Isabel Mundry (Vgl
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Mundry, Isabel Isabel Mundry (vgl. Caduff 2011, S. 86-93.) Bei der Komposition ihres Orchesterstücks „Flugsand“ von 1997/98 ließ sich Mund- * 20. April 1963 in Schlüchtern, Deutschland ry wiederum von den Werken des Fotokünstlers Thomas Wrede anregen. Komponistin, Pianistin und Professorin für Komposition Im Mittelpunkt ihres Schaffens steht außerdem die Ausei- „Mich persönlich interessiert die Zeitwahrnehmung, sp- nandersetzung mit den Themen „Musik und Zeit“, „Mu- rich: die Zeit der Wahrnehmung und nicht die Zeit als sik und Raum“ oder „Musik und Wahrnehmung“. Bei- kompositorisch-abstraktes Modell. […] Mich beschäftigt spielsweise wird in „Ges-ICH-ter“ das Thema Raum in die Frage, was wir über Zeit erfahren, wenn wir das fo- der Musik zum Leitgedanken. Im Gedicht, das sich mit kussieren, dem wir sowieso nicht entrinnen können, dem Gesichterlesen befasst, wird Landschaftsmethapho- nämlich unserer eigenen Zeitlichkeit als einer Reihung rik verwendet. Diese Landschaft wandelt Mundry wieder- von Augenblicken.“ (Mundry 2003, S. 7) um in eine Klanglandschaft um, indem sie die Klänge in verschiedenen Ecken des Raumes erzeugen und sich be- Profil wegen lässt (vgl. Caduff 2011, S. 86-93). In ihrem Streich- Isabel Mundry zählt zu einer der bedeutendsten Kompo- quartett „no one“ von 1994/95, bei dem sie sich von Clau- nistinnen für zeitgenössische Musik. Ihre Musik wird bei de Debussys Orchesterwerk „Jeux“ von 1912/13 inspirie- renommierten, internationalen Festivals, wie den Darm- ren ließ, wird wiederum die zentrale Kategorie von Mu- städter Ferienkursen für Neue Musik, den Wittener Ta- sik und Zeit thematisiert, indem sie hierin die Abfolge gen für neue Kammermusik, der musica viva in Mün- von Augenblicken bzw. deren Prozessualität als zentra- chen oder dem Lucerne Festival aufgeführt. Ihr Stück len Aspekt musikalischer Prozesse wählte. „Anagramm“, für Mezzosopran und Klavier wurde im Orte und Länder Rahmen der EXPO 2000 in Hannover dargeboten. Ihre Kompositionen, die bei Breitkopf und Härtel verlegt wer- Isabel Mundry wurde im hessischen Schlüchtern gebo- den, werden von einschlägigen Ensembles für Neue Mu- ren und wuchs in Berlin (West) auf. Ihre kompositori- sik, darunter Ensemble Modern, Ensemble Recherche, sche Ausbildung erhielt sie bei Frank Michael Beyer und Klangforum Wien oder das Arditti Quartett, interpretiert Gösta Neuwirth an der Berliner Hochschule der Künste sowie an bedeutenden Konzertstätten, darunter etwa die und bei Hans Zender an der Hochschule für Musik in Deutsche Oper in Berlin oder die Dresdner Semperoper Frankfurt a. M. Als Komponistin ist sie heute an den re- aufgeführt. Isabel Mundry ist auch als Dozentin an Hoch- nommierten Stätten Neuer Musik vertreten, wo ihre Wer- schulen und Universitäten präsent. Als Professorin lehr- ke im In- und Ausland aufgeführt werden, beispielsweise te bzw. lehrt sie u. a. in Frankfurt a. M., Zürich und Mün- beim Lucerne-Festival, wo sie 2003 neben Heiner Goeb- chen. bels Composer-in-Residence war. Auch als Dozentin ist Ihre Kompositionen sind einerseits von einer persönli- sie international tätig, wie beispielsweise bei den Darm- chen Klangsprache, andererseits vom Bezug zur Traditi- städter Ferienkursen für Neue Musik oder dem Akiyoshi- on und zu anderen künstlerischen Disziplinen geprägt. dai-Festival in Japan. Außerdem lehrt Mundry als Profes- In einigen ihrer Werke bildet der Bezug zu alter Musik sorin an verschiedenen Universitäten. Sie hatte eine Pro- die Basis. Trotz ihrer neuen Klangsprache knüpft sie so- fessur für Komposition und Tonsatz an der Musikhoch- mit an Kompositionsgeschichte an. In ihrem Stück „Spie- schule in Frankfurt a. M. inne, ist seit 2004 als Professo- gel Bilder“ für Klarinette und Akkordeon (UA 1996) setz- rin für Komposition an der Hochschule für Musik Zürich te sich Mundry beispielsweise mit der Polyphonie in den tätig und unterrichtet seit 2011 parallel als Professorin Kompositionen Guillaume Dufays auseinander. für Komposition an der Musikhochschule München. Mundry stellt gerne Synergien mit anderen Kunstberei- Biografie chen, wie z. B. Literatur, her. So arbeitete sie mit der ja- panischen Autorin Yoko Tawada zusammen, die den Isabel Mundry wurde am 20. April 1963 in Schlüch- Text „Ges-ICH-ter“ als Vorlage für Mundrys gleichnami- tern/Hessen geboren und wuchs in Berlin (West) auf. ge Komposition für Sopran, Sing-Sprechstimme, zwei Schlagzeuge und Live-Elektronik lieferte – ein Komposi- Das Fach Komposition belegte Mundry bei verschiede- tionsauftrag für die Donaueschinger Musiktage 1997 nen bedeutenden Komponisten und an zentralen Stätten – 1 – Mundry, Isabel für zeitgenössische Komposition: Von 1983 bis 1991 stu- und einen Moment in seiner besonderen Beschaffenheit, dierte sie Komposition an der Hochschule der Künste also an die Leiblichkeit dessen, der sich zu einem Raum Berlin bei Frank Michael Beyer und Gösta Neuwirth so- so oder so verhält“ (Mundry 2003b, S. 27), und „Ein Ge- wie Elektronische Musik am Studio der Technischen Uni- bäude erschließt sich prinzipiell zeitlich, wie es auch selb- versität Berlin. Zwischen 1991 und 1994 studierte sie er- st ein zeitlich gebundenes Gebilde ist.“ (ebd.) Die zeitlich gänzend Komposition bei Hans Zender in Frankfurt a. begrenzte, augenblickhafte Wahrnehmung, die Mundry M. Zeitgleich war sie Stipendiatin an der der Cité des durch die Relativität bezeichnet, wird in Musik umge- Arts in Paris sowie anschließend Stipendiatin im Rah- setzt. Musik benennt sie dabei als „vielfaches räum¬li- men eines einjährigen Kurses für Informatik und Kompo- ches Gebilde“ (ebd.). sition am dortigen IRCAM. In ihrem Beitrag „Traces des moments“, der 2004 in der Zusätzlich zu ihrer Ausbildung als Komponistin studierte Zeitschrift „MusikTexte“ erschien, betont Mundry, dass Mundry auch Musikwissenschaft (bei Carl Dahlhaus) so- auch der Kompositionsprozess selbst eine Zeit-Erfah- wie Kunstgeschichte und Philosophie an der Techni- rung sei, als etwas, „das entschwinden lässt, was eben no- schen Universität Berlin. ch präsent war“ (Mundry 2004, S. 63). Dabei beleuchtet sie eben die Relation von Augenblick und fließender Zeit Ihr beruflicher Erfolg als Komponistin führte sie an ver- während des Kompositions¬pro¬zesses. „Improvisation“ schiedene Musikstätten in Europa: Isabel Mundry arbei- und „abstrakte Kalkulation“ (ebd., S. 65) müssten bei die- tete von 1994 bis 1996 freischaffend in Wien und wirkte sem Prozess in ihrer Relativität thematisiert werden, so 2007/08 als erste „Capell-Compositrice“ der Staatskapel- Mundry. Die „zeitliche[...] Dimension von Momenten“ le Dresden. (ebd. S. 63) machten den Nerv jeglicher Erfah¬rung aus“ (ebd., S. 65). Als Beispiel führt sie ihr Quintett „Traces Zudem ist Mundry als Dozentin für Komposition interna- des moments“ (2000) an. Die Gärten Kyotos und die mo- tional vertreten: An der Berliner Kirchenmusikschule menthaften Blicke in Teile dieser Gärten wurden zur In- und an der Hochschule der Künste Berlin lehrte sie von spiration des Stückes (vgl. ebd., S. 64). Mundry themati- 1986 bis 1993 Tonsatz und Analyse, von 1996 bis 2004 sierte hier die Erfahrung von Raum und Zeit, die Frage war sie als Professorin für Komposition und Tonsatz an nach dem, was einen Moment ausmacht und wie er als der Frankfurter Musikhochschule tätig. Zahlreiche Lehr- „retrospektive Strukturierung“ (ebd., S. 67.) zu etwas wer- aufträge führten sie auch ins Ausland: 1997 war sie Do- den kann. Über diesen Strukturie¬rungs¬prozess sagt zentin beim Akiyoshidai-Festival (Japan). Seit 1998 lehrt sie: „Momente brauchen Zeichen, Zeichen brauchen Rela- sie regelmäßig als Dozentin für Komposition bei den tionen, Relationen brauchen Zeit, und Zeit erzeugt Mo- Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik und tritt hier mente.“ (ebd.) sowie mit ihren Vorträgen an zahlreichen weiteren euro- päischen Hochschulen und Universitäten als Leitfigur im Die Frage, die sich Mundry stellt, ist, wie sich die Ausein- Bereich der Neuen Musik regelmäßig in Erscheinung. andersetzungen eines komponierenden „Ichs“ mit Hilfe Seit 2004 hat sie eine Professur für Komposition an der von Raum- und Zeitrelationen in Musik darstellen las- Musikhochschule Zürich inne. Seit 2011 ist sie zudem als sen. Diese Frage nach der Vermittlung der eigenen Erfah- Professorin für Komposition an der Musikhochschule rung von Raum und Zeit beantwortete Mundry mit einer München tätig. Reflexion des „Ichs“ und einer Distanzierung gegenüber dem eigenen Affekt, der somit objektiviert in die Kompo- Würdigung sition eingeht. Beim Komponieren fange sie den „ungefil- In ihren Kompositionen nimmt Isabel Mundry immer terten“ Einfall ein, wodurch ein Zustand des „Fremd-ma- wieder Bezug auf die zentrale Kategorie der Raum- und chens“ (vgl. Mundry 2003, S. 216) und die Möglichkeit Zeitwahrnehmung. zum Dialog entstehe. Mundry bezeichnet dieses Einfan- gen als einen „gnadenlosen Filterungsprozess“ (vgl. ebd., Ihre Auseinandersetzung mit Raum und Zeit formuliert S. 223). Musikalische Mittel zur Artikulation des „Ichs“ Mundry folgendermaßen: „Raumwahrnehmung [ist] im- sind u. a. die Projektion desselben auf das Orchester. mer eine konstitutive Leistung: sie verhält sich zu einem Kam¬mer¬musik spalte sie auf, so dass der Gesamtkör- gegebenen Ort und ist gebunden an einen Blickwinkel per vielfältig erscheine: „Meine Vorstel¬lung vom Ich ist – 2 – Mundry, Isabel eher eine des Ortes“ (ebd., S. 221), so Mundry. ne Spieler hinzu und das Aufprallmoment der Vögel wird durch klangliche Verdichtungen versinnbildlicht (vgl. Auch in ihrem Text „Gefaltete Zeit. Über die Verschrän- Hiekel 2000,