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SOWI-Arbeitspapier Nr. 20

Paul Klein

DAS BERUFSBILD DES UNTER- OFFIZIERS IN DER ANPASSUNG AN DIE ZIVILE GESELLSCHAFT ______

Referat1) bei der Arbeitstagung „Anforderungen an die Innere Füh- rung in den neunziger Jahren" vom 04. - 06. 04.1989 an der Führungs- akademie in Hamburg 3

1. Unteroffiziere - Ein Berufsgruppe im Zwielicht?

Wie sicher keine andere -Dienstgradgruppe in den deutschen. Streitkräften standen Unteroffiziere in der; Vergangenheit immer etwas im Zwielicht. Da war auf der einen Seite der hochgelobte Gruppen- und Zugführer beider Weltkriege, der nicht selten Kompanien führte und notfalls sogar an der Spitze eines Bataillons stand. Ihm be- scheinigten in- und ausländische Kritiker die Rückgratfunktion, die den militärischen Wert der deutschen Armeen begründete. Popularität erreichten diese Unteroffiziere aber eigentlich nie. Ihr Wirken blieb vielfach verborgen, stand hinsichtlich der Öffent- lichkeitswirksamkeit zumindest hinter dem der Offiziere zurück. Stattdessen bekamen Figuren wie der Himmel stoß in Remarques Roman „Im Westen nichts Neues" oder nach dem Zweiten Weltkrieg Platzek aus Kirsts 08/15 Trilogie einen ho- hen Bekanntheitsgrad. Sie wurden in weiten Kreisen der Bevölkerung zur Verkörpe- rung von borniertem Schleifertum, mit dem fälschlicherweise alle Unteroffiziere gleichgesetzt wurden.

Unter diesem Image litten, zumindest in den fünfziger und sechziger Jahren, zwei- felsohne, auch die Unteroffiziere der . Insofern kann es kaum verwun- dern, daß 1973 die beiden Wehrpsychologen Döring und Puzicha in einer empiri- schen Untersuchung zu folgendem Ergebnis kamen: „Das Prestige des war eigentlich seit der neuen Aufstellung deutscher Streitkräfte immer ein wenig un- befriedigend. Die Angehörigen dieser. Berufsgruppe selbst waren mit ihrer Stellung innerhalb und außerhalb der Bundeswehr nie so rechtzufrieden."2)

Als brutale Schleifer, die Untergebene in die Verzweiflung treiben, machen Unteroffi- ziere heute keine Schlagzeilen mehr. Trotzdem ist ihr Beruf weiterhin voller Zwie- spältigkeiten. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß es zwischen offizieller Darstellung und Bewertung und, der alltäglichen Praxis starke Unterschiede gibt.

So werden im Sprachgebrauch der Bundeswehr und besonders in Festtagsreden die Unteroffiziere gerne als, Partner und Mitarbeiter der Offiziere bezeichnet. Im Dienstall tag bleiben sie aber die „Unterführer“, die in der formalen Hierarchie, wie das Praefix „Unter" es andeutet, dem Offizier, sieht man von wenigen Ausnahmen ab, nachge- ordnet sind. „Das Prinzip von Befehl und Gehorsam sowie die Vorgesetztenverord- nung sorgen stets dafür, daß sich Unteroffiziere im Zweifelsfall an einen Offizier wenden, ebenso wie letztlich Offiziere zu befinden haben, ob Befehle von Unteroffi- zieren an Untergebene zweckmäßig oder zulässig sind.3)

Fragt man nach den Trägern von Erziehung und Ausbildung in der Bundeswehr,4) so wird im Schrifttum fast immer an erster Stelle der Offizier, und. hier fast immer der Kompaniechef genannt. Dieses Festhalten am Offizier als, dem Hauptträger der Er- ziehung in der Bundeswehr geht aber schon seit langem an der Realität vorbei. Zum einen sind Offiziere in Zugführerfunktionen in der Truppe rar, 5) zum anderen fehlen zwischen Kompaniechefs und Mannschaften ausreichend häufige Interaktionen, die allein Erziehung erst möglich machen. Wie Kuhlmann6) für Chefs von Jägerkompa- nien und Bootskommandanten der Marine zeigen konnte, sind direkte Kontakte zwi- schen einfachen Soldaten und :deren Chefs ausgesprochen selten. Er kam folglich zu dem Schluß, daß „Jägerchefs die Funktion des Erziehers von Jägersoldaten nicht ausfüllen“.7) In die Rolle 4 der Ausbilder und Erzieher sind fast ausschließlich die Unteroffiziere getreten. Ge- nannt aber werden sie in dieser Funktion höchstens, einmal in der Beziehung zum Ausbilder. In einer falschen „Kompaniechefideologie" bleibt der Erzieher der Chef.

Insgesamt kann festgestellt werden., daß in der Praxis d Dienstalltags der Unteroffi- zier die Zentralfigur im Ausbildungs- und Erziehungsgeschehen ist. Darüberhinaus zeichnet er sich in vielen Bereichen durch Fachwissen, Fachkönnen Spezialistentum und Berufserfahrung aus: Häufig genug übertreffen hier die Offiziere bei weitem. Trotzdem bleibt letzteren die endgültige Entscheidung fast immer vorbehal- ten.

Diese, für einen Außenstehenden fast paradoxe Situation, hat Konsequenzen für das Selbstbild von Unteroffizieren in der Bundeswehr.

2. Das Selbstbild von Unteroffizieren

Ihrer Rolle als Ausbilder sind sich, die meisten, Unteroffiziere wohl bewußt. Sie sind auch fest davon überzeugt, daß sie besser als die Offiziere wissen, wie es, um die Mannschaften steht. Immerhin hielten 19888) 94.7 % von 925 befragten Unteroffizie- ren eine diesbezügliche Feststellung für richtig bzw. eher richtig. Besonders Über- zeugt waren dabei die Unteroffiziere o.P., die die entsprechende Antwort sogar zu 97.3 % gaben.

Demgegenüber waren allerdings 65,6 % der Unteroffiziere der Meinung, die Offiziere kümmerten sich zu wenig um sie. 78 % der Unteroffiziere und Stabsunteroffiziere sowie 70.4 % 7der Feldwebel/Bootsmänner äußerten die Überzeugung, im Vergleich zu den Offizieren hätten Unteroffiziere zuwenig zu sagen.

In der Einschätzung durch Offiziere sehen sich 1988 genau die Hälfte der Unteroffi- ziere in einem zumindest mäßig positiven Licht. Dies bedeutet gegenüber 19789) ei- ne „Verbesserung“ von Über 10 %. zum damaligen Zeitpunkt antworteten nämlich auf die Frage „Wie schätzen nach Ihrer Meinung die Offiziere der Bundeswehr im Durch- schnitt die Unteroffiziere ein?" Lediglich 37.4 % mit sehr positiv bzw. mäßig positiv.

Noch etwas besser wie durch Offiziere sehen sich Unteroffiziere durch Mannschaften eingeschätzt. 1988 waren immerhin 55.6 % der Meinung, sie würden von den Mann- schaften zumindest mäßig positiv gesehen. In dieser Beurteilung klafft allerdings eine breite Lücke, zwischen den Unteroffizieren o.P. und den Haupt- bzw. Stabs-/Obersta bsfeldwebeln. Während erstere sich bei den Mannschaften lediglich zu 49.1 % in ei- nem zumindest mäßig positiven Licht sehen, sind es bei letzteren 62.2 %.

Im Vergleich zu zivilen Berufen, die etwa auf dem gleichen Niveau anzusiedeln sind, setzt en Unteroffiziere sich unter 10 Berufen 1978 unterschiedlich nach Teilstreitkraft und Dienstgradgruppe an die Stellen fünf bis sieben. Portepeeträger sahen dabei ih- ren Beruf generell als wichtiger an als Unteroffiziere o.P.

Inwiefern das damalige Urteil bis heute Bestand hat, zeigt Tabelle 1.

Tabelle 1 5

Im Vergleich zu 1978 fällt in bezug auf die Einstufung des Berufs des Unteroffiziers zunächst einmal auf, daß er 1988 - ähnlich wie 10 Jahre zuvor - auf die Ränge 5 bis 7 gesetzt wird. Während die negativeren Plazierungen 1978 aber den Unteroffizieren o.P. vorbehalten waren, ist es heute genau umgekehrt. und Stabs-/, also Berufssoldaten, stufen ihren Beruf am niedrigsten ein. Demgegenüber weisen die Zeitsoldaten, gleichgültig ob mit oder ohne Portepee, höhere Einstufungsschätzungen auf.

Bezogen auf die Gesamtheit der in Tabelle 1 aufgelisteten Berufe zeigt die Berufs- rangskala zwischen 1978 und 1988 eine sehr hohe Stabilität. Damals wie heute fällt eine deutlich ausgeprägte Dreiteilung auf. Im ersten Drittel finden sich Krankenpfle- ger, Landwirt, Bäcker und Polizeioberwachtmeister, im zweiten zusammen mit Kfz-Mechaniker und Elektroinstallateur auch der Unteroffizier, am Ende schließlich Post- und Bundesbahnbetriebsassistent sowie Kaufmannsgehilfe. Dillkofer und Klein schrieben 198110): „Insofern scheint die Behauptung gerechtfertigt, daß Unteroffiziere ihre berufliche Tätigkeit zwar nicht als in irgendeiner Form herausgehoben ansehen, aber auch keineswegs an völlig fehlendem Zutrauen leiden. Für den Unteroffizier scheint vielmehr hinsichtlich des Prestiges sein- Beruf einer unter vielen zu sein."

Diesem Satz ist für 1988 kaum etwas hinzuzufügen. Die These vom „Beruf unter vielen anderen" findet vielmehr noch ihre Festigung, wenn man sich die Motive an- sieht, die Unteroffiziere der Bundeswehr dazu bewogen haben, Ihren Beruf zumin- dest auf Zeit - zu ergreifen.

3. Erwartungen an den Unteroffizierberuf

Betrachtet man Untersuchungen zur Berufswahl der Unteroffiziere aus den siebziger Jahren, so läßt sich, als das Hauptergebnis feststellen, daß zu Beginn des Jahr- zehnts, so etwa In den Untersuchungen von Schmückle und Deinzer,11) noch die „Freude am Militärischen'' das dominante Motiv war. Ähnliches konstatierten auch Feser und Puzicha, wenngleich sie bereits die zivilberufliche Weiterbildung auf den ersten und den Wunsch, Berufssoldat zu werden, nur noch auf den zweiten Platz setzten.12)

Studien Ende der siebziger Jahre dahingegen zeigten soldatische Motive kaum noch. Salm13) stellte 1977 als Hauptmotive die Weiterbildung für den Zivilberuf, finanzielle Gesichtspunkte und allgemeine Aspekte der Weiterbildung heraus. Ein fast identi- sches Ergebnis erbrachte die Unteroffizierstudie des Sozialwissenschaftlichen Insti- tuts der Bundeswehr, die auf Befragungen aus dem Jahr 1978 beruhte.14) Haupt- grund für den freiwilligen Eintritt in die Bundeswehr bzw. für eine spätere Verpflich- tung als auf Zeit war nach dieser Untersuchung eindeutig die zivilberufliche Weiterbildung bzw. die Berufsförderung. Ihr folgten finanzielle Aspekte des Verdien- tes und der Abfindung. Erst an dritter Stelle rangierte, allerdings fast gleichwertig mit der schlechten zivilen Arbeitsmarktlage das Motiv „wollte gerne Menschen führen". Im Heer hatten 50.3 % die Laufbahn des Unteroffiziers gewählt, weil sie sich eine zi- vile Berufsausbildung bzw. -fortbildung oder finanzielle Vorteile erhofften, in der Luft- waffe waren es 55.7 % in der Marine 37.1 %. 6

Gegenüber 1978 hat sich bis heute in den Gründen für die Wahl des Unteroffiziers eine weitere Verschiebung hin zu eher „zivilen" Motiven ergeben. Dies zeigt die be- reits erwähnte Befragung aus dem Jahre 1988.15)

Tabelle 2

Zwar rangiert, bezogen auf eine einzige Antwort, das „Interesse am Soldatischen" unter den Gründen für die Berufswahl 1988 an zweiter Stelle, faßt man allerdings die Antworten zu Gruppen zusammen, so ergibt sich ein anderes Bild. Gründe, die mit der zivilberuflichen Weiterbildung, mit der zivilen Arbeitsmarktlage, der Sicherheit des Arbeitsplatz es und dem Verdienst zu tun haben, dominieren dann eindeutig. Auf sie entfallen in Tabelle 1 insgesamt 52.2 % aller Antworten. Demgegenüber spielen Mo- tive, die eher dem traditionellen Bild des Soldaten zuzurechnen sind (Interesse am Soldatischen, Menschen führen, harte körperliche Betätigung, Kameradschaft, Auf- stiegschancen) mit 29.2, % der Antworten eine eher untergeordnete Rolle.

Zwischen den Dienstgradgruppen der Unteroffiziere und damit auch zwischen jungen und älteren Angehörigen der Laufbahngruppe gibt es im Hinblick auf die Eintrittsbzw. Weiterverpflichtungsmotivation deutliche Unterschiede. Während sich bei den Unter- offizieren o.P. die erstgenannten, eher zivilen Eintrittsmotive auf über 70 % summie- ren und soldatisches Interesse nur hoch von 7 % angeführt wird, geben Haupt- und Stabs- bzw. Oberstabsfeldwebel letzteres zu über 14 %. ersteres dahingegen zu we- niger als,. 50 % an. Die Sicherheit des Arbeitsplatzes rangiert bei den jüngeren Un- teroffizieren mit Abstand und 16.6 % aller Antworten auf dem ersten Platz. Für die Haupt- und Stabs/Oberstabsfeldwebel tritt dieses Motiv' mit, 8.6 % der Antworten hinter soldatisches Interesse (14.1 %) und Unzufriedenheit mit dem Zivilberuf (8.9 %) zurück.

Ein ähnliches Dominieren eher „ziviler" Tatbestände ergibt sich auch, wenn man da- nach fragt, welche Faktoren die Berufszufrieden- bzw. -Unzufriedenheit von Unterof- fizieren bedingen.

4. Faktoren von Berufszufriedenheit bzw. -unzufriedenheit

In der Untersuchung von Dillkofer und Klein16) aus dem Jahre 1978 fanden sich als Hauptgründe für die damals unter Unteroffizieren vorherrschende Unzufriedenheit die fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten in der Bundeswehr und die mangelnden Weiterbil- dungsmöglichkeiten.

Beide Begründungen spielen 1988, wie Tabelle 3 zeigt, eine weniger bedeutsame Rolle.

Tabelle 3

Zur Zufriedenheit mit der Tätigkeit als Unteroffizier tragen 1988 vor allem das Gefühl, einen sicheren Arbeitsplatz zu haben, Anerkennung durch Kameraden und Unterge- bene, die Inhalte der dienstlichen Tätigkeit sowie ein als angenehm empfundenes Betriebsklima bei. 7

Gemessen an der Relation der „zufrieden - unzufrieden" Antworten sind Faktoren der Unzufriedenheit in erster Linie die hohe Dienstzeitbelastung, ein als mangelhaft empfundenes Ansehen in der Bevölkerung und eine unzureichende Bezahlung. Zeit- soldaten sind darüber hinaus mit der dienstzeitbegleitenden Berufsförderung eher unzufrieden, sie befürchten Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in das zivile Berufsleben und sie beklagen eine mangelnde Verwertbarkeit ihrer militärischen Tä- tigkeit für einen Zivilberuf.

Vergleicht man Unteroffiziere o.P. mit den Feldwebeln und Bootsmännern und greift bei letzteren die Gruppe der Haupt-/ Oberstabsfeldwebel besonders heraus, so las- sen sich eine Reihe signifikanter Unterschiede feststellen, die sich allerdings zum Teil auf die statusbedingte unterschiedliche Interessenlage zurückführen lassen. So scheint es einleuchtend, daß die höheren Feldwebeldienstgrade als Berufssoldaten keine Probleme mit Fragen der. Berufsförderung und der Wiedereingliederung ha- ben, und daß die in Tabelle 3 angeführten diesbezüglichen Zahlen der Unzufrieden- heit fast ausschließlich auf die jüngeren Unteroffiziere und damit auf die Gruppe der Zeitsoldaten zurückzuführen sind.

Jenseits dieser statusbedingten Unterschiede fallen aber andere Differenzen auf, die entweder auf unterschiedliches Erleben, eine andere Sichtweise oder aber auf objek- tiv bestehende unterschiedliche Bedingungen zurückzuführen sind.

So ist die Unzufriedenheit m:it der Dienstzeitbelastung bei Unteroffizieren o.P. mit 55.4 % weitaus höher als bei den höheren Feldwebeldienstgraden (32.4 %). Erstere zeigen sich aber weitaus weniger zufrieden mit der Anerkennung durch Untergebene, Kameraden und Vorgesetzte und mit den Inhalten des Dienstes als letztere.

Nahezu gleich unzufrieden sind beide Gruppen mit dem Ansehen des Unteroffizier- berufes in der Öffentlichkeit (Unteroffiziere o.P. 41.3 % Unzufriedene, Hauptfeldwe- bel/Oberstabsfeldwebel 42.4 %) und mit dem Verdienst (40.9 % - 37.6 %). Mit der Versorgung nach dem Ausscheiden aus dem Dienst scheinen Berufssoldaten dahin- gegen weitaus mehr Probleme zu haben al s die auf Zeit verpflichteten jungen Unter- offiziere (35.4 % Unzufriedene - 22.6 %).

Faßt man zusammen und berücksichtigt dabei. auch, daß die Gruppe der Feldwe- bel/, die bisher keine Erwähnung fand, im Grad der Zufriedenheit in fast allen angeführten Punkten zwischen den beiden anderen Gruppen lag, so läßt sich trotz der bestehenden Unterschiede feststellen, daß die Unzufriedenheit im ge- samten Unteroffizierkorps weniger von, internen Faktoren wie der Gestaltung des Dienstes, den Aufstiegsmöglichkeiten und dem Umgang miteinander verursacht wird, sondern vielmehr aus dem Vergleich mit anderen Berufen oder mir der Entwicklung in der Gesellschaft resultiert. Dies betrifft nicht nur das wahrgenommende Ansehen des Berufes in der Öffentlichkeit, sondern vor allem die als zu hoch empfundene Dienstzeitbelastung.

5. Die Dienstzeitbelastung

Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, steht die Dienstzeitbelastung in der Unzufriedenheits- skala an erster Stelle. Dies gibt Veranlassung, auf sie näher einzugehen. 8

1978 waren 80 % aller Unteroffiziere der Meinung, ihre Wochenbelastung sei viel zu hoch oder zumindest gelegentlich zu hoch.17) Dieser Prozentsatz hat sich 1988 auf 61.8 % reduziert und scheint damit eine Verminderung der hohen Dienststundenzahl zu signalisieren. Ob dies tatsächlich der Fall ist zeigt Tabelle 4.

Tabelle 4

Legt man die subjektive Einschätzung der Dienstzeitbelastung als einen Näherungs- wert für die tatsächliche Belastung zugrunde, so zeigt sich im Vergleich zu 1978 eine erhebliche Reduzierung der wöchentlich geleisteten Dienststunden. So hat zum Bei- spiel die Anzahl derjenigen, die 56 und mehr Stunden in der Woche zu leisten haben, um fast 17 % abgenommen. Die Gruppe der Unteroffiziere, die Belastungen unter 45 Stunden angab, hat dagegen um 12 % zugenommen. Trotz dieser zweifelsfrei vor- handenen Entlastungen lag die Zahl der Unteroffiziere, die 1988 mehr als 46 Stun- den pro Woche Dienst zu leisten hatten, noch bei nahezu 57 % und nähert sich damit stark den o.a. 61.8 % die ihre Belastung als zu hoch sahen.

Angesichts der gegenüber 1978 in der Wirtschaft und auch im Öffentlichen Dienst erreichten Arbeitszeitverkürzungen bis teilweise in die Nähe der 35-Stunden-Woche, ist für Unteroffiziere mit 45 Wochenstunden offensichtlich die Belastungs- oder -wenn man so will - die Schmerzgrenze erreicht. Dies um so mehr, als die Zeit der Abwe- senheit von zu Hause durch Manöver und Übungen, die Zahl der Sonderdienste und der Dienste am Wochenende am Standort seit 1978 zwar ebenfalls abgenommen hat, nach wie vor aber sehr hoch ist.

Für die subjektive Bewertung der Dienstzeit scheint die Abnahme der Belastungen kein Maßstab der Beurteilung zu sein. Wichtig ist vielmehr der Vergleich zur übrigen Gesellschaft, in der Freizeit einen sehr hohen Stellenwert hat. An ihr will man als Unteroffizier teilhaben wie andere Bürger auch.

Dieser Vergleich zur Gesellschaft scheint auch für einen anderen Tatbestand maß- gebend, der insbesondere in der zivilen Arbeitnehmerschaft einen hohen Stellenwert besitzt: die Mitbestimmung am Arbeitsplatz. 9

6. Forderungen nach mehr Mitbestimmung

Im Vergleich zu viel en anderen Armeen sind die Mitspracherechte der Soldaten be- dingt durch die Zulassung von Berufsverbänden und Gewerkschaften und auf der E- bene der Einheiten durch die Institution des Vertrauensmannes sicher auf einem .geradezu modernen Stand. Dies wird aber von vielen Unteroffizieren so nicht gese- hen, weil sie als Vergleichsgruppe kaum andere Streitkräfte sondern vielmehr ihre zivilen Mitbürger in anderen Berufsgruppen nehmen.

Vor diesem Hintergrund bedarf nach Meinung der großen Mehr-. heit aller Unteroffi- ziere die Stellung des Vertrauensmannes In den Einheiten einer Überprüfung. Ledig- lich 23.5 % waren der Ansicht, die Mitspracherechte des Vertrauensmannes sollten so bleiben, wie sie augenblicklich geregelt sind. 42.0 % dahingegen forderten eine Erweiterung der Mitspracherechte, 24.2 % sogar eine Personalvertretung nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz. Diese Forderung wurde vor allem von den älteren Unteroffizieren erhoben. So sprachen sich 33.8 % der Haupt- und Stabs-/Oberstalbsfeldwebel dafür aus. Be i den Unteroffizieren ohne Portepee lag die Zustimmung nur bei 14.0 %. Sie pochten dahingegen massiv auf eine Erweiterung der Rechte des Vertrauensmannes (54.2 % gegenüber „nur" 29.6 % bei HFw/OStfw).

Wie weit die Forderungen nach größeren Mitspracherechten sich bereits zivilen Maßstäben angenähert haben, läßt sich auch daraus ersehen, daß ein Streikrecht für Soldaten keineswegs mehr völlig abgelehnt wird. Zwar wollten 1988 noch 57 % der befragten Unteroffiziere von einem solchen nichts wissen, immerhin 36 % forderten aber ein eingeschränktes und 7 % sogar ein volles Streikrecht für Soldaten analog ziviler Modelle. Bemerkenswerter Weise war die Befürwortung eines zumindest ein- geschränkten Streikrechtes 1988 bei den Berufsoffizieren ebenso hoch wie bei ihren zeitverpflichteten Kameraden.

Im Vergleich zu 197818) hat sich die Anzahl derjenigen, die ein zumindest einge- schränktes Streikrecht forderten, bei den Portepeeunteroffizieren um über 10 % er- höht. Bei den Unteroffizieren und Stabsunteroffizieren ist sie hingegen lediglich um 3 % gestiegen.

Die Forderung nach einem zumindest eingeschränkten Streikrecht kann einerseits als ein Ausdruck dafür gewertet werden, daß viele Unteroffiziere sich mehr oder we- niger als Arbeitnehmer fühlen und deren Rechte beanspruchen. Andererseits spricht gerade die Steigerung zwischen 1978 und 1988 dafür, daß bei einer großen Anzahl Unzufriedenheit mit, den bisher bestehenden Mittel zur Durchsetzung eigener Forde- rungen vorherrscht.

7. Schlußfolgerungen19)

Faßt man die dargestellten Ergebnisse zusammen und versucht daraus ein Fazit zu ziehen, so ist zunächst einmal festzustellen, daß sich die Gründe für die Zufrieden- bzw. Unzufriedenheit der Unteroffiziere mit ihrem Beruf weg von spezifischen Eigen- heiten des Soldatenberufs hin nach Kriterien, die vielen anderen Berufen ebenfalls eigen sind, verschoben haben. Ähnliches läßt sich eindeutig auch für die Motive be- haupten, die die Berufswahl der Unteroffiziere bestimmen. 10

Von diesem Wandel sind nicht nur junge Unteroffiziere sondern in zunehmendem Maße auch die Feldwebel und Bootsmänner sowohl als Zeit- als auch als Berufssol- daten betroffen.

In bezug auf den Unteroffizierberuf scheint sich in der Bundeswehr das zu vollziehen, was bereits M. Janowitz 1960 als „Verzivilisierung" des Soldatenberufes bezeichnet hat.20) Anders formuliert könnte man wohl auch sagen, daß Unteroffiziere in zuneh- mendem Maße sich den Denk- und Verhaltensweisen ziviler Arbeitnehmer anglei- chen.

Eingefleischte Vertreter eines „sui generis" Gedankens mögen diese Entwicklung be- dauern. Denkt man aber an die Idee des Staatsbürgers in Uniform, so muß man wohl nur einfach konstatieren, daß sich auch Unteroffiziere im zunehmendem Maße die- ses Staatsbürgers bewußt werden. Nachdem sie jahrelang fast klaglos Einschrän- kungen ihrer Rechte als Staatsbürger in Kauf genommen haben und in erster Linie an die Pflichten des uniformierten Bürgers erinnert wurden, beginnen sie nun auch in ihrer Berufswahl und -motivation und in der Ausgestaltung ihrer beruflichen Umwelt auf die Punkte wertzulegen, die allen Bürgern unseres Staates nahe liegen. Dies sind z.B. materielle Werte wie Verdienst und Versorgung, sind berufsfördernde Maßnah- men, die Forderung nach Mitbestimmung und ist die Freizeit. Gerade nach diesen Kriterien wollen sie ihren Beruf keineswegs von der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt sehen.

Die „Verzivilisierung" des Unteroffizierberufes hat für die Zukunft zumindest zwei Konsequenzen Sie betreffen einmal die Rekrutierung des Nachwuchses und ande- rerseits das Innere Klima in der Bundeswehr.

Was die Anwerbung von Freiwilligen anbelangt, so wird sie in Zukunft immer mehr von den Mechanismen des Marktes abhängig werden. Dies bedeutet wiederum, daß die Bundeswehr nur erfolgreich bestehen kann, wenn sie in bezug auf Verdienst, Karrieremöglichkeiten, Belastungen und Betriebsklima ähnliches bietet wie die zivilen Arbeitgeber.

Mit diesem Punkt, der nicht unwesentlich, auch das innere Gefüge der Bundeswehr betrifft, beginnt allerdings ein nur schwer auflösbares Dilemma. Jede Armee der Welt muß an ihre Mitglieder Forderungen stellen, die aus ihrem militärischen Auftrag ab- geleitet werden. Körperliche Strapazen, Übungen, Manöver, Dienst zu ungünstigen Zeiten und in der Nacht sind damit strukturell bedingte, unverzichtbare Anforderun- gen jeder Armee, sie sind aber in einer Gesellschaft, die sich das Attribut "Freizeitge- sellschaft" zugelegt hat, gleichzeitig die Gründe für Unattraktivität, für Berufsun- zufriedenheit und für Abwanderungs- oder Veränderungsgedanken.

Die Frage für die Zukunft kann also nur lauten: wie und in welchem Maße lassen sich die strukturell bedingten. Anforderungen modifizieren und anpassen, wie können sie dort, wo dies nicht möglich ist, in ihrer Wertigkeit gehoben werden und welche Kom- pensationen durch die Bundeswehr, aber auch durch die Gesellschaft sind notwen- dig, um unumgängliche Belastungen ertragbar und akzeptabel zu machen? 11

Mit anderen Worten kann man vielleicht auch formulieren: wie „zivil'' muß der Beruf des Unteroffiziers werden, um seine Attraktivität für potentielle Bewerber zu bewah- ren und den Wünschen der bereits als, Unteroffizier tätigen entgegenzukommen und wie „militärisch" muß er andererseits bleiben, damit die Streitkräfte ihren Auftrag weiter durchführen können? 12

ANMERKUNGEN

1) Der Beitrag lehnt sich e g an die folgenden Aufsätze an: P. Klein: Selbst- und Fremdbild des Unteroffiziers in der Bundeswehr und der Bevölkerung. M. Grodzki: Zur Berufszufriedenheit bei Unteroffizieren. Beide Aufsätze er- scheinen ' in: P. Klein, H. Rohde (Hrsg.): Soldat - Ein Beruf im Wandel. I. Der Unteroffizier, Dortmund 1989. (im Druck)

2) W. Döring, K. Puzicha: Zur Zufriedenheit der Unteroffiziere. Bd. 2: Ergebnisse!- Trendanalyse, Empirische Psychologie, Anwendung und Forschung. Bonn 1973,.S. 136

3) J. Kuhlmann: Zum Berufsbild des länderdienenden Soldaten in der Bundes- wehr, in: P. Barth (Hrsg.): Bundeswehr in Staat und Gesellschaft. München 19,82, S. 118

4) Vgl. P. Klein: Das überforderte Rückgrat? Unteroffiziere im Sozialisationsge- schehen der Bundeswehr, in: W.R. Vogt (Hrsg.): Militär als Gegenkultur? Le- verkusen 1986, S. 223 - 236

5) Die überwiegende Zahl der Leutnante befindet sich während der Leutnantzeit im Studium an den Bundeswehruniversitäten; Leutnante ohne Studium, d.h. mit Verpflichtungszeiten unter 12 Jahren sind relativ selten.

6) J. Kuhlmann: Einheitsführer-Studie. Sozialwissenschaftliches Institut der Bun- deswehr, Berichte H. 16, München 1979 u. ders.: Zeithaushalte und Tätigkeits- profile von Bootskommandanten der Bundesmarine. Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr. Berichte H. 42, München 1986

7) J. Kuhlmann 1979, a.a.O. S. 194

8) Eine Darstellung der Befragung befindet sich bei P. Klein, H. Rohde, 1989, a.a.0.

9) H. Dillkofer, P. Klein: Der Unteroffizier der Bundeswehr II. Sozialwissenschaftli- ches Institut der Bundeswehr, Berichte H. 21, München 1981, S. 185

10) H. Dillkofer, P. Klein, 1981, a.a.O., S. 172

11) S. Schmückle, W. Deinzer: Probleme der Unteroffiziere, in: Information für die Truppe, 1970, S. 157 ff.

12) K. Puzicha H. Feser: Zur Zufriedenheit der Unteroffiziere, Bd. 1, Bonn 1971, S. 89

13) R. Salm: Eine sozialpsychologische Studie zur Freiwilligenbewerbung für die Unteroffizier- und Offizierlaufbahn, in: Wehrpsych. Untersuchungen, H. 7/1978, S. 54 14) H. Dillkofer, P. Klein, 1981, a.a.O., S. 46 ff. 13

15) Vgl. Anm. 8

16) H. Dillkofer, P. Klein, 1981, S. 47

17) H. Dillkofer, P. Klein, 1:981, a.a.O., S. 63

18) H. Dillkofer, P. Klein, 1981, a.a.O., S. 118

19) Vgl. P. Klein: Die Beurteilung des Wehrdienstes durch Soldaten aller Laufbahn- gruppen. Referat beim 2. Seminar der Arbeitsgruppe Menschenführung am 18.01.1989 an der HOS Hannover. München 1989, S. 16 14

Tabelle 1 Einschätzung der Wichtigkeit von 10 Berufen durch Unteroffiziere 1988

Mittlerer Rangplatz (Rang) Beruf Unteroffiziere Feldwe- Haupt- o.P. bel/Oberfeldw /Oberstabsfeld ebel- webel

Kfz.-Mechaniker 5.17 (5) 5.57 (7) 5.15 (4)

Postassistent 7.19 (8) 1.43 (9) 7.26 (8)

Elektroinstallateur 5.22 (7) 5.52 (6) 5.32 (6)

Bäcker 4.48 (4) 4.30 (4) 5.21 (5)

Unteroffizier 5.18 (6) 5.23 (5) 5.34 (7)

Bundesbahnbetriebsassistent 7.51 (9) 7.60 (8) 7.35 (9)

Polizeioberwachtmeister 4.00 ( 2) 4.13 (3) 4.11 (2)

Landwirt 4.38 ( 3) 3.68 (2) 4.61 (3)

Krankenpfleger 3.,57 (1) 3.32 (1) 3.23 (1)

Kaufmannsgehilfe 7.81 (10) 7.84 (10) 7.32 (10) n 303 286 331 15

Tabelle 2 Gründe für den freiwilligen eintritt in die Bundeswehr bez. für eine spätere Verpflich- tung als Soldat auf Zeit/Berufssoldat

Antwortvorgabe Prozentsatz der Antworten

wollte von Zuhause fort 3.7

wollte gerne Menschen 8. 5

führen/erziehen

wollte eine harte, körperliche Betätigung 1.3

wollte studieren 0.3

wegen der Kameradschaft 4.7

wegen berufsnaher Verwendung 6.7

wegen zivilberuflicher Weiterbildung (Berufsförderung) 7.9

Zivilberuf sagte mir nicht zu 6.0

schlechte zivile Arbeitsmarktlage 8.8

um in der Welt rumzukommen, Abenteuerlust 1.4

aus Interesse an der Seefahrt/Luftfahrt 2.6

aus finanziellen Gründen (Gehalt/Abfindung) 9.4

aus Interesse am Soldatischen 11.0

wegen günstiger Aufstiegschancen. 3.7

auf Empfehlung Anderer 3.5

aus Interesse an der Technik 6.2

wegen der Sicherheit des Arbeitsplatzes 13.1

aufgrund von Werbemaßnahmen 1.2

Anzahl der Antworten* 2613

* Es konnten bis zu 3 Antworten gegeben werden. Anzahl der Befragten: 923

Tabelle 3 Zufriedenheit mit Teilaspekten des Berufes 16

Anzahl der Befragten: 923

Antwortvorgabe zufrieden teils/teils unzufrieden unzutreffend Aufstiegsmöglichkeiten 23.8 43.8 31.1 1.3 Betriebsklima 39.7 45.,4 14.6 0.2 Dienstzeitbelastung 25.4 28.6 43.9 2.2

Anerkennung durch Vorgesetzte 25.0 51.-0 23.7 0.2

Anerkennung durch Kameraden 55.3 40.4 3.5 0.9

Anerkennung durch Untergebene 49.9 32 7 2.5 14.9

Inhalte der dienstlichen Tätigkeiten 41.8 44.1 13.9 0.2 Verdienst 17.3 42.9 38.7 0.7

Sicherheit des Arbeitsplatzes 81.1 13.9 3.0 2.0

Weiterbildungsmöglichkeiten während 26.5 39.0 25.8 8.7 der Dienstzeit

Verwertbarkeit für einen Zivilberuf 17.0 31.0 29.0 23.0

Dienstzeitbeendende Berufsförde- 14.2 29.3 20.7 35.8 rung

Dienstzeitbeendende Berufsförde- 18.1 27 3 45.6 rung

Spätere Versorgung nach Ausschei- 17.4 45.0 29.1 8.5 den bzw. Pension,

Wiedereingliederung in das zivile Be- 3.0 27.5 26.8 42.7 rufsleben

Ansehen des Unteroffiziersberufes in 9.0 48.2 42.3 0.5 der Bevölkerung

Anzahl der Befragten: 923 17

Tabelle 4 Selbsteinschätzung der wöchentlichen Dienstzeitbelastung durch Unteroffiziere

Prozentsatz der Befragten mit Stundenbelastungen

Befragungs- Anzahl der bis 40 41- 46-50 51-55 56-60 über 60 zeitpunkt Befragten Stdn 45Stdn Stdn Stdn Stdn Stdn

1978* 1196 3.3 17.9 20.7 19.3 15.9 22.9

1988 920 12.3 31.0 23.4. 11.2 11.1 11.0

* errechnet nach H. Dillkofer, P. Klein, 1981