Inhalt

Michael Hoffmann, „Der Gerechtigkeit einen Beistand thun“: Kampf um Partizipation im deutschen Südwesten – Prolegomenon zu einem Längsschnitt 3 Maria Würfel, Bürgermeister – Rat – Zunftmeister 9 Ulrich Maier, Ein Volksaufstand und eine Verfassung für Württemberg – Der Arme Konrad und der Tübinger Vertrag 18 Kerstin Arnold, Jerg Ratgeb – Künstler und Kanzler des „gemeinen Mannes“ 26 Dr. Otto Windmüller, Die Revolution 1848/49 im öffentlichen Raum - das Beispiel Schwäbisch Hall 34 Steffen Gassert, „Mann der Arbeit aufgewacht! Und erkenne deine Macht!“ – Anfänge der Arbeiterbewegung in Württemberg 42 Peter Clemens Weber, „Dieser Prozess ist etwas völlig neues für die Menschen in Aalen“ - Demokratischer Neubeginn nach 1945 am Beispiel des Kreises und der Stadt Aalen 47 Eva Maria und Wilhelm Lienert, Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus? 55

Landeskundebeauftragte im Regierungsbezirk im Schuljahr 2015/2016 65 Landeskundliche Fortbildungsveranstaltungen 2015/16 66 Bisherige Ausgaben von PROJEKTE REGIONAL 67

Impressum: © PROJEKTE REGIONAL, Schriftenreihe des Arbeitskreises Landes- kunde und Landesgeschichte im Regierungsbezirk Stuttgart, 11/2016 Redaktion, Satz und Layout: Ulrich Maier Für die Inhalte der einzelnen Beiträge sind die jeweiligen Autoren ver- antwortlich. Herstellung: Fleiner Druck, Obersulm-Sülzbach 2015

Titelbild: Schülerinnen und Schüler des Ernst-Abbe-Gymnasiums Aalen bei der Projektarbeit

Michael Hoffmann „Der Gerechtigkeit einen Beistand thun“: Kampf um Partizi- pation im deutschen Südwesten – Prolegomenon zu einem Längsschnitt

Partizipation als „glokales“ Phänomen der Gegenwart Seit etwa einem halben Jahr prägen immer wieder Bilder von Demon- stranten mit gelben Regenschirmen die Berichterstattung aus der ehema- ligen britischen Kronkolonie und jetzigen chinesischen Sonderverwal- tungszone Hongkong. Die gelben Regenschirme, die wohl zunächst zur Abwehr von Pfefferspray-Angriffen seitens der Polizei zum Einsatz kamen, sind mittlerweile zum Symbol der Protestbewegung gediehen und weisen klar über die bloße Abwehr staatlicher Gewalt hinaus: Sie stehen für den Protest der Bevölkerung gegen den vom Festland-China installierten Verwaltungschef und insbesondere gegen die Regelungen zur Wahl seines Nachfolgers 2017, bei der das Wahlvolk nur über Kan- didaten abstimmen dürfen soll, die von der KP in Peking genehmigt wurden. Die gelben Regenschirme offenbaren also mithin ein breites Partizipationsbedürfnis und auch die Bereitschaft zur öffentlichen, de- monstrativen Einforderung demokratischer Mitbestimmungsrechte. Der westliche, an die Selbstverständlichkeit des Rechtsstaates bereits gewöhnte Beobachter kann an diesem Beispiel gewissermaßen wie in einem Reagenzglas den Beginn, Verlauf und auch die Wirkung und Fol- gen eines Kampfes um Partizipation verfolgen, allerdings unter den spe- zifischen Umständen und den historischen Rahmenbedingungen in Hongkong. Hongkong stellt jedoch in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht keinen Einzelfall dar: Im arabischen Raum fielen 2011 etablierte Machthaber der Unzufriedenheit des Volkes zum Opfer, allerdings führ- ten nicht alle revolutionären Umbrüche, die etwas pauschal unter dem Begriff arabischer Frühling subsumiert werden, auch zu einem demokra- tischen Ende. Das Begehren nach politischer und gesellschaftlicher Teil- habe spielt ferner nicht nur in seiner globalen Dimension eine große Rolle, sondern auch in seiner lokalen. Auf kommunaler und regionaler Basis entstanden nämlich auch in Deutschland in den vergangenen Jah- ren partizipative Bewegungen, die sich gegen große infrastrukturelle Projekte ( z.B. „Stuttgart 21“, Stromtrassen) wehrten und Mitsprache bei Entscheidungen der Verwaltung einforderten. Zusammenfassend muss man also davon ausgehen, dass Partizipationsbestrebungen und -kämpfe ein emergentes Grundphänomen der Gegenwart darstellen, dessen sich 3 auch die historisch-politische Bildung annehmen muss, um die Schüle- rinnen und Schüler zur kompetenten Analyse und Urteilsbildung – und damit natürlich auch zur Teilhabe – im politischen Diskurs zu befähigen. Die Aufgabe des Geschichtsunterricht wird dabei insbesondere darin bestehen, das Thema Partizipation sowohl in seiner historisch- genetischen wie auch in seiner typologischen Dimension zu behan- deln. Die Schülerinnen und Schüler sollen also einerseits an ganz konkre- ten, abgeschlossenen Beispielen Kämpfe um Partizipation strukturell erschließen und kriterial beurteilen, andererseits aber auch auf der Basis des historischen Beispiels allgemeine Merkmale von Partizipationskämp- fen erarbeiten und auf ihre Gegenwart übertragen. Denn anders als die oben erwähnte chemische Reaktion im Reagenzglas verlaufen vergleich- bare historische Prozesse keineswegs analog und ihr Ausgang ist auch nur bedingt prognostizierbar. Gleichwohl hilft die Auseinandersetzung mit vergleichbaren Prozessen in der Geschichte zu einem tieferen Ver- ständnis des allgemeines Phänomens und gibt Orientierung.

Partizipation im Geschichtsunterricht: Das didaktische Potential des landeskundlichen Zugriffs Bestrebungen und Kämpfe für politische Partizipation und Demokratie sind auf mehreren Ebenen von historischer Bedeutung, neben der globa- len und lokalen ganz besonders auch auf nationaler und europäischer Ebene. Es stellt sich somit die Frage nach einer sinnvollen Reduktion des Stoffes im Geschichtsunterricht, ohne weder die historisch- genetische wie auch typologische Dimension aus dem Auge zu verlieren. Dies kann, wie die verschiedenen Beiträge dieser Publikation zeigen, in besonderem Maße von landeskundlichen Beispielen geleistet werden, und dies aus gleich mehreren Gründen. Zum einen erfolgten und erfol- gen im deutschen Südwesten, in Baden wie in Württemberg, mehrere für allgemeine Entwicklungen repräsentative Kämpfe um Partizipation seit dem ausgehenden Mittelalter, verwiesen sei auf die Beiträge in diesem Heft zum Armen Konrad, zur 1848er Revolution oder zur Etablierung der Demokratie nach 1945. Der Tübinger Kulturwissenschaftlicher Warnecken hat in diesem Zusammenhang gar von einer Tradition der „Widerständigkeit“ gesprochen, die sich vom Aufstand des Armen Kon- rad 1514 bis zu den Protesten gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 im deutschen Südwesten erkennen lasse. (1) Zum anderen sind die hier vorgestellten Beispiele zeitlich und räumlich begrenzt und erlauben somit eine umfassende und gleichzeitig prägnante Ausei-

4 nandersetzung mit dem Grundphänomen Partizipation. Schließlich bie- ten die landeskundlichen Zugriffe auch die Möglichkeit, durch Aneinan- derreihung und diachronen Vergleich die historische Genese und damit auch bestimmte Strukturen der longue und moyenne durée, um es mit Fernand Braudel zu sagen, zu identifizieren. Dabei können die Schüle- rinnen und Schüler neben den Erfolgen auch Grenzen und Scheitern von Partizipationbestrebungen in der Geschichte erkennen und damit ein Bewusstsein vom „Geworden-Sein“ der Gegenwart (Historizität) entwickeln. Dieses Bewusstsein ist in besonderem Maße notwendig für die in den Leitperspektiven des neuen Bildungsplans genannte „Partizipationskom- petenz“, nach der die Schülerinnen und Schüler „Partizipations- und Gestaltungsräume erkennen“ und „sich an der Gestaltung einer nachhal- tigen Entwicklung beteiligen“ können sollen (2). Das Erkennen dieser Räume ist aus geschichtsdidaktischer Sicht insbesondere dann möglich, wenn bestimmte Entscheidungssituationen, in der sich Partizipationsbe- strebungen eruptiv verdichteten – z.B. während der Revolution von 1848/49 - , nicht nur auf ihren realen Ausgang, sondern auch auf die in ihnen angelegten und damit möglichen, aber nicht realisierten Ausgänge untersucht werden. Nur dann kann die Geschichte als prinzipiell offen und damit Gegenwart und Zukunft als gestaltbar erkannt werden. Auf die Gefahr, die Demokratiegeschichte seit dem ausgehenden Mittel- alter als lineare Erfolgsgeschichte zu charakterisieren, hat jüngst auch der Historiker Paul Nolte hingewiesen. In seinem historischen Längsschnitt hat er neben diese Perspektive der „Demokratie als Erfüllungsgeschich- te“ auch die der Demokratie als „Suchbewegung“ und als „Krisenge- schichte“ gestellt. Mit „Suchbewegung“ meint er in diesem Zusammen- hang das Nebeneinander bzw. gar die Konkurrenz mehrerer Vorstellun- gen von politischer Partizipation, wie sie sich im Südwesten z.B. wäh- rend der 1848er Revolution manifestierten, deren klares Ziel noch nicht eindeutig festlegbar war. Mit der „Krisengeschichte“ werden vor allem die Krisen und Rückschläge der Demokratiegeschichte betont, die ja keinesfalls als Einbahnstraße des Fortschritts verstanden werden soll. Nolte hat die Demokratie daher auch als „offen, historisch kontingent, extrem flüssig – und doch offenbar nicht beliebig“ bezeichnet, die sich in einem weiteren Sinne eher „stolpernd“ als zielgerichtet entwickelt ha- be.(3) Auch dafür bietet der Südwesten repräsentative Beispiele, es seien hierfür das Scheitern des Armen Konrads 1514 oder auch die Auseinan- dersetzungen um die politische Form des Volksstaates 1918/19 genannt.

5 Wenn Demokratie – und damit in gewisser Hinsicht auch das Bemühen um Partizipation – also nicht nur Erfüllung, sondern auch Suchbewe- gung und Krisengeschichte ist, muss insbesondere ein didaktisierter lan- deskundlicher Längsschnitt alle drei Perspektiven berücksichtigen.

Die „Südstaaten-Rebellen“? Partizipationskämpfe im Südwesten: Vorschlag für einen Längsschnitt (4) Der Kampf um Partizipation stellt sich in Württemberg keinesfalls als lineare, gleichmäßig ansteigende Erfolgsgeschichte dar, vielmehr lassen sich vier tektonische Erschütterungen seit dem Beginn der frühen Neu- zeit feststellen, die einerseits gut curricular eingebunden werden können, andererseits durch ihre spezifische Ausprägung auch in besonderem Maße kategoriale Einsichten fördern. Die mit dem Armen Konrad und dem Tübinger Vertrag 1514 beginnen- de und mit der Niederschlagung der Bauernhaufen 1525 zunächst en- dende Phase der Auseinandersetzung des „gemeinen Mannes“ mit dem frühmodernen Territorialstaat kann als der erste, größere Räume übergreifende Anlauf zu Partizipationsbestrebungen gefasst werden. Die zweite, von mehreren weitgehend erfolglosen Schüben gekennzeichnete Phase fällt in das lange, liberale 19. Jahrhundert, von den ersten Schock- wirkungen der Französischen Revolution bis zum Kampf der würt- tembergischen Sozialdemokratie gegen das Sozialistengesetz. Der verlorene Erste Weltkrieg und die danach folgende Revolution von 1918/19 bewirkten die dritte tektonische Erschütterung, die nun in ei- nem ganz neuen Maße Partizipation verwirklichen sollte, gleichzeitig aber mit der Verwirklichung auch den Streit um die Frage brachte, wel- ches Partizipationsmodell denn das bessere sei. Und schließlich: Der Streit um das Stuttgarter Bahnhofsprojekt und die daran sich anschlie- ßende Debatten um Bürgerbeteiligung im digitalen Zeitalter sind sicher- lich Ausdruck einer vierten Woge partizipatorischer Bemühungen, der Partizipation in der Demokratie, die weiterhin virulent ist. Folgende zwölf Themen, die als Einzel- wie als Doppelstunde unterrich- tet werden können, werden näher vorgestellt werden. (5)

I. Gegen den frühmodernen Territorialstaat 1. Der Arme Konrad: Aufstand des einfachen Mannes? 2. Der Tübinger Vertrag: Eine württembergische Magna Charta? 3. Württemberg im Bauernkrieg: Kampf für die Menschenrechte?

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II. Partizipation zwischen Monarchie und Republik 4. „Rebellion“ in der Provinz? Die Reaktion auf die Französische Revo- lution in Württemberg 5. Württemberg im Vormärz: Gesangsvereine für Einheit und Freiheit 6. Der schwäbische Hecker: Gottlieb Rau und die württembergischen Demokraten in der Revolution 1848/9 7. Illegal, aber doch erfolgreich? Die Arbeiterbewegung im Kampf um politische Partizipation im Zeitalter des Sozialistengesetzes III. Welche Republik? Partizipationsmodelle 8. Parlament oder Räterepublik? Die Novemberrevolution in Stuttgart 9. „Panzerwagen gegen Arbeiter“: Der Generalstreik im April 1919 IV. Partizipation in der Republik 10. Stuttgart 21: Mitbestimmung vor Ort 11. Leitfaden Bürgerbeteiligung: Eine neue Magna Charta? 12. Abschluss: welche Partizipation wollen wir für uns heute?

Wie können Partizipationskämpfe diagnostiziert werden? Die ty- pologische Dimension Die zahlreichen, in der historischen und politischen Protest- und Partizi-

7 pationsforschung verwendeten Klassifikationen und Typisierungen von Partizipation sind einer wissenschaftlichen Diskussion sicherlich ange- messen, eignen sich aber kaum für eine Übertragung in den Unterricht. Daher wurde für den hier vorzustellenden Längsschnitt folgendes Analy- seschema gewählt, das drei zentrale Begriffe umfasst: Aufstand – Kampf um Partizipation – Revolution. Der Aufstand ist dabei dadurch charakterisiert, dass er nur Unbequemes beseitigen will; dafür gibt es Ursachen und Anlässe. Der Aufstand mündet aber nicht automatisch in einen Kampf um Partizipation, sondern er muss eine bestimmte strukturelle Dimension entwickeln: Kommunikation, Organisation zur Verstetigung, sicherlich auch die Gewalt und sicherlich auch positive Zielformulierungen. D. h.: Der Kampf um Partizipation ist deutlich von einem Aufstand zur Beseitigung von Missständen zu unter- scheiden, weil er durch die genannten Parameter eine eigene, weiterfüh- rende Qualität gewinnt. Wenn dann schließlich der Erfolg oder das Scheitern des Kampfes um Partizipation beurteilt werden soll, und damit auch der Grad an Neuarti- gem und Verändertem, also Errungenschaften und Ergebnisse, greift der analytisch im Geschichtsunterricht bereits etablierte Begriff der Revolu- tion: mit ihm lässt sich klären, ob und inwieweit der Kampf um Partizi- pation auch zu einer grundlegenden Umwälzung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geführt hat.

Anmerkungen (1) Geo Special 2/2014, Baden-Württemberg S. 26-29 (2) Arbeitspapier für die Hand der Bildungsplankommissionen als Grundlage und Orientierung zur Verankerung von Leitperspektiven – Stand: 08. April 2014, S.7 (3) Paul NOLTE: Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart. München 2012, S. 17-19, das Zitat S. 23. (4) Für alle hier vorgestellten Themen dieses Längsschnitts gibt es passendes und kommentiertes Unterrichtsmaterial auf dem Landesbil- dungsserver Baden-Württemberg: http://www.schule- bw.de/unterricht/faecheruebegreifende_themen/modelle/epochen/ demokratie/suedstaaten-rebellen/ . (5) Zu allen Doppelstunden sind passende Materialien für den Ge- schichtsunterricht in einer gymnasialen Oberstufe auf dem Landesbil- dungsserver BW bereitgestellt.

8 Maria Würfel Bürgermeister – Rat – Zunftmeister

Das Streben nach Mitbestimmung im Stadtregiment hat in den Freien Reichsstädten eine weit zurückreichende und wechselvolle Geschichte. Die Vorgänge ähneln sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in den einzelnen Gemeinwesen, so dass im Folgenden u.a. auch mit den Mitteln des Exemplarischen und des Transfer gearbeitet werden kann.

1. Ein mehrfacher Wechsel im Stadtregiment machte im Laufe des Mittelalters das Streben unterschiedlicher sozialer Gruppierungen der Stadtbürger nach Partizipation deutlich. Allen diesen Bemühungen fehlte zwar noch die demokratische Legitimation durch allgemeine und gleiche Wahlen. Denn die Ämter im Stadtregiment wurden durch Kooptation (1) besetzt. Diese Zuwahl aus den eigenen Reihen, wodurch Andersden- kende ausgeschlossen werden können, ist beim Zustandekommen von Regierungsgremien nach unserem heutigen Verständnis deshalb unde- mokratisch, da die so gebildeten politischen Instanzen über nicht Stimmberechtigte herrschen. Aber immerhin bereiteten die frühen For- men der Partizipation durch das von ihnen vertretene Streben nach Selbstverwaltung den Boden für Künftiges. 1.1. Verwaltung und Rechtsprechung in den Freien Reichsstädten (2) übte im Hochmittelalter der vom Stadtherrn – dem König – eingesetzte Schultheiß aus, in der Regel ein Ministeriale. Er wurde von einem 10- bis 12-köpfigen Richterkollegium unterstützt, dessen Mitglieder aus der städtischen Oberschicht kamen, innerhalb der sie einen exklusiven Zirkel der ratsfähigen Geschlechter bildeten. 1.2. Im Laufe des 13.Jh.s hatte sich der Kreis der Oberschicht, die nach Partizipation strebte, durch reich gewordene Kaufleute vergrößert. Aus ihren Reihen organisierte sich – hervorgegangen aus dem Richterkollegi- um – der Rat (3). Dieser wählte aus seinen Reihen einen Bürgermeister. Gemeinsam repräsentierten sie die Stadtgemeinde, die nun mit eigenem Siegel in Erscheinung trat. Der Schultheiß verlor mehr und mehr an Bedeutung. Diese Phase wird als die Zeit der Ratsverfassung bezeich- net. Wenn von Rat gesprochen wird, ist der sog. Kleine Rat gemeint, das geschäftsführende Gremium im Stadtregiment. Er konnte bei anstehen- den schwerwiegenden Entscheidungen den Großen Rat einberufen, der, ohne gewählt zu sein, als Vertretung der gesamten Bürgerschaft galt.

9 1.3. In einer weiteren Phase meldete etwa ab der Mitte des 14.Jh.s die städtische Mittelschicht aus Gewerbe und Handel, in Zünften organi- siert, ihre Forderung nach politischer Partizipation an. Dabei kam es häufig zu Aufständen. Das Ergebnis dieses Kampfes um Partizipation waren in den Reichsstädten die Zunftverfassungen (4), die in der Regel ein Zusammenwirken des alten Rates mit den Zünften vorsahen.

2. Das Kräftespiel in den Zunftverfassungen wird in Urkunden mit der Formel: „Bürgermeister, Rat, Zunftmeister“ umschrieben (5). Diese Formel verrät, dass die zünftlerische Mitbestimmung in den meisten Fällen von den Zunftmeistern getragen wurde (6), die sich auf Grund ihrer Wohlhabenheit den ursprünglich ehrenamtlichen und zeitaufwän- digen Einsatz leisten konnten. Die Zunftmeister waren Mitglieder des Rates und bildeten dort eine eigene „Zunftmeisterbank“. Ihr geschlossenes Auftreten ermöglichte ihnen, die zünftlerischen Interessen effektiv gegenüber der Oberschicht im Rat zu vertreten. Im Vorfeld der Ratsversammlungen trafen sie des- halb gemeinsam Absprachen. Durch ihr Wahl- und Stimmrecht nahmen sie Einfluss auf die Entscheidungen des Rates, die Besetzung der städti- schen Ämter und konnten auch selbst in diese politischen Führungsäm- ter gewählt werden. Die Zunftverfassungen bestanden in den Reichsstädten mit allmählicher Umgewichtung der Kräfte wiederum zugunsten der Oberschicht bis zur Mitte des16.Jh.s; dann wurden sie durch die Verfassungsänderungen Karls V. verdrängt.

3. Zwei Beispiele für die Umsetzung der Zunftverfassung konkreti- sieren im Folgenden die dabei möglichen Spielarten, denn die Ausgestal- tung der Zunftverfassung im Einzelnen wechselte von Reichsstadt zu Reichsstadt – in der Regel bedingt durch das Verhältnis, in dem die Ver- treter von alter Oberschicht und Zünften zueinander standen. 3.1.Esslingen: Noch zu Beginn des 15.Jh.s waren hier die Spannungen zwischen den alten Geschlechtern und den Zünften stärker als ander- wärts (7). Obwohl schon 1392 eine Friedensordnung formuliert worden war, kam es noch 1401und 1411 zum Bruch des inneren Friedens im Kampf um die Partizipation und damit verbunden um Marktanteile. So stellten 1411 die Bäcker das Backen ein und verließen Esslingen. Sie unterlagen allerdings in diesem Kräftemessen und verloren als Strafe für 10 Jahre ihre politische Selbstständigkeit. Erst nach 1411 gelang es, Ver-

10 schwörungen und „ufflöff“ auf Straßen und Plätzen zu verhindern und für die Stadtbürger bindende Erlasse und Verbote zu formulieren. Sie wurden am jährlichen Schwörtag, dem Tag des Amtseides des Bürger- meisters, den umstehenden Stadtbürgern vorgelesen. Diese Konsolidierung kam aber nicht dem Ansehen des Patriziats zugu- te, sondern dem gesellschaftlichen Aufstieg der Zunftmeister, da die alte Oberschicht im 15.Jh. extrem zurückging – dies ein Vorgang, der auch in Gmünd zu beobachten sein wird, dort aber ganz andere politische Fol- gen hatte. In Esslingen führte es dazu, dass im Laufe des 15.Jh.s die Ratsherren zunehmend aus dem Kreis der Zunftmeister kamen. 3.2. Schwäbisch Gmünd: Die frühe Verfassungsentwicklung entspricht der anderer Reichsstädte. Gmünd besaß spätestens seit 1284 eine Rats- verfassung (8); der erste Bürgermeister ist namentlich bekannt: Berthold Klebzagel. Ihm wurde im geschichtsbewussten 16.Jh. ein Grabstein (sie- he Abb.1) als ehrendes Denkmal errichtet, der heute im Gmünder Müns- ter aufgestellt ist. Schließlich erhielt die Stadt nach mehreren Aufständen eine Zunftverfassung, die ihr Kaiser Karl IV. 1373 bestätigte. Ihre Durchsetzung und ihr Fortbestehen wurde wie allgemein in den Reichs- städten durch die Konfrontation zwischen den bevorrechtigten Familien der Oberschicht und den Handwerkern begünstigt. Das Eidbuch der Stadt überliefert den 1468 aufgezeichneten Amtseid des Bürgermeisters: „Herr Bürgermeister, Ihr werdet schwören, dass Ihr ohne Vorbehalte ein gleicher, gemeiner Mann sowohl für den Armen als auch den Reichen sein werdet . Und was Euch geklagt wird, das werdet Ihr vor den Rat bringen und es dann vollziehen nach Erkenntnis des Rates oder seiner Mehrheit ohne Vorbehalte sowohl für den Armen als auch für den Reichen“ (9). Die Konfrontation zwischen Oberschicht und Handwerk hielt aber im Gegensatz zu anderen Orten in Gmünd nicht an (10). Im Lauf des 15.Jh.s verloren hier die Zünfte zunehmend ihre Gegner, denn die Zahl der Vertreter der patrizischen alten Oberschicht ging zurück (Abwande- rung? Aussterben?), bis es Ende des 15.Jh.s kein Patriziat in Gmünd mehr gab. Als neue Oberschicht formierten sich durch Handel reich gewordene Aufsteiger. Diese Situation verschaffte zunächst den Zünften mehr Spielraum, doch konnten und wollten sich bald auf Grund von wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Zunftgenossen den zeitraubenden und ehrenamtlichen Dienst für die Stadt nicht mehr leisten. Es kam 1488 zu einem „Verfassungssturz“ (11): Der gesamte Rat trat zurück, die Zahl der Zünfte wurde durch Zusammenlegungen verringert, wodurch das

11 einst erstrebte, nun aber als Last empfundene Recht der Zunftmeister, in den Rat zu kommen, von immer weniger Mitgliedern aus ihren Reihen wahrgenommen wurde. Die Amtszeit der Zunftmeister im Rat wurde außerdem auf zwei Jahre verringert. In anderen Städten, in denen die politische Rivalität von Oberschicht und Zünften fortbestand, kam es zu keinem so ausgeprägten Rückzug aus der politischen Mitbestimmung.

4. Die Ämter und Aufgaben im Stadtregiment (12) waren vielfältig und verlangten einen hohen, ursprünglich ehrenamtlichen Arbeitseinsatz. Ihre Bezeichnungen und Zuständigkeiten ähnelten einander in den Reichsstädten. Diese verfügten als selbstständige Herrschaften über eigene innen- und außenpolitische Aktivitäten. Sie lagen beim Rat, wobei nur die vor- nehmsten Ratsherren die Gesandtschaften an den Kaiserhof, zu Fürsten und anderen Städten übernehmen durften. Ebenfalls beim Rat lag das Militärwesen, das die Errichtung der Stadtbe- festigung, die Ausstattung der städtischen Mannschaft sowie das Anwer- ben von Söldnern umfasste. Ratssache war auch die Festlegung und Erhebung von Steuern und Ge- bühren, die z.T. sogar von Ratsherren persönlich eingezogen wurden. Bei hohem Finanzbedarf entschied der Rat über Kreditaufnahmen und die Ausgabe von Zinsbriefen. Die Verwaltung des Stadthaushaltes oblag dem (den) Stettmeister(n). Der Stadtschreiber leitete die Kanzlei und das Archiv der Stadt, wurde aber auch als Notar eingesetzt. Beide Ämter waren mit Ratsmitgliedern besetzt.

5. Die Frage nach der schulischen Umsetzung des Themas stellt sich als eine Frage nach den angestrebten Zielsetzungen sowie dem für Schüler geeigneten Arbeitsmaterial. Zwei Möglichkeiten bieten sich an: 5.1. die Schritte zunehmender Partizipation sozialer Gruppen am Stadt- regiment erkennen und beurteilen – an Hand von Textquellen; 5.2. das Selbstverständnis und den sozialen Status der im Stadtregiment vertretenen reichsstädtischen Bürger konkretisieren – am historischen Lernort. Zu 5.1: Das Angebot an Textquellen ist für selbstständige Schülerarbeit nicht günstig. Es besteht häufig aus zufälligen Überlieferungen wie z.B. der Nennung von Ausstellern oder Zeugen einer städtischen Urkunde (ganz anderen Themas), woraus von der Wissenschaft Rückschlüsse auf

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1. Gedenkstein für Berthold Klebzagel , im 16.Jh. vom Rat zum Geden- ken an die Verfassungsentwicklung der Stadt errichtet. Die Inschrift, die das Wap- pen Klebzagels umrahmt, nennt Todesjahr, Namen und Amtsbezeichnung. © Maria Würfel 2015 deren Stellung im Stadtregiment gezogen werden (13). Die das Thema direkt ansprechenden Quellen (z.B.Schwörbriefe) können wegen der hohen Schrift- und Sprachbarriere nur transkribiert und in Schrift und Sprache normalisiert den SchülerInnen zur Bearbeitung vorgelegt wer- den – allerdings unterscheiden sie sich dann kaum von einem normali- sierten Text in einer für den Schulgebrauch herausgegebenen Quellen- sammlung. Angesichts dieser Situation ist zu empfehlen, das Thema der Schritte fortschreitender Partizipation durch einen kurzen Beitrag als Lehrervor- 13 trag in den Unterricht zum Thema „Stadt/Freie Reichsstadt“ einzubrin- gen. In der Tat sind kurze Erwähnungen von Vorgängen und Fragestel- lungen aus der Geschichte vor Ort, vorgetragen im Rahmen der allge- meinen Geschichte, ein gangbarer Weg, im Geschichtsunterricht den SchülerInnen die Bedeutung der Landes-, Regional- und Lokalgeschichte bewusst zu machen und im Bewusstsein zu erhalten – allerdings unter zwei Voraussetzungen: Dass derartige Erwähnungen der Geschichte vor Ort öfter vorkommen und dass trotzdem fallweise eine Lernorterschlie- ßung im Schuljahr vorgenommen wird. Zu 5.2: Reich überliefert und für SchülerInnen leichter auswertbar sind historische Bauwerke und mit ihnen verbundene Sachüberreste am Ler- nort einer ehemaligen Freien Reichsstadt. Dabei ist aber darauf zu ach- ten, dass „Zeugnisse des Bürgerstolzes“, wie zumeist in den Ortsbe- schreibungen Rathäuser oder Stadtkirchen bezeichnet werden, auch in ehemaligen Amtsstädten zu finden sind, jedoch in Größe und Ausgestal- tung die der Reichsstädte nicht erreichen und keinen Hinweis auf patrizi- sche Familien aufweisen. In einigen ehemaligen Freien Reichsstädten lässt sich das Thema nicht nur konkretisieren, sondern bei einem Besuch auch mit Leben erfüllen, wenn dort wichtige Ereignisse aus der Partizipationsgeschichte – Schwörmontag in Ulm (14), Schwörtage in Reutlingen (15) und Esslin- gen (16) – im Rahmen von Bürgerfesten aktualisiert werden, um so in der Gegenwart die Identifikation der Bürger mit ihrer Stadt und deren politischem System durch den Blick auf ihre Geschichte zu verstärken. Der Lernort „Freie Reichsstadt“ wird am besten in Gruppenarbeit er- schlossen. Ausgerüstet mit einem Stadtplan (17) und Arbeitsblättern beschäftigt sich jede Gruppe mit einem Bauwerk und seiner Ausstattung oder einem Ensemble von Exponaten im Stadtmuseum. Anschließend werden die Ergebnisse präsentiert.

6. Einige exemplarische Beispiele historischer Zeugnisse geben im Folgenden in Kurzform Anregungen für eine Lernorterkundung und dienen zugleich als Hilfe für einen Transfer auf unterschiedliche Fallbei- spiele ehemaliger Freier Reichsstädte: Rathäuser: Repräsentationsgebäude – ursprünglich mächtige spätgoti- sche Fachwerkbauten, in der Frührenaissance häufig erweitert oder um- gebaut – Erbauungszeit entspricht der Phase der Zunftverfassungen – Außenausstattung: Kunst am Bau, astronomische Uhr, Kunstuhr, Glo- ckenspiel, Schwörbalkon (siehe Schwörhaus), Wappen (Reichsadler,

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2. Links: Westfassade des Schwörhauses (Schwäbisch Gmünd, Erschei- nungsbild nach Brand spätes 16. Jh.), gesehen aus der Perspektive der Bürger, die sich am Schwörtag auf dem Platz davor versammelten, wo sie namentlich aufgerufen wur- den. Der wappengeschmückte Mitteleingang führte zum Schwörsaal, die beiden Tore zu städtischen Vorrats- und Gefängnisräumen. © Maria Würfel 2015

3. Rechts: Wappenschmuck über dem Mitteleingang des Schwör- hauses betont den Status der Freien Reichsstadt: Der wappenhaltende Engel zeigt Stauferwappen (links) und Reichsadler(rechts), darunter nochmals Reichsadler und Stadtwappen (Einhorn); zusätzlich ein Inschriftenband: „Des Heiligen Römischen Reich Stat Schwäbischen Gmündt“. © Maria Würfel 2015

Kaiseradler, Stadtwappen) – wichtigster Raum der Innenausstattung: Ratssaal mit Geschlechterwappen – meist dank ihrer Größe Multifunkti- onsbauten: Rathaus, Kaufhaus (Kaufhalle im Erdgeschoss), Tanzhaus, Gerichtsgebäude (Gerichtslaube für die Niedergerichtsbarkeit), an der heutigen Bausubstanz noch erkennbar. Stadtkirchen: Ebenfalls Repräsentationsbauten – ausgezeichnet durch Größe, hochwertige Architektur, aufwändige Kunst am Bau – durch lange Bauzeiten fließende Übergänge von der Hochgotik zur Spätgotik – im Innern Erinnerung (memoria, Totengedenken) an die im Stadtregi- ment vertretenen Familien: Wappen, Bilder von Stiftern und Stifterfami-

15 lien auf Altären sowie Epitaphien, Grabsteinen und Totenschilden – leider z.T. hohe Verluste durch Bilderstürme in den Reformationswirren, Kriegsverluste, unsachgemäße Umbauten und Restaurierungen – man- ches in Museen ausgelagert (Stadtmuseum in Lernorterschließung einbe- ziehen!). Schwörhaus (siehe Abb.2 und 3): Ort des jährlichen Amtseides des Bürgermeisters auf die Stadtverfassung sowie Schauplatz des Huldi- gungseides der Bürgerschaft – keine fest vorgegebene Baugestalt, häufig anzutreffen der Schwörbalkon für die Eidesleistung des Bürgermeisters – mancherorts übernahm das Rathaus die Funktion des Schwörhauses. Kaufhaus: Gelegentlich nach einem leiterartigen Gerüst zum Ausstellen von Waren auch als Grät bezeichnet – vor allem anzutreffen, wenn die Stadt das Stapelrecht besaß (durchreisende Kaufleute mussten ihre Wa- ren zum Verkauf auslegen /stapeln ) und an Fernhandelswegen lag – unter städtischer Kontrolle und Verwaltung – Bauweise: häufig aufwän- dige Architektur, im Erdgeschoss offene Verkaufshalle für Stände der Einzelhändler, im Obergeschoss große Räume für Ausstellung und Han- del hochwertiger Güter wie z.B. Tuche. Stadtbefestigung: Bei der Begehung auf die Namen der noch erhalte- nen Türme und Tore achten wie z.B. Schmiedturm / -tor, Metzgerturm, abgeleitet von den Zünften, die jeweils einen bestimmten Mauerabschnitt zu verteidigen hatten. Städtisches Museum, Abteilung (reichs)stadtgeschichtliche Sammlun- gen mit folgenden in der Regel anzutreffenden Schwerpunktsetzungen: die im Rat vertretene Oberschicht (Wappentafeln, -scheiben, Zeugnisse der Wohn- und Esskultur, Stiftungen) – Zünfte (Zunfttruhen, Zunftzei- chen, Zunftordnungen) – von öffentlichen Bauten geborgene Kunstwer- ke und Wappensteine (vor allem des Spätmittelalters). Stadtbrunnen: häufig auf der Brunnensäule Standbild eines Kaisers – am Brunnentrog Wappen (Reichsadler, Kaiseradler, Stadtwappen, Wap- pen von Mitgliedern des Kleinen Rats).

Anmerkungen (1) de.wikipedia.org/wiki/kooptation (2) Graf, Klaus: Schultheiß und Rat. Probleme der Stadtverfassung von Schwäbisch Gmünd im 13. Jahrhundert. In: Gmünder Studien 1, 1976, S.85-93, hier S.86f. (3) Exemplarisch am Gmünder Beispiel: Graf, Schultheiß (wie Anm.2), S.90f und Graf, Klaus: Gmünd im Spätmittelalter. In: Geschichte der

16 Stadt Schwäbisch Gmünd, hrsg.v. Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Stuttgart 1984, S.87-184, hier S.100f. (4) Exemplarisch am Gmünder Beispiel: Graf, Stadtgeschichte (wie Anm.3), S.102f. (5) Graf, Stadtgeschichte (wie Anm.3), S.104 (6) Das Folgende nach Eitel, Peter: Die politische, soziale und wirt- schaftliche Stellung des Zunftbürgertums in den oberschwäbischen Reichsstädten am Ausgang des Mittelalters. In: Städtische Mittelschich- ten, hrsg.v. Erich Maschke und Jürgen Sydow. In: Veröff. d. Komm. f.gesch. Landeskunde in BW, Reihe B, 69.Bd., Stuttgart 1972, S.79-93, hier S.80-83. (7) Naujoks, Eberhard: Obrigkeitsgedanke, Zunftverfassung und Refor- mation. Studien zur Verfassungsgeschichte von Ulm, Eßlingen und Schwäb. Gmünd. In: Veröff.d.Komm.f.gesch.Landeskunde in BW, Reihe B, 3.Bd., Stuttgart 1958, 1.Kapitel, S.11-55, hier S.11ff. (8) Graf, Schultheiß (wie Anm.2), S.90ff. (9) Übertragen nach: 850 Jahre Stadtgeschichte Schwäbisch Gmünd. Hrsg. v. Stadtarchiv Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd 2012, S.11. (10) Naujoks (wie Anm.7), S.21/22 (11) Wie Anm.10 (12) Exemplarisch am Gmünder Beispiel: Graf, Stadtgeschichte (wie Anm.3), S.107-111 passim (13) Graf, Stadtgeschichte (wie Anm.3), S.100 (14) www.schwoermontag.com/feier/index.html (15) www.Reutlingen.de/de/Leben-in-Reutlingen/Unsere- Stadt/Reutlingen-Besonderheiten/Reutlinger-Schwörtag (16) www.esslingen.de/,Lde/start/es_themen/schwoertag.html Enthält eine Würdigung des Schwörtags aus der Sicht der modernen Stadtverwaltung. (17) Gut geeignet sind die touristischen Stadtpläne mit kleinen Abbil- dungen der Sehenswürdigkeiten. Die Internetseiten wurden zuletzt am 7. März 2015 eingesehen. Zu den Abbildungen: Strobel, Richard: Die Kunstdenkmäler der Stadt Schwäbisch Gmünd. In: Die Kunstdenkmäler in BW. Hrsg. v. Landes- denkmalamt BW, Berlin Band I, 2003, S.404f und Berlin Band III, 1995, S.321ff.

17 Ulrich Maier Ein Volksaufstand und eine Verfassung für Württemberg – Der Arme Konrad und der Tübinger Vertrag

Bedeutung „Partizipation“ ist ein Schwerpunktthema des Bildungsplan 2016. Dass der Kampf um politische Mitsprache über Jahrhunderte hinweg die Ge- schichte bestimmt hat, soll dabei verstärkt ins Bewusstsein gerückt wer- den. In der baden-württembergischen Landesgeschichte lässt sich dieses Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung bis ins Mittelalter zurück- verfolgen. An der Wende zur Neuzeit erhält der Volksaufstand des „Armen Kon- rad“ im Herzogtum Württemberg eine eigenständige Bedeutung. Er hat nicht nur alle soziale Schichten des Volkes erfasst und eine für die Zeit ungewöhnliche politische Mobilisierung entwickelt - auch mit Hilfe der neuen Druckmedien -, sondern er hat auch zu politischen Änderungen geführt und der Obrigkeit für die damalige Zeit beachtliche Zugeständ- nisse abgerungen. Zwar profitierte im Endergebnis in erster Linie die „Ehrbarkeit“, das einflussreiche Besitzbürgertum der württembergischen Städte, von den im Tübinger Vertrag ausgehandelten Bestimmungen, aber die schriftliche Festlegung von Grundrechten im „Tübinger Vertrag“ wirkte sich auch auf das einfache Volk aus. Andreas Schmauder kommt deshalb zu fol- gendem Ergebnis: „Der gemeine Mann konnte schließlich im August und September 1514 eine Prüfung seiner individuellen Beschwerden durch die Herrschaft und als Folge davon teilweise bedeutende Verbesserungen erreichen, wie die Absetzung korrupter Beamter und die Prävention von Wildschäden. […] Mit den nach Prüfung der Beschwerden ausgestellten Entscheid- und Freiheitsbriefen erhielten die Gemeinden eine vertragli- che Absicherung ihrer – wenn auch eingeschränkten, aber bis dato häufig nur mündlich überlieferten – Rechte.[…] Auch konnte der gemeine Mann mit den im Tübinger Vertrag festgeschriebenen Regelungen zum „freien Zug“ oder zur Verbesserung der Rechtsprechungspraxis eine Verbesserung der für alle Untertanen geltenden persönlichen Rechte erreichen.“ (Schmauder, 2014, S. 103) Tübingens OB Boris Palmer sagte anlässlich eines Empfangs von Bun- despräsident Gauck und Ministerpräsident Kretschmann im Tübinger Rathaus:

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Das Bauernkriegsmuseum in Beutelsbach

19 „Der Tübinger Vertrag ist die älteste Verfassung auf deutschem Boden. Nirgends sonst gab es vor 500 Jahren so weitgehende Grundrechte, die selbst für Leibeigene galten. Der Tübinger Vertrag dokumentiert ein- drucksvoll das frühe Freiheitsstreben der Württemberger.“ (Pressestelle Tübingen, 19.4.2014)

Möglichkeiten für den Unterricht Kein Zweifel – im Remstal ist der Arme Konrad bis heute präsent: Ein Jazzclub in Beutelsbach ist nach ihm benannt, ebenso ein Pfadfinder- stamm in Schorndorf und seit vielen Jahren steht das Peter Gais- Denkmal vor dem Rathaus in Beutelsbach und hebt mahnend den Zeige- finger.

Auf nach Beutelsbach! In Beutelsbach trifft man auch anderwärts auf die Spuren des Armen Konrad. Das Bauernkriegsmuseum in einem der ältesten Fachwerkhäu- ser der Stadt erinnert daran, dass hier der Volksaufstand seinen Ausgang nahm, und die Ruine auf dem Kappelberg, in einer halben Stunde Fuß- marsch durch Weinberge vom Bauernkriegsmuseum gut zu erreichen, vermittelt die Authentizität des Ortes: Hier oben läutete Peter Gais die Sturmglocke als Signal zum Aufbruch für den Protestmarsch gegen die Steuererhöhungen nach Schorndorf, hier oben ging aber auch der Auf- stand zu Ende, als die letzten Kämpfer, umzingelt von Truppen des Herzogs, schließlich aufgeben mussten. Eine Tafel mit einem Text aus der Zeit beschreibt das Geschehen vor 500 Jahren und kann als Aus- gangspunkt für Fragen an die Geschichte genutzt werden. Ein Rundgang durch Beutelsbach (Peter-Gaus-Denkmal, Bauernkriegsmuseum und Kappelberg) wäre also ein lohnendes Ausflugsziel!

Fächerverbindend das Thema erschließen Die Aktion des Peter Gais, der die neuen, verminderten Gewichte dem Metzger entwendet und in die Rems geworfen hatte, ist in Text und Bild zu verschiedenen Zeiten immer wieder dargestellt worden, was zu einem Vergleich im Unterricht geradezu herausfordert. Sehr schön lässt sich zeigen, wie aus den ersten Berichten schließlich eine Sage entstanden ist – mit wahrem Kern, aber immer weiter ausge- schmückt. Ebenso lassen sich die verschiedenen Bilddarstellungen ver- gleichen und kritisch bewerten.

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Oben links: Peter-Gais-Denkmal von Fritz Nuss in Beutelsbach; oben rechts: Illustration von 1824; unten links: Illustration von 1907

21 Narrative Ausgestaltungen in kreativem Schreiben, Rollenspiel und sze- nisches Spiel, aber auch ideologiekritische Betrachtungen der Überliefe- rungsgeschichte bieten reichhaltige Möglichkeiten. Beispiele dafür sind im Unterrichtsmodul 1514: Volksaufstand in Württemberg – Peter Gais und der Arme Konrad auf dem Landeskundeportal des Landesbildungsservers (www.landeskunde-bw.de) enthalten.

Fenster zur Welt: Tübinger Vertrag, Magna Charta und eine römi- sche Sage Die durch den „Armen Konrad“ 1514 ausgelöste Regierungskrise in Württemberg hat nach einer turbulenten Auseinandersetzung zwischen Bauern, Bürgern und dem Staatsoberhaupt Herzog Ulrich zu einer nach- haltigen Veränderung der staatlichen Ordnung in Württemberg geführt, die im Tübinger Vertrag niedergeschrieben wurde. Nahezu 300 Jahre lang bildete dieses Staatsgrundgesetz die Basis für ein politisches Mit- spracherecht der bürgerlichen Landstände in Württemberg, aber auch für Freiheitsrechte, die jedem Untertan, auch dem leibeigenen, zugestanden wurde: Das Recht des „freien Zugs“ (Auswanderung, Abwanderung in die Reichsstädte) oder den Anspruch auf ein ordentliches Gerichtsver- fahren. Der Tübinger Vertrag wird in der Geschichtswissenschaft unterschied- lich gewertet. Für die einen ist er eine württembergische „Magna Char- ta“, für die anderen ein Paradebeispiel dafür, dass die württembergische „Ehrbarkeit“, die führenden Familienclans des Landes, im Interesse ihrer eigenen Machtstärkung den „gemeinen Mann“ verraten haben. Gerade diese unterschiedliche Bewertung macht das Thema für den Unterricht besonders reizvoll, fordert es doch die Reflexions- und Orien- tierungskompetenz in besonderem Maße heraus. Aber auch der Ver- gleich mit der Magna Charta bietet Chancen für einen Unterricht mit europäischer Perspektive und öffnet ein „Fenster zur Welt“. Während die Magna Charta von 1215 zwischen König und Adel verein- bart wurde, musste der württembergische Herzog mit den politischen Vertretern des Besitzbürgertums verhandeln, was die Schranken des feudalen Ständestaates eigentlich sprengte. Um so beachtlicher ist es, dass der Tübinger Vertrag bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von den bürgerlichen Landständen verteidigt werden konnte und letztlich sogar europäische Großmächte wie Preußen und England als seine Garantie- mächte auftraten.

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Ruine auf dem Kappelberg über Beutelsbach mit Erinnerungstafel

„Die Wasserprobe“ im Bauernkriegsmuseum Beutelsbach 23 „Der Vertrag zu Tübingen, der europaweit zu den wichtigsten Verfas- sungsverträgen zählt, markiert durch diese Anerkennung von Grund- rechten eine geistes- und verfassungsgeschichtliche Entwicklung, die unser Leben bis heute begleitet.“ (Götz Adriani, Boris Palmer, Andreas Schmauder, Tübingen 2014, S.11) Schließlich ließe sich der Protestmarsch nach Schorndorf, der Auszug der Leonberger auf den Engelberg oder der Remstäler auf den Kappelberg auch mit der Überlieferung von Livius vom Auszug des Volkes auf den Heiligen Berg im Rahmen der römischen Ständekämpfe vergleichen. Anregungen zur Auseinandersetzung mit dem Tübinger Vertrag, mit der Vergleichbarkeit mit der Magna Charta in England oder den Vorgängen im Alten Rom bietet das Unterrichtsmodul: Der Tübinger Vertrag – eine Magna Charta für Württemberg? auf dem Landeskundeportal des Landesbil- dungsservers (www.landeskunde-bw.de)

Literatur: Götz Adriani, Boris Palmer, Andreas Schmauder im Vorwort zu Götz Adriani, Andreas Schmauder, 1514. Macht Gewalt Freiheit. Der Vertrag zu Tübingen in Zeiten des Umbruchs. Tübingen 2014, S.11 Andreas Schmauder, Württemberg im Aufstand: Der Arme Konrad im Remstal 1514 in: 500 Jahre Armer Konrad. Der Gerechtigkeit einen Beistand tun, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung, Redaktion Katja Nellmann, Herausgeber: Stadt Fellbach in Vertretung der Städte Schorn- dorf, Weinstadt und Waiblingen, 2014, S. 103 Tübinger Vertrag als Geschenk bei Besuch des Bundespräsidenten, Pres- semitteilung vom 19.04.2012, Pressestelle der Universitätsstadt Tübingen

Links http://www.schule- bw.de/unterricht/faecheruebergreifende_themen/landeskunde/modelle /epochen/neuzeit/bauernkrieg/volksaufstand-in-wuerttemberg_peter- gais-und-der-arme-konrad/ http://www.schule- bw.de/unterricht/faecheruebergreifende_themen/landeskunde/modelle /epochen/neuzeit/bauernkrieg/tuebinger-vertrag/

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Erinnerungstafel an den Volksaufstand des „Armen Konrad“ auf dem Kappelberg bei Beutelsbach

25 Kerstin Arnold Jerg Ratgeb – Künstler und Kanzler des „gemeinen Mannes“

Gevierteilt zu werden ist ein schrecklicher Tod und wurde laut der „Peinlichen Gerichtsordnung“ Karls V. für „boshafftige verreterey“ verhängt. Der „Bauernkanzler“ Jerg Ratgeb wurde wohl 1526 auf diese Weise hingerichtet. Der erhaltene Umschlag der Gerichtsakte nennt ihn den „Maler von Stuttgarten“. Die beiden Zuschreibungen als „Kanzler“ und „Künstler“ legen nahe, neben der Frage, in welcher Weise sich Ratgeb an den Aufständen der Bauern beteiligt und warum er eine solch harte Strafe auferlegt bekommen hat, in seinen erhaltenen Werken nach Bezügen zu seinem Leben und seiner politischen Einstellung zu suchen. Diese „Detektivarbeit“ ist knifflig und spannend, da über sein Leben und Wirken äußerst wenig überliefert ist. Historischer Hintergrund Geboren wurde er vermutlich zwischen 1475 und 1485 in Schwäbisch Gmünd. Bei wem er sein Handwerk lernte, ist nicht bekannt. 1503 erhielt er in Stuttgart das Bürgerrecht, tauchte dann im Rhein-Main-Gebiet auf und lebte ab 1509 in , wo er in der nahegelegenen Johanniskir- che zu Schwaigern den Barbara-Altar schuf. Aus dieser Zeit sind mehre- re Bittschreiben überliefert, in denen Ratgeb Herzog Ulrich anfleht, seine Frau aus der Leibeigenschaft zu entlassen. Dem wurde nicht entspro- chen und so musste er – ursprünglich als freier Bürger mit Meisterrecht ausgestattet nach Heilbronn gekommen – 1512 die Stadt verlassen. Von 1514 bis 1522 stattete er Kreuzgang und Refektorium der Frankfurter Karmeliter mit einem umfangreichen und geschlossenen Bilderzyklus der Wandmalerei aus. Sein Hauptwerk ist der auf 1519 datiert Herrenberger Altar – ein Auftragswerk für die "Brüder des Gemeinsamen Lebens", die ab 1481 die Herrenberger Chorherren ersetzen. Der ursprünglich in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem durch Heinrich Schickhardt, Großvater des württembergischen Baumeisters gleichen Namens, geschaffenen Chorgestühl stehende Altar verlor schon bald nach seiner Erschaffung im Zuge der Reformation seine Bedeutung und wurde nach seiner Wiederentdeckung „unter einer dicken Schicht ätzenden Kalkstaubs“ durch den Frankfurter Kunsthistoriker Otto Don- ner von Richter 1890 von der Stadt Herrenberg an die „Staatssammlung vaterländischer Altertümer“ in Stuttgart verkauft. Heute steht er in der Stuttgarter Staatsgalerie. In der Herrenberger Stiftskirche ist eine kleine Kopie angebracht.

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Herrenberger Altar © Anagoria JPG, aufgerufen 27.5.2015) (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:1520_Ratgeb_Herrenberger_Altar_anagoria.

Neben seiner künstlerischen Bedeutung erlangte Jerg Ratgeb Bekanntheit als sogenannter „Bauernkanzler“ während des Bauernkriegs 1525, laut Peter Blickle die „Revolution des gemeinen Mannes“. (1) Zunächst als Ausschussmitglied und Abgeordneter der Stadt Stuttgart zu den Bauern gesandt, um diese zu beschwichtigen und vom Einmarsch in die Stadt abzuhalten, schloss er sich wohl im Folgenden den Bauern an und über- nahm die Aufsicht über die Schreibarbeiten der „Bauernkanzlei“. Seine Tätigkeit bei den Bauern lässt sich nur aus fragmentarischen Nennungen in Quellen unterschiedlichste Herkunft erschließen. Vermutlich konzi- pierte Ratgeb einen Brief an die Adligen des Landes Württemberg mit der Aufforderung, sich den Bauern anzuschließen. Eventuell war er auch Mitglied der Gesandtschaft, die von Herrenberg aus zu Georg III. Truchsess von Waldburg geschickt wurde, um wegen eines Waffenstill- standes zu verhandeln. Über seine weitere Beteiligung im Bauernkrieg schweigen die Quellen. Man weiß nicht, ob Ratgeb in der Schlacht am 12. Mai in Böblingen mitgekämpft hat, wie seine Flucht verlief und wo er gefangengenommen wurde. Er taucht erst wieder im Zusammenhang mit seinem Gefängnisaufenthalt und dem Gerichtsprozess gegen ihn in 1526 auf, dessen Akten mit Ausnahme des o.g. Umschlags aber leider verschollen sind. Die äußerst harte Bestrafung Jerg Ratgebs, „so zu Phortzen deß paurn kriegs halber gevierteylt worden“(2), ist somit nur anhand von Quellen aus späteren Jahren zu belegen. Über die Grün- 27 de, warum seine Bestrafung so drastisch ausgefallen ist, kann nur speku liert werden. Eine Hypothese ist, dass er zu einer Zeit verurteilt wurde, als die Strafaktionen des Schwäbischen Bundes gegen die Aufrührer noch in vollem Gang waren, seine Verurteilung somit als Exempel die- nen sollte. Ein zweiter Grund ist eventuell darin zu sehen, dass er keine Fürsprecher hatte, Rat und Ausschuss der Stadt Stuttgart, zu deren Kreis er ursprünglich gehört und in deren Auftrag er zunächst gehandelt hatte, ihn sogar durch dem Gericht vorgelegte Dokumente belasteten. Sowohl die Person Jerg Ratgebs als auch sein Werk gerieten in der Folge in Vergessenheit und wurden erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt. Insbesondere sein tragisches Ende führte in der kunsthistorischen For- schung immer wieder dazu, sein Werk als Äußerung eines Mannes zu interpretieren, der die gesellschaftlichen und politischen Zustände seiner Zeit ändern wollte. Diese Ansicht lässt sich neueren Publikationen nach nicht mehr halten. Allerdings gilt wohl, dass Ratgeb „als Künstler und Beobachter die Strömungen seiner Umwelt, die religiösen, sozialen und politischen Spannungen und Umwälzungen in Kirche (Reformation) und Staat (Vertreibung Herzog Ulrichs aus Württemberg) sicher erfasst und in in sich aufgenommen (hat); sie finden sich in seinem ‚Herrenberger Altar‘ auf dramatische Weise umgesetzt und widergespiegelt.“(3)

Unterrichtsideen fürs Klassenzimmer und für den historischen Lernort 1. Mystery zur Rolle Jerg Ratgebs im Bauernkrieg „Das Mystery ist eine konstruktivistische Methode zur Erhellung von Zusammenhängen und Bedingungsgefügen.“ (4) Die Lernenden be- kommen Informationsfragmente vorgelegt – das können Quellenaus- schnitte, Darstellungstexte, Bilder, Grafiken etc. sein – und müssen mit- tels derer historische Vorgänge rekonstruieren und eine mögliche Ant- wort auf die Leitfrage zusammenpuzzlen. Die Frage der Unterrichts- stunde zur Rolle Jerg Ratgebs im Bauernkrieg soll sein, warum dieser einen solch schrecklichen Tod erleiden musste. Mittels des Materialkon- glomerats sammeln die Schülerinnen und Schüler Informationen über die politische Situation in Württemberg, über Ursachen und regionale Ausbreitung des Bauernkriegs sowie über Leben und Werk Jerg Ratgebs und dessen Rezeption. Auf Basis des Erarbeiteten sollen sie schlussend- lich begründete Hypothesen bezüglich der Anfangsfrage formulieren.

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Auferstehungsszene ©http://commons.wikimedia.org/wiki/file:Jerg_Ratgeb_001.jpg?uselang=de

29 2. Kohärenzen in Leben und Werk Eine anspruchsvollere Fragestellung ist die, inwiefern sich Kritik an den politischen und sozialen Zuständen seiner Zeit in den Werken Jerg Ratgebs – und hier insbesondere im Herrenberger Altar – finden lässt. Ist Ratgeb der Maler, der seinen „Hass gegen die Obrigkeit“ (5) auf die Tafeln des Herrenberger Altars geschleudert hat, „dem es bei seiner Her- renberger Bilderpredigt auf die agitatorische Aufrüttelung und Aufrei- zung des Volkes ankam“ (6)? Dieser Frage kann anhand ausgewählter Bildelemente und deren Interpretation nachgegangen werden. Beispiel- haft sei hier ein Detail aus der Auferstehungsszene (rechter Altarflügel) genannt, in dem die Wächter am Grab Jesu das „Karnöffelspiel“ spielen und der „Karnöffel“, der als Landsknecht dargestellte Trumpfuntermann als höchste Karte im Spiel „Papst“ und „Kaiser“, „König“ und „Ober- mann“ sticht. Weitere Zeitbezüge erkennt man in der Szene der Geißelung, wo Pilatus die Gesichtszüge Kaiser Maximilians trägt. Zudem lassen sich sowohl in der Abendmahl- als auch in der Beschneidungsszene Hinweise auf eine in Württemberg herrschende Judenfeindlichkeit finden.Ob diese zeitkri- tischen Elemente es jedoch rechtfertigen, von Jerg Ratgeb als einem Sozialrevolutionär zu sprechen, wie es die marxistische Geschichtsdeu- tung des frühen 16. Jahrhunderts macht, soll am Ende der Unterrichts- stunde unter Einbezug der wenigen Quellenbelege, die es zur Person Ratgebs und seinem Charakter „alß ain bidermann, der aim nachpurn khein hun herschrönnt (erschreckt) hette“ (7) gibt, diskutiert werden.

3. Jerg Ratgeb Skulpturenpfad – ein Lerngang In Herrenberg hat es sich ein Bürgerprojekt zur Aufgabe gemacht mittels eines Kunstprojektes an Jerg Ratgebs Leben und Werk zu erinnern. Ein Skulpturenpfad, zu dem 25 Künstler bildhauerische Werke unterschied- lichster Art beigesteuert haben, führt vom Bahnhof zum Schlossberg hinauf. Die einzelnen Stationen können Anlaufpunkt für einen hand- lungs- und produktionsorientierten Lerngang sein. Die Lernenden sollen sich in kreativer Weise mit den Geschehnissen während des Bauern- kriegs und der Rolle des Jerg Ratgeb auseinandersetzen. Beispielsweise könnten sie die Skulptur „Ratgebs Kopf“ von Lothar Hudy, die im Drahtgeflecht, das den Kopf bildet, Waffen, Dreschflegel und das Wort „Freiheit“ zeigt, zum Anlass nehmen, ein Flugblatt zu präsentieren, das

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Detail des Karnöffelspiels aus der Auferstehungsszene ©http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karnoeffelspiel_ratgeb.jpeg die Forderungen der Bauern auflistet. Das Werk „Ratgebs Frau“ von Michaela A. Fischer bietet sich für einen inneren Monolog zur Situation einer Leibeigenen und deren Hoffnung auf „Befreiung“ aus diesem Sta- tus an. Die „Bauernkriegsfamilie“ von Thomas Putze kann zum Ort für eine fiktive Auseinandersetzung über eine Beteiligung des Familienvaters an den Aufständen werden. Den Abschluss dieser Exkursion könnten Überlegungen zu einem eigenen Kunstwerk zum Bauernkrieg und/oder dem Leben Jerg Ratgebs bilden. Denkbar wäre darüber hinaus, dieses in einem fächerverbindenen Ansatz im Kunstunterricht realisieren zu lassen und somit neben der klassisch quellen- und textbasierten Beschäftigung mit Geschichte für die Lernenden einen neuen, anderen Zugang zum historischen Geschehen zu schaffen.

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Thomas Putze: Bauernkriegsfamilie ©Kamahele (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ratgeb_Putze- 13_001.jpg?uselang=de)

Anmerkungen (1) Vortrag zum 4. Oberschwabentag, Weingarten 2000. In: In den Wirren des Bauernkrieges. Jerg Ratgeb und der Herrenberger Altar. Hrsg. v. Konrad Burg- bacher, Gerhard Faix, Ingrid Krupka. CD-ROM Theiss Verlag 2001. (2) Gesprächsnotiz vom 17. März 1539 von Rütteln über die Geschehnisse des Jahres 1525 (HStAS A 43, Bü 18) (3) In den Wirren des Bauernkrieges. CD-ROM Theiss Verlag 2001. (4)http://www.schule- bw.de/unterricht/faecher/geschichte/methodik/einzelmethoden/mystery/, aufgerufen 27.5.2015 (5) Heinz Rudolf Fuhrmann: Jerg Ratgeb, der Maler und sein Herrenberger Altar. In: Aus Schönbuch und Gäu. Böblingen 1959. S. 18-24. (6) Wilhelm Fraenger: Jerg Ratgeb. Ein Maler und Märtyrer aus dem Bauern- krieg. Hrsg. v. Gustel Fraenger und Ingeborg Fraenger-Baier. Dresden 1972. S. 116. (7) HStAS H 54, Bü 39

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Lothar Hudy: Ratgebs Kopf ©Kamahele (http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ratgeb_Hudy-14- 07_002.JPG?uselang=de)

Demnächst als Unterrichtsmodul bei www.landeskunde-bw.de.

33 Dr. Otto Windmüller Die Revolution 1848/49 im öffentlichen Raum – das Beispiel Schwäbisch Hall

Die revolutionäre Bewegung 1848/49 erfasste nicht nur ganz Deutsch- land, sondern auch weite Teile Europas. Ihre Ursachen und Folgen kön- nen den Schülern mit den bekannten Quellen und Texten gut vermittelt werden. Ihr Verlauf ist aber derart komplex und vielschichtig, dass er nur stark vereinfacht unterrichtet werden kann. Die Erfahrung zeigt, dass den Schülern mit der Darstellung der lokalgeschichtlichen Ereignisse der Zugang erleichtert wird. Der Verlauf der Bewegung kann in nahezu allen größeren Städten Baden-Württembergs aufgezeigt werden. Die Quellen- lage ist gut und es gibt viele gute Veröffentlichungen (z.B. Revolution im Südwesten – siehe Literatur). Ebenso kann der regionale Verlauf in den Städten verortet werden. So ist es in vielen Städten und Regionen mög- lich, sich mit der Klasse in den öffentlichen Raum zu begeben und die Geschichte lebendig werden zu lassen. Dies könnte durch den Lehrer selbst geschehen. Eine Alternative dazu wäre eine Gruppenarbeit. Eine Zeittafel mit den wichtigsten Geschehenissen in Deutschland, Baden und Württemberg sowie der betreffenden Stadt erleichtert den Schülern das Verständnis. Für Schwäbisch Hall bietet sich eine derartiges Vorgehen geradezu an. Die Stätten der Revolution in der Stadt sind nahezu vollständig erhalten und haben sich seit den Ereignissen nur wenig verändert. Auf 9 Statio- nen (siehe Stadtplan mit Stationen) können die Ereignisse dargestellt werden. Die Reihenfolge ist zwar nicht zwingend, sie hat sich aber aus didaktischen Gründen bewährt. Der unten stehende Text beschreibt wesentliche Punkte und Zusammenhänge. Als es 1846 zu einer Missernte kam und in den folgenden Monaten die Lebensmittelpreise drastisch anstiegen, befürchtete der Haller Oberamt- mann im Mai 1847 gewaltsame Ausschreitungen, wie sie wenige Tage zuvor in Ulm und Stuttgart stattgefunden hatten. Schnell entschlossen gründete man eine Suppenanstalt und kaufte aus öffentlichen Mitteln Brot, um die schlimmste Not zu lindern. Obwohl sich die Preise wieder normalisierten, wuchs der Druck auf die Regierung beständig. Das publi- zistische Organ der Demokraten, der „Beobachter“, sprach die Miss- stände immer deutlicher an und Reformwünsche artikulierte man immer offener. Im Zuge der bevorstehenden Wahlen zum Landtag wurden auf Haller Bürgerversammlungen „einige Wünsche in Landesangelegenhei-

34 ten“ vorgebracht und publiziert. Im Februar beruhigte sich die Lage zunächst. Offensichtlich wartete man auf Reformen des Landtags. Als aber Ende Februar 1848 die Revolution in Frankreich ausgebrochen war, griff die Bewegung schnell auf Süddeutschland über. Viele Städte und Gemeinden hielten Volksversammlungen ab und sandten Petitionen nach Stuttgart. In Hall begann die Bewegung am 3. März mit einer Volksversammlung vor dem Rathaus, in der von der Ständeversammlung die Erfüllung der „Märzforderungen“ verlangt wurde. Erstmals wurde auch der Ruf nach einem deutschen Parlament laut. Zwei Tage später ging eine von 300 Hallern im Rathaus unterzeichnete Petition an König Wilhelm I. Bis die Bittschrift eingegangen war, hatte der König bereits die Pressefreiheit eingeführt und an die Spitze des Kabinetts den liberalen Abgeordneten Robert Römer berufen, der auch in Hall großes Ansehen genoss. Die neue Regierung wollte eine Demokratisierung auf friedlichem und ge- setzlichem Wege durchführen. Während in Stuttgart die Regierungsumbildung stattfand, brach man in Hall mit der städtischen Obrigkeit. Der Druck auf Stadtschultheiß Wibel war derart groß, dass er wegen seiner „geschwächten Gesundheit“ am 8. März zurücktrat. Wenige Tage später nötigte die versammelte Volks- menge die auf Lebenszeit gewählten Stadträte, ihr Amt zur Verfügung zu stellen. Allmählich bildete sich ein Kreis von Männern heraus, die die Versammlungen, in denen es oftmals heftige Wortgefechte gab, initiier- ten. In der Nachbarstadt Gaildorf zentrierte sich das Geschehen auf den Glasfabrikanten Gottlieb Rau, der die Versammlungen in seinem Sinne beeinflusste. Rau schwebte ein Freistaat nach der Art der USA vor und hielt die Republik für die von Gott gewollte Staatsform. Sein Wirken trug dazu bei, die Stimmung in Hall weiter anzufachen. Einen maßgeblichen Anteil daran hatten auch die Lokalzeitungen. Die Leute sogen die Neu- igkeiten gierig auf, die sich wie ein Lauffeuer verbreiteten. So wurden das Haller Tagblatt und der Haller Merkur zu wichtigen Organen, die über den Fortgang der Revolution im In- und Ausland informierten. Die seri- enweise Veröffentlichung von Leserbriefen lieferte ebenso gehörigen Zündstoff. Ende des Monats war zu erkennen, dass die württembergische Regierung auf die „Märzforderungen“ eingehen werde und die allgemeine Volks- bewaffnung und ein Ablösegesetz vor dem Abschluss standen, sowie Wahlen zu einer Deutschen Nationalversammlung stattfinden würden.

35 Die teilweise sehr spontanen und wenig organisierten Volksversammlun- gen hatten zum Erfolg geführt. Nun galt es, das Errungene zu bewahren, die Reformen weiter voranzubringen und die Wahlen zur Nationalver- sammlung vorzubereiten. Dies sollte nun nicht mehr derart unorganisiert wie in der Vergangenheit geschehen, sondern man errichtete „Vaterlän- dische Vereine“, die die Bewegung in geordnete Bahnen lenken wollten. Der April 1848 stand im Zeichen der Wahlen zu Nationalversammlung. Auf den vom Haller „Vaterländischen Verein“, dem schnell über 500 Mitglieder beigetreten waren, organisierten Versammlungen stellten sich die Kandidaten des Wahlkreises Hall-Gaildorf-Crailsheim vor. Aussichts- reichster Kandidat war Rudolf Weber, ein Fabrikant aus Hall, der für die konstitutionelle Monarchie eintrat. Eine republikanische Staatsform woll- te der Gaildorfer Gottlieb Rau. Eine ähnliche Auffassung vertrat der Haller Gymnasiallehrer Theodor Rümelin. Für die letzte Wahlversammlung am 22. April auf dem Marktplatz prä- sentierte sich ein neuer Kandidat: Professor Wilhelm Zimmermann. Der gewandte Redner machte einen derart guten Eindruck, dass Weber seine Kandidatur zurückzog. Mit „rotem Halstuch und roten Schuhen“ und seiner bildhaften Sprache versuchte Gottlieb Rau, die Menschen von der republikanischen Staatsform zu überzeugen. Letztlich ohne Erfolg, denn die Wahl ging eindeutig für Zimmermann aus. Gottlieb Rau wurde, nachdem er in Konkurs gegangen war, „Berufsrevolutionär“, orientierte sich nach Stuttgart und gründete eine Zeitung, die „Sonne“. Anfang Mai radikalisierte sich auch in Hall die Bewegung: Steuern wur- den nicht mehr bezahlt, aus den Wäldern wurde Holz gestohlen und die Ortsvorsteher auf dem Lande teilweise gewaltsam gezwungen, ihre Äm- ter niederzulegen. Man machte sich Luft über den Unmut, der sich Jahr- zehnte aufgestaut hatte und schritt zu Aktionen. Mit Blechdosen und Eimern zogen Bürger vor die Wohnungen von Beamten und machten einen höllischen Lärm. Dies bekamen der Gefängnisdirektor und zwei Polizeidiener zu spüren, die „übel angeschrieben“ waren und vom Stadt- rat suspendiert wurden. Allmählich machte auch die allgemeine Volksbewaffnung Fortschritte. Die 700 Mann starke Bürgerwehr wurde in Kompanien eingeteilt und 150 Gewehre ausgeteilt. Dies sollte die „Wehrhaftigkeit der Staatsbür- ger“ fördern. Der Umgang mit der Waffe wurde auf dem Unterwördt geübt. Da nicht für alle Männer der Bürgerwehr Waffen zur Verfügung standen, konnte der Großteil nur mit Holzstäben exerzieren.

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37 Das Leben hatte sich binnen drei Monaten grundlegend gewandelt: Poli- tische Reden, ständig Versammlungen, Waffenübungen und fast überall schwarz-rot-goldene Flaggen. Als besonders chic galt es, im Wohnzim- mer ein Bild des badischen Revolutionärs Hecker, vom Abgeordneten Zimmermann oder von Gottlieb Rau zu haben. Auch Pfeifen mit dem Portrait von Friedrich Hecker waren sehr beliebt. Das Augenmerk richtete sich nunmehr auf die Nationalversammlung und das Wirken des Abgeordneten Zimmermann, der am 18. Mai zu- sammen mit 600 weiteren Abgeordneten in die Frankfurter Paulskirche eingezogen war. Sehr schnell vollzog er eine Wendung nach links und schloss sich der Fraktion „Donnersberg“ an. Dies hatte weitreichende Folgen für Hall, in dem nun auch ein „Linksruck“ festzustellen ist. Der Rau-Anhänger Rümelin gründete den republikfreundlichen „Demokrati- schen Verein“, so dass dem überparteilichen Vaterländischen Verein die Mitglieder davonliefen. Im Juli vereinigte sich die revolutionärste Gruppe in Hall, die im Turn- verein unter der Leitung des Lehrers Rümelin organisierten Handwerks- gesellen, zu einem „Fähnlein Sensenmänner“. Sie exerzierten mit auf Lanzen angebrachten Sensen, die heute im HF-Museum zu sehen sind. In der Zwischenzeit hatte sich der „Demokratische Verein“ in „Volks- verein“ umbenannt. Vereinslokal war die „Glocke“, in der für die zahl- reichen Mitglieder mehrere Zeitungen auslagen. Diskussionsstoff gab es viel, denn Preußen hatte im August ohne Zustimmung der Nationalver- sammlung einen Waffenstillstand mit Dänemark herbeigeführt. Gegen den erbitterten Widerstand der Linken, also auch Zimmermann, billigte die Nationalversammlung nachträglich dieses Vorgehen. Während dieser Debatten erhitzte sich die Lage erneut. Nach der großen Volksversammlung in Heilbronn am 10. September, in der auch Haller Redner auftraten, berief man für den 17. September in Hall eine Volks- versammlung ein. Mindestens 4000 Bürger versammelten sich auf dem schwarz-rot-gold geschmückten Haller Marktplatz. Heilbronner und Haller Redner hielten „aufrührerische Reden“, die von der Masse mit „Hecker hoch“ und „Republik hoch“ begleitet wurden. Nur wenige Tage später wurden konservative Abgeordnete in von Aufständischen ermordet. Nun verhängte man den Ausnahmezu- stand und Militär zog in die Stadt ein. Die Nachrichten über die Vorgän- ge in Frankfurt verbreiteten sich schnell, aber verschwommen. In Hall kursierte die Meinung, die „Linke in Frankfurt“ sei in Gefahr. Ca. 100 Mann der Bürgerwehr wollten sogleich aufbrechen und der Linken be-

38 waffnet zu Hilfe kommen. Der Kommandant konnte sie jedoch mit dem Argument aufhalten, dass noch Vorbereitungen getroffen werden müss- ten. Rümelin machte sich kundig und sprach zu den Bewaffneten, dass aus anderen Regionen keine Truppen nach Frankfurt aufbrechen wür- den. Es sei aussichtslos, alleine bewaffnet nach Frankfurt zu ziehen. Nun richtete sich der Volkszorn gegen ihn. Man bezeichnete ihn als „Volks- verräter“ und man müsse ihn vom Rathausbalkon „herunterschießen“. Er sah sich bedroht und floh mit Frau und Kind. Die Stimmung in der Stadt war am Sieden: Gemäßigteren Bürgern brachte man „Katzenmusi- ken“ und Glockenwirt Fritzlin forderte die „Leute auf, mit ihm in den Adler zu kommen, hier wolle er die Republik proklamieren“. Die Kunde über die Lage in Hall hatte inzwischen Stuttgart erreicht. In der Kabinettsitzung am 23. September, an dem auch der König daran teilnahm, waren sich alle Mitglieder einig, dass die „anarchischen Leh- ren“, die auf den Volksversammlungen verbreitet werden, zum Bürger- krieg führen könnten. Um den Bewegungen die Führungsspitze zu neh- men, beschloss man, „mobile Colonnen gegen Heilbronn und Hall“ in Marsch zu setzen und warnte die Bevölkerung vor Ausschreitungen. Die Truppen konnten aber noch nicht gegen Heilbronn und Hall ausrü- cken, da sich für die Regierung eine neue Gefahr auftat. Der Gaildorfer Glasfabrikant Rau rief dazu auf, dass am 28. September aus allen Regio- nen bewaffnete Truppen zu einer Volksversammlung nach Cannstatt ziehen sollten. Damit sollte offensichtlich „die gewaltsame Abänderung der Verfassung des Königreichs“ erreicht werden. Nachdem am 25. Sep- tember das Einladungsschreiben von Rau in Hall angekommen war, zogen 70 bis 80 Mann bewaffnet nach Cannstatt. Sie mussten aber wie- der den Rückmarsch antreten, da die Residenzstadt einer Festung glich. Inzwischen war auch Gottlieb Rau verhaftet worden und man brachte ihn auf den Hohenasperg. Da nun der Gaildorfer Revolutionär unschädlich gemacht worden war, benötigte man das Militär nicht mehr in der Landeshauptstadt. Deshalb setzten sich am 30. September 800 Mann württembergisches Militär in Marsch. Sie kamen am 3. Oktober in Hall an, entwaffneten die Bürger- wehr und verhafteten zehn Personen. Der Oberamtsrichter beschuldigte sie des Staatsverbrechens und verhörte sie. Bei drei Personen verdichtete sich die Beschuldigung. Es waren der Herausgeber des Haller Tagblatts Schwend, der Buchhändler Pfeiffer und der Forstassistent Daser, der Vorsitzende des Volksvereins. Ende Oktober brachte ein Trupp Solda- ten die Beschuldigten auf den Hohenasperg. Die militärische Besetzung

39 der Stadt stand auch bei der Württembergischen 2. Kammer auf der Tagesordnung. Die Regierung rechtfertigte den Militäreinsatz mit dem „anarchischen Geist“, der in einem Teil der Bürgerschaft stecke. Die Haller Bürgerschaft reagierte zwar aufgeregt zu den Vorgängen, zu De- monstrationen kam es aber nicht. Deshalb zog sich das Militär Ende Oktober wieder zurück. Die aktivsten Männer der Bewegung waren inhaftiert. Nun galt es, dem Volksverein wieder eine neue Spitze zu geben. Dieses Amt übernahm Fabrikant Karl Kirchdörfer. Dass es nun um den Volksverein ruhiger wurde, kann einmal damit zusammenhängen, dass sich die monarchi- schen Kräfte sammelten und die Nationalversammlung an Ansehen verloren hatte. Wahrscheinlicher ist aber sein geändertes taktisches Vor- gehen. Die Versammlungslokale wechselten fast wöchentlich und zu den Aussprachen waren nur noch Mitglieder zugelassen. Andernorts war die Reaktion weiter fortgeschritten. In Baden rief man das Standrecht aus und in Wien gab es bei Straßenschlachten über 1000 Tote. Ein Hoffnungsschimmer keimte nach der Verabschiedung der Grund- rechte durch die Nationalversammlung auf. Sie wurden im Januar 1849 zum Gesetz erhoben und die Beamten und die Bürgerwehr feierlich auf dem Marktplatz darauf vereidigt. Auch die im Oktober verhafteten Hal- ler waren nach 7 Wochen entlassen und wurden in ihrer Heimatstadt begrüßt worden. Andererseits war man mit der Entwicklung in Frankfurt unzufrieden. Dort zeichnete sich eine kleindeutsche Lösung unter der Führung Preu- ßens mit einem Erbkaisertum ab. Der Volksverein war strikt gegen eine Verbindung mit dem „Erbfeinde der Freiheit und Civilisation“. Dies zeigt, dass die Mehrheit der Haller auch im Frühjahr 1849 antipreußisch waren und auf der Linie ihres Abgeordneten Zimmermann blieben. Doch die Lage in Frankfurt spitzte sich weiter zu. Preußen wollte die Revolution niederschlagen und zahlreiche Abgeordnete der Paulskirche zogen sich aus ihr zurück. Der verbliebene Teil stimmte für die Verle- gung des „Rumpfparlaments“ nach Stuttgart, u.a. auch Wilhelm Zim- mermann. Die Württembergische Regierung dachte aber nicht daran, den badischen Befreiungskampf gegen Preußen zu unterstützen. Da aber auch viele Württemberger für ein Vorgehen gegen Preußen waren, stieg die Erregung. In Heilbronn war die Bereitschaft besonders groß, die Revolutionäre in Baden zu unterstützen. Deshalb rückte dort am 12. Juni württembergisches Militär ein und entwaffnete die Bürgerwehr. Am selben Tag fand in Hall eine Fahnenweihe auf dem Haalplatz statt. Man

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Vitrine mit Exponaten aus dem Hällisch-Fränkischen Museum zur Revolution 1848/49 u.a. mit der Trommel der Haller Bürgerwehr

hatte die Absicht, sich den Heilbronnern anzuschließen. Aber die Lage war derart aussichtslos, dass man von dem Vorhaben Abstand nahm. Dies war wohl auch vernünftig, denn kurz darauf lösten württembergi- sche Truppen das Rumpfparlament in Stuttgart auf. Die Revolution in Württemberg hatte ihr Ende gefunden.

Hinweise: Ausgewählte Quellen, ein Literaturverzeichnis und weitere Informatio- nen zur Revolution in Schwäbisch Hall sind zu finden auf: http://www.windmuellers.de/revolution.html

Ferner ist für 2016 geplant, ein Modul zu dem Thema auf http://www.landeskunde.bw. zu erstellen.

41 Steffen Gassert "Mann der Arbeit aufgewacht! Und erkenne deine Macht!" – An- fänge der Arbeiterbewegung in Württemberg

„Arbeiter Deutschlands, wir rufen es Euch nochmals zu: Seid einig, dann seid ihr stark, scheut keine Hindernisse. Ihr werdet sie alle überwinden, aber nur durch vereinte Kraft.“(1) Dieser Aufruf an die rasch wachsende Bevölkerungsgruppe der Indust- riearbeiter vom 18. September 1848 fand in einem Kontext revolutionä- ren Aufbruchs von Politik und Gesellschaft statt. Allerdings verweist er in besonderer Weise auf ein Konfliktfeld, das sich mit der Industrialisie- rung im Verlauf des 19. Jahrhunderts auf immer dramatischere Weise entfaltete: die Auseinandersetzung zwischen den lohnabhängigen Arbei- tern und den sie beschäftigenden Unternehmern um Fragen nach Arbei- terrechten, Arbeitsschutzmaßnahmen, angemessenen Löhnen oder Ar- beitszeitregelungen. Der eigentliche Kern des Konflikts lag jedoch nicht so sehr in den zahl- losen Einzelproblemen des Arbeitsalltags in der Epoche der Frühindust- rialisierung, sondern bestand in der Frage, ob und in welcher Form die wachsende Arbeiterschaft an den sie betreffenden Entscheidungen mit- wirken und wie sie an der Wohlstandsentwicklung partizipieren konnte. Hier lagen die zentralen Interessengegensätze zwischen den meist noch im Aufbau befindlichen Unternehmen, die in einem häufig prekären Marktumfeld agierten und ihrer jeweiligen Arbeiterschaft, deren Elend in den rasch wachsenden Städten nicht zu übersehen war. So bekämpften Unternehmer häufig die Forderungen der Arbeiter nach mehr Beteili- gung sowohl auf betrieblicher als auch auf politischer Ebene mit fast allen Mitteln. Der Kampf um Partizipationsrechte erhält somit im 19. Jahrhundert eine neue, entschieden ökonomische Ausprägung mit weiten Ausstrahlungen in das politische und gesellschaftliche Umfeld. Im Rahmen einer Unter- suchung zu demokratischen Bewegungen nimmt daher die Geschichte der Arbeiterbewegung einen besonderen Stellenwert ein, da hier Fragen aufgeworfen und Strategien der Interessensvertretung entwickelt wurden, die bis heute ein wichtiger Teil der politischen Auseinandersetzung ge- blieben sind. Zur Untersuchung der beginnenden Arbeiterbewegung eignen sich Ge- biete, die einen in der Jahrhundertmitte bereits vergleichsweise hohen Stand der Industrialisierung erreicht hatten. Im deutschen Südwesten

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Symbol der Arbeiterverbrüderung 1874 fällt der Blick besonders auf Heilbronn. Bereits um 1830 liegt hier ein zentraler Schwerpunkt der industriellen Entwicklung. Die ehemalige Reichsstadt hatte bereits eine lange Erfahrung im überregionalen und im kontinentalen Handelsverkehr und nutzte ihre verkehrgünstige Lage am Schnittpunkt großer Handelsrouten. Die frühindustrielle Gründung neu- er Unternehmen entwickelte sich in Heilbronn vor allem im Bereich der Papierindustrie, dem Maschinenbau oder der Nahrungsmittelindustrie (Zucker- und Zichorienverarbeitung). Der Ausbau der Hafenanlagen am Neckar sowie die Anbindung an das Eisenbahnnetz – beispielsweise wurde 1848 die Strecke von Heilbronn nach Stuttgart eröffnet – führten zu weiteren Entwicklungsschüben. Diese schlagen sich insbesondere im raschen Wachstum der Stadt nieder, so dass Heilbronn seine Einwohnerschaft in den 50 Jahren zwischen 1800 und 1850 von 6.000 auf über 12.500 Einwohner mehr als verdop- peln konnte. Eine solche – besonders im Vergleich zur vorindustriellen Epoche – enorme Bevölkerungszunahme hatte ohne Zweifel enorme Auswirkun- gen auf das Leben der Menschen in der Stadt und konnte neben sicher auch positiven Entwicklungen aber auch kaum ohne Konflikte und Be- einträchtigungen ablaufen.

43 Es entfalten sich sowohl vor den Augen der damaligen Menschen als auch im Blickfeld des historisch Untersuchenden die typischen Probleme frühindustrieller Dynamik: extreme Wohnungsnot, mangelhafte hygieni- sche Verhältnisse, „wildes“ Hineinwachsen der Fabriken in Wohngebie- te, zunehmende Verschmutzung der Luft und der Gewässer. Hinzu tre- ten die Probleme, die mit einem Überangebot an Arbeitskräften und dem Machtgefälle zwischen dem einzelnen Unternehmer und dem in dieser Phase noch allein auf sich gestellten, organisatorisch ungeschützten Ar- beiter einhergehen: Lohndumping und extrem belastende Arbeitsbedin- gungen.

Die Behandlung des Themas in der Schule Die Beschäftigung mit den Anfängen der Arbeiterbewegung in Würt- temberg bietet zahlreiche Möglichkeiten für den Unterricht in allen Schularten der Sekundarstufe I und II. Das Thema eröffnet die Chance, den Schülerinnen und Schülern exemplarisch die grundsätzlichen Prob- leme und Mechanismen von Partizipationskonflikten zu verdeutlichen. Die regionale Konzentration erlaubt es darüber hinaus, sowohl Zusam- menhänge mit überregionalen, nationalen oder internationalen Entwick- lungen gewinnbringend zu untersuchen als auch über Bezüge zum Le- bensumfeld der Schülerinnen und Schüler diese in besonderem Maß am konkreten Beispiel zu motivieren. Im Stadtarchiv Heilbronn im Haus der Stadtgeschichte finden sich zahl- reiche Materialien zur Industrialisierung Heilbronns und seiner Umge- bung, zur Stadtentwicklung in der Frühindustrialsierung und zur Arbei- terbewegung in Württemberg. Die Materialien des folgenden Unterrichtsvorschlags sind teilweise im Unterrichtsmodul „Anfänge der Arbeiterbewegung in Württemberg am Beispiel der Industriestadt Heilbronn“ von Ulrich Maier mit dessen freundlicher Ge- nehmigung entnommen. Sie wurden um weiteres Material des Stadtar- chivs und der Ausstellung im Haus der Stadtgeschichte zu einem um- fänglicheren Projektarbeitsvorschlag erweitert und wurden am Tag der Landeskunde in Waiblingen am22.10.2014 in einem Workshop vorge- stellt. Alle Materialien sind über das Stadtarchiv oder über das Unter- richtsmodul digitalisiert zugänglich. Die Angaben zum Material beziehen sich auf die Nummerierung im Unterrichtsmodul. (2)

44 Die Stadt vergrößert sich: links 1825, rechts 1858 ; unten: Stadtbau- plan von 1911 (© Stadtarchiv Heilbronn)

45 Methodisch-didaktischer Vorschlag Zur Behandlung des Themas bietet sich besonders der Rahmen einer Projektarbeit im Lesesaal des Stadtarchivs an. Insbesondere die Kombi- nation aus Stadtarchiv und Ausstellung eröffnet zusätzliche Möglichkei- ten zur thematischen Auseinandersetzung mit Schülerinnen und Schü- lern. Es ist jedoch auch möglich, die Materialien im regulären Unterricht in der Schule zu nutzen.

Hinweise zu den Materialien: Das Unterrichtsmodul von Ulrich Maier steht unter folgenden Link zur Verfügung: http://www.schule-bw.de/unterricht/ faecheruebergreifende_themen/ landeskunde /modelle/epochen/ neuzeit/industrialisierung/arbeiter/ Die weiteren Materialien sind erschienen in: Gassert, S.: Lernort Archiv. Den Auswirkungen der Industriellen Revo- lution auf der Spur. In: Projekte Regional. Schriftenreihe des Arbeitskrei- ses Landeskunde und Landesgeschichte im Regierungsbezirk Stuttgart. Heft 8/2013. S. 40-49. Das Heft Projekte-Regional steht im Internet unter: www.projekte- regional.de als pdf-Datei zur Verfügung.

Anmerkungen (1) Aufruf des von Stefan Born geleiteten Zentralkomitees der Arbeiter- verbrüderung an alle Arbeiter und Arbeitervereine, 18. September 1848 (Korrespondenzblatt aller deutscher Arbeiter, Leipzig 1848, Nr.1/2, 3.Oktober 1848) (2) Download unter: http://www.schule- bw.de/unterricht/faecheruebergreifende_themen/ landeskun- de/modelle/epochen/ neuzeit/industrialisierung/arbeiter/

46 Peter Clemens Weber „Dieser Prozess ist etwas völlig neues für die Menschen in Aalen“ Demokratischer Neubeginn nach 1945 am Beispiel des Kreises und der Stadt Aalen

Neben den wichtigen Beschlüssen der Entnazifizierung, Demilitarisie- rung, Dezentralisierung und Demontagen zur Leistung von Reparationen beschlossen die Vertreter der drei Siegermächte Stalin, Truman und At- tlee im „Potsdamer Abkommen“ Deutschland zu demokratisieren: „Die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokra- tischer Grundlage und eine eventuelle friedliche Mitarbeit Deutschlands am internationalen Leben sind vorzubereiten.“ (1) Im Allgemeinen wird unter dem von den Besatzungsmächten unter- schiedlich auslegbaren Begriff „Demokratisierung“ die Umerziehung von Nationalsozialisten in Demokraten, die Zulassung von Parteien, das Abhalten der ersten Wahlen und die Entstehung der ersten Nachkriegs- zeitungen verstanden. Doch wie erfolgten diese Schritte konkret vor Ort, welche Schwierigkeiten ergaben sich, und ließ sich die Bevölkerung rei- bungslos auf das neue System ein? Diese Fragen sollen anhand der in der amerikanischen Besatzungszone liegenden württembergischen Stadt Aalen und ihres Kreises überprüft werden. Das Kriegsende lief für die Bevölkerung in Aalen verglichen mit anderen Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg relativ glimpflich ab. Nach einem größeren Luftangriff am 17. April 1945, bei dem 59 Men- schen getötet und etwa 90 Häuser zerstört worden waren, näherten sich die amerikanischen Truppen von Crailsheim und Ellwangen her kom- mend, also aus nördlicher Richtung, der Stadt. Am 22. und 23. April besetzten sie Wasseralfingen und Aalen weitestgehend kampflos. Ledig- lich im Bereich einer geschlossenen Panzersperre beim Bahnhof wurden vier Gebäude in Brand geschossen. (2) Bereits einen Tag später erreichte 1st Lt. Sullivan, der gemeinsam mit 2 weiteren Offizieren und 5 Unteroffizieren für den Wiederaufbau im Landkreis Aalen vorgesehen war, die Stadt. Zunächst wurden alle öffent- lichen Gebäude – Rats- und Pfarrhäuser, Schulen (darunter das heutige Schubartgymnasium und die Bohlschule), Turnhallen und Fabrik- und Wehrmachtsanlagen – zur Unterbringung der Besatzungssoldaten requi- riert. Einige Gasthäuser blieben bis in den August 1945 hinein den ame- rikanischen Besatzungstruppen vorbehalten. Die Zwangsräumung eines Privathauses in Hofen schildert ein Eigentümer:

47 „Gestern Abend gegen 5 Uhr fuhr eine amerikanische Panzerabteilung mit 8 Panzern und Begleitwagen ins Dorf, um ½ 6 Uhr kamen mehrere Soldaten in unser Haus, zählten die Betten, drückten mir einen kleinen, schmalen Zettel in die Hand, worauf stand: das Haus sei beschlagnahmt, ich habe es innerhalb einer Stunde zu räumen, die Schlüssel seien zu übergeben, die Kästen und Truhen abzuschließen, alle Räume offen zu lassen und nur das Notwendigste dürfe weggeschafft werden.“ (3) Die daraus entstandene Wohnungsnot wurde freilich durch die schnell wachsende Anzahl von Flüchtlingen noch gesteigert. Plünderungen durch ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, aber auch durch die Aalener Einwohner vor den Augen der Besatzer waren in diesen ersten Tagen nach dem Zusammenbruch an der Tagesordnung. So be- richtet ein ehemaliger französischer Zwangsarbeiter, „wie die deutsche Bevölkerung – von den Amerikanern in die Fabrikräume [der Zucker- und Teigwarenfabrik Pahl] gelassen – zu plündern anfing. Bonbons, Nudeln, Lebkuchen, Zucker, Mehl, einfach alles ließen die Leute mitge- hen, oft meist mehr als sie tragen konnten.“ (4) Neben der knappen Versorgungslage kurz nach Kriegsende beschäftigte die Sorge um Familienangehörige, Hunger, Verlust der Wohnung, Ein- quartierung, Arbeitslosigkeit und allgemeine Zukunftsängste die Land- kreisbewohner, sodass „die Berichte zur politischen Entwicklung […] noch im Oktober 1945 „Apathie und Hoffnungslosigkeit“ unter der Bevölkerung feststellten.“ (5) Vor eine große Herausforderung stellte die Entnazifizierung die ameri- kanischen Besatzer. Bereits am 28. April wurde der nationalsozialistische Landrat Engel durch Baron Max von Lüttgendorf ersetzt, der 1940 we- gen seiner jüdischen Vorfahren und seiner jüdischen Frau entlassen wor- den war. Viele Belastete in Behörden, Schulen und Wirtschaftsunter- nehmen wurden durch die Offiziere der Militärregierung entlassen, was so den Wiederaufbau einer reibungslos funktionierenden Gemeinde erschwerte. Ab Juni 1946 unterlag die Entnazifizierung der neu einge- richteten Spruchkammer Aalen, für die es jedoch zunächst wenig geeig- netes Personal gab. (6) Im Oktober 1945 bemerkt der Kommandeur des Detachments zum Aufbau der Zivilverwaltung, Major Owen, erste politische Aktivitäten durch neu gegründete Parteien. Wie im restlichen amerikanischen Sektor fanden die ersten Versammlungen zuerst durch die KPD statt. Ihr folg- ten aber rasch Veranstaltungen der SPD und der CDU im Spritzenhaus- saal, bei denen unter anderem auch die neu berufenen Innen- und Wirt-

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US-Kampftruppen in Aalen (© Stadtarchiv Aalen) schaftsminister Ulrich und Andre sprachen. Ab Januar 1946 waren im Landkreis auch die DVP und die Freie Wählervereinigung als Parteien zugelassen. Den ersten freien Kommunalwahlen seit 1933 im Januar 1946 ging ein Wahlkampf unter schwierigen Bedingungen voraus. So- wohl Redner als auch Redemanuskripte mussten von der amerikanischen Besatzungsmacht genehmigt werden, Papier war immer noch kaum vor- handen, um Plakate, Informationsmaterial oder auch die Wahlankündi- gungen zu drucken. Hinweise auf die umso wichtigeren Wahlversamm- lungen und ein genereller Aufruf, zur Wahl zu gehen, finden sich aber im Amtsblatt für den Landkreis Aalen. (7) Eine gängige Methode vor allem der Linksparteien, sich gegenüber politischen Gegnern zu behaupten, war die Diffamierung dieser als Nationalsozialisten. Wahl- sieger der ersten Gemeinderatswahlen wurde die neu konstituierte CDU (12 Mandate), die als überkonfessionelle Partei an die Wahlerfolge des Zentrums im Kreis vor 1933 anknüpfen konnte. Zweitstärkste Fraktion im Aalener Gemeinderat wurde die SPD (6 Mandate), gefolgt von der Freien Wählervereinigung (3 Mandate), der DVP (2 Mandate) und der KPD (1 Mandat). (8)

49 Die erste Wahl des Aalener Landrats zeigt, dass es bei diesen Wahlen keineswegs um die Bestätigung des Besatzerwillens ging. Der von der Militärregierung favorisierte Kandidat von Lüttgendorf (parteilos) unter- lag dem bis dahin unbekannten Dr. Anton Huber (CDU) aus dem Wirt- schaftsministerium, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich der auch in der Nazizeit aktive von Lüttgendorf im Vorfeld der Wahl rechtfertigen musste, weshalb er die Hakenkreuzbinde getragen hatte. Der Hinweis, er habe dadurch seine jüdische Frau schützen wollen, blieb größtenteils ohne Wirkung. Auch seine österreichische Herkunft mag für die Wahl hinderlich gewesen sein. Die enttäuschte Militärregierung konstatierte, dass die Wahl von Dr. Huber durch die Kreisräte streng nach „parteipo- litischen Gesichtspunkten“ erfolgt sei. (9) Zur Demokratisierung gehört auch die Zulassung der ersten Nachkriegs- zeitungen. Bis zum Februar 1948 konnten Nachrichten allein dem „Amtsblatt für den Landkreis Aalen“ entnommen werden, auch wenn Aalener Betriebe und auch die Gemeinderäte schon länger eine „auf den Kreis ausgerichtete Tageszeitung“ gefordert hatten. (10) Nachdem der „Press Control Branch“ die Herausgeber der neuen Zeitung politisch überprüft, ihnen eine Lizenz erteilt hatte und die beschlagnahmten Druckmaschinen zurückgegeben worden waren, fand am 21. Februar 1948 in der Villa Naegele, dem Sitz des amerikanischen Militärgouver- neurs, eine Gründungsfeier statt und die erste Ausgabe der „Schwäbi- schen Post“ konnte am 25. Februar trotz anhaltenden Papiermangels ausgeliefert werden. Der Versuch, 1949 eine dazu konkurrierende „Alte Kocherzeitung“ herauszugeben, scheiterte nach nur zwei Monaten. Da- gegen etablierten sich im September 1949 die „Aalener Volks zeitung“ und die „Ipf- und Jagstzeitung“, beide in der Hand des Schwabenverlags Stuttgart. (11) Ein weiteres zu nennendes Instrumentarium der Demokratisierung stell- ten die von den amerikanischen Besatzungskräften ab Mai 1948 initiier- ten „Town Meetings“ dar. Durch Versammlungen zu verschiedenen Themen (z.B. Erziehungs- und Schulfragen) sollte die „Reeducation“ der Aalener Bevölkerung durchgeführt werden. Die Veranstaltungen, die im Spritzenhaussaal stattfanden, wurden per Lautsprecher auf den Spritzen- hausplatz übertragen, so groß war der Andrang. Ein Jugendforum führte im Oktober 1948 ca.1000 Personen in die Stadt. „Dieser Prozess ist et- was völlig neues für die Menschen in Aalen“ stellte Major Pallette fest und zog eine positive Bilanz. (12)

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Aufruf zur ersten freien Gemeinderatswahl, Amtsblatt für den Landkreis Aalen. (© Stadtarchiv Aalen)

Auch die Wiederbelebung des gesellschaftlichen Lebens durch Kultur- veranstaltungen und Sportvereine unterlag der Förderung durch die ame- rikanischen Besatzer. Im weitesten Sinne kann auch dies zur Demokrati- sierung gezählt werden, schließlich forderten gerade die Sportvereine, aber auch die jugendlichen Teilnehmer bei den verschiedensten Aktivitä- ten politische Unterweisung durch den amerikanischen German Youth Activities-Club (GYA). (13) Ein Rückschlag für diese Demokratisierungsmaßnahmen und – unterstützungen durch die amerikanischen Besatzer bleibt jedoch die Oberbürgermeisterwahl 1950. Nachdem der im März 1948 gewählte Amtsinhaber Otto Balluff verstorben war, siegte mit einem deutlichen Wahlergebnis von 86,3% der Stimmen Dr. Karl Schübel, der als NSDAP-Mitglied bereits von 1935 bis 1945 Bürgermeister in Aalen war. Er hatte sich gegen Dr. Lahnstein durchgesetzt, einen Bewerber mit jüdischen Wurzeln, dessen Plakate auch teilweise mit antisemitischen Parolen beschmutzt wurden. (14) Der amerikanische Landeskommissar für Württemberg-Baden, General Charles P. Gross, akzeptierte zwar das Wahlergebnis, soll es jedoch folgendermaßen kommentiert haben: „wenn 51 das ganze Volk zum Teufel gehen wolle […] so solle man es nicht daran hindern. Die Amerikaner würden jedenfalls in diesem Fall, der eine Wie- derholung ähnlicher Vorkommnisse in Schwäbisch Gmünd darstelle, nicht eingreifen. Es bleibe nur zu hoffen, […] daß die Zeit die Dinge ändern werde.“ (15) Die Schwäbische Post dagegen legt Wert darauf, dass „die Wahlstimmen […] dem der Bevölkerung vertrauten kommu- nalpolitischen Fachmann, nicht dem ‚Mann von früher‘“ gegolten hätten und verweist auf die hohe Wahlbeteiligung. Die von den Alliierten geforderte Demokratisierung stieß also auf prag- matische Probleme (schlechte Versorgungslage, Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung), möglicherweise aber auch auf mangelnde Bereitschaft in der Bevölkerung, grundsätzlich umzudenken. Betrachtet man jedoch den Erfolg der Town Meetings, die gesellschaftliche Integration der Flüchtlinge und die Betätigung der politischen Parteien und der Tages- zeitungen, kann von einer durch-aus positiven Entwicklung ge- sprochen werden.

Das Thema im Unterricht Wie kann das Thema in der Schule unterrichtet werden und weshalb lohnt es sich, dafür Stunden einzusetzen? Die Möglichkeit, die konkreten Folgen der Potsdamer Konferenz mithilfe von Zeitungs artikeln und Berichten des Amtsblatts des Aalener Landkreises und der Tageszeitungen direkt vor Ort unter suchen zu können, stieß bei den Schülerinnen und Schülern der 12. Klasse des Ernst-Abbe-Gymnasiums auf großes Interesse. Dazu wurde zum einen eine Analyse von verschie- denen Zeitungsartikeln zu unterschiedlichen Themen (Entnazifizierung, Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, Demokratisierung, Man- gelwirtschaft und wirtschaftlicher Aufschwung, Spätheimkehrer) vorge- nommen, zum anderen berichtete der Zeitzeuge Erwin Hafner (Jahrgang 1932) lebhaft und anschaulich über die ersten schwierigen Jahre nach Kriegsende. Es bietet sich auch an, dabei die Problematik des Zeitzeu- geninterviews (Überlagerung von Erlebtem und nachträglich erworbe- nem Wissen, Subjektivität) zu thematisieren. (16) Vor allem die Wieder- erkennung von Namen und Orten, aber auch die Möglichkeit auf die eigene Familiengeschichte einzugehen (insbesondere Flüchtlingsthema- tik, Kriegsheimkehrer) motivierten die Schülerinnen und Schüler und zeigten einmal mehr, dass sich Geschichte vor allem auch regional und lokal abspielt.

52 Lizenzübergabe für die neue „Schwäbische Post“ durch Major Charles Pallette. (© Stadtarchiv Aalen)

Schüler der Kursstufe 2 des Ernst-Abbe-Gymnasiums bei der Ana- lyse von Zeitungsartikeln 53 Ein Modul zu diesem Thema finden Sie demnächst auf dem Landes- kundeportal www.landeskunde-bw.de .

Nachweise: (1) Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin ["Potsdamer Ab- kommen"] (02.08.1945) zitiert nach: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html, Stand: 03.03.2015. (2) Schurig, Roland: Von Feinden zu Partnern. Sieben Jahre amerikanische Besatzung in Stadt- und Landkreis Aalen. In: Aalener Jahrbuch 2000. Die Nachkriegszeit in Aalen. Hrsg. vom Geschichts- und Altertumsverein Aalen e.V., Stuttgart 2000, S. 38ff. (3) Anton Hegele zitiert nach Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 46. (4) Schwäbische Post vom 22. April 1995, S. 18 zitiert nach Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 47. (5) Political activity reports zitiert nach Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 56. (6) Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 67. Hier auch ein ausführlicher Bericht über die Entnazifizierung immm Kreis Aalen mit all ihren Problemen von Militärgouverneur Major Pallette, der sehr zuversichtlich in die Zukunft blickt. „Nur noch ein paar Wochen sind notwendig, um alle Fälle zu bearbeiten. Spruchkammer und Spezialabteilung können dann auf einen entnazifizierten Landkreis blicken.“ Ebd. (7) 10 Jahre Zeitgeschichte im Spiegel der Presse 1945-1955. Die Nach- kriegszeit in Aalen. Hrsg. von Volkshochschule Aalen, 1995, S. 3. Dort befindet sich auch das genaue Wahlergebnis. (8) 10 Jahre Zeitgeschichte im Spiegel der Presse 1945-1955, S. 3. (9) Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 71. (10) Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 88. (11) Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 88ff. (12) Major Pallette zitiert nach Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 92. (13) Schurig, Von Feinden zu Partnern, S. 104. (14) Ex-Nazi Appointed Mayor in: AJR (Association of Jewish Refugees in Great Britain, 07.07.1950, S. 2, http://www.ajr.org.uk/journalpdf/1950_july.pdf (download am 30.03.2015). (15) Charles P. Groß zitiert nach Hafner, Eugen: Leute aus Aalen. Dr. Karl Schübel. In: Aalener Jahrbuch 2000. Die Nachkriegszeit in Aalen. Hrsg. vom Geschichts- und Altertumsverein Aalen e.V., Stuttgart 2000, S. 197. (16) Vgl. Welzer, Harald u.a.: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis, Frankfurt a.M. 2002.

54 Eva Maria und Wilhelm Lienert Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus?

Am 18. April 1948 fand in Schwäbisch Gmünd die erste „freie“ Ober- bürgermeisterwahl statt, der es an Brisanz nicht fehlte, was an den beiden Bewerbern lag. Hier trafen der Amtsinhaber Franz Czisch, als Halbjude von den Nazis aus dem Jurastudium gedrängt und dann als Kaufmann tätig und Franz Konrad, der Gmünder OB in der Nazizeit, aufeinander. Die Begleitumstände bei der Wahl und in der Nacht danach wurden nie eindeutig aufgearbeitet, die Amerikaner jedoch setzten einen Untersu- chungsausschuss ein und verboten Konrad, das Amt anzutreten. Bei der Bevölkerung führten diese Maßnahmen zu Verbitterung und dem Fern- bleiben von der nächsten Wahl, bis Konrad 1954 erneut mit großer Mehrheit als Oberbürgermeister gewählt wurde. In diesem Beitrag sollen vor allem Quellen gegenübergestellt werden, in welchen die Unstimmigkeiten heute noch sichtbar werden. Die Wahr- heit, die seit 1948 nicht gefunden werden konnte, wird auch heute zwi- schen den Aussagen der verschiedenen Parteien zu suchen sein. Interes- sant an diesem Vorgang ist jedoch, wie Haltungen gedeutet und interpre- tiert werden können, wie plötzlich Behauptungen aufgestellt und unwi- dersprochen bleiben und wie „objektive“ Tatsachen doch nur subjektiv gefärbt weitergegeben wurden. Auch die Sprache, sei es in den Reden des OB, sei es in den Verlautbarungen seines Wahlausschusses, verdient eine detaillierte Betrachtung und den Vergleich mit der anderen Seite bzw. den Vergleich zwischen den Zeiten. Es sind hier Quellen ausge- wählt, die die Widersprüchlichkeit deutlich machen und die Schüler und Schülerinnen bei der Schulung ihrer Reflexionskompetenz fördern sol- len.

M 1 Zeitleiste 4.11.1934 Franz Konrad wird als Gmünder Oberbürgermeister ins Amt eingesetzt. 1941 Die Juden Gmünds werden in Einfachstwohnungen am Stadtrand untergebracht und später deportiert. 6.12.1944 Franz Konrad gilt amtsärztlich als „dienstunfähig“ so- wohl für den Kriegsdienst als auch als Oberbürgermeis- ter, Pensionierung zum 31.3.1945. 20.4.1945 Heinrich Probst, der Schwager von Franz Czisch, wird wegen regimekritischer Äußerungen erschossen.

55 Herbst 1945 Käthe Czisch gründet die Nothilfe, die sich um die Flüchtlinge und Heimatlosen in der Stadt kümmert und bis 1948 die Aufnahme, Versorgung und Verteilung der Vertriebenen organisiert. 2.12.1945 Gründung der CDU in Gmünd, Franz Czisch wird ihr erster Vorsitzender. 1.7.1946 Franz Czisch wird vom Gemeinderat zum Oberbürger- meister gewählt. 1946 Im Lauf des Jahres kommen fast 17 000 Heimatvertrie- bene in organisierten Transporten nach Gmünd, viele werden auf das Umland verteilt. 5.3.1947 Erste Entnazifizierung Konrads. Er wird als „entlastet“ eingestuft. Das Ministerium hebt diesen Spruch auf. 19.12.1947 Zweite Entnazifizierung Konrads auf schriftlichem Wege, Vorsitzender ist Amtsgerichtsrat Alfons Quin- tenz. Später werden Zweifel an diesem Verfahren laut. Januar 1948 Es gründet sich ein Wahlausschuss für Franz Konrad zur OB-Wahl. Vorsitzender dieses Ausschusses ist Amtsgerichtsrat Alfons Quintenz 18.4.1948 OB-Wahl in Gmünd mit dem Wahlsieger Franz Kon- rad. In der folgenden Nacht werden Judensterne auf den Marktplatz gemalt und das Horst-Wessel-Lied an- gestimmt. In Czischs Geschäft werden Schaufenster- scheiben eingeschlagen und sein Auto weggeschoben. Mai 1948 Ein Untersuchungsausschuss der Landesmilitärregie- rung befasst sich mit den Vorgängen um die Wahl. 16.7.1948 Die Militärregierung verbietet Konrad den Amtsantritt. 24.10.1948 Zweite OB-Wahl, Sieger Hermann Kah Juni 1950 Drittes Entnazifizierungsverfahren: Konrads vor der Zentralspruchkammer in Ludwigsburg. 12.9.1954 Reguläre Neuwahl des Oberbürgermeisters. Franz Kon- rad siegt gegen den Amtsinhaber Hermann Kah 1956 längere Krankheit und Rücktritt Konrads vom Amt des Oberbürgermeisters

M 2 Die Ansprache von Oberbürgermeister Konrad (RZ vom Mon- tag, 5.11.1934): […] Ich weiß, dass es in Schwäbisch Gmünd nicht nur gilt, materielle Belange zu fördern, sondern dass ungewöhnlich viel wert- volles Gut auf kulturellem Gebiet vorhanden und zu erhalten ist. Dafür

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Amtseinsetzung von Oberbürgermeister Franz Konrad (Mitte) 1934 (Foto: Rems-Zeitung) werde ich mich voll und ganz einsetzen. Notwendig ist allerdings ein unbeirrbarer Glaube an das deutsche Volk, zähe Ausdauer, wahre Volks- gemeinschaft – dann werden auch wir unsere besonderen Schwierigkei- ten miteinander überwinden. Der Schandvertrag von Versailles hat uns die Fortsetzung des Kriegs gebracht; wir leben seither im schwersten Wirtschaftskrieg aller Zeiten. Für uns gilt es nun, einig und geschlossen hinter dem Führer zu stehen, auf die Zähne zu beißen und durchzuhalten in Not und Tod – wir müs- sen und werden ein besseres Los für unser Volk erringen! […] Ein tatkräftiger Helfer in dieser wirtschaftlichen Not ist für Gmünd neu- erdings die Heeresverwaltung. Als alter Soldat, der mit Begeisterung Kaisers Rock getragen hat, freue ich mich, Stadtvorstand einer Garni- sonsstadt zu sein. Unserem Reichskanzler danken wir es, dass wir endlich nach langen Jahren trauriger Pazifistenherrlichkeit uns wieder zum Wehrgedanken öffentlich bekennen dürfen. […] Den Vertretern der NSDAP – mit allen Gliederungen – danke ich für ihre freundlichen Worte. Ich habe keinen Zweifel, dass wir, wie in mei- nem seitherigen Wirkungskreis, gut und erfolgreich zusammenarbeiten werden. Ich weiß, dass der politische Leiter die Aufgabe hat, darüber zu wachen, dass die städtische Verwaltung nach den Grundsätzen der nati-

57 onalsozialistischen Bewegung geführt wird – Sie werden wissen, welche Verantwortung ich zu tragen habe. […] Der heutige Tag soll ein Markstein in der Geschichte unserer Stadt sein. Es geziemt sich daher, in diesem Augenblick des Mannes zu gedenken, der unser Volk vor dem Untergang bewahrt hat und der uns ein Leben treuester Pflichterfüllung vorlebt. An uns liegt es, seine Arbeit für Volk und Vaterland fruchtbar werden zu lassen, indem wir uns vorbehaltlos hinter ihn stellen und ihm unerschütterliche Treue halten. Zu jeder Stun- de wollen wir dankbar seiner gedenken; ich fordere Sie deshalb auf, mit mir zu rufen: Unserm Führer und Reichskanzler Sieg Heil!

M 3 Biografie Franz Konrad 1891 in Oberschwaben geboren, Fabrikdirektor und Mitglied des Zent- rums, Bürgermeister von Laupheim seit 1924, 1933 Eintritt in die NSDAP, 1934 nach Gmünd versetzt, weil die Nazis „einen der ihren auf dem Posten haben wollten“, 1940 zur Marine eingezogen. Nach dem Krieg bei der Württembergischen Landsiedlung in Stuttgart tätig, 1948 von Gmündern zur Kandidatur als OB aufgefordert und mit 74% der Stimmen gewählt. Wegen der Vorfälle nach der Wahl wurde ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, Konrad der Amtsantritt verboten. 1954 erneute Kandidatur gegen den Amtsinhaber und mit 77% der Stimmen gewählt. 1956 Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen, im Mai 1957 in Laupheim verstorben.

M 4 Oberbürgermeister Konrad entlastet (NWZ vom Nov. 1947): Vor der Spruchkammer stand am Mittwoch Oberbürgermeister Franz Konrad, der von 1934 bis 1944 Stadtvorstand von Schwäbisch Gmünd war und in dieser Stellung einen harten und schweren Kampf gegen die Partei und besonders gegen den Kreisleiter Oppenländer zu führen hatte. […] Im Jahre 1934 wurde er gegen seinen Wunsch nach Gmünd ver- setzt, weil man ihm, der vor seiner kommunalen Tätigkeit Fabrikdirektor war, die Fähigkeiten zutraute, Gmünd, das damals Notstandsgebiet war, aus seinen wirtschaftlichen Schwierigkeiten herauszuführen. […] Auf dem Weg zu diesem Ziel musste er im Laufe der Jahre der Partei manche Konzession machen. So die Beförderung in der SA-Reserve, der er aus taktischen Gründen angehörte, hinnehmen, weil es als abwegig angese- hen wurde, dass ein Oberbürgermeister in der Uniform eines Rottenfüh- rers bei offiziellen Anlässen in die Erscheinung trat. Um Konrad an die

58 Disziplin der Partei zu zwingen, ist er von Kreisleiter Oppenländer […] zum Kreisamtsleiter ernannt worden. In dem Bestreben, die wichtige Schlüsselstellung des Oberbürgermeisters nicht der Partei zu überlassen, hat Konrad viele Nachteile hinnehmen müssen und schließlich seine Gesundheit zermürbt. In der Beweisauf- nahme sind eine ganze Reihe von Fällen nachgewiesen worden, die von der mutigen und energischen Abwehr von Anschlägen der Partei und ihres Kreisleiters durch den Betroffenen Kenntnis gaben. […] Der Spruch der Kammer lautete nach verhältnismäßig kurzer Bera- tung auf Entlastung und Übernahme der Kosten auf die Staatskasse. […] Die von Dr. Klug geleitete Verhandlung zog sich über sechs Stunden hin, weil zwölf Zeugen zu vernehmen waren, die alle zur Entlastung des Betroffenen beigetragen haben.

M 5 Wahlausschuss für Franz Konrad: (NWZ vom 10.4.48) Herr Oberbürgermeister a. D. Franz Konrad hat der dringenden Bitte einer großen Zahl von Personen aller Bevölkerungsschichten stattgegeben und sich bereit erklärt, eine auf ihn fallende Wahl als Oberbürgermeister an- zunehmen. Die Kunde davon hat überall freudigen Widerhall gefunden. Geht es doch darum, dem Mann die herzliche Dankbarkeit aller Gmün- der kundzutun, der 10 bittere Jahre hindurch trotz der Schwierigkeiten, die ihm das autoritäre System bereitete, unsere Stadt mustergültig verwal- tet hat. […]Wenn wir in der Not der Zeit, die sich nach der Geldbereini- gung verschärfen wird, einen Oberbürgermeister brauchen, der mit kla- rem Urteil und mit fester Hand das Steuer unserer Stadt führen soll, so muss unser Blick auf den Mann fallen, der Gmünd schon einmal aus schwerer wirtschaftlicher Not herausgeführt hat. Herr Konrad ist nach den Urteilen maßgebender Kenner einer der besten Oberbürgermeister Württembergs gewesen und gilt in Fachkreisen als überragender Kom- munalpolitiker. […] Er hat es uns zur Pflicht gemacht, eine ritterliche Haltung während der Wahlbewegung einzunehmen, damit eine Spaltung der Bevölkerung durch Hass und Erbitterung vermieden wird. Da Herr Konrad nur dem Ruf einer entschiedenen Mehrheit folgen will, bitten wir alle Gmünder, sich zu ihrem in zehn schweren Jahren bewährten Oberbürgermeister zu bekennen.

M 6 Wahlausschuss für Franz Czisch: Am 9. April ist der überpartei- liche Wahlausschuss für Franz Czisch […] zu seiner ersten Arbeitssit- zung zusammengetreten. Der Ausschuss ist aus der Überzeugung heraus

59 gebildet worden, dass Franz Czisch die Aufgaben des Oberbürgermeis- ters in einer Zeit übernommen und bewältigt hat, die als die schwierigste der vergangenen Jahre zu bezeichnen ist. […] Der Ausschuss hat sich deshalb entschlossen, diesem verdienten und uneigennützigen, arbeitsfrohen Beamten den Dank für das Geleistete in Form der Bitte um seine Weiterarbeit auszusprechen.

M 7 Biografie Franz Czisch Als Sohn eines jüdischen Süßwarengroßhändlers und einer katholischen Mutter 1908 in Bamberg geboren, musste sein Jurastudium wegen der Nazis abbrechen und übernahm die elterliche Filiale in Schwäbisch Gmünd. Während des Krieges Geschäftsmann, sein Schwager Heinrich Probst war seit 1933 als Regimegegner bekannt und wurde 1945 hinge- richtet. Seine Frau begründete 1945 die „Nothilfe“, eine soziale Organi- sation, die sich um die Unterbringung der Flüchtlinge kümmerte. Czisch wurde 1945 von den Amerikanern zum Flüchtlingskommissar ernannt, schuf den Flüchtlingsausweis, war Mitbegründer der örtlichen CDU und wurde 1946 vom Gemeinderat zum Oberbürgermeister gewählt. Schon damals gab es Anfeindungen aus den eigenen Reihen. Bei der OB Wahl 1948 stellte sich die Mehrheit der Gemeinderäte (auch aus der eigenen Fraktion) gegen ihn und warf ihm vor, „die Flüchtlinge in die Stadt ge- bracht zu haben“. Nach der Wahl kam es zu antisemitischen Ausschrei- tungen, Czisch zog sich aus der Politik zurück und verließ Gmünd. Er starb 1956 nach einem Autounfall.

M 8 Wir warnen Gmünd (Schwäbische Post vom 17.4.1948 – Samstag vor der Wahl, Bericht von Hans Bausch): Aus Sorgen um die Demokra- tie und im wahren Interesse der Stadt Schwäbisch Gmünd fühlen wir uns im Gewissen verpflichtet, der breiten Öffentlichkeit einige Tatsachen zu unterbreiten, die verheimlicht, unterdrückt oder vergessen worden sind. Die Gmünder haben ein Recht, die ganze Wahrheit zu erfahren. […] Wir wollen uns nicht einmischen in die Entscheidung der Einzelperso- nen, deren Freiheit uns höchstes Gut ist, zwischen politisch sauberen Bewerbern. Wir erheben also nicht den Ruf „Czisch muss bleiben“ – um alle Irrtümer auszuschließen. Aber wir wehren uns leidenschaftlich dage- gen, dass der nationalsozialistische Exponent jenes Regimes, das uns in die Katastrophe gestürzt hat, wieder als demokratischer Repräsentant an die Spitze der Stadt Schwäbisch Gmünd zurückkehren soll, als ob in der Zwischenzeit nichts geschehen wäre.

60 Denn wer ist Franz Konrad? Parteigenosse seit 1933, SA- Obersturmführer, Kreisamtsleiter, zehn Jahre lang nationalsozialistischer Oberbürgermeister, Stabsoffizier des Zweiten Weltkriegs. Er ist der Mann, der sich 1937 damit gebrüstet hat, eine Kaserne von Wohnungen frei gemacht zu haben, damit dort ein HJ-Heim eingerichtet werden kann. Er ist der Mann, der erklärt hat, dass er im Interesse der Stadt den Kasernenbau betrieben habe. Er hat das ausgezeichnete Verhältnis der Stadtverwaltung zu den Parteidienststellen gerühmt, er hat gerufen: „[…] Verantwortung nach oben – Autorität nach unten!“ „Wir wollen in die- ser Stunde an unseren Führer denken, der in unermüdlicher Arbeit das deutsche Schicksal gewendet hat. Ihm verdanken wir allein, dass es auch uns möglich geworden ist, neue Verhältnisse anzubahnen und zu schaf- fen.“ – Wenn wir nicht sämtliche Aussprüche wörtlich zitieren, so des- halb, weil sich die Unterlagen bei der Militärregierung in Stuttgart befin- den, welche sie einer eingehenden Prüfung unterzogen hat. Gmünd muss sich entscheiden! Für einen politisch sauberen Bewerber oder für Herrn Konrad, dessen persönliche Untadeligkeit nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass er politisch untragbar ist.

M 9 SDR-Intendant Prof. Dr. Hans Bausch 1988 (in einem Brief an die Verfasser): Ich bin im Februar 1948 nach Aalen gekommen, um bei der 50. in der amerikanischen Zone lizenzierten Zeitung „Schwäbische Post“ drei Lokalredaktionen in Heidenheim, Aalen und Schwäbisch Gmünd aufzubauen. Bei dieser Gelegenheit wurde ich mit Gmünder Verhältnissen vertraut und habe die wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt kennen gelernt, vor allem aber den kommissarischen von den Amerikanern eingesetzten Oberbürgermeister Franz Czisch. Mir hat seine Persönlichkeit imponiert und die Initiativen, die er vor allem zu Gunsten der Heimatvertriebenen ergriffen hat. Als nun die Oberbür- germeisterwahl herannahte, fand ich es unerhört, dass der alte Oberbür- germeister des Dritten Reiches sich zur Kandidatur stellte. Ich habe die nationalen und auch internationalen Folgen bedacht und mich unter diesen Aspekten für die Wahl von Herrn Czisch eingesetzt. Aus Gesprä- chen mit amerikanischen Persönlichkeiten von Rang ist mir bewusst gewesen, dass die Gmünder Wahl ein „Testfall“ für die amerikanische Besatzungsbehörde sein würde. Mein Leitartikel „Wir warnen Gmünd“ ist aus diesem Motiv heraus entstanden. […] Konrad war ein Mann, der auch im Dritten Reich in der katholischen Stadt an der Fronleichnamsprozession teilnahm. Das war für viele ein

61 Beweis dafür, dass er eigentlich gar kein Nazi war. Wahrscheinlich war er seinen Überzeugungen nach auch kein Nazi, wohl aber ein Opportunist von der Sorte der Leute, die der Meinung waren, man könne im dritten Reich das Schlimmste verhindern, wenn man im Amte bleibe. Nach der Wahl wurde die ganze Angelegenheit ungeheuer dramatisiert, so dass sogar die internationale Presse in Schwäbisch Gmünd auftauchte und nach der Zahl der Toten fragte, die es gegeben habe. Andererseits habe ich selbst vom Balkon des Rathauses aus gehört, wie eine Gruppe auf dem Marktplatz nach Verkündung des Wahlergebnisses das Horst Wessel Lied angestimmt hat.

M 10 Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss (NWZ vom 22., 26. und 29.5.1948) Aussage des Kreisvorsitzenden der DVP, Dr. H. Erhard (Ehrenbürger Gmünds): Obm. Konrad halte er für einen Fach- mann. Die Wahl sei bei einer 85-prozentigen Wahlbeteiligung und Drei- viertelmehrheit für Obm. Konrad vom Willen der Bevölkerung getragen und müsse vom demokratischen Standpunkt aus respektiert werden, wenn nicht dem Gedanken der Demokratie selbst schwerster Abbruch geschehen solle. (Bravorufe.) Nach Lage der Dinge scheide der Gedanke aus, dass Gmünd eine Nazistadt sein könne. Oberamtsrichter Quintenz sagt aus: Seit Januar 1948 habe er sich für eine mögliche Kandidatur Konrads eingesetzt. […] Durch Teilnahme an zwei Sitzungen des Gemeinderates […] habe er feststellen können, dass Czisch kein Fachmann sei. Konrad habe er auch nicht gekannt. Aber bei dem Entnazifizierungsverfahren gegen Konrad habe er Einsicht in die Zeugnisse des Herrn Konrad be- kommen. Auf Grund seiner Amtstätigkeit von 1934 bis 1945 sei Konrad als einer der besten Kommunalpolitiker Württembergs von den zustän- digen Ministerien beurteilt worden. Franz Konrad gab als Erklärung ab: Er habe sich nicht um die Kandida- tur bemüht. […] Den Wahlkampf habe nicht er selbst geführt, sondern seine Anhänger. Er habe keinen Einfluss auf die Mitglieder seines Wahl- ausschusses ausgeübt. […] In der Erklärung war ferner die früher öfter ausgesprochene Bedingung Konrads enthalten, dass er eine Wahl bei geringer Wahlbeteiligung oder knapper Mehrheit (55 %) nicht annehmen werde. Er habe sich nur bei der Kandidatenvorstellung aktiv beteiligt und auch diese nur wegen der Neubürger in Gmünd getan.

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Ankunft des Wahlsiegers Franz Konrad mit Gattin am Gmünder Rathaus 1954. Ihn empfangen die Spitzen der Fraktionen (Foto: Janota)

M 11 Aus dem Bericht des Prüfungsausschusses (NWZ vom 17.7. 1948): Im heutigen Deutschland, knapp drei Jahre nach dem Ende der großen Zerstörungen, bei denen sechs Millionen Juden von den Nazis umgebracht wurden, glauben wir annehmen zu dürfen, dass die Gehäs- sigkeiten und Vorurteile aus dieser nicht weit zurückliegenden Zeitperio- de zu einem großen Teil immer noch nahe unter der Oberfläche liegen. Wenn dann in einer freien und demokratischen Wahl diese beiden Ele- mente – der ehemalige Nazi und ein Nicht-Nazi als Gegenkandidat – wieder zusammenstoßen, so liegt es an dem ehemaligen Nazi, durch Wort und Tat zu beweisen, dass er sich selbst tadellos benimmt und einen Ausbruch der Gehässigkeiten und Vorurteile des Nationalsozialis- mus nicht duldet. Freie Rede und freie Presse sind die demokratischen Mittel, mit denen er dies zum Ausdruck bringen kann. Dass er diese Mittel nicht gebraucht hat und die erforderlichen Beweise nicht hat er- 63 bringen können, drückt unserer Ansicht nach einen Mangel an jenen positiven politischen Eigenschaften aus, die der Förderung der Demo- kratie in Deutschland förderlich wären.

M 12 Ansprache Konrads bei seiner Amtseinführung am 22.11.1954: Ich übernehme mein Amt mit der Bitte um die Hilfe des Herrgotts und im Vertrauen auf ihn. […] Ich komme nicht mit leeren Händen zurück. Die Jahre nach 1945 habe ich nicht ungenutzt verstreichen lassen. Auf neuen Arbeitsgebieten habe ich Erfahrung gesammelt. Bei mir ist die alte Schaffenslust und Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung noch vorhanden.

Die hier umrissenen Aufgabenstellungen sollen Hinweise sein, welche Ansätze die Materialien in sich bergen, wo Widersprüche entdeckt wer- den können, wo sich eine besondere Betrachtung der Sprache lohnt – einfach, wo die Schüler und Schülerinnen mit geschärftem Blick an die Aussagen herangehen sollen. M 2: Hier lohnt eine Untersuchung der Sprache nach Merkmalen der Nationalsozialisten. Und: Wie stellt sich Konrad sein neues Amt vor? M 4: Wie wird Konrad bei seiner Entnazifizierung in der Presse darge- stellt? Es können die Aussagen zu den Juden, zur ruinierten Gesundheit, zum „Schutz“ städtischen Eigentums mit M 1, M 15 und M 8 verglichen werden. M 5, M 6: Wie werden die Kandidaten von ihren Anhängern dargestellt? M 8, M 9: Hier bezieht Prof. Bausch, langjähriger Intendant des SDR, Position für Czisch. Sehr gut lassen sich die in M 9 genannten persönli- chen Gründe von seiner journalistischen Aussage in M 8 unterscheiden. M 10: Jede einzelne Aussage lohnt der genaueren Betrachtung. a) Wie äußert sich Dr. Erhard über die Grundzüge der Demokratie? Was spricht für und was gegen seine Aussage? b) Amtsgerichtsrat Quintenz legt deutlich dar, was ihn zur Parteinahme für Konrad bewog. Wie ist diese „Erkenntnis“ zu beurteilen? c) Welches Demokratieverständnis zeigt Konrad, vor allem wenn man an das Wahlergebnis denkt? M 11: Hier drängt sich der Vergleich der Aussagen zur Demokratie mit denen von Dr. Erhard in M 10 geradezu auf! M 12: Hier bietet sich in Bezug auf die Wortwahl von Franz Konrad natürlich der Vergleich mit M 2 an. Inhaltlich kann man seine Aussage aber auch mit M 1 bzw. M 3 abgleichen.

64 Landeskundebeauftragte des Ministeriums für Kultus, Ju- gend und Sport Baden-Württemberg im Regierungsbezirk Stuttgart, Schuljahr 2014/2015:

Dr. Kerstin Arnold, Andreae-Gymnasium, Schießtäle 33, 71083 Herren- berg, Landeskundebeauftragte für den Schulamtsbezirk Böblingen (kers- [email protected])

Matthias Fellinghauer, Gymnasium Plochingen, Tannenstr. 47, 73207 Plochingen, Landeskundebeauftragter für die Schulamtsbezirke Stuttgart und Nürtingen ([email protected])

Steffen Gassert, Justinus-Kerner-Gymnasium Weinsberg, Rossäckerstr. 11, 74189 Weinsberg, Landeskundebeauftragter für den Schulamtsbezirk Heilbronn ([email protected])

Annika Hanisch, Glemstalschule (GMS), Herrenwiesenweg 35, 71701 Schwieberdingen-Hemmingen, Landeskundebeauftragte für den Schul- amtsbezirk Ludwigsburg ([email protected])

Eva Lienert, Realschule Mutlangen, Forststr. 6, 73557 Mutlangen, Lan- deskundebeauftragte für den Schulamtsbezirk Göppingen ([email protected])

Alexander Maimer, Martin-Schleyer-Gymnasium, Becksteinstr. 80, 97922 Lauda-Königshofen, Landeskundebeauftragter für den Schulamtsbezirk Künzelsau ([email protected])

Kilian Mosemann, Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium 97877 Wertheim, Conrad-Wellin-Str. 6-8 Landeskundebeauftragter für den Schulamtsbe- zirk Künzelsau ([email protected])

Hubert Segeritz, Martin-Schleyer-Gymnasium, Becksteinerstr. 80, 97922 Lauda-Königshofen, Landeskundebeauftragter für den Schulamtsbezirk Künzelsau ([email protected])

Alok Sinha, Eschbach-Gymnasium, Adalbert-Stifter-Str. 40, 70437 Stutt- gart, Landeskundebeauftragter für die Schulamtsbezirke Stuttgart und Nürtingen ([email protected])

65 Sandra Vöhringer, Glemstalschule (GMS), Herrenwiesenweg 35, 71701 Schwieberdingen-Hemmingen, Landeskundebeauftragte für den Schul- amtsbezirk Ludwigsburg ([email protected])

Peter Clemens Weber, Ernst-Abbe-Gymnasium 73447 Oberkochen, Landeskundebeauftragter für den Schulamtsbezirk Göppingen (peter- [email protected])

Dr. Otto Windmüller (Koordinator), Kaufmännische Schule Schwäbisch Hall, Max-Eyth-Str. 13-25, 74523 Schwäbisch Hall, Landeskundebeauf- tragter für den Schulamtsbezirk Künzelsau ([email protected])

Dem Arbeitskreis gehören außerdem an: Maria Würfel ([email protected])

Ulrich Maier ([email protected])

Wilhelm Lienert ([email protected])

Fortbildungen der Landeskundebeauftragten im Schuljahr 2015/2016 Im Schuljahr 2015/2016 finden wieder Fortbildungen unserer Landes- kundebeauftragten statt. Soweit sie zum Redaktionsschluss feststanden, sind sie im Folgenden aufgeführt. Auf unserer Homepage www.projekte- regional.de finden Sie aktuelle Hinweise zu den Fortbildungen, ebenso auf www.landeskunde-bw.de.

28.10.2015 Tag der Landesgeschichte in der Schule, „Minderheiten in Baden- Württemberg von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert“ mit ei- nem Beitrag von Ulrich Maier

11.11.2015, Georg Elser Gedenkstätte Königsbronn, Widerstand gegen den Nationalsozialismus im Südwesten mit Beiträgen von Eva und Wil- helm Lienert und Dr. Otto Windmüller

66 29.6.2016, Seminar Stuttgart, Landesgeschichte im neuen Bildungsplan mit Beiträgen von Dr. Kerstin Arnold, Steffen Gassert, Ulrich Maier, Alexander Maimer

Unsere Landeskundebeauftragten führen auf Anfrage auch Fortbildun- gen an Schulen durch, z.B. an Pädagogischen Tagen oder auch für Fach- schaften sowie an Seminaren für Lehrerausbildung aller Schularten. Sprechen Sie uns an!

Bisherige Ausgaben von PROJEKTE REGIONAL 1/2006 Landesgeschichte und Seminarkurs/Kursstufe Gymnasium 2/2007 Landeskunde/Landesgeschichte in der Lehrerausbildung 3/2008 Das Eislinger Saurierprojekt. Universität, Schule, Landkreis und Ge- meinde erfüllen eine Ausstellung mit Leben 4/2009 Schule und Archiv 5/2010 Schulgeschichte im Museum und Archiv 6/2011 Die Römer vor der Haustür 7/2012 Lebendiges Mittelalter 8/2013 Industrie- und Technikgeschichte 9/2014 Zeitgeschichte 10/2015 Jüdisches Leben in Baden-Württemberg 11/2016 Demokratie hat Geschichte

Vorschau: 12/2017 Neue Zugänge zur Landesgeschichte

Alle Ausgaben auch im Download unter www.projekte-regional.de

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