Friedrich300 - Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext

Impulse aus Holland und England Preußische Junker im 18. Jahrhundert zwischen Innovation und Reform Heinrich Kaak

Abstract

Der Beitrag beleuchtet die reformerischen Anstrengungen in -Preußen, mit deren Hilfe im 18. Jahrhundert agrarische Reformen in Gang gesetzt werden sollten. Die Bemühungen Friedrichs II. setzten dabei Initiativen fort, die schon auf seine Vorgänger zurückzuführen sind und nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs eingesetzt hatten. Neben vielfältigen Meliorationen ging es vor allem um den Schutz der Bauern vor intensivierten gutsherrschaftlichen Verhältnissen. Impulse für agrarische Reformen waren noch im 17. Jahrhundert aus den Niederlanden gekommen, im letzten Drittel des 18. Jahrhundert adaptierten die reformerischen Kräfte in Preußen vor allem Ideen aus England. Der landsässige Adel war Neuerungen in der Landwirtschaft nicht abgeneigt, tendierte aber dazu, die Rechts- und Besitzverhältnisse der Bauern weiter zu verschlechtern. Deswegen legte Friedrich II. sein Hauptaugenmerk darauf, dass bei agrarischen Innovationen die Bauern keine Nachteile zu erwarten hatten. Doch auch der adlige Gutsherr konnte mit staatlicher Unterstützung rechnen, wenn er sich mit Neuerungen in der Landwirtschaft beschäftigte. Angesichts einer Innovationsbereitschaft adliger Gutsbesitzer, die die bäuerliche Existenz durchaus auch als Störfaktor empfand, zeigt sich, wie sehr der Staat in diese Prozesse immer wieder steuernd eingriff: Kulturtransfer war somit gerade auch im Agrarsektor ein staatlich gelenkter Vorgang.

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Brandenburg war und ist nicht verwöhnt mit besonders ertragreichen Böden. Die besten Terrains lagen bis in das 18. Jahrhundert hinein noch unerschlossen in den Flussniederungen.1 Seit 1614 gehörten wenigstens die kleinen fernen Exklaven im Westen dazu: Kleve mit teils sehr guten,2 Mark

1 "Der größte Theil der Kurmark besteht aus einer mehr oder weniger starken Vermischung von Sand und festen Lehmtheilen, die aber, theils mit fruchtbarem Boden, theils auch mit sauren Niederungen und ganz magerem Lande so häufig … abwechselt, daß man zuweilen auf einer und derselben Feldmark die auffallendsten Extreme der Oberfläche findet. … Die hohen Sandflächen und der Heideboden nehmen … einen ziemlich großen Raum … ein und befinden sich in allen Theilen dieses Landes." Friedrich Wilhelm August Bratring: Statistisch-topo- graphische Beschreibung der gesamten Mark Brandenburg, kritisch durchgesehene und verbesserte Neuausgabe von Otto Büsch und Gerd Heinrich, mit einer biographisch-bibliograpischen Einführung und einer Übersichtskarte von Gerd Heinrich (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu 22), Berlin 1968, 27. 2 "Das Herzogthum [Kleve] hat durchgehends hohes Land und Niedrigungen. Das hohe Land ist sowohl mit Aeckern, als Hölzungen, Büschen und Alleen versehen. Die Niedrigungen, insonderheit gegen den Rhein zu, werden auf beiden Seiten durch starke Dämme, welche die Bannteiche genennet werden, beschützet. … Das Land hat an Getreide, Obst und allerhand Gewächsen, einen Uiberfluß. Es sind sehr fette Weiden vorhanden, daher ist auch die Hornvieh= und Pferdezucht beträchtlich." Anton Friedrich Büsching: Große Erdbeschreibung, 16. Bd.: Der westphälische Kreis, Brünn 1786, 43f.

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3 "Die Grafschaft [Mark] hat einen fruchtbaren Boden, welcher Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Wicken, Linsen, Rap= und Rübesamen, Flachs und Hanf in solcher Menge trägt, daß auch benachbarten Ländern damit gedienet wird. Sie hat … gute Weide und Wiesen, gute Viehzucht, allerlei Wildpret, gute Hölzungen und angenehme Berge. " Büsching: Große Erdbeschreibung (wie Anm. 2), 85f. Genauer teilte sich die Grafschaft in sehr und wenig fruchtbare Gebiete – im Norden das Land, "das aus fruchtbarem Niederungsgebiet von nur geringen Höhenunterschieden bestand", im Süden das "mit dem Ardeygebirge und dem Haarstrang sogar nach Norden hinausgreifende Gebirgsmassiv, das Süderland, heute Sauerland genannt." Margarethe Frisch: Die Grafschaft Mark. Der Aufbau und die innere Gliederung des Gebietes besonders nördlich der Ruhr, Münster 1937, 3. 4 "Der Boden [von Ravensberg] ist jenseits Bielefeld und der Berge sandig, nach dem Fürstenthum Minden zu aber ist er viel besser, und trägt theils soviel Getreide, als die Einwohner nothdürfftig gebrauchen, theils und vornähmlich Flachs und Hanf; wie denn insonderheit in der Gegend von Schildsche und Werther ungemein feiner Flachs gebauet und zubereitet wird … Die Weide ist gut, vornämlich um Hervord und Bielefeld, daher auch die Einwohner mit gutem Vieh versehen sind." Büsching: Große Erdbeschreibung (wie Anm. 2), 134ff. 5 "Es wechseln [in Preußen] Moor- und Dammerde, Ton, Lehm, Sand, Kalk sehr häufig ab und liegen oft verworren um- und nebeneinander. … Im Allgemeinen kann man von ihr behaupten, dass sie allenthalben da, wo der Landmann seinen Fleiß gebraucht, ihm auch seine Mühe durch zufriedenstellenden Ertrag lohnt, und dass vollständig unfruchtbare Stellen, von den Dünen der Nehrung und einzelnen Hochmooren abgesehen, so gut wie gar nicht in unsrer Provinz vorkommen." August Ambrassat: Die Provinz Ostpreußen. Ein Handbuch der Heimatkunde, 2., neu bearbeitete Aufl. (Neudruck der Ausgabe von 1912), Frankfurt a. M. 1978, 48ff. 6 "Pommern ist im Durchschnitt fruchtbar, wiewohl ein großer Theil sandigen Boden hat. Zu den fruchtbarsten Distrikten gehört die Insel Rügen …, ein Theil von Vorpommern und der sogenannte Weitzenacker an der Madüe und am Plönestrom. Am Strande in Hinterpommern giebt es in einer Breite von einer halben, auch ganzen Meile, einen fetten lehmigen oder schwarzen fruchtbaren Boden, daneben aber wieder einen sehr sandigen Boden, der nur durch den Fleiß der Einwohner culturfähig geworden ist. In den übrigen Theilen ist der Sand mit Lehm vermischt. Der schlechteste Boden ist da, wo sich unter dem gewöhnlichen Sande, röthlicher Sand oder Eisenerde findet, insbesondere auf dem linken Ufer der Oder bei Torgelow ...". Friedrich von Restorff: Topographische Beschreibung der Provinz Pommern: mit einer statistischen Uebersicht, Berlin / Stettin 1827, 7f. 7 "Der Boden des Herzogthumes [Magdeburg] gehöret ohnstreitig zu dem fruchtbarsten Deutschlandes, und ist in der sogenannten Börde, welcher Strich den ganzen ersten und zweyten, so wie einen Theil des dritten Distriktes des Holzkreises bis zur Ohre hin begreifet, durchgehends von der vorzüglichsten Beschaffenheit, nicht weniger im größten Theile des Saalkreises und in der Grafschaft Mansfeld. Nur ein Theil …, wo das Herzogthum mit der Mark grenzet, ist von minderer Fruchtbarkeit." Johann Ludwig von Heineccius: Ausführliche topographische Beschreibung des Herzogthums Magdeburg und der Grafschaft Mansfeld, Magdeburgischen Antheils, Berlin 1785, 10f. 8 Lieselott Enders: Die Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 28), Weimar 1992, 586f. 9 Hartmut Harnisch: Probleme einer Periodisierung und regionalen Typisierung der Gutsherrschaft im mitteleuropäischen Raum, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 10 (1986), 251-274, hier: 260ff; Heinrich

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Sicher markiert die Jahreszahl 1763 den Beginn des stärksten Schubes in der Meliorationsgeschichte Preußens, bereits vorher hatte es jedoch Verbesserungen gegeben. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges kann als Beginn gezielter Tätigkeit angesehen werden. Grundsätzlich war diese Zeit eher den Gutsherren günstig. Kurfürst Friedrich Wilhelm wollte sie für den Aufbau eines ständeunabhängigen (absolutistischen) brandenburgisch-preußischen Staatswesens gewinnen, bestätigte 1653 ihre Machtstellung auf dem Land und kam ihnen in der Rückforderung entlaufener Untertanen, im Zugeständnis "ungemessener" Frondienste und der Erhaltung der Leibeigenschaft, wo sie bereits bestand, sogar noch entgegen, so dass die seit dem 16. Jahrhundert errichtete Gutsherrschaft sich im Wiederaufbau noch konsolidierte.10 Dem standen Versuche gegenüber, dieser Entwicklung zu begegnen. Vorbild waren dafür die Niederlande. Der klevische Freiherr Jobst Gerhard von und zu Hertefeld hatte sich für die Anbindung Kleves an Brandenburg engagiert, wurde vom Kurfürsten nach Brandenburg geholt und mit der Würde des brandenburgischen Oberjägermeisters belohnt.11 Er erwarb 1650 das Havelbruch, ein Terrain nördlich von Oranienburg, und 1652 die benachbarte Herrschaft Liebenberg. Er legte das Havelbruch trocken, ließ Dämme gegen das Wasser errichten und gründete dort die Kolonie Neuholland. Dazu zog er seit 1659 Siedlerfamilien aus den Niederlanden und Kleve heran, um nach niederländischem Vorbild Milchwirtschaft zu betreiben.12 Obwohl von Hertefeld bezüglich seines Tuns das besondere Wohlwollen des Kurfürsten und der Kurfürstin Luise Henriette genoss, blieb er in seinem Vorhaben eine Ausnahme.

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Dies gilt auch für einen anderen "Niederländer" in Brandenburg. Fürst Johann Moritz von Nassau- Siegen, bis 1644 Generalgouverneur von Niederländisch-Brasilien, wurde 1652 auf Veranlassung des Kurfürsten Herrenmeister der Ballei Brandenburg des Johanniterordens und repräsentiert eine andere Spielart des Aufbaus.13 Die Trockenlegung der unteren Warthe stand noch nicht an. So leitete er den Wiederaufbau des Johanniterbesitzes, insbesondere des Ordensamtes Sonnenburg an der Warthe,

Kaak: Die Gutsherrschaft. Theoriegeschichtliche Untersuchungen zum ostelbischen Agrarwesen (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 79), Berlin 1991, 404; Enders: Die Uckermark (wie Anm. 8), 499ff. 10 Johannes Schultze: Die Mark Brandenburg, Bd. 5, Berlin 1969, 18f; Lieselott Enders: Die Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, Potsdam 2000, 667f; Melle Klinkenborg: Archiv der Brandenburgischen Provinzialverwaltung, Bd. 1, Berlin 1920, 452ff. 11 Jan Peters: Historische Einführung: Neuholland von den Anfängen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts, in: ders. / Hartmut Harnisch / Lieselott Enders: Märkische Bauerntagebücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Selbstzeugnisse von Milchviehbauern aus Neuholland (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam 23), Weimar 1989, 18-80, hier: 18f. 12 Peters: Historische Einführung (wie Anm. 11), 30. 13 Christa Kouschil: Johann Moritz von Nassau – sein Wirken als Herrenmeister der Johanniter-Ballei Brandenburg (1652-1679), [w:] Wojewódzka i Miesjska Biblioteka Publiczna w Gorzowie Wlkp., Joannici i ich mistrz Jan Maurycy von Nassau-Siegen (1604–1679), Gorzów Wielkopolski 2006, 127-150, hier: 129ff.

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Zum Begriff "Melioration"

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Hertefeld und Johann Moritz stehen für die zwei Wege, die geeignet waren, die agrarische Entwicklung zu korrigieren: a) Gewinnung neuer Terrains besonderer Qualität und Anwerbung von Neusiedlern, die ohne Gutsherrschaft wirtschaften sollten, b) Eindämmung gutsherrschaftlicher Entwicklungen durch Stärkung der Rechtssicherheit bei den alten Untertanen.

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Beide Wege standen im Gegensatz zur Entwicklung der Zeit, in der die Zahl der Lassiten – das heißt der Untertanen und Leibeigenen mit schlechtem Besitzrecht – stark anstieg und sich damit der Landbevölkerungsanteil, der von Schollenbindung, Frondiensten und Gesindezwangdienst betroffen war, deutlich ausweitete.15 Die genannten Maßnahmen kann man mit anderen Projekten als Meliorationen zusammenfassen.16 Darunter sind im engeren Sinne praktische Maßnahmen zur Erhöhung des landwirtschaftlichen Ertrages zu verstehen, und zwar: Be- und Entwässerung, Verbesserte Düngung, neue Anbaumethoden (Fruchtwechsel, Fruchtfolgen, tieferes Pflügen), neue Formen der Viehhaltung, neues landwirtschaftliches Gerät (Sämaschinen, Schwingpflüge), neue Nutztiere und Pflanzen (Merinoschafe, friesische Rinder, Gras- und Getreidearten), Aufforstungen, Errichtung von Knicksystemen,

14 Heinrich Kaak: Pläne agrarischer Innovation und das Ringen um ihre Realisierung in Preußen – der Johanniterorden auf seinen neumärkischen Ämtern 1750 bis 1811, im Druck. 15 Eine Bauernstelle, die unter diesem Recht vergeben wurde, bezeichnete man 1573 in der Uckermark zum ersten Mal als "Laßgut". Enders: Die Uckermark (wie Anm. 8), 188, 347f. 16 Zu Meliorationen siehe Stichwort "Verbesserung", in: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal- Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 47, Leipzig / Halle 1746, Sp. 145-151, darin: "Meliorationes", Sp. 147-151. Vgl. auch Stichwort "Land=Gut", in: Johann Georg Krünitz: Oeconomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats= Stadt= Haus= u. Landwirthschaft in alphabetischer Ordnung, hier: Bd. 59, Berlin 1793, 464-775, darin: "Verbesserung der Landgüter", 729-748. Siehe auch die Stichworte "Bruch", in: ebd., Bd. 7, 7-13, "Sumpf", in: ebd., Bd. 178, 393-403, und "Urbarmachung", in: ebd., Bd. 200, 353-371.

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Das Vorbild Niederlande in der Zeit Friedrich Wilhelms I. in Preußen

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Auf Grund der lokalen Erfolge Jobst Gerhards von und zu Hertefeld bei der Trockenlegung und Kultivierung an der Havel erhielt sein Neffe Samuel von und zu Hertefeld von König Friedrich Wilhelm I. in Preußen den Auftrag, die Kultivierung des Havelländischen Luchs zu leiten, die von 1718 bis 1725 durchgeführt wurde. Auf diesem viel größeren Gebiet stellte von Hertefeld unter anderem persönlich die Strömungsverhältnisse fest und ließ danach Abflüsse einrichten sowie Gräben ziehen und Dämme bauen.17 Der Urbarmachung des Havelländischen Luchs folgten in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. das Rhinluch und andere Feuchtgebiete.18

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Obwohl Friedrich Wilhelm I. sich sehr um Meliorationen bemühte und solche auf dem Domanium auch durchführen ließ (Besitzrecht, Egalisierungen), erreichte die Gutsherrschaft mit ihren Auswirkungen in seiner Regierungszeit ihre höchste Ausprägung. So wurde auf den Gütern der von Puttkamer, von Zitzewitz, von Massow und von Lettow-Vorbeck in Hinterpommern der Untertanenbesitz von 1628 bis 1717 halbiert und verharrte auf diesem Niveau, während der Gutsbesitz sich um 40 Prozent vermehrte.19

17 Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Band 5: Fünf Schlösser, Berlin 2005, 243. 18 Wolfgang Neugebauer: Brandenburg im absolutistischen Staat. Das 17. und 18. Jahrhundert, in: Ingo Materna / Wolfgang Ribbe (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, 291-394, hier: 353f. 19 Manfred Mecke: Bauerntum und Grossgrundbesitz im Kreis Rummelsburg in 6 Jahrhunderten, eine Untersuchung über die Grundbesitzverteilung, Berlin 1936, 60ff.

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Dem Schwund des Bauernbesitzes versuchten die Könige entgegen zu wirken. Stammte von Friedrich I. 1709 das erste königlich-preußische Edikt zur Wiedererrichtung "von wüsten und zerrissenen Bauer- Gütern",20 das auf den Schwund des Untertanenbesitzes reagierte, so konnten sich seit der Verordnung Friedrich Wilhelms I. von 1717 "wegen derer wüsten Huffen und Höfe"21 die lassitischen Domänenbauern ihres Besitzes wieder sicherer fühlen. Das königliche Verbot von 1739, durch Aufkaufen bewirtschafteter und durch Aneignung wüster Bauernhöfe die Amts- oder Gutswirtschaft zu vergrößern,22 zeugt davon, dass der König weiter für den Bauernschutz zu kämpfen hatte und jetzt gegen alle Inhaber der herrschaftlichen Rechte – vor allem den Adel – bei der Verhinderung des Bauernlegens vorging.

Maßnahmen und Meliorationsklima in der Zeit Friedrichs II. bis 1763

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Die Regierungszeit König Friedrichs II. von Preußen gliedert sich bekanntlich in die zwei Phasen des jungen Friedrich und des Alten Fritz. Der junge Friedrich konzentrierte sich zunächst auf die Außenpolitik (Erster und Zweiter Schlesischer Krieg). Doch bereits 1742 trat erstmals die Peuplierungs- und Agrarpolitik in den Vordergrund. Die schwere Hungersnot von 1743/44 legte die schwache Produktions- und Versorgungsstruktur in Preußen bloß. Wie schwierig trotzdem die Verbreitung neuer Nutzpflanzen war, zeigt der wenig erfolgreiche Versuch von 1745, den Kartoffelanbau zu verbreiten. Dabei wurden Kartoffeln in der Uckermark bereits seit 1740 von einzelnen Bauern im Garten für den eigenen Verbrauch gepflanzt.23 Die Akzeptanz der Kartoffel blieb in der Bevölkerung wegen schlechter Vermittlung ihres Nutzens lange Zeit so gering, dass in der "Circular-Ordre" vom 26. März 1756 ("Kartoffelbefehl") alle Beamten (Domänenpächter) angewiesen werden mussten, Kartoffeln anbauen zu lassen.24 Seitdem trat nicht nur auf den Domänen, sondern folgend auch auf dem Gebiet der Gutsherren ein Wandel ein. Aber erst die Missernten von 1771/1772 führten dazu, dass man den Anbau auf breiter Ebene aufnahm, jedoch immer noch maßgeblich für

20 22. November 1709: "Edict, von wüsten und zerrissenen Bauer-Gütern", in: Corpus Constitutionum Marchicarum, hg. von Christian Otto Mylius, 6 Bde., Berlin / Halle 1737-1755, hier: V. Th., III. Abt., II. Cap., No. XX, Sp. 359-362. 21 22. Juni 1717: "Verordnung, wegen derer wüsten Huffen und Höfe", in: Corpus Constitutionum Marchicarum, hier: V. Th., III. Abt., II. Cap., No. XXIV, Sp. 363f. 22 14. März 1739: "Verordnung, dass kein Landes-Vasall, er sey, wer er wolle, befugt seyn soll, einen Bauern eigenmächtig, ohne Raison und ohne den Hof sogleich wieder zu besetzen, aus dem Bauer=Hoff zu stossen", in: Corpus Constitutionum Marchicarum, 1. Continuatio, No. XII, Sp. 247f. 23 Enders: Die Uckermark (wie Anm. 8), 484f. 24 Werner Ordnung: Die Entwicklung des feldmäßigen Kartoffelanbaus in den Fürstentümern Bayreuth und Brandenburg, Bayreuth 2007, 22. Diese Anordnung wurde am 5. April 1757 bekräftigt. Vgl. Circulare an sämtliche Land= und Steuer=Räthe, Magistrate und Beamte …, in: Sammlung der in dem souverainen Herzogthum Schlesien und der demselben incorporirten Grafschaft Glatz in Finantz-, Justiz-, Criminal-, geistlichen, Consistorial-, Kirchen-Sachen etc publicirten Edicte, hg. von Andreas Martin Lipius, Bd. VI: 1755-1760, Breslau 1763, 675-681.

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Bis in den Siebenjährigen Krieg hinein stand die staatliche Tätigkeit bezüglich des ländlichen Raumes im Zeichen der Luch- und Bruchkultivierung und der Verankerung des Bauernschutzes. 1746 erließ Friedrich II. die Anweisung zur Kultivierung des pommerschen Oderbruchs, die bis 1751 durchgeführt wurde, und 1747 bis 1762 wurde das brandenburgische Oderbruch trocken gelegt und kultiviert.28

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Hierin zeigen sich zunächst dieselben Meliorationsmaßnahmen wie in der Regierungszeit seines Vaters. Dies waren die Erschließung und Besiedlung neuer Gebiete mit verbesserten ländlichen Existenzbedingungen, die Verbesserung der ländlichen Existenzbedingungen auch außerhalb der Kultivierungsgebiete durch Sicherung des Bauernbesitzes und Verminderung der Frondienste ("Hebung der ländlichen Verhältnisse").

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Im Unterschied zu den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts gab es keinen Rechtsanspruch der Untertanen und Leibeigenen auf Durchführung bestimmter Maßnahmen. Die Entscheidung lag bei den Inhabern der herrschaftlichen Rechte, die vom König selbst oder nachgeordneten Verwaltungsinstanzen allerdings gedrängt wurden und denen man Anreize bot. An Markgraf Karl von Brandenburg-Sonnenburg kann man diese Phase verdeutlichen. Er war Angehöriger der hohenzollernschen Dynastie, stand seinem Rang nach zwischen dem König und den normalen Gutsherren. Friedrich Wilhelm I. ordnete ihn diesen trotzdem zu.29 Mit seinen markgräflichen Ämtern Friedland, Quilitz und Rosenthal (ländliche Herrschaftsbezirke) am linken Rande des Oderbruchs sowie dem Johanniter-Ordensamt Grüneberg (ebenfalls ländlicher Herrschaftsbezirk) an seinem

25 Enders: Die Uckermark (wie Anm. 8), 585. 26 BLHA Potsdam, Rep. 37, Neuhardenberg 344: Acta betr: den Getreyde-Verkehr in den Quilitzer Güthern und die Nachrichten darvon 1786, fol. 2. 27 Enders: Die Uckermark (wie Anm. 8), 588f. 28 Hans Branig: Geschichte Pommerns, Teil II: Von 1648 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bearb. und hg. von Werner Buchholz, Köln / Weimar / Wien 2000, 107f; Gottfried Wentz: Geschichte des Oderbruches (Die Entstehung des hydrographischen und topographischen Bildes der Bruchlandschaft in historischer Zeit), in: Peter Fritz Mengel (Hg.): Das Oderbruch, Bd. 2, Eberswalde 1934, 109-238, hier: 109-135. 29 Udo Geiseler: "Daß ich nicht allein sein Vater, sondern auch sein König und Herr sey." – Die Beziehungen der Markgrafen von Brandenburg-Schwedt zu den Hohenzollernkönigen im 18. Jahrhundert, in: Peter Michael Hahn / Hellmut Lorenz (Hg.): Pracht und Herrlichkeit. Adlig-fürstliche Lebensstile im 17. und 18. Jahrhundert (= Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches 5), Potsdam 1998, 45-93, hier: 58.

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1747 setzte Friedrich II. fest, dass Adlige den König zu informieren hatten, bevor sie Güter verkauften. Damit sollte einer Veräußerung an Bürgerliche vorgebeugt und, wie Friedrich II. beabsichtigte, die Position des Adels gestärkt werden.31 1749 hielt es Friedrich erneut für erforderlich, die Grundsätze des Bauernschutzes allgemein zu verkünden und ihnen auch außerhalb der Domänen, insbesondere auf den Besitzungen des Adels, "bey Ein Hundert Ducaten Strafe" Geltung zu verschaffen.32 Nach wie vor blieb es das Ziel, den Bauernstand als solchen in seiner Gesamtheit zu erhalten. Offenbar fühlten sich, wie aus der Verordnung von 1764 hervorgeht (auf die noch einzugehen sein wird), zu wenige Adlige verpflichtet, den Verordnungen Folge zu leisten.

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Die Erhaltung der Bauern und des Adels zugleich zu gewährleisten, war zentrales Ziel Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II.33 Beiden sozialen Gruppen kam nach ihren Vorstellungen eine wichtige Bedeutung im Staat zu – den einen als Steuerzahlern, Rekruten und Agrarproduzenten, den anderen als ländlicher Führungsschicht und Reservoir für den höheren Verwaltungsdienst sowie das

30 Rudolf Schmidt: Die Herrschaft Friedland. Nachrichten zur Geschichte von Alt- und Neufriedland, Gottesgabe, Carlsdorf, Kleinbarnim, Grube, Sietzing, Wuschewier, Lüdersdorf, Biesdorf, Gersdorf, Batzlow, Ringenwalde, Bollerdorf, Pritzhagen, Cunersdorf, Burgwall, Metzdorf, Horst, Wubrigsberg, Bad Freienwalde 1928, 30. 31 Enders: Die Prignitz (wie Anm. 10), 928; René Schiller: "Edelleute müssen Güther haben, Bürger müssen die Elle gebrauchen". Friederizianische Adelsschutzpolitik und die Folgen, in: Wolfgang Neugebauer (Hg.): Agrarische Verfassung und politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte Preußens 1700-1918, Berlin 1998, 257-286, hier: 261. Diese Politik hatte nicht den gewünschten Erfolg, da die Einschränkung den Wert der Güter verminderte. 32 12. August 1749: "Allgemeines Edict, dass keiner von Adel, noch andere Vasallen … sich unterstehen, in und bey ihren Güthern Bauer= und Kossäthen=Höfe eingehen zu lassen", in: Corpus Constitutionum Marchicarum, hg. von Christian Otto Mylius, Cont. 4, Berlin / Halle, Nummer LXXVI, Sp. 181f. 33 Gustavo Corni: Absolutistische Agrarpolitik und Agrargesellschaft in Preußen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 13 (1986), 285-313, hier: 296ff.

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Konkurrenz der Vorbilder Holland und England in der Zeit Friedrichs II. seit 1763

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Nach 1763 kam es trotz der Verwüstungen und Verluste des Siebenjährigen Krieges nicht noch einmal zu einem unkontrollierten Wiederaufbau wie nach dem Dreißigjährigen Krieg. Der Bauernschutz (Wiedereinrichtung und Sicherung der Bauernstellen nach dem Stand von 1756) wurde seit 1764 unter Androhung von Strafen (Bauernstelle 1000 Reichstaler, Kossätenstelle 400 Reichstaler) wirksamer durchgesetzt.37 Angesichts seiner Bemühungen, den Staat "wiederum in florisanten

34 Otto Büsch: Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713–1807. Die Anfänge der sozialen Militarisierung der preußisch-deutschen Gesellschaft, Berlin 1962, 10ff., 77ff. 35 Georg von Below: Der Osten und der Westen Deutschlands. Der Ursprung der Gutsherrschaft, in: ders.: Territorium und Stadt, Leipzig 1900, 26-29. Allein 11.500 große Adelsgüter gab es im preußischen Ostelbien. Vgl. Robert M. Berdahl: The Politics of the Prussian Nobility. The Developement of a Conservative Ideology 1770- 1848, Princeton 1988, 21f. 36 Ernst Münch: Zwischen Untertänigkeit und Freiheit – die Bevölkerung auf dem Lande, in: Johannes Erichsen (Hg.): 1000 Jahre Mecklenburg. Geschichte und Kunst einer europäischen Region. Landesausstellung Mecklenburg-Vorpommern 1995, Rostock 1995, 104-112, besonders 110f. 37 12. Juli 1764: "Edict wegen Bebauung und Besetzung der wüste gewordenen und zu den Vorwerckern eingezogenen Höfe und Aecker des platten Landes", in: Novum Corpus Constitutionum Prussico- Brandenburgensium Praecipue Marchicarum, Bd. 3, No. 42, Sp. 449f. Zur Bedeutung dieses Ediktes siehe bereits Theodor Freiherr von der Goltz: Geschichte der deutschen Landwirtschaft, 2 Bde., Stuttgart 1902, hier: Bd. 1,

Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de Zustand zu setzen", vernehme er, so Friedrich II. in dieser Verordnung,

"mit vielem Misfallen, dass einige Grundherrschaften sich Unsern heilsamen Absichten wenig oder gar nicht accomodiret, vielmehr von denen Gelegenheiten des Krieges und dem Ruin derer wüste gewordenen Bauer=Güther, nach wie vor, zu profitiren, und solche, ihres grösseren Gewinstes wegen, zur Herrschaftlichen Cultur zu ziehen gesuchet."38

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Zugleich äußerte der König den Wunsch, dass junge verständige und intelligente Leute nach England reisen sollten, um von der dortigen Gutswirtschaft und ihren Produktionserfolgen zu lernen.39 Beide Initiativen kreuzten sich in ihrer Wirkung. War es das Ziel der Verordnung von 1764, den Bauern- und Kossätenbesitz wieder erstarken zu lassen, bestärkten gerade die Reisen nach England die Angehörigen des Adels, in der Ausweitung der Gutswirtschaften ihr Ziel zu sehen. Der englische Adelsbesitz, wie er sich zu dieser Zeit in einer hochproduktiven großflächigen Form präsentierte, beruhte indes maßgeblich auf der Vertreibung großer Anteile der Landbevölkerung (Enclosure- Bewegung).40 Dergleichen war durch den königlichen Willen in Preußen ausgeschlossen. Es blieb als Kompromiss die kleinere Variante: Bereits 1765 kam es auf dem Gut Britz des Grafen Ewald Friedrich von Hertzberg zu ersten Versuchen der Separation und Einführung der Englischen Landwirtschaft.41

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Die Separation von Guts- und Bauernland bedeutete, die herrschaftlichen Anteile der dörflichen Fluren (im Durchschnitt 40 % der Flächen) aus der Gemengelage mit den Bauern- und Kossätenhufen herauszulösen, zusammenzufassen und in großen Schlägen zu bewirtschaften. Die Separation bildete die Voraussetzung, um in Überwindung der Dreifeldwirtschaft intensiver Ackerbau zu betreiben. Friedrich Paul von Kameke (1711-1769, ab 1740 Graf von Kameke) brachte von seiner zweiten

421. 38 Novum Corpus Constitutionum (wie Anm. 37), Bd. 3, No. 42, Sp. 449. 39 Hans-Heinrich Müller: Christopher Brown – An English Farmer in Brandenburg- in the Eighteenth Century, in: Agricultural History Review 17 (1969), 120-135, hier: 122. 40 Nach Michael Kopsidis: Agrarentwicklung. Historische Agrarrevolutionen und Entwicklungsökonomie (= Grundzüge der modernen Wirtschaftsgeschichte 6), Stuttgart 2006, 244: "Es war dann auch die seit Ende des 17. Jahrhunderts veränderte Pacht- und Landpolitik der vornehmlich adligen [englischen] Großeigentümer, die zum Niedergang der Bauernschaft führte." Es "setzten sich seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zusehends einjährige Pachten durch", 246: "Bei den zusehends alles dominierenden männlichen Lohnarbeitern ließen sich bei größeren Betriebseinheiten Spezialisierungsgewinne durch Arbeitsteilung realisieren.", 256: "Die produktionsbezogenen Auswirkungen von Einhegungen hingen in erheblichem Maße von den agrarräumlichen

'natürlichen ' Gegebenheiten ab. Diese entschieden über Ertragswirksamkeit von Innovation wie zum Beispiel der Fruchtwechselwirtschaft, deren Verbreitung tatsächlich von Einhegungen gefördert wurde." Schließt man weitere Erwägungen von Kopsidis ein, waren die Adelsbetriebe jedoch nicht ganz so erfolgreich, wie es sich in der zeitgenössischen Publizistik darstellt. Zugleich beseitigte die neue Entwicklung "keine an sich ineffiziente Wirtschaftsweise" der Bauern (260). Friedrich II. hätte demnach, aus politischen Gründen die Bauern schützend, eine auch wirtschaftlich sinnvolle Tendenz verteidigt. 41 Junker, Land und Leute. Landwirtschaft in Brandenburg – das Beispiel Britz, hg. vom Neuköllner Kulturverein in Zusammenarbeit mit dem Heimatverein Neukölln, Berlin 1985, 35 (Britz, heute südliches Berlin).

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Diese Separationen erwiesen sich jedoch insgesamt als voller Erfolg. Sie entwickelten sich nachgerade im Selbstlauf und dürfen nicht mit den Separationen der Untertanen voneinander (Gemeinheitsteilungen) verwechselt werden, die meist erst Jahrzehnte später erfolgten. 1774 waren bereits 365 dörfliche Fluren geteilt. Neben Ewald Friedrich von Hertzberg griff eine Reihe königsnaher Gutsherren wie Hans-Joachim von Zieten in Wustrau 177144 oder Joachim Bernhard von Prittwitz in Alt-Quilitz 1771/7245 die Anregungen bereitwillig auf, zumal eine aus der Gemengelage mit den Untertanenparzellen heraus gelöste Gutswirtschaft ihren Wert in der Regel enorm steigerte. Zu den späten Separationen gehörte Groß Behnitz, weil man dort erst in den 1790er Jahren in Peter Alexander von Itzenplitz einen volljährigen Gutsherrn hatte, der dann zusammen mit seiner Frau Henriette Charlotte das Behnitzer Agrarwesen umso schneller modernisierte.46

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Je nach Klima und Bodenverhältnissen wurden seit den 1760er Jahren Konzepte aus der Kentischen oder Norfolker Wirtschaft für Preußen entwickelt. Dies waren vier- bis neunfeldrige Abfolgen der Fruchtwechselwirtschaft. Die Englische Landwirtschaft war für den Großanbau gedacht, so dass die Untertanen nur Anregungen für die Entwicklung zur verbesserten Dreifelderwirtschaft gewinnen konnten. Durch begleitende Maßnahmen wie die Entwässerung, die Verbesserung der Weidestruktur u. ä. kam man der Ausgewogenheit zwischen Ackerbau und Viehhaltung näher.47 Diese

42 Müller: Christopher Brown (wie Anm. 39), 124. 43 Müller: Christopher Brown (wie Anm. 39), 128. 44 Carl Brinkmann: Wustrau. Wirtschafts- und Verfassungsgeschichte eines brandenburgischen Rittergutes, Leipzig 1911, 96. 45 Kaak: Eigenwillige Bauern, Ehrgeizige Amtmänner, distanzierte fürstliche Dorfherren. Vermittelte Herrschaft im brandenburgischen Alt-Quilitz im 17. und 18. Jahrhundert (= Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 58), Berlin 2010, 276f. 46 Heide Inhetveen / Heinrich Kaak: Einleitung, in: dies. (Hg.): Die landwirtschaftlichen Briefe des Ehepaars von Itzenplitz an Albrecht Daniel Thaer, im Druck. 47 Müller: Märkische Landwirtschaft, 131ff. Nach Müller ist festzustellen, "dass auf den märkischen Ämtern der Ackerbau seit etwa 1770 in völliger Umwälzung begriffen" war. Zeitlich versetzt, habe sich auf den Rittergütern ein entsprechender Umschwung vollzogen. 122ff.

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wurden in dieser Entwicklung nicht 'mitgenommen '. Von Hertzberg, von Zieten und von Prittwitz beließen ihre Bauern in der kollektiven Landwirtschaft mit Frondiensten. Von Prittwitz benachteiligte seine Untertanen nachweislich bei der Separation.48

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Die Separationen zogen auf vielen Gütern den Übergang zu anderen Meliorationen nach sich, unverzichtbar damit verbunden war die Vermessung der Fluren. Da die Separationen und Vermessungen Geld kosteten, kam es in der Folge verschiedentlich zur Vergabe von erb- und eigentümlichen Besitz an Untertanen und zur Umwandlung von Frondiensten in Dienstgeld, wie dies bei Joachim Bernhard von Prittwitz und seinen Quappendorfer Untertanen 1771 der Fall war.49 Die Tendenz, die Untertanen zurückzulassen, ist typisch für diese Gutsherrengeneration, die sich zwar Innovationen öffnete, aber selten reformerisch dachte. Sowohl von Zieten als auch von Prittwitz erhielten aber vom König Gnadengeschenke ("Douceur-Gelder"), die ihnen jeweils halfen, bestimmte Maßnahmen durchzuführen, ohne die Untertanen zu beeinträchtigen.50

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Die Urbarmachung des Netze- und Warthebruchs und die Kostenverteilung wurden autoritär vom König durchgesetzt, die Anrainer hatten jedoch durch Zugewinn von Land langfristige Vorteile zu erwarten. Während mit großzügigen Hilfen des Staates der Wiederaufbau des stark durch den Siebenjährigen Krieg geschädigten neumärkischen Adelsbesitzes erfolgte,51 versuchten sich die adligen Anrainer der Warthe den Kosten der Urbarmachung zu entziehen. Eine Tilgung der Kosten war nicht vorgesehen, aber doch eine Zinszahlung. Hauptargument der adligen Anrainer dagegen war, dass sie fünf Prozent Zinsen für die Bewallungskosten der Warthe in ihren Abschnitten aufbringen sollten, während ihre englischen Standesgenossen bei Krediten nur zwei Prozent zu zahlen hätten.52

48 Kaak: Eigenwillige Bauern (wie Anm. 45), 277f. und 282. 49 Heinrich Kaak: Vermittelte, selbsttätige und maternale Herrschaft. Formen gutsherrlicher Durchsetzung, Behauptung und Gestaltung in Quilitz/Friedland (Lebus/Oberbarnim), in: Jan Peters (Hg.): Konflikt und Kontrolle in Gutsherrschaftsgesellschaften. Über Resistenz- und Herrschaftsverhalten in ländlichen Sozialgebilden der Frühen Neuzeit (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 120), Göttingen 1995, 54-117, hier: 272f. 50 Brinkmann: Wustrau (wie Anm. 44), 100. 51 Zu den Kriegsschäden des neumärkischen Adels vgl. Frank Göse: Zur Geschichte des neumärkischen Adels im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zum Problem des ständischen Regionalismus, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte, Neue Folge 7 (1997), 2-47, hier: 19, 25. Zum Wiederaufbau Herbert Moegelin: Das Rétablissement des adligen Gutsbesitzes in der Neumark durch Friedrich den Großen, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 46 (1934), 28-69 und 23-274, hier: 249. Siehe auch Stichwort "Land=Guth", in: Krünitz: Oeconomische Encyklopädie (wie Anm. 16), Th. 59, 464-775, hier: 521: "Heut zu Tage werden, besonders in den preußischen Staten, die begüterten Edelleute deswegen mit vielen Freyheiten begünstigt, damit sie sich mehr auf ihren Gütern aufhalten, und mit der Land=Wirthschaft beschäftigen." Über Melioration des Landgutes ebd. 729f.: "Die Verbesserung, oder Melioration, ist eine neue Einrichtung, wodurch das Gut besser, als zuvor, genutzt wird, dass entweder mehr eingenommen, oder weniger ausgegeben, und dadurch der jährliche bare Ueberschuß beträchtlicher wird, als vorhin." 52 GStA PK, II. HA, Abt. 13, Gen.-Dir. Neumark, Materien, Netz- und Warthebruch-Interessenten wegen

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Waren Separation und Einführung von Formen der Englischen Wirtschaft seit den 1760er Jahren sowohl auf den Domänen als auch auf den Adelsgütern erfolgt – wobei die Domänen durchaus voran gingen54 –, arbeiteten die Domänen auf dem vom König vorgegebenen Weg weiter, agrartechnische Meliorationen durchzuführen, ohne die sozialen Belange zu vernachlässigen. Zum Programm gehörten Parzellierungen, Ersetzung von Frondiensten durch Dienstgeld, Egalisierungen und Verbesserungen des Untertanenbesitzrechtes.55 Der Bauernschutz auf den Domänen gewann ein solches Vertrauen, dass er teilweise zum Desinteresse der Domänenbauern an einer Verbesserung des Besitzrechtes führte, da damit auch höhere Kosten verbunden waren. Gehemmt wurden Verbesserungen gelegentlich auch dadurch, dass die Dörfer in sich nicht gleich waren und Egalisierungen von den besser gestellten Bauern verhindert wurden.56 Im späten 18. Jahrhundert ist die allgemeine Tendenz deutlich, dass die Großbetriebe auf den Domänen kleiner und die Großbetriebe auf den Gutsherrschaften größer wurden. Die Rechtssituation der Bauern entwickelte sich auf den Domänen besser als auf den Gutsherrschaften.

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Bei den Johannitern finden sich beide Muster – der Domänen und des Adelsbesitzes – wieder. Der Besitz der Ballei Brandenburg bestand aus Ordensämtern und Kommenden mit zusammen fast 90 Dörfern. Während die Ordensämter dem Herrenmeister der Ballei bzw. seiner Ordenskammer direkt unterstellt waren wie die Domänenämter dem König, hielten die Kommenden, die einzelnen adligen Johanniterrittern als Kommendatoren auf Lebenszeit übertragen wurden, Adelskurs im angedeuteten Sinne. Unter Friedrichs jüngstem Bruder Prinz August Ferdinand erbrachten die Ordensämter seit 1763 eine erhebliche Leistung im preußischen Meliorationsprogramm, insbesondere seit 1772 auf dem Ordensamt Sonnenburg bei der Kultivierung des Warthebruchs, wobei die dortigen Arbeiten finanziell maßgeblich vom Staat mitgetragen wurden.57

Wallunterhaltung Nr. 3, fol. 18f. Die Akte betrifft "die von dem p. v. Waldow, auf Königs- und Osterwalde immediate nachgesuchte Erlassung des Zinsbeitrages à 2 Prozent von dem zur Warthe Bezahlung verwandten Capital". 53 GStA PK, II. HA, Abt. 13, Gen.-Dir. Neumark, Materien, Netz- und Warthebruch-Interessenten wegen Wallunterhaltung Nr. 3, fol. 19. 54 Müller: Märkische Landwirtschaft (wie Anm. 47), 131. 55 Beispiel für Dienstgeld: Takashi Iida: Ruppiner Bauernleben 1648-1806. Sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen einer ländlichen Gegend Ostelbiens, Berlin 2008, 90f.; zur Egalisierung: 189-198; zur Verbesserung des Besitzrechtes: 101f. 56 Iida: Ruppiner Bauerleben (wie Anm. 55), 100f. und 198ff. 57 Otto Kaplick: Das Warthebruch. Eine deutsche Kulturlandschaft im Osten, Würzburg 1956, 9.

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Auch auf den Ordensämtern, die nicht oder weniger an der Urbarmachung beteiligt waren (Rampitz, Schenkendorf, Friedland, Collin), kam eine Reihe von Verbesserungen in den alten Dörfern zustande (Vermessungen, Separationen, Erbpachtvergaben, Dienstgeld, Feuerversicherung). Günstig für die Untertanen wirkte sich aus, dass die Hausbücher Johann Moritz von Nassau-Siegens die Struktur der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg erhalten hatten. Hierin dürfte auch der Grund zu suchen sein, dass die Amtsvorwerke vergleichsweise klein geblieben waren. Konnten im Oderbruch noch größere Zahlen an finanzkräftigen ausländischen Siedlern angesetzt werden, so verminderte sich diese Zahl im Netze- und Warthebruch. Die Siedlungsbemühungen Markgraf Karls von Brandenburg-Sonnenburg im Ordensamt Grüneberg im Oderbruch wurden bereits erwähnt. Im Warthebruch war das Ordensamt Sonnenburg für die Besiedlung mit günstigen Bedingungen von besonderer Bedeutung. Es konnte dort zunächst eine ganze Zahl größerer Kolonistenstellen besetzt werden, die im Umfang üblichen Vollbauernstellen glichen. Besonders die erste Koloniengeneration entwickelte den Charakter von Bauerndörfern.

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Hierin liegt die Leistung der Johanniter für den kombinierten Innovations- und Reformprozess. Die Johanniter lagen mit ihrem Anteil des Warthebruchs jedoch am Ende der Projektstrecke, mussten die Pläne mehrfach revidieren und sahen zum Schluss eine größere Zahl von Klein- und Kleinststellen für nicht zahlungsfähige "Einländer" vor, als ursprünglich geplant. Diese wurden zwar nicht als Gutsuntertanen, sondern als Kolonisten eingestuft, waren aber über den Gesindedienst hinaus zu Frondiensten verpflichtet. Es gab zwar keine Schollenbindung; der preußische Staat beanspruchte, wie aus Fällen einzelner Fluchten aus dem Oderbruch und Warthebruch nach Ungarn hervorgeht, jedoch eine Art von Verfügungsrecht auch über die großen Kolonisten. Ihre Freizügigkeit sollte nämlich auf den preußischen Staat beschränkt sein. Wenn eine Kolonistenfamilie ihre Stelle zwecks Umsiedlung verkaufte, wurde das Geld einbehalten, bis sie einen neuen Siedlungsplatz in Preußen nachwies.58 Die Vergabe von Ordensterrains als Entreprisen an Privatleute zur Aufsiedlung führte zum Teil zu armseligen Existenzverhältnissen.59

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Der Adel hatte an folgenden Stellen Einfluss auf die Ordensentwicklung: Vor allem waren die Ordensritter sämtlich adliger Herkunft. Das zentrale Entscheidungsgremium der Ballei, das Generalkapitel, wurde von den Kommendatoren gebildet, die sich aus den Ordensrittern rekrutierten. Im Generalkapitel ging es daher vor allem um Adelsbelange. Schon bevor klar war, dass man mit 40.000 Morgen große Flächen zu erwarten hatte, machte man sich Gedanken über zusätzliche Adelsexistenzen auf Ordensland. Resultat der Überlegungen war, dass das Generalkapitel beschloss, zwei Kommenden zu teilen, um ihre Gesamtzahl auf acht zu vergrößern. Diese Teilung wurde 1768

58 Kaak: Pläne agrarischer Innovation (wie Anm. 14). 59 Kaak: Pläne agrarischer Innovation (wie Anm. 14).

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1771 wurde der Kommendator von Schivelbein Leopold Alexander Reichsgraf von Wartensleben von der neumärkischen Kammer aufgefordert, auf seiner Kommende die Separation durchzuführen. Er hatte offenbar abgewartet, was geschehen würde. Als er versuchte, den Herrenmeister und das Ordenskapitel finanziell vor seinen Karren zu spannen, handelte er sich eine Abfuhr ein, so dass er die Separation – wie eigentlich üblich – aus der nicht unbeträchtlichen Pacht der Kommende zu bestreiten hatte und nicht auf Hilfe aus den Einkünften der Ordenskammer hoffen konnte. Dies war so deutlich, dass Friedrich Wilhelm von Pannwitz, ebenfalls neumärkischer Kommendator, in Lagow dergleichen überhaupt nicht mehr versuchte, sondern gleich aus eigener Initiative die Separation durchführte.61

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Die Meliorationen, besonders die Urbarmachung, wurden von den Kommendatoren in erster Linie danach betrachtet, dass den Kommenden keine finanziellen Belastungen entstanden. Die Kommenden waren de facto Adelsbesitzungen, die – weil nicht erblich –, was Innovationen angeht, eher vernachlässigt wurden. Dies zeigte sich bei Übergaben von Kommenden.62 Auch auf diesen Herrschaftsbezirken sicherten die Hausbücher den Bauern- und Kossätenbesitz, auch hier waren sehr zahlreiche Lehnschulzenstellen erhalten geblieben. Hier musste vor allem für wesentliche Veränderungen die Genehmigung der Ordensführung eingeholt werden.63 Trotz dieser aus Sicht der Kommendatoren störenden Einschränkungen war die Übernahme einer Kommende für einen Adligen von größtem materiellen Interesse.

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Die Urbarmachung verhieß viel neues Land, die Angehörigen des Kapitels machten sich jedoch keine Gedanken darüber, wie die von König und Herrenmeister betriebene Ansiedlung von Kolonisten zu fördern sei, sondern waren daran interessiert, wie viele Kommenden aus dem urbar gemachten Land gemacht werden könnten, um Existenzstellen für den Adel zu schaffen. 1772 unterbreiteten die Kommendatoren dem König gemeinsam eine Eingabe, bei der Aufteilung der urbar gemachten

60 Kaak: Pläne agrarischer Innovation (wie Anm. 14). 61 Heinrich Kaak: Fortschrittliche Landwirte? Adlige Innovationsbestrebungen in Brandenburg zwischen Landesherrschaft und Untertanen 1763 bis 1807, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 59 (2011), 12-34, hier: 24f. 62 Johann Christoph Beckmann: Beschreibung des Ritterlichen Johanniter=Orden und dessen absonderlicher Beschaffenheit im Herren=Meisterthum in der Marck/ Sachsen/ Pommern und Wendland samt vorhergehenden General-Reflexionen über die Ritterlichen Creutz=Orden …, Frankfurt a. d. Oder 1726, 27: "Commendatores und Commenthureyen: Der Herrn=Meister und commendatores sollen die Häuser in baulichen Würden unterhalten auch nach ihrem Absterben ohne alle Schmelerung, Beschwerung und Schuld hinter sich verlassen, auch dieselbe und andere Ordens=Güther nicht verkauffen, verpfänden oder sonst veräussern. Capitul-Schluß vom 14. Januarii 1550. Item vom 21. Martii 1610. §. 1." 63 Siehe die Wiedergabe des Verfahrens wegen Schivelbein 1779. BLHA, Rep. 9 B, Johanniterorden 540, Nr. 42.

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1778 legte Carl Wilhelm Reichsgraf Finck von Finckenstein, seit 1776 Kommendator von Schivelbein, dem Herrenmeister ein Konzept vor, nach dem dort die Leibeigenschaft abgeschafft, die Vorwerke parzelliert und erb- und eigentümlicher Besitz erteilt werden sollte. Auch jetzt war es ein königsnaher Adliger, zugleich Minister, der offensichtlich aus Prestigegründen dieses Konzept vorlegte. Enthalten ist darin, nebenbei bemerkt, einer der klarsten zeitgenössischen Begründungen, warum die traditionellen gutsherrschaftlichen Verhältnisse für Untertanen und Herrschaft zum Nachteil waren.65 Der Kommendator legte sogar eine Kostenschätzung vor. Das Projekt fand im Generalkapitel indes keine finanzielle Unterstützung und verschwand daraufhin in der Versenkung. Die Kommende kehrte zur Veränderung in kleinen Schritten zurück. Die große Zahl der Vorwerke verringerte sich in der Folgezeit nicht, sondern stieg bis 1809 noch an.66

Das Tauziehen um die Vorwerks- und Koloniegründungen seit 1763

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Der Gesamtprozess der Vorwerks- und Koloniegründungen ist ein vielfach verschlungener Vorgang, es gab nicht die Vorwerksgründer einerseits und die Koloniegründer andererseits. Am Beispiel des hinterpommerschen Kreises Rummelsburg, der von der Natur wenig begünstigt war, lässt sich zunächst einmal feststellen, dass die Zahl der dort errichteten Vorwerke von neun (1717) auf 120 (1782) Anlagen stieg. Aus königlicher Sicht schlug positiv zu Buche, dass dabei sehr viel Land urbar gemacht oder wieder in Betrieb genommen wurde – und dies ohne Beeinträchtigung des Untertanenlandes. Im Gegenteil vermehrte sich die Zahl der Bauernstellen im Vergleich zu 1756 um fast zehn und die der Kossäten um über 33 Prozent. Die Einführung der englischen Wirtschaft, neuer Nutzpflanzen usw. konzentrierte sich jedoch sehr stark auf die Adelsvorwerke und kam in erster Linie den Adelsfamilien des Kreises von Puttkamer, von Zitzewitz, von Massow und von Lettow-Vorbeck

64 BLHA, Rep. 9 B, Johanniterorden 5791, o. P. 65 BLHA, Rep. 9 B, Johanniterorden 540, Nr. 42. Zur Einschätzung der traditionellen Verhältnisse Nr. 47: "Die Laß=Bauern bekümmern sich nicht um den Bau und die Erhaltung ihrer Höfe, weilen sie ihnen nicht eigenthümlich gehören, sondern der Herrschaft; Brodt= und Saat=Korn fehlet ihnen wegen schlechter Bestellung ihres Ackers fast järlich, weil sie von der Herrschaft solches gewärtigen können. Die Conservation ihres Viehes ist ihnen gleichgültig, weilen die Herrschaft den Abgang ihnen wieder ersezzen muß, wenn sie Dienste thun sollen. Aus dieser Ursache sind auch die häufigen Dienste derselben desto schlechter und beschwerlicher, und sie gerathen dabey von Zeit zu Zeit immer in schlechtere Umstände. Hiergegen wenn die Laß=Güther in Erb=Güther verwandelt und die beschwerlichen Dienste gröstentheils auf ein gewisses järlich zu erlegendes Dienstgeld gerichtet werden, worzu der Unterthan willig und bereit ist, so sorget er selbst mit Freuden, für seine, seines Hofes, und seines Viehes Erhaltung, und laßet sich die Verbeßerung seines Zustandes ernstlich angelegen seyn, worzu er sodann die Zeit hat; die zum Dienst bißher ernährte Mäuler kann er sodann entübriget seyn, und das järliche Dienst=Geld leicht erwerben, und willig seiner Herrschaft zahlen." 66 BLHA, Rep. 9 B, Johanniterorden 541, Nr. 2: Vota der Kommendatoren. Bratring: Statistisch-topographische Beschreibung, 1351-1357.

Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de zugute. Da das Bauernland in seinem Gesamtbestand dabei nicht beeinträchtigt wurde, hatte der Bauernschutz von 1764 offenbar Erfolg. Auch die Gründung von Kolonien wurde dabei berücksichtigt. Der für Meliorationen aufgeschlossene Valentin Georg von Massow errichtete beispielsweise nach 1763 in Rummelsburg die Kolonie Georgendorf unter Ansetzung von Erbpächtern und gründete eine Parchentfabrik. All dies ist jedoch vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die genannten Rummelsburger Adelsfamilien allein von 1772 bis 1777 zusammen enorme 76.550 Reichstaler als Gnadengelder erhielten.67 Man darf wohl vermuten, dass hier wenigstens ein indirekter Zusammenhang bestand, und die Überlegung daran anschließen, dass diese Gelder als Agrarsubventionen auch zum Schutz der Bauern flossen.

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In den 1770er Jahren erfolgte die dritte große Kultivierungsphase, die von den Maßnahmen im Dosse- und Glintzbruch in der Prignitz bis zum Großunternehmen an Netze und Warthe reichte. In dieses Großprojekt waren die Netze- und Warthe-Anrainer, auch die Gutsherren, ob sie wollten oder nicht, eingebunden. Denn die Arbeiten begannen flussaufwärts, und wer sich unten nicht eingefügt hätte, hätte die Nachteile der Projektarbeiten zu spüren bekommen.

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Im Johanniterorden drängten neben den Ordensrittern auch die Pächter der Kommenden und Ordensämter auf die Errichtung von Großbetrieben, hatten sie doch ihre Einkünfte vor allem aus den Erträgen der Kommenden- und Amtsvorwerke zu gewinnen. Zunächst wehrten sich Herrenmeister und Ordenskammer gegen diese Entwicklung. Im Ordensamt Sonnenburg entstanden dann aber auf Urbarmachungsland 1774, 1779 und 1792 drei neue Ordensvorwerke, nachdem man gesehen hatte, dass nicht genügend Bewerber für große Kolonistenstellen kamen. Diese Ordensvorwerke waren zusammen deutlich größer als die vier alten Vorwerke. Da sie auf Neuland entstanden, gab es keine "Weitläuftigkeiten" wegen notwendiger Separationen. Einzelne Vorwerke entstanden auch als Entreprisen, also im Besitz privater Unternehmer. Wenn man im Orden nicht auf den Gedanken gekommen wäre, auf Basis der feudalherrlichen Stellung arme Bewerber anzusetzen, die als "dienende" Kolonisten Arbeit auf den Ordensvorwerken, also quasi Frondienste, leisten mussten,68 hätte man hier bereits große auf Lohnarbeit basierende kapitalistische Gutsbetriebe vor sich, wie sie dann im 19. Jahrhundert entstehen sollten.

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Eine der letzten Maßnahmen Friedrichs II. zur Hebung der ländlichen Verhältnisse war 1784 die Anordnung zur Errichtung von Urbarien in Schlesien. Eine unbekannte Zahl dieser lokalen Register der Pflichten von Herrschaft und Untertanen kam zustande. In unterschiedlicher Ausführlichkeit findet man sie bald in den verschiedensten Teilen des ostelbischen Preußens. Sinn dieser Initiative war die

67 Kaak: Die Gutsherrschaft (wie Anm. 9), 174-177. Siehe auch Mecke: Bauerntum, 57-62, 104, 311. 68 BLHA, Rep. 9 B, Johanniterorden 2495, Nr. 23, 32, 44 und 52.

Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung (CC-BY-NC-ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de notwendige Erhöhung der Rechtssicherheit in vielen Dörfern, denn die Formen des Besitzrechtes, die Frondienste, die Abgaben und andere Regelungen standen vielerorts nicht ausreichend präzise fest. Zu den ersten Gutsherren gehörten 1786 Graf Anton Luis von Zierotin Freiherr von Lilgenau, der ein Urbarium für Gollschau in Schlesien, Ludwig Casimir von und zu Hertefeld, der ein Urbarium für Liebenberg im Land Löwenberg, und Joachim Bernhard von Prittwitz, der eine solche Urkunde für Alt- Quilitz in Lebus erstellen ließ. Friedrich Christian Ludwig Emil von Zieten tat dies für Wustrau 1793, Friedrich Joachim von Kleist für die Herrschaft Stavenow 1790 bis 1797.69 Sie zeigten damit ihre Bereitschaft, an der Rechtssicherheit auf dem Land mitzuarbeiten, wobei sie nicht zuletzt an die Sicherung der eigenen Rechte dachten.

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Mit den Urbarien schließt sich der Kreis der Maßnahmen, mit denen die Gutsherren gebremst wurden. Deren Dilemma umreißt William W. Hagen in seinen Untersuchungen zur Herrschaft Stavenow unter der Familie von Kleist, wo ein jahrzehntelanges Ringen um die Feudalrente in den 1780er Jahren aus herrschaftlicher Sicht "in embittered compromise" endete.70 In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war es Andreas Joachim von Kleist (Oberst, Gutsherr in Stavenow 1719-1738) gelungen, das Frondienstsystem zu vervollkommnen ("perfecting manorial service"). Darauf baute seine Witwe Maria Elisabeth von Hacke (Weiterführung der Herrschaft bis 1758) auf, die sehr kompetent wirtschaftete und auch sehr klug ihr Geld anlegte.71 Seit 1754 übte Joachim Friedrich von Kleist (Major, Gutsherr in Stavenow 1754/1758-1803) zunächst vier Jahre mit ihr zusammen und dann allein die Herrschaft in Stavenow aus. Dabei spielte die Versorgung unzähliger Geschwister eine große Rolle. Die Auseinandersetzung mit den Untertanen nahm nach dem Siebenjährigen Krieg wieder – und noch stärker – an Brisanz zu, es folgte ein mühseliger Kampf um die Feudalrente mit nur kleinen Erfolgen der Herrschaft. Die Konflikte verschärften sich, als Joachim Friedrich 1766 erhöhte Dienste für umfangreiche Abholzungen forderte. Mit dem Erlös sollten Schulden abgetragen werden.72 Es kam zu den auch anderswo vielfach bekannten Vorkommnissen wie herrschaftlicher Gewalt, Beschreitung des Rechtsweges durch die Untertanen, Niederlagen Kleists vor Gericht und in den 1770er Jahren zu

69 Gollschau: Paul Szyszka: Die Geschichte des Dorfes Gollschau, Kr. Strehlen, III. Teil, in: Gollschauer Chronik, 1937. Wustrau: Brinkmann: Wustrau (wie Anm. 44), 103. Stavenow: Joachim Sack: Die Herrschaft Stavenow, Graz 1959, 100. Quitzöbel: Lieselott Enders: Das bäuerliche Besitzrecht in der Mark Brandenburg, untersucht am Beispiel der Prignitz vom 13. bis 18. Jahrhundert, in: Jan Peters (Hg.): Gutsherrschaftsgesellschaften im europäischen Vergleich, Berlin 1997, 399-427, besonders 422. Alt-Quilitz: Kaak: Eigenwillige Bauern (wie Anm. 45), 293-300. Abbendorf/Haverland: Das Urbarium von Abbendorf und Haverland 1786 – Ein Beitrag zur bäuerlichen Rechtslage im 18. Jahrhundert, bearb. von Ulrich Wille, Goslar 1938. Beveringen: Lieselott Enders: Schulz und Gemeinde in der frühneuzeitlichen Mark Brandenburg, in: Thomas Rudert / Hartmut Zückert (Hg.): Gemeindeleben. Dörfer und kleine Städte im östlichen Deutschland (16. bis 18. Jahrhundert) (= Potsdamer Studien zur Geschichte der ländlichen Gesellschaft 1), Köln 2001, 101-140, hier: 127ff. Liebenberg: H. Kayser- Basdorf: Das Liebenberger Urbarium von 1786. Eine Urkunde über die Lage des märkischen Bauernstandes zur Zeit Friedrichs des Großen, in: Liebenberger Urbarium 1786, Textfragment ohne Ort und Jahr [1931]. Premslin: Sack: Stavenow (wie Anm. 69), 100. 70 William W. Hagen: Ordinary Prussians. Brandenburg Junkers and Villagers, 1500-1840, Cambridge 2002, 590. 71 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 526, 294. 72 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 541.

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Nachdem 1784 noch ein Streit um die Errichtung einer Küsterscheune im Frondienst entbrannt war,74

kam es durch staatlichen Druck zu einer 'Aussöhnung '. Seit etwa 1790 näherte man sich schließlich der Errichtung von Urbarien an, um sie bis 1797 für die einzelnen Dörfer Stavenows abzuschließen. Urbarien waren die präzise Fixierung des gutsherrlich-bäuerlichen Verhältnisses zum Zeitpunkt ihrer Errichtung.75 Sie erhöhten die Rechtssicherheit in den Dörfern, und Streitereien um die Dienste fielen danach weg. Damit entfiel freilich auch die Möglichkeit ihrer schleichenden Erhöhung. Betriebswirtschaftlicher Zuwachs der Gutsherrschaften war in einer Zeit sich entwickelnder Märkte und steigender Preise auf Frondienstbasis kaum noch möglich. Die Familie von Kleist verlegte sich wie andere innovative Gutsherren mithilfe fähiger bürgerlicher Beauftragter auf die eigenbetriebliche Lösung mit verbesserter struktureller Organisation, was um 1800 zur beträchtlichen Ausweitung der Erträge und zur Vervielfachung ihrer Einkommen gegenüber 1719 führte. Die Anzahl der Zugtiere wurde deutlich erhöht, der Gerätepark umfangreich ergänzt, die Einlieger- und Landarbeiterzahl erheblich vermehrt.76 Dies war um 1800 bereits im vollen Gang. All dieses geschah jedoch unter Respektierung des Untertanenbesitzes, auch die Gutsherrschaft war mit den Urbarien noch nicht abgeschafft. Diese Aufgabe blieb dem neuen Gutsherrn Otto Carl Friedrich Baron von Voss seit 1808.77

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Adel und Bauern wurden von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. als unabdingbare Stützen für das preußische Staatsystem eingestuft. Beide trugen neben ihren übrigen Aufgaben maßgeblich zur Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung bei, auch die Bauern waren dazu eigenständig in der Lage, wenn man die zu ihren Ungunsten in der frühen Neuzeit entstandenen rechtlichen Nachteile nicht gegen sie ausnutzte. Hier setzten die Maßnahmen der Könige ein. Entwicklungen wie in Mecklenburg und Vorpommern wurden von ihnen verhindert. In den 1790er Jahren versetzten die dortigen Gutsherren dem Bauernbesitz den Todesstoß, denn es gab dort keine Landesherren, die dem Bauernlegen wirksam hätten Einhalt gebieten können. In beiden Gebieten hörte der Bauernstand nahezu auf zu existieren. Bauern wurden zu leibeigenen Hoftagelöhnern degradiert und mussten ihre ehemaligen Äcker, die jetzt zur Gutswirtschaft gehörten, im Frondienst bestellen.78

73 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 575. 74 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 576. 75 Vgl. auch Kaak: Eigenwillige Bauern (wie Anm. 45), 299f. 76 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 600. 77 Hagen: Ordinary Prussians (wie Anm. 70), 627ff. 78 Münch: Zwischen Untertänigkeit und Freiheit (wie Anm. 36), 110f.

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Im ungleichen Konkurrenzkampf zwischen beiden – einer feudalabhängig vom anderen – wurden in Preußen die Chancen der Untertanen gestärkt, ohne wiederum die herrschaftliche Position zu gefährden. Dies spiegelte sich vor allem in der Landverteilung der dörflichen Fluren wider, wo der Vormarsch des Adelsvorwerks gebremst wurde. Die Bauernwirtschaften waren kein feudales Relikt, sondern bei gleichen rechtlichen Voraussetzungen ein agrarwirtschaftliches Segment von erheblicher Bedeutung – besonders angesichts der hohen Nachfrage. Die Staatsverwaltung, der Wolfgang Neugebauer für die Zeit nach 1800 Reformfeindlichkeit vorwirft, war maßgebliche Instanz, die Tendenzen wie in Mecklenburg und Vorpommern einzudämmen. Dort, wo der Bauern- und Kossätenbesitz nicht beeinträchtigt wurde, kam es auch zur Errichtung von Großbetrieben wie bei den Johannitern. Der Adel war zweifellos gutswirtschaftlich innovativ, dachte aber wenig reformerisch, wie das Sich-Festklammern an der Patrimonialgerichtsbarkeit und die Verhinderung einer Landgemeindeordnung zeigen.79 Der Bauernschutz bewirkte, dass die Bauernzahl in Preußen konstant blieb und regional leicht anstieg, er wurde jedoch teuer vom Staat erkauft. Mit Anordnungen und Angeboten im Domänenbereich und Subventionen im Adelsbereich für Meliorationen auf lokaler Ebene förderte der Staat die Bauern direkt und lenkte zudem den Blick des Adels von den Bauern- und Kossätenhufen weg auf freie Flächen, die man urbar machen konnte.

Reformer unter den Gutsherren – zugleich Ausblick in die nachfriderizianische Zeit

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Urbarien, Heirats- und ähnliche Urkunden mussten von den Untertanen unterschrieben werden. Die Signierungen – oder vielmehr die stattdessen vielfach zu findenden drei Kreuze – geben Hinweise auf die unzureichenden ländlichen Schulverhältnisse im ostelbischen Preußen zu Ende der Regierungszeit Friedrichs II.80 Das Schulwesen war offenbar, von Ausnahmen abgesehen, vor 1786 kein Feld allgemeinen engagierten Wirkens der Gutsherren. Im Grad der ländlichen Schulbildung liegt allerdings ein geeignetes Kriterium, um zu erkennen, wo Gutsherren, über reine Agrarinnovation hinausgehend, zu Reformern wurden.81 Friedrich Eberhard von Rochow (*1734 in Berlin; †1805 auf

79 Monika Wienfort: Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770-1848/49, Göttingen 2001, 86ff. Zum Hinausschieben einer Landgemeindeordnung im östlichen Preußen bis 1891 vgl. Thorsten Ingo Schmidt: Kommunale Kooperation: der Zweckverband als Nukleus des öffentlichen Gesellschaftsrechts, Tübingen 2005, 35-38. 80 Von 21 Alt-Quilitzer Vollbauern waren 1786 bei Unterschreiben des Urbariums vier signierfähig, von drei Halbbauern zwei, von elf Ganzkossäten einer, von 13 Halbkossäten drei, von 13 Großbüdnern sechs, von 13 Kleinbüdnern elf, von acht Neubüdnern fünf, von 82 Hausvorständen insgesamt 32, also nur ein gutes Drittel. BLHA, Pr. Br. Rep. 37, Neuhardenberg 60, fol. 144ff. Dies ist das Ergebnis aus einem ländlichen Zentralort (heute Neuhardenberg, größtes Dorf im Kreis Lebus), der mit Schloss, Kirche und mehreren Vorwerken ausgestattet war und wo es 1771 zwei Lehrpersonen gab. Die lassitischen Vollbauern waren kaum signierfähig, während unter den Büdnern, wo das Besitzrecht besser war, auch die Signierfähigkeit weiter verbreitet war. 81 Wolfgang Neugebauer: Die Schulreform des Junkers Marwitz. Reformbestrebungen im brandenburg- preußischen Landadel vor 1806, in: Peter Albrecht / Ernst Hinrichs (Hg.): Das niedere Schulwesen im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert (= Wolfenbütteler Studien zur Aufklärung 20), Tübingen 1995, 259-288, hier: 280f.

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Mit diesem Buch wuchs er in eine Position des Lehrers der Landbevölkerung hinein. Er reformierte das Schulwesen auf seinen Gütern im Geist des Philanthropismus und wurde auch darin zum Vorbild. Als Volks- und Jugendschriftsteller verfasste er 1776 den "Kinderfreund", der ihm auch als Schulbuch diente. 1791 wurde er erster Direktor der Märkischen Ökonomischen Gesellschaft zu Potsdam.83 Grundideen von ihm finden sich um 1800 in den preußischen Staatserziehungsplänen wieder.84 Für die Zeit nach dem Siebenjährigen Krieg nennt Wolfgang Neugebauer einzelne – meist reich begüterte – Adelsgeschlechter in den preußischen Provinzen, die begannen, sich der ländlichen Schulmisere konzeptionell und praktisch anzunehmen. Welche Breitenwirkung diese Bemühungen bereits in der Regierungszeit Friedrichs II. griffen, bleibt unbestimmt. Wenn Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der 1777 in Berlin geboren wurde, im Mittelpunkt der Betrachtung steht, weist dies über die Zeit Friedrichs II. hinaus.85

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Von der Marwitz hat selbst erwähnt, dass er seit 1802 "das meiste in der Landwirtschaft – ungefähr alles was ich nicht schon aus der Kindheit wusste, und nachher aus Erfahrung erwarb", von Helene Charlotte von Lestwitz, einer Gutsherrin "aus unserer Nachbarschaft", gelernt habe.86 Vielleicht gilt dies auch für seine pädagogischen Bemühungen. 1789 erbte diese Gutsherrin, besser bekannt als Frau von Friedland, die am und im Oderbruch gelegene Herrschaft Friedland in Oberbarnim. In ihrer

82 Ausgehend von der Beobachtung, dass selbst unmittelbar nach dem Dreißigjährigen Krieg die Bemühungen um die ländliche Schulbildung nicht abrissen, sieht Wolfgang Neugebauer die Situation offenbar günstiger. Für ihn war Rochow "nur der prominenteste Vertreter einer stillen, wenig beachteten Schulreformströmung auf adligem Grundbesitz, die sicherlich noch nicht die Schulwirklichkeit insgesamt revolutionierte …". Wolfgang Neugebauer: Das Bildungswesen in Preußen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Handbuch der preussischen Geschichte, hg. von Otto Büsch, Bd. 2: Das 19. Jahrhundert und Große Themen der Geschichte Preußens, Berlin / New York 1992, 605-798, hier: 661. 83 Anton Friedrich Büsching: Beschreibung seiner Reise von Berlin über Potsdam nach Rekahn bei Brandenburg, 2. Aufl., Frankfurt / Leipzig 1780, 88f., 95, 260; Wolfgang Roksch: Rochow, Friedrich Eberhard Frhr. v., Gutsbesitzer, Schulreformer, in: Friedrich Beck / Eckart Henning (Hg.): Brandenburgisches Biographisches Lexikon, Potsdam 2002, 332f. 84 Neugebauer: Absolutistischer Staat (wie Anm. 18), 30. 85 Neugebauer: Die Schulreform (wie Anm. 81), 269-273. 86 Friedrich August Ludwig von der Marwitz: Ein märkischer Edelmann im Zeitalter der Befreiungskriege, Bd. 1: Lebensbeschreibung, hg. von Friedrich Meusel, Berlin 1908, 203f.

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Für die Meliorationen nutzte Helene Charlotte von Lestwitz zunächst die Frondienstkontingente ihrer Untertanen und bestand aggressiv auf deren Leistung. Schrittweise verbesserte sie deren rechtliche Situation und das Schulwesen ihrer Herrschaft. "Sie verhalf den Schulhaltern zu einem reichlicheren Auskommen, indem sie, aus den Einkünften einer …eingezogenen Predigerstelle, den Gehalt der übrigen Prediger und der Schulhalter erhöhte. Aus eben diesem Fond verschaffte sie dem Konrektorate an der Stadtschule zu Wriezen eine ansehnliche Gehaltverbesserung, und der Schule daselbst mehrere Hülfsmittel des Unterrichts an Büchern, Karten und Instrumenten, wogegen sie sich eine Anzahl Freistellen bei derselben ausmachte …".88

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Den Lese- und Schreibkünsten auf den Gütern ist unbedingt die Fähigkeit von Bauern aus einem landesherrlichen Dorf ohne Einbindung in eine Amtswirtschaft gegenüber zu stellen. Ob in der Schule von Neuholland, nördlich von Berlin, ein besonders guter Unterricht erteilt wurde, lässt sich nicht rekonstruieren. Dass mehrere Hausvorstände dieses Dorfes aber ohne herrschaftliche Hilfe in der Lage waren, ganze Schreibebücher mit Angaben zum allgemeinen Leben und zu ihrer Wirtschaft zu verfassen, ist jedoch belegt.89 Diese Bücher sind ein guter Hinweis dafür, was aus Eigeninitiative von Bauern auf der Basis guten Besitzrechtes und guter wirtschaftlicher Lage entstehen konnte.90 Die Leute vom Land kümmerten sich selbst um ihre Belange, wenn man sie ließ und ihnen auch nur kleine finanzielle Spielräume zugestand.

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Takashi Iida bestätigt, dass man heute den Knappschen "Bildern aus dem Bauernleben"

87 Vgl. zu Frau von Friedland Kaak: Vermittelte Herrschaft (wie Anm. 49), 93f.; und Heide Inhetveen: Die Frauen von Friedland. Gutsbesitzerinnen, Pionierinnen des "rationellen Landbaus", in: dies. / Mathilde Schmitt (Hg.): Pionierinnen das Landbaus, Göttingen 2000, 53-57. 88 Rudolf Schmidt: Die Herrschaft Friedland. Nachrichten zur Geschichte von Alt- u. Neufriedland […], Bad Freienwalde 1928, 253f. Er gibt hier einen Artikel wieder, der anlässlich des frühen Todes von Helene Charlotte von Lestwitz in der "National=Zeitung der Teutschen" erschien. 89 Hartmut Harnisch: Das Schreibebuch Caließ, in: Jan Peters / Hartmut Harnisch / Lieselott Enders (Hg.): Märkische Bauerntagebücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Selbstzeugnisse von Milchviehbauern aus Neuholland (= Veröffentlichungen des Staatsarchivs Potsdam 23), Weimar 1989, 81-153, besonders der Quellentext 89-131. 90 Peters: Historische Einführung (wie Anm. 11), 80.

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Die eigentliche Reisewelle nach England fand auch erst unter den Nachfolgern Friedrichs II. statt. Einer der bekanntesten Reisenden war Peter Alexander von Itzenplitz, der mit seiner Frau Henriette Charlotte, geb. von Borcke, 1792/93 seine Hochzeitsreise nach England und in die Niederlande machte. Die beiden studierten aus eigenem Antrieb englische Landschaft und Landwirtschaft und tauschten sich mit berühmten britischen Agrarreformern aus, um die Erkenntnisse in Groß Behnitz im Havelland und seit 1804 in der Herrschaft Friedland in Oberbarnim praktisch – und aus Überzeugung sozial verträglich – umzusetzen.93

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Wolfgang Neugebauer stellt die These auf, dass die Gutsherren um 1800 fortschrittlicher gewesen seien als die Domänenverwaltung.94 Dem ist hinsichtlich ihrer reinen Innovationsbereitschaft zuzustimmen. Diese Bereitschaft bezog sich allerdings gezielt auf den Ausbau der Großbetriebe und der Einführung neuer Anbausysteme, neuen Geräts usw. Die Gutsherren hatten inzwischen von den Innovationen in England erfahren, wo übrigens zum Ausbau adliger Großbetriebe große Teile der Landbevölkerung vertrieben wurden (Enclosure-Bewegung) – und dies mit haarsträubenden Folgen für deren Existenz in den entstehenden Industrierevieren.95 Noch besser waren sie über die Entwicklung Mecklenburgs und Vorpommerns informiert, wo es die Agrarverfassung ebenfalls erlaubte, den Bauern ihre Höfe zu entziehen.96 Innovation ist eben noch keine Reform, und der Staat

91 Iida: Ruppiner Bauernleben (wie Anm. 55), 21. 92 Hans-Heinrich Müller: Die brandenburgische Landwirtschaft von 1800 bis 1914/18 im Überblick, in: Volker Klemm / Günther Darkow / Hans-Rudolf Bork (Hg.): Geschichte der Landwirtschaft in Brandenburg, Budapest 1998, 16-20. 93 Inhetveen / Kaak: Die landwirtschaftlichen Briefe (wie Anm. 46). 94 Wolfgang Neugebauer: Brandenburg-Preußen in der Frühen Neuzeit. Politik und Staatsbildung im 17. und 18. Jahrhundert, in: ders. / Frank Kleinehagenbrock (Hg.): Handbuch der preußischen Geschichte, Bd. 1, Berlin / New York 2009, 385-401, besonders 396. 95 Zur Enclosure-Bewegung siehe Kopsidis: Agrarentwicklung (wie Anm. 40). 96 Hartmut Zückert: Allmende und Allmendaufteilung: Vergleichende Studien zum Spätmittelalter bis zu den Agrarreformen des 18./19. Jahrhunderts, Stuttgart 2003, 136ff.

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Es gab überhaupt immer mehrere Möglichkeiten: Die Zeitpacht war nicht zwangsläufig eine Zwischenstufe für lassitische Bauern aus der Erbuntertänigkeit in die Freiheit mit erb- und eigentümlichen Besitz. Sie konnte sehr wohl auch den Übergang in die Besitzlosigkeit bedeuten.98 Der Bauernschutz galt vor allem den lassitischen Bauern, der Zeitpächter konnte man sich eher entledigen. Der Abbau eines Vorwerks und die Vergabe an Bauern war nicht unbedingt ein Schritt zur Verkleinerung der gutsherrlichen Flächen. Die Einkünfte aus einer solchen Maßnahme konnten dem Aufbau eines noch größeren Vorwerks auf einer anderen Stelle derselben Flur dienen. Im zugespitzten Fall geschah dies mit königlichen Geldern.

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Die Hauptstoßrichtung der Adligen bestand darin, ihre aus der Gemengelage ausgegliederten Großbetriebe auszubauen. Das war die logische Konsequenz der Separation, und man erfüllte damit eine wesentliche Forderung des Königs, größere Mengen an Getreide und Kartoffeln zu liefern. Wenn man sich über die Innovation der Gutsbetriebe hinaus engagieren sollte, suchte man nach finanzieller Beteiligung anderer, sei es des Staates, eines Ordens oder der Untertanen. Dies konnten Gnadengeschenke sein, mit denen Friedrich II. von Fall zu Fall das Stillhalten gegenüber den Bauern erkaufte oder Subventionen auf anderen Gebieten. Die Gutsherren waren, von Ausnahmen abgesehen, innovativ, und dies um 1800 in zunehmendem Maße, aber sie waren selten Reformer. Das Reformerische, nämlich den Bauern als Kern der ländlichen Gesellschaft die Chance zu geben, auf Basis wirtschaftlicher Selbstständigkeit etwas für die kommunale Entwicklung des platten Landes zu tun, blieb dem Staat bzw. den preußischen Königen überlassen. Unter Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. wurde der Bauernschutz daher aufrechterhalten, bis er im Zuge der Verbesserung des bäuerlichen Besitzrechtes während der Agrarreformen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine Bedeutung verlor.99

Autor:

PD Dr. Heinrich Kaak

97 Im Gegensatz zu Neugebauer: Brandenburg-Preußen (wie Anm. 94), 398. 98 Hartmut Harnisch: Die Herrschaft Boitzenburg. Untersuchungen zur Entwicklung der sozialökonomischen Struktur ländlicher Gebiete in der Mark Brandenburg vom 14. bis 19. Jahrhundert, Weimar 1968, 114f. und 145: "Damit herrschte in dieser Gegend die schlechteste Besitzform, die in der Mark Brandenburg zu finden ist." 99 Müller: Die brandenburgische Landwirtschaft (wie Anm. 92), 16f.

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