Hüttentour: Wettersteinrunde Der lange Weg zum hohen Berg

Von hinten durch die Brust ins Auge und auf Deutschlands höchsten Berg – auf dieser Rundtour

lernt man das Wettersteingebirge von all seinen vielfältigen Seiten kennen. Nach dem Motto:

Lieber sieben Tage wandern als zehn Minuten Seilbahn.

Text und Fotos von Andi Dick

a, es ist ein Kulturschock, wenn man hert, hat man ein ganzes Gebirge durch- der angelegt. Glitschig sind die abgetrete- am Gipfel Deutschlands ankommt: streift und kennengelernt, in einem spe- nen Stufen, von der Decke tropft es, Gischt japanische Wegweiser, gläserne Kon­- ziellen Rhythmus von Wildheit und Tou- wabert – selbst am heißesten Sommertag ferenzräume, Stahl und Beton auf rismus, Einsamkeit und Tamtam, steilem schätzt man hier den Anorak. Jder überfüllten Aussichtsplattform unter Kraxeln und frohem Schlendern. Schlagartig tritt man aus dem lärmi- dem kitschgoldenen Kreuz. Kein Wun- Rauschend der Auftakt: In wilden Kas- gen Schlund ins Freie. Noch einige Meter der, führen doch drei Seilbahnen herauf. kaden gischtet der Höllentalbach durch steiler Wald, dann schlendert man den Trotzdem darf man sich als echter Berg- seine Klamm, die er bis zu hundertfünfzig Bach entlang zum Höllentalanger. Anger steiger fühlen, wenn man zu Fuß hier an- Meter tief in den Wettersteinkalk gefres- heißt Wiese; Nadelbäume säumen den kommt. Denn jeder „Normalweg“ ist an- sen hat. 1905 wurde die wildere der bei- grünen Talgrund, den die mit spruchsvoll und lang. Und wenn man gar den Zugspitzklammen für Touristen er- steilen Felswänden abriegelt. Hier ginge den ganz langen Weg genommen hat, der schlossen (die Partnachklamm folgte 1912), es ganz schnell und direkt hinauf: Fünf sich in einer Riesenspirale dem Gipfel nä- Tunnel durch den Fels gehauen, Gelän- bis sechs Stunden sind es von der Höl-

44 DAV 6/2013 Wettersteinrunde hüttentour

lentalangerhütte über „Brett“, Ferner Schloss Wahnfried und Klettersteig. Aber Bergsteigen ist ja Der genial-schräge „Kini“ Ludwig II. setzte Wasserpfeife rauchen und Tee trinken. Heute die Kunst, sich das Leben schwerer zu Staatsdevisen in Prestigebauten um, die gibt’s auf der Terrasse des Schachenhauses machen als nötig und unter Mühsal wie- heute zu den einnahmeträchtigsten Russnmaß und Gulaschsuppe. der dahin zurückzukommen, wo man Touristenzielen Bayerns gehören. Relativ billig, für eine Handvoll Euro kommt man ins losgegangen ist, auf möglichst komple- „Schachenschloss“ und betritt über dem xem Umweg über einen Gipfel. zirbenhölzernen Erdgeschoss den „Türki- Also gibt es nur sehnliche Blicke zur schen Saal“. Bleiverglaste Fenster, ein vergoldeter Springbrunnen, Fächer aus Zugspitze, bevor es in Gegenrichtung Straußenfedern, Sternenhimmel und weitergeht. Die einst urige Hütte ist der- Perserteppich erinnern an ein Gebäude des zeit eh abgerissen, ein Ersatzbau in Ar- Sultans Selim III., das King Loui hier 1872 nachbauen ließ. Wenn er am 25. August beit. Nach kurzer Querung durch den seinen Geburts- und Namenstag hier feierte, bewaldeten Talhang ist die erste Ent- mussten Diener in orientalischer Kleidung scheidung fällig: links übers Hupfleiten- joch oder rechts zur Rinderscharte? Der linke Weg passiert die Knappenhäuser, gänge“, ein gesicherter Steig am Rand die Schrofenhänge unter dem Blassen- in denen seit 1827 die Bergarbeiter unter- der steilen Bernadeinwände, mit Blick kamm ab ins Reintal, doch der gerade gebracht waren, die hier nach Blei- und auf die grauen Platten der Alpspitz- erst ehrenamtlich renovierte „Schützen- Molybdänerzen schürften; aus 28.000 Nordwand; fleißige Wanderer können steig“ erlaubt relativ gemütliches Wan- Tonnen „Haufwerk“ wurden 20 Tonnen die bekannte Pyramide mit einem grö- dern – sofern man auf Rollsplitt sicher Molybdän gewonnen. Im Ersten Welt- ßeren Umweg mitnehmen. Oben ver- Tritt fasst, auf schrägen Platten ent- krieg wurde der Fundort des kriegs- lässt man den Alpspitzkessel mit Touris- spannt geht und im nachmittäglich vor- wichtigen Stahlveredlers sogar vom Mi- tenzirkus, Skiliften, „Adventure Trail“ geglühten Latschengestrüpp genug zu litär verwaltet, zehn Jahre später war die und heiß diskutiertem „Alpspix“ und be- trinken dabei hat. Mine „ausgeerzt“ und wurde stillgelegt. tritt Wildnis. Zu längerer Rast lädt der Dafür wartet danach eine der roman- Die Rinderscharte trägt auch den Na- Stuibensee, ein grünblaues Auge im tischsten und beliebtesten Hütten des men „Höllentor“; heiß wird’s zumindest Wiesenrund. Der Weiterweg zur Mauer- Wettersteins, die Reintalangerhütte. Si- nachmittags beim Aufstieg durch die scharte, nur dezent markiert, fordert mon Neumann, der neue Wirt auf dem Schutthänge, dafür wächst der Tiefblick schon Trittsicherheit auf glatten Karst- Haus, das 2012 seinen hundertsten Ge- ins Höllental und zu den abenteuerli- felsen und trainiert damit für einen burtstag feierte, steht fest in den Fuß- chen Flanken der Waxensteine – kaum Höhepunkt der Runde: Haltlos brechen stapfen seines berühmten Vorgängers zu glauben, dass dort ein Wanderweg Charly Wehrle: Über der blauen Partnach durchführt. Von der anderen Seite aus wehen Gebetsfahnen, zum Wecken spielt passt der Name Rinderscharte, denn Simon auf der Ziehharmonika auf, Ku- Wiesenhänge ziehen hinunter zum chen und Kaiserschmarrn stärken für je- Kreuzeck mit der großen Hütte der Sek- den Weg. Auch von hier könnte man zur tion Garmisch-Partenkirchen. Zugspitze weitergehen, auf dem alten Vielerlei Optionen bietet die nächste Weg des Erstbesteigers Josef Naus von Etappe. Vielleicht die schönste, nicht 1820 – aber es gilt ja der großen Runde … nur dem Namen nach, sind die „Schön- Deshalb führen am nächsten Tag die Schritte talaus, mal hoch über der Part- nach, zuletzt am Ufer entlang, bevor es Wenn die Sonne hinter der abtaucht, wird es romantisch auf nach der Brücke bei der Bockhütte wie- der Terrasse der Meilerhütte. Klamm und Hütte im Höllental liegen dann der bocksteil bergauf geht. Die erste schon ein paar Tage zurück. Stunde führt durch reichen Mischwald

DAV 6/2013 45 Die Wettersteinrunde Belohnung angebracht. Der Verdau- ungsspaziergang kann in den Alpengar- Anfahrt: Fernzüge nach Garmisch-Parten- (1370 m), ca. 850 Hm, 1150 Hm, 6-7 Std. kirchen, von dort fährt die Zugspitzbahn nach Gipfelmöglichkeit: Alpspitze (2628 m). ten führen, wo Enzian, Alpenastern, Hammersbach und Eibsee. 3) Reintalangerhütte – Bockhütte – Steinbrech, Gamswurz wiederzufinden Beste Zeit: Ende Juni bis Anfang September. Schachen – Meilerhütte (2366 m), sind, die die Wege säumen – und über 800   Anspruch: Durchgehend markierte, teils ca. 1310 Hm , 320 Hm , 5 Std. weitere Alpenpflanzen aus aller Welt, bis gesicherte Wege, oft rot und schwarz. Viele 4) Meilerhütte – Söllerpass (2259 m) – leichtere oder schwerere Varianten- und Puittal – Scharnitzjoch (2046 m) – zum Himalaya. Danach ein Blick ins Gipfelmöglichkeiten. Schlüsselstelle ist die Wettersteinhütte/Wangalm (1753 m), nicht umgehbare Etappe vom Söllerpass ins ca. 450 Hm, 1060 Hm, 4 Std. Puittal mit extrasteilem Schrofengelände. Gipfelmöglichkeiten: Partenkirchner Dreitor­- KARTEN: Bayerische Alpenvereinskarte spitze (Westgipfel, 2634 m), Gehrenspitze Das Muhen der Kühe hallt aus (2367 m). 1:25.000, Nr. BY 8, Wettersteingebirge, der Felswand der Gehrenspitze Zugspitze. 5) Wettersteinhütte – Rotmoosalm – FÜHRER: Stefan Beulke: Alpenvereinsführer Südsteig – Gatterl – Knorrhütte (2031 m), wider wie ein Nebelhorn. , Rother Verlag, München 1996. ca. 1000 Hm, 700 Hm, 5-6 Std. Hütten-Info: dav-huettensuche.de Gipfelmöglichkeiten: Predigtstein/-stuhl (2234 m), Hochwanner (2744 m). Tourist-Info: Markt Garmisch-Parten- Schachenschloss des Märchen-„Kini“ kirchen, Rathausplatz 1, 82467 Garmisch- 6) Knorrhütte – Zugspitze (2963 m) – mit Partenkirchen, Tel.: 08821/18 07 00, Fax: Seilbahn zum Eibsee, 930 Hm, 2 ½ – 3 Std. Ludwig II., und weiter geht’s. 08821/910 90 00, [email protected], 2374 Meter: Höher als die Meilerhütte gapa.de Mehr Infos und Bilder: liegen nicht viele Hütten der Nördlichen 1) Hammersbach (780 m) – Höllentalanger- alpenverein.de/panorama Kalkalpen. Und jeder Meter will gegan- hütte – Höllentor – Kreuzeckhaus (1660 m), Download: ca. 1350 Hm, 450 Hm, 5 ½ - 6 ½ Std. DAV-Broschüre gen sein. Niemand braucht sich zu schä- Gipfelmöglichkeit: Höllentorkopf (2149 m). „Bergerlebnis men, der den schönen Wiesenrücken Wetterstein“ 2) Kreuzeckhaus – Schöngänge – Mauer- beim Frauenalplkreuz für eine Siesta scharte – Schützensteig – Reintalangerhütte nutzt, mit freier Sicht übers Loisachtal ins Alpenvorland. Danach geht’s noch ein paar Meter durchs Felsenlabyrinth zum schlichten Steinhaus mit der klei- nen Andachtskapelle „Maria im Fels“. Wer das Glück hat, einen milden Abend zu erwischen, wird nach dem Berg­ steigeressen noch lange auf der Terrasse sitzen und den Farbwechsel des Lichts genießen – auf Augenhöhe mit den meis- ten Gipfeln. Einer davon reizt als Höhepunkt der nächsten Etappe: Der Herrmann-von- Barth-Weg, benannt nach dem großen Nordalpenpionier, führt mit einigen Draht­ ins Oberreintal, das verrufene Revier der Sonne – schlau, wer früh dran ist. Ent- seilsicherungen auf die Partenkirchner Kletterer; wer mag, kann die zwanzig schädigung bietet der Tiefblick übers , den östlichen Eck­pfeiler Minuten zum Hüttchen der Felsfreaks Reintal aufs Zugspitzmassiv und auf den des Wettersteinkamms. Glücklich, wer hinaufspazieren, um sich den Hütten- haarsträubenden Schützensteig vom dabei nicht alle Kondition und Trittsi- stempel abzuholen … Dann heißt es Vortag. cherheit verheizt, denn hinter dem Karst- schwitzen: Die steile Waldflanke zum Auf dem Schachen sind zwei Drittel plateau des Leutascher Platts wartet die Schachen hinauf steht ab Mittag in der des Aufstiegs geschafft, eine Jause als Schlüsselstelle der Runde, der Abstieg

46 DAV 6/2013 Wettersteinrunde hüttentour

Wer sich früh aufmacht zur Leuta- scher Dreitorspitze, genießt viel- leicht auf dem Leutascher Platt den Sonnenaufgang überm – und den Blick auf die Nordwand der Gehrenspitze. Die Knorrhütte ist der letzte Stützpunkt vor der Etappe Nördliche und Südliche Schneeferner bis zum voll erschlossenen Gipfel. 2006 fast halbiert, heute sind nur noch Reste übrig; traurig warten die Liftmas- ten aufs Ski-Opening. Im Schneeferner- Observatorium über dem Liftgebiet er- vom Söllerpass ins Puittal: vier­hundert forschen internationale Wissenschaftler Höhenmeter atemraubendes Steilgelän- neben vielerlei anderen Projekten die Ur- de. Ein Wanderweg für Könner. Umso sachen und Symptome des Klimawan- wohltuender ist das Grün im Puittal. Das dels, seine Folgen stets vor Augen. Die Muhen der Kühe hallt aus der Felswand Schuttwüste, die der sterbende Glet- der Gehrenspitze wider wie ein Nebel- scher hinterlassen hat, stellt die Kondi­ horn. Zwischen den Rindviechern grasen tion auf eine letzte Probe: Der Schutt Schafe, Ziegen und Pferde. Drüber pfeift gibt nach unter jedem Tritt. Doch nach die graugelbe Wandflucht der Schüssel- sieben Tagen sind diese letzten neun- karspitze in den Himmel, eine senkrech- hundert Höhenmeter kein ernstes The- te Mauer von über einem Kilometer Brei- ma mehr, auch die Drahtseilpassagen te und vierhundert Meter Höhe, Bühne am Gipfelaufbau nimmt man jetzt leich- der wildesten Taten im Fels, vor hundert ten Schrittes, vielleicht im Gedenken an Jahren wie heute. Die schwerste Route in die zwei Opfer des Zugspitz-Berglaufs der Hauptwand fordert den zehnten 2008, die hier ausgepumpt im Schneefall Schwierigkeitsgrad, die leichteste den starben. Oder mit einem bewundernden sechsten. Blick zum Drahtseil der Bahn zwischen Das nächste Quartier trägt nicht das Gipfel und Zugspitzplatt, auf dem der Siegel „Alpenvereinshütte“. Aber egal, ob Schweizer Artist Freddy Nock hinauf man sich für die Wettersteinhütte ent- und hinunter balanciert ist – Kletter- scheidet oder für die Wangalm, der steig extrem! abendliche Terrassenblick ins dunstver- Das Karwendelgezack im Osten ver- Dann steht man oben! Das 4,88 Meter blassende Inntal ist von beiden gleich schwindet, die mächtigen Pyramiden hohe, 2009 für 15.000 Euro neu vergolde- schön. Fette Almwiesen prägen die der Mieminger rücken näher. Nach dem te Kreuz leuchtet in der Sonne, auf Mos- nächste Etappe; einen Tag lang heißt es letzten Anstieg ins Wannigjöchl öffnet lems wartet ein eigenes Gebetshaus, auf schlendern in lockerem Auf und Ab sich die Lücke im Felsengrat, durch die Jünger irdischer Fernkommunikation man „durch die Brust ins Auge“ nun bester SMS-Empfang neben den riesigen doch noch zur Zugspitze kommt: Ein Funkantennen, auf bodenständige Berg- paar drahtseilgesicherte Meter hüben, ler eine Erbswurstsuppe im „Münchner ein ausgesetztes Band drüben, das ist Haus“, Deutschlands höchster Alpenver- das Gatterl. Über die Ausläufer des Zug- einshütte. Die Zugspitze, sie mag ein spitzplatts querend, ist man bald an der point of interest für Touristen sein – sie Knorrhütte der Sektion Garmisch-Par- bleibt auch ein Berg. durch die endlosen Grashänge unter den tenkirchen, dem Ausgangspunkt fürs Kalkwänden des Wettersteinkamms. Grande Finale. Heiß kann es werden auf dem „Südsteig“, Früher mal – genauer: noch um 1820 Andi Dick aus der Panorama- aber immer wieder kreuzen Bäche den – war das Zugspitzplatt komplett ver- Redaktion war schon oft im Wetterstein unterwegs und Weg, lockt eine Alm mit Kaltgetränken. gletschert. Von alter Ferner-Herrlichkeit findet doch immer wieder neue, reizvolle Winkel – auch Und mit jedem Graskamm, den man ist nicht mehr viel übrig. Seit dem letz- die Zugspitzrunde bot davon überschreitet, wechselt der Horizont. ten Höchststand 1979 haben sich der jede Menge.

DAV 6/2013 47