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. G. KLUSSMEIER Jugend- und Abenteuerschriftsteller May (1896)*: Am liebsten hätte er auch noch den eigenen Tod vorgetäuscht WEITER WEG ZU WINNETOU Rudolf Augstein über den nach Radebeul zurückgekehrten Schriftsteller

Wahrhaft große Männer pflegen nicht eher zu „Villa Bärenfett“, das Blockhaus im Gar- hinzu. Wer liest das alles? Das weiß sterben, als bis sie wenigstens innerlich das ten Karl Mays, ist auch zu besichti- man nicht, verkauft ist verkauft. erreicht haben, was sie erreichen wollten oder sollten. gen**. In Winnetous Geburtsland, in den Karl May, 1910 Als „großer Sachse“ wurde Karl May USA, ist Karl May so gut wie unbe- (1842 bis 1912) gerade in der Welt gefei- kannt. Man begnügt sich in Angelsa- er Bundespräsident Roman Her- ert, der noch größere hatte wohl keine xien damit, ihn noch heute als „Hit- zog bedachte am Rande der Ber- Zeit, darum bat er den Untersachsen ler’s favorite author“ abzuheften. Dliner Filmfestspiele die ihm ge- Wolfgang Mischnick zur Eröffnungsfeier Wenn er vieles war, das war er nun stellte spontane Frage, welche Rolle er in die May-Villa. wieder nicht. Hitler, dem ebenso wie denn am liebsten gespielt hätte, mit Was die Auflage der Karl-May-Bücher Ernst Jünger eine gewisse Geistesver- der spontanen Antwort: „Winnetou“. angeht, so hält der Jugend- und Abenteu- wandtschaft mit Karl May zugeschrie- Pierre Brice muß sich nicht sorgen, der erschriftsteller jeden deutschen Rekord. ben worden ist, hat aber mehr als nur Bundespräsident kann ja nicht rei- 80 bis 100 Millionen Exemplare wurden dessen Namen gekannt. Der Schrift- ten. in 28 Sprachen verkauft, jedes Jahr kom- steller Oskar Robert Achenbach mach- Der Schöpfer des roten Kriegers ist men, wie man hört, neue Übersetzungen te die „Vorliebe“ Hitlers für Karl May im Geiste und mit Sack und Pack von 1933 nach einem Besuch auf dem Bamberg in seine Heimat Radebeul * Als „Old Shatterhand“ im Phantasiekostüm mit Obersalzberg öffentlich: zurückgekehrt, zu Bärentöter und Sil- Winnetous Silberbüchse. berbüchse; auch den Henrystutzen ** Ich wußte, nachdem ich 1945 mit zugehalte- Auf einem Bücherbord stehen politi- nicht zu vergessen. Die wiederherge- ner Nase durch das zerbombte Dresden gestol- sche oder staatswissenschaftliche pert war, nichts Besseres zu tun, als zu Fuß nach richtete „Villa Shatterhand“ ist jüngst Radebeul zu pilgern – neun Kilometer ganz verge- Werke, einige Broschüren und Bücher als Museum neu eröffnet worden, die bens, das Museum war natürlich geschlossen. über die Pflege und Zucht des Schä-

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TITEL KINOARCHIV ENGELMEIER Karl-May-Film „Winnetou III“ (1965)*: Retter in allen Nöten

ferhundes und dann, deutsche Jungen, Schriftstellers Tod, ganz simpel: „Und Karl May war in Wirklichkeit, als er hört her! Dann kommt eine ganze Reihe ich halte Herrn May für einen Dich- seine berühmten Romane schrieb, dort Bände von – Karl May! Der Winnetou, ter.“ Auch , der Anfang nie gewesen, wo er stets behauptete ge- Old Surehand, der Schut, alles liebe al- 1912 beim Schlittschuhlaufen ertrank, wesen zu sein. Er war bis 1908 nicht in te Bekannte! rühmte den „Dichter Karl May und Amerika, bis 1899 niemals im Vorderen dessen großartige Phantasie“. Berthold Orient. Seinem größten Leserpublikum, Der „Führer“ hatte sich schon im Jah- Viertel ist im gleichen Jahr etwas vor- uns Kindern, war das natürlich egal, so- re 1932 mit Harald Quandt, dem 11jäh- sichtiger: „Auf seine Leser wirkt May lange seine Geschichten sogar in der rigen Stiefsohn von Goebbels, sachver- zweifellos als Dichter, der er irgendwie Schule vorgelesen wurden. Auf briefli- ständig über die Jugend- und Abenteu- auch ist.“ che Anfragen erwiderte er stets, daß er erromane Karl Mays unter- 40 Fremdsprachen beherr- halten. Noch im Jahre 1943 sche, die zahllosen Dialekte ließ er trotz aller Papier- nicht eingerechnet. knappheit auf Anregung Der Tierkunde-Professor ebendieses Harald Quandt Gustav Jäger in Stuttgart er- 300 000 Exemplare der Win- fuhr, May habe alle Länder, netou-Bände neu auflegen. die er beschrieben hat, tat- Wer war Karl May? Ein sächlich selbst besucht, und „Koloß von Würstchen“, so er beherrsche die Sprachen der Goethe-Preisträger Ar- der geschilderten Völker. no Schmidt 1963. Der sagte Hadschi Halef Omar, Win- nie etwas ganz Unrichtiges. netou, Old Firehand und al- Aber stimmt es? Der ve- le anderen seien reale Perso- ritable Landgerichtsdirektor nen. Theodor Ehrecke in Berlin- Am 26. März 1899 bricht Moabit, der einem der zahl- der inzwischen etablierte reichen von Karl May ange- Schriftsteller Karl May aller- strengten Prozesse vorsaß, dings endlich zu einer gigan-

erklärte 1911, kurz vor des K.U.K. tischen Orientreise auf. 50 000 Mark stehen ihm

* Mit Pierre Brice als Winnetou und K. LAUX / zur Verfügung. Er wird Lex Barker als Old Shatterhand. Karl-May-Museum in Radebeul: Exotische Requisiten 16 Monate wegbleiben. Am

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9. April betritt er zum erstenmal außer- europäischen Boden, in Port Said. Er schippert durchs Rote Meer und wähnt seinen „früheren Karl“ im Gewande Old Shatterhands „mit großer Ceremo- nie“ in den dortigen Wogen tief einge- senkt. Er ist von sich selbst so ergriffen, daß er weinen muß, vielleicht weinte er auch deshalb, weil seine beiden Lebens- frauen noch nicht bei ihm waren. Auch Stambul und die Hagia Sophia wird er besuchen. Halbherzig hatte er seinem Verleger Friedrich Ernst Fehsenfeld in Freiburg (der die noch heute schönen grünen Einbände mit Goldornamenten ge- druckt hat) vorgelogen, er wolle Ha- dschi Halef Omar besuchen und über China zu seinen Apachen reisen. Aber während dieser Reise wird Karl May wohl klar, daß er so nicht weitermachen kann. Er hegt und läßt sie später druk- ken, die „Himmelsgedanken“ – mit mä- ßigem Erfolg. Bei seinem Besuch in Athen im Juli 1900 bekennt er, der einst das Lehrerse- minar besuchte, angesichts der Kunst-

schätze etwas kleinlaut, künstlerisch sei ULLSTEIN er zuwenig gebildet. „Goethe würde Hitler, Hitlerjungen (1945), May-Werbeplakat der dreißiger Jahre: Dienstanweisung ganz anders sehen, denken und empfin- den als ich. Das ist nun leider hier im In Venedig besucht der Dichter das Am liebsten hätte er seinen eigenen Leben nicht mehr nachzuholen.“ Sterbezimmer Richard Wagners: „Ich Tod („Sieg, großer Sieg – Rosen, Der James-Joyce-Übersetzer Hans stand auf der Stelle, wo er starb. Tiefbe- rosenrot“) wohl auch noch vorge- Wollschläger, Karl Mays bedeutendster wegt. Künstlerwallen.“ täuscht. Minnesänger, schrieb vor 20 Jahren Nun, Goethe ist nie in Athen gewe- Also war Karl May ein gemeiner über diese kleine Begebenheit, hier sei sen, und im Sterbezimmer Richard Hochstapler? Eben nicht. Seine vielen der Reisende „um Grade zu beschei- Wagners hat er natürlich auch nie ge- Leser vertrauten ihm ja: Wenn ihn Ha- den“ gewesen. standen. dschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Mays Dichterkolle- Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossa- ge Goethe entstammte rah nicht in der großen Salzwüste einer wohlsituierten Nordafrikas begleitet hat, dann eben Frankfurter Patrizierfa- irgendwo anders. milie. Ganz anders Winnetou konnte sich die Freiheit Karl May, der aller- nehmen, ihn in Radebeul heimzusu- dings sicherlich höhere chen. Von ihrem geistigen Vater schie- Auflagen als Goethe nen im übrigen beide Figuren dazu be- erzielte und der sicher- stimmt, gute Christen zu werden. Win- lich mehr Silben ge- netou wird es sogar zu einer Art schrieben hat als jener. „Erlöser der Roten“ bringen. Karl May war armer Seine Indianer hat May aber nie Leute Sohn, als fünftes kennengelernt. Zwar teilte er 1907 sei- von 14 Weberkindern nem Verleger mit, er müsse nun in geboren in Ernstthal sein „Land der Indianer“ reisen. Aber am Rande des säch- kam er dort an? Nicht ganz. sischen Erzgebirges, Zusammen mit seiner zweiten Ehe- „schwere Kindheit“ in- frau Klara – von der ersten, Emma begriffen. Er wird zeit Pollmer, kam er trotz Scheidung nie- seines Lebens schwin- mals los – schiffte er sich am 5. Sep- deln, lügen, vortäu- tember 1908 in Bremen ein. Der Pas- schen, insgesamt acht sagierdampfer „Großer Kurfürst“ Jahre wegen recht min- brauchte elf Tage bis New York. derer Delikte im Ge- Er sieht die Niagarafälle – und wird fängnis verbringen und sie in „Winnetou Band IV“ beschrei- sich, schon ein gemach- ben. Laut Klara (1931) soll er allein zu ter Mann, falscher den Apachen gereist sein und den Yel- Doktortitel bedienen. lowstone-Park besucht haben. Dies wä- re einem gesunden Mann sicher mög- * Mit Ehefrau Emma (vorn) KARL-MAY-GESELLSCHAFT lich gewesen. Der schon recht klappri- und späterer Ehefrau Klara, Orientreisender May (1900) in Ägypten* Karl Mays Diener Sejd Has- ge Dichter aber dürfte das in so kurzer Über China zu den Apachen san (r.). Zeit nicht geschafft haben.

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nicht schlafen und kaum Karl May starb am 30. März 1912 an ei- mehr essen: nem Herzschlag. Dafür aber Schmerzen, un- Aber auch eine Frau setzte sich für den aufhörliche, fürchterliche nun so geehrten Dichter ein. Auch sie Nervenschmerzen, die des hörte ihm in Wien zu, die Trägerin des Nachts mich emporzerren Friedensnobelpreises von 1905, Baronin und am Tage mir die Feder Bertha von Suttner, die Tochter desFeld- hundertmal aus der Hand marschall-Leutnants Graf Kinsky, 1843 reißen! Mir ist, als müsse in Prag geboren. Berühmt geworden war ich ohne Unterlaß brüllen, sie mit dem 1889 erschienenen Roman um Hilfe schreien. Ich kann „Die Waffen nieder!“ (Den Ausbruch nicht liegen, nicht sitzen, des Ersten Weltkriegs hat sie nicht nicht gehen und nicht ste- mehr erlebt.) Und siehe da, der Be- hen, und doch muß ich das griff des „Edelmenschen“ findet sich alles. Ich möchte am lieb- schon bei ihr. May dürfte ihn von Frau sten sterben, sterben, ster- von Suttner unmittelbar übernommen ben, und doch will ich das haben. nicht und darf ich das nicht, In dem Wiener Blatt Die Zeit schrieb weil meine Zeit noch nicht sie ihm zum Gedenken nach seinem zu Ende ist. Ich muß meine Tod: „In dieser Seele lodert das Feuer Aufgabe lösen. der Güte.“ Mag ja sein, daß ihr „Her- zensgruß nach dem Jenseits“ den Welche Aufgabe mußte der alternde Dichter lösen? Was hatte er im Sinn? Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, daß es wiederum

BPK seine „Himmelsgedanken“ für den Volkssturm sind, die er meint, also wohl von ihm zu lösende Probleme Indianer? Er sah deren Nachkom- philosophischer und theologischer Na- men. Knapp 400 Abkömmlinge der Iro- tur. Die Gänsefüßchen wollen wir hier kesen hausten in armseligen Rundzel- erst einmal weglassen. ten in einem Reservat nahe der Niaga- Zunächst sei von Karl Mays eupho- rafälle. Frau Klara fotografierte den risch-triumphalem Ende die Rede. „Häuptling“ und verschickte Postkarten Die von ihm und gegen ihn ange- en masse in die Heimat. strengten Prozesse erstickten in sich Während dieser Reise hielt Karl selbst, auch seine Feinde verloren die May in der überfüllten Turnhalle Lust, sich mit ihm anzulegen. von Lawrence (Massachusetts) vor Der heute weiter nicht mehr bekann- Deutschamerikanern einen Vortrag. te Romancier Robert Müller, der sonst Wilhelminisches war von ihm dabei Werke von Frank Wedekind, Arnold nicht zu hören. „Unsummen von Geld Schönberg und Alban Berg zu popula- und Blut“ habe deutsche Herrschsucht risieren pflegte, brachte es im Frühjahr bereits verschwendet, kritisierte der des Jahres 1912 zuwege, den bereits Sachse May seine Regierung. Gerade populären Karl May nach Wien einzu- die Deutschamerikaner, so appellierte laden, um ihn gegen die Verfolgungen er, sollten an der Spitze stehen, um ei- seitens der „bürgerlichen Gesellschaft“ nen humanen Staat zu schaffen. zu schützen. Zu Müllers Verband ge-

Da zeigte sich Karl Mays politische hörte als faszinierter Karl-May-Leser ULLSTEIN Gesinnung, vielleicht sogar die man- auch der Lyriker . May-Wunderwaffen* cher seiner Zuhörer. Tatsächlich stand May nahm die Einladung an. Am Vorläufer für V-1 und V-2 er gegen Rassismus, Kolonialismus, Im- 22. März 1912, wenige Tage bevor er perialismus, war auf seine verschwöre- starb, hielt er im Wiener Sophiensaal nunmehr waffenlosen Karl May erreicht rische Art Pazifist, gelegentlich auch vor 2000 bis 3000 Zuhörern einen Vor- hat. projüdisch. trag unter dem heute seltsam anmuten- In der Zukunft sollte Karl May noch Im Dezember heimgekehrt, plumpste den Titel „Empor ins Reich des Edel- eine merkwürdige Metamorphose erfah- May sogleich wieder in die bei ihm übli- menschen“. Robert Müller hatte durch ren. Denn kaum hatte Adolf Hitler 1933 che Prozeßlawine. Dabei hatte er seit eine Umfrage für positive Stimmung sein Drittes Reich etabliert, da wandten fast 40 Jahren keine Straftaten mehr gesorgt. Heinrich Mann, der Mays Er- sich auch schon jene Schriftsteller, die begangen. Bärentöter, Silberbüchse zählungen schätzte, hielt ihn nun „erst Karl May früher als Dichter eingestuft und Henrystutzen, alle eigens für ihn in recht“ für einen Dichter. Albert Eh- und wertgeschätzt hatten, gegen ihn. Dresden angefertigt, waren in den Gar- renstein, der Expressionist und Kultur- Plötzlich galt ausgerechnet dieser fried- tenschuppen verbannt worden. In Trap- kritiker, wünschte sich einen Cervantes liebende Phantast als Wegbereiter der perkleidung mochte er sich auch nicht für „diesen ehrwürdigen Don Qui- braunen Massen, ausgerechnet jener Pa- mehr ablichten lassen. Seine Renom- xote“. Erich Mühsam, 1934 von den zifist, der noch in seinem letzten Wiener miersucht aber, auch wenn er sie noch Nazis ermordeter Lyriker und Drama- Vortrag die Kinder Israels gerühmt hat- so sehr bekämpfte, blieb. tiker, billigte May „das Prädikat eines te, wurde nun mit den Wahnsinnstaten Der 68jährige Karl May war körper- Dichters“ ohne Einschränkung zu. Da- lich ein gebrechlicher Greis. Er konnte mit kam er um wenige Tage zu spät, * Bärentöter, Silberbüchse, Henrystutzen.

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der Nationalsozialisten dikat zuerkannte, Her- in Verbindung ge- warth Walden, Bertolt wieder: 1982 brachte der volkseigene bracht. Brecht, der ihm in Verlag Neues Leben einen, seit 1983 Eine Massenneurose Augsburg zuhörte, Jo- sogar zwei May-Bände pro Jahr her- schien die emigrierten hannes R. Becher und aus. Die Auflage von je 250 000 war deutschen Schriftstel- Erich Kästner. Daran meist innerhalb eines Tages vergriffen. ler ergriffen zu haben. nicht beteiligt waren Das Geburtshaus des Schriftstellers Sie, die das Herauf- , Albert in Hohenstein-Ernstthal bei Chemnitz kommen Hitlers nicht Ehrenstein, Berthold wurde ebenfalls zur Gedenkstätte er- hatten verhindern kön- Viertel, erst recht hoben. Das Städtchen, neuerdings of- nen oder wollen, reich- nicht , fiziell „Karl-May-Geburtsstadt“, ver- ten die Schuld in die auch fügt heute über 22 verbürgte May- graue Vorzeit an einen und Leonhard Frank Stätten, von der Büste bis zur Taufkir- Mann zurück, dem etli- nicht. che. ches Deutsche, aber weigerte sich beharr- Von Hohenstein-Ernstthal aus kön- gar nichts Imperiales lich, den toten May nen Fans zur Karl-May-Höhle wan- und Nationalistisches mit Nazi-Deutschland dern, einem Erzstollen nahe der Ge- zu eigen war. In den in Verbindung zu brin- meinde Kuhschnappel, in dem der Worten Klaus Manns, gen, Bloch notierte: Hochstapler und Betrüger May sich 28 Jahre nach des „Old Shatterhand trägt

1869 vor der Polizei versteckt gehalten Schriftstellers Tod, ULLSTEIN einen sehr deutschen hatte. hörten sich die Vorwür- Bertha von Suttner Bart, und seine Faust Nur die Bibliothek der Villa Shat- fe so an: schmettert imperiali- terhand blieb bis zum Ende des SED- stisch herab.“ Heinrich Mann erblickte Das Dritte Reich ist Karl Mays endgülti- Regimes zweckentfremdet: Sie diente plötzlich in den Schriften Karl Mays nur ger Triumph, die schreckliche Verwirkli- der Stasi als konspirative Wohnung. noch Kennzeichen von Banausentum. chung seiner Träume, die sich – nach al- Der Stasi-Treff wurde im Herbst Der Journalist und Schriftsteller Leo len ethischen und ästhetischen Krite- 1989 aufgegeben. Ansonsten aber ging Lania schloß 1936 in Analogie: „Man rien – in nichts von dem unterscheiden, an dem Radebeuler Anwesen die weiß eben nie, was dem ersten Schritt was der mit Old Shatterhand aufge- deutsche Einheit fast spurlos vorüber. folgt, welch ein Küken aus dem Ei wachsene österreichische Anstreicher Rene´ Wagner, 45, seit acht Jahren kriecht.“ Es sollte wohl so scheinen, als jetzt versucht, um die Welt neu zu ord- Museumsdirektor, ist stolz auf die sei aus dem Ei Karl May das Küken nen. Kontinuität seines Hauses: „Wir muß- Adolf Hitler gekrochen. ten nur sehr wenig aus ideologischen Rekurrierte der Sohn Thomas Manns Soweit man sehen kann, haben aktiv Gründen ändern.“ auf Old Shatterhand, so nahm sich der nur Bernhard Menne und Egon Erwin Tatsächlich wirkt die Indianeraus- jüdische Autor Friedrich Sally Großhut Kisch, der ihn besuchte, für May Stel- stellung in der Villa Bärenfett wie aus der Rothaut Winnetou an: „Ja, der Vor- lung bezogen. den fünfziger Jahren. Damals wander- läuferprophet kann sich heute würdig be- Johannes R. Becher, der spätere ten abgeschnittene Menschenohren stätigt finden . . .“ Unter der redaktio- Kulturminister der DDR, verbat sich und ein Schrumpfkopf aus Pietäts- nellen Ägide Arnold Zweigs erschien ein 1943 jegliche Rehabilitierungsversuche, gründen ins Magazin. Heute hängen böser Angriff aus seiner Feder: SA, SS schon ein besseres Deutschland im noch immer Indianerskalpe zwischen und Gestapo seien Spielarten der Apa- Blick. Schließlich, diese verlogene Räu- einem Zauberbeutel aus Skunkhaut chen und Sioux Mayscher Prägung. berromantik sei Hitlers „Lieblingslektü- und Hermelinfellen. Zwei Dutzend Schriftsteller und die re“. Heinrich Mann setzt einen drauf: Im rustikalen Vortragssaal dudelt „I meisten namhaften Exilzeitschriften be- „Pachulke als Führer kann neben sei- was born under a wandering star“ aus teiligten sich an dieser Leichenfledderei. nem Bett unmöglich andere Bücher ha- dem Lautsprecher neben einem gewal- Mit von der Partie waren Ernst Bloch, ben als die von Karl May.“ tigen Elchgeweih. In der Ecke steht der May 1929 noch gerühmt hatte, Hein- Es hat binnen 50 Jahren wohl nur ein ausgestopfter Bär. Hier trifft sich rich Mann, der ihm 1912 das Dichterprä- zwei deutsche Staatsoberhäupter gege- jeden ersten Freitag im Monat der er- ste Country- und Westernclub Rade- beul. Auch Indianervereine, von de- nen es in Sachsen Dutzende gibt, ver- sammeln sich gern unter den Skalpen – etwa die Stammesbrüder von Häupt- ling Rainer „Big Hand“ Gebhardt aus dem benachbarten Weinböhla, der vor allem „das Umweltbewußtsein der In- dianer“ für beispielhaft hält. Im Haupthaus hatte Wagner etwas mehr Wendearbeit: 1992 wurden die Begleittexte der Ausstellung gekürzt und von realsozialistischen Einspreng- seln gereinigt. Von sächsischer „Klassenjustiz“ und „imperialistischen Großmachtbestre- bungen“ der USA ist seither in Rade- beul nicht mehr die Rede. SÜDD. VERLAG S. MOSES Autoren Bloch (1965), (1936): An der Leichenfledderei beteiligt

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Jugendschriftsteller wie Karl May, die Nazis hat- ten jedenfalls keinen. Nun muß man sich fra- gen, warum wohl die Vielzahl unter seinen er- wachsenen Anhängern (von Bergengruen bis Einstein, von Kissinger bis Liebknecht, von Heuss bis zu Kardinal Frings) nicht bemerkt ha- ben sollte, welch gefährli- chem Scharlatan man hier aufgesessen war. Nie- mand wird ernsthaft be- haupten können, Hitler hätte seinen Krieg ohne Karl May gar nicht oder zumindest anders ge- führt. Und doch, in einem tie- feren Bereich wurzeln möglicherweise Gemein- samkeiten. Legt man die

KLUSSMEIER Deutung des Psychoana- lytikers Erich Fromm zu-

FOTOS: G. grunde, dann figuriert Geburtshaus in Ernstthal, Jungredakteur May (1875): Mehr Silben geschrieben als Goethe Hitler „im Zentrum einer von May geförderten Wirklichkeitsverleugnung zugunsten von Atavismus, Irrationalismus und ro- mantischer Alltagsüberhöhung“. Da mag etwas dran sein. Aber Fromm selbst sagt auch, es gebe hierfür nicht genügend überzeugende Belege. Sicher ist: Hitler und Karl May waren beide außergewöhnlich narzißtisch in- trovertierte Menschen. Ihre Phantasie- welt war für sie realer als die Realität selbst. Schuld an Karl Mays Innenwelt könnte ja demzufolge in Umkehrung der Beweislast auch Adolf Hitler gewe- sen sein. Um Hitler auf den Boden der Realitä- ten zurückzubringen, hat es der An-

KARL-MAY-GESELLSCHAFT strengungen der ganzen Welt bedurft. Katholische Gefängniskirche in Waldheim: Als Lutheraner die Orgel gespielt Karl May hingegen begegnete seiner Realität, indem er sie aufsuchte. Er rei- ben, die Winnetou zu ihrem Lieblings- Hitler wußte Dilettanten, wie er ste. Seine Exkursionen plante er nach helden erkoren – Roman Herzog, wir selbst einer war, immer zu schätzen. Er dem Baedeker. „Aus der bloßen Begeg- wissen es schon, und Adolf Hitler, der mochte Leute, die sich durchbeißen nung mit der Realität“, so Hans Woll- dem „Edelmenschen“ und dessen Erfin- mußten, so wie auch er sich hatte durch- schläger, hat May „das Fürchten ge- der fast bis in den Bunker hinein die beißen müssen. lernt“. Treue hielt. Treu war er, das wissen wir, Es hätte allerdings keines Old Shat- Zwar gab er sich als Weltenbummler er, der Gefreite mit dem EK 1, hielt terhand bedurft, um in Hitler den Ge- Kara Ben Nemsi, schrieb Serien von auch über den „Pour le me´rite“-Träger danken wachzurufen, er müsse das Ju- Postkarten und ließ sich fotografieren, Ernst Jünger seine Hand. dentum auslöschen und im Osten ein aber hinter der zur Schau gestellten Fas- Winnetou, so Hitler vor und nach der germanisches Großreich der Sklaven- sade des plötzlich Gealterten verbarg Machtergreifung, sei für ihn seit je das halter gründen. sich sein völliger Zusammenbruch. Das Vorbild eines edlen Menschen. Es sei Es klingt wie eine Satire, daß noch sogenannte Spätwerk entstand. Er ver- notwendig, der Jugend die richtigen Be- Ende 1944 der Generalstabschef des lor die „Unschuld“, die „Naivität“ des griffe von Edelmut beizubringen, sie Heeres, Heinz Guderian, die Lektüre literarischen Erzählens. brauche Helden wie das tägliche Brot. der Karl-May-Bücher für den neuzubil- Die Karl-May-Kenner teilen sich da- In seiner taktischen Wendigkeit und denden Volkssturm – darunter viele Ju- her in zwei Schulen. Die erste, 1929 pro- Umsicht, wie sie ihm Karl May verlie- gendliche – empfahl, weil eine hantier- minent vertreten durch Ernst Bloch, hen habe, sei Winnetou „geradezu das bare militärische Vorschrift nicht recht- hielt das nach der Orientreise ent- Musterbeispiel eines Kompaniefüh- zeitig ausgearbeitet werden konnte. standene Spätwerk schlicht für eine rers“, ohne Pour le me´rite – wir zitieren Doch bei aller Situationskomik, es gab „Verirrung“. Der Karl-May-Forscher hier Albert Speer. eben seinerzeit keinen so populären und Schriftsteller Arno Schmidt hinge-

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gen will die ersten 60 Jahre des Dich- ters als Quantite´ne´gligeable angesehen wissen. Wohl jeder, der die bis 1900 ge- schriebenen Werke Karl Mays gelesen „Wie ein Terrier“ und reflektiert hat – letzteres tat man als Jugendlicher wohl nicht –, muß sich Der Karl-May-Verlag kämpft um seinen einzigen Autor die Frage stellen: Woher nahm der Mann sein Wissen? Manche Ungereimtheiten lassen sich arl Mays Figuren streiten um Gut Polster später Freunde im Osten. Im- aus Karl Mays Lebenslauf erklären, oder Böse, die Eigentümer des merhin eine Viertelmillion Bücher im den Hermann Wohlgschaft in einer KKarl-May-Verlages auch: Gut ist, Jahr verkauft der Karl-May-Verlag umfangreichen Biographie zusammen- wenn sie den Meister drucken, böse, nach eigenen Angaben noch. getragen hat*. Kurz nach der Geburt wenn es ein anderer tut. Festspiele in Bad Segeberg und war das Kind erblindet. In einer Der Karl-May-Verlag in Bamberg Elspe locken jeden Sommer Zehntau- Dresdner Klinik, wo die Mutter zur ist in mancher Hinsicht ein Unikum: sende, Karl-May-Liebhaber zahlen für Hebamme ausgebildet wurde, erlangte Er verlegt ausschließlich einen einzi- alte Filmplakate 500 Mark, für rare der Vierjährige die Sehkraft zurück. Er gen Autor, und er bekämpft mit ein- Bände gar 1000. Karl-May-Kalender, hatte sein erstes entscheidendes Ret- zigartiger Streitlust jeden anderen, der Kassetten, Spiele, Krüge, Aschenbe- tungserlebnis, erlitt aber wohl damals sich auch an Karl May vergreifen will. cher, Handtücher, T-Shirts – das nöti- erhebliche narzißtische Verletzungen, Seit vielen Jahrzehnten beherrschen ge Futter für den treuen Fan. die er mit einer überreichen Phantasie die Nachkommen des Verlagsgründers „Der Name Karl May ist zeitlos“, zu kompensieren suchte. Euchar Schmid, die drei Söhne Lo- glaubt der Bamberger Verlagsjunior Bernhard Schmid, „Winnetou und Old Shatterhand sind bekannter als man- che Disney-Figur und als Helmut Kohl.“ Jedoch: Nicht überall, wo Karl May draufsteht, ist Karl May drin. Die Abenteuer in den grünen Bänden, die Millionen Jugendliche im funzeligen Strahl ihrer Taschenlampen verschlan- gen, sind nicht die Originale des Mei- sters, sondern das Ergebnis Schmid- scher Redigierarbeit. Einst bekam der Verlagsgründer von der Witwe Mays die Erlaubnis, das Geschriebene ihres Gatten zu bearbei- ten. Seitdem fuhrwerken die Schmids in den Romanen herum. „Es gibt kei- nen Autor“, zürnt der Zürcher Verle-

R. JANKE / ARGUS ger Gerd Haffmans, „dem so übel mit- Karl-May-Bücher gespielt wurde.“ Sein Leben ist zunächst einmal von Gründlich verfälscht Mit Abscheu beobachten Verleger kleinen und größeren Krisen geprägt. Im und Karl-May-Experten seit langem Lehrerseminar von Waldenburg empfin- thar, Joachim und Roland, mit ihren das Bamberger Treiben. Es sei ein ein- det er den Religionsunterricht als kalt berühmten grünen Schwarten das Ge- maliger Skandal in der Publikationsge- und poesielos. Weil er für den heimischen schäft mit Karl May. 1960 siedelte der schichte, meint Heiner Taubert vom Christbaum sechs Kerzen gestohlen hat- in Radebeul gegründete Verlag nach Kölner Parkland Verlag, „daß ein so te, mußte er 1860 die Anstalt verlassen. Bamberg über, Mays Nachlaß nahm vielgelesener Autor von seinem Verle- Ein Gnadengesuch hatte Erfolg, May die Familie für 50 000 Mark mit. ger so gründlich verfälscht wurde“. konnte seine Ausbildung in Plauen fort- Ein Streich, dessen Umstände nie Doch gerade die Bearbeitung be- setzen. geklärt worden sind – aber er zahlte gründete über Jahrzehnte das Bamber- Nachdem er die Kandidatenprüfung sich für die Bamberger Verlegerfamilie ger Monopol: Die eigenen Textfassun- 1861 mit „gut“ bestand, erhielt er seine aus. Mit einer Auflage von rund 100 gen hat der Karl-May-Verlag urheber- erste Anstellung als Hilfslehrer in der Ar- Millionen Büchern ist May der meist- rechtlich schützen lassen – der origina- menschule von Glauchau. Doch dort flog gelesene deutsche Romanautor. Vor le Karl May ist seit 1962 gemeinfrei, er schon nach zwölfTagen wieder hinaus, allem die Winnetou-Filme in den sech- das heißt: für jedermann verwertbar. weil er mit der jungen Frau seines Ver- ziger Jahren schraubten die Auflagen Nur – wer es je versuchte, hatte die mieters ein Verhältnis angefangen hatte. der Karl-May-Abenteuer in phantasti- Anwälte der Bamberger am Hals. Mit Auch eine Anstellung als Fabrikschulleh- sche Höhen. Inbrunst und unvergleichlicher Pro- rer in Altchemnitz scheitert. May wird Heute ist die Begeisterung für Karl zeßlust wirft sich der Karl-May-Verlag nach sieben Wochen in Hohenstein ver- Mays brave Helden abgekühlt. Eine vor die Werke seines Autors. haftet, weil er seinem Logierbruder eine geschrumpfte, aber solide Gemeinde Verleger, Film- und Hörspielprodu- Taschenuhr, eine Tabakpfeife und eine bleibt dem Meister dennoch treu: Ne- zenten, die sich aus dem Bamberger Zigarrenspitze geklaut haben soll. Er ben nachwachsenden pubertierenden Nachlaß bedienen wollen, müssen Schmetterfaust-Schwärmern sind es Tantieme zahlen. Kaum eine Devotio- Nostalgiker, Sammler sowie ein dickes nalie kommt ohne den Zugriff der * Hermann Wohlgschaft: „Große Karl May Biogra- phie“. Igel Verlag, Paderborn; 840 Seiten; 148 Mark.

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Lutheraner May die Orgel spielen. Schmids in den Handel. Der Verlag Während Karl May in den ließ sich die Namen Karl May, Winne- verschiedenen Gefängnissen tou und Old Shatterhand einfach als saß – immer unter harten Haft- Warenzeichen eintragen. bedingungen –, begann er zu Mit enormem juristischem Gerassel schreiben. Doch erst 1875, kommt der Karl-May-Verlag in der May war gerade aus dem Regel ohne Klärung der Rechtslage Zuchthaus entlassen, für wei- ans Ziel. Die Drohung mit einstweili- tere zwei Jahre unter Polizei- gen Verfügungen und teuren Prozes- aufsicht gestellt und lebte von sen macht die Verfolgten schnell gefü- der Unterstützung der Eltern, gig. erschien seine erste Novelle Sogar Bertelsmann kniff. Vor 20 „Die Rose von Ernstthal“. Jahren luchste der Karl-May-Verlag Im März 1875 wird Karl May dem Bücher-Riesen die Zusage ab, nie schließlich als Redakteur bei wieder eine May-Edition herauszuge- dem Dresdner Kolportage- ben. Dem Xenos-Verlag setzten die verleger Heinrich Gotthold Schmids wegen Fotografien auf den Münchmeyer, der ihn „Herr Einbänden zu, die angeblich urheber- Doktor“ nennt, angestellt. Sei-

rechtliche Ansprüche verletzten. Xe- KLUSSMEIER ne Vita hat er ins Makellose nos zahlte die geforderte Tantieme umgedichtet. Die erste Erzäh-

und verramschte kurz darauf seine FOTOS: G. lung wird veröffentlicht. Restauflage. May mit Ehefrau Emma (1890) Im selben Jahr gründet der Der Zürcher Haffmans Verlag stell- Echt stolz auf den Gatten Schriftsteller die Arbeiterzeit- te seine 99bändige historisch-kritische schrift Schacht und Hütte und Ausgabe mit Mays Originaltexten auf wird zu sechs Wochen Haft verurteilt, die das Journal Deutsches Familienblatt.Er den juristischen Beschuß der Bamber- sich als grobes Unrecht in sein Gedächt- schreibt sittlich hochstehende Texte und ger hin wieder ein. „Die versuchen, je- nis eingraben. Die Lehrertätigkeit ist für lustige Kurzgeschichten. In einer Wild- den wegzubeißen“, sagt Haffmans ge- immer beendet. westerzählung tritt erstmals Winnetou nervt. „Ich lasse mich nicht zerflei- Trotz dieser Erfahrung begeht er, wäh- auf, hier noch alswilder Skalpjäger. Aber schen.“ rend er 1864 und ’65 als Landstreicher es ist noch ein weiter Weg bis zu Winne- „Wie ein Terrier begleiten sie jede umherzieht und von einem kärglichen tous Worten: „Scharlih, ichglaube an den Werbeaktion“, so Taubert vom Park- Einkommen alsMusikant lebt, drei phan- Heiland, Winnetou ist ein Christ.“ land Verlag. Als „Hauptwerk“ Karl tastisch-komische Eigentumsdelikte un- Karl Mays Leben scheint nun geordne- Mays hat Parkland seine 33bändige ter den Namen Dr. med. Heilig, Seminar- tere Bahnen anzunehmen. Er lernt Em- Ausgabe beworben. Prompt schnappte lehrer Lohse und Hermes Kupferstecher. ma Lina Pollmer (1856 bis 1917) kennen, der Karl-May-Verlag zu: Nach seiner Er wird steckbrieflich gesucht und am 26. und er hält Verbindung mit Peter Roseg- Auffassung sei die Bezeichnung unzu- März 1865 festgenommen. Zum zweiten- ger, der 1877 die „Rose von Kahira“ ver- lässig. mal verurteilt ihn das Gericht, diesmal zu öffentlicht. Natürlich glaubt auch Roseg- „Für einen kleinen Verlag ist es ein vier Jahren und einem Monat Arbeits- ger, Karl May habe den Orient selbst be- ungeheures Risiko, sich an Karl May haus; er wird in die Strafanstalt Schloß reist. heranzuwagen“, sagt Taubert. Schon Osterstein in Zwickau eingeliefert. In Der junge Schriftsteller May fand 1878 mehrmals gab Parkland nach, um die diesen kargen Zeiten beginnt Karl May eine Anstellung als Redakteur bei Bruno Auslieferung seiner Auflage nicht zu zu komponieren und zu musi- gefährden; zum Beispiel zahlte er zieren, durch die Gunst eines 30 000 Mark für die Verwendung des Aufsehers avanciert er im Ge- angeblich geschützten Titels „Durch fängnis zum Posaunenbläser die Wüste“. und Mitglied des dortigen Kir- Aber kein Monopol hält ewig. Das chenchors. Publikum schmökert immer lieber in KaumisterEnde1868wieder den alternativen Ausgaben. In den frei, wird er im neuen Jahr unter neuen Bundesländern etwa hat es der anderem als „Leutnant von Karl-May-Verlag schwer, seine grünen Wolfrahmsdorf“ rückfällig, neben den Bänden des Ostverlags und im böhmischen Niederal- Neues Leben zu behaupten. gersdorf wird er Anfang 1870 Über 30 000mal hat Parkland in drei als „Albin Wadenbach“, an- Jahren seine Billigausgabe mit dem geblicher Plantagenbesitzer in echten Karl May verkauft – für den Obry-Martinique, in einer Bamberger Verlag Grund genug, den Scheune aufgegriffen. Der ma- unliebsamen Konkurrenten zäh zu ver- terielle Gewinn einer Serie von folgen. äußerst skurrilen, die Obrigkeit Der Klein-Verleger will sich nun verhöhnenden Delikten steht nicht mehr in die Knie zwingen lassen. in keinem Verhältnis zum „Diesmal werden wir nicht zahlen“, Aufwand. Im Gefängnis von verkündet Taubert mit dem Mut des Waldheim gelingt es dem echten Westmannes. „Wir geben nicht Anstaltskatecheten Johannes nach.“ Kochta sogar, sein Gewissen umzudrehen. Im katholischen May-Ehefrau Klara, verwitwete Plöhn (1908) Gefängnisgottesdienst darf der Zusammen nach New York

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Radelli und redigierte dessen Blatt Frohe Karl May bringt es fertig, stückweise Stunden. Eigene Beiträge veröffentlichte und zeitversetzt so zu schreiben, daß er unter dem Pseudonym Emma Pollmer. sein Endprodukt wie aus einem Guß er- Nachdem der junge Zeitungsmacher mit scheint. Er macht immer weniger kom- Emma – die er stets als seine Frau vor- positorische Fehler. Wie er allerdings stellte – eine gemeinsame Wohnung be- durch seine vielen verschiedenen Ver- zogen hatte, kommen aber doch auch sei- lagspflichten hindurchgefunden hat, ne Verwandlungskünste wieder zum bleibt wohl immer sein Geheimnis. Der Vorschein. Hausschatz wird zwar irgendwann wie- Als „höherer Regierungsbeamter“ der beliefert, aber es kommt auch noch tritt er in der Nähe von Stollberg auf, um Der Gute Kamerad hinzu. die mysteriös erscheinenden Umstände Ende 1888 ziehen die Mays nach des Todes von Emil Pollmer, dem Onkel Kötzschenbroda um. May meldet sich von Emma, zu klären. May wird der beim Gemeindeamt als Dr. phil. an. Im Amtsanmaßung bezichtigt und kassiert Jahr 1889 verfaßt May insgesamt 3770 drei Wochen Gefängnis. Manuskriptseiten, darunter auch den Wieder in Freiheit, wird er von nun an „Schatz im Silbersee“, seinen ersten er- bis zu seinem Lebensende als freier folgreichen, aber keineswegs besten Ju- Schriftsteller arbeiten, hat aber bis zum gendroman. Herbst 1882 erhebliche Geldschwierig- Etwa um diese Zeit lernen die Mays keiten. Seine Einkünfte sichern ihm le- das Ehepaar Richard und Klara Plöhn diglich das Existenzminimum. Emma, kennen. Klara (1864 bis 1944) wird spä- G. KLUSSMEIER May im Radebeuler Arbeitszimmer (1896): Der Autor ist im Orient auf Reisen

die er inzwischen geheiratet hat, kommt ter eine enge Freundin von Emma. 1903 erst auf ihre finanziellen Kosten, nach- wird sie Mays zweite Ehefrau werden. dem Karl May seinen Orient-Zyklus zu 1890 befindet sich das Paar wieder in schreiben begonnen hatte. Geldschwierigkeiten. May verfaßt für Spätestens 1881 reitet Karl May gei- den Regensburger „Marienkalender stig durchs Wilde Kurdistan; Le Monde 1891“ die Novelle „Christus oder Mu- veröffentlicht erstmals einen May-Text hammed“, und er bedient nun auch di- in französischer Übersetzung. May lie- verse katholische Verlage. fert auch an Münchmeyer in Dresden Die Lohnschreiberei hat erst mit den Romane, allerdings ohne schriftlichen Vorschüssen seines neuen Verlegers Vertrag, was ihm später zum Verhäng- Fehsenfeld ein Ende. 1892 ist Karl May nis werden wird. Vorläufig kann er mit endlich ein wohlhabender Mann. Emma, die sich mit den beiden Münch- Um die Weihnachtszeit 1894 über- meyers angefreundet hat, nach Dres- rascht der seßhaft gewordene Abenteu- den-Blasewitz ziehen. Verlagen, die rer seine Hausschatz-Leser. Er berichtet vergebens auf ein Manuskript warten, ihnen vom Besuch Winnetous beim der Deutsche Hausschatz zum Beispiel, Dresdner Gesangsverein. May, inzwi- wird bedeutet, der Autor sei auf Reisen, schen mit Old Shatterhand und Kara wahrscheinlich im Orient. Ben Nemsi identisch, veröffentlicht sei-

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des Ich-Erzählers in den Reise- vor fast 1000 Personen: Rund 1200 Spra- romanen mit dem bürgerlichen chen und Dialekte beherrsche er, so Namen Karl May, und er for- tönt der Dichter, bei den Apachen sei er ciert die religiösen Tendenzen als Nachfolger Winnetous Befehlshaber seiner Geschichten in fast uner- von 35 000 Kriegern. Ehefrau Emma ist träglicher Weise. echt stolz auf ihren Gatten. Eine be- Der Reformkatholik und Li- kannte Spiritistin – und Schwindlerin – teraturfreund Carl Muth (1867 namens Anna Rothe hält wiederholt Se- bis 1944) wirft May „literarische ancen in der „Villa Shatterhand“ ab. Geschmacksverderbung“ vor. May durchschaut sie, er will aber weder Mays religiöse Phrasen seien seine jetzige noch seine künftige Ehe- nichts anderes alsGunsthasche- frau kränken. rei. Diese Kritik war wohl auch Ohne Emmas Beisein verteilt er im gegen die fast durchgängig ge- niedersächsischen Gatow nicht nur seine währte Unterstützung Mays gröbsten Flunkereien, sondern auch seitens der katholischen Kirche Goldstücke an die notleidende Bevölke- gerichtet, für katholische Ver- rung, mildtätig war er ja auch sonst. Tat- lage schrieb er ja reichlich. sächlich kommt wieder einmal die Poli-

K.U.K. Die Vorwürfe bringen den zei auf den Plan, die mißtrauisch den Dichter ins Grübeln, und er Hochstapler in ihm riecht und May vor-

K. LAUX / nimmt sich vor, einen neuen übergehend festnimmt. May-Museum „Villa Shatterhand“ Weg zu beschreiten. Seinem War das bisherige Leben überwie- Besuch von Winnetou im Gesangsverein Verleger Fehsenfeld teilt Karl gend biographisch umstritten, so wer- May mit, er beginne jetzt mit den die nächsten zehn Jahre von literari- nen berühmtesten und meistgelesenen „seinen eigentlichen Absichten heraus- schen Argumenten beherrscht sein. Sei- Roman „Winnetou I“. Als Winnetou ist zurücken“. Diese Absichten, das waren ne juristischen Widerwärtigkeiten, de- er Retter in allen Nöten geworden. wohl geplante Reisen in die Länder sei- ren Hauptursache er selbst ist, werden Seinem Freiburger Verleger gegen- ner Helden. Bevor er diese jedoch an- ihn niederdrücken. Das wird die literari- über beklagt der Dichter sich nun aller- tritt, wird er im Frühjahr 1897 noch eine schen Kritiker aber nicht beeindrucken. dings über häusliche Zerwürfnisse, und Partitur zu Winnetous Sterbegebet, dem Die „eigentlichen Absichten“, das ist er blickt oft nach der Wand über seinem Ave Maria, komponieren. Sie fand aber sein „Spätwerk“. Die wenigsten seiner Schreibtisch, wo der geladene Revolver kein Publikum. Laien-Bewunderer dürften es gelesen hängt. Doch wie von unsichtbarer Hand Während einer Reise durch Deutsch- haben. Ich kann nicht anders, ich neige wird er vom Letzten zurückgehalten. land spricht Dr. Karl May in München hier nicht Arno Schmidt, sondern Ernst Trotz seiner ehelichen Bloch zu, der im Spätwerk Schwierigkeiten erwirbt das die Frische und Naivität Ehepaar May am 30. Dezem- der früheren Erzähl-Roma- ber 1895 eine Villa in Rade- ne vermißt (1929). Was ha- beul, Kirchstraße 5,Kaufpreis ben die Niagarafälle in 37 300 Mark, damals eine er- „Winnetou IV“ zu suchen? kleckliche Summe, man zieht Den Hitler kann man in also in die „Villa Shatter- diesem Kontext vergessen. hand“. Er dürfte kein „Spätwerk“ Der Dresdner Büchsenma- gekannt haben. „Sterbens- cher Oskar Fuchs überreicht langweilig“ findet der Ger- May die „Silberbüchse“ und manist Michael Zeller das wenig später den „Bärentö- Spätwerk. ter“. Er hat die Wunderwaf- Über den theologischen fen im Auftrag von May ange- Wert möchte ich mit dem fertigt. Im Zweiten Weltkrieg verdienstvollen Stadtpfarrer wird man Hitlers „Wunder- von Landsberg am Lech, waffen“ V-1 und V-2 mit ih- Hermann Wohlgschaft, die- nen gleichsetzen. Den „Hen- sem höchst aktiven Mitglied rystutzen“ konnte sich der der Karl-May-Gesellschaft, Dichter erst 1902 kaufen. nicht streiten. Den norma- Der 1896 aus Linz angerei- len Leser kann auch nicht ste Amateurfotograf Alois interessieren, wie akribisch Schießer machte von dem May seine dubiose Vergan- Dichter 101 Aufnahmen im genheit neu verschlüsselt Phantasiekostüm: Old Shat- und ins Positive hin aufgear- terhand mit Silberbüchse, Ka- beitet hat. ra Ben Nemsi mit Revolver – Ein besseres Nachwort pictures all over the world. finde ich nicht, als Martin Die Verlage reißen sich Walser es uns 1991 an die jetzt um den großen Sachsen. Hand gegeben hat: „Warum May verfaßt unter dem Titel habe ich Karl May gelesen, „Die Freuden und Leiden ei- jahrelang? Weil ich mir rett- nes Vielgelesenen“ einen bar vorkommen wollte, ob

pseudobiographischen Text. G. KLUSSMEIER im Balkan oder in den Hän- Er unterstreicht die Identität Dichter May in Wien (1912): „Sterben, sterben, sterben“ den von Indianern.“ Y

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