Isabel Mundry (*1963)
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ISABEL MUNDRY (*1963) Dufay-Bearbeitungen (2003-04) 19:46 für Ensemble 1 I Pour ce que veoir je ne puis 3:35 2 II Se la face ay pale 3:36 3 III Helas mon deuil 5:09 Traces des Moments (1999-2000) 11:58 für Streichtrio, Klarinette und Akkordeon 4 01 4:29 5 02 4:29 6 03 3:00 Dufay-Bearbeitungen (2003-04) 13:27 für Ensemble 7 IV Mon bien m’amour 4:54 8 V Ce jour de l’an voudray joye mener 3:11 9 VI Or pleust a dieu qu’a son plaisir 5:22 10 Sandschleifen (2003/06) 13:08 für Streichtrio, Schlagzeug und Klavier Dufay-Bearbeitungen (2003-04) 5:17 für Ensemble 11 VII Entre les plus plaines danoy Coverphoto: © Matthias Creutziger Coverphoto: TT: 56:25 ensemble recherche 2 ensemble recherche Martin Fahlenbock Flöten Jaime González Oboe, Englischhorn, Tenoroboe Shizuyo Oka Klarinette, Bassklarinette Melise Mellinger Violine Barbara Maurer Viola Åsa Åkerberg Violoncello Christian Dierstein Schlagzeug Klaus Steffes-Holländer Klavier Teodoro Anzellotti (Gast) Akkordeon 3 Hier oder dort – Resonanzen zwischen und in der den verschobenen Perspektiven des Gesangs und Musik den Rätseln, die sich aus der Mehrdeutigkeit von Zeitgestalten ergeben. In den Wiederholungen der Isabel Mundry Chansons werden je verschiedene Artikulationen des musikalischen Blickes vorgenommen, werden Dufay-Chansons verschachtelt mit eigenen Kom- gleich bleibende Phrasen mal als Ausklang, mal als positionen – man könnte meinen, dass es hier Beginn gezeichnet, oder Submelodien zum Vor- um einen Kontrast geht, um alt und neu, fern und schein gebracht, die quasi unsichtbar zwischen nah, vertraut und fremd, modal und atonal. Doch den Stimmen angesiedelt sind, und somit quer zu mein Impuls, mit Dufays Musik schreibend umzu- den melodischen Verläufen stehen. Doch mit der gehen, war ebenso davon getragen, Reflexe des Fülle an Deutungsmöglichkeiten geht gleichsam eigenen Denkens in ihr zu finden, wie ich in der die Erfahrung der Leere einher, die sich dort auftut, eigenen Musik auf der Suche nach Fremdheit bin. wo jede einzelne Entscheidung um ihre Relativi- Der Auseinandersetzung mit Dufays Musik liegt ein tät weiß, um ihr mögliches Verschwinden in einer Initialerlebnis zugrunde, indem ich eines Nachts wandelbaren Perspektive. Nicht zuletzt handeln die alle verfügbaren Chansons und Hymnen jeweils Bearbeitungen auch von diesen Leerräumen, den so häufig hörte, wie sie Stimmen haben, und alle Lücken des Verstehens, die das Dunkel der zeit- Stimmen nacheinander aus der Partitur mitgesun- lichen Ferne ebenso berühren wie das Dunkel des gen habe. Dabei bekam ich den Eindruck, immer Augenblickes der kompositorischen Entscheidung. das Gleiche zu singen, doch stets aus einer ver- Dem Verstehen eines Augenblicks bin ich in der schobenen Perspektive, umgeben von verwandten Komposition Traces des Moments nachgegan- Melodieverläufen zu sein, doch gerade dadurch die gen. Er nahm seinen Ausgang in einem Garten eigene Distanz zu ermessen. Permanent unterliegt Kyotos, als ich auf eine Fläche von geharktem Kies die Musik feinen Schwankungen, Verschiebungen blickte, irritiert, wie die Abbildungen im Kopf den und Verwandlungen, so dass der Stabilität der Wie- Blick verstellen und gerade die Vertrautheit ein dop- derholung gleichsam die Instabilität der Umdeutung peltes Befremden auslöst. Nach Betrachtung der innewohnt, eine Phrase hier einen Anfang, und dort Wellenzeichnungen aus Stein bog ich um eine Ecke ein Ende bedeuten kann. So entsteht eine Musik und landete bei einem kleinen Wasserfall mit Teich. des Tastens, die, ausgehend von kleinsten Zellen, Auch dort begegnete ich Wellenformationen, aber feine Resonanzen und Transformationen erzeugt, - im Gegensatz zum Kies - sich permanent erneu- um das Eigene im nächsten Moment zum Gegen- ernd und in Bewegung gebracht, durch den Fall des über werden zu lassen und Phänomene wie Ferne Wassers, durch Windstöße oder einem springenden und Nähe, Halten und Verschwinden, Stabilisieren Goldfisch. Die Beobachtung, zweimal die gleiche und Lösen in ihrem Innersten zu thematisieren. Formation zu sehen, doch einmal losgelöst von den Die Bearbeitungen gehen diesen Eindrücken nach, Begebenheiten eines Augenblickes, und das andere 4 Mal durch und durch an diesen gebunden, hat mich beiden Kompositionen dieser CD, die Teil eines in einen perspektivischen Sog der Wahrnehmung Zyklus bilden, dessen Ausgang derzeit noch offen hineingezogen. Von diesem Moment an begann ich, ist. Beide Arbeiten zentrieren sich um ein Streich- alle künstlich stilisierten sowie naturhaft unbere- trio, das als klangfarblicher Kern verschiedene In- chenbar geformten Elemente als Zeichen zu lesen, strumente integriert, ein Akkordeon und eine Klari- die sich in ihrer graduellen Zeitlosigkeit oder Zeitge- nette bei der einen, ein Schlagzeug und ein Klavier bundenheit gegenseitig bespiegeln und überlagern. bei der ande-ren Komposition. Die Komposition Auf kunstvolle Weise erzeugen die Gärten Übergän- Sandschleifen geht auf eine Bildbeschreibung des ge von geformter und gelassener Natur und bilden Schriftstellers Karsten Feldmann zurück. Das Bild facettenreiche Relationen, in denen sich die Dinge (von Sigrid Klemm) ließe sich lapidar auf Haus, gegenseitig Vorder- und Hintergrund werden, nicht Bäume, Teich, Horizont und Landschaft reduzieren, nur im Sinne von Ferne und Nähe, sondern auch im doch bleibt die Darstellung in einer Weise zeichen- Sinne von Jetzt und Irgendwann. haft, dass sich die Objekte aus ihrer scheinbaren Traces des Moments geht solchen Eindrücken in- Eindeutigkeit herauslösen. In zehn Beschreibungen nermusikalisch nach, ohne irgendwelche Formen kreist der Text um das Gesehene, lässt aus der von Japonismen im Sinn zu haben. Ausgehend Bildsprache Sprachbilder entstehen, die sich lösen von einem distinkten Moment im ersten Takt, er- und ihre eigenen Wege gehen, um zunehmend zu zeugt die Musik immer wieder neue Momente erkennen, dass auch ein Bild sich nicht zweimal auf verschiedener Größenordnungen, um ihren Atem- gleiche Weise sehen lässt. Einen ähnlichen Weg längen, ihren Streuungen und ihrem Verschwinden vollzieht auch die Musik im Verhältnis zum Text. nachzugehen. Auf diese Weise entsteht ein Netz Geradezu mimetisch tastet sie in den drei ersten zeitlicher Resonanzen, in der Augenblicke Spuren Teilen die Bildbeschreibungen ab, Wort für Wort. hinterlassen, Spuren neue Augenblicke generieren, Doch was heißt es, Worte in Töne zu übertragen, Elemente sich abkoppeln, verweilen, auflösen und ohne programmatisch imitieren zu wollen? In un- überlagern, sich gegenseitig Vorder- oder Hinter- terschiedlichen Graden lassen sie metaphorische grund werden, Ausklang oder Antizipation, in einem Korrespondenzen zu, in unterschiedlichen Graden Spiel der Mehrdeutigkeit von Perspektiven. bleiben sie fremd. So lotet die Musik Ferne und Ging von den japanischen Gärten eine Anregung Nähe zu generellen Wahrnehmungsphänomenen hinsichtlich zeitlicher Relationen aus, so bezog ich aus und verliert sich dabei zunehmend in einem weitere Prägungen durch die Lektüre der Texte von Netzwerk innerer Bezüge, weil Struktur und Zeit- Francis Ponge. Sie bringen die Unendlichkeit von lichkeit der Musik neue Überlegungen nach sich Wahrnehmungsvielfalt im Innern von Objekten zum ziehen, die genuin musikalisch sind. Auf diese Wei- Vorschein, wodurch meine Vorstellung des inner- se handelt das Stück ebenso von dem Phänomen musikalischen Raumes wesentlich beeinflusst ist. der Abkoppelung und der Frage, wie viel Innenblick Die Auseinandersetzung mit Ponge verbindet die und Differenzierung ein kompositorischer Gedanke 5 braucht und will, und wie viel er erst über sich selbst an der Stimulation des Hörappetits, sei es, dass erfährt, wenn er sich im Prozess seiner Ausarbei- dieser durch banale, aber weit verbreitete quanti- tung befindet. Und so könnte ich ebenso sagen, tative Reize angeregt wird (viele Noten, wenige No- dass hier nicht ein visuell-textlicher Eindruck musi- ten, irgendein musikalisches Markenzeichen oder kalische Imagination in Gang gebracht hat, sondern ein sonstiges Produktetikett), oder sei es, dass er dass musikalische Visionen auf ein Sujet gestoßen durch ständige Zirkulation und wechselseitige Er- sind, das sie veranschaulicht, zugespitzt und präzi- neuerung entsteht, zwischen der Erfindungskraft siert hat, wodurch sich mein Blick und meine Musik und dem „Repertoire“, im weiten Sinne des Wortes: verändert haben. einer vielfachen Neuinterpretation tradierter For- men, der Harmonik (im Sinne der Fragestellung, wie und warum verschiedene musikalische Substanzen ineinandergreifen und was aus ihrem Zusammen- Eine Musik der Fragen und Bewegungen spiel entsteht?) sowie des Stils. Es dürfte mittler- Brice Pauset weile deutlich geworden sein, dass ich die Musik Isabel Mundrys zur zweiten Kategorie zähle, jener Ein neues Musikstück anzuhören kann, neben Art von Musik, welche dieses aktive, interpretieren- vielem anderem, auch als eine Frage betrachtet de Hören gleichermaßen hervorruft wie fordert. In werden, die sich jede Zuhörerin und jeder Zuhörer diesem Sinne ist diese Musik zutiefst expressiv. stellt, um herauszufinden, welche persönliche Hal- Die Denkart und die Musik Isabels rufen Bewe- tung sie oder er zum Hören von Musik entwickelt gungen und ein Kreisen von Metaphern hervor. Die hat – zwischen dem, was bereits bekannt ist, also zahlreichen Übergänge zwischen der Musik Dufays dem „Repertoire“, und dem, was beim ersten Hören und dem, was wir gerne davon hören würden, die Form annimmt – die „andere Musik“. komplexe Beziehung zwischen dem, was eine Mu- In beiden Fällen ist es schwierig, sich seinen eigenen