3 2012 Bildhauerkunst Jean-Antoine Houdon für Aristide Maillol für Essen Die Sammlung Karl Ernst und Gertrud Osthaus

Baden-Württemberg Jerg Ratgeb Fromme Werke in harten Zeiten

Innovation aus Antwerpen Heiligentafel für den Frankfurter Annenaltar editorial Denn wir stellen Menschen „auf einen Sockel“ – und stoßen sie „vom Sockel“ auch wieder herab. Der plastische Mensch Zwei herausragende Plastiken konnten deutsche Museen unlängst mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder erwerben: das Frankfurter Liebieghaus die ­ Büste des großen Aufklärers Jean-Jacques Rousseau von Jean-Antoine Houdon, Frankreichs überragendem Bildhauer des 18. Jahrhunderts, und das Museum Folkwang in Essen die Holzskulptur „Jeune fille debout“ von Aristide Maillol, ein Meisterwerk aus der legendären Sammlung von Karl Ernst und Gertrud Osthaus, die mit ihrer Weltklasse-Kollektion moderner Kunst das Museum Folkwang begründet haben – Grund genug für uns, die Herbstausgabe von Arspro­ toto diesen glanzvollen Neuzugängen zu widmen. Mir bleibt, Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre zu wünschen und Ihnen in dieser Ausgabe von Arsprototo Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder ganz besonders ab Seite 52 den Artikel von Uta Baier über Jerg Ratgeb zu empfehlen, jenen lange vergessenen Maler der Dürerzeit, mit dem wir unsere Serie über Künstler fortsetzen möchten, die nicht nur pars pro Liebe Leserin, lieber Leser, toto für ein Land stehen – dies­ mal Baden-Württemberg –, der Mensch sei der wichtigste Gegenstand der Bild­ sondern auch eine kaum glaub­ hauerkunst, konstatierte Johann Georg Sulzer 1778 in liche Geschichte haben, die sich seiner „Allgemeinen Theorie der schönen Künste“, weil zu erzählen lohnt. Übrigens: Das die Form des Menschen „ein Bild der Seele ist; weil sie Heft, das Sie in den Händen Gedanken und Empfindungen, Charakter und Nei­ halten, ist die 30. Ausgabe von gung in körperlicher Gestalt darstellt. Der Leib des Arsprototo. So blickt die Kultur­ Menschen ist nichts anderes, als seine sichtbar ge­ stiftung der Länder mit Stolz machte Seele“. zurück und mit Zuversicht nach So war der transzendente Anspruch des plastischen vorn! Menschenbildes ebenso formuliert wie der moralische. Und nicht nur Schiller glaubte später fest daran, dass Ihre die Menschheit durch Kunst eine bessere und freiere würde. „Erzeugten schöne Menschen schöne Bildsäu­ len“, schrieb Gotthold Ephraim Lessing bereits 1763, „so wirkten diese hinwiederum auf jene zurück, und der Staat hatte schönen Bildsäulen schöne Menschen mit zu verdanken.“ Endlos sind die Theorien und Traktate seit Hun­ derten von Jahren, die sich um das rechte Bild des Menschen drehen, um Ideal und Wirklichkeit, Mo­ ment und Ewigkeit, Geist und Hülle. Eines haben die Debatten stets gemein: Wir hätten sie nie geführt, prägte uns nicht die Vorstellung, das Gesicht des Men­ schen würde sein Wesen repräsentieren – das Antlitz als David Roentgen Spiegel des Geistes. Und einte uns nicht der Umstand, (Herrnhaag 1743 - 1807 Wiesbaden) Schatulle dass kein Kunstwerk den Betrachter mehr anzieht und Neuwied um 1785 irritiert zugleich als das plastische Porträt: Zieht uns das Ahorn-Maser-Furnier begreifbar Dreidimensionale unaufhörlich an, so ist es Vergoldetes Bronzerelief mit der uns doch durch seine Monochromie seltsam entrückt. Aristide Maillol, Jeune fille debout, Allegorie der Arithmetik Der Mensch, der hier vor uns steht, oszilliert zwischen um 1903, Höhe Maße: 16 x 29,5 x 17,5 cm Anwesenheit und Abwesenheit. Auch in der Sprache 72 cm; Museum haben wir der Kraft der Plastik ein Denkmal gesetzt. Folkwang, Essen

Galerie Neuse Kunsthandel GmbH, Achim Neuse Volker Wurster Arsprototo 3 2012 3 Contrescarpe 14, 28203 Bremen, Tel.: 0421 32 56 42, www.galerieneuse.com

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Autoren impressum Inhalt

stand beeindruckt vor musealen Fassaden. Arsprototo 3 Editorial TITELTHEMA BILDHAUERKunst Seitdem suchte der heute promovierte Das Magazin der Kulturstiftung der Länder Kunsthistoriker stets den Weg zum Original 4 Autoren / Impressum Lützowplatz 9, 10785 Berlin 20 Der Philosoph als wahrer König – und hat ihn als Kustos der Sammlung Telefon 030 - 89 36 35-0 Malerei und Skulptur des 19. und 20. Redaktion 030 - 89 36 35-27 Jean-Antoine Houdons Büste des Jean-Jacques Jahrhunderts am Museum Folkwang in Essen Fax 030 - 8914251 erwerbungen Rousseau im Frankfurter Liebieghaus porträ- gefunden. Für Arsprototo umkreist von E-Mail [email protected] tiert den Aufklärer als idealen Herrscher Lüttichau die „Jeune fille debout“, eine der Internet www.kulturstiftung.de gefördert von der Kulturstiftung der Länder seltenen Holzplastiken des Bildhauers Aristide Maillol, die unlängst vom Museum Herausgeberin Isabel Pfeiffer-Poensgen, 8 Rapallo – Boot im Meer Folkwang erworben werden konnte. Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder von Wassily Kandinsky ––– Seite 26 Projektleitung Dr. Stephanie Tasch Redaktion Carolin Hilker-Möll (Leitung), Dieter Bartetzko 10 Wandteppich „Schutzengel“ Johannes Fellmann; Mitarbeit: Kristina Diall, von Hans Christiansen Miriam v. Stenglin, Insa Brinkmann Der promovierte Kunsthistoriker und Senior Editor Dieter E. Beuermann Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Consulting Editor Dr. Philipp Demandt Zeitung schwärmte bereits im Jahr 2009 Konzeption und Gestaltung Stan Hema mit anlässlich der großen Ausstellung „Die Vladimir Llovet Casademont, www.stanhema.com sinnliche Skulptur“ im Frankfurter Liebieg­ Vertriebsleitung, Abonnement, Internet haus von der Virtuosität des klassizistischen Johannes Fellmann Bildhauers Jean-Antoine Houdon. Für Anzeigen Kristina Diall, Telefon 030 - 89 36 35-21 Arsprototo ließ sich Dieter Bartetzko diesmal in den Bann von Houdons Büste des Aufklä­ rers Rousseau ziehen, die jüngst vom Liebieg­ Abonnements Arsprototo – Abonnementservice, haus angekauft werden konnte: Sein Artikel Bessemerstraße 51, 12103 Berlin nimmt uns mit auf eine Reise durch das E-Mail [email protected] Telefon 030 - 89 36 35-29, Fax 030 - 26 55 56‑71 Europa der Aufklärung und an europäische HANS-JÜRGEN LECHTRECK Höfe des Ancien Régime. Prinzen und Jahresabonnement: 20 Euro Dichter, Philosophen und edle Damen, Dem Bildhauer Aristide Maillol ist Hans- Erscheinungsweise Viermal jährlich Komponisten und Kaiser begegnen uns dabei Jürgen Lechtreck zum ersten Mal in Erscheinungstermin dieser Ausgabe: 6.9.2012 und künden von der verblüffenden Band­ begegnet, wo er auf dem Weg zur Staats­ Gedruckte Auflage dieser Ausgabe: 14.000 breite im Werk des französischen Bildhauers, galerie oder Landesbibliothek regelmäßig mit „La Nuit“ zusammentraf, die dort am Rand der für Bartetzko „einer der größten und Arsprototo ist das Magazin der Kulturstiftung 26 Junge Göttin für die Ewigkeit besten des ausgehenden 18. und frühen 19. des Schlossplatzes bis heute ausharrt. Seiner der Länder. Zweck der Stiftung ist die Förderung Jahrhunderts“ ist. ––– Seite 20 Faszination für Werke der klassischen und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Aristide Maillols Skulptur „Jeune fille debout“ Moderne und der zeitgenössischen Kunst Ranges (§1 der Satzung). 12 Fragment „Jüngstes Gericht“ ist ein neuer Höhepunkt im Museum Folkwang frönt der promovierte Kunsthistoriker heute Nachdruck von Bildern und Artikeln, auch des Braunschweiger Elerdts-Epitaphs in Essen als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Direk­ auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung tion im Museum Folkwang in Essen, wo er der Redaktion. 14 Im Schatten 32 Ein kunstvolles Leben u. a. für Provenienzrecherche und die Einwer­ Litho Mega-Satz-Service, Berlin bung von Drittmitteln verantwortlich ist. Für Herstellung Buch- und Offsetdruckerei von Johannes Geccelli Karl Ernst und Gertrud Osthaus als Sammler Arsprototo porträtiert Lechtreck die umfang­ H. Heenemann GmbH & Co., Berlin von Werken Aristide Maillols reiche Sammeltätigkeit des Ehepaars Karl Vertrieb OML KG, Berlin 15 Ostfriesisches Kleinsilber Ernst und Gertrud Osthaus, die Anfang des ISSN 1860 - 3327 aus der Sammlung Horst Arians 20. Jahrhunderts mit der Erwerbung von Maillols „Jeune fille debout“ den Grundstock Kulturstiftung der Länder Helfen Sie mit für ihre exquisite Kollektion von Werken des Stiftung bürgerlichen Rechts Künstlers legten. ––– Seite 32 Lützowplatz 9, 10785 Berlin 36 Silhouetten im Schatten Telefon 030 - 89 36 35-0 In Tübingen soll der Nachlass der Mario-Andreas von Lüttichau Fax 030 - 89 14 251 Scherenschnittkünstlerin und Filmpionierin E-Mail [email protected] Lotte Reiniger gerettet werden Titelbild: Internet www.kulturstiftung.de Als Kind in den Ferien bei seinen Großeltern Jean-Antoine auf dem Land war Mario-Andreas von Generalsekretärin Isabel Pfeiffer-Poensgen Houdon, Stellv. Generalsekretär Dr. Martin Hoernes Lüttichau eigentlich immer angehalten, brav Jean-Jacques Dezernenten Dr. Britta Kaiser-Schuster; seinen Mittagsschlaf zu absolvieren. Doch in Rousseau, 1780, Dr. Stephanie Tasch seinem Zimmer hingen an den Wänden viele Höhe 57 cm; kleinformatige Aquarelle, Federzeichnungen Liebieghaus Leiterin der Verwaltung Erika Lancelle mit Landschaften, Ruinenarchitekturen in Skulpturensamm- Finanzbuchhaltung Angela Neumann-Bauermeister südlichen Ländern und Entwürfe von idealen lung, Frankfurt Sekretariat Gabriele Lorenz, Monika Michalak Assistentin des Vorstands Kristina Diall Architekturen. Anstatt zu schlafen, spazierte am Main 16 der Knabe damals in seiner Phantasie lieber Bildnis der Louise von Anhalt in den ihn umgebenden Zeichnungen Informationsgemeinschaft zur Feststellung von Johann Friedrich August Tischbein herum, bewunderte griechische Säulen und der Verbreitung von Werbeträgern e.V.

4 Arsprototo 3 2012 5 Inhalt

Erwerbungen service gefördert von der Kulturstiftung der Länder 50 So können Sie spenden und Arsprototo abonnieren 38 Die Innovation kam aus Antwerpen 51 Verzeichnis der Erwerbungen deutscher Museen, Dem Historischen Museum Frankfurt gelingt Bibliotheken und Archive in diesem Heft und mit dem Erwerb einer Heiligentafel des ihre Förderer / Bildnachweis Meisters von Frankfurt die Rekonstruktion eines bedeutenden Altars Ballrausch und

länderporträt mit der In Zusammenarbeit Städtischen Galerie Lüdenscheid 52 Baden-Württemberg Farbenpracht Vom Kirchenmaler zum Bauernkrieger: Der einst vergessene Maler Jerg Ratgeb wird heute für seine Wimmelbilder bewundert Ida Gerhardi in Paris 16. September bis 30. Dezember 2012 Niedersächsische Landesmuseen Oldenburg Ida Gerhardi, Tanzbild X (Tanzszene bei Bullier Paris), 1905 (Ausschnitt), Städtische Galerie Lüdenscheid, Foto: Ste en Schulte-Lippern (Ausschnitt), Städtische Galerie Lüdenscheid, Foto: Ste bei Bullier Paris), 1905 X (Tanzszene Ida Gerhardi, Tanzbild

Prinzenpalais Damm 1 26135 Oldenburg www.landesmuseum-oldenburg.niedersachsen.de ֍ nungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr

LMO_40_ANZ_ENT.indd 1 28.08.12 11:45 42 Eine Madonna für den Burgberg Die spätgotische Ausstattung der Mansfelder Schlosskirche bleibt erhalten 58 Kunst und Kultur in den Ländern 46 Neue Bücher Ausstellungen – Veranstaltungen – Termine Abb.: Ernst Wilhelm Nay, gelbem Bogen , Mit

ausstellungen neue ERFOLGE Ernst Wilhelm Nay gefördert von der Kulturstiftung der Länder 62 Entspannung in Ulm 47 Mit Ihrer Hilfe konnte das Ulmer Museum Im Netzwerk der Moderne Das polyphone Bild 1966 ; VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Entwurfszeichnung des Ulmer Münsters widmen dem Kritiker Will Grohmann eine restaurieren Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen große Ausstellung 63 Nachrichten 20.9.2012–3.2.2013 freundeskreis essaY 48 Der sächsische Mars 64 Jeder Fall ist anders Die Restaurierung eines Kurfürstenporträts Die Provenienzrecherche erforscht die Herkunfts- im Schloss Neu-Augustusburg in Weißenfels geschichte von Kunst und Kulturgütern wird vom Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder ermöglicht 66 Letzte Seite: Schön im Depot

Inés de Castro über den nepalesischen Museumsmeile Silberguss „Die Geburt des Buddhas“ im Friedrich-Ebert-Allee 2 53113 Bonn Linden-Museum in Stuttgart Info: 0228 77-6260 www.kunstmuseum-bonn.de 6

KMB_Nay_Anz_Arsprototo_prod.indd 1 27.08.2012 13:09:38 Uhr Erwerbungen Rast in Rapallo

Versteckte Buchten, kleine Strände, leises Meeresrau- schen: Rapallo – ein roman­ tischer Ort für eine heimliche Liebe. Dort verbrachte der verheiratete Wassily Kan- dinsky (1866 –1944) gemein- sam mit seiner Malerkollegin und Geliebten Gabriele Münter im Jahr 1906 unbe- schwerte Monate. Das kleine Fischerdorf an der italieni- schen Riviera bot der Alliance den richtigen Rahmen, fernab von den Anstrengungen seiner unglücklichen Ehe. Seit 1904 reiste der Künstler mit Gabriele Münter durch die Welt, ab Ende 1905 rasteten sie an der Küste Italiens. Eine breite Farb­ palette in allen Pastelltönen bestimmt die schöne Land- schaft im Sonnenuntergang bei Rapallo, die von den französischen Impressionisten beeinflusst scheint. Wer ist die Gestalt auf dem kleinen Kahn? Ein Fischer oder gar der Maler selbst? Fotos belegen, dass Kandinsky oft in der Bucht von Rapallo gerudert ist. Die Ruhe des Fischerdorfes schien inspirie- rend auf ihn gewirkt zu haben: In dieser Zeit entstand eine Reihe von Studien, zu der auch „Rapallo – Boot im Meer“ gehört. Das Franz Marc Museum in Kochel am See ersteigerte das Gemälde unlängst auf einer Berliner Auktion und konnte damit sein Repertoire an kleinfor- matigen Naturstudien ent- scheidend bereichern. Eine Ölskizze Münters – entstan- den in St. Cloud nahe Paris – befand sich bereits in der Sammlung, auch sie spiegelt wie „Rapallo“ die Zeit des gemeinsamen Reisens wider. Wassily Kandinsky und Gabriele Münter finden so mit ihren beiden Werken aus glücklicher Zeit wenn schon nicht in Italien, so doch an einem bayerischen See wieder zueinander.

Wassily Kandinsky, Rapallo – Boot im Meer, 1906, 23,9 × 33 cm; Franz Marc Museum, Kochel am See

8 Erwerbungen Ein Rosenheim

Die Frage, wie wir unseren Lebensraum ästhetisch gestalten, treibt nicht erst heute ganze Branchen von Architekten, Handwerkern, Landschaftsplanern bis hin zu Interiordesignern um – auch in der Kunst war und ist sie eine viel ge­ stellte. Hiervon legt auch die Darmstäd­ ter Mathildenhöhe beredtes Zeugnis ab, auf der ab 1899 sieben junge Künstler – darunter Joseph Maria ­Olbrich, Peter Behrens und Hans Christiansen – im Auftrag des Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein ein urba­ nistisches Gesamtkunstwerk entste­ hen lassen sollten. Die Idee war es, im ­Rahmen der Ausstellung „Dokument Deutscher Kunst“ (1901) komplett durchgestaltete Wohnhäuser zu errich­ ten, die, wie Olbrich beschrieb, als „in sich abgeschlossene Kunstwerke [...] mit größter Empfindung und Einfachheit einem glücklichen Lebensprinzip zum Ausdruck verhelfen“ sollten. Der Flens­ burger Maler und Kunsthandwerker Hans Christiansen (1866 –1945) hatte seine Villa „In Rosen“ getauft und die Blume als Leitmotiv in den vielfältigs­ ten Farb- und Formvariationen durch alle Räume hindurchkomponiert. Bis ins Schlafzimmer, wo, wie zeitgenös­ sische Fotografien belegen, als Teil des Gesamtkunstwerks über dem Ehebett der Wandteppich „Schutzengel“ hing. Um 1901 in Scherre­bek gewebt, nimmt der Wand­behang das Rosenmotiv eben­ falls auf. Seit dem Wegzug des Künstlers aus Darmstadt 1912 gilt der Teppich als verschollen; das Haus wurde im Zwei­ ten Weltkrieg zerstört. Nur ein weiteres Exemplar ist heute überliefert: jenes, das Hans Christiansen dem Gründer der Scherrebek-Manufaktur Pastor Jacobsen überließ. Der Museumsberg Flensburg, das kunst- und kulturgeschichtliche ­Museum der Stadt, das den Nachlass des Künstlers bewahrt, konnte dieses kost­ bare Unikat nun erwerben.

Hans Christiansen, Wandteppich „Schutz- engel“, um 1901, 112 × 129 cm (ohne Fransen); Museumsberg Flensburg

11 Erwerbungen Göttliches Gericht

Der Papst im Höllenfeuer – ein Opfer im Kampf der Konfes­ sionen. Zwischen Himmel und Hölle spielt sich das dramati- sche „Jüngste Gericht“ ab, das als Epitaph des Braunschweiger Bürgermeisters Elerdts frag- mentarisch erhalten ist. Chris- tus thront richtend über den Wolken; unterhalb der Wol- kenbank sind Szenen aus dem Höllenfeuer zu beobachten, rechts die Verdammten – unter denen der sich windende Papst an der Tiara zu erkennen ist – , links die von Engeln begleite- ten Auserwählten, die in den Himmel kommen. Die unterste Reihe zeigt die Stifterfamilie Elerdts, die Herren links, die Damen rechts. Die Jahreszahl 1559 steht für das Jahr der Fertigstellung des Epitaphs, das posthum zum Andenken an den 1555 verstorbenen Bürger- meister Melchior Elerdts in Auftrag gegeben worden war. Die Konfessionsstreitigkeiten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts brechen hier deutlich hervor, den protestan- tischen Auftraggeber verrät eindeutig die Verdammung des Papstes als Antichrist. Ursprünglich hing das Epitaph in der St. Andreaskirche zu Braunschweig, wo es die schweren Luftangriffe 1944 überstand. Nach dem Krieg verschwand das Epitaph auf mysteriöse Art, später war sogar von Holzdiebstählen die Rede. Der Gedanke an die eisigen Nachkriegswinter ließ diese Vermutung nicht ganz abwegig erscheinen. Doch das „Jüngste Gericht“ tauchte unlängst im Kunsthandel wieder auf, und die evange- lisch-lutherische Landeskirche in Braunschweig konnte das Tafelbild des ehemaligen Epitaphs erwerben. So wird es künftig wieder in der Kirche St. Andreas zu bewundern sein.

Fragment „Jüngstes Gericht“ des Elerdts-Epitaphs, 1559, 98,5 × 109 cm; St. Andreas­ kirche in Braunschweig

12 13 Branden­ burgisch Blau

Weite Felder und dichte Wälder, der Himmel im blendenden Licht, die tiefe Düsternis der Wolken vor ewigem Horizont – als der Maler Johannes Geccelli (1925 – 2011) 1994 nach Jühns- dorf umsiedelte, zogen ihn die Landschaft, die Farben und das Licht Brandenburgs in ihren Bann. In den folgenden Jahren bis zu seinem Tod 2011 entwi- ckelte Geccelli hier die Zuspit- zung seiner konstruktivistischen Farbfeldmalerei. Eindringliche Farbmodulationen entwerfen auch in Geccellis Gemälde „Im Schatten“ einen suggestiven Bildraum: Lockere Pinselstriche steigern das dunkle Grün bis zu einem erst sanft leuchtenden und schließlich sonor strahlen- den Blau zur Mitte hin. Dort, wo sich alles dunkel verschattet, wo die Bildfläche in einem organisch pulsierenden Farb­ ereignis kulminiert, tut sich ein schmaler Spalt auf, der die nackte Leinwand preisgibt. Hier in der Mitte, wo in früheren Werken Geccellis oft noch überlange Gestalten oder später auch geometrische Formen erkennbar waren, bleibt der Meister der Farben in seinem Spätwerk abstrakt, farblos, mehr noch: Die radikale chromatische Intensität erfährt ihren Gegen- akzent, das Sichtbare schlägt um ins Unzeigbare. Eine Reminis- Versilberung des Alltags zenz an künstlerische Anfänge – waren doch überlieferte Ein ausgekippter Nachttopf, ein übel­ die wohlhabende Marschbauern im Stilmittel, Motive und symbo­ riechender Misthaufen oder gar der 18. und 19. Jahrhundert benutzt haben. lische Besetzungen vielen Künst- ungewaschene Nachbar – es gab schon Besonders die Riechdosen – hergestellt lern nach dem Zweiten Welt- krieg suspekt. In historisch immer mannigfaltige Gründe, ein von heimischen Silberschmieden – sind unbelasteten Farbräumen Riechdöschen in der Tasche zu haben, in ihrer Verarbeitung hochqualitative entdeckten manche ihre Freiheit um im Notfall schnell die Nase hin­ Kunstwerke und gleichzeitig eine regio­ des Ausdrucks. Das Kunstmu- einzustecken. Eine Essenz aus Rosen, nale Besonderheit: Traditionell wurden seum Dieselkraftwerk Cottbus, dem der Maler Geccelli über Maiglöckchen oder Moschus, geträu­ sie als Konfirmationsgeschenke an die viele Jahre durch zahlreiche felt auf einen Naturschwamm, brachte kommenden Generationen weitergege­ Leihgaben für zwei Einzelaus- die Leidenden schnell auf andere Ge­ ben. Mythologische Szenen und auch stellungen eng verbunden war, freut sich über das jetzt erwor- danken. Die kunstvoll angefertigten solche aus dem alltäglichen Leben der bene, wichtige Spätwerk des Riechdosen sind nur ein Teil der ost­ Bauern verzieren die 212 Dosen, die großen Koloristen. friesischen Kleinsilbersammlung, die Horst Arians neben rund zweihundert Johannes Geccelli, Im Schatten, der Antiquitätenhändler Horst Arians weiteren kleinen Silberschätzen leiden­ 2006, 200 × 180 cm; Kunstmu- in über 40 Jahren zusammengetragen schaftlich gesammelt hat. Dem Ostfrie­ seum Dieselkraftwerk Cottbus und dokumentiert hat. Hinzu kommen sischen Landesmuseum in Emden ge­ zahlreiche silberne Spangen, Teesiebe, lang nun der Ankauf dieser einzigartigen Besteck und allerlei Alltagsgegenstände, Sammlung.

14 Arsprototo 3 2012 15 Erwerbungen Zuhause bei Camille Hartmanns

Auch wenn ihr der Gemahl, Fürst Leopold Friedrich Franz III. von Anhalt-Dessau, mit seinem Garten- reich ein einzigartiges florales Imperium zu Füßen legte, zog es Louise von Anhalt stets von Dessau in die Ferne. Denn sowohl die prachtvollen Parkanlagen als auch Corot der für sie errichtete und nach ihr benannte Landsitz, das Luisium, vermochten die empfindsame Fürstin nicht darüber hinwegzu- Natur und Traum trösten, dass ihre Ehe – politisch motiviert und arrangiert – eine 29.9.2o12 –6.1.2o13 unglückliche war. Reisen nach Italien und in die Schweiz halfen zwar, der bedrückenden Stimmung am Hof von Zeit zu Zeit zu ent­ fliehen, doch ihr Refugium sollte Louise erst Jahre später finden: In

Stuttgart, im Haus der bürgerli- D. C. Gallery of Art, Washington 1860, Corcoran Die Ruhe (Detail), chen, kunstsinnigen Familie Hart- mann, deren Bekanntschaft sie 1798 machte und bei der sie – für den Hof ein Skandal – von 1802 bis 1804 sogar dauerhaft wohnte. Im Vorjahr ihres Zusammentreffens www.kunsthalle-karlsruhe.de mit den Hartmanns entstand das www.warten-auf-corot.de ganzfigurige Porträt der Fürstin von der Hand Johann Friedrich August Tischbeins. Seit 1795 in Dessau SKK Corot arsprototo 215x140 02 RZ.indd 1 02.08.12 14:53 tätig, gelingt dem Hofmaler im kleinen, gleichsam privaten Format das damals hochmodische Thema der empfindsamen Dame in der Natur. Zugleich erfasst der Künstler in der elegischen Stimmung des Bildnisses die große Melancholie und das Fernweh Louises. Einem glücklichen Umstand ist es zu verdanken, dass das Gemälde nicht nur vom Unglück der Fürstin, sondern zugleich von ihrer engen Verbundenheit mit den Hartmanns Zeugnis ablegt: Denn Quellen legen nah, dass sich das Porträt ab 1802 im Besitz der Familie befand und dort mehr als 200 Jahre verblieb. Als sich die Nachfahren jüngst von ihm trennen wollten, gelang es der Kulturstiftung DessauWörlitz, das Bildnis auf einer Auktion zu erwer- ben. Es kehrt nun ins Gartenreich Dessau-Wörlitz zurück, wo es künftig im Luisium Seite an Seite mit weiteren Porträts der Fürstin präsentiert wird.

Johann Friedrich August Tischbein, Bildnis der Louise von Anhalt, 1797, 94 × 72 cm, Kulturstiftung DessauWörlitz

16 Louis-Léopold Boilly, Atelier des TitelthemA BildhauerKunst Bildhauers Houdon, nach 1803, 87 × 105 cm (ohne Rahmen); Musée d’art Thomas-Henry, Cherbourg-Octeville Metamorphosen des Materials Dieter Bartetzko über die Rousseau-Büste von Seite 20 Jean-Antoine Houdon im Frankfurter Liebieghaus Mario-Andreas von Lüttichau über die Holzskulptur „Jeune fille debout“ von Aristide Maillol Seite 26 im Museum Folkwang in Essen Hans-Jürgen Lechtreck über die Sammlung Karl Ernst und Gertrud Osthaus Seite 32

Arsprototo 3 2012 19 TitelthemA BildhauerKunst Jean-Antoine Houdon, Jean- Jacques Rousseau, 1780, Höhe 57 cm; Liebieghaus Skulpturen- sammlung, Frankfurt am Main Der Philosoph als wahrer König

Mit spöttischem Lächeln, doch auch voll Weisheit und Güte: virtuose Rousseau-Büste, eine Neuerwerbung des Frankfurter Liebieghauses, porträtiert den Aufklärer als idealen Herrscher von Dieter Bartetzko

rankfurts angesehenes Liebieghaus hat eine Bronze­ aufgestellt wurde. Man würde sich tatsächlich blind büste des französischen Bildhauers Jean-Antoine stellen, stritte man dieser Plastik dergleichen erotelnde F Houdon erworben. Vor einigen Jahren hätte diese Attraktivität ab. Doch mit der Verabsolutierung dieser Nachricht bei nicht wenigen deutschen Liebhabern der Facette reduziert man Jean-Antoine Houdon und seine Bildhauerkunst eher gemischte Gefühle geweckt. Mit Bedeutung für die Kunst- und Sozialgeschichte Europas dem Namen des Künstlers nämlich verbanden selbst auf ein skandalös winziges Format. ausgewiesene Anhänger der französischen Skulptur des Jenseits nämlich aller unbestreitbaren und zweifel­ 18. Jahrhunderts meistens eher Betretenheit erzeugende los gewollten Erotik signalisiert die Plastik die Auf­ Werke: Wie François Boucher, Hofmaler Ludwigs XV. bruchsstimmung ihrer Zeit, lässt offen, ob man einer und Favorit der Madame Pompadour, galt auch Hou­ Göttin, einer Adligen oder irgendeinem jungen Mäd­ don hierzulande lange Zeit als Virtuose schwüler parfü­ chen aus dem Volk gegenübersteht. So gesehen, wird mierter Sinnlichkeit, ja Laszivität. So, wie Boucher bei aus (wenn denn überhaupt derartiges beabsichtigt vielen sofort die Erinnerung an die raffinierten Ölge­ gewesen wäre) getarnter Pornographie das Gestalt mälde der jährlich jünger werdenden Bettgespielinnen des alternden französischen Königs hervorruft, die der Maler ihm in vordergründig naiven lüsternen Posen festhielt, so stand vielen bei Houdon sofort die leicht unterlebensgroße Bronzestatue vor Augen, die unter dem vieldeutigen Namen „La Frileuse/Winter“, gleich­ sam getarnt als harmlose Allegorie und wohlanständiges Zitat der antiken schamhaften „Venus von Knidos“ schlüpfrige Männerphantasien bediente. Tat sie das wirklich? Die aufreizende Raffinesse, mit der Houdon Kopf und Oberkörper eines fast noch kindlichen, eben aufgeblühten jungen Mädchens mit einem üppig drapierten weichen Wollschal verhüllt, um desto deutlicher die Rundungen ihres nackten Unter­ körpers und ihrer kokett verschränkten Beine hervortre­ ten zu lassen, lässt kaum einen anderen Schluss zu. Zumal, da diese Plastik unter dem Vorwand künstleri­ schen Interesses in den folgenden Jahrzehnten hundert­ fach kopiert, verkauft – und in zahllosen Herrenzim­ Maurice-Quentin de la Tour, Bildnis mern, Boudoirs und in den Salons gehobener Bordelle Jean-Jacques Rousseau, 1753, 46,5 × 38 cm; als aufreizendes Zeugnis weiblichen fordernden Zögerns Musée d’Art et d’Histoire, Genf

20 Arsprototo 3 2012 21 gewordene Gleichheitsprinzip der Aufklärung. Spitz­ Ähnlich Marie-Adélaide de France, die Tochter Ludwigs sich im Alter von niemandem mehr konterfeien lassen findigkeit? Intellektuelle Ehrenhuberei? Nein. Denn XV., die der Bildhauer als Fünfundvierzigjährige mit mochte, lehnte immer wieder ab. So blieb es Houdon Jean-Antoine Houdons Leben und Werk beweisen, dass schadhaften Zähnen und altersbedingten Tränensäcken einzig, dem Verstorbenen, um, wie ein Zeuge schrieb, er ein überzeugter, wenn auch diplomatisch agierender in Marmor festhielt; halb verblühende alte Jungfer, halb „die Züge des unsterblichen Mannes für die Nachwelt Freigeist war, den sein kluges Vorgehen zum meistbe­ Bourbonenedle mit der Würde einer römischen Vesta­ zu bewahren“, Rousseau am 2. Juli 1778 die Toten­ schäftigten, in höchsten Adels- ebenso wie in Bürger­ lin. Wie sehr Houdon seiner Zeit voraus war, zeigte maske abzunehmen. Nach ihr fertigte er um 1780 die kreisen begehrten Künstler seiner Zeit machte. insbesondere die Porträtbüste des Komponisten Chris­ Büste, die nun dem Liebieghaus gehört und zurzeit Dieser Bildhauer war, rundheraus gesagt, einer der toph Willibald Gluck. Um dessen ungestüme Musikali­ restauriert wird. größten und besten des ausgehenden 18. und frühen tät auszudrücken, begnügte der Künstler sich nicht mit Es verschlägt einem den Atem, mit welcher Virtuo­ 19. Jahrhunderts, reagierte seismographisch genau auf „unschicklich“ offenem Hemd und zerzausten Haaren, sität der Bildhauer aus den fahlen eingefallenen Ge­ die Umbrüche seiner Zeit, auf das Ancien Régime, die sondern fügte expressive, „unnatürliche“ Schraffuren sichtszügen eines Toten die lebenssprühende, zwischen Französische Revolution, die Herrschaft Napoleons hinzu, wie sie erst wieder Rodin anwandte; eine Rang, Ironie, Weisheit, Güte und Entschlossenheit irisierende – und ließ sie in seinen Werken Gestalt werden: Hou­ Physiognomie eines Lebenden rekonstruiert hat. Außer don porträtierte die Größen seiner Zeit, und das nicht der Totenmaske und persönlichen Eindrücken könnten etwa als, wie man vermuten könnte, auf enorme ihn die damals europaweit gefeierten Bronzebüsten der Honorare­ und wohlfeilen Ruhm erpichter Pro­ antiken Villa dei Papiri in Herculaneum inspiriert minentenjäger,­ sondern als unbestechlicher hellsichti­ haben, die 1750 aus den Verschüttungen des Vesuvs ger Analytiker von Charakteren. Ob er die skandalum­ geborgen worden waren. Insbesondere die fortan jedem witterte Zarin Katharina II. ungeschönt als Mischung Gebildeten vertrauten Bronzebüsten des sogenannten aus mütterlicher Megäre und dragonerharter Monar­ Pseudo-Seneca und des Demokrit scheinen Houdon chin verewigte oder an Benjamin Franklin, dem von beeindruckt zu haben. allen Aufklärern Europas gefeierten Gründervater der Wie der mutmaßliche Seneca zeigt auch Houdons Vereinigten Staaten von Amerika, die Züge antiker Rousseau kurze, wie nachlässig in die Stirn gestrichene Philosophen erkennen ließ, ohne die Charakteristika Strähnen und einen altersgemäß schütteren Haaransatz; seiner „hinterwäldlerischen“ Herkunft zu verschleiern. wie bei Demokrit ist Rousseaus hochgewölbte Stirn von Aus bestimmten Blickwinkeln glaubt man einen scharfen, über der Nasenwurzel gewölbten Querfalten Sokrates­ mit der verschmitzt-resignierten Altersweis­ gefurcht, und wie beide schaut auch der Aufklärer aus heit eines englischen Landadvokaten zu erkennen – tiefliegenden Augen sinnend am Betrachter vorbei. der Bildhauer stieß vor in einen mitfühlenden Veris­ Anders aber als die düster grübelnden Antiken lächelt Jean-Antoine Houdon, Benjamin Franklin, 1778, Höhe 57,2 cm; mus, wie ihn erst wieder die Künstler der klassischen The Metropolitan Museum of Art, New York der Franzose sein berühmtes, spöttisch freundliches Moderne erreichen sollten. Lächeln und trägt sein Kinn, wie jeder damalige Mann Dass Houdon inzwischen auch hierzulande als ein Reputation und die akademische Ausbildung (der sich von Stand, glatt rasiert. solcher Künstler bekannt und geschätzt ist, dürfte auf Houdon selbstverständlich unterzogen hatte) ignorie­ Es ist eine zweite diskrete Abweichung, die wirklich die ungemein erfolgreiche Werkschau zurückzuführen rende Verklärung des freien Individuums. Welten zwischen die antiken Philosophen und Rous­ sein, die man ihm im Spätherbst 2009 im Frankfurter An dieser Überzeugung vermochten selbst die seau schiebt: Houdon lässt den Franzosen ein Band um Liebieghaus ausrichtete: Unter dem Titel „Die sinn­ Greuel der jakobinischen Schreckensherrschaft und die Kopf und Stirn tragen. Das ist zunächst, wie die locker liche Skulptur“, der gekonnt die gängigen Vorurteile Spitzelatmosphäre der napoleonischen Zeit nichts zu um die Schulter geschlungene Toga auch, ein seinerzeit aufgriff und zum Lockruf ummünzte, machte die ändern. Das bezeugt Houdons 1806 geschaffenes, an­ Schau deutlich, welch verblüffende Bandbreite das tike Pathosformeln verarbeitendes Porträt Napoleons I.: Werk und das Können Houdons aufweisen. Zu sehen Als klassische Hermesbüste gestaltet, zeigt sie den zwei waren beispielsweise Büsten seiner eigenen Kinder, die, Jahre zuvor zum Kaiser Gekrönten wie einen heroi­ insbesondere die der eineinhalbjährigen Tochter, fern schen, feinnervigen jungen Augustus. Doch genauer jeder Rokokosüßlichkeit die beneidenswert unbefan­ betrachtet wird dieser Imperator zu jenem nervösen, gene Neugier und unverbildete Haltung der Kindheit von Selbstzweifeln gejagten Korsen, der als umstrittener einfangen. Dass die Suche des Aufklärers und Freimau­ Erster Konsul der Französischen Republik nach Sicher­ rers Houdon nach standesenthobener Menschlichkeit heit gierte und skrupellos politische Feinde über die und natürlicher Würde sich selbst in hochoffiziellen Klinge springen ließ. Adelsporträts durchsetzte, bewies die Bronzebüste des Rechtzeitig zum dreihundertsten Geburtstag von Preußenprinzen Heinrich (1789), deren offizielle Jean-Jacques Rousseau erwarb nun das Liebieghaus Zopfperücke und ordensgeschmückter Harnisch auf eine von Houdon gefertigte Bronzebüste des Philoso­ den ersten Blick den hohen Rang des Dargestellten phen und Aufklärers, dessen Ideen ganz Europa verän­ signalisieren, und doch nur Staffage werden, sobald derten. Der Künstler, dem sein Ruhm Scharen be­ man im Gesicht des Preußen den Dünkel eines spät­ rühmter Zeitgenossen zutrieb, die von ihm porträtiert absolutistischen Feldherren mit der Empfindsamkeit Jean-Antoine Houdon, La Frileuse / Winter, 1787, Höhe 144,8 cm; sein wollten, hatte nichts unversucht gelassen, Rous­ Jean-Antoine Houdon, Sabine Houdon, 1788, Höhe eines Kunstliebhabers streiten sieht. The Metropolitan Museum of Art, New York seau als Modell zu gewinnen. Doch der Philosoph, der 44,5 cm; The Metropolitan Museum of Art, New York

22 Arsprototo 3 2012 23 Louis-Léopold Boilly, Der Bildhauer Jean-Antoine Houdon in seinem Atelier, o. J.; Musée des Arts Décoratifs, Paris

geläufiges und beliebtes antikes Motiv. Doch es er­ terschaft, Geistesheroen in unübertrefflichem Verismus scheint, was jedem damaligen, auch nur einigermaßen zu verewigen, mit der diskreten Parteinahme für einen gebildeten Betrachter ins Auge gestochen sein muss, in Denker, dessen geistige Größe die der chronisch über­ einem quasi unstatthaften Zusammenhang: Stirnbinden forderten Monarchen des Absolutismus, insbesondere gebührten – als Kronzeugen standen dem Bildungs­ Ludwigs XVI., weit überragt. bürgertum der ebenfalls aus Herculaneum stammende Der Philosoph als der wahre König, der Dichter Bronzekopf des Ptolemaios IX. Lathyros und eine und Denker Rousseau als idealer Herrscher: Diese Marmorstatue Homers vor Augen – nur Königen und Neuerwerbung des Frankfurter Liebieghauses füllt nicht Dichtern. So verbindet sich möglicherweise in Jean- nur, wie es in einer Stellungnahme der Verantwort­ Antoine Houdons Rousseau-Büste die gewohnte Meis­ lichen heißt, „eine Lücke im Bereich der Skulptur des 18. Jahrhunderts, einem Forschungs- und Sammlungs­ Jean-Antoine Houdon, Totenmaske von Jean- schwerpunkt des Hauses“, sondern ist ein weiteres Jacques Rousseau, 1778, Kunstwerk von internationalem Rang in der an der­ Höhe 29,3 cm; Biblio- artigen Objekten wahrlich nicht armen Sammlung des thèque de Genève Museums. Man kann nur gratulieren.

Liebieghaus Skulpturensammlung Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main Telefon 069 - 650049-0 Öffnungszeiten: Di, Fr – So 10 – 19 Uhr Mi, Do 10 – 22 Uhr, Mo geschlossen www.liebieghaus.de Jean-Antoine Houdon, Christoph Willibald Gluck, 1775, Höhe 88 cm; Staatliches Museum Schwerin

24 Arsprototo 3 2012 25 TitelthemA BildhauerKunst Aristide Maillol, Jeune fille debout, um 1903, Höhe 72 cm; Museum Folkwang, Essen Junge Göttin für die Ewigkeit

Aristide Maillols Skulptur „Jeune fille debout“ war schon einmal ein Höhepunkt der Sammlung. Damals noch eine Leihgabe, gelang dem Museum Folkwang in Essen jetzt der Erwerb dieses Hauptwerks der „Modernen Klassik“

von Mario-Andreas von Lüttichau

ie ist von schwebender Eleganz, diese junge Frau Klassik versus Zeitgeist und Ausdruck? Von Rodin mit schlankem Körper. Keine Bewegung noch kennen wir die drängenden Gesten, die er seinen Mo­ S emotionale Regung scheint in ihr zu wohnen; sie dellen abverlangt, wenn er sie zeichnet, sei es bei ausla­ wirkt ruhig und konzentriert, ihre Aufgabe als Verkör­ dender Tanzbewegung oder beruhigter Pose, um den perung einer Pose vollendet zu leisten. Der Bildhauer Reiz des Überzogenen zur Darstellung zu bringen. All Hans Joachim Albrecht beschrieb bei Rodin das Volu­ das finden wir bei Aristide Maillol nicht. Als möchte er men, „das aus Muskeln, Eingeweiden und Skelett“ der Antipode sein zum Realisten Rodin, dessen Spiel bestehe „in einer dehnbaren Haut: dagegen ist bei Maillol der Körper wie ein Gefäß von straff gewölbten Wandungen umschlossen“. Und so steht sie auf einer Plinthe, fest auf dem rechten, durchgedrückten Bein, das linke eben angewinkelt in leichtem Kontrapost. Den Kopf mit der vorne ausladend, zum Haarkranz hochgesteckten Frisur schnitzte Maillol selbstbewusst, den Blick leicht links nach vorne gerichtet. Etwas rund und pausbackig wirkt das Gesicht mit feiner Nase, den kleinen Augen, die obere Lippe lässt der Bildhauer leicht nach vorne über die untere gewölbt erscheinen. Ein Hauch von Kleid betont den nackten Körper ebenso wie es ihn enthüllt; von den Schultern herunter­ gerollt, legt es die Brüste frei und umgibt die Figur bis zu den Fesseln mit einer zweiten Haut. Dass wir es mit textilem Material zu tun haben, zeigt der Blick auf die Hände der Figur – nah am Körper, halten sie den überschüssigen Stoff. In der Rückenansicht überwiegt die Illusion der Nacktheit, zwischen den Schulterblät­ tern fällt, leicht gerollt, spielerisch das lange Haar. Stramme, knackige Pobacken leicht nach rechts ver­ schoben, geben der Rückenansicht eine ebenso anmu­ tige wie klare Haltung. Mit diesem Verweis auf ein wenn auch modifiziertes klassisches Standbild leitet der Bildhauer sein Thema ein: das des stehenden jungen Mädchens oder der Frauenfigur in der Nachfolge anti­ Auguste Rodin, Eve, um 1881, Höhe 174 cm; ker Göttinnen, als Pomona oder Flora. Reduktion und Museum Folkwang, Essen

26 Arsprototo 3 2012 27 mit der großen Gestik er mit fester, in sich ruhender Gebärde begegnet. Vielmehr wählt Maillol das Volu­ men eines antiken Körpers zum Ausgangspunkt seiner plastischen Arbeit und zeigt damit jene wirkungsvolle Schwerkraft, die sich in der körperlichen Anspannung wiederfindet. Sie wird zum gestalterischen Grundprin­ zip in allen Bereichen seiner Bildhauerei, deren gestalte­ rischer Ansatz die Themen des Sitzens und des Hockens oder des Stehens variiert. „Eine Skulptur muss schön sein, auch wenn ihre Oberfläche zerstört und kieselglatt geschliffen ist“, äußerte sich Maillol gegenüber Harry Graf Kessler, dem engen Freund, Förderer und Samm­ ler. Faszinierend, wie sich die Bildhauer in ihrer Gegen­ sätzlichkeit umkreisten, wie sie im Lob die Kritik versteckten und kritisch den anderen anerkannten. So zitierte Octave Mirbeau, französischer Journa­ list, Kunstkritiker und Romanautor, 1905 Rodin in seiner Kritik über Maillol in der Zeitschrift „La Revue“ vom 1. April: „Maillol ist ein Bildhauer, der so groß ist, Aristide Maillol im Jahr 1925

wie die größten überhaupt. [...] Maillol hat die Bega­ bung zur Bildhauerei. [...] Das Bewundernswerte an Maillol, das Ewige, wie ich sagen könnte, ist die Rein­ heit, die Klarheit und die Einfachheit sowohl in seiner Arbeit wie in seinem Denken.“ Das „Ewige“, Klassische, Essentielle bestimmt Maillol, doch erkannte er die populäre Überlegenheit Rodins an: „Die Schönheit von Rodins Kunst besteht in der Leidenschaft, die er hinlegt, in den Ideen, die in ihr enthalten sind. [...] Rodin ist ein Genie, das die ganze Epoche bewegt hat. [...] Ein solcher Mann, wie er, könnte ich nicht sein.“ Aber Maillol fand auch kritische Worte für seinen großen Zeitgenossen, von dem er sich abzusetzen wusste, weil er eine ganz andere Idee von Skulptur entwickelte: „Rodin spricht ständig vom Modelé. Ich verstehe das nicht“, so Maillol. „In der Natur sehe ich kein Modelé, ich sehe nur Formen, Formen, die ich so mit meinen beiden Händen greifen kann. Was ich wiedergeben will, das sind die schönen Formen, die ich sehe.“ Rodin hingegen empfahl, „die Volumen zu übersteigern“. Und Maillol hielt das nicht für richtig, denn „ich will nicht übertreiben, und alles Nötige muß trotzdem vorhanden sein. Rodin seinerseits bringt tausend Profile, tausend Facetten. Aus der Nähe be­ sehen, ist es verblüffend, aber in der Natur ist alles anders“. Der harmonische Aufbau des menschlichen Körpers in Bewegung und Gegenbewegung, in der Anspannung und Entspannung der Glieder und die dichte Plastizität der Körpervolumen in vereinfachend- abstrahierender Ausführung interessierten ihn mehr als die detaillierte, um Naturtreue bemühte Körperab­ bildung. Maillol wehrte sich gegen die Doktrin einer Aristide Maillol, Jeune fille debout, um 1903, Fotografie von Albert Renger-Patzsch, Aristide Maillol, Der Radrennfahrer (Le coureur cycliste), 1907/9, geschmacklichen Vereinnahmung, wenn er an anderer um 1920/30; Museum Folkwang, Essen Höhe 98 cm; Museum Folkwang, Essen Stelle das Vorgehen seines bildhauerischen Konkurren­

28 Arsprototo 3 2012 29 ten beschreibt: „Rodin kreist um seine Statue herum Le Barc de Boutteville. Später bemerkte Maillol, dass zwei weitere Male, 1907 respektive 1908, und das und modelliert dabei Profile: das ist beinahe wie Zeich­ seine ersten Bilder denen von Denis zum Verwechseln Modell des Bildhauers begegnet uns in zahlreichen nen. Ich dagegen konzentriere mich ausschließlich auf ähnlich gewesen wären. Wie eng die Beziehung war „Rollen“ natürlich auch in den Gemälden ihres Man­ die Form.“ Vor allem in der früh- und hochklassischen und dass sie möglicherweise auch einen Einfluss auf die nes. Sie gehören zu den wenigen Büsten, die der Bild­ Periode der griechischen Skulptur, die Maillol auf seiner Entstehung unserer „Jeune fille debout“ hatte, zeigt die hauer nach einem Modell erarbeiten wird. Reise nach Griechenland 1908 mit Harry Graf Kessler etwa zeitgleiche Porträtbüste von Marthe Denis. Wir Abgesehen von der Wertschätzung Maillols für und Hugo von Hofmannsthal etwa auf der Akropolis erfahren dies durch das Tagebuch von Harry Graf seinen Freund Maurice Denis, die zu dieser Zeit auch entdecken konnte, fand Maillol die Vorbilder für seine Kessler, der seine erste Begegnung mit Maillol vor Werke tauschen, scheint es nicht abwegig, in der Aus­ die Form vereinfachende und von Details abstrahie­ derselben Büste für den 21. April 1904 notiert hatte. arbeitung des Kopfes der „Jeune fille debout“ eine rende Arbeitsweise. Da heißt es: „Er führte uns gleich ins Atelier [...] und Ähnlichkeit mit Marthe Denis zu entdecken: die aus­ Kesslers Auftrag aus dem vorangegangenen Jahr zeigte uns seine Arbeiten und Zeichnungen, die Büste ladende, zeittypische Frisur, die das rundliche Gesicht 1907, einen Radfahrer nach dem lebenden Modell von Mme Maurice Denis, eine kleine hockende weib­ rahmt, der leichte Blick nach oben, die kleine schmale Gaston Colin so naturgetreu und detailliert wie mög­ liche Figur.“ Marthe Denis entsprach wohl Maillols Nase und die Partie der Augen zeigen in Maillols lich wiederzugeben, widersprach somit gänzlich der Ideal einer Frau, denn es wird nicht bei der hockenden ­stehendem Mädchen weitere Entlehnungen aus der Intention von Maillols abstrahierender und stilisieren­ Figur bleiben, sondern Maillol wird Marthe Denis Physio­gnomie seines Modells. Später, 1910, wird Mail­ der Arbeitsweise. „Das ist keine Idealfigur“, schreibt mehrfach porträtieren, wohl schon 1904 und später lol neben der „Pomona“ (Frau mit Äpfeln) und zwei Maillol über seine Skulptur des Radrennfahrers („Le weiteren Bronzen auch die „Flora“ für den russischen coureur cycliste“, siehe S. 29). „Wenn ich die Jugend Sammler Iwan Morosow modellieren. „Flora“, die hätte darstellen wollen, dann hätte ich etwas anderes Göttin der Blüte, in strenger Frontalität gesehen, ähnelt gemacht. [...] Es handelt sich um ein Porträt: das Bild­ der „Jeune fille debout“, ist eine schlanke und mit nis des jungen Colin. In der Antike hat man Athleten­ durchsichtigem, faltenreichen Gewand elegant beklei­ porträts gemacht. [...] Vielleicht bin ich der erste, der dete Schönheit. In den herabhängenden Händen hält wieder eine Athletenstatue geschaffen hat.“ Nicht nur sie mit grazil gespitzten Fingern nicht Stoff, sondern die Porträtähnlichkeit, die Feingliedrigkeit und Zartheit eine Blumengirlande. Auch die strenge Achsialität des männlichen Körpers wird zu einer Ausnahme in übernimmt und wiederholt Maillol in der „Flora“ und Maillols Werk. In seiner Feinheit ließe sich auch eine Aristide Maillol, Flora, um 1910/12, Höhe 163,5 cm; folgt in der Anmut dem Prinzip einer antiken Karya­ Neue Pinakothek, München Hommage an Rodin sehen, bemerkte Antoinette Le tide, wie sie für die Korenhalle auf der Akropolis in Normand-Romain in ihrem Katalog­beitrag zur Ausstel­ detailgetreuen Realismus aufweisen. Unterstützt wird Athen als Pfeiler dient. lung „Aristide Maillol“ (Berlin, Lausanne 1996), – in dieser Eindruck durch das verwendete Gussverfahren, Die vier Skulpturen fanden ihre Aufstellung in dem der Modellierung aber auch eine Verneigung vor gro­ das Wachsausschmelzverfahren, welches weit auf- von seinem Freund Maurice Denis mit Wandbildern zur ßen Renaissancebronzen, etwa dem „David“ von Dona­ wendiger und arbeitsintensiver ist als das von Maillol Geschichte der Psyche bestückten Weißen Saal in der tello oder dem „fliegenden Merkur“ von Giambologna. üblicherweise angewendete Sandgussverfahren. Das Villa des Moskauer Sammlers. Mittels ihrer Bilder und Keine andere bildhauerische Arbeit Maillols wird diese Resultat dieses Verfahrens – eine besonders feine und Formensprache übersetzten die Werke beider Künstler feinnervige Oberfläche aufzeigen, wird einen derart in der Patina geschmeidige Oberfläche – wurde aus­ die klassische Antike in ihre Zeit und ließen einen Raum schließlich für die beiden Exemplare des „Radrenn­ entstehen, der im besten Sinne „Moderne Klassik“ fahrers“ angewendet, die für Maillols Freunde und erlebbar macht. Maillols „Jeune fille debout“, die wie der Sammler, den Grafen Kessler und Karl Ernst Osthaus, „Radrennfahrer“ Aufnahme in die Sammlung von Karl produziert wurden. Der Künstler jedoch war von Ernst und Gertrud Osthaus fand, steht am Beginn jener diesem einmaligen Auftrag wenig begeistert. Ihn inter­ Werke monumentaler Frauenfiguren, die den Zeitgenos­ essierten allein weibliche, gleichsam überzeitliche und sen als gegenwärtige Göttinnen gegenüberstanden. nicht männliche oder zeitgeistig-populäre Aktdar- Wahrscheinlich für rund zehn Jahre befand sich die stellungen. „Jeune fille debout“ als Leihgabe von Gertrud Osthaus seit Mitte der 1920er Jahre schon einmal im Museum Monumentale Frauenfiguren als Folkwang, bevor sie wohl von der Sammlerin nach der Aktion „Entartete Kunst“ der Nationalsozialisten abgezo­ Göttinnen für die Gegenwart gen wurde. Jetzt kehrte sie aus dem Nachlass Karl Ernst und Gertrud Osthaus glücklich wieder zurück in das Seinen Opponenten im künstlerischen Wettstreit fand Essener Museum. Maillol in seinem Bildhauerkollegen Rodin – die Künstlerfreunde suchte er sich in der Malergruppe der „Nabis“: „Gauguin und Denis waren es, die mir zuerst Museum Folkwang die Augen öffneten, nachdem ich die Akademie verlas­ Museumsplatz 1, 45128 Essen sen hatte“, so Maillol. Vor allem zwischen ihm und Telefon 0201 - 8845444 Maurice Denis, Jupiter schenkt Psyche die Unsterblichkeit und feiert Hochzeit Öffnungszeiten: Di – So 10 – 18 Uhr, Aristide Maillol porträtiert Marthe Denis, Denis entwickelte sich eine feste Freundschaft seit der mit Amor, aus dem Gemäldezyklus „Geschichte der Psyche“, 1908, 395 × 272; Fr bis 22:30 Uhr, Mo geschlossen um 1904 ersten gemeinsamen Ausstellung 1896 in der Galerie Staatliche Eremitage, St. Petersburg www.museum-folkwang.de

30 Arsprototo 3 2012 31 TitelthemA BildhauerKunst Treppenaufgang im Karl-Ernst- Osthaus-Museum in Hagen mit Aristide Maillols Skulptur des Radrennfahrers, Fotografie von 1910 Ein kunstvolles Leben Karl Ernst und Gertrud Osthaus als Sammler von Werken Aristide Maillols

von Hans-Jürgen Lechtreck

ls am 9. Juli 1902 das Museum Folkwang in selbst Erwerbungen für die Folkwang-Sammlung tä­ Hagen eröffnet wurde, hatte sein Gründer Karl tigte, hat den entscheidenden Moment rückblickend A Ernst Osthaus gerade erst begonnen, seine Samm­ beschrieben. „Man war zum Zwecke von Gauguin- lung moderner Kunst aufzubauen. Die Entschlossenheit Erwerbungen bei Vollard, als die Figur durch den und das Tempo, die Osthaus dabei an den Tag legte, Laden getragen wurde. Der Anblick berührte das Ehe­ dürfen auch heute noch außergewöhnlich genannt paar so, dass es dem Hersteller sofort nachspürte, und werden. Innerhalb weniger Jahre erwarb er von wichti­ damit begann ein jahrelanger persönlicher Kontakt mit gen Künstlern der Moderne umfangreiche Werkgrup­ Maillol.“ Die Figur, um die es sich dabei handelte, war pen. Unterstützt wurde Osthaus dabei von Künstlern, die „Jeune fille debout“. Kunsthändlern und anderen Sammlern, mit denen er In der Galerie Ambroise Vollard war Aristide Mail­ sich beständig über zu entdeckende Talente und Kunst­ lol 1902 erstmals als Bildhauer öffentlich in Erschei­ werke austauschte. An erster Stelle ist Henry van de nung getreten, nachdem er zunächst als Maler begon­ Velde zu nennen, der von Osthaus 1900 den Auftrag nen und sich erst um 1895 für die Bildhauerei ent- für die Inneneinrichtung des Museum Folkwang erhal­ schieden hatte. Vollard zeigte zahlreiche kleinformatige ten hatte und auch die Entwürfe für dessen Wohnhaus Bronzen, die er nach den Gips- und Terrakottafiguren lieferte, den 1908 fertiggestellten Hohenhof. Er machte Maillols in unlimitierten Auflagen hatte herstellen den Sammler mit der künstlerischen Avantgarde des lassen. Die um 1903 oder früher entstandene „Jeune damaligen Europas bekannt und verschaffte ihm wich­ fille debout“ hingegen gehört zu den wenigen Holzplas­ tige persönliche Kontakte. Selbstbewusst bilanziert van tiken des Bildhauers, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit de Velde in der „Geschichte meines Lebens“ seinen – nur vier davon sind heute noch nachweisbar – sehr Anteil an der Entstehung der Folkwang-Sammlung: „Seit unsrer Begegnung hatte sich eine vollständige Wandlung in Osthaus’ Geschmack vollzogen, besonders nachdem ich ihn mit den Kunsthändlern Ambroise Vollard in Paris und Paul Cassirer in Berlin zusammen­ gebracht hatte. Seine Bekehrung war spontan eingetre­ ten, und sein Sinn und das Verständnis für Kunstwerke von hoher Qualität entwickelte sich außergewöhnlich rasch. In weniger als einem Jahr hatte er Werke von Monet, Renoir, Seurat, Signac, Cross, van Gogh, Gau­ guin und Skulpturen von Minne, Rodin und Constan­ tin Meunier erworben.“ Mit einigem Recht hätte van de Velde auch den Namen Aristide Maillol in diese Aufzählung aufnehmen können, denn indirekt ging auch Osthaus’ Entdeckung dieses damals noch weitge­ hend unbekannten Künstlers auf ihn zurück: Die erste Begegnung des Sammlers mit einem Werk des französi­ schen Bildhauers ereignete sich in der Galerie Ambroise Vollards, den er über van de Velde kennengelernt hatte. Gertrud Osthaus, die ihren Mann häufig bei seinen Ida Gerhardi, Karl Ernst Osthaus, 1903; Besuchen in Galerien und Ateliers begleitete und auch Osthaus Museum, Hagen

32 Arsprototo 3 2012 33 gesucht sind. Der Besuch des Ehepaars Osthaus bei haus’ den Hohenhof 1927 an die Stadt Hagen verkauf­ bout“ – die bei Gertrud Osthaus verblieb – für sie von Vollard darf deshalb als eine einzigartige Gelegenheit ten, wechselten auch der Hodler und die „Sérénité“ den besonderer Bedeutung waren. Anfang Februar 1926 bezeichnet werden. Er lässt sich auf das Jahr 1903 Besitzer. Während „Der Auserwählte“ an seinem Platz übergab Gertrud Osthaus diese Figur dem Museum datieren, denn für dieses und das folgende Jahr sind verblieb und mit der Immobilie in städtisches Eigen­ Folkwang als Leihgabe, von wo aus sie noch im Früh­ insgesamt vier Erwerbungen von Gemälden Paul Gau­ tum überging, gelangte die Steinskulptur nach Düssel­ jahr 1933 für eine große Maillol-Retrospektive an die guins nachweisbar. Die Kaufentscheidung für die Figur dorf, wo sie auf dem Ausstellungsgelände der GeSoLei Kunsthalle Basel ausgeliehen wurde. In der Publikation muss in diesem Zeitraum und beinahe sofort getroffen einen neuen Standort erhielt. Da der Bestands­- zu dieser Ausstellung trägt die „Jeune fille debout“ die worden sein: Eine Rechnung der Galerie Vollard vom katalog des Essener Museum Folkwang von 1929 nur Katalognummer 1 – mit der Besitzangabe „Privatbesitz, 10. März 1904 verzeichnet neben drei Gemälden von eine einzige Figur des Bildhauers verzeichnet, „Le deponiert im Museum Folkwang, Essen“ – und er­ Gauguin und einem von Maurice Denis auch drei coureur cycliste“, stellt sich die Frage, wie sich die scheint auch in dem nicht sehr umfangreichen Abbil­ Figuren von Aristide Maillol: eine „statuette“, die „Besitzverhältnisse“ für die drei anderen Figuren, die dungsteil an erster Stelle. Möglicherweise kehrte die „Jeune fille debout“, und zwei „terres“, die „Jeune fille Tapisserie „Les deux baigneuses“ und die Graphik Figur nach dem Ende der Ausstellung am 16. Septem­ agenouillée“ (1900) und eine ebenfalls in Terrakotta „Adam et Eve“ veränderten. Auch der Zeitpunkt, zu ber 1933 zunächst nach Essen zurück, wo dann nur ausgeführte, bislang nicht identifizierte Figur. Mit dem diese Werke aus der Folkwang-Sammlung heraus­ zehn Wochen später der damalige Direktor des Muse­ diesem Ankauf trat das Ehepaar Osthaus dem kleinen genommen wurden, ist fraglich: 1927, 1921 oder ums, Ernst Gosebruch, unter dem Druck der national­ Kreis der frühen Sammler Maillols bei, dem auch der bereits vor dem Tod des Museumsgründers? Hatte sozialistischen Stadtregierung sein Amt aufgeben Unternehmer Eberhard von Bodenhausen und Harry Gertrud Osthaus sie vielleicht schon 1916 für sich musste. Vielleicht schon zu diesem Zeitpunkt, mit Graf Kessler, der Direktor des Großherzoglichen Muse­ beansprucht und eventuell an sich genommen, als sie großer Wahrscheinlichkeit aber spätestens 1936/37, Arbeitszimmer im Hohenhof in Hagen, dem Wohnhaus von Karl Ernst und Gertrud ums in Weimar, angehörten. Osthaus, erbaut von Henry van de Velde. Rechts im Bild: Alexander Archipenko, sich nach 17 Jahren Ehe von ihrem Mann trennte und als Reaktion auf die Aktion „Entartete Kunst“, dürfte In seinem Engagement für Maillol ist Osthaus wohl Frau, ihr Haar kämmend, 1915 den Hohenhof vorübergehend verließ? Gesicherte Gertrud Osthaus die Leihgabe aufgekündigt haben. nur mit Kessler vergleichbar, dem wichtigsten Förderer Antworten hierauf sind nicht möglich. Bis zu ihrem Tod 1975 verblieb die „Jeune fille debout“, des Künstlers in Deutschland. Beide hatten sich früh treten). Bemerkenswert daran ist, dass demnach auch Man ist gleichwohl versucht anzunehmen, dass deren Anblick das jung verheiratete Ehepaar Osthaus eine der raren Holzfiguren gesichert – die „Baigneuse die im Hohenhof aufgestellte „Sérénité“ als „Sitzende Maillols Werke und insbesondere die „Jeune fille de­ so berührt hatte, in ihrem Besitz. debout“ (um 1898) aus Kesslers Besitz befindet sich Frau. Sandstein. H 155.“ zum Museumsbestand gezählt heute im Kunstmuseum Winterthur – und den Bild­ wurde. Wo und wie „Le coureur cycliste“ im Museum hauer an andere Sammler und Museumsleute weiter­ ausgestellt war, ist durch eine zeitgenössische Fotografie empfohlen; darüber hinaus ebneten sie ihm mit ersten belegt, und für die „Jeune fille debout“ gibt eine Aus­ Aufträgen für große Steinskulpturen seinen weiteren stellungskritik von 1908 einen entsprechenden Hin­ künstlerischen Weg. Von Kessler wurde Maillol 1904 weis. Die nur 17 cm hohe „Jeune fille agenouillée“ und mit der Schaffung der überlebensgroßen Figur einer die mit einer Höhe von 30 cm ebenfalls klein zu nen­ kauernden Frau beauftragt, genannt „Méditerranée“. nende „Baigneuse sans bras“ hingegen lassen sich nicht Das Gipsmodell hatte der Künstler bereits 1905 vollen­ in der Ausstellung nachweisen. Letztere ist jedoch auf det, die Fertigstellung der Steinfassung jedoch zog sich einer um 1910/11 entstandenen Aufnahme des Da­ bis nach 1910 hin, vielleicht weil Maillol in dieser Zeit menzimmers im Hohenhof zu entdecken, aufgestellt auch mit einer von Osthaus 1905 in Auftrag gegebenen auf einem niedrigen Wohnmöbel. Neben ihr, auf einem ebenfalls überlebensgroßen Steinskulptur beschäftigt schmalen hohen Ständer, steht hier zudem die „Jeune war. Diese „Sérénité“ genannte Figur wurde um die fille debout“, die zwei Jahre zuvor noch im Museum zu Jahreswende 1910/11 im Garten des Hohenhofs auf­ sehen gewesen war. Es hat den Anschein, als habe für gestellt. Eine weitere Verbindung stiftete die Bronze Karl Ernst und Gertrud Osthaus zwischen der museal „Le coureur cycliste“ (Der Radrennfahrer), ebenfalls präsentierten Sammlung und der sehr viel kleineren ein Auftragswerk Maillols für Kessler, von der Osthaus Gruppe von Kunstwerken in den Wohnräumen und im 1909 – unmittelbar nach ihrer Fertigstellung – einen Garten ihres Wohnsitzes kein grundsätzlicher Unter­ Guss erwarb. Kurz zuvor war bereits die etwas früher schied bestanden, als hätten sie in der ihnen gemein­ entstandene Bronze „Baigneuse sans bras“ (um 1905) samen Absicht, Leben und Kunst zu verbinden, die in die Folkwang-Sammlung aufgenommen worden. Grenzen zwischen ihrem „öffentlichen“ und ihrem Der Vollständigkeit halber seien an dieser Stelle auch „privaten“ Besitz durchlässig gehalten. die Tapisserie „Les deux baigneuses“ (um 1895) und Nach dem Tod Karl Ernst Osthaus’ 1921 und mit die Druckgraphik „Adam et Eve“ (1895) genannt, die der Aufnahme von Verhandlungen über den Verkauf ebenfalls zu Osthaus’ Maillol-Kollektion gehörten. der Folkwang-Sammlung war es für Gertrud Osthaus Alle diese Erwerbungen des Ehepaars Osthaus sind und die Erben ihres Mannes nicht mehr möglich, diese im 1912 erschienenen ersten Bestandskatalog des „Besitzverhältnisse“ im Ungefähren zu belassen. Die­ Museum Folkwang verzeichnet – mit Ausnahme der jenigen Kunstwerke beispielsweise, die sich auf dem nicht näher zu bestimmenden Terrakottafigur (mög­ Hohenhof befanden, darunter Ferdinand Hodlers „Der licherweise war Osthaus nach Erhalt der erwähnten Auserwählte“ von 1903 und Maillols „Sérénité“, wur­ Rechnung kurzfristig vom Kauf dieser Figur zurückge­ den zunächst nicht veräußert. Erst als die Erben Ost­ Aristide Maillol, Sérénité, 1905/10, ehemals im Garten des Hohenhofs in Hagen; zerstört

34 Arsprototo 3 2012 35 Helfen Sie mit men oder zu Märchen. Ihr gelang es, im Medium Scherenschnitt in einem Bild komplexe erzählerische Zusammenhänge Silhouetten im Schatten festzuhalten. Oftmals schnitt die Künst­ In Tübingen soll der Nachlass der international renommierten Scherenschnitt­ lerin ihre Silhouetten aus der Hand: „Meine Hände gehen schon so lange mit künstlerin und Filmpionierin Lotte Reiniger gerettet werden der Schere um, dass sie von ganz allein von Evamarie Blattner wissen, was sie tun müssen.“ Lotte Reiniger hat in allen drei Gattungen – Scherenschnitt, Schattentheater, Sil­ er im Lotte-Reiniger-Archiv des houettenfilm – die Entwicklung im Tübinger Stadtmuseums die 20. Jahrhundert entscheidend geprägt W Vielfalt der künstlerischen und neue Maßstäbe geschaffen. Objekte bewundert, ist überwältigt von Reiniger starb 1981 in der Nähe der Reichhaltigkeit und dem außeror­ von Tübingen, wohin sie noch kurz zu­ dentlichen handwerklichen Können der vor umgezogen war. Ihr außergewöhn­ Künstlerin. Sie schnitt filigrane Silhouet­ licher künstlerischer Nachlass gelangte ten, vom bloßen Umrissschnitt bis zu mit Hilfe der Kulturstiftung der Län­ groß angelegten eigenständigen Kompo­ der in das dortige Stadtmuseum. Eine sitionen, schuf einzigartige Figuren für Dauer­ausstellung, die einen Querschnitt Lotte Reiniger, Scherenschnitt „Papageno und Papagena“; das Schatten­theater und für den durch das Leben und Schaffen Reini­ Stadtmuseum Tübingen Silhouettenfilm. gers zeigt, konnte 2008 eingerichtet Lotte Reiniger, 1899 in Berlin werden, ebenso ein Archiv, in dem alle Forschung sowie eine zentrale Grund­ werden, nachkommen, um so die wich­ geboren, kam schon 17-jährig zum mittlerweile inventarisierten Objekte für lage für die Präsentation und Dokumen­ tigen Zeugnisse der Schnittkunst und Deutschen Theater, wo ihre ersten die Forschung zugänglich sind. Neben tation der Schnittkunst. frühen Filmgeschichte einem breiten Silhou­ettenschnitte zu Szenen mit be­ Manus­kripten, Fotos und Zeitungs­ Alle Kunstwerke sind Papierarbeiten Publikum bekannt zu machen. In den deutenden Schauspielern entstanden artikeln hat Tübingen das Glück, die und in einem teils sehr beklagenswerten vergangenen Jahren sind zu diesem sind. Im 1919 gegründeten Institut für gesamte Bandbreite der Scherenschnitte, Zustand: Vielfach von der Künstlerin Thema wichtige Filmbeiträge entstanden: Kulturforschung – einem von jungen viele Silhouettenfilmfiguren, die in die genutzt, zeigen sie zahlreiche Gebrauchs­ Alle Filme Lotte Reinigers sind heute auf Künstlern und Wissenschaftlern initiier­ Filmgeschichte eingegangen sind, Film­ spuren. Auch die Wirkung des Kleb­ DVD in einer neuen Edition erhältlich. ten Atelier für Animationsfilme – hatte hinter­gründe und Theaterfiguren zu be­ stoffs, der die Einzelteile zusammenhält, Noch in diesem Jahr kommt der arte- Reiniger die Gelegenheit, zusammen mit sitzen – eine hervorragende Basis für die hat stark nachgelassen. Hier müssen die Dokumentarfilm „Der Tanz der Schat­ Kollegen maßgeblich die Entwicklung wertvollen Arbeiten behutsam restauriert ten“ zur Ausstrahlung, der das Leben der des Trickfilms voranzutreiben. „Die und neu gesichert werden. Zahlreiche Künstlerin nachzeichnet. Damit solche Abenteuer des Prinzen Achmed“, zusam­ Scherenschnitte müssen neu befestigt Projekte auch zukünftig möglich sind, men mit ihrem Ehemann Carl Koch werden, Einrisse geklebt und stabilisiert sind die umfassenden Restaurierungs­ 1926 in Berlin und Paris vorgestellt, war werden, Oberflächen sollen gereinigt maßnahmen unumgänglich. Unterstüt­ der erste abendfüllende Trickfilm der werden. Filmhintergründe müssen neu zen Sie das Tübinger Stadtmuseum Filmgeschichte. Reiniger lieferte 1930 geklebt und Einzelteile neu befestigt dabei, damit dieses kostbare filmkünst­ mit dem Film „Zehn Minuten Mozart“ werden. Dazu sollen Klebereste entfernt lerische Erbe gerettet werden kann. und dem darin geschaffenen inhaltlichen und durch neue Klebung ersetzt werden. Dr. Evamarie Blattner ist wissenschaftliche und funktionalen Bezug von Musik und Auch die Theaterfiguren und Kulissen Mitarbeiterin im Stadtmuseum Tübingen. Film den entscheidenden Beitrag zum Lotte Reiniger, Scherenschnitt „Papageno“; Stadtmuseum Tübingen bedürfen dringend einer Stabilisierung frühen Tonfilm. Bis in die 1960er Jahre und Festigung, teilweise sind auch Retu­ nahm die Künstlerin Filme auf. Am Aufenthaltes in Athen 1936 lernte sie das schen nötig. Ein Aufschieben der Restau­ Für weitere Informationen: bekanntesten und häufigsten auch vom Schattentheaterspiel der Griechen ken­ rierung der Werke würde irreparable Dr. Evamarie Blattner Stadtmuseum Tübingen, Fernsehen ausgestrahlt sind ihre Mär­ nen. Sie übernahm deren Technik und Helfen Sie mit Schäden verursachen. Die Kosten wer­ Kornhausstraße 10, 72070 Tübingen chen- und Opernfilme. schrieb Stücke für unterschiedliche Wir bitten Sie herzlich, liebe Leserin und den auf rund 40.000 Euro geschätzt, so Telefon 07071 - 204 1795 Reiniger zog 1935 nach London um, Bühnen, die sie selbst aufführte. lieber Leser, um Unterstützung für das dass das Lotte-Reiniger-Archiv hofft, [email protected] Lotte-Reiniger-Archiv. Spenden Sie für www.tuebingen.de/stadtmuseum/ arbeitete in Paris, Rom und von 1943 bis Den Scherenschnitt als künstlerische die Restaurierung des Nachlasses der zahlreiche Unterstützer für diese grund­ 1949 noch einmal in Berlin. In diesen Technik hatte Reiniger zu einer bis dahin Künstlerin Lotte Reiniger im Stadtmu- legenden Arbeiten zu gewinnen. Zeiten hatte sie nicht immer einen nicht gekannten Hochform entwickelt. seum Tübingen und überweisen Sie bitte Das Stadtmuseum Tübingen möchte Tricktisch zum Aufnehmen ihrer Filme Nach den frühen Theaterszenen schuf sie unter dem Stichwort „Lotte Reiniger“ auf seinen Schatz der Forschung zugänglich eines der Konten der Kulturstiftung der zur Verfügung und trat auch als Schat­ komplexe Folgen zu König Artus oder zu Länder. Überweisungsträger finden Sie im Lotte Reiniger, Tieralphabet; lassen und den vielen, auch internationa­ tentheaterspielerin auf. Während eines Mozartopern, zu mythologischen The­ Heft nach der Seite 50. Vielen Dank! Stadtmuseum Tübingen len Leihanfragen, die jährlich gestellt

36 Arsprototo 3 2012 37 Erwerbungen ie stark Bezugspunkte, egal ob als Vorbild oder Abgrenzung, auch Wdie alten Meister geprägt haben, Die Innovation verdeutlicht eine auf den ersten Blick unscheinbare Tafel, die das Historische kam aus Museum in Frankfurt am Main kürzlich erwerben konnte. Sie zeigt zwei weibliche Antwerpen Heiligenfiguren, die nebeneinander auf einem Mauervorsprung vor einer Wand Das Historische stehen. Die Malerei ist denkbar zurück­ haltend gestaltet. Kleidung und Architek­ Museum Frankfurt tur sind auf Grautöne beschränkt, die kann mit dem Er­ Heiligen werden nur durch Attribute und werb einer Heiligen­ Inschriften bezeichnet. Links steht die Heilige Odilia von Hohenburg, die als tafel des Meisters Blinde geboren durch ihre Taufe plötzlich von Frankfurt einen sehen konnte. Zwei in die Bibel gelegte bedeutenden Altar Augen dienen als ihre Attribute. Die Heilige Cäcilie von Rom trägt als Patro­ vervollständigen nin der Musik eine kleine Orgel als Hinweis auf den liturgischen Wechsel­ Meister von Frankfurt, Annenaltar, links die Heiligen Agnes und Lucia, von Jan Friedrich Richter gesang, der anlässlich ihres Festtages rechts die Heiligen Valentin und Martin, um 1504; Historisches Museum gesungen wurde. Ein Palm­wedel kenn­ Frankfurt, Frankfurt am Main zeichnet sie als Märtyrerin. Die Tafel ist sehr qualitätvoll ausgeführt worden. Die Bedeutung der Szene einzufühlen. Dass Flügel werden durch eine Blumenwiese Figuren zeigen trotz ihrer Typisierung es sich dabei um weitaus mehr als eine miteinander verbunden, die mit ihrer lebendig wirkende Gesichter, die stark Genredarstellung handelt, zeigt der obere Vielzahl von Pflanzen symbolische Ver­ beschränkte Farbpalette besticht durch Teil des Thrones. Vor der Lehne schwebt weise auf den Paradiesgarten und die eine Vielzahl von Abstufungen. der Heilige Geist in Form der Taube, Tugenden der Heiligen enthält. Der Kauf dieser Tafel ist für Frank­ über ihm in einer Wolkenglorie die Die während des Alltags geschlosse­ furt ein großer Glücksfall, wird damit Halbfigur des segnenden Gottvaters. nen Flügel zeigen auf ihren Außenseiten doch ein Werk vervollständigt, das den Zusammen mit dem auf der Bank thro­ die Darstellungen von acht Heiligen, die Auslöser für ein sehr bedeutendes Werk nenden Kind bilden sie die Heilige zusammen mit Anna als Patrone desjeni­ der altdeutschen Kunst bilden sollte. Dreifaltigkeit Gottes, flankiert von den gen Altars dienten, für den das Retabel Denn sie gehört zu einem Altar­retabel, Figuren musizierender Engel auf den bestimmt war. Zu ihnen gehört auch die das für den Annenaltar der Frankfurter Thronpfosten. Dieser vertikale Sinnbezug hier besprochene Tafel. Alle Figuren Dominikanerkirche bestimmt war. Es wird auf horizontaler Ebene mit der werden paarweise dargestellt, wobei sich wurde um 1505 von einem unbekannten, sogenannten Trinubiums-Legende, der je zwei Frauen und Männer in versetzter in Antwerpen tätigen Maler ausgeführt, „Dreiheirat“ der Heiligen Anna, verbun­ Anordnung übereinander befanden. den man nach seinen Hauptwerken als den. Die Darstellung der Heiligen Sippe Die auf Halbgrisaillen beschränkte Meister von Frankfurt bezeichnet. Das folgte der Vorstellung, dass Anna nach Malerei, die nur Haut und Haare in Annenretabel muss mit seiner imposan­ ihrer Ehe mit Joachim zwei weitere Male natürlichen Farben abbildet, dürfte ten Höhe von mehr als zwei Metern zu geheiratet habe. Die aus diesen Ehen damals in Frankfurt einen höchst unge­ einer bedeutenden Stiftung gehört haben, hervorgegangenen Töchter wurden wöhnlichen Anblick geboten haben. Seit deren Ur­heber allerdings nicht überliefert gleichfalls Maria genannt, viele ihrer etwa 1430 begann man in den Nieder­ wurde. Der geöffnete Zustand zeigt im Söhne folgten später Jesus als Apostel. landen, die Außenseiten von Altarflügeln Schrein die Heilige Sippe. In freier Land­ Die Darstellung der weitverzweigten in Grisaillemalerei zu gestalten, eine schaft steht ein prächtiger Thron, auf Verwandtschaftsverhältnisse wird auf den Gewohnheit, die in Deutschland erst dem der Jesusknabe zwischen Maria und Flügeln von zwei Szenen eingerahmt, mit Ende des 15. Jahrhunderts übernommen seiner Großmutter Anna sitzt. Wie bei denen die zentrale Bedeutung von Anna wurde. Auslöser dafür dürften Importe einem Familientreffen sind alle Verwand­ und Maria für das Heilsgeschehen betont wie der Frankfurter Annenaltar gewesen ten um den Thron herum gruppiert. Die wird. Der linke Flügel zeigt das Wochen­ sein, der aus einem der großen Zentren beschauliche Idylle gibt einen Teil der bett der erschöpften Anna, der rechte den der niederländischen Malerei stammte. Alltagserfahrung des Betrachters wieder Tod der Gottesmutter im Kreise der um Seine Gestaltung lässt deutliche, vielleicht und erlaubt ihm damit, sich in die tiefere sie versammelten Apostel. Schrein und auf die Lehrzeit des Künstlers zurückzu­

Meister von Frankfurt, Die Heiligen Odilia und Cäcilie (Grisailletafel des Annenaltars), 38 um 1504; Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt am Main Arsprototo 3 2012 39 ausgeführt, allerdings mit einer höchst cus Jacquin in seiner Chronik davon, dass unterschiedlichen Wirkung. Hier trifft die auseinandergesägten Malflügel an der kalte Technokrat auf den religiösen unterschiedlichen Stellen in der Kirche Fanatiker. Dürer isoliert die Heiligen in aufgehängt waren. Als die einzelnen Teile strenger Komposition vor einem schwar­ nach der Säkularisation 1808 der Frank­ zen Hintergrund, Grünewald dagegen furter Museumssammlung übergeben beharrt auf einen räumlichen Kontext, wurden, fehlte die Heiligentafel. Sie schafft aber gleichzeitig durch Körperhal­ dürfte damals schon auf den Kunstmarkt tung und Gewandung eine unwirkliche gekommen sein, lässt sich aber erst Stimmung, die die Figuren seltsamer­ Anfang des 20. Jahrhunderts in der weise realer wirken lässt als bei Dürer. Sammlung von Alice Gutmann in Berlin Kennerschaft und Können gehen in nachweisen. Über die Galerie Matthiesen diesem Kunstwerk eine eigenwillige in Berlin gelangte sie 1928 in den Besitz Verbindung ein. Ohne das Annenretabel des jüdischen Kunsthändlers Jacques des Frankfurter Meisters aber wäre dies Goudstikker in Amsterdam. Goudstikker undenkbar gewesen, ein Vorbild, das sich starb 1940 auf der Flucht vor den Natio­ in seiner Wirkung erst jetzt wieder richtig nalsozialisten; sein Galeriebestand wurde Albrecht Dürer und Werkstatt, Die Heiligen Petrus und Paulus, beurteilen lässt, da Tafel und Altar nach unter Zwang verkauft und kam zu gro­ Grisailletafel des Thomasretabels mindestens 200 Jahren wieder vereint ßen Teilen in den Besitz von Hermann (Heller-Altar) aus der Dominika- sind. Bereits Ende des 18. Jahrhunderts Göring. Auch die Frankfurter Tafel nerkirche in Frankfurt am Main, 1507–1509; Historisches Museum berichtet der Klosterbibliothekar Francis­ gehörte bis 1945 zur Sammlung Göring Frankfurt, Frankfurt am Main

und wurde nach einem Zwischenstopp im Münchner Zentrallager für die von den National­sozialisten geraubte Kunst von den Alliierten zunächst an die hol­ ländische Regierung übergeben. Die Restitution der Sammlung Goudstikker an die Erben des Kunsthändlers durch die Niederlande im Jahre 2006 ermög­ lichte schließlich auch die Rückkehr der Tafel nach Frankfurt. Ihre Erwerbung nach zwei Jahrhunderten historischer Umwälzungen bis hin zu einem der düstersten Kapitel der jüngeren Zeitge­ schichte ist ein kunsthistorischer Glücks­ fall mit zeithistorischer Dimension. Dr. Jan Friedrich Richter arbeitet als Meister von Frankfurt, Annenaltar, Festtagsseite, Die Familie der Heiligen Anna, 1492; Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt am Main Kunsthistoriker über mittelalterliche Kirchenausstattung in Nordeuropa. führende Kenntnisse von Werken des weiß man immerhin, wie der Meister von der Frankfurter Kaufmann Jakob Heller Malers Hugo van der Goes erkennen. Frankfurt ausgesehen hat: Auf der Mittel­ bei Albrecht Dürer ein Retabel in Auf­ Gemessen an der hohen Zahl der über­ tafel des Annenretabels befindet sich trag, das nur wenige Meter vom Annen­ Historisches Museum Frankfurt lieferten Arbeiten muss der Meister von rechts neben dem Thron am Bildrand ein altar entfernt in der Dominikanerkirche Fahrtor 2 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Frankfurt eine bedeutende Werkstatt auffallend schlicht gekleideter Mann, der aufgestellt werden sollte. Der Heller-Altar Telefon 069 - 21235154 geführt haben. Auch wenn sich keine als einziger aus dem Bild heraus den gehört zu den berühmtesten Werken der Öffnungszeiten: Di – So 10 –18 Uhr, seiner Arbeiten mit einem Namen ver­ Betrachter ansieht. Er weist große Ähn­ altdeutschen Kunst und besitzt eine Mi 10 – 21 Uhr, Mo geschlossen binden lässt, hat man doch nicht ohne lichkeit mit einem in Antwerpen befind­ ungewöhnliche Genese. Das von Dürer www.historisches-museum.frankfurt.de Grund versucht, diesen Meister mit dem lichen Doppel­porträt auf, das den Maler 1509 gelieferte Triptychon wurde näm­ Maler Heynderick van Wueluwe zu zusammen mit seiner Frau zeigt. lich von Matthias Grünewald mit Stand­ identifizieren. Er dürfte einer der angese­ Der Annenaltar muss die Gläubigen flügeln ausgestattet. In der Alltagsansicht hensten Künstler Antwerpens gewesen in Frankfurt sehr beeindruckt haben und lassen die Malereien die große Konkur­ sein, da er über sechs Amtszeiten hinweg führte zu einer unmittelbaren Reaktion renz zwischen den Künstlern erkennen. die riesige Lukasgilde der Maler leitete. unter den einheimischen Künstlern. Nur Wie beim Annenretabel wurden die Matthias Grünewald, Die Heilige Elisabeth und eine unbekannte Märtyrerin, Trotz der zweifelhaften Zuschreibung wenige Jahre nach seiner Errichtung gab Heiligendarstellungen in Grisaillemalerei Grisailletafeln des Heller-Altars, um 1509/11; Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

40 Arsprototo 3 2012 41 Erwerbungen Unbekannter Künstler, ie Lage ist imposant: In den östli­ von der Kanzel der Schlosskirche gepre­ entstanden, besitzen die Werke noch ihre Mondsichelmadonna, chen Harzausläufern liegt über der digt haben. Den farbig gefassten, hohen Originalfassungen, die aber inzwischen um 1520; Schlosskirche St. Georg und Marien, Dalten Handelsstraße Sangerhausen- Innenraum überspannen Kreuzrippen­ überarbeitet und stark verschmutzt sind. Eine Madonna Mansfeld Erfurt das Schloss der Mansfelder Gra­ gewölbe, die zwischen 1519 und 1521 Matthias Kammel, Leiter der Skulptu­ fen, eines der frühesten und größten nachträglich eingebauten Emporen an rensammlung des Germanischen Natio­ für den Renaissanceschlösser Deutschlands. drei Seiten des Schiffs zeichnen den Bau nalmuseums in Nürnberg, vermutet eine Burgberg Erbteilungen hatten im frühen 16. als Herrscherkapelle aus. Leider sind Entstehung in Mitteldeutschland. Offen­ Jahrhundert zum Bau von drei selbstän­ die ursprünglich in den Figurennischen sichtlich gehören die Skulpturen zu jener digen Schlossgebäuden als Residenzen der Emporen aufgestellten Skulpturen Stilgruppe mitteldeutscher Skulptur des Die spätgotische Aus­ dreier Nebenlinien auf dem Gelände nicht mehr erhalten bzw. nicht bekannt. frühen 16. Jahrhunderts, die süddeut­ stattung der Mans­ einer älteren Burg geführt. Das einzig Die heute dort befindlichen Bildwerke sche, insbesondere bayerische Einflüsse felder Schlosskirche erhaltene, eindrucksvolle Hauptschloss kamen erst 1907 während einer Res­ aufweist. Die Bildwerke dürften alle aus Vorderort ist heute durch einen neugoti­ taurierung der Kirche zur Aufstellung: der gleichen, arbeitsteilig organisierten bleibt erhalten schen Ausbau geprägt. Den Hauptakzent eine Madonna auf der Mondsichel, eine Werkstatt kommen, welche unterschied­ der Hoffassade bildet ein gewaltiger, Schmerzensmutter, ein Heiliger Sebas­ lich geschulte Kräfte vereinte. Vermut­ von Martin Hoernes noch spätgotischer Treppenturm mit der tian, ein Heiliger Christophorus und lich stammen die spätgotischen Figuren prächtigen Wappentafel des Erbauers eine Anna-Selbdritt-Gruppe. Um 1520 von inzwischen verschwundenen Altären Graf Hoyer VI. von 1518. Zu beiden Seiten des Turmes öffnen sich Stabwerk­ portale mit halbkreisförmigen Aufsätzen. Die qualitätvollen Renaissancereliefs von Hans Schlegel verarbeiten graphische Vorlagen von Hieronymus Hopfer, Sebald Beham sowie Georg Pencz und zeigen den zechenden Weingott Bacchus und Landsknechte beim Gelage. Viel­ leicht öffneten sich diese prächtigen Portale in den Wein- und Bierkeller, sicher belegen sie jedoch das hohe künst­ lerische Niveau und den Anspruch dieser Ausstattungsphase. Die Befestigungsanlagen, von denen imposante Reste erhalten sind, erbauten zwischen 1517 und 1549 der Nürnber­ ger Festungsbaumeister Matern Harder und der Magdeburger Baumeister Chris­ toph Stieler nach den modernsten Prinzi­ pien der Festungsbaukunst, wie sie auch in Albrecht Dürers Befestigungslehre von 1527 niedergelegt sind. Sogar die Befes­ tigungen belegen die finanzielle Potenz der Mansfelder Grafen und die Aktuali­ tät ihrer Baumaßnahmen und Kunstauf­ träge zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Nicht erhalten sind zwei der drei Hauptgebäude: Trotzdem erscheint die von der spätgotischen Schlosskir­ che St. Georg und Marien dominierte Anlage immer noch imposant. Mar­ tin Luther – der Vater des in Mansfeld aufgewachsenen Reformators arbeitete hier als Hüttenmeister im Kupferschie­ ferbergbau – war mehrfach Gast der früh zum Protestantismus übergetrete­ nen Mansfelder Grafen und dürfte auch Die Schlosskirche St. Georg und Marien in Mansfeld, Blick nach Südosten

42 Arsprototo 3 2012 43 derort blieb auch nach dem Aussterben raum in seiner überkommenen Form zu der Mansfelder Grafen 1780 bewohnt. bewahren – seit 1999 hat sich auch der Freiherr Adolph von der Recke, der den Förderverein „Schloss Mansfeld e.V.“, der Schlossberg vom preußischen König im Besitz der Anlage ist, dieser Aufgabe erworben hatte und als Landrat am­ angenommen. Wie in zahlreichen ande­ tierte, errichtete um 1860 den neugoti­ ren Fällen ist es durch die Förderung schen Bau in den Ruinen von Vorderort. der Kulturstiftung der Länder gelungen, Nach dem Ende des Zweiten Weltkrie­ das nach dem Entschädigungs- und Aus­ ges musste die Familie Schloss Mansfeld gleichsleistungsgesetz restituierte mobile verlassen, das im Jahr darauf durch die Kulturgut im ursprünglichen Zusam­ Bodenreform an das Land Sachsen-An­ menhang zu halten. In der Mansfelder halt fiel. Als „Luther-Traditionsstätte“ Schlosskirche ließen sich vor allem durch Totenschild des Grafen Gebhard VIII. wurde die Anlage zunächst durch das von Mansfeld-Arnstein, 1601; Schloss­ den Verbleib der spätgotischen Emporen­ Evangelische Jungmännerwerk genutzt, kirche St. Georg und Marien, Mansfeld figuren die über Jahrhunderte gewach­ 1953 kam es zu einer politisch gewollten senen und raumprägenden Zusammen­ kurzzeitigen Übernahme durch die FDJ mehrere Toten- und Wappenschilde der hänge bewahren. und bald darauf wieder zur Rückgabe an Mansfelder Grafen aus dem frühen 17. Dr. Martin Hoernes ist stellvertretender die Evangelische Kirche. Auf der Grund­ Jahrhundert und ein Wappenstein vom Generalsekretär der Kulturstiftung der lage des Entschädigungs- und Ausgleichs­ Erker eines untergegangenen Gebäudes. Länder. leistungsgesetzes von 1994 kam es nach Nach Verhandlungen unter Moderation der Wiedervereinigung zur Rückübertra­ der Kulturstiftung der Länder gelang es, gung der beweglichen Ausstattung der diese wichtigen Teile der Ausstattung Förderverein Schloss Mansfeld e. V. Schlosskapelle an die Familie von der zu erhalten und für das Land Sachsen- Schloss 1 06343 Mansfeld-Lutherstadt Recke: Neben den Skulpturen an den Anhalt anzukaufen. Der Familie von der Telefon 034782 - 20201 Emporen zählten dazu eine eiserne Lade, Recke war es dabei wichtig, den Kirchen­ www.schloss-mansfeld.de

Hans Döring, Flügelaltar, um 1518/20; Schlosskirche St. Georg und Marien, Mansfeld

oder aus anderen Zusammenhängen – so Zeugnisse der historischen Denkmal­ Auferstehung und die Beweinung. Auf ist die Schmerzensmutter ursprünglich pflege und prägen seit langem den ein­ den Flügelaußenseiten ist die Verkündi­ Teil einer Kreuzigungsgruppe. Der In­ drucksvollen Kirchenraum. gung an Maria dargestellt. ventarband von 1893 wird wohl auf die Ein besonderes Highlight der Die wirtschaftliche Grundlage der damals in der Sakristei gelagerten Skulp­ Schlosskapelle ist der große Flügelaltar Machtposition der Mansfelder Grafen turen verweisen: „Eine Menge überle­ aus dem Umfeld Lucas Cranachs des und ihrer ausgreifenden Bautätigkeit war bensgroßer hölzerner Heiligenbilder [ist] Älteren. Hans Döring, tätig auch in der der bis ca. 1536 florierende und dann in wirrem Durcheinander aufgestellt. Die Cranachwerkstatt, hat ihn vermutlich abrupt versiegende Kupferschieferabbau. Figuren stammen aus verschiedener Zeit um 1518/20 gefertigt, er schildert ein­ Relativ schnell, schon seit der Mitte des und von verschiedenen Werken.“ Heute drücklich die Kreuzigung Christi, den 16. Jahrhunderts, verfielen daraufhin die sind sie in ihrer Neuaufstellung wichtige Abstieg Christi in die Vorhölle, die prächtigen Schlösser. Nur Schloss Vor­ Kupferstich der Festung Mansfeld, um 1650, 21 × 32 cm

44 Arsprototo 3 2012 45 neue Bücher Ausstellungen Begriffs zu einer historischen Darstellung seiner Kunstwerte Geschichte und Verwendung. Eine vertiefende Im Netzwerk Lektüre wird durch die anschließende Literatur­ im Wandel liste angeregt; das Personen- und Sachregister so­ der Moderne Die Geschichte der deutschen Moderne als Ge­ wie eine ausführlichere Bibliographie im Anhang schichte ihrer Marktentwicklung ist bisher unge­ ­ermöglichen die Navigation durch die Einträge, schrieben. Doch seit der Publikation der Dok­ welche von Fachwissenschaftlern aus Museen Die Staatlichen Kunst­ torarbeit von Gesa Jeuthe ist ein entscheidender und Universitäten so präzise wie leicht lesbar sammlungen Dresden Schritt getan. Die Studie verfolgt die Preisent­ verfasst wurden. Von „Abstraktion“ bis „Zeich­ wicklung zwischen 1925 und 1953 am Beispiel nung“ werden Fachwörter aus der Kunstwissen­ widmen dem Kritiker eines Dutzends prominenter deutscher Künst­ schaft wie der Kunstgeschichte erläutert, an der ler: von den Impressionisten wie Max Lieber­ Seite der klassischen Epochenbegriffe stehen sol­ Will Grohmann eine mann über die Vertreter des Expressionismus wie che der aktuellen Kunsttheorie oder der kunst­ Nolde und Kirchner und die Bauhauskünstler historischen Methoden. Den Wandel der Begriffe große Ausstellung hat man angesichts dieses zuverlässigen Begleiters Klee und Feininger bis zu Max Beckmann oder von Kristina Diall George Grosz. Der weitgespannte historische wie leicht im Griff. geographische Horizont der Untersuchung, der auch die kulturpolitische und wirtschaftliche Si­ Stefan Jordan, tuation einbezieht, führt zu erhellenden Ergeb­ Jürgen Müller „Er ist eine Autorität, gefürchtet, verehrt, nissen, nicht zuletzt in Bezug auf die Verkäufe (Hg.), Lexikon befehdet“, ehrte die Frankfurter Allge­ Heinrich Vogeler der sogenannten entarteten Kunst. Kunstwissenschaft. meine Zeitung den Kunstschriftsteller, Hundert Grund­ Kritiker und Kurator Will Grohmann am Graphiker, Maler, Architekt, Designer, Schrift­ Gesa Jeuthe, Kunst- begriffe. werte im Wandel. steller und Sozialrevolutionär: Heinrich Vogeler Reclam, Leipzig. 4. Dezember 1957 zu dessen 70. Ge­ Die Preisentwick- (1872 –1942) hatte viele Facetten, die den 360 Seiten, burtstag. „Sein Wort hat vielen deut­ romantischen Jugendstilkünstler und Mitbegrün­ lung der deutschen Moderne im natio- 16,95 Euro schen Künstlern den Weg ins Ausland, der der Worpsweder Künstlerkolonie zu einer nalen und internati- faszinierenden Figur seiner Epoche machten. onalen Kunstmarkt in die Anerkennung der internationalen Der Katalog, der in Worpswede die bisher größte 1925 bis 1955. Kunstwelt geöffnet und geebnet.“ Über Einzelausstellung zu seinem Werk begleitet, Schriften der gut fünfzig Jahre hatte sich der in Baut­ Forschungsstelle beleuchtet die Vielseitigkeit Vogelers. Umfang­ zen geborene und in Dresden aufgewach­ reiche Abbildungen und zum Teil unveröffent­ „Entartete Kunst“, Bd. 7, Akademie sene Grohmann (1887 –1968) – zu­ Edmund Kesting, Bildnis Professor Will Grohmann, 1947; Staatliche Kunst- lichtes Quellenmaterial dokumentieren Vogelers Verlag, Berlin. 392 sammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett außergewöhnlichen Lebensweg und sein Œuvre. Seiten, 82 Abbil- Der katholische nächst von Dresden, ab 1948 von Berlin Vogelers künstlerische Arbeiten werden seinen dungen, 59,80 Euro aus – für die Verteidigung und Vermitt­ Bereits der Ausstellungstitel „Im Netz­ waren einst durch die Vermittlung Will Idealen und politischen Visionen gegenüberge­ Rubens lung der zeitgenössischen Kunst im werk der Moderne. Kirchner, Braque, Grohmanns in die Dresdner Sammlun­ stellt; aus der Zusammenschau wird das Bild „Barocke Leidenschaft“ ist das Stichwort, das eines eindrucksvollen Menschen und Künstlers In- und Ausland eingesetzt und ihre Kandinsky, Klee ... Richter, Bacon, gen gelangt. man mit Peter Paul Rubens verbindet. Grazien sichtbar. Die Kunst Vogelers war immer Aus­ Entwicklung vom Expressionismus über Altenbourg und ihr Kritiker Will Groh­ Kristina Diall ist Assistentin des Vor- Lexikon und üppige Frauen prägen das Bild, das man druck seiner Träume und Vorstellungen, stets zunächst vor Augen hat. Doch das neue Werk das Bauhaus bis zum Informel begleitet. mann“, der sich wie ein Who’s who der stands der Kulturstiftung der Länder. setzte er sich mit den zentralen gesellschafts­ Kunstwissenschaft Willibald Sauerländers zeigt die andere, religi­ Als „einer der wenigen deutschen Kunst­ modernen Kunstgeschichte liest, lässt politischen Fragen seiner Zeit auseinander. Er Zu den Lieblingsbegriffen der Kunstkritik ge­ öse Seite des niederländischen Genies. In die­ begann sein Künstlerdasein als romantischer kenner von internationalem Format“ galt keine Zweifel an Grohmanns Stellung in hört das „Gesamtkunstwerk“, der inflationär auf sem Buch widmet sich der Kunsthistoriker fast Vertreter des Jugendstils, in seinen späteren er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der europäischen Kunstszene übrig. Im Netzwerk der Moderne. Kirchner, Kunstwerke, Ausstellungen und Installationen ausschließlich den Altarbildern des Künstlers, Jahren avancierte er zum politischen Künstler Braque, Kandinsky, Klee ... Richter, nahezu aller Epochen und Gattungen angewen­ die im Dienste der Gegenreformation in der ers­ dem Tagesspiegel war er „weniger der Zugleich Förderer und Freund, Streiter in der Sowjetunion, wo seine Karriere tragisch Bacon, Altenbourg und ihr Kritiker det wird, und zwar unabhängig von den künst­ ten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Flandern und Vasari [...] der deutschen Moderne [...] und Sprachrohr heute weltberühmter endete. In der Verschiedenheit spiegeln seine Will Grohmann lerischen Medien, in denen sie ausgeführt wur­ im Heiligen Römischen Reich angefertigt wur­ stilistischen Mittel doch stets seine Suche nach als vielmehr ihr Sherlock Holmes und ihr Künstler, vermittelte der Kunsthistoriker Staatliche Kunstsammlungen Dresden, den. Die künstlerischen und philosophischen den. Leiden und Tod durchziehen das christliche dem irdischen Paradies: Sowohl die Werke aus Columbus“ (3.12.1967). ihre Werke an Museen, Galeristen und Kunsthalle im Lipsiusbau Quellen des Begriffs in der deutschen Roman­ Œuvre Rubens’, farbenprächtig und bildgewaltig der Zeit des Jugendstils als auch die Arbeiten des 27.9.2012 – 6.1.2013 tik, ihre Übertragung auf die Kunst des Barock entfalten sich die Tafeln der Heiligen und Märty­ Dieser Columbus der Moderne ist private Sammler und adelte – mit viel­ www.skd.museum Spätwerks der 1920er und 30er Jahre verweisen durch die Kunstgeschichte des frühen 20. Jahr­ rer, die Sauerländer in den Kontext der religiösen nun anlässlich seines 125. Geburtstags in beachteten Kritiken und Monographien, auf Vogelers Bestreben, Kunst in den Alltag zu hunderts oder seine Adaption durch einflussrei­ Spannungen dieser Epoche gesetzt hat. Ein ein­ Dresden wieder zu entdecken – in einer die zu Standardwerken avancierten – die Katalog zur Ausstellung: integrieren, um so sein (politisches) Verständnis che Ausstellungsmacher wie Bazon Brock und drucksvolles Meisterwerk! großen Ausstellung der Staatlichen Kunst­- Œuvres seiner Protegés. Im Netzwerk der Moderne. Kirchner, zu formulieren. Harald Szeemann („Der Hang zum Gesamt­ Braque, Kandinsky, Klee ... Richter, kunstwerk“, 1983) sind nur wenigen auf An­ Willibald Sauerlän- sammlungen, die über 220 Werke aus Neben den Kunstwerken, die Groh­ Bacon, Altenbourg und ihr Kritiker Sabine Schlenker, Beate C. Arnold (Hrsg.), hieb präsent, können aber zeigen, dass die heu­ der, Der katholische europäischen und amerikanischen Mu­ mann vermittelt, ausgestellt oder selbst Will Grohmann Heinrich Vogeler. tige Verwendung des Begriffs weit von dem Rubens. Heilige und Hrsg. Staatliche Kunstsammlungen Künstler – Träumer – Visionär. seen zusammenführen und deren eng mit besessen hat, bietet die Ausstellung ein entfernt ist, was ursprünglich einmal intendiert Märtyrer. Verlag Dresden Hirmer Verlag, München. 246 Seiten, Grohmann verknüpfte Hintergrund­ besonderes Highlight: Einige Gemälde, war. Wer spätestens an diesem Punkt das Bedürf­ C.H. Beck, Mün- Hirmer Verlag, München 2012 168 Farbtafeln, 25 Abbildungen in Farbe, geschichten erzählen. In einmaliger die die Dresdner Museen 1937 im Zuge nis zur ­Begriffsklärung verspürt, ist bei dem von chen. 304 Seiten, Ca. 420 Seiten, 300 meist farbige 19 in Schwarzweiß, 39,90 Euro Abbildungen, 39,90 Euro Stefan Jordan und Jürgen Müller herausgegebe­ 109 Abbildungen, Weise zeigt die Schau so das Wirken der Aktion „Entartete Kunst“ verloren nen Band „Lexikon Kunstwissenschaft. Hundert davon 76 in Farbe, dieses einflussreichen deutschen Kunst­ haben, werden anlässlich der Ausstellung Grund­begriffe“ gut aufgehoben. Alphabetisch ge­ 38 Euro kritikers des 20. Jahrhunderts und sein nach über 70 Jahren erstmals wieder in ordnet, führt das Lexikon Kunstwissenschaft den Leser nach einer kurzen Definition des jeweiligen internationales Netzwerk auf. Dresden zu sehen sein. Denn auch sie

46 Arsprototo 3 2012 47 Freundeskreis gegangen waren. Die um 1700 entstan­ reifste Frühbarocklösung“ unter den 18. Jahrhundert schließlich ins Unermessliche denen Bildnisse zierten einst vermutlich monumentalen Fürstenschlössern der gestiegen sein. Doch am Ende brachte nicht die seit 1797 den großen, zweigeschossigen Hauptsaal Region. Alle reichsfürstlichen und ho­ finanzielle Lage, sondern der Mangel an männ­ Der sächsische von Neu-Augustusburg, der neuerbau­ heitlichen Ansprüche sollten dort de­ lichen Nachkommen die letzte der drei kursäch­ frYe &sohn ten prächtigen Residenz der Herzöge von monstriert und die eigentlich schwache sischen Nebenlinien 1746 zum Erlöschen. Neu- gemälde alter meister Mars Sachsen-Weißenfels. Souveränität nicht zuletzt durch Archi­ Augustusburg fiel an das somit wiedervereinte Benannt nach seinem Bauherrn tektur, Kunst, Militärwesen und Jagd Kursachsen und ein Großteil des historischen Der Freundeskreis der Kul­ August (1614 –1680) – Sohn des sächsi­ sowie die Pflege von Musik, Literatur Inventars ging an den kurfürstlichen Hof nach turstiftung der Länder er­ schen Kurfürsten Johann Georg I. und und Geisteswissenschaften aufgewertet Dresden. Als das Schloss 1818 in eine preußische Herzog der kurz zuvor gegründeten werden. So entwickelte sich die Weißen­ Kaserne umfunktioniert wurde, gelangten noch möglichte die Restaurierung Sekundogenitur Sachsen-Weißenfels felser Residenz von 1680 bis 1746 zu über 200 Porträts aus den wertvollen Gemälde­ eines Kurfürstenporträts – gilt das von 1660 bis 1694 erbaute einem herausragenden höfischen und beständen teils nach Berlin in die königlichen Schloss als eines der bedeutendsten kulturellen Zentrum, das bereits vor Sammlungen, teils ans Berliner Hofmarschallamt von Insa Brinkmann Beispiele frühbarocker Schlossbaukunst Dresden über ein eigenes Opernhaus – darunter auch die genannten zwölf Fürstenbild­ im mitteldeutschen Raum. In den Augen verfügte und bedeutende Literaten und nisse, die 1828 wiederum an das leerstehende Geflickt, mit übermaltem Gesicht, stark des berühmten Denkmalpflegers Georg auch Musiker wie Georg Friedrich Hän­ Schloss Celle abgegeben wurden. Nachdem diese verschmutzt und beschädigt bot das Dehio war die einstmals prunkvoll del und Johann Sebastian Bach anzog. 1943/44 aus Celle nach Neu-Augustusburg zu­ lebensgroße Bildnis des sächsischen ausgestattete Neu-Augustusburg „die Die Kosten für die Hofhaltung sollen im rückgeführt werden konnten – es war die erste Kurfürsten Johann Georg III. (1647– Rückkehr historischen Inventars dieses Schlosses 1691) einen traurigen und wenig ehr­ überhaupt – landeten sie bereits wenig später im würdigen Anblick: das tiefe Rot seines Depot des dort eingerichteten und vor allem für samtenen Mantels extrem ausgeblichen, seine umfangreiche Sammlung historischer das kostbare Hermelinfutter nicht mehr Schuhe von der Antike bis zur Gegenwart be­ weiß, sondern gebräunt durch einen kannt gewordenen Museums. Nach der Wende älteren Firnis und die feine Lockenstruk­ hat das Land Sachsen-Anhalt begonnen, das über tur der grauweißen Allonge-Perücke die Zeiten marode gewordene und in seiner zerstört. Über ein halbes Jahrhundert Substanz gefährdete Schloss zu sichern. Inzwi­ fristete das beschädigte Gemälde sein schen wurden die um 1700 von italienischen Dasein im Depot, nun endlich konnte es Stuckateuren ausgestattete frühbarocke Schloss­ dank des Freundeskreises der Kulturstif­ kirche wie auch ein Teil der historischen Fürsten­ tung der Länder restauriert werden und gemächer rekonstruiert. Für die Ausstattung an seinen ursprünglichen Standort, das kommt der fast zeitgleich zum Schlossbau ent­ Schloss Neu-Augustusburg in Weißen­ standenen Porträtserie eine wichtige Rolle zu, fels, zurückkehren. die nun wieder geschlossen an ihrem originalen Aus der Hand eines unbekannten Standort präsentiert werden kann. Noch nicht Künstlers stammt das undatierte Port­ alle dieser Ölgemälde erstrahlen wieder in altem rät Johann Georgs III. aus dem Hause Glanz wie das Bildnis von Johann Georg III., das johann friedrich august tischbein Wettin, der vor allem als Förderer des aufgrund der lange andauernden unzulänglichen Maastricht 1750 – 1812 heidelberg Militärwesens und Feldherr Berühmtheit Lagerung besonders schwere Schäden davongetra­ erlangte. Als Reichsfürst hatte er seine gen hatte. Aber die vom Freundeskreis der Kultur­ Junge Dame mit Hut, signiert: f. tischbein an. 87 Truppen gegen Osmanen und Franzo­ stiftung der Länder ermöglichte Restaurierung Öl auf Leinwand, 64,5 x 53 cm sen geführt und 1683 an der Befreiung und Konservierung des Porträts des Mannes, der Wiens mitgewirkt. Seine Regentschaft als „der sächsische Mars“ in die Geschichte ein­ begann mit einem Paukenschlag: Mit ging, ist ein wichtiger Schritt, die historische Nachdruck vertrat er seine Rechte ge­ Bedeutung dieses frühbarocken Kleinods und genüber den kursächsischen Neben­ einstmals ungemein kulturträchtigen Weißenfelser linien und verfolgte rigoros eine Konso­ Schlosses zu illus­trieren. lidierung Kursachsens. Sein Bildnis in Insa Brinkmann ist Kunsthistorikerin in Berlin. Rüstung zählt zu einer Serie von zwölf Ganzfigurenporträts von Herzögen und Kurfürsten der sächsisch-albertinischen Freundeskreis der Kulturstiftung Linie, aus der 1657 per Testaments­ der Länder beschluss die drei Sekundogenitur-Für- Lützowplatz 9, 10785 Berlin Telefon 030 - 893635-15 stentümer Sachsen-Weißenfels, Sachsen- Unbekannter Künstler, Bildnis des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. (1647– [email protected] Merseburg und Sachsen-Zeitz hervor­ 1691), um 1710, 225 × 139 cm, Museum Schloss Neu-Augustusburg, Weißenfels www.kulturstiftung.de/freundeskreis/ frye & sohn hörsterstraße 47/48 48143 Münster telefon 0251-46662 email [email protected] 48 Arsprototo 3 2012 www.kunsthandel-frye.de Helfen SIe mit Förderer

Erwerbungen deutscher Aristide Maillol, Jeune fille debout Museum Folkwang, Essen STIFTER GESUCHT! Museen, Bibliotheken und Seite 26 Archive in diesem Heft und Kulturstiftung der Länder bestellen sie arsprototo Land Nordrhein-Westfalen Unterstützen Sie die Spendenaufrufe von Arsprototo. ihre Förderer Kunststiftung NRW Spenden Sie unter dem Stichwort „Lotte Reiniger“ und Arsprototo, das Magazin der Kulturstiftung der Länder, Ernst von Siemens Kunststiftung Folkwang-Museumsverein helfen Sie dem Stadtmuseum Tübingen bei der Restau­ erscheint viermal im Jahr. Eugen-und-Agnes-von-Waldthausen-Platzhoff-Museumsstiftung rierung der Papierarbeiten von Lotte Reiniger. Das Abonnement ist kostenlos. Wir möchten Sie Private Förderin Wassily Kandinsky, Rapallo – Boot im Meer ––– Siehe Seite 36 dennoch herzlich bitten, sich mit einem kleinen Beitrag Franz Marc Museum, Kochel am See an den Herstellungs- und Vertriebskosten zu beteiligen. Seite 8 Meister von Frankfurt, Die Heiligen Odilia und Cäcilie, Bitte überweisen Sie unter dem Stichwort „Arsprototo“ Kulturstiftung der Länder Altartafel vom Frankfurter Annenretabel, Historisches Museum auf eines unserer Konten (beispielsweise 20 Euro). Ernst von Siemens Kunststiftung Frankfurt, Frankfurt am Main Vielen Dank! Stiftung Etta und Otto Stangl Seite 38 Leider können wir Ihnen für diesen Beitrag keine Kulturstiftung der Länder Ernst von Siemens Kunststiftung Hans Christiansen, Jugendstilteppich „Schutzengel“ Spendenbescheinigung ausstellen. Ernst Max von Grunelius-Stiftung Museumsberg Flensburg Hessische Kulturstiftung Seite 10 So können Sie Arsprototo bestellen: Stadt Frankfurt mit der Postkarte am hinteren Heftumschlag Kulturstiftung der Länder Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein per E-Mail: [email protected] Bewegliche Ausstattung der Schlosskapelle Mansfeld per Fax: 030 - 26 55 56 71 Schlosskapelle, Mansfeld telefonisch: 030 - 89 36 35 0 Jüngstes Gericht mit Stiftern – Fragment eines Epitaphs für die Seite 42 Familie Elerdts aus St. Andreas in Braunschweig Kulturstiftung der Länder im Internet: www.kulturstiftung.de Evangelisch-lutherische Landeskirche, Braunschweig Seite 12 Auch vorangegangene Hefte von Arsprototo sind bei Kulturstiftung der Länder der Kulturstiftung der Länder bestellbar – folgende Richard Borek Stiftung Bildnachweis Ausgaben sind jedoch vergriffen: 2/2005, 1/2007, Titel: © Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt am Main; S. 3 o.: © Gordon; S. 3 u.: © Haben Sie weitere Fragen zu den Projekten? 2/2007, 4/2007, 2/2009, 3/2009, 3/2010, 1– 4/2011, Johannes Geccelli, Im Schatten VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Museum Folkwang, Essen; S. 4 l.o.: © Frankfurter Allgemeine Rufen Sie die Redaktion unter 030 - 89 36 35 27 an. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus Zeitung GmbH; S. 4: © Museum Folkwang / Foto: Jens Nober; S. 5 l.: © Ostfriesisches 1/2012, 2/2012 Landesmuseum Emden / Foto: Horst Arians; S. 5 r.: © Liebieghaus Skulpturensammlung, Seite 14 Frankfurt am Main; S. 6 l.: © Historisches Museum Frankfurt / Foto: Horst Ziegenfusz; S. 6 r.: © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main / Foto: Uwe Dettmar; S. 8-9: © VG Spendenkonten Kulturstiftung der Länder Bild-Kunst, Bonn 2012 / Franz Marc Museum, Kochel am See; S. 10-11: © Museumsberg Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, Freunde und Flensburg; S. 12-13: © Evangelisch-lutherische Landeskirche Braunschweig / Foto: Thomas Die Kulturstiftung der Länder Förderer e.V. Ammerpohl; S. 14: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus; Deutsche Bank Berlin S. 15: © Ostfriesisches Landesmuseum Emden / Foto: Horst Arians; S. 16: © Kulturstiftung DessauWörlitz; S. 18-19: © Musée d’art Thomas-Henry, Cherbourg-Octeville; S. 20: © Kontonummer: 076 11 22 00, BLZ 100 700 00 Die Kulturstiftung der Länder ist eine Stiftung bürger­ Musée d’Art et d’Histoire, Genf / bpk; S. 21: © Liebieghaus Skulpturensammlung, Frankfurt IBAN: DE41 100 700 00 00 76 1122 00 lichen Rechts und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Sammlung Horst Arians am Main; S. 22-23: © The Metropolitan Museum of Art, New York / bpk; S. 24: © Staatliches Riechdosen und Kleinsilber aus Ostfriesland Museum Schwerin / bpk / Hugo Maertens; S. 25 o.: © Musée des Arts Décoratifs, Paris / BIC (SWIFT-CODE): DEUTDEBBXXX Zwecke. Sie hat die Berechtigung, steuerlich wirksame Ostfriesisches Landesmuseum, Emden bpk / RMN – Grand Palais / Bulloz; S. 25 u.: © Bibliothèque de Genève; S. 26: © Museum Folkwang, Essen / Foto: Jens Nober; S. 27: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Museum Folkwang, Spendenbescheinigungen auszustellen. Spenden an die Seite 15 Essen / Foto: Jens Nober; S. 28: © Albert Renger-Patzsch Archiv / Ann und Jürgen Wilde / Berliner Sparkasse Kulturstiftung der Länder sind steuerlich abzugsfähig. VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Museum Folkwang, Essen / Foto: Albert Renger-Patzsch; S. 29 Kontonummer: 133 83 833, BLZ 100 500 00 Kulturstiftung der Länder o.: © Alfred Kuhn; S. 29 u.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Museum Folkwang, Essen / Foto: Land Niedersachsen Jens Nober; S. 30 o.: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Bayerische Staatsgemäldesammlungen, IBAN: DE21 100 500 00 00 133 83 833 Die Kulturstiftung der Länder wurde 1987 von den Gerhard ten Doornkaat Koolmann-Stiftung Neue Pinakothek, München; S. 30 u.: © Museum Folkwang, Essen / Ausstellungskatalog Freundes- und Förderkreis des Ostfriesischen Landesmuseums e.V. „Aristide Maillol“, hg. von Ursel Berger und Jörg Zutter, München 1996, Gerhard Marcks BIC (SWIFT-CODE): BELADEBEXXX Ländern der Bundesrepublik Deutschland gegründet Haus; S. 31: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Staatliche Eremitage, St. Petersburg / Ausstel- lungskatalog „Morosow und Schtschukin - Die russischen Sammler - Monet bis Picasso“, Du- und nahm am 1. April 1988 in Berlin ihre Arbeit auf. Mont Buchverlag, Köln 1997; S. 32: © Osthaus Museum, Hagen / E. Gerhardi, Lüdenscheid; Im Oktober 1991 traten die neuen Bundesländer bei. Johann Friedrich August Tischbein, Bildnis der Fürstin S. 33: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Kaiser Wilhelm Museum, Krefeld / Bildarchiv Foto Louise von Anhalt Marburg / Foto: Dr. Franz Stoedtner, Berlin; S. 34: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Osthaus Die Kulturstiftung der Länder unterstützt und berät Museum, Hagen / Foto: Frank Vincentz; S. 35: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Bildarchiv Kulturstiftung DessauWörlitz Foto Marburg; S. 36-37: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Stadtmuseum Tübingen; S. 38-41: © deutsche Museen, Bibliotheken und Archive bei der Seite 16 Historisches Museum Frankfurt / Foto: Horst Ziegenfusz; S. 41 u.: © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe; S. 42-45: © Bildarchiv Foto Marburg / Foto: Uwe Gaasch; S. 45 u.: © Hans-Peter Erwerbung und Bewahrung von national wertvollem Kulturstiftung der Länder Haack, Leipzig; S. 46: © bei den jeweiligen Verlagen; S. 47: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 Kulturgut. Darüber hinaus widmet sie sich wichtigen Land Sachsen-Anhalt / Staatliche Kunstsammlungen Dresden; S. 48: © Museum Schloss Neu-Augustusburg, Weißenfels / Foto: Foto Kind, Weißenfels; S. 50: © VG Bild-Kunst, Bonn 2012 / Stadtmuseum kulturpolitischen Themen wie dem „Deutsch-Russi­ Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches e.V. Tübingen; S. 52: © Staatsgalerie Stuttgart; S. 53: © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main / Foto: Uwe Dettmar; S. 54-55: © Staatsgalerie Stuttgart; S. 56: © Institut für schen Museumsdialog“ und hat mit „Kinder zum Stadtgeschichte Frankfurt am Main / Foto: Uwe Dettmar; S. 57: © Evangelische Stadtkirche Olymp!“ eine erfolgreiche Bildungsinitiative für Kinder Jean-Antoine Houdon, Büste des Jean-Jacques Rousseau Schwaigern / Staatsgalerie Stuttgart; S. 58-61: © bei den jeweiligen Museen, Institutionen und Künstlern; S. 59 l.o.: © Die Hundertwasser Gemeinnützige Stiftung, Wien; S. 61 l.o.: und Jugendliche ins Leben gerufen. Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt am Main Succession Picasso / VG Bild-Kunst, Bonn 2012; S. 61 m.r.: VG Bild-Kunst, Bonn 2012; S. 62: Seite 20 © Ulmer Museum; S. 63: © Art Basel / Foto: Damián Ortega; S. 65: © Museum Wiesbaden; S.66: © Oliver Mark www.kulturstiftung.de Kulturstiftung der Länder Ernst von Siemens Kunststiftung Städelscher Museums-Verein e.V.

50 Arsprototo 3 2012 51 Länderporträt Baden-Württemberg

Jerg Ratgeb, Rettung der Karmeliter durch König Ludwig den Heiligen 1248, Wandgemälde im Refektorium des Karmeliterklosters Frankfurt am Main, 1517

ein anderes Malerleben endete so brutal wie das gaben die Forschungen des Frankfurter Malers Otto von Jerg Ratgeb. Er wurde gevierteilt. Das klingt Donner von Richter dem Kollegen Namen und Werke Kso schrecklich wie es ist und war selbst zu seiner zurück. Zeit eine selten verhängte, grausame Strafe für Verräter. Mit all diesen biographischen Unsicherheiten liegt Die Vierteilung wurde 1526 in verhängt und Ratgeb voll im Trend seiner Zeit: Bei dem gleichaltrigen war die Strafe dafür, dass sich Ratgeb nicht nur 22 Tage Matthias Grünewald weiß man noch nicht einmal aktiv am Bauernkrieg beteiligte, sondern auch – als sicher, ob er wirklich so hieß, wie er heute genannt Mitglied einer Art „Räterepublik“ in Stuttgart – zum wird. Als Ratgebs – unbestrittene – Hauptwerke gelten Hochverräter erklärt wurde. der Barbara-Altar in der Stadtkirche in Schwaigern, der Aber wie es so ist bei einem Menschen des frühen Herrenberger Altar in der Staatsgalerie Stuttgart und 16. Jahrhunderts: Nichts ist ganz sicher. Einen eindeu­ die Wandgemälde im Frankfurter Karmeliterkloster. Sie Jerg Ratgeb tigen Beweis für den grauenvollen Tod gibt es nicht. haben deutliche Bezüge zu Werken Matthias Grüne­ Elsbeth Wiemann, Oberkonservatorin für Altdeutsche walds und des Niederländers . und Niederländische Malerei an der Staatsgalerie Stutt­ Heute gibt es in Schwäbisch Gmünd einen Jörg- gart, zweifelt denn auch an der Vierteilungs-Legende, Ratgeb-Weg, in Stuttgart und Herrenberg eine Jörg- Vom Kirchenmaler zum da sie aufgrund nachträglicher Zeugenbefragungen Ratgeb-Schule, auch Romane wurden über ihn ge­ entstand. Für andere Ratgeb-Forscher ist das brutale schrieben. Der Stolz auf diesen Maler ist groß. Doch Ende Realität, auch wenn das Leben dieses Malers wohl das war nicht immer so. Sein bekanntestes Werk, der nie mehr restlos rekonstruiert werden kann. Allein auf Altar für die Herrenberger Stiftskirche Unserer Lieben Bauernkrieger archivalische Zufallsfunde ist noch zu hoffen, denn die Frau, wurde zum Beispiel schon bald nach seiner Ent­ einschlägigen Akten sind gesichtet und erzählen von stehung 1519 für die Gemeinde uninteressant, denn ­­die einem, der Jerg Ratgeb hieß, vielleicht aber auch Ge­ Reformation änderte die Sicht auf den Kirchenschmuck Der einst vergessene Maler Jerg Ratgeb org, Jörg oder Jorg. Manchmal wird er auch – nach grundlegend. Der Altar, der nur noch fragmentiert seinem Vater – Jürgen Schürtz genannt. Unbekannt ist erhalten ist, wurde damals abgebaut, später zwar wieder wird heute wiederentdeckt ebenfalls, wann genau er geboren wurde. Wahrschein­ aufgebaut, doch seine Bilder blieben abgedeckt. von Uta Baier lich zwischen 1475 und 1485 – die Meinungen der Schließlich entschied sich der Herrenberger Stadtrat Wissenschaftler differieren. Sicher ist mittlerweile, dass am 25. Juli 1890: „Das Offert der Direktion der Staats­ er aus Schwäbisch Gmünd stammte. Bei wem er sein sammlung vaterländischer Altertümer in Stuttgart Jerg Ratgeb, rechte Mittel­ Handwerk lernte, liegt ebenso im Bereich der Spekula­ anzunehmen und den Hochaltar ihr um 5000 M zahl­ tafel der Rückseite des Herrenberger Altars (Detail) tion wie seine Reisen und sein Privatleben. Zwischen­ bar in 2 Jahresraten Martini 1890 und 1891 zuzu­ mit einem Selbstporträt des zeitlich war sein Name sogar ganz vergessen. Erst 1882 sichern.“ Zuvor hatte der Rat noch berücksichtigt, was Künstlers (2. v. l.), 1519; Staatsgalerie Stuttgart

52 Arsprototo 3 2012 53 das „Christliche Kunstblatt“ von Ratgebs Malerei hielt. Dort war zu lesen, dass der Maler Talent habe, ihm aber der „Ernst des Studiums und der Antrieb, die Tiefe des Gemüts und die zartere Empfindung“ fehle. Seine Hand und seine Phantasie nannte das Kunstblatt „ohne Zucht“. Die alten Stoffe und die neuen Formen seien in dem Maler unvermittelt.

Ratgebs Bildprogramm beeindruckt mit Detailrealismus, Größe und Geschlossenheit

Von solchen Bildern trennten sich die Herrenberger damals gern, zumal der Altar auch noch der Anbrin­ gung eines neuen Glasgemäldes im Wege hing. Es ist dem Kunsthistoriker Wilhelm Fraenger (1890 –1964) zu danken, dass wir dieses Dokument, wie viele andere Dokumente, die Jerg Ratgeb betreffen, heute kennen und zitieren können. Fraenger hatte eine Gelegenheit allerdings nicht, die die Staatsgalerie Stuttgart ihren Besuchern bis Ende November 2012 noch bieten kann: Sie zeigt den Bar­ bara-Altar aus der Stadtkirche in Schwaigern und den Herrenberger Altar in direkter Gegenüberstellung. Ein einmaliges Zusammentreffen, denn der Barbara-Altar ist das früheste signierte Werk von 1510, der Herrenberger Altar das späteste, so dass die Entwicklung des Malers vom volkstümlichen Legendenerzähler des Barbara- Altars zum Maler der theologisch höchst anspruchs­ vollen Themen des Herrenberger Altars anhand dieser Gegenüberstellung sehr schön verfolgt werden kann. Bevor der Barbara-Altar endgültig zurück in die restaurierte Kirche nach Schwaigern geht, wird er von der Stuttgarter Restaurierungsstudentin Liliane Metz untersucht. Die Diplomandin hat ihn in diesem Som­ mer geröntgt und neue Infrarotaufnahmen gemacht. Metz wird mit ihrer Diplomarbeit erstmals alle vorhan­ denen maltechnischen Untersuchungen und die neuen Erkenntnisse über den Aufbau der Altarflügel publizie­ ren. Vielleicht kann sie aufgrund ihrer Forschungen sogar nachweisen, dass Ratgebs Werkstatt mit Muster­ büchern arbeitete. Denn manche Figuren auf dem Barbara-Altar ähneln denen auf dem Herrenberger- Altar auffallend, obwohl die beiden Werke so völlig verschieden sind. Denn der Barbara-Altar mit seinem Goldgrund und den simultanen Legendenerzählungen ist noch fest den Traditionen der späten Gotik verhaf­ tet. Der Herrenberger Altar dagegen zeigt, wie stark die beginnende und die Entdeckung der Zentralperspektive den Maler beschäftigten. Dass Ratgebs Herrenberger Altar gern mit Grünewalds Isenheimer Altar verglichen wird, liegt auf der Hand – vor allem angesichts der ähnlichen Komposition der

54 Jerg Ratgeb, Die Kreuzigung Christi (links) und Die Auferstehung Christi (rechts), die beiden rechten der vier Tafeln der Festtagsseite Natürlich verzichtete auch Werner Tübke, der Maler des Forschung überwiegen allerdings die Zweifel an einer Bauernkriegspanoramas in Bad Frankenhausen, nicht solchen Theorie. Trotzdem existieren die beiden Ge­ auf Ratgeb. Das als mögliches Selbstbildnis identifizierte suche. Dass die Bitten Ratgebs nach 1512 aufhörten, Porträt auf der Rückseite des Herrenberger Altars (siehe lag wohl daran, dass die Frau, für die er bat, gestorben S. 52) ist bei Tübke zwischen den Porträtnachmalungen war. Das Interesse an solchen – für die Kunst eines von Tilmann Riemenschneider und Albrecht Dürer Malers eher marginalen – Dokumenten zeigt, wie angeordnet. So war Ratgeb in die vermeintliche Ahnen­ groß die Bewunderung für Ratgebs Kunst ist und wie reihe der Vorkämpfer des DDR-Sozialismus eingereiht stark der Drang, mehr über diesen Maler zu erfahren. und kam in dieser Eigenschaft noch 1989 auf eine ­Wilhelm Fraenger beschrieb seine Besonderheit so: Briefmarke des kurz danach abgeschafften Staates. Für „Er war ein ausgesprochener Novellist und unerschöpf­ Ratgeb als Früh-Revolutionär sprach außerdem, dass er licher Erzähler, der die kurz angebundene Anekdote versucht hatte, seine Frau aus den Fängen der Leibeigen­ ebenso beherrschte wie den breit ausgesponnenen schaft zu befreien. Zwei Bittgesuche an Herzog Ulrich Bildroman.“ In eben diesem finden sich die heutigen sind bekannt. Die beiden Ablehnungsschreiben ebenso. Besucher wieder. Sie sehen nicht nur Typen, sondern Doch war Ratgeb wirklich mit einer Leibeigenen blicken in Welten, die vielen von ihnen fremd in ihrer verheiratet oder nur liiert, nachdem seine erste Frau Religiosität sind, doch vertraut in ihrer Grausamkeit gestorben war? Für die DDR-Ideologen war das egal. und in ihrer Menschlichkeit. Aus der Perspektive einer unideologischen historischen Uta Baier ist Kunsthistorikerin und Journalistin in Berlin.

Jerg Ratgeb, Verfolgung und Martyrium der Karmeliter im Heiligen Land durch die Ungläu- bigen, Wandgemälde im Refektorium des Karmeliterklosters Frankfurt am Main, 1517

Auferstehungsszene mit einem lichtumfluteten Christus die Szenen der Geißelung Christi auf dem Herrenber­ in Siegerpose. Zeugnisse über eine Bekanntschaft der ger Altar vor allem Gelb- und Grüntöne, die von jeher beiden Maler gibt es allerdings nicht. als giftig empfunden werden. In der Auferstehungsszene Während einst die Herrenberger Ratsherren ange­ dagegen erreicht Ratgeb schon durch die vielen Blau- sichts der vielen verrenkten Glieder dem Künstler töne eine beruhigende, harmonisierende Wirkung. Unvermögen bescheinigten, sehen heutige Forscher vor Seinen größten, wichtigsten und schwierigsten allem die besondere Expressivität des Ausdrucks und Auftrag hatte Jerg Ratgeb allerdings nicht in seiner schlagen vor, lieber Vergleiche mit Expressionisten wie Heimat, sondern im Karmeliterkloster zu Frankfurt Max Beckmann zu ziehen als von einem nicht ganz am Main. Zwischen 1514 und 1521 malte er dort das perfekten Maler zu sprechen. größte und bedeutendste Wandgemälde nördlich der Die Stuttgarter Kustodin Elsbeth Wiemann ist von Alpen. Allein die zu bemalende Fläche im offenen der Verbindung naturnachahmender und metaphori­ Kreuzgang ist 110 Meter lang und viereinhalb Meter scher Elemente auf dem Herrenberger Altar begeistert. hoch. Dazu kam das Wandgemälde zur Geschichte der Besonders schwärmt sie für die Vögel. Insgesamt 53 hat Karmeliter im Refektorium. Viele der Bilder gingen sie auf den Altartafeln gezählt, die zu 27 verschiedenen im Lauf der Jahrhunderte verloren, denn die Ge­ Arten gehören und jeweils eine eigene Bedeutung schichte des Klosters ist fast ebenso bewegt wie die haben – wie auch alles andere Getier: Goldfasan, Skara­ Geschichten, die Ratgeb aus dem Alten und Neuen bäus und Salamander, die sich in Abendmahls- und Testament auf die Wände gemalt hat. Bau und Ausge­ Kreuzigungsszene finden, deuten zum Beispiel auf Jesu staltung des 1246 gegründeten Klosters finanzierten Auferstehung hin. Nur auf phantastische Tiermenschen reiche Frankfurter Bürger mit und bekamen dafür und Menschentiere, wie sie der etwas ältere Hierony­ nicht nur ihre Grablege im Kloster. Ratgeb hat sie mus Bosch verwendete, verzichtete Ratgeb. Große auch auf den Wandgemälden porträtiert. 1803 wurde malerische Sorgfalt verwendet er auf die Gesichter. das Kloster säkularisiert und im Zweiten Weltkrieg Eben dieser Detailrealismus, das genaue Beobach­ teilweise zerstört. Dem Wiederaufbau folgte die Res­ ten und Darstellen menschlicher Regungen und die taurierung der nur noch fragmentarisch erhaltenen kommentierend verwendeten Schriftbänder mit Bibel­ Wandgemälde in Kreuzgang und Refektorium. Zwei zitaten machen Ratgebs Gemälde bis heute interessant völlig verlorene Bilder entstanden neu – nach Zeich­ – obwohl das Wissen über die dargestellten Geschich­ nungen von ehemaligen Städelschülern, die den Naza­ ten aus dem Alten und Neuen Testament immer selte­ renern nahestanden. Sie geben nun zusammen mit ner selbstverständlich ist. Die Bedeutung der symbo­ den erhaltenen Gemälden einen Eindruck von der lisch eingesetzten Farben erschließt sich auch dem Größe, Vielfalt, Geschlossenheit und Pracht des ur­ Betrachter des 21. Jahrhunderts leicht. So bestimmen sprünglichen Bildprogramms. Jerg Ratgeb, Barbara-Altar, 1510; derzeit Staatsgalerie Stuttgart, Leihgabe der Evangelischen Stadtkirche Schwaigern

56 Arsprototo 3 2012 57 Kunst und Kultur in den Ländern von Carolin Hilker-Möll Baden-Württemberg BAY ERn Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern

Théodore Géricault, Das Floß der Medusa, ca. 1820 Karl Friedrich Schinkel, Mittelalterliche Gipsabgüsse nach antiken Bildwerken Stadt an einem Fluss, 1815 Joos de Momper der Jüngere, Berglandschaft mit Johann Christian Reinhart, Ideallandschaft Reisenden, Ende 1620er Jahre mit Hirt und Ziegen, 1824 Schwarze Romantik Von Goya bis Max Ernst Kopie, Replik und Karl Friedrich Schinkel Massenware Karl Blossfeldt, Hydrangea Weltsichten Johann Christian Camille Corot, Selbstporträt mit Palette arborescens, Hortensie, 1915–1926 Geschichte und Poesie Erstmals widmet sich eine Ausstel­ Bildung und Propaganda in der Hand, ca. 1840 Landschaft in der Kunst Friedensreich Hundertwasser, 487 Kleiner Reinhart lung in Deutschland der dunklen Am 6. September 1812 brannte vom 17. bis zum 21. Jahr- Palast der Krankheit, 1961 Ein deutscher Land- Seite der romantischen Strömung in der bildenden Kunst Karl Blossfeldt und die während der Besetzung durch Camille Corot und ihrer Fortführung im Symbolis­ Zu jeder Zeit wurde kopiert und Napoleon die Stadt Moskau. Kurz hundert schaftsmaler in Rom Sprache der Pflanzen mus und Surrealismus. Anhand von reproduziert. Die Ausstellung Natur und Traum darauf inszenierte Karl Friedrich Friedensreich Hundert- Landschaftssicht ist immer auch Johann Christian Reinhart (1761– mehr als 130 Gemälden, Skulptu­ präsentiert etwa 150 Exponate Mit der durch die Kulturstiftung der Schinkel (1781–1841) den „Brand wasser: Gegen den Strich Gefördert durch die Kulturstiftung Weltsicht, Landschaftsdarstellungen 1847) gehört zu den zentralen ren, Graphiken, Fotografien und unterschiedlicher Kunstgattungen: Länder unterstützten Erwerbung von Moskau“ in einem großen Werke 1949–1970 der Länder, würdigt die Staatliche offenbaren gesellschaftliche Modell­ Künstlergestalten um 1800. 1839 Filmen spürt die Ausstellung der Sie setzt mit privaten Andachtsbil­ von 75 Originalen ist die Pinako­ Schaubild. Die Ausstellung, organi­ Kunsthalle Karlsruhe erstmals in vorstellungen ebenso wie private Friedensreich Hundertwasser ist wurde er zum bayerischen Hofmaler Faszination zahlreicher Künstler für dern des Mittelalters ein und endet thek der Moderne das weltweit siert vom Berliner Kupferstich­ Deutschland umfassend das Werk Wünsche, Ängste und Sehnsüchte. einer der bekanntesten Künstler des ernannt. Von Anfang an konzent­ das Abgründige, Geheimnisvolle mit der Nutzung des Mediums einzige Museum, das ein so hochka­ kabinett in Kooperation mit der des bedeutenden französischen Geleitet von der Frage, inwieweit 20. Jahrhunderts, der aber oft rierte sich Reinhart auf die Land­ und Böse nach. Der Bogen der Fotografie für den Lichtdruck. rätiges Konvolut aus dem Schaffen Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung Landschafts- und Figurenmalers Landschaft sich als Resonanzraum missverstanden und unterschätzt schaftskunst. Die Hamburger Werkauswahl spannt sich von Dabei wird die Funktion des des Fotografen Karl Blossfeldt in München, wird zum 200. Jean-Baptiste Camille Corot für individuelle Befindlichkeiten wird. Anhand von zentralen, aber Kunsthalle würdigt Reinharts Künstlern wie Francisco de Goya, Exponats zu seiner Entstehungszeit (1865 –1932) besitzt. Seine Aufnah­ Jahrestag dieses Ereignisses eröffnet. (1796 –1875). Etwa 120 Gemälde und gesellschaftliche Strömungen selten gezeigten Arbeiten wirft die Bedeutung für die deutsche Kunst­ Eugène Delacroix und Caspar ebenso verfolgt wie die sich wan­ men sind Schlüsselwerke der Sie präsentiert das gesamte Spek­ und 50 Papierarbeiten geben einen verstehen lässt, werden neben Ausstellung einen neuen Blick auf geschichte nun als erstes Museum David Friedrich über Victor Hugo, delnde Auffassung von Original und künstlerischen Fotografie des 20. trum von Schinkels Kunst und Überblick über sein künstlerisches bekannten künstlerischen Positio­ das Werk des Künstlers von den überhaupt mit einer umfangreichen Gustave Moreau, Max Klinger und Wiederholung. Den Schlusspunkt Jahrhunderts, die nicht nur die beleuchtet nicht nur den großen Schaffen. Ergänzt werden seine nen Formulierungen jenseits des 1940er bis zu den frühen 1970er Retrospektive. Von seinen Land­ Franz von Stuck bis zu Edvard setzt Marcel Duchamps Auseinan­ Fotografie des Neuen Sehens und Architekten Preußens, sondern auch Werke von Arbeiten prägender gängigen Kanons in den Blick Jahren. Hundertwassers radikale schaftszeichnungen und -gemälden Munch, Salvador Dalí und Max dersetzung mit der Mona Lisa von der Neuen Sachlichkeit geprägt den Designer, Maler, Zeichner und Künstler der französischen Malerei genommen. Die Werke der Ausstel­ politische Position und Vorreiterstel­ sowie seinen Radierungen bis hin zu Ernst. Leonardo da Vinci. haben, sondern auch Philosophen Bühnenbildner. des 17. und 18. Jahrhunderts. lungen reichen von der Malerei über lung als ökologischer Aktivist wird bissigen Karikaturen wird ein und Dichter inspirierten. Städel Museum, Frankfurt a. M. Staatliches Museum Schwerin Neben Exponaten aus der hochran­ Kupferstichkabinett, Berlin die Fotografie bis zur Videokunst, dokumentiert und in Bezug zu profunder Überblick über sein www.staedelmuseum.de www.museum-schwerin.de gigen Sammlung der Staatlichen Pinakothek der Moderne, Kulturforum mit Arbeiten von Lovis Corinth, seinem malerischen Werk gesetzt. Œuvre gegeben. Kunsthalle Karlsruhe werden München Albert Renger-Patzsch und Stan 26.9.2012 – 20.1.2013 12.10.2012 – 27.1.2013 www.schinkel-in-berlin.de Hamburger Kunsthalle internationale Leihgaben ausgestellt. www.pinakothek.de Douglas. Kunsthalle Bremen 7.9.2012 – 6.1.2013 www.hamburger-kunsthalle.de bis 21.10.2012 www.kunsthalle-bremen.de Alles Reklame! Staatliche Kunsthalle Karlsruhe Kunstmuseum Dieselkraftwerk 20.10.2012 – 17.2.2013 26.10.2012 – 27.1.2013 „Hei matkunde“ www.kunsthalle-karlsruhe.de Romantik und Mittelalter Cottbus Die Plakatkunst Robert Conrad fotogra­ 29.9.2012 – 6.1.2013 Pracht auf Pergament www.museum-dkw.de Architektur und Natur in „ Farben sind Feste für der Künst­lerkolonie fiert Greifswald in den Schätze der Buchmalerei 16.9.2012 – 15.1.2013 Kabinettstücke der Malerei nach Schinkel die Augen“ Darmstadt Jahren 1984 bis 1987 Skulpturen und Reliefs von 780 bis 1180 Vorhut aus dem Hinter- In engem Bezug zur Schinkelausstel­ Der falsche Fritz land Teil 2 Emil Schumacher zum 100. Bereits im frühen 20. Jahrhundert Den Schwerpunkt der Ausstellung aus der Sammlung Die Buchmalerei nahm im Mittel­ galten Plakate als „Kunst der bilden Architekturfotografien aus lung am Kulturforum wird die Zu seinem fünfzigjährigen Bestehen alter eine herausragende Rolle unter Friedrich II. im Film In einem ehemaligen Ladenlokal in Straße“. In ihrem Wunsch, alle der Zeit der Greifswalder Flächenab­ Plastische Werke aus der „Samm­ Architekturmalerei in der Nachfolge würdigt das Ernst Barlach Haus den den Künsten ein. Mit 75 Hand­ Bremerhaven stellt Jürgen Wesseler Lebensbereiche künstlerisch zu risse. Es handelt sich um Aufnah­ lung Siegfried und Jutta Weishaupt“ und im Umkreis Karl F. Schinkels 2012 jährt sich der Geburtstag Maler Emil Schumacher (1912– schriften aus dem Bestand der seit 1967 Werke von Künstlern der gestalten, haben sich zahlreiche men Robert Conrads, der zum sind Thema der Ausstellung. Neben vorgestellt. Das Architekturbild Friedrichs II. zum 300. Mal, bis 1999), dessen Geburtstag sich 2012 Bayerischen Staatsbibliothek Gegenwart wie Gerhard Richter, Mitglieder der Künstlerkolonie Fotoapparat griff, um „Zerfall und dem Medium der Malerei bilden erlebte in der ersten Hälfte des 19. heute ist er ein viel diskutiertes zum 100. Mal jährt. Seine abstrak­ präsentiert die Kunsthalle der Blinky Palermo oder Giuseppe Darmstadt (1899 –1914) der Abriss“ seiner Heimatstadt festzu­ Skulpturen und Reliefs einen Jahrhunderts eine Blüte, die daraus Politikum. Sobald er auf der Kino­ ten Werke sind zu Ikonen einer Hypo-Kulturstiftung einen Über­ Penone aus. Die Weserburg widmet Vermittlung ihrer Ideen im öffentli­ halten. Seine Aufnahmen vermitteln weiteren Schwerpunkt dieser erwuchs, dass der mittelalterlichen leinwand erschien, gab es heftiges Epoche geworden, die eine neue blick auf die frühesten Zeugnisse nun der Geschichte des Kabinetts chen Raum gewidmet. Erstmals einen kaum noch vorstellbaren Sammlung. Mehrheitlich sind die Architektur eine emotionale Bedeu­ Pro und Contra. Über 40 Filme Bildsprache suchte. Die Ausstellung deutscher Buchmalerei. Die kostba­ für Aktuelle Kunst sowie der werden nun auf der Mathildenhöhe Eindruck der baulichen Zustände plastischen Werke in dieser Privat­ tung zugefallen war. Napoleons formten seit 1910 das Bild des konzentriert sich auf Schumachers ren Prachtbände aus der karolingi­ sammlerischen Tätigkeit Wesselers Darmstadt sämtliche Plakate zu und bieten einen Einblick in die sammlung abstrakt geprägt; begin­ Kriege hatten viele Bauten zerstört, Preußenkönigs, das vor allem der informelles Schaffen der späten schen Zeit, der ottonischen Kunst eine eigene Ausstellung. In einem sehen sein, die von renommierten alternative Szene der Bewohner und nend mit einem Mobile Alexander durch die Säkularisierung von 1803 Schauspieler Otto Gebühr geprägt 1950er und der 1960er Jahre – jenes und der Romanik zählen zu den Rückblick auf 20 Jahre Kabinettsge­ Künstlerkolonisten wie Joseph ihre Aktivitäten gegen staatliche Calders aus den 1940er Jahren, waren Kirchen, Klöster und Schlös­ hat, der Friedrich II. fünfzehn Mal Jahrzehnt, in dem der Künstler sein größten kulturellen Leistungen ihrer schichte werden Positionen der Maria Olbrich, Hans Christiansen Repressionen. Ein historischer präsentiert die Ausstellung ein ser besitzlos und standen zum verkörperte. In vier Kapiteln erzählt einzigartiges Zeichenrepertoire Epochen. Die Ausstellung bietet ausgestellten Künstlerinnen und und Bernhard Hoetger entworfen Überblick begleitet die Ausstellung. halbes Jahrhundert der Techniken Abbruch frei. Dadurch wurden sie die Ausstellung, wie Preußen-Filme entfaltete und wurde, was er ist: ein eine einzigartige Gelegenheit, die Künstler und andere herausragende wurden. der Bildhauerei mit Arbeiten im allgemeinen Bewusstsein zum Mythen konstruierten, dem Kom­ Klassiker der Moderne. über 1.000 Jahre alten Schätze im Werke aus Privatsammlungen Pommersches Landesmuseum, europäischer und amerikanischer kulturellen Erbe. Diese Mittelalter­ merz verpflichtet oder Teil der Mathildenhöhe Darmstadt Greifswald Original zu entdecken. zusammengefasst. Ernst Barlach Haus, Hamburg Künstler bis in die Gegenwart. rezeption kulminierte in Projekten NS-Propaganda waren. www.mathildenhoehe.info www.pommersches-landes- wie der Vollendung des Kölner Museum für moderne Kunst www.barlach-haus.de Kunsthalle Weishaupt Ulm Kunsthalle der Hypo-Kulturstif- Filmmuseum Potsdam 7.10.2012 – 6.1.2013 museum.de Doms, die als nationale Aufgabe Weserburg, Bremen 14.10.2012 – 27.1.2013 www.kunsthalle-weishaupt.de tung, München www.filmmuseum-potsdam.de 1.10.2012 – 31.1.2013 verstanden wurde. www.weserburg.de bis 10.2.2013 www.hypo-kunsthalle.de bis 3. März 2013 bis 24.2.2013 19.10.2012 – 13.1.2013 Alte Nationalgalerie, Berlin www.smb.museum 14.9.2012 – 6.1.2013 58 Arsprototo 3 2012 59 Niedersachsen Nordrhein-westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen

Vincent van Gogh, Fischerboote am Strand Franz Marc, Das Blaue Pferdchen, 1912 von Saintes-Maries-de-la-Mer, 1888 Sonja Alhäuser, Ausschnitt, 2012 100 Jahre – Das Blaue Miniaturporträt des Augustus, 1. Jh. v. Chr. 1912 – Mission Moderne Wilhelm Lehmbruck, Geneigter Frauenkopf, 1910 Pferdchen Pablo Picasso, Bildhauer mit kauerndem Wahrnehmung in der zeit- Arthur Kampf, Knabe in Rot, 1907 Die Jahrhundertschau des Modell vor einer Kopfskulptur, 1933 Minhotep, 1976 – 1793 v. Chr. Das Gemälde „Das Blaue Pferd­ Otto der GroSSe und das genössischen Kunst Sonderbundes Römische Reich Wilhelm Lehmbruck Künstlerkinder chen“ von Franz Marc (1880 –1916) Hören, Fühlen, Riechen, Schme­ Vom Wesen der Dinge, vom Ägyptens Schätze feiert seinen 100. Geburtstag und Pablo Picasso Kaisertum von der Antike cken und Sehen – über die fünf von Runge bis Richter, Vor 100 Jahren fand in Köln eine Wesen der Natur der wichtigsten Ausstellungen der entdecken wird in einer Präsentation als wohl Suite Vollard bis zum Mittelalter Sinne nehmen wir die Welt wahr. von Dix bis Picasso berühmtestes Bild des Saarland­ Diese Eindrücke werden immer jüngeren Kunstgeschichte statt. Die Meisterwerke aus dem Die von dem Pariser Kunsthändler In der Entwicklungsgeschichte der museums zusammen mit drei 2012 jährt sich zum 1.100. Mal der stärker medial vermittelt, gleichzei­ Der Blick auf das eigene Kind ist Sonderbundausstellung war im Ambroise Vollard angeregte graphi­ europäischen Skulptur bildet der Ägyptischen Museum Turin weiteren Gemälden von Franz Marc, Geburtstag Ottos des Großen und tig steigt die Sehnsucht nach der als subjektiv. Ist das Porträt des eigenen Sommer 1912 angetreten, dem sche Folge umfasst insgesamt 100 expressionistische Bildhauer Wil­ Heinrich Campendonk und August zum 1.050. Mal seine Kaiserkrö­ „echt“ oder „authentisch“ empfun­ anders als das eines fremden Kindes? konservativen Kaiserreich die Die bedeutende Sammlung altägyp­ Radierungen von Pablo Picasso helm Lehmbruck (1881–1919) das Macke gezeigt. Vorgestellt werden nung. Mit Caesar und Augustus denen Wahrnehmung. Welche Rolle Ausgangspunkt der Ausstellung sind moderne Kunst nahe zu bringen. tischer Zeugnisse aus dem Ägypti­ (1881–1973) und entstand in den stilistische Bindeglied zwischen die neuesten Forschungsergebnisse entstand im antiken Rom die die körperlichen Navigationssysteme zwei Werke aus der Kunsthalle Die Schau mit rund 650 Exponaten schen Museum Turin ist zu Gast in Jahren 1930 bis 1937. Themen, die Aristide Maillol und Alberto der kürzlich abgeschlossenen Herrschaftsidee des Kaisertums, die in der zeitgenössischen Kunst Emden – Max Pechsteins „Hänge­ – darunter Gemälde von van Gogh, Speyer. Die Ausstellung präsentiert den Künstler in dieser Zeit beschäf­ Giacometti. Der Ausnahmekünstler Restaurierung des Bildes: Ein im Jahr 800 mit der Kaiserkrönung spielen, ist das Thema der Ausstel­ matte I“ und August Mackes Cézanne und Picasso – wurde in herausragende Werke altägyptischer tigt haben, wie das Atelier des kann hier in Thüringen erstmals Röntgenscan förderte ein dahinter­ des Frankenkönigs Karl durch einen lung. Es schwingt die Frage mit, „Porträt Walter Macke mit Häs­ Deutschland zum wichtigsten Kunst und spannt den Bogen von Bildhauers, Minotaurus oder die umfassend präsentiert werden: Mit liegendes Bild zu Tage. Der Vater Herrscher erneuert wurde, dessen welche Formen der direkten und chen“ –, in denen die Künstler ihre Wegbereiter für die Moderne. Zum der ersten Welle der Ägyptenbegeis­ Auseinandersetzung mit Rem­ 120 seiner Arbeiten aus den Bestän­ des „Blauen Pferdchens“ ist der Machtbasis nördlich der Alpen lag. indirekten Partizipation des Besu­ Söhne zeigen. Die Schau präsentiert Jubiläum wird die ursprüngliche terung unter Napoleon bis hin zu brandt, setzt er virtuos in Szene. Die den des Lehmbruck Museums ehemalige Museumsdirektor Rudolf Otto I. verankerte das Kaisertum chers möglich sind. Kunstwerke unterschiedlicher Ausstellung in ihren Schwerpunkten aktuellen Grabungsprojekten. Sie Suite Vollard ist als komplette Folge Duisburg, das die weltweit umfang­ Bornschein, der es 1956 für das endgültig im Norden. Die von der Medien – Gemälde, Zeichnungen und Zielsetzungen mit internationa­ zeigt wichtige Stücke aus allen erhalten und vermittelt durch die reichste Sammlung seines Œuvres Saarlandmuseum erwarb. Kulturstiftung der Länder geförderte Kunsthalle zu Kiel oder Fotografien von Künstlern wie len Leihgaben rekonstruiert. großen Phasen der Geschichte besitzt, kann seine künstlerische Wahl verschiedener Radiertechniken Ausstellung zeigt erstmals die www.kunsthalle-kiel.de Max Liebermann und Pablo Picasso. Ägyptens. Zugleich spiegelt die Entwicklung in eindrucksvollen Wallraf-Richartz-Museum & Saarlandmuseum, Saarbrücken Picassos Lust an graphischen Bedeutung des Kaisertums im bis 21.10.2012 Ausstellung die vielfältige Ge­ www.saarlandmuseum.de Experimenten und Variationen. Werkgruppen demonstriert werden. Kunsthalle Emden Fondation Corboud, Köln Europa des ersten Jahrtausends. schichte der Ägyptologie mit bis 2.12.2012 www.kunsthalle-emden.de www.wallraf.museum Kunsthaus Apolda Avantgarde großartigen Entdeckungen und Kunstsammlungen Chemnitz Kulturhistorisches Museum Die Chinesische Reise 15.9.2012 – 13.1.2013 bis 30.12.2012 www.kunsthausapolda.de kulturgeschichtlichen Erkenntnissen www.kunstsammlungen- Magdeburg Menschenbilder von bis 16.12.2012 wider. Allen Jones – Off the Wall chemnitz.de www.khm-magdeburg.de 16.9. – 18.11.2012 Gustav Seitz und Eva Siao Die Ringe des Königs 100 x Paul Klee Historisches Museum der Pfalz PopArt von 1957–2009 bis 9.12.2012 Die Ausstellung zeigt (noch) Geschichte der Bilder Speyer Aus der Sammlung König Allen Jones (*1937) ist einer der ungetrübte Blicke auf die chinesi­ Der Kampf des Laokoon www.museum.speyer.de Leben mit Pop Ernst Augusts von Paul Klee (1879 –1940) lehrte an prägendsten britischen Pop-Art- Marcel Breuer sche Wirklichkeit zwischen 1949 Handzeichnungen um bis 14.10.2012 Künstler. Bekannt wurde er durch Kunst der 60er Jahre von Hannover der Düsseldorfer Kunstakademie, Design und Architektur und 1959, die erstmals zusammen 1800 aus der fürstlichen bevor er 1933 in die Schweiz Skulpturen, die Frauenfiguren als Warhol bis Richter gezeigt werden: Der Bildhauer Mit dem Tod Wilhelms IV. von emigrierte. Die Paul Klee-Samm­ Möbelstücke inszenieren. Der Marcel Breuer (1902–1981) gehört Gustav Seitz (1906 –1969) schil­ Kunstsammlung England endete 1837 die 123 Jahre Qiu Shihua Regisseur Stanley Kubrick ließ sich Pop hat stärker als jede andere als Designer und Architekt zu den lung in der Kunstsammlung Nord­ derte in seinem Reisetagebuch und Lessing veröffentlichte 1766 den währende Personalunion zwischen für seinen Film „A Clockwork künstlerische Entwicklung im 20. wegweisenden Gestaltern des 20. rhein-Westfalen gehört zu den Das Werk des chinesischen Künst­ in 70 Zeichnungen die Aufbruchs­ „Laokoon“, eine der bedeutendsten England und Hannover. Als Köni­ Orange“ von diesen Kunstwerken Jahrhundert das Lebensgefühl einer Jahrhunderts. Er wurde 1925 umfangreichsten Beständen in lers Qiu Shihua (*1940) wurde in stimmung in der jungen Volksrepu­ kunsttheoretischen Schriften der gin Victoria die Thronfolge antrat, inspirieren. Die Ausstellung ist die ganzen Generation geprägt. Pop Jungmeister am Bauhaus, im Alter Deutschland. Den Grundstock für Europa bisher nur selten ausgestellt. blik China. Die deutsche Jüdin Eva Aufklärung. Dass er ausgerechnet ging der Hannoveraner Thron an bislang größte Werkschau zu Allen versprach ein Aufbrechen des von nur 23 Jahren gelang ihm die den Bestand bildeten 88 Werke, die Seine auf den ersten Blick kaum Sandberg (1911– 2001), die 1934 die Laokoongruppe für seine ihren Onkel Ernst August, den Jones. Sie zeigt rund 80 Werke, kulturellen und gesellschaftlichen Erfindung des Stahlrohrmöbels, die das Land Nordrhein-Westfalen im wahrnehmbaren Bilder wirken dem Dichter Emi Siao in seine Abhandlung heranzog, lag am fünften Sohn König Georgs III. von darunter finden sich neben den Selbstverständnisses der Nachkriegs­ als sein revolutionärster Beitrag zur Jahr 1960 erworben hatte. Heute zunächst wie monochrome weiße Heimat gefolgt war, vermittelte als Interesse, welches die Gelehrten des England. Auf einmalige Weise berühmten „Furniture Sculptures“ zeit. Die Ausstellung präsentiert die Designgeschichte gilt. Aber Breuer zählt die Sammlung 100 Arbeiten, Farbflächen, die in der Betrachtung offizielle Fotografin dem Ausland 18. Jahrhunderts dieser antiken spiegeln die 21 Siegel- und Ge­ zahlreiche Gemälde, Reliefs, Videos unterschiedlichen Entwicklungen in war auch Architekt mit einem die erstmals vollständig der Öffent­ an Schärfe und Vielfalt gewinnen Bilder des neuen China, das alle Plastik entgegenbrachten, die im dächtnisringe aus seinem Besitz die und weitere Skulpturen. der Graphik der 1960er Jahre und stilbildenden Werk. Die Stiftung lichkeit präsentiert werden und die oder sich wieder in eine nebelartige Hoffnungen auf eine neue Gesell­ Jahre 1506 entdeckt worden war. In dynastischen Interessen wider. zeigt auch die Rezeption der Pop- Bauhaus Dessau zeigt zusammen einen exemplarischen Blick auf das Unzugänglichkeit entziehen. Qius schaft zu erfüllen versprach. der Kunstsammlung des Fürsten­ Weltkulturerbe Völklinger Hütte Art und Parallelentwicklungen in mit dem Vitra Design Museum eine Herzog Anton Ulrich Museum, Œuvre des Künstlers erlauben. monochrome, zunehmend redu­ paares Ludwig Friedrich II. und www.voelklinger-huette.org Europa. Pop-Art-Graphik machte Retrospektive, in der die zwei Seiten Schleswig-Holsteinische Braunschweig zierte Landschaften mit ihrer ebenso Caroline Louise von Schwarzburg- Kunstsammlung Nordrhein-West- 13.10.2012 – 16.6.2013 aus der Kunst ein Massenphäno­ des Künstlers erstmals gleichberech­ Landesmuseen Burg Dankwarderode stillen wie eindrucksvollen Wirkung Rudolstadt befinden sich zahlreiche falen, Düsseldorf men, Alltagskultur wurde zur Kunst tigt beleuchtet werden. Schloss Gottorf entstehen seit den 1980er Jahren. Handzeichnungen und Studien, die www.haum.niedersachsen.de K21 Ständehaus und Kunst zu einer lebensnahen Landesmuseum für Kunst Die Ausstellung zeigt sein außer­ sich dem Marmorbildwerk widmen 20.9.2012 – 13.1.2013 www.kunstsammlung.de Erfahrung. Stiftung Bauhaus Dessau und Kulturgeschichte gewöhnliches Schaffen in einem und die nun erstmals gezeigt 9.9.2012 – 10.2.2013 www.bauhaus-dessau.de www.schloss-gottorf.de repräsentativen Überblick. Museum der bildenden Künste werden. bis 31.10.2012 bis 21.10.2012 Leipzig Museum Pfalzgalerie Landesmuseum Residenzschloss Kaiserslautern www.mdbk.de 30.9.2012 – 20.1.2013 Heidecksburg www.mpk.de www.heidecksburg.de bis 6.1.2013 21.9. – 31.12.2012

60 Arsprototo 3 2012 61 Neue Erfolge auf eine großflächige Reinigung wurde Nachrichten verzichtet, um weiteren Abrieb und den Verlust der Zeichnung zu vermeiden. Die Gewebekaschierung wurde vom Entspannung Pergament gelöst und Klebstoffreste Junger Freundeskreis auf der Art Basel entfernt. Risse, vor allem ein 14 cm in Ulm langer Spannungsriss auf der rechten Fünf Volontärinnen und Volontäre aus Art Basel sowie die Off-Messe „Liste Seite, konnten geschlossen und kleinere deutschen Museen besuchten im Juni 17“ und erhielten dabei wichtige Mit Ihrer Hilfe konnte das Fehlstellen behutsam ergänzt werden. mit einem Stipendium des Jungen Einblicke in aktuelle Tendenzen und Ulmer Museum eine Ent­ Mehrere Wochen lang wurde das Perga­ Freundeskreises der Kulturstiftung der den Handel mit zeitgenössischer ment vorsichtig plangelegt, wodurch sich Länder die weltweit wichtigste Kunst­ Kunst. Das Stipendium des Freundes­ wurfszeichnung des Ulmer die Verwellungen entspannten. Die messe für zeitgenössische Kunst in kreises ist die einzige Förderung dieser Münsters restaurieren abschließende Montage fixierte den Plan Basel. Zudem gehörten ein Besuch der Art, die ausschließlich Volontären mit einer Vielzahl von Japanpapier-Strei­ Ausstellung „Renoir. Zwischen zuteil wird. Es ermöglicht den Kunst­ von Eva Leistenschneider fen auf einer passgenauen Wabenplatte. Bohème und Bourgeoisie“ im Kunst­ historikern, früh Kontakte zum inter­ Im Falle klimabedingter Dimensionsver­ museum und der Ausstellung „Jeff nationalen Handel, zu den Galerien In Arsprototo 1/2008 baten das Ulmer änderungen des Plans würde das Japan­ Koons“ in der Fondation Beyeler zum und zu Kollegen aus aller Welt aufzu­ Museum und die Evangelische Münster­ papier reißen, bevor das Pergament dichten Programm. Unter der kundi­ nehmen. Der Austausch zwischen den gemeinde Ulm um Unterstützung bei Schaden nehmen könnte. In einer säure­ gen Führung von Kunsthändlern und Stipendiaten und den Jungen Freun­ der dringend notwendigen Konservie­ freien Spezialverpackung ist die Zeich­ Kuratoren (Dr. Britta Schmitz, Ham­ den der Kulturstiftung der Länder rung einer besonderen Rarität: der nung nun auch für die Zukunft gut burger Bahnhof, Patrick Legant, führt sicher wieder zu anregenden Entwurfs- und Planzeichnung, die der gelagert und konserviert. Vom Novem­ Kunstberater, Karen Boros, Art Basel, Aktivitäten des Freundeskreises im Münsterbaumeister Matthäus Böblinger ber 2011 bis Februar 2012 war der und Rita Kersting, Kuratorin) erlebten kommenden Jahr. (tätig von 1477 bis 1493) für den West­ Böblingerplan eines der Highlights der die Volontäre und auch zahlreiche turm des Ulmer Münsters gefertigt hat. Sonderausstellung „aufgerissen – Goti­ Mitglieder des Jungen Freundeskreises Auf der Art Basel 2012 Der aus mehreren Stücken zusam­ sche Architekturzeichnungen zum Ulmer die ereignisreichen Eröffnungstage der mengesetzte, über drei Meter lange Münster“. Pergamentplan war zu einem unbekann­ Das Ulmer Museum sowie die ten Zeitpunkt rückseitig auf ein Leinen­ Evangelische Münstergemeinde Ulm und gewebe kaschiert worden, das man die Kulturstiftung der Länder bedanken ganzflächig über eine verleimte Holz­ sich herzlich für Ihre Unterstützung! platte gezogen hatte. Die Entwurfszeich­ Dr. Eva Leistenschneider ist Kuratorin für DER FOLKWANG IMPULS nung auf spanngetrockneter Tierhaut Mittelalter und Frühe Neuzeit im Ulmer konnte sich in dieser straffen Montage Museum. DAS MUSEUM VON 1902 BIS HEUTE. klimatischen Veränderungen nicht Schulen kooperieren mit Kultur 21. OKTOBER 2012 BIS 13. JANUAR 2013 anpassen und reagierte mit Verwellungen und Rissen. Ein älterer Eingriff, bei dem Ulmer Museum die gesamte Oberfläche mit einem Fixie­ Marktplatz 9, 89075 Ulm rungsmittel behandelt worden war, hatte Telefon 0731 - 1614312 Öffnungszeiten: Di – So 11 – 17 Uhr, Schulen kooperieren mit Kultur bereits zu einer Versteifung des Materials Sonderausstellungen Do bis 20 Uhr, geführt. Schäden und Abrieb an der Mo geschlossen Pergamentoberfläche dürften das Ergeb­ www.ulmer-museum.ulm.de nis eines älteren Reinigungsversuchs sein, bei dem die Zeichnung ausgespart wor­ den war. Mit den Spenden der Leser von Arsprototo und der pro ulma Stiftung konnte der Plan im Atelier der Papier- und Pergamentrestauratorin Cornelia Rauch-Ernst (Dillingen a. d. Donau) Der Wettbewerb konserviert werden. Vorausgegangen für Schulen waren Untersuchungen der verwendeten Klebstoffe und des Pergaments. Die Jetzt mitmachen!

Versteifung des Materials durch die ältere Fixierung erwies sich als nicht reversibel; Der Wettbewerb für Schulen OSTHAUS MUSEUM HAGEN MUSEUMSPLATZ 1, 58095 HAGEN Der Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder laum homas Pf Jetzt mitmachen! 62 Foto: T in Zusammenarbeit mit der Deutsche Bank Stiftung DI, MI, FR 10 - 17, DO 13 - 20, SA + SO 11 - 18 UHR Info und Anmeldung: www.kinderzumolymp.de WWW.OSTHAUSMUSEUM.DE

Der Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder flaum Foto: Thomas P in Zusammenarbeit mit der Deutsche Bank Stiftung Info und Anmeldung: www.kinderzumolymp.de Essay 1918 erworben. Diesen Angaben wurde bei der Prove­ Eigentümern in der Sammlung gilt es zum einen, nienzrecherche schrittweise nachgegangen, wobei ein diejenigen Kunstwerke innerhalb der Sammlung zu weiterer Aufkleber am unteren Rand die Identifikation ermitteln, welche im Zuge der sogenannten Schloss­ des Eigentümers von 1918 bis 1929 erleichtert: Es bergungen aus enteignetem Adelsbesitz in die Museen Jeder Fall ist anders handelte sich um die Sammlung Basner aus Danzig- kamen oder von Bürgern der DDR unter Druck der Zoppot, die am 19. November 1929 bei Rudolf Lepke Behörden veräußert wurden. Zum anderen dokumen­ in Berlin unter den Hammer kam. Wir wissen nicht, tieren die Museen ihre Verluste, sei es die Abgabe von wo sich das Gemälde zwischen 1929 und 1935 befand, Kunstwerken der Moderne im Zuge der „Entartete als es bei der Kunsthandlung Heinemann in Wiesbaden Kunst“-Aktion von 1937 oder die nach Kriegsende in Die Provenienzrecherche erforscht die Herkunftsgeschichte für das dortige Museum angekauft wurde. Die unbe­ die damalige UdSSR verbrachte „Beutekunst“. von Kunst und Kulturgütern – ihre Ergebnisse kannte Herkunft des Bildes vor 1902 und sein ebenfalls Neben den vielfältigen Rechercheerfolgen, den ungeklärter Aufbewahrungsort von 1929 bis 1935 Rückgaben und dem großen Erkenntnisgewinn für die spielen im Kunsthandel und in den Museen mittlerweile gehören zu den typischen Hürden der Provenienz­ Kunstgeschichte ist die Provenienzforschung auch die forschung: Neben Phantasie und Geduld bedarf diese Erfolgsgeschichte einer anfangs sehr kleinen Gruppe eine wichtige Rolle Arbeit einer gewissen Frustrationstoleranz, denn nicht von Aktiven, die sich methodisch auf eine Reise ins von Stephanie Tasch selten endet eine aufwendige Suche im Nichts, wenn Unbekannte wagte. Das Studium der Kunstgeschichte die ungenügende Quellenlage das bereitet nur bedingt für diese erstrebte Ideal der lückenlosen spezialisierte Forschung vor und oher kommen eigentlich die Bilder? Das Museen wie Sammlern. Die in der Provenienzforschung Überlieferung einer Provenienz in Ermangelung einer Ausbil­ mag sich so mancher Besucher fragen, der in ermittelten historischen Fakten eröffnen damit einen in unerreichbare Ferne rückt. Die dung zum Provenienzforscher W Museen und Ausstellungen Kunstwerke be­ größeren kunstwissenschaftlichen Horizont. Schicksale von Bildern sind so ging es zunächst um das Erler­ wundert, die einst für kirchliche und weltliche Fürs­ Wie kommt die Provenienzforschung zu ihren individuell wie die ihrer Eigentü­ nen einer Fertigkeit, während ten, für sakrale und feudale Räume geschaffen oder Ergebnissen? Sie verfährt stets zweigleisig, indem sie ihr mer, und an Stelle eines routi­ zugleich die Arbeit erledigt von bürgerlichen Sammlern erworben wurden. Die Augenmerk auf das Kunstwerk ebenso wie seine Besit­ nierten Abhakens tritt die De­ wurde, sei es in Museen, in Kunstgeschichte beantwortet die Frage nach der Her­ zer richtet. Damit gehört neben der kunsthistorischen vise: „Jeder Fall ist anders.“ Auktionshäusern oder für die kunft, indem sie die Wege der Kunstwerke in der Literatur eine Fülle von anderen Quellen zu ihrem Die Feststellung einer bislang Nachkommen der Kunstsamm­ sogenannten Provenienz verzeichnet. Diese hat das Arbeitsmaterial, seien es historische Fotografien, Famili­ nicht geschlossenen Provenienz­ ler. 2001 gründete eine Gruppe Ziel, den Weg eines Kunstwerkes vom Atelier des enarchive oder andere Dokumente, die Informationen lücke für die frühen 1930er Jahre von Forscherinnen den Arbeits­ Künstlers bis zu seinem heutigen Eigentümer bezie­ über die ehemaligen Besitzer geben können. Neben zeigt die aktuelle Motivation der kreis Provenienzforschung, der hungsweise seinem aktuellen Standort zu dokumen­ diesen kunsthistorischen, historischen und biographi­ Recherche auf: Die Provenienz­ seitdem stetig wachsend dem tieren. Dabei stellt die im Werkverzeichnis oder in schen Recherchen rückte ein bisher nicht systematisch forschung hat sich seit der nationalen wie internationalen Ausstellungs- und Sammlungskatalogen verzeichne­ erforschter, ja vernachlässigter Bestandteil der Objekte Washingtoner Erklärung von Austausch ein Forum bietet. te Provenienz eines Werkes das Ergebnis vielfältiger in den Fokus der Forschung: Es handelt sich um die 1998 über die Identifizierung, Rückseite des Gemäldes „Christusknabe“ Dem zunehmenden Forschungs­ Recherchen dar. Für die spezialisierte Beschäftigung Spuren, welche die Besitzerwechsel am Werk hinterlas­ Lokalisierung und Rückgabe von von Joos van Cleve mit collagierten Auf­ bedarf steht eine ebenfalls mit der Herkunftsgeschichte von Kunst und Kultur­ sen haben, etwa auf der Rückseite von Gemälden. Ein Kunstwerken aus ehemaligem klebern wachsende Zahl von Daten­ gütern hat sich in den letzten Jahren der Begriff der sprechendes Beispiel aus dem Museum Wiesbaden ist jüdischen Eigentum auch als banken sowie Digitalisierungs­ Provenienzrecherche oder -forschung eingebürgert. ein jüngst im Rahmen der dortigen Provenienzfor­ Selbstverpflichtung Deutschlands als Forschungsfeld projekten von Archiv- und Bibliotheksbeständen Die Dokumentation der Provenienz gehört zum schung untersuchter Christusknabe von Joos van Cleve, etabliert. Auch für die Tafel des Joos van Cleve muss, ­gegenüber. Die Wahrnehmung der historischen Verant­ Handwerkszeug der Kunstgeschichte und der Museen. der auf einem Kissen thronend eine Weintraube ver­ bis zur endgültigen Klärung der Provenienz, von einem wortung Deutschlands im Hinblick auf das national­ Auch auf dem Kunstmarkt erhöhen Provenienzen mit zehrt. Dreht man die Holztafel um, sieht man, dass der zumindest möglichen NS-verfolgungsbedingten Verlust sozialistische Unrechtsregime hatte insofern auch einen den Namen prominenter Kunstsammler vergangener Weg des Gemäldes durch die verschiedensten Hände ausgegangen werden. Seit 2008 fördert und koordiniert – vielleicht so nicht intendierten, aber um so erfreu­ Jahrhunderte den symbolischen wie materiellen Wert sichtbare Spuren in Form von Aufklebern, Bezeichnun­ die Arbeitsstelle für Provenienzrecherche / -forschung in licheren – wissenschaftlichen Impuls zur Folge. von Kunstwerken; eine möglichst lückenlose und auch gen und Beschriftungen hinterlassen hat, die es zu Berlin – unterstützt von der Kulturstiftung der Länder Auch akademisch ist das Thema inzwischen ange­ lückenlos belegbare Provenienz trägt dazu bei, Echtheit entschlüsseln galt. Ein gedruckter Aufkleber mit einer und Staatsminister Bernd Neumann – Forschungspro­ kommen: Das Programm des diesjährigen internationa­ und zweifelsfreie Herkunft eines Kunstwerks zu bele­ großen Ziffer 13 verweist auf den ersten bekannten jekte zur systematischen Aufarbeitung der Bestände in len Kunsthistorikerkongresses enthielt eine Sektion zur gen. Wer hat wann, wo und von wem ein Objekt Eigentümer, den Berliner Kunstsammler Wilhelm öffentlichen Einrichtungen in Deutschland. Prove­nienz, und die Freie Universität Berlin bietet in erworben? Die Antworten auf diese Fragen und die Gumbrecht, dessen Sammlung am 21. März 1918 bei Dass die Aufgaben neben der Identifizierung, diesem Wintersemester schon zum zweiten Mal eine präzise Dokumentation vorhandener oder die Rekons­ den Auktionatoren Cassirer und Helbing in Berlin Lokalisierung und Rückgabe von Kunstwerken aus Lehrveranstaltung zur Provenienzforschung an. truktion nicht mehr existierender Sammlungen bieten versteigert wurde. Der Christusknabe war die Nummer ehemaligen jüdischen Privatsammlungen wesentlich Dr. Stephanie Tasch ist Dezernentin der Kulturstiftung faszinierende Einblicke in die Geschichte des privaten 13 im Versteigerungskatalog. Auf dem handschrift­ weiter gefasst sind, mag das Beispiel einiger ostdeut­ der Länder und arbeitete zuvor als Provenienz- und institutionellen Sammelns. Und je genauer sich die lichen Papieraufkleber im Zentrum der Bildrückseite scher Museen verdeutlichen. Auf Grund der histori­ forscherin für das Auktionshaus Christie’s. Herkunft eines Werkes bestimmen lässt, desto klarere findet sich ein Vermerk über eine frühe Ausstellung des schen Entwicklung gibt es hier vielfältigen Forschungs­ Aussagen lassen sich über die Rezeption eines Künstlers Bildes 1915 in Berlin sowie eine Literaturangabe und bedarf in Folge der deutschen Geschichte des 20. und die Veränderungen des Geschmacks machen, denn der wichtige Hinweis, der (ungenannte) Autor dieser Jahrhunderts: Neben der Ermittlung von geraubter nicht jeder Künstler war zu jeder Zeit gleich beliebt bei Zeilen habe das Gemälde auf der Berliner Auktion oder unter Zwang verkaufter Kunst von jüdischen

64 Arsprototo 3 2012 65 Schön im Depot Was verbergen Sie eigentlich vor uns, Frau de Castro?

Sammlungsausstellung zum -jährigen Museumsjubiläum le peetz design

ab . September  Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen . bis  . Uhr Georgengarten,   Hannover www.karikatur-museum.de Wieder-

Museum Kurhaus Kleve – Ewald Mataré-Sammlung Tiergartenstr. 41, 47533 Kleve as Linden-Museum Stuttgart ver­ die Geburt des Prinzen Siddharta Gau­ stellungen der Geburt des Buddha über­ www.museumkurhaus.de fügt über eine der bedeutendsten tama, der später der „Weise aus dem Volk einstimmt, ist es ungewöhnlich, dass das eröffnung DSammlungen buddhistischer Kunst in der Śākyas“, Buddha Śākyamuni genannt erwartete Kind noch nicht zu sehen ist und Friedrich-Wilhelm-Bad / Atelier Joseph Beuys Deutschland. Ein besonderer Schwerpunkt wurde: Er soll in einem Park bei Lum­ auch die weiblichen Merkmale seiner Mut­ sind dabei Skulpturen aus Nepal und bini im Süden Nepals aus der Hüfte seiner ter nur schwach ausgeprägt sind. Beides Neue Sammlungsräume Tibet. Diese umfassende Sammlung von Mutter Maya gewachsen sein, nachdem stellt die Beschreibung der Skulptur als Ge­ Darstellungen der wichtigsten Ereignisse diese geträumt hatte, ein weißer Elefant burt des Buddha möglicherweise in Frage. aus dem Leben des historischen Buddha mit sechs Stoßzähnen sei in ihre Seite ein­ Śākyamuni und der verschiedenen anderen gedrungen. Bemerkenswert ist, dass diese Prof. Dr. Inés de Castro, Direktorin des Buddhas und Bodhisattvas bietet einen fast nepalesische Skulptur nicht wie üblich aus Linden-Museums in Stuttgart, mit dem 9. nepalesischen Silberguss „Die Geburt des 9. 2012 vollständigen Überblick über die Ikonogra­ Bronze gegossen, sondern sehr filigran aus Buddha“ aus dem 18. Jahrhundert im phie des Buddhismus. Dazu gehört auch Silber gearbeitet wurde. Obwohl die Iko­ Depot des Museums, fotografiert von Eröffnungsausstellung „Mein Rasierspiegel“ die seltene Darstellung der Legenden über nographie weitgehend mit anderen Dar­ Oliver Mark Sparkasse Kleve Premium-Partner

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