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10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 251 10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 251 Michael Ruck Ein Provisorium im Strukturwandel 251 I. Die neue Elbphilharmonie im Zentrum der Ha- Michael Ruck: fenCity wird „Hamburg auf die Landkarte brin- gen“. Dessen waren und sind sich die Befürwor- Ein Provisorium ter des „grandiosen Bauwerk(s)“ in der boomen- im Struktur- den Hansestadt allen zwischenzeitlichen Hiobs- botschaften zum Trotz seit Jahren gewiss.2 Un- wandel weit dieser architektonisch-kulturellen Wegmar- Schleswig-Holsteins prekäre ke des 21. Jahrhunderts sollte nach den Plänen des lokalen Stararchi- Existenz als deutscher Glied- tekten Hadi Teherani die kaum minder spektakuläre „Living Bridge“ staat1 den globalen Nimbus der „heimlichen Hauptstadt des Nordens“3, de- ren außergewöhnliche Wachstumsperspektiven stets aufs Neue betont werden,4 gebührend unterstreichen (Abb. 1). Die Weltfinanzkrise hat den hochfliegenden Plänen für diese 700 Meter lange, „am Vorbild des ‘Ponte Vecchio’in Florenz und der ‘Newcastle Bridge’ in London orientierte, bewohnbare Brücke, die neben Wohn- und Geschäftsnut- zung auch gleichzeitig Fußgänger- und Autoverkehr zulässt“ und 1000 Wohnungen umfasst,5 2009 abrupt ein wohl nicht nur vorläufi- ges Ende gesetzt.6 Die Multifunktionsbrücke der Superlative (Abb. 1) hätte jene halbinselförmigen Kaianlagen kreuzen sollen, welche ein ausgedien- tes Hafenbecken von der Unterelbe trennen (Abb.2). An deren westli- cher Spitze, unmittelbar gegenüber jenem „Cruise Center“, an dem re- gelmäßig Kreuzfahrtschiffe der Luxusklasse für großen Publikums- andrang sorgen, befand sich einst der Baakenhöft (Tonnenhof). Mit unverhohlenem Regionalstolz berichteten auch die Blätter des „Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages“ regelmäßig über das ambitionierte Stadtentwicklungsprojekt von europäischem Rang. Auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzturbulenzen konnten seine Le- ser im nördlich angrenzenden „Land zwischen den Meeren“ zu Be- ginn des Jahres 2009 unter der Schlagzeile „Die Insel im Krisenmeer“ lesen: „Ein Stadtteil trotzt der Wirtschaftskrise: Unaufhaltsam wächst die HafenCity zu Hamburgs ‘Premiumstandort’ heran.“ Und der Abb 1: Projekt Living Bridge HafenCity Hamburg 10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 252 Abb. 2: Projekt Living Bridge HafenCity Schlussabsatz dieses Presseberichts wies über seinen lokalen Ge- Hamburg (2009)9 genstand ostentativ hinaus: „Ein echtes Sahne-Grundstück auf dem Baakenhöft halten die Planer noch frei. Dort, so heißt es im Rathaus, könne ja einst das Parlaments- und Regierungsgebäude eines Nord- staates stehen.“8 Solche Lesefrüchte ließen sich manche beibringen. Denn das Thema „Nordstaat“ gehört zu den beharrlichsten Wiedergängern der Landespolitik zwischen der Unterelbe und Dänemark. In landschaft- lich angepasster Bildsprache hat ein alterfahrener Landtagsjournalist des Schleswig-Holsteinischen Zeitungs-Verlages dazu bereits vor geraumer Zeit festgehalten: „An der Küste kommt die ‘Nordstaat’- 10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 253 Debatte so regelmäßig wie Ebbe und Flut, um dann so zuverlässig wie Seifenblasen zu zerplatzen.“10 Wie zur Illustration dieser Sen- tenz bewegte der Kieler Landtag das Thema im Februar 2010 anläss- lich der Einsetzung einer von den Grünen wiederholt geforderten parlamentarischen Enquête-Kommission zur Erörterung von „Chan- cen und Risiken einer norddeutschen Kooperation“ nur einmal mehr in „emotionaler, zweistündiger Debatte“.11 Dabei überwogen kaum verhohlene Skepsis und offene Ablehnung gerade auch bei Volks- vertretern aus dem nördlichen Landesteil Schleswig. Und dies ob- wohl mit den regionalen Gegebenheiten und Problemen vertraute Kommentatoren darauf verweisen konnten, dass „die Schwächen 10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 254 254 Michael Ruck Ein Provisorium im Strukturwandel beider Länder doch gerade Ergebnis einer bürokratisch zementierten und machtpolitisch motivierten Trennung einer Region (sind), die faktisch längst eine Einheit ist“ und zudem „selbst in Schleswig- Holstein die Schere zwischen nördlichem und südlichem Landesteil auseinander (geht)“.12 Diese Sichtweise scheint inzwischen von einer Mehrheit der Be- völkerung im Norden geteilt zu werden.13 Auch in der regionalen Publizistik wurde und wird oftmals wie selbstverständlich auf eine zukünftige Länderfusion in Norddeutschland angespielt. So emp- fiehlt ein neuerer Bildband das Kieler Landeshaus – „einziger deut- scher Regierungssitz am Meer“ – in unausgesprochener Abwehr der Hamburger Ambitionen für höhere Weihen: „Dessen Lage an Nord- europas längster Seepromenade wäre eines künftigen Nordstaat-Re- gierungssitzes mit bewusster Ausrichtung nach Skandinavien, den baltischen Staaten und Russland würdig.“14 Und doch ist im Norden mit diesem Thema seit jeher landespoli- tisch nichts zu gewinnen gewesen. Schon im August 1949 wurde der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Hermann Lüdemann von der sozialdemokratischen Regierungsfraktion genötigt, sein Amt dem bisherigen Wirtschaftsminister Bruno Diekmann zu überlassen. Während der beiden vorausgegangenen Jahre hatte Lüdemann im Lande wie im Parlamentarischen Rat ebenso hartnäckig wie erfolg- los für die Errichtung eines Nordstaates geworben. Das neue Land „Unterelbe“ (Abb. 3) sollte durch den Zusammenschluss von Schleswig-Holstein und Hamburg entstehen und möglichst die süd- lich angrenzenden niedersächsischen Landkreise sowie dereinst auch die mecklenburgischen Grenzkreise im Südosten mit umfas- sen. Seit jenen Tagen galt es in Schleswig-Holstein über Jahrzehnte hinweg als untrügliches Zeichen fortgeschrittener Karrieremüdig- keit, für eine Ländergebietsreform in Norddeutschland einzutreten. Einer derjenigen Politiker, welche diese leidvolle Erfahrung durch- lebt haben, der ehemalige Landtagsabgeordnete Klaus Konrad (SPD), gab 1987 im Rückblick auf die 1960er Jahre zu Protokoll: „Ich würde heute selbstkritisch und mit ein bisschen Hohn zu mir selbst sagen, das war ein ‘missgebildetes Steckenpferd’, was ich da geritten habe. Die wenigsten waren dafür zu haben.“16 „Die Vision eines Nordstaates – oft beschworen, viel diskutiert und regelmäßig verworfen – ist im Jahr 2014 politisch tot“, kom- mentiert die Regionalpresse das 25-jährige Jubiläum gemeinsamer Sitzungen der Regierungen in Hamburg und Kiel.17 Vielleicht läuft nun tatsächlich schon wieder eine der zitierten Fluten aus und es platzt demnächst eine weitere Seifenblase. Womöglich bekommt die Nordstaat-Debatte unter den Vorzeichen von Schuldenbremse und Föderalismusreform aber auch eine neue Dynamik, welche mittel- fristig doch auf einen Zusammenschluss der beiden Hauptkandida- ten Hamburg und Schleswig-Holstein zutreibt. Im politisch-publizi- stischen Raum weisen die Signale – trotz anhaltender Misstöne – immer wieder in diese Richtung. Auf Zusammenkünften der regio- 10 Ruck 03.02.2015 23:50 Uhr Seite 255 Michael Ruck Ein Provisorium im Strukturwandel 255 nalen Wirtschaft wie auch auf wissenschaftlichen Tagungen im Lan- Folgende Seiten: de wird die konkrete Utopie eines Nordstaates ebenfalls ausdauernd Abb. 3: Vorschlag des schleswig-holsteini- diskutiert.18 schen Ministerpräsidenten Hermann Lüde- mann (SPD) zur Neugliederung der Länder II. Letzteres war nicht immer so. Gerade auch von prominenten Lan- (Juli 1948)15 deshistorikern ist regelmäßig versucht worden, die zyklisch auf- flackernden Nordstaat-Diskurse jeweils im Keim zu ersticken. In vorderster Reihe stand dabei über Jahrzehnte hinweg der aus Flens- burg stammende Kieler Zeithistoriker Kurt Jürgensen.19 Am 12. Juni 1946 wurde die „Vorläufige Verfassung des Landes Schleswig-Hol- stein“ durch den Landtag der – formal noch preußischen – „Provinz Schleswig-Holstein“ verabschiedet. Dieses denkwürdige Geschehen im Festsaal der Pädagogischen Hochschule zu Kiel hat Jürgensen zum eigentlichen Gründungsdatum seines Heimatlandes Schleswig- Holstein stilisiert. Zum einen legte er größten Wert darauf, dass nicht etwa ein Diktat der britischen Besatzungsmacht – nämlich die Verordnung Nr. 46 vom 23. August 1946 –, sondern ein freier Wil- lensakt regionaler Volksvertreter die Gliedstaatswerdung Schleswig- Holsteins eingeleitet habe.20 Zum anderen interpretierte Jürgensen die zweite und abschließende Lesung der provisorischen Landesver- fassung als ein „Bekenntnis für das seit 1460 eng verbundene Schleswig-Holstein gemäß der damals von König Christian I. als Herzog in Schleswig und Graf in Holstein-Stormarn gegebenen Zu- sage, sie sollen ‘auf ewig ungeteilt bleiben’“.21 Diese imaginäre „Zusage des 15. Jahrhunderts“ und die nach- trägliche Erhebung des ernannten Kieler „Landtages“ von 1946 zum konstituierenden Repräsentationskörper der schleswig-holsteini- schen Bevölkerung sind die beiden tragenden Bestandteile des Gründungsmythos des Landes: „In rückschauender Betrachtung ist […] für uns erkennbar,“ hatte Kurt Jürgensen dazu bereits 1968 ge- schrieben, „daß Schleswig-Holstein mit dem Aufbau seiner demo- kratisch parlamentarischen Ordnungsformen 1945-1947 die innere Struktur gefunden hatte, die es befähigte, darauffolgend als eigenes Glied Mitträger der westdeutschen Bundesordnung zu werden. […] in der Nachkriegszeit (hat sich) […] ein jahrhundertealtes doppeltes Anliegen der bewußten [sic!] Schleswig-Holsteiner erfüllt: das ihrer staatlichen Eigenständigkeit und ihrer Zugehörigkeit zu einem föde- rativen deutschen Staatsverband.“22 Drei Jahrzehnte später gab Kurt Jürgensen sein regionalpatrioti- sches Credo nochmals zur Protokoll: „Unbeschadet der Grenzände- rungen, die dieses Land im 19. und 20. Jahrhundert erfahren hat, bleibt festzustellen: Schleswig-Holstein ist ein Land, das
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