Räume in Der Aventiurehaften Dietrichepik
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Räume in der aventiurehaften Dietrichepik Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt von Dominik Streit aus Starnberg 2021 Referentin: Prof. Dr. Beate Kellner Korreferentin: PD Dr. Julia Zimmermann Tag der mündlichen Prüfung: 15. Mai 2018 Gewidmet meinem Vater Wolfgang Hey (1953 - 2013) Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2018 von der Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie überarbeitet. Mein erster und herzlicher Dank gilt Beate Kellner. Sie hat mich allererst auf die aventiurehafte Dietrichepik aufmerksam gemacht und mir damit den Weg zu diesem sehr speziellen Teil mittelhochdeutscher Epik gewiesen. Als Mitarbeiter an ihrem Lehrstuhl genoss ich die Freiheit, zu einem Thema meiner Wahl forschen zu können. Es ist nicht selbstverständlich, als Doktorand an Tagungen teilnehmen zu dürfen, seine Ideen mit einem Fachpublikum zu diskutieren und für die Publikation der Beiträge auch die Arbeit an der Dissertation zwischenzeitlich ruhen lassen zu dürfen. Für all dies gebührt ihr mein Dank. Ebenso herzlich danken möchte ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Oberseminars von Beate Kellner, mit denen ich meine Ideen immer wieder diskutieren durfte. Namentlich genannt seien Susanne Reichlin, Julia Zimmermann, Holger Runow, Alexander Rudolph, Kathrin Gollwitzer, Eva Bauer und Fabian Prechtl. Corinna Dörrich danke ich dafür, die Begeisterung für mittelalterliche Literatur in mir geweckt zu haben. Julia Zimmermann gebührt mein ausdrücklicher Dank für die Übernahme des Korreferats und die wertvollen Hinweise für die Überarbeitung. Wichtige Impulse verdankt diese Arbeit dem DFG-Netzwerk „Medieval Narratology“, dessen Mitglied ich während der Laufzeit von 2014 bis 2017 sein durfte. Ein herzlicher Dank geht daher an Eva von Contzen. Für die Aufnahme als Promotionsstipendiat und der damit verbundenen finanziellen Förderung danke ich dem Evangelischen Studienwerk Villigst e.V. Als Alt-Villigster werde ich den ‚Geist von Villigst‘ nie vergessen. Nicht zuletzt danke ich meiner Familie und meinem Ehemann. Sie haben mich in all den Jahren immer unterstützt und ermutigt und nie den Glauben an mich verloren. Und wo nötig, haben sie mit dem notwendigen Druck zum Abschluss dieser Arbeit beigetragen. Gewidmet ist diese Arbeit meinem Vater. Für alles Weitere fehlen die Worte… Weilheim, im Dezember 2020 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 10 1.1 Das Textcorpus 13 1.2 Zum Aufbau der Arbeit 17 1.3 Forschungsüberblick 19 1.3.1 Aventiurehafte Dietrichepik 19 1.3.2 Die Literaturwissenschaften und der Raum 28 1.4 Theoretische Grundlagen 39 1.4.1 Absolutistische und relativistische Raumkonzepte 39 1.4.2 Raumsoziologische Konzepte 44 2 Die räumliche Struktur der erzählten Welt 49 2.1 Auszug und Wiederkehr Dietrichs als raumstrukturierendes 51 Erzählschema 2.1.1. Laurin – Räumliches Nacheinander oder: Wie der Held seine Welt 54 durch(sch)reitet a) Materielle Räume: Kernräume, Explikationsräume und 55 paradigmatische Räume b) Immaterielle Räume: Auditive und visuelle Wahrnehmungsräume 61 c) Exemplarische Analyse: Laurins Zwergenberg - Wechselwirkungen 67 von Raumebenen und Raumtypen d) Die Walberan- und die Jüngere Vulgatversion: Räume als 75 Konstituenten von Fassungen und Versionen e) Zwischenfazit 84 2.1.2 Der Rosengarten: Worms und Bern als räumliche Manifestationen 86 antagonistischer Herrschaftsverbände a) Rosengarten A: Kriemhilds blutiger Spielplatz 89 b) Rosengarten D: Neuperspektivierung am Hunnenhof 101 c) Rosengarten C: Erzählte Dystopie 106 d) Isenburg: Zur Ambiguität eines Klosters und seiner Bewohner in den 108 Rosengarten-Dichtungen e) Zwischenfazit 115 2.1.3 Virginal - Erzählerische Komplexität durch räumliche Multiplikation 117 a) Die Heidelberger Virginal Vh: In Jeraspunt und um Jeraspunt und um 118 Jeraspunt herum b) Die Wiener Virginal Vw: Neue Aventiuren, alte Probleme 142 c) Die Dresdner Virginal Vd: Eine Parodie auf heldenepisches Erzählen 144 d) Zwischenfazit 146 2.2 Eckenlied – Auszug und Wiederkehr unter umgekehrten Vorzeichen 148 a) Die Ausgangssituation in Jochgrimm 149 b) Eckes Weg zu Dietrich 156 c) Dietrichs Weg durch die Anderwelt 165 d) Zwischenfazit 169 3 Räumliche Topoi und ihre Funktion 171 3.1 Topos und Toposforschung 172 3.2 Topoi in der aventiurehaften Dietrichepik 177 3.2.1 Der locus amoenus 177 a) Der locus amoenus als Zentrum höfischer Freude 181 b) Der locus amoenus als pervertierter Gegenraum 186 3.2.2 Der wilde Wald 196 3.2.3 Zwergenberg und Zwergenhöhle 204 3.3 Zwischenfazit 213 4 Fazit 216 5 Verzeichnisse 221 5.1 Abkürzungen 221 5.2 Textausgaben 222 5.3 Forschungsliteratur 223 1 Einleitung Wer anfängt, über den Raum nachzudenken und zu sprechen, stößt sogleich auf ein Paradox: überall, wo wir sind, leben und arbeiten, sind wir vom Raum umgeben - oder glauben es zumindest -, aber wir geraten in arge Verlegenheit, wenn wir sagen sollen, was denn das sei: der 1 Raum. Diese paradoxe Feststellung gilt nicht nur für den Raum, in dem wir sind, leben und arbeiten. Sie gilt ebenso für den Raum, in dem literarische Figuren sich bewegen und agieren. Zugleich entzieht sich der Raum in literarischen Texten immer wieder der Wahrnehmung: Er verschwindet hinter den Figuren, scheint stellenweise überhaupt nicht vorhanden zu sein.2 Andernorts tritt er plötzlich dominant hervor, strukturiert die Handlungsmöglichkeiten der Figuren, schränkt diese ein oder ermöglicht Handlung überhaupt erst.3 Umgekehrt kann sich die Morphologie des Raums in Abhängigkeit von den Figuren verändern. Dem Helden, der sich in der Aventiure zu beweisen hat, präsentiert sich ‚derselbe‘ Raum völlig anders als einem Boten, der nur eine Nachricht zu überbringen hat.4 Raum, Handlung und Figuren stehen in einem intrikaten Verhältnis zueinander, „Raum ist neben Zeit, Handlung, Gegenständen und Figuren unabdingbarer Bestandteil der erzählten Welt“5 und bleibt dabei stets „funktional auf die Handlung bezogen“.6 In der alltagsweltlichen Vorstellung gibt es allerdings Räume, die auch dann noch vorhanden sind, wenn sich dort keine Personen aufhalten oder dort keine Handlung stattfindet. Denn während die Zeit in der Regel als dynamische Größe wahrgenommen wird, die unablässig voranschreitet, scheint der Raum vielmehr eine statische Entität zu sein. Die Zeit 1 SCHUBERT, Erlebnis, S. 15 (Hvhgb. i. O.) 2 Vgl. dazu STANZEL, Theorie, S. 156f. 3 Vgl. HALLET/NEUMANN, Raum, S. 24, sowie BAUMGÄRTNER/KLUMBIES/SICK, Raumkonzepte: „Gemeint ist damit [sc. mit dem Handlungsraum] ein Raum, der sich durch Handlung formiert und gleichzeitig auf diese Handlungen zurückwirkt.“ (S. 12). 4 Vgl. STÖRMER-CAYSA, Grundstrukturen, S. 70–75. Vgl. dazu auch SCHULZ, Erzähltheorie, der in Bezug auf Eilharts Tristant feststellt: „Die räumlichen Relationen werden von Hindernissen auf einer normativen Ebene bestimmt. Sobald diese beseitigt sind, können die Wegstrecken auf ein Minimum zusammenschrumpfen.“ (S. 315), sowie BRINKER-VON DER HEYDE, Zwischenräume: „Die Gesetze des physikalischen Raums sind außer Kraft gesetzt. Entscheidend für die Ausdehnung bzw. für das Vorhandensein des Zwischenraums ist derjenige, der ihn betreten will.“ (S. 211). Dies gilt m. E. aber nicht nur für Zwischenräume, sondern ist eine grundsätzliche Eigenschaft des erzählten Raums. Grundlegend zum konstitutiven Momentum des Unterwegsseins schon TRACHSLER, Weg, zum Verhältnis von Weg und Raum insb. S. 137–139. 5 SELMAYR, Lauf der Dinge, S. 64. Vgl. dazu auch MEYER, Raumgestaltung, S. 231, sowie BÁLINT, Suche, die vom Raum als einer „feste[n] Konstituente im Trias von Raum, Zeit und Handlung in literarischen Werken“ (S. 34) spricht. 6 SCHULZ, Erzähltheorie, S. 304. Früh hat schon Robert PETSCH in Wesen und Formen der Erzählkunst (1934) auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht (vgl. RITTER, Einleitung, S. 9). Vgl. dazu auch TRACHSLER, Weg, S. 137, sowie jüngst MÜLLER, Episches Erzählen: „Raum ist eine Funktion von Handlung. Das bedeutet, dass räumliche Elemente voneinander isoliert sind und nur durch den Bezug auf die Akteure zusammenhängen.“ (S. 243). Vgl. zusammenfassend dazu BAUMGÄRTNER/KLUMBIES/SICK, Raumkonzepte: „Folgt man der literatur- und textwissenschaftlichen Diskussion werden Räume erst dadurch erzählbar, dass sie figurenbezogen sind.“ (S. 18). - 10 - vergeht – der Raum bleibt.7 Der Hörsaal, das Café, der Supermarkt – sie alle sind in der alltagsweltlichen Vorstellung auch dann noch ein Raum, wenn Vorlesungs- oder Öffnungszeiten vergangen sind und sich dort keine Personen mehr aufhalten. Auch wenn dort keine Handlung stattfindet, können wir diese Räume sehen, wir können sie wahrnehmen und im Zweifelsfall sogar physisch erfahren.8 In fiktionalen Texten dagegen gilt zwar, dass „[j]eder narrative Text (…) den Entwurf einer Welt voraus[setzt]“9, diese Welt jedoch keineswegs immer bewusst thematisiert oder gar konsequent präsent gehalten wird. Jenseits von Handlung und Figur verschwindet der Raum vielmehr aus der Wahrnehmung und präsentiert sich dem Rezipienten erst dann wieder, wenn er relevant für die Handlung wird.10 Literarische Räume also sind diskontinuierlich, inhomogen und anisotrop,11 sie sind „polysemisch und fragmentarisch zugleich“12. Und sie sind gerade nicht physisch erfahrbar. Was der Erzähler nicht erzählt können wir letztlich nicht wissen.13 Der literarische Raum bleibt gewissermaßen immer Stückwerk. Er setzt sich zusammen aus einzelnen, vom Erzähler benannten Elementen, die wir als Rezipienten