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M u s i k litätsdruck des mächtigen Mainstream. Geteiltes Land. Oder wie die Zimmer- männer sangen: Nichts ist uns geblieben, wir dürfen uns nicht lieben, denn Krieg und Frieden sind zu verschieden. Obgleich der damals einsetzende Neoliberalismus erst heute so richtig regiert, sind plötzlich Krieg und Frieden (sprich: Macht und Pop) gar nicht mehr so verschieden, sondern lieben sich aufs Innigste. Ausdruck fand das in Barack Obamas Rede nach seiner Wiederwahl: »Egal, ob Du schwarz oder weiß bist, Latino oder Asiate oder Indianer, jung oder alt, reich oder arm, gesund oder l A ss(t) uns zus a m m e n behindert, homosexuell oder hetero: Du kannst es hier in Amerika schaffen.« b l e i b e n : S o u l i n d e r Für eine neue Offenheit gegenüber Queerness, Blackness und Otherness steht jetzt nicht mehr Prince, sondern Mr. President himself, der von den amerikani- n A c h p o s t m o d e r n e schen Medien liebevoll »Mr. Tough Love« genannt wird. Obamas »poetics of presidency« (Sabine Sielke) unterstützen ein Pop- Nadja Geer Selbst, das post-racial ist und sich irgendwo zwischen Ethik und Ästhetik ein- gerichtet hat. Eine Kommentatorin der Berliner »taz« schrieb nach Obamas Wiederwahl sogar, er hätte sich die Milliarden sparen können, die er für die Medienkampagne ausgegeben hat, hätte er schon früher die Fliegerjacke aus dem Film »Top Gun« angezogen. Diese gezielte Verwendung des »meaning of style« nutzt eine ästhetische Taktik aus der Popkultur – doch auch Pop als Pose, also als ein Konzept, bei dem man seinen Körper trägt wie einen (Klei- 2 2 ie Jugend menschelt. Nach Jahren des konstruktiven Aushaltens eines dungs-)Stil, findet bei Obama Anwendung. Die Pop-Pose, die er perfektioniert 2 3 D unterkühlten Zustands des Digitalen zeichnet sich bei den Kindern von hat, hört auf den Namen Soul. Bei Obama ist die politische Rhetorik kein Apple und Lady Gaga ein Backlash ab: Das nachpostmoderne Subjekt schaltet Krieg mehr, auch kein Krieg der Identitäten, sondern Liebe. Eine klassische nicht nur Facebook ab, um Erfahrungen zu sammeln (siehe Greif-Rezension in Soul-Message. Soul steht für Liebe, für alle möglichen Formen der Liebe, für diesem Heft), sondern investiert auch in Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Be- die Liebe Gottes, für die Liebe deiner Frau, deines Mannes, deines gleichge- ziehungsfragen – statt an der Wall Street, was bekanntlich ohnehin nichts schlechtlichen Transgenderpartners, für körperliche Liebe. Gleichzeitig ist die bringt. Frank Oceans gefühlsgeladene Suche nach der »Real Love« kann als Liste derjenigen Songs endlos, die darauf aufbauen, dass du dich selbst lieben emblematischer Sound der New-Heart-Bewegung angesehen werden, die sich und respektieren musst, um von anderen und der Gesellschaft respektiert zu in R&B, Soul und Hip-Hop ausbreitet und diesen Musikstilen eine Renais- werden. Auch Kendrick Lamar rappte 2012 mal wieder: »What’s love got to do sance beschert, die seit ein paar Monaten von den ausgehungerten Musikmaga- with it if you don’t love yourself.« zinen aufs Herzlichste begrüßt wird. Kendrick Lamar gehört hierher, ebenso Doch Soul stand nie ausschließlich für »Gefühl und Tiefe«, wie neulich wie Jesse Boykins III und MeLo-X mit ihrem »Zulu Guru«. Nicht zu im »« zu lesen war, sondern auch immer schon für die stylische vergessen James Blake. Ja, auch Blake kann als Soul bezeichnet werden, sei es Pose (sonst wäre es ja Gospel) und den Überschlag einer (auch) politischen nur wegen seiner Sentimentalität und seiner Liebe zum amerikanischen R&B Haltung in den Kommerz. Sophisticated ist der »World Soul« von dem selbst- der 1990er Jahre, die sich in seinen neuartigen und spektakulären R&B-Sample­ ernannten Jesse Boykins III daher nicht wirklich. Auch seinem Kumpel MeLo-X, fragmenten zeigt. der »influences from Eminem to Nirvana, from Picasso to Moses« nennt, Schon die Pop-Affirmation der 1980er Jahre wurde durch Soul und Roman- scheint es nicht um Distinktion zu gehen, vielmehr folgt er wohl dem neuen tik mitgetragen: Die Bands der New Romantics überboten sich in ihrem über- Pop-Konzept des 21. Jahrhunderts: Integration. Schaut man sich die Bilderflut kandidelten Auftreten, und dass Prince mit seinem genialen Pop-Soul und seinem auf Boykins’ Fashionblog »Love Apparatus. Life & Musical Timeline of Jesse Queer-Habitus einmal so stilprägend werden würde, ahnte damals auch noch Boykins III ›staying humble within my genius‹« an, dann erkennt man – wenig nicht jeder. Der Romantiker Prince trug sein Rüschenhemd so offen, damit demütig – einen stilistischen Übermut. Eine Sintflut popkultureller Styles und man seinen Herzschmerz besser sah: ein Aufstand des Stils gegen den Norma- Posen, alles passt oder wird passend gemacht, indem es vom Model Boykins

POP. Kultur und Kritik ◆ Heft 2 Frühling 2013 ◆ S. 22-26 ◆ © transcript 4 2 1990er Jahre den Künstlernamen – die Rede ist zulegte hier Guru natürlich von World-Soul-Stars werden durch die BBC gehyped und auf Ninja Tunes veröfTunesNinja auf und gehyped BBC die durch World-Soul-Starswerden Völker kulturalisiert. Ihr glaubt, die Welt sei in der Krise? Nicht doch, schließ Nicht doch, Krise? der Welt in die sei glaubt, Ihr kulturalisiert. Völker Jesse Boykins III und MeLo-X) mit neuer Energie gespeist. Einerseits ist das das ist Einerseits gespeist. Energie neuer mit MeLo-X) und III Boykins Jesse Produzent und DJ ebenfalls ins oben beschriebene Feld. FlyLo, wie er von sei von er wie FlyLo, Feld. beschriebene oben ins ebenfalls DJ und Produzent Orange« von Frank Ocean auf Def Jam erscheinen und Def Jam jetzt zu Uni zu jetzt Jam Def und erscheinen Jam Def auf Ocean Frank von Orange« yhs e UA ig drn erne, as i en Nto ›n h being‹ the ›in Nation eine sie dass begründet, darin liegt USA der Mythos Guru von Gang Starr – und auf ihrem Album »World ColtraneAlbum ihrem auf Alice und – Starr von Gang Guru Galaxy« der Rapper berühmtesten der einer sich dass daran, erinnert Das wird. Guru Ideologie: »Routes Not Roots«, nannte das Terre Thaemlitz. Doch auch der auch Doch TerreThaemlitz. das nannte Roots«, Not»Routes Ideologie: als Pop für Bedingung notwendige und hinreichende eine ­Irgendwo-neu-Sein wieder der Gestus des »I’m des derwieder Gestus Here«New (so von Titel der beste dem Album auf versal gehört, wurde auch das Konzept Soul universalisiert und verpoppt. Es Es verpoppt. und universalisiert Soul Konzept das auch wurde gehört, versal Zeit will ein bisschen mehr. Analog zu der Tatsache, dass Alben wie »Channel wie derTatsache, zu Alben bisschen mehr.ein dass Analog will Zeit Seite spielt das Bilder spieltSeitedas rade mal wieder hip – das ganzheitliche Naturdenken indigener und afrikanischer rekt aus der verspielten und trickreichen Requisitenkiste der Native Tongues, Native der Requisitenkiste trickreichen und verspielten der aus rekt farben stylisch, Hauptsache X: Malcolm bis Hendrix Jimi von­re-modelt wird, nen Fans liebevoll genannt wird, vertritt aber eine gänzlich andere Pose. UnterPose.andere gänzlich eine aber vertritt wird, genannt liebevoll Fans nen als er gehört zugerechnet, Electro dem eher oft Obgleich Lotus. Flying innert fentlicht. Popmusiker wie Boykins III und MeLo-X bedienen sich nicht nur di MeLo-Xnurnicht sich und bedienen III PopmusikerBoykins fentlicht. wie froh Engagement und symbolisierend. fach für alles: Hip-Hop, Jazz, Soul und , Afrika, die USAdie Hip-Hop, und Europa alles: und – Dubstep, Soul für Jazz, fach Afrika, ähiugsilhn i dn adims uük »uu uu set ein steht Guru« »Zulu zurück. Dandyismus den wie mächtigungsspielchen y en strsh ShitfrShitAliug we a zm erfolgreichen zum man Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie satirische eine ty« post erste die nur nicht ist PopMovement. Romantic globale das es gibt lich christliche Universalkultur, es ist die erste postchristliche Heilsbotschaft. erste die ist postchristliche es Universalkultur, christliche demoliert die weiße Moderne, dekonstruiert die Heteronormativität und glo und Heteronormativität die dekonstruiert Moderne, weiße die demoliert die Dave Tompkins beschreibt, sondern greifen auch auf europäische Selbster europäische auf auch greifen sondern Tompkins beschreibt, Dave die doch vor steht ›global pop‹,allem es für ein Konzept dass gewonnen dafür, hat. kanischer Prägung steht:kanischer Prägung eine für groovige Pose des Engagements. Auf der einen können, für das auch guter Pop steht: Emergenz. Diese Form des amerikani des Form Diese Emergenz. steht: Pop guter auch das für können, seinem Alias »Captain Murphy« gibt er in dem 35-minütigen Video »Duali 35-minütigenVideo dem in er Murphy«gibt »Captain Alias seinem setzt an, ein größeres Kaliber zu werden:ein größeressetzt an, Kaliber Grenzen, transzendiert Es geografische amerikanischen die – auf London Guru« »Zulu mit nun trifft Pop schen sind, wie es im Englischen so schön heißt, und damit als Paradigma für das stehen balisiert die westliche Popkultur, indem es – auch nicht wirklich neu, aber ge aber neu, wirklich nicht auch – es indem Popkultur, westliche die balisiert bürgerliche afroamerikanische Subjekt zu etablieren. Der World Soul unserer WorldSoul Der etablieren. zu Subjekt afroamerikanische bürgerliche zeitigkeit des Ungleichzeitigen entsteht, auf der anderen Seite wird aber immer immer aber anderenwird SeitederUngleichzeitigen entsteht, des auf zeitigkeit Einiges hat sich also verändert, seit Motown in den 1960ern mithalf, das das mithalf, 1960ern den in Motown seit verändert, also sich hat Einiges Dass damit auch die Figur des Gurus wieder auf der Agenda steht, daran er daran steht,Agenda der auf wieder Gurus des Figur die auch damit Dass Das ist es, wofür diese Form des affirmativen Mainstream-Pop angloameri Mainstream-Pop affirmativen des Form diese wofür es, ist Das und Sounddesign eine große Rolle, über das eine Gleich eine das über Rolle, große eine Sounddesign und ‑ ------

POP. Kultur und Kritik ◆ Heft 2 Frühling 2013 ◆ Nadja Geer ◆ Lass(t) uns zusammen bleiben: Soul in der Nachpostmoderne A Love Supreme« ein musikalisches Denkmal setzte. Der indische Guru stand Guru indische Der setzte. Supreme«Denkmal Love Amusikalisches ein (Auch hier könnte man wieder deuten, dass er damit den Environmentalists Environmentalists den damit er dass deuten, wieder man könnte hier (Auch Murphy einem eine Anleitung zum Guruwerden an die Hand gibt, sondern gibt, Hand die an Guruwerden zum Anleitung eine einem Murphy esg: le Qash. ism h co üeldnn casil ie sich einer Schauspiel überladenen schon eh Diesem Quatsch). alles Message: Hip-Hop-Album des Jahres 2012 bezeichnet. Und das alles, obwohl ­ i-o gl: o it ud o nohrebr an e as abgehobener als der kann unvorhersehbar so und witty So gilt: Hip-Hop Flying Lotus möglicherweise in seinem Video – im R&B und Soul wie auch in in auch wie Soul und R&B im Video– seinem in möglicherweise Lotus Flying Boheme, den sogenannten Afro-Futurismus, der immer zwischen Jazz, Techno Jazz, zwischen immer dersogenanntenAfro-Futurismus, denBoheme, at o vcae o hv t lae ih s ud nwrt ai en Lach eine damit entwirft und us« with leave to have you evacuate to want wo einder Lexikon Guruwissenschaften: »A practical application anof abstract ae ih usnt n e SiiCmcedn ati Ftr einr – erinnert Future Captain SciFi-Comichelden den an umsonst nicht Name Zeit dachte, Captain Murphy sei das Alias von Tyler, the Creator, dem Front demCreator, Tyler,von the Alias das sei Murphy Captain dachte, Zeit Soundmix man inzwischen umsonst als MP3 herunterladen kann, als das beste das herunterladen als MP3 kann, umsonst als inzwischen man Soundmix Soundtüftler bekannt gewordene FlyLo rappen,diedass Web-Community lange nummer, die auf einem abgedrehten schwarzen Sun-Ra-Utopismus aufbaut. aufbaut. Sun-Ra-Utopismus schwarzen abgedrehten einem auf die nummer, you If recycled. be to about is Earth »Planet Anweisung: die wieder immer nert er an die historische, auch popkulturelle Bedeutung des Gurus. Zugleich Zugleich Gurus. des Bedeutung popkulturelle auch historische, die an er nert ideal« heißt es da (es ließe sich spekulieren, ob Murphy damit nicht die Präsi die nicht damit Murphy ob spekulieren, sich ließe (es da es heißt ideal« und Realität einen, wie Walter Benjamin es ausdrückte, »Trick Evidenz«,ausdrückte, der es WalterBenjamin wie einen, Realität und er von was Weltrettungsdispositivenunter ihren den Popfans will, zeigen hält.) und Avantgarde mäanderte und als Gegenmodell fungieren kann zum boden zum kann fungieren Gegenmodell als und mäanderteAvantgarde und untergräbt er diese Figur durch ästhetische Taktiken, die aus der digital herge digital der aus die Taktiken, ästhetische durch Figur diese er untergräbt mann der »Odd Future Wolf Gang Kill Them All«. der »Odd Themmann Future Wolf Kill Gang läuft gerade dem gerade dem läuft ›preacher‹ und ›teacher‹ in ab. Lotus Rang Flying den Wenn dentschaftspoetik lächerlich machen will). Dazu loopt der Captain – dessen dessen – Captain der loopt Dazu will). machen lächerlich dentschaftspoetik derts machen: Da wäre zunächst einmal die Ironie, oder vielleicht sollte man man sollte vielleicht oder Ironie, die einmal zunächst wäre Da machen: derts e dm ecreee ews ee hnuüt (älc de illokutionäre die (Nämlich hinzufügt. Neues etwas Geschriebenen dem der die Straße und das Schlafzimmer sind, dieweniger Straße und Schlafzimmer Universum das das und der Kosmos. schwarzen der Form eine für gleichzeitig damit und Liebe kosmische für dort on Satchidananda»Narration Swamimit by Love Mannes on ihres Guru dem dreckigen Rap hinzu, eine Art Simulation dessen, was gerade als Hardcore im im Hardcore als gerade was dessen, Simulation Art eine hinzu, Rap dreckigen auchdurch Lehrmeinungen über Gurutum,das die so gäbeklingen, als es irgend scious Rap« – jene Formen schwarzer »Con Popmusik, deren bildungsbürgerlichen Orte die Schule, Kirche, ja, dem, und R&B Soul, ›normalen‹ ständigen, seinem Video vor allem Aufnahmen aus den 1960ern bis 1980ern mixt, erin mixt, 1980ern bis 1960ern den aus Aufnahmen allem vor Video seinem stellten Kunstfigur Captain Murphy einen Dada-Künstler des 21. Jahrhun 21. des Dada-Künstler einen Murphy Captain Kunstfigur stellten ebt eene Sprohsiain üt lL jtt oh ie fulminant- einen noch jetzt FlyLo fügt Supersophistication feiernden selbst besser sagen, der Sarkasmus, der nicht nur dadurch zustande kommt, dass dass kommt, zustande dadurch nur nicht der Sarkasmus, der sagen, besser gewisser Weisegewisser bei wiederfinden. des Obama die Gurus Figur Derist Guru ›in‹, Auf der Bildebene bewirken der Retro-Look und die Montage von Fiktion von Montage die und Retro-Look der bewirken Bildebene der Auf Von verschiedenen Musikmedien wurde dieses Video-Mixtape, dessen dessen Video-Mixtape, dieses wurde Musikmedien verschiedenen Von Heute nun lässt sich – und dagegen wendet sich Alice Coltranes GroßneffeColtranes Alice wendetsich dagegen und – sich lässt Heutenun ------­ -

5 2 mit seinem auf erschienenen Album »Until the Quiet Comes« gerade T V auch sein Talent als Minimal-Breakbeat-Free-Jazzer unter Beweis gestellt hat! All diese Strategien, so kann man zusammenfassen, haben nur ein Ziel: zu de­ mons­trieren, dass der wahre Guru auf einen Namen hört: Flying Lotus. Diese Pose dient natürlich dazu, den Autor – und um nichts anderes handelt es sich ja – über den Anschein von Genialität den ersten Platz im Olymp einzuräumen. Ihr wollt Gurus sein? Meinetwegen. Ich bin Gott. Dass Pop die Widersprüchlichkeit eingeschrieben ist, Kultur der Gegen- wart und Kritik dieser Kultur der Gegenwart zugleich zu sein, zeigt sich also heute einmal mehr in der Musik der Zeit. Auf der einen Seite menschelt die ak- f A m i l y V a l u e s tuelle Popmusik und passt sich dem Neohumanismus der Nachpostmoderne an, auf der anderen Seite feiert sie das, was man mit einem Albumtitel von »A Michaela Wünsch Guy Called Gerald« mit dem emblematischen Begriff »Black Secret Techno- logy« bezeichnen – was auch 2013 noch auf die Begriffe ›Subversion‹, ›Sophisti­ cation‹ und ›Signifying‹ gebracht werden kann. Während Boykins und MeLo-X in ihrer Pose – und damit sind hier sowohl ihre Musik als auch ihre Attitüde und ihre Ästhetik gemeint – in einem altmodischen Popsprech-Duktus ›affir- mativ‹ erscheinen, steht Flying Lotus in Pose und Sound für die Kraft der Negation. Dabei tritt seine »music as music criticism« (Adam Harper) zweifach in Erscheinung: Erstens, indem er auf dem Album »Until the Quiet Comes« 2 6 Soul fragmentiert, kondensiert und minimalisiert (womit er eine Intensität 2 7 it einer vorformulierten E-Mail können konservative und christlich- schafft, die der »New Aesthetic« als einer Sucht nach Bildern, die das Jetzt fundamentalistische US-Amerikaner und -Amerikanerinnen gegen die einfangen können, eine Art ›ewigen Sound‹ entgegensetzt), und zweitens, in- M im September 2012 auf NBC angelaufene Comedy-Serie »The New Normal« dem er in alter Punkmanier und in der Tradition des ›signifying monkeys‹ (Creator: Ryan Murphy) protestieren. Der Aufruf von onemillionmoms.com, eine Art Guerilla-Semiotik auffährt, die zu einem Implodieren von Gegenwart einer Webseite der American Family Association (AFA), richtet sich gegen die führt. Lotus’ im Material zu suchende Ideologiekritik an den USA ist darin positive Darstellung von Homosexualität: »This program is degrading to fami- begründet, dass sich die Aussage immer wieder durch den Mix verflüchtigt, lies and damaging to our culture.« Der Aufruf ist mit der Ankündigung der Se- dass die flüchtige Materialität also selbst zur Kritik wird. Der fliegende Lotus rie in der Online-Ausgabe des »TV-Guide« verlinkt, in deren Kommentarleiste ist die Nadel im Fleisch einer amerikanischen Wohlfühlwelt, für das in den sich eine Diskussion darüber entspann, ob christliche Fundamentalisten als Medien das Dream-Team Barack und Michelle Obama steht, als eine Art Ver- ›hater‹ zu bezeichnen seien. Diese empfinden das natürlich als intolerant, zu- dinglichung eines vergangenen Pop-Traums namens Marvin Gaye und Tammi gleich rufen sie mit ihren verschiedenen Organisationen zum Boykott und zur Terrell. Doch ist es nicht in der Tat ein ungeheurer Fortschritt, wenn Presi- Denunziation all dessen auf, was nicht in ihr christliches Weltbild passt, sei es dent Obama bei einem Fundraising-Dinner Al Greens »Let’s Stay Together« der Baumarkt Home Depot, weil er seine homosexuellen MitarbeiterInnen offen singen kann? ◆ auf Gay Parades marschieren lässt, oder sei es eine Jar Jar-Puppe, die Kinder an- geblich zum Masturbieren benutzen. Worum geht es in »The New Normal«? Ein weißes, schwules Paar aus der oberen Mittelschicht wünscht sich ein Baby und sucht eine ›Leihmutter‹, die sie in der soeben von ihrem Mann getrennten Mutter Goldie (Georgia King) finden, mit der sie sich anfreunden und mitsamt der bereits älteren Tochter Shania (Bebe Wood) zusammenziehen. In der Serie ist die Position der »Ame- rican Family Association« bereits in der Figur der Großmutter von Goldie Jane,

POP. Kultur und Kritik ◆ Heft 2 Frühling 2013 ◆ S. 27-30 ◆ © transcript