Wir Wollen Ja Eine Regierung Haben Und (!) Eine Opposition
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05 Erdmann 31.01.2017 22:03 Uhr Seite 161 Heinrich Erdmann „Wir wollen eine Regierung u n d (!) eine Opposition” 161 Hermann Lüdemann „liebte dieses Schles- Heinrich Erdmann: wig-Holstein, er liebte Deutschland – er lieb- l te sein Land – und mit der Liebe, die keine „Wir wollen ja eine Kiel Herabsetzung der anderen Länder und Völker nötig macht, ja, die sie einschließt. Er war ein Regierung haben Patriot und darum kein Nationalist – er wuss- u n d (!) te, dass vor dem Gift des Nationalismus nichts besser schützen kann als ein Patriotismus, der, treu zum eine Opposition.“ Schicksal des eigenen Volkes, zu verbinden weiß mit Achtung vor dem Wesen, der Geschichte und dem Lebensrecht der anderen Völ- Der Beitrag des Schleswig-Hol- ker. Und er war ein beliebter Bürger, der wusste, dass man den Na- steinischen Ministerpräsidenten tionalismus nicht überwinden kann, indem man am Schicksal der Hermann Lüdemann zur deut- ganzen Nation vorbeilebt, sondern nur, indem man dieses Schick- schen Verfassungs- und Parla- sal tätig an sich verarbeitet und auf sich nimmt. Nur durch die Na- mentsgeschichte tion hindurch lässt sich der Nationalismus überwinden ! Hermann Lüdemann war ein Beispiel1 und wird uns ein Vorbild bleiben.“ (Carlo Schmid)2 Professor Dr. Winfried Steffani Es gibt keine politisch geordneten und gestalteten Gesellschaf- (1927-2001) in Dankbarkeit ten ohne eine Regierung oder regierungsähnliche Institution. Frei- heitliche, nicht-autoritäre politische Herrschaftsordnungen zeich- nen sich durch eine verantwortliche Regierung aus, freiheitlich-de- mokratische durch parlamentarisch verfasste Abgeordnetenhäuser, die als Regierungskontrolleure aus freien, allgemeinen und glei- 1 Hervorhebungen in Originalpublikationen chen Volkswahlen hervorgehen. (Fettdruck oder Unterstreichungen) werden Am Beginn der Landesgeschichte Schleswig-Holsteins als de- in diesem Beitrag generell durch Fettdruck mokratischer Staats- und Verfassungsgeschichte stehen Regierun- markiert. gen, die von politischen Persönlichkeiten geleitet wurden, die An- 2 Schmid, Carlo: Grabrede am 3. Juni 1959. klagen und Verurteilungen durch den verbrecherischen NS-„Volks- - Das stenografische Manuskript befindet sich gerichtshof“ überstanden hatten: Theodor Steltzer (1885-1967)3 im Nachlass, der vom Archiv der Sozialen De- und Hermann Lüdemann (1880-1959)4. Beide, sowohl der ehema- mokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn, lige Rendsburger Landrat (von 1920 bis 1933) Steltzer als auch der verwahrt wird. – Für eine Entzifferung des Weimar erfahrene SPD-Politiker Lüdemann, waren im Zuge des Manuskripts danke ich Frau Rosmarie Koller- Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 inhaftiert und angeklagt wor- Keller, St. Gallen/Schweiz, welche mir von den. Frau Monika Disser, Forschungsstätte Bay- Steltzer, welcher am 26. Juni 1945 zu den Gründungsmitglie- reuth, vermittelt wurde. An die Forschungs- dern der Berliner CDU gehört hatte, amtierte vom 15. November stätte, in deren Auftrage Frau Disser ein 1945 bis zum 23. August 1946 zunächst als Oberpräsident und Schriftgutachten erstellte, verwiesen hatte dann als Ministerpräsident bis zum 29. April 1947. Hermann Lüde- mich Frau Anke Timme vom Schleswiger Ste- mann, als Innenminister sein Stellvertreter, wurde an diesem Tag nografenverein. Auch ihr sei an dieser Stelle zu seinem Nachfolger berufen. Er sollte nur bis zum 29. August herzlich gedankt. 1949 amtieren. 3 Zu dieser (demokratieskeptischen) politi- Ohne die konstituierende Sitzung des am 20. April 1947 ge- schen Persönlichkeit siehe Albers, Klaus: wählten Landtags abzuwarten, hatte der britische Gouverneur den Theodor Steltzer: Szenarien seines Lebens. politisch exponierten Lüdemann beauftragt, eine SPD-Alleinregie- Eine Biographie. Heide 2009; Kurt Jürgensen rung zu bilden.5 Er entsprach mit der Designation ausdrücklich (Hrsg.): Theodor Steltzer: Reden, Anspra- dem Wahlergebnis6: „After consideration of the results of the re- chen, Gedanken 1945-1947: Grundlegende cent Land elections in which your party, the SPD, obtained a wor- Ausführungen des letzten Oberpräsidenten king majority, I invite you to undertake the task of forming a new und ersten Ministerpräsidenten Schleswig- Government. If you accept this invitation you will discuss with me Holsteins. Neumünster 1986. 05 Erdmann 31.01.2017 22:03 Uhr Seite 162 162 Heinrich Erdmann „Wir wollen eine Regierung u n d (!) eine Opposition” and submit for my approval the names of the Ministers whom you propose will form your Cabinet.” Das Wahlergebnis war in der Tat eindeutig gewesen: Die SPD verfügte mit 43 von insgesamt 70 Sitzen alleine über die Mehrheit,7 4 Zum politischen Menschen und Leben während auf die CDU 21 und auf den „Süd-Schleswigschen Verein Lüdemanns siehe das eindringliche biogra- (SSV)“, die politisch-kulturelle Vereinigung der dänischen Minder- phische Porträt von Fischer, Rolf: Hermann heit, sechs Mitgliedschaften entfallen waren. Lüdemann und die deutsche Demokratie. Aus Anlass des 40. Jahrestages der ersten Wahl eines Schleswig- Neumünster 2006. Holsteinischen Landtags am 20. April 1987 erschien, herausgegeben 5 Vgl. Fischer, Lüdemann, S. 147 mit von seinem Präsidenten, die Festschrift: „Landtage in Schleswig- Anm. 143 auf S. 202. Holstein: Gestern – heute – morgen“. Sie enthält historisch-politi- 6 Zit. nach Jürgensen, Kurt: Die Entste- sche Beiträge nicht nur des Kieler Geschichtswissenschaftlers Kurt hung des heutigen Schleswig-Holsteini- Jürgensen, sondern auch einen von dem in Hamburg tätigen Poli- schen Landtages 1945-1947. In: Titzck, tikwissenschaftler Winfried Steffani. In seinem Beitrag: „Der Land- Rudolf (Hrsg.): Landtage in Schleswig-Hol- tag als Zentrum des parlamentarischen Systems“ hat der Parlaments- stein: Gestern - heute - morgen. Zum 40. und Oppositionsexperte herausgestellt, dass das erste gewählte de- Jahrestag der ersten demokratischen Wahl mokratische Abgeordnetenhaus des neuen deutschen Landes sich am 20. April 1947. Husum 1987, S. 59- vorbildlich als Parlament erwiesen und verdient gemacht hat:8 „Der 91; hier: S. 86f. (für eine Übersetzung Schleswig-Holsteinische Landtag war das erste deutsche Parlament, siehe unter Anm. 24 auf S. 91). das [den] Grundprinzipien des parlamentarischen Regierungssy- 7 Dazu Martens, Holger: Vor 50 Jahren: stems so eindeutig, so bestimmt und übereinstimmend-nachdrück- Sozialdemokratischer Wahlsieg bei der ers- lich Ausdruck gab. Er ist damit beispielgebend in die deutsche Parla- ten Landtagswahl am 20. April 1947. In: mentsgeschichte eingegangen. Der Begriff Opposition fand Eingang Demokratische Geschichte. Band 11 in die offizielle Sprachregelung und ins Parlamentsrecht.“ (1998): S. 189-208. Jürgensen, als Historiker ein ausgewiesener Experte für die 8 Steffani, Winfried: Der Landtag als Zen- Gründungsgeschichte des neuen deutschen Landes, war zwar von trum des parlamentarischen Systems. In: der Richtigkeit des „responsible government“ als Verfassungsdirek- Titzck, Rudolf (Hrsg.): Landtage in Schles- tive britischer Besatzungspolitik vollinhaltlich überzeugt. „Verant- wig-Holstein: S. 218-261; hier: S. 232. wortliche Regierung“ als westdemokratischer Verfassungsgrund- 9 Sh. insbes. Ernst Fraenkel, Deutschland satz, das zeigen seine Studien, war ihm jedoch kein Begriff. Auch und die westlichen Demokratien. Mit ei- seine Beiträge zur Landtags-Festschrift zeigen, dass sich ihm das Er- nem Nachwort über Leben und Werk Ernst folgsgeheimnis („efficient secret“) des demokratischen Westmin- Fraenkels herausgegeben von Alexander v. ster-Parlamentarismus – parlamentarische Integration der Regierung Brünneck. Frankfurt a.M. 1991. – Zum und Dominanz des Premierministers, Opposition als „alternative go- diesbezüglichen Gesamtwerk Ernst Fraen- vernment“, dual-pluralistisches Parteiensystem – nicht erschlossen kel: Gesammelte Schriften/Band 5: Demo- hatte. Die Demokratie-Expertisen9 des über die Fachgrenzen hinaus kratie und Pluralismus. Herausgegeben anerkannten Berliner Politikwissenschaftlers Ernst Fraenkel10 waren von Alexander v. Brünneck. Baden-Baden offenbar selbst dem aufgeschlossenen Kieler Landeshistoriker zu 2007. „westlich-britisch“ grundiert. 10 Zur politisch-zeithistorischen Persön- Anders als in den angelsächsischen westlichen Demokratien lichkeit Fraenkels siehe Ladwig-Winters, werden die Begriffe „Legislative“ und „Parlament“ hierzulande Simone: Ernst Fraenkel: Ein politisches Le- auch heute noch synonym gebraucht.11 In den USA und in Großbri- ben. Frankfurt/New York 2009. tannien, in denen das präsidentielle und das parlamentarische Sys- 11 Vgl. Steffani, Winfried: Demokrati- tem als exklusive Organisationsmuster verantwortlicher Regie- scher Garant verantwortlicher Regierung: rungssysteme historisch-politisch entwickelt wurden, bezeichnen Stellung und Funktionen der Volksvertre- „Legislature“ und „Parliament“ demgegenüber alternative Typen tungen in den westlichen Demokratien. In: des Abgeordnetenhauses. DAS PARLAMENT. Nr. 16 vom 24. April Der vorliegende Beitrag will, im Anschluss an Fraenkels Schüler 1982: S. 2. Steffani, 70 Jahre nach der ersten Wahl eines schleswig-holsteini- 05 Erdmann 31.01.2017 22:03 Uhr Seite 163 Heinrich Erdmann „Wir wollen eine Regierung u n d (!) eine Opposition” 163 schen Landesparlaments für einen sauberen Begriffsgebrauch wer- ben. Denn nur wenn klar unterschieden wird zwischen einem Abge- ordnetenhaus, das als bloße Legislative, und einem, das als Parla- ment konstituiert ist, kann bei der Verwendung des Wortes „Parla- ment“ der Fehler vermieden werden, Parlamente12 „– wie z.B. den Landtag in Kiel – an der Elle des