GVFD-Magazin 79 Web.Pdf
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www.gegen-vergessen.de 79 / November 2013 Gegen Vergessen FÜR DEMOKRATIE Informationen für Mitglieder, Freunde und Förderer von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. 20 JAHRE 20Vergangenheit erinnern – Demokratie gestalten 20 Jahre HALT IN Inhaltsverzeichnis Die Themen in dieser Ausgabe EDITORIAL Mut und Muskeln 4 GRUSSWORT Bundespräsident Dr. h. c. Joachim Gauck 6 DIE ANFÄNGE Demokratie braucht engagierte Bürgerinnen und Bürger 7 Heinz Westphal (1924 – 1998) und Heinz Putzrath (1916 – 1996) 9 Über Hanna-Renate Laurien (1928 – 2010) 10 „Es war höchste Zeit …“ 12 DER VEREIN Zehn Jahre Gegen Vergessen – Für Demokratie e. V. 15 Ein Schatz und was daraus entstehen kann 16 „Was habe ich davon, wenn ich bei Ihnen Mitglied werde?“ 17 Die Regionalen Arbeitsgruppen – eine Erfolgsgeschichte 19 Mit beispielloser Energie … 22 Historischer Hausputz mit Gegenwartspolitur 25 THEMEN UND INITIATIVEN NS-Verbrechen nicht relativieren, kommunistisches Unrecht nicht bagatellisieren! 28 Die Zwangsarbeiterentschädigung – ein zentrales Anliegen unserer Vereinigung 31 Politisches Engagement für „Euthanasie“-Geschädigte und Zwangssterilisierte 34 Der Abstand befreit das Erinnern 35 DDR-Geschichte als gesamtdeutsche Angelegenheit 38 Gegen das Vergessen der Freiheits- und Demokratiegeschichte 41 „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ 43 Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus braucht verlässliche Unterstützung 45 VORSTAND | IMPRESSUM 48 ORGANISATORISCHES 49 BEITRITTSERKLÄRUNG 50 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 79 / November 2013 3 Wolfgang Tiefensee Foto: privat ITORIAL D E Mut und Muskeln Es sei wichtig, so sagt man, für das Leben zu lernen. Wer möchte dem widersprechen? Doch wo findet dieses Lernen statt, wo sammelt man die offenbar so wichtigen Lebens- erfahrungen, wie gelangt man zur Lebensweisheit? Nur im Klassenzimmer oder auf dem Schoß des Großvaters, in Seminarräumen, mit dem Buch in der Hand? Als medienge- Geschichte erklären und verständlich machen. Wolfgang Tiefensee in einer wandter Rezipient beim Blick auf die Mattscheibe oder auf Schulklasse. den stets griffbereiten Tablet-PC? Wenn es um die Bildung des politischen Verstandes geht, möchte ich Ihre Aufmerk- Überall dort, wo eine wie auch immer geartete Diskriminierung samkeit auf einen hierfür außergewöhnlichen Ort lenken: stattfindet, erwächst eine Reaktion nicht ohne inneres Funda- die Umkleidekabine eines Sportvereins. Sie zeichnet sich ment. Was hier an einer eher harmlosen Situation aufgezeigt dadurch aus, dass hier gleichgesinnte Menschen für eine werden soll, trifft ja in gleicher Weise auf weitaus dramatischere gemeinsame Sache zusammenkommen. Trügerisch harm- Fälle zu. Um beim Beispiel des Sports zu bleiben: Im Kleinen los, wie sich herausstellt, wenn solch eine angeblich ver- wie im Großen, ohne eine spezielle Art von Muskeln, Muskeln schworene Gemeinschaft vor eine problematische Situati- für die Kraftanstrengung Mut, kann man nicht bestehen. Mut on gestellt wird. Ein Video auf unserer Website „Mach den braucht innere Stärke, also ganz besondere Muskeln. Sie müs- Unterschied“ stellt einen solchen Fall eindrücklich nach. sen wie beim Training im Fitnesscenter aufgebaut werden. Gut ist es, wenn man ständig im Training bleibt und sich fortlaufend Ein neuer Mitspieler kommt in die Mannschaft, betritt zum weiterentwickelt. ersten Mal die Umkleidekabine, alle anderen haben sich schon versammelt. Er sieht nicht nur aus wie ein Ausländer, er packt Auch unsere Vereinigung Gegen Vergessen – obendrein noch seine untypische, unidentifizierbare Verpfle- Für Demokratie e.V. kann dazu beitragen, gung aus. Einer stellt ihn zur Rede. Schnell wird aus der Frotzelei Menschen in diesem Sinne zu stärken. ein handfester Wutausbruch. Er gehöre nicht hierher, Typen wie er hätten in der Mannschaft, ja in Deutschland nichts zu suchen. Die Beschäftigung mit der Geschichte ist ein hervorragendes Die Spannung ist mit Händen zu greifen: Darf der so reden? Trainingsprogramm. Geschichtsverständnis, die Fähigkeit, Hin- Wird er gewalttätig? Setzt er den Jungen eigenhändig vor die tergründe und Zusammenhänge zu erkennen, auch kontroverse Tür? Gleichzeitig drängt sich für die Gruppe wie für uns als vir- Diskussionen sind unverzichtbar, um sich in die Gegenwart ein- tuelle Mannschaftskameraden die Frage auf: Wie sollte man sich zufinden. Die Rückschau lehrt: Friedliches Zusammenleben ohne jetzt am besten verhalten? Was ist klug, was töricht? Rückzug Angst vor Erniedrigung und Gewalt ist eben nicht naturgege- ins Schweigen der Masse oder klare Kante? ben, Demokratie und Menschenrechte fallen nicht vom Himmel in den Schoß. Wir wissen allzu gut, dass die Entgrenzung aller Es gibt wahrscheinlich niemanden, der solche Situationen nicht Regeln des menschlichen Miteinanders möglich ist und recht kennt. Ein diffuses Gefühl von Unsicherheit, Angst und Ohn- harmlos, beinahe unbemerkt beginnt. Der Mensch ist offen- macht befällt die meisten, gepaart mit dem irgendwie sicheren kundig zu allen Furchtbarkeiten fähig. Das lehrt der Blick auf Wissen, dass man das nicht guten Gewissens einfach laufen Entstehen und Wirken der Terrorherrschaft des NS-Regimes, ge- lassen kann. Aber was ist zu tun? Vielleicht fehlt eine zünden- paart mit der Diktatur des Alltags, die wie ein schleichendes Gift de Idee oder die Fähigkeit, kritische Situationen einzuschätzen, Menschen gegenseitig infiziert hat. Nicht minder aufschlussreich schnell abzuwägen und eine kluge Entscheidung zu treffen. ist die DDR-Geschichte. Auf der Grundlage von Unrecht und Oder es mangelt einfach an der vielbeschworenen Zivilcourage. Willkür, durch Mitläufertum und mangelnde Chuzpe kann ein undemokratischer Staat Jahrzehnte existieren. Zivilcourage lässt sich viel treffender durch ein schmales Wort aus nur drei Buchstaben ersetzen: Mut. Es fehlt an Mut. Mut Aber der Mensch besitzt eben auch einzufordern ist nicht leicht. Mut tatsächlich zu zeigen, erfor- die Fähigkeit zur Gegenwehr. dert Charakter und ist manchmal gefährlich. Die einzig richtige Lösung gibt es selten, meist ist man im Nachhinein klüger. Für Darum ist es wichtig, an die vielen Beispiele von Widerstand und eine Entscheidung bleiben oft nur wenige Sekunden. Wer jetzt Opposition zu erinnern – eine weitere wichtige Aufgabe unserer erst anfängt, grundsätzlich zu überlegen, hat schon verloren. Vereinigung. Mir liegen dabei die sogenannten „Stillen Helden“ Eines ist gewiss und das könnte man den jungen Sportlern mit besonders am Herzen. Es gilt Menschen zu entdecken, die dem auf den Weg geben: Alles ist besser als Wegschauen! Die eigene Regime im unspektakulären, privaten Umfeld die Stirn geboten Entscheidung macht den Unterschied. Aber sie will von langer haben, Frauen und Männer, die unter Einsatz ihres Lebens Ju- Hand vorbereitet sein. den versteckt und verpflegt haben. Sie leisteten „Rettungswi- 4 Gegen Vergessen – Für Demokratie | Nr. 79 / November 2013 20 Jahre derstand“, um den Begriff des verstorbenen Historikers Arno Lustiger zu verwenden. Gerade auf diese Form widerständigen Verhaltens sollten wir zukünftig verstärkt hinweisen und sie aus ITORIAL D dem Schatten ins Licht der öffentlichen Wahrnehmung rücken. Fotos: Lookzoom Der Mut der wenigen damals kann auch heute noch Vorbild und E Richtschnur sein. In unserer vergleichsweise ruhigen Zeit steht uns, anders als in einer Diktatur, eine Vielzahl von Möglichkeiten offen. Sie gilt es zu nutzen: Die Mitarbeit in Bürgerinitiativen und Verei- nen, die Beteiligung an Wahlen, Unterschriftensammlungen oder Demonstrationen. Demokratie lebt von einer interessier- Sich einmischen und nicht zusehen. Zum Beispiel bei einem Konflikt in der Schulklasse. ten, aktiven Bürgerschaft, die mitredet, die Vorschläge macht, die eigene Projekte und Initiativen auf den Weg bringt. Aber in der Bildungsarbeit und steht Ratsuchenden zur Seite. Gegen auch von Menschen, die aufmerksam sind und sich für ein to- Vergessen – Für Demokratie e.V. führt Menschen zusammen, lerantes Miteinander einbringen, im Kleinen wie im Großen. die etwas bewegen wollen, die sich gemeinsam und mit Mus- Ich wünschte, es gäbe mehr, die sich in diesem Sinne in ihre kelkraft auf den Weg machen. Unsere Vereinigung steht heute eigenen Angelegenheiten und in die ihrer Mitmenschen ein- wie vor 20 Jahren für eine wache Gesellschaft, die um ihre Ver- mischten. Die Spannweite ist groß. Es beginnt, wenn etwa ein gangenheit weiß, die die Verantwortung hierfür nicht beiseite- Fahrgast in der U-Bahn aufgrund seines Aussehens, seiner Haut- schiebt. Im Gegenteil, die die Erinnerung daran lebendig hält, farbe, seines Geschlechtes oder seiner Herkunft diskriminiert um auf diesem Fundament für das hohe Gut der Demokratie in oder gar bedroht wird. Es erhält eine größere Dimension, wenn der Gegenwart zu streiten. beispielsweise diejenigen offen und vorurteilsfrei angenommen werden wollen, die Hilfe suchend aus kriegsgebeutelten Län- Mut ist eine Tugend. Ob wir es wollen oder nicht, wir haben dern in unsere Nachbarschaft gezogen sind und denen offene immer eine Wahl. Das ist gleichermaßen Last und Chance. Rück- Feindseligkeit entgegenschlägt. Wenn es um das Einstehen für zug ins Schweigen der Masse oder klare Kante? Wir können Überzeugungen geht, um den Einsatz für die unveräußerlichen uns auf die Seite derer schlagen, die es sich im Sessel bequem Menschenrechte, um die Wachsamkeit immer dann, wenn Ein- machen, getreu der Lebensmaxime: Man kann ja sowieso nichts zelne oder Gruppen stigmatisiert und ausgegrenzt werden, sind ändern. Oder wir entscheiden, als verantwortungsbewusste Ci- Tugenden nötig,