Werner Grünzweig, Wie Entsteht Dabei Musik? Gespräche Mit Sechs Komponisten Und Einer Komponistin Über Ihre Studienzeit, Neumünster: Von Bockel 2019
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Werner Grünzweig, Wie entsteht dabei Musik? Gespräche mit sechs Komponisten und einer Komponistin über ihre Studienzeit, Neumünster: von Bockel 2019 Schlagworte/Keywords: Bernhard Lang; composition and music theory; Enno Poppe; Georg Fried- rich Haas; Gösta Neuwirth; Hanspeter Kyburz; Interviews; Isabel Mundry; Komposition und Musiktheorie; Orm Finnendahl; Peter Ablinger KONTEXT Vor diesem Hintergrund erscheint der Band Wie entsteht dabei Musik? Gespräche mit sechs Der an fast jeder größeren Musikhochschule im Komponisten und einer Komponistin über ihre deutschsprachigen Raum angebotene Komposi- Studienzeit mit dem Versuch, »eine Innenan- tionsunterricht ist ein Bereich der künstlerisch- sicht davon [zu vermitteln], was es bedeutet, akademischen Lehre, welcher für den externen Komposition zu studieren« (so der Klappentext) Blick oftmals verschlossen bleibt. Innerhalb der als eine lohnenswerte Unternehmung, um dem Hochschule ist das bereits durch das größen- interessierten Blick von außen erhellende Ein- bedingte Nischendasein der Kompositionsstu- sichten in die Sphäre des akademischen Kom- diengänge mitbedingt, und auch die vorherr- positionsunterrichts zu gewähren und so po- schenden Lehrformate – studiengangsinterne tenzielle Anknüpfungspunkte an ganz unter- Kleingruppen und, besonders im Hauptfach, schiedliche Diskurse (kompositionstheoreti- Einzelunterricht – tragen nicht zur Durchlässig- sche, musikpädagogische, historiographische, keit des Lehrbetriebs bei. Daneben ist aber hochschulpolitische) aufzuzeigen. Eine zusätz- auch das Fehlen eines breiteren, von außen liche, explizit für die musiktheoretische Rezep- zugänglichen Diskurses über Ansätze, Metho- tionsperspektive relevante Dimension ergibt den und Praktiken des Kompositionsunterrichts sich aus dem personellen Gravitationszentrum 1 zu verzeichnen. Das verwundert nicht nur der sieben im Band versammelten Interviews, angesichts der langen Tradition institutionali- welche Werner Grünzweig, der langjährige sierter Kompositionslehre, sondern auch wegen Leiter der Musikarchive der Berliner Akademie der signifikanten Rolle, welche dem Komposi- der Künste, mit sechs Komponisten und einer tionsstudium in den individuellen Karrieren Komponistin geführt hat. Denn alle sieben junger Komponist*innen nach wie vor zu- Gespräche umkreisen – mal entfernter, zumeist kommt. Denn trotz der in letzter Zeit beobacht- aber in unmittelbarer Nähe – das Wirken des baren Tendenz, im Zuge zunehmender Trans- 1937 geborenen Komponisten und Musiktheo- und Interdisziplinarität auch traditionell außer- retikers Gösta Neuwirth. Genauer gesagt, geht akademisch verortete Musikszenen, -stile und es um Neuwirths Wirken als Hochschullehrer -praktiken in die Sphäre der neuen Musik mit und insbesondere seine Rolle als »alternativer einzubeziehen, so ist ein abgeschlossenes Kompositionslehrer« (Klappentext), welche alle Kompositionsstudium doch nach wie vor eine sieben Interviewten in je eigener Weise als hilfreiche, teils sogar notwendige Vorausset- prägend erlebt haben. Als besonders bemer- zung, um Zugang zur institutionellen Konzert-, kenswert kann das insofern gelten, als Neu- Festival- und Förderkultur zu erhalten. wirth nie als institutioneller Kompositionslehrer tätig war, sondern offiziell – zuerst in Graz und 1 Ausnahmen bilden hier musikpädagogische von 1983 bis 2002 als Professor an der Univer- Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Ver- sität der Künste (vormals Hochschule der Küns- mittlungspraxis neuer oder experimenteller te) Berlin – ausschließlich Musiktheorie unter- Musik zumeist in schulischen Kontexten, vgl. richtete. Gleichwohl übte er auf eine Vielzahl Schlothfeldt 2015; Wieneke 2016; Schloth- von Kompositionsstudierenden – die im Band feldt/Vandré 2018. ZGMTH 17/1 (2020) | 207 TOM ROJO POLLER interviewten Peter Ablinger, Orm Finnendahl, nenz der Namen gestützt, ebenso unterstreicht Georg Friedrich Haas, Hanspeter Kyburz, die bemerkenswerte stilistische Diversität der Bernhard Lang, Isabel Mundry und Enno Poppe sieben Komponist*innen Neuwirths Einfluss. So bilden hier nur eine Auswahl besonders promi- sind etwa mit Peter Ablingers Konzeptualismus- nenter Schüler*innen – einen Einfluss aus, des- ansatz, Haas’ Mikrotonalitätsaneignung oder sen Wirkung mit jener des Kompositionshaupt- Bernhard Langs Loop-Musik ausgesprochen fachunterrichts vergleichbar war oder diese unterschiedliche Denkschulen und Traditions- sogar noch übertraf. Aus musiktheoretischer linien in Neuwirths Schülerschaft vertreten. Sicht interessant erscheint also die Frage, wie Schon durch Selektion und formale Zusam- genau sich das von Neuwirth verkörperte enge menstellung seiner Interviewpartner weist Wechselverhältnis von Musiktheorie und Kom- Grünzweig also auf die im Verlauf der Gesprä- positionslehre darstellte und ob eine produktive che auch inhaltlich thematisierte Qualität von Übertragung in die heutige Zeit möglich und – Neuwirths pädagogischem Wirken hin, in Rich- wenn ja – wünschenswert ist. tung ganz unterschiedlicher ästhetischer Dispo- sitionen und Präferenzen seine Wirkung entfal- AUFBAU tet zu haben. Der Textteil des Bandes umfasst sieben Kapitel, PERSPEKTIVITÄT die jeweils ein Komponist*innen-Gespräch enthalten, und wird eingeleitet von einem kur- Die grundlegende, im Vorwort explizit reflek- zen Vorwort Grünzweigs. In diesem erfährt tierte Entscheidung Grünzweigs, die sieben man unter anderem, dass die Gespräche bereits Gespräche unkommentiert nebeneinanderge- in den Jahren 2007 und 2008 geführt wurden, stellt zu präsentieren, erzeugt im Resultat eine dass sie Grünzweig allerdings erst 2017 für Multiperspektivität, welche sowohl für den eine Veröffentlichung in Erwägung zog. Ob es informativen Gehalt der einzelnen Gespräche sich in der nun veröffentlichten Form um die wie auch für die Leseerfahrung und Wirkung gesamten Gespräche handelt, inwieweit sie des Bandes als Ganzes konstitutiv ist. Auf in- gekürzt oder nach welchen Kriterien Teile aus- haltlicher Ebene bildet die Person Neuwirths gewählt wurden, bleibt dagegen leider unklar. das gemeinsame Objekt, auf das die sieben Offenkundig hingegen ist, dass die Überarbei- Interviewten – durch Grünzweigs Fragestellun- tungen der (bis auf ganz wenige Flüchtigkeits- gen mal mehr, mal weniger gezielt gelenkt – fehler) sehr sorgfältig edierten Gesprächstran- ihren subjektiven Fokus richten. Neben den skriptionen sehr dezent ausgefallen sind, denn naturgemäß individuell unterschiedlichen der jeweilige individuelle Tonfall der Inter- Wahrnehmungen, Meinungen und Wertungen, viewpartner*innen vermittelt sich ebenso un- die in das jeweils gezeichnete Neuwirth-Porträt mittelbar wie die naturgemäß teils assoziative, einfließen, ist es dabei auch die zeitliche Kom- sprunghafte oder abschweifende Dramaturgie ponente, welche das entstehende Gesamtbild des Interviewformats. weiter auffächert. Denn einerseits wird von Bei der Anordnung der sieben Gesprächs- seiner Anfangszeit in Graz, in die Georg Fried- kapitel scheint sich Grünzweig primär chrono- rich Haas’ und Peter Ablingers Bekanntschaft logisch am Geburtsjahr seiner Interviewpart- mit Neuwirth fällt, bis zum Ende des Studiums ner*innen orientiert zu haben. So gehören die von Enno Poppe, als Neuwirth kurz vor seiner sieben interviewten Komponist*innen – vom Emeritierung stand, fast dessen gesamte Hoch- 1953 geborenen Georg Friedrich Haas bis zum schulkarriere in den zeitlichen Horizont mit jüngsten vertretenen Neuwirth-Schüler, dem einbezogen, andererseits schreibt sich unwei- 1969 geborenen Enno Poppe, reichend – min- gerlich auch die bekanntermaßen kreative Dy- destens drei unterschiedlichen Studierenden- namik des Gedächtnisses in die zum Ge- generationen an. Die im Vorwort formulierte sprächszeitpunkt teils über 30 Jahre zurücklie- These Grünzweigs, dass Neuwirth »zu den genden Erinnerungen mit ein. Zusammenge- einflußreichsten Kompositionslehrern seiner nommen mit dem zehnjährigen Intervall zwi- Zeit zu zählen ist« (7) wird aber nicht nur schen Interviews und Veröffentlichung ergibt durch diese temporale Breite und die Promi- sich mithin eine multiple zeitliche Brechung, 208 | ZGMTH 17/1 (2020) REZENSION: WERNER GRÜNZWEIG, WIE ENTSTEHT DABEI MUSIK? welche die Autorität eines einheitlichen, um- Denn dadurch, dass sich als Fokus der Gesprä- fassenden Bildes oder Narrativs von vornherein che ganz klar die Konturierung eines mosaikar- in Frage stellt. Ganz ähnlich wie in Akira Kuro- tigen Neuwirth-Porträts herauskristallisiert, sawas berühmtem multiperspektivisch erzähl- kann der sinnstiftende Leseakt je nach Indivi- ten Rashomon (1950), einem Lieblingsfilm dualinteresse einzelne Aspekte – sowohl inner- Neuwirths, auf den er auch in seinem Unter- halb als auch außerhalb dieses Rahmens – in richt immer wieder zu sprechen kam, ist man den Vordergrund treten lassen, miteinander als Leser*in dadurch automatisch dazu heraus- verbinden oder auch vollkommen ausblenden. gefordert, auf Zusammenhänge und Bezüge So wird z. B. jemand, der sich für das österrei- zwischen den unterschiedlichen Darstellungen chische Musikhochschulwesen der 1970er zu achten und aus den angebotenen Sichtwei- Jahre interessiert, in den Gesprächen mit Peter sen ein eigenes Bild zu extrahieren. In man- Ablinger, Bernhard Lang und Georg Friedrich chen Fällen gelingt das problemlos – über Haas, in denen diese schildern, wie sie Neu- Neuwirths eben erwähnte Referenz auf japani- wirth als eine der wenigen Personen an der sche Filmkunst z. B. wird einhellig berichtet –, ansonsten eher regressiven Grazer Musikhoch- in anderen Fällen – besonders was