Das Eckenlied Und Seine Quellen. § 1
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DAS ECKENLIED UND SEINE QUELLEN. § 1. Einleitende bemerkungen. Im 29. bände dieser Beiträge hat Freiberg durch eine vergleichung des Eckenliedes mit einer episode im Chevalier du Papegau zwischen diesen beiden denkmälern eine reihe beziehungen aufgedeckt, die nicht zufällig sein können, und ist zu Schlüssen gelangt, die, falls sie sich als richtig erweisen sollten, nicht nur für das Eckenlied, sondern auch für die vergleichende literaturgeschichte von grosser tragweite sein würden. Es handelt sich um nichts weniger als um die Über- führung eines Stoffes aus dem brittischen Sagenkreise in und ihre angleichung an den Sagenkreis von Dietrich von Bern. Freibergs beweisführung hat mich bei ihrem ersten erscheinen zum Widerspruch herausgefordert, aber dringende beschäftigung mit anderen arbeiten hat mich bisher daran verhindert, auf diese fragen einzugehen. Indem ich mich nun anschicke, meine abweichende auffassung der vorliegenden daten mit- zuteilen und ausführlich zu begründen, muss ich die bemerkung vorausschicken, dass eine directe polemik wider Freibergs aufsatz sich an vielen stellen nicht vermeiden lassen wird. Doch habe ich mich beflissen, der kritik, die leider nur zu oft das wort ergreifen muss, ein rein sachliches gepräge zu geben, was um so mehr geboten war, als der scharfsinnige junge ge- lehrte, der viel hoffen liess, leider nicht mehr unter den lebenden ist. Freibergs methodischer grundfehler liegt m. e. in einem apriorismus, der ihn von unbewiesenen thesen, die das, was er zu beweisen sucht implizieren, ausgehen lässt, und ihn dazu verführt, einen wichtigen teil des materials fast unbenutzt liegen zu lassen. Beiträge zur geschichte der deutschen spräche. XXXII. ü Brought to you by | University of Alberta Library Authenticated Download Date | 6/29/15 9:23 PM 156 böiätt Diese als axiomata angenommenen unbewiesenen thesen sind die folgenden: 1) Wenn ein literarischer stoff in einem französischen und in einem mittelhochdeutschen denkmal' überliefert ist, und die ähnlichkeit zwischen beiden denjonälern so gross ist, dass eine entlehnung angenommen werden muss, so muss die fran- zösische Überlieferung die quelle der deutschen sein.1) 2) Wenn ein mittelhochdeutsches gedieht aus einer fran^ zösischen quelle stammt, so muss es unmittelbar aus dem französischen ins hochdeutsche übertragen sein (auf die mög- lichkeit einer Zwischenstufe in einem anderen diälekt wird kein bezug genommen). 3) Es ist nicht anzunehmen, dass dasselbe französische gedieht mehr als einmal in einen deutschen diälekt übertragen worden sei (wird stillschweigend vorausgesetzt). 4) Wenn es demnach eine dritte Überlieferung des Stoffes gibt, die auf eine deutsche quelle zurückgeht (in casu die p. s.), so muss das eine Übersetzung oder eine bearbeitung nach einem hochdeutschen muster sein.2) Jede dieser thesen ist nichts als eine blosse behäüptung. Ich stelle ihnen die folgenden gegenüber: 1) Wenn ein mittelalterlicher Stoff sowol, in einer fran- zösischen wie in einer deutschen quelle überliefert ist, so muss durch eine besonders darauf gerichtete Untersuchung aus- gemacht werden, wo das ursprungliche zu suchen ist. Im vorliegenden fall darf die grössere geschlossenheit der frz. er- zälxlung nicht als ein beweis für ihre ursprünglichkeit angeführt werden, da a) die überlieferten recensionen des Eekenliectes eine reihe zutaten enthalten, die Freiberg für die älteste recension nicht gelten lassen will, b) auch das älteste hd. ge- dieht eine Übergangsform nach der frz. Überlieferung repräsen- *) Die möglichkeit, dass das Verhältnis das Umgekehrte sei, wird s. 7 f. in wenigen zeilen kurz zurückgewiesen. 2) S. 9—10. 'Ist die quelle des süddeutschen Eckenliedes ein frz. ge- dieht, so muss die p. s. notwendigerweise aus diesem deutschen Eckenliede geschöpft haben ... in einem falle hat der sagaschreiber sicherlich ein hd. gedieht zur vorläge gehabt' u.s.w. Brought to you by | University of Alberta Library Authenticated Download Date | 6/29/15 9:23 PM DAS ECKENLIED UND SEINE QUELLEN. 157 tieren kann, in welchem fall die grössere geschlossenheit das product einer fortgesetzten entwicklung wäre. An der ur- sprünglichkeeit der frz. bearbeitung zu zweifeln liegt aber um so mehr grund vor, als diese nur in einem volksbuche des 15. jh.'s überliefert ist. 2) Wenn ein mhd. gedieht auf eine frz. quelle zurückgeht, so kann zwischen diesen beiden eine quelle in einem anderen dialekte, etwa mittel- oder niederfränkisch', liegen. Um so eher ist das denkbar, wo der kritiker sich genötigt sieht, die bekannte mhd. Überlieferung auf eine ältere deutsche dichtung zurückzuführen, von der sonst nichts bekannt ist, als dass sie die quelle einer erzählung der piörekssaga ist. 3) Dass ein und dasselbe werk mehr als einmal aus dem französischen in einen deutschen dialekt übertragen worden ist], ist ein widerholt coiistatierter fall. So wurde z. b. das lied von Troja erst von Herbort von Fritzlar, später von Konrad von Würzburg ins hochdeutsche übertragen. 4) Wenn es also eine dritte Überlieferung des Stoffes gibt, die nach der ansieht Freibergs in mancher hinsieht über die bekannte hochdeutsche tradition hinausgeht, so braucht diese keineswegs auf eine hochdeutsche quelle zurückzugehen. Im gegenteil, die quelle kann sehr wol eine niederdeutsche sein, und zwar bestehen in diesem fall theoretisch drei möglich- keiten: a) die niederdeutsche und die hochdeutsche quelle können von einander unabhängig, beide aber von der frz. quelle abhängig sein; b) eie niederdeutsche Überlieferung kann die gemeinsame quelle der hochdeutschen und der altnordischen, selbst aber von der frz. Überlieferung abhängig sein; c) die niederdeutsche tradition kann sowol die quelle der altnordischen wie der hochdeutschen und der frz. Überlieferung sein. Es ist auf grund dieser er wägungen nicht gestattet, alle abweichungen der nordischen Version von der mittelhoch- deutschen bez. der französischen, sofern man sie für seine construction nicht brauchen kann, %für willkürliche änderungen ihres bearbeiters (in casu des sagaschreibers) zu erklären. Freibergs grosser methodischer fehler aber ist, dass er, von den oben s. 156 mitgeteilten Sätzen ausgehend, die piöreks- saga vernachlässigt hat, und sie nur da benutzt, wo sie seine 11* Brought to you by | University of Alberta Library Authenticated Download Date | 6/29/15 9:23 PM 158 BOER aus einer ausschliesslichen vergleichung der beiden anderen quellen gewonnenen resultate zu bestätigen scheinen kann. Ich werde im folgenden Freibergs axiomata an der Über- lieferung prüfen. Auf die dritte behauptung gehe ich nicht ein, da auch ich im vorliegenden fall an eine widerholte Über- setzung nicht glaube. Die übrigen thesen bespreche ich in umgekehrter reihenfolge und fasse 2) und 4) zusammen. Im gründe folgt schon aus Freibefgs auffassung des Ver- hältnisses der Überlieferungen direct, dass die erzählung der D. s. eine selbständige quelle ist. Wenn diese von dem alten Eckenliede oder einer diesem liede sehr nahe stehenden redac- tion stammt, während die auf uns gekommenen texte sämmt- lich auf eine breite Umarbeitung zurückgehen, so muss schon darum bei der beurteilung der Überlieferung der saga eine, grössere autorität als den drei texten des Eckenliedes zu- sammen zugestanden werden. Der einzige umstand, der es verbietet, sie einfach an die stelle dieser texte zu stellen^ ist die möglichkeit, dass in der saga etwas verloren oder hinzu- gefügt worden sei. Freiberg nimmt hier viele änderungen und auslassungen an. Aber auf keinen fall sollte er einen stamm- baum aufgestellt haben, in der der saga gar kein platz an* gewiesen war. Sein stammbaum sieht wie folgt aus: O (original) E (Eckenlied) (Chevalier du Papegau) Mit E ist nun allerdings das alte, nur in einer Umarbeitung auf uns gekommene Eckenlied gemeint, aber fortwährend werden dafür die drei texte der Umarbeitung (Ldas) sub- stituiert, und obgleich zugegeben wird, dass die saga nicht von Ldas, sondern von E stammt, verfährt Freiberg doch durchgehend, als wäre das Verhältnis: O E (d. i. Ldas) l P.S. Brought to you by | University of Alberta Library Authenticated Download Date | 6/29/15 9:23 PM DAS ECKENLIED UND SEINE QUELLEN. 159 während es doch, wenn Freiberg recht hat, sich folgender- massen gestaltet: O *E (breite Umarbeitung) p. S. Ldas Daraus ergibt sich beim ersten anblick, dass bei der beurteilung jedes einzelnen zuges nicht nur die saga herangezogen sein sollte, sondern auch, dass ihr, da sie von dem noch nicht um- gearbeiteten liede stammen soll, die absolute controle über jede angäbe der vorausgesetzten Umarbeitung zukam. Dass bei einem solchen Verhältnis der texte das, was Frei- berg E genannt hat, sehr wol ein niederdeutsches gedieht ge- wesen sein kann, leuchtet ein. Die Verweisungen der Umarbei- tung auf eine poetische quelle, die Freiberg s. 3 nach Zupitza zusammenstellt, können wahrhaftig sein, auch wenn der bearbeiter kein französisches gedieht gekannt hat. Freiberg verwechselt hier wie sonst E mit U, Welcher der dialekt der quelle des liedes war, das muss durch unabhängige kriteria entschieden werden. Nach meiner ansieht sprechen für eine nieder- oder mitteldeutsche») quelle die folgenden data: 1) Die analogie anderer Stoffe, die sowol in der p. s. wie in der mhd. epischen poesie behandelt worden sind. Unter diesen steht die Nibelungenpoesie in erster linie. 2) Gerade der umstand, dass der stoff auch in einem fran- zösischen roman behandelt worden ist. Die alten Vermittler zwischen französischer und deutscher poesie waren fränkische spielleute. Nimmt man für das überlieferte lied eine nieder- öder höchstens