HEFT 263 – SEPTEMBER 2006 46. JAHRGANG

• EU-Mission im Kongo • Milieu-Studie • »Gewissen und Gehorsam« – 46. Woche der Begegnung • Menschenrecht Religionsfreiheit Bioethik Gefunden auf der Wäscheleine des Saarbrücker Katholikentages

www.katholische-soldaten.de HEFT 263 – SEPTEMBER 2006 AUFTRAG 46. JAHRGANG INHALT

EDITORIAL ...... 3 Widerlegt die Renaissance des Religiösen die Säkularisierungsthese? (KNA)...... 34 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Pfarrgemeinden im Urteil der Katholiken: ZUR DEUTSCHEN BETEILIGUNG AN DER KONGO-MISSION Erstaunliche Zustimmung – „Nicht nur Niedergang“ DER EU...... 4 (KNA) ...... 34 Der Kongoeinsatz der Europäischen Union Von Wohnzimmern und Sinn im Leben – Religiöse – ein tragbares Risiko? von Ludwig Jacob und und kirchliche Orientierungen im Spiegel der H.G. Justenhoven ...... 4 Sinus-Milieus von Martin Hochholzer ...... 36 Stimmen zum Kongo-Einsatz der Joseph Ratzinger über die Demokratie (KNA) ...... 9 in der Kirche (ZENIT.org) ...... 40 UN: Kinder in Konflikten besser schützen ...... 10 Interview: „Ein Stück Gelassenheit“ GESELLSCHAFT NAH UND FERN von KNA-Mitarbn. B. Buchner u. C. Scholz ...... 11 Universalen Menschenrechten droht Relativierung Segen der missio-Präsidenten für die deutschen (Institut für Islamfragen – IfI) ...... 43 Soldaten in der Republik Kongo (PS/KMBA) .... 12 UN-Menschenrechtsrat (KNA/ZENIT) ...... 43 „Private Militärfirmen zerstören die Demokratie“ Zur bioethischen Diskussion in Deutschland: (KNA) ...... 13 Verantwortung für vernunftbegabte Wesen Sexuelle Gewalt in Krisengebieten nimmt zu von Stefan Rehder ...... 44 (KNA) ...... 13 Embryonenforschung: Von der Rangordnung Weltfriedenstag 2007: „Die menschliche Person, der Werte von Rolf Schumacher ...... 45 Herzmitte des Friedens“ (ZENIT.org) ...... 14 Juden im heutigen Iran: Elf Synagogen in Teheran „Wer regiert die Welt – Die Zukunft der Großmächte von Thomas Klatt ...... 47 im 21. Jh.“ Studie zur Sicherheitspolitik Russland: Glauben die Russen an Gott? (Bertelsmann-Stiftung)...... 15 von Paul Roth ...... 48 Deutschland braucht eine nationale Sicherheits- Wiederentdeckung der Militärseelsorge (KNA) .. 50 strategie (Bertelsmann-Stiftung) ...... 16 Die Prostitution in der russischen Armee ist Wo bleibt das christliche Profil? – Meinung zum beängstigend von Joachim G. Görlich...... 50 Entwurf des »Weißbuch 2006« Nachbar Polen: Neue polnische Familie von Klaus Liebetanz ...... 17 von Joachim G. Görlich ...... 51 „Gegenseitiges Verständnis von Entwicklungs- Zukunftsforscher: Wohlstand wird neu definiert zusammenarbeit und Bundeswehr ist gewachsen“ (KNA) ...... 51 – Interview mit der Parl. Staatssekretärin Karin Kortmann (SPD) von Klaus Liebetanz ...... 20 Herausforderung Bildungspolitik von Joh. Michael Schnarrer ...... 52 DAS BILD DES SOLDATEN Neues Konzept von Familie (KNA) ...... 59 Briefwechsel zur Erklärung der deutschen Bischöfe „Soldaten als Diener des Friedens“ ...... 23 BLICK IN DIE GESCHICHTE Leitfigur im Umfeld des 2. Traditionsstranges der 50 Jahre Bundeswehr: Der fünfte Bundespräsident Bundeswehr: Randolf von Breidbach-Bürresheim und die Bundeswehr von Dieter Kilian...... 60 von Andreas M. Rauch ...... 26 Vor 450 Jahren starb der Ordensgründer Ignatius von Loyola: „Gott in allem finden“ MANN IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT von KNA-Mitarbeiter Josef Meiners ...... 67 Und sie glauben doch! Männer und ihre Religion“ Vor 200 Jahren endete das Heilige Römische von Erzbischof Ludwig Schick ...... 28 Reich: „Deutschland ist kein Staat mehr“ Who is who: Die Hirten des deutschsprachigen von KNA-Redakteur Alexander Brüggemann ..... 68 Raums: Interview mit Prof. Dr. Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg (ZENIT.org) ...... 29 KIRCHE UNTER SOLDATEN 46. WOCHE DER BEGEGNUNG ...... 69 RELIGION UND GESELLSCHAFT „Soldaten als Diener des Friedens – Gewissen Die Religionsfreiheit in 143 Ländern der Welt und Gehorsam“ – Programm ...... 70 (ZENIT.org) ...... 31 „Soldaten als Diener des Friedens – Gewissen Irak: UNHCR-Studie – Christen in großer und Gehorsam“ – Einführung Bedrängnis (ZENIT.org) ...... 32 von ZV-Vorsitzendem Richard Schmitt ...... 72

2 46. JAHRGANG AUFTRAG HEFT 263 – SEPTEMBER 2006

Gewissen und Gehorsam – Hinführung auf das GKS-Kreis Köln: ...... 84 Leitwort der Woche (PS/Wikipedia.de) ...... 73 GKS-Kreis Veitshöchheim: ...... 84 Befehl und Gehorsam (treff.bundeswehr.de) ...... 75 GKS-Kreis Dornstadt:...... 85 Ethische Bildung in der Bundeswehr – Chancen Standorte Ulm und Dornstadt ...... 86 und Risiken – Gedanken zur Bundeskonferenz..... 77 GKS-Kreis München ...... 86 AUS GKS UND STANDORTEN Nachlese zum Katholikentag in Saarbrücken ...... 90 Aus dem Leben der GKS – Bericht des Bundes- STICHWORT ...... 33, 67 geschäftsführers...... 78 Abschied in Bamberg ...... 79 GEFUNDEN / KURZ BERICHTET ...... 22, 46 Camino 2006 von Ludwig Strauß ...... 81 TERMINE ...... 80 MOKIMO: Neue Wortschöpfung bei der Bundeswehr ...... 82 PERSONALIA ...... 87 GKS-Kreise Bad Neuenahr-Ahrweiler und BUCHBESPRECHUNGEN ...... 88 Köln-Wahn: ...... 83 GKS-Kreis Köln-Wahn ...... 83 AUTOREN ...... 90

editorial Liebe Leserschaft! inen wichtigen Raum in diesem AUFTRAG Nr. 263 lich Stellung genommen („Und sie glauben doch! Män- Ebesetzen wieder Beiträge zur Rubrik „Sicherheit und ner und ihre Religion“, s.S. 29, Nr. 7.) Friedensethik“. Diesmal geht es vor allem um den Friedensicherungseinsatz deutscher Streitkräfte in der chließlich will die Redaktion ihre Leser über die Demokratischen Republik Kongo im Rahmen der EU- Sdiesjährige Konferenz des organisierten Laienapos- Mission, ihre Rolle bei Friedenskonsolidierung und der tolats in der Katholischen Militärseelsorge – der 46. Entwicklungszusammenarbeit. Zum Letzteren finden Sie Woche der Begegnung – informieren, die vom 18.-23. im Interview mit der Parlamentarischen Staatssekretärin September in Ludwigshafen stattfindet (s.S. 69-77). im BMZ, Karin Kortmann, abgewogene und grundsätzli- che Aussagen (s.S. 20 ff.). Der zum Redaktionsschluss in Wort in eigener Sache: Die Redaktion der GKS- noch nicht beschlossene deutsche Marineeinsatz zum EZeitschrift AUFTRAG hat eine neue Adresse. Schutz der Seegrenzen des Libanons konnte in diesem Meinen Umzug im Juni nach Lüneburg hat auch das in AUFTRAG noch keine Berücksichtigung finden. meinem Arbeitszimmer untergebrachte Redaktionsbüro mitgemacht. Zuschriften an die Redaktion richten Sie ermutlich haben viele der Leser schon von so ge- bitte – soweit Sie nicht den elektronischen Weg per E- Vnannten Sinus-Milieu-Studien gehört. Als „Sinus- Mail bevorzugen – an die im Impressum auf der 4. Um- Milieus“ werden Basis-Zielgruppen für den Verkauf von schlagseite angegebenen Postfachadresse. Waren und Dienstleistungen bezeichnet. Die Deutsche Mit diesem Umzug an unseren Wunschwohnort haben Bischofskonferenz hat diese Sinus-Milieus nach ihrer meine Frau und ich nun eine Voraussetzungen für den Religiosität und Kirchenrelevanz untersuchen lassen. Einstieg in die dritte Lebensphase geschaffen. Eine Wenn das Ergebnis der Untersuchung auch nicht unbe- weitere Voraussetzung, um den Ruhestand genießen dingt überrascht, so stehen die Bischöfe der Studie von und uns stärker der „Enkelpflege“ widmen zu können, 2005 doch sehr skeptisch und distanziert – vielleicht ist die Übergabe der Aufgaben des Chefredakteurs an auch ratlos – gegenüber, vor allem was die Folgerungen einen Nachfolger, wie ich sie seit einigen Jahren anstre- daraus anbelangt. Der Beitrag „Vom Wohnzimmer und be. Der bis zur Zentralen Versammlung noch Vorsitzen- Sinn im Leben – Religiöse und kirchliche Orien- de der ZV, Richard Schmitt, ist bereit, nach sei- tierungen ...“ (s.S. 34 ff.) von Martin Hochholzer, Refe- ner Zurruhesetzung zum Ende des Jahres diese Aufgabe rent der Fuldaer Arbeitsstelle für Männerseelsorge und zu übernehmen. Die formelle Übergabe der Geschäfte Männerarbeit in den deutschen Diözesen, gibt einen und Verantwortung für den AUFTRAG ist zur Bundes- Einblick in die Studie. Erzbischof Dr. Ludwig Schick, konferenz 2007 vorgesehen. Bamberg, hat zu den Studienergebnissen bei der Haupt- tagung der Gemeinschaft der katholischen Männer Mit den besten Grüßen Deutschlands (GKMD) ganz kurz, aber unmissverständ-

3 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

<< Der sog. „EUFOR RD Congo Teaser“ (Fotos: PIZ EinsFüKdoBw)

Zur deutschen Beteiligung an der Kongo-Mission der EU ie Bundeswehr hatte am 10. Juli 2006 begonnen, ihr Hauptkontingent in die Demokratische Republik Kongo zu verlegen. Die deut- sche Präsenz des europäische Einsatzkontingent EUFOR RD Congo beträgt circa 430 Soldaten in Kinshasa, sowie 305 Soldaten als Reserve in Gabun. Insgesamt umfasst EUFOR RD Congo 2.400 Soldaten, von denen etwa 1.250 in Kinshasa und etwa 1.150 in Gabun Dstationiert sind. Am 1. Juni 2006 hatte der Bundestag mit großer Mehrheit dem Bundeswehr-Einsatz im Kongo zugestimmt. 440 Abgeordnete stimmten für den Einsatz, 135 dagegen. Dem Bundestagsmandat war der Beschluss des Bundeskabinetts vom 17. Mai 2006 vorausgegangen, für einen Zeit- raum von vier Monaten 500 Einsatzkräfte und 280 Unterstützungskräfte für Logistik und Sanität in der Kongo-Operation einzusetzen. Die Bundesregierung steht dem Ausgang der Wahlen absolut neutral gegenüber. Die Anwesenheit europäischer Truppen hat entscheidend dazu beigetragen, dass der erste Wahltag weitgehend ruhig und friedlich verlaufen ist. Die Bundesregierung hat sich bereits unter anderem bei der Vorbereitung und Finanzierung dieser größten und teuersten jemals mit Hilfe der UN organisierten Wahlen engagiert (Gesamtkosten: 428 Millionen US$). Noch vor dem Beginn der EU-Mission hatte der GKS-Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“ den Einsatz kritisch diskutiert. Die dazu erstell- te Vorlage von Oberst a.D. Ludwig Jakob (freier Mitarbeiter des Instituts für Theologie und Frieden) und Dr. Heinz-Gerhatd Justenhoven (Leiter des Instituts für Theologie und Frieden, ) wird nachstehend zur Kenntnis gebracht. Wegen der informativen und grundsätzlichen Aussa- gen dieser Situationsanalyse kann nach Meinung der Redaktion AUFTRAG auf eine Aktualisierung verzichtet werden. – Dem Beitrag folgen (kritische) Stimmen zum Kongo-Einsatz der Bundeswehr. Der Kongoeinsatz der Europäischen Union Sicherung des Flughafens zu über- – ein tragbares Risiko? nehmen und sich auf die Evakuie- rung gefährdeter Personen vorzube- VON LUDWIG JACOB UND H.G. JUSTENHOVEN reiten. Das Einsatzkonzept sieht vor: Der geplante militärische EU- wichtige Frage eines jeden militäri- – den Einsatz einer in Kinshasa Einsatz im Kongo schen Einsatzes für den EU-Einsatz stationierten deutschen Truppe Am 23. März 2006 bewilligte der im Kongo positiv beantwortet: Der von ungefähr 780 Mann; Rat der EU das Konzept für einen Einsatz zur Absicherung der Wahlen – die Bereitstellung einer in Abruf- militärischen Einsatz der EU, der die ist völkerrechtlich durch das UN- bereitschaft stehenden Truppe in Mission der Vereinten Nationen im Mandat legitimiert, es liegt die Bitte der Stärke eines Bataillons, die Kongo (MONUC) während der Wah- der zuständigen Regierung im Kongo außerhalb des Landes in Gabun, len unterstützen soll. Der Rat der EU vor und der Beschluss des deutschen Frankreichs engstem Verbünde- reagierte dabei auf eine Bitte der Parlamentes ist zu erwarten. Die ten in Afrika, stationiert, aber, UNO (vom 27.12.2005). Der Sicher- Bundesregierung will am 17. Mai wenn notwendig, schnell einsatz- heitsrat der Vereinten Nationen hatte über das Bundeswehr-Mandat für bereit ist; am 25. April 2006 mit der Resolution den geplanten Einsatz im Kongo in- – nach Entscheidung des Europäi- 1671 die Militäroperation beschlos- nerhalb einer EU-Friedenstruppe schen Rates erfolgt die Planung sen. Der Einsatz unter dem Namen entscheiden und am 1. Juni soll das und Einsatzführung der militäri- EUFOR RD Congo wird nachfol- Parlament darüber abstimmen. schen EU-Operation durch das gend beschriebene Aufgaben erfüllen. Der Auftrag der EU-Eingreif- Einsatzführungskommando in Die Entscheidung erfolgte in Ab- kräfte ist darauf ausgerichtet, eine Potsdam unter sprache mit der Regierung der De- schnell einsatzbereite Unterstützung Karl-Heinz Viereck, die operati- mokratischen Republik Kongo sowie der UNO Truppe MONUC zu ge- ve Führung in Kinshasa obliegt mit Ländern der Region und mit der währleisten, die Zivilbevölkerung vor einem französischen Kommando Afrikanischen Union. Damit ist eine Gewaltakten zu schützen sowie die unter Christian

4 AUFTRAG 263 KONGO-MISSION DER EU

Damay, der bislang Frankreichs Elfte Sudan Luftlandebrigade kommandierte. Zentralafr. Republik – Der Einsatz wird europäisch und multina- Kamerun tional sein: Deutschland und Frankreich sollten ursprünglich jeweils 500 Soldaten Demotratische stellen. Die restlichen Kontingente kom- Gabun Uganda Republik Kenia men aus Spanien, Italien, Griechenland, Kongo Kongo Ruanda Polen, Belgien, Schweden und Portugal. Burundi Die Dauer der Operation soll vier Monate • KINSHASA betragen. Transania – Der geplante Einsatz wird eine autonome EU-Operation sein, d.h. unabhängig von NATO-Strukturen. Das Politische- und Angola Malawi Sicherheitskomitee (PSK) der EU mit Sambia Javier Solana an der Spitze wird die poli- tische und strategische Führung dieses Einsatzes übernehmen. Zimbabwe Mosambik – Von den vorgesehenen 1.500 EU-Solda- Namibia ten (einer sog. „Battle-Group“) werden Botswana nur ca. 450 in der 8 Millionen Stadt Kinshasa sowie in deren Umgebung unter französischem Kommando stationiert wer- Lesotho den. Der Rest (als sog. „Over the horizon“-Force) wird außerhalb der DR Südaftrika Kongo in Gabun für einen eventuellen Einsatz bereitgehalten. Auf deutscher Seite wird vermutlich das Fall- schirmjäger-Btl 263 eingesetzt werden. Erwägt wird ferner die auf die angrenzenden Regionen aus- Stationierung eines Versor- strahlt: gungsschiffes in der Kongomün- Das Land wurde 1960 von Belgi- reichs, ein Teil der französischen dung (das bedeutet 280 Soldaten en in die Unabhängigkeit entlassen. Einflusssphäre in Afrika geworden. mehr). Als „Staat“ wurde Kongo 1885 auf Zaire bekannte sich unter Mobutu im – Noch nicht völlig geklärt sind der der Berliner Konferenz geschaffen, Kalten Krieg zum Westen. Er machte genaue Auftrag der Truppe, ihr die Grenzen dort festgelegt. In der das Land zum „Bollwerk“ gegen die Verhalten im Krisenfall, ihre Zu- Folge wurde der „Unabhängige Kon- sozialistisch-kommunistisch orien- sammenarbeit mit der UN-Missi- gostaat“ Privatbesitz des belgischen tierten Nachbarländer. Die USA för- on, ihre Rolle bei möglichen Königs Leopold II. 1908 übernahm derten das Mobutu-Regime jährlich Evakuierungen sowie die Kriteri- der belgische Staat die Herrschaft mit mehreren hundert Millionen Dol- en für den Einflug der in Reserve über den Kongo. Das Bildungssystem lar. stehenden Soldaten und weitere blieb rudimentär (bis 4. Klasse), alle Gegenüber den Menschenrechts- wichtige Details des Einsatzes. politischen Entscheidungen wurden verletzungen (unter anderem die Er- Vor allem ist noch nicht klar, ob bis in die 1950er Jahre in Brüssel ge- mordung und Unterdrückung politi- und inwieweit sich deutsche fällt. Die Herausbildung einer ein- scher Gegner) des Regimes schwieg Truppen in und um Kinshasa an heimischen Elite konnte unter diesen der Westen. 1997 erfolgte der Sturz riskanteren Operationen – wie der Bedingen nicht erfolgen. Mobutus durch Militär und Stammes- Eindämmung von Unruhen oder Etwa 300 Völker bzw. Volks- milizen; an dem dann folgenden Bür- Einsätzen gegen Milizen – beteili- gruppen mit ebenso vielen Sprachen gerkrieg waren 7 der 9 Nachbar- gen werden. Damit ist das Risiko- leben in einem Land von der Größe staaten des Kongo mit beteiligt. Nach profil dieses Einsatzes noch nicht Westeuropas. Ein „nationaler“ Zu- der Ermordung von Staatschef hinreichend zu erkennen. sammenhalt war nicht gegeben, da Laurent Kabila 2001 kam sein Sohn die Landesgrenzen künstlich von den Joseph Kabila durch ugandische und Hintergrund des Konfliktes Kolonialherren festgelegt waren. ruandische Unterstützung an die im Kongo So mündete die Unabhängigkeit Macht. DR Kongo (ehem. Zaire) wird als 1960 in einen Bürgerkrieg. Beendet Obwohl der Kongo aufgrund sei- ein Paradebeispiel für die Probleme wurde er erst durch die (dann 32-jäh- ner natürlichen Ressourcen ein rei- der post-kolonialen Staatenwelt Afri- rige) Diktatur Mobutus, der lange im ches Land sein könnte, ist die ökono- kas angesehen. Aufgrund seiner Grö- Westen Ansehen hatte, obwohl der mische Situation dramatisch: ße, Lage und des Ressourcenreich- Mobutu-Clan das Land „bis auf die Traditionell lebte die Landbevöl- tums ist Kongo mit seinen 50 Mio. Knochen“ ausraubte. In der Mobutu- kerung von der Subsistenzwirtschaft Einwohnern ein Schlüsselland in der Ära war das damalige Zaire, obwohl (Selbstversorgung). Die enormen Mitte Afrikas, dessen (In-)Stabilität gar nicht ehemalige Kolonie Frank- Ressourcen des Kongo (Gold, Silber,

AUFTRAG 263 5 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Diamanten, Coltan, Ko- In der UNO entwirft balt, Edelhölzer) werden Aufgaben der EU-Mission Frankreich traditionell von den Warlords und alle UN-Resolutionen ihren Milizen ausgebeu- Die Unterstützung einer friedlichen Entwicklung in der Region der Großen Seen ist zum Kongokrieg. Der tet und durch ruandische das entscheidende Motiv für das europäische Engagement in Zentralafrika. Ein Vorschlag für die Ent- und ugandische Mittels- Beitrag zur politischen Stabilisierung würde die bereits geleistete umfangreiche sendung einer EU-Trup- männer exportiert. Die europäische und deutsche Hilfe zur Entwicklung dieses wichtigen afrikanischen pe wurde in der „toten kongolesischen Landes ergänzen. Zeit“ zwischen Weih- Rebellengruppen sind Laut Resolution 1671 hat EUFOR RD Congo folgende Aufgaben: nachten und Silvester nur wenig an einer Been- • Unterstützung der MONUC, falls bedeutsame Schwierigkeiten bei der 2005 vom französischen digung des Konflikts in- Ausführung ihres Mandates auftreten, UN-Vizegeneralsekretär teressiert. Eine Verein- • Schutz von Personen vor gewalttätigen Aktionen, unbeschadet der Jean-Marie Guéhenno barung zwischen Ugan- Verantwortung der Regierung der Demokratischen Republik Kongo, offiziell vorgelegt und da, Ruanda und DR • Beitrag zur Flughafensicherung in Kinshasa, bei der EU von densel- Kongo, künftig enger zu • Sicherheit und Bewegungsfreiheit des Personals und Schutz der Einrichtungen ben französischen Plan- kooperieren, stieß bei ih- der EUFOR RD Congo, ern weiterverfolgt, die nen auf wenig Anklang. • Evakuierungsmaßnahmen in Gefahrensituationen. bereits 2003 die franzö- Besonders die aus Organisatorisches Zentrum des Wahlprozesses ist die Hauptstadt Kinshasa, wo die sisch geführte EU-Trup- ruandischen Regime- MONUC-Mission nur in geringerem Maße militärisch präsent ist. Die Soldaten der pe „Artemis“ im Nord- gegnern und kongolesi- EU sind zur Begleitung der Wahlen in der Hauptstadt Kinshasa, sowie in Kongos osten des Kongo konzi- schen Hutu bestehende Nachbarland Gabun, stationiert. Sie unterstützen die rund 17.000 UN-Soldaten piert hatten. Miliz FDLR (Forces und Polizisten der MONUC, die vor allem in den östlichen Provinzen des Landes Frankreich hat ein Démocratique de Libera- eingesetzt sind. erhebliches Interesse tion du Rwanda) ist be- daran, die eigene Afrika- strebt, die Umsetzung Ziel des europäischen Einsatzes ist es, die Akzeptanz der Wahl und des Wahl- Politik unter der EU- verschiedener Friedens- ergebnisses durchzusetzen und zu demonstrieren, dass eine Störung des Wahl- Flagge laufen zu lassen: abkommen und die Ent- prozesses von der internationalen Gemeinschaft nicht akzeptiert würde. Der das ist billiger, und der waffnung und Demobili- Oberste Verteidigungsrat der Demokratischen Republik Kongo hat der Mission EU-Stempel verschafft sierung durch die UN zu zugestimmt. eine weitaus höhere Le- verhindern, da sie bei ei- Dabei ist EUFOR RD Congo völlig neutral und unterstützt keinen der Kandidaten. gitimität. Deutschland ner Befriedung der Regi- Aufgabe von EUFOR RD Congo ist es, freie und faire Wahlen zu sichern, die den aber kann seinerseits on an Einfluss und zu- gewählten Vertretern eine echte demokratische Legitimation verleihen. kein Interesse daran ha- gleich wichtige Einnah- Quelle: www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/ ben, die französische Af- mequellen verlöre. Die RegionaleSchwerpunkte/Afrika/Kongo-Einsatz.html rika-Politik bedingungs- andauernden Kämpfe los zu unterstützen. Dass liegen durchaus im Inte- die anderen EU-Staaten resse der Warlords: Sie verhindern Die Hauptstadt Kinshasa ist in so sehr zögern, Truppen zu stellen – den Aufbau eines funktionierenden 40 Jahren von 400.000 auf fast 8 Briten, Dänen, Niederländer –, Gewaltmonopols. Es sind jedoch Millionen Einwohner gewachsen, könnte auch sehr wohl damit zusam- nicht nur die Warlords und afrikani- ohne dass die Infrastruktur Schritt menhängen, dass sie den Einsatz als sche Nachbarstaaten (Ruanda, Bu- halten konnte. Viele Menschen leben ein französisches Unternehmen be- rundi, Uganda), die den Kongo aus- in Elendsquartieren, und 50% der werten. plündern, dazu zählen auch Multis Bevölkerung haben nur eine Mahl- aus den USA und Westeuropa. Neu- zeit am Tag, 25% nur jeden zweiten Das politische Engagement der erlich drängt auch China mit Macht Tag; die hygienischen Verhältnisse EU im Kongo-Friedensprozess in die Region, getrieben von der Not- sowie der Zugang zu Frischwasser Uganda, Ruanda und Simbabwe wendigkeit, die wachsende Wirt- sind extrem problematisch. sind mittlerweile zumindest offiziell schaft mit Öl und Rohstoffen zu ver- Als westliche Mächte stehen sich aus dem Land abgezogen. Alle we- sorgen. USA und Frankreich mit konträren sentlichen militärischen und politi- Der jahrelange, interne Krieg Interessen im Kongo gegenüber. Seit schen Kräfte haben sich auf die Um- war einer der schlimmsten Konflikte Jahren läuft ein verdeckter Kampf setzung des unter Vermittlung Süd- seit dem II. Weltkrieg mit bislang zwischen Frankreich und den USA afrikas und Angolas im April 2003 über 3 Millionen Opfern („afrikani- um Einfluss in Zentralafrika. Die An- erreichten „Pretoria-Akkords“ ver- scher Weltkrieg“). Noch immer ster- nahme ist daher durchaus nahelie- pflichtet, der eine Machtteilung un- ben täglich 1.200 Menschen an den gend, dass Paris sich mit der Unter- ter den innenpolitischen Konflikt- Folgen von Seuchen, Hunger oder stützung Joseph Kabilas einen neuen parteien für eine Übergangsphase Gewalt, das sind ca. 440.000 im Jahr Klienten schaffen will. Viermal hat vorsieht. Ein Ergebnis des inner- (in Ost-Kongo sind 34% der Opfer Kabila inzwischen offiziell Chirac in kongolesischen Dialogs, bei dem es Kinder unter 5 Jahren). Waffen- Paris besucht. Frankreich ist der um die politische Beteiligung aller schmuggel vor allem über die Gren- drittgrößte Abnehmer kongolesischer wichtigen politischen Gruppen ging, zen von Uganda und Ruanda ver- Exporte, hinter Südafrika und Belgi- ist die 2003 verabschiedete Über- seucht das Land mit Kleinwaffen. en. gangsverfassung und die Bildung ei-

6 AUFTRAG 263 KONGO-MISSION DER EU

Im Rahmen seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland besuchte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, am 10. Juli 2006 das European Union Operation Headquarters in Potsdam. Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, und der Operation Commander, Generalleutnant Karlheinz Viereck, empfingen Annan und informierten ihn über den Stand der Operation EUFOR RD CONGO und die Arbeit im EU OHQ. Annan äußerte sich bei seinem Besuch beeindruckt vom Operations Headquarters. Er sprach seinen Dank für die Teilnahme der Bundeswehr an der Operation im Kongo aus. ner Übergangsregierung unter Be- Erfolgsaussicht des gleitung von UNO und EU. militärischen Einsatzes Die EU engagiert sich seit lan- im Rahmen des gem zugunsten des Übergangs- politischen Engagements prozesses in der DR Kongo, hierzu Bereits rund 17.000 UN-Frie- tiv werden, indem sie, im Rahmen gehört auch der Wahlprozess, den denstruppen stehen im Land, um den der herrschenden Anarchie, die Ge- die EU mit 149 Mio. Euro unter- fragilen Frieden abzusichern mit ein- waltherrscher auch noch mit dem stützt. Die EU-Kooperationsstrategie deutigem Schwerpunkt in den ost- Schein der demokratischen Legitimi- und das vorläufige Programm 2003- wärtigen Landesteilen. In der politi- tät versehen. 2007 sind darauf ausgerichtet, Ar- schen Abwägung eines militärischen Zugleich ist zu berücksichtigen, mut zu bekämpfen, den Aufbau von Einsatzes spielt die Frage nach der dass man nicht von freien und fairen Institutionen abzusichern und mak- Aussicht auf Erfolg eine wichtige Wahlen in unserem Sinn sprechen ro-ökonomische Unterstützung zu ge- Rolle. So soll abgewogen werden, ob kann: währleisten. Seit 2002 wurden diese die eingesetzten Menschen und fi- – In der Übergangsregierung sitzen Schwerpunkte mit 750 Mio. Euro fi- nanziellen Mittel im Anbetracht der (ehemalige) Warlords, denen nun nanziell unterstützt. mit einem solchen Einsatz verbunde- die Aufgabe zufallen soll, ge- Deutschland beteiligt sich darü- nen Risiken als verhältnismäßig und meinsam eine Regierung der na- ber hinaus am Programm der Welt- stabilitätsfördernd bewertet werden tionalen Einheit zu bilden, aus bank zur Entwaffnung, Demobilisie- können. der derzeitigen Anarchie und rung und Reintegration von Kämp- Die Wahlen im Kongo sollen ein den total maroden Institutionen fern mit über 35 Mio. Euro, im Be- historisches Ereignis werden, ein einen Staat aufzubauen und reich der technischen Entwicklungs- erster Schritt zur Überwindung von zumindest in Ansätzen Sicher- zusammenarbeit. 2003 wurden rund Rechtlosigkeit und Willkürherr- heit und wirtschaftliche Entwick- 8,2 Mio. Euro für Maßnahmen der schaft nach vier Jahrzehnten Dikta- lung zu gewährleisten. Besteht humanitären Hilfe und Nahrungs- tur, Staatszerfall und Krieg. nicht die Gefahr, dass so der mittelhilfe verausgabt. Die Bevölkerung scheint die Bock zum Gärtner gemacht wird? Auf Anfrage der Regierung Wahlen zu wollen. Das Verfassungs- – Der wichtigste Gegenkandidat Kabila wurde im April 2005 die referendum vom Dezember 2005 war (der bekannte Oppositionelle Polizeimission der EU in Kinshasa ein überraschender Erfolg, da die Etienne Tshisekedi/UPDS) tritt (EUPOL Kinshasa) zur Unterstüt- Verfassung mit 85% Zustimmung an- nicht zur Wahl an. Damit hat zung der Integrierten Polizeieinheit genommen worden ist, obwohl die Joseph Kabila keinen ernstzu- initiiert, und im Juni 2005 die EU- meisten der vor allem im Landes- nehmenden Gegenkandidaten Beratungs- und Unterstützungsmis- inneren lebenden Menschen sie mehr und kann mit einem Wahl- sion (EUSEC-RDC) für die Sicher- überhaupt nicht gekannt haben. erfolg rechnen. heitsreform des Kongo geschaffen. Wahlen sind ein wichtiges Element Diese Mission EUSEC steht unter einer Demokratie, aber Wahlen al- Insgesamt wird auf folgende Ri- Führung des französischen Generals lein schaffen noch keine Demokratie siken im Zusammenhang mit der Pierre Joana und stellt Berater im und keinen Frieden. Ohne die Herr- Wahl hingewiesen: Generalstab und sogar im privaten schaft des Gesetzes gibt es keine Si- In jedem Distrikt des riesigen Büro des kongolesischen Verteidi- cherheit und keine Demokratie. Auf Landes bestehen komplexe, schwer gungsministers. Menschenrechtler den Kongo übertragen bedeutet das: durchschaubare Rivalitäten – zwi- werfen all diesen neuen kongolesi- solange die Milizen nicht entwaffnet schen ökonomischen Konkurrenten, schen Sicherheitskräften schwere sind, solange weite Gebiete von War- ethnischen Gruppen und verfeinde- Übergriffe gegen die Zivilbevölke- lords beherrscht werden, solange die ten Politikern. So bedeutet die Parla- rung vor. Bei der Beratung der für die Regierung selbst sich aus Warlords mentswahl, in der auf dem flachen Sicherheit verantwortlichen kongole- mit privaten Milizen zusammensetzt, Land je ein Abgeordneter pro Verwal- sischen Behörden kommt es darauf besteht bei einer Wahl die Gefahr, tungseinheit gewählt wird, landes- an, darüber zu wachen, dass Stan- dass angesichts der herrschenden weit eine Aufforderung zum Kampf. dards, Prinzipien guter „öffentlicher Machtstrukturen nur ein Plebiszit zu- In Katanga werden nach Einschät- Verwaltung“ sowie Transparenz und gunsten der Mächtigen heraus- zung von UN-Experten die Wahlen Rechtsstaatlichkeit gewährleistet kommt. Dann könnten die Wahlen am problematischsten sein wegen der werden. möglicherweise sogar kontraproduk- immensen ökonomischen Interessen.

AUFTRAG 263 7 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Eine Voraussetzung für einen er- strukturen, die das Eindringen von einer wirklichen Befriedung und folgreichen Friedensprozess ist, dass ausländischen Milizen verhindern Demokratisierung ist wesentlich alle Bürgerkriegsparteien die Waffen können – erscheint angesichts dieser schwieriger, da der eigentliche Demo- niederlegen und ihre Armeen auflö- Perspektive ungelöst. Für eine nach- kratisierungsprozess erst nach der sen. Im Kongo ist das nur sehr be- haltige Befriedung der gewalt- Wahl beginnt. grenzt geschehen. Die alten Milizen geladenen Situation im Kongo gilt es, Der EU-Einsatz im Kongo um- aus der Zeit des Krieges 1998-2003 zunächst die Einkommensquellen fasst nach bisheriger Kenntnis pri- bestehen weiter. Die neue Armee der Milizen und Kriegsherren auszu- mär die Absicherung der Wahlen im FARDC (Forces Armees de la Repu- trocknen und die Waffenlieferungen Großraum Kinshasa. Im Anbetracht blique Democratique du Congo), un- an sie zu unterbinden. Gelingt es ih- der wahrscheinlich für manche der ter EU-Supervision per Verschmel- nen nicht mehr, die Rohstoffe unter vier Stellvertreter Kabilas sowie der zung früherer feindlicher Einheiten ihrer Kontrolle zu vermarkten und 35 Minister und 23 Vizeminister kri- entstanden, umfasst nur einen sich mit Waffen zu versorgen, werden tischen Ergebnisse der Wahlen, kön- Bruchteil der mehreren hunderttau- Zusammenhalt und Schlagkraft ihrer nen allerdings lokale Gewaltaktionen send Bewaffneten des Landes. Inner- Miliztruppen schnell schrumpfen. in entfernteren Regionen nicht aus- und außerhalb der offiziellen Struk- Ob der Einfluss der regionalen geschlossen werden. Sollte es aber zu turen sind weiterhin viele bewaffnete Warlords abnehmen wird und diese bürgerkriegsartigen Aufständen Gruppen mit unterschiedlichen Loy- sich ansatzweise in gemeinwohl- kommen, die von den UN-Truppen alitäten existent. Selbst Präsident orientierte öffentliche Autoritäten (MONUC) nicht beherrscht werden Kabila hat sich in Kinshasa eine nur transformieren lassen, ist nicht vor- können, stände auch das Kontingent ihm persönlich unterstehende Präsi- hersehbar. Dass der Übergangs- der EU auf verlorenem Posten. denten-Garde von ca. 16.000 Be- prozess bisher nicht zusammenge- Die Hoffnung des Verteidigungs- waffneten geschaffen. brochen ist, erklärt sich wohl vor- ministers, dass der Einsatz nur 60 Speziell für Kinshasa besteht fol- nehmlich aus den beschriebenen Mio. Euro (deutscher Anteil) kosten gendes Risiko: Die im Friedens- Ausbeutungsinteressen der Über- und in ca. vier Monaten beendet sein prozess marginalisierte, zivile Oppo- gangsparteien – ein Kollaps würde würde, wird durch keine Erfahrun- sition mit vielen Tshisekedi/UPDS- den verschiedenen Akteuren glei- gen aus vorangegangenen Einsätzen Anhängern könnte in den von ihr chermaßen ihre lukrativen Regie- gestützt. Im Gegenteil, die Probleme kontrollierten Slums zum Aufstand rungsposten entziehen. könnten nach der Wahl erst richtig aufrufen. Dann wäre die EU-Truppe Um einen kontinuierlichen de- beginnen, dann nämlich, wenn die geradezu gezwungen, zwecks „Ab- mokratischen Prozess im Kongo in Verlierer realisieren, dass sie um sicherung der Wahlen“ gegen sie Gang zu halten, bedarf es eines län- ihre bisherigen Pfründe neu kämpfen vorzugehen. Das würde wie eine Un- ger andauernden politischen und fi- müssen. Alle vorangegangenen Mis- terstützung der Kabila-Fraktion und nanziellen Engagements der interna- sionen (Bosnien, Kosovo und Afgha- anderer Warlords wirken. tionalen Staatengemeinschaft. Hier- nistan) haben den ursprünglich vor- Kongos neue Verfassung institu- zu gehören wirtschaftlicher Aufbau, gesehen Zeit- und Kostenrahmen so- tionalisiert eine weitgehende Dezent- Aufbau einer unabhängigen Justiz und wie Auftragsumfang massiv ge- ralisierung: Aus 11 Provinzen sollen weniger korrupten Verwaltung sowie sprengt. Diese Situation wäre die ei- binnen drei Jahren 26 werden, und die Schaffung effektiver Sicherheits- gentliche Nagelprobe für die Ernst- die jeweiligen Provinzregierungen strukturen (Armee, Polizei); all dies haftigkeit des militärischen Engage- sollen 40 % ihrer Einnahmen selbst kann der Kongo nur langfristig mit ments zugunsten eine friedlichen behalten. Das ist ein immenser Fort- entsprechender internationaler Un- Entwicklung der DR Kongo. Wie das schritt in Richtung einer Schwä- terstützung leisten. Wie realistisch mit 1.500 Soldaten zu bewältigen chung der bisherigen Herrschafts- ist also der Plan, die EU-Mission sein soll, hat noch niemand erklärt. elite, deren Macht auf ihrer Kontrolle lediglich auf vier Monate zu befristen Die Vielzahl ungeklärter Fragen über der Geld- und Warenflüsse zwischen und die UN-Mission (MONUC) nach das politische und militärische Kon- Provinzen und Hauptstadt gründet. den Wahlen deutlich zu verringern? zept, das diesem Einsatz zugrunde Es gibt jedoch bisher auf interna- liegt, machen eine gewissenhafte Ab- tionaler Ebene nicht einmal den An- Abschließende Bewertung wägung der Erfolgsaussichten äu- satz von Überlegungen, wie man Die Risiken einer gut ausgerüs- ßerst schwierig. Eins ist jedoch klar: funktionierende lokale Verwaltungs- teten, mit einem „robusten“ Mandat Für die EU und auch Deutsch- apparate aufbauen könnte. Faktisch ausgestatteten Friedensmission land steht viel auf dem Spiel: einen sind die Provinzen heute zumeist pri- scheinen sowohl für die EU und die Fehlschlag der Mission, dem dann mitive Diktaturen. Falls diese Re- daran beteiligten Staaten als auch für ein Rückfall in die „Katastrophe form durchgesetzt wird, besteht das die entsandten Soldaten noch nicht Kongo“ angelastet werden könnte, Risiko, dass der Kongo im Rahmen zureichend kalkulierbar zu sein – wird man sich kaum leisten können. der Dezentralisierung in viele regio- das Risiko für die eingesetzten Sol- Davon würden sich die europäische nale Diktaturen unter der Herrschaft daten scheint jedoch noch vertretbar Handlungsfähigkeit, das europäische von Warlords zerfällt. zu sein, da der rasche Rückzug bei Selbstverständnis und unser Anse- Ein zentrales Grundproblem des kritischen Entwicklungen der Sicher- hen der Welt auf lange Zeit nicht er- Kongo – fehlendes Gewaltmonopol heitslage mit eingeplant wird. Die holen. ❏ und funktionierende Sicherheits- Einschätzung der Erfolgsaussichten

8 AUFTRAG 263 KONGO-MISSION DER EU Stimmen zum Kongo-Einsatz der Bundeswehr erade von Soldaten wird dieser erneute und zusätzliche Friedens- sicherungsauftrag kritisch gesehen. AUFTRAG hatte demgegen- Güber „Zehn gute Gründe für den Bundeswehreinsatz im Kongo“ benannt (Heft 262/Juni 2006, S 3). Hier nun einige bei KNA gefundene Äußerungen zum Kongo-Ein- satz deutscher Soldaten sowie weitere Meldungen zur Situation:

Militärbischof: Zu viele deutsche rufen, den Kongo auch nach dem ge- UN-Generalsekretär fordert Soldaten im Auslandseinsatz planten Bundeswehreinsatz zu unter- langfristiges Engagement edenken gegen den Bundeswehr- stützen und den Friedensprozess zu im Kongo BEinsatz im Kongo hat der katho- stärken. „Wenn wirklich ein Wandel -Generalsekretär Kofi Annan lische Militärbischof Walter Mixa im bürgerkriegsgeplagten Land voll- UNhat ein langfristiges Engage- bekräftigt. Bereits jetzt befänden zogen werden soll, müssen wir den ment Deutschlands und anderer eu- sich „zu viele“ deutsche Soldaten in Aufbau der Zivilgesellschaft massiv ropäischer Staaten bei der Friedens- Auslandseinsätzen. Weitere derarti- unterstützen“, sagte der Beauftragte sicherung in der Demokratischen ge Missionen in politisch instabilen der Deutschen Bischofskonferenz für Republik Kongo gefordert. Er hoffe, und unübersichtlichen Gebieten das Hilfswerk Misereor in Aachen. dass es mit der Sicherung der Wah- überforderten die Bundeswehr, die in Die demokratische Kultur müsse ge- len nicht getan sei. Nach Schließung den zurückliegenden Jahren einem stärkt, die Menschen dürften mit der Wahllokale sei Hilfe bei der Re- rigiden Sparprogramm unterworfen dem Wahlergebnis nicht allein gelas- form des Sicherheitswesens, der gewesen sei. Außerdem belaste die sen werden, betonte der Hamburger Polizeiausbildung und der Verbesse- monatelange Trennung die Soldaten Erzbischof. „Notwendig ist jetzt ein rung der Regierungsführung nötig. und ihre Angehörigen schwer, sagte langer Atem“, so Thissen. Wegen überstürzter Rückzüge aus der Augsburger Bischof Mitte Juli. Konfliktgebieten sei allzu häufig ein Dieses Opfer müsse in einem ange- Außenminister Steinmeier: mühsam errungener Frieden wieder messenen Verhältnis zum politischen Kongo-Einsatz stärkt zusammengebrochen, warnte Annan. Ergebnis eines Auslandseinsatzes gesamte Region Die internationale Gemeinschaft habe stehen. ußenminister Frank-Walter Stein- dann wenige Jahre später erneut ein- Ameier (SPD) sieht den EU-Ein- greifen müssen. Zugleich lobte der missio begrüßt satz im Kongo als Beitrag zur Frie- UN-Generalsekretär, Deutschland Bundeswehreinsatz im Kongo denssicherung in der gesamten Regi- und seine Verbündeten setzten mit as Internationale Katholische ihrem Einsatz ein machtvolles Zei- on Zentralafrikas. „Jeder Stabilitäts- Missionswerk missio hat den chen der Unterstützung. Mit Blick D gewinn dort wird zugleich positive Einsatz im Kongo begrüßt. „Wir be- auf die Entwicklungshilfe mahnte Wirkung auf Nachbarstaaten wie ten für den Erfolg der EU-Mission der UN-Generalsekretär die europäi- und für friedliche, demokratische Burundi, Ruanda, Uganda haben“, schen Staaten, in diesem Jahr ihrer Wahlen im Kongo“, erklärten die sagte Steinmeier dem Nachrichten- Selbstverpflichtung nachzukommen beiden missio-Präsidenten Pater Eric magazin Focus. Bislang gebe es kei- und ihre Zahlungen auf 0,33 Prozent Englert und Pater Hermann Scha- ne „konkreten Anhaltspunkte“ für ihres Nationaleinkommens anzuhe- lück. Zugleich appellierte missio an mögliche Unruhen im Umfeld der für ben. Nach wie vor stünden dem Mill- die Bundesregierung, ihre Bemühun- den 30. Juli geplanten Wahlen. Den- enniums-Entwicklungsziel, bis 2015 gen gegen den Handel mit Klein- noch könne niemand „mit letzter Si- eine Halbierung der Armut zu errei- waffen massiv zu verstärken. Deren cherheit“ Risiken abschätzen, so der chen, gewaltige Hindernisse entge- Existenz mache den Einsatz von Kin- Minister. Zur nach einem Friedens- gen. So litten in Afrika südlich der dern als Soldaten überhaupt erst abkommen weiter dramatischen Lage Sahara derzeit rund 140 Millionen möglich. Deutschland zähle zu den in der sudanesischen Konfliktregion Menschen mehr unter extremer Ar- führenden Exportländern. missio en- Darfur sagte Steinmeier, Deutsch- mut als vor 15 Jahren. gagiert sich mit anderen kirchlichen land setzt auch künftig darauf, die Hilfswerken in der Kampagne „AKTI- afrikanische Führungsrolle bei den Solana beklagt Ausplünderung ON VOLLTREFFER – KEIN KRIEG MIT KIN- internationalen Lösungsbemühungen des Kongo DERN“. Die Kampagne macht auf den zu stärken. Er rechne nicht damit, er EU-Außenbeaufragte Javier Missbrauch von weltweit mehr als dass die Vereinten Nationen im Falle DSolana hat ein Ende der wirt- 300.000 Kindern als Soldaten auf- eines Blauhelm-Einsatzes in Darfur, schaftlichen Ausbeutung der Demo- merksam machen (s.a. Kasten S. 10). europäische Kampftruppen anfor- kratischen Republik Kongo gefor- dern würden. Vielmehr seien bessere dert. Der Kongo sei zu lange ausge- Misereor: Kongo langfristig Führungsfähigkeiten und logistische plündert worden, schrieb Solana in stärken Unterstützung notwendig. Die Ursa- einem Gastbeitrag der „Berliner Zei- isereor-Bischof Werner Thissen chen der Gewalt lägen aber im Sudan tung“ (14.07.2006). Die Rohstoffvor- Mhat die Bundesregierung aufge- selbst. kommen des Landes sollten der ge-

AUFTRAG 263 9 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

<< Von Kongolesen beobachtet landete Gruppierungen vor der Wahl aus. am 27. Juli 2006 der erste deutsche Während der Auszählung der Stim- Hubschrauber CH 53 auf dem N‘Dolo men müssten die politischen Führer Airport in Kinshasa. für ein Klima der Ruhe und Ernst- haftigkeit sorgen, forderte die EU- Waffenembargo verlängert Kommissarin. Insgesamt beobachte- inen Tag nach den Wahlen ver- ten rund 300 EU-Fachleute die Elängerte der VN-Sicherheitsrat Stimmabgabe. Die EU hat die Wahl- das bestehende Waffenembargo ge- Organisation mit rund 149 Millionen gen die DR Kongo bis Juli 2007. Da- Euro unterstützt. mit solle verhindert werden, dass die Auseinandersetzungen von Rebellen- Eufor-Truppen wollen Präsenz gruppen im Osten des Landes und im Kongo erhöhen samten Bevölkerung zugute kommen. der gesamten Region der Großen ie europäischen Truppen im Ausländische Interessen an den um- Seen neu entfacht würden. Als Sank- DKongo wollen ihre Präsenz wäh- fangreichen Rohstoffvorkommen vor tionen sieht die Resolution Reise- rend der Stimmauszählung nach den allem im Osten des Kongo sind einer verbote und das Einfrieren von Aus- Wahlen landesweit erhöhen. „Wir der Gründe für die anhaltende Insta- landkonten vor. werden überall im Kongo in unserem bilität des Landes. Solana rief dazu Mandatsgebiet präsent sein“, sagte auf, den Kongo dauerhaft zu befrie- EU ziehen erste Bilanz der deutsche Befehlshaber der Eufor- den und zu stabilisieren. Das Land zu Wahlen im Kongo Truppen, Generalleutnant Karlheinz sei das „Herz des afrikanischen Kon- ie EU-Wahlbeobachter haben Viereck, am 3. August der Tageszei- tinents“. Solange der Kongo nicht Deine positive Bilanz ihrer Missi- tung „Die Welt“. Dabei werde sich dauerhaft auf den Weg zurück zu on in der Demokratischen Republik die Bundeswehr auf Aufgaben in der Frieden, Stabilität und Entwicklung Kongo gezogen. Allerdings seien ei- Hauptstadt Kinshasa beschränken, gefunden habe, könnten Fortschritte nige „Abweichungen von den Wahl- während andere Eufor-Einheiten im und Hoffnungen auch andernorts be- vorschriften“ festgestellt worden, die ganzen Kongo mit Ausnahme der nicht droht sein. Ein Beispiel für das EU- derzeit genauer überprüft würden, zum Mandat gehörenden Ost- Engagement sei die Unterstützung erklärte Außenkommissarin Benita provinzen aktiv werden sollen, beton- der Präsidentschafts- und Parla- Ferrero-Waldner in Brüssel. Ange- te er. Die Wahlen bilanzierte Viereck mentswahlen Ende Juli. Die Gemein- sichts der riesigen Ausdehnung des positiv. Die Eufor-Truppen seien schaft trägt laut Solana 80 Prozent Landes sowie wegen des komplexen nicht benötigt worden und nicht zum der Kosten für die Wahlen und schi- Wahlrechts erfordere eine detaillier- Einsatz gekommen. cke 3.000 Soldaten zu deren Ab- te Prüfung der Wahlabläufe weitere Nach den ersten demokratischen sicherung in das Land. Zeit. Am Ende dieser Analysen wür- Wahlen seit dem Bürgerkrieg rech- den die EU-Wahlbeobachter ihren nen Beobachter mit Spannungen UNHCR beklagt Menschen- Abschlussbericht vorlegen. Zugleich oder Auseinandersetzungen während rechtsverletzungen im Kongo drückte Ferrero-Waldner ihre Be- der mehrwöchigen Stimmauszäh- as UN-Flüchtlingshilfswerk hat sorgnis über Unruhen und Zusam- lungen. ❏ Danhaltende Gewalt in Teilen der menstöße zwischen den politischen Demokratischen Republik Kongo be- klagt. Vor allem in den östlichen Pro- vinzen seien Zivilisten weiterhin Op- UN: Kinder in Konflikten weltweit besser schützen fer von massiven Menschenrechts- eltweit 250.000 Kinder werden nach UN-Angaben als Soldaten verletzungen durch bewaffnete Grup- pen. So komme es immer wieder zu missbraucht. Zudem seien Zehntausende Mädchen Opfer sexueller Vergewaltigungen, Vertreibungen, WGewalt, betonte die Sonderbeauftragte für Kinder in Konflikten, Radhika Coomaraswamy, am 24. Juli vor dem Weltsicherheitsrat in New Plünderungen und Zerstörungen von Häusern. Allein in einem von York. In einer Erklärung forderte das Gremium größere Anstrengungen, die geltenden Regeln zum Schutz von Kindern effektiver umzusetzen. Die Di- UNICEF unterstützten Krankenhaus in der ostkongolesischen Stadt Goma rektorin des Kinderhilfswerks UNICEF, Ann Veneman, sagte, in den vergan- seien in den vergangenen drei Jahren genen 20 Jahren seien rund zwei Millionen Kinder infolge von Krieg getötet worden. Nach jahrelanger Vernachlässigung des Problems sei die internatio- 4.500 Mädchen und Frauen nach brutalen Vergewaltigungen behan- nale Gemeinschaft gefordert, Kinder besser zu schützen. Coomaraswamy forderte, statt bloßer Verurteilungen konkret gegen Staa- delt worden. Viele infizierten sich mit HIV und erlitten schwerste, oft ten vorzugehen, die sich wiederholt schwerer Menschenrechtsverletzungen tödliche Verletzungen. an Kindern schuldig machten. Dazu biete die UN-Resolution 1.612 für Kinderrechte ausreichend Handlungsspielraum. Zugleich unterstrich die Nach Angaben des UNHCR sind rund 1,6 Millionen Kongolesen in- UN-Verantwortliche, dass es mit Hilfe lokaler, nationaler und internationa- nerhalb des Landes geflohen. Zudem ler Zusammenarbeit gelungen sei, in Staaten wie Liberia, Sierra Leone, leben etwa 400.000 Kongolesen als Burundi oder in der Demokratischen Republik Kongo die Situation von Kin- Flüchtlinge im Ausland. dern zu verbessern. (KNA)

10 AUFTRAG 263 KONGO-MISSION DER EU

INTERVIEW: „Ein Stück Gelassenheit“ Militärseelsorger Pützer begleitet die Bundeswehr in den Kongo

m Freitag, den 14. Juli 2006 brach auch der katholische Militär- Apfarrer Georg Pützer (44), der die Soldaten seelsorglich betreuen wird, in das zentralafrikanische Land auf. Pützer ist Standortpfarrer bei den Fallschirmjägern in Oldenburg. Vor seiner Abreise sprach er in Han- nover mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über seine Aufga- ben und Erwartungen. KNA: Herr Pfarrer Pützer, mit wel- KNA: Was sind die wichtigsten Dinge, chen Gefühlen starten Sie in den Kon- die Sie mitnehmen? go-Einsatz? Pützer: Ein Stück Gelassenheit. Or- nen Grenzen kennt. Zunächst mal ist Pützer: Mit einem gesunden Maß an ganisatorisch das, was ich für den die Behandlung traumatisierter Sol- Spannung, und einem Maß an positi- Gottesdienst brauche, vom Kelch an- daten eine Aufgabe für professionelle vem Respekt davor. gefangen bis zum Messbuch. Und Therapeuten. KNA: Wie haben Sie sich vorbereitet? viel Lust und Interesse, mit den Men- KNA: Wie lange bleiben Sie? Vertei- Pützer: Ich habe die Möglichkeit schen zu arbeiten. digungsminister Franz Josef Jung hat wahrgenommen, bei der Ausbildung KNA: Immer mehr Soldaten kommen schon Zweifel an der 4-monatigen der Truppe dabei zu sein, wie das so traumatisiert von Auslandseinsätzen Begrenzung des Engagements geäu- üblich ist. Ansonsten setze ich auf zurück. Eine Aufgabe auch für die ßert. die Erfahrung, die ich durch andere Militärseelsorge? Pützer: Meine Zeit ist definitiv auf Einsätze gewonnen habe. Pützer: Natürlich komme ich mit Sol- zwei Monate eingegrenzt, bis Mitte KNA: Was werden Ihre Aufgaben vor daten in Berührung, die traumatisiert September. Dann werde ich durch ei- Ort sein? sind. Ich nehme mich derer als Seel- nen evangelischen Kollegen abge- Pützer: Für die Menschen da zu sein sorger selbstverständlich an. Jedoch löst. und mit meinen Möglichkeiten als ist es wichtig, dass man seine eige- (Interview: Bernd Buchner) Seelsorger zur Verfügung zu stehen. Es geht in erster Linie darum, zuzu- hören und sich darum zu kümmern, n einem 2. Interview mit KNA unmittelbar nach der Wahl äußerte sich dass die Soldaten ein Stück Normali- IMilitärpfarrer Pützer telefonisch zu seinen ersten Eindrücken und der tät erleben können. Stimmung unter den Einsatzkräften in Kinshasa. KNA: Sie haben schon erwähnt, dass KNA: Herr Pfarrer, was sind die Sor- KNA: Was sind Ihre Eindrücke nach es nicht Ihr erster Auslandseinsatz ist. gen und Probleme bei den deutschen einem halben Monat Aufenthalt im Pützer: Der Kongo ist mein achter Soldaten in Kinshasa? Kongo? Einsatz. Unter anderem war ich nach Pützer: Die Armut hier in Kinshasa der Flutkatastrophe im indonesi- Pützer: Da sind zum einen die sehr bescheidenen Verhältnisse, in denen ist sehr groß, und es gibt kaum Infra- schen Banda Aceh. Gerade eben erst struktur. Es liegt der Geruch von ver- bin ich aus Afghanistan zurückge- man lebt. Nicht jeder kommt gut da- mit zurecht. Dasselbe gilt für die branntem Müll in der Luft. Aber die kehrt. Menschen sind sehr freundlich. Sie KNA: Es gibt in Deutschland auch Trennung von Freundin, Frau oder Familie. Für manchen Soldaten ist haben Interesse an den Wahlen und Kritik an der Kongo-Mission. Beein- fragen auch nach, was man so macht. flusst das Ihre Tätigkeit vor Ort? das schwierig. Da ist es dann wichtig, darüber zu sprechen. Die Soldaten Natürlich gibt es auch andere, die al- Pützer: Nein, denn meine Funktion müssen aber auch mit den Bildern les skeptisch sehen. Das ist ja völlig ist die eines Seelsorgers, der den und Eindrücken fertig werden. Viele normal. Man kommt auch nach der Menschen vor Ort beisteht und als Sonntagsmesse mit den Besuchern habe noch nie eine solche Armut ge- Gesprächspartner zur Verfügung ins Gespräch. sehen. steht. Meine Funktion ist es nicht, KNA: Es gab Berichte über Ausschrei- Einsätze zu bewerten. KNA: Wie reagiert die Bevölkerung tungen bei Wahlkundgebungen? KNA: Werden Sie Kontakt mit der ka- auf die Präsenz ausländischer Solda- Pützer: Wenn es hier Demonstratio- tholischen Kirche im Kongo haben? ten? nen gibt oder Wahlkundgebungen Pützer: Wir werden versuchen, Kon- Pützer: Die Bevölkerung nimmt die der Präsidentschaftskandidaten, ver- takt aufzunehmen. Das ist der Unter- Mission gut auf. Die Menschen sind sammelt sich schnell eine große schied zu anderen Einsätzen, wo es sehr freundlich, lächeln und winken Menschenmenge. Und die Masse re- Kirche in dem Sinne nicht gibt. Es spontan. Es gibt natürlich auch Men- agiert sehr emotional. Dabei kommt gibt einen deutschen Seelsorger im schen, bei denen man den Eindruck es durchaus vor, dass sie untereinan- Kongo, den ich zu kontaktieren ver- hat, dass ihnen das, wofür wir hier der sehr unfreundlich miteinander suchen werde, ebenso die anderen einstehen, nicht passt. Aber das ist ja umgehen. Kollegen vor Ort. genau das Problem hier im Lande. (Interview: Christoph Scholz)

AUFTRAG 263 11 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Segen der missio-Präsidenten für die deutschen Soldaten in der Republik Kongo Anlässlich der Verlegung von Bun- in Kinshasa (Foto o.r.). „Für die Zi- deswehr-Soldaten im Juli in die vilisten ist der Einsatz eine frohe kongolesische Hauptstadt Kinshasa Botschaft, denn sie haben Hoff- haben die missio-Präsidenten Pater nung und Schutz, Frieden und Frei- Eric Englert (OSA) und Dr. Hermann heit“. Schalück (OFM) ihren Segen für die Frau Keitetsi wurde 1976 in Ugan- 780 deutschen Soldaten, die ge- da geboren. Mit acht Jahren flieht samte EU-Mission und die internati- sie aus dem Elternhaus, gerät dabei onalen UN-Truppen im Kongo aus- in ein Rekrutierungslager der ugan- gesprochen: dischen Widerstandsarmee und wird „Mögen Gottes Engel die Bun- Kindersoldatin. 1999 gelingt es ihr deswehr-Soldaten und alle als Neunzehnjährige aus Uganda Menschen beschützen, die sich zu fliehen, und sie gelangt u.a. mit für Frieden und Freiheit einsetzen. Wir beten für Hilfe der Vereinten Nationen im selben Jahr nach Dä- den Erfolg der EU-Mission und für friedliche, de- nemark, wo sie noch heute einen Wohnsitz hat. mokratische Wahlen im Kongo,“ so Pater Englert Sie ist die erste Kindersoldatin, die ihre Erlebnisse in und Pater Schalück. einem zum Bestseller gewordenen Buch festgehalten Gemeinsam mit der ehemaligen Kindersoldatin China hat: „SIE NAHMEN MIR DIE MUTTER UND GABEN MIR EIN GEWEHR. Keitetsi danken die missio-Präsidenten den Bundes- MEIN LEBEN ALS KINDERSOLDATIN“, Ullstein-Verlag, Mün- wehr-Soldaten für Ihren Einsatz im Kongo. China chen, 32002. Heute widmet sie sich der Problematik Keitetsi unterstützt die Aktion Volltreffer und übergab der Kindersoldaten, um so auf diese ganz besonders während einer Veranstaltung der Kath. Militärseelsor- schlimme Art der Ausbeutung von Kindern weltweit ge auf dem Katholikentag in Saarbrücken Dr. Thomas aufmerksam zu machen. Sie hielt dazu bereits Vorträ- Elßner, Pastoralreferent beim Kath Standortpfarrer ge vor dem Deutschen Bundestag, der Unesco und IV, eine Botschaft für die deutschen Soldaten der UNO. (PS/KMBA)

Sehr geehrte Soldaten der Bundeswehr, als ich die Nachricht vom Einsatz der deutschen Bundeswehrsoldaten in der Demokratischen Republik Kongo hörte, sprang ich vor Freude in die Luft und jubelte. Wenn Sie meine Geschichte kennen, werden Sie verstehen, warum mich die Botschaft so erfreut. Ich heiße China Keitetsi, musste zehn Jahre als Kindersoldatin in Uganda kämpfen, konnte fliehen und fand in Dänemark Asyl. Ich war ein achtjähriges Mädchen, als für mich der Krieg begann. Eine AK 47 war für mich leicht zu tragen und kinderleicht zu bedienen. Meine Geschichte habe ich mir in dem Buch „Sie nahmen mir die Mutter und gaben mir ein Gewehr“ von der Seele geschrieben. Ich bin häufig in Deutschland, weil ich hier von mehreren Organisationen unterstützt werde. Im Rahmen der „Aktion Volltreffer“, einer Kampagne der Hilfswerke missio, Adveniat und dem Evangelisch-Lutherischen Missionswerk, setzen wir uns für den Schutz von Kindern vor Krieg und Zwangsrekrutierung in Afrika, Asien und Lateinamerika ein. Ich schreibe Ihnen, weil ich Ihnen im Voraus danken will für Ihren Einsatz in der Demokratischen Republik Kongo. Für die Zivilisten ist dies eine frohe Botschaft. Denn sie haben Hoffnung auf Schutz, Frieden und Freiheit. Für die Kriegstreiber ist Ihr Friedenseinsatz hingegen eine Drohbotschaft: Sie wissen, dass die internationale Friedenstruppe der Gewalt Einhalt gebieten wird. Der Einsatz Ihrer Truppe ist ein so wichtiges Signal für Frieden und Demokratie in Afrika. Aber wie sollen sich Bundeswehrsoldaten verhal- ten, wenn sie in einen direkten Konflikt mit Kindersoldaten geraten? Müssen Sie dann um des Friedens Willen auf Minderjährige schießen? Diese Frage habe ich in den letzten Wochen oft gehört. Natürlich ist es eine schwierige Frage, die ich Ihnen aus meiner Sicht als ehemalige Kindersoldatin beantworten möchte. Zu jener Zeit als Kindersoldatin wusste ich nicht viel über die Welt, aber der professionelle Ruf der westli- chen Soldaten war bis zu uns gedrungen, und wir Kindersoldaten hatten und haben Respekt vor ihnen. Wir selber waren eine zusammengewürfelte Truppe aus entführten Kindern, die von skrupellosen Kriegstreibern in die Schlacht geschickt wurden. Es gab keine richtige militärische Ausbil- dung, keine Strategie. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie auf Kindersoldaten treffen ist gering. Und wenn es dazu kommen sollte, werden nicht Sie diejenigen sein, die Kindersoldaten angreifen werden. Sollten Kindersoldaten in die Offensive geschickt werden und ihr Leben bedrohen, so werden Sie wie jeder ver- nünftige Soldat handeln: Sie werden zuerst versuchen die Angreifer abzuschrecken und notfalls werden sie sich verteidigen. Wenn Sie nach den demokratischen Wahlen nicht den Frieden sichern, droht die Fortführung des Krieges und Leids. Dann werden die Kindersoldaten in das sogenanntes Feindesland geschickt und in den Dörfern Zivilisten angreifen. Dies muss verhindert werden. Mit Ihrer Friedensmission sind Sie nicht alleine. Die Projektpartner der Aktion Volltreffer gegen Kindersoldaten setzen sich bereits seit Jah- ren für Frieden und Versöhnung im Kongo ein. Es sind kirchliche Mitarbeiter, die dort als Seelsorger traumatisierte Kindersoldaten betreuen. Sie rufen die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo auf, den Krieg zu beenden und eine friedliche Gesellschaft aufzubauen. Wir brauchen Ihren Schutz und Ihre Hilfe. Sehen Sie mich als Kindersoldatin nicht als Monster an, sehen sie mich als Kind, als ein Mitglied einer großen Familie. Helfen Sie uns. Denken Sie einfach an mich. An China Keitetsi, die ihre Tochter sein könnte und die aus den Händen der Entführer und Kriegstreiber befreit werden muss. Ich habe es geschafft und konnte fliehen. Hingegen haben die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo nur durch Ihren Einsatz eine Chance. Möge Gott Ihnen viele Schutzengel auf den Weg für ihre Friedensmission in der Demokratischen Republik Kongo geben. Ihre zutiefst dankbare China Keitetsi

12 AUFTRAG 263 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK »Private Militärfirmen zerstören die Demokratie« Friedensforscher warnen vor zunehmender Privatisierung der Gewalt uf eine zunehmende Tendenz keiner Weise gebunden seien und, Nicht nur schwache oder in Be- zur Privatisierung von Sicher- anders als die staatlichen Institutio- drängnis geratene Regierungen (etwa Aheits- und Militärdiensten ma- nen, keine Sicherheitskonzepte be- in Papua-Neuguinea, Sierra Leone chen Friedensforscher aufmerksam. achten und keine gesetzlich vorge- oder Sri Lanka) nehmen solche Dabei unterscheidet der langjährige schriebenen Aufträge erfüllen müss- Dienste in Anspruch, sondern auch Leiter des Internationalen Konversi- ten. Sie gehorchten ausschließlich die Großmächte. So bringt Uesseler onszentrums (BICC), Herbert dem Gesetz von Angebot und Nach- das Zitat eines Mitarbeiters aus dem Wulf, zwischen einer Privatisierung frage. US-Verteidigungsministerium: „Wir der Gewalt „von unten“ – etwa durch sind heute ohne die privaten Militär- „Warlords“, Milizen, Rebellen oder 200 Milliarden Euro Umsatz firmen nicht mehr in der Lage, einen Jugendgangs – und „von oben“ – Die Nachfrage nach solchen Krieg zu führen.“ Allein im Irak seien dem „Outsourcen“ polizeilicher und Dienstleistungen ist jedenfalls spä- rund 30.000 Privatsoldaten im Ein- militärischer Funktionen an private testens seit den Anschlägen vom 11. satz, darunter zahlreiche Deutsche, Firmen. September 2001 weltweit dramatisch die damit nach den Amerikanern die In seinem Buch „INTERNATIONALI- gewachsen. Nach Angaben Uesselers zweitgrößte „Armee“ darstellten und SIERUNG UND PRIVATISIERUNG VON KRIEG lag der Branchenumsatz 2005 bei rund mehr Männer im Einsatz hätten als UND FRIEDEN“ (Nomos Verlagsgesell- 200 Milliarden Euro. Das abrufbare alle anderen „Koalitionstruppen“ zu- schaft) stellt Wulf diese Entwicklung Personal werde gegenwärtig auf welt- sammen. in den Zusammenhang des generel- weit 1,5 Millionen Personen geschätzt. Das zur Begründung für das len Trends der Globalisierung fast al- Mit dem „klassischen“ Bild vom Söld- „Outsourcen“ häufig angeführte Kos- ler Gesellschaftsbereiche. Die Betei- ner hätten diese Einsatzkräfte nicht tenargument ist dabei laut Uesseler ligung an bewaffneten Konflikten sei mehr viel gemeinsam. Dabei gehe die kaum überprüfbar. Leistung und Qua- dabei für manche der Kriegsteilneh- Spannweite von der hoch spezialisier- lität privater und staatlicher Sicher- mer ein profitables Geschäft. ten Fachkraft bis zu kurzfristig und heitskräfte seien meist nicht direkt Ähnlich argumentiert der Publi- projektbezogen angeheuerten einhei- vergleichbar, außerdem gingen die zist Rolf Uesseler, der in seinem mischen Unterstützern. Tätig sind sie Kosten für Kontrolle und Transpa- Buch „KRIEG ALS DIENSTLEISTUNG“ in den Bereichen Sicherheit (Perso- renz nicht in die Bilanzierung ein. (Ch. Links Verlag) zu der Einschät- nen-, Objekt-, Anlagen- und Institutio- Wulf fordert angesichts dieser Ent- zung kommt: „Private Militärfirmen nenschutz), Ausbildung (teilweise in wicklungen nationale und internatio- zerstören die Demokratie“. Zur Be- eigenen Trainingscentern), Informa- nale Regeln und Kontrollen des En- gründung weist er darauf hin, dass tions- und Spionagedienste sowie Lo- gagements dieser Firmen. Vor allem die Unternehmen außer durch die gistik (Transporte, Lieferung von ihr Einsatz in Kampfhandlungen Verträge, die sie abschließen, und Nachschub, Wartung von Fahrzeu- müsse „zum Tabu erklärt werden“. durch das jeweilige Gewerberecht in gen und Waffensystemen). (KNA)

Sexuelle Gewalt in Krisengebieten nimmt zu ergewaltigungen, ein perfides plan“ unter anderem neue Gesetzes- lagern an, mit sexueller Gewalt kon- Kriegsinstrument in Kriegs- initiativen, freie medizinische und frontiert worden zu sein. In der De- Vund Krisengebieten – vor al- psychologische Versorgung sowie mokratischen Republik Kongo prak- lem auch in den afrikanischen Län- Trainings- und Sicherheitsmaßnah- tizieren alle Kriegsparteien Verge- dern. Es gehe um eine Problematik, men. Hauptziel: Jeder Staat sollte waltigungen. die in Zukunft noch weiter zunehmen strategische Allianzen mit Regierun- Auch in den Flüchtlingslagern werde, befürchten Experten ange- gen, Justizbehörden, Polizei, Militär weltweit, in denen laut UN-Menschen- sichts der weltweit zunehmenden und Nichtregierungsorganisationen rechtskommision (UNHCR) mehr als Zahl von Konflikten. Gewalt gegen schließen. Der Blick rund um den 34 Millionen Menschen Zuflucht ge- Frauen in Krisenregionen sei ein Globus zeigt, vorerst ist dieses Doku- sucht haben, finden Mädchen und Massenphänomen, werde aber kaum ment nicht viel mehr als ein Papierti- Frauen keinen Schutz. Die Zahl der auf einer internationalen Agenda be- ger. Kinder, die etwa in Afrika aus sol- handelt, kritisierte Thoraya Obaid, Im Bürgerkrieg in Ruanda vor chen Lagern entführt und zum die Leiterin des UN-Weltbevölke- zwölf Jahren hat sich besonders ex- Soldatendienst gezwungen werden, rungsfonds (UNFPA), Ende Juni in emplarisch gezeigt, dass sexuelle schätzen Experten auf rund 30.000. Brüssel. Die Teilnehmer der dort Gewalt in Krisengebieten an der Ta- Für die missbrauchten Mädchen und durchgeführten ersten internationa- gesordnung ist. Hunderttausende Frauen sind neben dem psychischen len Konferenz gegen sexuelle Gewalt Mädchen und Frauen wurden verge- Trauma auch die Gesundheitsfolgen in Kriegs- und Krisengebieten for- waltigt. In Liberia gab die Hälfte der verheerend: Die HIV-Rate ist in ei- dern in ihrem „Brüsseler Aktions- befragten Frauen in den Flüchtlings- nigen Ländern explosionsartig ange-

AUFTRAG 263 13 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK stiegen. Laut einer Studie waren fast weiblichen Insassen. Studien bele- Länder in Afrika Maßnahmen ergrif- 70 Prozent der Opfer einer Vergewal- gen, dass mehr als 20 Prozent der fen. Die seit Jahresanfang regieren- tigung in Ruanda HIV-positiv. Aus Frauen mit sexueller Gewalt konfron- de Präsidentin Ellen Johnson-Sir- Scham werden die Opfer von ihren tiert werden. leaf plant zusätzliche Hilfsangebote Ehemännern oder Familien versto- Es gibt einige wenige Fortschrit- für Opfer, Gesetzesänderungen so- ßen. Das lässt sie in die Armut ab- te: So erreichten die deutsche Hilfs- wie Schulungen für Justiz- und stürzen und zwingt viele in die Pros- organisation „medicamondiale“ und Polizeiangehörige. Auch die Demo- titution. Verschärft hat sich seit dem bosnische Frauengruppen, dass das kratische Republik Kongo arbeitet Einfrieren der internationalen Hilfe Parlament in Sarajevo darüber be- mit allen Ministerien an einem sol- nach dem Wahlsieg der Hamas die rät, im Krieg vergewaltigten Frauen chen Aktionsplan. Im südsudanesi- Situation in den palästinensischen eine „Invalidenrente“ zu zahlen. schen Darfur laufen Gespräche mit Flüchtlingslagern. Durch die allge- Kommt der Antrag durch, würden den internationalen Friedenstrup- meine Not der Menschen führen sozi- damit weltweit erstmals vergewaltig- pen über einen Begleitschutz für ale Spannungen häufig zu Gewalt te Frauen als Kriegopfer anerkannt. Frauen in den Flüchtlingscamps. und sexuellen Übergriffen gegen die Liberia, hat als eines der wenigen (KNA)

WELTFRIEDENSTAG 2007: de zuwiderlaufen, schwächen die Her- »Die menschliche Person, Herzmitte des Friedens« zen der Menschen und verdunkeln ih- nter diesem Motto steht der 40. Weltfriedenstag am ren Verstand so sehr, dass die Sehn- 1. Januar 2007. Damit solle der Respekt vor der sucht nach einem geordneten und UMenschenwürde als grundlegende Voraussetzung friedlichen Miteinander ausgelöscht für den Frieden der Menschheit betont werden, teilte der wird. All das stellt eine Bedrohung für Vatikan am 13. Juli mit. Gegenwärtig werde diese Würde die Menschheit dar: Wenn nämlich jedoch ideologisch, durch fehlgeleitete Forschung oder durch bestimmte die Menschenwürde nicht respektiert Lebensstile bedroht. Die entsprechende Botschaft des Papstes zu diesem wird und im gesellschaftlichen Leben Tag wird jeweils zum Jahresende veröffentlicht. In Deutschland begehen nicht das Allgemeinwohl angestrebt die Diözesanbischöfe mit den in ihren Bistümern stationierten Soldaten wird, ist der Friede in Gefahr.“ alljährlich den Weltfriedenstag im Laufe des ersten Halbjahres. Auf all diesen Herausforderun- gen antwortet die Kirche gemäß der Die Botschaft, die Benedikt XVI. XVI. schreibt, „dass die Nächstenlie- Erklärung des Heiligen Stuhls „mit aus Anlass des 40. Weltfriedenstags be ein Weg ist, auch Gott zu begeg- einer christlichen Anthropologie, die am 1. Januar 2007 verfassen wird, ist nen“ (16). auf drei Pfeilern gründet“. Diese dem Thema „Die menschliche Per- Die Erklärung aus dem Vatikan Grundfesten sind „die Würde, die Ge- son, Herzmitte des Friedens“ gewid- geht anschließend auf die Bedrohun- selligkeit und die Tätigkeit des Men- met. gen ein, denen die Menschenwürde schen inmitten einer Welt“, die immer Wie das Pressebüro des Heiligen heute begegnet: „irreführende Ideo- mehr an der natürlichen Ordnung, Stuhls am heutigen Montag erklärte, logien“, die aus einem verzerrten Ge- die Gott in das Universum hineinleg- drücke das vom Heiligen Vater selbst brauch von Wissenschaft und Tech- te, ausgerichtet sein müsse. Außer- gewählte Motto die Überzeugung aus, nik und aus ungeordneten Lebenssti- dem sollte der Mensch stets einen „dass die Würde der menschlichen len kämen. Ausdrücklich wird auf allumfassenden, solidarischen Hu- Person eine wesentliche Bedingung „Ideologien nihilistischer Prägung“ manismus im Blick haben und in für den Frieden der Menschheits- sowie auf einen „Fanatismus (mate- diesem Sinn „die Entfaltung des ge- familie darstellt“. Diese Würde „ist rialistischer oder religiöser Art)“ Be- samten Menschen und aller Men- das Siegel, das Gott in den Menschen zug genommen, die danach strebten, schen“. hineinlegen wollte, den er als sein Ab- die „Wahrheit über die Wirklichkeit, Jede Verletzung der menschli- bild und ihm ähnlich schuf (vgl. Gen den Menschen und über Gott zu leug- chen Person, so heißt es abschlie- 1,26-27); sie ist Zeichen für die allge- nen oder angebliche Wahrheiten auf- ßend, „ist eine Verletzung des Frie- meine Bestimmung der Menschheit zuerlegen“. dens; jede Verletzung des Friedens be- und Fundament für die Liebe zu Gott Wissenschaft und Technik wür- deutet eine Verletzung der Wahrheit und dem Nächsten“. den häufig – insbesondere, was die über Menschen und Gott: Die mensch- Nur wenn sie sich der „transzen- Biomedizin angeht – als „Werkzeuge liche Person ist die Herzmitte des denten Würde jeder Frau und jedes einer egoistischen Sicht von Entwick- Friedens!“ Mannes bewusst ist, beschreitet die lung und Gemeinwohl“ gebraucht Der Heilige Stuhl fasste zuvor Menschheitsfamilie den Weg, der zum und somit nicht immer ihrem eigent- auch die dreifache Aufgabe der Kir- Frieden und zur Gemeinschaft mit lichen Ziel gerecht, dem „Allgemein- che zusammen: „das Evangelium des Gott führt“. In diesem Zusammen- wohl der Menschheit zu dienen“. Lebens, die Vorrangstellung des Men- hang wird im Pressekommuniqué auf Die Förderung und verbreitete schen im Universum und die Liebe jene Stelle der Enzyklika Deus Akzeptanz von „ungeordneten Le- Gottes zur Menschheit zur verkün- caritas est verwiesen, wo Benedikt bensstilen, die der menschlichen Wür- den“. (ZENIT.org)

14 AUFTRAG 263 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

BERTELSMANN-STIFTUNG: WELTWEITE STUDIE ZUR SICHERHEITSPOLITIK »Wer regiert die Welt – Die Zukunft der Großmächte im 21. Jahrhundert« • USA verlieren international ihr Monopol als Großmacht multipolaren Weltordnung ohne ei- nen gemeinsamen Ordnungsrahmen • Nur Minderheit der Deutschen sieht die Bundesrepublik noch als Global Player aus. Und obwohl sich viele Men- schen von der UNO zukünftig eine • Deutsche sind Anwälte für EU, UNO und multilaterale Zusammenarbeit größere Rolle wünschen, wird sie als • Auffällige Unterschiede zwischen der deutschen und internationalen zentrale Ordnungsmacht nur auf dem siebenten Platz gesetzt. Eine wichti- Wahrnehmung gere Rolle bei der Friedenssicherung ie Mehrheit der Deutschen Akteur. Vergleichsweise hohe Werte und der Stabilität in der Welt wird sieht das eigene Land weder erzielt die EU dabei noch in den zukünftig weltweit vor allem von den Dheute noch in Zukunft als glo- USA, Russland und Japan. Keine USA (55 Prozent) erwartet. 38 Pro- bale Macht. Gleichzeitig glauben sie Weltmachtchancen geben ihr dage- zent erwarten diese Aufgabe von der aber, dass die EU in Zukunft diese gen Chinesen, Inder oder Brasilia- UNO. In Deutschland wünschen sich Rolle einnehmen wird und sprechen ner. Deutschland selbst sehen im dies dagegen 83 Prozent. sich mehrheitlich für eine multilate- Durchschnitt nur 26 Prozent als Gefragt nach dem geeigneten rale Weltordnung unter Führung der Weltmacht mit abnehmender Ten- Ordnungsmodell, in dem sich Frie- UNO aus. Dies ist das Ergebnis einer denz, wobei es die höchsten Werte den und Stabilität in der Welt am weltweiten, repräsentativen Studie noch bei den Befragten in Großbri- besten verwirklichen lassen, nennen der Bertelsmann Stiftung. Danach tannien und Russland erzielt. 68 Prozent der Deutschen die UNO. betrachten gegenwärtig 40 Prozent Als wirkliche Weltmächte wer- Im weltweiten Durchschnitt sagen der befragten Deutschen das eigene den heute international die USA mit dies mit 42 Prozent aber weniger als Land als Weltmacht, ebenso viele se- 81 Prozent angesehen, gefolgt von die Hälfte. In Indien, Japan, Russ- hen diesen Status für Deutschland China (45 Prozent), Japan (37 Pro- land und den USA meint dies sogar auch in den nächsten 15 Jahren ge- zent) und Großbritannien (32 Pro- nur jeder Dritte. Mit Ausnahme der geben. Unangefochtener Global Play- zent). Für das Jahr 2020 erwarten Chinesen setzt die Mehrheit der welt- er Nummer 1 aus deutscher Sicht nur noch 57 Prozent die USA als weit Befragten außerhalb Europas sind aber heute die USA. 90 Prozent Weltmacht, aber 55 Prozent auch dagegen auf die Führung durch eine der Deutschen teilen diese Einschät- China, gefolgt von Japan (32 Pro- Weltmacht oder durch verschiedene zung. An zweiter Stelle wird mit 75 zent), Russland (26 Prozent) und In- regionale Mächte. In den USA mei- Prozent die EU genannt. Es folgen dien (24 Prozent). Die UNO schätzen nen dies beispielsweise 58 Prozent. China mit 68 Prozent, die UNO mit im Unterschied zu den Deutschen in- Die Politikforscher der Bertels- 66 Prozent, Japan mit 57 Prozent und ternational nur 26 Prozent der Be- mann Stiftung folgern aus der Befra- Russland mit 50 Prozent. fragten als Global Player ein, im Jahr gung, dass es zu einer Rückbesin- Für das Jahr 2020 erwarten die 2020 sogar nur noch 21 Prozent. nung auf die jeweilige nationale Stär- Deutschen nur eine leichte Verschie- Befragt nach den notwendigen ke eines Landes und verhängnisvolle bung zugunsten von China. Dann se- Eigenschaften einer Weltmacht nen- klassische Großmachtpolitik des 19. hen nur noch 82 Prozent von ihnen nen die meisten Menschen politische Jhs. kommen könnte, wenn diese die USA als Weltligisten, dicht ge- Stabilität, wirtschaftliche Stärke so- Bevölkerungsmeinung politikbestim- folgt von China mit 75 Prozent. Die wie leistungsfähige Bildung und For- mend wird. Hierfür spricht auch, Bedeutung von EU, UNO, Japan und schung. Militärische Stärke ist für dass die Stärke und Bedeutung des Russland wird gleich bleibend ge- die Mehrheit als Machtfaktor immer eigenen Landes in fast allen Ländern schätzt. weniger bedeutsam. Diese Eigen- höher eingeschätzt wird, als von den Die weltweite Erhebung der Ber- schaft weltweit wird nur noch von 20 Befragten in allen anderen Ländern. telsmann Stiftung, bei der insgesamt Prozent der Befragten als wichtig Besonders ausgeprägt war dies bei über 10.000 Menschen befragt wur- eingeschätzt. In Deutschland fällt den Befragten in Indien, Russland, den, zeigt eine deutliche Abwei- dieser Wert mit sieben Prozent am Großbritannien und Brasilien. chung der deutschen Einschätzung geringsten aus. Als wichtigste Her- Professor Werner Weidenfeld, über die Bedeutung der Weltmächte ausforderung der Großmächte gelten Vorstandsmitglied der Bertelsmann von den Befragten in den meisten an- der Internationale Terrorismus, Ar- Stiftung: „Die Menschen sehen die deren Ländern. Denn im internatio- mut und Klimawandel. heutige Vormachtstellung der USA in nalen Durchschnitt wird die Bewer- Die Mehrheit der Bevölkerung in Zukunft schwinden, aber sie erwarten tung der EU als globalem Akteur von den wichtigsten Staaten der Erde er- auch kein harmonisches Gleichge- nur 32 Prozent der Befragten geteilt. wartet zudem offensichtlich in Zu- wicht der Weltmächte, das etwa von Auch im Jahr 2020 sehen nur 30 kunft keine gemeinsame Weltagen- der UNO moderiert wird. Sie setzen Prozent die EU als weltpolitischen da. Sie gehen vielmehr von einer vielmehr auf eigene Stärke im globa-

AUFTRAG 263 15 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK len Wettbewerb und wünschen sich für nach in den gewohnten Bahnen bewe- den Erwartungen und den eigenen das jeweils eigene Land eine bedeutsa- gen. Der Kontinent bleibt eine Welt- Fähigkeiten auf der einen und der mere Rolle für Stabilität und Frieden. macht im Werden mit großen Potenzi- konzeptionell-strategischen Grundla- Wenn diese Perspektive und Erwar- al zur Weltmachtbildung aber ohne ge für das eigene Handeln auf der an- tung für die Politik weltweit bestim- Kraft der politischen Bündelung sei- deren Seite. Diese Lücke kann nur mend wird, birgt es die Gefahr eines ner Ressourcen.“ eine Sicherheitsstrategie schließen. nationalistischen Wettlaufs zwischen Für die Studie der Bertelsmann Deren Aufgabe bestünde darin, die den heutigen und zukünftigen Welt- Stiftung waren durch das Meinungs- „W-Fragen“ des außen-, sicherheits- mächten, bei dem alle nur verlieren.“ forschungsinstitut Gallup/TNS- und verteidigungspolitischen Han- Betrachtet man das Meinungs- EMNID weltweit 10.000 Menschen delns Deutschlands zu klären. Ant- bild der Europäer insgesamt, so zeigt zur Rolle und Funktion der Welt- worten müssten gefunden werden auf sich, dass sie die Verschiebung der mächte heute und im Jahr 2020 be- die Fragen: Wann wird man aktiv? weltpolitischen Gewichte bemerkt fragt worden. Die Untersuchung fand Wo, sprich an welchen Orten? Wie, haben. Sie kompensieren ihren nati- in den USA, Russland, Brasilien, d.h. mit welchen konkreten Mitteln? onalen Bedeutungsverlust durch gro- China, Indien, Japan, Deutschland, Schließlich warum, also für welche ße Hoffnungen auf die EU. Die Frankreich und Großbritannien statt. Ziele setzt man sich ein, und mit Stimmungslage wird dabei aber wei- Die Ergebnisse wurden Anfang wem?“ terhin gleichzeitig durch nationale Juni in Berlin zum Auftakt einer in- Das angekündigte Weißbuch des Wahrnehmungsmuster geprägt. Pro- ternationalen Konferenz der Bertels- Bundesverteidigungsministers sei fessor Werner Weidenfeld: „Die Um- mann Stiftung mit dem Titel „Wer re- keine adäquate Antwort auf dieses frage spiegelt auch das europäische giert die Welt – Die Zukunft der Groß- Erfordernis. Es könne den Anforde- Dilemma. Ohne herausragende Füh- mächte im 21. Jahrhundert“ vorge- rungsleistung wird sich Europa da- stellt. Detailergebnisse im Internet: rungen eines erweiterten Sicherheits- www.bertelsmann-stiftung.de begriffs und der Handlungsmaxime des vernetzten Handelns, bei der die gesamte Palette der außen-, sicher- heits- und verteidigungspolitischen bzw. zivilen, zivil-militärischen und Deutschland braucht eine nationale militärischen Instrumente eines Lan- des politikfeldübergreifend in einen Sicherheitsstrategie kohärenten Gesamtansatz gebündelt werden, nicht gerecht werden. Auch die Europäische Sicherheitsstrategie Unklare Konzepte für Auslandseinsätze der Bundeswehr (ESS) könne keine zufriedenstellende ngesichts der wachsenden Zahl tung: „Spätestens nach der Diskussi- Antworten auf die W-Fragen geben. von Auslandseinsätzen der on um den Kongo-Einsatz ist jetzt eine Denn zu vage sei darin die Verbin- ABundeswehr und einer diffu- Klärung unausweichlich geworden. dung zwischen Bedrohungsanalyse sen Erwartungshaltung an die Rolle Wegen der Vielzahl der gegebenen Be- und den abzuleitenden Instrumenten der Bundeswehr fordert die Bertels- gründungen ist bis heute umstritten, bzw. Maßnahmen. mann Stiftung die Erarbeitung einer weshalb sich genau Deutschland und Klaus Brummer: „Diese Gründe nationalen Sicherheitsstrategie. Seit seine europäischen Partner im Kongo machen eine nationale Sicherheits- dem Ende des Ost-West-Konflikts oder anderenorts engagieren. Und strategie für Deutschland notwendig. habe sich die klar bestimmbare spätestens seit der neuen Diskussion Neben der Analyse der Herausforde- Sicherheitslage Deutschlands in eine über einen denkbaren Einsatz deut- rungen und Bedrohungen muss eine unübersichtliche Situation mit einer scher Soldaten in einer Friedens- Sicherheitsstrategie die vitalen Inter- Vielzahl diffuser sicherheitspoliti- sicherungsmission im Nahen Osten essen Deutschlands definieren. Sie scher Bedrohungen gewandelt. Die offenbart sich ein grundlegendes Pro- muss Mittel, Instrumente und Partner Bandbreite reiche dabei von interna- blem deutscher Sicherheitspolitik: Es benennen, die zur Umsetzung der In- tionalem Terrorismus, über die Proli- fehlt eine nationale Sicherheits- teressen notwendig sind, sowie klären, feration von Atomwaffen und Staats- strategie.“ in welchen Fällen ein Eingreifen er- zerfall bis zur Sicherung von Ener- Unter dem Stichwort „Transfor- forderlich ist. Wie wichtig ein solches gieimporten. Die vermehrte Über- mation“ versuche die Bundeswehr Dokument ist, zeigt die weithin un- nahme deutscher Verantwortung im derzeit ihre Fähigkeiten dem gewan- strukturierte Diskussion um den Ein- internationalen Kontext werde so- delten Anforderungsprofil anzupas- satz deutscher Soldaten im Kongo, die wohl in Deutschland als auch im sen. Bei leeren Kassen, spannungs- neue Unsicherheit ob der Rolle der Ausland von einer ständig wachsen- geladenen Reformprozessen sowie Bundeswehr in Afghanistan und auch den Erwartungshaltung nach Aus- mehrjährigen Entwicklungszyklen die Diskussionen über die Bedingun- landseinsätzen der Bundeswehr be- beim Material sei dies kein leichtes gen eines Einsatzes im Rahmen einer gleitet. Dr. Klaus Brummer, Sicher- Unterfangen. Klaus Brummer: „Die Friedenstruppe für den Nahen Osten.“ heitsexperte der Bertelsmann Stif- größte Kluft existiert jedoch zwischen (PrSt Bertelsmann-Stiftung)

16 AUFTRAG 263 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK Wo bleibt das christliche Profil? Meinung zum Entwurf des »Weißbuch 2006«

VON KLAUS LIEBETANZ

eit Mai 2006 steht der Entwurf des Verteidigungsministerium für ein von Verfolgung, Armut, Hunger neues Weißbuch im Internet. Angeblich soll eines der als vertraulich oder anderen Notlagen verlassen, Seingestuften Entwurfexemplare des „Weißbuch neu“ (im Weiteren um durch Migration ein besseres abgekürzt WBn) durch einen Koalitionspolitiker an einen bekannten Jour- Leben zu suchen.“ (WBn S. 7) nalisten weitergegeben worden sein. Dieser hat dann den gesamten Text – „Die innenpolitischen Folgen ins Internet gestellt (www.geopowers.com). Diesem „Versehen“ ist es zu unkontrollierter Migration als verdanken, dass die interessierte Öffentlichkeit Einfluss auf die Gestal- Folge von Flüchtlingsbewegungen tung des neuen Weißbuches hat, was sicher sinnvoll ist. Dem neuen sind ein aktuelles und wachsendes Verteidigungsminister Franz Josef Jung wird viel Ärger erspart, weil er die Problem der europäischen Gesell- Chance zur Nachbesserung hat. In der vorliegenden Form ist das neue schaften, denn große Ströme von Weißbuch insbesondere für christliche Soldaten kaum akzeptabel. Im Fol- Bürgerkriegsflüchtlingen, Armuts- genden werden einige Steine des Anstoßes diskutiert. und Wirtschaftsmigranten können die Integrationsfähigkeiten von Fast ausschließliche Betonung kritische Rohstoffe und Ener- Gesellschaften überfordern und deutscher Interessen gieträger gefördert werden, zu- das Zusammenleben belasten.“ Wesentlich stärker als das letzte zuwenden.“ (WBn S. 12) (WBn S. 8) Weißbuch von 1994 geht der neue – „Staatsversagen und Staatszerfall, – „Es gilt, Krisen und Konflikten Entwurf auf die nahezu ausschließli- gleichermaßen Ursachen wie Fol- rechtzeitig dort zu begegnen, wo che Wahrung deutschen Interessen gen solcher Entwicklungen, sowie sie entstehen, und dadurch ihre bei der Sicherheitspolitik ein. Dies eine unkontrollierte Migration negativen Wirkungen von Deutsch- kommt besonders in folgenden Pas- können zur Destabilisierung ganzer land und seinen Bürgern möglichst sagen zum Ausdruck: Regionen beitragen und die inter- weit gehend fernzuhalten.“ – „Vorrangige Interessen deutscher nationale Sicherheit massiv beein- (WBn S. 8 unten) Sicherheitspolitik bestehen darin, trächtigen. Europa und Deutsch- die europäische sowie transatlanti- land besitzen nach wie vor eine Die Legitimität von Interessen sche Sicherheit und Stabilität zu hohe Anziehungskraft für Men- Bei aller Kritik am Entwurf zum stärken, den Wohlstand des Lan- schen, die ihre Heimat aufgrund neuen Weißbuch sollte jedoch Fol- des durch einen freien und un- gehinderten Welthandel zu er- möglichen, Krisen und Konflikte, die Deutschlands Sicherheit beein- trächtigen, vorbeugend einzudäm- men und zu bewältigen, ...“ (WBn S. 9) – „Die Vertiefung und Entwicklung guter Beziehungen zu strategischen Schlüsselstaaten in den verschie- denen Regionen, Beiträge zur Be- wältigung von Krisen und Konflik- ten sowie zur Förderung regionaler Stabilität sind wichtige Hand- lungsfelder deutscher Sicherheits- politik. Hierbei gilt es wegen der Export- und Rohstoffabhän- gigkeit Deutschlands, sich insbe- sondere den Regionen, in denen

Bei einer Lehrvorführung im Mai 2006 auf dem Truppenübungsplatz wurde die neueste Ausrüstung der Panzer- grenadiere vorgestellt: Am Helm das integrierte Nachtsichtgerät, Bewaff- nung ein Schnellfeuergewehr mit ver- besserter Zieloptik und Nachtsicht- fähigkeit, verstärkter Splitterschutz. Foto: Klaus Liebetanz

AUFTRAG 263 17 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK gendes unbestritten sein: Es ist legi- schen Handelns ausschließlich nach trachtung zur Präambel des Grundge- tim und sinnvoll, eigene Interessen der nationalen Interessenlage aus- setzes“, S. 20 f.). zu formulieren. Auch aus moral- wirkt, zeigt das Versagen der Verei- Damit entspricht das Weißbuch theologischen Gründen gibt es keine nigten Staaten beim Völkermord in in seiner derzeitigen Fassung nicht Einwände, da bekanntlich die „wohl- Ruanda. Die Amerikaner verzögerten dem christlichen Werteverständnis geordnete Nächstenliebe“ bei sich im Sicherheitsrat eine rasche Ver- des Soldaten, wie es das 2. Vatikani- selbst beginnt und das zweite jü- stärkung der UNAMIR-Truppe, um sche Konzil in Nr. 79 von „Gaudium disch-christliche Hauptgebot aus- den Angriff der amerikafreundlichen et spes“ wie folgt formuliert hat: drücklich lautet: Liebe deinen „Patriotischen Front“ nicht zu unter- „Wer als Soldat im Dienst des Va- Nächsten wie dich selbst! Kritisch brechen, mit deren Hilfe schließlich terlandes steht, betrachte sich als und u.U. verwerflich wird es nur, auch der Kongo erobert werden Diener der Sicherheit und Frei- wenn die eigenen Interessen zur aus- konnte. Der völkerrechtswidrige An- heit der Völker. Indem er diese schließlichen Richtschnur eigenen griff der Vereinigten Staaten auf den Aufgabe recht erfüllt, trägt er Handeln werden. In diesem Zusam- Irak in 2003 ist auch nach den wahrhaft zur Festigung des Frie- menhang lässt folgender Satz im Grundsätzen der PPD 56 durchge- dens bei.“ Weißbuch neu aufhorchen : führt worden. Zum Pol-Mil Plan ge- „Deutschland setzt als Ausdruck hört unter anderem auch die medien- Die Bedeutung der Friedens- nationalen Selbstbehauptungswillen gerechte und propagandistische Vor- konsolidierung nicht und staatlicher Souveränität zur bereitung eines Angriffskrieges, um thematisiert Wahrung seiner Sicherheit das ge- eigene nationale Interessen durchzu- Das Weißbuch neu erwähnt den samte Spektrum nationaler Hand- setzen. Begriff der Friedenskonsolidierung lungsinstrumente ein. Dazu gehören eher beiläufig in einer Aufzählung. auch militärische Mittel. Militärische Die Grundgesetzformulierung Es hat die hervorragende Bedeutung Einsätze sind mit Gefahren für Leib „Dem Frieden in der Welt zu der „Friedenskonsolidierung in der und Leben verbunden und können dienen“ fällt weg Nachkriegsphase“ nicht erkannt. weit reichende politische Folgen Das Weißbuch 94 beginnt noch Gerade in Staaten, die durch einen nach sich ziehen. Deshalb ist in je- das 3. Kapitel „Die Konzeption deut- langen, verheerenden (Bürger-) dem Einzelfall eine klare Antwort scher Sicherheits- und Verteidigungs- Krieg zermürbt und ausgeblutet sind, auf die Frage notwendig, inwie- politik“ mit folgendem Satz: „Die besteht die große Chance – ver- weit Interessen Deutschlands den Präambel des Grundgesetzes be- gleichbar wie in Deutschland – zu ei- Einsatz erfordern und rechtferti- stimmt für Deutschland das außen- nem sich selbst tragenden Friedens- gen.“ (WBn S. 9) und sicherheitspolitische Ziel, „als prozess zu kommen. Das setzt aller- gleichberechtigtes Glied in einem dings voraus, dass eine konzertierte Das katastrophale Beispiel vereinten Europa dem Frieden in Aktion aller deutscher Ressorts amerikanischer Sicherheits- der Welt zu dienen. Aus dem durchgeführt wird. Wenn ein deut- politik Grundgesetz ergibt sich die Schutz- scher militärischer Einsatz nicht Als Ergebnis der Erfahrungen verpflichtung und Gestaltungsauf- durch massive und nachhaltige Ent- des US-amerikanischen Engage- gabe deutscher Außen- und Sicher- wicklungshilfe und eine effektive ments in Haiti, Somalia, Nord-Irak heitspolitik.“ Ausbildung der lokalen Polizei un- und im ehemaligen Jugoslawien hat Das neue Weißbuch meidet den terstützt wird, gerät die militärische die Clinton-Administration die Präsi- Satz „dem Frieden in der Welt zu Mission zu einem bloßen Aktivismus dentenweisung Nr, 56 „über das Kri- dienen“ und ersetzt ihn durch eine oder zum reinen Showbusiness. Die senmanagement bei Komplexen neue Formulierung, nämlich: „Sie eklatante Schieflage bei der derzeiti- Operationen“ im Mai 1997 herausge- (die deutsche Sicherheitspolitik, gen Friedenskonsolidierung wird geben. Absicht dieser Präsiden- Anm. d.V.) dient den Menschen in übergangen. (vgl. „Die Schieflage der tenweisung (PDD 56) ist es, bei ei- Deutschland.“ (WBn S. 7) Friedenskonsolidierung in Afghanis- nem plötzlich auftretenden Krisen- Es ist völlig unverständlich, war- tan – eine Herausforderung für die und Konfliktfall auf nationaler Ebene um ausgerechnet ein CDU/CSU-ge- große Koalition“ im AUFTRAG 261; rasch ressortübergreifende, effektive führtes Ministerium auf diese funda- S. 38 ff.) Kronzeuge für die Schiefla- Krisenteams zu bilden, die als inte- mentale Formulierung aus der Prä- ge in Afghanistan ist der UNO-Son- grierte Stäbe weltweit operieren kön- ambel des Grundgesetzes verzichtet. derbeauftragte für diese Region, Tom nen, um amerikanische Interessen zu Schließlich waren es doch die Ver- Koenigs (Grüne), der sich in einem vertreten. Es werden interministeri- treter der CDU/CSU im Verfassungs- Spiegel-Interview Anfang August elle Arbeitsgruppen gebildet. Diese konvent auf Herrenchiemsee in Bay- 2006 wie folgt äußerte: „Sie (die Er- haben den politisch-militärischen ern, die sich im Herbst 1948 so ve- wartungen in Afghanistan, Anm. d. Implementierungsplan (Pol-Mil Plan) hement für die Formulierung „dem Verf.) waren schlicht zu hoch, weil zu erarbeiten. Wesentlicher Punkt – Frieden in der Welt zu dienen“ ein- nach dem Sieg über die Taliban 2001 gleichsam als conditio sine qua non – gesetzt und obendrein mit der religi- alles so gut angefangen hatte. ist die klare Feststellung der nati- ösen Beteuerungsformel „Im Be- Daraufhin hat die Staatengemein- onalen Interessenlage. wusstsein seiner Verantwortung vor schaft in gefährlicher Weise an Per- Wie verheerend sich die Aus- Gott und den Menschen“ versehen sonal und Geld gespart, z.B. beim richtung des politischen und militäri- haben (s. „Sicherheitspolitische Be- Aufbau einer afghanischen Polizei.“

18 AUFTRAG 263 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

Nach seiner Auffassung ist auch die Zunehmend entwurzelte bilden (s.o. Aussagen von Tom afghanische Armee viel zu schwach Soldatenfamilien Koenigs). Afghanistan ist ein bitter- (Der Spiegel 32/ 2006, S. 104 ff.). Das Weißbuch neu widmet ein armes Land. Es ähnelt im Gegensatz ganzes Kapitel der Umwandlung der zum Kongo einer braunen Mond- Neugewichtung der finanziellen Bundeswehr von einer reinen Vertei- landschaft ohne nennenswerte Bo- Mittel in der Phase der digungsarmee zu einer weltweit ope- denschätze. Das einzige, was Afgha- Friedenskonsolidierung rierenden Einsatzarmee. Das ist legi- nistan besitzt, sind hervorragende Ziel der Friedenskonsolidierung tim und folgerichtig. Es beachtet je- und mutige Kämpfer. Schließlich ist ein sich selbst tragender Frie- doch nicht ausreichend, dass im haben sie die Russen und Englän- densprozess, der vor allem mit zivi- Zuge des hohen Tempos der „Trans- der besiegt. Davon zeugt noch heute len Mitteln erreicht werden muss. formation“ die Soldatenfamilien auf eine erbeutete englische Kanone vor Andernfalls wird der Soldat – wie in der Strecke bleiben. Nach Aussagen der wunderschönen und prachtvol- Afghanistan – zu einem Lückenbü- von Oberst Richard Schmitt, dem len „Blauen Moschee“ in Herat. Die ßer von verfehlter und halbherziger Vorsitzenden der Zentralen Ver- Freiheit und Sicherheit eines Lan- Politik. Langfristig muss es daher der sammlung der katholischen Solda- des muss in erster Linie durch das Bundesregierung in den nächsten ten, auf dem diesjährigen Katholi- Blut der lokalen Soldaten erkämpft neun Jahren gelingen, das Verhältnis kentag in Saarbrücken ziehen 80% werden. Deutsche Soldaten können der finanziellen Verteilung in der der Soldatenfamilien nicht mehr um, sie durch technische Ausbildung Friedenskonsolidierung – nach Be- wenn der Vater versetzt wird. Hinzu und Ausrüstung unterstützen. Sie endigung akuter Kämpfe – wie folgt kommt eine hohe Scheidungsrate der sollen aber auf keinen Fall die zu gestalten: Soldaten. Die Masse der Soldaten- Hausaufgaben der ANA (Afghan – 20% der Mittel für militärische kinder wachsen praktisch ohne Vater natioal Army) und der afghanischen Absicherung, auf. Die Entwurzelung der Soldaten Polizei machen. Mit anderen Wor- – 20% für die effektive und recht- nimmt zu und damit auch der Zynis- ten: staatliche Ausbildung der lokalen mus. Ein zynischer Soldat ist in der Es kommt darauf an, die Fähig- Polizei, Regel kein guter Soldat für den Frie- keiten des Partners zu stärken und – 40% für entwicklungspolitische den. Hier muss die Bundeswehr mit nicht alles allein machen zu wollen. Maßnahmen, wie vor allem die geeigneten Maßnahmen energisch Auch militärische Hilfe muss Hilfe Schaffung von Arbeitsplätzen und gegensteuern. zur Selbsthilfe in den Mittelpunkt schließlich der Bemühungen stellen, andernfalls – 20% der Mittel für den demokra- tischen Staatsaufbau, für Friedens- Vermehrte Ausbildung von wird die Bundeswehr zur Besatzungs- fachkräfte und für humanitäre lokalen Soldaten armee. Die Stärkung der lokalen Hilfe. Anfang der Neunziger Jahre ha- Streitkräfte wäre allemal preiswerter Nur so lässt sich eine nachhalti- ben deutsche Hilfsorganisationen, und nachhaltiger. Wenn man den ge Wirkung der Friedenskonsolidie- wie das Deutsche Rote Kreuz und einheimischen Kräften jedoch grund- rung erreichen Hier ist die große Ko- das Technische Hilfswerk Hunderte sätzlich misstraut, kann man den alition und der Deutsche Bundestag von deutschen Helfern in die Kata- Friedensprozess ohnehin vergessen. gefordert, wenn sie dem verfassungs- strophengebiete entsandt. Dies stell- Auf jeden Fall könnte man so die An- gemäßen Auftrag, dem Frieden in der te sich als unzweckmäßig heraus, zahl deutscher Soldaten im Ausland Welt zu dienen, nachkommen wollen. weil es genügend geeignetes lokales reduzieren und ihrer Entwurzelung Das dies langfristig auch Deutschland Personal in den betreffenden Regio- entgegenwirken. dienen wird, steht außer Frage. nen gab. Außerdem widersprach es Der mehrfache Hinweis im dem Grundsatz der Hilfe zur Selbst- Abschließende Bemerkungen Weißbuch neu auf den Aktionsplan hilfe und damit der Nachhaltigkeit. Die Verteidigungspolitiker der „Zivile Krisenprävention, Kon- Heute bin ich als Prüfer für Projekte CDU/CSU-Bundestagsfraktion und fliktlösung und Friedenskonsoli- der deutschen humanitären Hilfe insbesondere Bundesminister Dr. dierung“ ist wenig hilfreich, so lan- froh, wenn ich weltweit vor Ort über- Jung sollten es sich wirklich gut ge dieser „Aktionsplan“ nur mit sehr haupt noch einen deutschen Projekt- überlegen, ob sie den vorliegenden marginalen Finanzmitteln ausgestat- leiter antreffe. Und das Erstaunliche militärisch-technokratischen Ent- tet ist und in Nr. 139 desselben eine ist, alles läuft viel besser und preis- wurf des Verteidigungsministeriums Verstetigung dieser geringen Mittel günstiger. Davon sollte auch die so passieren lassen wollen. Außer- festgeschrieben wird. Damit ist ge- Bundeswehr lernen. Es ist nicht ein- dem ist zu hoffen, dass das AA und nau genommen, der Aktionsplan der- zusehen, warum deutsche Soldaten das BMZ die notwendigen Klarstel- zeit das Papier nicht wert, auf dem er hauptsächlich Checkpoints und Pa- lungen beibringen. Es wird span- geschrieben wurde. Der Aktionsplan trouillen im Ausland betreiben sol- nend zu verfolgen, wie sich der vor- war nach Aussage von Fachleuten len. Wenn man richtigerweise davon liegende Entwurf zum endgültigen eher „weiße Salbe für grüne Seele“ ausgeht, mindestens 10-15 Jahre in Weißbuch 2006 weiterentwickelt. wegen des von den Grünen verant- den Krisenregionen militärisch prä- Dann wird sich auch zeigen, ob worteten Kosovokrieges und ist in sent zu bleiben, muss die Bundes- christliche Soldaten überhaupt noch der Folgezeit nicht ernsthaft mit Le- wehr in viel stärkerem Maße als guten Gewissens CDU/CSU wählen ben erfüllt worden. bislang einheimische Verbände aus- können. ❏

AUFTRAG 263 19 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

INTERVIEW MIT DER PARLAMENTARISCHEN STAATSSEKRETÄRIN KARIN KORTMANN (SPD): „Gegenseitiges Verständnis von Entwicklungszusammenarbeit und Bundeswehr ist gewachsen“

ie nachfolgenden Fragen des AUFTRAGS an die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Kortmann aus dem Bundesministerium für DWirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) stellte Klaus Liebetanz, a.D. und Mitglied im GKS-Sachausschusses „Sicherheit und Frieden“. Karin Kortmann war in der Zeit von 1990-1997 Vorsitzende des Bundes der Katholischen Jugend (BDKJ).

nachteiligten auf dieser Welt zugute und dem BMZ? kommen soll. Unsere Partner zählen PStS Kortmann: Der Krieg auf dem in aller Regel nicht zu den Mächtigen Balkan und mehr noch die Bemü- dieser Welt, sondern sind Staaten, in hungen um die Stabilisierung und denen Menschen tagtäglich um ihr den Wiederaufbau Afghanistans ha- Existenzminimum kämpfen müssen, ben Bw und Entwicklungszusammen- von Krankheiten, Vertreibungen und arbeit (EZ) vor bis dato unbekannte AUFTRAG: Der Entwurf des neuen Verletzungen ihrer Würde bedroht Herausforderungen gestellt. Nie „Weißbuches zur Sicherheitspolitik sind, deren Regierungen nicht im zuvor haben deutsche Soldaten und Deutschlands“ aus dem Verteidi- Stande sind, so elementare Grund- zivile Aufbauhelfer derart eng auf ein gungsministerium betont fast aus- dienste wie Gesundheitsversorgung, gemeinsames Ziel hin kooperieren schließlich die Förderung deutscher Schulbildung oder sauberes Wasser müssen. Da ist es nur natürlich, wenn Interessen. Ist für das BMZ die Richt- zur Verfügung zu stellen. Es ist auch angesichts unterschiedlicher Organi- schnur des Handelns ausschließlich unbestreitbar, dass der Motivation sationsstrukturen und -kulturen ein von der deutschen Interessenlage ab- der in der Entwicklungszusammen- funktionales Rollenverständnis sich hängig. Gibt es noch andere Motive arbeit tätigen Menschen, im BMZ, nicht von heute auf morgen heraus- für das politische Handeln? aber auch in den vielen zivil- bildet und alles reibungsfrei läuft. PStS Kortmann: Zunächst einmal gesellschaftlichen und kirchlichen Die Kritik, die von vielen Seiten zu möchte ich auch für die Arbeit des Organisationen, ein starkes karitati- Beginn des deutschen Afghanistan BMZ in Anspruch nehmen, dass sie ves Element innewohnt. Engagements an der Kooperation im Interesse Deutschlands liegt. Die Das vielleicht charakteristischs- zwischen Bundeswehr und EZ geäu- Förderung nationaler Interessen ist te Merkmal der Entwicklungszusam- ßert wurde, ist meines Erachtens für eine Regierung ja zunächst menarbeit ist ihre Partnerorientie- heute aber weitgehend verstummt. einmal auch nichts Ungewöhnliches, rung. Uns geht es nicht um die Ohnehin hat die Zusammenarbeit vor zumal unsere Verfassung die Bun- schlichte Übertragung westlicher Ort viel besser geklappt, als mancher desregierung ja explizit auffordert, Konzepte, sondern um die gemeinsa- es zu Hause wahrhaben wollte. zum Wohle des deutschen Volkes zu me Entwicklung von Lösungsan- Das Wichtigste aber ist doch, agieren. Und dass die Bekämpfung sätzen auf gleicher Augenhöhe. Die- dass das gegenseitige Verständnis der weltweiten Armut, die Förderung ses Prinzip hat mit dem umfassenden gewachsen ist. Wir sind uns alle im von Rechtsstaatlichkeit, Demokratie Sicherheitsbegriff auch seinen Ein- Klaren darüber, dass die Herausfor- und Menschenrechte sowie die Stabi- gang in die Sicherheitspolitik gefun- derungen in Nachkriegsgesellschaf- lisierung von fragilen Staaten auch den. Sicherheit kann auf Dauer nicht ten nicht (allein) militärisch zu lösen unsere nationalen Interessen berüh- gegeneinander, sondern nur mitein- sind. Unbestreitbar ist aber auch, ren, wird heute niemand mehr ernst- ander erreicht werden. Dies setzt vor- dass ziviler Wiederaufbau ein Min- haft in Frage stellen wollen. aus, dass wir auch die Gefährdungen destmaß an Sicherheit voraussetzt. Regierungshandeln orientiert sich für unsere Partnerländer ernst neh- Das Prinzip „GEMEINSAME VERANTWOR- nicht allein an der nationalen Inte- men, und es wird klar, dass Armut TUNG, GETRENNTE VERANTWORTLICHKEI- ressenlage, sondern wird immer auch und die Befriedigung elementarster TEN“ beschreibt meines Erachtens durch eine ethische Komponente ge- Grundbedürfnisse hier eine besonde- den Weg, den wir weiter gehen soll- prägt, also der Frage, welche Ziele re Rolle spielen. ten, recht gut. wir verfolgen und auf welche Art und AUFTRAG: Die Auslandseinsätze der Übrigens: Um dieses gegenseiti- Weise wir diese erreichen wollen. Bundeswehr (Bw) bezog sich in den ge Verständnis auch weiterhin zu för- Dass der Entwicklungspolitik letzten zwölf Jahren zu 99 % auf die dern, haben das BMVg und das BMZ von der Öffentlichkeit dabei häufig Friedenskonsolidierung in der Kon- einen Personalaustausch vereinbart. hehrere Grundsätze zugeschrieben fliktfolgezeit (z.B. auf dem Balkan, Bereits heute versieht ein Offizier werden als anderen Politikfeldern, in Afghanistan und jetzt im Kongo). seinen Dienst im BMZ, und eine hat meines Erachtens damit zu tun, Wie sehen Sie das Verhältnis von BMZ-Kollegin tut das Gleiche auf dass unser Wirken vor allem den Be- deutschen Streitkräften im Ausland der Hardthöhe.

20 AUFTRAG 263 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

AUFTRAG: Das Ziel der Friedenskon- und die Bekämpfung der Korruption, überflüssig zu machen. Genau dieses solidierung ist ein sich selbst tragen- mithin das, was wir Good Governan- Ziel verfolgt der noch von der Vor- der Friedensprozess in der betreffen- ce nennen, hat erheblichen Einfluss gängerregierung verabschiedete den Region. Dieses Ziel kann nur auf die Stabilität von Gesellschaft Aktionsplan Zivile Krisenprävention durch zivile Maßnahmen erreicht wer- und Staatswesen. Das BMZ hat die und Friedenskonsolidierung, zu dem den. Streitkräfte können diesen Pro- Zusammenarbeit in diesen politi- sich auch die Koalition bekennt. zess absichern und sind auch häufig schen Bereichen in den letzten Jah- AUFTRAG: Die Bundesregierung be- eine „conditio sine qua non“, aber sie ren erheblich verstärkt. Rund ein teiligt sich jährlich mit ca. 80 Mio. • können den Prozess nicht gestalten. Viertel unser bilateralen Zusagen an der militärischen Absicherung in Aus der Natur der Sache kommt daher fließen dorthin. Die Unterstützung der DR Kongo (MONUC). Der kom- dem BMZ in der Friedenskonso- von Justizreformen oder die Beglei- mende Einsatz der Bw im Kongo wird lidierung eine Schlüsselrolle zu. Wird tung von Reformen des Sicher- in diesem Jahr weitere 60 Mio. • kos- das im BMZ erkannt und spielt das heitssystems sind Beispiele hierfür. ten. In welchem Maße wird sich das BMZ in Zukunft eine größere Rolle AUFTRAG: Langfristig muss es der BMZ schon jetzt am Aufbau dieses bei der Friedenskonsolidierung? Bundesregierung, gelingen, das Ver- durch den „afrikanischen Weltkrieg“ PStS Kortmann: Aber natürlich hältnis der finanziellen Verteilung in zerstörten und durch das organisierte wird das im BMZ erkannt. Wir sind der Friedenskonsolidierung nach dem Verbrechen ausgeplünderte Land be- doch heute bereits in einer ganzen Abflauen der Kämpfe wie folgt zu ge- teiligen? Welche Maßnahmen sind für Reihe von Ländern tätig, die einen stalten: 20 % der Mittel für militäri- die Zeit nach der erfolgten demokra- Konflikt hinter sich haben. Neben sche Absicherung, 20 % für die effek- tischen Wahl geplant. Werden die dem Balkan und Afghanistan sind tive und rechtstaatliche Ausbildung bislang in den letzten Jahren gesperr- dies vor allem die Länder in der Re- der lokalen Polizei, 40 % für entwick- ten finanziellen EZ-Mittel für die DR gion der Großen Seen und in West- lungspolitische Maßnahmen, wie die Kongo nunmehr in vollem Maße ein- afrika. Wir unterstützen die Demobi- Schaffung von Arbeitsplätzen und gesetzt? lisierung und Reintegration von schließlich 20 % der Mittel für den PStS Kortmann: Deutschland hat Kombattanten, fördern nationale Ver- demokratischen Staatsaufbau, für seine bilaterale Entwicklungszusam- söhnungsprozesse und helfen beim Friedensfachkräfte und für humanitä- menarbeit mit der DR Kongo auch Wiederaufbau zerstörter Infrastruk- re Hilfe. Halten sie diese Verteilung während der Bürgerkriege der tur, ohne die ein normales Wirt- für realistisch? Was muss sich in der 1990er Jahre nicht völlig ausgesetzt. schaftsleben nicht in Gang kommen großen Koalition ändern, damit die- Zu dieser Zeit und bis 2001 konzent- kann. Im Rahmen unserer entwick- ses Ziel erreicht werden kann? rierten sich die deutschen Aktivitä- lungsorientierten Not- und Über- PStS Kortmann: Ich halte es für ten auf humanitäre Maßnahmen mit gangshilfe stehen uns in diesem Jahr problematisch, finanzielle Richtgrö- dem Ziel die Basisversorgung der wie auch in den vergangenen Jahren ßen für einzelne Komponenten der Menschen herzustellen und auf die rd. 88,5 Mio. • zur Verfügung, die Friedenskonsolidierung zu benen- Förderung der wirtschaftlichen u.a. für die Unterstützung von Flücht- nen. Dazu ist jeder einzelne Fall zu Selbsthilfekräfte der Zivilgesellschaft. lingen und Intern Vertriebenen und unterschiedlich, und auch die Rolle, Die offizielle Wiederaufnahme die Überbrückung von Nahrungs- die die Bundesregierung jeweils der EZ erfolgte mit dem Besuch von mittelengpässen verwandt werden übernehmen will, muss ja keines- Bundesministerin Heidemarie Wiec- können. Mit dem Zivilen Friedens- wegs das gesamte Spektrum der Frie- zorek-Zeul bei Staatspräsident dienst (ZFD) haben wir zudem ein denskonsolidierung umfassen. Aber Kabila im Herbst 2004. Damals wur- Personalentsendeinstrument, das ei- dass die Vernachlässigung des zivi- den die bis dahin „eingefrorenen“ gens für die Aufgabe der Krisen- len Wiederaufbaus für das Scheitern Mittel für die finanzielle Zusammen- prävention und Friedenskonsolidie- vieler Frieden unterstützender Maß- arbeit in Höhe von ca. 65 Mio. • frei- rung geschaffen wurde. Seit Beginn nahmen der VN verantwortlich war gegeben. Zusätzlich wurden in den des Programms wurden 236 Frie- und er hinfort gestärkt werden muss, Jahren 2004 und 2005 ca. 30 Mio. • densfachkraftstellen in 39 Ländern hat der vom UN-Generalsekretär in für Maßnahmen der finanziellen und bewilligt. Derzeit befinden sich 122 Auftrag gegebene Brahimi-Report technischen Zusammenarbeit neu Friedensfachkräfte im Einsatz. aus dem Jahr 2000 hinreichend zugesagt, außerdem wurden in die- Wir sollten unseren Blick aber deutlich gemacht. Das Problem ist sen beiden Jahren über 12 Mio. • für nicht nur auf jene Länder verengen, doch, dass Militäreinsätze in aller Maßnahmen der entwicklungsorien- die gerade einen gewaltsamen Konf- Regel sehr kostenintensiv sind und tierten Nothilfe bereitgestellt. likt hinter sich haben. Es geht uns ja die Leistungsfähigkeit – oder Bereit- Die Aktivitäten der deutschen auch um die Prävention von gewalt- schaft – der internationalen Gemein- EZ in der DR Kongo sind derzeit samen Konflikten. Wir wissen, dass schaft für umfassende Wiederauf- breit gefächert. Der Schwerpunkt die Art und Weise, wie der Staat mit bauprogramme dann schnell an ihre liegt in der Stabilisierung des Über- seinen Bürgern umgeht, großen Ein- Grenzen stößt. Auch aus diesem gangsprozesses und der Reintegrati- fluss darauf hat, ob sich latente Kon- Grunde ist es wichtig, dass wir den on von Ex-Kombattanten, Kinder- flikte in gewaltsame Auseinanderset- Einsatz des Militärs immer als ultima soldaten, Kriegsopfern und Vertrie- zungen entladen. Demokratische Re- ratio betrachten und zu allererst ver- benen. Außerdem unterstützen wir formen, rechtsstaatliche Verfahren, suchen müssen, ihn durch Maßnah- den Wahlprozess sowohl über den ge- die Achtung der Menschenrechte men der zivilen Krisenprävention meinsam von UNDP verwalteten

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Fonds als auch im Rahmen unserer den Wiederaufbau in Afghanistan AUFTRAG: Zum Abschluss möchten bilateralen Zusammenarbeit. Aus der zeigt meines Erachtens, dass Strate- wir Ihnen noch eine persönliche Frage Vergangenheit herrührende Vorha- giebildung auch ohne eine besondere stellen. Sie waren von 1990 bis 1997 ben in der Gesundheitsversorgung haushaltstechnische Konstruktion die Vorsitzende des Bundes der Deut- und HIV/AIDS-Bekämpfung, der möglich ist. Der von uns gewählte schen Katholischen Jugend (BDKJ). Wasserver- und -entsorgung sowie Ansatz, zur Verbesserung der ressort- Finden Sie bei Ihrer Tätigkeit als zur Förderung der Wirtschaft und übergreifenden Zusammenarbeit im Parl. Staatssekretärin im BMZ Zivilgesellschaft führen wir fort. Bereich der Krisenprävention ist überhaupt noch Zeit zum Gebet und/ Nach erfolgreich verlaufenen eher anlass- und projektbezogen. So oder zur Meditation? Mit anderen Wahlen wird die DR Kongo ihren für haben wir zur Unterstützung der Re- Worten: Gibt Ihnen Ihr christlicher die Bundesregierung hohen politi- form des Sicherheitssektors in Indo- Glaube Kraft und Motivation für die schen Stellenwert beibehalten. Es nesien ein ressortübergreifendes enormen Anforderungen Ihres neuen würde unserer eigenen Politik Konzept erarbeitet, in dem jedes Amtes? allerdings entgegenlaufen, wenn wir Ressort seine komparativen Stärken PStS Kortmann: Mit dem neuen zum jetzigen Zeitpunkt und einseitig und die zur Umsetzung erforderli- Amt, bin ich doch kein neuer Mensch über Schwerpunkte der Zusammen- chen Haushaltsmittel eingebracht geworden. Das was mich als Person arbeit entscheiden würden. Klar ist, hat. Die Implementierung der einzel- prägt, mir Halt gibt, mein Leben be- dass wir unser bilaterales Programm nen Maßnahmen und die Steuerung gleitet, gehört auch zu mir, wenn ich auf der Grundlage der Armuts- des Mitteleinsatzes werden von den das BMZ betrete. Bei all dem Elend, bekämpfungsstrategie der DR Kongo Ressorts gemeinsam wahrgenommen. das ich bei meinen Reisen in die vereinbaren und in die Arbeitstei- Einen ähnlichen Ansatz haben wir Entwicklungsländer sehe, werde ich lung mit anderen Gebern einpassen auch bei einem Projekt zur Stärkung demütiger und dankbarer für all das, werden. westafrikanischer Fähigkeiten zur was ich an Frieden und Sicherheit, AUFTRAG: Was halten Sie von der Friedenssicherung gewählt. Glück, Liebe und Geborgenheit erle- britischen Idee, bei Friedenseinsätzen Der Ressortkreis Zivile Krisen- be. Und ich vertraue auf die Kraft der in der Konsolidierungsphase einen prävention, der mit der Steuerung Einsicht, dass Ungerechtigkeiten zu gemeinsamen Finanzpool für militä- beider Vorhaben betraut ist, wird die überwinden sind. Dazu erlebe ich rische und entwicklungspolitische Erfahrungen auswerten und auf die- ebenso viele beglückende Beispiele Maßnahmen im Bundeshaushalt vor- ser Grundlage Empfehlungen für die auf meinen Reisen. Das da auch zuhalten? Steuerung des Mitteleinsatzes im Be- manches Gebet, sowohl bittend wie PStS Kortmann: Die hinter den bri- reich der Krisenprävention erarbei- dankend gesprochen wird, das ist für tischen Conflict Prevention Pools ste- ten. mich selbstverständlich. ❏ ckende Idee, durch das Pooling von Haushaltsmitteln und die gemeinsa- me Entscheidung über ihre Verwen- dung die ressortübergreifende Strate- GEFUNDEN: Gewissensschutz giebildung zu verbessern, halte ich oldaten auf Zeit, die nach Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer grundsätzlich für interessant. Aller- aus der Bundeswehr entlassenwerden, dürfen nach einer Entschei dings sind die Voraussetzungen hier- dung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) nicht in einem für in Großbritannien und Deutsch- S unvertretbaren Ausmaß zur Erstattung ihrer Ausbildungskosten herange- land doch sehr unterschiedlich hin- zogen werden. Das Gericht entschied in Leipzig über die Klagen zweier sichtlich der Organisation der Regie- Luftwaffenoffiziere, die nach Abschluss ihrer Ausbildung zum Flugzeug- rung sowie der haushaltsrechtlichen, führer auf dem Transportflugzeug „Transall“ den Kriegsdienst verweigert politischen und finanziellen Voraus- hatten. Daraufhin waren beide zur Erstattung von 94.000 Euro (bei setzungen. In Großbritannien stockt Gesamtkosten der Ausbildung von jeweils rund 600.000 Euro) herangezo- z.B. das Finanzministerium die von gen worden. den einzelnen Ressorts zur Verfü- Die Gewissensentscheidung, die es den Klägern unmöglich gemacht gung gestellten Mittel erheblich auf, habe, im Soldatenverhältnis zu verbleiben und so der Erstattungspflicht zu eine Konstruktion, die mir in entgehen, stellt nach Auffassung des Gerichts, das eine anders lautende Deutschland gegenwärtig wenig rea- Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts aufhob, eine besondere Härte listisch erscheint. dar. Die Behörde müsse deshalb die Erstattungsverpflichtung reduzieren. Ich glaube auch nicht, dass das In welchem Umfang das zu geschehen hat, hängt davon ab, welche Beträge Pooling von Haushaltsmitteln eine die Kläger dadurch erspart haben, dass sie diese Fähigkeiten und Kennt- Voraussetzung für ein kohärentes und nisse bei der Bundeswehr und nicht auf eigene Kosten in einer zivilen effizientes Herangehen an Maßnah- Ausbildungseinrichtung erworben haben. Der zu erstattende Betrag darf, men der Krisenprävention und Frie- betonte das Bundesverwaltungsgericht, dabei nicht so hoch sein, dass er densentwicklung ist, wenngleich hier von der Stellung eines Antrags auf Anerkennung als Kriegsdienstverweige- sicherlich noch Verbesserungen rer abschreckt (BVerwG 2 C 18.05 und 2 C 19.05 – Urteile vom 30. März durch die Bundesregierung im Hin- 2006). – Die Zentralstelle für Recht und Schutz von Kriegsdienstverweige- blick auf ressortübergreifende Kon- rern begrüßte das Urteil. Dadurch werde die Gewissensfreiheit der Solda- zepte möglich sind. Das Drei-Säulen- ten gestärkt. (KNA) Konzept der Bundesregierung für

22 AUFTRAG 263 SOLDATEN DIENER DES FRIEDENS

GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER SOLDATEN Postfach 64 02 32 + 10048 Berlin

An den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz S. Eminenz Karl Kardinal Lehmann Bundesvorsitzender Postfach 29 62 53113 Bonn

Eminenz, sehr verehrter Herr Bischof, die Deutsche Bischofskonferenz hat sich am 29. November 2005 mit der Erklärung zur Stel- lung und Aufgabe der Bundeswehr „Soldaten als Diener des Friedens“ an die Öffentlichkeit gewandt. Als Gemeinschaft Katholischer Soldaten- GKS sind wir sowohl als katholischer Verband als auch als Soldaten der Deutschen Bundeswehr unmittelbar angesprochen.

Im Namen der Mitglieder des Verbandes möchte ich mich mit diesem Schreiben für die Sor- ge und die gesellschaftliche Verantwortung, die in der Erklärung zum Ausdruck kommen, von Herzen bedanken. Die GKS will an der Diskussion über die Erklärung teilnehmen, dies umso mehr, als Bundespräsident Horst Köhler den öffentlichen Diskurs über die Bundes- wehr und deren risikoreiche Auslandseinsätze angemahnt hat und dabei vom Wehrbeauftrag- ten des Deutschen Bundestages im Jahresbericht 2005 unterstützt wurde.

1. Anlass und Entstehen der Erklärung Nachdem die deutschen Bischöfe mit den großen Erklärungen „Gerechtigkeit schafft Frieden“ (1983) und „Gerechter Friede“ (2000) zu sicherheitspolitischen und friedens- ethischen Fragen Stellung genommen hatten, kann diese Erklärung mit Fug und Recht als außergewöhnlich bezeichnet werden. Erstmals sind die Streitkräfte unseres Landes selbst Gegenstand der Erörterung der bischöflichen Synode. Der katholische Militärbischof für die Deutsche Bundeswehr und die Deutsche Kommis- sion „Justitia et Pax“, in der die deutschen Soldaten durch Herrn Generalleutnant Karl- Heinz Lather vertreten werden, haben ihren Einfluss und ihre Sachkenntnis bei der Ent- stehung dieser wertvollen Erklärung eingebracht. Mit dem ursprünglichen Untertitel „Welche Bundeswehr wollen wir?“ rückt der eigentli- che Anlass für die Beschäftigung mit einer staatlichen Institution in den Blick: Einerseits war sicherlich das Jubiläum ,,50 Jahre Bundeswehr“ Grund genug, sich mit den Streitkräften in unserem wiedervereinigten Vaterland zu beschäftigen, andererseits aber bereiten Ereignisse in der Bundeswehr und ihr weltweiter Einsatz Sorge.

2. Stellungnahme der GKS Wir unterstützen die Ausführungen und Wertungen mit allem Nachdruck. Hervorzuheben sind aus unserer Sicht folgende Aspekte:

2.1 Berufsethos und ethische Bildung Im Kapitel 2.2.3 „ Soldatisches Selbstverständnis angesichts von Individualisierung und Pluralisierung der Wertorientierungen“ sind die Kernfragen unserer „moder- nen“ Gesellschaft – und somit auch der Bundeswehr als deren Spiegelbild in präg- nanter Weise angesprochen. Insbesondere die Frage nach der Vereinbarkeit des Neutralitätsgebotes des Staates auf weltanschaulichem Gebiet mit der Idee des

„Staatsbürgers in Uniform“ als berufsethischem Leitbild für die Streitkräfte muss in SOLDATEN GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER der Tat mit einem eindeutigen Bekenntnis zu den Grundsätzen der Inneren Führung, die vom christlichen Menschenbild und leidvoller Geschichtserfahrung geprägt Am Weidendamm 2 sind, beantwortet werden. Die Einsicht in diese Zusammenhänge ist seit über 50 10117 Berlin Jahren Bildungsziel der Bundeswehr, insbesondere durch Politische Bildung. Ohne die Rückbindung (re-ligio) allgemeingültiger Werte und Normen an die letzte, die Tel 030/20619990 göttliche Instanz bleiben diese Erziehungsziele jedoch letztlich unverbindlich und Fax 030/20619991 hohl („soft“ siehe 2.1.3). Die zu Recht eingeforderten und von ministerieller Seite eMail: [email protected]

AUFTRAG 263 23 BILD DES SOLDATEN

schulmäßig geplanten „umfassenden Bildungsprozesse“ in soldatischer Ethik bedürfen aus unserer Sicht des- wegen dringend der geistlichen Begleitung. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Erklärung der Zentralen Versammlung „Militärseelsorge zukunftsfähig gestalten“ verweisen (siehe Anlage). Dieser Forderung wird in dem aus unserer Sicht recht knapp bemessenen abschließenden Kapitel 3.3 zwar zum Ausdruck gebracht. Es wird aber großer Kraftanstrengung bedürfen, die „Ethische Bildung“ vor dem Schicksal der Politischen Bildung zu bewahren, deren Praxis zu Recht als „bedauerlich“ bezeichnet wird.

2.2 Begründungsverpflichtung bei Einsätzen Dieses vom Bundespräsidenten in seiner bereits weiter oben erwähnten Rede erhobene Postulat steht in engem Zusammenhang mit dem „prekären Moment der Verdrängung“ (2.2.1) der Fragen zur äußeren Sicherheit in un- serer Gesellschaft. Da die Frage nach dem legitimen, ethisch verantwortbaren deutschen oder auch europäi- schen Interesse nur allzu zurückhaltend gestellt wird, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn der Bürger dies als Sache „der Militärs“ abtut und den Soldatinnen und Soldaten das Verstehen der oft sehr komplexen Materie überlässt. Ethisch wie rechtlich tragfähige Einsatzbegründungen, zu denen der Souverän verpflichtet ist, sind der Schlüs- sel für die Identifikation der Soldaten mit ihrem Auftrag und damit ein Kernelement der Inneren Führung; das ist zwar aufwändig und fordert hohen Einsatz von der politischen Leitung und der militärischen Führung, ist aber unverzichtbar, wenn die Soldaten einerseits guten Gewissens Gehorsam leisten sollen und andererseits „Tendenzen zur Ausprägung von Söldner- und Kriegermentalitäten“ (2.1.1) wirksam begegnet werden soll. Die Wehrform hat zwar wesentlichen Einfluss auf das „Innere Gefüge“ der Streitkräfte, sie ist jedoch aus unserer Sicht für das Wesen der Inneren Führung nicht konstitutiv. Obwohl wir eindeutig positiv zur Wehrpflicht einge- stellt sind, steht die Wehrpflichtdebatte für uns gegenwärtig nicht im Vordergrund. Ebenso enthalten wir uns ei- ner Stellungnahme zur Frage der Verankerung der Grundsätze der Inneren Führung in einem Bundesgesetz (3.1). Wir halten eine rechtliche Kodifizierung eher für problematisch, da sich Innere Führung weiterentwickelt und sich der Kernbestand der Führungskultur der Bundeswehr kaum auf wenige Normen verdichten lässt.

3. Wahrnehmung der Erklärung in Bundeswehr, Kirche und Öffentlichkeit Ich vermag gegenwärtig noch nicht zu erkennen, dass die Erklärung Zündstoff für Diskussionen geliefert hat, wenngleich das Bischofswort reißenden Absatz findet. Es ist an uns, die Erklärung vor dem Schicksal vieler anderer guter Texte zu bewahren, die mit einem wohlwollenden Kopfnicken in den Bücherschränken verschwanden. Wir werden die Erklärung in unserem Verband breit verteilen und die Diskussion darüber führen.

4. Beitrag der GKS - Perspektiven und Vorschläge Als katholischer Verband wollen wir also unsere Möglichkeiten nutzen, um der Erklärung und damit auch der Inne- ren Führung Gehör zu verschaffen. Wir wollen aber auch Anregungen geben, die in die Weltkirche hineinreichen. Generalleutnant Karl-Heinz Lather hat in einem Namensartikel in „Die Tagespost“ vom 11. März 2006 einige Wege skizziert, die ich hier aufgreifen möchte: – Unterstützung der jungen Demokratien Osteuropas bei der Entwicklung einer Führungskultur und beim Aufbau einer Militärseelsorge – Beschäftigung der europäischen Bischofskonferenz mit dieser Thematik – Erörterung durch die Militärseelsorge auf europäischer Ebene.

Wir werden unseren Einfluss im Apostolat Militaire International – AMI – geltend machen und das Gedankengut der Inneren Führung auch über den europäischen Horizont hinaus verbreiten (siehe AMI-Erklärung „Der katholische Soldat am Beginn des 3. Jahrtausends“ vom 15.11.2000). Die im besten Wortsinn katholische, weltumfassende Verfasstheit unserer Mutter Kirche ermöglicht dies durch die Mitwirkung auf weltkirchlicher Ebene im COIC/CICO.

Ebenso werden wir den innerkirchlichen Dialog mit der internationalen katholischen Friedensbewegung „pax christi“ und die „Lobbyarbeit“ in Gesprächen mit Parlamentariern fortsetzen.

Abschließend darf ich ihnen versichern, dass die GKS auch in Zukunft ihre Arbeit auf der Grundlage des Glaubens und insbesondere der katholischen Friedenslehre fortsetzen wird. Wir werden dabei eng mit der Katholischen Militärseelsor- ge zusammenarbeiten. Von den Gründern unserer Gemeinschaft haben wir als Erbe übernommen, das im Glauben ge- schärfte kritische Gewissen der Bundeswehr zu sein und fühlen uns deswegen in besonderer Weise der Inneren Führung verpflichtet.

Ich bitte um Ihr Einverständnis, dieses Schreiben als Anstoß und Beitrag zu einer Debatte in Bundeswehr, Kirche und Gesellschaft zu veröffentlichen.

Paul Brochhagen

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Herrn Oberstleutnant Paul Brochhagen Bundesvorsitzender der Gemeinschaft katholischer Soldaten Postfach 640232

Sehr geehrter Herr Oberstleutnant Brochhagen, herzlich danke ich Ihnen und der Gemeinschaft katholischer Soldaten (GKS) für Ihren Brief vom 14. Mai 2006, besonders auch für Ihre freundlichen Glückwünsche zu meinem 70. Geburtstag.

Es freut mich, dass die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz „Soldaten als Diener des Friedens“ vom 29. November 2005 unter den katholischen Soldaten gute Aufnahme gefunden hat. Durch Ihre Kommentare zu der Erklärung fühle ich mich auch in der Einschätzung bestätigt, dass es an der Zeit war, eine solche bischöfliche Orientierung für den soldatischen Dienst vorzulegen und die Grundsätze der Inneren Führung angesichts heutiger Infragestellungen in Erinnerung zu rufen. Einzelfragen wie diejenige, ob es eines Bundesgesetzes zur rechtlichen Stärkung der Inneren Führung bedarf, sollten sicher weiter diskutiert werden. Gerade die Deutsche Kommission Justitia et Pax, die ja auch bei der Vorbereitung der bischöflichen Erklärung wichtige Beiträge geleistet hat, ist ein geeigneter Ort, um die kirchliche Meinungsbildung voranzubringen und zu vertiefen.

Ausdrücklich möchte ich dafür danken, dass Sie die Erklärung „Soldaten als Diener des Friedens“ mit großem Engagement in die deutsche, aber auch in die internationale Debatte hineintragen. Meiner Wahrnehmung nach findet die Diskussion über die hier angesprochenen Themen noch viel zu selten statt, sodass sich die Praxis aus rein „pragmatischen“ Gründen quasi unter der Hand langsam verschiebt. Dieser Tendenz entgegenzutreten, ist eine wichtige Aufgabe. Ich habe daher auch keine Einwände gegen Ihre Absicht, in diesem Zusammenhang auf das an mich gerichtete Schreiben zurückzugreifen.

Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen Ihr

Karl Kardinal Lehmann

AUFTRAG 263 25 BILD DES SOLDATEN Eine Leitfigur im Umfeld des zweiten Traditionsstranges der Bundeswehr Randolph von Breidbach-Bürresheim (1912-1945)

VON ANDREAS M. RAUCH die Kanzlei Dr. Müller („Ochsen- Herkunft und Jugend sepp“, Mitbegründer der CSU) in Traum geboren, der Welt ent- München ein. Im November 1939 rückt, irgendwie unwirklich: so er- wird Breidbach Oberleutnant der scheint Burg Satzvey dem Besucher und an die Abwehrstelle auf den ersten Blick. Zwei bronzene berleutnant Randolph von München versetzt, wo er geheime Löwen, Symbole von Macht, Herr- Breidbach-Bürresheim gehört Kontakte zum Heiligen Stuhl pflegen schaft und Edelmut, säumen das mit- Ozu den Leitbildern des zwei- kann, um durch die Einschaltung telalterliche Tor von Burg Satzvey – ten Traditionsstranges der Bundes- Großbritanniens das Dritte Reich gleichsam als Wächter eines kleinen wehr. Bekanntlich kennen wir drei zum Frieden zu zwingen. Paradieses in der Nähe der Stadt Traditionsstränge, Im Frühjahr 1940 nimmt Breid- Euskirchen bei Bonn. Zugleich be- – die preußische Militärreformen bach am Frankreichfeldzug teil. Im tritt der Besucher jenen Ort, in dem (Hardenberg, von Stein), Januar 1941 legt er sein zweites Randolph Rudolph Friedrich Huber- – das Attentat des 20. Juli 1944 Staatsexamen ab. Danach kehrt er tus Maria Freiherr von Breidbach- und zum Militär zurück. An der Ostfront Bürresheim gen. von Riedt zunächst – das Konzept der Inneren Füh- 1942/43 erkrankt er an Gelbfieber als Kind während des I. Weltkrieges, rung aus den 50er Jahren. und wird dadurch psychisch und dann als junger Mann in den 30er Breidbach-Bürresheim war eine physisch geschwächt. Am 5. April Jahren des 20. Jhs. und schließlich Randfigur des 20. Juli. 1943 werden Hans von Dohnanyi, als Soldat in den ersten Jahren des II. Dietrich Bonhoeffer und Dr. Josef Weltkrieges häufig zu Gast war. Die- Ein erster Überblick Müller verhaftet, was im Ergebnis se großzügige mittelalterliche Burg- Der Lebenslauf des Oberleutnant zum Auffinden der so genannten anlage im ländlichen Idyll der Vor- Dr. iur. Randolph Freiherr von „Breidbach-Berichte“, in denen über dereifel schien für Randolph von Breidbach-Bürresheim stellt sich dar Verbrechen der Wehrmacht im Os- Breidbach einen Hort der Sicherheit, als ein dramatischer Werdegang. Am ten berichtet wird, in der Kanzlei Dr. der Geborgenheit und Beständigkeit 10. August 1912 in Bonn geboren Müller führt. Vor diesem Hintergrund auszustrahlen, sowohl in ihrer stei- verbringt Breidbach einen großen wird Breidbach am 5. Mai 1943 ver- nernen wie auch in ihrer geistigen Teil seines Lebens auf dem groß- haftet. Architektur und gerade angesichts elterlichen Landsitz Burg Satzvey. Am 3./4. März 1944 finden in der tief greifenden politischen und Aufgrund der politischen und sozia- Berlin Gerichtsverhandlungen zum gesellschaftlichen Umwälzungen in len Spannungen im Deutschen Reich Fall Dr. Müller und Breidbach statt, der ersten Hälfte des 20. Jhs. im Kontext des I. Weltkrieges zieht die mit einem Freispruch enden. An der Burg vorbei führt ein die Familie 1918 auf das Familien- Doch vom Reichssicherungshauptamt Turm in den ersten Stock, wo die im gut Schloss Fronberg um. Ab 1922 wird weiter Haftfortsetzung angeord- Jahr 2006 88-jährige Adeline Gräfin besucht Breidbach das Humanisti- net. Im Frühjahr 1944 bittet die Mut- Beissel von Gymnich, eine Cousine sche Gymnasium in Metten und ter Randolphs Oberst Claus Graf Randolphs und ihr 90-jähriger Mann macht 1931 auf dem Max-Gymnasi- Schenk von Stauffenberg – ebenfalls leben. Die Wohnung ist mit dunklen, um in München sein Abitur. Im glei- Angehöriger der Reiterstaffel 17 – um schweren Möbeln eingerichtet, an chen Jahr beginnt er noch sein Jura- Hilfe, der ihr einen positiven Ausgang den Wänden hängen Photografien studium. garantiert. Am 20. Juli 1944 scheitert von lebenden und toten Verwandten. Mit seinem Beitritt in die Reiter- das Attentat gegen Hitler. Am 6. No- Im Speisesaal blicken mit ernstem, truppe umgeht Breidbach zunächst vember 1944 wird Breidbach in das erhabenem Blick alte Familien- seine Eingliederung in die SA im No- Gestapo-Gefängnis Berlin-Moabit porträts aus dem 18. und 19. Jh. auf vember 1933. Nach Ableistung des verlegt, um Geständnisse von ihm zu den Betrachter. Die gelbe Farbe der Militärdienstes legt er 1936 das erste erzwingen, was nicht gelingt. Am 20. Wohnzimmerwände wirkt belebend Staatsexamen ab. 1939 wird Breid- Februar 1945 erfolgt ein Sammel- und auch hier künden viele alte Ge- bach aus der SA ausgeschlossen, un- transport von Häftlingen des 20. Juli mälde und Antiquitäten von dem ter anderem aufgrund der Inhaftie- 1944 in das Konzentrationslager Kunstinteresse und der Sammellei- rung des Vaters für einige Tage. Am Sachsenhausen, wo Breidbach auf- denschaft vergangener Generationen. 16. Mai 1938 legt Breidbach seine grund fortschreitender Tuberkulose Irgendwie scheint die Zeit an Dissertation zum Thema „Die Haf- am 13. Juni 1945 nach Kriegsende dieser Örtlichkeit stehen geblieben tung des Binnenschiffers“ an der im Krankenrevier des ehemaligen zu sein. Dem Besucher kommt es vor, Universität Erlangen ab und tritt in KZ verstirbt. als wäre Randolph von Breidbach

26 AUFTRAG 263 SOLDATSOLDATEN UND CHRISTLICHES DIENER DES FRIEDENS ZEUGNIS erst vor wenigen Tagen in diesen unmittelbar engagiert, um ein Ende dolph von Breidbach eben nicht Räumen gewandelt. Trotzdem ist in der Schreckensherrschaft Hitlers durch Kriegshandlungen herbeige- diesen spät winterlichen Tagen die und ein Ende des sinnlosen Krieges führt. Vielmehr wurde er als politi- Kälte spürbar, die trotz Heizung aus herbeizuführen. Für Breidbach war scher Häftling einem 2-jährigen Mar- den ungeheizten Räumen des Erdge- der aus dem Christlichen stammende tyrium von verschiedenen Instanzen schosses vom Boden steigt. Friedensauftrag maßgebend, der des totalitären NS-Staates im Umfeld Und dann kommt Gräfin Beissel eben ein Dienst an der Gemeinschaft des 20. Juli unterzogen, die im Er- auf ihren Vetter Randolph zurück. ist und keinesfalls als Selbstzweck gebnis Breidbachs Tod herbeiführ- Gradlinig, durchsetzungsstark und angesehen werden kann. Friedens- ten. zielstrebig sei er gewesen und er dienst, so wie ihn die katholische Abschließend können wir fest- habe eine gute Ausbildung erfolg- Kirche versteht, ist folgerichtig halten: In seinem scheinbar kurzem, reich durchlaufen. Zudem sei er ein Dienst am Weltgemeinwohl. tragischen und gesellschaftspolitisch frommer Mann gewesen, ganz unter Die so genannten „Breidbach- letztlich wirkungslosen Lebens- dem Einfluss seiner dominanten Berichte“ gingen über die Kanzlei verlauf ist Breidbach-Bürresheim Mutter stehend, die ihn vor den Ge- des Rechtsanwaltes Dr. Josef Müller zum Märtyrer geworden, indem er schwistern bevorzugte. Randolphs an den Heiligen Stuhl. In den Jahren sich zu seinem christlichen Glauben Bruder Goswin, der später Schloss 1939/40 wurden wiederholt Versu- bekannte, Zeugnis für Christus ab- Fronberg im oberpfälzischen Schwan- che unternommen, über den Vatikan legte und damit Christus nachfolgte. dorf erben sollte, stand eher unter Großbritannien Informationen zuzu- Wie einem von Randolphs Briefen zu dem Einfluss des französischen Kin- spielen, in deren Folge Hitler zum entnehmen ist, war er überzeugt, dermädchens. Randolph hatte zwar Frieden gezwungen werden sollte. dass sein Lebensweg von Gott vorge- eine Freundin, aber Glaube und Mut- Dieses Handeln ist nicht ungewöhn- zeichnet war: „Ihr müsst auch nicht ter ließen hier wenig Spielraum, so lich. Denn ohne einen Zweifel spielt bitter gegen das Schicksal werden – Gräfin Beissel. In der äußeren Er- der Heilige Stuhl bis heute durch alles geht wie es vorgezeichnet ist. Ich scheinung sah Randolph blendend sein diplomatisches Wirken und sein glaube mehr und mehr, dass die Men- aus und war stets elegant gekleidet, geistliches Wort in den internationa- schen nur Werkzeuge sind.“ so wie er auf seine äußere Erschei- len Beziehungen eine wichtige und Jesuitenprovinzial Augustinus nung insgesamt Wert legte. Randolph vielseitige Rolle. Rösch (1893-1961) aus München, war in Satzvey stets lebhaft und Der christliche Friedensauftrag der Randolph gut gekannt hatte, freundlich, lebenslustig und humor- verlangt, mit allen Kräften für Recht schrieb dessen Mutter unter dem Da- voll, bestimmt und zuverlässig gewe- und Gerechtigkeit einzutreten (Frie- tum des 1. Februar 1946: „… dass sen. Insgesamt machte Randolph ei- densförderung) und den Frieden mit Ihr Randolf drüben in der ewigen Lie- nen intelligenten Eindruck auf seine politischen und militärischen Mitteln be des dreieinigen Gottes immer dankt Umgebung. Randolph ging jeden zu sichern (Friedenssicherung). Das für alles, was ihm Vater und Mutter Sonntag zur Kirche und kam grund- Evangelium gibt die Zuversicht, dass und Geschwister und Heim und Hof sätzlich immer gerne auf Burg das Friedenshandeln von Menschen und Kirche waren … Ihr Randolf ist Satzvey. Aus dem Gästebuch der nicht vergeblich ist (Friedenshoff- über alles Begreifen selig drüben; er Burg Satzvey geht hervor, dass nung). möchte nicht mehr zurück, wohl aber Randolph gerade in den 30er Jahren Im Umfeld des I. und II. Welt- möchte seine in Gott frohe Seele Ihnen häufig zu Gast war, mitunter fast mo- krieges hat es immer wieder tapfere, viel, sehr viel letzte, tiefe, stille Freude natlich wie etwa im Jahr 1931. sensible, begabte, junge Männer ge- vermitteln. Er wird es tun, bis das geben, die leider viel zu früh gestor- Wiedersehen kommt, das keine Tren- Christliches Wirken im Umfeld ben sind. Erinnert seien aus dem Be- nung mehr kennt.“ Durch Randolph des 20. Juli reich der bildenden Kunst an den von Breidbach-Bürresheim ist es Das Lebensbild des Randolph frühen Tod der Maler und Zeichner Christus selbst, der zum Handelnden von Breidbach ist Beleg dafür, dass August Macke (1887-1914), Her- wird. Damit erfüllt sich das Wort der eine aus dem Christlichen erwach- mann Stenner (1891-1914) und Heiligen Schrift: „Ich bin die Aufer- sende Gesellschaftsverantwortung in Franz Marc (1880-1916). Wie diese stehung und das Leben. Wer an mich Deutschland auch in den Zeiten der hatte der Oberleutnant von Breid- glaubt, wird leben, auch wenn er nationalsozialistischen Terrordikta- bach auch das Schlachtfeld gesucht, stirbt, und jeder, der lebt und an tur vorhanden waren. Breidbach aber nicht wie die Vorgenannten dort mich glaubt, wird auf ewig nicht ster- wirkte im geistigen Umfeld des 20. den Tod als Soldat gefunden. Damit ben.“ (Joh 11,25-26) ❏ Juli 1944 und er war dem Initiatoren wird zugleich der Unterschied zwi- des 20. Juli, Oberst Klaus Graf schen Breidbach und den Anderen Hinweis: Ende 2006 wird Dr. Andreas Schenk von Stauffenberg, persönlich deutlich. Zwar war Stenner offen für M. Rauch in der Schriftenreihe „For- bekannt, da sie miteinander ver- katholische Sujets in der Malerei wie schungen zur Volkskunde“ der Initia- wandt waren und im gleichen Reiter- etwa den des Heiligen Sebastian, tive Religiöse Volkskunde in Norder- regiment dienten. Wäre Breidbach doch im Kern waren diese Künstler stedt, hrsg. von Manfred Becker- zum Zeitpunkt des 20. Juli 1944 eben nicht so fromm wie von Breid- Huberti, Reimund Haas und Eric W. nicht bereits inhaftiert gewesen, so bach. Und während die genannten Steinhauer eine ausführliche Biogra- hätte er sich möglicherweise im Um- Künstler den Tod auf dem Schlacht- phie von Dr. iur. Randolph Freiherr von feld Stauffenbergs oder Bonhoeffers feld fanden, so war der Tod von Ran- Breidbach-Bürresheim veröffentlichen.

AUFTRAG 263 27 MANN IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT „Und sie glauben doch! Männer und ihre Religion“ Männerbischof Erzbischof Dr. Ludwig Schick nimmt in seiner Ansprache bei der Haupttagung der Gemeinschaft katholischer Männer (GKMD) am 11. Mai 2006 im Bonifatiushaus Fulda auch Stellung zur Sinus-Milieu-Studie

„Und sie glauben doch! den ist und ein Gesicht hat, zu kom- In diesen beiden Kapiteln un- Männer und ihre Religion.“ men, um durch Jesus Christus eine 4.tersucht Schirrmacher zwei Er- 1.Ist das überhaupt ein ange- tragfähige Gemeinschaft mit den Mit- eignisse. Das erste Kapitel beschreibt messener Titel für eine christliche menschen aufbauen zu können. die Ereignisse des „Donnertrecks“. und kirchliche Veranstaltung? 1846 machten sich 81 Men- Selbstverständlich glaubt jeder an Die Not unserer Zeit, gerade schen, mehrere große Familien, irgendetwas, an sich selbst und seine 3.auch bei den Männern, besteht Alleinreisende und einige ortskundi- Fähigkeiten, an die Liebe seiner doch darin, dass sie ohne Gemein- ge Führer durch die Sierra Nevada Frau, an die Verlässlichkeit der schaft mit Gott und mit den Mitmen- auf, um ihr Glück in einem neuen Sozialsysteme, an die Pünktlichkeit schen leben. Das gerade erschienene Siedlungsgebiet zu machen. Sie wur- der Bahn und die Sicherheit des Buch des Mitherausgebers der FAZ den am Fuß eines Gebirgsmassivs, Flugverkehrs und vielleicht auch da- Frank Schirrmacher mit dem Titel das sie überqueren mussten, vom ran, dass „überm Sternenzelt muss „Minimum“ und dem Untertitel Winter überrascht und saßen dort im ein guter Vater wohnen“, wie es bei „Vom Vergehen und Neuentstehen Eis fest. Der Treck konnte nicht vor Beethoven in der 9. Symphonie heißt, unserer Gemeinschaft“ macht dies und nicht zurück. Die Vorräte wur- oder dass einer existiert, den aufgebraucht, die Ner- der die Welt im Innersten ven auch und nach und zusammenhält. nach kam einer nach dem „Religion“ ist auch anderen ums Leben. 40 ein sehr diffuser Begriff, überlebten. der alles umfasst, was mit Forscher haben nach- Transzendenz zu tun hat. gewiesen, dass die allein- Seit Jahrhunderten wird reisenden Männer die ers- von Theologen die Frage ten waren, die umkamen diskutiert, ob Christentum oder sich umbrachten. Am überhaupt Religion im längsten haben große Fa- religionssoziologischen milien durchgehalten und und religionspsychologi- wurden teilweise gerettet. schen Sinn ist. Im Neuen Warum? Weil sie sich ge- Testament wird das Christ- genseitig stützten, trugen, sein nie Religion genannt. nährten und ermutigten. Christsein ist „Nachfolge Der Bamberger Diözesanbischof, Erzbischof Prof. Dr. Ludwig Das letzte Kapitel Jesu Christi“, der „neue Schick, ist als Mitglied der Kommission Seelsorge in der Deut- „Erbengemeinschaft“ er- Weg“, so in der Apostelge- schen Bischofskonferenz deren Beauftragter für die Männerseel- zählt von der großen Hitze- schichte, „Kirche“, auf sorge und Männerarbeit in den deutschen Bistümern. Neben Erz- welle 1995 in Chicago. Deutsch: Gemeinschaft der bischof Schick der Präsident der GKMD Franz-Josef Schwack. Auch da waren die meisten Berufenen. Christsein ist (Foto: M. Hochholzer) Toten unter den allein ste- „WandeIn im Geist Jesu“, henden Männern zu bekla- „Freundschaft mit ihm“, ist „Mitein- erschreckend klar. Es ist ein Essay, gen. Familien hielten am besten ander-Brot-Brechen“, wobei Jesus das mit einem Kapitel über die durch. Christus real in der Mitte ist. „Männer“ beginnt und mit einem Letztlich ist Christsein eine Bezie- Kapitel über die Männer, das aller- Kirche, liebe Schwestern und hung des Menschen mit Jesus Christus dings die Überschrift „Erbengemein- 5.Brüder, hat den Auftrag, Ge- und mit seinen Mitmenschen. schaft“ trägt, schließt. Im ersten Ka- meinschaft zu bilden mit Gott und pitel wird von Männern gesprochen, untereinander, so hat es das Zweite Aber gerade als solches ist die dem heutigen Idealtyp des Man- Vatikanische Konzil in Lumen Gen- 2.Christsein und Kirche heute un- nes entsprechen: Männer, die Hel- tium definiert. Die Spiritualität der abdingbar, gefragt und gesucht, auch den und Abenteurer sind, die allein Gemeinschaft ist ihre Spiritualität, von den Männern. Wenn wir derzeit sich durchschlagen und die siegen. ihr Glaube ist Glaube an die Ge- eine neue Sehnsucht nach Spirituali- Schirrmacher weist mit namhaften meinschaft von Gott und Mensch und tät entdecken, dann steckt meines Soziologen und Psychologen nach, ihre Religion ist Beziehungspflege zu Erachtens die Sehnsucht dahinter, dass die Realität ganz anders ist. Gott und zum Nächsten. Wir dürfen endlich wieder in ein persönliches Diese Helden- und Siegesmänner deshalb keiner Spiritualität verfal- und personales Verhältnis zu Gott, sind de facto die Schwachen und len, ihr frönen, sie fördern oder in sie der in Jesus Christus Mensch gewor- Verlierer. hineintappen, die dem Einzelnen

28 AUFTRAG 263 MANN IN DER KIRCHE UND GESELLSCHAFT seine heile Welt vorgaukelt, ihn in Christus, das fordert Zeit für Gebet Milieustudien verführen lassen. Sie einer „splendid isolation“ lässt, ihn und Gottesdienst, für Gespräch, Um- haben die Tendenz zu Segmentierung aus der Gemeinschaft und ins Nirwa- kehr, Besinnung und Buße. und Abgrenzung. Sie erwecken auch na, Kismet oder die ewige Ruhe ver- Der Mensch muss sich auch aus- den Eindruck, dass es so ist, so bleibt setzt. Schirrmacher hat seinem Buch strecken in die Horizontale. Dabei und immer so sein wird. Die Sinus- „Minimum“ den Untertitel gegeben muss er auch seine Milieus, seine Milieu-Studie scheint mir besonders „Vom Vergehen und Neuentstehen Vorlieben, seine Abschottungen, sein problematisch. Sie kann der Männer- unserer Gemeinschaft“. An der Ge- Monadendasein, seine Konzentration seelsorge und -arbeit, der kirchli- meinschaft der Menschen mitzu- auf sich und sein Haben und Gelten chen Arbeit insgesamt, als Realitäts- bauen, ist unsere Aufgabe als Kirche, überwinden und sich auf den ande- und Faktenanzeige, wobei auch das auch als Männerseelsorge und Män- ren einlassen, auch auf den ganz bei der Sinus-Milieu-Studie nicht nerarbeit. unten und den ganz oben, auf den unumstritten ist, dienen. Aber die ganz nahen oder ganz fernen. Ge- Wir Christen glauben, dass trag- meinschaft ist auch in der Horizonta- Kirche muss ihren ureigensten Auf- 6.fähige Gemeinschaft immer die len unteilbar. Wer sich nur auf einen trag erfüllen, nämlich die Milieus Vertikale und die Horizontale umfas- bestimmten Teil eingrenzt, der ver- und Ghettos überwinden. Nur wenn sen und nie die eine ohne die andere liert das Ganze, und wer sich nicht die Kirche Gemeinschaft zwischen sein kann. Auch deshalb ist das auf alle einlässt, der findet auch Je- Gott und den Menschen und den Kreuz unser Symbol. sus nicht, der sich gerade mit den Menschen untereinander in der Kraft Das Kreuz zeigt uns aber auch Letzten identifiziert. Christi bildet, dient sie den Men- an, dass diese vertikal-horizontale schen. Wenn wir den Menschen die- Gemeinschaft nicht ohne Anstren- Deshalb, liebe Schwestern und nen, dienen wir unserem Gott, dessen gung und Kraft, ohne Kreuz, zu ha- 7.Brüder, ist es wichtig, dass wir Ehre nach dem Kirchenvater Irenäus ben und zu erhalten ist. Der Mensch uns immer wieder auf unsere Urquel- darin besteht, dass der Mensch sein muss sich ausstrecken nach Jesus len besinnen und uns nicht von Heil findet. ❏

WHO IS WHO: DIE HIRTEN DES DEUTSCHSPRACHIGEN RAUMS: Interview mit Prof. Dr. Ludwig Schick, Erzbischof von Bamberg „Als Kirche und Seelsorger müssen wir vor allem Lehrmeister des Gebetes sein. Wenn der Seelsorger einen Menschen zum persönlichen Beten geführt hat, hat er alles getan“ m sechsten ZENIT-Interview der Reihe „Who is Who: Die Hirten des und den Vorschriften der Kirche fol- deutschsprachigen Raums“ schenkt Erzbischof Ludwig Schick Einblick gen. Dazu fühle ich mich vor allen Iin sein persönliches Frömmigkeitsleben, seinen Berufungsweg und sei- Dingen für die Priester und pastora- ne Herzensanliegen. len Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Der Oberhirte der Erzdiözese Bamberg wurde am 22. September verpflichtet. Der Bischof muss auch 1949 in Marburg geboren. Am 15. Juni 1975 empfing er das Sakrament auf Gefahren für Glaube und Sitte der Priesterweihe. Die Förderung der Berufung zum Priestertum und zum hinweisen, auch korrigieren und zu- Ordensleben gehören zu seinen vorrangigen Anliegen: „Dafür setze ich rechtweisen, um Abfall vom Glauben mich ein, dafür möchte ich noch viel mehr tun. Dafür bete ich vor allem. und Böses zu verhindern. Wir brauchen mehr Priester und Ordensleute.“ ZENIT: Eine persönlichere Frage: Der ehemalige Fuldaer Weihbischof, der am 22. Juni 2002 vom da- Könnten Sie uns etwas über Ihre Ent- maligen Papst Johannes Paul II. mit der Leitung des Erzbistums Bamberg scheidung zum Priestertum und all- betraut wurde, ruft zu einer neuen Wertschätzung der Stille auf: „damit gemein Ihren Glaubensweg erzählen? der Mensch Gott spürt und zu ihm gelangt“. Im jetzigen Papst Benedikt Wer oder was hat Sie begleitet? XVI. sieht er denjenigen, der „die Mauern des Säkularismus zwischen Erzbischof Schick: Als ich vor dem Gott und den Menschen niederreißen kann“. Abitur stand, kam mir spontan die Frage: „Was machst du denn mit dei- ZENIT: Wie verstehen Sie Ihr Hirten- Otto von Bamberg in einer Randnotiz nem Leben?“ Und ebenso spontan amt? hinzugefügt: „Dilige, punge gregem, kam mir die Antwort: „Du musst in Erzbischof Schick: Für mich ist sectando per omnia legem – liebe, deinem Leben etwas tun, das ande- besonders die Kurzdefinition des ‘stupse’ die Herde voran, folge in al- ren hilft, gut zu leben.“ Dann habe heiligen Papstes Gregor über das lem dem Gesetz“. ich konkreter darüber nachgedacht, Hirtenamt des Bischofs wichtig. Er Als Bischof möchte ich die Her- in welchen Berufen ich das verwirk- schreibt in seiner „Hirtenregel“ de, das heißt besonders die eigenen lichen könne. Mir kamen drei Berufe („Regula pastoralis“), dass der Bi- Diözesanen, lieben, sie voranbrin- in den Sinn: schof ein guter Hirte sein und der gen, mich um jeden einzelnen küm- – „Lehrer“; dann kannst du Kindern Herde mit gutem Beispiel vorange- mern und selbst dem Gesetz Christi und Jugendlichen etwas beibrin- hen soll. Dem hat der heilige Bischof der Gottes- und der Nächstenliebe gen, was ihnen hilft zu leben.

AUFTRAG 263 29 MANN IN KIRCHE UND GESELLSCHAFT

– „Arzt“; dann kannst du Gesunde ZENIT: Was bedeutet es zu glauben? be, Horoskope und Talisman- oder vor Krankheit bewahren und Kran- Wie wirkt sich das aus? Versicherungsreligion. Das ist aber ke gesund machen und so helfen, Erzbischof Schick: Glauben heißt: noch kein Glaube an den transzen- dass ihr Leben gelingt. Vertrauen auf Gott haben und im An- denten personalen Gott im christli- – „Pfarrer“; um Menschen die Be- gesicht Gottes leben. Das wirkt sich chen Sinn. Für viele Menschen ist ziehung zu Jesus Christus, zum in allen Bereichen meines Lebens der christliche Gott fern, er kommt Evangelium, zu Gott zu ermögli- aus. Das Vertrauen auf Gott schenkt nicht in ihr Leben hinein. Wie kön- chen, weil es ihnen hilft, sinnvoll Hoffnung und Zuversicht, Freude nen Menschen heute glauben, hoffen zu leben und in Frieden zu sterben. und Gelassenheit. Die Weisungen und lieben, wie können sie eine per- Ich habe mich für den letzteren und Gebote Gottes sowie seine Ver- sönliche Beziehung zu Jesus Christus Beruf entschieden und bin froh und heißungen gestalten mein Leben, ge- herstellen? glücklich dabei. Begleitet haben ben mir Halt, Sicherheit und Rich- Dazu ist es wichtig, die Stille mich meine Familie, gute Freunde, tung. Beides gehört zusammen: Ver- wieder zu entdecken, die Medien so die verheiratet sind, Priester und trauen auf Gott und entsprechend zu gebrauchen, dass sie helfen und Ordensleute. seinen Weisungen zu leben. nicht dominieren und alles bestim- ZENIT: Gibt es für Sie so etwas wie ZENIT: Jesus ist auferstanden. men. Wichtig ist, dass man Ruhe und eine geistige Heimat, einen theologi- Wo sehen Sie ihn, wie kommunizieren Frieden auch in der Kirche und in schen Hintergrund? Sie mit ihm? der Liturgie findet, damit der Mensch Erzbischof Schick: Meine geistige Erzbischof Schick: Jesus Christus Gott spürt und zu ihm gelangt. Als Heimat ist die Heilige Schrift; bezüg- ist lebendig und wirksam. Das Gebet Kirche und Seelsorger müssen wir lich Kirche und Seelsorge das Zweite ist für mich letztlich persönliches vor allem Lehrmeister des Gebetes Vatikanische Konzil. Von den zeitge- Zwiegespräch mit ihm, so wie es sein. Wenn der Seelsorger einen nössischen Theologen haben mich Ignatius von Loyola in seinen Exerzi- Menschen zum persönlichen Beten am meisten Henry de Lubac und tienbüchlein immer wieder schreibt. geführt hat, hat er alles getan. Der Hans Urs von Balthasar angespro- Alle vorformulierten Gebete und heilige Augustinus hat es so formu- chen. Gern gelesen habe ich Joseph auch die Schriftlesung müssen zum liert: „Unruhig ist unser Herz, bis es Ratzinger und Romano Guardini. Sie persönlichen Gespräch mit Jesus ruht in Dir, o Gott.“ Es gibt viele un- sind zusammen mit dem heiligen Christus hinführen. Wie im mit- ruhige Herzen, die auch in Religio- Augustinus und Thomas von Aquin menschlichen Bereich, gelingt diese nen oder Religiösem Ruhe suchen. mein „theologischer Hintergrund“. Kommunikation nicht immer. Man Sie zum Gott und Vater Jesu Christi ZENIT: Woraus schöpft Ihr inneres muss sich täglich neu um gutes Beten zu führen, darauf kommt es an. Leben? Gibt es für Sie eine besondere mühen und wenn es nicht gelingt, ZENIT: Was sagen Sie zu Papst Kraftquelle? darf man nicht aufgeben. Benedikt XVI., welche Hoffnungen Erzbischof Schick: Meine Kraft- ZENIT: Was sind Ihre Herzensanliegen? verbinden Sie mit ihm? quelle ist vor allem die Eucharistie. Erzbischof Schick: Das Lieblings- Erzbischof Schick: Papst Benedikt In der täglichen Messfeier und in der wort aus dem Neuen Testament ist für ist ein großes Geschenk Gottes an die Anbetung des Allerheiligsten hole mich das Wort Jesu: „Ich bin gekom- Kirche in der ganzen Welt und ich mir Kraft. In der Eucharistie füh- men, damit sie das Leben haben und besonders an die Kirche in Deutsch- le ich mich mit dem Herrn ganz eng es in Fülle haben“ (Joh 10,10). Mein land. Er ist ein sehr intelligenter, viel verbunden. Letztlich ist er „Weg, Herzensanliegen ist, dass alle Men- wissender, sehr frommer und spiritu- Wahrheit und Leben“ für mich. Die schen das Leben Jesu Christi haben eller Papst. Zugleich ist er sehr ein- Kirche und das christliche Leben und daraus Versöhnung, Friede, fach. Er kann die Menschen zum We- entstehen aus der Eucharistie. Die Freude, Zuversicht, Gerechtigkeit sentlichen des Lebens führen, zur Eucharistie ist Quelle und Mittel- und Liebe erfahren. Verbindung mit Jesus Christus. punkt der Kirche und auch meines In meinem bischöflichen Dienst Sein theologisches Denken und persönlichen Lebens. ist mir vor allem die Förderung von Predigen dreht sich vor allem um die ZENIT: Die Weltbischofssynode im Berufungen zum Priester- und Or- Person Jesu Christi, ER ist sein gro- Oktober vergangenen Jahres stand densberuf eine große Herausforde- ßes Anliegen. Ich verbinde mit Papst genau unter diesem Thema. Was ge- rung und das große Herzensanliegen. Benedikt die Hoffnung, dass er die hört zur Eucharistie noch dazu? Dafür setze ich mich ein, dafür Mauern des Säkularismus zwischen Erzbischof Schick: Zur Eucharistie möchte ich noch viel mehr tun. Dafür Gott und den Menschen, gerade in gehört das Wort Gottes. Das erlebe bete ich vor allem. Wir brauchen unseren Breitengraden, niederreißen ich jeden Tag neu, wenn ich geistlich mehr Priester und Ordensleute. kann. Papst Johannes Paul II. war es Schriftlesung halte und das Brevier ZENIT: Worin sehen Sie die großen gegeben, die Mauern zwischen den bete. Zur Eucharistie gehört auch Herausforderungen unserer Zeit? Menschen, vor allen Dingen zwi- Maria. Sie hat Jesus Christus geboren Erzbischof Schick: Die große Her- schen dem Ostblock und dem Wes- und ihn uns geschenkt. „Per Mariam ausforderung unserer Zeit und in un- ten, niederzureißen und sie mitein- ad Jesum“ – „durch Maria zu Jesus“. seren Breitengraden ist die Überwin- ander zu verbinden. Jetzt brauchen Sie schenkt uns auch heute immer dung des Säkularismus. Es gibt eine wir einen Abbruch der vertikalen wieder neu ihren Sohn in geistlicher diffuse Religiosität, die sogar an- Mauern zwischen Mensch und Gott. Weise. Der tägliche Rosenkranz ist wächst mit Elementen des Christen- Das kann Papst Benedikt XVI. bewir- für mich sehr wichtig. tums, des Buddhismus, Geisterglau- ken. (ZENIT.org)

30 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT Die Religionsfreiheit in 143 Ländern der Welt Jahresbericht »Religionsfreiheit weltweit« von »Kirche in Not« im Überblick Der jüngste Bericht „Religionsfreiheit weltweit“ tadelt vor allem Asien und vor unschuldige Opfer. Diese gesetz- Afrika wegen weit verbreiteter Religionsverfolgungen. Einschneidende liche Regelung sieht für jeden, der Verletzungen der Religionsfreiheit werden auch in China beklagt. gegen den Koran oder Mohammed gelästert hat, eine lebenslange Frei- um siebten Mal hat das inter- China beklagt. Das eigentliche Pro- heitsstrafe oder sogar die Todesstrafe nationale katholische Hilfs- blem dort sei der Unmündigkeits- vor. Oft würden Verurteilungen aus- Zwerk Kirche in Not/Ostpries- status, in dem sich die Kirche befin- gesprochen, obwohl die Beweise terhilfe in italienischer Sprache ei- de. Durch Gesetze und Parteipolitik fehlten. nen ausführlichen Bericht über die würden die katholischen Gläubigen Die Lage in Indonesien wird im Lage der Religionsfreiheit in der sogar dazu gezwungen, in die staatlich Jahresbericht „Religionsfreiheit Welt veröffentlicht. Der Jahresbe- kontrollierte Patriotische Vereinigung weltweit“ als sehr besorgniserregend richt beklagt auch in diesem Jahr einzutreten; zudem gebe es eigene eingestuft. Dort seien etwa am 1. zahlreiche Verletzungen dieser Regierungsstellen, die für die Einset- September drei christliche Erziehe- Grundfreiheit des Menschen. zung von Bischöfen zuständig seien. rinnen zu drei Jahren Haft verurteilt Die vorgestellte Untersuchung Da der Heiligen Stuhl und die worden, weil sie muslimischen Kin- stellt für 143 ausgewählte Staaten dar, romtreuen chinesischen Katholiken dern erlaubt hatten, an der Sonntags- inwieweit es den Einwohnern möglich der Untergrundkirche diese Maßnah- schule teilzunehmen. In diesem ist, ihre Religion frei zu wählen, ihre men nicht akzeptierten, würden Bi- bevölkerungsreichsten islamischen Glaubensgemeinschaft zu wechseln schöfe, Priester, Ordensleute und Land machten allerdings glückli- oder Verbindung mit Angehörigen des Laien auch heute noch festgenom- cherweise auch mutige Stimmen von eigenen Bekenntnisses in anderen men: Sie verschwänden, würden ge- sich hören, die die Beachtung der Ländern aufzunehmen. foltert und drangsaliert; Priester und Religionsfreiheit forderten. Das zeige Für die 423 Seiten starke Studie Bischöfe säßen im Gefängnis oder in etwa eine vor kurzem in Jakarta orga- haben die Autoren nach Angaben des Umerziehungslagern. nisierte Demonstration von 1.500 Münchener Pressebüros von „Kirche Aber auch in Indien, dem zweit- Christen und gemäßigten Muslimen. in Not“ verschiedene Dokumentatio- größten Land der Welt, sehen sich Die Kundgebung richtete sich gegen nen, Presseberichte und Agentur- die christlichen Gemeinden laut die Zwangsschließung von 23 Gebets- meldungen ausgewertet und durch „Kirche in Not“ wegen hinduisti- stätten innerhalb von zwei Jahren. Augenzeugenberichte von Betroffe- scher Fanatiker Schwierigkeiten aus- Diese Schließungen waren vorge- nen ergänzt, die das Hilfswerk im gesetzt. Anti-Konversions-Gesetze nommen worden, da diese Kirchen Rahmen seiner Tätigkeiten erhalten und Gewaltanwendung zielten darauf habe. Gegenstand des Berichts sind ab, jegliche missionarische Tätigkeit gesetzeswidrig errichtet worden wä- – unabhängig von der Konfessions- zu unterbinden. ren. zugehörigkeit – alle Formen von Ver- Im kommunistischen Nord- Auf den zu Indonesien gehören- letzung der Religionsfreiheit. korea sind dem nun vorliegenden den Molukken hätten muslimische Bei der Präsentation des Bandes Bericht zufolge in den vergangenen Milizen systematisch Christen nie- unterstrich der Leiter von „Kirche in fünfzig Jahren rund 300.000 Chris- dergemetzelt, so wird berichtet. Not“ in Italien, Dr. Orazio Petrosillo, ten „verschwunden“. Gleichzeitig bestehe in vielen indo- dass die Religionsfreiheit ein „Na- In den islamischen Staaten füh- nesischen Provinzen weiterhin die turrecht“ sei und dem religiösen Be- re die Verfolgung von „Ungläubigen“ Gefahr, die Scharia unter Gewaltan- kenntnis vorausgehe. Immer gehe es nicht selten zu extremen Notsitua- wendung einzuführen. um das „Recht auf die Suche nach tionen. Andersgläubige, die gegen Gemäß einer Umfrage, die im der Wahrheit“. die Scharia, das islamische Recht, vergangenen Jahr gemacht wurde, Die Religionsfreiheit sei, wie verstoßen, seien Gefängnis und Fol- sind über 3.000 Anhänger radikaler Papst Johannes Paul II. erklärt habe, ter ausgesetzt. islamischer Gruppierungen zu terro- „das Herzstück der Menschenrech- In Indonesien, China sowie an- ristischen Anschlägen bereit. te“, so Petrosillo. Deshalb sei die deren kommunistischen Staaten, Weitere gewalttätige Ausschrei- Achtung der Religionsfreiheit für aber auch in Pakistan und generell tungen gab es in Afrika. Betroffen „Kirche in Not“ der wichtigste Grad- in Nationen mit muslimischer Bevöl- sind unter anderem Angola, die messer für die Achtung der Men- kerungsmehrheit ortet der Bericht Elfenbeinküste und der Sudan. An schenrechte überhaupt. Im jüngsten Handlungsbedarf. In allen angeführ- der Elfenbeinküste und in Kenia Bericht „Religionsfreiheit weltweit“ ten Ländern würden Menschen we- gärt es laut Bericht zwischen christli- werden vor allem Asien und Afrika gen ihrer religiösen Überzeugungen chen und mohammedanischen Ge- wegen weit verbreiteter Religions- ins Gefängnis geworfen und manch- meinden. Im Sudan führe der musli- verfolgungen getadelt. mal sogar zum Tod verurteilt. misch dominierte Norden nach wie Einschneidende Verletzungen In Pakistan fordere das so ge- vor Krieg gegen die animistischen der Religionsfreiheit werden auch in nannte „Blasphemiegesetz“ nach wie Stämme und die Christen des Sü-

AUFTRAG 263 31 RELIGION UND GESELLSCHAFT dens. Flüchtlinge, die nach Norden Islamische Staaten wie Oman, Sogar in Europa komme es gele- flüchteten, würden oft gezwungen, der Jemen, Bahrain und der Iran gentlich zur Benachteiligung von Re- zum Islam überzutreten. Maureta- hätten in Bezug auf die Toleranz ge- ligionen oder religiösen Bewegun- nien setze inzwischen eine beson- genüber anderen Religionen Fort- gen. Eine laizistische orientierte Ge- ders strenge Version des islamischen schritte gemacht. Aber im Allgemei- setzgebung in Schweden, Frank- Rechts ein. nen sei es Moslems immer noch ver- reich und Belgien werde oftmals Einen Hoffnungsschimmer auch boten, zu anderen Religionen zu kon- dazu benutzt, um traditionelle christ- für diesen Kontinent stellt mögli- vertieren; und nichtmohammedani- liche Vereinigungen und Gruppen zu cherweise das kürzlich geschlossene schen Männern sei es nach wie vor benachteiligen. Friedensabkommen im Sudan dar, verboten, mohammedanische Frauen In Osteuropa halte ein staats- wird festgehalten. Doch auch dieses zu heiraten. höriges Denken nach wie vor am scheine erneut gefährdet. Nach Jah- Mit Ausnahme von Kuba, wo das Erbe der kommunistischen Vergan- ren des Krieges sei der Weg noch Regime die Katholiken marginalisie- genheit fest. Für sie sei Religions- freiheit sowie die Bildung von religi- lang und verlange Aufmerksamkeit re, gebe es in Nord- und Süd- ösen Vereinigungen etwas, was vom und Festigkeit von allen Seiten. keine bedenkliche Situati- amerika Staat „gewährt“ werde. In Nigeria wachse derweil die on, was die Religionsfreiheit betrifft. In den Territorien der Russi- Sorge, dass sich die blutigen Zusam- In Venezuela gäben aber die laizisti- schen Föderation „versucht die menstöße mit religiösem Hintergrund schen Erklärungen und Entschei- russisch-orthodoxe Kirche, den (in- ausweiten. Seit Einführung der Scha- dungen der von Hugo Chavez geführ- offiziellen) Status einer Staatsreligi- ria in zwölf Bundesstaaten im Norden ten Regierung Anlass zu Besorgnis. on zu erlangen“, heißt es im Bericht des Landes kamen bei Unruhen Man befürchtet eine mögliche negati- von „Kirche in Not“. Die orthodoxe Zehntausende Menschen ums Leben. ve Entwicklung und Einschränkun- Kirche versuche, dieses Ziel zu errei- Im Jahr 2004 gab es über 12.000 gen für katholische und andere chen, indem sie Druck auf die Regie- Tote. christliche Gemeinschaften in die- rung und die lokalen Behörden ausü- Wenn Papst Benedikt XVI. im sem Land. be und diese auffordere, so genannte September des vergangenen Jahres In Kolumbien, Mexiko, Ecu- „nichttraditionelle“ Religionen, die dafür betete, „dass alle Regierungen ador und Jamaika scheine das Ein- früher verfolgt worden seien, nicht und Völker der Erde das Recht auf treten der Kirche für die Menschen- anzuerkennen. Das sei insbesondere Religionsfreiheit anerkennen“, dann rechte seitens des Staates und der in Weißrussland, Georgien, Maze- ist dies kein weltfremdes Anliegen, Behörden als eine Konfliktquelle be- donien, Moldawien und Russland sondern ein höchst reales. trachtet zu werden. der Fall. (ZENIT.org)

Irak: UNHCR-Studie – Christen in großer Bedrängnis Die Zahl der im Irak lebenden Christen ist von etwa 1,4 Millionen im Jahre 1987 auf inzwischen deutlich weniger als 1 Million gesunken

eit dem Einmarsch der Koalitionstruppen und dem Sturz des Saddam- der irakischen Rechtslage in Bezug Regimes im März 2003 hat sich die Situation von Angehörigen nicht- auf die Religionsfreiheit auf, um an- Smuslimischer Religionsgemeinschaften und vor allem der Christen im schließend die Lage der Christen im Irak „insgesamt spürbar verschlechtert“, heißt es in einer neuen Studie Irak unter die Lupe zu nehmen, die des UN-Flüchtlingshochkommissariats. bei der Teilhabe am gesellschaftli- Die ausführliche Hintergrundinformation zur Situation der christli- chen und politischen Leben diskri- chen Bevölkerung des Irak, die am 11.07.2006 vorgestellt wurde, kommt miniert und mancherorts tätlich an- zu dem Ergebnis, dass angesichts der jüngst zu beobachtenden weiteren gegriffen würden. Auch die Motive Destabilisierung der Verhältnisse im Irak „Verfolgungen oder die Furcht für diese Übergriffe und Feindselig- vor Verfolgungen für alle Christen landesweit eine realistische Bedro- keiten werden beleuchtet. hung“ darstellen. „Nach UNHCR vorliegenden Be- richten sind Christen von der drama- „Das sich insgesamt verschlech- rung bezüglich der Religionsfreiheit tischen Verschlechterung der Situati- ternde politische und soziale Klima, weisen nicht auf die Wiederherstel- on nicht-muslimischer Religionsge- andauernde Beeinträchtigungen der lung, sondern klar auf eine Ver- meinschaften besonders stark betrof- individuellen Sicherheit und der wirt- schlechterung der Verfügbarkeit effek- fen“, heißt es in der Untersuchung. schaftlichen Existenz sowie ziel- tiven Schutzes vor religiös bedingter „So sehen sich Christen in zunehmen- gerichtete Anschläge und Übergriffe Verfolgung hin.“ dem Maße Diskriminierungen beim bei gleichzeitigem Fehlen effektiver Die UN-Teilorganisation, die Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu nationaler Sicherheitskonzepte und sich um Flüchtlinge und Vertriebene Diensten der sozialen Grundversor- einer zunehmend ambivalenten Posi- kümmert, deckt in dem 12 Seiten gung ausgesetzt. Viele irakische tion der Bevölkerung und der Regie- starken Bericht zunächst die Defizite Christen fürchten jedoch vor allem

32 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Verfolgung durch aufständische erfordere. „Die Gewährleistung der dass derzeit vermutlich mehr als Gruppierungen wie Ansar Al-Sunna islamischen Identität des Staates und 700.000 irakische Christen im Aus- und islamistische Milizen, beispiels- seiner Bevölkerung scheint darüber land leben. Das unabhängige weise die Badr-Organisation oder die hinaus auch eine Pönalisierung der „Brookings Institute“ schätzt da- Mahdi-Armee, die in verschiedenen Apostasie, islamkritischer Äußerun- rüber hinaus die Zahl der innerhalb Städten und Orten im Irak die fakti- gen sowie der Ausübung von Tätigkei- des Irak vertriebenen Christen auf sche Kontrolle über ganze Straßenzü- ten zu rechtfertigen, die nach islami- mindestens 150.000 Personen. Die ge übernommen haben. Infolge der schen Vorstellungen nicht tolerierbar Assyrian Academic Society macht in Veröffentlichung satirischer Darstel- sind.“ Die Verfassung lasse darüber diesem Zusammenhang darauf auf- lungen des islamischen Propheten hinaus völlig offen, „ob die Abkehr merksam, dass der überwiegende Teil Mohammed in verschiedenen europä- vom Islam beziehungsweise der Über- der Chaldo-Assyrischen Bevölkerung ischen und US-amerikanischen Ta- tritt zu einer nichtislamischen religiö- in den zentral- und südirakischen geszeitungen haben sich die Sicher- sen Gruppierung effektiv geschützt, Provinzen aus Langzeitvertriebenen heitslage und die politischen Rah- besteht, deren ursprüngliche menbedingungen für Christen im Siedlungsgebiete im Nordirak im Irak seit Januar 2006 weiter ver- Religion im Irak Zusammenhang mit Säuberungs- schärft.“ Die Vertreter der christ- Mehr als 95% der Iraker sind Muslime, ca. 60% Schiiten und aktionen der ehemaligen iraki- lichen Religionsgemeinschaften ca. 35% Sunniten. Die arabischen Sunniten stellen eine Minder- schen Regierung in den achtziger im Irak haben derzeit politisch heit von weniger als 20% dar, die jedoch durch die Geschichte Jahren sowie infolge von Ausein- kaum Gewicht, da sie lediglich 6 hinweg die Herrschaft ausübte. Auch die Kurden sind in ihrer andersetzungen rivalisierender von 275 Sitzen (2 %) im iraki- überwiegenden Mehrzahl Sunniten. Weiterhin gibt es in Irak kurdischer Gruppen zerstört oder schen Parlament innehaben. zahlreiche kleinere Religionsgruppen wie Yeziden, Mandäer und konfisziert worden sind. Das UN-Flüchtlingshochkom- Angehörige verschiedener (monophysitischer, orthodoxer und ka- Etwa ein Drittel der iraki- missariat bestätigt die Befürch- tholisch-unierter) orientalisch-christlicher Kirchen (u.a. Khaldäer, schen Christen (vor allem Chaldä- tungen hochrangiger irakischer Nestorianer, Gregorianer, römische und syrische Katholiken, ar- er und Assyrer) lebt gegenwärtig Kirchenvertreter in Bezug auf die menische Christen, Altsyrisch-Orthodoxe usw.). Die Zahl der noch in den unter kurdischer Auto- Verfassung, die am 15. Oktober in Irak verbliebenen Juden wird auf einige Hundert geschätzt. nomieverwaltung stehenden Pro- 2005 angenommen wurde: Ver- Alle Angaben stellen nur grobe Schätzungen dar. vinzen Dohuk, Erbil und Sulai- glichen mit der Übergangsver- maniya im Norden des Landes, fassung, die im März 2004 vom während die verbleibenden Chris- US-Sonderverwalter im Irak, Paul gewohnheitsrechtlich verboten, aber ten hauptsächlich in und um die Städ- Bremer, unterzeichnet wurde, ent- straffrei oder aber nach den Prinzipi- te Bagdad und Basra leben. Eine wei- hielten die neuen Regelungen „spür- en der Scharia weiterhin mit Strafe tere Gruppe von etwa 15.000 Christen bare Beeinträchtigungen der Rechts- bewehrt ist“. lebt in der Stadt Kirkuk, über deren stellung von Angehörigen religiöser Nach offiziellen Angaben ist die noch ungewisse Zugehörigkeit zu den Minderheiten“ und böten „keine ab- Zahl der im Irak lebenden Christen unter kurdischer Verwaltung stehen- soluten Garantien zum Schutz der von etwa 1,4 Millionen im Jahre den Autonomiegebieten oder zum Glaubens-, Gewissens- und Religions- 1987 auf inzwischen deutlich weni- Zentralirak erst im Juli 2007 per Re- freiheit“. Der Schutz nichtislami- ger als 1 Million gesunken. Christli- ferendum entschieden werden soll. scher Religionen sei nicht ausrei- che Würdenträger gehen davon aus, (ZENIT.org) chend garantiert; Artikel 2 (1) des Verfassungsentwurfes könne von der Gerichtsbarkeit dazu missbraucht STICHWORT: werden, „anerkannte Menschenrechte Wer und was ist ZENIT? politischer und sozialer Reformer, re- ligiöser Minderheiten oder Frauen zu „Die Welt von Rom aus gesehen“ will „Zenit“ vermitteln. Die „Non- verkürzen“. Profit-Organisation“ versteht sich als „internationale Nachrichtenagen- Artikel 2 (2) des Verfassungsent- tur“, wenn sie auch kaum als Agentur im klassischen Sinn einzuordnen ist. wurfes garantiere zwar einerseits al- Der Bezug der Beiträge per E-Mail ist für die Abonnenten oder die Leser len Individuen Freiheit bei der Wahr- im Internet umsonst, sofern sie für den persönlichen Gebrauch bestimmt nehmung ihrer religiösen Rechte, sind, die Tarife für eine Weiterverbreitung sind laut Homepage „ver- verpflichte aber andererseits die handelbar“. staatliche Gewalt im Irak zugleich, Das 1997 von dem Spanier Jesus Colina (37) gegründete Unternehmen „die islamische Identität der Mehr- im Besitz der „Innovative Media Inc.“ in New York beschäftigt nach eige- heit der irakischen Bevölkerung“ zu nen Angaben mittlerweile 52 Journalisten, Übersetzer, Techniker und gewährleisten. UNHCR stellt diesbe- Verwaltungskräfte, bringt Angebote in sechs Sprachen und hat weltweit züglich fest, dass die effektive Um- 400.000 Abonnenten. Chef der deutsch-sprachigen Ausgabe ist seit zwei setzung dieses Zieles jedoch gerade- Jahren Dominik Hartig, der von Wien aus arbeitet. Nach seinen Worten zu „ein – mit Strafe bewehrtes – Ver- kommen die Mitarbeiter aus mehreren geistlichen Gemeinschaften; ge- bot jeglicher Formen der Werbung gründet mit Hilfe der „Legionäre Christi“, zu deren Umfeld Colina gehört, oder Mission für andere, nicht- verstehe sich „Zenit“ als unabhängig und sei keine Einrichtung der „Legi- islamische Religionsgemeinschaften“ onäre“. (PS/KNA)

AUFTRAG 263 33 RELIGION UND GESELLSCHAFT Widerlegt die Renaissance des Religiösen die Säkularisierungsthese? die Veränderbarkeit der Gesellschaft aufgegeben. it dem Pontifikatswechsel im Jahr 2005 und dem Weltjugendtag Mit der Säkularisierungsthese im selben Jahr in Deutschland machten viele (journalistische) Be- geht für Pollack kongruent, dass sich Mobachter eine Renaissance der Religion aus. In zeitlichem Abstand die Menschen mit dem Maße der hinterfragt der Religions- und Kultursoziologe Detlef Pollack (Frankfurt/ Modernisierung und Wohlstandsent- Oder) im Gespräch mit der „Herder Korrespondenz“ (HK, Juli-Heft), die wicklung in ihrer Gesellschaft freier Einschätzung, dass die so genannte Säkularisierungsthese ihre Plausibi- der Selbstverwirklichung und Sinn- lität verloren habe. suche zuwenden könnten. Dies be- deute aber keine Trendumkehr. Das Markante Veränderungen in der Rückschlüsse auf den individu- Zahlenmaterial bestätige vielmehr öffentlichen Wahrnehmung von Kir- ellen Glauben von Menschen, so Pol- die kontinuierliche Abnahme der che und Religiösem bestreitet Pol- lack, sollten daraus nur sehr vorsich- Kirchenzugehörigkeit und die sin- lack nicht. Er rät jedoch, sorgfältig tig abgeleitet werden: „Die Indikato- kende kirchlich-religiöse Praxis. zwischen „medialer Präsenz“ und ren für eine alltagspraktisch gelebte Dies treffe für den öffentlichen Raum der „alltagspraktischen Bedeutung Religiosität gehen seit Jahrzehnten ebenso zu wie für den privaten. Die von Religion und Überzeugungen zurück.“ Noch diffuser erscheint ihm Kirchen täuschten sich, so Pollack, für die Lebensführung des Einzel- die Renaissance des Religiösen im wenn sie das höhere Medieninteresse nen“ zu unterscheiden. Eine politischen Raum. Hier stoße diese als Indikator eines religiösen Auf- „Trendumkehr“ erkennt er nicht. einerseits rasch auf eng definierte schwunges deuteten. Die Kirchen Auf Grund einer von ihm im März Grenzen des Mach- und Durchsetz- trügen allerdings nur bedingte Ver- durchgeführten Erhebung sieht der baren. Zum anderen wirken auf ihn antwortung (Selbstsäkularisierung?) Soziologe das Wiedererstarken des die sich mehrenden Rufe nach einer für die Entwicklung. Eine Umkehr religiösen Interesses im Kontext ei- Rückbesinnung auf (christliche) dieses Prozesses durch einige Kor- nes internationalen Bedrohungs- Werte fast so, als sei der Glaube an rekturen sei nicht möglich. (KNA) szenarios. So hätten 70 % der be- fragten Bundesbürger in West und Ost die Ansicht vertreten, die wach- sende Vielfalt religiöser Gruppie- rungen in Deutschland sei eine Ur- Pfarrgemeinden im Urteil der Katholiken: Erstaunliche sache für Konflikte. Weitere 43 % sahen die Bundesrepublik durch Zustimmung – »Nicht nur Niedergang« fremde Kulturen beziehungsweise n einer Dimap-Umfrage haben vor allem gemeindeverbundene deut- Nationen bedroht. sche Katholiken ihren Pfarreien ein relativ gutes Zeugnis ausgestellt. IDies konterkariere doch verbreitete „Niedergansszenarien“, erklärte „Starkes Desinteresse“ Kai Reinhold, der die Erhebung ausgewertet hat, gegenüber KNA. Die Zugleich ist jedenfalls für Pol- Pfarreien könnten ihr Potenzial nutzen, sie seien „besser gerüstet, als lack nicht nachweisbar, dass vor al- manch einer glauben mag“. Kai Reinhold, Wissenschaftlicher Mitarbeiter lem unter den deutschen Jugendli- des Projektes „CrossingOver“ unter Leitung des Kirchenhistorikers Wim chen die Konfrontation mit anderen Damberg an der Ruhr-Universität Bochum, der diese für Deutschland ad- Religionen zu einem Erstarken des aptiert hat, erläuterte auf Anfrage einige Details und Tendenzen. Die um- eigenen (christlichen) Glaubens füh- fassende Analyse steht noch nicht zur Verfügung, die wird Reinhold re. Das Desinteresse an Religion in demnächst in seiner Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum veröf- der deutschen Jugend, erklärt er, „ist fentlichen. offenbar so stark, dass solche Effek- te, wenn sie denn überhaupt vorhan- Im März hatte das Meinungsfor- meinden ein rückläufiges Interesse den sind, relativ schwach ausfallen“. schungsinstitut Dimap (Bonn) 1.054 der Gläubigen. Das spiegelt sich Er geht damit auf Distanz zur Katholiken zu ihrer Gemeinde- teilweise wider in der kontinuierlich „cultural defence“-These. Und gera- bindung befragt. Als Teil einer ver- sinkenden Zahl der Gottesdienst- de in der Auseinandersetzung mit gleichenden Studie zu den Pfarr- besucher und ebenso in den massi- dem Islam wachse das Insistieren der gemeinden in den USA analysiert ven Kirchenaustritten in den 1990er Bundesbürger auf der Säkularität von Reinhold die Ergebnisse beider Um- Jahren. In diesem Kontext stellte Staat, Recht und Politik. Gleichzeitig fragen und äußerte sich im Gespräch jüngst etwa der Essener Bischof bestätigt er eine doch eher vorder- mit KNA zu einigen für Deutschland Felix Genn fest: „Die Sozialgestalt gründige Faszination durch das relevanten Erkenntnissen darüber, von Kirche geht nicht zu Ende, sie ist Fremdartige und Außergewöhnliche was Katholiken hierzulande heute zu Ende.“ religiöser Zeremonien. So gesehen glauben und wie sie über ihre Pfar- sei das Interesse der Medien, die reien denken. „Nicht nur Niedergang“ stets auf Unbekanntes aus seien, kei- Seit den 1960er Jahren erleben Gleichzeitig aber nehmen Demos- ne so große Überraschung. hierzulande die katholischen Ge- kopen ein wachsendes Interesse an

34 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Glaube und Kirche wahr. Bedeuten verwurzelten“ eine Nähe zur her- tholiken (13 Prozent) hier freiwillige jedoch „angesagte“ Großevents wie kömmlichen Pfarrgemeinde existie- Dienste. Rund 7 Prozent der Ge- der Weltjugendtag 2005 in Köln, re. meindeverbundenen gehörten Klein- fragt Reinhold, Laut Dimap-Umfrage fühlten gruppen wie Gebets- oder Bibel- – dass die deutschen Katholiken sich immerhin noch 53 Prozent der kreisen an. Für drei Viertel entsprä- mit ihrem normalen Pfarrleben Katholiken einer bestimmten Pfarrei chen die Aktivitäten ihrer Pfarr- nichts mehr anfangen können? zugehörig; für Reinhold eine der gemeinden „voll“ oder „eher“ ihren Und: „wichtigsten Erkenntnisse“. Bei persönlichen religiösen Bedürfnis- – Ist „katholisch sein“ für sie noch Frauen und den über 65-Jährigen sen. Für 20 Prozent sei dies „eher wichtig? liege der Wert höher, bei den 46- bis nicht“ oder „überhaupt nicht“ der – Wie viele Katholiken haben 65-Jährigen genau im Mittel und bei Fall. überhaupt noch Kenntnisse über den 24- bis 45-Jährigen bei 47 Pro- Den Gemeindepfarrern, hob ihre Wohnort-Gemeinde? zent. Bemerkenswert für den Bo- Reinhold eine weitere Erkenntnis – Wie viele fühlen sich einer be- chumer Wissenschaftler: 41 Prozent hervor, werde eine zentrale Bedeu- stimmten Pfarrei zugehörig? der religionsmündigen Jugendlichen tung beigemessen. Die Mehrheit der – Wie zufrieden sind sie mit ihr, bejahten noch eine Zugehörigkeit zu Befragten habe angegeben, sich im und welche Rolle spielt diese ihrer Gemeinde. Andererseits: 47 zurückliegenden Jahr mindestens ein (noch) in ihrem Leben? Prozent der Katholiken hätten einen Mal mit ihrem Pfarrer „über Themen, Die Umfrage werfe ein neues solchen Abstand, dass sie offensicht- die mit ihrem Leben, ihrer Familie Licht auf das Verhältnis der Katholi- lich nicht einmal mehr eine emotio- oder der Kirche zu tun haben“, ge- ken zu ihren Gemeinden. Den viel- nale Bindung an eine Gemeinde be- sprochen zu haben. Die Messfeiern fach anzutreffenden „Niedergangs- stätigen könnten. Daher seien zum und sonstigen Pfarr-Aktivitäten ent- szenarien“ sieht Reinhold doch eine Binnenleben ihrer Pfarreien nur sprächen in hohem Maße den Bedürf- erstaunlich große Zustimmung zu noch die „Katholiken mit Gemeinde- nissen der Gemeindeverbundenen; traditionellen Glaubensaussagen ge- bindung“ befragt worden. Die Mehr- sie bedeuteten oft auch „Hilfe für ihr genüber stehen: So gaben mehr als heit von diesen gehöre zur Pfarrei ih- Leben“ und „bringen sie mit Men- zwei Drittel der Befragten an, sie res jeweiligen Wohnortes, während schen zusammen, die ihre Werte tei- stimmten „stark“ oder zumindest „in sich 13 Prozent einer anderen Ge- len“. Rund 15 Prozent dieser Befrag- etwa“ mit dem Glauben an die meinde verbunden fühlten. Die eige- ten erlebten Gemeinde als „all ihren Gottessohnschaft und die Auf- ne Territorialgemeinde, meint Rein- religiösen und sozialen Wunschvor- erstehung Jesu überein. Nur etwa 10 hold, habe also offensichtlich noch stellungen“ entsprechend; für 54 Pro- Prozent könnten sich damit „in kei- nicht ausgedient; sie biete immer zent sei diese an ihren Erwartungen ner Weise“ identifizieren. noch vielen Katholiken Heimat. Vor „ziemlich nah dran“. Für fast jeden Hinsichtlich des Gottesdienstbe- allem in Großstädten aber erhöhe vierten Gemeindeverbundenen aber suchs am Sonntag erscheint Rein- sich der Anteil derer, die sich einer entspreche seine Pfarrei diesem Ideal hold die Selbsteinschätzung der Be- anderen Gemeinde zuwendeten auf „nicht besonders“ oder „in keiner fragten im Vergleich zu den jährli- bis zu 21 Prozent. Noch stärker Weise“. Zwei Drittel wünschten sich chen kirchenamtlichen Teilnehmer- scherten Jugendliche und junge Er- Verbesserungen – im „sozialen Enga- zahlen tendenziell zu hoch. Eine Er- wachsene aus der Territorialge- gement“, bei der „Einbeziehung in kenntnis, die sich mit Erfahrungen meinde aus. Entscheidungsprozesse“ und bei der aus früheren Umfragen decke. Etwas Das geäußerte individuelle Zu- „Qualität des Gottesdienstes“. mehr als die Hälfte der Katholiken gehörigkeitsgefühl, so Reinhold, gehe demnach ein- oder mehrmals sage aber noch wenig aus über die „Potenzial nutzen“ im Monat oder auch regelmäßig jede tatsächliche Bedeutung der Pfarrei Die Umfrage stellt den Gemein- Woche zur Sonntagsmesse. Die für den Einzelnen. Für fast zwei Drit- den und ihren Seelsorgern, bilanziert Mehrzahl besuche diese jedoch tel der Katholiken mit Gemeinde- Reinhold, ein gutes Zeugnis aus und lediglich ein bis drei Mal im Monat. bindung sei diese „ein wichtiger Teil bestätige deren nach wie vor nicht zu Für 27 Prozent habe der Sonntags- ihres Lebens“, und ein Viertel arbei- unterschätzende Bedeutung. Auf die- gottesdienst nur noch punktuelle Be- te ehrenamtlich mit. Somit leisteten ser Momentaufnahme inmitten gro- deutung. Weitere 20 Prozent nähmen bundesweit bis zu 3,4 Millionen Ka- ßer Veränderungen in der Kirche „nie“ oder „fast nie“ an Messfeiern dürften sich Pfarreien und Seelsorger teil. Auch die Überalterung spiegele Kommentar im konradsblatt daher nicht ausruhen. Der Bochumer die Umfrage wider: Mehr als die Wissenschaftler: „Wenn – wie von Hälfte der regelmäßigen Kirchgänger Die Pfarrei-Studie thematisiert die Freiburger Kirchen- Theologen gefordert – die Gemeinde sei 65 Jahre und älter. zeitung: „Die Frage kann also nicht lauten, ob die eine missionarische Strahlkraft über Auch in der kürzlich teilweise pfarrlichen Strukturen weiterhin bestehen bleiben sol- das, was momentan ist, hinaus ausü- publizierten „Milieu“-Studie des len. Denn eine gleichwertige Alternative dazu gibt es ben soll, dann wird es richtig sein, Heidelberger Marktforschungsinsti- offensichtlich nicht. Entscheidend ist vielmehr, welches ihr vorhandenes Potenzial zu nutzen. tuts Sinus Sociovison (s. Beitrag S. Profil eine Pfarrei hat – ob mit oder ohne eigenen Insgesamt betrachtet scheinen die 33 ff.) wird hervorgehoben, dass nur Pfarrer. Und es ist jede Mühe wert, die Pfarr- Gemeinden vor Ort dafür zumindest noch in wenigen Gesellschafts- gemeinden bei ihrer Suche nach einer zeitgemäßen besser gerüstet, als manch einer gruppen wie etwa den „Traditions- Gestalt gemeindlichen Lebens zu unterstützen.“ ❏ glauben mag.“ (KNA – ID NR. 30)

AUFTRAG 263 35 RELIGION UND GESELLSCHAFT Von Wohnzimmern und Sinn im Leben Religiöse und kirchliche Orientierungen im Spiegel der Sinus-Milieus

VON MARTIN HOCHHOLZER wei bekannte Männer aus so brav, dass er nicht nur beim Ab- schaft sie anzusprechen versucht). Großbritannien, die scheinbar trocknen hilft und den Müll raus- Der oben skizzierte Spot stammt aus Zvieles gemeinsam haben: Bei- trägt, sondern sogar Socken stopft. der Zeit des Wiederaufbaus. Man de sind 1948 geboren, haben gehei- Und auch die Kinder sind artig – kann sich allmählich wieder etwas ratet, sich aber von ihren Frauen ge- meistens. Nur ein dunkler Punkt: leisten. Aber (noch) stehen traditio- trennt, haben erwachsene Kinder, Nach dem Mittagessen verschwindet nelle Werte im Vordergrund: Pflicht- sind beruflich erfolgreich und sehr der Göttergatte immer sofort ins Café. bewusstsein und Fleiß, Tugendhaf- vermögend, sozial engagiert, ja, tei- Warum verschmäht er ihren eigenen tigkeit. Eine wichtige Rolle spielen len sogar ihre Vorliebe für die Ur- Kaffee? Des Rätsels Lösung: Sie ver- Institutionen, gerade auch die Fami- laubsregion: den Alpenraum. Und wendet nicht den richtigen Kaffee- lie. Dass in obigem Spot der Famili- doch sind sich Ozzy Osbourne, ein filter ! envater nach dem Mittagessen allein britischer Rockmusiker , und Prinz Mit den 50er Jahren beginnt ins Café geht, weil ihm dort der Kaf- Charles gar nicht so ähnlich. Thomas Becker seinen Gang durch fee besser schmeckt: Wäre das heute Das Einkommen und der da- die Entwicklungsgeschichte der sog. noch vorstellbar? Und sie bemüht durch erreichte soziale Status sagen „Grundorientierung“ in Deutschland sich natürlich, die perfekte Hausfrau allein noch nichts darüber aus, wer (vgl. dazu die Übersicht unten). Die zu sein und den dunklen Punkt aus- jemand ist. Und auch Menschen mit Grundorientierungen, die für ver- zumerzen. gleicher Bildung und gleichem Beruf schiedene Zeiten prägend waren, le- Die 60er bis 80er Jahre über- können in ganz unterschiedlichen ben weiter – in den verschiedenen Mi- spannen zwei gegenläufige Tenden- Welten leben. lieus, die man heute in Deutschland zen. Im „Wirtschaftswunder“ spielen Andererseits findet man doch er- findet und die ganz unterschiedliche jetzt Status und Besitz, Lebens- staunliche Übereinstimmungen. Altersstrukturen aufweisen: Viele qualität und Genuss eine Rolle. All- „Zeigen Sie mir Ihr Wohnzimmer, „Konservative“ und „Traditionsver- mählich erweitern sich auch die und ich zeige Ihnen, welchen Sinn Sie wurzelte“ sind noch in der Zeit des Spielräume für die eigene Lebens- Ihrem Leben geben oder in Ihrem Le- Wirtschaftswunders aufgewachsen, gestaltung. ben gefunden haben“, fordert Thomas während bei den „Experimentalisten“ Auf der anderen Seite – man Becker seine Zuhörer auf. Als Leiter und den „modernen Performern“ die denke nur an 1968 oder an die Ent- der Katholischen Sozialethischen Ar- junge Generation dominiert. stehung der Grünen – kommt es zur beitsstelle in Hamm stellt er im Gerade Werbefilme spiegeln gut radikalen Kritik am Herkömmlichen: kirchlichen Raum die Erkenntnisse wider, was Menschen zu verschiede- Selbstverwirklichung, Emanzipation der Sinus-Milieu-Forschung vor, ins- nen Zeiten und in verschiedenen Mi- und Einsatz für Ökologie und Frie- besondere die Ergebnisse der Studie lieus anspricht (bzw. womit die Wirt- den werden vielen wichtig. „RELIGIÖSE UND KIRCHLICHE ORIENTIERUNGEN IN DEN SI- 5Oer 60er bis 80er 90er bis heute NUS-MILIEUS 2005“. Wiederaufbau Wirtschaftswunder Wertewandel Postmoderne In diesem Zusammen- hang war er auch bei der Pflichten und Status Konsumkritik Mobilität Nachdenken Haupttagung 2006 der Konventionen über die Folgen Männerarbeit zu Gast. In ei- der Moderne nem kurzweiligen und an- Besitz Selbstverwirklichung Flexibilität schaulichen Vortrag führte er die Teilnehmer in den Traditionelle Moral Lebensqualität Emanzipation Multimedia milieuorientierten Ansatz der Sozialforschung ein. In Tugend und neue Spielräume Ökologie virtuelle Realität diesem Heft können wir Verzicht zur leider nur einen kleinen Lebensgestaltung soziales Engagement Mix aus Werten Ausschnitt aus der Fülle der u. Gegensätzen Informationen widergeben. Institutionen, Familie Die Entwicklung der >> Hedonismus >> Postmaterialismus >> Relativierung >> Sinnsuche „Grundorientierung“ in Deutschland Traditionelle Werte Modernisierung Neuorientierung Werbung 1952: Die Selbstkontrolle Selbstverwirklichung Selbstmanagement Hausfrau müsste eigentlich glücklich sein: Ihr Mann ist Die Entwicklung der Grundorientierungen in Deutschland

36 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Wie auch immer – ob mit Sinus-Milieus 2005 in Deutschland Schwerpunkt auf dem Konsum oder auf der Individualität: In einer Phase der Modernisierung tritt das bisheri- ge Wertegerüst in den Hintergrund, und man gestaltet sein Leben selbst. „Geht einfach alles immer schneller? Oder bin ich nur langsa- mer geworden? Jeden Tag ist es, als würde man auf einem neuen Planeten aufwachen. [...] Versteht mich nicht falsch, ich will ja nicht die Welt an- halten. Aber – kann sie sich nicht ab und zu mal um mich drehen?“ Soweit der Werbespot einer Bank, die ver- spricht, den Kunden von den lästi- gen Details des Daseins zu entlasten. Mit dem Ende des Kalten Krie- ges wird das Leben zunehmend kom- plexer. Die Fülle der Möglichkeiten, aber auch die Widersprüchlichkeit von Werten und Anschauungen in einer globalisierten Welt überfor- dern so manchen. Andere dagegen orientierungen stehen in Zusammen- stil, auch die Alltagsästhetik: Was haben sich eingestellt auf ein Leben, hang mit den eben skizzierten Ent- die einen schön finden (z.B. ein Pos- das jeden Tag neu gestaltet werden wicklungsphasen der deutschen Ge- ter mit einem Pinup-Girl im Schlaf- kann, wo eine Fülle von Lebens- sellschaft: Für einen Großteil der zimmer), käme anderen nie ins Haus. entwürfen zur Auswahl steht, wo sich Menschen, die unter eine Eine Übersicht über die Einord- scheinbar alles selbst relativiert. Der Grundorientierung eingeordnet wur- nung der Milieus und deren Vertei- Preis: Flexibilität und Mobilität und den, war die entsprechende Zeit prä- lung in der Bevölkerung gibt die Ta- der Verzicht auf eine feste Realität. gend. belle oben. Nähere Informationen zu Zugleich findet man in dieser Im nächsten Schritt werden die einigen ausgewählten Milieus finden Phase der „Neuorientierung“ auch Befragungsteilnehmer in Gruppen Sie in den Kästen unten und auf den eine Nachdenklichkeit, eine Reflexi- eingeteilt: in die so genannten Sinus- nächsten beiden Seiten. on über die Grenzen der Welt und Milieus. Diese Milieus können dann Die Milieus überschneiden sich die Folgen der Modernisierung, eine beschrieben und dargestellt werden zwar leicht, sind aber meist so unter- neue Suche nach Sinn. – auch optisch mit Fotografien typi- schiedlich zueinander, dass sie sich Und man findet Leute wie Sie scher Wohnzimmer und akustisch gegenseitig abstoßen, d.h. dass die und mich, die nicht ganz in dieses durch Beispiele von Schema passen, die nicht alles Neue Lieblingsmusik. Das mitmachen, deren Leben auch Züge bedeutet natürlich von Lebenseinstellungen früherer eine gewisse Pauscha- Merkmale einiger ausgewählter Sinus-Milieus Jahrzehnte trägt. Die also verschie- lierung. Thomas Traditionsverwurzelte: denen Milieus angehören. Becker betont: „Sie – v.a. Senioren, hoher Frauenanteil finden hier nicht ‘die – v.a. Hauptschulabschluss und Berufsausbildung Sinus-Milieus in Deutschland Menschen, so wie sie Die Sinus-Milieu-Forschung will wirklich sind’, sondern – Arbeiter, Bauern, kleine Angestellte der Tatsache gerecht werden, dass wir bieten Ihnen eine – Bescheidenheit, keine großen Ziele, Bewahrung des Erarbeiteten, nur ein kleiner Teil der Menschen sozialwissenschaftlich – Festhalten an traditionellen Werten, gegen Sittenverfall und Spaß- „voll im Trend“ lebt (was auch fundierte und aner- gesellschaft immer der sein mag) und dass auch kannte Perspektive, – Orientierung an der Ordnung Gottes die soziale Lage (Einkommen, Bil- mit der Sie die soziale – Geborgenheit in der traditionellen Familie und bei Freunden/Nach- dung, Beruf, Status) noch ganz unter- Wirklichkeit betrach- barn: „seinen Platz in der Gesellschaft haben“ schiedliche Lebensstile zulässt. ten können.“ – wichtig: Ordnung und Sauberkeit Seit 1978 führen die Forscher Die Milieus zeich- dieser Richtung intensive Interviews nen sich dadurch aus, – Alltagsästhetik: altdeutsch-rustikal, neben Vorzeigeräumen mit Tausenden von Menschen. Auf dass die Menschen, (Wohnzimmer) praktisch eingerichtete Funktionsräume dieser Grundlage ordnen sie sie in die ihnen zugeordnet – Bildung zwar positiv gesehen, aber keine Bereitschaft zur eigenen ein zweidimensionales Schema ein: werden, wesentliche Weiterbildung zum einen nach der sozialen Lage, Elemente der Lebens- – Wunsch nach Bestätigung der eigenen Meinung zum anderen nach der jeweiligen welt gemeinsam ha- Grundorientierung. Diese Grund- ben: Werte, Lebens- Fortsetzung auf Seite 38

AUFTRAG 263 37 RELIGION UND GESELLSCHAFT

Fortsetzung von S. 37 Konservative: – einfache Angestellte und Arbeiter, viele Schüler/Azubis – überwiegend über 50 Jahre alt – suchen Spaß, Unterhaltung, Bewegung, Freiheit – recht viele Hochschulabsolventen, höhere Angestellte, Beamte, – gleichzeitig träumen viele von einem geordneten Leben Selbständige (intakte Familie, festes Einkommen ...) – Bewahren von Werten und Traditionen – teilweise „Doppelleben“: angepasstes Berufsverhalten – – Pflichtethos, viele Ehrenämter Sich-Ausleben in der Freizeit häufig aggressive Abgrenzung zu – teilweise Elitedenken den „Spießern“ und allem Etablierten und nach unten (Ausländer, „Asoziale“); Gewaltpotential – Wertschätzung von Kunst und Kultur – Leben im Hier und Jetzt, spontaner Konsum, keine Ausgabenkontrolle, – Distanzierung von Zeitgeist und oberflächlichem Konsum kaum Lebensplanung – Alltagsästhetik: traditionelle Einrichtungsstile, nicht-moderne Kunst, – Spaß an Provokationen und Tabuverletzungen; kein Protz Hang zu „außerbürgerlichen“ Szenen und Gruppen – humanistisches Bildungsideal; Bildung als – Alltagsästhetik: Originalität und Selbstgemachtes wichtig; Ausweis der Gesellschaftsfähigkeit Bequemlichkeit geht vor Ordnung –gewolltes Chaos; ausgefallene Dekorationen; starke Reize und Provokantes gesucht (z.B. Piercings) Bürgerliche Mitte: – keine Lust, sich für Bildung anzustrengen; lieber leicht verdauliche – Altersschwerpunkt: 30 bis 50 Informationen, Edutainment*) – überwiegend verheiratet, Kinder – mittleres Bildungsniveau Moderne Performer: – Facharbeiter, mittlere Angestellte, viele Hausfrauen – jüngstes Milieu – wollen einen angemessenen, mittleren Status erhalten Zielstrebigkeit, – Ledige, viele leben noch bei Eltern Fleiß, Vorsorge/Sicherheit wichtig – hohes Bildungsniveau – beruflichen Erfolg und privates Glück (Familie, Freundeskreis) – viele Schüler/Studenten; viele Selbständige; qualifizierte Angestellte miteinander verbinden – Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz hoch – Beachtung gesellschaftlicher Normen und Konventionen, – zugleich Streben nach Selbstverwirklichung und intensivem Leben Abgrenzung gegen soziale Ränder – Hinterfragen von Normen und Konventionen – erstreben Harmonie und Schönheit im privaten Leben bei Bewahrung der Bodenständigkeit – Experimentieren mit unterschiedlichen Lebensstilen – Wunsch nach Lebensqualität, Komfort und Genuss – fühlen sich als junge Elite – Alltagsästhetik: etwas gehobener, aber konventionell; gemütlich und – Begeisterung für moderne Technik und Multimedia und für praktisch; Wohntrends werden gerne aufgegriffen; Ausschmücken der sportliche Freizeitgestaltung (Outdoor) Wohnung durch Blumen, Kerzen ... – Alltagsästhetik: konventionelle Elemente werden kreativ neu kombiniert; – Bildung dient der Vergewisserung der Milieuzugehörigkeit; Integration modernen Designs; Wohnung mehr als „Ausstellung“ großes Interesse an Weiterbildung und Informationen – inszeniert breites Themenspektrum – hohes Interesse an aktuellen gesellschaftlichen Themen – Weiterbildung v. a. unter dem Aspekt des Nutzens gesehen; Hedonisten: gute Aufbereitung gefordert – bis 50 Jahre, viele Jüngere *) Edutainment: von engl. education „Erziehung“ und – viele Ledige und Singles, aber auch Familien entertainment „Unterhaltung: mediale Wissensvermitt- lung als Mischung aus Unterhaltung und Belehrung; – einfache bis mittlere Bildung das Fernsehen setzt immer stärker auf E.

Angehörigen der einzelnen Milieus in ganz eigenen Wel- Discounter gewesen, wo er bei den billigen Angeboten ten leben und wenig mit Menschen, die aus anderen Mili- einfach zuschlagen musste. „Und in diese teure Scheiß- eus stammen, anfangen können (vom Verstehen ganz zu karre geht ja nichts rein. Können Sie nicht mal ‘ne schweigen). Ausnahme machen?“ Auf dem Dach – nur notdürftig Die Werbung hat sich schon länger darauf eingestellt, gesichert – stapeln sich die Schachteln. sich darauf zu konzentrieren, ganz bestimmte Zielgruppen Hier werden sich wohl am ehesten die „Konsum-Materia- zu erreichen. listen“ wiederfinden. Porsche wendet sich an andere Milieus (wirbt etwa in anderen Medien) als Fiat. Ein weiteres Beispiel: Das Le- Sinus-Milieus und Kirche bensgefühl welches Milieus spiegelt sich wohl in diesem Mit der Studie „Religiöse und kirchliche Orientie- Werbespot? rungen in den Sinus-Milieus 2005“ haben sich die Bi- Ein Mann in einem Sportwagen wird von der Polizei schöfe alles andere als Streicheleinheiten geholt. Doch angehalten. „Mensch, Herr Wachtmeister“, versucht er gleichzeitig haben sie einen Beleg dafür bekommen, dass sich zu entschuldigen: Er sei gerade in einem Elektro- die Kirche auch für Menschen in Lebenswelten von Be-

38 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT deutung ist, die landläufig als „kirchenfern“ bezeichnet werden. Stichpunkte zu den religiösen und kirchlichen Es verwundert wohl nicht allzu sehr, dass die Katholi- Bindungen in ausgewählten Sinus-Milieus ken in den Milieus der „Konservativen“ (42,1 %), der „Traditionsverwurzelten“ (40,8 %) und der „Etablierten“ Traditionsverwurzelte: (38,4 % bei einem Durchschnitt in der gesamten Bevölke- – enge Bindung an die Kirche rung von 34,7 %) überrepräsentiert sind, während bei den – sonntäglicher Kirchgang selbstverständlich „DDR-Nostalgischen“ die Konfessionslosen dominieren. – kirchliche Hierarchie und Lehre voll akzeptiert Ansonsten sind die Katholiken in allen Milieus mit über – starkes ehrenamtliches Engagement in der Kirchengemeinde 30 % Anteil vertreten. Wie die Kirche wahrgenommen wird und welche Er- Konservative: wartungen ihr entgegengebracht werden, ist aber völlig – Kirche als Bewahrerin der christlich-abendländischen Tradition unterschiedlich. Den „Traditionsverwurzelten“ gibt die – Kirche soll es um Orientierung für die Menschen gehen, Kirche Heimat und Schutz; die „Konservativen“ meinen, nicht um Machterhalt die Kirche sei weniger für sie als für die Gesellschaft – Kirche weniger für einen selbst wichtig, vielmehr für die kommende wichtig, um Werte und das christliche Abendland zu er- Generation halten; die „Etablierten“ sehen die Kirche als „Kultur- veranstalter“ und schätzen Kirchenkonzerte und gediege- Bürgerliche Mitte: ne Veranstaltungen der Erwachsenenbildung; die „Bür- – Kirche soll grundlegende Werte vermitteln – weniger einem selbst, gerliche Mitte“ braucht die Kirche v.a. für die Kinderer- sondern v.a. den Kindern ziehung, für die Vermittlung elementarer Werte; und bei – Pfarrgemeinde als lockere und fröhliche Gemeinschaft gewünscht den „Postmateriellen“ findet sich der Kern der „Kirche – gegen Moralisieren von unten“. Andere Milieus können eher wenig mit der – Trennung von persönlichem Glauben und Kirche Kirche anfangen, fühlen sich dort fehl am Platz oder neh- men nur ausgewählte kirchliche Angebote in Anspruch. Hedonisten: Wie es kirchlich in unseren Beispiel-Milieus aus- – starke Distanz zur Kirche, die als Machtapparat gesehen wird sieht, sehen Sie im nebenstehenden Kasten. – Vorstellung, dass Kirche die eigene Lebenseinstellung nicht Ist die Kirche also nur eine Kirche einiger weniger akzeptiert: zu lustfeindlich und moralisierend Milieus? Müssen bestimmte Bevölkerungsgruppen – etwa – deshalb prinzipielle Ablehnung kirchlicher Ge- und Verbote die „Konsum-Materialisten“ und die „Hedonisten“ – ganz abgeschrieben werden? – Männer eher auf Spaß etc. fixiert „Aber die Kirche muss ihren ureigensten Auftrag er- – bei Frauen eher Suche nach Religiösem, v.a. nach sinnlichen füllen, nämlich die Milieus und Ghettos überwinden“, in- Erfahrungen sistiert Erzbischof Schick in seiner Predigt bei der Haupt- tagung der GKMD (Gemeinschaft der katholischen Män- Moderne Performer: ner (s. S. 41). Und erinnert so daran, dass die frohe Bot- – Kirche als „Expertensystem“, das man nur im Bedarfsfall in Anspruch schaft allen Menschen gilt (vgl. Mt 28,20). nimmt Kein leichter Auftrag! Dazu müssen sich die Mitar- – gegen eine Kirche, die Befolgung von Lehren und lebenslange Bindung beiterinnen und Mitarbeiter der Kirche erst einmal fra- verlangt gen, welche Menschen sie mit ihren Methoden und Ange- – Kirche kann mit Erlebnis, Entspannung und religiöser Bildung punkten boten erreichen. Ein Vorschlag, der in der Diskussion nach dem Vortrag eingebracht wurde: Priester sollten re- gelmäßig Orte (Kneipen ...) besuchen, wo sie sonst nie hingehen – um auch einmal mit ganz anderen Menschen Der Vortragende als sonst ins Gespräch zu kommen. Thomas Becker ist der Was können die Kirche und speziell die Männerarbeit Leiter der Katholischen aus den Ergebnissen der Sinus-Forschung lernen? Hier Sozialethischen Arbeits- beginnt das Nachdenken erst. Auch Thomas Becker hat stelle der DBK in Hamm. Die KSA beschäftigt keine Patentrezepte. Nur eine Antwort an die Kirche sieht sich mit Sekten- und er in allen Milieus: Seid authentisch, biedert auch nicht an! Weltanschauungs- „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, fragen, Suchtkranken- dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Bot- seelsorge sowie Kinder- schaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern und Jugendschutz. habe.“ Klaus Hemmerle (1929-1994), Kurz: „Die KSA leistet Bischof von Aachen 1975-1994 Hilfen zur Bewältigung der pastoralen Heraus- Dieser Bericht wurde von Martin Hochholzer, Referent bei forderungen, die sich der Arbeitsstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit in durch die Modernität der gesellschaftlichen den Deutschen Diözesen in Fulda, nach einem Vortrag von Lebensverhältnisse für Thomas Becker bei der Haupttagung der GKMD im Mai Christentum und 2006 erstellt und in „Mann in der Kirche“, Heft 1/Juli Kirche ergeben.“ 2006, S. 6-11, veröffentlicht. (Foto: PS)

AUFTRAG 263 39 RELIGION UND GESELLSCHAFT Joseph Ratzinger über die Demokratie in der Kirche »Gemeinde – Presbyterat – Episkopat sind ineinander geschoben und jeweils von beiden Seiten her spezifisch aufeinander bezogen«

wurde ein Vortrag des jetzigen Papstes Benedikt XVI. mit dem Titel „Demokratie in der Kirche?“ veröffentlicht. 1970 Die darin enthaltenen Thesen wurden im Jahr 2000 vom damaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre noch einmal bestätigt. Nachstehend zwei Abschnitte dazu aus dem Werk „De- mokratie in der Kirche. Möglichkeiten, Grenzen, Gefahren“ (Limburg 1970) von Joseph Ratzinger und Hans Maier, Neuauflage 2000 im Topos- Verlag. Darin nimmt der jetzige Papst Benedikt XVI. zur Frage der Demo- kratie in der Kirche Stellung. – Es folgt ein Interview, das ZENIT mit Dr. Manfred Gawlina von der Ludwig-Maximilians-Universität München zu diesem Thema geführt hat. ie Tatsache, dass bis weit ins in der Einheit der einen Kirche steht. die wir unumkehrbar so stoßen: Ge- Mittelalter hinein sich die Das Wort des Herrn ist zwar einer- meinde – Presbyterat – Episkopat Deinzelnen Gemeinden ihre seits überall ganz, aber es kann ganz sind ineinander geschoben und Vorsteher selbst gewählt haben, war nur dadurch gehabt werden, dass jeweils von beiden Seiten her spezi- für sie der selbstverständliche Aus- man es im Ganzen und mit dem Gan- fisch aufeinander bezogen. Die ge- druck des Subjektcharakters der ein- zen hat. Entsprechend gilt: Eucharis- genseitigen Beziehungsverhältnisse zelnen Ekklesien. Bevor wir uns un- tie ist je ganz und doch nur sie selbst, sind dabei unumkehrbar und nicht in mittelbar der praktischen Frage zu- wenn sie mit allen geteilt wird. parlamentarische Modelle auflösbar, wenden, muss allerdings die theolo- Es sollte nach dem Gesagten bei aber es sind eben doch Beziehungen: gische Grundfrage noch etwas den Amtsbestellungen der Subjekt- Der Pfarrer ist mehr als Ge- genauer geklärt werden. charakter der Gemeinde durch die schäftsführer der Gemeinde, der Bi- Kirche ist nicht einfach Volk, Ermöglichung ihrer eigenen ge- schof mehr als geschäftsführender sondern Versammlung. Daher ist das meindlichen („demokratischen“) Vorsitzender seiner Pfarrer und der eigentliche Aktiv von Kirche, Kirche Aktivität konkret angenommen wer- Papst mehr als geschäftsführender als solche, konkret in der gottes- den. Amtsbestellungen sollten die- Generalsekretär der zusammenge- dienstlichen Versammlung gegeben. sem Prinzip gemäß nie nur von oben fassten nationalen Bischofskonferen- Sie ist der primäre Ort der Kirche, erfolgen — hier muss an der seit dem zen. Jedem kommt auf seiner Ebene bzw. der Kirchenbegriff hat hier sei- 13. Jh. zum Sieg kommenden Ent- eine unumkehrbare Eigenverantwor- nen primären Ort. Gottesdienstliche wicklung entschieden Kritik geübt tung für das Evangelium zu, in der Versammlung ist nicht etwas Nach- werden. Andererseits kann Amtsbe- sich die parlamentarische Unableit- trägliches zu Kirche, sondern ihre stellung nie nur von unten, von der barkeit des Glaubens ausdrückt. Und Erstform. Die zum Gottesdienst ver- Einzelgemeinde her erfolgen, son- doch ist keiner der genannten Amts- sammelte Gemeinde ist daher Kirche dern muss immer auch den gesamt- träger ein Autokrat. Ich verweise nur im Vollsinn des Wortes. Nochmal kirchlichen Faktor in sich bergen: anders gesagt: Der Inhalt von Kirche Das Zueinander beider scheint mir auf die klassische Formulierung der ist das Wort, das Fleisch wird und für eine rechte Kirchenordnung kon- Doppelseitigkeit des Verhältnisses die Menschen zu sich ruft. Da in je- stitutiv zu sein. durch Cyprian. Er betont einerseits der legitim versammelten kirchli- Die beiden kirchlichen Grund- mit einem Nachdruck, der durch die chen Gemeinde das ganze Wort des ämter Presbyterat und Episkopat ganze Geschichte weiterwirkt: Evangeliums und der ganze Herr an- sind kollegial strukturiert und drü- „Nihil sine episcopo“ („Nichts wesend sind, ist in ihr das Ganze von cken damit das eigentümliche Zuein- ohne den Bischof“); die Forderung Kirche präsent. ander von Einzelgemeinde und Ge- der Öffentlichkeit und der Einheit Dennoch ist die Gesamtkirche samtkirche auf der Ebene des Insti- der Ortskirche unter dem Bischof er- nicht, wie zum Teil daraus abgeleitet tutionellen aus. Presbyter ist man reicht bei ihm im Kampf gegen wurde und wird, eine nachträgliche nicht allein, sondern im Presbyteri- Wahlgemeinden und Gruppenbil- Addition oder ein organisatorisches um eines Bischofs. Bischof ist man dung ihre äußerste Schärfe und Klar- Dach, das aber außerhalb des eigent- wiederum nicht allein, sondern im heit. Aber derselbe Cyprian erklärt lichen Kirchenbegriffs, außerhalb Bischofskollegium, das seinen Ein- seinem Presbyterium gegenüber des eigentlichen Wesens von Kirche heitspunkt im Bischof von Rom fin- nicht weniger deutlich: „Nihil sine stünde. Der ganze Herr ist vielmehr det. Und endlich: Christ ist man consilio vestro“ („Nichts ohne eu- in jeder Gemeinde ganz, aber er ist nicht allein, sondern als Zugehöriger ren Rat), und er sagt ebenso klar zu auch in der ganzen Kirche nur einer. einer konkreten ecclesia, die ihre seiner Gemeinde: „Nihil sine con- Deshalb ist Maßstab dafür, ob man Einheit in dem verantwortlichen sensu plebis“ („Nichts ohne die bei dem einen Herrn steht, dass man Presbyter hat. Die drei Kollegien, auf Zustimmung des Volkes“).

40 AUFTRAG 263 RELIGION UND GESELLSCHAFT

In dieser dreifachen Form von und der Konsensbildung in den Her- gespannten Situationen mehr zu den Mitwirkung am Aufbau der Ge- ausforderungen unterschiedlicher Si- Medien als zueinander zu reden. meinde liegt das klassische Modell tuationen zu einer wertvollen Kraft Aber je mehr die gemeinsame Arbeit kirchlicher „Demokratie“ vor, die geworden, die dem Bischof hilft, die zu einer normalen Situation der Mit- nicht aus einer sinnlosen Übertra- unterschiedlichen Aspekte auftreten- glieder wird, desto leichter kann man gung kirchenfremder Modelle, son- der Fragen, die Stimmungen und Er- dieser Versuchung widerstehen. dern aus der inneren Struktur der fahrungen in den verschiedenen kirchlichen Ordnung selbst erwächst Schichten seiner Diözese wie die Quelle: Joseph Ratzinger, Hans Maier: und daher dem spezifischen An- Möglichkeiten sinnvoller pastoraler „Demokratie in der Kirche. Möglich- spruch ihres Wesens gemäß ist. Aktion zu erkennen und entspre- keiten und Grenzen“, Neuauflage Eine kirchlich-demokratische chend zu handeln. Freilich wird hier 2000, Matthias-Grünewald-Verlag; Tradition eigener Art wird sichtbar, die Versuchung schon größer, in an- S. 39 ff. und Schlusswort S. 83. wenn man den Sachverhalt beachtet, dass Kirche sich in Krisenzeiten ge- gen die Herrschenden immer mit „Demokratie in der Kirche?“ – Begegnung mit der Theologie Joseph Ratzingers Nachdruck auf das Volk, auf die Ge- meinschaft der Glaubenden berufen Interview mit Dr. Manfred Gawlina von der Ludwig-Maximilians-Universität München und das demokratische Element ge- gen das fürstliche ins Spiel gebracht n diesem Interview erklärt der Philosoph Dr. Manfred Gawlina, unter hat. Das zeigt sich, wenn sich anderem, dass sich Ratzingers Aussagen gegen den Versuch wehrten, Ambrosius gegen den Versuch, I„in allen praktischen und normativen Fragen demokratische Entschei- kirchliche Angelegenheiten in kai- dungsprozeduren einzuführen“. Dr. Gawlina ist Spezialist in Transzen- serlicher Kabinettspolitik zu ent- dentalphilosophie und hat eine Vortragsreihe, die unter dem Titel scheiden, auf die Öffentlichkeit der „Joseph Ratzinger: Begegnungen mit seiner Theologie“ in Buchform er- Kirche und auf ihre Kirchlichkeit be- scheinen wird, zusammen mit Professor Dr. Konstantin Nikolakopoulos ruft: Kirchliches könne nur von der vom Institut für Orthodoxe Theologie an der Universität München organi- Kirche und nur von der Öffentlich- siert. keit der Glaubenden in der Kirche ZENIT: Was hat sie dazu bewegt, die Philosophie Dostojewskis. Das sind entschieden werden. Das gilt wieder, Hintergründe der Theologie Joseph Strömungen, die seine Identität mit- wenn sich Gregor VII. und die Ver- Ratzingers im Rahmen einer interdiszi- geprägt haben. fechter seines Reformkurses gegen plinären Vortragsreihe auszuleuchten? die staatliche Usurpation der Kirche ZENIT: Wie kommt es, dass auch das als eines Mittels kaiserlicher Politik Gawlina: Der Theologe Josef Ratzin- Institut für Orthodoxe Theologie an auf das gläubige Volk berufen und ger, unser jetziger Papst Benedikt der Vorlesungsreihe über die Theolo- vom Volk her gegen Fürstenmacht XVI., hat zur so genannten „Münche- gie Josef Ratzingers beteiligt ist? Kirche als Kirche durchzusetzen sich ner Konstellation des Geistes“ ge- Gawlina: Zur „Münchener Konstel- bemühen. Das gilt ebenso, wenn sich hört. Er hat hier in München promo- lation“ gehört auch seit Jahren die im 19. Jh. die Kirche zeitweise dem viert und seine Habilitation unter orthodoxe Theologie, wenngleich sie Liberalismus verbündet und von sei- Schwierigkeiten durchgezogen. Er ist mit Blick auf die universitäre Traditi- ner demokratischen Stoßkraft bei der eigentlich nur im Kontext der ande- on der Theologie in Bayern noch re- Überwindung des Staatskirchentums ren damals hier in München wirken- lativ jung ist, aber wegen ihrer Unterstützung erwartet und findet. den geistigen Größen zu verstehen. Verwurzelung bei den Kirchenvätern Das gilt in anderer Richtung, wenn in Bedeutende philosophische Köpfe eine besondere Ausstrahlung hat. Es der arianischen Krise das kirchliche wie zum Beispiel ein Ernesto Grassi war eine besondere Herausforderung Volk gegen die von den Theologen [Vertreter des Existentialismus, Anm. für die orthodoxe Theologie, sich mit und Hierarchen ausgehandelten ZENIT] leben nicht mehr, andere dem Weg der Zeitgeschichte zu be- theologiepolitischen Kompromisse sind jetzt hoch betagt und halten schäftigen, mit dem, was die Ent- und „Fortschritte“ den nizänischen immer noch sehr kontroverse Positio- wicklung Joseph Ratzingers mit- Glauben durchhält und so als nen. Das Profil des Theologen Joseph geformt hat. Es gab auch eine pan-or- Regenerationskraft der Kirche sich Ratzinger kann nur richtig gewürdigt thodoxe Vesper, die für Papst Ben- bewährt. werden, wenn man ihn in diesen edikt XVI. gefeiert wurde. Dort gab ... Kreis einreiht, auch wenn er nicht es viele Besucher, die erleben konn- ie Pfarrgemeinderäte sind – alle dort herrschenden Überzeugun- ten, wie das Spirituelle uns eint. von unvermeidlichen Ausnah- gen angenommen hat oder teilt. Joseph Ratzinger hat als junger Dmen abgesehen – zu einem Wer den Horizont des heutigen Theologe eine große Rolle beim Kon- wichtigen Element in der Pfarr- Papstes verstehen möchte, der muss zil gespielt, er hat dessen Duktus be- gemeinschaft geworden; ihr Beitrag auch einen Blick auf die transzen- einflusst und die Art, wie er dies ge- daran ist kaum noch wegzudenken. dental-philosophische Schule tun, tan hat, ist ohne die Ausrichtung sei- Auch Diözesanräte sind als Forum die sich in der bayrischen Haupt- nes inneren Kompasses in München der Begegnung unterschiedlicher stadt damals gebildet hatte. Es gab in überhaupt nicht zu verstehen. Die Tendenzen und Kompetenzen, als jenen Jahren beispielsweise eine in- Frage, wie er nun die Leitung der Kir- eine Weise der Auseinandersetzung tensive Auseinandersetzung mit der che auf dem Weg ins dritte Jahrtau-

AUFTRAG 263 41 RELIGION UND GESELLSCHAFT send weiterführen wird, und vor wel- Publizisten in München im Kardinal- ZENIT: Worin sehen sie das „Brisan- chem Hintergrund er dies tut, diese Wendel-Haus gehalten. Damals er- te“ an seiner Position? Frage wollten wir von einer wissen- klärte der jetzige Papst: „Kirche ist Gawlina: Nun, vor diesem Hinter- schaftlichen und philosophischen nicht einfach Volk, sondern Ver- grund wird der gedankliche Rahmen Perspektive her stellen. sammlung. Daher ist das eigentliche klar, den er verinnerlicht hat und als ZENIT: Warum war es ihnen so wich- Aktiv von Kirche, von Kirche als sol- Papst Benedikt XVI. weiterentwi- tig, den im Jahr 2000 neu aufgelegten che, konkret in der gottesdienstli- ckeln wird, und mit Blick auf seinen Vortrag Joseph Ratzingers „Demokra- chen Versammlung gegeben. Sie ist Beitrag beim Zweiten Vatikanischen tie in der Kirche?“ zu analysieren? der primäre Ort der Kirche, bezie- Konzil natürlich auch das, was er hungsweise der Kirchenbegriff hat vielleicht verändern wird. Gawlina: Mir ist wichtig, dass man hier seinen primären Ort.“ den gesamten Werdegang unseres Der Vortrag Ratzingers wehrt Papstes betrachten lernt. Wir haben ZENIT: Was sagen diese Thesen Joseph sich gegen den Versuch, in allen versucht, seine theologischen Grund- Ratzingers einem Philosophen? praktischen und normativen Fragen gedanken als Universitätslehrer mit Gawlina: Ich habe versucht, durch demokratische Entscheidungsproze- dem zu vergleichen, was er als Prä- einen Vergleich der Motive und Par- duren einzuführen. Man muss allen fekt der Kongregation für die Glau- allelen den Hintergrund des Vortrags Erwartungen an eine solche Verände- benslehre gesagt hat. Mich hat es ge- zu analysieren. So wie hier, auf Seite rung der Kirche gemäß politischen reizt, gerade diesen Text zu untersu- 40 der Neuauflage des Vortrags, ge- Strukturen, so gibt er zu bedenken – chen, den Joseph Ratzinger im Jahre sprochen wird, kommen mir Assozia- selbst wenn sie nur analog gebraucht 1970 während der Studentenunruhen tionen zu konkreten protestantischen würden –, schon aus Realismus geschrieben hat. In dieser bewegten Positionen. Unter anderem wird hier heraus einen Riegel vorschieben. Er Zeit hat er diesen konkreten Aufsatz gesagt: „Da in jeder legitim versam- stellt fest, dass man das Demokratie- mit dem Titel „Demokratisierung der melten kirchlichen Gemeinde das konzept nur abwehren kann, wenn Kirche?“ verfasst und ganz bewusst ganze Wort des Evangeliums und der man einen Vollbegriff von Kirche hat. ein Fragezeichen dahinter gesetzt. ganze Herr anwesend ist, ist in ihr An diesem „Vollbegriff“, so denke Dieser Beitrag wurde damals zusam- das Ganze von Kirche präsent.“ Na- ich als Philosoph, muss sich nun die- men mit einem zweiten Aufsatz veröf- türlich müsste man genauer auf das ses Büchlein messen lassen. Die Kir- fentlicht, der aus der Feder des eingehen, was Joseph Ratzinger in che kann sich im Grunde nur von ih- Münchener Politikwissenschaftlers seinem Buch „Das neue Volk Gottes“ rem Haupt her definieren, das heißt und damaligen Kultusministers Hans dazu geschrieben hat. Er schließt hier von Christus. Dann stellt sich Meier stammt. Meiers Gedanken tra- sich auf alle Fälle im Jahr 2000 er- angesichts dieser Wirklichkeit das gen den Titel: „Vom Ghetto der neut der Position des Liturgie- Thema Demokratie in seiner ganzen Emanzipation, Kritik der demokrati- wissenschaftlers J. A. Jungmann an, Schärfe. sierten Kirche“. dessen Buch „Wortgottesdienst“ er In seinem Schlusssatz zum Vor- sehr schätzt. Einen Abschnitt vorher In diesem Milieu hat sich wort der Neuauflage versichert Kar- schreibt er in „Demokratie in der Ratzinger fragen wollen: Muss die dinal Ratzinger: „Demokratie in der Kirche?“: „So hat Jungmann gezeigt, Kirche wirklich etwas von der Eu- Kirche, davon bin ich fest überzeugt, dass das Subjekt der Feier gerade die kann nicht darin bestehen, noch phorie der Demokratie lernen? Den versammelte Gemeinde als Ganze ist gängigen Disput aufgreifend, fragt er: mehr Abstimmungskörperschaften und der Priester nur, sofern er dieses einzurichten; sie besteht vielmehr Stellt Kirche nicht eine absolutisti- Subjekt mit verkörpert und sein Dol- sche anmutende Oligarchie dar, in darin, dem Lebendigen und seiner metsch ist.“ Vielfalt mehr Raum zu geben.“ Der der die Macht in einem geistlichen Die Aufsätze von Josef Ratzinger entscheidende Punkt meiner Analyse Oberhaupt konzentriert ist? Ratzin- und Hans Meier wurden im Jahr war, ob der Bezugspunkt zur Frage ger erklärt dann, dass den damaligen 2000 im Topos-Verlag neu aufgelegt Tendenzen, die beiden gängigen Be- (Joseph Ratzinger, Hans Meier: „De- „Demokratisierung der Kirche?“ in- griffe von Demokratie begeistert auf mokratie in der Kirche. Möglichkei- tellektueller Natur ist, oder ob dieser Kirche zu übertragen, Einhalt gebo- ten und Grenzen“). Das Interessante Bezug noch ein intensiver, ein realer ten werden müsse. Konkret meint er ist, dass Joseph Ratzinger seinen ist. Das wird er meiner Meinung nach damit die „totale Demokratie“ und Beitrag als Kardinal kommentiert – durch seinen vollen Bezug auf den den „Verfassungsstaat“. Das Wesen hat. Dieser Kommentar „Demokrati- Leib Christi und die Realpräsenz einer Gemeinschaft wie das von Kir- sierung der Kirche – dreißig Jahre Christi im Messopfer. che, so argumentiert Ratzinger, kann danach“ ist nicht unbrisant. Er Mein ausführlicher Beitrag dazu man nicht auf begrifflicher Ebene schreibt also im Jahr 2000 nach der wird bald zusammen mit allen ande- mit der Struktur eines Staates defi- Lektüre seines „fast vergessenen ren Referaten in einem Buch vorge- nieren. Im Staat sei das Volk die Vortrags“: „So musste ich zu meiner legt. Da gibt es dann auch eine aus- höchste Instanz, was sich aber nicht Überraschung feststellen, dass ich führliche Analyse über die Philoso- einfach auf Kirche übertragen ließe. alles damals Gesagte auch heute phie Joseph Ratzingers. Das Buch, Als Philosoph hat mich natürlich noch so vertrete.“ Er hält also die Po- das in der Reihe „Koinonia-Oriens“ die Hermeneutik seiner Argumenta- sition, die er im Jahre 1970 vertreten herauskommt, wird den Titel „Joseph tion interessiert. Der Vortrag wurde hat. Das war die Motivation für mei- Ratzinger: Begegnungen mit seiner damals bei der Tagung der deutschen nen Vortrag. Theologie“ tragen. (ZENIT.org)

42 AUFTRAG 263 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Universalen Menschenrechten droht Relativierung Institut für Islamfragen (IFI): Wirklich kein Zwang im Glauben? Religionsfreiheit und Menschenrechte aus islamischer Sicht – eine theologische Betrachtungsweise von Albrecht Hauser or einer islamischen Relati- ligiöser Rituale enthält die Scharia vom Islam Abgefallenen die Todes- vierung der universalen Men- als Sammlung von Koranversen und strafe vor. Der in den universalen Vschenrechte warnt Kirchenrat Überlieferungen Mohammeds auch Menschenrechtserklärungen garan- i.R. Albrecht Hauser vom Institut für detaillierte rechtliche Vorschriften tierte Religionswechsel beinhaltet Islamfragen. Hauser sieht das erst für das öffentliche Leben in Politik demnach aus islamischer Sicht nur nach blutigen Religionskriegen er- und Gesellschaft. Eine Trennung von die Hinwendung zum, nicht die Ab- kämpfte und auf dem christlichen Staat und Religion kenne der klassi- wendung vom Islam. Auch die Mei- Gottes- und Menschenbild beruhen- sche Islam nicht. Die Einführung der nungs- und Pressefreiheit sei gefähr- de universale Menschenrechtsver- Scharia gilt als notwendiger Schritt det. Verstärkt bemühten sich islami- ständnis in Gefahr. Angesichts der zur Aufrichtung einer islamischen sche Verbände auch in nichtislami- schwierigen Lage der Christen in is- Ordnung in den noch von Ungläubi- schen Ländern, kritische Äußerun- lamischen Ländern und der teil- gen beherrschten Gebieten. gen über den Islam rechtlich zu ver- weisen Verfolgung von Konvertiten bieten. Diesem Trend gelte es die fordert Hauser, „Mut, die Probleme Religions-, Meinungs- und Presse- Universalität der Menschenrechte nicht länger zu verharmlosen und un- freiheit stehen auf dem Spiel entgegenzustellen und die Meinungs- ter den Teppich zu kehren“. Eine Anerkennung oder Ein- und Pressefreiheit nicht zu relativie- In einer Sonderveröffentlichung beziehung islamischer Rechtsvor- ren. ❏ des Instituts vom Juni 2006 weist schriften hätte aus Sicht Hausers fa- Hauser auf die Bemühungen islami- tale Folgen, vor allem die Unterdrü- Download Hinweis: scher Regierungen in Ländern wie ckung all derer, die nicht Muslime Der Sonderdruck mit dem vollständi- Ägypten, Pakistan, Sudan, Indonesi- werden wollen. Christen und Juden gen Text Albrecht Hausers kann kann en und einzelnen Bundesstaaten Ni- drohe der dhimmi-Status (Unterge- von der Internetseite des IFI http:// gerias hin, die Menschenrechtserklä- benen-Status), eine rechtliche Be- www.islaminstitut.de unter dem Link rungen islamisch zu deuten und zu nachteiligung aufgrund des Glau- „Sonderdrucke“ Nr. 07 herunter- relativieren. Eine wichtige Rolle bens. Weiter sähe die Scharia für den geladen werden. spielt laut Hauser dabei die Organi- sation der islamischen Konferenz (OIC), die 1969 gegründet worden sei, um die westliche Hegemonie in UN-Menschenrechtsrat den internationalen Organisationen Auftakt zu verabschieden. Das Gremium zu überwinden. er neue UN-Menschenrechts- wird mindestens drei Mal jährlich ta- 1990 veröffentlichte in Kairo die rat hat am 19. Juni in Genf gen und kann bei Krisen spontan ein- OIC mit ihren 57 Mitgliedsstaaten Dseine Arbeit aufgenommen. berufen werden. eine Islamische Menschenrechtser- UNO-Generalsekretär Kofi Annan klärung. Artikel 1 und 10 sprechen äußerte die Hoffnung, dass das Gre- Heilige Stuhl: vom „wahrhaften Glauben“ des Is- mium seine großen Aufgaben zur weniger politisieren lams als Garantie jeder Menschen- weltweiten Durchsetzung der Men- er Heilige Stuhl hofft, dass im würde und Artikel 25 stellt jedes schenrechte erfüllen werde: „Der DUN-Menschenrechtsrat weniger Menschenrecht unter den Vorbehalt Menschenrechtsrat bedeutet eine politisiert werden wird als in der Men- der Übereinstimmung mit dem isla- große neue Chance, für die Vereinten schenrechtskommission, der Vorgän- mischen Gesetz (Scharia). Aus Sicht Nationen wie für die gesamte ger-Behörde. Hausers streben islamische Lobbyis- Menschheit.“ Der neue Rat besteht Erzbischof Silvano Tomasi, Stän- ten und Vertreter in den internatio- aus 47 Mitgliedsstaaten der Verein- diger Beobachter des Heiligen Stuhls nalen Gremien die Anerkennung der ten Nationen, die von der UN-Voll- bei den Vereinten Nationen in Genf, Scharia als Teil der universalen versammlung gewählt worden sind – erklärte gegenüber „Radio Vatikan“, Menschenrechtserklärungen an. unter ihnen die Bundesrepublik was er sich von diesem neuen Men- Deutschland. Einstimmig wählten schenrechtsrat erhoffe, der „neben Einführung der Scharia zur die Delegierten den mexikanischen Entwicklung und Sicherheit einer Aufrichtung einer islamischen UNO-Botschafter Luis Alfonso de der drei Grundpfeiler der Vereinten Gesellschaft Alba zum Ratspräsidenten. Nationen“ sei. Der offizielle Vertre- Von Muslimen als unumstößli- Der Menschenrechtsrat hatte bis ter des Papstes wünscht sich, dass ches Gesetz Gottes verstanden, zum 30. Juni vor allem Arbeitsweisen die Behörde „imstande sein wird, schreibt die Scharia „umfassende Rah- und Verfahren genauer festzulegen den Erwartungen zu entsprechen, die menbedingungen für das mensch- sowie inhaltlich zwei Resolutionen die internationale Gemeinschaft mit liche Leben auf der Erde“ fest. Ne- gegen das Verschwindenlassen und den Reformen verbunden haben: ben Vorschriften über den Ablauf re- zum Schutz indigener Bevölkerungen Fortsetzung auf Seite 45, Sp 2 u. 3

AUFTRAG 263 43 GESELLSCHAFT NAH UND FERN ZUR BIOETHISCHEN DISKUSSION IN DEUTSCHLAND: Verantwortung für vernunftbegabte Wesen Neuer Sammelband über Kriterien biomedizinischer Ethik

VON STEFAN REHDER ielleicht ist in den aktuellen kommt und die deshalb, unabhängig die Patentierung menschlichen Le- bioethischen Fragen ja tatsäch- von ihren realen Fähigkeiten, bens (Dietmar Mieth) werden – auch Vlich schon alles gesagt wor- niemals verzweckt werden darf. das ist verdienstvoll, wenngleich die den, nur eben noch nicht von jedem. Während Honnefelder ein- Auswahl ein wenig willkürlich er- Fest steht dagegen: Trotz der seit drucksvoll zeigt, dass wer dem Phä- scheint – in dem vorliegenden Band mehr als fünf Jahren dauernden De- nomen Mensch gerecht werden will, gesondert behandelt. batte wird Entscheidendes immer nun einmal nicht an der aristoteli- Darüber hinaus befasst sich der noch nicht gewusst – und das von gar schen Substanzlehre vorbeikommt, Sammelband auch noch mit der bio- nicht so wenigen Menschen. So ga- und diese überdies erfolgreich gegen ethischen Diskussion innerhalb der ben laut der kürzlich von der Euro- den Vorwurf eines Sein-Sollen-Fehl- Theologie (Josef Römelt und Stephan päischen Kommission vorgestellten schlusses in Schutz nimmt, zeigt Ri- Ernst) und fragt schließlich, welche Studie „Europeans and Biotechnolo- cken, dass der „Begriff Mensch nicht politische Relevanz den Ergebnissen gy in 2005: Patterns and Trends – nur ein deskriptives Prädikat zur Be- des bioethischen Diskurses in einer Eurobarometer 64.3“ immerhin 15 zeichnung einer Spezies ist“, son- pluralistischen Gesellschaft über- Prozent der Europäer zu Protokoll, dern immer auch zugleich für „eine haupt noch zukommen kann (Konrad über die embryonale Stammzell- Idee“ stehe, unter der alle Mitglieder Hilpert, Günter Virt und Hans Hal- forschung – das am ausführlichsten der Spezies gesehen werden müss- ter). Eine nützliche Hilfe für all die- diskutierte Thema, der an Einzel- ten: „Sie sind Wesen, denen wir Ver- jenigen, die sich erst jetzt tiefer mit fragen nicht gerade armen Debatte – antwortung dafür schulden, wie wir der Bioethik beschäftigen wollen, zu wenig zu wissen. Weil sich aber sie behandeln.“ Im Gegensatz zu der bietet auch der Anhang, der eine um- auch diese Bildungslücke mit ver- Verantwortung, die der Mensch als fangreiche Auswahl der bislang er- tretbarem Aufwand schließen lässt, vernunftbegabtes Wesen auch für an- schienenen offiziellen Stellungnah- trifft es sich gut, dass jetzt im Herder dere Wesen trage, ist die Verantwor- men zu bioethischen Fragen aus dem Verlag ein von Konrad Hilpert und tung, die er gegenüber den Mitglie- Bereich der Kirchen und dem staatli- Dietmar Mieth herausgegebener dern seiner eigenen Spezies besitzt, chen Raum enthält. Sammelband erschienen ist, der fun- laut Ricken eine doppelte: „Im Un- Bedauerlich ist allein, dass die dierte Informationen zur Festlegung terschied zum Tier ist das Kind nicht Bearbeitung der Frage nach dem und Anwendung ethischer Beurtei- nur das Wesen, für das ich Verant- Stand der Embryologie ausschließ- lungskriterien liefert. wortung habe, sondern immer auch lich Reproduktionsmedizinern (Ri- So klärt das von Theologen, Phi- die Instanz, vor der ich mich zu ver- cardo E. Felberbaum, Wolfgang losophen und Medizinern verfasste Buch zunächst zahlreiche der in der antworten habe; ich bin für, aber Küpker) überlassen wurde. Hier bioethischen Diskussion verwende- nicht vor dem Tier verantwortlich, wäre wohl zumindest ein ergänzender ten Begriffe und Kategorien wie „Le- aber ich bin für das Kind und vor ihm Beitrag eines Autors Pflicht gewesen, ben“, „Potenzialität“, „Mensch“ und verantwortlich.“ der selbst kein Anbieter so genannter „Person“ sowie „Leid“ und „Wür- Nicht weniger lesenswert ist Kinderwunschbehandlungen ist, die de“, legt – darauf aufbauend – den auch der Beitrag „Lebensbeginn und vom Lehramt der katholischen Kir- moralischen und rechtlichen Status Menschenwürde“ von Eberhard che mit guten Gründen unmissver- des Embryos dar und diskutiert die Schockenhoff, in dem der katholi- ständlich abgelehnt werden. Wer Auswirkungen, die die erweiterten sche Moraltheologe die lehramtliche sich erst jetzt ernsthaft mit bio- biotechnologischen Möglichkeiten Position der katholischen Kirche er- ethischen Fragenstellungen ausein- für das Bild vom Menschen haben. läutert und gegen Einwände souve- andersetzt, kommt trotz dieses ech- Auch wenn es schwer fällt, ein- rän zu verteidigen weiß. Dass Bio- ten Mankos an dem ansonsten emp- zelne Beiträge dieses beachtlichen politik nicht zuletzt immer auch fehlenswerten Buch zumindest vor- Werkes gesondert hervorzuheben, so Sprachpolitik ist, bei der Begriffe zur erst nicht vorbei. können doch die Beiträge „Die Frage Waffe werden können, veranschau- nach der Einheit des Menschen. Bio- licht auf treffliche Weise der Beitrag Konrad Hilpert; Dietmar Mieth (Hg.), ethik und Hylemorphismus“ (Ludger des Mainzer Theologen Johannes Kriterien biomedizinischer Ethik. Honnefelder) sowie „Mensch und Reiter („Bild und Sprache der Gen- Theologische Beiträge zum gesell- Person“ (Friedo Ricken) insofern als technik. Zur Hermeneutik naturwis- schaftlichen Diskurs. Schlüsselbeiträge betrachtet werden, senschaftlicher Rede und Argumen- Reihe: Quaestiones Disputatae. als in ihnen jeweils begründet wird, tation“). Einige bioethische Pro- Band 217. Herder-Verlag, Freiburg warum der Mensch immer auch blemstellungen wie die Präimplanta- 2006, 506 Seiten. zugleich Person ist, der Würde zu- tionsdiagnostik (Hille Haker) und (aus: DT vom 08.07.2006)

44 AUFTRAG 263 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Rangordnung der Werte – Embryonenforschung Embryonenforschung muss zunächst VON ROLF SCHUMACHER die Frage, wann das menschliche Le- ben beginnt, präzise beantwortet ie Entwicklung ist absurd: Am 15. Juni 2006 hat sich das Europäi- werden. Dabei ist wichtig festzu- sche Parlament mit 284 gegen 249 Stimmen für die finanzielle För- halten, dass Christen diese Frage Dderung von verbrauchender Embryonenforschung im Rahmen des nicht von einem ethischen Sondergut 7. EU-Forschungsprogramms ausgesprochen. Sollte sich der EU-Minister- her beantworten, sondern hier auch rat dieser Empfehlung anschließen, müssten Österreich, Deutschland, Po- auf die naturwissenschaftliche Er- len, Luxemburg, Slowakei, Litauen und Malta Forschungsprojekte mit- kenntnis angewiesen sind. Und die finanzieren, die in ihren eigenen Ländern verboten sind. Erkenntnis der Biologie lautet: Das Der Vorgang zeigt: Wir brauchen in diesen wie in anderen Fragen ein menschliche Leben beginnt als Zygo- europäisches Bewusstsein und entsprechende öffentliche Debatten. te (befruchtete Eizelle) mit doppel- tem Chromosomensatz in der Ver- Auf die Rangordnung der 1. Die Menschenwürde hat Vorrang. schmelzung von Ei- und Samenzelle Grundsätze und Werte 2. Da das Leben die vitale Basis der – unabhängig von der Art seines Zu- kommt es an Menschenwürde ist, ergibt sich standekommens. Von diesem Zeit- In Deutschland sind solche De- für den Staat die Aufgabe, das punkt an entwickelt sich der Mensch batten bereits in erstaunlicher Breite menschliche Leben wirksam zu nicht zum Menschen, sondern als und mit hohem Differenzierungs- schützen. Mensch. Jeder Versuch, eine andere niveau geführt worden. Wer aber 3. An der Menschenwürde findet Grenze für den Beginn des menschli- glaubt, in einer pluralen Gesellschaft die Freiheit der Forschung ihre chen Lebens und in der Folge für die sei das einmal erreichte Diskussions- Grenzen. Schutzwürdigkeit des Menschen zu niveau Allgemeingut und das er- 4. Auch ein noch so guter Zweck ziehen, ist willkürlich. reichte Ergebnis für immer gesichert, heiligt nicht das Mittel, die Wür- Eine überzeugende Begründung der irrt. Vielmehr bedarf es ständiger de eines einzelnen Menschen an- für diese Position liefern die sogen. Debatten und Klärungsprozesse. zutasten. SKIP-Argumente: Grundsätzlich gilt in einer pluralen • Das Spezies-Argument: Da Em- Gesellschaft: Es ist völlig legitim, Der Beginn menschlichen Lebens bryonen als Mitglieder der Spezi- dass Interessen bzw. Güter mitein- Angewandt auf die politisch um- es Mensch Menschen sind, besit- ander in Konkurrenz treten. In einem strittene Frage der verbrauchenden zen sie Würde. ständigen ethischen Diskurs muss geklärt werden, mit welchen Maßstä- ben und nach welchen Rangordnun- Fortsetzung von Seite 43 in Genf. Kirchliche und andere Nicht- dass weniger politisiert wird, wenn gen die in Konkurrenz stehenden regierungsorganisationen (NGO) hät- jene Krisen angesprochen werden, ten sich bei den Debatten in der ver- Güter abgewogen werden. Und da die mit Menschenrechtsverletzungen gangenen Woche offen und aktiv be- gibt uns unsere Verfassung, gespeist zu tun haben“. teiligen können. Diese Offenheit für aus den großen Traditionen der Anti- Der Rat könne „das Bewusstsein die Zivilgesellschaft müsse der Rat ke und der Aufklärung und nicht um die Menschenrechte in alle Tätig- bewahren, forderten Weltkirchenrat, zuletzt aus dem christlichen Men- keitsbereiche hineintragen“, zeigte Lutherischer Weltbund und die in- schenbild, eine eindeutige Wertprä- sich Erzbischof Tomasi überzeugt. Er ternationale katholische Friedensbe- ferenz an die Hand: müsse er sich allerdings darum be- wegung Pax Christi. Sie hofften auf Die Würde des Menschen – un- mühen, allen klarzumachen, dass die eine entschiedene Umsetzung der abhängig von seinen Entwicklungs- „Grundlage für die Menschenrechte“ Strafrechtskonvention zum Ver- stufen und seinen Fähigkeiten – ist jedes Einzelnen der Respekt sei und schwindenlassen. Es bestehe die unantastbar, sie nimmt in der Rang- „dass wir alle Kinder Gottes sind“. Hoffnung, dass mit der international ordnung der abzuwägenden Güter getroffenen Übereinkunft viel für den die erste Stelle ein. Im Klartext heißt Kirchen loben effektive Arbeit Frieden der Familien verschwunde- das: Die Würde des Menschen wird des UN-Menschenrechtsrats ner Personen erreicht werde. Das dort verletzt, wo der Mensch als Trä- nternationale kirchliche Organisa- neue höchste internationale Gremi- ger der Menschenwürde vom Staat Itionen haben die erste Sitzung des um zum Schutz der Menschenrechte oder von anderen Menschen zum UN-Menschenrechtsrats wegen ihrer hatte bei seiner ersten Sitzung in bloßen Objekt gemacht und für Zwe- Transparenz und Ergebnisse gelobt. Genf auch eine Konvention für die cke anderer genutzt wird, sei es für Die Annahme der Konvention gegen Rechte indigener Völker verabschie- den Zweck der freien Forschung, sei das Verschwindenlassen bedeute ei- det. Vereinte Nationen, die beteilig- es für den Zweck, später Krankhei- nen „Kurswechsel im Völkerrecht zu ten Staaten wie NGO zeigten sich ten heilen zu können. Anders ausge- den Rechten der Opfer auf Wahr- überzeugt, dass der ein effektives In- drückt: Es gibt eine Rangordnung heit, Gerechtigkeit und Wiedergut- strument zur Durchsetzung von der Grundsätze und Werte, die wie machung“, erklärte Weltkirchenrats- Grundrechten weltweit werden könne. folgt lautet: vertreter Guillermo Kerber am 4. Juli (KNA/ZENIT)

AUFTRAG 263 45 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

• Das Kontinuitäts-Argument: Em- Bei einer Schwangerschaft in Faszination Stammzellforschung bryonen entwickeln sich konti- vivo weiß zunächst einmal der Staat Kehren wir noch einmal zur For- nuierlich, d.h. ohne moralrele- gar nicht von dem entstanden Em- schung zurück. Zweifelsohne geht vante Einschnitte zu erwachse- bryo, und folglich ist es für den Staat von der Stammzellforschung eine un- nen Menschen, die Würde besit- schwerer, der Schutzpflicht gegenü- geheure Faszination aus. Stamm- zen. ber dem Embryo von Beginn an zellen verheißen eine neuartige Mög- • Das Identitäts-Argument: Em- nachzukommen. Zunächst weiß nur lichkeit, Krankheiten zu heilen, die bryonen sind in moralrelevanter die Mutter und gegebenenfalls der bisher nicht erfolgreich behandelt Hinsicht identisch mit erwachse- behandelnde Arzt von der Schwan- werden konnten. Es scheint sich eine nen Menschen, die Würde besit- gerschaft. Kommt es aufgrund der revolutionäre Entwicklung in der zen. besonderen Konstellation in vivo – Medizin anzubahnen. Die Hoffnung • Das Potenzialitäts-Argument: der Zweiheit in der Einheit des Mut- lautet, mit Hilfe von Stammzellen – Embryonen haben das Potenzial, terleibes – zu einer Konfliktsituation, aufgrund ihrer Fähigkeit sich zu ver- sich als Mensch zu entwickeln so muss alles daran gesetzt werden, mehren und in verschiedene Zell- und dieses Potenzial ist uneinge- die Mutter für ein Leben mit dem typen auszudifferenzieren – ganze schränkt schützenswert. Kind zu gewinnen. Organe wieder herstellen zu können. Dabei kommt es darauf an, Umso wichtiger ist es, in der na- Eine andere Position legt den zugleich das Rechtsbewusstsein zu tionalen wie internationalen For- Beginn des menschlichen Lebens mit bewahren, dass Schwangerschaftsab- schungsförderungspolitik die Förde- der Nidation (Einnistung in die Ge- bruch ein Unrecht ist und die Situati- rung auf ethisch unumstrittene Me- bärmutter) fest. Dieses Kriterium on der sich in einem Schwanger- thoden zu konzentrieren. Die adulte überzeugt nicht, denn mit der Nidati- schaftskonflikt befindenden Frau Stammzellforschung und die For- on ändern sich nur die für die weitere ernst zu nehmen. Dazu ist die ver- schung mit konserviertem Blut der Entwicklung wohl entscheidenden pflichtende psychosoziale Beratung Nabelschnur sind ethisch unum- Umgebungsbedingungen, nicht aber ein geeigneter Weg, sofern die ergeb- stritten, weil sie niemanden schädi- ändert sich in irgendeiner Weise das nisoffene Beratung entsprechend der gen und kein menschliches Leben Wesen des Embryos. Die Nidation gesetzlichen Bestimmung zielorien- vernichten. Sie sind zudem wissen- entscheidet nicht über Menschsein tiert auf den Schutz des Lebens er- schaftlich interessant, weil aufgrund und folglich auch nicht über Men- folgt. Deshalb ist die Qualität der Be- der immunologischen Vorteile keine schenwürde. Der entscheidende qua- ratung von entscheidender Bedeu- Abwehrreaktionen zu erwarten sind, litative Sprung bei der Entstehung tung. Eine solche, unserer Gesetzge- und sie sind zudem ökonomisch des neuen menschlichen Lebens ge- bung zugrunde liegende Konzeption, reizvoll, insofern hiermit Wettbe- schieht mit der Verschmelzung von die an der Rechtswidrigkeit festhält werbsvorteile erarbeitet werden Ei- und Samenzelle. Es wäre ver- und die Strafdrohung zugunsten einer können. fehlt, die Nidation als eine normative am Lebensschutz orientierten Bera- So geht schließlich die Forde- Zäsur anzusehen, die schutzwürdige tung zurücknimmt, ist den beiden rung an den EU-Ministerrat, der von nichtschutzwürdigen Lebens- bisher erprobten Alternativen – so- Empfehlung des Europäischen Par- phasen unterscheidet. wohl der Fristenlösung wie der so ge- laments zur finanziellen Förderung nannten Indikationenlösung, bei der verbrauchender Embryonenforschung Embryonen in vivo und in vitro die Entscheidung über den Schwan- im Rahmen des 7. EU-Forschungs- auf je geeignete Weise schützen gerschaftsabbruch im Konfliktfall fak- programms nicht zu folgen und Oft wird das Argument ange- tisch von der Mutter auf den Arzt ver- stattdessen auf unumstrittene Projek- führt, in Deutschland sei der Embryo lagert wird – weit überlegen. te zu setzen. ❏ in vitro besser geschützt als in vivo. Dazu ist festzuhalten: Die Gesetzge- bung in Deutschland hält am Lebens- KURZ BERICHTET: recht des Embryos in vivo und in vitro fest. Bei der künstlich herbeige- Libanon: Bischöfe befürchten Massen-Exodus der Christen führten Verschmelzung von Ei- und ie maronitischen Bischöfe des Libanon befürchten nach den Zerstörungen durch israelische Luftangriffe und Samenzelle in vitro weiß der Staat infolge wachsenden islamischen Fundamentalismus einen Massen-Exodus von Christen. In einem am 25. von Beginn an, dass hier ein Embryo DAugust über den römischen Pressedienst asianews verbreiteten Appell wenden sie sich an die internationa- entstanden ist. Insofern muss er dem len Organisationen, der Bevölkerung vor allem bei der Wiedereröffnung von Schulen und der medizinischen Ver- Embryo in vitro gegenüber seiner sorgung zu helfen. Die Abwanderung von Christen sei in diesen Tagen immens, betonte der Patriarchalvikar von Schutzpflicht von Beginn an nach- Sarba, Guy-Paul Noujem: „Sie gehen fort, weil sie sich allein gelassen fühlen.“ Mehr als die Hälfte der Bevölke- kommen. Dass das Embryonen- rung sei nicht in der Lage, die Kinder auf Privatschulen zu schicken - aber Staatsschulen gebe es im Libanon prak- schutzgesetz von 1990 dies so fest- tisch nicht. Beiruts maronitischer Erzbischof Paul Matar äußerte die Befürchtung, dass der kommende Winter- legt und zudem sagt, dass Embryo- beginn die Krise noch verschärfen werde. Die Menschen erwarte eine ungewisse Zukunft. nen nur zur Herbeiführung einer Nach Angaben des melkitischen Bischofs Tyrus im Südlibanon, Georges Bakouni, wurden allein in seiner Schwangerschaft hergestellt werden Diözese 15 Kirchen durch israelische Bomben zerstört. Er appellierte an die Flüchtlinge, wieder in ihre Häuser zu- dürfen, ist im europäischen Ver- rückzukehren, um zu „bezeugen, dass der Libanon nicht stirbt“. Bakouni wörtlich: „Wir überlassen niemals den gleich eine große Errungenschaft, Libanon den Händen der Israelis oder der Muslime.“ Die Christen seien „lange vor ihnen in diesen Land gekom- die es beizubehalten gilt. men“ und wollten mit allen zusammenleben. (KNA)

46 AUFTRAG 263 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

JUDEN IM HEUTIGEN IRAN: gehen kann, sondern dass das Rheto- rik ist“, meint Heine. Obwohl die heute im Iran leben- Elf Synagogen in Teheran den Juden nicht existenziell bedroht sind, hat die jüdische Gemeinde in Während Iran sich öffentlich anti-israelisch gibt, wird die Persien schon bessere Zeiten gese- jüdische Minderheit im Lande weithin toleriert hen. Rückblickend erscheint die Ära der Pahlevis von 1925 bis 1979, in VON THOMAS KLATT der zuletzt hunderttausend Juden in weitgehend gesellschaftlicher Gleich- laubt man der Bibel, so haben abrahamitischen Religionen gege- berechtigung lebten, als das „golde- Juden den Persern viel zu ver- ben“, sagt der Berliner Islamwissen- ne Zeitalter“ im Iran. Viele iranische Gdanken. Für den Propheten schaftler Peter Heine. Juden stiegen zur gebildeten Mittel- Jesaja war Kyrus, der König von Per- Die Frauenrechtlerin Hamideh schicht auf und lebten materiell in sien, der von Gott „Gesalbte“, der Is- Mohagheghi hat in Deutschland das größerem Wohlstand als die Bevölke- rael aus der babylonischen Gefan- islamische Beratungsnetzwerk HUDA rungsmehrheit. Mit der Islamischen genschaft befreien und sie nach Hau- mitgegründet. Bis heute hält die in Revolution setzte ein jüdischer Exo- se entlassen sollte, damit sie in ihrer Deutschland lebende Iranerin engen dus vor allem junger, gut qualifizier- alten Heimat den Jerusalemer Tem- Kontakt zu ihrer alten Heimat. Den ter Gemeindeglieder ein. In vielen pel wieder aufbauen konnten. Vor Streit Teherans mit der westlichen iranischen Orten bestehen die jüdi- gut zweieinhalb Jahrtausenden, ge- Welt und mit Israel müsse man ein- schen Gemeinden heute nur noch nau 539 v.Chr. mit der Eroberung zuordnen wissen, meint sie. „Im Iran aus alten Menschen. Rund 75 000, Babyloniens und ein Jahr später mit wird die Unterscheidung zwischen also drei Viertel aller iranischen Ju- dem so genannten Kyrus-Edikt, ging dem Staat Israel und den Juden ge- den gingen in den Westen, nach Tel die alttestamentliche Vorhersehung macht. Ich war im Januar noch im Aviv oder London. Die zurückge- in Erfüllung. Hätte es also ohne den Iran und habe auch eine Synagoge in bliebenen Juden stellten sich jedoch persischen Großkönig ein Israel im Teheran besucht. Von der Kritik an stets loyal zum Staat. Selbst Khomeini Heiligen Land, einen Zweiten Tem- Israel sind die Juden im Land über- erkannte dies an. pel, eine Klagemauer nie gegeben? haupt nicht betroffen. Es gibt auch Historisch belegbar ist jedenfalls, einen jüdischen Abgeordneten im Politische Kraftmeierei dass Juden seit dem Altertum in Per- Parlament, der hinter der Politik des Nach wie vor sind die Juden in sien, dem heutigen Iran, siedeln. Kö- Staates steht. Nach offizieller irani- der iranischen Verfassung als Dhim- nig Salomo soll auf einer Reise sogar scher Lesart ist der Staat Israel durch mis, also Schutzbefohlene, definiert. das heutige Isfahan gegründet haben. die Vertreibung eines anderen Vol- Im bescheidenen Umfang würde es Im zwölften Jahrhundert spricht eine kes und wegen der willkürlichen heute sogar wieder eine Rückwande- Quelle von fünfzehntausend Juden, Einteilung der Welt durch England rung in Richtung Iran geben, meint die dort wohnten. auf Unrecht gebaut. Nicht das jüdi- Hamideh Mohagheghi. Die aggressi- Mit dreißigtausend Juden lebt im sche Volk, sondern der Staat Israel ven Aussagen des neuen iranischen Iran heute die größte jüdische Ge- sollte in dieser Form vernichtet wer- Präsidenten Mahmud Ahmadined- meinde im mittleren Osten. Allein in den. schad müsse man vor allem im Kon- Teheran gibt es elf Synagogen, nebst Von Anti-Semitismus könne im text der inneriranischen Politik ver- jüdischen Schulen und sozialen Ein- Iran keine Rede sein, schätzt auch stehen. Dort ginge es um einen Gene- richtungen. Die iranischen Juden ge- Peter Heine ein. Treffender wäre der rationenwechsel. 60 % der Iraner nießen damit mehr Freiheit als etwa Begriff eines staatlich doktrinierten sind unter 21 Jahren. Sie wollen die Minderheit der sunnitischen Anti-Zionismus. Doch wie schon das nicht mehr auf die alte Riege der Muslime, die bis heute keine Mo- Schah-Regime ließ sich zumindest in Ayatollahs hören. Ahmadinedschads schee in Teheran errichten dürfen. der Vergangenheit auch die Islami- Polemik gegen Israel stärke sein An- „Die meisten Muslime im heutigen sche Republik Rüstung made in Isra- sehen bei der Jugend. Dass der Holo- Iran sind sich bewusst, dass der Is- el liefern. Zudem definiert sich der caust dabei so unverblümt geleugnet lam in der Tradition des Judentums Iran nicht als arabische Nation. Der werden kann, das erklärt die gebürti- und des Christentums steht. Juden Einsatz für die Palästinenser ent- ge Iranerin auch mit der mangelnden und Christen besaßen in der musli- springe eher politischer Rhetorik. Schulbildung im Land. „Das ist gut mischen Mehrheitsgesellschaft im „Die Iraner sind ausgesprochene Na- möglich, dass die meisten Iraner gewissen Maße eine privilegierte tionalisten, die ihre arabischen nichts von der Judenvernichtung wis- Stellung. Sie hatten eine völlige Nachbarn nicht besonders schätzen. sen, weil sie ja auch die deutsche Ritualfreiheit, zum Beispiel durften Die Iraner sind sehr stolz auf ihre und europäische Geschichte nicht sie Wein herstellen. Sie mussten kei- Kultur und ihre spezifische Form des kennen. Wo wird das unterrichtet? nen Wehrdienst leisten, dafür aber schiitischen Islams. Sie könnten sich Wenn ich so an meine Schulzeit den- eine Sondersteuer entrichten. Über durchaus vorstellen, die Ordnungs- ke, habe ich in Geschichte überhaupt die Jahrhunderte hat es im Nahen macht in der Region zu sein. Aber al- nichts von Deutschland gelernt“, er- Osten immer ein fruchtbares und to- len ist bewusst, dass der Iran militä- innert sich Hamideh Mohagheghi. lerantes Zusammenleben der drei risch nicht ernsthaft gegen Israel vor- (aus: DT vom 30.03.2006)

AUFTRAG 263 47 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

RUSSLAND: Glauben die Russen an Gott? über 50 % liegt – es gibt noch höhe- VON PAUL ROTH re Werte. Der russische Soziologe S. Furmann ist zu der Überzeugung ge- ereits die Überschrift deutet an, dass wir uns auf einem schwierigen kommen, dass die überwiegende Gelände befinden. Die Zahlen, die wir aus der einstigen Sowjetunion Mehrheit der Russen weder Atheis- Bund dem heutigen Russland erhalten, sind unzuverlässig. Das hängt ten noch Gläubige seien. davon ab, wer uns diese Zahlen übermittelt. Wir beschränken uns in die- Für die Jahre 2003/04 kann man sem Artikel auf die Bewohner der Russischen Föderation. Als die Sowjet- von folgenden Zahlen ausgehen: union zerfiel, die einstigen Sowjetrepubliken sich selbstständig machten, Moskauer Patriarchat 132 Eparchien blieb als größter Rest noch die Russische Föderation mit der Hauptstadt (etwa Diözesen) in Russland, für Moskau. Sie hat etwa 145 Millionen Einwohner, von denen rund 80 Pro- 10.767 Gemeinden, 5 geistliche zent Russen sind. Akademien, 354 Klöster. Von katho- lischer Seite wird die Zahl der Gläu- Mehr als 70 Jahre waren alle Re- doch in Russland Gemeinden der or- bigen auf 500.000 geschätzt. ligionsgemeinschaften in der Sowjet- thodoxen Auslandskirche entstan- union brutal vom Staat und der kom- den, die sich in den zwanziger Jahren Die „Symphonie“ munistischen Partei verfolgt worden. vom Patriarchat losgesagt hatten. Unter „Symphonie“ verstand (Schließung von Kirchen, Verhaftung Insgesamt wird angenommen, dass es man zur Zarenzeit die enge Zusam- von Priestern und Gläubigen, Be- 40 bis 60 Religionsgemeinschaften menarbeit von Patriarchat und Zar. schlagnahme kirchlichen Eigentums usw.) Nach menschlichem Ermessen Zeichnung für das Kapitel gab es Ende der 80er Jahre keinen „Wie und warum sterben die Götter“ wesentlichen Einfluss einer Religi- aus einem atheistischen Buch, onsgemeinschaft. Man muss eine Moskau 1959 Einschränkung machen: als die Machthaber auch auf die Unterstüt- Der Begriff ist in den letzten Jah- zung der Gläubigen im Krieg ange- ren wieder aufgetaucht. Gorbatschow wiesen waren, durfte z.B. die ortho- hat erkannt, dass die Machthaber auf doxe Kirche wieder ihr Moskauer die Mithilfe der Gläubigen angewie- Patriarchat mit einem kirchlichen sen sind. Gorbatschow ist offensicht- Oberhaupt besetzen, wenige Priester lich nicht religiös. Sein Nachfolger ausbilden. Als eine Art „Gegengabe“ war auf Fotos mit einer Kerze in der unterstützte das Patriarchat die Re- Hand in einer Kirche zu sehen. Putin gierung finanziell und moralisch. verschiedener Richtungen in der hingegen benimmt sich wie ein ge- Doch nach dem Tod Stalins Russischen Förderation gibt. taufter Christ. Nachdem der „religiö- (1953) verstärkte Chruschtschow Bevor die Religionsgesetze der se Boom“ Anfang der 90er Jahre ab- wieder die Atheismuspropaganda Sowjetunion (1990) und der Russi- flaute, haben sich Patriarchat und und so blieb es bis zur Wahl (1985) schen Föderation im Rahmen der von Regierung einander immer stärker Gorbatschows zum ZK-Generalsek- Gorbatschow verkündeten „Perestro- angenähert. Es ist ziemlich sicher, retär. Natürlich hinterließ die Gott- ika“ 1991) in Kraft traten, die nun dass der Patriarch und Putin über losenpropaganda ihre Schleifspuren. endlich die Gläubigen mit den Un- wichtige Fragen beraten. Man sieht Sie begleitete die Jugendlichen von gläubigen gleichstellten, ließen sich sie häufig auf Pressefotos nebenein- der Schule bis in die Militärzeit. Die viele Russen orthodox taufen. Für ander. Militärzeit wurde ab und zu als 1991 wurde angegeben, dass von den Als 1997 ein neues Religions- „Schule des Atheismus“ bezeichnet. Bewohnen Russlands 60 Millionen gesetz verkündet wurde, blieb nach russisch-orthodoxe Christen seien. wie vor die durch Verfassung garan- Religionsgemeinschaften Andere Zählungen hielten 50 % der tierte Trennung von Kirche und Staat Wenn von der orthoxen Kirche in Bewohner für Gläubige verschiede- erhalten. Jedoch wurde der orthodo- Russland die Rede ist, wird darunter ner Konfessionen. Nicht vergessen xen Kirche eine Sonderrolle einge- durchweg das Moskauer Patriarchat werden sollen die Muslime; da wer- räumt. Kritiker unterstellen dem Pa- und seine Anhänger gemeint. Sie ist den Zahlen zwischen 10 und 40 Mil- triarchat, es wolle wieder zur „Sym- die größte Religionsgemeinschaft lionen genannt. Für die Orthodoxen phonie“ der Zarenzeit zurück. Russlands. Vergessen werden durch- und die Muslime trifft jedoch zu, Die staatliche Atheismuspropa- weg die „Altgläubigen“, die sich vor dass viele von ihnen keinerlei Glau- ganda ist verschwunden. Die politi- Jahrhunderten vom Patriarchat ge- bensbekenntnis kennen, sondern schen Parteien haben ebenfalls diese trennt haben. Auch muss man auf die ihre ethnische Zugehörigkeit mit der Propaganda eingestellt. Das Patriar- orthodoxen Gläubigen der „Katakom- Zugehörigkeit zu einer Konfession chat hat die Auseinandersetzung um benkiche“ hinweisen. Die große Zahl gleichsetzen. Soziologen haben dies eine „russische nationale Idee“ kleinerer Sekten kann hier nur er- festgestellt; einige meinen, dass die teilweise von orthodoxer Seite ge- wähnt werden. Inzwischen sind je- Anzahl der Nichtgläubigen weiter nutzt, um die Orthodoxie anzubieten.

48 AUFTRAG 263 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Selbst von Seiten der Kommunisten gesprochen und in St. Petersburg sind lobende Worte über die Rolle feierlich beigesetzt. Auf der ande- der orthodoxen Kirche geäußert wor- ren Seite wird auch wieder gefor- den. Das Patriarchat verfügt über dert, die Mumie Lenins aus dem zahlreiche Zeitungen und Zeitschrif- Mausoleum zu entfernen. Die von ten. Das 1991 gegründete Radio Stalin gesprengte Erlöserkirche im Diese Zeichnung „Radonesch“ ist bis in die Ukraine damaligen Leningrad ist inzwi- von S. Michejew hinein zu hören. Der Versuch, eine schen – auch mit öffentlichen Gel- brachte die atheis- Journalistenvereinigung unter dem dern – wieder errichtet worden. In tische Zeitschrift Dach des Patriarchates zu schaffen, vielen Orten und Dörfern, sogar auf „Nauka i religija“ ist nicht geglückt. Kasernengelände werden Kirchen (Nr.10/1987) und Kapellen gebaut. Das einstige Orthodoxer Religionsunterricht atheistische Leitorgan „Wissen- Für die orthodoxe Kirche ist der schaft und Religion“ ist um Objek- Weg frei, sich an Bildung und Aus- tivität bemüht und heißt jetzt „Reli- bildung zu beteiligen. Da sind einmal gion und Gesetz“. Es gibt eine Ver- die Ausbildungsstätten für Geistli- einigung der Atheisten. che, dann Schulen in orthodoxer schlag, die Stellen, die vorher den Hand – es soll rund 100 orthodoxe Politoffiziere im Priesterrock Politoffizieren vorbehalten waren, Gymnasien geben. Das Hauptaugen- Auf dieses Thema ist bereits im Militärgeistlichen zu übergeben. merk richtet sich jedoch auf die AUFTRAG Nr. 259/August 2005, S. 1996 wurde in den Streitkräften fest- staatlichen Schulen. Zu Beginn des 47 f. hingewiesen worden. Natürlich gestellt, wie viel Soldaten gläubig Jahres 2002 wurde mit Empfehlung gab es zur Zarenzeit Militärgeistliche seien. 1996 sollen sich 37 %, 1997 des Koordinationsrates des Bildungs- und im 2. Weltkrieg durften die pol- 32 % als Gläubige bekannt haben. ministeriums und des Moskauer Pa- nischen Einheiten die auf sowjeti- Von anderen Religionsgemein- triarchates das Lehrbuch „Grundla- scher Seite kämpften, Militärgeistli- schaften wurde kritisiert, dass hier gen der orthodoxen Kultur“ von A. che haben. Die orthodoxe Kirche äu- offensichtlich nur an die orthodoxe Borodina veröffentlicht und teilweise ßerte sich 1958 „Auch nach der Ok- Kirche gedacht worden war. verwendet. Kritiker sehen darin ei- toberrevolution konnte die Kirche Der Chefredakteur der Zeit- nen orthodoxen Katechismus und ihre Einstellung zum Heimatland schrift „Religion und Recht“, Ana- verlangen eine Berücksichtigung der nicht ändern.“ An irgendeine Mili- tolij Pschelinzew (ein „bekannter Ju- anderen Religionen. Das Bildungs- tärseelsorge wurde erst wieder nach rist“, wie es in die „Unabhängige ministerium will angeblich das Buch dem Ende der Sowjetzeit gedacht. Zeitung“ vom 05.07.2006 heißt) äu- von Borodina durch die „Geschichte Inzwischen hatte „Glasnost“ es ßerte in einem Interview, dass die der Weltreligionen“ ersetzen. möglich gemacht, über Missstände in Verfassung geändert werden müsse, Im Jahre 2004 veröffentlichte N. den Streitkräften zu berichten: wenn man beabsichtige Militärgeist- Mitrochin in Moskau das Buch „Die Selbstmorde wegen Rekrutenmiss- liche einzuführen. Bei einem Besuch russisch orthodoxe Kirche: Gegen- handlungen, Diebstähle untereinan- in den USA habe er festgestellt, dass wärtiger Zustand und aktuelle Proble- der usw. (s.a. die folgenden Beiträge: Militärgeistliche für die verschiede- me“ (daraus wurden auch zahlreiche „Wiederentdeckung der Militärseelsor- nen Konfessionen zur Verfügung Angaben für diesen Beitrag entnom- ge“ und „Die Prostitution in der rus- stünden. So seien z.B. acht orthodoxe men). Mitrochin kommt am Ende sei- sischen Armee ist beängstigend“). Soldaten von einem eigenen Militär- nes umfangreichen Buches (S. 580) Als das Millennium der Taufe geistlichen betreut worden. zu dem Urteil: „Angesichts der anti- der Kiewer Rus’ (1988) heranrückte, Pschelinzew sagt in dem Inter- demokratischen Politik kann die rus- wurde die Atheismuspropaganda in view u.a: „Die Mehrheit der russi- sisch- orthodoxe Kirche zu einem den Streitkräften verstärkt. Nun schen Soldaten sind überhaupt Un- wichtigen Bestandteil einer konserva- rückte in den Vordergrund die Über- gläubige. Darum muss man auch de- tiven staatlichen Ideologie werden.“ legung, dass die moralischen Grund- ren Meinung berücksichtigen und Die Auseinandersetzung zwi- sätze der Religion die Armee von ih- nicht nur die des gläubigen Teils der schen Gläubigen und Nichtgläubigen ren Missständen befreien könnten. Bevölkerung …“ ❏ hat ihre polemische Note verloren. Seit Beginn der 90er Jahre kam es zu Auf der einen Seite gibt es Stimmen, immer neuen Begegnungen zwischen die das Absterben des Atheismus vo- den Streitkräften und dem Moskauer raussagen. Auf der anderen Seite Patriarchat. Im Jahre 2000 gab es in wird auf wissenschaftliche Erkennt- Garnisonen und militärischen Lehr- nisse und rechtliche Probleme ver- anstalten 117 orthodoxe Gebets- wiesen: Welcher naturwissenschaft- stätten. 1994 gab es sogar einen Vor- lich Gebildete könne heute noch an Gott glauben!? Teilweise weicht man Allegorische Darstellung des ohne auf Kult und Ritus aus. Die orthodo- transzendente Werte erzogenen xe Kirche hat die von den Bolsche- Sowjetmenschen. Zeichnung von wiki ermordete Zarenfamilie heilig- N. Beewzew aus „Krokodil“ (15/1990)

AUFTRAG 263 49 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

Wiederentdeckung der Militärseelsorge Mit vielen einer Militärseelsorge usslands Streitkräfte befinden sich vor allem auch moralisch in einem obliegenden Aufgaben sind laut mehr als desolaten Zustand. Menschenunwürdige Zustände und Zwi- Wassiljew derzeit weithin Offiziere chenfälle in der Armee bereiten der Regierung um Präsident Wladi- betraut, „für die man sonst keine R Verwendung findet“. Bereits seit ei- mir Putin zunehmend Kopfzerbrechen. Abhilfe verspricht sich der Kreml nicht nur von einer tiefgreifenden Militärreform. Dem moralischen Verfall nigen Jahren wirken rund 2.000 or- der Divisionen soll künftig auch eine 5.000 Mann starke „Division der Mi- thodoxe Priester in der Armee. Künf- litärgeistlichen“ aus allen „traditionellen“ Konfessionen im Land entge- tig sollen sie einen „bescheidenen gentreten. Sold“ erhalten, aber weder einen mi- litärischen Rang bekleiden noch Tagesbefehl für eine neue derten Parlamentarier aller Fraktio- Waffen tragen. Auch sollen sie nicht Militärseelsorge in Russland nen Sofortmaßnahmen gegen die in Krisen- und Kampfsituationen Russland entdeckt neu die Be- „Dedowschtschina“. Verteidigungs- zum Einsatz kommen. Ob diese Seel- deutung der in der Sowjetunion aus minister Sergej Iwanow musste einen sorger etwas gegen die „Dedowsch- ideologischen Gründen abgeschaff- Rechenschaftsbericht vorlegen. Als tschina“ ausrichten können, will ten Militärseelsorge. Nachdem es un- erste Maßnahme hat Präsident Wassiljew nicht garantieren. Zudem ter den letzten Zaren Militärgeistli- Wladimir Putin einen Ukas zur Ver- sollen sie gegen die hohe Selbst- che gab, die dann von den Bolsche- kürzung des Wehrdienstes von 24 mordrate in der Armee angehen. Ein wiken nach der Revolution von 1917 auf 12 und des Ersatzdienstes von 42 Abbau der schlechten Lebensbedin- durch Politkommissare ersetzt wor- auf 21 Monate ab 2008 unterzeich- gungen im Militär wäre dazu das bes- den waren, arbeitet Moskau gegen- net. Des Weiteren ist die Einrichtung te Mittel. Auch der fehlende Glaube wärtig angesichts der Missstände in einer Seelsorge in den Streitkräften an Gott so der oberste Militärseelsor- den Streitkräften an einer Militär- geplant. In der Zeitschrift „Argu- ger, spiele wohl eine Rolle. reform. In diesem Kontext wird auch menty i Fakty“ erläuterte der ortho- Erste Erfolge kann Wassilijew die Schaffung einer „Division der doxe Priester Michail Wassiljew, als bereits vorweisen: Immer mehr Sol- Militärgeistlichen“ vorbereitet. Leiter der geplanten „Division der daten wünschten vor Kriseneinsätzen Zu dieser „Division“ sollen Militärgeistlichen“ unterstehe er die Taufe. Gefährlich kann es aber 5.000 Geistliche aus allen „traditio- dem Moskauer Patriarchat. Für seine auch für die Feldgeistlichen selbst nellen Konfessionen“ in Russland Aufgabe absolvierte er Kurse an der werden: In Tschetschenien wurden „eingezogen“ werden. Die katholi- Akademie des Generalstabs und 32 bereits vier orthodoxe Priester getö- sche Kirche gehört nicht zu den aner- Kriseneinsätze. tet. (KNA) kannten Denominationen. Ihre Pries- ter dürfen daher nicht neben ortho- doxen Geistlichen, Imamen, Rabbi- Die Prostitution in der russischen Armee ist beängstigend nern oder Lamas in den Streitkräften tätig werden. VON JOACHIM GEORG GÖRLICH Mit Hochdruck treibt Moskau die Militärreform voran, seit das o lautet die Überschrift in der aus mir eine Prostituierte gemacht“ „Komitee der Soldatenmütter“ den Warschauer Wochenzeitung usw. Fall von Andrej Sytschow (18) publik „Angora“,S die sich in wichtigen Ab- Bereits 1997 erschoss sich ein gemacht hat, der das ganze Land er- drucken aus nationalen und interna- verzweifelter Rekrut während seines schüttert. Dem Rekruten mussten tionalen Medien spezialisiert hat. Wachdienstes. Seit dem sind in der nach Misshandlungen durch Mit- Und in diesem Sinnen druckte sie Armee solche derart motivierte soldaten beide Beine und die Genita- auch ungekürzt einen Beitrag von Suizidvorfälle, primär bei Rekruten, lien amputiert werden. Die Tat wird Dmitrij Timorenko aus der russi- an der Tagesordnung. „Manche be- der „Dedowschtschina“ (Herrschaft schen Zeitung „Zobiesednik“ ab. treiben (Homo-)Sex nur wegen einer der Großväter), wie die älteren Timorenko beruft sich auf eine Ex- zusätzlichen Ration Suppe“, heißt es Wehrpflichtigen genannt werden, an- pertise der Internationalen UN-Kom- an anderer Stelle des Beitrags von gelastet. Diese „pflegen“ eine „Tra- mission für sexuelle Ausbeutung, wo- Timorenko. dition“ aus Sowjetzeiten: Während nach Russland führend beim „Hin- Die russische Zeitung teilt die des 24-monatigen Militärdienstes einziehen seiner Soldaten in Prosti- soldatischen Prostituierten zuerst in drangsalieren die Rekruten des zwei- tution und Pornogeschäft“ ist. zwei Kategorien ein: Die Gezwunge- ten Ausbildungsjahres die Neuein- Vor allen Dingen junge Rekruten nen und die es (öfters auf Druck) gezogenen. Diese vergelten später würden zum homosexuellen Sex von mehr oder minder freiwillig tun. Gleiches mit Gleichem an den Nach- einer organisierten Kaste von Vorge- Insgesamt aber gibt es unter den rückenden. setzten gezwungen, heißt es. Es gebe Prostituierten in Uniform drei Klas- „Offiziers-Zuhälter“, die sich damit sen: Die „Bordsteine“, die es zum ge- Orthodox geleitete Seelsorge einen zweiten üppigen Sold verdien- ringsten Lohn tun; danach kommen Der Vorfall hat das ohnehin an- ten. Davon zeugten hilfeschreiende die „Bürgersteigler“, und zuletzt die geschlagene Ansehen der Streitkräfte Briefe von Jungsoldaten an ihre Müt- weiter beschädigt. In der Duma for- ter: „Mama, beim Militär haben sie Fortsetzung auf Seite 51 u.

50 AUFTRAG 263 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

NACHBAR POLEN: Neue polnische Familie Zukunftsforscher: VON JOACHIM GEORG GÖRLICH Wohlstand wird uch in Polen ändert sich das den technischen, denn vor 30 Jahren. Familienbild. Heute nämlich Hinzu kommt, dass laut Umfra- neu definiert Averdient schon jede verheira- gen 52 Prozent der Jugend nicht tete Polin mehr, als ihr Mann. Und mehr die Arbeit als oberstes Ziel be- ie steigende Zahl der Er- jeder 20. Ehemann ist quasi Haus- trachtet, sondern Freizeit und Fami- werbslosen wird nach Ein- mann und hat die Kindeserziehung lienleben. Und: Der Kinderwunsch Dschätzung des Zukunfts- übernommen. Das wundert nicht, ist bei Männern größer entwickelt, forschers Horst W. Opaschowski wenn ganze Scharen von Frauen im als bei Frauen. Es gibt immer mehr zu einem gesellschaftlichen Wan- westlichen Ausland wie Deutsch- Ehen, wo eine Akademikerin, sogar del und zu einer Neudefinition land, Holland, Belgien und sogar eine gutaussehende, einen Arbeiter von Wohlstand führen. Insbe- Großbritannien jobben, sei es als oder Handwerker heiratet. Was aber sondere sei ein Absinken des Le- „Putzen“ oder auf den Feldern, und keineswegs heißt, dass diese Ehen bensstandards auf breiter Ebene nur mal alle paar Wochen oder gar nach der Flitterzeit glücklich sind. zu erwarten, sagte der Wissen- Monate nach Hause kommen kön- Doch einige Dinge sind geblie- schaftliche Leiter des Hambur- nen. Freilich befasst sich auch der ben: Für jede Polin gilt weiterhin das ger BAT-Freizeitforschungsinsti- Mann mit dem eigenen Häuslebauen, Ziel, bis zum 25. Lebensjahr „unter tuts am 18. Juli in einem Inter- was als Statussymbol gilt. die Haube zu kommen“. Und: view der Katholischen Nachrich- Das ist schon die zweite Genera- Zumindest ein Kind gehört zum „gu- ten-Agentur (KNA) in Hamburg. tion – so die „Polityka“ – wo die ten Ton“. Auch für die Managerin, Dies führe aber nicht zwangsläu- Frauen besser ausgebildet, denn die die Offizierin, Professorin usw. fig dazu, dass die Menschen un- Männer sind. Aber sie konstatiert Natürlich muss auch die katholi- glücklicher würden. Wohlstand weiter: Viele der Frauen, die im Aus- sche Kirche diesen Wandel berück- werde zunehmend über das Ma- land schuften, würden gern „Nur“- sichtigen. Schon vor Jahren machte terielle hinausgehend definiert Hausfrau sein, wenn es die ökonomi- der Oppelner Erzbischof Prof. Dr. und „zu einer Frage des persönli- schen Verhältnisse zuließen. Alfons Nossol darauf aufmerksam. chen Wohlbefindens“, glaubt der Die Illustrierte hebt hervor, dass Ebenso auf die Tatsache, dass die Wissenschaftler. Sozialpsycholo- diese Neuentwicklung für die Män- Gastarbeitertätigkeit im westlichen gische Untersuchungen hätten ner und deren bisherigen Rolle ein Ausland die Familien zerschlage. ergeben, dass sich Menschen Problem sei, voran ein psychologi- Denn: Auch viele Frauen, die dort „im Mittelbereich zwischen Not sches, aber ebenso ein berufliches. arbeiten, trennen sich von ihren Part- und Überfluss“ am wohlsten Die Tendenz, dass sie immer mehr nern und Familien. Eine der Hilfs- fühlten. vom Einkommen der Partnerin wer- maßnahmen ist, dass die Zahl der Nach Meinung von Opa- den leben müssen, nimmt zu. In den Auslandsseelsorger für polnische schowski werden sich die Men- bisherigen Frauenberufen, wie u.a. Katholiken aufgestockt wurde. schen in Zukunft nicht mehr al- Lehrerin und Krankenschwester, so- Nach wie vor gilt in Polen aber lein über bezahlte Tätigkeiten, wie in den humanistischen Studien- die traditionelle Faustregel: Der sondern auch über Tätigkeiten fächern gibt es keinen großen Zu- Mann ist der Kopf der Familie, die für Familie und Gemeinwesen, wachs. Hingegen gibt es dreimal Frau jedoch der Hals – und der lenkt soziales Engagement und freiwil- mehr Frauen in den Wirtschafts- bekanntlicherweise dezent den Kopf lige Mitarbeit in Organisationen studienfächern und viermal mehr in ... ❏ und Verbänden definieren. Das Grundsatzurteil des Bundesver- fassungsgerichts „Kindererzieh- Fortsetzung von Seite 50 ung und Erwerbstätigkeit sind gleichwertig“ ziele genau in die- „Aristokratie“, die männlichen No- ser ist es im Volk mit dieser Ansicht se Richtung. In der „multiakti- belhuren, die in gut situierten Kreisen bestellt. ven Leistungsgesellschaft des herumschwirren und bestens bezahlt Die letzten Homosexuellen-De- 21. Jhs.“ würden bezahlte und werden. Inzwischen ist ein Krieg zwi- monstration in Moskau, an der auch unbezahlte Arbeiten langfristig schen zivilen und militärischen der deutsche „Grüne“ Volker Beck gesehen den gleichen Wert be- Strichjungen ausgebrochen. teilnahm, ist ein Spiegelbild dessen. kommen, so der Zukunftsfor- Dass das Ganze Militär- und Besonders aggressiv zeigte sich hier scher. Schon heute habe Wohl- Staatsführung immer mehr beunru- der Großteil der jugendlichen, natio- stand bei vielen Deutschen mehr higt, liegt auf der Hand, zumal man nalistischen und christlichen Gegen- mit sozialer Lebensqualität wie es nicht im Griff hat. Jetzt nehmen demonstranten. Und die Zustände in beispielsweise intakter Familie, sich dieser Thematik die „Soldaten- den russischen Garnisonen sind guten Freunden und netten Mütter“ und die russisch-orthodoxe keineswegs dazu angetan, diese Anti- Nachbarn als mit Geld und mate- Kirche an. Für diese gilt Homosexua- Meinung der Mehrzahl der Russen zu riellen Gütern zu tun. (KNA) lität als besonders abartig. Nicht bes- ändern. ❏

AUFTRAG 263 51 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Herausforderung Bildungspolitik

VON JOHANNES MICHAEL SCHNARRER Grundlagen pekte und Reichweiten eines als Ein- as Wort Bildung entstammt INHALT heit zu verstehenden Prozesses: Bil- dem Wortstamm und der Be- • Grundlagen dung betont das Wissen, Können und Ddeutung von bilden (formen), • Christlicher Kulturauftrag Urteilen, Erziehung das Wollen und das transitiv im Sinne von „jemanden und Menschenbild Handeln; Bildung ist im Idealfall ein bilden“ und intransitiv im Sinne von lebenslanger Prozess, Erziehung hat „sich bilden“ verwendet wird. Bil- • Neue Kultur ihre Grenzen üblicherweise am dung wird als Geisteshaltung und als • Die Notwendigkeit eines Erwachsenenalter. Der Mensch ist geistige Fähigkeit verstanden; als Ethikunterrichts ein weltoffenes Wesen, befähigt und Streben, mehr wissen und erkennen • Die Wertefrage genötigt, sich die Welt selbst zu er- und die Welt verstehen wollen, mit • Zugänge zu den Urteilen schließen, sich in ihr zu orientieren, dem Ziel, unter den Bedingungen der des Gewissens sie zu gestalten und sein Leben Zeit sich selbst und den Werten ge- durch Handeln selbst zu führen. Sein genüber, die unser Leben bestim- • Zum Verhältnis der Selbst-, Welt- und Sozialbezug ist men, Verantwortung zu tragen; als Generationen nicht einfach durch die Natur vorge- Fähigkeit, Wissen sinnhaft zu ordnen • Mögliche Elemente eines geben und unmittelbar, sein Handeln und zu verwenden. Bei Bildung han- geistigen Generationen- nicht durch vorgegebene Regeln fest- delt es sich um einen Entfaltungs- vertrags gelegt. Daher entwickeln sich seine prozess, der ohne Einwirkung von • Anmerkungen Anlagen und Fähigkeiten nicht von außen undenkbar ist. Allerdings hat selbst, sie bedürfen der gelenkten die Erkenntnis Platz gegriffen, dass Entfaltung und Entwicklung. Das un- zwar Einwirkung von außen, so die Vorganges handelt, der noch nicht abhängig von gesellschaftlichen Vermittlung von Wissen, Kenntnis- abgeschlossen ist. „Genügend gebil- Rahmenbedingungen unumgängliche sen und Fähigkeiten und das Aufzei- det“, „vollkommen gebildet“ wider- Mittel dazu ist die planmäßige und gen von Werten, erfolgen können und spricht der Idee der Bildung von der organisierte Bildung und Erziehung auch müssen, dass aber das, was Bil- ständigen Vervollkommnung, als des Menschen durch den Menschen dung ausmacht, die innere Formung Streben und Ziel des einzelnen. Bil- mit den immer auf einander bezoge- und die Wertbezogenheit, nicht ver- dung ist insofern immerwährende nen Zielen der: mittelbar sind. Bildung ist vielmehr Selbstbildung, unabhängig von den – Kultivierung, d.h. die Vermitt- immer Selbstbildung, sie verlangt äußeren Gegebenheiten. Der stati- lung von Kenntnissen und Fertig- Bereitschaft zur Verantwortung und sche Begriff „Bildung“ in Zusam- keiten, die im Einzelnen bis auf ein Streben nach Entfaltung und ist mensetzungen, wie z.B. akademische die elementare Sprachkompetenz ohne eigene Erfahrung nicht denk- Bildung oder berufliche Bildung, nur in Grenzen überzeitlich be- bar. Sie bezeichnet keineswegs – wie weist auf eine Ausbildungsphase hin, stimmbar sind. Die heute belieb- oft verkürzt dargestellt – die Zugehö- die fast immer mit irgendwelchen te nur formale Bestimmung, man rigkeit zu den „Gebildeten“, zu den Qualifikationen im Sinne von Berech- müsse nur das „Lernen des Menschen, die höhere Schul- und tigungen verknüpft ist. Erwachse- Lernens“ lernen, übersieht akademische Bildung erfahren ha- nen-Bildung, Politische Bildung allerdings, dass man immer an- ben. Der transitive Gebrauch des usw. bezeichnen organisierte Aus- geleiteter grundbildender Pro- Wortes „bilden“ kommt daher heute bildungsangebote bzw. Ziele, die in zesse bedarf und die Inhalte kaum noch vor. Die früher damit be- der Regel freiwillig sind und aus de- eben nicht beliebig sind. Es be- zeichnete Bedeutung, d.h. der gesell- nen sich im Allgemeinen keine förm- darf daher gerade heute wieder schaftliche und schulische Erzie- lichen Qualifikation ergeben. eines grundbildenden Kanons, hungs- und Bildungsauftrag, wird der durch einheitliche und über- heute mit dem Begriff „Ausbildung“ Christlischer Kulturauftrag prüfbare Standards „Chancen- wiedergegeben. Bildung wird als per- (Menschenbild) gleichheit“ durch Wissen si- sönliche Aufgabe, als individuell zu rundlegende bildungspolitische chert; vollziehendes Phänomen gesehen. Goder pädagogische Entscheidun- – Zivilisierung, d.h. die Befähi- Bildung beschreibt immer einen gen lassen sich jenseits von Empirie gung zum geselligen und gesell- Prozess, der Begriff wird aber – und Pragmatik letztlich nur durch schaftlichen Umgang mit ande- entgegen seiner eigentlichen Bedeu- den Rückgriff auf das zugrunde- ren Menschen; tung – auch als Zustandsbeschrei- liegende Verständnis vom Menschen – Moralisierung, d.h. die Bildung bung verwendet. Bildung im Sinne begründen und beurteilen. der moralischen Persönlichkeit, eines Zustandes kann aber höchstens Der Mensch bedarf der Bildung die Ausbildung von Tugenden, dann gegeben sein, wenn es sich bei und Erziehung und ist zu diesen fä- wertorientierten Haltungen und dem vermeintlichen Zustand gleich- hig. Dabei beschreiben Bildung und Handlungsdispositionen und die sam um eine Momentaufnahme eines Erziehung nur unterschiedliche As- Gewissensbildung; es bedarf

52 AUFTRAG 263 BILDUNGSPOLITIK

wieder eines öffentlichen Be- muss verstehen, dass und warum er rer Tage vor vielfältige ethisch-mora- wusstseins von Grundwerten und in einer Gemeinschaft lebt, der ge- lische Herausforderungen und Kon- Tugenden für den Zusammenhalt genüber er verantwortlich ist, wel- fliktsituationen gestellt. Teilweise und die Identität unserer Gesell- ches die Quellen ihres Selbstver- sind dadurch Probleme entstanden, schaft; ständnisses sind, was sich in ihrer die sich mit den Antworten unserer – Selbstdisziplinierung, d.h. die Geschichte bewährt hat und welchen traditionellen sittlichen Überzeu- Gewöhnung der Heranwachsen- allgemeinen sittlichen Regeln und gung nur allgemein oder auch gar den an das Einhalten von Regeln Grundwerten sie verpflichtet ist. nicht beantworten lassen, denn die mit dem Ziel, ihr eigenes Verhal- Bildung und Erziehung aus dem ökonomische und technokratische ten kontrollieren und Regel- Verständnis der Volkspartei wider- Selbstinszinierung des Menschen hat verletzungen als solche empfin- spricht daher der heute weit verbrei- bereits viele ethische und moralische den zu können und korrigieren zu teten Reduktion des Menschen auf Grenzen gesprengt. Vor ökologischen wollen; seine Funktionalität und der Vorstel- Problemen bis zu Veränderungen un- Daher sind Bildung und Erzie- lung, nur das sei in der Bildung serer Lebenswelt durch Computer hung nie bloße Privatsache. Lebens- wichtig und wertvoll, was sich – im oder neue Möglichkeiten der Medizin kompetenz insgesamt umfasst glei- Sinne einer schlichten Zweck-Mittel- sind moralische Herausforderungen chermaßen Selbst- und Sozialkompe- Relation – rein ökonomisch verwer- entstanden, die in die Frage münden, tenz, sie äußert sich in Urteilskraft, ten lasse. Bildung ist mehr als Aus- ob wir alles dürfen, was wir können. Selbständigkeit, Verantwortungsbe- bildung. Bildung ist kulturelle Teil- Überdies sind wir in ein Zeitalter ei- reitschaft, Toleranz, Kultur- und habe, Bildung beinhaltet Urteils- ner Komplexität und Pluralität von Weltoffenheit, Herzensbildung und kraft, die Fähigkeit zum Selbstden- Wertvorstellungen eingetreten, die Mitmenschlichkeit. Im Menschen- ken, zur rationalen Argumentation einander durchaus widersprechen bild ist der große Unterschied und und zum eigenen Standpunkt. Bil- können. die Abgrenzung zu anderen Richtun- dung zielt auf das sittliche Subjekt, Die großen Religionen, bisher gen der Weltdeutung begründet, Gewissen, Tugenden, Charakter, weitgehend auch als moralische In- denn es macht einen entscheidenden Selbstachtung, Fähigkeit zur Distanz stanzen anerkannt, haben im Gefüge Unterschied, ob ich den Menschen und die Fähigkeit, sich selbst auf dieses Wertepluralismus und – als religiöses, aufgeklärtes, liberales, Lebenssinn hin zu entwerfen. Daher relativismus partiell ihre Verbind- innerweltliches Wesen sehe oder mit kommt dem kulturellen, allgemein- lichkeit eingebüßt und sehen sich anderen Grundansichten behaftet. bildenden, auf Vermittlung von zunehmend mit ethischen Antworten Grundwerten, Tugenden und Sinn- nicht religiöser Herkunft konfron- Neue Kultur konzepten angelegten Auftrag von tiert. Die vielen Abmeldungen vom ildungsauftrag ist auch Kultur- Bildung und Erziehung Vorrang vor Religionsunterricht in unseren Hö- Bauftrag. Und da ändert sich eini- reiner Berufsbefähigung, gar Berufs- heren Schulen sind Ausdruck sol- ges zz. im zwischenmenschlichen fertigkeit zu, der auch die berufli- cher Entwicklungen. Die Überlegun- Bereich. Das Bildungsmonopol der chen Schulen einbezieht. gen zur Installierung eines Ethik- älteren Generation wird aufgebro- Allgemein ist feststellbar, dass unterrichtes als Komplementierung chen und immer mehr zu einem sich sich das Bildungsverständnis im An- und/oder als Ersatz bzw. Alternative gegenseitig akzeptierenden, wenn schluss an die Erben Humboldts in für den Religionsunterricht entsprin- junge Menschen älteren den Umgang den vergangenen Jahrzehnten – auch gen dieser Situation stellen seit eini- mit dem Internet und den Computern durch die 1968er Generation – von gen Jahren einen permanenten Be- „beibringen“. Ziel eines im christ- einem eher autoritären zu einem kol- standteil der Diskussion dar. Seit demokratischen Menschenbild be- legialen, oft schon allzu kollegialen vielen Jahren im Stadium von Schul- gründeten Bildungs- und Erziehungs- Verständnis entwickelt hat. So versuchen wird der Ethikunterricht verständnisses ist nicht die Bildung scheint eine der wichtigsten Heraus- in den nächsten Jahren immer dring- „zur“, sondern „der“ Persönlichkeit forderungen für die Bildungspolitik licher notwendig, da viele Kinder im und ihrer Anlagen. Daher hat „Bil- der nächsten Jahre darin zu liegen, wertfreien Raum aufwachsen und dungs-Politik“ über das Instrument die Generation der „Wohlstands- Orientierung brauchen, die ihnen Schule und Hochschule größere und kinder“ neu zum Leistungsprinzip vorenthalten wird, wenn es nicht ge- kleinere Schnittmengen mit Sozial- und dessen eigentlichen Sinn zu mo- lingt andere Formen der Wertver- politik, Wirtschaftspolitik, Arbeits- tivieren. Ganz ohne Autorität wird es mittlung zu finden, da der Religions- marktpolitik, Familien- und Jugend- in der Vermittlung von Werten und unterricht ideologisch besetzt ist! politik, Kriminalpolitik. Aber sie Inhalten auch künftig nicht gehen. Im Jahre 2000 begann die Uni- darf sich nicht nur instrumentalisie- versität Wien mit der Ausbildung von ren lassen, sondern muss ihren Ei- Die Notwendigkeit eines Ethiklehrern. Aber solange dieser so genwert behaupten. Ethikunterrichts notwendige Unterricht im Bereich Das gilt insbesondere für die De- ass Ethik in der Gegenwart eine Ethik vom Bildungsministerium mokratie, die wie keine andere Dbesondere Hochkonjunktur auf- nicht allgemein anerkannt ist, blei- Staatsform aufgrund aktiver Partizi- weist ist unbestritten. Vor allem die ben auch solche Initiativen wir- pationsrechte am politischen Ent- Entwicklung in Wissenschaft und kungslos. Dieser Lehrgang ist auch scheidungsprozess des gebildeten Technik haben die demokratisch- nicht gegen die Religionspädagogik und aufgeklärten Bürgers bedarf. Er pluralistischen Gesellschaften unse- angelegt, sondern in Zusammenar-

AUFTRAG 263 53 GESELLSCHAFT NAH UND FERN beit mit ihr. Ein Etikettenschwindel rechtigkeit, der kritischen Sicht auf tern (gute Luft, sauberes Was- freilich im Sinne einer alleinigen Pa- die Dominanz der Wirtschaft und des ser), Ökologie/Technik, Gewalt tronanz der Religion für die Ausbil- Wohlstandes in unseren Gesellschaf- 7. Der Mensch als religiöses We- dung der Ethiklehrer sollte vermie- ten sind dabei ebenso zu beachten sen: Monotheistische Religio- den werden. Denn Ethik kann auch wie der Umgang mit unserem Leben nen, östliche Religionen, Natur- ohne religiöse Begründung auskom- und unserem unmittelbaren sozialen religionen, Religionskritik, Dia- men, wie etwa die wichtigsten ethi- Umfeld. Es kann nicht Ziel der Ethik log der Religionen im Sinne ei- schen Entwürfe der Tradition, die sein, moralische Tribunalisierung zu nes Weltethos. Ethik des Aristoteles und die Ethik betreiben oder dem Zug der Sach- Kants zeigen. Selbst Religionspäda- zwänge folgend moralische Prinzipi- Die Wertefrage gogen sprechen schon von der Pflicht en einfach zu relativieren. Dass jede er in der Postmoderne nach öffentlicher Schulen ein Ersatzfach Diskussion um Werte, die bekannt- Wden Werten fragt, sie anspricht einzurichten, wo die entsprechenden lich Unruhestifter sind, konfliktgela- oder gar einklagt, der setzt sich einer Bildungsziele auch für die am kon- den bleiben muss, ist selbstverständ- unendlichen Geschichte aus, weil fessionellen Religionsunterricht lich. Letztlich dient der Ethikunter- eine einheitliche Wert-Definition nicht teilnehmenden Schüler ihren richt nicht nur dazu, Menschen für immer schwerer zu vermitteln ist. Ort finden. einen bestimmten Beruf auszubilden, Und dort, wo diese Wert-Definition In einer pluralistischen und in- sondern eben den Blick zu weiten, Anerkennung findet, rückt die diese terkulturellen Gesellschaft müssen den fächerübergreifenden Diskurs akzeptierende Gruppe in Ideologie- auch andere Religionen in ihrer Be- einzuüben, was wiederum vor allem verdacht. deutung für die Wertvermittlung be- heißt, dass hier Bildung als im Be- Bis vor 20 Jahren wurden die achtet werden, soll es nicht zum ge- wusstsein der humanen Freiheit den Werte in der öffentlichen Diskussion sellschaftlichen Kampf der Kulturen Menschen zum verantwortungsbe- stets als typisch „konservativ“ ange- und Werte kommen. Besonderes Au- wussten und entscheidungsfähigen sehen. Doch dies hat sich in der letz- genmerk sollte auf die Probleme der Bürger zu erziehen verstanden wird. ten Generation wesentlich geändert, angewandten Ethik gelegt werden, Inhaltlich könnten folgende auch wenn der Wertbegriff alles an- wobei medizinische Ethik, Wirt- Schwerpunkte den Ethikunterricht dere als klarer geworden ist. In aller schaftsethik und ökologische Ethik ausmachen (diese Liste ist natürlich Munde ist z.B. der Terminus der besonders heftig und kontroversiell nicht vollständig, stellt aber einen „Werte-Gemeinschaft Europas“. diskutiert werden. Probleme der Vorschlag dar): Heute ist der Begriff der Werte-Ge- Lebensverlängerung, der Genthera- 1. Der Mensch als Individuum: meinschaft Europas als inhaltliche pie und Gentechnologie, der compu- Werte, Schule, Freizeit, Eigen- Substanz kaum eindeutig, geschwei- tergesteuerten Medizin sind nicht wesen, Gefühle, Kommunikation, ge denn definierbar.1 Und so kann nur wissenschaftlich-technische, Selbstmord, Freiheit, Verantwor- die Gemeinschaft Europa nur dann sondern auch tiefgreifende ethische tung, Sekten, Krankheit, Tod, ei- lebendig werden, wenn die Bürger Fragen. Darüber hinaus gilt es aber gene Psychohygiene durch die Werte in Liebe und Ach- auch Probleme der Orientierung in 2. Die Beziehung zum Du: Part- tung gegenüber den Mitmenschen unserer Lebenswelt zu behandeln. nerschaft, Familie, Sexualität, diese auch vollziehen. Werte und das Die Jugendkulturen, die Sexualität, Konfliktlösung, Männer- und Werten gehen also vom Menschen das Generationenverhältnis und die Frauenbilder, Genderprobleme aus, denn er wertet sich selbst, den Veränderungen durch eine multikul- 3. Die Familie: Generationen, Fa- anderen, er wertet die Strukturen und turelle Gesellschaft, müssen hier milienpolitik, Formen des Mit- die Gesellschaft. Ohne Be-Wertung ebenso ihre Platz finden, wie Fragen einander, Verständnis für Andere ist es gar nicht möglich, dass der der Menschenrechte, des Verhältnis- 4. Die Gesellschaft: Menschen- Mensch zu sich selbst findet, weil ge- ses von Ethik und Politik sowie rechte, Solidarität, Autoritäten, nau darin die Voraussetzung besteht, selbstverständlich Probleme der Be- Strukturen, politisches Handeln, sich selbst und die Gemeinschaft zu ziehung des Einzelnen zur Gemein- Engagement in Vereinen, Globa- betrachten, eben in Selbstverantwor- schaft. lisierung, Wesen der Bürger- tung zu handeln. Und erst dann ist Ein Ethikunterricht darf weder gesellschaft eine Abgrenzung im positiven Sinne an den Schulen noch an den Univer- 5. Der Mensch als Kulturwesen: zum Anderen und dessen Kultur er- sitäten zu einer theoretischen Umgang mit dem Fremden, Bil- möglicht. Pflichtübung erstarren. Da es dabei dung und Ausbildung, Krieg und Tagtäglich werten wir Menschen, um Fragen geht, die unser Leben, Frieden, Macht des Geldes, Ent- befinden das eine Bild als schöner unser Verhalten, das Umgehen mit wicklung von Fähigkeiten, Be- als das andere, be-werten durch ei- Werten und Haltungen ebenso be- rufsorientierung, Sinnvermitt- nen Kauf eines Gegenstandes etwas treffen, wie die Zukunft unser aller lung im Leben, Bewältigung von als besser, günstiger, schöner. und unserer Kinder, gilt es als Lehr- Leid Letztlich ist das Werten etwas, um ziel so etwas wie ethische Kompetenz 6. Der Mensch und seine Mitwelt: das wir wissen und das jeden einzel- zu entwickeln, die es uns erlaubt Tier- und Naturschutz, Ethik und nen betrifft. Dabei geht es nicht nur auch in schwierigen Entscheidungen technischer Fortschritt, Men- um die Ver-Wertung von Wissen, In- verantwortungsvoll und umsichtig zu schenschutz und Sicherheit, Um- formationen oder Technik, sondern handeln. Probleme der sozialen Ge- gang mit unveräußerlichen Gü- im Besonderen um die Vermittlung

54 AUFTRAG 263 BILDUNGSPOLITIK und Anerziehung von Werten. Hierin klar sein sollen. Dritte wiederum bi für sittliche Willkür, absolute Au- liegt eine ganz essentielle pädagogi- sind überzeugt, Werte wiesen keine tonomie, Leugnung sozialer und sitt- sche Aufgabe, der aber von der ge- persönliche Struktur auf, sondern licher Bindungen, partielle oder tota- genwärtigen Bildungspolitik viel zu seien nur als gesellschaftliche zu le Wertblindheit dar. Richtig ver- wenig Rechnung getragen wird. verstehen und hätten damit rein standen ist Gewissen aber die unent- Jeder Mensch stellt sich die Fra- systemischen Charakter, der mit An- behrliche Voraussetzung für sittli- ge, welche Kriterien ihn selbst lei- thropologie nichts zu tun habe. Diese ches Handeln in Freiheit und Ver- ten? Denn es gibt natürlich Wert- letztgenannte Theorie – besonders im antwortung und damit für menschen- Maßstäbe, denen ein Christ nicht Anschluss an den Systemtheoretiker würdige Selbstverwirklichung. Das ohne weiteres folgen kann, wie z.B. Niklas Luhmann formuliert – hat fa- Gewissen ist nicht eine besondere dem Konzept der Fun-Gesellschaft, tale Folgen, weil damit das Wert- Gnadengabe für den gläubigen Men- wo die Transzendenz im wesentli- Verstehen getrennt wird vom schen, sondern nach der Auffassung chen auf Immanenz, also Innerwelt- Humanum und zweitens einem Auto- einer ganzheitlichen Anthropologie lichkeit reduziert wird. Mit den Sit- matismus anheim gestellt wird, dem und des christlichen Menschen- ten und Gebräuchen ändern sich die Werte keinesfalls unterliegen verständnisses eine mit dem Person- auch die gesellschaftlichen Werte dürfen. Anders hingegen sieht dies sein des Menschen natürlich gegebe- und Kriterien. Und so ist selbst der im Vollzug aus, denn da kann es ne Anlage, die zum sittlichen Han- Staat den Wertungen des Einzelnen schon zu Wert-Verwirklichungs- deln, zum Urteil über gut und böse unterworfen. Andererseits ist es un- mechanismen kommen, die nicht in- befähigt. Somit ist das Gewissen bedingt notwendig, im ICH eine akzeptabel sein müssen, weil wir auch ein Konstitutivum vom Mensch- Identität zu stiften, denn mit dem Ge- nicht täglich neu über unsere Grund- sein. Naturalistische, evolutionisti- wissen gibt es in uns eine Stimme, einstellung entscheiden können, die sche und soziologistische Thesen, die unmittelbar an uns herantritt. intrinsisch mit Werten an sich und nach denen das Gewissen erst das Ernst-Wolfgang Böckenförde dem Werten verbunden sind. Hier Produkt einer späteren soziokulturel- umreißt das große Spannungsfeld wird deutlich, dass es sich um zwei len Entwicklung wäre, lassen sich zwischen Bürger und Staat folgen- Dinge handelt, wenn man Werte für nicht aufrechterhalten (z.B. H. Mar- dermaßen: „Der freiheitliche, säkula- sich als solche annimmt (und begrün- cuse, Der eindimensionale Mensch. risierte Staat lebt von Voraussetzun- det) und sie dann vollzieht. 95: „Das Über-ich impft dem Indivi- gen, die er nicht selbst garantieren Es ist durchaus nicht zu hoch ge- duum ein Gewissen ein). Darin aller- kann. Das ist das große Wagnis, das griffen, wenn man sagt, dass sich in dings ist den Theorien recht zu ge- er um der Freiheit willen eingegan- unserer Zeit am Wert-Verständnis ben, dass die angeborene Anlage wie gen ist. Als freiheitlicher Staat kann die Geister scheiden, sobald die Ar- jede andere auch erst im Lauf des er einerseits nur bestehen, wenn sich gumente in der Diskussion genauer Lebens ausgebildet werden muss, um die Freiheit, die er seinen Bürgern ge- unter die Lupe genommen werden. im bewussten sittlichen Agieren währt, von innen her, aus der morali- Das beginnt bereits dort, wo die (actus humanus) wirksam zu werden. schen Substanz der Einzelnen und der Wert-Definition nicht mehr eindeu- Das Gewissen muss auf Werter- Homogenität der Gesellschaft, regu- tig ist oder als solche allgemeine An- kenntnis und Wertvollzug hin durch liert. Andererseits kann er die inneren erkennung findet. Wort und Beispiel geprägt werden. Regulierungskräfte nicht von sich So wird das Urgewissen im Wert- aus, das heißt mit Mitteln des Rechts- Zugänge zu den Urteilen gewissen fort entwickelt. Erst unter zwanges und autoritativen Gebots, zu des Gewissens Voraussetzung eines gebildeten garantieren suchen, ohne seine Frei- ildungs-Kompetenz setzt die Fä- Wertgewissens tritt das Gewissen in heitlichkeit aufzugeben.“2 Diese Bhigkeit voraus, Wichtiges vom seiner eigentlichen Funktion, als Spannung, hier als Dilemma geschil- Unwichtigen zu trennen. Das wurde Situationsgewissen, in sein Recht dert, ist und bleibt auch auf dem bisher vor allem durch Autoritäten und erlangt seine den Menschen an- Hintergrund der Veränderungen und vorgelebt, damit es der junge Mensch rufende und damit verpflichtende der Sozialstaatsdebatte3 von großer imitierend, bewusst oder unbewusst, Kraft. Als Sitz des Gewissens nennen Relevanz, denn der Wohlfahrtsstaat aufnehmen konnte. Heute sind die wir heute nicht mehr einseitig den befindet sich gegenwärtig in tiefgrei- Vorbilder vielfach andere als früher. Verstand, sondern den Seelengrund fenden Veränderungen. Und so werden die nächsten Genera- bzw. die Personmitte. Anders gesagt, Meinen die einen, es handle sich tionen z.B. auch ihre Kompetenz er- und das ist für die Bildung von emi- bei den Werten um etwas, das den weisen müssen, aus der Fülle von nenter Bedeutung, in der Gewissens- Menschen einfach wichtig ist und Daten, Vernetzungen und Informatio- bildung und -betätigung schwingen lehnen damit den Wertbegriff als sol- nen auswählen zu lernen. Aber diese auch die triebhaften, emotionalen chen ab, nutzen ihn dann aber im Grundbefähigung lernt man heute und willensmäßigen Kräfte des Men- späteren Verlauf des Gesprächs oder wie früher durch die Bildung des Ge- schen mit, die kultiviert gehören! der Abhandlung, als ob sie ihre Prä- wissens. Die Funktion des Gewissens misse gar nicht genannt hätten. Hin- In der heutigen Gesellschaft stel- kommt nicht schon im bloßen sittli- gegen sind die Anderen überzeugt, len wir einen ambivalenten Ge- chen Urteil über das Verhalten ande- dass es bei den Werten nur um die brauch des Wortes Gewissen fest. rer Menschen zur Geltung, sondern geläufigen konservativen Verständ- Für die einen stellt die Berufung auf erst wenn der Mensch selbst sehr nistermini gehe, die eh schon allen ihr Gewissen tatsächlich nur das Ali- konkret vor eine sittliche Entschei-

AUFTRAG 263 55 GESELLSCHAFT NAH UND FERN dung gestellt ist. Dann macht das Ge- men bereitwillig Trends der anony- außen betrifft, ein ganz anderer ge- wissen als mahnendes oder warnen- men Gesellschaft. Ziel konservativer worden sein.“4 Von daher ist es nach des Gewissen auf die zur Entschei- Bildungspolitik sollte es also sein, wie vor angemessen zu sagen, von dung stehenden Werte aufmerksam, möglichst viele Menschen zu einer generationstypischen Problemlagen es räumt eindringlich und mit guten Reifung zu führen bzw. die Rahmen- und sozial zu differenzierenden Kate- Gründen mit allen Argumenten auf, bedingungen dazu zu schaffen, dass gorien zu sprechen. die hier und jetzt gegen einen Wert sie diese höchste Stufe der Gewis- Dass das Generationenverhältnis zu stehen scheinen, oder es hilft, in sensbildung erreichen (können). wieder stärker in den Mittelpunkt der einem Konflikt zwischen mehreren Diese Schritte zur Urteilsbildung allgemeinen Aufmerksamkeit (und Werten dem gerade jetzt geforderten des Gewissens zusammenfassend, der sozialwissenschaftlichen im be- den Vorzug zu geben (Güterabwä- lässt sich festhalten, dass hier die sonderen) rückt, das liegt auch an gung). Ist die Gewissensüberlegung, prinzipielle Irrtumsmöglichkeit – wie den äußeren Ursachen. Es gibt einen die sehr lange dauern und von star- auch im Feld der natürlichen Er- wachsenden gesellschaftlich-politi- ker emotionaler Bewegung begleitet kenntnis – nicht schon einen ver- schen Problemdruck, der zur nähe- sein kann, abgeschlossen, kommt es nünftigen Zweifel an der Richtigkeit ren Beschäftigung mit dem Thema zum Gewissensspruch und zu dessen aller oder einzelner Überzeugungen regelrecht zwingt. Ob es um die Ren- Vollzug. Das Gewissen überprüft begründet. Ein handfestes Zweifeln ten und Pensionen, die soziale Siche- schließlich den sittlichen Akt und an einer bestimmten Annahme stützt rung im Ganzen, um die medizini- äußert sich positiv als gutes oder ne- sich meistens auf Feststellungen, die sche Versorgung, die Kranken- und gativ als schlechtes Gewissen. Bei ei- gegen diese Annahme sprechen und Altenpflege, um die Zukunft der Fa- ner unsittlichen Entscheidung drängt setzt damit andere Überzeugungen milie oder um die Bildung und Erzie- es auf eine Revision bzw. Wiedergut- über objektive Tatsachen voraus. Ein hung geht, ist auf den ersten Blick machung hin. universeller Zweifel ist in diesem schon einsichtig, dass dabei stets Die Ausbildung und Entwick- Sinne unvernünftig. Dazu sagt auch über die Gegenwart und Zu- lung der Gewissensanlage zum infor- Ludwig Wittgenstein Folgendes: kunft des Generationenverhältnisses mierten Wertgewissen und verant- „Wer an allem zweifeln wollte, der sowie ihrer Beziehungen zueinander wortlichen Situationsgewissen voll- würde auch nicht bis zum Zweifel verhandelt wird. zieht sich nach den Erkenntnissen kommen. Das Spiel des Zweifelns Aber auch wenn es um Wirt- der Psychologie in mehreren Stufen selbst setzt schon Gewißheit voraus.“ schaft und Finanzen, um Arbeit, Ar- und zählt zu einer vorrangigen (L.v. Wittgenstein; Über Gewißheit. beitslosigkeit und Arbeitszeit geht, Bildungsaufgabe. Das frühkindliche Hrsg. von G.E.M. Anscombe/ G.H. v. steht wiederum das Verhältnis der Gewöhnungsgewissen leistet schon Wright; Oxford 1974; 115.) Generationen zur Debatte. Noch bald erste Triebverzichte als Antwort Für die Österreichische Volks- wichtiger als die aktuellen Anlässe, auf die Liebeszuwendung der Be- partei sollte es wichtig sein, die sog. auf die die Politik reagiert, sind die zugspersonen, in der Regel der Mut- Gewissensbildner wieder mehr zu tiefgreifenden strukturellen Verän- ter. Damit beginnt der Weg des Men- stärken, das sind aber nicht nur tra- derungen im Verhältnis der Genera- schen vom Naturwesen zum Kultur- ditionelle Institutionen wie Familie, tionen. Noch nie in der Geschichte wesen. In der wichtigen Stufe des au- Gemeinschaft, Vereine, Schule und haben so viele Generationen so lange toritären Gewissens identifiziert sich Universität (um nur einige zu nen- gleichzeitig in Gesellschaft und Fa- das Kind (ca. 2.-8.Lebensjahr) mit nen), sondern auch neue sind hier zu milie zusammengelebt. Diese Verän- dem Verhalten seiner Eltern, es berücksichtigen, wie die Medien, die derung wiederum hat Auswirkungen interiorisiert oder introjiziert es. Im oft sublim Werte und Gewissens- auf alle Lebensbereiche. Was sie für reifenden Gewissen stellt der junge urteile zur Nachahmung vermittelnd die Menschen und ihr Zusammenle- Mensch sein bisher von den Eltern anregen. Bevor man zur Urteils- ben bedeutet, das beginnen wir erst übernommenes Verhalten kritisch in bildung kommt, ist ein Erkenntnis- ganz allmählich wahrzunehmen, Frage. Er will jetzt nicht mehr das prozess notwendig, der viele Men- denn tiefgreifende Prozesse gesche- tun, was die anderen tun, sondern in schen in der Nachmoderne zu über- hen oft sublim. seinem Handeln die eigene Individu- fordern scheint, weil weder Zeit noch Wenn man heute über Schuld alität entfalten. Dieser für die Er- Ressourcen vorhanden sind, um eine und Versöhnung spricht, dann ist ziehungsarbeit oft schwierige Prozess Abstraktionsfähigkeit zu erreichen, dies eng damit verbunden, eine mündet schließlich in die Phase des die im tiefsten Sinne des Wortes ein Unrechtssituation aufzuarbeiten, personalen Gewissens. Hier handelt selbstverantwortetes Gewissensurteil weil sich vor allem die gesellschaftli- der Mensch in Freiheit und Bindung tatsächlich zustande kommen lässt. chen Umstände wesentlich geändert zugleich, in Bejahung einer Wert- haben. Es sei daran erinnert, dass ordnung, in Würdigung der Situation Zum Verhältnis der gerade im Zuge der Aufarbeitung des und aus persönlicher Motivation. Generationen Krieges im ehemaligen Jugoslawien, Leider erreichen viele Menschen ohann Wolfgang von Goethe aber auch schon seit 1989 in allen diese Reifungsstufe nicht, sondern Jschreibt im Einleitungswort von anderen Ländern des früheren War- bleiben zeitlebens auf der Stufe des Dichtung und Wahrheit 1811 bereits: schauer Paktes, die unter dem kom- autoritären Gewissens stehen, wer- „... ein jeder, nur zehn Jahre früher munistischen Regimeeinfluss Sow- den unkritische Befehlsempfänger, oder später geboren, dürfte, was sei- jetrusslands zu leben hatten, die Fra- verfallen Schlagworten und überneh- ne eigene Bildung und Wirkung nach ge teils unbeantwortet, teils beant-

56 AUFTRAG 263 BILDUNGSPOLITIK wortet wurde, wer denn Schuld sei, damit das Lernen voneinander) ver- Vielleicht wird sich – so wie sich die an den Verletzungen der Menschen- loren durch den zunehmenden Senioren nur selten als solche ange- rechte, wie z.B. Vergehen an politi- Zwang zu Effektivität und Leistungs- sprochen wissen wollen – auch für schen Gefangenen oder an den verhalten an Bedeutung. Lebens- die Jugend das Etikett „Jugendlich- Todesschüssen an der Berliner Mau- orientierende Grundhaltungen wer- keit“ abnützen. Noch wird das er, um nur einige markante Beispiele den heute erstaunlich stark und lau- dadurch verhindert, dass die Gesell- zu nennen, wo die Geschichte neu zu fend vom Druck des Zeitgeistes, auch schaft auf der permanenten Suche schreiben ist. Die Frage nach der „Mainstream“ genannt, sowie der nach Jugendlichkeit ist. Schuld impliziert ebenso die nach Zeitmaschinerie geprägt. Diese Die Informatik spielt bei der der Wiedergutmachung. Und letzte- Grundhaltungen sind in abnehmen- Verständigung der Generationen res tangiert im Sinne der Versöhnung dem Maß aus einer Gemeinsamkeit untereinander und beim Lernen der Generationen eine Ebene, die von Festlegungen durch Erlebnisse voneinander eine zunehmend über das Irdische hinausgeht, wie in und Erfahrungen bestimmter Alters- wichtigere Rolle. Die Informatik den Schriften des Alten und Neuen kohorten zu erklären und zu deuten. funktioniert quer durch alle Alters- Testaments beschrieben wird. Die ursprüngliche Konzeption gruppen in der modernen Welt. In- Und genau hier sollte konservati- Wilhelm Diltheys (1875) von Gene- formation fließt ohne Rücksicht auf ve Politik ansetzen, nämlich beim ration ging von einer einmaligen, in das Lebensalter, sie fließt nicht mehr breiten Dialog der Generationen un- der Jugend erfolgten und daraufhin vertikal von den Alten zu den Jun- tereinander. Keine Generation lebt für das gesamte Leben wirksamen gen, sondern in alle Richtungen, doch für sich allein, und je mehr man Prägung aus. Auch Karl Mannheim funktionsbedingt von allen zu jedem vom Anderen weiß, umso besser (1928) folgte in den zwanziger Jah- und umgekehrt. Die Aufwertung der kann man die Zeiten und Epochen ren des letzten Jahrhunderts mit ei- aus vielerlei Gründen abgewerteten verstehen. In diesem Sinne ist es ner kleinen Abweichung diesem An- Alten bedarf also außerwirtschaftli- eine große Herausforderung für die satz. Für Mannheim stellte sich die cher Kräfte, die nicht marktkonform ÖVP, wenn sie ihren Regierungsauf- neue Jugend-Generation jeweils als sind. In einer stark utilitaristischen trag auch so versteht, die Bildung der am stärksten von Einflüssen geprägt und auf individuellen Nutzen hin ori- Heranwachsenden als Weichen- dar, die historisch gerade neu waren, entierten Kultur sind besondere Er- stellung für die Zukunft zu sehen. hielt aber dennoch an der Vorstel- kenntnisse, Einsichten und morali- Aber diese Aufgabe kann nur bewäl- lung der einmaligen und lebenslang sche Anstrengungen zur Aufwertung tigt werden, wenn die Generationen wirksamen Prägung fest. des höheren Alters nötig, tragen sie möglichst viel von- und übereinander Früher alterten die Generationen doch zu einem moralischen Aus- wissen. tatsächlich, indem sie aus der Ju- gleich bei und zu einem Mehrwissen gend prägende Lebensformen und der Jüngeren. Viele Betriebe haben Mögliche Elemente eines Werteinstellungen ins mittlere und bereits begriffen, dass man auf die geistigen Generationenvertrags höhere Alter brachten. In der Post- Erfahrung der Älteren nicht verzich- ipeness is all – Reifen ist moderne werden allerdings die Ge- ten kann, auch wenn diese Genera- „Ralles.“, sagt bereits Hamlet nerationen an verschiedenen Punk- tion vielleicht nicht in der Schnellig- am Ende seines eigenen Lebens. Jeder ten und in verschiedenen Phasen ih- keit mithalten kann, so doch am Um- Mensch ist ein Reifender, der sich rer Entwicklung wirkungsvoll und gang und Wissen mit bestimmten bildet und gebildet wird. Genera- eindringlich durch Lebensmodelle Problemen (z.B. in einem Unterneh- tionsbildung ist heute mittels durch- aus dem jeweils nur für kurze Frist men, da sich zwar vieles ändert, aber gehender Informatisierung einer- gültigen Zeitgeist beeinflusst. Und manche Schwierigkeiten periodisch seits, und einer Beeinflussung, sogar die Generationen ändern sich wie auftreten). Erfassung durch die Massenmedien, Untersuchungen (z.B. die Shell-Stu- Zwar können die Alterswissen- durch Fernsehen, andererseits, einen die) zeigen, auch dementsprechend schaften die Abwertung der Älteren Himmel voller TV-Satelliten und Bü- schnell ihre Verhaltensweisen. Bil- erklären und auf die sozialen Defizite ros von Computern, bestimmt. Vor dung ist daher kein punktuelles Erle- hinweisen, jedoch können sie die diesem Strukturwandel war die Prä- ben, sondern ein ständiger Entwick- Aufwertung nicht leisten. Deshalb gekraft von Gemeinschaftserziehung lungsprozess. Erst, wenn die Genera- muss der Anstoß zur Aufwertung von in den Schulklassen, Jugendgrup- tionen auch in Kategorien des Davor, woanders her kommen. Er müsste pen, Organisationen und sozialen Jetzt und Danach denken lernen, wohl aus einer neuen sorgenden und Bewegungen relativ stark. Die epo- kann es zu einem übergreifenden bewusst Anteil nehmenden sozialen chalen Effekte des Zeitgeistes konn- und geistigen Bildungs- und Genera- Grundeinstellung bzw. Mentalität so- ten sich gegenüber dieser sozialen tionenvertrag kommen. wie Moral hervorgehen, also einer Prägekraft in den Organisationen Das Erlebnisangebot entspezifi- Mentalität, die statt Vergeudung und nach dem Ende des Zweiten Welt- ziert sich, wird altersunspezifischer schrankenlosem Wettbewerb den krieges nicht intensiv und generell bzw. zunehmend irrelevant. Der Schutz des Menschen vor den eige- durchsetzen. Erst durch die Tele- Markt erweitert die Zugangschancen nen Zerstörungstendenzen und sozia- kratie und den Hang und Zwang zum von der Frühadoleszenz bis ins hohe ler Missachtung fördert. Nicht zuletzt jeweils Modischen der Werbungs- Alter in ähnlicher Weise, wenn die müssten auch die Alternden selber und Vermarktungsgesellschaft ge- Skills und Tools (also die Fähigkei- durch die eigene Lebensführung und schieht dies. Soziale Bindungen (und ten und Mittel) vorhanden sind. ihr Beispiel etwas von ihrer gesamt-

AUFTRAG 263 57 GESELLSCHAFT NAH UND FERN gesellschaftlichen Mitverantwortung die Erklärungen spezifischer Erfah- Die bedingungslose Liebe überwin- erkennen lassen und bereitwillig rungshorizonte gewöhnlich nicht mit det jede Art von Hindernissen, und weitergeben, was sie gelernt haben. ein paar wenigen Schlagwörtern hin- letzten Endes hebt sie jene Wahr- In diesem Sinne ist ein geistiger reichend Erläuterung finden können. nehmung auf, durch die sich Eigen- Generationenvertrag nur möglich, Deshalb ist das Herausfinden einer interessen von den Interessen ande- wenn eben alle Schichten und „gemeinsamen Wellenlänge“ zwi- rer Generationen unterscheiden. Geburtskohorten einander auf glei- schen den Generationen conditio Ethisches Verhalten ergibt sich dort cher Augenhöhe begegnen und in To- sine qua non, um den Anderen in sei- von selbst, wo Nächstenliebe, Zunei- leranz akzeptieren lernen. ner je konkreten Situation zu begrei- gung, Ehrlichkeit und Freundlich- In der Wiederentdeckung der fen. keit regieren. Diese Elemente sind Prinzipien der (christlichen) Mitgefühl ist dabei nicht ein damit Grundlagen für das Lernen Soziallehre liegt eine wesentliche Bodenschatz, der sich als Ressource voneinander. Das Mitgefühl mit dem Chance zum Interessenausgleich langsam verbraucht, sondern er ist Anderen schafft Warmherzigkeit und der Generationen und zum be- immer wieder neu zu realisieren, weil die Voraussetzung für das eigene reitwilligen Lernen von- und mit- er die Voraussetzung für das gemein- Glück. Je mehr es der Wunsch des einander. Die praktische Anwen- same Lernen darstellt. Dabei geht es Menschen ist, anderen (auch Gene- dung der Prinzipien von Partizipati- darum, nicht nur das Leid des Ande- rationen) wahrhaft helfen zu wollen, on, Gemeinwohl, Freiheit und Subsi- ren zu erkennen, sondern auch die um so mehr Kraft und Selbstvertrau- diarität etc. könnten als richtungs- Ursache dafür mit zu tragen. Freund- en entwickelt der Mensch, und um so weisende Elemente in der Verwirkli- lichkeit und Großzügigkeit taugen tiefer erlebt er Frieden und Glück. chung der Humanisierung und im nicht viel, solange auf eine Gegen- Mit Liebe, Freundlichkeit und Mit- Bildungsprozess des Miteinander- leistung gehofft wird. Wahres Mitge- gefühl schlägt der Mensch eine Brü- lernens dienen. Das Grundverständ- fühl beginnt dort, wo es die Grenzen cke des Verstehens. Auf diese Weise nis des „Wir sitzen alle in einem zum Nächsten, in der Familie, über- kann das Miteinander der Generatio- Boot.“ oder der „Hilfe zur Selbsthil- steigt. Wenn das Mitgefühl fehlt, nen entkrampft werden und zu ge- fe“ ist genau das, was die Gesell- dann droht unser Handeln destruktiv genseitiger Achtung und Harmonie schaft braucht, um der Ausdünnung zu werden. Das liegt im Besonderen bzw. Einheit führen. sozialer Einstellungen entgegen zu daran, dass wir unvermeidlich ande- Zusammenfassend lässt sich wirken. Menschliche Wärme zwi- re verletzen, wenn wir nicht mehr be- festhalten, dass ein geistiger Genera- schen den Generationen lässt sich denken, welche Auswirkungen unser tionenvertrag nicht nur Wunschvor- eben auch nicht institutionalisieren. Tun auf ihr Wohlergehen hat. Dabei stellung bleiben muss, wenn von al- Wenn der Sozialstaat zunehmend die kann die Ethik des Mitgefühls einen len Seiten her der ehrliche Wille Re- Funktion übernimmt, die Verwandte essentiellen Beitrag zum unabding- alisierung findet, dass man mitein- und Freunde von Älteren früher in- baren Fundament und zur Motivation ander und voneinander lernen möch- nehatten (beim Pflegen, als Hilfe im leisten, damit sowohl Selbstbe- te. Dazu braucht es Einfühlungsver- Haushalt, beim Einkaufen), dann schränkung als auch Tugend entwi- mögen und ein gehöriges Maß an bleibt zwangsläufig der Humanitäts- ckelt werden können. Von dem Au- Überwindung sowie Toleranz. Fatal faktor auf der Strecke. Nicht nur der genblick an, in dem wir uns des Wer- wäre es, wenn die Generationen alte Mensch wird dadurch sozialer tes des Mitgefühls wahrhaftig be- gegeneinander ausgespielt werden. Bildung beraubt, auch der junge wird wusst werden, beginnt sich der Blick Ein geistiger Generationenvertrag ist leichter ortlos, weil er von seinen auf andere wie von selbst zu verän- wesentlich weiter als ein rein ökono- Wurzeln und Ahnen einiges lernen dern. Wohlwollen und Mitgefühl sind mischer, denn dieser bezieht sich im könnte. Von daher bieten die Prinzi- kein Luxus, sondern Quellen des in- breiteren Sinne auf alle sozialen pien der christlichen Soziallehre ei- neren wie äußeren Friedens und da- Ebenen, kulturellen Fähigkeiten und nen unschätzbaren Wert an Problem- mit von grundlegender Bedeutung für auf die wesentlichsten Werte des lösungskapazitäten, die es anzuwen- das weitere Zusammenleben der Ge- menschlichen Daseins. den gilt. nerationen. Auf der einen Seite er- Was wir brauchen für einen möglichen Liebe und Mitgefühl ge- Anmerkungen geistigen Generationenvertrag, waltloses Handeln, und zum anderen 1 Unsere Generation erlebt die Entwick- ist eine neue Ethik des Mitgefühls bringen sie alle geistig-spirituellen lung der ehemaligen Wirtschaftsgemein- zwischen den Generationen. Qualitäten hervor, wie Toleranz, Ver- schaft in eine alle Bereiche umfassende Zunächst ist Mitgefühl als die Fähig- gebung und die anderen Tugenden. Union, in eine Vernetzung Europas. Kon- keit zu verstehen, sich in andere Genau diese sind es aber, die unse- tinuierlich erweitern sich ihre Kompe- Menschen hinein zu versetzen und ren Handlungen Sinn geben und die- tenzen formal durch intergouverne- mentale Rechtsakte und „by doing“ im ihr Leid bis zu einem gewissen Grad se auch konstruktiv werden lassen... Bereich des sog. „weichen Rechts“. auch zu teilen. Es geht um die Schu- und sind damit für Bildung und Aus- Mehr und mehr werden Menschen- und lung des sozialen Gefühls der Nähe bildung unabdingbar. Bürgerrechte angesprochen, Stellung- zu anderen in der Menschen der glei- Wenn es den Generationen ge- nahmen auch zu straf- und verfassungs- chen Generation ebenso wie zu de- lingt, die Grenzen der engstirnigen rechtlichen Themen verabschiedet sowie umfassende nicht ökonomische Projekte nen, die einer anderen Generation Eigeninteressen zu überwinden, finanziert. Verwaltungstechnisch mag angehören. Dazu ist viel Zeit, Tole- dann wird sich auch ein besseres das System relativ gut funktionieren, ranz und Sensibilität notwendig, weil Miteinander verwirklichen lassen. aber was sind die Maßstäbe und Grund-

58 AUFTRAG 263 BILDUNGSPOLITIK

sätze des Handelns? Erkennt das Europa 2 E.W. Böckenförde; Staat, Gesellschaft, staat, also das soziale Wirken des Staa- von heute seine geistigen Wurzeln, sein Freiheit. Studien zur Staatstheorie und tes, macht nicht die eigene, individuelle kulturelles Erbe, seinen christlichen Ur- zum Verfassungsrecht. Frankfurt/M. Anstrengung jedes Einzelnen entbehr- sprung? Eine Werte-Gemeinschaft ist am 1976; 60. lich und ist auch kein Ersatz für die so- Entstehen, und die Werte stehen dabei in 3 Alle reden über den Sozialstaat, aber sie lidarische Gesellschaft, für zwischen- der Gefahr, nicht mehr als die eigenen meinen offensichtlich nicht dasselbe. menschliche Solidarität, für Nächsten- Buchstaben zu bedeuten. Natürlich gibt Auch wenn über Abbau und Umbau und liebe. Die Gegner des Sozialstaates mas- es für das Projekt Europa genügend Ar- tiefe Einschnitte geredet wird, scheint kieren ihn, sie versuchen ihn darzustel- chitekten und Bauleute. Haben aber die Unterschiedliches gemeint zu sein. Die len als den Gegensatz zu Eigenverant– Ingenieure die Basis vergessen? Die Undeutlichkeit und die Beliebigkeit, mit wortung, auch als Gegensatz zu Indivi- schon Jahrhunderte dauernde Realität der mit einem von allen als zentral ver- dualität. Sie wollen das Wort Sozialstaat des christlichen Europas, die darin ge- standenen Begriff zur Zeit hantiert wird, zum Synonym von Missbrauch, von Un- borgene Kultur der Dichter und Denker, kann nur zu Missverständnissen führen. fähigkeit machen. Es geht aber nicht um der Künstler und Handwerker, der Klös- Wenn nicht Klarheit in die Argumente ein Entweder-Oder, es geht um die richti- ter und Kirchen ... tauscht man sie ein, kommt, kann es kaum Klarheit in der ge Balance von Verantwortung des Ein- diese Philosophie des Rechts und der Po- Sache geben. Dabei ist vielen die Un- zelnen, Zusammenhalt in der Gesell- litik, gegen eine billige Ideologie des klarheit offensichtlich ganz recht; Un- schaft und sozialstaatlichem Handeln. Egoismus? Es braucht eine Erneuerung klarheit war schon immer der ideale 4 J.W. von Goethe; Dichtung und Wahr- Europas, ein neues Entdecken seiner Nährboden für Vorurteile. Und die Un- heit. 1811; In: Ders.; Werke Bd. IX; hg. Wurzeln, eine Kultur des Lebens, die die klarheit erleichtert denjenigen das Spiel, von E. Trunz; München 1982; 9. Pläne nachliefert für den bereits begon- die fleißig an der Philosophie für die 5 Vgl. J. Zinnecker/ A. Fischer; Jugend- nenen Rohbau. Es geht um Pläne, die an- Zerstörung des Sozialstaates stricken. gefertigt sind im Maßstab der Würde ei- studie ´92. Die wichtigsten Ergebnisse Der Sozialstaat sei richtungslos, aufwen- im Überblick. In: Jugendwerk der deut- nes jeden Menschen und der Schutz- dig und kontraproduktiv. Letzteres heißt, würdigkeit der Familie als Keimzelle ei- schen Shell (Hg.); Jugend ´92. Bd. 1; er macht die Menschen unselbständig Opladen 1992; 213-243. ner blühenden Gesellschaft. und hält sie in Vormundschaft. ... Sozial-

Neues Konzept von Familie en Bundesländern bei 25 %; entspre- chend stieg die Zahl der „alternativen“ amilie ist da, wo Kinder sind“ – mit dieser Definition begründet das Lebensgemeinschaften. Dennoch sind Statistische Bundesamt sein neues „familienstatistisches Auswer- sowohl im Westen (76 %) als auch im „Ftungskonzept“. Eine Entscheidung mit weitreichenden Implikationen. Osten (63 %) Ehepaare mit Kindern die Nicht ohne Grund wenden sich Vertreter der Kirchen gegen ein solches dominierende Familienform, vor Allein- Familienbild. Statistisch gesehen wird Familie damit zugleich erweitert – erziehenden und Lebensgemeinschaf- auf alle möglichen Lebensformen – und verkürzt: Bindungen außerhalb ten. des jeweiligen Haushalts bleiben „außer Betracht“. Die Zahl der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften liegt nach Anga- Statistik etabliert neues Familien- zen hinweg bestehen, oder auch Part- ben des Statistik-Amts zwischen 56.000 konzept nerschaften mit getrennter Haushalts- und 160.000. Die niedrigere Zahl geht In seinen jüngsten Publikationen mit führung bleiben in diesem Konzept auf eine Befragung zurück, bei der die Daten aus dem Mikrozensus 1996- „außerhalb der Betrachtung“. Was auch Antworten freiwillig waren, die obere 2004 hat das Statistische Bundesamt erklärt, dass die so erhobenen Daten Grenze auf eine Schätzung. Die Aus- ein „neues familienstatistisches Auswer- nicht die Frage beantworten können, künfte bei der Befragung seien auf tungskonzept“ etabliert. Das „Lebens- welche Bevölkerungsgruppe in ihrer Le- Grund der niedrigen Fallzahlen und der formenkonzept“ berücksichtigt gleicher- benszeit wie viele oder eben keine Kin- Freiwilligkeit „mit Vorsicht zu interpretie- maßen „traditionelle“ wie „alternative“ der hat (ältere Ehepaare, deren Kinder ren“, so das Bundesamt. Maßgeblich für Lebensformen, d.h. „nichteheliche bereits eine eigene Familie haben, zäh- die Einstufung als gleichgeschlechtliche (gegengeschlechtliche) und gleichge- len als „Ehepaare ohne Kinder im Haus- Lebensgemeinschaft sei „vor allem“ die schlechtliche Lebensgemeinschaften so- halt“). gemeinsame Haushaltsführung, eine wie Alleinerziehende und Alleinstehen- mögliche Registrierung als „eingetrage- de“. Weniger Kinder im Osten ne Lebenspartnerschaft“ sei dafür „un- Zur Begründung für den Paradig- Unter diesen Vorzeichen relativieren erheblich“. Mithin kommen bei der Be- menwechsel muss ein Spruch von Bun- sich manche Daten, die das Bundesamt stimmung der Obergrenze alle Haus- despräsident Horst Köhler dienen, laut bekannt gab, etwa dass es „immer we- halte in Frage, in denen „(mindestens) dem Familie da ist, „wo Kinder sind“. niger Familien“ in Deutschland gebe. zwei nicht verwandte Personen gleichen Familie im „statistischen Sinn“ sind da- Zurückgegangen ist allerdings die Zahl Geschlechts im Alter von 16 Jahren und mit alle „Eltern-Kind-Gemeinschaften“, der „Eltern-Kind-Gemeinschaften“ im mehr leben, die keine Ehegatten im wobei der Begriff „Eltern“ wiederum beschriebenen Sinne, und zwar von Haushalt haben bzw. nicht verheiratet nicht so genau genommen wird, denn 13,2 Mio 1996 auf 12,5 Mio im März und beide familienfremd sind“. Dazu neben leiblichen Kindern sind Stief-, 2004. Ursache ist der Geburtenrück- gehören allerdings auch etwa Wohnge- Pflege- oder Adoptivkinder in gleicher gang in Ostdeutschland Anfang der meinschaften von zwei Studenten ohne Weise einbezogen. „Kinder“ sind in der 90er Jahre – die Zahl der minderjähri- partnerschaftlichen Hintergrund, wie die Definition des Statistik-Amts „ledige Per- gen Kinder sank somit von 3,4 Mio Statistiker einräumen. So weit, so unge- sonen mit mindestens einem Elternteil (1996) auf 2,5 Mio (2004). Während nau. Eines weiß das Bundesamt aber si- und ohne Lebenspartner/in bzw. eigene die Zahl der „traditionellen Familien“ in cher: Nach beiden Konzepten zeige sich ledige Kinder im Haushalt“. Eltern-Kind- den alten Ländern vergleichsweise ge- seit 1996 ein Anstieg gleichgeschlechtli- Beziehungen, die über Haushaltsgren- ring sank, lag der Rückgang in den neu- cher Lebensgemeinschaften. (KNA)

AUFTRAG 263 59 BLICK IN DIE GESCHICHTE

50 JAHRE BUNDESWEHR: Der fünfte Bundespräsident und die Bundeswehr Prof. Dr. Karl Carstens – Vorbild in unruhiger Zeit

VON DIETER KILIAN Auch die Großväter beider Seiten der schweren Flak 8,8 cm ausgebil- hatten als Soldaten gedient. det. Kurz vor Kriegsbeginn, Ende Die väterliche Linie der Carstens August 1939 erhielt er auf dem Refe- – ursprünglich aus dem Raum Sol- rendar-Lehrgang in Jüterbog den tau-Frielingen stammend – lebten Einberufungsschein zur Luftwaffe: seit Mitte des 19. Jhs. in Bremen. bei der 2. Batterie der Reserve- Flak- Carstens Großvater, Johann Heinrich Abteilung 407 – ausgerüstet mit 10,5 Friedrich (1844-1902), war als jun- cm Geschützen – in der Nähe von ger Mann 1866 im Krieg gegen Preu- Düsseldorf wurde Kanonier Carstens ßen in der Schlacht von Langensalza zum Flugmelder ausgebildet. Wenige arl Carstens wurde nur wenige am 27. Juni schwer verwundet wor- Wochen danach wurde er zur Ab- Monate nach Ausbruch des den. Im Lazarett war ihm vom blin- legung des 2. Staatsexamen nach KErsten Weltkrieges, am 14. den König Georg V. die Hannover- Hamburg abkommandiert. Wegen Dezember 1914, als Sohn des protes- sche Tapferkeitsmedaille überreicht seiner herausragenden Leistung bot tantischen Studienrates Dr. phil. worden. Da sein verwundeter Arm ihm der Präsident des Hanseatischen Emil Karl Carstens (1877-1914) und steif blieb, konnte er seinen Beruf als Oberlandgerichtes an, die Richter- seiner Ehefrau Gertrud (1880-1963, Tischler nicht mehr ausüben und laufbahn einzuschlagen, was die geb. Clausen) in Bremen geboren. wechselte in den Postdienst. Freistellung von der Wehrmacht be- Seinen Vater, der am Gymnasium in Die Vorfahren der Mutter, die deutet hätte. Carstens lehnte ab, da Bremen, unterrichtete, hat Karl Clausens, stammten von der Insel er um den politischen Druck auf die Carstens nie kennen gelernt: Zwei Fehmarn. Großvater Wilhelm Juristen wusste. Er kehrte daher zu Monate vor der Geburt seines Sohnes Claußen (1843-1896), Ingenieur für seiner Einheit nach Düsseldorf- war dieser mit nur 37 Jahren als Eisenbahn- und Wasserbau, diente Volmerswerth zurück und blieb dort Oberleutnant der Reserve gefallen. 1867/68 als Einjährig-Freiwilliger bis Juni 1940. Sein Batteriechef war Halbwaise schon bei der Geburt – beim Kaiser-Franz-Garderegiment Dr. Walter Grösser, ein Physik- ein häufiges Familienschicksal im Nr. 2 in Berlin und nahm zwei Jahre professor. Im Juli 1940 wurde er als 20. Jahrhundert. später mit dem Holsteinischen Gefreiter – heimatnah – zur 1. Batte- Vater Carstens hatte nach dem Infanterieregiment 85 („Herzog von rie der Flak-Abteilung 262 nach Bre- Ende seines Studiums eine einjähri- Holstein“) unter Oberst Freiherr von men versetzt. Als einziger Sohn einer ge Militärzeit beim Bremischen Falkenhausen am Deutsch-Französi- Kriegerwitwe war er vom Dienst an Infanterieregiment 75 absolviert. schen Krieg teil. der Front befreit. Dort wurde er im Sein Urteil darüber war geteilt – Dezember 1940 zum Unteroffizier einerseits „eine grauenhaft stumpf- ach dem Abitur, das Karl Cars- und im Juni 1941 zum Wachtmeister sinnige Zeit“ und andererseits „erhe- Ntens im Jahre 1933 am „Alten der Reserve befördert. Im Frühjahr bend“, wenn er an die Grenzen sei- Gymnasium“3 in Bremen ablegte, 1941 besuchte er den Offizierlehr- ner körperlichen Leistungsfähigkeit studierte er Rechts- und Politikwis- gang im holländischen Amerfoort, geführt wurde.1 Am 3. August 1914 senschaften in Frankfurt, Dijon, wurde im März 1942 und wurde Emil Karl Carstens zum Re- München, Königsberg und Hamburg. danach als Ordonnanzoffizier in den serve-Infanterieregiment 31 nach Wiederholt wurde er in den Semes- Stab seiner alten Flak-Abteilung 262 Altona2 einberufen und übernahm als terferien zu einer vormilitärischen nach Bremen-Horn versetzt; Kom- Chef die 11. Kompanie. Zwei Monate Ausbildung in sog. „Wehrertüchti- mandeur war Major Höfter. In dieser später – zwischenzeitlich nach gungslager“ (u.a. in Kiel-Gaarden) Zeit wurde die Hansestadt von schweren Kämpfen der 1. Armee un- einberufen. Von der allgemeinen schwersten Luftangriffen heimge- ter Generaloberst Alexander von Wehrpflicht, die zwischenzeitlich sucht. Carstens wurde mit dem Ei- Kluck (1846-1934) am rechten eingeführt worden war, ließ sich sernen Kreuz II. Klasse (EK II) aus- Heeresflügel während und nach der Carstens bis zum Ende seines Studi- gezeichnet. Danach besuchte Leut- Marne-Schlacht mit dem Eisernen ums zurückstellen. In Hamburg legte nant Carstens einen dreiwöchigen Kreuz ausgezeichnet – traf ihn am 6. er 1936 das erste juristische Staatse- Lehrgang an der Flak-Artillerie- Oktober bei einem Spähtrupp im xamen ab, und 1937 erlangte er die schule III (FAS III) in Berlin-Heili- Arbre de Cany bei Noyon, 100 km Doktorwürde. 1938 leistete Carstens gensee, wo er zur Funkmess-Ortung nördlich von Paris, die tödliche Ku- als Rekrut eine freiwillige 2-mona- feindlicher Flugzeuge ausgebildet gel. 1917 wurden seine sterblichen tige Übung beim Flak-Regiment 26 wurde. Carstens muss überzeugt ha- Überreste nach Bremen überführt. in Bremen-Grohn ab, und wurde an ben, denn nach dem Ende des Lehr-

60 AUFTRAG 263 50 JAHRE BUNDESWEHR gangs wurde er von der Schule als te Carstens auf den Posten des ersten ten sich gegenseitig. Die eigentliche Ausbilder angefordert und trat seinen Staatssekretärs und schied erst 1966 Bewährungsprobe kam und wurde Dienst am 15. Juli 1943 an. – nach zwölf Jahren im Auswärtigen bestanden. Als Minister Schröder Amt – aus, als Willy Brandt (1913- 1967 schwer erkrankte, übernahm n dieser Zeit lernte er auf der 1992) in der Großen Koalition das Carstens, „... der sich dabei in vor- IHochzeitsfeier des Ehepaares Außenamt übernahm. Parallel dazu bildlicher Weise des Mittels der Ko- Heinrich und Annette Maas in arbeitete Carstens als Wissenschaft- operation innerhalb des Ministeri- Bielefeld die Medizinstudentin Vero- ler: 1960 wurde er als Professor für ums bediente,“11 – wie es Gemeinsa- nica Prior (* 1923),4 die Schwester Staats- und Völkerrecht an die Uni- me Geschäftsordnung (GGO) vorsah der Braut, kennen. Nach dem Physi- versität Köln berufen, wo er schon – nur die Vertretung des Ministers in kum (1. med. Staatsexamen) war seit 1950 als Privatdozent gelehrt den laufenden Angelegenheiten des Veronica als Rotkreuzschwester im hatte. Ministeriums. Lazarettdienst verpflichtet worden Im Dezember 1966, nach Bil- Die Befehls- und Kommando- und arbeitete in einem Lazarett bei dung der Großen Koalition, nahm gewalt hingegen wurde von einem Husum. In ihrer Familie gab es keine Gerhard Schröder (CDU), der – als anderen Bundesminister12 wahrge- Bindungen zum Militär.5 Weihnach- Nachfolger von Kai Uwe von Hassel nommen. „Ich hatte schon damals ten 1944 heiratete das Paar auf dem (1913-1997) – in das Verteidigungs- Gumbels Standpunkt für falsch ge- Standesamt in Berlin-Tegel – ressort wechselte, seinen bewährten halten,“ meinte Carstens13 lapidar. Carstens in Luftwaffenuniform. Die Staatssekretär Karl Carstens vom Au- Er unterstützte das Konzept der In- kirchliche Trauung fand im Offizier- ßenamt als beamteten Staatssekretär neren Führung des Generals Graf heim statt, da die Kirche in Heiligen- auf die Hardthöhe mit. Dort folgte von Baudissin (1907-1993) und see zerstört war. Carstens Staatssekretär Gumbel nutzte ihre Grundsätze der Men- Im Februar 1945 wurde die FAS (1909-1984), dessen „pedantisch schenführung auch auf der ministeri- III nach Schongau verlegt; dort dien- genaue, aber oft auch undurchsichti- ellen Führungsebene. In seinem te auch der fast gleichaltrige Ober- ge Arbeitsweise ... die Stellung des Buch „Politische Führung“ schrieb leutnant Franz Josef Strauß (1915- Staatssekretärs ins Zwielicht ge- Carstens 1971 zum Verhältnis zwi- 1988), der spätere Verteidigungs- rückt“7 hatte. De Maizière urteilt hier schen ziviler und militärischer Ge- minister, doch die Beiden haben sich noch dezent. Gumbel – seit Juni walt im Verteidigungsministerium, er in dieser Zeit nicht kennen gelernt.6 1964 Staatssekretär auf der Hardt- wäre zu der Überzeugung gekommen, Im April 1945 wurde die Schule auf- höhe – sah sich als direkter Vorge- dass „... hier ein Kampf mit falscher gelöst und Carstens zurück nach Bre- setzter des Generalinspekteurs. Eine Front geführt wurde. Die sogenann- men versetzt. Der Krieg war verloren. rechtliche Grundlage dafür fehlte, ten Lehren der Geschichte sind Sein Kommandeur Höfter zählte – doch Minister von Hassel griff nicht keineswegs immer hilfreich, sie führen anders als der Kommandant des ein, und so eskalierte der Streit. Ge- im Gegenteil manchmal dazu, dass „Verteidigungsbereiches Bremen“, neralinspekteur Heinz Trettner (* der Blick, ..., sich nach rückwärts Generalleutnant Fritz Becker (1892- 1907) reichte am 15. August 1966 richtet.“14 1967) – nicht zur Kategorie eiserner seinen Rücktritt8 ein, als der Erlass De Maizière war Generalinspek- Durchhaltekämpfer: Er stellte Car- über die Zulassung der Gewerkschaft teur, und an der Spitze der Teilstreit- stens am 25. April einen Entlas- ÖTV in den Kasernen und die ge- kräfte standen (Heer; sungsschein aus und bewahrte ihn werkschaftliche Betätigung von Sol- 1908-1989), Johannes Steinhoff dadurch vor der Gefangenschaft. daten ohne seine Mitwirkung heraus- (Luftwaffe; 1913-1994) und Karl gegeben worden war. Nach dem Adolf Zenker (Marine; 1907-1998), ach dem Krieg trat Carstens Wechsel von Gumbel zu Carstens sowie Dr. Wilhelm Albrecht (Sani- Nzunächst in eine renommierte entspannte sich die Lage schnell. tätswesen; 1905-1993). Generalleut- Anwaltspraxis in Bremen ein. 1948/ de Maizière, Trettners Nach- nant Werner Haag (1909-1985) war 1949 erweiterte er seine juristischen folger, urteilt: „Carstens gelang es in- der erste Soldat auf dem Chefsessel Kenntnisse durch ein Studium in den nerhalb kurzer Zeit, im gesamten der Personalabteilung. Carstens Per- USA und erwarb den Grad eines Haus wieder ein vertrauensvolles Ar- sönliche Referenten waren die Luft- „Master of Laws“ an der Yale-Uni- beitsklima herzustellen. Durch seinen waffen-Oberstleutnante Dr. Georg- versität in Connecticut. Im Jahre durchdringenden Verstand in der Sa- Wilhelm von Rheinbaben (* 1920) 1955 trat Carstens – unter dem ers- che klar und überzeugend, entschei- und Hans-Eberhard Striegel (* 1920). ten Außenminister Heinrich von dungsfreudig, korrekt im Umgang Gute Kontakte pflegte Carstens auch Brentano (1904-1964) – als Europa- mit allen, vornehm in Auftreten und zum Adjutanten des Ministers, Kapi- Experte ins Auswärtiger Amt ein und Sprache, gewann er Autorität und Re- tän zur See Herbert Trebesch (* kletterte dort schnell die Karriere- spekt gleicherweise bei den militäri- 1915; später Vizeadmiral). Das Ehe- leiter empor: 1958 wurde er Abtei- schen und zivilen Angehörigen des paar Carstens verbesserte den Kon- lungsleiter und nur zwei Jahre später Hauses. Intrigen liefen jetzt ins Leere, takt zu den militärischen und zivilen – neben Dr. Hilger van Scherpenberg alle atmeten auf.“9 Mitarbeitern auch durch Privatein- (1899-1969 – Staatssekretär des AA) Die „Chemie“ zwischen Carstens ladungen in ihr Wochenendhaus in – der zweite Mann, Staatssekretär im und de Maizière, „der sein Auf- der Eifel. AA. Unter Brentanos Nachfolger gabengebiet wie kaum ein anderer Albert Schnez (* 1911) – „her- Gerhard Schröder (1910-1989) rück- beherrschte“10, stimmte – sie schätz- vorragend qualifiziert“ wie Carstens

AUFTRAG 263 61 BLICK IN DIE GESCHICHTE bemerkt –, der Kommandierende Ge- wehr zu halten, weil sie für die Frei- 1978 besuchte Carstens die Kampf- neral des III. Korps, sollte im April heit und für die Sicherheit unseres truppenschule in Munster. 1968 Nachfolger von Graf Kielmans- Landes unverzichtbar ist.“20 egg (1906-2006) als Oberbefehlsha- m 23. Mai 1979 wurde Karl ber der Alliierten Streitkräfte Europa it der Bildung der sozial-libera- ACarstens – fünf Jahre älter als Mitte (CINCENT) werden. Doch die Mlen Koalition im Jahre 1969 sein Vorgänger Walter Scheel – zum Planung scheiterte am Einspruch der schied Carstens aus dem Staatsdienst fünften Bundespräsidenten der Bun- Niederlande. Carstens vermutet eine aus und übernahm bis 1972 die Lei- desrepublik Deutschland gewählt heeresinterne Intrige dahinter.15 tung des Forschungsinstituts der und wechselte in das höchste Amt „Leider gewannen wir den Ein- Deutschen Gesellschaft für Auswär- des Landes. In seiner Antrittsrede druck, dass hinter den Angriffen auf tige Politik (DGAP) in Bonn. In die- am 1. Juli 1979 bekannte er sich zur Schnez Generale des Heeres standen. ser Funktion gab er – zusammen mit NATO als wichtigstem Pfeiler unse- Ich war darüber betroffen. In einer al- Prof. Dr. Dieter Mahncke (* 1941) – rer militärischen Sicherheit. Er ver- ten Truppenvorschrift hieß es: ‚Die eine richtungweisende Studie zum wies auf die Kardinaltugenden, die er höchste Tugend des Soldaten ist die Thema „Westeuropäische Verteidi- mit Klugheit (Weisheit), Verantwor- Kameradschaft.’ Aber davon war hier gungskooperation“ heraus, an der tungsgefühl (Gerechtigkeit), Mut wenig zu spüren. Im November 1967 u.a. (* 1936) und (Tapferkeit) und Geduld (Maßhalten) verzichtete Schnez auf eine Kandida- Dieter Wellershoff (1933-2005) mit- umschrieb; er fügte noch den Begriff tur. Es war eine Entscheidung, die gearbeitet hatten, die beide später in „Solidarität“ hinzu.24 Auch in der ihm Ehre machte.“16 höchste Ränge von Heer und Marine Folgezeit warb Carstens unermüdlich Carstens war ein Vordenker. So aufstiegen. Als Carstens 1972 mit ei- für diese Grundwerte, die er seit sah er z.B. bereits 1970 keine Be- ner kleinen Delegation im Oktober Kindesbeinen er- und später selbst denken, „wenn ein Soldat Staatssek- 1972 die Sowjetunion besuchte, soll- vorgelebt hatte. Er bemühte sich um retär“ im Verteidigungsministerium te auch General a.D. Johann Adolf strenge Objektivität und bewies in werden würde. Erst einige Jahre spä- Graf Kielmansegg daran teilnehmen. seinem Auftreten Würde, Stil und ter wurde dies – gegen starke politi- Jedoch gab es auf deutscher – nicht politische Sensibilität. Doch damit sche Bedenken – durch Minister auf sowjetischer – Seite Vorbehalte stellte er sich in jenen Jahren, die Georg Leber (* 1920) umgesetzt, der gegen dessen Teilnahme, habe er vom erbitterten Streit um die Nach- erstmals einen Soldaten in die Lei- doch im Zweiten Weltkrieg in Russ- rüstung im Zuge des NATO-Doppel- tungsetage des Ministeriums berief: land gekämpft: Bedenkenträger, die beschlusses geprägt waren, bewusst Vier-Sterne-General Dr. Karl Schnell sich einbilden, die Meinung anderer und aufrecht gegen die lautstarke (* 1916) wurde 1977 Rüstungs- Länder zu vertreten, diese tatsäch- Minderheit linker Gruppen der 68er- staatssekretär. Carstens war – ebenso lich aber nicht kennen. Doch Bewegung. Zu Carstens Amtszeit – wie Helmut Schmidt – bereit, den In- Carstens setzte sich durch. Und so 1982 – betrat ihr politischer Arm, die spekteuren der Teilstreitkräfte den erlebte die deutsche Delegation, dass Partei der Grünen, die Bühne des Rang eines Vier-Sterne-Generals zu der General nicht nur mit ausgesuch- Bundestages. übertragen, wie dies in den meisten ter Höflichkeit in Moskau empfan- Armeen der Fall ist.17 Umgesetzt gen, sondern „fast wie ein Held ge- er „überaus kenntnisreiche und wurde dies jedoch bis heute nicht. ehrt“21 wurde. Dsehr selbstbewusste“25 General Bereits im Dezember 1967 verließ Nur kurze Zeit später – 1973 – Franz-Joseph Schulze (1918-2005), Carstens das Verteidigungsminis- kehrte Carstens in den Bundestag zu- Oberbefehlshaber Europa Mitte terium wieder und wurde – in seiner rück und gehörte ihm als Mitglied (CINCENT), war einer der ersten dritten Verwendung als Staatssekre- der CDU bis zu seiner Wahl zum hochrangigen Offiziere, den Bundes- tär – Chef des Bundeskanzleramtes18 Staatsoberhaupt an. Bis 1976 stand präsident Carstens im September unter Kurt Georg Kiesinger (1904- er an der Spitze der CDU/CSU-Frak- 1979 zum Abschiedsbesuch emp- 1988). Bei einer Verabschiedung tion. Im Dezember 1976 wurde fing. Sein erster Besuch als Staatso- sagte Generalinspekteur de Maizi- Carstens zum Bundestagspräsiden- berhaupt führte Carstens am 14. No- ère: „Die Schnelligkeit Ihrer Ent- ten gewählt und übernahm damit das vember 1979 zur Schule für Innere scheidungen ist vorbildlich. Sie strah- protokollarisch zweithöchste Staats- Führung nach Koblenz. In Anwesen- len Vertrauen und Offenheit aus. Sie amt. In dieser Funktion sprach er als heit des Stellvertreters des General- haben Vertrauen jedem Ihrer Mitar- Ehrengast auf der 21. Kommandeur- inspekteurs, Generalleutnant Helmut beiter geschenkt und haben dazu ver- tagung der Bundeswehr in Sindel- Heinz (1921-2000), und des Schul- pflichtet, es zurückzugeben. ... Wir fingen am 21. April 1977 zum Thema kommandeurs, lassen Sie alle nur ungern gehen ...“19 „Die Bundeswehr aus der Sicht des Werner Lange (* 1929; später Gene- Und Carstens ließ seinen engen Parlaments“. Er nannte das Eintre- ralleutnant), sagte er: „Heute geht es Kontakt zur Bundeswehr nicht abrei- ten der Vorgesetzten für die ihnen nicht mehr darum sicherzustellen, ßen. „Es war für mich selbstverständ- anvertrauten Soldaten das „Gegen- dass der Primat der Politik gegenüber lich, in allen meinen folgenden Äm- stück zum militärischen Gehor- den Streitkräften gewahrt wird. Das tern (Anmerkung: z.B. als Fraktions- sam“22 und führte als herausragendes ist ein allgemein akzeptiertes Prinzip vorsitzender der CDU/CSU im Bun- Beispiel Feldwebel Erich Boldt an, innerhalb der Bundeswehr und außer- destag und als Bundestagspräsident) der sich für einen seiner Soldaten ge- halb der Bundeswehr. ... Heute geht einen engen Kontakt mit der Bundes- opfert hatte.23 Am 24. November es mehr darum, ..., dem Soldaten

62 AUFTRAG 263 50 JAHRE BUNDESWEHR deutlich zu machen, warum der Staat und Handeln zuzubilligen. Ihnen Hans Speidel (1897-1984) mit sei- von ihm diesen Einsatz verlangt.“26 fehlt die Erfahrung des inneren Konf- ner Gattin geladen.33 Carstens nannte die Wehrpflicht likts, in dem die deutschen Soldaten Ein Mittel der Begegnung sowohl „eine Art Generationenvertrag“27 damals standen. Die meisten von ih- mit den Menschen als auch mit der und bekannte sich ebenfalls eindeu- nen glaubten, für ihre Heimat zu Umwelt waren Wanderungen durch tig dazu, dass „das Grundgesetz ... kämpfen und wussten oder ahnten und in Deutschland, bei denen er den Oberbefehl ... einem parlamen- doch, dass sie damit zugleich ein und Ehefrau Veronica zwischen tarisch verantwortlichen Mitglied der Unrechtsystem am Leben hielten, des- 1979 und 1984 an 60 Tagen Bundesregierung übertragen hat.“ sen Menschenverachtung nichts mit insgesamt 1.600 km zurücklegten;34 Carstens war der erste Bundes- dem Deutschland gemein hatte, für auch Kontingente der Bundeswehr präsident, der sowohl Offizier im das sie kämpften. Die dabei ihr Leben beteiligten sich bisweilen daran. Auf Krieg war als auch die Bundeswehr ließen, verdienen unser ehrendes Ge- dem vorletzten Streckenabschnitt im als Staatssekretär im Verteidigungs- denken, ebenso wie die vielen Deut- Sommer 1981 besuchte Carstens die ministerium von innen kannte und schen, die als Zivilisten in der Heimat Luftlande- und Lufttransportschule emotionale Bindungen an sie mit- den Tod fanden.“ 30 in Altenstadt und nahm an Vorfüh- brachte. Wo immer möglich und Gerade wegen dieser Unruhe un- rungen der Fallschirmtruppe teil. sinnvoll, ließ er die Streitkräfte bei ter den Jugendlichen und ihrer Dis- Dabei erinnerte er daran, dass er im seinen Staatsbesuchen als unterstüt- tanz zu ihrem Staat suchte er ver- Frühjahr 1945 als junger Offizier in zendes Element einbinden, so z.B. stärkt den Dialog mit ihnen und führ- dieser Kaserne bei Schongau statio- durch ein Konzert eines Musikkorps te die großen Jugendtreffen in sei- niert war. der Bundeswehr beim Staatsbesuch nem Bonner Amtssitz, der Villa in Lissabon im Jahre 1980, durch Hammerschmidt, ein. Carstens wies ährend Carstens Amtszeit führ- Flüge mit dem neuen Transporthub- – anders, als dies heute bisweilen in Wten Dr. Hans Apel (* 1932) schrauber CH-53 bei den Inlands- der verklärten Selbstüberhöhung ei- und Dr. Manfred Wörner (1934- transfers seines Staatsbesuches in Ir- niger Alt-68er zum Ausdruck kommt 1994) das Verteidigungsressort und land im selben Jahr und bei Empfän- – zu Recht darauf hin, dass nur ein an der Spitze der Bundeswehr stan- gen an Bord der „Deutschland“ beim kleiner Teil der Jugend dem Staat den die Generale Jürgen Brandt Staatsbesuch in Jamaica 1982 und ablehnend gegenüberstand: „Nach (1921-2003) und Wolfgang Alten- an Bord der „Gorch Fock“ in Phila- meiner Erfahrung ist die ganz über- burg (* 1928) als Generalinspekteu- delphia/USA 1983. Seine Verbun- wiegende Mehrheit der jungen Gene- re; beiden war Carstens zu seiner denheit zur Bundeswehr kommt auch ration zu unserem Staat positiv einge- Zeit als Staatssekretär im BMVg durch die namentliche Nennung stellt.“31 nicht begegnet. Wiederholt trugen zahlreicher Soldaten zum Ausdruck, Seine geistige Unabhängigkeit Minister Apel und Generalinspek- deren er mit Freundschaft und Herz- zeigt sich z.B. auch darin, dass er in teur Brandt, sowie nach dem Regie- lichkeit in seinen Memoiren gedenkt: der Frage der Traditionspflege der rungswechsel Wörner und Altenburg z.B. Oberstleutnant Rudolf („Sher- Armee einen Kompromiss anstrebte als neuer Generalinspekteur dem ry“) Dehning,28 einem seiner Segel- – ein Gedankenansatz, der nicht von Bundespräsidenten zur militärischen freunde und Kapitän zur See Wulf D. allen Soldaten geteilt wurde. „Die Lage vor. Fischer, seinem Verbindungsoffizier, führenden Persönlichkeiten der Bun- Zum vierten Mal hintereinander sowie Oberstleutnant Götz Adolf deswehr sollten schließlich bei der wurde der Dienstposten des Verbin- Stenzler, den Piloten, der ihn und die Pflege der kleine Luftwaffenmaschine im Sep- militärischen tember 1967 bei einer Dienstreise Traditionen nach Istanbul durch Kaltblütigkeit auf die An- und fliegerisches Können heil durch schauungen ein schweres Gewitter brachte.29 derjenigen Carstens wehrte sich als Bundesprä- gesellschaftli- sident eindeutig gegen die pauschale chen Gruppen und überhebliche Verurteilung der Rücksicht neh- Kriegsgeneration durch Teile der men, sich Tei- linksorientierten jungen Generation. len dieser Tra- Er griff damit Gedanken auf, die dition nicht bereits Bundespräsident Heuss in verpflichtet ähnlicher Weise formuliert hatte. In fühlen.“32 An- seiner Ansprache zum 40. Jahrestag lässlich eines des Ausbruchs des Zweiten Welt- Abendessens krieges am 1. September 1979 sagte zu Ehren des Carstens: „Manche, vor allem in der Schriftsteller jungen Generation, sind nicht bereit, Ernst Jünger Am 15. April 1983 stattet der neue Generalinspekteut der denen, die an den Fronten gekämpft (1895-1998) Bundeswehr, General Wolfgang Altenburg, Bundespräsident und gelitten haben und zu Millionen war auch Prof. Karl Carstens im Amtssitz, der Villa Hammerschmidt in gestorben sind, ehrenhaftes Denken General a.D. Bonn, einen Antrittsbesuch ab. (Foto BPrA)

AUFTRAG 263 63 BLICK IN DIE GESCHICHTE dungsoffiziers zum Bundespräsiden- Fischer riet zu Bremen. Carstens ent- dass manche Wehrpflichtige nach ten von einem Marineoffizier wahrge- gegnete, dass seine Geburtsstadt Beendigung ihres Wehrdienstes eine nommen: Kapitän zur See Wulf mitunter schwierig sei, und es daher kritischere Einstellung zur Bundes- Dieter Fischer (* 1940) diente von keine ungetrübte Freude würde. Und wehr hätten als vor Antritt ihres Juli 1979 bis Ende August 1984 so kam es. Der damals zuständige Dienstes. Am 25. Mai besuchte er (d.h. noch 2 Monate unter Carstens Verteidigungsminister Hans Apel Fliegende Einheiten und Luftabwehr- Nachfolger, Richard von Weiz- schreibt: „Am 6. Mai vormittags ist kräfte der Luftwaffe. Im Sommer des- säcker) im Bundespräsidialamt. Drei in Bremen bei unserer Ankunft noch selben Jahres besichtigte er die Dinge verbanden Präsident und Ver- alles in Ordnung. Nachmittags und Heeresübung „Scharfe Klinge“ des bindungsoffizier besonders: die Lie- abends herrschen in der Stadt II. Korps unter Generalleutnant be zur See, das Segeln und die Juris- bürgerkriegsähnliche Zustände mit Meinhard Glanz (1924-2005) im terei, denn auch Fischer war Jurist. brennenden Autos, Hunderten von Raum Tübingen. Am 19. März 1982 Carstens war dem Hochseesegeln Verletzten. Straßenschlachten toben kam Carstens nach Hamburg und be- noch mehr zugetan als dem Wan- rund um das Stadion. Carstens und suchte die Führungsakademie an- dern. Und so wollte er auch als ich müssen mit dem Hubschrauber ins lässlich des 25. Jahrestages ihrer Staatsoberhaupt dieses Hobby nicht Weserstadion eingeflogen werden. Die Gründung. Im Beisein von General- missen. Doch die strengen Sicher- Veranstaltung kann trotz Radaus von inspekteur Brandt und Konteradmi- heitsauflagen bildeten eine hohe außen durchgeführt werden. Hans ral Dieter Wellershoff, dem Kom- Hürde, zumal er sich bei diesem Koschnik (Anm.: der Erste Bürger- mandeur, ging er in seiner Rede Urlaubsvergnügen – auch aus Kosten- meister) kommt mit uns ins Weser- besonders auf die Frage der Auslese gründen – nicht durch eine Armada stadion. Zur gleichen Zeit flaniert von Führungspersonal ein. Fachli- von Polizei- und Marinebooten um- sein Jugendsenator Henning Scherf ches Können allein reiche nicht aus, ringt sehen wollte. Fischer schlug bei den Demonstranten herum.“38 es müsse von ausgeprägtem Verant- ihm vor, die „Asta“, die größte Yacht Carstens ging in seiner Anspra- wortungsbewusstsein gegenüber den der Marine35, als Begleitboot für die che darauf ein: „Die Möglichkeit zu Soldaten und dem Staat41 flankiert Sicherheitsbeamten und oft auch einer solchen Betätigung des Rechts sein. Er betonte, dass „militärische mitsegelnde Reserveoffiziere der Ma- auf freie Meinungsäußerung könnte Führung Menschenführung“ sei; sie rine einzusetzen. Ihr Skipper war schnell ein Ende finden, wenn die dürfe nicht „zu einem funktions- Verbindungsoffizier Fischer, „ein Bundeswehr unsere Sicherheit nicht bedingtem ‘Vorgang’ oder zu einem hervorragender Segler mit vielen mehr verbürgen würde.“39 ‘System’ verkümmern, in dem Men- 10.000 Seemeilen seglerischer Er- Doch dies war alles – von Vor- schen lediglich technisch orientier- fahrung“.36 Auf zahlreichen Törns würfen keine Spur. Die Sicherheits- ten Mechanismen zu folgen haben.“42 entwickelte sich zwischen ihm, dem kräfte hatten die Herrschaft über das Am 20. Oktober 1982 nahm er Skipper der „Asta“, und dem Präsi- Geschehen verloren. Als der Hub- zum zweiten Mal – nun aber als ers- denten als Skipper der „Monsun“ ein schrauber des Präsidenten aus dem ter Mann des Staates – an einer Verhältnis, das Fischer „bei aller ge- Stadium flog, weil alle Ausfahrten Kommandeurtagung der Bundeswehr botenen respektvoller Wahrung der versperrt waren, zischten links und teil. Auf der 26. Tagung der rang- notwendigen Distanz als freund- rechts die auf ihn gerichteten Feuer- höchsten Soldaten sprach er in Ha- schaftlich und kameradschaftlich“ werkskörper vorbei. Auch beim gen über sicherheitspolitische Fra- empfand – eine ideale Voraussetzung nächsten Feierlichen Gelöbnis in der gen und setzte sich u.a. auch mit ei- für gute Zusammenarbeit. 1983 legte Öffentlichkeit, am 12. November ner Verlautbarung der Evangeli- Carstens bei einem Segeltörn auf der 1980 auf dem Münsterplatz in Bonn, schen Kirche in Deutschland ausein- kleinen, unbewohnten Insel Stens- dem 25. Jahrestag der Gründung der ander, wonach ein Atomkrieg wahr- holmen am Grabe des dort auf einem Bundeswehr, kam es zu lautstarken scheinlicher als zuvor geworden sei. Soldatenfriedhof beigesetzten Dich- Protesten, welche die Feier zu einer Es war die Zeit der Nachrüstungs- ters Gorch Fock (Hans Kienau) einen Farce machten. debatte. Carstens war gegen eine ein- Kranz nieder; Fock war 1916 in der Am 12. Mai 1981 besuchte seitige Abrüstung und schreibt, er Skagerak-Schlacht gefallen. Carstens u.a. ein Schnellbootge- wäre über diese Äußerungen, für die schwader der Bundesmarine in es keinen Beweis gegeben habe und ls „schlimmstes“ Erlebnis“37 Eckernförde: „Als Bremer, dessen Fa- sie sich später als falsch erwiesen Awährend seiner Amtszeit als milie zum Teil von der Ostseeinsel hätten, empört gewesen.43 Auf der Bundespräsident nannte Carstens die Fehmarn herstammt, als früherer Ab- 11. Hauptversammlung des Deut- Ausschreitungen während einer öf- geordneter von Ostholstein, als Segler schen Bundeswehrverbandes in Bad fentlichen Vereidigung von Rekruten von früher Jugend an, habe ich die Godesberg am 22. Oktober 1981 in Bremen am 6. Mai 1980. Es war Marine immer als etwas ganz Selbst- setzte er sich u.a. mit der Motivation die Zeit, in der öffentliche Veranstal- verständliches empfunden. Mit großer der Wehrdienstverweigerern ausein- tungen der Bundeswehr zunehmend Achtung denke ich an einige hervor- ander.44 Sein Satz, „ein Wehrpflichti- kritisiert und oft massiv gestört wur- ragende Marineoffiziere, auf deren ger leistet mehr für den Frieden als den. Carstens wollte mit seiner An- freundschaftlichen Rat ich stets gern die Friedensbewegung“45 war – wenn- wesenheit ein Zeichen setzen. Von gehört habe.“40 gleich nicht so gefallen, sondern nur der Bundeswehr waren ihm Bremen An die Vorgesetzten aller Ebe- sinngemäß ausgedrückt – ein muti- und Munster vorgeschlagen worden. nen richtete er seine Sorge darüber, ges Wort in einer Zeit, in der solche

64 AUFTRAG 263 50 JAHRE BUNDESWEHR

Bekenntnisse auf feindselige Kritik Europa und Oberbefehlshaber der er sich auf Erkenntnisse, die sich des linken Lagers stießen. In einem Heeresgruppe Mitte (COMCENTAG)49, hinterher als unrichtig erwiesen ha- Interview mit der Zeitschrift „Heer“ auch in Deutschland stationierte alli- ben. ... Nachdem sich dann herausge- im April 1982 wies er darauf hin, ierte Truppen, so z.B. die 2. US- stellt hatte, dass die Informationen dass es für den Soldaten von heute Panzerdivision in Garlstedt am 2. unzutreffend waren, habe ich sehr leichter sei, sich mit seinem Land zu Juni 1982. Er sah Besuche dieser Art gern daran mitgewirkt, General Kieß- identifizieren als während des Krie- auch als Zeichen der Würdigung des ling wieder zu ernennen und damit zu ges. Heute habe der Soldat die Ge- Einsatzes des Alliierten für die Si- rehabilitieren. Dies ist sicherlich ein wissheit, für ein Land kämpfen zu cherheit Deutschlands.50 Im selben unbefriedigendes Schauspiel gewesen, müssen, das auf dem Recht begrün- Jahr lud Bundespräsident Carstens aber doch insofern vertretbar, ..., als det ist.46 In Carstens Amtszeit fiel anlässlich des 25. Jahrestages des eine Entscheidung, die offenkundig auch die Einführung des Ehrenzei- Einrückens von Wehrpflichtigen im falsch war, korrigiert worden ist.“54 chens der Bundeswehr am 9. Novem- Jahre 1957 Soldaten aller Dienstgra- Diese Linie des unparteiischen ber 1980. Vergeblich hatte das Ver- de und Teilstreitkräfte zu einem Staatsoberhauptes ist zu akzeptieren, teidigungsministerium bei mehreren Empfang in seinen Amtsitz nach wenngleich sie aus Sicht des Solda- Bundespräsidenten, denen die sog. Bonn, ein. Eine seiner Sorgen galt ten unbefriedigend ist. Sie wurde von Ehrenhoheit zusteht, einen Bundes- dem nachlassenden Willen der Ju- allen Bundespräsidenten eingehal- wehr-Orden beantragt, dann aber das gend zur Verteidigung der Heimat. ten, so durch Walter Scheel gegenü- Projekt nicht weiter verfolgt. Im Bun- „Wenn wir auf eine eigene Verteidi- ber den Luftwaffengeneralen Kru- despräsidialamt wurde durch Staats- gung im Rahmen unserer umfassen- pinski und Franke im Jahre 1976 sekretär Neusel und Kapitän zur See den Sicherheitspolitik verzichten, lau- und durch Horst Köhler im Falle der Fischer – ohne Zutun der Hardthöhe fen wir Gefahr, beides, Frieden und vorzeitigen Pensionierung der beiden – die Haltung des Präsidenten zu ei- Freiheit zu verlieren.“51 Generalleutnante Dieter und Ruwe ner eventuellen Einführung abgeklärt. Daher unterstützte er die Ge- im Herbst 2005. Dass Carstens Als sich Carstens positiv äußerte, sprächsbemühungen über das Thema Kießling am Ende von dessen aktiver wurde dies Minister Apel signalisiert. „Schule und Frieden“ zwischen dem Dienstzeit demonstrativ empfing, war Dieser stellte dann den Antrag, der Verteidigungsminister und den Kul- auch eine Geste höchststaatlicher zur Genehmigung durch den Bundes- tusministern der Länder und sprach Entschuldigung. präsidenten führte.47 sich dafür aus, dass in diesem Zu- Im Dezember 1982 nahm Bun- sammenhang auch die Bundeswehr s war Carstens ausdrücklicher despräsident Carstens, zusammen mit als Friedensarmee ein „angemessene EWunsch, sich am letzten Tag im dem neuen Verteidigungsminister Würdigung“ erfahren sollte.52 Amte, dem 29. Juni 1984, von der Manfred Wörner, an der Trauerfeier Am 27. März 1984 empfing Bundeswehr auf dem Truppenü- für den im Alter von 85 Jahren ver- Carstens General Dr. Günter Kießling bungsplatz Bergen zu verabschieden. storbenen ersten Generalinspekteur (* 1925), den Stellvertretenden „Die Bundesrepublik Deutschland der Bundeswehr Adolf Heusinger NATO-Oberbefehlshaber (DSA- hat sich für Demokratie, für Freiheit (1897-1982) in Köln-Marienburg teil CEUR), zum Abschiedsbesuch. Es und Würde des Menschen als zentrale und erwies damit zugleich – mit fei- war „eines der mich am meisten be- Werte entschieden. Sie hat die Vertei- nem Gespür – auch der Armee die drückenden Gespräche“53, gesteht digung dieser Weltordnung bewusst Ehrerbietung des Staates. General Carstens. Er hatte auf Antrag von Mi- zu einem Verfassungsgebot gemacht. Kießling kritisiert die geringe Betei- nister Wörner zunächst die vorzeitige Wir lehnen Gewalt als Mittel der Poli- ligung der Soldaten an der Beiset- Entlassung Kießlings aus dem akti- tik ab, aber wir lehnen es nicht ab, zung: „Aus mir unerklärlichen Grün- ven Dienst wegen der gegen ihn – uns notfalls gegen einen Angriff zu den waren nur recht wenige Soldaten fälschlicherweise – erhobenen Vor- schützen.“55 zu der Trauerfeier gekommen; auch würfe, dann aber auch dessen Wie- In seiner Rede anlässlich der der Generalinspekteur (General Jür- dereinstellung verfügt. In einem In- Vereidigung seines Nachfolgers von gen Brandt) fehlte. Um so größere Be- terview, ob die Berichterstattung „ei- Weizsäcker am 1. Juli 1984 dankte achtung verdient, dass Bundespräsi- nes irrenden oder schlampig infor- er der Bundeswehr, „die ich oft be- dent Karl Carstens diesem verdienten mierten Ministers“ (Verteidigungs- sucht habe, für ihren Einsatz zur Auf- Soldaten die letzte Ehre gab.“48 minister Manfred Wörner) für die rechterhaltung des Friedens.“ Karl Entscheidung des Bundespräsiden- Carstens verkörperte als Bundesprä- arstens wusste um die unver- ten ausreiche, sagte Carstens: „Ich sident Disziplin, Toleranz und Tradi- Czichtbare Einbindung der Bun- stehe auf dem Standpunkt, dass der tion und war damit ein Vorbild in ei- desrepublik in das NATO-Bündnis Bundespräsident in einem solchen ner nicht leichten Zeit. und unterstrich dies durch einen Be- Fall keine eigenen Recherchen anstel- Er starb am 30. Mai 1992 in such beim NATO-Hauptquartier am len kann, es sei denn, es liegt offen Meckenheim bei Bonn im Alter von 8. Oktober 1981 in Brüssel; zudem zutage, dass ihm falsch berichtet wor- 77 Jahren und fand seine letzte Ru- empfing er die Vertreter des NATO- den ist. Die für mich entscheidende hestätte auf dem Riensberger Fried- Militärausschusses am 20. Septem- Frage war und ist, ob das Vertrauens- hof in Bremen. Die Inschrift auf sei- ber 1982. Darüber hinaus besuchte verhältnis zwischen dem Minister und nem Grabstein, der auch seiner El- er – zusammen mit US-General Fre- dem General gestört war. Das hat mir tern gedenkt, lautet: derick J. Kroesen, dem Oberkom- der Minister in einem persönlichen „Wo der Geist des Herrn ist, mandierenden der US-Truppen in Gespräch ... dargelegt. Dabei stützte da ist Freiheit.“ (2 Kor. 3/17)

AUFTRAG 263 65 BLICK IN DIE GESCHICHTE

Anmerkungen: 21 Carstens, Karl a.a.O., S. 398 f. freiter Ludger Homann und Gefreiter 1 Carstens, Karl: Erinnerungen und Erfah- 22 Dabei zitierte er Bismarck, der in seinen Bernd Ducke. rungen, S. 4 Erinnerungen über König Wilhelm I. ge- 47 Carstens war – hanseatischer Tradition fol- 2 Vor der Johanniskirche in Hamburg-Altona schrieben hatte: „Er stützte und deckte gend, keine Orden außer militärischen zu wurde 1925 ein Kriegerdenkmal zu Ehren seine Diener, auch wenn sie unglücklich tragen – im Jahre 1951 als Beauftragter der Gefallenen u.a. dieses oder ungeschickt waren – vielleicht über des Bremer Senats bei Bundespräsident Regimentes errichtet. das Maß des Nützlichen hinaus und hatte Heuss vorstellig geworden und hatte diesen 3 Die Ehefrau seines Vor-Vorgängers, Hilda infolgedessen Diener, die ihm über das gebeten, von der geplanten Einführung ei- Heinemann (1896-1979), hatte ebenfalls Maß hinaus des für sie Nützlichen hinaus nes Verdienstordens Abstand zu nehmen. diese Schule besucht; sie war eine Tochter anhingen.“ – in: Carstens, Karl: Erinne- Er selbst blieb dieser Haltung treu, räumte des Bremer Getreidekaufmannes Anton rungen, S. 514 aber später ein, Heuss habe richtig gehan- Ordemann. 23 Beim Handgranatenwerfen des PzGrenBtl delt; siehe dazu Günter Scholz: a.a.O., S. 4 Veronica Carstens wurde später Fachärztin 71 auf dem TrÜbPl Putlos am 16. 61 f. für innere Medizin. Nov.1961 warf sich Boldt über einen Sol- 48 Kießling, Günter: Versäumter Wider- 5 Ihr Vater – in Baltimore/USA geboren – daten, dem die Granate aus der Hand ge- spruch, S. 161 war als Jugendlicher mit seiner Mutter rutscht war und rettete im das Leben; er 49 Auf General Kroesen wurde im Heidel- nach Deutschland zurückgekommen, da selbst starb. Die Kaserne der USH in berg am 15. September 1981 durch die der Vater früh verstorben war. Er studierte Delitzsch ist nach ihm benannt. „Rote Armee Fraktion“ (RAF – „Komman- Ingenieurswissenschaften und arbeitete – 24 Carstens, Karl: Reden und Interviews, Bd. do Gudrun Ensslin“) ein Attentat verübt. unabkömmlich (u.k.) gestellt - während 1, S. 26 Das gepanzerte Fahrzeug, mit dem der Ge- des 1. Weltkrieges bei der Firma Siemens. 25 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 583 neral zum Dienst fuhr, wurde von einer 6 Strauß, als Oberleutnant der Heeres- 26 Carstens, Karl: Ansprache an der Schule Panzerabwehrgranate sowie einer automati- artillerie, war der FAS IV der Luftwaffe un- für Innere Führung am 14. November 1979 schen Waffe getroffen. Der General erlitt terstellt, tat jedoch in einer angegliederten, in: Reden und Interviews, Bd. 1, S. 74 leichte Verletzungen. Kroesen war selbständigen Lehrgruppe des Heeres 27 Carstens, Karl: Reden und Interviews, Bd. COMCENTAG von 1979 bis 1983. Dienst. 5, S. 383 50 Carstens, Karl, in: Reden und Interviews, 7 Maizière, Ulrich de: Führen im Frieden, S. 28 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 331 Bd. 3, S. 400 ff. 287 29 Carstens, Karl: a.a.O., S. 347 51 ebd. S. 248. 8 Aus dem gleichen Grund trat auch Gene- 30 Carstens, Karl: Reden und Interviews, Bd. 52 In einem Interview mit dem Rheinischen ralmajor Günther Pape (1907-1986), der 1, S. 41 Merkur am 2. Januar 1981 in: Carstens, Befehlshaber im Wehrbereich III, zurück. 31 Carstens, Karl: Interview mit der Zeit- Karl Reden und Interviews, Bd. 2, S. 353 Da kurz auch der Inspekteur der Luftwaffe, schrift „Evangelische Kommentare“ im 53 Carstens, Karl Erinnerungen, S. 584 Generalleutnant Werner Panitzki (1911- September 1980 in: Reden und Interviews, 54 Carstens, Karl: Interview mit der Wochen- 2000), allerdings aus einem anderen Bd. 2, S. 287 zeitung „Die Zeit“ gegenüber den Journa- Grund (wegen der aus seiner Sicht man- 32 Carstens, Karl: Politische Führung, listen Kurt Becker und Theo Sommer am gelnden Unterstützung bei der Überwin- S. 155 f. 22. Juni 1984 in: Reden und Interviews, dung der Starfighterkrise) den Rücktritt 33 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 626; zu- Bd. 5, S. 471 eingereicht hatte, entstand in der Öffent- sammen mit Otto von der Linde, dem einzi- 55 zit. in: Scholz, Günther, a.a.O., S. 356 lichkeit fälschlicherweise der Eindruck ei- gem noch lebenden Träger der Kriegsstufe nes „Aufstands der Generale.“ Mit einem des Ordens Pour le mérite. Literatur: Angriff auf den Primat der Politik hatte 34 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 654 dies nichts zu tun. 35 Die Yacht – 1971 von Morgan in den USA Apel, Hans: Der Abstieg. TB Droemersche Ver- 9 Maizière, Ulrich de: In der Pflicht, gebaut – war 55 Fuß lang und vor allem, da lagsanstalt Th. Knaur Nachf. DVA S. 287 zivil aussehend, völlig unauffällig. Im Ha- 1991 10 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 334 fen diente sie als Liegeplatz für die gerade Carstens, Karl: Politische Führung. Erfahrun- 11 Maizière, Ulrich de: Führen im Frieden, S. 30 Fuß große Yacht des Bundespräsiden- gen im Dienst der Bundesregierung. Deut- 31 ten. Der Chef des Bundespräsidialamtes, sche Verlagsanstalt Stuttgart 1971 12 Es war der Bundesminister für Vertriebene, Staatssekretär Hans Neusel, ursprünglich Carstens, Karl (Mit-Hrsg.) – Westeuropäische Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte Kai kein Segler, war im 2. Amtsjahr aus Neu- Verteidigungskooperation, Band 31 der Uwe von Hassel, der vormaligen Chef der gierde einmal mitgesegelt und wurde von Schriften des Forschungsinstituts der Deut- Hardthöhe. der Leidenschaft für diesen Sport ange- schen Gesellschaft für Auswärtige Politik, 13 Carstens, Karl: Erinnerungen und Erfah- steckt. Seitdem fuhr er – auch nach seinem Verlag Oldenbourg München Wien 1972 rungen, S. 350 Wechsel in das Innenministerium – alle Carstens, Karl: Erinnerungen und Erfahrungen. 14 Carstens, Karl: Politische Führung, Törns mit, und nach seiner Pensionierung Harald Boldt Verlag Boppard am Rhein 1993 S. 150 segelte er mehr als 20.000 Seemeilen mit Carstens, Karl: Reden und Interviews – 5 Bän- 15 Carstens schreibt, Schnez wurde vorgewor- Fischer zusammen. de – hrgs. vom Presse- und Informa- 36 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 657 fen, in den dreißiger Jahren in einer tionsamt der Bundesregierung Militärzeitschrift Artikel mit nazistischer 37 Carstens, Karl: Interview mit der Wochen- Hölscher, Albert: Zur Carstens-Forschung – Tendenz veröffentlicht zu haben. In einer zeitung „Die Zeit“ am 22. Juni 1984; in: unveröffentl. Manuskript 1978 Überprüfung wurden die Vorwürfe als halt- Reden und Interviews, Bd. 5, S. 473 f. Kießling, Günter: Versäumter Widerspruch. v. los entkräftet. Schnez wurde 1968 Inspek- 38 Apel, Hans Der Abstieg S. 124 Hase & Koehler Verlag Mainz, 2. Aufl. teur des Heeres und General Jürgen Ben- 39 Carstens, Karl, Ansprache vor den angetre- 1993 necke (1912-2002) folgte Graf tenen Soldaten im Bremer Weserstadion Krack, Bernhard W.: Staatsoberhaupt und Kielmansegg als CINCENT. Nach anderen am 6. Mai 1980 in: Reden und Interviews Streitkräfte – Die Position der Bundesprä- Quellen soll die niederländische Regie- Bd. 1 S. 244 sidenten zur Bundeswehr und zur rung Einspruch gegen die 40 Carstens, Karl, 12. Mai 1981 in Eckern- Sicherheitspolitik. Ergon Verlag Dr. Hans- Ernennung von Schnez geltend gemacht förde in: Reden und Interviews Bd. 2 S. Jürgen Dietrich, Würzburg 1990 haben. 204 Maizière, Ulrich de: Führen im Frieden. 16 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 337 41 Carstens, Karl, in: Reden und Interviews Bernard & Graefe Verlag München 1974 17 Maizière, Ulrich de: Führen im Frieden, S. Bd. 3 S. 250 ff. Maizière, Ulrich de In der Pflicht Verlag E.S. 108. Umgesetzt wurde dies jedoch bis heu- 42 Ebenda S. 251 Mittler & Sohn, Herford/Bonn 1989 te nicht. 43 Carstens, Karl : Erinnerungen, S. 586 Scholz, Günther: Die Bundespräsidenten. 18 Heute besitzt der Chef des Bundeskanzler- 44 Carstens, Karl: in: Reden und Interviews, Hüthig Verlagsgemeinschaft Decker & amtes als Bundesminister Kabinettsrang. Bd. 3, S. 123 ff. Müller, Heidelberg 1990 19 Carstens, Karl: Erinnerungen, S. 352 45 zit. in: Scholz, Günther a.a.O. S. 355 Wiedemeyer, Wolfgang: Karl Carstens – Im 20 Carstens, Karl: Reden und Interviews, Bd. 46 Carstens, Karl: Reden und Interviews Bd. Dienste unseres Staates. Verlag Bonn Ak- 5, S. 381 3, S. 487 Interviewpartner waren Oberge- tuell, Stuttgart 1980

66 AUFTRAG 263 50 JAHRE BUNDESWEHR

VOR 450 JAHREN STARB DER ORDENSGRÜNDER IGNATIUS VON LOYOLA:

„Gott in allem finden“ Kirche nur von innen her erfolgen VON KNA-MITARBEITER JOSEF MEINERS kann, aus einer vertieften Frömmig- keit und Christusbegegnung. „Gott in hr müsst wissen, dass Pater Universität Paris einschreiben und allem finden“, so lautete das Leit- Ignatius zwar ein guter gründete hier mit Gesinnungsgenos- wort. Neu war auch, dass der Orden „IMensch und sehr tugendhaft sen den Jesuitenorden, den er bedin- kein Kloster besaß und die Mönche ist. Aber er ist ein Baske...“ So cha- gungslos dem Papst unterstellte. Um keinen Habit trugen. Charakteris- rakterisierte einer der ersten Jesuiten ihrem Bund festen Halt zu geben, tisch war eine hochkarätige Ausbil- den Stifter seines Ordens. Tatsäch- legte er mit sechs Freunden als dung, die nicht nur Theologie um- lich war Ignatius ein Sohn seines „Societas Jesu“ – „Gesellschaft fasste. Revolutionär für damalige Volks, dessen Symbole Eiche und Jesu“ – in der Kirche Saint-Denis auf Verhältnisse, so dass sich Ignatius Eisen sind. Ohne seine unbändige dem Montmartre die Gelübde der Ar- mehrfach vor der spanischen Inquisi- Willenskraft hätte der Feuerkopf mut und Keuschheit ab. Unter ihnen tion rechtfertigen musste und mehre- sein Lebenswerk nicht zustande ge- waren Peter Faber, der später halb re Monate im Gefängnis verbrachte. bracht. Vor 450 Jahren, am 31. Juli Europa bereiste und als erster Jesuit Umstritten von Anfang an, entwickel- 1556, starb Ignatius von Loyola. deutschen Boden betrat, und Franz te sich der Orden zur wichtigsten Der auf dem familieneigenen Xaver, der zum Wegbereiter jesuiti- Waffe der Kirche im Zeitalter der Schloss Loyola in Nordspanien am scher Weltmission wurde. Gegenreformation. Neben Peter 31. März 1491 geborene Inigo war Nach seiner Priesterweihe in Ve- Faber und Franz Xaver haben auch zunächst kein Musterknabe. Er wid- nedig wurde Ignatius zum Generalo- weitere Mitbrüder bei der Erschlie- mete sich dem Glücksspiel, hatte beren der Gesellschaft Jesu gewählt, ßung der „Neuen Welt“ in Süd- Frauengeschichten und liebte Waffen- der Orden 1540 durch Papst Paul III. amerika und Asien tätkräftig mit- taten. Dann die jähe Wende, als ihm bestätigt. Die geistliche Gemein- wirkt. Von seiner bescheidenen Zelle 1521 bei der Belagerung von Pam- schaft war völlig neuartig: Statt ein in Rom aus lenkte Ignatius seinen plona eine Kanonenkugel sein Bein zurückgezogenes Leben hinter Klos- Orden 16 Jahre lang und brachte ihn zerschmetterte: Statt der gewünsch- termauern zu führen, wandten sich dank seiner Organisationsgabe zu ra- ten Ritterromane reichte man ihm die Jesuiten der Welt zu. Ignatius scher Entwicklung. In der Ewigen auf dem Krankenbett eine romanhaf- war davon überzeugt, dass die nötige Stadt gründete er auch das Collegium te Beschreibung des Lebens Jesu Reform der schwer angeschlagenen Germanicum, aus dem immer neuer, und mehrere Heiligenviten als vorzüglich geschulter Priestern- Lektüre. Der Lebemann wurde achwuchs hervorging. Viele von bekehrt. S T I C H W O R T: Jesuiten ihnen sandte er nach Deutsch- Danach zog er sich ins Klos- land, wo die Lehre Martin ter Montserrat zurück, wo er eine Die Jesuiten bilden die größte Ordensgemeinschaft der katholischen Kirche. Luthers um sich gegriffen hatte. Gegründet hat die „Gesellschaft Jesu“, so die offizielle Bezeichnung in An- Das hauptsächliche Instru- Generalbeichte ablegte. Dann be- lehnung an das lateinische „Societas Jesu“ (SJ), der Spanier Ignatius von gab er sich in die Einsamkeit Loyola (1491-1556). ment seines Wirkens waren die nach Manresa und kasteite sich Ignatius schuf einen völlig neuen Ordenstyp. Bezeichnend dafür ist Exerzitien. Acht Jahre vor sei- in beinahe selbstmörderischer noch heute das dynamische Prinzip, das eine stete Anpassung an die aktuel- nem Tod veröffentlichte Ignatius Askese. Sein Bestreben, selbst le Situation verlangt. Jesuiten sind keine Mönche, sie führen kein Kloster- die Grundmeditationen, Leitide- die Heiligsten unter den Heiligen leben und tragen keine Ordenskleidung. Neben den drei Ordensgelübden – en und Hauptgedanken als zu übertreffen, führte ihn vorü- Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam – verpflichten sie sich, wie schon Buch. Als der „General“ am 31. bergehend zu unbarmherziger Ignatius, in einem vierten Versprechen zum Gehorsam gegenüber Missions- Juli 1556 – im Alter von 65 Jah- Selbsttortur. Schließlich gelangte aufträgen des Papstes. Außerdem legen sie ein Zusatzversprechen ab, nicht ren – starb, zählte der Orden er zu der Erkenntnis, dass er alles nach kirchlichen Ämtern zu streben. So kann ein Jesuit nur Bischof werden, bereits mehr als 1.000 Mitglie- zur größeren Ehre Gottes tun wer- wenn es der Papst ausdrücklich anordnet. der und besaß über 100 Nieder- Aufgabenfelder sind traditionell Schulen und Universitäten, die de. „Omnia ad majorem Dei Priesterausbildung und die Arbeit in Massenmedien. Papst Paul VI. beauf- lassungen. Obwohl die „Societas gloriam“ - dieser Leitsatz wurde tragte den Orden zudem, sich mit der sozialen Frage und dem Dialog mit Jesu“ immer wieder auf Anfein- bestimmend für sein Leben. dem Atheismus zu befassen. Jesuiten gelten als „intellektuelle Elite“ und dungen stieß, die sogar zur vorü- Ignatius beschloss, eine reli- „geistige Avantgarde“ des Katholizismus. bergehenden Auflösung des Or- giöse Gesellschaft zu gründen. In An der Spitze der Gesellschaft Jesu, die in 125 Ländern vertreten ist, dens führten, hat die Gründung Manresa entstand sein weltbe- steht ein Ordensgeneral, derzeit der Niederländer Peter-Hans Kolvenbach. des heiligen Ignatius die Jahr- rühmtes Exerzitienbüchlein, das Zum Orden gehören derzeit weltweit rund 20.000 Mitglieder, in Deutschland hunderte überdauert und ist heu- zur Grundlage der berühmten je- rund 440. Bedeutende Jesuiten waren der Indien- und Japanmissionar Franz te die Ordensgemeinschaft mit suitischen Willensschulung wer- Xavier (1506-1552) und Matteo Ricci (1552-1610), der am kaiserlichen den meisten Mitgliedern – den sollte. Von einer Pilgerfahrt Hof in China wirkte, sowie der Kirchenlehrer Petrus Canisius (1521-1597). derzeit rund 20.000. Ignatius Als berühmte Jesuiten des 20. Jhs. gelten der Konzilstheologe Karl Rahner wurde in der Kirche Il Gesu in ins Heilige Land zurückgekehrt, (1904-1984), der Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell- besuchte er die Hochschulen von Breuning (1892-1991) und der Naturwissenschaftler und Philosoph Teilhard Rom begraben. Er wurde 1622 Barcelona, Alcala und Salaman- de Chardin (1881-1955). (KNA) heilig gesprochen; sein Fest wird ca. Zuletzt ließ er sich an der am 31. Juli gefeiert.

AUFTRAG 263 67 BLICK IN DIE GESCHICHTE

VOR 200 JAHREN ENDETE DAS HEILIGE RÖMISCHE REICH: „Deutschland ist kein Staat mehr“ Gleichwohl war das Reich weit VON KNA-REDAKTEUR ALEXANDER BRÜGGEMANN mehr als ein überlebtes, verzopftes Idyll. Die zunächst vor allem durch ie ärzte geben ihn auf, Tatsächlich regte sich in Regens- preußische Kritik geprägte und teils mann ist versichert, daß er burg, Wien und anderswo kaum noch verächtliche Beurteilung des Rei- „Dsterben wird, und mit all Widerstand gegen das scheinbar Un- ches ist nach der Katastrophe des der Gewißheit wird mann doch er- vermeidliche, war es auch rechtlich Zweiten Weltkriegs inzwischen einer schüttert, wann die Post kommt, er ist noch so anfechtbar: Bestürzung und differenzierteren Sicht gewichen. todt.“ So beschreibt Goethes alte Sprachlosigkeit herrschten allenthal- Manche positive Parallele drängt Mutter Catharina Elisabeth ihre ben. Nun vollzog sich die wenige sich auf zum aktuellen Prozess der Empfindungen, als sie vom Unter- Jahre zuvor formulierte Prophezeiung europäischen Einigung. So betrieb gang des „Heiligen Römischen Rei- des Philosophen Georg Wilhelm das Römische Reich Deutscher Nati- ches Deutscher Nation“ erfährt: Am Friedrich Hegel: Das Reich, aus ei- on nach innen eine konsequente 6. August 1806, vor 200 Jahren, leg- nem Haufen runder Steine aufge- Friedenspolitik, die vor allem auf te Franz II. in Wien unter dem Druck schichtet, müsse auseinander rollen Rechtssicherheit und Freiheit ausge- Napoleons die Kaiserkrone nieder – und zusammenstürzen, wenn nur ein richtet war. Dass seine Institutionen und setzte damit den Schlusspunkt Stein davon ins Rollen geriete. und Mitglieder dadurch zu immer unter eine fast 1.000-jährige Ge- „Deutschland ist kein Staat mehr“, neuen Kompromissen gezwungen wa- schichte. so beginnt Hegels berühmte, unvoll- ren, musste freilich nach außen als Dabei handelte es sich nicht um endete Verfassungsschrift. Schwäche ausgelegt werden – ebenso eine klassische Abdankung, die Der sakrale Anspruch längst er- wie seine defensive Ausrichtung und manch unverdrossener Reichsroman- loschen, die Verfassung ausgehöhlt, der fehlende Wille zur militärischen tiker noch durch eine baldige Neu- durch Säkularisation und Mediatisie- Expansion. Auch die Lebensfähig- wahl für behebbar hätte halten kön- rung ad absurdum geführt: Das keit von Klein- und Kleinststaaten nen. Nein, die Niederlegung war ein Reich bot bei seinem Untergang ein darf im Rückblick als Beispiel ge- echtes Ende – und ein demütigendes trauriges Bild. Wo aber lagen die bend gelten. dazu. Der Römische Kaiser, der vor- Gründe für das Scheitern einer Insti- Auch an ideologischen Anknüp- sichtshalber noch 1804 für sich und tution, die Europa über fast ein Jahr- fungspunkten und historischen In- seine Nachkommen in Österreich ein tausend prägte? Historiker verweisen strumentalisierungen des Reiches neues Erbkaisertum geschaffen hat- darauf, dass das Reichsgebilde hat es von der Romantik bis vor al- te, entband alle Stände von ihren schon durch seine föderale Natur un- lem zur NS-Zeit nicht gefehlt. Da ist Pflichten, nachdem einige Tage zuvor fähig war, Machtpolitik zu betreiben etwa die Kyffhäuser-Legende, promi- mehrere Fürsten auf verfassungs- – und es damit nur eines Gegners nentes Beispiel des 19. Jhs. für das rechtlich fragwürdige Weise ihren vom Kaliber Napoleons bedurfte, um romantisierende „Warten auf ein Austritt aus dem Reichsverband er- gestürzt zu werden. Der fortdauernde neues Reich“. Oder das NS-Reichs- klärt und der Korsen-Kaiser der Kampf zwischen dem protestanti- tagsgelände in Nürnberg, das die Na- Franzosen ein Ultimatum nach Wien schen Preußen und dem katholi- tionalsozialisten mit dem Slogan be- übersandt hatte. schen Österreich tat ein Übriges. warben: „Vom Ort der Reichstage zum Ort der Reichsparteitage.“ Oder die von der SS geprägten „Heinrichs- feste“ in Quedlinburg, die das „Tau- sendjährige Reich“ in eine vermeint- liche Kontinuität von Kaiser Hein- rich I. bis zu Heinrich Himmler stell- te. Im Sommer 2006 ist der Jahrestag des Untergangs vor allem Anlass für zahlreiche Ausstellungen, die größte ab 28. August im Deutschen Histori- schen Museum Berlin. Er ist aber auch Gelegenheit, sich ein Kern- element der deutschen Geschichte neu zu vergegenwärtigen. (KNA)

Hinweis: Nähere Informationen über die Ausstellungen zum Heiligen Römischen Reich im Berliner Historischen Museum und im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg im Internet unter www.dasheiligereich.de.

68 AUFTRAG 263 KIRCHE UNTER SOLDATEN 46. WOCHE DER BEGEGNUNG

»SOLDATEN ALS DIENER DES FRIEDENS – GEWISSEN UND GEHORSAM« Einladung zur 46. Woche der Begegnung vom 18. bis 23. September 2006 im Heinrich-Pesch-Haus Ludwigshafen

Sa 16. bis Mo 18. September Vorkonferenz für die Vorstände ZV und GKS

Mo 18. bis Do 21. September Zentrale Versammlung (ZV)

Mi 20. bis Sa 23. September Bundeskonferenz der GKS

Fr 22. September Mitgliederversammlung FGKS e.V.

Sa 23. September Mitgliederversammlung GKS e.V. AUFTRAG 263 69 KIRCHE UNTER SOLDATEN Programm der ZV in Auszügen 15:10 Uhr Bericht des Bundesvorsitzenden der GKS 15:30 Uhr Bekanntgabe des Wahlergebnisses Montag, 18. September 15:40 Uhr Wort des Militärbischofs zum Abschluss bis 16:00 Uhr Anreise und Empfang der Teilnehmer 16:00 Uhr Schlusswort des scheidenden Vorsitzen- 17:00 Uhr Eröffnungsgottesdienst, Zelebration: den der ZV Oberst Richard Schmitt MGV Prälat Walter Wakenhut Wort des neuen Vorsitzenden der ZV Ort: Hauskapelle bis 16:00 Uhr Anreise von Teilnehmern zur Bundes- 19:30 Uhr Eröffnung der ZV konferenz der GKS Begrüßung Vorsitzender der ZV 17:30 Uhr Pontifikalgottesdienst in der Pfarrkirche Oberst Richard Schmitt Herz Jesu in Ludwigshafen, Zelebration: Einweisung in das Tagungshaus Militärbischof Dr. Walter Mixa Pater Tobias Karcher SJ 19:00 Uhr Empfang und Gästeabend im Heinrich- Begrüßung durch den KLMD Koblenz Pesch-Haus MD Rainer Schnettker Eröffnung der Beratungen Programm der BuKonf GKS in Auszügen MGV Prälat Walter Wakenhut Bildung eines Wahlausschusses Donnerstag, 21. September anschl. Treffen der Delegierten aus den Dienst- 07:30 Uhr Heilige Messe in der Hauskapelle aufsichtsbezirken der KLMD Zelebration: Militärbischof Mixa 09:15 Uhr Plenum: Eröffnung der Bundeskonferenz Dienstag, 19. September durch den Bundesvorsitzenden, 08:30 Uhr Morgenlob in der Hauskapelle - Wort des Militärgeneralvikars 09:00 Uhr Podiumsgespräch mit Aussprache: - Bericht des Vorsitzenden ZV „Soldaten als Diener des Friedens – - Bericht des Bundesvorsitzenden Gewissen und Gehorsam“ - Wort des Geistlichen Beirates Teilnehmer: - Grußworte • Prof. Dr. Thomas Hoppe, Uni Bw HH - Aussprache zum Jahresbericht 2006 • Generalmajor Rainer Glatz, Befehls- 15:00 Uhr Plenum: Vortrag mit Aussprache: haber EinsFüKdo Potsdam; „Ethische Bildung in der Bundeswehr – • Vertreter Wehrbeauftragter des Dt. Chancen und Risiken“, Referent: Bundestages; LtdWissDir Lothar Bendel, Berlin Einführung und Moderation: 19:00 Uhr Sitzung des Bundesvorstandes • LtdWissDir i.K. Lothar Bendel, Berlin 12:00 Uhr Vorbereitung Wahl des Vorsitzenden ZV Freitag, 22. September 15:00 Uhr Wort des Vertreters des Priesterrates 07:30 Uhr Heilige Messe in der Hauskapelle MD Thomas Stolz, Ulm Zelebration: MD Thomas Stolz, Ulm 15:10 Uhr Berichte aus der Arbeit des Vorstandes 09:15 Uhr Arbeitsgruppen zum Thema des Vor- der ZV, u.a. Arbeit im ZdK, Nachbar- trages „Ethische Bildung in der Bundes- schaftshilfe 2005/06 u. 2006/07, aus der wehr – Chancen und Risiken“ Arbeit von Sachausschüssen, Einbringen anschl. Vorstellung derErgebnisse im Plenum von Beschlussvorlagen 13:30 Uhr Mitgliederversammlung FGKS e.V. 17:30 Uhr Gottesdienst in der Hauskapelle 15:00 Uhr Kulturprogramm: Besichtigung des Zelebration: Militärbischof Mixa Domes zu Speyer 20:00 Uhr Treffen der Delegierten anschl. geselliger Abend im Offizierheim Speyer

Mittwoch, 20. September Samstag, 23. September 07:30 Uhr Morgenlob in der Hauskapelle 08.30 Uhr Heilige Messe in der Hauskapelle 09:00 Uhr Zeugnis für Gott, Dienst am Menschen – Zelebration: MD Johann Meyer Leben des seligen Pater Rupert Mayer SJ 09:15 Uhr Plenum: Referent: Pater Karl Weich SJ - Beschlüsse 10:00 Uhr Berichte aus den Dienstaufsichtsbezirken - Verabschiedungen von Erklärungen der KLMD und Zusammenfassung durch - Die Arbeit der GKS im kommenden den Vorsitzenden ZV mit Aussprache Jahr (Unser Jahresthema, Aktivitäten) 12:00 Uhr Verabschiedung von Beschlussvorlagen - Schlusswort des Bundesvorsitzenden 12:15 Uhr Vorstellung der Kandidaten zur Wahl 11:00 Uhr Mitgliederversammlung GKS e.V. des Vorsitzenden ZV 12.00 Uhr Mittagsimbiss 15:00 Uhr Wahl des Vorsitzenden ZV anschl. Abreise

70 AUFTRAG 263 46. WOCHE DER BEGEGNUNG Die Woche der Begegnung 2006 findet in der Diözese Speyer, Dekanat Ludwigshafen statt. Das Bistum umfasst den pfälzischen Teil des Regierungsbezirks Rheinhessen-Pfalz im Land Reinland-Pfalz und den Saarpfalz-Kreis im Saarland.

AUFTRAG 263 71 KIRCHE UNTER SOLDATEN »Soldaten als Diener des Friedens – Gewissen und Gehorsam« edanken des Vorsitzenden der Zentralen Versammlung (ZV), Oberst Richard Schmitt, zum Leitthema der 46. Woche der Begegnung und zum Ablauf der ZV (gekürzt). Renovabis dankt katholischen G Soldaten für Projekthilfe „... Mit dem Thema »SOLDATEN Wir freuen uns sehr, dass unser Osteuropa-Hilfswerk erhielt insgesamt ALS DIENER DES FRIEDENS – GEWISSEN Militärbischof neben der Teilnahme 315.000 Euro an Spenden UND GEHORSAM« wollen wir das an den Beratungen einen Pontifikal- Spannungsfeld der Anforderungen an gottesdienst mit uns feiern wird. Für „wertvolle und großzügige Unterstützung seiner Projekte hat das Hilfwerk Renovabis der den Soldaten im Kontext mit den Hierzu sind wir Gast in der katholi- neuen und künftigen Einsatzer- Katholischen Militärseelsorge gedankt. Am schen Pfarrkirche Herz Jesu und zei- Rande des Festaktes zum 50-jährigen Bestehen fordernissen vor dem Hintergrund gen auf diese Weise unsere Verbun- des mit dem Verwaltungsgerichts- der Militärseelsorge in Berlin verwies Reno- denheit mit der zivilen Kirche vor vabis Hauptgeschäftsführer Pater Dietger urteil des letzten Jahres, dem Luft- Ort. Demuth auf die Summe von rund 315.000 Euro, sicherheitsgesetz und anderen Erfor- Der neue Vorstand, den Sie im die das KMBA, die ZV und die GKS dem dernissen aufgebrochenen Thema letzten Jahr gewählt haben, hat die Hilfswerk seit seinem Bestehen 1993 insgesamt der individuellen Gewissensent- Arbeit erfolgreich aufgenommen und gespendet haben. Mit diesem Geld hätten die scheidung aus den verschiedenen die Arbeit in den Sachausschüssen kath. Soldaten über Renovabis und seine Gesichtswinkeln betrachten. intensiv angepackt und erste Ergeb- Partner vor Ort in vielen Notsituationen, aber Dieser thematische Hauptteil nisse erzielt. Diese werden Ihnen auch bei wichtigen sozialen und pastoralen wird im Rahmen eines Podiums ... durch die Vorstandsmitglieder wäh- Projekten in Mittel- und Osteuropa helfen gestaltet. Die Delegierten sollen in- rend der ZV vorgestellt. Vielleicht können, betonte Demuth: „Dadurch haben die tensiv in das Gespräch mit einbezo- gelingt es ja, noch den einen oder an- Soldaten viel zur Entspannung in den Krisen- gen werden. Zur Vorbereitung emp- regionen Südosteuropas beigetragen und deren Teilnehmer für die Mitarbeit in dafür gesorgt, dass die Wunden des Krieges fehle ich die Erklärung der deut- einem der Sachausschüsse zu gewin- schen Bischöfe „Soldaten als Diener schneller heilen“. nen. des Friedens“ vom 21.11.2005. So unterstützen die Soldaten etwa seit Jahren ein Hilfs-Programm für jugendliche Land- Es gilt auch Rückblick zu halten Das Thema der ZV „Gewissen minenopfer im Kosovo. Des Weiteren spenden auf Ergebnisse der ZV des Vorjahres: und Gehorsam“ wird berührbar an sie für den Aufbau eines Weisenhauses im der Person des seligen Jesuitenpaters Ich gehe davon aus, dass der Herr slowakischen Nitra und für ein Kinderferiendorf in Jabloniza in der Ukraine. Demuth würdigte Rupert Mayer, der in der Militärseel- Militärgeneralvikar uns über den Stand der Diskussion über die von die jahrelange Zusammenarbeit von Renovabis sorge eine besondere Verehrung ge- und Kath. Militärseelsorge. nießt. P. Mayer hat aus dem Glauben uns als Beschlussvorlage verabschie- und einem christlich gestalteten Ge- dete „Ordnung der Arbeitskonferenz (Quelle: www.renovabis.de/aktuell) wissen heraus seinen Dienst am beim Katholischen Leitenden Militär- Menschen geleistet, und er hat Zeug- dekan“ unterrichten wird. ment) hat im Auftrag des Vorstandes nis abgelegt – mit allen Konsequen- Im letzten Jahr haben wir die Er- Möglichkeiten erkundet und wird ein zen. klärung „Militärseelsorge zukunfts- neues Projekt, ebenfalls im Kosovo, Unser diesjähriges Tagungshaus fähig gestalten“ verabschiedet. Diese vorschlagen: Aufbau und Unterstüt- wird von Jesuiten geleitet. Von daher habe ich mit Anschreiben an die zung des Loyola-Gymnasiums in sind wir dankbar, dass P. Karl Weich Fraktionen des Deutschen Bundesta- Prizren. Dies wiederum in enger Zu- SJ uns die Biographie des P. Rupert ges, den Bundesminister der Vertei- sammenarbeit mit RENOVABIS und Mayer vorstellen wird. digung, die militärische Führung, der Möglichkeit, vor Ort Informatio- den Wehrbeauftragten, alle Diöze- nen über das Projekt einziehen zu Im Beratungsteil der ZV stehen sanbischöfe, den Evangelischen können. wie jedes Jahr die Vorträge aus den Militärbischof und an alle Diözesan- Dienstaufsichtsbezirken im Mittel- räte in der Bundesrepublik Deutsch- Wie Sie der Tagesordnung der punkt. Diese werden wieder in An- land verteilt. Über die Resonanz wer- ZV entnehmen können, steht auch wesenheit unseres Militärbischofs de ich in der ZV berichten. unerwartet die Neuwahl des Vorsit- vorgetragen. Damit haben wir die zenden der ZV an. ... Meine aktive Möglichkeit, ihm ungeschönt und in Unser sehr erfolgreiches Projekt Dienstzeit endet zum Jahresende, aller Deutlichkeit die Sorgen und im Rahmen der Nachbarschaftshilfe und ich werde die Jurisdiktion des Nöte der Laien in der Militärseelsor- „Hilfe für minengeschädigte Kinder Katholischen Militärbischofs verlas- ge zu benennen, aber auch die Erfol- und Jugendliche im Kosovo“ läuft in sen. Dies erfordert eine Neuwahl. ...“ ge und positiven Eindrücke zu be- diesem Jahr aus. SFw Peter Weber (aus: Rundbrief 1/2006 des Vor- richten. (Sachausschuss Soziales Engage- sitzenden der ZV vom Auust 2006)

72 AUFTRAG 263 46. WOCHE DER BEGEGNUNG Gewissen und Gehorsam Eine kurze Hinführung auf den zweiten Teil des Leitthemas der 46. Woche der Begegnung ach der Empfehlung des Vorsitzenden der ZV, die Erklärung der deutschen Bischöfe „Soldaten als Diener des Friedens“ vom N21.11.2005 zur Einführung in das Leitthema der Woche zu stu- Aussagen zur Gewissensfreiheit dieren, gibt die Redaktion AUFTRAG hier noch einige Hinweise zu den Begriffen GEWISSEN und GEHORSAM, wie sie im Internet und in kirchli- Allgemeine Erklärung der Menschenrechte chen Dokumenten zu finden sind (Auswahl und Zusammenstellung PS). Artikel 18: Jeder Mensch hat Anspruch auf Ge- danken-, Gewissens- und Religions- Gewissen freiheit; dieses Recht umfasst die ber das Gewissen gibt es Freiheit, seine Religion oder seine die unterschiedlichsten Definition des Gewissens Überzeugung zu wechseln, sowie die Ansichten, Meinungen Das Bewusstsein des Menschen um Gut und Freiheit, seine Religion oder seine Ü Überzeugung allein oder in Gemein- oder Theorien. Böse, dessen Anlage dem Menschen je nach per- Viele stellen sich unter schaft mit anderen, in der Öffent- sönlicher Weltanschauung von Gott bzw. der Na- lichkeit oder privat, durch Lehre, Gewissen eine spezielle Instanz tur geschenkt wurde in Kombination mit dem des menschlichen Bewusstseins Ausübung, Gottesdienst und Voll- inneren Antrieb, diesem Wissen entsprechend zu ziehung von Riten zu bekunden. vor, die einen dazu drängen, wenn handeln. nicht sogar zwingen soll, aus ethi- schen bzw. moralischen Gründen Grundgesetz der Budesrepublik Deutschland bestimmte Handlungen auszuführen oder zu unterlassen. Entscheidun- Art. 4: Glaubes-, Gewissens- gen können dabei als unausweichlich empfunden werden oder mehr oder und Bekenntnisfreiheit weniger bewusst, also im Wissen um ihre Voraussetzungen und denkbaren (1) Die Freiheit des Glaubens, des Folgen, vorgenommen werden (Verantwortung). Gewissens und die Freiheit des Handelt ein Mensch entsprechend seinem Gewissen, ist er oder fühlt religiösen und weltanschauli- er sich gut und zufrieden und gibt üblicherweise an, ein gutes oder reines chen Bekenntnisses sind unver- Gewissen zu haben oder zu besitzen; handelt er indessen entgegen seinem letzlich. Wissen und Gewissen, so fühlt er sich von dieser vermeintlichen Bewusst- (2) ... seinsinstanz vielleicht angeklagt oder gar verfolgt oder unter Druck ge- (3) Niemand darf gegen sein Gewis- setzt. Andere verspüren eher ein nagendes Gewissen, und wieder andere sen zum Kriegsdienst mit der fühlen sich von Gewissensbissen geplagt oder geradezu gepeinigt. Waffe gezwungen werden. Ersichtlich handelt es sich bei diesen geläufigen Redeweisen um alltagssprachliche Redewendungen, die über die realen Zusammenhänge kaum etwas aussagen, zumal sie teilweise deutlich metaphorischer Art sind und daher nicht wörtlich verstanden werden dürfen. Auch von ande- Gehorsam ren Voraussetzungen ausgehende Ansichten und Vorstellungen, Meinun- Das Wort Gehorsam leitet sich gen und Theorien von Natur und Herkunft des Gewissens scheinen kaum (ähnlich wie Gehorchen) von Gehör, geeignet, etwas zur Aufklärung der psychologischen Eigenart des Gewis- horchen, Hinhören ab und kann von sens beizutragen. einer rein äußerlichen Handlung bis zu einer inneren Haltung reichen. Das Gewissen im Christentum Gehorsam ist prinzipiell das Be- Das Alte Testament kennt das Herz als Ausgangspunkt guter wie böser folgen von Geboten oder Verboten Taten, allerdings ist nirgends die Rede von einer kritischen Instanz im durch entsprechende Handlungen Geist oder in der Seele des Menschen. oder Unterlassungen. Gehorsam be- Erst Paulus hat den Begriff Gewissen in die christliche Theologie ein- deutet die Unterordnung unter den geführt. Ihm zufolge ist das Gewissen keine Instanz, die eigene ethische Willen einer Autorität, das Befolgen Maßstäbe setzt, sondern Wissen um das eigene Verhalten angesichts der eines Befehls, die Erfüllung einer für dieses Verhalten bestehenden Forderung (Röm 2,14: Wenn Heiden, Forderung oder das Abstehen von et- die das Gesetz nicht haben, sich trotzdem an das Gesetz halten, sind sie was Verbotenem. Die Autorität ist selbst das Gesetz usw.; 1. Kor 8,7-13 und 10,25-30). Johannes nimmt in meistens eine Person oder eine Ge- seinem 1. Brief Bezug auf das Gewissen, auch wenn er das Wort Herz meinschaft, kann aber auch eine benutzt. 1. Joh. 3,19 - 21: „Daran werden wir erkennen, dass wir aus der überzeugende Idee, Gott oder das ei- Wahrheit sind, und werden unser Herz in seiner Gegenwart beruhigen. gene Gewissen sein. Denn wenn das Herz uns auch verurteilt – ist Gott größer als unser Herz, und (nach: Wikipedia, er weiß alles. Wenn das Herz uns aber nicht verurteilt, haben wir gegenüber der freien Enzyklopädie) Gott Zuversicht; ...“ (nach: Wikipedia, der freien Enzyklopädie) Fortsetzung auf S. 74, Sp. 1

AUFTRAG 263 73 KIRCHE UNTER SOLDATEN

Fortsetzung von Seite 73 Katechismus der Katholischen Kirche zum Gewissen und Gehorsam Formen von Gehorsam gem. Kompendium von 2005 1. Kindlicher Gehorsam: ein Sich-Fügen von Kindern in GEWISSEN den Familienverband, das sich 372. Was ist das Gewissen? aus einem natürlichen Abhängig- Das Gewissen, das im Innersten des Menschen wirkt, ist ein Urteil der Ver- keitsverhältnis zu den Eltern er- nunft, das ihm zum gegebenen Zeitpunkt gebietet, das Gute zu tun und das gibt. Im übertragenen Sinn aber Böse zu unterlassen. Durch das Gewissen erfasst der Mensch, ob eine aus- auch das kindlich-kindische Ver- zuführende oder bereits vollbrachte Handlung sittlich gut oder schlecht halten Erwachsener. ist, und kann die Verantwortung dafür übernehmen. Wenn er auf das Ge- 2. Solidarischer Gehorsam: wissen hört, kann der kluge Mensch die Stimme Gottes, der zu ihm spricht, ein Sich-Einfügen in die Gruppe vernehmen. aus Solidarität, auch wenn man im Einzelnen nicht selbst von 373. Was verlangt die Würde des Menschen einer Idee oder Handlung über- in Bezug auf das Gewissen? zeugt ist. Die Würde der menschlichen Person verlangt, dass das Gewissen richtig 3. Soziologischer Gehorsam: urteilt (das heißt, dass es mit dem übereinstimmt, was gemäß der Vernunft „Gehorsam“ als zentrales defini- und dem göttlichen Gesetz gerecht und gut ist). Aufgrund eben dieser per- torisches Merkmal für „Herr- sönlichen Würde darf der Mensch nicht gezwungen werden, gegen sein schaft“ im Kontrast zur „Macht“ Gewissen zu handeln, und man darf ihn – innerhalb der Grenzen des Ge- bei dem Soziologen Max Weber. meinwohls – auch nicht daran hindern, in Übereinstimmung mit seinem 4. Freiwilliger Gehorsam – Gewissen zu handeln, vor allem im Bereich der Religion. gegenüber Normen, die als gut anerkannt sind (z.B. 10 Gebote) 374. Wie wird das Gewissen gebildet, damit es richtig oder gegenüber dem eigenen und wahrhaftig ist? Gewissen. Damit verwandt ist Das richtige und wahrhaftige Gewissen wird durch die Erziehung und 5. Gehorsam in Ordensgemein- durch die Aneignung des Wortes Gottes und der Lehre der Kirche gebildet. schaftsen und anderen Gemein- Das Gewissen wird durch die Gaben des Heiligen Geistes unterstützt und schaften – als freiwillige Ver- durch die Ratschläge weiser Menschen orientiert. Darüber hinaus sind das pflichtung im Sinne der Gebet und die Gewissenerforschung für die sittliche Bildung von großem „evangelischen Räte“ (Armut, Nutzen. Keuschheit, Gehorsam). 6. Vorauseilender Gehorsam –Er- 375. Welchen Regeln muss das Gewissen immer folgen? spüren einer Erwartung; bevor Es gibt drei allgemeine Regeln: eine Anweisung ausdrücklich 1) Es ist nie erlaubt, Böses zu tun, damit daraus etwas Gutes hervorgehe. formuliert wurde, wird schon 2) Die sogenannte goldene Regel: „Alles, was ihr von anderen erwartet, das ‘gehorcht’. Als Maxime der Jesu- tut auch ihnen“ (Mt 7, 12). iten wurde es erstmals formu- 3) Die christliche Liebe achtet immer den Nächsten und sein Gewissen; dies liert. Er spielte eine bedeutende bedeutet freilich nicht, dass etwas als gut angenommen wird, was objektiv Rolle für die Wirksamkeit natio- schlecht ist. nalsozialistischer Kampforgani- sationen. 376. Kann das Gewissen Fehlurteile fällen? 7. Kadavergehorsam, nach einer Die Person muss dem sicheren Urteil ihres Gewissens stets Folge leisten. Wendung aus den Ordensregeln Aber aus Gründen, die nicht immer frei von persönlicher Schuld sind, des Jesuitenordens, sowie die Va- kann das Gewissen auch Fehlurteile fällen. Das Böse, das eine Person aus riante des an die Autorität sozia- unverschuldeter Unwissenheit begeht, kann ihr jedoch nicht zur Last ge- ler Organisationen verschenkten legt werden, auch wenn es objektiv etwas Böses bleibt. Aus diesem Grund Ichs (die Partei hat immer recht). müssen wir uns bemühen, Irrtümer des Gewissens zu beheben. 8. Militärischer Gehorsam: ein teil- weise erzwungenes Befolgen von GEHORSAM Befehlen und Anordnungen. Das 485. Was verlangt das sittliche Gesetz im Fall eines Krieges? Nichtbefolgen (Ungehorsam) Das sittliche Gesetz bleibt immer gültig, auch im Fall eines Krieges. Es zieht häufig Sanktionen nach verlangt, dass die Zivilbevölkerung, die verwundeten Soldaten und die sich und bedeutet oft ein Risiko Kriegsgefangenen menschlich behandelt werden. Vorsätzliche Handlun- für die Sicherheit anderer, kann gen gegen das Völkerrecht und Befehle, solche Handlungen auszuführen, aber in Einzelfällen auch gebo- sind Verbrechen, für die blinder Gehorsam kein Entschuldigungsgrund ten sein, so die Gehorsamsver- sein kann. Massenvernichtungen sowie die Ausrottung eines Volkes oder weigerung ( fälschlich auch „Be- einer ethnischen Minderheit sind als schwerste Sünden zu verurteilen. fehlsverweigerung“) aus rechtli- Man ist sittlich verpflichtet, sich Befehlen zu widersetzen, die solche Ver- chen oder ethischen Gründen. brechen anordnen.

74 AUFTRAG 263 46. WOCHE DER BEGEGNUNG Befehl und Gehorsam Zum Stichwort „Befehl und Gehorsam“ bietet die Bundeswehr auf der Jugend-Web-Site www.treff.Bundeswehr.de unter dem Link „treff.insite“ die folgende Information an:

zustehenden, vielfältigen Rechte und Gehorsam, auch wenn die Begriffe Beschwerdemöglichkeiten informiert. dort nicht zu finden sind. Ob anstelle Kaum eine andere Berufsgruppe be- von „Befehl“ nun „Anweisung“ oder sitzt so umfassenden Schutz vor Miss- „Vorgabe“ gesagt wird, ist im Prinzip brauch der Vorgesetztenstellung. das Gleiche. Nicht verkennen sollte Natürlich kann keine Armee dieser man allerdings, dass ein „Befehl“ im Welt ohne das Prinzip von Befehl militärischen Bereich eventuell auch und Gehorsam auskommen, auch über Tod und Leben entscheiden nicht die Bundeswehr. Dies soll aber kann. Und dies macht den wesentli- nicht heißen, dass Gehorsam mit chen Unterschied des Soldaten- Truppe angetreten „Kadavergehorsam“ gleichzusetzen berufes zu jedem anderen zivilen Be- © treff.bundeswehr wäre. ruf aus. enn junge Männer und Wenn ein militärischer Vorge- Dieser besonderen Verantwor- Frauen im Alter zwischen setzter nach Beurteilung der Lage tung ist sich jeder militärische Vor- W16 und 20 Jahren befragt z.B. einen Entschluss für das weitere gesetzte bewusst, er weiß auch, dass werden, welche negativen Seiten sie Handeln seiner Soldaten gefällt hat, er alle Konsequenzen, die aus sei- denn mit der Bundeswehr verbinden, muss er diese Absicht in einem Be- nem gegebenen Befehl erwachsen, wird oft an erster Stelle die „Abnei- fehl formulieren und dessen Befol- tragen muss. Nicht zuletzt deswegen gung gegen Befehl und Gehorsam“ gung durchsetzen. Ein verantwor- steht die Definition des Begriffes genannt. Viele setzen den Soldaten tungsbewusster Vorgesetzter wird „Befehl“ auch im so genannten gleich mit einem reinen Befehls- dies aber auch immer gegenüber sei- „Wehrstrafgesetz“. Damit wird deut- empfänger, der ohne eigene Rechte nen Soldaten nachvollziehbar be- lich, dass sich der Vorgesetzte bei und willenlos herumkommandiert gründen können. Auf der anderen unkorrekten Befehlen, z.B. bei sol- wird. Häufig wird auch eine entspre- Seite werden auch die Soldaten mit chen, die eine Straftat zur Folge ha- chende Darstellung in TV- und Kino- dem gegebenen Befehl keine Proble- ben oder gegen die Menschenwürde filmen fälschlicherweise als Realität me haben, wenn sie ihren Vorgesetz- oder das Kriegsvölkerrecht versto- des Dienstes in unseren Streitkräften ten kennen und er durch sein bishe- ßen, selbst strafbar macht. Derartige angesehen. riges vorbildliches Führungsverhal- Befehle darf ein Untergebener in der Verkannt wird hierbei jedoch, ten ihr Vertrauen gewonnen hat. Bundeswehr zudem auch nicht aus- welchen Wandel der Soldatenberuf Da beim Einsatz von Streitkräf- führen. Sofern seine eigene Men- in der Vergangenheit durchlebt hat. ten der Zeitfaktor eine besondere Be- schenwürde verletzt ist, braucht er So ist vielfach nicht bekannt, welche deutung hat, kann nicht jede Anwei- sie nicht zu befolgen. Auch über die- umfangreichen Beteiligungsrechte sung an einen Soldaten mit einer um- ses doch recht komplexe Regelwerk schon der junge Soldat vom ersten fassenden Begründung des Sinns und wird jeder Soldat zu Beginn seiner Tag seines Dienstes an hat. Zwecks verbunden sein. Es ist gera- Grundausbildung ausführlich unter- Gerade die Bundeswehr hat aus de das Prinzip von Befehl und Ge- richtet. der Vergangenheit früherer Armeen horsam, das Streitkräfte zur schnel- Die Vorstellung, dass die aller- in Deutschland gelernt. Die Bundes- len Reaktion befähigt. meisten Soldaten reine Empfänger wehr ist als Armee in einer Demokra- Auch außerhalb der Bundeswehr der Befehle einiger weniger Vorge- tie selbstverständlich an die Wesen- gibt es das Prinzip von Befehl und setzter sind, hat mit der Wirklichkeit züge unserer freiheitlichen Staats- nichts gemein. Im Grunde kann jeder form gebunden. Soldat durch die Übertragung von Das Prinzip des „Staatsbürgers Verantwortung in die Rolle des Vor- in Uniform“ zielt gerade darauf ab, gesetzten kommen. In der Unteroffi- den Soldaten zum Mitdenken und zier- bzw. Offizierlaufbahn kann man Mitgestalten auszubilden und zu er- bereits nach etwa einem Jahr Dienst- ziehen. So wird jeder Soldat schon zeit Führer einer Gruppe mit ca. 10 wenige Tage nach seiner Einberu- Soldaten sein. In kaum einem ande- fung nicht nur intensiv über seine ren Beruf wird jungen Männern und Pflichten in der Gemeinschaft seiner Frauen in so kurzer Zeit so viel Ver- Gruppe und seines Zuges, sondern Soldaten auf einem Schiff antwortung für Menschen und Mate- selbstverständlich auch über die ihm © treff.bundeswehr rial übertragen. Hierfür werden sie in

AUFTRAG 263 75 KIRCHE UNTER SOLDATEN ihrer Ausbildung speziell geschult. Untergebenen im Rahmen des Be- Da in der Bundeswehr das Prin- fehls auch der Weg zum Ziel vorge- zip der Auftragstaktik praktiziert geben. wird, haben die jungen Unteroffiziere Befehl und Gehorsam gehören zu und Offiziere zudem eine relativ gro- den militärischen Grundprinzipien. ße Entscheidungsfreiheit. Auftrags- Jeder Soldat, und ganz besonders taktik bedeutet, dass ein Vorgesetz- der, der in einer demokratisch ver- ter in einem Befehl das Ziel, Mittel fassten Armee wie der Bundeswehr und Informationen vorgibt und der dient, kann sich sicher sein, dass da- Untergebene den Weg zur Errei- mit der Befehlsgeber, der Vorgesetz- Kompaniegeschäftszimmer chung des Ziels selbst bestimmt. Die te, in einer ganz besonderen Verant- © treff.bundeswehr meisten anderen Streitkräfte, auch wortung für die von ihm gegebenen schützt. Voraussetzung hierfür aller- innerhalb der NATO, verfahren im Befehle steht. Der Befehlsempfänger dings ist, dass beide, Vorgesetzter Unterschied dazu nach dem Prinzip hingegen, der Untergebene, wird und Untergebener, ihre Pflichten und der Befehlstaktik. Hierbei wird dem auch gerade durch dieses Prinzip ge- Rechte kennen, dies ist die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen. ❏

Befehl und Gehorsam in der deutschen Wehrverfassung

Bischöfe: Gewissen und Grenzen von Befehl und Gehorsam

ie Streitkräfte sind in das System der demo- nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßig- kratischen Gewaltenteilung und -kontrolle so keit durch Gesetz geregelt. Es liegt nicht in der Kom- „Deingegliedert, dass der Primat der demokra- petenz der Vorgesetzten, über die Gewährung oder tisch legitimierten Politik sichergestellt ist. So wird Einschränkung von Grundrechten zu entscheiden. eine Verselbständigung der Streitkräfte verhindert. Das Grundrecht auf Gewissensfreiheit, das dem Die Bindung militärischen Handelns an die na- Schutz des Menschen als moralischer Person dient, tionale und internationale Rechtsordnung begrenzt gilt auch in den Streitkräften uneingeschränkt. Es Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht der Soldaten. kann nicht unter Berufung auf Gesichtspunkte der mi- Die Gehorsamspflicht endet dort, wo rechtswidrige litärischen Zweckmäßigkeit oder Funktionsfähigkeit Handlungen befohlen werden. Dieser Grundrechts- außer Kraft gesetzt werden.“ schutz bestimmt die Rechtsstellung der Soldaten wie (aus: Die deutschen Bischöfe: die der Bürger im Allgemeinen. Militärisch notwendi- „Soldaten als Diener des Friedens. Erklärung zur ge Einschränkungen individueller Rechte werden Stellung und Aufgabe der Bundeswehr“, vom 25.11.2005)

76 AUFTRAG 263 46. WOCHE DER BEGEGNUNG »Ethische Bildung in der Bundeswehr – Chancen und Risiken« Vorbemerkung des Bundesvorsitzenden zur Bundeskonferenz der GKS*) Thematischer Schwerpunkt berg im Juni dieses Jahres ausführ- schen Erwägungen ab, die unsere der Bundeskonferenz lich mit dem Grundlagendokument Positionierung aus friedensethischer Auch die Bundeskonferenz (BK) der „ZIELE UND WEGE“ aus dem Jahr Sicht erfordert. GKS wird das Leitthema der Woche 1995 befasst. Im Zusammenhang von Ein weiteres Thema kann das ge- der Begegnung „SOLDATEN ALS DIENER ,,50 Jahre Militärseelsorge“ und 1 0 plante Weißbuch der Bundesregie- DES FRIEDENS – GEWISSEN UND GEHOR- Jahre nach Verabschiedung des gül- rung sein. Wir kennen die Entwürfe, SAM“ aufgreifen – allerdings unter ei- tigen „Programms“ ist es notwendig wissen aber noch nicht, zu welchen nem anderen Aspekt als die Zentrale und gut, dass wir uns mit unseren Ergebnissen die Ressortabstimmung Versammlung. LtdWissDir Lothar Grundlagen beschäftigen. Die Pro- schließlich führen wird. Themen der Bendel, Referatsleiter im KMBA, jektgruppe wird diese Überlegungen Militärseelsorge, Fragen einer Ge- wird am Donnerstag zum Thema fortführen. Wegen der Bedeutung der samtkonzeption von Auslandseinsät- „ETHISCHE BILDUNG IN DER BUNDES- Dokumente muss letztlich die Bun- zen und Aspekte der Fortentwicklung WEHR – CHANCEN UND RISIKEN“ vortra- deskonferenz entscheiden, wie „ZIE- der Inneren Führung finden unser gen. Die Teilnehmer werden Gele- LE UND WEGE“ und später auch Ord- besonderes Interesse. genheit zu Nachfragen und nung und Geschäftsordnung der GKS hoffentlich lebhaften Diskussion ha- neu formuliert werden sollen. Lagebericht ben. Am Freitag soll dann dieses Wie gewohnt wird zur BK an die Thema in vier Arbeitsgruppen unter Seminar 3. Lebensphase Delegierten der Lagebericht 2006 der Moderation unserer Sachaus- Ferner sollen die Überlegungen mit Beiträgen aus den Bereichen, schüsse aufgriffen werden: des Bundesvorstandes zur Weiterent- Sachausschüssen und Funktionen (1) Herausforderungen an das wicklung des „SEMINARS 3. LEBENS- verteilt. Dazu wird bzw. kann im Ple- Konzept der Inneren Führung, PHASE“ in der Bundeskonferenz zur num nachgefragt und diskutiert wer- (2) Entwurf der neuen ZDv 10/1, Diskussion gestellt werden. Auch mit den. In meinem Lagebericht vor der (3) Lebenskundlicher Unterricht, diesem Problem befasst sich eine BK werde ich ausführlicher auf die (4) Ethische Bildung in der Arbeitsgruppe, deren Überlegungen drängenden Fragen zu Gesellschaft, Bundeswehr: Was kann die und Ergebnisse wir anhören und dis- Kirche und Bundeswehr eingehen. GKS dazu beitragen? kutieren wollen. Für jede Arbeitsgruppe wurden Ich freue mich auf ein Wiederse- in Zusammenarbeit mit dem Refe- Sicherheitspolitische Aspekte hen in Ludwigshafen! renten Leitfragen formuliert, die als Aber auch die aktuellen politi- Die Bundeskonferenz als das Anregung für die Diskussion verstan- schen Ereignisse können uns nicht höchste Beschlussgremium unserer den werden sollen. Selbstverständ- unberührt lassen. Die Diskussionen Gemeinschaft bietet in hervorragen- lich werden den Arbeitsgruppen über Art und Umfang eines deut- der Weise die Gelegenheit zur gesel- auch die erforderlichen Materialien schen Beitrags zur internationalen ligen Begegnung, zur gemeinsamen zur Verfügung gestellt werden. Friedenstruppe unter VN-Mandat im Besinnung im Gottesdienst sowie Libanon bedarf einer Stellungnahme zur anspruchsvollen Bildung. Am Rande der BK werden Sit- durch die GKS – zumindest sollten Bitten wir den hl. Christopherus zungen des FGKS e.V. und des GKS wir darüber diskutieren. Hier zeich- um eine gute Anreise in die Pfalz. e.V. stattfinden. Der GKS e.V. beab- net sich eine ungewöhnlich schwieri- Mit herzlichem Gruß sichtigt für den ausgeschiedenen ge Gemengelage von historischen Ihr Geistlichen Beirat der GKS, jetzigen Belastungen und sicherheitspoliti- Paul Brochhagen Oberstleutnant Generalvikar des Erzbistums Bamberg, Msgr. Georg Kestel, einen neuen Beisitzer wählen. Innere Führung dient einem doppelten Zweck: ... Projektgruppe „GKS-Satzung“ Auf der anderen Seite ist Innere Führung eine Normenlehre für die Menschen in den Streit- Mir liegt sehr daran, dass wir bei kräften, das heißt, für das Verhalten der Soldaten und ihren Umgang miteinander. Sie enthält unseren Beratungen auch auf die Ar- konkrete Forderungen an das Führungsverhalten der militärischen Vorgesetzten. beit der PROJEKTGRUPPE „GKS-SAT- Ziele und Grundsätze ZUNG“ eingehen. Der Bundesvorstand Aus dieser Zweckbestimmung ergeben sich die Ziele der Inneren Führung: hat sich auf seiner Sitzung in Bam- 1. Legitimation Ethische Normen und politische und rechtliche Begründungen des soldatischen Dienstes *) In einem Rundbrief (I/2006 vom August werden vermittelt, damit der Sinn des militärischen Auftrages einsichtig und verständlich 2006) führt der Bundesvorsitzende, Oberstleutnant Paul Brochhagen, in den wird. inhaltlichen Ablauf der Bundeskonferenz 2. Integration der GKS ein. Der Brief wird hier in den 3. ... wichtigsten Passagen wiedergegeben.

AUFTRAG 263 77 KIRCHE UNTER SOLDATEN Aus dem Leben der GKS Bericht des Bundesgeschäftsführers

1. Sitzung des schloss, die vom KMBA vorgesehe- Bundesvorstandes nen Einsparungen ab 2007 umzuset- Einer langjährigen Tradition fol- zen – insbesondere den Wegfall der gend führte der Bundesvorstand (BV) Fahrtkostenerstattung bei Familien- auch in diesem Jahr eine seiner Sit- wochenenden und Familienwerk- zungen so durch, dass auch die Ehe- wochen – ferner bei den „SEMINAREN partner mit anreisen konnten. Der DRITTE LEBENSPHASE“ und bei der Bundesvorsitzende will damit seinen „GKS-AKADEMIE OBERST HELMUT Dank dafür zum Ausdruck bringen, KORN.“ Der Bundesvorsitzende wies Als Gastgeber begrüßten Militär- dass die Belastungen der Familien erneut auf die Notwendigkeit hin, in generalvikar Prälat Walter Waken- durch die häufigen Abwesenheiten allen Bereichen sparsam zu wirt- hut und der Bundesvorsitzende der der ehrenamtlich tätigen Mitglieder schaften. Dabei sollen jedoch unsere GKS Oberstleutnant Paul Brochha- des Bundesvorstandes von den Part- Grundsätze unangetastet bleiben: gen die Teilnehmer. Moderator war nern akzeptiert werden. Erste Priorität werden nach wie vor der Vorsitzenden des GKS-Sachaus- Die BV-Sitzung fand vom 22.-25. alle im Handbuch vorgesehenen Ak- schusses „SICHERHEIT UND FRIEDEN“, Juni 2006 in Bamberg statt. Erstmals tivitäten der GKS-Kreise und -Berei- Oberst Josef Blotz. An dem Abend wurde dabei versucht, den Zeitplan che haben. nahmen ca. 30 Personen teil, davon so zu gestalten, dass ausreichend Schließlich befasste sich der etwa 20 GKS-Mitglieder. Zeit und Gelegenheit war, die für die Bundesvorstand ausführlich mit der Zukunft der GKS wichtigen Themen inhaltlichen Arbeit bei der bevorste- 3. Ausblick ausführlich und ohne Zeitdruck zu henden Bundeskonferenz. Dabei leg- Abschließend noch ein Blick auf diskutieren. Die Teilnehmer waren te er die Schwerpunkte für die Dis- die Schwerpunkte der kommenden daher bereits einen Tag früher ange- kussionen in den Arbeitsgruppen Wochen und Monate: reist. Sie alle bewerteten diesen Ver- fest, die nach dem Hauptvortrag zum – Vom 18.09. – 23.09.2006 findet in such als sehr erfolgreich. Thema „ETHISCHE BILDUNG IN DER Ludwigshafen die 46. Woche der Der BV fand so Zeit und Gele- BUNDESWEHR – CHANCEN UND RISIKEN“ Begegnung statt. Ihr Leitthema genheit für eine gründliche Diskussi- konkrete Aspekte aus dem Themen- lautet: „SOLDATEN ALS DIENER DES on über die Neuformulierung des bereich „INNERE FÜHRUNG“ behan- FRIEDENS – GEWISSEN UND GEHOR- Grundlagendokuments „ZIELE UND deln sollen. SAM.“ Während der vorangehenden WEGE.“ Die mit der Weiterentwick- Für das am 9. November 2006 Vorkonferenz werden gemeinsame lung dieses Dokuments sowie der geplante Politikergespräch mit BM und getrennte Sitzungen des Vor- Ordnung und der Geschäftsordnung Jung beschloss der Bundesvorstand, standes der ZV und des BV-GKS beauftragte Arbeitsgruppe erhielt dass der Vorsitzende des Sachaus- stattfinden. Die GKS wird dieses umfangreiche und weiterführende schusses „Sicherheit und Frieden“ Thema während ihrer Bundeskon- Vorgaben. Ihr Ziel ist ein überarbei- Oberst Josef Blotz die Moderation ferenz in der zweiten Wochenhälfte tetes Papier, das nach Billigung übernimmt. durch einen Vortrag und in Arbeits- durch den BV der Bundeskonferenz gruppen vertiefen. zur Billigung vorgelegt werden soll. 2. Politikergespräch mit MdB – Am Rande der Woche der Begeg- Entsprechend soll dann mit der Ord- Bernd Siebert (CDU) nung werden Mitgliederversamm- nung und der Geschäftsordnung ver- Nach einem ersten Politiker- lungen des FGKS e.V. und des GKS fahren werden. gespräch in diesem Jahr mit dem e.V. durchgeführt werden. Ein weiteres Schwerpunktthema Wehrbeauftragten fand am 6. Juli – Vom 25.-29. Oktober werden sich war die Festlegung von Teilnahme- bereits ein zweites statt, diesmal mit in Nürnberg wieder katholische bedingungen für die „SEMINARE DRIT- MdB Bernd Siebert (CDU). Er ist seit Ehepaare zu einem „SEMINAR DRIT- TE LEBENSPHASE.“ Der BV entschied, 1994 Mitglied des Deutschen Bun- TE LEBENSPHASE“ zusammenfinden. dass die aktive ehrenamtliche Mitar- destages, seit 2003 Mitglied des Vor- – Am 9. November wird in der beit in der Katholischen Militärseel- standes der CDU/CSU-Bundestags- Julius-Leber-Kaserne in Berlin ein sorge das Hauptkriterium für die fraktion und seit 2004 stellvertreten- weiteres Politikergespräch stattfin- Teilnahme sein soll. Auch hier wer- der Vorsitzender des Bundesfachaus- den, diesmal mit dem Bundesmi- den die weiteren Einzelheiten durch schusses Sicherheitspolitik der CDU. nister der Verteidigung. eine Arbeitsgruppe ausformuliert Seit November 2005 ist er Vorsitzen- – Am 13. November ist eine Sitzung und dem BV zur Entscheidung vorge- der der Arbeitsgruppe Verteidigung des Exekutivausschusses in Bonn legt. der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geplant. (Klaus Achmann) Breiten Raum nahm auch der und damit deren verteidigungspoliti- Haushalt der GKS ein. Der BV be- scher Sprecher.

78 AUFTRAG 263 AUS DER GKS UND DEN STANDORTEN Abschied in Bamberg Bundesvorstand tagte im Juni 2006 am neuen Wirkungsort des ehemaligen Geistlichen Beirats der GKS, Militärdekan a.D. Georg Kestel er Ort war so wichtig wie der schied, ganz im Stil von Inhalt: Nicht zufällig hatte der Georg Kestel: würdevoll DBundesvorstand seine Sitzung und fröhlich zugleich. zur Vorbereitung der Bundeskonfe- renz während der „46. WOCHE DER Der Bundesvorstand BEGEGNUNG“ in die alte Kaiserstadt musste in seiner Arbeits- gelegt. Es galt, neben allen laufen- sitzung eine bedenkliche den Geschäften den langjährigen Kassenlage zur Kenntnis Geistlichen Beirat, Msgr. Georg Kes- nehmen. Es gilt zu sparen, tel, zu verabschieden. oder zumindest doch, die Seit 1997 war Georg Kestel Mili- vorhandenen Mittel geziel- tärdekan im Katholischen Militär- ter zu bewirtschaften. Ver- bischofsamt als Leiter des Referats anstaltungen müssen unbe- „Seelsorge“ tätig. Damit nahm er dingt rechtzeitig vorher an- zugleich sowohl die Aufgaben des „Bischöflichen Beauftragten für die Zentrale Versammlung der katholi- schen Soldaten in Jurisdiktions- bereich des katholischen Militär- bischof für die deutsche Bundes- wehr“ als auch des Geistlichen Bei- rat der GKS wahr. Kaum einer unter den aktiven, der nicht seine anste- ckende, von Herzen kommende Fröhlichkeit, aber auch seine be- dächtigen, aus einer tiefen Spirituali- tät genährten Predigten und Beiträge zu den Jahresberichten der GKS kannte. Zum 1. April 2006 hatte der Bischof seiner Heimatdiözese, Erzbi- schof Dr. Ludwig Schick, Msgr. Kes- tel als Generalvikar nach Bamberg berufen. Eine große Ehre für Georg Kestel, auch für die Katholische Mi- litärseelsorge und für die GKS – ge- wiss, aber eben auch ein Stück Bei einer „Fränkischen Brotzeit“ verabschiedete der GKS Bundesvor- schmerzvoller Abschied von einem sitzende Oberstleutnant Paul Brochhagen den geschätzten ehemaligen lieb gewordenen Freund. Geistlichen Beirat Msgr. Georg Kestel. Zum Dank überreichte er ihm ein Viel Zeit blieb selbst in Bamberg Fotoalbum mit Bildern aus seiner 5-jährigen Tätigkeit. nicht, um sich mit Georg Kestel zu Zum Abschluss der BV-Sitzung feierte der Vorgänger von MD Kestel als treffen und ein paar nette Worte aus- Geistlicher Beirat der GKS, Prälat Walter Theis, einen Gottesdienst und zutauschen. Unglücklicherweise traf ließ sich dabei von vier Mädchen aus dem „GKS-Nachwuchs“ assistieren. die Bundesvorstandssitzung mit der (Fotos: F. Brockmeier) Priesterweihe des Erzbistums zeit- gemeldet und in den Haushalt einge- lichkeit und innerhalb der Bundes- lich zusammen. Dennoch nahm sich stellt werden, und Überziehungen wehr. Leider lässt sich das nur reali- Georg Kestel die Zeit für einen ge- bei den vorgesehenen Ausgaben kön- sieren, indem an anderer Stelle ge- meinsamen Abend – bei fränkischen nen in Zukunft nicht ohne Weiteres spart wird. Der erste Schnitt: der Spezialitäten. Der GKS-Bundesvor- mehr hingenommen werden. Der Bundesvorstand beschloss ab 2007 sitzende, Oberstleutnant Paul Broch- Bundesvorsitzende stellte jedoch den Wegfall der Fahrkosten- hagen, würdigte noch einmal die klar, dass für das „Kerngeschäft“ erstattung bei Familienwochenenden Verdienste des ausgeschiedenen auch weiterhin die Mittel bereit ste- und Familienwerkwochen, ferner bei Geistlichen Beirats – und sein Vor- hen werden: die seelsorgliche Arbeit Seminaren „Dritte Lebensphase“ gänger, Msgr. Walter Theis, ergänzte sowie die Vertretung der Position der und bei der GKS-Akademie Oberst das Seine. Ein angemessener Ab- katholischen Soldaten in die Öffent- Helmut Korn. (Winfried Heinemann)

AUFTRAG 263 79 KIRCHE UNTER SOLDATENTermine • Termine • Termine

Termine 2006 Vorschau 2007-2008 Allgemeine 2007 18.-23.09. 46. Woche der Begegnung, Ludwigshafen 10.01.07 Vorstandssitzung ZV in Berlin 16.09. – 18.09. Vorkonferenz 11.01.07 Int. Soldatengottesdienst in Köln 18.09. – 21.09. ZV 26.01.07 J-Empfang MGV für Vorst ZV u. EA 20.09. – 23.09. BuKonf GKS 27.01.07 Vorstandssitzungen ZV und EA Berlin 25.-29.09 Generalversammlung AMI in Kenia 16.-18.02.07 KLMD Hannover/GKS NS-Bremen: 23.-27.10. 51. Gesamtkonferenz der kath. AK/BK, Dassel Militärseelsorger, Freising 22.-24.02.07 Tagung Justita et Pax, SA Mission-Ent- 25.-29.10. II. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg wicklung-Frieden in Speyer 24.-25.11. Vollversammlung ZdK 24.-26.03.07 KLMD Kiel/Glücksburg, GKS Nord/ Küste: AK/BK, Salem 27.-28.10 Tagung Justia et Pax in Berlin 30.-31.03.07 Tagung Justia et Pax in Bonn/Köln 09.11. Politikergespräch mit BMVg Dr. Franz Josef Jung im KMBA Berlin 20.-22.04.07 KLMD München/Sigmg., GKS Bayern/ Ba-Württembg: AK/BK, Untermarchtal 27.11. Sitzung Verwaltungsrat Soldatenseelsorge 25.-29.04.07 Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 04.-05.05.07 Vollversammlung ZdK Bereichskonferenzen/Arbeitskonferenzen/ 06-10.06.07 Seminar 3. Lebensphase Cloppenburg Familienwochenenden 06.-10.06.07 31. Dt. Ev. Kirchentag in Köln KLMD Kiel/Glücksburg/GKS Nord/Küste 13.06.-19.06.07 49. Lourdes-Wallfahrt 29.09.-01.10. AK II/06, Parchim 15.-17.06.07 AK NRW in Mühlheim KLMD Hannover/GKS NS-Bremen 15.-17.09.07 Vorkonferenz zur Woche der Begegnung in Augsburg-Leitershofen 03.-05.11. AK II/06, Cloppenburg-Stapelfeld 17.09.-22.09.07 Woche der Begegnung in Augsburg- GKS Nordrhein-Westfalen Leitershoven 08.-13.10. Familienwerkwochenende, Travemünde 30.09.-05.10.07 GKS-NRW: Familienwerkwoche, Kirchhundem-Rahrbach GKS Rhld-Pfalz/Hessen/Saarland 20.-22.10.07 KLMD Kiel/Glücksburg, GKS Nord/ 24.-26.11. BK, Kloster Maria Engelport Küste: AK/BK, Bünsdorf KLMD München/Sigmaringen 22.-26.10.07 52. Gesamtkonferenz der kath. GKS Bayern u. Ba-Württembg Militärseelsorger in Bensberg 20.-22.10. AK II/06, Beilngries 24.-28.10.07 Seminar 3. Lebensphase Nürnberg 26.-27.10.07 Herbsttagung Justia et Pax in Berlin KLMD Erfurt/GKS Bereich Ost 30.09.-05.10.07 GKS NRW: FamWerkWo in Kirch- 03-05.11. AK II/06, Schmochtitz hundem-Rahrbach 09.-11.11.07 KLMD Hannover/GKS NS-Bremen: BV/EA GKS und Vorst ZV AK/BK, Duderstadt 10.11.07 Vorstandssitzung ZV in Berlin 21.09. BS während der BuKonf, Ludwigshafen 16.-18.11.07 KLMD München/Sigmg., GKS Bayern/ 11.11. Vorstand ZV im KMBA Berlin Ba-Württembg: AK/BK, Wertach 13.11. EA-Sitzung in Bonn 23.-24.11.07 Vollversammlung ZdK 30.11.-02.12.07 Seminar für Funktionsträger der GKS in GKS-Sachausschüsse der Wolfsburg in Mühlheim SA „Innere Führung“ im Albertinum, Bonn: 2008 11.09., 27.11. 21.-27.05.08 50. Lourdes-Wallfahrt SA „Sicherheit und Frieden“ im Albertinum, Bonn: 21.-25.05.08 97. Dt. Katholikentag, Osnabrück 17.11. in Bonn 15.-20.07.08 Weltjugendtag Sydney Internationaler SA 20.-24.10.08 53. Gesamtkonferenz 01.-03.12 in Berlin 21.-22.11.08 Vollversammlung ZdK

VERWENDETE ABKÜRZUNGEN: AGKOD – Arbeitsgemeinschaft Katholischer Organisationen Deutschlands, AK KLMD – Arbeitskon- ferenz beim Katholischen Leitenden Militärdekan in ..., AMI – Apostolat Militaire International, BK – Konferenz der GKS im Be- reich ..., BuKonf – Bundeskonferenz, BV GKS – Bundesvorstand der GKS, EA – Exekutivausschuss, GKMD – Gemeinschaft der katholischen Männer Deutschlands, IS – Internationaler Sachausschuss, MGV – Militärgeneralvikar, SA InFü – Sachausschuss „Innere Führung“, SA S+F – Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“, SA KI – Sachausschuss „Konzeption und Information“, WB – Wehrbereich, WdB – Woche der Begegnung, ZV – Zentrale Versammlung, VV ZdK – Vollversammlung des Zentralkomi- tees der deutschen Katholiken

80 AUFTRAG 263 AUS DER GKS UND DEN STANDORTEN Camino 2006

Was ist es – Glaube, Hoffnung, Liebe? (1Kor 13,13)

VON LUDWIG STRAUSS ein Erlebnis auf der diesjäh- – „Nun du Aleman, was über- rigen Jakobuswallfahrt habe legst du, warum möchtest du hier Mich weit weg von Santiago de schon wieder alles verbessern, die Compostela gehabt. Eine kleine Wände reparieren, Farbe anbrin- Dorfkirche in einem ebenso kleinen gen. Lass es wie es ist, ich wohne Dorf hat dazu beigetragen. schon viele Jahre so. Hier bin ich Wir waren mit unserer Pilger- voll zufrieden, die Menschen be- gruppe von Astorga nach Rabanal de suchen mich, und spüren meine Camino marschiert. Dieser Weg ist Nähe. Was brauchen wir Putz gleichzeitig mit der Pilgerhauptstra- und Farbe, es kommt doch nur ße, dem „CAMINO FRANCE“ identisch. auf die Herzen an. Ja und die öff- Jetzt war es Mittagszeit und eine nen sie vor meiner Anwesenheit.“ wohlverdiente Pause angesagt. Ich – „Herr, ich möchte doch nur, hatte mein Lunchpaket verzehrt, und dass du eine schönere Umge- Skizze aus meinem Reisetagebuch wollte mir noch etwas die Beine ver- bung hast, dass deine Umgebung treten. Dieses Dorf Rabanal bietet deiner Stellung entspricht. Dass die eurer Ängste, Machtstrebens oder der malerische Winkel, einige Gaststät- Menschen bei deinen Anblick ein Geltungssucht. Meine Wahrheit kennt ten, Pilgerherbergen, in der Dorf- bisschen den Himmel erahnen, und nur eine Frage, glaubst du, oder mitte ein Kloster und eine daneben sich freuen bei dir in einer schönen, glaubst du nicht. Sieh die Vögel des stehende Dorfkirche. Natürlich ging reinen Umgebung zu sein.“ Himmels, sie säen nicht, sie ernten mein Dorfrundgang auch zu dieser Lange Zeit war Stille. nicht, und der himmlische Vater er- Kirche. Es war schon mühsam – „Herr, ich möchte doch nur die nährt sie doch. Und dann ist da die überhaupt die alte Kirchentüre zu groben Schäden ausbessern, einfach Liebe, wisst ihr Menschen noch um öffnen. Gerade wollte ich wieder ein Haus der Glorie und Anbetung diese Gnade ?“ kehrt machen, als sie in ihren Angeln schaffen. Es soll einfach Freude all Seine Worte waren ruhig, und nachgab. Zuerst hab ich gar nichts die Besucher ergreifen.“ völlig ohne Pathos gesprochen. Mei- gesehen; der spärlich beleuchtete – „Was glaubst du eigentlich, mein ne Gedanken überschlugen sich, ich Raum war aus der grellen Mittags- Dasein wäre von solchen Äußerlich- suchte nach Antworten. Ich verließ sonne nicht zu erkennen. Es dauerte keiten abhängig? Auch wenn diese die Kirche, setzte mich auf eine stei- einen Moment bis sich die Augen an Mauer einstürzte, bin ich immer noch nerne Bank, und ließ die Situation das Dunkel gewöhnten. Aber was sah anwesend. All diesen Pomp, Gold und nachwirken. Griff nach meinen Ku- ich, dieser Raum hatte nun fast gar Stuck ist doch nur euer Werk, mein gelschreiber und zeichnete diesen nichts mit einem herrlichen Gottes- Haus ist nicht von dieser Welt.“ Chorraum in mein Reisetagebuch, haus bayrischer Vorstellung zu tun. Ich fühlte mich leicht beschämt, dabei war ich zufrieden, und fand Es war ein Raum der seine glorrei- diese Worte waren mir ja nicht auch dass alles so bleiben soll. Ein chen Tage hinter sich hatte. Die fremd. Gefühl der Ruhe ergriff mich. Diese Hälfte der Wände hatten keinen Putz – „Sieh auf diesen Riss hinter mei- einfache Kirche hat mich stärker be- mehr, hier waren die nackten Bau- nen Kreuz, zeigt er nicht die ganze wegt, als irgend eine große schöne steine zu sehen, an vielen weiteren Welt, gut und böse, arm und reich, Kathedrale, von der es doch so viele Stellen bröckelte der Verputz ab. Auf gesund und krank, Liebe und Hass, auf unseren Wegen gab. den ersten Blick hätte es einen guten zwei Hälften, und doch eine Wand. Am nächsten Morgen, war diese Kartoffelkeller abgegeben. Farbe, Gold und Stuck würde das al- Kirche unser Startpunkt für eine Ich setzte mich in eine Bankreihe les doch nur überdecken. Die Wahr- neue Tagesetappe. Als ich wieder und schaute mich um. Mein Blick heit wäre nun nicht mehr zu sehen. den Innenraum betrat, fröstelte mich blieb im Chorraum hängen. Das Mau- Und doch gibt es zwei Seiten, also ein wenig. Vielleicht auch wegen der erwerk in der gleichen Weise rampo- schau hin. Es ist doch euer Werk, die- Kühle, welche natürlich am Morgen niert, aber zudem klaffte ein hässlich se Einteilung.“ in den Raum war. Aber ich fand nicht tiefer Riss quer durch die Chorwand. – „Herr, du hast sicher recht, aber die Ruhe und Besinnung. Zuviel Ab- Davor hing ein einfaches Kruzifix. hast du uns nicht so geschaffen, lenkung und Unruhe tat sich auf. Es Irgendwie fühlte ich mich an die immer auf der Suche nach der Voll- war einfach nicht der Moment dafür, Filmszene bei Don Camilo erinnert, kommenheit?“ die Situation von gestern wieder auf- und stellte mir vor, ich könnte mit – „Was glaubst du denn, wer ist leben zu lassen. dem Herrn ein Gespräch führen. Nun, vollkommen, ihr Menschen, in euren Plötzlich war ich froh, das Erleb- ich war alleine in der Kirche, und ich Nationalitäten, Traditionen, oder Re- nis gestern für mich allein erfahren gab mich diesem Gedanken hin. geln. Das sind doch alles nur Werke zu haben. ❏

AUFTRAG 263 81 KIRCHE UNTER SOLDATEN

SEELSORGEBEREICH BRUCHSAL-KARLSRUHE: M O K I M O Neue Wortschöpfung bei der Bundeswehr

u den bisher ungezählten und te bei seinen Informationsveranstal- und unterstützen. Er fand sie bei der manchmal nicht mehr nach tungen immer wieder Probleme, weil Evangelischen Arbeitgemeinschaft Zvollziehbaren Abkürzungs- bei der Betreuung der Kleinkinder für Soldatenbetreuung (EAS) und schöpfungen der Bundeswehr kommt von Soldaten und deren Angehörigen dem Deutschen Bundeswehrverband seit einiger Zeit dieses Kürzel: bestimmte Sicherheitsbestimmungen (DBwV), die sofort Feuer und Flam- „MOKIMO“. eingehalten werden mussten. Denn me waren. Was verbirgt sich dahinter? kein Dienstzimmer der Bundeswehr Als die Anfangsfinanzierung ge- Schlicht und einfach das ist als Kinderzimmer geeignet. sichert war und die Luftwaffeninstand- „MOBILES KINDERZIMMER Die zündende Idee, hier Abhilfe setzungsgruppe 12 in Ummendorf MATTHIAS OPOLONY“ zu schaffen, kam dem umtriebigen den ersten Prototypen gebaut hatten, Und so fing alles an: Bastler eines Abends. Er entwarf ein reichte Oberstabsfeldwebel Opolony Matthias Opolony, Oberstabsfeldwe- mobiles Kinderzimmer. Wo aber fin- seine Erfindung über das Bundesamt bel, Leiter des Familienbetreuungs- det man für eine solche Idee Partner, für Wehrtechnik und Beschaffung zentrums Stab VBK 52 in Speyer, hat- die eine solche Initiative finanzieren zum Patent ein. Zunächst glaubte man dort an einen Aprilscherz, kam aber nach Rücksprache mit den „Er- finder“ sehr schnell zu der Überzeu- gung, dass hier mit allen Mitteln ge- holfen werden sollte. Opolony ver- kaufte seine Erfindung der Bundes- republik als Gebrauchsmuster. Es haben sich auch schon Interessenten gemeldet, die das MOBILE KINDERZIM- MER in Lizenz bauen wollen. Das MOKIMO soll auf Anhän- gern transportiert werden, damit es bei allen Betreuungszentren einge- setzt werden kann. Dieses mobile Kinderzimmer ohne scharfe Kanten, mit kinder- gerechtem Eingang, Garderobe und je nach Anzahl der Kinder in Modul- bauweise beliebig zu vergrößern, er- möglicht den Eltern, sich voll und ganz auf die Informationsveranstal- tung zu konzentrieren, denn selbst- verständlich ist für die Betreuung der Kleinsten geschultes Personal im Einsatz. Zur Person: Oberstabsfeldwebel Matthias Opolony ist verheiratet, hat zwei Kinder, ist Mitglied und An- sprechpartner der GKS und war lan- ge Zeit Vorsitzender eines Militär- pfarrgemeinderates. (Text u. Fotos: Friedrich Brockmeier)

Zu den Bildern: oben: Das von Matthias Opolony ent- worfene LOGO soll auf allen MOKIMO- Anhängern der Betreuungszentren an- gebracht werden. Mitte: Blick in die Kinderstube. unten: Der Ideengeber und die Kinder- betreuerin Silke Rudiger mit zwei Nutz- nießern der „Erfindung“.

82 AUFTRAG 263 AUS DER GKS UND DEN STANDORTEN

GKS-KREISE BAD NEUENAHR-AHRWEILER UND KÖLN-WAHN: Auf den Spuren der Römer und des Weines ur gemeinsamen Veranstaltung der GKS-Kreise Bad Neuenahr-Ahrweiler und Köln-Wahn tra- Zfen sich die Mitglieder mit ihren Familien am Museum der Römervilla in Ahrweiler. Der Vorsitzen- de der GKS Bad Neuenahr, Michael Wilke, hatte zu einem Nachmittag auf den Spuren der Römer und des Weines geladen. Im Museum der Römervilla staun- ten nicht nur die Kinder über die großzügige Anlage mit über 700 qm Wohnfläche. Schon vor 2000 Jahren verfügten die Besitzer über Fußbodenheizung, Frischwassezufuhr, Bäder und Toiletten (Foto o.r.). Über den Rotweinwanderweg durch die Wein- berge entlang der Ahr wurde der Silberberg bei som- merlichen Temperaturen erklommen und am Welt- jugendtagskreuz eine Rast eingelegt. Von hier hat man eine weite Sicht über die Stadt und das untere Ahrtal (Foto unten). Gleich nebenan liegt das Ein- gangsportal des Silberbergtunnels und zeigt heute den Wanderern, wie die Bevölkerung Ahrweilers in den Kriegsjahren 1944/45 im Tunnel wohnte und sich so vor Bombenangriffen schützen konnte. Weiter auf dem Rotweinwanderweg liegt die Winzerkapelle St. Urban. Der heilige Urban war Bi- schof von Rom und gilt als der Schutzpatron der Weinberge und der Winzer. Nach dem Lied „Der Himmel geht über allen auf“ wurde im Gebet die Sor- ge um Gottes Schöpfung angesprochen: Mögen wir jetzt planen und tun, was der Erde das Leben erhält und dass unsere Kinder und Kindeskinder das Leben finden im Einklang mit allen Geschöpfen. Der Weg führte die Gruppe durch die Weinberge zur Altstadt von Ahrweiler zurück, wo ein erlebnisreicher Nach- mittag endete. (Text u. Fotos: Michael Wilke)

GKS-KREIS KÖLN-WAHN: Pax Bank unterstützt GKS inen guten Lauf“ wünschte Martin Hebbinghaus dem Vorsitzenden des GKS- „EKreises Köln-Wahn, Oberstleutnant Albert Hecht, bei der am 4. August 2006 erfolgten Überga- be von Lauftrikots. Hecht konnte bereits im Vorjahr ein kleines Team von drei Läufern, der Gemeinschaft Katholi- scher Soldaten, für den Köln-Marathon gewinnen. In diesem Jahr hat Albert Hecht es geschafft, eine Lauf- gruppe von fünf Mitgliedern zu motivieren. Mit ei- nem straffen Trainingsplan bereiten sich die Vertre- ter des GKS-Kreises Köln-Wahn schon gezielt auf den am 8. Oktober stattfindenden Jubiläumsmara- thon in Köln vor. Der Leiter der Privatkundenberatung der Pax- Bank, Martin Hebbinghaus, hatte die mit Unterstüt- „Es lässt sich gut vereinbaren, dass die Gemeinschaft Ka- zung der Bank finanzierten fünf Trikot-Sätze überge- tholischer Soldaten durch eine katholische Bank unterstützt ben. – Die Pax-Bank ist eine Spezialbank für Kirche wird“, so Hebbinghaus und wünschte Hecht ein gutes Resultat und Caritas, die ihre Zentrale in Köln hat. beim 10. Köln-Marathon. (Text u. Foto: Walter Fröhler)

AUFTRAG 263 83 KIRCHE UNTER SOLDATEN

GKS-KREIS KÖLN: Wechsel an der Spitze des GKS-Kreises Köln

rank Unglaube (2.v.l.), Oberleutnant im Personalamt der Bundeswehr, wurde am 11. FJuni zum neuen Vorsitzenden des GKS-Krei- ses Köln gewählt. Der bisherige Vorsitzende Oberst- leutnant Franz Meierhöfer (r.) gab diese Amt nach fast acht Jahren ab, weil er rechtzeitig vor seiner Zurruhesetzung diese Aufgabe in jüngere Hände übergeben wollte. Unglaube war auch schon früher wie Meierhöfer Ansprechpartner der GKS in Murnau. Die Übergabe der Vorsitzes erfolgte nach einem gemeinsamen Gottesdienst mit dem Standortpfarrer Köln Gregor Ottersbach (2.v.r.) und in Anwesen- heit des Bundesvorsitzenden Paul Brochhagen (l.) im Rahmen des Pfarrfestes des Seelsorgebezirkes Köln. (Text u. Foto: Gabriele Meierhöfer)

GKS-KREIS VEITSHÖCHHEIM: „Mit allen Sinnen glauben“ uf ein harmonisches Familienwochenende vom 9. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Rektor bis 11. Juni im „Haus St. Michael“ in Bad Königs- des Hauses, Pfarrer Heller, und einer Einführung in Ahofen blickt der GKS-Kreis Veitshöchheim zurück. das Thema des Wochenendes traf man sich im Rund 30 Teilnehmern folgten auch dieses Mal der Einladung. Gemeinschaftsraum des Hauses zum gemütlichen Die Veranstaltung begann traditionsgemäß mit einem gemein- Beisammensein. samen Abendessen. Nach dem Morgenlob am Samstagvormittag stand das Thema: „Mit allen Sinnen glauben“ im Vordergrund. Auf eine anschauliche, experimentelle Art und Weise sensibilisierte Pfarrer Heller die Teilnehmer für das Thema. Auch gab er ungewohnte Denkanstöße, wie z.B.: – Was nehmen wir bei der Eucharistiefeier eigent- lich alles wahr? – Setzen wir dabei wirklich alle unsere Sinne ein? – Jesus sagt: „Ich bin das Licht der Welt“ (Joh 8,12). Wir können das Licht, seine Helligkeit und Wärme sehen und spüren. Wie ist es aber mit Jesus, dem Licht der Welt? Können wir mit allen Sinnen an ihn glauben? Am Dreifaltigkeitssonntag fand in der Hauska- pelle ein Gottesdienst statt, der an die Thematik des Vortages anknüpfte. Er stand unter dem Bibelwort: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an; wenn je- mand meine Stimme hört und die Tür öffnet, zu dem werde ich hineingehen“ (Offb 3,20). Geprägt wurde diese Eucharistiefeier dadurch, das alle sie aktiv mitgestalteten, indem sie das Gelernte und Erfahre- ne des Vortages einbringen und so individuell ver- tiefen konnten. Zum Abschluss des Gottesdienst er- teilte Pfarrer Heller allen Teilnehmern einen beson- deren Segen und forderte sie auf, Christus die Tür zu öffnen, damit Er Licht und Leben, Vergebung und Freude bringen könne. – Ein gemeinsames Mittages- sen beendete das Familienwochenende. (Raphael Sikorski)

84 AUFTRAG 263 AUS DER GKS UND DEN STANDORTEN

GKS-KREIS DORNSTADT: Deutsches Unterstützungskommando Lourdes anlässlich der 48. Internationalen Soldatenwallfahrt um vierten Mal in Folge seit 2003 hatten vom 8. bis 25. Mai 2006 Soldaten aus dem ZVerantwortungsbereich des Logistikregi- ments 47 aus Dornstadt den Auftrag, als „Deut- sches Unterstützungskommando Lourdes“ in dem südfranzösischen Wallfahrtsort am Fuße der Pyrenäen den Aufbau, Betrieb und Abbau des dortigen Zeltlagers für die 48. Internationale Soldatenwallfahrt sicherzustellen. Der Führer des UKdo, OLt Stefan Nüßle, und sein Stellver- treter, StFw Markus Müller, sind beides GKS- Mitglieder im Kreis Dornstadt. Personal und Material aus dem gesamten Logistikregiment, aus den Standorten Ulm und Mengen sowie von Seiten des KMBA mussten zusammengeführt und in zwei Tagesmärschen über Chalon-sur-Saone nach Lourdes verlegt Gruppenfoto mit Militärpfarrer Rainer Stahlhacke werden. Dort angekommen hatten die Soldaten anlässlich eines Gottesdienstes auf dem Pic du Jer alle Hände voll zu tun, die Organisation (Trans- fer der Pilger/Gepäck vom Flugplatz/Bahnhof zu den Unter- Soldaten des dt. UStKdo als Ehrenposten künften etc.), das Zeltlager und die internationale Begeg- vor der gesegneten Flamme im hl. Bezirk nungsstätte so aufzubauen und zu betreiben, dass die Wall- fahrerinnen und Wallfahrer, welche am 18. Mai mit vier Son- derzügen (Berlin, Münster, Regensburg und Rosenheim) in Lourdes eintrafen, keinen Grund zur Klage hatten. Zeitgleich stellten die Soldaten des Unterstützungs- kommandos, neben den bereits erwähnten originären Aufga- ben, die Durchführung zahlreicher Zusatzaufträge sicher, was sowohl zu einer Entlastung der Pilger als auch zu einem rei- bungslosen Gelingen der Wallfahrt beigetragen hat. Für die seelsorgliche Versorgung der Soldaten des UKdo stand der Standortpfarrer Munster/Bergen, Militärpfarrer Rainer Stahlhacke, zur Verfügung, der als Lagerpfarrer auch die Pilger und Pilgerinnen im Zeltlager betreute.

Dank des KMBA für die Unterstützung Der Gesamtverantwortliche der Katholischen Militärseel- sorge für den deutschen Anteil der Internationalen Lourdes- Wallfahrt, Militärdekan Johann Meyer, besuchte am 22. Juni das Logistikregiment 47 in Dornstadt, um dem Regiments- kommandeur Oberst Reinhard Neubauer und allen am UStKdo beteiligten Soldaten den Dank des Militärbischofs und der Kurie des Militärbischofs zu übermitteln. Militärdekan Meyer leitet seit Anfang des Jahres im Ka- tholischen Militärbischofsamt in Berlin das Referat IV „Seel- sorge“. Er ist der Nachfolger von Militärdekan Msgr. Georg Kestel, der zum 1. April in das Amt des Generalvikars im Erzbistum Bamberg berufen wurde. Ferner informierte sich der MD Meyer in seiner Eigen- schaft als Geistlicher Beirat des Bundesvorstandes der Ge- meinschaft Katholischer Soldaten beim GKS-Kreis Dornstadt über die Arbeit auf Standortebene, welche, so MD Meyer, ei- nen unverzichtbaren und somit überaus wichtigen Stellen- wert in diesem katholischen Soldatenverband darstellt. Im Gespräch und mit Hilfe von Fotos informierten die Mitgliedern des GKS-Kreises Dornstadt den Geistlichen Bei- rat über die Aktivitäten der vergangenen Monate sowie die weiterhin geplanten Projekte (Foto r.). (Stefan Nüßle)

AUFTRAG 263 8585 KIRCHE UNTER SOLDATEN

STANDORT ULM/DORNSTADT: Bischof Fürst feiert Weltfriedenstag mit Soldaten der Standorte Ulm und Dornstadt 50 Jahre Katholische Militärseelsorge – GKS stellt sich auf dem Weltfriedenstag in Ulm vor nlässlich des Weltfriedenstages und des Jubiläums 50 Jahre Katholische AMilitärseelsorge feierte der Bischof von Rottenburg-Stuttgart, Dr. Gebhard Fürst, am 21. Juni in der Kirche Sankt Michael zu den Wengen mit den in der Region stationier- ten Soldaten ein Pontifikalamt. Im Anschluss daran fand ein Empfang auf dem Vorplatz des Gotteshauses statt, bei welchem die GKS- Kreise Dornstadt und Ulm ihren Verband, sein Profil, die inhaltliche Arbeit und die Ak- tivitäten, primär die auf der Kreisebene, den interessierten Besuchern vorstellten. Untermauert mit Fotos der zurückliegen- den Ereignisse und mit Hilfe von Positions- papieren, Flyern, Erklärungen sowie diversen Ausgaben der Zeitschrift AUFTRAG und mit personeller Unterstützung durch den Ehren- bundesvorsitzenden der GKS, Oberst a.D. Karl-Jürgen Klein, sowie den Vorsitzenden der GKS im Bereich Baden-Württemberg, Jürgen Hendricks (zugleich auch Vorsitzender GKS-Kreis Ulm), brachten die Mitglieder und Mitarbeiter der GKS-Kreise so den militärischen und zivilen Gästen die Ge- meinschaft Katholischer Soldaten mit ihren Dr. Gebhardt Fürst, Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart wird vom Vor- Gebeten, Leitsätzen, Schwerpunkten, Zielen sitzenden des GKS-Kreises Dornstadt über die Arbeit der GKS informiert. und Veranstaltungen näher. (Stefan Nüßle)

GKS-KREIS MÜNCHEN: Zum Schluss seiner Ausführungen dankte er den Anwe- senden für die Unterstützung während seiner Tätigkeit als Erster GKS-Kreis mit Soldatin als Vorsitzende Vorsitzender. Gleichzeitig kündigte er an, dass er auf- it OFVet Dr. Sabine Sauer wurde erstmals ein grund seines Ausscheidens aus dem aktiven Dienst mit weiblicher aktiver katholischer Soldat an die Spit- Erreichen der besonderen Altersgrenze seines Dienstgra- Mze eines GKS-Kreises in Bayern, und zwar des des zum 30. November 2006 nicht mehr für den Posten Kreises München, gewählt. Am 25. Juli hatte der amtie- des 1. Vorsitzenden zur Verfügung stehe. rende Vorsitzende StFw Norbert Rödl zur Hauptversamm- Bei der anschließenden Abstimmung wurde OFVet lung in die Dienststelle des kath. StO-Pfarrers in Mün- Dr. Sabine Sauer zur 1. Vorsitzenden, OStFw Reinhard chen eingeladen. Kießner zu ihrem Stellvertreter, sowie StFw Norbert Rödl Nach der Begrüßung und einem geistlichen Wort, ge- zum Beisitzer gewählt. Die Wahl wurde von allen Kandi- sprochen von Militärdekan Grötzner als geistlicher Beirat, daten angenommen. Der Leiter des Wahlausschusses, ließ StFw OTL Merz, bedankte sich für den reibungslosen Wahlab- Norbert Rödl in lauf und übergab das Wort an die neu gewählte Vorsitzen- seinem Re- de. chenschaftsbe- Zum Abschluss gab die neue Vorsitzende einen Aus- richt die Akti- blick auf bereits fest terminierte Aktivitäten des GKS- vitäten und Er- Kreises München im Jahr 2007. Bevor sie die Hauptver- eignisse seit sammlung offiziell beendete, bedankte sie sich bei ihrem der Reaktivie- Vorgänger im Amt für dessen grosses Engagement in den rung des GKS- zurückliegenden zweieinhalb Jahren. Sie hob hervor, dass Kreises Mün- sie den Vorsitz nur übernehmen konnte, weil StFw Rödl chen im Januar sie in seiner Funktion als Beisitzer auch künftig bei der 2004 Revue Wahrnehmung aller anfallenden verwaltungstechnischen passieren. Arbeiten im GKS-Kreis München tatkräftig unterstützen werde. (Text: Waltraud Rödl, Bild: PIZ SanABw)

86 AUFTRAG 263 AUS DER GKS UND DEN STANDORTENPERSONALIA Leitende Militärseelsorger der NATO-Staaten wählen deutschen Militärdekan Simon zum AAFCCCGeneralsekretär eunundzwanzig Leitende Luftwaf- sammenarbeit für den Dienst der Mili- fen-Militärseelsorger aus sechzehn tärseelsorge in den NATO-Mitglieds- NNATO-Mitgliedsländern haben auf ländern erörtert. In den letzten Jahren ihrer Jahresversammlung den katholi- rückten neue Aspekte der seelsorgeri- schen deutschen Militärdekan Joachim schen Begleitung von Auslandsein- Simon zum Generalsekretär des „Allied sätzen in den Vordergrund. Air Forces Chaplains Consultative Com- Bei der Versammlung im norwegi- mittee“ (AAFCCC) gewählt. Die Jahres- schen Longyearbyen wurde die Arktis versammlung mit der Neuwahl des Gene- als Objekt unterschiedlicher politischer ralsekretärs fand auf Einladung Norwe- Interessenwahrnehmung mit zunehmen- gens am 15. Juni 2006 in Longyearbyen der Bedeutung vorgestellt. Darüber hin- auf der Insel Spitsbergen im nördlichen aus diskutierten die versammelten Polargebiet statt. Das AAFCCC wurde Militärseelsorger die Herausforderungen 1953 gegründet und vom Oberkomman- einer zunehmend säkularen Einfluss- dierenden des NATO-Hauptquartiers in nahme auf die Rahmenbedingungen für Europa (SACEUR) anerkannt. Es ist so- die Seelsorge in den Streitkräften einiger mit das älteste Militärseelsorge-Beratungsgremium auf Mitgliedsländer. NATO-Ebene. Ihm gehören jüdische Rabbis und christ- Der neue Generalsekretär Joachim Simon ist Refe- liche Militärgeistliche verschiedener Konfessionen an, ratsleiter für internationale und weltkirchliche Fragen im die in leitender Position eine besondere Zuordnung zur Katholischen Militärbischofsamt in Berlin und Vertreter Luftwaffe ihres jeweiligen NATO-Mitgliedslandes wahr- dieses Amtes beim Einsatzführungskommando der Bun- zunehmen haben. Bei den Zusammenkünften des Gre- deswehr in Potsdam. Der 46-jährige Militärdekan folgt im miums in wechselnden Gastgeber-Ländern werden Fra- Amt als Generalsekretär des AAFCCC dem Belgier Marc gen der multinationalen und überkonfessionellen Zu- Lateur. (KMBA 19. Juni 2006)

Der italienische Militärbischof Angelo Bagnasco Missionswissenschaftler Bertsch gestorben wird Erzbischof von Genua udwig Bertsch, Jesuit und Missionswissenschaftler, apst Benedikt XVI. hat den bisherigen italienischen ist am 28. August im Alter von 77 Jahren in Köln ge- Militärbischof Angelo Bagnasco zum neuen Erzbi- Lstorben. Das wurde am Mittwoch in Aachen be- schof von Genua ernannt. Diese Entscheidung wur- kannt. Der in Frankfurt geborene Ordensmann war von P 1989 bis 1996 Direktor des Missionswissenschaftlichen de 29. August im Vatikan bekannt gegeben. Der 1943 in Pontevico bei Brescia geborene Bischof Instituts (MWI) in Aachen. Seit 1961 lehrte er Liturgie- tritt das Erbe von Kardinal Tarcisio Bertone an, den der wissenschaft und später auch Pastoraltheologie an der Heilige Vater am 22. Juni zum Nachfolger von Kardinal- Philosophisch- Theologischen Hochschule der Jesuiten in Staatssekretär Angelo Sodano bestellt hatte. Sankt Georgen/Frankfurt, seit 1966 als Professor. 1967 Msgr. Angelo Bagnasco wurde im Jahr 1998 Bischof wurde er Rektor der Jesuitenkommunität von Sankt der Diözese Pesaro, die zwei Jahre später in den Rang ei- Georgen, 1973 Regens des Priesterseminars. Von 1982 ner Erzdiözese erhoben wurde. Vor drei Jahren wurde er bis 1988 war er Rektor der Hochschule. Zuletzt lebte er in dann vom damaligen Papst Johannes Paul II. zum italieni- der Jesuitenkommunität in Köln. schen Militärbischof ernannt. (ZENIT.org) Bertsch trat 1951 in den Jesuitenorden ein und wurde 1956 zum Priester geweiht. Zwischen 1971 und 1975 war er maßgeblich an der Würzburger Synode der katholi- GEFUNDEN: Zusammenarbeit schen Bistümer in Deutschland beteiligt. Der Ordens- ie ökumenische Gestaltung von Gottesdiensten bei mann, der auch dem Zentralkomitee der deutschen Ka- Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist nach den tholiken (ZdK) angehörte, befasste sich über Jahrzehnte DWorten des evangelischen Militärbischofs Peter mit der afrikanischen Kultur und Theologie und tat sich Krug „eingeschränkt“ möglich. Die Regelungen des ka- besonders als Förderer und Kenner afrikanischer Kunst tholischen Militärbischofs Walter Mixa von 2004/05 hät- hervor. So leitete er die Kunstkommission des internatio- ten nicht zu einer massiven Einschränkung der Zusam- nalen katholischen Missionswerks missio in Aachen und menarbeit geführt, erklärte Krug in seinem Bericht für die organisierte zahlreiche Ausstellungen. 51. Gesamtkonferenz Evangelischer Militärgeistlicher, die Enge Kontakte hielt Bertsch insbes. mit der katholi- Anfang Mai in Karlsruhe stattfand. Beim Auslandseinsatz schen Kirche im Kongo, etwa als Vertreter der Deutschen komme einer guten Zusammenarbeit von evangelischer Bischofskonferenz im Verwaltungsrat der Katholischen und katholischer Militärseelsorge eine entscheidende Be- Fakultäten von Kinshasa (FCK). Zuletzt machte er sich deutung zu, so Krug. Das Spektrum reiche „von rein prag- zum Fürsprecher der neu gegründeten Universität „Notre- matischer bis hin zu enger Kooperation“. (KNA) Dame du Kasayi“ im kongolesischen Kananga. (KNA)

AUFTRAG 263 87 Buchbesprechungen

Glaubenszeugnis Lehmanns, die hinter dem Amt des Vorsit- Fragen an die Evolutionstheorie. In acht Ka- zenden der deutschen Bischofskonferenz piteln zeigt er, wie unhaltbar die These ist, Karl Jüsten, steht – Einblicke, die sich nicht auf ein- dass alles Leben zufällig entstanden ist. oder mehrmalige Begegnungen beschrän- Ohne gesicherten Erkenntnissen zu wider- Hans Langen- ken, sondern sich über Jahre entwickelt und sprechen, plädiert Blank für mehr kritische dörfer: „Wir gefestigt haben. Der Brief von Alt-Bundes- Gelassenheit gegenüber dem weit- Nachbarn des kanzler Helmut Kohl an Kardinal Lehmann, verbreiteten Absolutheitsanspruch der Na- Himmels. Erfah- der in diesem Sammelband abgedruckt ist, turwissenschaft. Gegenüber dem materialis- rungen und ergänzt diese eher persönlichen Wahrneh- tischen Glauben an die totale Von-Selbst- Begegnungen mungen. Organisation eines Zufall-Kosmos, erweist mit Karl Kardi- Positiv hervor zu heben ist, dass die sich der Glaube an „die Notwendigkeit eines nal Lehmann“. meisten Autoren versuchen, in ihren Texten aller Materie vorausgehenden Gedankens, Herder Verlag, einen persönlichen Bezug zu Kardinal einer schöpferischen Erst-Ursache für Da- Freiburg im Lehmann herzustellen, auch wenn sie nicht sein und Sosein des Kosmos, des Menschen Breisgau 2006, über jene reiche Erfahrung verfügen wie und der Evolution als vernünftig und ver- geb., 191 Seiten. Agathe Hitzel oder Max-Eugen Kemper. antwortbar“. Von den zahlreichen, an einen Am 16. Mai 2006 Besonders überzeugend wirken Texte, die Schöpfergott glaubenden Naturwissenschaft- feierte der Vorsitzende der Deutschen über den eigenen, gelebten Glauben spre- lern, sei hier der Biologe und Nobelpreisträ- Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann, chen, wie etwa bei Johannes B. Kerner. Da ger Jakob von Uexküll zitiert: „Wer Plan, seinen 70. Geburtstag. Zu diesem Anlass ist ein Ringen um den christlichen Glauben Ziel und Zweck der Natur bejaht, der bejaht gaben der Sekretär der Deutschen Bischofs- spürbar, eine Auseinandersetzung auch mit ... damit unausweichlich Schöpfung und da- konferenz in Bonn, Pater Dr. Hans Langen- der eigenen Lebensgeschichte – und eben mit eben letztlich auch das Dasein eines dörfer SJ, und der Leiter des Kommissariats dies wirkt überzeugend auf den Leser. Eher Schöpfers: Gott“. (PS) der deutschen Bischöfe in Berlin, Prälat Dr. unpersönlich gehaltene Beiträge wie jener des Aachener Bischofs Heinrich Mussing- Karl Jüsten SJ, einen Sammelband mit dem Gesellschaft Titel „Wir Nachbarn des Himmels. Erfah- hoff entwickeln trotzdem eine gewisse Auf- rungen und Begegnungen mit Karl Kardinal merksamkeit, weil sie mit den Ausführungen Christina Klein: Lehmann“ heraus. In dieser Publikation zu Yad Vashem für die Öffentlichkeit interes- geht es im weiteren Sinne um den christli- sante Themen ansprechen. „Das Betreuungs- chen Glauben und wie einzelne Persönlich- Bei der Besprechung eines Sammelban- lexikon“. Verlag keiten des öffentlichen Lebens hierzu ste- des ist es im Prinzip ausgeschlossen, jeden interna 2006, hen. Gemeinsam ist allen Verfassern, dass einzelnen Text zu erörtern. Allgemein fällt kart., 72 Seiten. sie in einer Verbindung zu Kardinal auf, dass etwa Politiker aus den Reihen der Was tun bei Ent- Lehmann stehen und ihr publizistischer Bei- FDP oder der PDS fehlen, was wohl mit den mündigung, Vor- trag als Gratulation an ihn zu verstehen ist. eher kritischen Positionen dieser Parteien mundschaft und Die einzelnen Artikel sind verschiede- gegenüber den Kirchen zusammenhängt. Pflegefall? – Als nen Themengruppen zugeordnet, die jedoch Eine ökumenische Sichtweise, wie sie auch 1992 das Betreu- keinen Anspruch auf eine Systematik erhe- dem wissenschaftlichen Werk Lehmanns ungsgesetz (BtG) ben. Diese lauten: „Entdeckungen des Glau- entspricht, kommt in der Publikation zum eingeführt wurde, bens“, „Ein Lebensweg im Glauben“, „Be- Tragen. Ein Autor aus dem jüdischen Umfeld verschwanden die gegnungen, die bewegen“, „Im Einsatz für hätte vielleicht noch eine Bereicherung dar- Begriffe Entmündigung, Vormundschaft und die Welt der Zukunft“, „Gegenwart des gestellt. Insgesamt gesehen liegt jedoch ein Pflegschaft aus dem offiziellen Sprachge- Glaubens“, und „In Gemeinschaft Glau- lesenswerter und eindrucksvoller Sammel- brauch. Waren Volljährige betroffen, galt ben“. Die Beiträge sind weitgehend in einem band vor, der Zeugnis ablegt über den christ- fortan „Betreuung“ als Sammelbegriff für Essay-Stil gehalten, gut lesbar und für ein lichen Glauben, über die Persönlichkeit von das unerfreuliche Schicksal. breites Publikum geeignet. Kardinal Lehmann und über das gesell- Unter Betreuung versteht man den Bei der Auswahl der Autoren ist das schaftspolitische Wirken des Vorsitzenden staatlichen Beistand in Form von rechtlicher Bemühen erkennbar, Persönlichkeiten aus der Deutschen Bischofskonferenz. Fürsorge und nicht tatsächlicher Hilfe. Ge- verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Andreas M. Rauch) richtlich eingesetzte Betreuer kümmern sich darzubieten. Dabei scheint auch von Bedeu- ehrenamtlich um die Belange von Men- tung zu sein, dass die jeweiligen Autoren im schen, die diese nicht mehr selbst wahrneh- politischen, kirchlichen, wissenschaftlichen Evolution und Glaube men können. Das Tätigkeitsspektrum des oder journalistischen Bereich eine gewisse Betreuers reicht von der Organisation des Bekanntheit besitzen. Peter Blank: täglichen Lebens über die Entscheidung in Wie auch in anderen Lebensfeldern „Alles Zufall? gesundheitlichen oder pflegerischen Dingen vermischen sich vielfach das Berufliche mit Naive Fragen zur bis zur Vermögensverwaltung und rechtli- dem Privaten, ist das Amt des Vorsitzenden Evolution“. chen Vertretung der betreuten Personen. der DBK mitunter nicht von dem Menschen Durch die Betreuung soll so wenig. wie mög- St. Ulrich Verlag, zu trennen, der es ausfüllt. So verschwim- lich in das Selbstbestimmungsrecht des Be- men Grenzen zwischen kirchlichen und öf- Augsburg 2006, troffenen eingegriffen werden. Fachleute fentlichen Aufgaben einerseits sowie freund- kart., 128 Seiten. empfehlen zu Zeiten, in denen man geistig schaftlichen und gefühlsmäßigen Wahrneh- Gibt es einen Wi- klar und noch gesund ist, Vorsorge für den mungen andererseits. Da ist etwa der sehr derspruch zwischen Fall der Betreuungsbedürftigkeit zu treffen. persönlich gefasste Beitrag von Agathe naturwissenschaft- Insoweit, wie der Betroffene selbst vorge- Hitzel, der langjährigen Sekretärin des Bi- licher Erkenntnis sorgt hat, ist dann später die Anordnung ei- schofs. Sie gibt Einblick in die Persönlich- und einem Schöp- ner Betreuung eventuell nicht erforderlich. keit Lehmanns und in seinen Arbeitsalltag; fungsglauben? Andererseits kann davon ausgegangen wer- oder der Beitrag von Max-Eugen Kemper, Schließen beide sich gegenseitig aus? Der den, dass dann im eigenen Sinne entschie- mit dem Lehmann seit gemeinsamen römi- Autor – Peter Blank, Jg. 1939, Jurist, promo- den wird. Praktisch geht es dabei um die schen Studienjahren im Collegium Germani- vierter Theologe und Priester mit Erfahrun- Vorsorgevollmacht, die Betreuungsverfü- cum et Hungaricum freundschaftliche Kon- gen als Religionslehrer und Studenten- gung und die Patientenverfügung. takte verbinden. In beiden Beiträgen erfährt seelsorger – stellt als naturwissenschaftli- Mit der Vorsorgevollmacht bevoll- der Leser etwas über die Persönlichkeit cher Laie auf unterhaltsame Weise naive mächtigt man eine Person, im Namen des

88 AUFTRAG 263 Buchbesprechungen

Vollmachtgebers Erklärungen abzugeben, zu Wallfahrtsorte in der Diaspora Im Vorwort er- denen diese infolge z.B. altersbedingten Ver- klärt der Berliner lustes der Geschäftsfähigkeit selbst nicht Bonifatiuswerk der deutschen Katholi- Erzbischof Georg mehr in der Lage ist. Bei der Betreuungs- ken (Hrsg.): „Nun soll ein Lob erschal- Kardinal Sterzinsky verfügung hingegen geht es um konkrete len“ Wallfahrtsorte in der Diaspora; das Wesen der Wall- Regelungen insbesondere im Hinblick auf Paderborn 2006, fahrt. Sie stelle eine die Lebensgestaltung und Unterbringung. 200 Seiten. Unterbrechung des Auch kann darin bestimmt werden, wer als Jahreskreises dar Betreuer bestellt werden soll. Wer für Situa- Um die Wallfahrtsorte in den deutschen Dia- und diene als Orien- tionen vorsorgen möchte, in denen Andere spora-Regionen (neu) bekannt zu machen, tierung hin zu den über medizinische Maßnahmen die eigene hat das Bonifatiuswerk der deutschen Ka- Quellen des Lebens. Person betreffend entscheiden (müssen), tholiken ein 200 Seiten starkes Werk mit „Wallfahrten sind sollte eine Patientenverfügung aufsetzen. dem Titel „NUN SOLL EIN LOB ERSCHALLEN“ Darin kann beispielsweise bestimmt werden, veröffentlicht. Der Führer kostet 6 Euro zu- keine touristischen welche Behandlungen durchgeführt werden züglich Porto und ist unter eMail erhältlich: Events mit Führun- oder unterbleiben sollen. So kann man mit [email protected] gen und fachlichen Erläuterungen, vielmehr einer Patientenverfügung beispielsweise Das bebilderte Buch stellt 63 Wallfahrts- sind sie Pilgerreisen. Nicht der Genuss der lebenserhaltende Maßnahmen im Falle eines orte vor: von Solnhofen im Bistum Eichstätt Natur – wie beim Ausflug ins Grüne – steht im irreversiblen Komas ausschließen. bis Ratzeburg im Erzbistum Hamburg, von Mittelpunkt, sondern das Beten und Singen, Wer sich mit diesen wichtigen Themen Hornbach im Bistum Speyer bis Sellin auf das Bitten und Danken.“ Auch in der Dias- befassen möchte, findet im „Betreuungs- Rügen im Erzbistum Berlin. Pilger erhalten pora, wo Katholiken in der Minderheit leben, lexikon“ aus dem Verlag interna einen kom- Informationen über das jeweilige Gnaden- seien Orte des Gebetes und der Wallfahrt pakten Ratgeber. Er erklärt leicht verständ- bild und die Geschichte der Wallfahrtsstätte. entstanden, die die Gläubige dazu einluden, lich alle relevanten Begriffe zum Thema Gebete und Lieder, Adressen zur Kontakt- der Gottesmutter Maria und ihrem liebenden „Betreuung“, von A wie „aktive Sterbehilfe“ aufnahme sowie praktische Hinweise zur Sohn zu begegnen, inne zu halten und Kraft bis Z wie „Zwangsgeld“. Das Werk leitet Anreise und zu Gaststätten und Unterkünf- für ein Leben aus dem Glauben zu schöpfen. Betreuer wie Betreute, aber auch deren An- ten ergänzen das Werk. (ZENIT.org) gehörige durch alle Phasen ihrer Vorberei- tung. Informationssammlung und Planung mit dem Ziel, das Wohl des Betreuten zu wahren und ihm ein so weit wie möglich Tuch getragen und an Bord nen selbst altgefahrene Mariner selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. grauer Boote Salzwasser ge- kaum noch nachvollziehen. (PS) schmeckt haben, mehr oder Bei den Landeinheiten weniger lange zurück liegende wird es noch schwieriger. Zahl- Erinnerungen wach werden. reiche Strukturveränderungen 50 Jahre Bundesmarine Inzwischen sind die Seeleute und Umgliederungen erschwe- der ersten Stunde zu Zeitzeu- ren den Zugang zur Geschichte gen geworden, die von den be- gerade dieses Marinestand- Günter Thye: „50 Jahre Marine- scheidenen Anfängen berich- ortes. Marinefernmeldeschule, geschichte an der Flensburger Förde ten. Meist sind es Historiker Flottenkommando und vor al- 1956-2006“. 400 Seiten, über 300 s/w- oder professionelle Autoren lem die traditionsreiche Mari- Abb., im Selbstverlag 2006. und Journalisten, die sich neschule Mürwik sind noch In diesem Jahr wird mit zahlreichen Veran- mühselig anhand von Akten, einigermaßen bekannt. Aber staltungen, Ausstellungen und Publikatio- Fotos und Erlebnisberichten nur die Insider können etwas nen daran erinnert, dass die Marine der durch die für sie fremde Mate- von anderen, längst aufgelösten Bundesrepublik Deutschland bereits seit 50 rie durcharbeiten. Daher bleiben sie meist oder eher abseits der Öffentlichkeit tätigen Jahren im Dienst ist. an der Oberfläche, beim Allgemeinen; Dienststellen berichten. In den heutigen Medienberichten ste- Sicherheitspolitik oder Technik stehen im Sicherlich werden weitere Zeitzeugen hen meist die Einsätze und Auslandsaus- Vordergrund ihrer Betrachtung. mit Berichtigungs- und Ergänzungsvorschlä- bildungsreisen im Vordergrund. Welch wei- Umso verdienstvoller ist es daher, wenn gen, vor allem aber das Interesse der ab ter Weg von den bescheidenen Anfängen mit auch einmal ein Mariner selbst zur Feder 1956 in Flensburg ein- oder mehrmals stati- Kriegsfischkuttern, BYMSEN und anderen greift. Mit Oberstabsbootsmann a.D. Günter onierten Marineangehörigen eine weitere „Dergln“ bis zu den modernen Fregatten der Thye hat ein Berufssoldat nach jahrelangem Auflage dieses im Selbstverlag erschienenen SACHSEN-Klasse oder den außenluft-unab- Quellenstudium mit der ihm eigenen Akribie Buches erzwingen. Günter Thye aber ge- hängigen U-Booten der Klasse 212A, vor und Liebe zum Detail, vor allem jedoch sei- bührt das Verdienst, mit seinem Buch allem jedoch welche zähe Ausbildungs- und ner Personenkenntnis die Geschichte des erstmals in diesem Umfang alle diese Facet- Planungsarbeit zahlloser Marineangehöriger Marinestandortes Flensburg und des benach- ten unseres Marinestandortes Flensburg/ dies erst ermöglichte, kommt meist zu kurz. barten Glücksburg nachgezeichnet. Immer Glücksburg erfasst zu haben. Zu speziell ist das Thema, das fernab wieder beleben auch kleine Geschichten Möge sein Buch möglichst vielen ehe- der Marinestandorte in unserem traditionell und Döntjes das Werk. maligen und aktiven Marineangehörigen, kontinental geprägten Lande kaum Interes- Und in einem Sonderteil stellt Thye, der aber auch anderen Geschichtsinteressierten senten findet. Dies ist kein neues Phäno- in seiner aktiven Dienstzeit in der katholi- als Nachschlagewerk dienen. men: seit das rohstoffarme Deutschland zum schen „Kirche unter Soldaten“ stark enga- (FK Werner Hupfeld, Industriestaat wurde, leben die meisten sei- giert war, die Militärseelsorge bei der Marine PIZ Marine, Glücksburg) ner Bewohner unbewusst vom ungestörten vor. Warenfluss über die Weltmeere. Maritimes Inzwischen ist der frühere Marine- Bezugsmöglichkeit über: Günter Thye, Gedankengut ist den meisten unserer Lands- stützpunkt in Mürwik Heimathafen ziviler Uranusweg 80, 24943 Flensburg, leute fremd; welche Chancen in den mariti- Segelboote. Nur eine Inschrift am Eingang Tel. 0461 64827, Fax 0461 6740718, men Möglichkeiten und Fähigkeiten der und der Baustil der Gebäude an der Pier E-Mail: [email protected] Bundeswehr liegen, ist sogar vielen politisch erinnern an die über 100-jährige Nutzung Stückpreis: EUR 25,50 plus EUR 3,50 Verantwortlichen unbekannt. durch die verschiedenen deutschen Mari- Versandkosten. Umgehende Lieferung nach Gerade im Marinejubiläumsjahr 2006 nen. Welche Einheiten hier einmal statio- Eingang der Zahlung bei der VR Bank sollten jedoch zumindest bei all denen, die niert waren, wer die Kommandanten waren Flensburg-Schleswig, Konto 00006 720080, irgendwann einmal in ihrem Leben das blaue und welche Fahrten sie unternahmen, kön- BLZ 216 617 19.

AUFTRAG 263 89 Nachlese zum „Tag der Kirche unter Soldaten“ beim Katholikentag 2006 in Saarbrücken er Katholikentag 2006 war im letzten AUFTRAG etwas (5): Nach dem Podiumsgespräch dis- stiefmütterlich weggekommen. Hier als Nachtrag noch kutieren die Teilnehmer weiter; ein paar fotografische Eindrücke, die Friedrich Brockmeier v.l.: Matthias Wirth, Vorsitzender am 25. Mai , dem Tag der Militärseelsorge, gewonnen hat. der aktion kaserne (ak), der D Wehrbeauftragte des Deutschen (1): Militärbischof Dr. Walter Mixa einzufangen. Bundestages Reinhold Robbe, besucht den Stand der GKS in (3): Hoher römischer Besuch auf dem Militärbischof Walter Mixa und der Kongresshalle und wird vom Stand der GKS: Bischof Dr. Josef der Vorsitzende der Zentralen Bundesvorsitzenden Oberstleut- Clemens, Sekretär des Päpstli- Versammlung (ZV) Oberst nant Paul Brochhagen begrüßt. chen Rates für die Laien, erhält Richard Schmitt. (2): Auf dem Stand der Katholischen vom Bundesvorsitzenden der GKS, (6): „Unter deinem Schutz und Arbeitsgemeinschaft für Solda- Oberstleutnant Paul Brochhagen, Schirm“. Militärbischof Mixa er- tenbetreuung (KAS e.V. Bonn) Informationen über den katholi- hält kurz vor dem Pontifikalamt war es möglich, mit einiger An- schen Soldatenverband. von Mitarbeitern der Kurie letzte strengung dem Himmel näher zu (4):Auf dem Stand der KAS: Militär- Informationen zur Beteiligung kommen; sogar ein Kameramann bischof Walter Mixa und der Vor- der Soldaten am Katholikentag. konnte der Versuchung nicht wi- sitzenden der KAS Rainer Krotz (7): Internationaler Soldatengottes- derstehen, Bilder aus luftiger im Gespräch mit jungen Besu- dienst am „Tag der Militärseel- Höhe vom Katholikentagstreiben cherinnen. sorge“; l. von Militärbischof Wal- ter Mixa der ungarische Militär- bischof Dr. Tomás Szabó, r. Autoren Militärgeneralvikar Prälat Walter Wakenhut, l. außen der Katholi- (soweit keine Angaben beim Beitrag) sche Leitende Militärdekan Achmann, Dr. Klaus Köln-Wahn, Militärdekan Rainer Liebetanz, Klaus Schnettker. Oberst a.D., Bundesgeschäftsführer der Major a.D., Verden/Aller; Berater für GKS, Vertreter der GKS in der deut- humanitäre Hilfe im Ausland; (8): „Europäische Armee oder zivile schen Kommission Justitia et Pax. Mitglied im GKS-Sachausschuss Friedensdienste aufbauen?“, The- Görlich, Joachim Georg „Sicherheit und Frieden“. ma einer Podiumsdiskussion von Magister, freier Journalist, Schwerpunkt Pax Christi international. In kon- mittel- und osteurop. Gesellschaften. Nüßle, Stefan troverser, aber fairer Gesprächs- Oberleutnant und Vorsitzender des runde legten ihre Meinung dar Heinemann, Dr. Winfried GKS-Kreises Dornstadt. (im Bild v.l.): Generalleutnant Oberst, Referatsleiter im Militärhisto- Karl-Heinz Lather, Heidelberg, rischen Forschungsamt der Bundeswehr Rauch, Dr. phil. Andreas Martin Potsdam; Mitglied im Bundesvorstand Prof. eh. mit Lehrauftrag an der Univer- Dr. Reinhard Voß, Generalsekre- und Pressesprecher der GKS. sität Bonn. tär der deutschen Sektion von pax christi, Moderator Etienne Hochholzer, Martin Roth, Dr. Paul de Jonghe von pax christi inter- Dipl. theol.; Referent in der Arbeitsstel- em. Prof. für Politikwissenschaft an der national. le für Männerseelsorge und Männerar- Universität der Bundeswehr München. beit in den deutschen Diözesen in (9): Oberst Dr. Wilfried Heinemann, Fulda. Schick, Prof. Dr. Ludwig Pressesprecher der GKS, im Ge- Erzbischof von Bamberg; als Mitglied spräch mit Josef König (l.), Ge- Jacob, Ludwig der Pastoralkommission der DBK Beauf- schäftsführer der aktion kaserne, Oberst a.D., freier Mitarbeiter am Insti- tragter für die Männerseelsorge in den und dem Vorsitzende der aktion tut für Theologie und Frieden, Hamburg; deutschen Diözesen. Mitglied im GKS-Sachausschuss kaserne Matthias Wirth. „Sicherheit und Frieden“. Schnarrer, Prof. Dr. phil. et Dr. Justenhoven, Dr. Heinz-Gerhard theol. Johannes Michael Foto-/Grafiknachweis: Leiter des Instituts für Theologie und freier Wissenschaftler, Wien, Archiv (2), F. Brockmeier (15), E-Mail: [email protected] Frieden, Hamburg; Mitglied im GKS- BPA (2), Bundeswehr (8), Sachausschuss „Sicherheit und Frie- W. Fröhler (1), M. Hochholzer (1), den“. Schumacher, Dr. Rolf Leiter der Arbeitsgrupe Poitik und Internet (2), KMBA (5), Kilian, Dieter Gesellschaft im Generalsekretariat des K. Liebetanz (1), G. Meierhofer (1), Oberst a.D., ehem. Militärattaché in ZdK. Beitrag aus: SALZkörner, 12. Jg. S. Nüßle (4), PS (6), P. Roth (3), Islamabad/Pakistan und in Riyad/ Nr. 3, 30. Juni 2006, S. 9f.; Hrsg. ZdK, R. Sikorski (1), L. Strauß (1), Saudi-Arabien. Bonn. Verlage (5), M. Wilke (2)

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AUFTRAG 263 91 Impressum Das Kreuz der GKS AUFTRAG ist das Organ der GEMEINSCHAFT Das »Kreuz der GKS« ist das Symbol KATHOLISCHER SOLDATEN (GKS) und der Gemeinschaft Katholischer Soldaten. erscheint viermal jährlich. Vier Kreise als Symbol für die GKS-Kreise Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2, an der Basis formen in einem größeren 10117 Berlin Kreis, der wiederum die Gemeinschaft www.katholische-soldaten.de versinnbildlicht, ein Kreuz, unter dem Redaktion: verantwortl. Redakteur Paul Schulz (PS), Oberstleutnant a.D., Satz und Layout; sich katholische Soldaten versammeln. Klaus Brandt (bt), Oberstleutnant a.D., Redakteur; Helmut Fettweis (HF), Oberst a.D., Redakteur e.h. Zuschriften: Redaktion AUFTRAG c/o Paul Schulz, Postfach 27 06 21317 Lüneburg, Tel/Fax: 04131–220768, e-Mail: [email protected] Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Namensartikel werden allein vom Verfasser verantwortet. Nicht immer sind bei Nachdrucken die Der Königsteiner Engel Inhaber von Rechten feststellbar oder erreichbar. In solchen Ausnahmefällen Der »siebte Engel mit der siebten Posaune« verpflichtet sich der Herausgeber, nach- (Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoffnung, träglich geltend gemachte rechtmäßige der die uneingeschränkte Herrschaft Gottes Ansprüche nach den üblichen Honorarsätzen zu vergüten. ankündigt. Dieser apokalyptische Engel am Druck: Köllen Druck & Verlag GmbH, Haus der Begegnung in Königstein/Ts., dem Ernst-Robert-Curtius-Str. 14, 53117 Bonn. Gründungsort des Königsteiner Offizier- Überweisungen und Spenden an: Förderkreis der GKS (FGKS e.V.), kreises (KOK), ist heute noch das Tradi- Pax Bank eG Aachen, tionszeichen der GKS, das die katholische BLZ: 391 601 91, Konto-Nr.: 1009439010. Laienarbeit in der Militärseelsorge seit mehr Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit als 40 Jahren begleitet. Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe. Nachbestellung gegen eine Schutzgebühr von EUR 5,- an den ausliefernden Köllen Verlag.

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