Was War Los Am
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Inhalt Michael Hoffmann, „Der Gerechtigkeit einen Beistand thun“: Kampf um Partizipation im deutschen Südwesten – Prolegomenon zu einem Längsschnitt 3 Maria Würfel, Bürgermeister – Rat – Zunftmeister 9 Ulrich Maier, Ein Volksaufstand und eine Verfassung für Württemberg – Der Arme Konrad und der Tübinger Vertrag 18 Kerstin Arnold, Jerg Ratgeb – Künstler und Kanzler des „gemeinen Mannes“ 26 Dr. Otto Windmüller, Die Revolution 1848/49 im öffentlichen Raum - das Beispiel Schwäbisch Hall 34 Steffen Gassert, „Mann der Arbeit aufgewacht! Und erkenne deine Macht!“ – Anfänge der Arbeiterbewegung in Württemberg 42 Peter Clemens Weber, „Dieser Prozess ist etwas völlig neues für die Menschen in Aalen“ - Demokratischer Neubeginn nach 1945 am Beispiel des Kreises und der Stadt Aalen 47 Eva Maria und Wilhelm Lienert, Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus? 55 Landeskundebeauftragte im Regierungsbezirk Stuttgart im Schuljahr 2015/2016 65 Landeskundliche Fortbildungsveranstaltungen 2015/16 66 Bisherige Ausgaben von PROJEKTE REGIONAL 67 Impressum: © PROJEKTE REGIONAL, Schriftenreihe des Arbeitskreises Landes- kunde und Landesgeschichte im Regierungsbezirk Stuttgart, 11/2016 Redaktion, Satz und Layout: Ulrich Maier Für die Inhalte der einzelnen Beiträge sind die jeweiligen Autoren ver- antwortlich. Herstellung: Fleiner Druck, Obersulm-Sülzbach 2015 Titelbild: Schülerinnen und Schüler des Ernst-Abbe-Gymnasiums Aalen bei der Projektarbeit Michael Hoffmann „Der Gerechtigkeit einen Beistand thun“: Kampf um Partizi- pation im deutschen Südwesten – Prolegomenon zu einem Längsschnitt Partizipation als „glokales“ Phänomen der Gegenwart Seit etwa einem halben Jahr prägen immer wieder Bilder von Demon- stranten mit gelben Regenschirmen die Berichterstattung aus der ehema- ligen britischen Kronkolonie und jetzigen chinesischen Sonderverwal- tungszone Hongkong. Die gelben Regenschirme, die wohl zunächst zur Abwehr von Pfefferspray-Angriffen seitens der Polizei zum Einsatz kamen, sind mittlerweile zum Symbol der Protestbewegung gediehen und weisen klar über die bloße Abwehr staatlicher Gewalt hinaus: Sie stehen für den Protest der Bevölkerung gegen den vom Festland-China installierten Verwaltungschef und insbesondere gegen die Regelungen zur Wahl seines Nachfolgers 2017, bei der das Wahlvolk nur über Kan- didaten abstimmen dürfen soll, die von der KP in Peking genehmigt wurden. Die gelben Regenschirme offenbaren also mithin ein breites Partizipationsbedürfnis und auch die Bereitschaft zur öffentlichen, de- monstrativen Einforderung demokratischer Mitbestimmungsrechte. Der westliche, an die Selbstverständlichkeit des Rechtsstaates bereits gewöhnte Beobachter kann an diesem Beispiel gewissermaßen wie in einem Reagenzglas den Beginn, Verlauf und auch die Wirkung und Fol- gen eines Kampfes um Partizipation verfolgen, allerdings unter den spe- zifischen Umständen und den historischen Rahmenbedingungen in Hongkong. Hongkong stellt jedoch in den vergangenen Jahren in dieser Hinsicht keinen Einzelfall dar: Im arabischen Raum fielen 2011 etablierte Machthaber der Unzufriedenheit des Volkes zum Opfer, allerdings führ- ten nicht alle revolutionären Umbrüche, die etwas pauschal unter dem Begriff arabischer Frühling subsumiert werden, auch zu einem demokra- tischen Ende. Das Begehren nach politischer und gesellschaftlicher Teil- habe spielt ferner nicht nur in seiner globalen Dimension eine große Rolle, sondern auch in seiner lokalen. Auf kommunaler und regionaler Basis entstanden nämlich auch in Deutschland in den vergangenen Jah- ren partizipative Bewegungen, die sich gegen große infrastrukturelle Projekte ( z.B. „Stuttgart 21“, Stromtrassen) wehrten und Mitsprache bei Entscheidungen der Verwaltung einforderten. Zusammenfassend muss man also davon ausgehen, dass Partizipationsbestrebungen und -kämpfe ein emergentes Grundphänomen der Gegenwart darstellen, dessen sich 3 auch die historisch-politische Bildung annehmen muss, um die Schüle- rinnen und Schüler zur kompetenten Analyse und Urteilsbildung – und damit natürlich auch zur Teilhabe – im politischen Diskurs zu befähigen. Die Aufgabe des Geschichtsunterricht wird dabei insbesondere darin bestehen, das Thema Partizipation sowohl in seiner historisch- genetischen wie auch in seiner typologischen Dimension zu behan- deln. Die Schülerinnen und Schüler sollen also einerseits an ganz konkre- ten, abgeschlossenen Beispielen Kämpfe um Partizipation strukturell erschließen und kriterial beurteilen, andererseits aber auch auf der Basis des historischen Beispiels allgemeine Merkmale von Partizipationskämp- fen erarbeiten und auf ihre Gegenwart übertragen. Denn anders als die oben erwähnte chemische Reaktion im Reagenzglas verlaufen vergleich- bare historische Prozesse keineswegs analog und ihr Ausgang ist auch nur bedingt prognostizierbar. Gleichwohl hilft die Auseinandersetzung mit vergleichbaren Prozessen in der Geschichte zu einem tieferen Ver- ständnis des allgemeines Phänomens und gibt Orientierung. Partizipation im Geschichtsunterricht: Das didaktische Potential des landeskundlichen Zugriffs Bestrebungen und Kämpfe für politische Partizipation und Demokratie sind auf mehreren Ebenen von historischer Bedeutung, neben der globa- len und lokalen ganz besonders auch auf nationaler und europäischer Ebene. Es stellt sich somit die Frage nach einer sinnvollen Reduktion des Stoffes im Geschichtsunterricht, ohne weder die historisch- genetische wie auch typologische Dimension aus dem Auge zu verlieren. Dies kann, wie die verschiedenen Beiträge dieser Publikation zeigen, in besonderem Maße von landeskundlichen Beispielen geleistet werden, und dies aus gleich mehreren Gründen. Zum einen erfolgten und erfol- gen im deutschen Südwesten, in Baden wie in Württemberg, mehrere für allgemeine Entwicklungen repräsentative Kämpfe um Partizipation seit dem ausgehenden Mittelalter, verwiesen sei auf die Beiträge in diesem Heft zum Armen Konrad, zur 1848er Revolution oder zur Etablierung der Demokratie nach 1945. Der Tübinger Kulturwissenschaftlicher Warnecken hat in diesem Zusammenhang gar von einer Tradition der „Widerständigkeit“ gesprochen, die sich vom Aufstand des Armen Kon- rad 1514 bis zu den Protesten gegen das Stuttgarter Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 im deutschen Südwesten erkennen lasse. (1) Zum anderen sind die hier vorgestellten Beispiele zeitlich und räumlich begrenzt und erlauben somit eine umfassende und gleichzeitig prägnante Ausei- 4 nandersetzung mit dem Grundphänomen Partizipation. Schließlich bie- ten die landeskundlichen Zugriffe auch die Möglichkeit, durch Aneinan- derreihung und diachronen Vergleich die historische Genese und damit auch bestimmte Strukturen der longue und moyenne durée, um es mit Fernand Braudel zu sagen, zu identifizieren. Dabei können die Schüle- rinnen und Schüler neben den Erfolgen auch Grenzen und Scheitern von Partizipationbestrebungen in der Geschichte erkennen und damit ein Bewusstsein vom „Geworden-Sein“ der Gegenwart (Historizität) entwickeln. Dieses Bewusstsein ist in besonderem Maße notwendig für die in den Leitperspektiven des neuen Bildungsplans genannte „Partizipationskom- petenz“, nach der die Schülerinnen und Schüler „Partizipations- und Gestaltungsräume erkennen“ und „sich an der Gestaltung einer nachhal- tigen Entwicklung beteiligen“ können sollen (2). Das Erkennen dieser Räume ist aus geschichtsdidaktischer Sicht insbesondere dann möglich, wenn bestimmte Entscheidungssituationen, in der sich Partizipationsbe- strebungen eruptiv verdichteten – z.B. während der Revolution von 1848/49 - , nicht nur auf ihren realen Ausgang, sondern auch auf die in ihnen angelegten und damit möglichen, aber nicht realisierten Ausgänge untersucht werden. Nur dann kann die Geschichte als prinzipiell offen und damit Gegenwart und Zukunft als gestaltbar erkannt werden. Auf die Gefahr, die Demokratiegeschichte seit dem ausgehenden Mittel- alter als lineare Erfolgsgeschichte zu charakterisieren, hat jüngst auch der Historiker Paul Nolte hingewiesen. In seinem historischen Längsschnitt hat er neben diese Perspektive der „Demokratie als Erfüllungsgeschich- te“ auch die der Demokratie als „Suchbewegung“ und als „Krisenge- schichte“ gestellt. Mit „Suchbewegung“ meint er in diesem Zusammen- hang das Nebeneinander bzw. gar die Konkurrenz mehrerer Vorstellun- gen von politischer Partizipation, wie sie sich im Südwesten z.B. wäh- rend der 1848er Revolution manifestierten, deren klares Ziel noch nicht eindeutig festlegbar war. Mit der „Krisengeschichte“ werden vor allem die Krisen und Rückschläge der Demokratiegeschichte betont, die ja keinesfalls als Einbahnstraße des Fortschritts verstanden werden soll. Nolte hat die Demokratie daher auch als „offen, historisch kontingent, extrem flüssig – und doch offenbar nicht beliebig“ bezeichnet, die sich in einem weiteren Sinne eher „stolpernd“ als zielgerichtet entwickelt ha- be.(3) Auch dafür bietet der Südwesten repräsentative Beispiele, es seien hierfür das Scheitern des Armen Konrads 1514 oder auch die Auseinan- dersetzungen um die politische Form des Volksstaates 1918/19 genannt. 5 Wenn Demokratie – und damit in gewisser Hinsicht auch das Bemühen um Partizipation – also nicht nur Erfüllung, sondern auch Suchbewe- gung und Krisengeschichte ist, muss insbesondere ein didaktisierter lan- deskundlicher Längsschnitt alle drei Perspektiven berücksichtigen. Die „Südstaaten-Rebellen“? Partizipationskämpfe im Südwesten: Vorschlag für einen Längsschnitt (4) Der Kampf um Partizipation stellt sich in Württemberg keinesfalls als lineare, gleichmäßig ansteigende Erfolgsgeschichte