- anz. Prominente Redner wie der Regisseur

Abb. 17 Abb. Die Studierendenzahl stieg in den neun- Axel Corti oder Caritaspräsident Helmut Lichtermeer gegen „Ausländervolksbegehren“ ziger Jahren weiter an, wenn auch nicht Schüller unterstützten die ÖH. An anderen

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als Interessenvertretung mit automatischer der ÖH-Geschichte keine ÖVP-nahe Grup- ÖH und Demokratie

Mitgliedschaft aller Studierenden abge- pierung an der ÖH-Spitze stand. Mit Agnes Geschichte der ÖH halten. Bei einer Wahlbeteiligung von 30%, Berlakovich (VSStÖ) war auch erstmals eine Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- die derjenigen bei der ÖH-Wahl entsprach, Frau ÖH-Vorsitzende. Gewählt wurden Ber- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger stimmten 80,3% für die Beibehaltung ihrer lakovich sowie ihre Stellvertreterin Michae- 1950er: Soziale Lage und Vertretung.3 la Sivich (GRAS) mit den Stimmen von Studiengebühren Kommentar: Fischer VSStÖ, GRAS, LSF, Fachschaftslisten (FLÖ), 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Nachdem zuvor stets mehrere verschiedene KSV sowie Kunst und Politik (KUP). Bald und „1968“ grüne Listen kandidiert hatten, kristal- zerbrach die Koalition an den Gegensätzen Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und lisierten sich Mitte der neunziger Jahre der unterschiedlichen Gruppierungen. Im Mitbestimmung in der Universität die Grünen und Alternativen StudentInnen November 1995 trat das LSF aus, im Juni Kommentar: Streeruwitz (GRAS) als grüne Studierendenvertretung 1996 folgten FLÖ und KUP. 1980er: Neue soziale Bewegungen Abb. 18 Abb. heraus. 1995 erreichte die GRAS 18,5% und Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Die erste Frau an der Spitze der ÖH: 13 Mandate, danach verlor sie aber 1997 Die linke ÖH bedeutete aber einen Kultur- Kommentar: Berlakovic Agnes Berlakovich und 1999 auf 12,7 Prozent (1999). Der bruch in der Studierendenpolitik. Als die 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch VSStÖ hatte 1989 noch 20% erreicht, verlor Bundesregierung 1996 ein neues Sparpaket in der ÖH Kommentar: Mautz & Aktionen war die ÖH ebenfalls beteiligt, aber bis 1995 die Hälfte seiner WählerIn- ankündigte, organisierte die ÖH Proteste Weinberger etwa am großen Lichtermeer am Wiener nen. Erst ab 1997 gewann er wieder hinzu. und eine Großdemonstration am 14. März, Wahlergebnisse und Vor- sitzende Heldenplatz 1993. Als neue politische Kraft etablierten sich in bei der ca. 40.000 Menschen auf die Straße Uni im Wandel der Zeit den neunziger Jahren die Fachschaftslisten. gingen. Besonders wirkungsvoll war die Be- Die ÖH engagierte sich auch aktiv für Zwar erreichten sie bei bundesweiten Wahl- wegung aufgrund der Zusammenarbeit mit Feminismus und ÖH notleidende Menschen. 1992 wurde die en nur sechs bis acht Prozent, konnten aber Hochschullehrenden. Im März 1996 streik- Protest und Vertretung

Flüchtlingshilfsorganisation Helping Hands durch ihre Stärke an einigen Universitäten, ten nicht nur Studierende, sondern auch Zukunft der ÖH Arbeit gegründet, die etwa Deutschkurse für Flücht­ vor allem den TUs, eine große Rolle spielen. UniversitätsassistentInnen. Aufmerksam- Chronologie linge aus Bosnien organisierte oder sich für Nach der Gründung des Liberalen Forums keit erregten vielfältige kreative Protest- Anhang Ausnahmen von bürokratischen Hürden für entstand auch das Liberale StudentInnen- formen, von einer „Monty Python Prozes- geflüchtete Studierende einsetzte.2 forum (LSF), das bald bis zu 10% erreichte, sion“ der ÖH Uni Wien, in der satirisch nach dem Ausscheiden des LIF aus dem Na- ein höheres Sparpaket gefordert wurde, ÖH-Politik tionalrat 1999 aber schnell wieder abbaute. bis hin zum Lahmlegen der Faxanschlüsse Als mit Abstand stärkste Fraktion hielt sich von Ministerien sowie SPÖ und ÖVP durch Die im Aufschwung befindliche Haider-FPÖ die ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft im Bere- „Rundfaxe“ oder dem „E-Mail-Bombing“, machte auf sich aufmerksam, indem sie ich von 38 bis 44 Prozent der Stimmen. mit dem über das noch junge Internet die die gesetzlichen Interessenvertretungen in Computersysteme von SPÖ und ÖVP lahmge- Frage stellte. Besonders schwach schien die 1995 löste eine heterogene linksliberale legt wurden, indem von mehreren Orten so ÖH zu sein. 1991 wurde so kurzfristig eine Koalition von sechs Fraktionen die AG an viele E-Mails gesendet wurden bis das Sys- Urabstimmung über die Institution der ÖH der ÖH-Spitze ab, womit zum ersten Mal in tem zusammenbrach. Vorlesungen wurden

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in den öffentlichen Raum verlegt und dort Nach dem Scheitern der Protestbewegung Endnoten auch politisch diskutiert.4 und der Uneinigkeit der linken Fraktio- 1 BMBWK, Universitätsbericht 2005, Bd.2, nen kam 1997 die Aktionsgemeinschaft S.99 2 Es wurde die bisher größte StudentInnen- wieder zurück. Vizekanzler und ÖVP-Bun- ÖH (Hg.), 50 Jahre ÖH (ZA Inform 7/95) bewegung der Zweiten Republik mobilisi- desparteiobmann Wolfgang Schüssel gratu- 3 Rosina Baumgartner, Die Urabstimmung ert, erreicht werden konnte aber nur wenig, lierte der AG und meinte, dass das Wahl- über die Pflichtmitgliedschaft in der Öster- etwa Teilregelungen bei den Tarifen für ergebnis zeige, dass Service und Beratung reichischen Hochschülerschaft. Dipl.-Arb., öffentlichee Verkehrsmittel. Vielen Studier- für Studierende wichtiger seien als poli- Univ. Wien 1992 enden wurde in Folge die Familienbeihilfe tische Auseinandersetzungen.5 4 Lilian Schiltknecht, Die „universitäre Re- gestrichen. Die Euphorie war 1995/96 groß bellion“ 1996 als Antwort auf die öster- gewesen, größer noch war allerdings die 1993 wurden die Fachhochschulen begrün- reichische Hochschulpolitik. Dipl.-Arb., Uni Katerstimmung, als die Bundesregierung det, ihren Studierenden blieb aber eine Wien 1998 5 nur geringfügig nachgab und das Sparpaket Interessenvertretung verwehrt. Als 1998 APA 316 1997-05-16 6 schließlich im Parlament beschlossen wur- das ÖH-Gesetz reformiert wurde, wurde ihre Alexander Egger / Thomas Frad, Hoch- de. Die Grenzen von studentischem Protest Einbeziehung in die ÖH diskutiert und sogar schülerschaftsgesetz und Studentenheim- waren aufgezeigt. die Paragraphen dafür bereits ausformu- gesetz. Einführung – Texte – Materialien liert, letztlich vom Parlament aufgrund des – Entscheidungen – Anmerkungen (Neue Widerstands von ÖVP und Fachhochschul- Gesetze: Bd.15). Wien 2000 betreiberInnen aber nicht beschlossen. Die Studierenden der Pädagogischen Akademien und Privatuniversitäten wurden hingegen 1999 Teil der ÖH. Im Zuge der Diskussion zur ÖH-Reform traten die Fachschaftslisten, die an einigen Universitäten stärkste Frak- tion waren, aber bei bundesweiten Wahlen nur wenige Mandate erreichten, als Plat- tform „ÖH neu“ für eine Abschaffung der direkten Wahl der ÖH-Bundesvertretung zu- gunsten von Delegierten der Universitäts- vertretungen ein. 1998 lehnten dies beide Regierungsparteien, SPÖ und ÖVP noch ab. Auch die Aktionsgemeinschaft trat für ein demokratisches Wahlrecht ein.6 Abb. 19 Abb.

40.000 Studierende für Freifahrt und Familienbeihilfe

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„Service und mehr ...“ Agnes Berlakovich

„Alles anders“; das war der Anspruch jener Fraktionen, die mit 1. Juli 1995 Streichung der studentischen Freifahrt bei öffentli- nach 50 Jahren ÖVP-naher ÖH-Exekutiven „das Ruder“ in der österreich- chen Verkehrsmitteln und die Anpassung der Fami- ischen Studierendenvertretung übernahmen. Erstmals gab es Frauen an der lienbeihilfe an die Mindeststudiendauer. Gekoppelt Spitze (Michaela Sivich, GRAS und Agnes Berlakovich, VSStÖ), die Öster- mit Sparmaßnahmen im Universitätsbereich, die die anderen Maßnahmen reichische Hochschülerschaft wurde in die Österreichische HochschülerIn- ad absurdum führten (so wurden zB): die Zügel werden enger gespannt, nenschaft umbenannt, der dritte Vorsitz wurde als Zeichen für die Forderung und dies unter verschärften Bedingungen: damit das Ganze nicht zu einfach nach dem passiven Wahlrecht für nicht- österreichische StaatsbürgerInnen wird, werden noch ein paar Hindernisse auf den Weg gelegt. nicht gewählt, sondern symbolisch mit Maria Vassilakou (GRAS), einer grie- Vielsagend auch die Art und Weise, wie die Betroffenen informiert wurden: chischen Staatsbürgerin besetzt, im Sinne der Demokratisierung der ÖH via APA wurden die Maßnahmen „ausgerichtet“. erfolgte eine Verlagerung der Geldmittel auf die „unteren“ Ebenen (sprich Der Protest war gewaltig: Aktionen, Streiks, Demonstrationen, die Kreativ- die Universitäten, Fakultäten und Studienrichtungen), die Abhaltung von ität, die sich entfaltete, war beeindruckend. Treffen mit Hauptausschuss (jetzt Universitätsvertretungs-) vorsitzenden Höhepunkt der Proteste war die Demonstration am 13. März 1996: 50.000 und Studienrichtungsvertretungen stand regelmäßig auf der Tagesordnung. Studierende und SchülerInnen, davon 40.000 in Wien, nahmen daran teil. Zugegeben, es war schon eine Herausforderung, die zu Beginn des Bünd- Ein erhebendes Gefühl, auf der Tribüne am Heldenplatz zu stehen und die nisses sechs Fraktionen (GRAS, VSStÖ, LSF, KSV, Fachschaftslisten Öster- gewaltige Menge an jungen Menschen vor sich zu sehen. reichs, Kunst und Politik), die ideologisch einen breiten Bogen spannten, Politisierung der Studierenden? unter einen Hut zu bringen. Das Wegbrechen des LSF und in weiterer Folge Nicht nur direkte studentische Interessenvertretung, sondern einer starken der Fachschaftslisten Österreichs und der Liste Kunst und Politik waren vor- und konsequenten Wahrnehmung des im ÖH- Gesetz verankerten allgemein- erst ein Schock für die im Bündnis verbliebenen Fraktionen, später jedoch politischen Mandats sollte nach Ansicht der in der Exekutive vertretenen stellte sich der Wegfall von anstrengender Koordinierungsarbeit durchaus Fraktionen oberste Priorität zukommen. Die ÖH als Teil einer Zivilgesells- auch als positiv heraus. Der Kern des Bündnisses blieben GRAS und VSStÖ, chaft, die sich gegen unsoziale, diskriminierende und chauvinistische Ent- unterstützt bzw. koordiniert durch den KSV. wicklungen in der Gesellschaft stellt. Externe Faktoren ließen jedoch bald keine Zeit, sich mit internen Strukturen Nach den ÖH- Wahlen 1997 gab es wieder eine Exekutive der Aktionsge- zu befassen: mit Anfang Feber 1996 drangen die von der Bundesregierung meinschaft. Aber, davon bin ich überzeugt, in der Zeit 1995 bis 1997 ist avisierten Maßnahmen im Rahmen des Sparpaket II an die Öffentlichkeit. kein unwesentlicher Grundstein für die nun seit 1999 andauernde Periode Mit diesem zur Erreichung der Maastricht- Kriterien beschlossenen bislang der „Fortschrittlichen ÖHs“ gelegt worden. größten Belastungspaket wurden – auch im studentischen Bereich – große Einschnitte vorgenommen. Alle soll es treffen, dieses „gut geschnürte Pa- ket“ und es soll nicht möglich sein, so die Botschaft der Regierungsver- Agnes Berlakovich begann ihr Studium der Rechtswissenschaften 1989 an treter, einzelne Teile davon heraus zu lösen. der Uni Wien. Sie war als erste Frau von 1995-1997 Vorsitzende des Zentral- Was waren die Maßnahmen, die den Unmut der Studierenden auf sich zogen? ausschusses der ÖH (VSStÖ).

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2000er Jahre

Studiengebühren bühren. Trotz Bemühungen der von der der berufstätigen Studierenden beklagten Aktionsgemeinschaft gestellten ÖH-Spitze, in der Untersuchung die zeitliche Ein- Als im Februar 2000 Wolfgang Schüssel und die Proteste in einer Großdemonstration zu schränkung als Folge der Erwerbstätigkeit. Jörg Haider eine Bundesregierung bildeten kanalisieren und ansonsten zu kalmieren, Mögliche positive Auswirkungen wurden in demonstrierten in Wien Hunderttausende entstand im Herbst 2000 breiter Protest. viel geringerem Ausmaß gesehen, nur ein gegen die Regierungsbeteiligung der rechts­ Wochenlang demonstrierten Studierende Viertel nannte ein zielgerichteteres Studium populistischen FPÖ, darunter auch viele und es fanden verschiedene, auch aktion- unter diesem Punkt. Das erhöhte Ausmaß Studierende. Ein halbes Jahr nach Amt- istische Protestveranstaltungen statt. Am der Erwerbstätigkeit wirkte sich negativ auf santritt, im September 2000, beschloss die 11. Oktober 2000 fanden von der ÖH or- die Studienaktivitäten aus. Eine weitere neue Bundesregierung von ÖVP und FPÖ ganisierte Großdemonstrationen in allen vom Bildungsministerium selbst in Auftrag die (Wieder-)Einführung von Studienge- Universitätsstädten statt. Allein in Wien gegebene Studie über die „Auswirkungen gingen rund 50.000 Menschen auf die der Einführung von Studiengebühren auf Straße. Die Bundesregierung konnte von die Studienbeteiligung und das Studierverh- ihrem Vorhaben nicht abgebracht werden, alten“ wies auf die sozial selektive Wirkung allerdings herrschte unter den Studierenden der Studiengebühren hin: Insbesondere großer Unmut und eine seit langem nicht Studierende aus finanziell schwächeren mehr gekannte politische Mobilisierung. Familien mussten das Ausmaß ihrer Erw- Ab dem Wintersemester 2001/02 wurden erbstätigkeit erhöhen, um sich Lebensun- allgemeine Studiengebühren von 363,36 terhalt und Studium leisten zu können. Die Euro für ÖsterreicherInnen und 726,72 Euro Vermutung von Bildungsministerin Elisa- für Nicht-EWR-BürgerInnen eingehoben. beth Gehrer (ÖVP), mit den Gebühren werde 45.000 Studierende mussten ihr Studium das Leistungsbewusstsein der Studierenden abbrechen. Für den Rest verlängerten sich steigen, wurde widerlegt. Hinsichtlich ver- aufgrund der zusätzlichen finanziellen Be- besserter Serviceleistungen - wie sie des öf- lastung die Studienzeiten. Die Daten der teren propagiert wurden - erwiesen sich die vom Bildungsministerium selbst veröffentli- Gebühren für die Betroffenen als wirkungs- chten „Studierenden-Sozialerhebung 2002“ los, so die Studie. Den Universitäten nütz- sprachen eine klare Sprache: 1999 waren ten die Gebühren wenig, es wurden dafür noch knapp über die Hälfte der Studier- andere Mittel gekürzt. Initiativen, die mit enden während des Semesters nicht erw- Geld aus den Studiengebühren gesetzt wur- erbstätig und konnten sich auf ihr Studium den, waren oft das ohnehin fällige Aufholen Abb. 20 Abb. konzentrieren - 2002, nach Einführung der von bisherigen jahrelangen Versäumnis- ... gegen Studiengebühren heute Studiengebühren, nur mehr ein Drittel. 57% sen.1

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Universitätspolitik noch nicht!) zuvor von einer repräsenta- ÖH und Demokratie

tiven Universitätsversammlung der Uni- Geschichte der ÖH Die Regierung aus ÖVP und FPÖ führte nicht versitätsangehörigen gewählt, darunter Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- nur Studiengebühren wieder ein, sondern Studierende, wird er nun von den wenigen tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger machte sich auch an eine Gegenreform in Mitgliedern des Universitätsrats bestimmt. 1950er: Soziale Lage und der Universitätsorganisation. Im August Die schon in den neunziger Jahren um sich Studiengebühren Kommentar: Fischer 2001, wohlweislich während der Sommer- greifende Ökonomisierung von Bildung 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz ferien, wurde ein „Gestaltungsvorschlag“ und Wissenschaft wurde mit dem schwarz- und „1968“ für autonome, unternehmerisch agierende blauen Universitätsgesetz auf die Spitze Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Universitäten veröffentlicht. Trotz über getrieben. Eine besondere Note bekam es, Mitbestimmung in der Universität 240 Stellungnahmen von verschiedensten indem anstelle der propagierten „Weltk- Kommentar: Streeruwitz Seiten, die dieses politische Konzept fast lasse“ eher beschämende Personalentschei- 1980er: Neue soziale Bewegungen überwiegend kritisierten, wurde im März dungen getroffen wurden, indem rechtsex- Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst 2002 ein diesbezüglicher Gesetzesentwurf treme „Alte Herren“ von Burschenschaften Kommentar: Berlakovic präsentiert und schon im Juli 2002 als aufgrund ihrer FPÖ-Nähe in die mächtigen 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Universitätsgesetz (UG) 2002 beschlossen. neuen Universitätsräte berufen wurden. in der ÖH Kommentar: Mautz & Mitbestimmungsrechte der Universitäts­ Die in Autonomie von den einzelnen Uni- Weinberger angehörigen wurden weitgehend abge- versitäten erlassenen Neuorganisationen Wahlergebnisse und Vor- sitzende schafft und so auch die Rechte der Studi- schränkten auf Basis des Universitätsge- Uni im Wandel der Zeit erenden stark eingeschränkt. Die leitenden setzes die Mitbestimmungsrechte zumeist Personen treffen ihre Entscheidungen ei- weiter ein, an der Universität Wien führte Feminismus und ÖH genverantwortlich wie bisher, sie sind aber dies 2004 zu Protesten, bei denen unter 21 Abb. Protest und Vertretung nicht mehr verpflichtet, ihre Beschlüsse mit anderem das Rektorat besetzt oder Rektor Ganze Unis machen halbe-blau, Zukunft der ÖH Arbeit denjenigen zu diskutieren, die damit leben Winckler „getortet“ wurde. halbe-schwarz Chronologie und arbeiten müssen. Hierarchien und Top- Anhang down-Anordnungen sollten die Universität Die schon lange mitgeschleppte finanzielle zur „Standortbereinigung“ und „Profilbil- „effizient“ machen.2 Krise der Universitäten verschärfte sich dung“ weisen den Weg zur Schließung als nach dem Jahr 2000. Betrug der Anteil des „unwirtschaftlich“ betrachteter Einrichtun- Als neue starke Entscheidungsebene wurde Hochschulbudgets am Bruttoinlandsprodukt gen und Studienrichtungen. der Universitätsrat geschaffen, der zur 1999 noch 1,22%, sank er schon 2000 auf Hälfte von der Bundesregierung besetzt 1,10% und betrug nach einem vorüberge- Nachdem der Europäische Gerichtshof 2005 wird. Er trifft viele endgültige Entschei- henden „Höchststand“ 2002 mit 1,14% wie erwartet den Ausschluss von EU-Bürger­ dungen in wesentlichen Fragen, seine Mit- (immer noch weniger als 1999!) 2004 Innen ohne österreichisches Reifezeugnis glieder dürfen aber nicht der betreffenden 1,09%. Anstatt mehr Geld zu bekommen, ohne Studienplatz im Heimatland von ös- Universität angehören. Wurde der Rektor müssen die Universitäten in Autonomie terreichischen Universitäten aufhob, führte oder die Rektorin (eine solche gab es bisher Mangelwirtschaft betreiben. Maßnahmen die Regierung Zugangsbeschränkungen

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offenen Hochschulzugangs und eine gesam- ÖH-Bundesvertretung und zum zweiten Mal teuropäische Lösung. (nach 1995 bis 1997) zu einer linken ÖH- Exekutive. Gab es im Wintersemester 2000/01 insgesa- mt 242.598 Studierende in Österreich, dav- Die ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Ka- on 124.617 (51.4%) Frauen, waren es nach llat meinte 2001 nach Vorliegen des Ergeb- dem radikalen Einschnitt durch die Einhe- nisses: „Die ÖVP bedauert das schlechte Ab- bung der Studiengebühren im Wintersemes- schneider (sic!) der Aktionsgemeinschaft, ter 2001/02 nur mehr 194.763 Studierende, zollt deren Leistungen für die Studierenden davon 101.361 (52,0%) Frauen. Im Win- aber dennoch Respekt … Wir müssen die tersemester 2004/05 gab es 210.125 Studi- Kirche aber im Dorf lassen – die Aktions- erende, davon 111.439 (53,0%) Frauen.3 gemeinschaft bleibt schließlich weiterhin stärkste Fraktion.“4 Das Ende der Dominanz ÖH-Politik ÖVP-naher Gruppierungen in der ÖH wurde

Abb. 22 Abb. allerdings spätestens 2003 besiegelt, als Kreativer, kräftezehrender Protest für universitäre Demokratie Die Bewegung gegen die FPÖ-Regierungs- die Aktionsgemeinschaft den 2001 knapp ein. Mit der Begründung der Furcht vor beteiligung und der Studiengebühren-Be- gehaltenen ersten Platz an die GRAS verlor. zehntausenden deutschen „Numerus clau- schluss führten zu einer Dynamisierung Die AG sackte von 44,4% im Jahr 1993 auf sus Flüchtlingen“ wurde den Universitäten der Studierendenpolitik. Diesmal äußerte 28,8% 2003 ab, ein Verlust von mehr als ermöglicht, Beschränkungen in den deut- sich der Unmut der Studierenden auch an einem Drittel ihres Stimmanteils. Die GRAS schen Numerus-clausus- Fächern Medizin, der Urne: Bei den Wahlen 2001 verlor die erhielt 1993 14,5% der Stimmen, 2003 Zahn- und Tiermedizin, Psychologie, Phar- ÖVP-nahe Aktionsgemeinschaft ein Viertel waren es 29%. Der VSStÖ konnte deutlich mazie, Biologie, sowie BWL und Publizistik ihrer Stimmen, während die linken Frak- von 13,8% 1993 auf 20,4% 2003 zule- einzuführen. Nachdem schon BWL keinem tionen erdrutschartig gewannen. Die GRAS gen. Dagegen fuhr der Ring Freiheitlicher NC in Deutschland mehr unterlag, kam in verdoppelte ihre Mandatszahl in der 45 Studenten (RFS) nach einem Hoch bei den der Nacht vor der Beschlussfassung im Na- Sitze umfassenden Bundesvertretung auf Wahlen 1997 und 1999 mit jeweils 4,6% tionalrat auch noch das Fach Publizistik zwölf, der VSStÖ legte um vier Mandate auf Stimmanteil 2003 mit 2,37% das schlech- dazu. Es ging mehr um das bildungspoli- elf zu. Die Aktionsgemeinschaft verlor von teste Ergebnis ein. Nachdem der RFS 2001 tische Konzept, den offenen Hochschulzu- 20 auf 15 Mandate. Auch der RFS verlor ein vom KSV überholt worden war, flog er 2003 gang zu beenden, als um den eigentlichen Mandat und hatte nun nur noch einen Sitz, auch aus den Uni-Vertretungen in Innsbruck Anlass. Unter großer medialer Aufmerksam- weniger als der KSV. Die linken Fraktionen und Leoben (wo er nicht mehr kandidierte) keit begannen tatsächlich einige tausend hatten bereits vor der Wahl angekündigt, und war damit in keiner einzigen Univer- Deutsche vor allem an den Medizinuniver- bei entsprechender Mehrheit zusammenar- sitätsvertretung mehr vorhanden. sitäten zu studieren, die Horrorszenarien beiten zu wollen. Eine linke Koalition aus trafen allerdings nicht ein. Die ÖH forderte GRAS und VSStÖ unter anfänglicher Beteili- Die linke ÖH ging 2001 ambitioniert ans statt neuen Barrieren die Beibehaltung des gung des KSV trat an. Damit kam es in der Werk. Versuche, die Studiengebühren über

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ÖH und Demokratie

Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren Kommentar: Fischer 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz und „1968“ Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Abb. 23 Abb. Mitbestimmung in der Universität Parlamentsprotest Kommentar: Streeruwitz einen Boykott zu Fall zu bringen, scheiter- Die linke ÖH-Bundesvertretung konnte nahe stehenden Fraktionen die Mehrheit in 1980er: Neue soziale Bewegungen ten trotz großen Einsatzes. Ein Bildungs- aufgrund der Mehrheit von ÖVP und FPÖ der ÖH-Bundesvertretung sichern sollte. Die Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst volksbegehren im November 2001, das von bzw. Orangen im Parlament zwar nicht die Wahl der Bundesvertretung durch die Studi- Kommentar: Berlakovic verschiedenen bildungspolitischen Organi- Verschlechterung der Studienbedingun- erenden wurde abgeschafft und stattdes- 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch sationen getragen wurde, erreichte ohne gen verhindern, setzte sich aber für die sen ein System der indirekten Wahl durch in der ÖH Kommentar: Mautz & große mediale Unterstützung über 100.000 Studierenden ein und kritisierte falsche Delegierte der Universitätsvertretungen ge- Weinberger Unterschriften, blieb aber unter den Er- Politik. Nicht immer waren ihre Aktionen schaffen. Die 21 Universitätsvertretungen Wahlergebnisse und Vor- sitzende wartungen. 2002 beschlossen Schwarz und erfolgreich. Unbestritten war allerdings entsenden zwischen 1 und 12 MandatarIn- Uni im Wandel der Zeit Blau ein Universitätsgesetz, das die Mitbes- zumindest bis 2004, dass die Studierenden nen in die Bundesvertretung, die damit zu timmungsrechte der StudentInnen drastisch selbst direkt, ohne Wahlmänner-System und einem Art „Bundesrat“ wird. Wenn eine Feminismus und ÖH einschränkte. Trotz Protesten (am 24. April Verzerrungen des Wahlergebnisses ihre In- Universität nur ein Mandat zu vergeben Protest und Vertretung

2002 beteiligten sich 25.000 Menschen an teressenvertretung wählen können sollten. hat, erhält dieses nach dem Prinzip „The Zukunft der ÖH Arbeit einer Demonstration von ÖH und Uni-Le- winner takes it all“ die relativ stärkste Frak- Chronologie hrenden) wurden die Pläne bis auf wenige Wahlrecht der Studierenden tion. Bei den größeren Universitäten wer- Anhang Ausnahmen durchgezogen. Wieder entstand wird eingeschränkt – den die Mandate nach dem Verfahren der eine Protestbewegung aus Studierenden „Umfärbung“ scheitert d’Hondtschen Mandatsverteilung vergeben, und einem Teil der Lehrenden. Durch den das die stärksten Fraktionen begünstigt. Einsatz der ÖH wurde der Verlust eines In den Abendstunden des 11. November Die Stimmen der Studierenden wurden so gesetzlichen Prüfungsrechts abgewendet. 2004 stellten ÖVP und FPÖ einen überra- verzerrt, sodass sich nach dem Ergebnis Als am 8. Mai 2002 Burschenschafter und schenden Initiativantrag im Nationalrat der ÖH-Wahlen 2003 eine Mehrheit der Ak- Neonazis am Wiener Heldenplatz eine Trau- (um ein Begutachtungsverfahren aus- tionsgemeinschaft ergeben hätte. Als „Lex erkundgebung für die Niederlage Hitlers im zuschließen) zur Änderung des Hochschü- RFS“ wurde ein kompliziertes System der Zweiten Weltkrieg abhielten, organisierte lerInnenschaftsgesetzes und beschlossen in „Listenverbände“ eingeführt, dass dem RFS die ÖH antifaschistische Protestveranstal- kürzestmöglicher Frist schon am 10. Dezem- trotz geringen WählerInnenzuspruchs schon tungen. ber ein verzerrendes Wahlrecht, das den ihr mit 1.000 Stimmen ein Mandat in der Bun-

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der jüngeren Geschichte dieses Landes werden freie, demokratische Wahlen nicht eingeführt, sondern abgeschafft. Haupt- sache, die kecke Hochschülerschaft wird schwarz eingefärbt. Dass sich ÖVP-Wis- senschaftssprecherin Gertrude Brinek dazu hergab, diese Gesetzesnovelle per parlam- entarischem Initiativantrag einzubringen, auf dass die lästige Begutachtung der Ma- terie durch die Betroffenen vermieden wer- den kann, macht die Angelegenheit noch übler: Eine durch freie Wahlen legitimierte Parlamentarierin macht der Regierung bei

Abb. 24 Abb. der Abschaffung von freien Wahlen die Studierende zeigen im Studierendenparlament ihre Meinung Räuberleiter. Weit haben wir es gebracht.“ desvertretung sichern sollte. Darüber hi- tionen, wenn auch mit unterschiedlicher Margaretha Kopeinig schrieb im „Kurier“, naus wurden unter anderem die gewählten Vehemenz, gegen das neue Wahlrecht. „Sowohl die Form des Zustande-Kommens Fakultätsvertretungen abgeschafft und Aber die ÖH war nicht allein: Der Protest der Gesetzesnovelle als auch ihr Inhalt sind die Studierenden der Privatuniversitäten reichte von der Katholischen Hochschulju- demokratiepolitisch bedenklich.“ Selbst in wieder aus der ÖH ausgeschlossen. Die gend Österreichs über Intellektuelle wie der regierungsnahen „Die Presse“ kritisierte Aufteilung der finanziellen Mittel aus den Robert Menasse oder Armin Thurnher bis zu Erich Witzmann das Motto „Diese Proteste ÖH-Beiträgen war bisher von den ÖH-Gre- KünstlerInnen wie Louie Austen, Stermann werden wir aussitzen, und mit der nächsten mien im Rahmen bestimmter Bandbreiten und Grissemann, Marlene Streeruwitz oder ÖH-Wahl gibt es eine Vertretung, die nicht in studentischer Selbstverwaltung autonom Elfriede Jelinek. Die ESIB, die „National Un- mehr aufmucken wird.“5 festgelegt worden, nun wurde diese Selb- ions of Students in Europe“, die Dachorgan- stbestimmung der ÖH per Gesetz entzogen isation von Studierendenvertretungen aus Die neue Qualität der „Wende“ war allerd- und die Finanzaufteilung zwischen Bundes- 37 europäischen Staaten, die mehr als 11 ings nicht von Erfolg gekrönt. Die Studi- vertretung und Universitätsvertretungen Millionen Studierende vertritt, war entsetzt erenden durchkreuzten von 31. Mai bis 2. gesetzlich fixiert und im gleichen Atemzug und protestierte heftig. Juni 2005 die Regierungspläne. Die Wahl- die Mittel der Bundesvertretung halbiert. beteiligung stieg von 29,9% auf 30,5%. Das Medienecho war weitgehend kritisch Der VSStÖ wurde mit 16 Mandaten erstmals Der Charakter einer Strafaktion gegen eine – und zwar nicht nur in liberalen Medien mandatsstärkste Fraktion, die GRAS erreich- unbequeme Institution, die regierungsnah wie Der Standard oder Falter. Die „Salz- te 14 Mandate, ebenso die Aktionsgemein- „umgefärbt“ werden sollte, war unverken- burger Nachrichten“ betitelten einen Leit- schaft. Die Fachschaftslisten, in der direk- nbar. Mit Ausnahme von Aktionsgemein- artikel mit „Beinharter Abbau der Demokra- ten Wahl 2003 mit drei Mandaten vertreten, schaft und RFS protestierten alle ÖH-Frak- tie“. Andreas Koller schrieb: „Erstmals in erhielten aufgrund des indirekten Wahl-

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modus 2005 11 Mandate. In der neuen Bun- schließlich zumindest ihre Grundrechte im ÖH und Demokratie desvertretung waren weiters KSV, LSF und Prüfungsrecht erhalten werden. Durch eine Geschichte der ÖH RFS mit je einem Mandat sowie vier weitere Mischung aus Protest, Verhandeln, Vernet- Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- MandatarInnen vertreten. VSStÖ und GRAS zung und kompetenter Stellungnahmen tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger konnten ihre Koalition fortsetzen. Die ÖH konnten der schwarz-blauen Unireform zu- 1950er: Soziale Lage und plädiert dennoch weiter für eine Abschaf- mindest manche der allerschärfsten Zähne Studiengebühren Kommentar: Fischer fung des verzerrenden Wahlmodus und für gezogen werden, auch wenn die negative 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz 6 ein demokratisches Wahlrecht. Tendenz der Regierungspolitik blieb. und „1968“ Ein besonderer Schwerpunkt seit 2001 ist Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Politik, die wirkt – Service, das hilft die Auseinandersetzung mit den Folgen von Mitbestimmung in der Universität Globalisierung und Neoliberalismus, die in Kommentar: Streeruwitz Die linke ÖH erfüllte den Begriff der poli- der Tendenz zur Ökonomisierung der Bil- 1980er: Neue soziale Bewegungen tischen Interessenvertretung der Studier- dung die Studierenden vielfältig betreffen. Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst enden mit neuem Leben. In Bündnissen Neben Arbeit in internationalen Organisa- Kommentar: Berlakovic mit verschiedenen Organisationen und In- tionen und in verschiedenen zivilgesells- 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch stitutionen wurden falsche Politik kritisiert, chaftlichen Plattformen wurde im Som- in der ÖH Kommentar: Mautz & alternative Perspektiven aufgezeigt und die mersemester 2005 eine Ringvorlesung zu Weinberger Interessen der Studierenden thematisiert. Bildungsökonomisierung an der Universität Wahlergebnisse und Vor- sitzende Regelmäßig wurde eine Mängelliste mit Wien vom Internationalen Referat der ÖH

Abb. 25 Abb. Uni im Wandel der Zeit unzähligen Beispielen für Verbesserungs- mitorganisiert. Die ÖH beteiligte sich bedarf an verschiedenen Unis erstellt und an den Aktivitäten des österreichischen Nicht nur Globalisierung reden, Feminismus und ÖH veröffentlicht. Dass der Weg stimmte, Sozialforums (Austrian Social Forum – ASF) auch Globalisierung schreiben Protest und Vertretung zeigten vom SORA-Institut durchgeführte und partizipierte auch im Rahmen der Eu- Zukunft der ÖH Arbeit Umfragen: Die Gesamtzufriedenheit der ropäischen Sozialforen (ESF). Broschüren mit einer Auflage von 125.000 Chronologie Studierenden mit der ÖH-Arbeit stieg von mehr als das Doppelte des vorherigen Anhang 60% 2002 auf 68% 2004. Nach der über- In Bereichen wie Sozialpolitik, Globalis- Umfangs erreicht. Dabei waren nicht nur fallsartigen Änderung des ÖH-Wahlrechts ierung oder Anti-Faschismus wurde von „klassische“ Publikationen wie die Sozial- durch ÖVP und FPÖ ergab eine Umfrage eine Seiten der ÖH mit ÖGB, AK, ATTAC, Green- broschüre, die Wohnbroschüre oder der Zustimmung von 84% der Studierenden zur peace, dem Dokumentationsarchiv des Ös- Studienleitfaden wichtig, sondern es wur- ÖH-Forderung nach Beibehaltung des direk- terreichischen Widerstandes (DÖW), SOS- den auch neue Produkte wie die Servicebro- ten Wahlrechts auf Bundesebene. Mitmensch und vielen anderen produktiv schüren Studieren mit Kind, Studieren und gearbeitet. Arbeiten, Infos über die Studienrichtungen, Als Schwarz-Blau 2002 ein Universitätsges- Ökologie und Nachhaltigkeit, Studieren und etz beschloss, das viele Verschlechterungen Das Angebot an Informationsbroschüren für Wohnen oder der Steuerleitfaden entwick- brachte, konnten durch Proteste und Vernet- Studierende, war 2001 spärlich und veraltet. elt. In der „Studieren im Ausland“-Bro- zung mit Uni-Lehrenden den Studierenden Bereits nach eineinhalb Jahren war mit 13 schüre informiert die ÖH z.B. umfangreich

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über Studien-, Praktika- und Arbeitsmögli- zin PROGRESS wurde zu einem anerkannten Endnoten chkeiten im Ausland. Medium.7 1 Studierenden-Sozialerhebung 2002. Bericht zur sozialen Lage der Studierenden Die finanzielle Unterstützung für sozial 2002. Studie im Auftrag des BMBWK; Franz schwache Studierende konnte wegen der Kolland, Auswirkungen der Einführung von ansonsten sparsamen Finanzgebarung 2001 Studienbeiträgen auf die Studienbeteili- bis 2005 ausgeweitet werden. Darüber hi- gung und das Studierverhalten, 2002 2 naus richtete die ÖH das Alfred-Dorfer-Sti- Kurt Grünewald / Johannes Gadner (Hg.), pendium ein, das von dem Kabarettisten Universitätsgesetz 2002 – Weltklasse oder unterstützt wird und pro Semester zehn du- Sackgasse? Wien 2003 rch die Studiengebühren besonders getrof- 3 BMBWK, Hochschulbericht 2002, Bd.2, fenen Studierenden das Weiterstudieren S.41; BMBWK, Universitätsbericht 2005, erlaubte. Ausländischen Studierenden, die Bd.2, S.39 u. S.99 4 sich die doppelten Studiengebühren nicht OTS 238 2001-05-17 mehr leisten können, wird Unterstützung 5 Andreas Koller, Beinharter Abbau der gewährt. „Sozialtage“ wurden an ver- Demokratie. in: Salzburger Nachrichten, schiedenen Unis initiiert und veranstaltet, 2.12.2004, S.1; Margaretha Kopeinig, Kon- an denen den Studierenden eine umfas- servative Revolution. in: Kurier, 16.11.2004, sende Beratung angeboten wurde. Auch S.2; Erich Witzmann, Überrumpelt. in: Die im Wohnrechtsbereich stellt die ÖH eine Presse, 12.11.2004 6 allgemeine Beratung für Studierende zur Ein Überblick über die Proteste gegen den Verfügung. Des Weiteren hat sich die ÖH Regierungseingriff findet sich unter http:// insbesondere für die Rückerstattung der oeh.ac.at/mundtot/. Daten zur ÖH-Wahl Studiengebühren an Studierende aus Ent- 2005 unter http://oeh.ac.at/wahl05/ wicklungsländern eingesetzt und versucht, 7 ÖH (Hg.), Been there, done that. Ein hier eine Verbesserung zu erzielen. Tätigkeitsbericht der Österreichischen HochschülerInnenschaft 2001-2003. Wien Die Homepage www.oeh.ac.at wurde zu 2003; ÖH (Hg.), Sincerely Yours, ÖH. Die einem umfangreichen Portal ausgebaut. Österreichische HochschülerInnenschaft Dort gibt es neben der sehr frequentierten zieht Bilanz 2003-2005. Wien 2005 Job- und Wohnenbörse auch einen Online- Rechner für die individuelle Stipendien- höhe und mit dem „Free Knowledge Forum“ einen frei zugänglichen Download-Bereich für wissenschaftliche Arbeiten von Studier- enden. Das seit 2001 bestehende ÖH-Maga-

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Been there, done that. Andrea Mautz & Anita Weinberger

Bei den Recherchen zu diesem kurzen Artikel sind wir über Schlagzeilen aus Das zweite große bildungspoli- dem ersten Halbjahr 2001 gestolpert, als die Bundesvertretung der ÖH noch tische Thema der Jahre 2001- von der konservativen Aktionsgemeinschaft geführt wurde, die da lauten: 2003 war die „Universitätsre- „Studentenvertreter machen Studiengebühren zum Wahlkampfthema“ (Der form“, zu deren Vorbereitung honorige Herren hinter verschlossenen Türen Standard), „Studenten überlegen Zahlungsboykott der Studiengebühren“ über die „Neugliederung der Universitäten“ verhandelten. Völlig intrans- (ebendieser), „ÖH Wahl – Probe für Rot-Grün“ (News), „Zuwenig Gas gege- parent wurden die Abschaffung der universitären Demokratie, die Vermark- ben“ (Die Presse) sowie „Handlanger der Regierung“ (Standard). Diese Ma- twirtschaftlichung der Universitäten und deren Ausgliederung beraten und terie und die koordinierte Zusammenarbeit der linken Fraktion sowohl bei auf Schiene gestellt. Die ÖH machte zu diesem Zeitpunkt das Unmögliche den Protesten gegen Schwarz-Blau und dann rund um die Kämpfe gegen möglich und lud alle universitären Gruppen zu sich ein. Eine gemeinsame die Studiengebühren haben letztendlich die politische Wende in der Hoch- Resolution wurde verfasst und der Ministerin zugestellt. „Sowas hat es noch schüler/innenschaft gebracht. Mehr Studierende haben gewählt und der VP- nie gegeben!“ war aus dem Ministerium zu hören. Auch die von Ministerin nahen Aktionsgemeinschaft eine deutliche Abfuhr erteilt. Die Hochschüler/ Gehrer einberufene „Universitätsplattform“ wurde daraufhin von allen uni- innenschaft sollte sich – nach Meinung der Studierenden – wieder vermehrt versitären Gruppen boykottiert. als politische Interessenvertretung bemerkbar machen. Angesichts der bil- Im ersten Jahr unserer Arbeit hatten wir noch viel an neuen Erfahrungen dungspolitischen Situation, mit permanent unterfinanzierten Hochschulen, zu sammeln. Die gesamte Organisation der ÖH besteht immerhin aus ca. den drohenden Studiengebühren, den erfolgten und durchgeführten An- 5000 ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen an den verschiedenen Ebenen. Ge- griffe auf die soziale Absicherung der Studierenden und der aufkommenden setzlich vorgeschriebene Ausschüsse und viele Koordinationssitzungen sind Diskussion über Zugangsbeschränkungen, eigentlich nicht verwunderlich. abzuhalten und unterschiedlichste Interessen unter ein gemeinsames Dach Als linke Exekutive, mit dem ersten gleichberechtigten weiblichen Teamvor- zu bringen. sitz in der Geschichte der Bundes-ÖH wollten wir uns nicht nur bildungs-, Zwei unserer persönlichen Highlights an die wir heute noch gerne denken: sondern auch gesellschaftspolitisch positionieren, der ÖH wieder ein kämp- ein „Wolf Martin“, der von „Kommunistenweibern und links linken Kälbern“ ferisches, ein politisches Profil geben und weg vom „Skriptenladen ÖH“. schrieb und dafür vom Presserat verurteilt wurde und ein „Fest der Be- Service das hilft, Politik die wirkt, sollte der ÖH-Slogan für die nächsten freiung“ am 8. März 2001 zu dem über 8.000 Menschen kamen, das als Jahre werden. Konterpart zu deutschnationalen Burschenschaften, die den „Tag der to- Die von uns gesetzten „ersten Schritte zur Abschaffung der Studienge- talen Niederlage“ zelebrierten, gefeiert wurde. bühren“ mussten bereits im Juli 2001 um eine Aktion geschmälert werden. Übrig bleibt: Nur eine starke, politische und demokratisch gewählte Studi- Der Boykott der Studiengebühren scheiterte am Widerstand der Banken ein erendenvertretung kann die Interessen der Studierenden bündeln, lautstark dafür notwendiges Treuhandkonto einzurichten. Die juristische Ebene, zahl- formulieren und mit einer „Politik der kleinen Nadelstiche“ auf virulente reiche kleinere und größere Protestaktionen sowie das Bildungsvolksbege- Problem aufmerksam machen. hren, das von 173.000 Menschen unterschrieben wurde, konnten allerdings Andrea Mautz und Anita Weinberger waren von 2001-2003 das Vorsitz- mit Erfolg durchgeführt werden. team der Bundesvertretung der ÖH.

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ÖH-Wahlergebnisse 1946-2005 Wahlen zu Zentralausschuss (1946-1997) und Bundesvertretung (1999-2003)

FÖST – Union – weitere Wahl- Wahl- Jahr Wahlblock – ÖSU – konservative VSStÖ Grüne2 VDS - KSV3 RFS4 Sonstige berechtigte beteiligung Aktionsgemeinschaft1 Fraktionen

1946 26.900 77% 75% - 22% - 3% - -

1948 27.702 66% 71% - 26% - 4% - -

1949 24.491 59% 72% - 24% - 4% - -

1951 k.A. 61% 58% - 21% - 3% - 18%5

1953 k.A. 70% 49% - 17% - 2% 32% -

1955 15.082 62% 56% - 12% - 2% 31% -

1957 15.319 62% 60% - 12% - 1% 29% -

1959 21.452 70% 58% - 14% - 1% 27% -

1961 32.611 65% 57% - 14% - 1% 27% -

1963 36.928 68% 55% 5%6 12% - 1% 27% -

1965 40.035 70% 58% - 12% - 2% 29% -

1967 41.212 64% 49% 8%7 13% - - 30% -

1969 47.208 53% 49% 10%8 12% - 1% 29% -

1971 52.271 43% 54% 8%9 11% - 2% 25% -

1974 78.238 33% 42% 9%10 13% - 3% 21% 13%11

1975 78.360 40% 36% 20%12 17% - 2% 15% 10%13

1977 97.776 39% 48% 13%14 17% - 5% 8% 11%15

1979 111.972 33% 38% 21%16 18% - 4% 8%17 11%18

1981 133.198 35% 23% 37%19 20% - 4% 5% 13%20

1983 134.083 36% 35% 17%21 26% - 4% 3% 15%22

1985 167.823 30% 31% 21%23 22% 6%24 3% 2% 16%25

1987 187.643 35% 39% 13%26 22% 11%27 3% 3% 14%28

1989 205.011 30% 36% 8%29 20% 13%30 4% 4% 15%31

1991 210.414 31% 40% 6%32 16% 15%33 2% 5% 20%34

1993 223.820 31% 44% 3%35 14% 19%36 3% 4% 14%37

1995 231.826 29% 38% 4%38 10% 18% 3% 4% 23%39

1997 235.126 28% 40% 4%40 12% 15% 4% 5% 21%41

1999 211.702 28% 41% 2%42 15% 13% 5% 5% 21%43

2001 217.611 28% 29% - 21% 22% 5% 3% 19%44

2003 184.498 30% 29% - 20% 29% 5% 2% 15%45

1946 bis 2006

:: 60 Jahre :: 53

1 FÖST u. Union: 1946-1951, Wahlblock: 1953-1965, ÖSU: ions-Ring-Verband denkender Studenten (0,3%) 33 GRAS (6,97%), GRAS-Obermayr (2,29%), VGÖ/LIST 1967-1981, Aktionsgemeinschaft: 1983-2003 18 verschiedene Listen, u.a. Fraktion Theologie (3,1%), (2,75%), Ökoliste (2,21%), GRAS-Kapf (0,68%) ÖH und Demokratie

2 34 bis 1993: verschiedene Listen, ab 1995: Grüne & Alter- LKH (1,8%), Liste unabhängiger Studentinnen (1%) verschiedene Listen, u.a. Fachschaftsliste (8,23%), Geschichte der ÖH Vorgeschichte native StudentInnen (GRAS) 19 JES (13,4%), Studentenforum Graz (15,5%), Forum Rosa Liste (1,91%), Kunst und Politik (1,82%) 1940er: Aufbau studen- 3 VdS 1946-1971, KSV: 1974-2003 (4,5%), Morgenmuffel (2,8%), Studentenforum Wien 35 JES (2,37%), Studentenforum (0,55%) tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger 4 36 1989-1993 als Freiheitliche Studenteninitiative (FSI) (0,4%) GRAS (14,53%), VGÖ/LIST (2,93%), Ökoliste (1,59%) 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren 5 die RFS-Vorläuferorganisationen Studentische Wahlge- 20 verschiedene Listen, u.a. Aktion Neue Rechte (1,9%), 37 Fachschaftsliste (10,35%), Kunst und Politik (2,11%), Kommentar: Fischer meinschaft und Bund unabhängiger Studenten Fraktion Theologie (1,9%), Fachliste-Alternative (1,3%), Revolutionsbräuhof (0,87%), Dingsda (0,5%) 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz 6 38 Neues Europa (eine an der Hochschule für Welthandel Liste unabhängiger Studentinnen (1,1%) JES und „1968“ Kommentar: Sperl entstandene Gruppierung) 21 JES 39 verschiedene Listen, u.a. LSF (8,84%), FLÖ (6,67%), 1970er: Demokratie und 7 Aktion (5%) sowie Arbeitsgemeinschaft fortschrittlicher 22 verschiedene Listen, u.a. Die Rebellen von Liang Shan Kunst und Politik (1,83%), Ökologische Liste (1,16%) Mitbestimmung in der Universität 40 Studenten und Christlich-Demokratische Studentenschaft Po (2,3%), Wasser Luft Licht Sonne (2,2%), Alternative JES Kommentar: Streeruwitz 1980er: Neue soziale (insgesamt 3%) Friedensliste (2,2%), Fachschaftsliste (1,9%), Fraktion 41 verschiedene Listen, u.a. LSF (10,37%), FLÖ (7,12%), Bewegungen 8 Aktion (8%) sowie Arbeitsgemeinschaft fortschrittlicher Theologie (1,4%), Rechtsblock (0,7%), Liberaler Hochs- Ökologische Liste (0,79%) Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst 42 Studenten und Christlich-Demokratische Studentenschaft chulverband (0,4%) JES Kommentar: Berlakovic 2000er: Gegenreform an der (insgesamt 2%) 23 JES 43 verschiedene Listen, u.a. LSF (9,91%), FLÖ (6,54%), Uni und linker Erdrutsch 9 Aktion 24 Vereinte Grüne Österreichische Studenten (VGÖS Ökologische Liste (0,73%) in der ÖH Kommentar: Mautz & 10 4 44 Aktion (3%), Fraktion Theologie (2%), Team Innsbruck – 3,7%), Linke Alternative Liste (1,8%)25 verschiedene verschiedene Listen, u.a. LSF (5,3%) u. FLÖ (5,4%) Weinberger Wahlergebnisse und Vor- (3,6%) Listen, u.a. Die Rebellen von Liang Shan Po (3,4%), Liste 45 verschiedene Listen, u.a. LSF (3,42%) u. FLÖ (6,69%) sitzende 11 Liste Marlene Streeruwitz (1,8%), Liste unabhängiger Theologischer Fakultäten (1,8%) Uni im Wandel der Zeit Studentinnen (0,9%), Liste kommunistischer Hochschu- 26 JES (12,2%), Verein christlicher und demokratischer Feminismus und ÖH lorganisationen (LKH, maoistisch – 5%), Gruppe revo- Studenten (0,76%) Mandatsverteilung lutionärer Marxisten (GRM, trotzkistisch – 2,9%), Club 27 VGÖS (2,96%), Alternative Basisliste (5,7%), Ökolo- Bundesvertretung Protest und Vertretung ÖH-Wahlen 2005 sozialdemokratischer Studenten (Grazer VSStÖ-Abspaltung gische Liste (0,84%), Die Grüne Alternative (1,01%), Zukunft der ÖH Arbeit – 2,5%) 28 verschiedene Listen, u.a. Fachschaftsliste (2,81%), Die unabhängig RFS 1 Chronologie 12 Forum Innsbruck (5,5%), Demokratische Studenten Un- Rebellen von Liang Shan Po (1,7%) u. Grüne (1,43%), ein- LSF 1 KSV 1 Anhang ion (5,8%), Junge Europäische Studenteninitiative (JES er rechtsextremen Tarnliste, aufgrund derer die ÖH-Wahlen – 7%), Neue Mitte (1,4%) 1987 für ungültig erklärt wurden und mit den nächsten VSStÖ 16 13 LKH (4%), GRM (2,4%), Offensiv links (0,9%), Fraktion Wahlen 1989 formal wiederholt wurden FLÖ 12 Theologie (1,6%), Aktion Kritische Theologie (0,6%) 29 JES 14 JES (10,2%), Forum Graz (2,4%) 30 VGÖS (6,5%), Alternative Basisliste (4,5%), ökologische 15 Aktion Neue Rechte (rechtsextrem – 1,2%), LKH (3,3%), Liste (1,8%) AG 15 GRAS 15 GRM (3,2%), Fraktion Theologie (3,2%) 31 verschiedene Listen, u.a. Fachschaftsliste (6,4%), Al- 16 JES (14%), Studentenforum Graz (6%), Österreichisches ternative Theologie (2,2%), Die Rebellen von Liang Shan Studentenforum (0,8%) Po (1,6%) 17 incl. Ring freiheitlicher Studenten Graz (1,25%) u. Un- 32 JES (5,18%), ÖSU (0,77%) Wahlbeteiligung 30,5 Abb. 26 Abb.

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ÖH-Vorsitzende 1945-2005 Bundesvorsitzende der Österreichischen HochschülerInnenschaft

1945-1946 Rudolf Wengraf (parteilos) 1997-1999 Wolfgang Gattringer (AG) 1946-1947 Karl Leutgeb (FÖST1 / Union2) 1999-2001 Martin Faißt (AG) Anmerkung 1947 Fritz Köhler (FÖST / Union) 2001-2003 Anita Weinberger (GRAS8) und 1947-1949 Franz Bauer (Union) Andrea Mautz (VSStÖ) Der erste ÖH Vorsitzende wurde von 1949-1951 Alexander Kragora (Union) 2003-2005 Barbara Wittinger (GRAS) und einem aus Fraktionen zusammenge- 1951-1954 Norbert Burda (Wahlblock3) Patrice Fuchs (VSStÖ) setzten Gremium entsandt. Seit dem 1954-1955 Günther Wiesinger (Wahl- 2005-2007 Rosa Bernadette Nentwich- 19. November 1946 finden die ÖH- block) Bouchal (GRAS) und Barbara Blaha Wahlen alle 2 Jahre statt. Der – bzw. 1955-1957 Alfred Wittmann (Wahlblock) (VSStÖ) seit 1995 auch die – ÖH-Vorsitzende 1957-1959 Herbert Mauser (Wahlblock) wird nach der Wahl von der Mehrheit 1959-1961 Ludwig Koller (Wahlblock) Endnoten der MandatarInnen des Zentralauss- 1961-1963 Hans Blaickner (Wahlblock) 1 FÖST = Freie Österreichische Studenten- chusses (bis 1997) bzw. der Bundes- 1963-1965 Heinzpeter Thiel (Wahlblock) schaft vertretung (seit 1999) gewählt. In 2 1965-1967 Hermann Kert (Wahlblock) Union = Union Österreichischer Akademiker der Geschichte der Österreichischen 1967-1969 Sepp G. Bieler (Wahlblock) 3 Wahlblock = Wahlblock Österreichischer HochschülerInnenschaft fanden Vor- 1969-1971 Max Ortner (ÖSU4) Akademiker sitzwechsel allerdings nicht nur nach 4 1971-1972 Ernst Streeruwitz (ÖSU) ÖSU = Österreichische Studenten Union Wahlen, sondern auch zu anderen 1972-1974 Hubert Pototschnigg (ÖSU) 5 DSU = Demokratische Studenten Union Zeitpunkten, etwa aufgrund dies- 1974 Georg Schneider (ÖSU) (ÖSU-Abspaltung) bezüglicher innerfraktioneller Ent- 5 6 1974-1975 Stefan Kekeiss (DSU ) AG = Aktionsgemeinschaft scheidungen statt. 1975-1976 Georg Schneider (ÖSU) 7 VSStÖ = Verband Sozialistischer Studentin- In den GRAS-VSStÖ-Koalitionen seit 1976-1977 Georg Karasek (ÖSU) nen und Studenten Österreichs 2001 fungieren die Vorsitzenden als 8 1977-1979 Fritz Pesendorfer (ÖSU) GRAS = Grüne und Alternative StudentIn- Team, wobei jedoch formal jeweils 1979-1981 Fritz Lennkh (ÖSU) nen eine die Position der Vorsitzenden 1981-1983 Josef Stockinger (ÖSU) und die andere die Position der er- 1983-1985 Herbert Rainer (AG6) sten Stellvertreterin einnimmt. Nach 1985-1987 Michael Goldinger (AG) einem Jahr der zweijährigen Periode 1987-1989 Stefan Szyszkowitz (AG) wechseln die beiden formal die Plätze. 1989-1991 Walter Marschitz (AG) Dem ungeachtet sehen sich die beiden 1991-1993 Thomas Frad (AG) als Vorsitzteam und arbeiten auch als 1993-1995 Markus Kaiser (AG) solches. 1995-1997 Agnes Berlakovich (VSStÖ7)

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Die ÖH, ihre Vergangenheit und Gegenwart – ÖH und Demokratie Geschichte der ÖH Vorgeschichte Aus der Feder eines Betroffenen 1940er: Aufbau studen- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger 1950er: Soziale Lage und Wendelin Schmidt-Dengler Studiengebühren Kommentar: Fischer 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz 1. Vorspiel: Die sechziger Jahre mit dem RFS das Sagen, auch in der großen Damals war alles anders, und manches und „1968“ philosophischen Fakultät von damals. Die scheint heute schier unglaublich. Das Mas- Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Als ich mich anschickte, diesen Artikel Vertreter dieser Fraktionen waren mir meist senstudium der Germanistik bot wenig Mitbestimmung in der Universität zu schreiben, wurde mir mit Schrecken unsympathisch, und als manche von ihnen Anziehendes; wir saßen bei den Vorlesun- Kommentar: Streeruwitz bewusst, wie wenig ich von der Öster- dann später als Funktionäre in den Reihen gen in den letzten Reihen des Auditorium 1980er: Neue soziale Bewegungen reichischen Hochschülerschaft wusste der zugehörigen Partei wiederkehrten, noch Maximum, hörten kaum zu, denn es gab ja Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst und weiß. Ich gestehe, dass mich die Or- unsympathischer. Der Verdacht, dass man in Skripten, die die Hochschülerschaft her- Kommentar: Berlakovic ganisation von Organisationen schrecklich der Hochschülerschaft die Parteikarriere im stellte, und deren Studium genügte, um die 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch langweilte, dass mir die sich im Rahmen Sandkasten proben konnte, ist so unberech- Prüfungen mit Anstand zu bestehen (Dass in der ÖH Kommentar: Mautz & einer der existierenden Parteien organis- tigt nicht. diese Skripten allerdings einen höchst be- Weinberger ierenden Studenten suspekt waren, dass denklichen Rückschluss auf die fachliche Wahlergebnisse und Vor- sitzende ich mich auf das Studium konzentrierte Qualifikation ihrer Verfasser zuließen, sei Uni im Wandel der Zeit und die politischen Fragen, die mich hät- am Rande vermerkt. Man konnte immerhin ten interessieren müssen, zumindest für die bei deren kritischer Revision einiges für sich Feminismus und ÖH Zeit meines Studiums von 1960 bis 1965, lernen, und so sei der Hochschülerschaft Protest und Vertretung suspendiert sehen wollte. Ich war damit doch noch ein später Dank abgestattet.) Zukunft der ÖH Arbeit kein Einzelfall in dieser Zeit, der noch der Eine akademische Karriere schien undenk- Chronologie ganze Charme des Wiederaufbaus und des bar, man betrachtete die ProfessorInnen Anhang steigenden Wohlstandes anhaftete und in und AssistentInnen als auserwählte Wesen, der ein positives österreichische Selbstver- die durch einen geheimnisvollen Vorgang zu ständnis zwar belächelt wurde, aber doch diesen Würden gelangt waren. Die Hierar- einigermaßen ungeprüft passieren konnte. chie der Universität schien uns zwar nicht Die Hochschülerschaft war mir mehr oder als etwas Gottgewolltes, sondern eher als weniger egal; ich zahlte den Mitglieds- etwas Verhängtes, als ein von anonymen Au- beitrag und ging jedes Mal wählen. Ich toritäten bestimmtes Verhängnis. Von den habe die Kommunisten gewählt; mir kam Professoren, die während meiner Studienzeit das ebenso kühn wie unverfänglich vor: am Institut für Germanistik lehrten, waren Die hatten keine Chance, denn schließlich mit einer Ausnahme alle Parteimitglieder hatte damals der sogenannte „Wahlblock“ 27 Abb. (gewesen), und die Ausnahme war beileibe

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kein Linker. Es hatte zwar in den fünfziger als Politiker im besten Sinne bewähren soll- auch Impulse, die nahezu allesamt von den Jahren einige heftige Proteste gegeben, ten. Die Farbentragenden schlugen zu, und Studierenden ausgingen. Wir Assistenten als mit Heinz Kindermann jemand auf den es gab einen Toten. wurden des öfteren zur Beobachtung dieser Lehrstuhl für Theaterwissenschaft berufen sich oft bis nach Mitternacht hinziehenden wurde, der sich in der Nazizeit – vorsichtig 2. Abgesang auf einen Mythos: 1968 Versammlungen ausgesandt, ein Umstand, formuliert – einigermaßen exponiert hatte. der einiges zu meiner Umerziehung beitrug. Aber Proteste gegen die Zustände an dem Ich gehörte plötzlich zu den Auserwählten; Ein besonders begnadeter Assistent mel- Institut und die Berufungspolitik von stu- ein eben ernannter Extraordinarius, Werner dete sich einmal bei einem solchen Sit-In dentischer Seite oder von der ÖH sind mir Welzig, fragte mich Ende 1965, ob ich nicht zu Wort: „Mich hat Professor XY hierher ge- aus der ersten Hälfte der sechziger Jahre bei ihm Assistent werden wollte, und dies schickt...“ Er wurde gnadenlos ausgebuht. nicht gegenwärtig. Es hatte die Macht der obwohl ich nicht in Germanistik, sondern in Es gab Happenings, und in Wien war eher Gewöhnung an das Bestehende gesiegt. Mit Klassischer Philologie promoviert hatte. Es „Happy Art and Attitude“ (Wolfgang Bauer wachsendem Unbehagen registriere ich bei gab kein kompliziertes Auswahlverfahren; und Gunter Falk) und nicht politische In- diesem Rückblick, wie viel wir uns damals ich hatte Glück, und für die Chance, die doktrination angesagt. Bei der Inaugura- gefallen ließen. Und es war nicht die Hoch- sich mir bot, bin ich meinem damaligen tion im Herbst 1968 zog zugleich mit dem schülerschaft, die im Frühling 1965 gegen Chef heute noch dankbar. Im Dickicht der akademischen Senat auch eine Schauspiel- das Unwesen, das ein Historiker namens heutigen Bewerbungskultur hätte ich kaum ertruppe in Talaren in den Großen Festsaal Taras Borodajkewycz an der (damaligen) Aussichten. Ich wurde Assistent und hatte ein und verstreute Confetti. Man wollte Hochschule für Welthandel trieb, protesti- daher eine hohe Meinung von mir. Doch den Rektor an seiner Ansprache hindern, erte; es war dies die Sache einiger linker zugleich wurde an der Universität alles und bedachte auch nicht, dass man in Studenten, deren Sprecher auch später sich anders, und das war mein Glück, denn ich seiner Person gerade jemanden traf, der begann mir selbst fragwürdig zu werden. ein Opfer des Nationalsozialismus war und Die Unruhen um Borodajkewycz waren nur der in seiner Rede sehr beherzigenswerte ein kleines Vorspiel gewesen; es wurde un- Gedanken über das Verhältnis von Theorie ter den Studenten unruhig im legendären und Praxis vorbrachte. Doch zum genauen Frühling von 1968. Es fällt mir heute schw- Hinhören fehlte die Bereitschaft damals, er, diese Epoche nicht zu glorifizieren, vor und zwar allenthalben. Im Frühjahr 1971 allem wenn ich sie gegen die Gegenwart drangen Studenten in den Sitzungssaal der halte. Wir wurden nahezu alle umerzogen; Philosophischen Fakultät ein, um gegen die dass es so nicht sein musste, wie es war, Berufung eines Professors zu protestieren. wurde selbst den Trägen und Stockkonserv- Im Handgemenge sollen sich Professoren ativen einsichtig. Viele, auch Professoren, als überlegen erwiesen und die Protestierer kochten ihr revolutionäres Süppchen und hinausgedrängt haben. Den Vorfall nahm witterten ihre Chance, um mit progres- die damalige Wissenschaftsministerin Herta Abb. 28 Abb. siven Phrasen auf den Lippen zu Trägern Firnberg zum Anlass, sich entschieden von Alte Männer mit schweren Ketten: Die Universität vor 1975 des Fortschritts zu avancieren. Doch es gab Protestaktionen dieser Art zu distanzieren.

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Zu hoffen ist, dass die Prinzipien, die ihn ÖH und Demokratie

damals bestimmten, nun zum Tragen kom- Geschichte der ÖH men. Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- 3. Geordnete Verhältnisse: tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Das UOG 1975 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren Kommentar: Fischer Mit dem Jahr 1975 wurde ein Gesetz wirk- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz sam, das die Mitbestimmung der einzelnen und „1968“

Abb. 29 Abb. an den Universitäten beschäftigten Grup- Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Ohne Worte: Neues Institutsgebäude, Wien, 2002 pen regelte. An der Drittel- und Viertelpar- Mitbestimmung in der Universität ität wurde viel herumgemäkelt, man musste Kommentar: Streeruwitz In den Instituten wurde, ehe das UOG 1975 jeglichen Dialog und wurden nach einem sich auf die Suche nach konsensfähigen 1980er: Neue soziale Bewegungen erlassen wurde, Demokratie geprobt. Es halben Jahr abgewählt. Personen machen, und die waren meist Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst gab Institutsversammlungen, in denen Die ÖH ist wohl kaum die bewegende Kraft im Mittelbau zu finden. Die Jahre des UOG Kommentar: Berlakovic viel diskutiert wurde und Studienpläne gewesen; sie scheint vielmehr auf den 1975 waren an den österreichischen Univer- 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch zur Diskussion standen. Mir wurde damals fahrenden Zug aufgesprungen zu sein. Die sitäten die große Zeit des Mittelbaus, und in der ÖH Kommentar: Mautz & mein eigenes Fach fragwürdig, und das Zeit von 1968 bis zum UOG 1975 waren in der Ära Kreisky hatte es den Anschein, Weinberger Problem der „sozialen Relevanz“ unseres die Jahre, in denen die studentische als würde dessen Sonne niemals unterge- Wahlergebnisse und Vor- sitzende Tuns und Lassens als Philologen habe ich Mitwirkung sich nachhaltig in die Annalen hen. Ich kenne viele Kollegen aus diesem Uni im Wandel der Zeit bis heute nicht lösen können, betreibe der Geschichte nicht nur der Universität Mittelbau, die fast ihre ganze Laufbahn aber meine Disziplin weiter, in der Hoff- Wien eintragen konnte. Wir neigen dazu, der Lehre oder der administrativen Arbeit Feminismus und ÖH nung doch einmal die richtige Antwort zu diese Zeit zu verklären; das ist eine Folge in den Studienkommissionen und in der Protest und Vertretung finden. Das schlechte Gewissen, das uns des Alterns und typisch für den Umgang mit Institutskonferenz opferten. Die Profes- Zukunft der ÖH Arbeit damals eingeimpft wurde, sollte uns nie der eigenen Biographie: Die Zeit, da man sorenkurie war froh, dass man ihr diese Chronologie verlassen und auch den an den Univer- sich selbst veränderte, will man zur Ep- Last abnahm, zugleich ergab sich daraus Anhang sitäten Lehrenden sollte bewusst werden, ochenschwelle erheben. Manche Achtund- für sie später der willkommene Anlass, dem wie privilegiert ihre Position ist. Die sechziger lieben es noch heute, sich als Mittelbau pragmatisierte Immobilität vor- Studierenden schienen ganz offenkundig Heroen zu stilisieren, so als hätten sie bei zuwerfen und ihn als wissenschaftliches das Interesse an den Umwälzungen und Marathon gekämpft. Das nimmt man ihnen Brachland zu bezeichnen. Mag sein, dass es an den organisatorischen Aufgaben zu kaum ab, sind doch die meisten gut integri- da einige Müßiggänger gab und gibt, ich verlieren; es ging auch die Wahlbeteili- ert und von jenem System getragen, dessen habe sie aber in einem weitaus größeren gung zurück, und so kam es, dass 1971 Grundlagen sie zu erschüttern meinten. Ein- Prozensatz in der Professorenkurie an- eine radikale Gruppe in Ermangelung von er der führenden Köpfe der Wiener Studen- getroffen. Es war leicht, die gremial organ- Alternativen als Studentenvertretung tenbewegung, dessen strategische Umsicht isierte Universität in Verruf zu bringen. Viel gewählt wurde. Es waren düstere Gesellen, und Formulierungsgabe ich bewunderte, ist Zeit ging mit Sitzungen drauf, es kam zu kann ich mich erinnern; sie verweigerten heute Sektionschef in Gehrers Ministerium. Klüngelbildungen und unheiligen Allianzen

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pen eine meist begrüßenswerte Aktivität, aber höchst langsam „implementierte“ UOG nicht selten in offenem Konflikt mit der ÖH. 1993 ließ ahnen, was auf uns zukommen In jedem Falle erwiesen sich die hochschul- sollte. Der Schüssel-Haider-Pakt aus dem politischen Aktionen der Studierenden dann Jahr 2000 hatte, neben vielen anderen un- als besonders sinnvoll, wenn sie sich an den seligen Auswirkungen, auch das UG 2002 fachlichen Interessen orientierten und für zur Folge, das offenkundig der Devise Jörg Dynamik innerhalb der Institute sorgten. Haiders, es solle kein Stein auf dem andern Ich gebe zu, dass diese Aktionen nicht im- bleiben, zu danken war. Das von seinem mer angenehm waren, aber anregend waren Schöpfer als Jahrhundertwerk deklarierte sie allemal. Österreich hatte mit dem UOG UOG 1993 hielt weniger lange vor als das 1975 ein im Vergleich zum Ausland fort- Tausendjährige Reich und wurde schle- schrittliches Gesetz; einige Verbesserungen unigst durch ein neues Jahrhundertwerk

Abb. 30 Abb. waren gewiss von Nöten, aber man hätte ersetzt. Auch dagegen wäre nichts zu sagen die positiven Ansätze, die in der gremialen gewesen, wären die Defizite des alten Ge- quer durch die Kurien, aber es gab auch – so Kontrolle begründet sind, ausbauen müs- setzes klar definiert worden und wären ganz im Gegensatz zu heute – ein Gespräch sen. Österreich sei, sagt Robert Musil, der daraus die notwendigen Verbesserungen ab- über die einzelnen Kurien hinweg. Der Vor- fortgeschrittenste Staat gewesen, ohne es geleitet worden. Es sei, so wurde ich bele- wurf, Studierende hätten bei so wichtigen allerdings selbst zu wissen. Das galt auch hrt, darum gegangen, die österreichischen Entscheidungen wie bei Berufungen auf für das UOG 1975. Universitäten der europäischen „Studien- Grund mangelnder Kompetenz nichts ver- architektur“ anzupassen. Wenn es darum loren, ist töricht. Zunächst einmal sind sie 4. Endspiel: Weltklasseuni geht, unsinniges Vorgehen zu verteidigen, diejenigen, die die Folgen der Besetzungen ist Europa immer für eine Ausrede gut. zu tragen haben, und zweitens waren die Mag sein, dass mich wieder die eigene Ich rekapituliere kurz: Gegen Ende 2001 er- Studierenden in den Kommissionssitzungen Biographie zur Verklärung verleitet. Ich hielten alle Funktionsträger den Auftrag, im meistens oft viel besser vorbereitet als die wurde in der Zeit des UOG 1975 zunächst Amte zu bleiben, und zwar bis zum Herbst professoralen Mitglieder, ja oft auch als die außerordentlicher, später ordentlicher Pro- 2002, weil dann würde das neue UG 2002 des Mittelbaus. Für eine geordnete Abwick- fessor. Mag sein, dass ich auch nicht wahrg- zum Zuge kommen und eine Neuordnung lung der Agenda auf Institutsebene war enommen habe, wie die österreichischen eintreten; das betraf Institutsvorstände gesorgt, vielleicht waren die Spielräume et- Universitäten im Vergleich zum Ausland und Studienkommissionsvorsitzende, für die was zu eng, aber die Kontrolle tat allen gut. ins Hintertreffen gerieten. Wenn ich jedoch Verwaltung und den Studiengang wichtige Mag sein, dass die Paragraphenreiter sich in meine höchst konkreten Erfahrungen aus Positionen. Das wurde meist kommentarlos dieser Phase voll entwickeln konnten und den letzten sechs Jahren mit den rund hingenommen, manche traten zurück, man- mit Nebensächlichkeiten manche Initiative zwanzig Jahren vergleiche, die wir unter che ließen sich neu wählen, manche blieben im Keim erstickt wurde, aber solche Defizite dem UOG 1975 zu agieren hatten, so kann einfach im Amt. Kurzum, auf Wahlen wurde hätten sich wohl beheben lassen. Von stu- ich nur zum Lob des Vergangenen ansetzen. verzichtet; auch diese Korrosion demokra- dentischer Seite entfalteten die Basisgrup- Das unerhört schnell verabschiedete, dann tischer Grundlagen wurde kaum kommenti-

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Beginn 2000 als Institutsvorstand im Amt sondern ein lähmender Stillstand, der durch ÖH und Demokratie und konnte beobachten, wie dieses Chaos Begriffsplunder kachiert werden soll. Geschichte der ÖH Vorgeschichte zunehmend alle Mitarbeiterschichten der 1940er: Aufbau studen- Universität demotivierte: ProfessorInnen, Was als großes Reformwerk im Zeichen der tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Mittelbau, Studierende und das sogenan- Qualitätssicherung begonnen wurde, hat 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren nte nichtwissenschaftliche Personal. Wäre für alle Beteiligten ein Mehr an unnötiger Kommentar: Fischer ein Privatbetrieb so geführt worden, wäre Administrationsarbeit gebracht. Dagegen 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Abb. 31 Abb. der Ausgleich unausweichlich gewesen. waren die Komplikationen beim UOG 1975 und „1968“ Kommentar: Sperl ert. Es ging einfach irgendwie weiter, ohne Um den Studien- und Lehrbetrieb nicht zu ein Kinderspiel. Zu diesem wird man nicht 1970er: Demokratie und dass für heikle Verfahren wie die Besetzung gefährden, machten wir alle, unbedankt einfach zurückkehren können, doch man Mitbestimmung in der Universität von Gastprofessuren und Neubestellung von wohlgemerkt, weiter. Die Lehrenden le- wird diesen Punkt aufsuchen müssen, an Kommentar: Streeruwitz 1980er: Neue soziale Assistenten Durchführungsbestimmungen hrten, die Studierenden studierten, so als dem die Weichen falsch gestellt wurden. Bewegungen erlassen worden wären. Stellen wurden kaum ob nicht durch den Wahrspruch des Rek- Und dies ist eindeutig mit der Regierungs- Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst nachbesetzt, das Rektorat der Universität torats alles in Frage gestellt werden kön- bildung von 2000 gegeben. Um sich vor Kommentar: Berlakovic 2000er: Gegenreform an der Wien hüllte sich in olympisches Schweigen nte. Man änderte die Namen; aus Fakultäten der Bevölkerung zu beweisen, verfiel die Uni und linker Erdrutsch und sagte, es würde an einem Organisation- wurden Organisationseinheiten, aus Insti- neue Regierung einem Reformfuror, und in der ÖH Kommentar: Mautz & splan arbeiten. Man wehrte sich gegen den tuten wurden Subeinheiten, aus der Studi- die Universitäten waren die ersten, die Weinberger Wahlergebnisse und Vor- „Instituts-partikularismus“; die funktion- enkommission eine Studienkonferenz. Auch dran glauben mussten, ein willkommenes sitzende ierenden Institutskonferenzen wurden auf- Institutskonferenzen gibt es da und dort und vergleichsweise unspektakuläres Ex- Uni im Wandel der Zeit gelöst, ohne dass an ihre Stelle vergleich- mit studentischer Mitbestimmung, einfach erzierfeld, auf dem neue und autoritäre bar befugte Organe getreten wären. Man um auf eigene Faust für den geregelten Ab- Praktiken erprobt werden konnten. Dass Feminismus und ÖH arbeitete vielmehr an der Entwicklung von lauf der Institutsgeschäfte zu sorgen. Auch Frau Gehrer einen „starken Rektor“ her- Protest und Vertretung Grauzonen. Sogar das Wort „Ermächtigung“ Fakultätssitzungen gibt es wieder, die aller- beisehnte, verrät die Gesinnung, die dieser Zukunft der ÖH Arbeit kursierte in diesem Zusammenhang, ohne dings meist eine so gut wie ganz diskus- „Reform“ zugrunde liegt. Eine Reform dieser Chronologie dass das Papier errötete. Die ProfessorInnen sionsfreie Beratungsstunde sind, in der der Reform könnte von der ÖH ausgehen; das Anhang schienen in ihre Rechte von einst, also vor jeweilige Dekan versucht, den neuen Verord- ist, meine ich, ihre historische Mission in 1968, kommentarlos wieder eingesetzt zu nungen des Rektorats Sinn abzugewinnen. der nahen Zukunft. sein, und es gab in der Tat einige, die sich Besonders haarsträubend sind die im Gesetz über diese Entwicklung erfreut zeigten. Man vorgesehenen Prozeduren bei Berufungs- hatte Euphemismen parat: Es ging um den und Habilitationsverfahren. Keine Reform, „Rückbau“ der gremialen Einrichtungen. Höchst originell mutet der Ersatz von „Mit- Wendelin Schmidt-Dengler begann 1960 sein Studium der Klassischen Philologie und bestimmung“ durch „Mitsprache“ an, ein Germanistik in Wien. Seit 1989 ist er ordentlicher Professor in Wien und derzeit Insti- Einfall, der so gut ist, dass er nur aus dem tutsvorstand der Germanistik auf der Uni Wien. 1994 gewann er den Österreichischen Umkreis der Frau Bundesministerin oder gar Staatspreis für Literaturkritik. von ihr selbst kommen kann. Ich war seit

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‚Du hast mich neulich gefragt....’ Ein fiktiver Brief zu den Anfängen der feministischen Arbeit in der ÖH Birge Krondorfer

Liebe Aruf! Zeit mehr hatten weiter zu reden – und landete um dort für zwei Semester Philos- ich im Moment etwas Luft habe – möchte ophie und Gruppendynamik2 zu studieren, Du bist nun Frauenreferentin geworden. ich dir auf diesem Weg aus meiner persön- fragte ich mich zuerst, wo ich da eigentlich Weil Du dich nach der Teilnahme an di- lichen Perspektive von diesen Zeiten ein gestrandet bin. Wohnend im katholischen versen sobenannten Genderlehrveranstalt- bisschen berichten, und diese Erzählung, Studentenheim der Pädagogischen Akad- ungen irgendwie unwohl fühltest. Du mein- wenn du erlaubst, mit ein paar Zitaten von emie, wo für Frauen Männerbesuche ver- test, du konntest dich einem zunehmend mir selber und von anderen Frauen aus und boten waren und auch Freundinnen sich steigenden Unbehagen nicht erwehren: auf zu dem Kontext garnieren. nach 23 Uhr nur heimlich einschleichen der einen Seite zwar sehr viel an Theorien durften, machte ich dort selbst Bekannt- gelernt zu haben und das ist super, aber Von Anfang an. und Freundschaft mit ‚typischen’ Kärt- dass da auf der anderen Seite eine Art nerinnen: sie studierten Volksschullehre- Leere sich aufgetan hat, die, so kamst du „Als im November 1979 der männlich und rin, kleideten sich oft in Kärntner Dirndeln mit der Zeit dahinter, etwas damit zu tun politisch ‚links’ dominierte Hauptausschuss und hatten zum Teil Verwandtschaft im hat, dass es nicht reicht, auf der Uni nur der Österreichischen Hochschülerschaft Kärntner Heimatdienst. Bis ich mal kapi- zu ‚konsumieren’ und dass es überhaupt zu Klagenfurt ein Frauenreferat installierte, ert hab, was das eigentlich heißt; ebenso wenig ist bloß das eigene Bewusstsein zu war dies die erste Studentinnenvertretung war die ‚neue’ Sprache zu lernen (ich hab vermehren und nichts sonst damit zu tun. auf Referatsebene in Österreich.“1 z.b. Monate gebraucht, um zu fragen, was So hast du also beschlossen dieses ‚Amt’ ‚Haberer’ bedeutet). Inbegriffen war auch mit anderen Frauen zu übernehmen für eine Wie war es – wie bin ich – dazu gekom- das Erstaunen, dass auf der Uni z.T. im gewisse Zeit, um an dem Ort, der gerade men? Dialekt gesprochen wurde. Die Verwirrung dein Leben am meisten bestimmt, poli- stieg, als ich auf KollegInnen stieß, die tisch zu handeln. Und während eines Ge- Als ich im Wintersemester 1979 (mit noch politisch alternativ und kritische Intelle- sprächs hast du mich neulich gefragt, wie 22 Jahren) durch ein Stipendium des Deut- ktuelle waren, in einer Weise, die ich vor- denn das damals uns so erging, als ich vor schen Akademischen Austauschdiensts von her nicht kannte – wer hätte das gedacht fünfundzwanzig Jahren Frauenreferentin Frankfurt/Main in der Universität für Bil- in der ‚Provinz’. ‚Echt cool’, würde man der ÖH in Klagenfurt war. Und da wir keine dungswissenschaften (UBW) Klagenfurt heute wohl sagen. Ja, in Klagenfurt bzw.

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Kärnten zu leben, das war schon sehr wid- Geschlechterverhältnisses, dass man sich ich heute den StudentInnen vermittle, ist ÖH und Demokratie ersprüchlich, aber gerade dies machte es da kundig macht und wirklich auch an der einerseits natürlich dem Studium gezollt, Geschichte der ÖH wohl auch so spannend. Die sieben Jahre, Universität was tun will. Es war der Beginn aber andererseits von den selbsterarbe- Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- die ich dort studiert habe, gehören zu den einer Auseinandersetzung mit den damali- iteten Sachen.4 tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger positiv prägenden meines Lebens. gen vorhandenen feministischen Theorien, 1950er: Soziale Lage und die in keinem Ausmaß zum Vergleichen sind Ja und um es noch etwas deutlicher zu Studiengebühren Kommentar: Fischer Und was war dein Beweggrund, dass du mit heute. Das fing alles gerade an. ... Es machen, welche Problemlagen uns be- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz dich für Feminismus interessiert hast? gab so zwei Arten Literaturen. Es gab die schäftigten, möchte ich dir hier etwas und „1968“ eine Literatur, die auf Erfahrungen rekurri- zitieren, was ich – besonders der dama- Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Interessanterweise traf ich in Klagenfurt ert hat...die Aufbruchsliteratur, die viel bi- ligen Zeit geschuldet – in einer kürzlich Mitbestimmung in der 5 Universität eben auf diese Unifrauengruppe, die hatte ographische Geschichten erzählt hat. Und erschienen kleinen Publikation formuliert Kommentar: Streeruwitz sich gerade konstituiert. ... Irgendwie habe es ging los mit den ersten Übersetzungen habe: „Wir waren eine Plage und haben 1980er: Neue soziale Bewegungen ich gespürt, das wär’s. In Frankfurt gab es der französischen Theoretikerinnen. Hoch- uns mit allem geplagt; mit: den Körpern, Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst einen der berühmtesten Frauenbuchläden theoretisches: Cixous, Kristeva, Irigaray. den Küchen, den Kirchen, den Kindern, Kommentar: Berlakovic und lauter solche Sachen. Aber politisch Auch in der Gruppe gab es diesbezüglich den Kerlen, den Knästen, den Kanzeln, 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch war ich in einer anderen Szenerie. Dann unterschiedliche Tendenzen. ... Mein femi- den Köpfen, den Kälten, den Künsten, in der ÖH Kommentar: Mautz & ging es wirklich Schlag auf Schlag. Ich nistisches Pfingsten war ein Text von Luce den Käufen, den Kriegen, den Kantianern, Weinberger glaube ich bin innerhalb von acht Wochen Irigaray, ‚Das Geschlecht, das nicht eins den Kulturen, den Klassen, den Klagen, Wahlergebnisse und Vor- sitzende zur Feministin geworden. ... ist’. Da fiel es mir wie Schuppen von den den Kassen, den Kaschemmen, den Ka- Uni im Wandel der Zeit Augen. Ich habe das Gefühl gehabt, es pitalisten, den Kranken, den Klugen, den Welche Themen waren euch wichtig? wird mir wirklich was klar – an irgendeiner Kasernen, den Kakophonien, den Kunden, Feminismus und ÖH Form von Unbehagen. Diese ganze Theo- den Kaisern, den Kosten, den Kanälen...“ Protest und Vertretung

Es waren alles Themen, die die Frauen- rie hat mich dementsprechend angefangen Zukunft der ÖH Arbeit bewegung zehn Jahre vorher angefangen zu interessieren. ... Wie gesagt, es gab Konfrontationen mit Begriffen wie Sex- Chronologie hat. ... die ganze Auseinandersetzung, damals gar nichts. Wir haben alles selbst ismus, Gewalt an Frauen (die ersten Anhang was ist Hetero, Lesben... es war so eine gelesen, diskutiert und erarbeitet. Die Eth- Frauenhäuser sind damals entstanden), Mischung, sich überhaupt mal dem Thema nopsychoanalytikerin Maya Nadig war die Sexualität, Frauenräume, Patriarchat, anzunähern. Alle, die da saßen, wollten allererste feministische Lehrbeauftragte, Frauenpolitik (Johanna Dohnal ist damals irgendwas mit dieser Frauengruppe. Wir die ich in meinem Leben gesehen habe.3 erste Frauenstaatssekretärin geworden haben, nachdem es nichts gab, das Thema Wir haben sie alle geliebt. Endlich ist je- und die ‚große Familienrechtsreform’ war Feminismus selber erarbeitet. ... Wir haben mand da, die gescheit war und konfronta- gerade mal ein Jahr alt), Kritik an bürger- zum Teil gelesen, wir haben Selbster- tionsfreudig; wir haben wegen ihr auch ein lichen Weiblichkeitsimagines und gleich fahrung gemacht, also über uns und unser Abschiedsfest veranstaltet. Es war immer mal die Unterscheidung zwischen linkem, Leben geredet, was biographische Konsti- zwischen privat und öffentlich. Wir waren bzw. sozialistischem Gleichheits- und au- tutionen ausmachen, warum man findet, so hungrig! Es gab weit und breit keine le- tonomen Differenzfeminismus, Kritik am dass die Welt so schräg ist, im Sinne des hrenden Frauen! Viel von dem Wissen, was philosophischen – als männlichen – Sub-

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jektbegriff, ...; all das ging tief und natür- referat zu beantragen. „Wir hatten lange Es gab eine Zeitung, wir haben zum inter- lich nicht alles auf einmal und anfänglich Debatten, wer sich für die Funktion des nationalen Frauentag die Aula reserviert... auch sehr durcheinander. Sehr viele Ausein- Frauenreferats zur Verfügung stellt. Also Wir haben die ersten Frauenfeste an der andersetzungen gab es mit feministischen die Gruppe trägt das Frauenreferat, aber Uni inszeniert – ‚Women only’ – heftige Sprachtheorien. „Modern oder ein sehr wer gibt den Namen her? Und dann woll- Aufregung am Anfang, wie das gehen soll. großes Thema war Frauensprache. ... Ich ten sie das alle nicht. Und ich war noch so Dazu kamen zunehmend Studentinnen aus habe das erste Mal begonnen, über weib- geeicht von Frankfurt, von meinem Funk- der Alternativszene. Die Unifrauengruppe liches Schreiben nachzudenken. Das haben tionärinnensein, und hab gesagt o.k., ich hat sich, würd ich sagen, nach einein- wir mit großem Interesse gelesen. ... Das gebe meinen Namen her. Das war ein ganz halb Jahren aufgelöst und ich stand dann war spannend, weil wir neue Themen in die langer Prozess.“7 Zusätzlich gab es noch da.“9 Ich beschloss dann aus politischem Wissenschaft getragen haben.“6 die Komplikation, dass eine einzelne Frau, Verantwortungsgefühl, die Funktion zu eine Freundin von einer aus der Gruppe, behalten und war dann die ganzen sieben Das Frauenreferat. ebenso plötzlich Frauenreferentin werden Jahre Hauptreferentin mit wechselnden wollte. Und nachdem wir diesen Konflikt anderen Mittuenden unter dem Aspekt der Gleich in den ersten Monaten unserer (d.i. nicht lösen konnten, sind wir alle gemein- Zugehörigkeit zur autonomen Frauenbe- Unifrauengruppe) regelmäßigen und in sam zur ÖH marschiert um zum einen das wegung. „Das Stimmungsbild war, Hand- Privaträumen stattfindenden Treffen, wur- Referat zu beantragen und zum zweiten lungsmöglichkeiten zu suchen, die außer- de die Idee geboren, in der ÖH ein Frauen- dieses (Konkurrenz-)Problem in den Griff halb der klassischen Fraueninitiativen zu kriegen. liegen. Meiner Erinnerung nach haben wir das mit dem Frauenreferat verbunden: Man „Waren die ÖHler einem Frauenreferat nimmt zwar ein Referat in Anspruch, aber überhaupt positiv gegenüber eingestellt?” macht eine andere Form von Politik.“10 Zu der Zeit, ja. ... es war so halb die SP- Wir wollten nicht verwalten, wir wollten Funktionärsklasse8, aber es waren auch produktiv die Uniszenerie verändern, unter wirklich interessierte alternative Men- und mit den Studentinnen, aber auch die schen dabei – es war so eine Mischung. Sie Institution selber. waren etwas verwirrt über unser komisches Auftreten. Sie haben dann vorgeschlagen, „Zahlreiche Veranstaltungen (Lesungen, dass es zwei Frauenreferentinnen gibt. Filmvorführungen, kleinere Arbeitssem- ... Nachdem sie (Anm.: die 2. Frauenref- inare etc.) sowie die Gründung einer erentin), wie wir auch schon, sich rasant Zeitschrift (Zeitschrift der UNI-Frauen- schnell als Feministin verstanden hat – wir zeitungsarbeitsgruppe) sollten zunächst mit Radikalpolitik, Anarchie, also Funda- das Manko einer feministischen Wissen- mentalfeminismus – war sie eben anders schaft in fast allen Fachrichtungen ...et-

Abb. 32 Abb. drauf. ... Wir haben angefangen, öffentli- was ausgleichen. Vor allem aber sollte mit Weil wir nicht so sind wie ihr uns haben wollt! che Veranstaltungen in der Uni zu machen. all diesen und folgenden Aktivitäten das

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Bewusstsein unter der Mehrheit der Studi- chichte, wäre da zum Besten zu geben. Es Professorin an der Uni; Aufruf und Organi- ÖH und Demokratie erenden – ... der Anteil der Studentinnen begab sich zu den Anfangszeiten des Frau- sation zu 8. Märzveranstaltungen in und Geschichte der ÖH (betrug) an die 60 Prozent(!) – für frau- enreferats: wir hatten, da damals in Kärn- ausserhalb der Uni, u.a. von Demonstra- Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- enspezifische Themen und eine feminis- ten sonst nichts für solche Situationen tionen in der Klagenfurter Innenstadt tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger tische Wissenschaftskritik erst geschaffen, existierte, im Referat Beratungsstunden inclusive wilden Frauenfesten – auch mit 1950er: Soziale Lage und bzw. geschärft werden. Ein wesentlicher sowie finanzielle Unterstützung (dies hat- ‚eingeflogenen’ Discomacherinnen aus Studiengebühren Kommentar: Fischer Anstoß dafür bot die erwähnte Zeitschrift, ten wir im Hauptausschuss durchgesetzt, Wien; kommissionelle Arbeit in der studen- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz wo selbstverfasste Artikel über die Leb- wir selber hatte ja kaum ein Budget) für tischen Kurie, also auch im Unisenat; Ko- und „1968“ enssituation von Studentinnen, aber auch Studentinnen (aber auch andere Frauen), operationen mit anderen frauenpolitischen Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und zahlreiche reproduzierte Beiträge aus femi- die abtreiben wollen/müssen, angeboten. Initiativen in Kärnten; Bemühungen um Mitbestimmung in der Universität nistischen – in der hiesigen Bibliothek erst „Das war eine richtig politische Geschich- eine Unikrabbelstube; Einmischungen in Kommentar: Streeruwitz auf Anregung und mittels Unterschrift- te. Nachher hat die Kleine Zeitung im Som- halb/öffentliche inner- und ausseruni- 1980er: Neue soziale Bewegungen enaktionen der Redakteurinnen aufgenom- mer 1982 eine Riesenpressekampagne in versitäre Veranstaltungen; Teilnahme an Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst menen – Zeitschriften gedruckt wurden. ... Kärnten gestartet, mit dem Balken auf der feministischen Symposien, Frauenwochen Kommentar: Berlakovic Diese Studentinnen...versuchten konkret in ersten Seite: ‚Uni Klagenfurt und ÖH finan- etc. nicht nur in Österreich; und immer 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch ihren Studienrichtungen frauenspezifische zieren Abtreibung’ – finanzieren Kindsmord wieder Debatten um die ‚richtige’ feminis- in der ÖH Kommentar: Mautz & Themen einzubringen. Das erfolgte meist sozusagen. Es war im Text so beschrieben, tische Existenzweise und „ob es da eine Weinberger über Literaturlisten (Ankauf von feminis- als würden in den Hörsälen die Frauen Vielfalt oder etwas, das ‚richtiger’ ist, Wahlergebnisse und Vor- sitzende tischer Literatur für die Bibliothek), dem liegen... . Dann bin ich gemeinsam mit gibt“ (Paul-Horn); erste öffentlich gelebte Uni im Wandel der Zeit – oft auf Widerstand stoßenden – Wunsch dem damaligen ÖH-Vorsitzenden zum Re- Frauenbeziehungen und die Ermöglichung frauenspezifische Themen für die jeweilige chtsanwalt gegangen, und wir haben auf von Treffpunkten für (heimliche) lesbische Feminismus und ÖH Lehrveranstaltung auszuarbeiten sowie der Rufmord geklagt – im Sinne der rechtli- Frauen aus dem Hinterland; sowie – auch Protest und Vertretung sukzessive sich durchsetzenden Forderung chen, öffentlichen Klarstellung. Da musste eine Premiere in der ÖHlandschaft – das Zukunft der ÖH Arbeit – unterstützt durch die ARGE Feministische eben der arme ÖH-Vorsitzende mit mir zum erste Frauentutorium (1980/81), an dem Chronologie Wissenschaft – nach frauenspezifischen Rechtsanwalt, weil die ÖH musste ja dafür ich auch aktiv teilgenommen habe: „Ich Anhang Lehrveranstaltungen. So wurde vorwiegend gerade stehen.“12 habe in die Frauengruppe die Idee des von der ‚Basis’ her ein zäher, energischer Tutoriums hineingetragen. ... In der Zeit und letztlich erfolgreicher ‚Kampf’ – im Damits nun aber nicht zu lang wird, möchte war das schon ein Zwiespalt. ‚Soll man Sinne verstärkter Bewusstseinsschaffung ich dir weitere ‚Produktionen’ im Laufe der sich auf institutionelle Gefüge einlassen – geführt.“11 Jahre im und aus dem Kreis der engagi- oder autonom bleiben, draußen bleiben?’ erten Frauen heraus nur noch aufzählen. Es hat eine große Skepsis gegeben. ... Wir Aktivitäten durchs Videoinstallationen von Wiener Künstlerin- waren sechs am Ende übrig geblieben, also und ums Referat herum. nen im Foyer der Uni; Durchsetzung erster eine sehr kleine Gruppe, die sich dem Tu- feministischer Lehrveranstaltungen, z.B. torium widmete. Da waren wir tatsächlich Eine vielleicht für das öffentliche Kärntner mit Eva Meyer (die damals hochberühmt Pionierinnen in Österreich. ... Ein Trainer, Klima typische, fast anekdotenhafte Ges- war13); Kampf um die Berufung der ersten der das Tutoriumsprojekt betreut hat, war

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und vieles mehr, mit allen Frauen, die auf die Uni kommen wollten’, führt die Erzie- hungswissenschafterin Susanne Dermutz aus, die seit Anfang der achtziger Jahre in Klagenfurt lehrt. ...Selbst Frauen ohne Matura durften nun nicht nur die Semin- are betreten, in denen sonst für gewöhn- lich nur das starke Geschlecht das Sagen hatte, sondern auch ihre Lebenswelten als forschungswürdig in die Debatte werfen. ... Natürlich waren bereits die Planun- gen von Unmut begleitet worden. Dieser äußerte sich jedoch nicht in Form eines herrschaftsfreien Diskurses, sondern man setzte damals auf eher archaisch-emotion- ale Störversuche... . So geriet das Über-

Abb. 33 Abb. malen von Veranstaltungsplakaten zum HERRschaftsfreier Raum beliebten Spiel. ... Eines Tages waren die darauf so gar nicht demütigen Frauengest- sehr verärgert, dass er nicht als Trainer Die Frauensommeruniversität alten mit einem nicht einmal künstlerisch genommen worden ist, weil wir eine Frau wertvollen Phallus übermalt.“15 als Trainerin gesucht haben. ... Und dann „Sie erinnert sich noch ganz genau und wollten sie in der ÖH von uns wissen, ob schaut mit einigem Vergnügen zurück: An Die damalige Frauenreferentin des ZA16 wir ausschließlich für Frauen Gruppen diesem heißen Vormittag... bot sich auf – wir kannten uns von österreichweiten machen ... Wir waren für alle Erstsemes- dem Rasen der Universität Klagenfurt ein Frauenreferatstreffen – sprach mich auf ‚ trigen offen...und zuständig für alle Stu- ungewohntes Bild: Um die hundert Frauen einer Dohnalveranstaltung im Frühjahr 85 dienrichtungen.“14 Und last but not least diskutieren, gestikulieren und lachen. Mit- in Wien an – ob wir in Klagenfurt nicht gabs da noch die grandiose, wenn ich dir ten drin steht ein Mann, der wild mit den Interesse daran hätten die Frauensom- das auch solange im Nachhinein noch im- Händen fuchtelnd versucht, sich Gehör meruniversität (FSU) zu organisieren, denn mer stolz so sagen darf, die – von Beate zu verschaffen. Der Hüter von Recht und sie hätten die erste in Wien veranstaltet Ratschiller und mir als Höhepunkt der Ak- Ordnung an der Universität muss ähnlich und das Konzept sei es, dass diese durch tivitäten des Frauenreferats organisierte wie ein Rumpelstilzchen gesprungen sein. die Universitätsstädte wandern sollte. Ich - zweite österreichische Frauensommeru- Denn die internationale Frauenbildungs- habe mir das dann eine zeitlang überlegt niversität im September 1985; diese war bewegung war endgültig auch nach Kla- und in dem Moment, wo ich die Zusage eigentlich auch die erste im Sinne ihrer genfurt gekommen. ‚Da gab es Vorträge, meiner Kollegin und Freundin hatte, dass Bestimmung. Wie das? Arbeitsgruppen, Diskussionen, Workshops wir das gemeinsam durchziehen, sowie die

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Zustimmung der AG Frauenforschung, gings ein Riesending wohl durchziehen könnten; lichen Unkosten, die Fahrtkosten für die ÖH und Demokratie auch schon los. Zuerst mussten wir mit aber schließlich überwog dann wohl doch Vortragenden, Workshopleiterinnen und Geschichte der ÖH der ÖH unser Vorhaben klären, denn wir auch die ‚Verführung’, denn schließlich Kulturschaffenden leisten zu können. (Und Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- brauchten – da wir nur wenig Budget hat- kann sich eine ÖH ja damit anschließend für uns das, was halt übrig bleibt17.) Wir tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger ten (vielleicht kann man sich das analog auch ‚brüsten’. Wir haben dann zu zweit sind bspw. nächtens nach Wien gefahren 1950er: Soziale Lage und der sog. Aufwandtsentschädigung vorstel- wie die Verrückten ca. vier Monate lang (wir hatten kein Auto, nur ein Fahrrad Studiengebühren Kommentar: Fischer len, die frau damals als Referentin erhalten buchstäblich Tag und Nacht geschuftet. und überhaupt kein Geld) um morgens zu 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz hat, nämlich 500 ÖS – also knapp EUR 36 Der Titel lautete: ‚Frauen zwischen Verein- Subventionsverhandlungen zu erscheinen. und „1968“ – pro Semester) ja irgendeine minimale nahmung und Verausgabung. Zum Ver- Die erste dieser Reisen werde ich wohl nie Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Sicherheit um überhaupt anfangen zu kön- hältnis von Gewalt – Herrschaft – Macht vergessen. Sie führte ins Sozialministe- Mitbestimmung in der Universität nen. Wir handelten also, soweit ich mich und Widerstand’ und dauerte eine Woche. rium, zur damaligen Frauenreferentin Inge Kommentar: Streeruwitz erinnere, 10.000 ÖS (= EUR 714) Rückver- Wir haben organisationserfahrungsprak- Rowhani-Ennemoser. „Wir sind dagesessen 1980er: Neue soziale Bewegungen sicherung aus, falls etwas mit weiteren tisch bei Null angefangen: inhaltliche wie die kleinen Häschen und haben den Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Subventionen schief ginge, sowie unbe- Konzeption, Referentinnen aus unserer Mund nicht aufbekommen, weil wir nicht Kommentar: Berlakovic schränkte Telefon-, Post- und Kopierer- Umgebung, aus dem In- und Ausland an- wussten, wie man sich in so einer Situa- 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch laubnis. Sie waren sehr misstrauisch, nicht schreiben (bzw. sich erstmal Tipps holen tion verhält. Sie hat uns dann sozusagen in der ÖH Kommentar: Mautz & nur, weil klar war, dass es ausschließlich über wichtige Frauen – Aktivistinnen und die Würmer aus der Nase gezogen... In die- Weinberger für Frauen war, sondern auch, ob wir so Theoretikerinnen – aus den damaligen ser Sitzung war die Inge total wichtig für Wahlergebnisse und Vor- sitzende österreichischen feministischen Szenen), uns, weil sie uns unterstützt hat, indem sie Uni im Wandel der Zeit Räume auf der Uni reservieren, Plakat und uns gezeigt hat, wie wir eigentlich reden Folder entwerfen und mit Schreibmaschine müssten. Sie hat kapiert, dass da wer was Feminismus und ÖH und Zeichenstift erstellen, Adressenstamm will und allein noch ein bisschen unfähig Protest und Vertretung

aufbauen, tausende Folder postfertig ist. Das ist so wichtig, wenn Frauen, die Zukunft der ÖH Arbeit machen, billige Schlafplätze checken für in Institutionen sitzen das ‚überreißen’... . Chronologie die Referentinnen und die Besucherinnen ...sie hat uns mit 20.000 ÖS subventioni- Anhang aus dem In- und Ausland (allein das hat ert. Für uns war das viel.“18 Nebst diesen uns wochenlang beschäftigt), Freundinnen ganzen Aufwänden und Herausforderungen organisieren fürs Sekretariat während der mussten wir ständig quer durch die Unis- Veranstaltung, (wir haben nebstbei auch trukturen, die Medien und mit potenziellen noch eine Praktikantin, eine Freundin von Teilnehmerinnen argumentieren, warum es einem ÖH-Kollegen auf dessen Bitte hin definitiv eine Veranstaltung von und für in Organisations- und Sekretariatstech- Frauen ist. niken eingeführt), eine Pressekonferenz organisieren, Radiointerviews absolvieren, Die FSU selbst war dann ein voller Erfolg. und natürlich wenigstens soviel Subven- Nicht nur, dass, über die Woche betrachtet,

Abb. 34 Abb. tionen aufstellen, um nebst unabänder- ungefähr fünfhundert Teilnehmerinnen

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buntestgemischt dabei waren: feminis- am Ende der Woche erklärten sich Inns- entnehmen ist. Im Sommer diesen Jahres tische Theoretikerinnen, frauenbewegte bruckerinnen bereit, die nächstfolgende war ich z.B. von der ÖH Wien eingeladen Radikalaktivistinnen, Kärntner Mütter mit zu übernehmen und so ging das dann fort im Rahmen einer Bildungskonferenz einen ihren Töchtern, Studentinnen... . bauchtan- mit Salzburg, Linz (Graz ist ausgefallen, da Workshop zu den Frauensommeruniver- zende Künstlerinnen... . Unser Konzept sie sich im Vorfeld schon zerkracht haben) sitäten anzubieten. Die anwesenden jun- beinhaltete auch, nicht nur ‚grosse’ Stim- und 1990 wieder Wien19. Bei all diesen gen Frauen waren baff erstaunt, wie ich men zur Vernehmung zu bringen, denn wir FSU’s waren dann die ÖH-Frauenreferate ihnen aus den Veröffentlichungen der wollten auf keinen Fall eine kultige Hier- mehr oder weniger maßgeblich beteiligt FSU’s zu dem Problem von Verschiedenheit archisierung o.ä. produzieren, wir woll- – zusammen mit autonomen und institu- und Streit und trotzdem Gemeinsam-was- ten möglichst viele Unterschiedlichkeiten tionalisierten Frauenorganisationen. auf-die-Füße-Stellen, vorgelesen habe. Mir versammeln. Wir hatten sieben Tage von kommt das manchmal so vor, als würde man morgens bis nachts Programm, inclusive Und das Erhebenste an dem Ereignis waren mit Kanonen einen imaginären Spatzen auf einem täglichem Reflexionsplenum, das und bleiben drei Ebenen: das Organisieren dem Dach erschießen, und trifft dabei das ich moderierte. Ich kann dir sagen, ich war lernen im und durchs Tun selber; die Freude ‚Täubchen’ im Keller. am Schluss schon völlig drüber und noch – bei allen Dramen und Enttäuschungen Wochen danach wie auf einem Trip. Und – mit und für Frauen zur arbeiten und da- Hin und wieder ‚jammern’ Studentinnen in besonders toll war die Tatsache, dass der bei unendlich viel über die menschliche meinen Lehrveranstaltungen darüber, dass Reigen der Frauensommeruniversitäten mit Bedürftigkeit und ihre Transzendierung zu es keine FSU’s oder ähnliches mehr gibt. der Klagenfurter eingeläutet worden war: lernen; die Erfahrung, dass eine Idee du- ‚Ja, dann tut es doch einfach selber’ – ist rchs pure Wollen Wirklichkeit werden kann, zumeist meine Replik. Denn das nimmt dass du etwas in die Welt hinein ‚geboren’ ruch keine/r ab – und um Erlaubnis zu fra- hast, das sonst nicht existiert hätte. gen entspricht der ‚Sache’ sowieso nicht. Ob das Pionierinnendasein leichter oder Nachdenkliches jetzt. schwieriger war, lässt sich so schnell nicht klären. Offenkundig scheint mir, dass die Liebe Aruf, ich hoffe ich habe dich jetzt Professionalisierung (zu allem und jedem nicht angeödet mit diesen vielleicht sen- wird ein Coaching angeboten und dann timentalen - im Sinne, dass da immer ‚natürlich’ auch gebraucht) und Ökono- noch eine Begeisterung durchgeistert misierung (welche tut noch was ohne – und etwas ausgeuferten Schilderungen das Tauschverhältnis Geld) eine Entpoli- meiner ÖH-Zeiten. Erlaube mir noch zwei tisierung zur Folge hat, was das konkrete Bemerkungen. Was mich immer wieder ers- Handeln betrifft. Wir haben darüber – mit taunt und entrüstet ist die aktuelle Phan- unseren unterschiedlichen An- und Aus- tasie, es hätte damals ein grosses ‚Wir’ sichten – ja schon begonnen zu sprechen. gegeben; das existierte im Grunde nie, wie ja vielleicht auch meinen Zeilen implizit zu Ich wünsch Dir gutes Gelingen in und mit

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Deiner neuen Tätigkeit! ein sog. ‚Puntschkrapferl’ (gewesen), was Zeit, so beschäftigt hat, ist nur noch in ÖH und Demokratie

ich allerdings so den VSStÖlern nicht un- der Frauenhetz erhältlich – falls es dich in- Geschichte der ÖH Endnoten terstellen möchte.) teressiert, da mal reinzuschnuppern. Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- 1 Andrea Lauritsch: Am Anfang war Klagen- 9 Ebd. tischer Demokratie 10 Kommentar: Wiesinger furt. Zur Geschichte des ÖH-Frauenreferats Ina Paul-Horn, ebd. 1950er: Soziale Lage und an der UBW; in: Gertraud Seiser/Eva Knoll- 11 Andrea Lauritsch: Am Anfang war Kla- Studiengebühren Kommentar: Fischer mayer (Hg.): Materialien zur Förderung genfurt, s.o. S. 447 1960er: Studierende 12 zwischen Borodajkewycz von Frauen in der Wissenschaft. Von den ich; in Zeitreisen, s.o. und „1968“ Bemühungen der Frauen in der Wissen- 13 z.B. ‚Zählen und Erzählen. Für eine Semi- Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und schaft Fuß zu fassen. (Bundesministerium otik des Weiblichen’, Berlin 1980 Mitbestimmung in der 14 Universität für Wissenschaft und Forschung), Wien Ina Paul-Horn, ebd. Kommentar: Streeruwitz 1994, S. 447 15 Angelika Kantor: ‚Der Tritt wird immer ein 1980er: Neue soziale Bewegungen 2 Die UBW war die einzige Universität in bisserl fester!’ 20 Jahre Frauenforschung Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Europa, wo Gruppendynamik als Studien- an der Uni Klagenfurt; in: Starke Frauen in Kommentar: Berlakovic fach angeboten wurde. Kärnten. Eine journalistische Spurensuche, 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch 3 Meiner Erinnerung nach muss das so Brigitta Huhnke (Hg.), Klagenfurt/Celovec in der ÖH Kommentar: Mautz & zwischen 1980 und 82 gewesen sein. 2005, S.45f Weinberger 4 Leicht veränderter Auszug aus einem 16 Zentralausschuß = heutige Bundesver- Wahlergebnisse und Vor- sitzende Interview mit mir seitens einer studen- tretung Uni im Wandel der Zeit tischen Frauenforschungsgruppe, die sich 17 ich glaube es waren letztlich EUR 357 ‚ein Stück weit die Auseinandersetzung pro B’s und B’s Nase für ein halbes Jahr Feminismus und ÖH mit der eigenen Geschichte oder besser Arbeit Protest und Vertretung 18 Nicht-Geschichte von Frauen an der Uni- ich; in: Zeitreisen... ebd. Zukunft der ÖH Arbeit versität’ ermöglicht hat. Aus: Zeitreisen. 19 Vgl. ‚Autonomie in Bewegung. Texte, Re- Chronologie Die Geschichte des ÖH-Frauenreferats an flexionen, Subversionen’, Wien 1991, wo Anhang der Universität Klagenfurt; hg. von der ÖH ich ja dann wieder mitorganisierte, dies- Klagenfurt, 2003. mal mit zwanzig Frauen; aber das ist eine 5 An die Freundinnen in/der Frauenbewe- andere Geschichte. Diese kollektive Pub- gung! In: Sinn – Grundlage von Politik; ge- likation, ein guter Spiegel für das, was die schrieben und hg. von Maren Frank u.v.a., Frauen- und feministische Theoriebewe- Rüsselsheim, 2005 gung zu dieser ‚praekonstruktivistischen’ 6 Ina Paul-Horn; in: Zeitreisen, s.o. 7 ich, in ebd. Birge Krondorfer begann ihr Studium der Philosophie und Gruppendynamik 1979 in 8 Ich denke, die haben gar nicht gewusst, Klagenfurt. Sie war Mitbegründerin und Mitleiterin des Frauenreferats der ÖH Klagenfurt auf was sie sich da einlassen. (Die Kärn- von 1979-1986. tner SPÖ ist ja historisch und gegenwärtig

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Zur Dialektik studentischer Politik

o umkämpft und heterogen das poli- kleines Spielchen: Volksgemeinschaft auf und veranstalteten, Stische Feld Universität schon immer war, Was fehlt an folgendem Satz? : „Die Studier- als verfasste Studentenschaft (sic!) or- so unterschiedlich gestaltete sich auch die enden haben am häufigsten ihre Stimme für ganisiert, Hetzjagden auf alle, denen nach Rolle und Funktionalität der studentischen die ArbeiterInnenklasse erhoben.“ herrschender Ideologie das Existenzrecht AkteurInnen darin und darum. 1.der Einschub „linke“ solche abgesprochen wurde. Diese wird und wurde als Hort eines Wid- 2.„ohne sich zu oft die Frage zu stellen erstandes stilisiert, in Selbst- und Fremd- warum ihre Stimme zumindest gehört wird Schwarz-braun ist die Haselnuss darstellung ebenso wie in freundlicher oder nicht aber die der ArbeiterInnen“ feindlicher Absicht, jedenfalls aber allzu oft 3.Was soll diese Frage, wer sind eigentlich Eine neue Phase studentischer Politik unter Ausblendung der Tatsache dass der ‚die Studierenden´ und warum sollte men- wurde mit der Befreiung vom National- geheime Lehrplan an Universitäten die Er- sch den VerfasserInnen dieses Textchens ei- sozialismus eingeläutet: Die ehemaligen ziehung einer „gehobenen Schicht“ enthält, gentlich die Freude machen stumpfsinnige ParteigängerInnen und Wehrmachtssol- unter dem Deckmäntelchen von Emanzipa- rhetorische Fragen zu beantworten?) daten fanden sich in Hörsälen wieder, die tion, mit dem sich die bürgerliche Aufk- von den Alliierten zumindest anfänglich lärung gerne kleidet (Fußnote: Dazu ein Großbürgerliche und Burschenschaften als Institutionen zur Reedukation konzipi- ert waren. Mit der Wiedereingliederung Studentisches Bewegtsein als solches nahm der kurzzeitig mit einem Berufs- und seinen Anfang in der Ablöse der monar- Wahlverbot belegten verbleibenden Nazis chistischen Herrschaft zugunsten einer fand dieses Projekt sein jähes Ende. Den kapitalistisch-liberalen, was sich 1848 fol- Studierenden hingegen wurde in einem Akt gend ereignete. Der Großteil der damaligen von Demokratisierung, entsprechend dem studentischen Akteure war großbürgerlich, korporatistisch-keynesianistischem Ges- elitär und – nicht zuletzt – schlagende Bur- ellschaftsmodell, eine sozialpartnerInnen- schenschafter. Ihre in einem geschichtlichen schaftliche „Standesvertretung“ gegeben Fortschrittsmodell durchaus als progressiv – ganz so, wie der ÖGB den Arbeitenden einzuordenbare Ziele verkehrten sich bald von oben gegeben wurde. Bis in die 90er in wahngesteuerte faschistoide Vorstellun- Jahre blieb diese Körperschaft öffentlichen gen, die sich mit rabiatem Antisemitismus Rechts vom reaktionären Wahlblock und kombinierten. So war es vorläufig um das seinen NachfolgerInnen (ÖSU, JES, ÖVP-AG) kritische Potential der studentischen Poli- dominiert. Diese bewegte sich tatsächlich tik geschehen – ihre Akteure lösten sich, des Öfteren und schaffte es beispielsweise, Abb. 35 Abb. glückselig von Deutschnationalismus du- eine Erhöhung der Studiengebühren zu Der Protest für universitäre Demokratie nimmt süße Formen an rchdrungen, in der nationalsozialistischen verhindern, ohne jedoch zu hinterfragen

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war die Auflösung in sektierende Grüpp- ÖH und Demokratie

chen, deren politische Ausrichtungen sich Geschichte der ÖH im Mainstream auflösten: So wurden aus Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- Kommunen WGs und aus Antiautoritären tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Gymniasallehrende. 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren Kommentar: Fischer In der großen Querfrontbewegung zur Ret- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz tung der Hainburger Auen waren neben al- und „1968“ len Fraktionen und dem Biologen Konrad Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Lorenz (mit NS-Vergangenheit) auch die Mitbestimmung in der Universität Studierenden dabei: die von AG und FLÖ do- Kommentar: Streeruwitz minierte ÖH war nicht untätig und organ- 1980er: Neue soziale Bewegungen isierte am 8. Dezember einen Sternmarsch, Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst der den Auftakt zur über die Weihnachtsfei- Kommentar: Berlakovic ertage andauernden Besetzung bildete. 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch

Abb. 36 Abb. in der ÖH Kommentar: Mautz & Wessen Unis… In der Folge der Öffnung der 70er jedoch Weinberger wurde die Universität klassenheteroge- Wahlergebnisse und Vor- sitzende wozu Studiengebühren gut sein sollen. Die vielleicht auch, weil die Öffnung der Uni- ner und die Linke wurde dadurch langsam Uni im Wandel der Zeit tatsächliche ideologische Ausrichtung kam versitäten ihr nicht vorausging, sondern gestärkt. Ihre Schlagkräftigkeit zeigte sich beim Fall Borodajkewycz im Jahre 1965 zu ihr folgte (auch wenn hier meist Gegen- im Herbst 1987 beim Protest gegen ein Feminismus und ÖH Tage, als die ÖH der damaligen Hochschule teiliges vermutet wird). Die Veränderung rotschwarzes Sparpaket. Ausgehend vom Protest und Vertretung für Welthandel (heute: Wirtschaftsuniver- des Systems, nicht die Bekämpfung von besetzten Audi Max der Universität Wien Zukunft der ÖH Arbeit sität) Demonstrationen für den gealterten Symptomen war das Ziel, das mit den Meth- wurde die Forderung nach einer Rücknahme Chronologie Nazi veranstaltete und das Klima an der oden der begrenzten Regelverletzungen des gesamten Sparpakets erhoben, die in Anhang Universität ähnlich antisemitisch wie in und des Aktionismus verfolgt wurde. Der Form von Streiks und Besetzungen - un- der Zwischenkriegszeit werden ließ. Eine Versuch, gemeinsam mit den ArbeiterInnen ter anderem auch des rechts dominierten Minderheit der damaligen Studierenden zu kämpfen, scheiterte: So wurde der Streik Zentralauschusses der ÖH - die vielleicht widersetzte sich diesen Vorgängen und hielt gegen die Privatisierung des Raxwerks 1966 größte Unirevolte darstellte. Trotzdem kon- antifaschistische Veranstaltungen ab. zu einem Ringen zwischen ÖGB und Studi- nte das Sparpaket auch von einer 40.000 erenden, wobei letztere scheiterten. Das Menschen zählende Großdemonstration Zwischen 68 und Mainstream letzte große Aufbegehren manifestierte nicht verhindert werden. sich in der Konfrontation mit staatlichen In diese Richtung bewegten sich auch die Repressionsorganen bei einer Demonstra- Mitte der Neunziger Jahre schafften erst- Studierenden von 1968, deren Bewegung in tion gegen den Besuch des persischen mals Fraktionen mit nicht-konservativem Österreich viel schwächer war als anderswo, Schahs im Jänner 1969. Die Konsequenz geschichtlich-politischen Hintergrund den

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Einzug in die Exekutive der Bundesvertre- mit der Einführung der Studiengebühren Freiraum, die über das studentische Umfeld tung (damals Hauptausschuss) mit Hilfe demonstrierten nur noch 30.000. Das darauf hinaus umtriebig ist und inzwischen auf 5 einer Ampelkoalition. Dementsprechend folgende Universitätsgesetz 2002, das jeg- Besetzungen des heißbegehrten Areals im breit waren auch die Proteste gegen das liche pseudodemokratische Mitbestimmung Unicampus zurückblicken kann. Trotzdem Sparpaket 1996: Teilweise dezentral und zur endgültigen Farce werden ließ und die auch der Bezirksrat Alsergrund sich für kreativ – beispielweise mittels Mailbomb- Universitäten mittels Einrichtung eines einen Freiraum in der Spitalgasse ausges- ings der SPÖVP Server – beteiligten sich Unirates (so positiv dieser Begriff auch be- prochen hat, bleiben Baum, Haus und Hof auch „unpolitische“ Kräfte an einer der setzt sein könnte) unter die Aufsicht des leider weiterhin ein ungenützer Sperrmüll- wohl größten StudentInnendemonstratio- Kapitals, ÖVP-naher VertreterInnen und platz. nen am 14. März. Trotzdem, die geneigte schlagender Burschenschafter stellte, bere- Leserin verzeihe uns die Repetition, kon- itete den Weg für die heutige Universität- Verantwortung versus Politik nte auch dieses Sparpaket nicht verhindert slandschaft. Anlässlich dieses Ereignisses werden. fanden österreichweit kleinere Demonstra- Die Betrachtung des Wechselspiels zwischen tionen und Protestmaßnahmen statt, die protestierenden Studierenden und der ÖH Reaktionärer Backslash in etwa zwei Monate andauerten. Auch in lässt im Resümee einen langen Weg in die diesem Rückzugskampf verlor die ÖH: Ein – Institutionalisierung, also ins Scheitern, Beim Einsetzen der bildungspolitischen noch nicht in Kraft getretenes – Gesetz sch- erkennen. Die Universitätsreformen der Talfahrt der rechtskonservativen Regierung ien zu abstrakt, um eine Protestbewegung letzten Jahrzehnte spiegeln nur unter- langfristig am Leben zu erhalten. Als die schiedliche Strategien der Beherrschung Implementierung des Gesetzes voranschritt, des möglichen gesellschaftsverändernden bemerkten zumindest einige wenige Uni- und System überwindenden Potentials stu- versitätsvertretungen und Fakultätsvertre- dentischer Politik wieder. Die „Demokratis- tungen seine katastrophalen Auswirkungen. ierung“ der Universitäten, so wohlwollend So konnte eine weitere, kleinere, jedoch sie auch von den handelnden AkteurIn- ungleich entschlossenere Protestbewegung nen vorangetrieben wurde, fesselte hun- in Gang gesetzt werden, deren Höhepunkt derte von BasisaktivistInnen in Gremien, wohl die Besetzung des Rektorats der Uni während die Straßen unmobilisiert blieben. Wien im Jänner 2004 war. Auch hier wirkten Dass in jenen Gremien immerzu ein Kom- Teile der ÖH (in diesem Falle die Bundes- promiss erzielt werden musste, ist müßig zu vertretung) ganz in dem Sinne, zu dem sie erwähnen. Entscheidungsbefugte Gremien von oben gegeben wurde: Zur Vermeidung sind seit dem Universitätsgesetz 2002 nur tatsächlich verändernder Proteste und zur mehr teilweise vorhanden – und ordentliche Institutionalisierung und der damit verbun- ProfessorInnen stellen darin die absolute denen Abschwächung derselben. Daneben Mehrheit. Abb. 37 Abb. jedoch wuchsen und gediehen andere Be- Dass nun, nach der vollständigen Entdemok- Soziale Treffsicherheit der Studiengebühren wegungen: so zum Beispiel die Gruppe ratisierung und der schleichenden, totalen

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Vermarktwirtschaftlichung, mit der sie ein- ÖH und Demokratie hergeht, der Universitäten, die Institution Geschichte der ÖH ÖH den früheren Zuständen nachtrauert, Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- scheint verständlich, wenn auch nicht ver- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger nünftig. 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren Kommentar: Fischer Vielleicht zeitigen sich hier auch die Effekte 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz institutioneller Einbindung: das universitäre und „1968“ progressive Potential scheint personell ge- Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und schwächt durch die zehrende Repräsen- Mitbestimmung in der Universität tationspolitik. Die weiteren „Reformen“ Kommentar: Streeruwitz brachten ein neues Universitätsgesetz, das 1980er: Neue soziale Bewegungen dem pseudo-sozialpartnerInnenschaftlichen Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Konsens in der Universität durch minimi- Kommentar: Berlakovic erte Mitbestimmungsmöglichkeiten ein 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Ende setzte, sowie eine Novellierung des in der ÖH Kommentar: Mautz & HochschülerInnenschaftsgesetzes, die die Weinberger Direktwahl der Fakultätsvertretungen und Wahlergebnisse und Vor- sitzende der Bundesvertretung abschaffte. Der lange Uni im Wandel der Zeit Marsch durch die Institution hat einen bit- teren Nachgeschmack bekommen: Das Ende Feminismus und ÖH der Selbstverwaltung ist auf schmalen Wid- Protest und Vertretung erstand gestoßen, die Kanalisierung von 38 Abb. Zukunft der ÖH Arbeit allzu ausufernden Studierendenprotesten, Chronologie die in den letzten Jahren ohnehin kaum der parlamentarischen Opposition, zum PublizistInnen und streitende Lesekreis- Anhang stattgefunden haben, funktionierte – men- anderen letzter institutioneller Hort der lerInnen. Zählt sich der/die LeserIn zu letz- sch beachte das Ende der Proteste um den aussterbenden Linksradikalen. Bleibt aber terem, einer kritischen Studierendenschaft, Organisationsplan der Universität Wien. auch die Zähigkeit derer, die aus der In- möge er/sie – als Widerstandsakt gegen stitution auszogen, wenn sie auch noch in den ausufernden Jubiläumsjahrwahnsinn Die Studierenden scheinen aufgegeben zu mancherlei Hinsicht, sei es finanzieller oder – diese Broschüre verbrennen. Die letzte haben, Berufsausbildung hat über Bildung als infrastruktureller Art, an ihr hängen: Uner- Schlacht gewinnen wir, und darum: Hört auf Emanzipation gesiegt, der soziale Druck ge- müdliche BesetzerInnen, scharfzüngige zu studieren, fangt an zu begreifen! gen die ewig raunzenden Langzeitstudieren- den ist so groß, dass das politische Engage- Karin Kuchler und Daniel Schukovits sind im Bildungspolitischen Referat der ÖH Uni ment weitestgehend zurückgeschraubt wur- Wien aktiv. de. Bleibt die ÖH, zum einen Kaderschmiede

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Selbstbestimmt in die Zukunft

er Beginn der Amtsperiode des aktuel- munikation und Reflexion des eigenen Studi- gemacht sind: von Männern für Männer. Die Dlen ÖH-Teams fällt in eine Zeit tief- enalltages werden in „Ruhezonen“ oder kom- Mitgliedschaft im Patriarchat ist keine Sache greifender bildungspolitischer Umbrüche. merzialisierte, „zweck“-gewidmete Räume von Optionen, Frauen können sich daraus Umbrüche, die sich schon seit langer Zeit umgewandelt. Praktischer Nebeneffekt des nur durch den Kampf um Veränderungen ankündigen und die nicht, wie von einigen Uniwettbewerbes, der bis zum Gerangel um des Systems an sich befreien. (Das gilt auch Seiten behauptet, überfallsartig über uns Studienplätze geht, ist die Förderung einer für Männer, jedoch profitieren sie als privil- hereingebrochen sind. Wir sehen bereits Ellenbogenmentalität, die breite Solidaris- egierte Mitglieder des Patriarchats von den erste Auswirkungen jüngster Reformen, die ierung einer Studierendenschaft verunmögli- Vorteilen des Systems). maßgeblich dazu beitragen, Ungleichheit in- cht. Gerade in der ÖH wurde und wird fortlaufend nerhalb unserer Gesellschaft zu verstärken. Dabei geht es im Kern nicht nur um konkurri- versucht, mit diesem Konzept zu brechen: Sozial benachteiligten Gruppen wird mit der erende Modelle des Bildungssystems, sondern nicht umsonst finden sich in Teams dezidi- gesetzlichen Legalisierung von Zugangs- objektiv um konkurrierende Gesellschaftsent- ert politischer Studierendenvertretungen beschränkungen seit Juli 2005 der Zugang würfe. Gut, dass zumindest die Studierenden einfach mehr Frauen in strategisch wichti- zu universitärer Bildung erschwert. Eman- noch immer nicht alles für „bare Münze“ gen Positionen. Das ist nicht nur politische zipatorische Lehre und Wissenschaft wird nehmen, was ihnen von verschiedensten Floskel, sondern bindendes Programm. Seit verunmöglicht, denn die öffentlichen Hoch­ Seiten vorgesetzt wird. Kritische Mitge- drei Exekutiven stellen Frauen die beiden schulen haben sich mittlerweile als Folge des staltung der Gesellschaft wird immer mehr Vorsitzenden der Bundesvertretung: Um Universitätsgesetzes 2002 primär marktwirt- eine seltene Qualität öffentlicher Institu- einen Gegenpol zum gesellschaftlichen schaftlichen Verwertungsstrukturen zu beu- tionen. Die ÖH zeigt nicht nur Alternativen Mainstream zu schaffen, machen sie sich gen. Der staatlichen Verpflichtung ein freies, auf, sondern fängt mit dem Kehren „vor der in der ÖH als elementarer Bestandteil kri- offenes und demokratisches Bildungssystem eigenen Türe“ an: Feminismus, Demokra- tisch-starker Institutionen sichtbar. Sinn zu garantieren wird das Konzept einer auto- tisierung, Gleichberechtigung und bewusst und Zweck kann jedoch nicht sein, Frauen kratisch geleiteten, von großkapitalistischen politisches Handeln sind Maßstäbe, die wir in männlich geprägte Strukturen „einzupas- Interessen in hohem Maße beeinflussbaren selbst zu leben versuchen. sen“. Wir wollen Gleichheit nicht im Sinne und nach betriebswirtschaftlichen Kriterien von „angleichen” an männlich definierte ausgerichteten Universität entgegengesetzt. Feministische ÖH Maßstäbe verstehen. Es gilt, Konstruktion Selbstbestimmtes Lernen wird zugunsten des und Wirkungsweisen der zweidimensionalen möglichst schnell, spezialisiert ausgebilde- Einer der am wirkungsvollsten und heute Geschlechtlichkeit aufzuzeigen und Strateg- ten Produkts StudentIn verunmöglicht. Stud- sichtbarsten Erfolge der ÖH findet sich in der ien dagegen zu entwickeln. ierenden wird zugunsten einer konstruierten Stärkung von Frauen. Die Reproduktion einer Das männliche Geschlecht ist im System der Effizienz die Mitbestimmung ihres unmittel- Hegemonie des Patriarchats in unserer Ges- Kameraderie die Norm für Wissenschaft und baren Lebens- und Arbeitszusammenhangs ellschaft resultiert aus der Selbstverständli- Forschung. Das männerdominierte Klima ist Universität verwehrt. Freie Räume der Kom- chkeit, wie Politik, Kultur und Wissenschaft sowohl im Umgang mit Frauen als auch im

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hältnisse ist es vorschnell, von den Studier- ÖH und Demokratie

enden zu glauben, sie würden sich mit dem Geschichte der ÖH Wahlrecht auf Universitätsebene begnügen. Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- Ebenso wie es einer Stärkung der Studier- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger enden an den Universitäten bedarf, braucht 1950er: Soziale Lage und es auch eine starke bundesweite Stimme der Studiengebühren Kommentar: Fischer StudentInnen. Der gemeinsame europäische 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Bildungsraum erfordert darauf zu bestehen, und „1968“ auf europäischer Ebene die Erfahrungen der Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und Studierenden einzubringen. Mitbestimmung in der Universität Abb. 39 Abb. Die Bundesvertretung der ÖH sieht sich dem Kommentar: Streeruwitz Viele werden sich noch mit Knock-Out-Prüfungen rumschlagen müssen. gemäß als Unterstützerin und Verstärkerin 1980er: Neue soziale Bewegungen der Universitätsvertretungen, fordert ihren Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst wissenschaftlichen Inhalt spürbar. Feminis- Publikationen – die ÖH hat noch einiges zu Teil zur Mitgestaltung bildungs- wie ge­ Kommentar: Berlakovic tische Forschung hat ein radikal-politisches bewerkstelligen, um die gesellschaftliche sellschaftspolitischer Prozesse und arbeitet 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch Potential. Sie zielt darauf ab, jahrhunderte- Gleichstellung von Frauen weiter mitzug- gleichzeitig an Möglichkeiten einer breiten in der ÖH Kommentar: Mautz & lang vom (wissenschaftlichen) System instru- estalten. Einen Ansatz stellt der Frauenkon- internationalen Bildungsstrategie. Dem Weinberger mentalisierte Denkmuster nicht nur aufzuzei- gress für ÖH-Mitarbeiterinnen und Studen- gemäß gilt es einerseits, die im Hochschü- Wahlergebnisse und Vor- sitzende gen, sondern auch vehement zu kritisieren. tinnen dar, bei dem sich im Mai 2006 Frauen lerInnenschaftsgesetz (HSG) abgeschaffte Uni im Wandel der Zeit Feministische Forschung betreiben heißt, inhaltlich mit den verschiedensten Themen Direktwahl der Bundesvertretung wieder parteiliche, heißt politische Forschung be- auseinander setzen und vernetzen werden. einzuführen, gleichzeitig muss jedoch Feminismus und ÖH treiben – heißt ein Wertesystem angreifen, auch eine Stärkung der Mitsprache jedes/r Protest und Vertretung das von männlichen Wissenschaftern ge- Demokratisierung nach innen und außen Studierenden ermöglicht werden. Zukunft der ÖH Arbeit schaffen wurde, um Hierarchieverhältnisse Die gesetzlich vorgegebene Struktur der ÖH Chronologie zwischen den Geschlechtern zu kreieren, Mit dem 2004 beschlossenen neuen ÖH- ist nach innen strikt hierarchisch. Nach HSG Anhang aufrechtzuerhalten und zu tradieren. Wir Gesetz wurde versucht, die demokratische vereint der/die Vorsitzende alle Machtbe­ erwarten deshalb auch von Männern ein Mitbestimmung von Studierenden bei bun- fugnisse, sämtliche MitarbeiterInnen der Hinterfragen des eigenen Beitrages zur Sta- desweiter Bildungspolitik entschieden zu ÖH sind weisungsgebunden. Wir haben den bilisierung der Geschlechterhierarchie und schwächen. Die ÖH-Wahlen 2005 waren der Anspruch zumindest in unserer Arbeitsweise fordern deren aktive Beteiligung an diesem Beweis dafür, dass Studierende auf dieses die formale Hierarchie aufzuheben. Die bei- Prozess. Eine ÖH der nächsten Jahre sieht entscheidende Mitspracherecht nicht ver- den Vorsitzenden nehmen im Team den Be- sich als starke Initiatorin feministischer zichten wollen: das Wahlergebnis war eine reich der Vertretung nach außen wahr. Die Politik: sei es in der eigenen Struktur, in der klare Absage an das Entmachtungskonzept Vorsitzenden sind in ihrer Arbeit an die Ent­ Unterstützung feministischer Forschungspro- des Gesetzes. Noch immer fallen alle zen­ scheidungen des Interreferatstreffens sowie gramme oder im öffentlichen Thematisieren tralen bildungspolitischen Entscheidungen des Koalitionsrates gebunden. Im Inter­ durch Veranstaltungen, Diskussionen oder bundesweit. In Anbetracht dieser Machtver- referatstreffen haben sämtliche Mitarbeiter-

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Innen der Bundesvertretung die Möglichkeit Bundes-ÖH veröffentlicht. Alle Studierenden somit Arbeitszwängen im Sinne von Unter- sich an den gemeinsamen Entscheidungs- sind die ÖH – aber sind alle Studierenden haltsfinanzierung leisten will, muss sie sich findungsprozessen zu beteiligen. Diese zu gleichen Teilen ÖH? Anzuerkennen, dass leisten können. Freie Bildung ist somit eine Entscheidungsprozesse sollen durch weitere dies noch nicht der Fall ist, ermöglicht uns, Frage des finanziellen Hintergrundes. Die Demokratisierungsschritte breiter zugänglich die Situation zu verbessern. Diesen Aner­ Bildungselite kann von Seiten der ÖH, die gemacht werden. kennungsschritten folgend wollen wir die ÖH Studierende unabhängig von deren persönli- demokratisieren. cher Finanzkraft vertritt, nur als gesellschaft- Einerseits versteht das aktuelle ÖH-Team spolitischer Rückschritt gesehen werden. darunter die breitere Mitsprache und Zusam- Soziale Gleichberechtigung Eine politische ÖH tritt deshalb entschieden menarbeit mit den Universitätsvertretungen gegen jede Form von Zugangsbeschränkun- und Studierendenvertretungen. Andererseits Selbst heute noch fungieren materielle Ex- gen und Studiengebühren auf und setzt für sollen sich für Studierende durch Maßnah- istenzfragen als entscheidender Selektions- die nächsten zwei Jahre ihren Schwerpunkt men wie Demokratisierung des ÖH-Pro- mechanismus: Nur etwa 10% der Studierenden in Maßnahmen zur Sicherung und zum Aus- jektförderprogrammes Möglichkeiten des kommen aus ArbeiterInnenfamilien. Nicht bau eines tatsächlich offenen Hochschulzu- direkten Mitspracherechts eröffnen. Unter nur wurden in den vergangenen Jahrzehnten ganges. dem Begriff „Transparenz” verstehen wir die unzureichende Maßnahmen getroffen, um Möglichkeit für alle Studierende, sich jeder- der Vererbung des sozialen Status von Eltern Auch bei der Homogenisierung des eu- zeit über die Handlungen der ÖH, über ihre an ihre Kinder entgegen zu arbeiten, in den ropäischen Bildungsraumes vertritt die ÖH Budgetgebarung, über das Verhalten der letzten Jahren wurden rechtliche Situation deshalb eine differenzierende Meinung: Mo- studentischen Vertretung in Arbeitsgruppen, und staatliche Unterstützungsleistungen bilität und Anrechenbarkeit dürfen nicht für gegenüber dem Bildungsministerium und weiter heruntergeschraubt. die Kosten neuer Barrieren im Bildungssys- sonstigen Institutionen, sowie Verlauf von tem eingeführt werden. Die Dreigliedrigkeit Bundesvertretungssitzungen zu informieren. Die 2001 wieder eingeführten Studienge- des Studiensystems sollte demgemäß zur Protokolle werden auf die Homepage gestellt, bühren sind sozialpolitisch untragbar. Sie Durchlässigkeit im Bildungssystem beitragen. zusammenfassende Berichte im Magazin der sind eine finanzielle Zugangsbarriere und Das Bakkalaurat trägt die Gefahr einer wei- zudem psychologische Hemmschwelle, eine teren Selektionsbarriere mit sich, kann aber Hochschulausbildung zu beginnen. Studi- auch als Berechtigung zum weiterführenden engebühren verdrängen intellektuelle Neu- Studium umgesetzt werden. Soziale Gleich- gier und Erkenntnisinteressen als wesent­ berechtigung im Bildungssystem baut daher liche Motive, sich einem Studium zu widmen, auf dem Gedanken des Grundrechtes auf Bil- und ersetzen sie durch die Bereitschaft und dung auf. Nicht die Uni, nicht der Rektor, Fähigkeit, materielle Belastungen auszu- nicht die Regierung entscheiden, wem von halten. Die Ökonomisierungstendenz des uns sie Zutritt gewähren – für die ÖH ist es Bildungsbereichs macht soziale Abhängig- eine Selbstverständlichkeit, gleiches Anrecht

Abb. 40 Abb. keiten zur Frage des persönlichen Budgets: auf Bildung für jede Person unabhängig von Viele Hürden, die es zu überwinden gilt wer sich Bildung frei von Verwertungs- und der Herkunft zu fordern.

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Eine starke ÖH ist eine politische ÖH. wird dabei gesellschaftliche Veränderung aus- auf die Nutzung von erneuerbaren Energie­ ÖH und Demokratie

fallen. trägern und den effizienten und sparsamen Geschichte der ÖH Weil Bildungspolitik Gesellschaftspolitik ist, Bildungspolitik steht in Zusammenhang mit Einsatz von Energie ein. Die technologischen Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- weil bildungspolitische Maßnahmen nicht anderen Politikfeldern. Das bedeutet für uns, Entwicklungen in diesen Bereichen sind sehr tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger losgelöst von gesellschaftlichen Problemen ge­ dass wir gesellschaftliche Zusammenhänge weit fortgeschritten. Rahmenbedingungen 1950er: Soziale Lage und sehen und analysiert werden können, ist die nicht nur kommentieren, sondern das allge- und Bewusstsein bildende Maßnahmen sind Studiengebühren Kommentar: Fischer ÖH als starke Interessenvertretung eine dezi- meinpolitische Mandat der Österreichischen zu schaffen. Das Kriterium für Nachhaltig- 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz diert politische. Wenn sich die zukünftige ÖH HochschülerInnenschaft aktiv wahrnehmen. keit kann dabei nicht von der Leistbarkeit und „1968“ gegen Rassismus, Sexismus und Faschismus, Politik findet dabei nicht nur in den dafür und somit wiederum dem finanziellen Hinter­ Kommentar: Sperl 1970er: Demokratie und für Sozialpolitik, Friedenspolitik und nach- vorgesehenen Gremien statt. Politik passiert grund abhängig sein – die Diskussion um die Mitbestimmung in der Universität haltiges Wirtschaften einsetzt, dann begreift durch jede und jeden im öffentlichen und im Leistungsgesellschaft muss sich in jene der Kommentar: Streeruwitz sie dieses politische Handeln nicht als Hobby, privaten Raum. Es gilt für uns, aktiv auf an- Ermöglichungsgesellschaft ohne Barrieren für 1980er: Neue soziale Bewegungen sondern als unabdingbare Notwenigkeit einer dere fortschrittliche Gruppen zuzugehen und „AußenseiterInnen“ ändern. Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst Interessenvertretung, die in der Gesellschaft sich mit unterschiedlichsten Themen- und Leistungsgesellschaft agiert nach dem Motto Kommentar: Berlakovic agiert und nicht nur in einem koordinaten- Meinungsfeldern auseinander zu setzen. „survival of the fittest”. Jene, die bei diesem 2000er: Gegenreform an der Uni und linker Erdrutsch freien Raum Universität. Der scheinbaren Die ÖH solidarisiert sich mit ausgegrenzten Tempo nicht mithalten können, werden als in der ÖH Kommentar: Mautz & Vereinzelung sozialer Interessen ist Solidari­ Gruppen und leistet gemeinsam mit diesen krank, behindert oder als „Sozialschmarotzer” Weinberger tät mit anderen gesellschaftlichen Gruppen Widerstand gegen menschenfeindliche Poli- abgestempelt. Wir akzeptieren die Ausgren- Wahlergebnisse und Vor- sitzende entgegenzusetzen. Nur gemeinsam werden tik. Wir sprechen uns mit Vehemenz gegen zung von Menschen nicht, die von der Gesell­ Uni im Wandel der Zeit wir in unseren Bemühungen um ein offenes Rassismus, Sexismus und autoritäre Gesell­ schaft behindert werden. Eine fortschrittliche Bildungssystem erfolgreich sein. schaftsstrukturen aus. Aktuelle Projekte zur ÖH hat nicht nur die Aufgabe Hilfestellung zu Feminismus und ÖH Das allgemeinpolitische Mandat ist demgemäß Sichtbarmachung dieser Strukturen sind der leisten, sondern auch gesetzlich verankerte Protest und Vertretung integraler Bestandteil der Interessenvertre- Antidiskriminierungsbericht der Universitäten Unterstützung für von der Gesellschaft (Uni- Zukunft der ÖH Arbeit tung ÖH. Studierende haben nicht nur das und Unterstützung und Informationsarbeit versität) behinderte Menschen (Studierende) Chronologie Bedürfnis nach ausreichend Computerplätzen bei Sozialforen. Durch diese Arbeit stellen wir einzufordern. Anhang oder vielfältigem Lehrangebot, sondern auch nicht einzelne Auswirkungen des „freien Spiels Den vollen Umfang der strukturellen, poli- nach erschwinglichem Wohnraum, kulturellen der Kräfte”, sondern das ökonomische System tischen und bildungspolitischen Arbeit der Angeboten, sozialer Sicherheit, etc. – es gilt, an sich in Frage. Es kann nicht sein, dass eine ÖH und unseres Selbstverständnisses darzu­ diese Interessen aufzuzeigen und die Mögli- kleine Minderheit der Weltbevölkerung auf Ko- stellen, würde dieses Format sprengen. Bil- chkeiten zu schaffen, dass diese Interessen sten einer großen Mehrheit lebt. Ökologische dung beginnt dort, wo man/frau sie selbst auch selbst artikuliert werden. Dies passiert, Aufrechterhaltung, soziale Gerechtigkeit auch in die Hand nimmt. Entsprechend diesem wenn sich Studierende und durch sie die ÖH für spätere Generationen und langfristige Grundsatz sehen wir auch in den kommenden als Teil gesellschaftlicher Auseinandersetzun- ökonomische Funktionalität sind Ziele einer Jahren die Leitlinie für die Tätigkeiten der gen begreifen und danach handeln. Je mehr Politik der Nachhaltigkeit, der Profitinter- ÖH im aktiven Einsatz für eine feministische, Studierende die politischen Ziele der ÖH essen entgegenstehen. Die ÖH tritt deshalb demokratische und sozial gerechte Universität mitgestalten können, umso wirkungsvoller für einen möglichst weitreichenden Umstieg und Gesellschaft. bb/rnb

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Chronologie

1945 Gründung der Österreichischen Hoch- 1953 in Wien erste große Studierendende- 1966 Allgemeines Hochschulstudienge- schülerInnenschaft (ÖH) durch monstration auf der Ringstraße ge- setz (AHStG) regelt das Studien- katholische, sozialistische und kom- gen Erhöhung der Studiengebühren und Prüfungswesen an den wis- munistische Studierende in Wien (gegen den Willen der konservativ- senschaftlichen Hochschulen und en ÖH-Führung) eröffnet ein Jahrzehnt der Univer- 1946 erste ÖH-Wahlen: 75% ÖVP-nahe sitätsreformdiskussionen Union österreichische Akademiker 1953 neugegründeter RFS erreicht bei ÖH- / FÖST, 21,7% VSStÖ, Kommunis- Wahlen 32,1% 1968 Studierendenbewegung in Österre- tische Studentengruppe 3% ich und Wien im Vergleich zu Paris 1955 Hochschul-Organisationsgesetz regelt und Berlin ruhig, aber politischer 1950 erstes ÖH-Gesetz sichert die Existenz das Universitätsrecht und damit Aufbruch und Linksentwicklung der und Rechte der ÖH: ÖH ist geset- auch Studierendenrechte neu, aller- Studierenden wird manifest – „In- zliche Interessenvertretung nach dings ohne inhaltliche Neuerungen stitutsvertreterInnen“ fordern die dem Grundsatz der studentischen (Ordinarienuniversität) hier bisher nicht präsente ÖH als Selbstverwaltung, ihre Organe wer- studienrichtungsspezifische Inter- den nach demokratischen Wahlen, 1961 Studierende streiken für Unibudget- essenvertreterInnen heraus die auf den Nationalratswahlgrund- erhöhung, 2.000 StudentInnen (5% sätzen basieren, gewählt aller Studierenden) demonstrieren 1968 Österreichische Studentenunion löst auf der Wiener Ringstraße Wahlblock als hegemoniale konserv- 1951 deutschnational-freiheitliche Grup- ative Fraktion ab pierungen treten erstmals bei ÖH- 1963 erstes Studienbeihilfen-Gesetz – ein Wahlen an und erreichen zusammen sozialpolitischer Meilenstein: Re- 1970 neue Bundesregierung Kreisky löst die 18% chtsanspruch auf finanzielle Unter- Universitäten und Hochschulen aus stützung bei sozialer Bedürftigkeit dem Unterrichtsministerium heraus 1951 Wahlblock österreichischer Akademik- und errichtet ein eigenes Wissen- er löst Union als hegemoniale kon- 1965 Affäre um den neonazistischen Profes- schaftsministerium unter Hertha servative Fraktion ab sor Taras Borodajkewycz an der Hochs- Firnberg (Ministerin bis 1983) chule für Welthandel (heute WU) wird 1952 ÖH organisiert demonstrativen virulent – ÖH an der Hochschule für 1972 Abschaffung der Studiengebühren ab Sitzstreik an verschiedenen Orten Welthandel unterstützt Borodajkewycz, 1973 Wiens gegen drohende Erhöhung bei antifaschistischer Demonstration der Studiengebühren erschlägt ein Burschenschafter den Demonstranten

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ÖH und Demokratie

Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- 1973 Änderung des ÖH-Gesetzes in Rich- 1992 ÖH organisiert Veranstaltungen un- 2000 neue schwarz-blaue Regierung be- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger tung mehr Demokratie und Auswei- ter dem Titel „Der Mensch zuerst“ schließt Wiedereinführung der 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren tung der ÖH auf Studienrichtungse- gegen AusländerInnenfeindlichkeit Studiengebühren ab 2001 – große Kommentar: Fischer bene und gründet Flüchtlingshilfsorgani- Studierendenproteste mit 50.000 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz sation Helping Hands TeilnehmerInnen allein in Wien und „1968“ Kommentar: Sperl 1975 Universitätsorganisationsgesetz (UOG 1970er: Demokratie und 75) bringt studentische Mitbestim- 1993 Universitätsorganisationsgesetz (UOG 2001 linker Erdrutsch bei ÖH-Wahlen Mitbestimmung in der Universität mung in universitären Entscheidun- 93) bringt Einschränkungen der – GRAS, VSStÖ (und zu Beginn der Kommentar: Streeruwitz 1980er: Neue soziale gen auf allen Ebenen – ein bildung- studentische Mitbestimmung KSV) bilden neue ÖH-Exekutive Bewegungen spolitischer Meilenstein Kommentar: Margulies 1990er: Der Mensch zuerst 1995 nach 50 Jahren erstmals eine Frau 2002 Universitätsgesetz schränkt stu- Kommentar: Berlakovic 2000er: Gegenreform an der 1983 Aktionsgemeinschaft löst ÖSU als he- und erstmals eine linke ÖH-Vor- dentische Mitbestimmungsrechte Uni und linker Erdrutsch gemoniale konservative Fraktion ab sitzende: Agnes Berlakovich drastisch ein – Protestbewegung in der ÖH Kommentar: Mautz & der Studierenden an verschiedenen Weinberger Wahlergebnisse und Vor- 1984 ÖH aktiv in der Umweltschutzbe- 1996 Studierendendemonstrationen, Streiks Universitäten, 25.000 demonstri- sitzende wegung gegen Wasserkraftwerk in und vielfältige kreative Protest- eren in Wien Uni im Wandel der Zeit Hainburger Au: Studierende beteilig­ maßnahmen gegen Sparpaket ten sich an Demonstrationen und 2005 Abhaltung der ÖH-Wahlen im Feminismus und ÖH der Besetzung in der Au, ÖH organ- 1997 nach baldigem Zerfall des hetero- demokratiepolitischen Ausnahme- Protest und Vertretung

isiert Bus-Shuttles nach Hainburg genen linken Bündnisses 1995/96 zustand nach Abschaffung der di- Zukunft der ÖH Arbeit

stellt wieder die ÖVP-nahe Aktions- rekten Wahl der ÖH-Bundesvertre- Chronologie 1985 grüne Listen kandidieren bei ÖH- gemeinschaft den ÖH-Vorsitz tung durch die Bundesregierung Anhang Wahlen 1998 Änderung des ÖH-Gesetzes, u.a. 2005 Einführung von Zugangsbeschränkun- 1987 Studierendendemonstrationen mit Umbenennung von HA und ZA zu gen zum Studium in vorerst acht bis zu 40.000 TeilnehmerInnen ge- UV und BV, Studierende der Päda- Fächern gen Sozialkürzungen, z.B. bei Fami- gogischen Akademien werden Mit- lienbeihilfe glieder der ÖH

60 Jahre Österreichische HochschülerInnenschaft

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Anhang Bibliographie, Bildnachweis, Impressum

Bibliographie tragenen Rassismus. Die Borodajkewycz-Affäre 1965. in: Dietmar Zach, KSV und VSStÖ: Zwischen Zusammenarbeit, Rosina Baumgartner, Die Urabstimmung über die Pflich- Michael Gehler/Hubert Sickinger (Hg.), Politische Affären Konkurrenz und Verleumdung. Theoretische Perspektiven tmitgliedschaft in der Österreichischen Hochschülerschaft. und Skandale in Österreich. Von Mayerling bis Waldheim. und politische Praxis. Dipl.-Arb., Univ. Wien 1998 Dipl.-Arb., Univ. Wien 1992 Thaur/Wien/München 1995, S.486-501 Helge Zoitl, „Student kommt von Studieren!“. Zur Geschichte BMBWK, Hochschulbericht 2002, Bd.2 Franz Kolland, Auswirkungen der Einführung von Studien- der sozialdemokratischen Studentenbewegung in Wien (Ma- BMBWK, Universitätsbericht 2005, Bd.2 beiträgen auf die Studienbeteiligung und das Studierver- terialien zur Arbeiterbewegung: Nr.62). Wien / Zürich 1992 Studierenden-Sozialerhebung 2002. Bericht zur sozialen halten, 2002 Lage der Studierenden 2002. Studie im Auftrag des BMBWK Andreas Koller, Beinharter Abbau der Demokratie. in: Salz- Bildnachweis Paulus Ebner / Karl Vocelka, Die zahme Revolution. 68 und burger Nachrichten, 2.12.2004 Abb. 1: Screenshot www.oeh.ac.at/mundtot, ÖH, 2004. was davon blieb. Wien 1998 Margaretha Kopeinig, Konservative Revolution. in: Kurier, Abb. 2: Burschenschaften in voller Wix, Verein zur Geschich- Alexander Egger / Thomas Frad, Hochschülerschaftsgesetz 16.11.2004 te der ArbeiterInnenbewegung, Jahr unbekannt. und Studentenheimgesetz. Einführung – Texte – Materialien Lorenz Lassnigg, Bildungsreform gescheitert … Gegenre- Abb. 3: Verhüllung des Denkmals der Republik durch die – Entscheidungen – Anmerkungen (Neue Gesetze: Bd.15). form? 50 Jahre Schul- und Hochschulpolitik in Österreich. Austrofaschisten, VGA, 1934. Wien 2000 in: Reinhard Sieder / Heinz Steinert / Emmerich Tálos (Hg.), Abb. 4: Eingelassene Gedenkschrift auf der PhilosophInnen- Christine H. Forster, Die Geschichte der Österreichischen Österreich 1945-1995. Gesellschaft - Politik - Kultur (Öster- stiege im Hauptgebäude der Universität Wien, ÖH, 2006. Hochschülerschaft 1945-1955 (Dissertationen der Univer- reichische Texte zur Gesellschaftskritik: Bd.60). Wien 1995, Abb. 5: Bombenschaden im Hauptgebäude der Universität sität Wien: Bd.166). Wien 1984 S.458-484 Wien, Nationalbibliothek, 1945. Marina Fischer-Kowalski, Universität und Gesellschaft in Sigrid Nitsch, Die Entwicklung des allgemeinpolitischen Ver- Abb. 6: Studierende probieren Schuhe im ÖH Sozialreferat, Österreich. in: Heinz Fischer (Hg.), Das politische System tretungsanspruches innerhalb des Verbandes Sozialistischer Nationalbibliothek, etwa 1954. Österreichs. 3., erg. Aufl., Wien / München / Zürich 1982, StudentInnen Österreichs (VSStÖ) in Wien im Zeitraum von Abb. 7: Aufführung des Studios der Hochschulen in den S.571-624 1965 bis 1973. Dipl.-Arb., Univ. Wien 2004 Niederlanden, Hilde Sochor privat, 1948 Andrea Griesebner, Politisches Feld Universität. Versuch ein- ÖH (Hg.), 50 Jahre ÖH (ZA Inform 7/95) Abb. 8: Studenten vor der ÖH Zentrale in der Kolingasse, er Annäherung anhand der Mitbestimmungsmöglichkeiten ÖH (Hg.), Been there, done that. Ein Tätigkeitsbericht der Nationalbibliothek, etwa 1952. der Studierenden zwischen 1918 und 1990. Dipl.-Arb., Univ. Österreichischen HochschülerInnenschaft 2001-2003. Wien Abb. 9: Wahllokal im Hauptgebäude der Universität Wien, Wien 1990 2003 Die Presse Fotoarchiv, 1955. Kurt Grünewald / Johannes Gadner (Hg.), Universitätsges- ÖH (Hg.), Sincerely Yours, ÖH. Die Österreichische Hoch- Abb. 10: Wahlergebnisse 1955, Grafik: Zoe Schneeweiss. etz 2002 – Weltklasse oder Sackgasse? Wien 2003 schülerInnenschaft zieht Bilanz 2003-2005. Wien 2005 Abb. 11: Taras Borodajkeycz, Die Presse Fotoarchiv, Jahr Ariane Heilingsetzer / Maria Mesner / Heinz Rögl / Fritz Lilian Schiltknecht, Die „universitäre Rebellion“ 1996 als unbekannt. Weber, Zur Geschichte des Verbandes Sozialistischer Stu- Antwort auf die österreichische Hochschulpolitik. Dipl.- Abb. 12: Demonstration gegen Taras Borodajkeycz, denten Österreichs (VSStÖ) 1945-1970. Projektbericht an Arb., Uni Wien 1998 Presse Argentur, 1965. das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung. Wolfgang Speiser, Die sozialistischen Studenten Wiens Abb. 13: Hertha Firnberg bei einer Veranstaltung des VSStÖ, Wien 1989 1927-1938 (Materialien zur Arbeiterbewegung: Nr.40). VGA, 1975. Stefan Holter / Werner Suppan, Politik und Studenten in Wien 1986 Abb. 14: Wahlwerbung der ÖH Fraktionen vor dem Hauptge- Österreich. Analyse der Studentenpolitik und der Hoch- Hans-Peter Weingand / Werner Winkler, Diese Welt muß bäude der Universität Wien, Die Presse Fotoarchiv, 1979. schülerschaftswahlen. in: Österreichisches Jahrbuch für unser sein. Die sozialistischen Studierenden in Graz 1919- Abb. 15: Demonstration gegen den Kraftwerksbau in der Politik 1987. Wien/München 1988, S.633-661 1991. Graz 1992 Hainburger Au, Die Presse Fotoarchiv, 1984. Gérard Kasemir, Spätes Ende für „wissenschaftlich“ vorge- Erich Witzmann, Überrumpelt. in: Die Presse, 12.11.2004 Abb. 16: Räumung der besetzten Hainburger Au durch die

1946 bis 2006

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ÖH und Demokratie

Geschichte der ÖH Vorgeschichte 1940er: Aufbau studen- tischer Demokratie Kommentar: Wiesinger Polizei, Die Presse, Fotoarchiv, 1984. Abb. 36: „Protestdorf“ vor dem Rektorat an der Universität Abb. 40: Medienaktion bei der Demo gegen die Zugabe, 1950er: Soziale Lage und Studiengebühren Abb. 17: „Lichtermeer“ gegen das Volksbegehren „Österre- Wien, HochschülerInnenschaft an der Universität Wien, Florian Kozak, 2005 Kommentar: Fischer ich zuerst“ der FPÖ, Abbé Libansky privat, 1993. 2003. 1960er: Studierende zwischen Borodajkewycz Abb. 18: Agnes Berlakovich, Abbé Libansky, 1995. Abb. 37: Medienaktion des VSStÖ zu sozialer Treffsicherheit Besonderer Dank für die Bereitstellung von Fotos gilt: und „1968“ Abb. 19: Demonstration gegen das „Sparpaket“, Die Presse von Studiengebühren, VSStÖ, 2000. Hilde Sochor; Günther Haller, Die Presse Fotoarchiv; Abbé Kommentar: Sperl Fotoarchiv, 1996. Abb. 38: Karikatur „Mitbestimmung“, Klein, 2002. Libansky; Joseph Mussil; Johannes Seidl, Archiv der Uni- 1970er: Demokratie und Mitbestimmung in der Abb. 20: Protest der HochschülerInnenschaft an der Uni- Abb. 39: Medienaktion der ÖH Bundesvertretung anlässig versität Wien; sowie allen unbekannten und ungenannten Universität versität Wien gegen das Universitätsgesetz und Studienge- des Beschlusses der Zugangsbeschränkungen, ÖH, 2005 FotografInnen. Kommentar: Streeruwitz 1980er: Neue soziale bühren, ÖH, 2002. Bewegungen Abb. 21: Medienaktion des VSStÖ gegen die parteipolitische Kommentar: Margulies Besetzung der Universitätsräte, VSStÖ, 2002. 1990er: Der Mensch zuerst Impressum Kommentar: Berlakovic Abb. 22: „Sklavenzug“ gegen das Universitätsgesetz 2002, 2000er: Gegenreform an der Progress: Magazin der Österreichischen HochschülerInnenschaft, Joseph Mussil privat, 2002. Uni und linker Erdrutsch in der ÖH Abb. 23: Studierendenprotest auf der BesucherInnengalerie Sondernummer 2/2006-A, GZ02Z031545M Kommentar: Mautz & des Parlaments, APA, 2004. Medieninhaberin, Verlegerin und Herausgeberin: Weinberger Wahlergebnisse und Vor- Abb. 24: Studierende für die direkte Wahl des und im Studi- Österreichische HochschülerInnenschaft, Taubstummengasse 7-9, 1040 WIEN sitzende erendenparlament, ÖH, 2004. Koordination: Andreas Kastner/Referat für Öffenlichkeitsarbeit Abb. 25: Cover des Buches „Ökonomisierung der Bildung, Uni im Wandel der Zeit Redaktion: Christian Bruckner, Barbara Blaha, ÖH, 2005. Feminismus und ÖH Abb. 26: Mandatsverteilung in der Bundesvertretung 2005, Rosa Nentwich-Bouchal, Karin Kuchler, Daniel Schukovits Grafik: Zoe Schneeweiss. Fotoredaktion: Yussi Pick Protest und Vertretung Abb. 27: Karikatur „Winckler“, Haberl, 2003. Fotorecherche: Yussi Pick, Jasmin Haider Zukunft der ÖH Arbeit Abb. 28: Festzug zur 600 Jahr Feier der Universität Wien, Lektorat: Katharina Kreissl, Nina Abrahamczik Archiv der Universität Wien, 1965. Chronologie Layout & Satz: Zoe Schneeweiss Abb. 29: Einsturz der Decke im Hörsaal 2 des Neuen Insti- Anhang tutsgebäudes in Wien, ÖH, 2002. Cover: Gerhard Schmadlbauer Abb. 30: Karikatur „Käferreform“, Klein, 2002. Herstellung: Wograndl Druck, Mattersburg Abb. 31: Transparent gegen das Universitätsgesetz 2002 Erscheinungsort: Wien, Verlagspostammt 1040 Wien vom Balkon der Universität Wien, ÖH, 2002. Redaktions- und Verlagsanschrift: 1040 Wien, Taubstummengasse 7-9 Abb. 32: Frauenprotest in Linz, VSStÖ Linz, Jahr unbekan- [email protected] nt. Abb. 33: Pressekonferenz einer Hausbesetzung durch Frau- Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht en, VSStÖ Linz, Jahr unbekannt. unbedingt die Meinung der Herausgeberin wieder. Abb. 34: Women fight back! – Broschüre, ÖH Bundesver- Wir weisen darauf hin, dass alle Angaben trotz sorgfältiger tretung, 2004 Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung Abb. 35: Tortung des damaligen Rektors der Universität der Herausgeberin bzw. der AutorInnen ausgeschlossen ist. Wien Georg Winckler durch Unbekannte, UTV, 2003.

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